Erfolgreich als Designer – Designzukunft denken und gestalten 9783034608770, 9783034605960

Provokativ und erfrischend Zukunftsorientiertes »Kopfbuch« mit beruflichen Perspektiven für Designer im bewährten Reih

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Erfolgreich als Designer –  Designzukunft denken und gestalten
 9783034608770, 9783034605960

Table of contents :
Vorwort. Erik Spiekermann
Vorwort. Joachim Kobuss
Einführung
Teil I. Gestaltend denken
1. Design bezeichnet die Gestaltung der Zukunft
1.1 Begriffsdefinition
1.2 Weltbilder
1.3 Spekulationen über die Designzukunft
1.4 Hype, Trend, Megatrend - Worüber reden wir eigentlich?
1.5 Wie gut ist die Gegenwart?
1.6 Wie könnte eine präferierte Situation aussehen?
1.7 Strategien entwickeln
2. Großbaustelle Erde - Wir brauchen Planer, keine Tapezierer
2.1 Veränderungen der Ökonomie, Ökologie und des Sozialen
2.2 Globalisierung
2.3 Kulturelle Herkunft des Designs
3. Über die Notwendigkeit der richtigen Philosophie
3.1 Corporate Identity versus Marketing
3.2 Die Intelligenz des dümmsten anzunehmenden Verbrauchers
3.3 Qualität gibt’s nicht zum Nulltarif
3.4 Über die Unique Selling Proposition (USP)
3.5 Was ist aber nun die richtige Philosophie?
4. Metatrend Nachhaltigkeit
4.1 Trendforschung und ihre Logik
4.2 Metatrend-Theorie
4.3 Das CO2-Problem
4.4 Gebrauchen statt Verbrauchen
4.5 Die Märkte gehören den Sehenden!
5. Ökonomischer und sozialer Wandel
5.1 Evolutionäre Dynamik der Gesellschaft
5.2 Konjunkturzyklen in langen und kurzen Wellen
5.3 Kritik der Krisen-Diskussionen
5.4 Kritik der ökonomischen Vernunft
Teil II. Denkend gestalten
6. Die böse Sache mit der guten alten Ästhetik
6.1 Achtung: Tabubruch!
6.2 Ästhetik und Ethik
6.3 Ästhetik und Nachhaltigkeit
7. Design ist angewandte Semiotik
7.1 Der Verrat der Bilder
7.2 Semiotik ist die Wissenschaft der Zeichen
7.3 Das Zeichen als Element von Zeichensystemen
7.4 Bildbasierte und schriftbasierte Zeichen
8. Orientieren, Informieren, Inspirieren – Über den Kernnutzen von Kommunikationsdesign
8.1 Kult und Religion
8.2 Orientierungsdesign
8.3 Informationsdesign
8.4 Inspirationsdesign
9. Neue Medien - Über die digitale Revolution, die Dementia Digitalis und andere Folgen
9.1 Technologie und Aufklärung
9.2 Kommerzielle Revolution
9.3 Politische Revolution
9.4 Medienrevolution
9.5 Paradigmenwechsel
10. Process precedes Product
10.1 Form folgt der Funktion
10.2 Zwei Prozesse
10.3 Designer an den Anfang des Prozesses!
11. Denken - anders, kreativ und wie Designer
11.1 Anders denken
11.2 Anders denken lernen
11.3 Kreativ denken
11.4 Wie Designer denken
11.5 Der denkende Designer
11.6 Design denken
11.7 Offen denken
Teil III. Gewinnend denken und gestalten
12. Arbeitswelt Zukunft – interdisziplinäre Netzwerke
12.1 Von der Hierarchie zur Heterarchie
12.2 Vom Einzelkämpfer zum Netzwerker
12.3 Netzwerken und Gewinnen
13. Zukunft als Leistungsangebot – Vision statt Illusion
13.1 Der Wert der Umwelt und des Menschen
13.2 Was hat das mit Design zu tun?
13.3 Leistungsangebot nach Typen
14. Prozessorientierte Dienstleistungen – Beraten, Planen und Gestalten
14.1 Berufsbild und Funktion der Designer
14.2 Entwicklungsprozess in Phasen
14.3 Dienstleistungen in Phasen
14.4 Relevanz und Bewertung der Phasen und Leistungen
15. Designausbildung der Zukunft
15.1 Ausbildung: Handwerk, Kunst und Wissenschaft
15.2 Denken und Machen
15.3 Curricula der Designausbildung
16. Designweiterbildung der Zukunft
16.1 Weiterbildung als kontinuierlicher Prozess
16.2 Professionalisierung der Gestaltung
16.3 Qualifizierung zur Planung
16.4 Qualifizierung zur Beratung
16.5 Zertifizierung
17. Designwirtschaft - Status, Perspektiven und Handlungsempfehlungen
17.1 Design auf internationalem Top-Level
17.2 Creative Industries
17.3 Kultur- und Kreativwirtschaft (D)
17.4 Designwirtschaft in Deutschland
17.5 Designwirtschaft in Österreich und der Schweiz
17.6 Ausbildungsstatistik (D)
17.7 Handlungsempfehlungen
Interviews
Einführung
David B. Berman
Michael Braungart
Alexander Bretz
Hajo Eickhoff
Severin Filek
Pete Kercher
Aaris Sherin
Michael Söndermann
Jan Teunen
John Thackara
Anhang
Danksagung
Autorenporträts
Infografiken
Adressen
Literaturliste
Personen-Index
Sach-Index
Sponsoren

Citation preview

Erfolgreich als Designer

Impressum Konzeption und Layout:

Vertrieb:

Erik Spiekermann & Thomas Walsch

ActarBirkhäuserD

Edenspiekermann, Berlin

www.actarbirkhauser-d.com

Textredaktion:

Barcelona – Basel – New York

Gudrun Martens-Gottschall, Worms Illustrationen:

Roca i Batlle 2

Anja Knust & Dorothee Weinlich, Berlin

E-08023 Barcelona

Lektorat:

T +34 93 417 49 43

Robert Steiger (Birkhäuser Verlag)

F +34 93 418 67 07

Projektkoordination:

[email protected]

Daniel Morgenthaler, Odine Oßwald (Birkhäuser Verlag)

Viaduktstrasse 42 CH-4051 Basel T +41 61 568 98 00

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese ­Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; ­detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugs­ weiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

F +41 61 568 98 99 [email protected] 151 Grand Street, 5th floor New York, NY 10013, USA T +1 212 966 22 07 F +1 212 966 22 14 [email protected] Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff TCF ∞ Printed in Spain ISBN: 978-3-0346-0596-0

© 2012 Birkhäuser GmbH, Basel Postfach, 4002 Basel, Schweiz

987654321

Ein Unternehmen von ActarBirkhäuser

www.birkhauser.com

Joachim Kobuss Michael B. Hardt

ERFOLGREICH ALS DESIGNER Designzukunft denken und gestalten BIRKHÄUSER Basel 

Für meinen Sohn Alexander-Semjon – der noch viel Zukunft vor sich hat. Joachim Kobuss

Für Fabian, Julius, Levi und Elias – um deren ­Zukunft es geht. Michael B. Hardt

Inhalt

Vorwort



Erik Spiekermann Joachim Kobuss

13 15

Einführung



Michael B. Hardt

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Teil I.

Gestaltend denken

22

1. Design bezeichnet die Gestaltung der Zukunft 1.1 Begriffsdefinition 1.2 Weltbilder 1.3 Spekulationen über die Designzukunft 1.4 Hype, Trend, Mega­trend – Worüber reden wir eigentlich? 1.5 Wie gut ist die Gegenwart? 1.6 Wie könnte eine ­präferierte Situation aussehen? 1. 7 Strategien ­entwickeln 2. Großbaustelle Erde – Wir ­brauchen Planer, keine Tapezierer 2.1 Veränderungen der Ökonomie, Ökologie und des Sozialen 2.2 Globalisierung 2.3 Kulturelle Herkunft des ­Designs 3. Über die Notwendigkeit der ­richtigen Philosophie 3.1 Corporate Identity versus Marketing 3.2 Die Intelligenz des dümmsten anzunehmenden Verbrauchers 3.3 Qualität gibt’s nicht zum Nulltarif 3.4 Über die Unique ­Selling Proposition (USP) 3.5 Was ist aber nun die richtige Philosophie?

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41

53

7

4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5

Metatrend Nachhaltigkeit Trendforschung und ihre Logik Metatrend-Theorie Das CO²-Problem Gebrauchen statt Verbrauchen Die Märkte gehören den Sehenden!

65

5. 5.1 5.2 5.3 5.4

Ökonomischer und sozialer ­Wandel Evolutionäre ­Dynamik der ­Gesellschaft Konjunkturzyklen in langen und kurzen Wellen Kritik der Krisen-Diskussionen Kritik der ökonomischen Vernunft

83

Teil II. Denkend gestalten

6. 6.1 6.2 6.3

Die böse Sache mit der guten alten Ästhetik Achtung: Tabubruch! Ästhetik und Ethik Ästhetik und ­Nachhaltigkeit

101

7. 7.1 7.2 7.3 7.4

Design ist angewandte Semiotik Der Verrat der Bilder Semiotik ist die ­Wissenschaft der Zeichen Das Zeichen als ­Element von ­Zeichensystemen Bildbasierte und schriftbasierte ­Zeichen

113

8. Orientieren, Informieren, ­Inspirieren – Über den ­Kernnutzen von Kommunikationsdesign 8.1 Kult und Religion 8.2 Orientierungsdesign 8.3 Informationsdesign 8.4 Inspirationsdesign 9. Neue Medien – Über die digitale Revolution, die Dementia Digitalis und andere Folgen 9.1 Technologie und Aufklärung 9.2 Kommerzielle ­Revolution 9.3 Politische Revolution 9.4 Medienrevolution 9.5 Paradigmenwechsel

8

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133

10. 10.1 10.2 10.3

Process precedes Product Form folgt der ­Funktion Zwei Prozesse Designer an den Anfang des Prozesses!

141

11. 11.1 11.2 11.3 11.4 11.5 11.6 11.7

Denken – anders, kreativ und wie Designer Anders denken Anders denken ­lernen Kreativ denken Wie Designer denken Der denkende ­Designer Design denken Offen denken

149

Teil III. Gewinnend denken und gestalten

12. 12.1 12.2 12.3

Arbeitswelt Zukunft – ­inter­disziplinäre Netzwerke Von der Hierarchie zur Heterarchie Vom Einzelkämpfer zum Netzwerker Netzwerken und Gewinnen

13. Zukunft als Leistungsangebot – Vision statt Illusion 13.1 Der Wert der Umwelt und des Menschen 13.2 Was hat das mit Design zu tun? 13.3 Leistungsangebot nach Typen 14. Prozessorientierte Dienst­leistungen – Beraten, Planen und Gestalten 14.1 Berufsbild und ­Funktion der ­Designer 14.2 Entwicklungs­prozess in Phasen 14.3 Dienstleistungen in Phasen 14.4 Relevanz und ­Bewertung der ­Phasen und ­ Leistungen 15. Designausbildung der Zukunft 15.1 Ausbildung: ­Handwerk, Kunst und Wissenschaft 15.2 Denken und Machen 15.3 Curricula der ­Designausbildung

176 179

191

201

213

9

16. 16.1 16.2 16.3 16.4 16.5

Designweiterbildung der Zukunft Weiterbildung als kontinuierlicher Prozess Professionalisierung der Gestaltung Qualifizierung zur Planung Qualifizierung zur Beratung Zertifizierung

17. Designwirtschaft – Status, ­Perspektiven und Handlungs­empfehlungen 17.1 Design auf ­inter­nationalem Top-Level 17.2 Creative Industries 17.3 Kultur- und ­Kreativwirtschaft (D) 17.4 Designwirtschaft in Deutschland 17.5 Designwirtschaft in Österreich und der Schweiz 17.6 Ausbildungs­statistik (D) 17.7 Handlungs­empfehlungen

225

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Interviews



Einführung David B. Berman Michael Braungart Alexander Bretz Hajo Eickhoff Severin Filek Pete Kercher Aaris Sherin Michael Söndermann Jan Teunen John Thackara

259 261 265 269 273 277 281 285 289 293 295

Anhang



10

Danksagung Autorenporträts Infografiken Adressen Literaturliste Personen-Index Sach-Index Sponsoren

301 303 305 319 321 331 335 343

Vorwort

Wenn ich sage, dass ich Designer bin, erhellen sich die meisten Gesichter: Ach so, Sie sind Künstler! Sofort weise ich diese Kategori­ sierung zurück, muss dann aber schnell meine Kurzdefinition ­abliefern: Künstler visualisieren ihre Sicht der Dinge, ohne Auftrag, aus eigenem Antrieb, wegen des Leidensdrucks, warum auch immer. Designer hingegen arbeiten für Auftraggeber, visualisieren also deren Probleme, Vorstellungen, Botschaften. Der Auftraggeber zahlt dafür, wenn sein Problem gelöst ist. In manchen Fällen stellt das Produkt der Designarbeit (und damit meine ich nichts zum Anfassen im Sinne eines Gebrauchsgegenstandes, sondern meist einen Gegenstand für den geistigen Gebrauch) auch ein ästhetisch ansehnliches Erzeugnis dar, das zur Betrachtung außerhalb seiner natürlichen Umgebung – also normalerweise: Supermarkt, Buch­laden, Wohnzimmer – taugt. Mitunter gelangen Erzeugnisse der Sparte Grafik-Design sogar in eine Galerie, in einen Katalog oder sogar ein Museum, was eigentlich ihren sofortigen Tod als ernstzunehmende Problemlösungen zur Folge haben müsste. Mit Künstlern werden wir gerne verwechselt, weil wir künst­ lerische Mittel verwenden, wie Zeichnen, Skizzieren, ins Unreine denken, aber auch, weil wir uns gerne als Künstler aufführen, uns also unkonventionell kleiden, zu spät kommen und uns überhaupt ungehörig aufführen. Sind wir einmal als Künstler verschrieen, ist die Beurteilung unserer Arbeit nach normalen, geschweige denn betriebswirtschaftlichen oder gar wissenschaftlichen Kriterien nicht mehr möglich. Dieser Geniebonus ist bequem, sorgt aber auch dafür, dass wir nicht ernst genommen und immer erst ganz am Ende eingeschaltet werden. Der Pausenclown darf sich eben alles erlauben, er darf nur nicht die eigentliche Veranstaltung stören. Wie die Autoren dieses Buches eindringlich und überzeugend belegen, ist die Zeit der Designer als unterhaltsame Nebendarsteller vorbei. Wir sind gefordert, unsere Fähigkeiten anders einzusetzen als nur zum unmittelbaren wirtschaftlichen Erfolg unserer Auftraggeber, nachhaltiger also.

Erik Spiekermann

13

Joachim Kobuss und Michael B. Hardt kommen aus der ­ esignpraxis, was sie nicht daran hindert, eben diese Praxis grundD sätzlich infrage zu stellen. Aber lesen Sie selbst. Immerhin ist Design zuallererst eine intellektuelle Tätigkeit, und auch das Hirn will ­trainiert sein. Sie werden nach der Lektüre dieses Buches klüger sein als vorher. Erik Spiekermann, Berlin, September 2011

14

Vorwort

Was lässt mich so vermessen sein, ein Buch über die Zukunft zu schreiben? Da ich weder hellseherische Fähigkeiten habe noch in die Zukunft sehen kann, ist diese Frage mehr als berechtigt. Offen gesagt, ich weiß nicht, was uns die Zukunft bringt und wie sie aussieht. Ich weiß nur (oder besser: ahne), dass sie anders sein wird als unsere Gegenwart. Warum dann aber dieses Buch? Nun, ich kann über die Zukunft denken – nachdenken – genauer ­vordenken. Noch genauer – denken und fühlen.

Joachim Kobuss

Die Soziologin Eva Illouz zitiert in ihrem Buch Die Errettung der modernen Seele (2009, Seite 27) Richard Biernacki:

»Denken und Fühlen bereiten das Handeln nicht vor, sie sind ­Handeln.«

In diesem Sinne ist bereits mein Denken darüber die aktive ­ orwegnahme der Zukunft. Das Entwickeln einer veränderten Welt. V Mit Verlaub – ich bin so vermessen, die Welt verändern zu wollen. Und vermessen sein ist die Voraussetzung für eine persönliche ­Haltung. Bevor Sie jetzt denken, dass ich tollkühn bin und meine Möglichkeiten hier maßlos überschätze, bedenken Sie bitte: Ver­ änderungen fangen immer ganz klein an – zuerst bei Einem, dann beim Zweiten usw. (Sie sehen, die kritische Masse ist Eins!) Übrigens: Eins, Zwei … Sie haben es auf dem Buchcover schon gesehen, ich bin tatsächlich nicht allein. Vor einigen Jahren hatte ich das große Glück, einen ebenso tollkühnen Zukunftsdenker kennen zu lernen – meinen Co-Autor Michael B. Hardt. Als wir uns das erste Mal trafen (es war am 1. Februar 2008 in Luxemburg), stellten wir nach einer Stunde fest, dass wir genau in die gleiche Richtung denken und waren – was nicht verwundert – nach einer weiteren Stunde befreundet. Daraus ist dann kurz danach die Idee zu einem gemeinsamen Buchprojekt entstanden. Nun, es hat über drei Jahre gedauert, bis wir diese Idee realisieren konnten – drei Jahre intensiver ­Recherche, in denen zwischenzeitlich zwei weitere Bücher in ­dieser Reihe erschienen. 15

Die Zusammenarbeit mit Michael hat sich kongenial entwickelt (ebenso wie bei Alexander Bretz, meinem Co-Autor der ersten beiden Bücher). Wir haben uns der Designzukunft überwiegend aus der gestalterischen Perspektive genähert. Daher hat Michael auch den größeren Teil erarbeitet. Ich konzentrierte mich auf die ökonomische Sicht und verfasste die Kapitel über den ökonomischen und sozialen Wandel, das Denken, die prozessorientierte Dienstleistung, die Designweiterbildung und die Designwirtschaft. Darüber hinaus war es meine Aufgabe, seine Texte in die Struktur unserer Buchreihe zu integrieren und wie bei den anderen Büchern mit Hinweisen und Links zu versehen. Wir sprechen hier nicht über das Design der Zukunft in Sinne einer konkreten Gestaltung – wir sprechen vielmehr über die Zukunft und wie sie die Arbeitsbedingungen der Designer verändern wird. Daher ist dieses Buch, im Vergleich zu den beiden ersten in dieser Reihe, philosophischer und geht mehr auf soziologische und psychologische Fragen ein. Allerdings sind wir auch konkret ­geworden und haben insbesondere im dritten Teil Handlungs­ empfehlungen erarbeitet. Unser gemeinsames Anliegen ist es, Sie als Designerinnen und Designer für die Zukunft zu sensibilisieren und vor allem zu motivieren. Denn noch nie gab es so viele Chancen und Möglichkeiten für Ihren Beruf. Allerdings auch noch nie so viele Veränderungen. Der Philosoph Boris Groys schreibt in seinem Buch Einführung in die Anti-Philosophie (2009, Seite 82):

»Bei jeder Investition in die Zukunft ist der Risikofaktor nicht ­eliminierbar. […] Auf jeden Fall ist aber derjenige, der das Risiko eingeht, einem berechnenden Wissenschaftler grundsätzlich überlegen […] Es handelt sich um die Chancen für unseren Erfolg in der Zukunft, die uns unüberwindbar verborgen bleiben, aber auch um unsere Entschlossenheit, der Zukunft trotzdem ent­ gegenzukommen, sie zu stiften, ihre weltgeschichtliche Durch­ setzung zu ermöglichen.«

Somit ist Ihre Arbeit als Designerin und Designer eine unter­ nehmerische. Genau diese Haltung wollen wir Ihnen mit diesem Buch vermitteln. Und wir wollen Ihnen deutlich machen, dass gerade Sie wesentlich an der Zukunft mitarbeiten können.

16

Das haben Hajo Eickhoff und Jan Teunen in Ihrem Buch Form:Ethik (2005/2006, Seite  Z) sehr gut beschrieben:

»Zukunft gestalten ist eine Weise der Achtsamkeit. Sie kann nicht vorausgesagt werden, doch sie lässt sich bedenken und ­entwerfen. Die Vision der Zukunft müssen Gestalter im Rahmen einer Weltethik entwickeln. Die Zukunft, die zu entwerfen ist – dass der Mensch unter Beachtung einer sich rasant ent­ wickelnden Technik und wachsender Eingriffe in die Natur auch in Zukunft ein menschenwürdiges und friedliches Leben führen kann –, fordert ein Verhalten, das sich unmittelbar aus einer Zukunftsvision herleitet: das Engagement für eine Gegenwart, die weiten Raum lässt für ein zukünftiges Leben auf dem ­Planeten Erde.« Hajo Eickhoff und Jan Teunen haben sich in Interviews weiter gehend mit der Designzukunft auseinandergesetzt (Seite 273 und 293).

Um uns dem Risiko Zukunft mit der notwendigen Achtsamkeit anzunähern, entwickelten wir dreiteilige Strukturen für eine ideale Designausbildung (Kapitel 15) und Designweiterbildung (Kapitel 16). Letztere lehnt sich an ein ebenfalls dreiteiliges Prozessphasen-Modell an (Kapitel 14). Dieses Modell beschreibt den Ablauf eines Entwicklungsprozesses und zeigt diesen unabhängig von einem Gestaltungs­ prozess, quasi als Vorlauf eines solchen. Gestaltungsprozesse werden oft in mehreren Phasen dargestellt, wie zum Beispiel in dem neuen Buch von Marco Spies: Branded Interactions (BIxD – es erscheint im Frühjahr 2012). Darin schreibt er in ­seiner Einführung:

»Das vorliegende Buch stellt den BIxD Prozess mit seinen fünf Phasen – 1. Discover > 2. Define > 3. Design > 4. Deliver > 5. Distribute – Schritt für Schritt vor.«

Er schließt mit seinem Buch eine Lücke in der Literatur zur interaktiven Gestaltung. Ein gedrucktes Buch wie dieses kann einem zeitgemäßen interaktiven Anspruch selbstverständlich nicht gerecht werden. Ergänzend hierzu gibt es deshalb die Domain: erfolgreichalsdesigner.de. ­Darüber gelangen Sie zu meiner Website designersbusiness.de und finden dort aktuelle Ergänzungen zu unserem Buch (und der ganzen ­Buchreihe).

17

Zu unseren Klienten und Studenten gehören Designerinnen und Designer. Dies haben wir in der direkten Ansprache an Sie als Leserin und Leser berücksichtigt. Außerdem verwenden wir – der besseren Lesbarkeit wegen – die international gebräuchliche Form Designer. Dieses Buch ist unser Angebot, mit dem wir unsere Standpunkte auf der Basis unserer Erfahrungen wiedergeben. Diese Standpunkte können Sie – ganz oder teilweise – mit uns teilen, ablehnen oder verurteilen. Wie auch immer, wir sind offen für Anregungen und Kritik. Joachim Kobuss, Berlin · Köln, September 2011

18

Einführung »Design bezeichnet Maßnahmen, die darauf abzielen, bestehende in ­bevorzugte Situationen zu verändern.« (Herbert Simon) Design kann viel mehr für unsere Gesellschaft leisten, als ein paar Leuten dabei zu helfen, Menschen dazu zu verführen, sich mit Geld, das sie nicht haben, Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchen, um damit Leuten zu imponieren, die sie nicht leiden können. Design ist auch weit mehr als die vermeintliche Verschönerung unserer Artefakte: Dieses Metier nennt man Dekoration. Nicht das schön gestaltete Produkt, das zum Kauf anregt, sondern der ziel­ gerichtete Gestaltprozess zur Optimierung einer Ausgangssituation ist der Kernnutzen von Design. Gestaltung bezeichnet den Weg von einem Ausgangspunkt zu einem Ziel. Das Ergebnis von Design findet also immer in der Zukunft statt. Die Bestimmung der Richtung setzt voraus, dass man weiß, woher man kommt. Deshalb wird in diesem Buch auch viel von der Vergangenheit die Rede sein. Sie werden erfahren, dass man früher mitunter näher an unserer Zukunft war, als wir es heute sind. Unsere Gesellschaft hat sich in manchen Dingen ­geradezu dramatisch in die falsche Richtung bewegt und ist nicht dort angekommen, wo sie ursprünglich einmal hinwollte. Wir haben unterwegs vergessen, auch die nachfolgenden Generationen mit in unsere Überlegungen einzubeziehen. Schon lange denken wir nicht mehr in natürlichen Kreisläufen, nicht einmal mehr linear. Unser Denken ist punktuell geworden. Sie werden sich bei der Lektüre dieses Buches manchmal ärgern, provoziert fühlen, deprimiert werden und manches nicht auf Anhieb akzeptieren wollen. Bitte lesen Sie dann trotzdem weiter. Die zukünftigen Aufgaben, die an Sie als Designerin und ­Designer gestellt werden, sind zwar immens – aber lösbar. Sie sind dafür weder richtig ausgebildet, noch derzeit zu einer Lösung in der Lage. Allerdings hat sich weltweit schon eine ganze Reihe von Designern an die Arbeit gemacht und kann erste positive Ergebnisse vorweisen.

Michael B. Hardt

19

Dieses Buch handelt davon, was man als Designer wissen sollte, um neues Design zu gestalten und um Argumentationshilfen zu bekommen, es erfolgreich zu vermarkten. Bevor Sie die Frage beantworten, wohin Sie wollen, sollten Sie sich im Klaren darüber sein, warum Sie sich von Ihrem jetzigen Standort wegbewegen wollen oder müssen und was Sie von Ihrem Ziel erwarten. Der moderne Mensch ist das einzige Lebewesen auf diesem ­Planeten, das umweltbelastenden Abfall produziert. Er produziert Müll aber nicht, weil Menschen nun mal Müll produzieren. In der Geschichte der Menschheit ist die Wegwerfgesellschaft ein bedauerlicher, aber reparabler Fehler. John Thackara schrieb in seinem Buch In the Bubble, dass wir uns in unsere globalen Probleme hinein designed haben und wir uns folglich da auch wieder heraus designen ­können. Die Gestalter des alten Designs haben eifrig dazu beigetragen, den schönsten Abfall der Welt zu entwerfen. Die Gestalter des neuen Designs müssen nun zurückkehren zu einer harmonischen Sym­ biose zwischen Mensch und Umwelt. Der Mensch hat die Fähigkeit verloren, vorauszublicken und ­vor­zusorgen. Er wird am Ende die Erde zerstören ist eine düstere und ­resignierende Prognose von Albert Schweitzer. Aber wenn man etwas ­verloren hat, macht man sich auf die Suche danach, es wieder zu ­finden und jammert nicht rum. Design statt Resign! Wir leben heute in einer Zeit, in der wir – wie zu keiner Zeit ­vorher in der Geschichte der Menschheit – gezwungen sind, eine Richtungsänderung vorzunehmen, um eine drohende globale ­Katastrophe abzuwenden. Wir müssen uns dieser Aufgabe zuwenden, und dabei werden all jene Designer eine wichtige Rolle spielen, die von ihrer Denkstruktur zur Entwicklung innovativer Problem­ lösungen prädestiniert sind. Es ist nicht die Zeit, in einem Elfenbeinturm Illusionen einer künstlichen Welt aus bunten Bildchen und hübschen Artefakten zu schaffen. Wir müssen auch selbstkritisch eingestehen, dass die Designer in den letzten Jahrzehnten eine fatale Rolle gespielt haben, dass unser Konsumverhalten heute suchtähnliche Züge zeigt und der vom Design geschürte Neuheitswahn in nicht unerheblichem Maß für die bestehende Situation ­verantwortlich ist. Hajo Eickhoff · Jan Teunen: Form:Ethik (2005/06, Seite 7)

»Marketing per se ist ethisch blind« – stellte Peter Ulrich, Leiter des Instituts für Wirtschaftsethik in St. Gallen fest. »Der gänzlich am Marketing orientierte Entwicklungsprozess vereinnahmt das 20

Design und beraubt die Gestalter ihrer Fähigkeit, entlang eines ethisch fundierten Wertesystems visionär zu denken und zu ­handeln.«

Die für das Sehen verantwortlichen Designer haben sich also von blinden Räubern die Sichtweisen vorschreiben lassen. Wenn wir ethisch korrektes Design machen, werden wir keine Aufträge mehr bekommen. Wovon sollen wir dann leben? Diese Frage ist ebenso berechtigt wie oberflächlich. Je mehr man sich mit dieser Thematik befasst, desto mehr erkennt man, dass in der Gestaltung einer guten Zukunft gerade in ethischem und nachhaltigem Design ein erhebliches Marktpotenzial liegt. Die mögliche und nötige ­Neugestaltung der Zukunft des Menschen auf unserem Planeten ist eine Designaufgabe, wie es Herbert Simons Definition deutlich macht. Die prognostizierte Entwicklung der Designwirtschaft ist kein Wunschdenken, sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Die Gestaltung der Zukunft ist der größte Markt in der bisherigen Geschichte des Designs. David B. Berman beschreibt in seinem Buch Do Good Design, dass die Zukunft unserer Welt heute unser gemeinsames Design­ projekt ist, und er sagt weiter: dasselbe Design, das die Treibkraft für den ­Massenüberkonsum darstellt, beinhaltet auch die Macht, die Welt zu reparieren. Er fordert: Mach nicht nur gutes Design, design Gutes. Michael B. Hardt, Runåberg, September 2011

21

I.

Gestaltend denken

1

Design bezeichnet die Gestaltung der Zukunft

Das Ergebnis der Tätigkeit des Designers findet immer in der Zukunft statt. Macht es da nicht Sinn, die Funktion vor der Form zum Kern des Leistungs­angebots zu machen? Wenn auch wohlklingende Worte wie Trend und ­Ästhetik den Missbrauch und die Ausbeutung in der Gegenwart verschleiern, umso mehr beschreibt der Begriff »Nachhaltigkeit« im Design die Inten­sität und Dauer der Wirkung von Gestaltetem. Nach­haltigkeit ist somit ein primäres Qualitäts- und Erfolgsmerkmal von Design. Wer als Gestalter also nachhaltig erfolgreich werden will, muss Zukunft denken lernen. Es gibt unzählige Definitionen des Begriffs Design. Die folgende von Herbert Simon beschreibt die Kernfunktion des Design wohl am besten:

1.1 Begriffsdefinition

»Design bezeichnet Maßnahmen, die darauf abzielen, bestehende in bevorzugte Situationen zu verändern.« (Originalzitat: Everyone designs who devises courses of action aimed at changing existing situations into preferred ones.)

Andere Definitionen, und besonders die von Designern selbst, beziehen sich in der Regel auf das gestaltete Produkt und sein formal ästhetisches Äußeres und nicht auf die Zielsetzung des Designprozesses. Aber gerade der Aspekt des Prozesses beschreibt die ­Einzigartigkeit der Tätigkeit von Designern. Zum Designprozess innerhalb eines Entwicklungsprozesses und der Zuordnung relevanter Dienstleistungen finden Sie im Kapitel 14 Prozessorientierte Dienstleistungen eine detaillierte Beschreibung (Seite 201 ff.).

25

Abgesehen von seinen unzähligen Definitionen hat das Wort Design aber auch viele unterschiedliche Bedeutungen. So heißt es ebenso Zeichnung wie Planung, ist sowohl Substantiv als auch Verb. Steve Jobs, der Begründer von Apple, sagte über Design (im Interview mit Gary Wolf The Next Insanely Great Thing, WIRED Magazin 4.02 Februar 1996, www.wired.com):

»Design ist ein lustiges Wort. Manche Leute denken, Design bedeutet, wie etwas aussieht. Aber klar, wenn man tiefer gräbt, meint es in Wirklichkeit, wie etwas funktioniert. […] Um etwas richtig gut zu gestalten, muss man es kapieren. Du musst wirklich begreifen, worum es eigentlich geht. Man braucht leidenschaftliches Engagement, um etwas wirklich sorgfältig zu verstehen, man muss es durchkauen und nicht einfach schnell schlucken. Die meisten Leute nehmen sich dafür nicht die Zeit.« John Heskett, der in Hong Kong an der Polytechnic University lehrende Professor für Design, bringt das Dilemma des Begriffes Design auf den Punkt:

»Design is to design the design of a design.«

Das englische Wort design bezeichnet sowohl eine Absicht als auch eine Tätigkeit, als auch eine Strategie, als auch ein Ergebnis. Bei richtiger Anwendung könnte die deutsche Sprache das Verständnis erleichtern und Verwirrungen vermeiden: Gestaltung ist gestalten der Gestalt von Gestaltetem. Aber bedauerlicherweise machen wir immer weniger Gebrauch von dem Reichtum der deutschen ­Sprache und bezeichnen Gestaltetes als Gestaltung. Wenn wir uns schon falsch ausdrücken, dann klingt Englisch doch irgendwie ­cooler. Für Herbert Simon ist Design im Sinne von Gestaltung eine zielgerichtete Aktivität zur Veränderung eines gegenwärtigen Zustandes – und damit eine Kurskorrektur. Das Ergebnis dieser Aktivität – die Veränderung – findet in der Zukunft statt. Man kann also Design mit ­Navigation vergleichen und den Designprozess mit dem Weg zu einem Ziel. Er umfasst damit: >> eine Standortbestimmung, >> eine Zieldefinition und >> eine Wegbeschreibung (Definition der erforderlichen ­Maßnahmen). Zielsetzung

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Bevor man die Frage beantwortet, wohin man will, sollte man sich im Klaren darüber sein, warum man sich von seinem jetzigen ­Standort wegbewegen will und was man von seinem Ziel erwartet.

Die Frage nach dem jetzigen Standort setzt wiederum voraus, dass man weiß, woher man kommt. Die meisten Designer scheinen sich mit dieser Vorgehensweise schwer zu tun. Da sie sich selbst nicht darüber im Klaren sind, was sie eigentlich tun oder tun sollten, können sie den Nutzen ihrer ­Leistung auch nur schwer kommunizieren. Die Ursache findet man in der Ausbildung: Betrachtet man die heutige Designausbildung, dann wird dort – von wenigen Aus­ nahmen einmal abgesehen – die Vergangenheit unterrichtet. Wir leben heute aber in einer Zeit, in der die Gesellschaft Visionen, Innovationen und Kreativität braucht. Doch anstatt die bestehende Welt so zu verändern, dass die zukünftige Welt eine bessere wird, gefällt sich die Mehrheit der Designer im Gestalten von Pseudowelten. Und alle Studenten, die in diese Berufe streben, bemühen sich eifrig im Kopieren dieser Geisteshaltung. So vergeuden viele ihr Talent mit Mangas und Graffiti in einer Scheinwelt von Computergames und Phantasy-Heroes, statt sich der Lösung existenzieller und gesellschaftlich drängender Aufgaben zu stellen. Wer sich als Designer am Design von heute orientiert, orientiert sich aber am Design von gestern. Daran ist grundsätzlich nichts ­auszusetzen, denn wenn man die Zukunft gestalten will, muss man die Vergangenheit kennen. Das gelingt allerdings nicht, wenn man bestehende Konzepte kopiert und abgewandelt als neue verkauft. Im Dschungel am Amazonas glauben die von der Zivilisation bisher unberührten Indianer, in der Gegenwart zu leben. Aus unserer Sicht aber leben sie noch in der Steinzeit. Unterschiedliche Kulturen und Menschen unterschiedlicher Bildungsniveaus sind intellektuell unterschiedlich weit entwickelt und das Bewusstsein für die Realität ist dadurch unterschiedlich weit von der Gegenwart entfernt. Genau genommen ist die Gegenwart die Trennlinie zwischen Vergangenheit und Zukunft. So glauben etwa die Sami in Lappland, dass der Mensch rückwärts durch das Leben geht. Er kann nur seine Vergangenheit und nicht die Zukunft sehen, weil er im Hinterkopf keine Augen hat. Aber kein Lappe geht rückwärts. Auf der Suche nach seinen Rentieren schaut er nach vorne und sucht nach Zeichen, die ihm den Weg ­weisen sollen. Er sucht auch nach Zeichen, die ihm Hinweise auf die Zukunft geben könnten. Federwolken am Himmel sind beispielsweise Zeichen für einen Wetterumschwung, für Sturm und Regen, der erst ein, zwei Tage später eintrifft.

1.2 Weltbilder

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Naturvölker sind in der Analyse von meteorologischen Zeichen derart gut geschult, dass sie oft sehr präzise Wettervorhersagen auf Monate im Voraus machen können. Wir kennen das nur noch aus alten Bauernregeln. Typisch Deutsch

Typisch Chinesisch

Die Deutschen halten sich im Allgemeinen für sehr fortschrittlich und zukunftsorientiert. Dieses Weltbild hinkt der Realität aber einige Jahre hinterher. Frag mal einen deutschen Manager nach seiner E-Mail-Adresse – war in den 90er Jahren ein beliebter Witz im Ausland. Die wenigsten Deutschen verstanden die Pointe. Wenn jemand im Jahr 2010 noch nach der Faxnummer fragte, dann war es ein Deutscher. Viele in der westlichen Welt sehen die Chinesen noch immer als rote Fähnchen schwenkende Fahrradfahrer im Mao-Look. Wenige wissen, dass es auch ein modernes China gibt. Schanghai, Guang­ zhou oder Shenzhen sind zum Beispiel weiter entwickelt als die ­meisten Städte in Europa oder Amerika. Moderne Technologien, die vor 50 Jahren in Deutschland entwickelt wurden, aus unbegreiflichen Ängsten aber bis heute nicht in Deutschland angewendet ­werden, laufen in China seit Jahren problemlos. Um dazu einen großen Deutschen sinngemäß zu zitieren: Edmund Stoiber (Transrapidrede, Neujahrsempfang der CSU, München 21. 01. 2002)

»Man kann also vom Hauptbahnhof in Schanghai in 10 Minuten – ohne am Flughafen einzuchecken – dann starten Sie im Grunde genommen am Hauptbahnhof Ihren Flug.«

Es gibt in China aber auch Gegenden, in denen man noch nie etwas von Elektrizität gehört hat, geschweige denn von der Magnet­ schwebebahn, die vom Hauptbahnhof in Schanghai (und nicht in München) abfährt. Die Chinesen sind zu etwa 20 Prozent an der globalen Luft­ verschmutzung beteiligt. Wir kritisieren zwar deren CO²-Emissionen, wissen aber nicht, dass es in China sehr ehrgeizige und progressive Projekte gibt: So will man dort bis zum Ende des Jahrzehntes mehr grüne urbane Zentren haben als der Rest der Welt zusammen. ­Man hat das Problem erkannt und macht sich erstaunlich effektiv und dynamisch an die Lösung. Aller Voraussicht nach wird China sogar schon bald die USA als führende Weltmacht ablösen und dann nicht nur die globale Produktionsstätte sein, sondern auch das globale

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Design und die Produktentwicklung dominieren. Und das wird auch Auswirkungen auf die europäische Designpraxis haben. Noch immer sehen wir die Asiaten als Menschen, die westliche Ideen sklavisch nachahmen und intellektuelles Eigentum in ganz großem Stil stehlen. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass wir es waren, die bis vor 150 Jahren die Chinesen in ganz großem Stil kopiert und ausgebeutet haben. Porzellan, Seide, Papier, Druck­ technik, Schießpulver und sogar die uritalienischen Spaghetti ­stammen aus China. Ein chinesischer Designprofessor entschuldigte sich bei seinem deutschen Kollegen dafür, dass die Chinesen den Westen kopieren: Wir haben den Anschluss verloren und Kopieren ist unsere Form des ­Lernens. Wenn wir genug gelernt haben, werden wir eigene Ideen entwickeln. Da kommt in naher Zukunft etwas auf uns zu: Der Chinesische Tiger wird langsam wieder wach. Wie sich die Chinesen im Designrecht an Deutschland orien­ tieren, können Sie im Buch Designrechte international schützen und managen (aus dieser Reihe) erfahren.

Zur Vorhersage der Zukunftsentwicklung benötigt man in der Regel zwei Qualifikationen, an denen nur schwerlich vorbeizukommen ist: Zum einen kommt man nicht ohne theoretisches Wissen über das Phänomen aus, über dessen Zukunft man eine Vorhersage treffen will. Es sei denn, das Phänomen hat eine so regelmäßige ­Entwicklung, dass man den weiteren Trend daraus ableiten kann. Alle Vorher­sagen sind daher nur so gut wie die angewandte Theorie. Die zweite Voraussetzung sind genaue Kenntnisse über den ­Ausgangspunkt. Weil die Auswirkungen von Design aber in der Zukunft stattfinden, ist die Vermutung der möglichen Zukunfts­ entwicklung (also eine Vorhersage) ein unverzichtbarer Bestandteil jeder Designkonzeption. Dabei müssen alle bekannten und unbekannten Faktoren sorgfältig gegeneinander abgewogen werden, wobei eine hundertprozentige Aussage nicht möglich ist. Man kann aber alternative Szenarios entwickeln und die möglichen Abweichungen von der ­Entwicklung aufzeigen, die man als die wahr­­schein­ lichste vermutet. Eine Zukunftsaussage benötigt allerdings auch eine Definition des Planungshorizonts. Je weiter dieser Horizont vom Ausgangspunkt entfernt ist, umso ungenauer wird die Vorhersage. Design mit Auswirkungen, die weit in der Zukunft liegen, kann deshalb unmöglich

1.3 Spekulationen über die Designzukunft

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bis ins Detail geplant werden. Oft ist es nur machbar und auch ­ausreichend, die aus heutiger Sicht notwendigen Maßnahmen, basie­ rend auf heutigem Wissensstand, zu treffen. Maßnahmen, deren Ausrichtung die größte Wahrscheinlichkeit haben, in die Nähe des zukünftigen Ziels zu führen. Rückwärtiger Ausblick

1972 sendete das Zweite Deutsche Fernsehen einen Film mit dem Titel Richtung 2000, Vorschau auf die Welt von morgen (YouTube). Der Film zeigte den Tagesablauf eines Mannes (Herr B., Jung­ geselle), wie man ihn sich damals im Jahr 2000 vorstellte. Geweckt von einer freundlichen jungen Dame am Bildschirm seines hoch­ modernen Fernsehgerätes im VEGA-Design, stand der Protagonist auf. Auf einem Laufband und auf Papptellern kam das Norm­ frühstück FS10-22 aus der voll automatisierten Küche auf den Esstisch. Die Tageszeitung lieferte ein Spezialdrucker, vergleichbar mit einem Faxgerät. Per Bildtelefon informierte er seine Kollegen am Arbeitsplatz, dass er erst später zur Arbeit kommen würde. Mit einer Remote Control, die aussah wie die Fernsteuerung eines Helikopters (das drahtlose Haushaltschaltpult), bediente er sein Fernsehgerät. Beim Umschalten der Kanäle – es gab sogar 16 ausländische Sender – erschien auf dem Bildschirm jedes Mal ein Störbild (man schien sich 1972 noch nicht vorstellen zu ­können, dass die Technik derartige Probleme beheben würde). Dasselbe Tool benutzte er auch, um seinen Einkauf zu tätigen (Tele Shopping Service). Mit der Fernbedienung steuerte er eine Kamera durch einen Supermarkt und zoomte auf das Preisschild für Radieschen. Zum Kauf drückte er dann auf den zwei mal zwei cm großen und ein cm hohen Druckschalter. Das gelbe Blink­­ licht auf dem Haushaltschaltpult und das Störbild des Fernsehschirms zeigten die erfolgreiche Transaktion. Per Magnet­schwebe­­ bahn und Mini-Elektroauto fuhr er dann in seine 80 km von seinem Wohnort entfernte Firma. Dort arbeitete er als Operator in einem Rechenzentrum an einer mechanischen Lochkarten­maschine – ein eintöniger 25-Wochenstunden-Job, nur erträglich durch das Antidepressivum Optimum 10.

Medienrevolution

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Was man 1972 noch nicht ahnen konnte, vollzog sich bereits zehn Jahre später mit der einsetzende Medienrevolution. Kam diese ­Entwicklung völlig unerwartet? Mitnichten! Im Juli 1945 veröffentlichte Vannevar Bush, ein amerikanischer Wissenschaftler, der bis dahin als Forscher im Dienste des Militärs

stand, einen Artikel unter dem Titel As we may think (Wie wir denken dürfen). Darin beschrieb er unter anderem sehr genau den PC und andere technische Entwicklungen, die 40 Jahre später erst konkret wurden: »Stellen Sie sich ein zukünftiges Gerät für den individuellen Gebrauch vor, das eine Art von mechanisiertem Ordner und Bücherei ist. Es braucht einen Namen. Um zufällig einen rauszupicken, Memex würde gehen. Ein Memex ist ein Gerät, in dem ein ­Indi­viduum all seine Bücher, Aufzeichnungen und Mitteilungen ­speichert und das so mechanisiert ist, dass man es mit außer­ ordentlicher Geschwindigkeit und Flexibilität zurate ziehen kann. Es ist eine vergrößerte intime Erweiterung seines Gedächtnisses. Es besteht aus einem Tisch, und während es möglicherweise auch auf Entfernung bedient werden kann, ist es erst einmal ein ­Möbelstück, an dem man arbeitet. Darauf befinden sich schräg angeordnete durchsichtige Bildschirme, auf die das Material zum bequemen Lesen projiziert werden kann. Es gibt eine Tastatur und eine Reihe von Knöpfen und Schaltern. Ansonsten sieht es aus wie ein normaler Tisch. An einem Ende ist das gespeicherte ­Material. […] Nur ein kleiner Teil des Inneren eines Memex dient der Speicherung. Der Rest ist der Mechanismus. […] Es gibt natürlich auch eine Vorrichtung zum Heranziehen der Aufzeichnungen durch gewöhnliche Indexierung. Wenn der Nutzer (sic) in einem bestimmten Buch nachschlagen möchte, schreibt er nur den Kode auf der Tastatur und die Titelseite des Buches erscheint sofort vor ihm, projiziert auf eine seiner Sichtpositionen. Häufig benutzte Kodes sind mnemonisch, sodass man selten den ­Buchkode benutzt; aber wenn man es tut, reicht eine einzige Taste, um ihn für den individuellen Gebrauch zu projizieren.«

Als technisches Konzept bestand schon damals das Mobilfunknetz. Der deutsche Schriftsteller Erich Kästner (1899–1974) hat es 1932 in einem Kinderbuch beschrieben: »Ein Herr, der vor ihnen auf dem Trottoir langfuhr, trat plötzlich aufs Pflaster, zog einen Telefonhörer aus der Manteltasche, sprach eine Nummer hinein und rief: Gertrud, hör mal, ich komme heute eine Stunde später zum Mittagessen. Ich will vorher noch ins Laboratorium. Wiedersehen, Schatz! Dann steckte er sein Taschentelefon wieder weg, trat aufs laufende Band, las in einem Buch und fuhr seiner Wege.« 31

Es gibt also eine Diskrepanz zwischen dem Stand der technischen Entwicklung und dem öffentlichen Bewusstsein. Henry Ford formulierte das einmal so: »Wenn ich die Leute gefragt hätte, was sie von einem zukünftigen Fortbewegungsmittel erwarten, hätten sie geantwortet: schnellere Pferde.«

Etwa zur gleichen Zeit soll der deutsche Kaiser Wilhelm II. (1859–1941) gesagt haben, dass er auch weiterhin auf Pferde setze. Das Automobil betrachte er als eine vorübergehende Erscheinung. Damit mag er weit in die Zukunft geblickt haben, für die letzten 100 Jahre lag er jedenfalls völlig daneben. Designaufgabe

1.4 Hype, Trend, Mega­ trend – Worüber reden wir eigentlich?

In der Antike schrieb man Künstlern seherische Fähigkeiten zu und hielt diese Fähigkeit für eine Vorraussetzung künstlerischen Schaffens. Bleiben wir etwas realistischer und formulieren ­zeitgemäß: >> Design hat die Aufgabe, Visionen zu entwickeln und zu visualisieren. >> Design hat die Aufgabe, die Zukunft zu gestalten. >> Design hat nicht die Aufgabe, irreale Scheinwelten ­vorzugaukeln. Wer von nichts eine Ahnung hat, benutzt gerne sensationelle Begriffe. Dumm ist nur, wenn diese schicken Worte etwas ganz anderes bedeuten. So kann man auf einigen Internetseiten von ­Werbeagenturen und Designbüros den kernigen Spruch lesen: Wir machen Trends! Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus, Meyers (2003)

»Ein Trend ist eine Komponente einer Zeitreihe, die längerfristig und nachhaltig wirkt und die Grundrichtung des Verlaufs einer Zeitreihe ausdrückt.«

Einen Trend kann man demnach nicht machen, ein Trend ­findet statt. Ganz peinlich wird es, wenn manche Designer-Kollegen mit Stolz behaupten, Hypes zu kreieren. Unter Hype versteht man aggressive Werbung, Trick oder Betrug. Mit anderen Worten: Jemand, der Hypes gestaltet, ist auf dem Niveau trickbetrügerischer Drücker­ kolonnen. Das ist nicht witzig. Aber wie weit sind wir davon wirklich entfernt? Wenn man so gestaltet, dass der davon Angesprochene 32

das über­zogene Versprechen glaubt und etwas kauft, was er gar nicht braucht, dann ist man wirklich auf dem Niveau des jungen Mannes, der an der Tür klingelt und fragt, ob man etwas gegen ­Vorbestrafte hat. (Anm.: Das ist einer der Tricks sogenannter ­Drücker.) Ab wann ist Gestaltung Lüge? Ist die Aussage Mit integriertem manuellen Power Supply wahr oder gelogen? (Sie wissen nicht, was das ist? Der Ein-Aus Schalter.) Neu – jetzt mit doppeltem Empty Bubble Effect für noch mehr prickelnden Hypegenuss. Ein billig hergestelltes Produkt, dessen Design Hochwertigkeit ausdrückt, täuscht falsche Tatsachen vor. Wenn Design also eine Maßnahme ist, um die bestehende Situation in eine präferierte zu verändern, dann müssen wir uns die folgenden Fragen stellen: Was ist verbesserungswürdig an der bestehenden Situation? Welche Rolle spielt und spielte Design dabei, dass die derzeitige Situation keinen oder noch keinen präferierten Zustand erreicht hat? Design in der heutigen konsumorientierten Welt hatte und hat meist die Funktion, den Konsum zu fördern. Nicht ohne Grund also hat das Konsumverhalten der Menschen in den hoch entwickelten Industrienationen Formen angenommen, die mit Sucht­ verhalten vergleichbar sind. Sucht ist ein Verhaltensmuster, durch das wir Zufriedenheit mit etwas zu erlangen suchen, was nicht unseren eigentlichen Bedürfnissen entspricht. Tritt diese Zufrieden­ heit nicht nachhaltig ein, erhöhen wir die Dosis immer mehr.

1.5

Die derzeit noch eingesetzte Methode des Marketings, die erst durch Designer nutzbar gemacht wurde und wird, ist die bewusste und gezielte Anwendung von Ästhetik als Suchtmittel. Indem man den natürlichen Instinkt ästhetischen Empfindens ausnutzt, wird dem Verbraucher ein Produkt besser dargestellt, als es in ­Wirk­lich­keit ist. Übrigens: Nach bestehender Rechtsauffassung ist das bewusste Fördern und Ausnutzen eines Suchtverhaltens prin­ zipiell eine Straftat. Damit kann man das, was hier tagtäglich passiert, als Betrug bezeichnen. Designer leisten damit Beihilfe zum Betrug. An sich wäre das Suchtverhalten von Verbrauchern weniger ein Problem, ginge es nicht auf Kosten ärmerer Nationen und späterer Generationen. Mittlerweile geben die Verbraucher in der westlichen Welt jährlich mehr für Luxusgüter aus, als die UN zur Erreichung der globalen Entwicklungsziele veranschlagt hat.

Missbrauch

Wie gut ist die Gegenwart?

der Ästhetik

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Neuheitswahn

Mörderische Ausbeutung

Der Neuheitswahn führt dazu, dass Produkte nicht erst ersetzt ­werden, wenn sie irreparabel funktionsuntüchtig geworden sind, sondern bereits dann, wenn sie nicht mehr neu sind. In vielen Fällen werden die Lebenszyklen von Produkten von der Industrie geplant verkürzt. Die rasante technische Entwicklung und das vom Design gezielt eingesetzte Modediktat erwecken das künstliche Bedürfnis, noch funktionierende Produkte vorzeitig ersetzen zu müssen. ­Neuheit ist aber kein Wert an sich. Es gibt Berechnungen, wonach pro Kopf der Weltbevölkerung 1,8 ha Land zur Verfügung stehen. Zur Ernährung eines Menschen be­nötigt man aber 2,3 ha. Die Europäer beanspruchen für ihren Konsum 4,7 ha pro Kopf, die USA etwa doppelt so viel. Dies hat zur Folge, dass jeder sechste Mensch auf diesem Planeten hungert und unterernährt ist. Es gibt Schätzungen, wonach stündlich 300 Kin­ der sterben, weil sie keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Bei einer zu erwartenden Zunahme der Weltbevölkerung und einer ­weiteren Steigerung unseres Konsumverhaltens wird sich die ­Situation weiter verschärfen. Ist das noch höhere Gewalt oder schon Mord, wenn die Menschen der sogenannten Ersten Welt das Sterben von Menschen in der ­Dritten Welt mit ihrem Konsumverhalten bewusst in Kauf nehmen? Und ist das sinnlose Anheizen des Konsums durch Designer – rechtlich gesehen – dann nicht Beihilfe zum Mord? Der österreichisch-amerikanische Designer Victor Papanek (1927–1999) sagte einmal: »Es gibt Berufe, die mehr Schaden anrichten als der des Industrie­ designers, aber nur wenige. (Original: There are professions more harmful than industrial design – but only a few.)

Angesichts der oben vorgelegten Anklage ist da leider etwas dran. Unser Konsumverhalten hat tatsächlich dramatische und ­weitreichende Folgen. Selbst wenn wir die genannte Anklage für total überzogen halten und auf nicht schuldig plädieren – unsere nach­ folgenden Generationen werden uns aufgrund dieser Vorwürfe für schuldig erklären. Erschwerend hinzu kommt, dass wir die gesamten Erdölreserven dieses Planeten in absehbarer Zeit aufgebraucht haben werden. Auch viele andere Rohstoffe gehen zur Neige (und das wird manchen freuen: Sogar Uran wird knapp, und das Problem der Atomenergie wird sich möglicherweise – wenn auch nur zum Teil – ganz von selbst 34

lösen). Wir müssen uns also ein Leben ohne Erdöl vorstellen, nicht nur, um die Klimakatastrophe abzuwenden, sondern weil wir keines mehr haben. Wer sich viel mit Natur beschäftigt, kommt irgendwann zu der beschämenden Erkenntnis, dass sich das intelligenteste Lebewesen am dümmsten verhält und, dass es als einzige Spezies dieses ­Planeten nicht nur ziellosen Raubbau betreibt, sondern darüber hinaus auch noch nutzlosen und oft giftigen Müll hinterlässt. Bis zum Beginn des Erdölzeitalters geschah das in einem für die Natur verkraftbaren Maß. Danach aber ging es rapide bergauf mit dem Müll und bergab mit der Natur. Auch die Technik haben wir (noch) nicht fehlerfrei im Griff. Seit Fukushima (März 2011) können wir uns in etwa ausmalen, was passiert, wenn ein Atommeiler explodiert und Kernschmelzen eintreten, von Tschernobyl (April 1986) ganz zu schweigen. Auch hat jeder noch die Bilder der Bohrplattform Deepwater Horizon vor Augen, die im April 2010 im Golf von Mexiko in die Luft flog und deren ausströmendes Öl eine Naturkatastrophe auslöste. Derartige Störfälle, die Mensch und Natur existenziell bedrohen, sind in den Betriebshandbüchern nicht vorgesehen und daher gibt es weder Präventions- noch Rettungspläne. Waren rauchende Fabrikschlote bis vor 50 Jahren noch Zeichen für kommenden Wohlstand und Atommeiler Symbole für eine ­strahlende Zukunft (wenn auch in anderem Sinne, als wir es heute interpretieren), so beginnt sich das Bewusstsein doch ganz langsam zu verändern. Werbung für Bier in einer Wegwerfflasche mit dem Slogan ex und hopp wäre heute politisch nicht mehr korrekt. Und die vor 40 Jahren als Müsli beschimpften drei R (Reduce, Reuse, Recycle) ­gelten heute als Zeichen progressiv umweltgerechten Denkens. Dabei sind gerade die drei R im negativen Sinne konservativ. Weil ökoeffizientes Denken eben keine Lösung ist – schließlich ändert ­es nichts am Konzept Müll. Lesen Sie hierzu auch Michael Braungart + William McDonough (Literaturliste im Anhang, Seite 321 und 327).

Auch so lobenswerte Abkommen wie das von Kyoto ändern nichts am Prinzip Schadstoff-Emissionen – sie reduzieren nur das Ausmaß. Weniger schlecht ist aber noch lange nicht gut.

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1.6 Wie könnte eine ­präferierte Situation aussehen?

Über die Zukunft können wir schon eine Menge zuverlässiger Aussagen machen. Wir wissen recht genau, in welchem Maß die Weltbevölkerung in diesem Jahrhundert wachsen wird. Wir wissen daher auch recht präzise, wie viel Wasser und Lebensmittel wir in Zukunft benö­ tigen werden. Wir können ausrechnen, wie viele Häuser oder Schulen gebaut werden müssen und wie viel Energie wir benötigen werden. Wir wissen auch sehr genau, dass wir unsere zukünftigen Kinder nicht ernähren werden können, wenn uns nicht bald etwas ganz Intelligentes einfällt. Wir wissen daher auch, dass wir in absehbarer Zukunft eine Menge Kreativität produzieren müssen. Die positiven Prognosen mit Blick auf die Entwicklung der Kreativwirtschaft sind daher kein Wunschdenken, sondern gesellschaftlicher Zwang. Wie Kreativwirtschaft definiert wird und welche Bedeutung sie hat, ist in Kapitel 17 Designwirtschaft näher beschrieben (Seite 237 ff.).

Allerdings braucht die Welt keine Müllverhübscher, sondern wirklich innovative Kreative, die neue Ideen generieren. Potenziale

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Hawkens, Lovins & Lovins haben in ihrem Buch Natural Capitalism (1999, Seite 179) die geradezu atemberaubend verwegene Aussage gemacht, wonach es möglich sei, unseren Verbrauch an Energie und Rohstoffen um 90 bis 95 Prozent zu senken, ohne die gewünschte Servicequalität zu mindern. Sie haben richtig gelesen: Mit kreativer Intelligenz könnten wir bis zu 95 Prozent sparen, ohne schlechter zu leben. So unwahrscheinlich dies auf den ersten Blick erscheinen mag – es ist bei genauem Hinsehen nicht nur möglich, sondern auch unsere einzige Alternative für die Zukunft. Betrachtet man nur einmal die Produktion und den Verbrauch von Elektrizität, dann wird man leicht feststellen, dass hier erhebliches Einsparpotenzial liegt. Allein bei Herstellung und Transport von Elektrizität gingen 2009 in den USA 68,32 Prozent verloren ­(Lawrence Livermore Natural Laboratory and US Department of Energy). Die Situation in Europa dürfte vergleichbar sein. Gelänge es also, die Effizienz um 50 Prozent zu verbessern, könnte man auf Atomkraftwerke problemlos verzichten. Dies erfordert eine grundsätzliche Restrukturierung der Ener­ giewirtschaft und setzt die Verantwortlichen unter einen enormen Handlungsdruck.

Wenn die Menschen schneller reagieren als ihre Systeme, brechen die Systeme zusammen und werden ersetzt. Wir wurden in Deutsch­ land 1989 Zeuge eines derartigen Vorganges. Ein fast perfekter Macht­ apparat knickte ein, als die Bürger die Geduld verloren.

Systemzusammenbrüche

Michail Gorbat­schow sagte am 6. Oktober 1989 vor der Neuen Wache in Berlin zum ARD Tagesschau-Berichterstatter Claus Richter (Wikipedia, Michael Gorbatschow, Zitate):

»Ich glaube, Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren. Und wer die vom Leben ausgehenden Impulse – die von der Gesellschaft ausgehenden Impulse aufgreift und dementsprechend seine Politik gestaltet, der dürfte keine Schwierigkeiten haben, das ist eine normale Erscheinung.«

Basierend auf Erfindungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wäre es technisch durchaus möglich, den Verbrauch von Rohöl bei der ­globalen Schifffahrt durch eine Kombination von Solar- und ­Wind­energie auf Null zu senken. Das würde zwar nur ein Prozent des ­globalen Rohölverbrauchs einsparen, sich aber kostensenkend für die Reedereien auswirken. Auch die Luftverschmutzung, vor allem an den Küsten, und die Verschmutzung des Meerwassers ­würden erheblich reduziert. Das ist keine Utopie, sondern beginnende ­Realität. Im Jahr 2010 lief in Emden ein Frachtschiff vom ­Stapel, ­ausgestattet mit Flettner Rotoren, die es ermöglichen, auch gegen den Wind zu manövrieren. Zugegebenermaßen sieht dieses Schiff (wie schon der Prototyp aus dem Jahr 1925) etwas gewöh­nungs­bedürftig aus und schreit geradezu nach zukünftiger Zusam­men­arbeit zwischen Ingenieuren und Designern. Aber es funktioniert.

Bestehende

Die Behebung von Schäden aus dem Erdölzeitalter und folglich der Umbau des Wirtschaftssystems in Richtung neuer Nachhaltigkeit wird der größte Markt des 21. Jahrhunderts werden. Wenn die ­Designer daran partizipieren wollen, müssen sie sich neu positio­nieren, ein neues Selbstverständnis entwickeln, erheblich dazu­lernen und wieder wirklich kreativ werden.

Kreativ sein

­Erfindungen nutzen

Sir Ken Robinson sagt ganz richtig (www.ted.com/talks/ken_robinson_says_scholls_ kill_creativity.html, Februar 2006):

»Kreativität ist die Entwicklung ursprünglicher Ideen, die einen Wert besitzen«

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Und davon brauchen wir in kurzer Zeit eine Menge – quantitativ und qualitativ. Deshalb muss es gelingen, Design als Problem­ lösungs-Strategie und nicht als formale Ausprägung eines Produktes zu verstehen. Im Bereich Kommunikationsdesign wird die Aufgabe sein, die erforderliche gesellschaftliche Bewusstseinsveränderung zu unter­ stützen und gleichzeitig die Möglichkeiten der neuen Kommuni­ kations­­medien optimal nutzbar zu machen. Das geht aber nicht, wenn man althergebrachte Strategien anwendet. Manche Gestalter glauben doch tatsächlich, ein nachhaltiges Konzept entwickelt zu haben, wenn sie ein organisch anmutendes Logo in Grün auf (an ­billiges Klopapier erinnerndes) Recyclingpapier drucken und eine dazu passende Broschüre entwerfen. Albert Einstein wies bereits vor mehr als einem halben Jahr­ hundert darauf hin, dass man ein Problem nicht mit den Methoden lösen kann, die das Problem geschaffen haben. Werbekampagnen für eine bessere Welt scheitern deshalb zwangsläufig daran, dass sie zwar durchaus wichtige Botschaften beinhalten können, durch die (herkömmliche) Form des Auftritts aber als unglaubwürdig wahr­genommen werden. 1. 7 Strategien

Nach Hawkens, Lovins & Lovins müssen vier Strategien gleichzeitig entwickelt und verfolgt werden:

­entwickeln Strategie 1: Radikale RessourceProduktivität

Strategie 2: Bionik als ­Denkprinzip

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Die Menschheit muss lernen, mit weniger mehr zu erreichen. ­Nachhaltigkeit muss nicht extra erfunden werden – unser ­Planet funktioniert bereits erfolgreich nach diesem Prinzip. Wir ­können aber von diesem Erfolg lernen. Gelänge es wirklich, den Verbrauch an Ressourcen so dramatisch zu senken, wie Fachleute es für ­möglich halten, ohne auf unsere Lebensqualität verzichten zu müssen, dann wäre dies ein genialer Erfolg. Es geht nicht darum, selbstreinigende Kloschüsseln mit Lotuseffekt zu kreieren. Worum es wirklich geht, ist zu begreifen, wie die Welt es schafft, Metabolismen so zu planen, dass kein Abfall anfällt: Was bei dem einen Organismus als Kot ausgeschieden wird, dient anderen Organismen als Nahrung. Wie also kann man Müll so gestalten, dass Mistkäfer daraus neue Rohstoffe kreieren? Designer werden in Zukunft nicht nur den ­Produktionsprozess, sondern auch den Reduktionsprozess mit ­planen müssen. Man nennt das auch Life-Cycle-Responsibility.

Die Verantwortung eines Designers für ein Produkt endet nicht, wenn der Verbraucher es kauft, sondern erst dann, wenn alle seine ­Ein­zelteile wieder sinnvoll in einen Kreislauf zurückgeführt werden. In diesem Zusammenhang gefällt uns das Beispiel aus einem Chemie­labor der Uni Zürich im Jahr 1988. In dem Labor lernten Studenten, wie man aus reinen Grundstoffen neue Verbindungen herstellt. Jedes Jahr wurden dafür Chemikalien im Wert von 8 000 Schweizer Franken benötigt. Die Entsorgung der Laborergebnisse, oft hochtoxisch, kostete 16 000 Schweizer Franken. Die Professoren Fischer und Eugster entschlossen sich, den ­Prozess umzukehren. Nun lernten die Studenten, aus giftigen Abfällen reine Chemikalien herzustellen. Der Sondermüll konnte um 99 Prozent reduziert werden, die Einsparungen der Uni lagen über 20 000 Schweizer Franken jährlich. Heute sind diese Studenten gefragte Spezialisten.

Die Entwicklung eines neuen Wirtschaftssystems ist eine ­gigantische Aufgabe, bei der Designer der unterschiedlichsten Fach­bereiche eng zusammenarbeiten müssen. Eine Service und Flow-Ökonomie erfor­ dert ein fundamentales Umdenken im Verhältnis von Produzent und ­Verbraucher, die danach eher Prozessent und Gebraucher sein ­werden. Weil in einer Service und Flow-Ökonomie das Produkt ein Zweck ist und kein Ziel. In Paris etablieren sich seit einigen Jahren die Chauffagisten. Sie verkaufen keine Öfen oder Brennstoffe, sondern eine gewünschte Wärme für Räume: Wollen Sie 20 Grad oder darf es etwas mehr sein? Geld verdienen sie damit, dass es ihnen gelingt, Heiz­systeme ­effizienter zu machen. Jede Einsparung bedeutet einen zusätzlichen Gewinn für sie. Bei größeren Projekten und längeren Verträgen ­wechseln sie schon mal auf eigene Kosten die Fenster aus oder installieren eine neue Heizung. Und: Das rechnet sich.

Strategie 3:

Wenn der Mensch wieder begreift, dass er alles was er besitzt, der Natur verdankt, dann macht es Sinn, unseren Planeten – und nicht Geld – als das wichtigste Kapital anzusehen. Unsere Nahrung, unsere Rohstoffe, unsere Energie, unser Wohlstand – alles hat ­seinen Ursprung im System unserer Erde. Als logische Konsequenz ­ver­ringern alle Handlungen, die dem System Erde schaden, letztendlich unseren Wohlstand.

Strategie 4:

Service und FlowWirtschaftssystem entwickeln

Unsere Umwelt als unser wichtigstes Kapital verstehen

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Ein Bauer beklagte sich bei einem Freund, dass der Esel, mit dem er seine Oliven zum Markt bringt, zu viel frisst und sich dadurch sein Gewinn aus dem Verkauf der Oliven verringere. Gib ihm weniger zu fressen, empfahl der Freund. Tatsächlich stieg der Gewinn des Bauern. Also gab er ihm noch weniger. Und der Gewinn stieg weiter. Völlig unterernährt starb der Esel. Da konnte der Bauer seine ­Oliven nicht mehr zum Markt bringen. Die Oliven verdarben.

Fazit: Die maßlose Ausbeutung und die respektlose Behandlung unseres Planeten durch uns Menschen verringern unser Kapital. Eine alte Bauernregel besagt, man solle nie sein Saatgut ver­ mahlen. Genau das tun wir aber gerade. Unsere Vorfahren haben mit viel Fleiß und sorgfältigem Umgang mit den Ressourcen die Grundlage für unseren heutigen Wohlstand erarbeitet. Wir unterbrechen diese Kette und hinterlassen den nachfolgenden Generationen gigan­­ tische Probleme. Die Zukunft gestalten heißt vorausschauend planen. Gestaltung und Planung – ist es nicht das, was Designer gerne tun? Wie Sie als Designerin und Designer diese Herausforderungen meistern können, erläutern wir im Folgenden.

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Großbaustelle Erde – Wir b ­ rauchen Planer, keine Tapezierer

Ökonomie, Ökologie und Soziales befinden sich in einem epochalen Umbruch. Die Globalisierung ist an sich nichts Neues, in ihren Auswirkungen für jeden Einzelnen und für die Gesellschaft allerdings ist sie direkt erfahrbar und umfassend. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Sie als Designerin und Designer, und welche Rolle wird die kulturelle Herkunft des Designs dabei spielen?­

Bei aller Bescheidenheit gegenüber den großen historischen Ereignissen kann man ohne Übertreibung feststellen, dass wir heute das Privileg haben, in einer der spannendsten Phasen der Menschheit zu leben. In einem kurzen Zeitraum finden zeitgleich eine fast unüber­schaubare Zahl von Veränderungen statt, die die Zukunft der Menschheit nachhaltig prägen werden. Wie die Brundtland-­ Kommission der Vereinten Nationen richtig analysierte, betreffen diese Ver­änderungen die Ökonomie, die Ökologie und das Soziale. Wir glauben, daraus vier Großbaustellen identifizieren zu können: >> 1. Globalisierung >> 2. Nachhaltigkeit >> 3. Veränderung des Metatrends >> 4. Medienrevolution

2.1 Veränderungen der Ökonomie, Ökologie und des Sozialen

Diese Problembereiche sind auch kausal verknüpft. Die Globalisierung wird in diesem Kapitel (ab 2.2) ausführlich beschrieben. Nachhaltigkeit und Metatrends werden im Kapitel 4 (Seite 65 ff.) behandelt und die Medienrevolution ist im Kapitel 1.3 (Seite 29 ff.) erläutert.

Alle diese Veränderungen finden ohne geplantes Zutun der ­ enschen statt. Zumal der Spielraum, auf diese Entwicklungen einM zuwirken, ohnehin minimal ist. Was wir aber beeinflussen und

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s­ teuern können, sind die Auswirkungen und die nötigen Anpassungsmaßnahmen. Demographische Entwicklung

Nehmen wir als Beispiel die demographische Entwicklung der Menschheit. In der westlichen Welt konstatieren wir einen Stillstand bis Rückgang der Bevölkerungszahlen, hervorgerufen durch einen dramatischen Geburtenrückgang. Die Schrumpfung der Bevölkerung wäre noch weit größer, würde nicht gleichzeitig die durchschnittliche Lebenserwartung ungewöhnlich ansteigen. Dies führt in der westlichen Welt zu einer Überalterung der Bevöl­ kerung. Als logische und zwangsläufige Folge muss die Lebens­ arbeitszeit erhöht werden, denn bereits heute zeichnet sich ein ­dramatischer Fachkräftemangel ab. Längst hat sich auch das Marketing der Überalterungs-Pro­ blematik angenommen und die Senioren als lohnende Zielgruppe entdeckt. Junior Product-Manager in ihren Zwanzigern entwickeln nun Anti-Aging-Seniorenprodukte für die Greisinnen und Greise über 50. Sonderlich kreativ ist das nicht, vor allem löst es keinen der gesellschaftlichen Missstände. Die ökonomische Lösung der Überalterung der westlichen Industrienationen liegt aber nicht darin, Anti-Aging-Seniorenprodukte zu entwickeln, um die Kaufkraft der Alten abzuschöpfen. Der Wert unserer Senioren liegt nicht in ihrem Ersparten, sondern in ihrem Erfahrenen. Nicht das Kapital der Senioren, sondern die Senioren selbst sind unser zukünftiges Kapital. Global-ökonomisch gesehen liegt der zukünftige USP (Unique Selling Proposition – Alleinstellungsmerkmal) des Westens in der Weisheit und im Wissen der älteren Generation. Zum Alleinstellungsmerkmal (USP) finden Sie eine genaue Beschreibung im Buch Designbusiness gründen und entwickeln (aus dieser Reihe), im Kapitel 15.4 Businessplan – Grundlagen. Ebenso in diesem Buch, im Kapitel 3.4 (Seite 60 ff.).

Sehen wir den Realitäten ins Auge: Die westlichen Industrie­ nationen mutieren zum globalen Altersheim. Wir sind also im ­Postklimakterium und nicht verantwortlich dafür, dass die Welt­ bevölkerung exponentiell wächst. Weltfamilie

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Verstehen wir uns einmal als Weltfamilie. Opa und Oma richten sich gerade in ihrer Villa ein Altersheim ein. Ihre Kinder sind im ­zeugungsfähigen Alter und machen regen Gebrauch von dieser

Fähigkeit. Alle Töchter und Schwiegertöchter sind in den ver­ schiedensten Stadien der Schwangerschaft, eine große Zahl von Enkeln ist der bereits lebende Beweis ihrer Fruchtbarkeit. Jedes Lebewesen dieses Planeten pflegt in diesem Lebensabschnitt sein Nest zu ­vergrößern. Familien suchen sich normalerweise größere Wohnungen und ­Möglichkeiten, das Familieneinkommen zu ­steigern, um den Nachwuchs entsprechend ernähren, kleiden und ausbilden zu ­können. Unsere Weltfamilie verhält sich aber anders. Opa und Oma ­verprassen gerade das Vermögen, das eigentlich vererbt werden sollte. Als Oma und Opa jung waren, lebten sie alleine in einer Zweizimmerwohnung. Sie haben mittlerweile vier Kinder, drei Enkel sind unterwegs. Man sitzt im Esszimmer und ist dabei, die Speisekammer leer zu futtern. Trotz absehbarer Energiekrise durch ­knapper werdende fossile Ressourcen brennen im Haus alle Lichter und die Heizung ist voll aufgedreht. Wovon und wie die ganzen Babys einmal leben sollen, scheint keinen zu interessieren. Ganz schön asozial diese Familie, oder? In den letzten 50 Jahren hat sich die Weltbevölkerung verdreifacht. Bis 2050 rechnet man mit einer Stabilisierung der Zuwachskurve. Pandemien in geringem Umfang mit eingerechnet, geht man von einer Zunahme der Menschheit von 50 Prozent aus. Doch bereits heute hungert jeder sechste Mensch. Es braucht also keine mathematischen Fähigkeiten, um zu erkennen, dass es so wie bisher nicht funktionieren wird. Wenn uns nicht bald etwas sehr Intelligentes einfällt, werden wir den zu erwartenden Nachwuchs nicht ernähren können. Die logische Folge wird sein, dass ein noch größerer Teil der Menschheit verhungern wird. Dies als Lösung des Bevölkerungswachstums zu sehen, wäre zynisch. Zynisch ist übrigens auch die Befürwortung der Ein-KindPolitik Chinas – stellt diese Reglementierung durch die chinesische Regierung doch eine massive Verletzung von Menschenrechten dar. Sie führt zudem – wegen der (auch in unserer Kultur lange üblichen) Bevorzugung männlicher Nachkommen – zur massenhaften Abtreibung weiblicher Föten, bis hin zum Mord an weiblichen Säuglingen. Von den seelischen Problemen junger Chinesinnen, die den ­natürlichen Wunsch haben, Kinder zu bekommen, können wir uns gar keine Vorstellung machen. Die Welt müsste dagegen protestieren, mit der Folge einer unkon­trollierbaren Bevölkerungsexplosion in China – wogegen die Welt dann zwangsläufig auch protestieren müsste. Selbst bei

Bevölkerungs­ wachstum

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­ on­sequenter Beibehaltung der Ein-Kind-Politik bis 2035 wird die k chinesische Bevölkerung weiter zunehmen und sich erst danach ­verringern. Spätestens dann aber wird Überalterung auch in der ­chinesischen Bevölkerung eine Rolle spielen. Zur Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung müssen wir die Ernteeffizienz um mindestens 50 Prozent erhöhen. Wir müssen die Natur bis an die Grenzen ausbeuten. Der Einsatz von Pestiziden, Herbiziden und Fungiziden zu diesem Zweck hat die Nutzpflanzen teilweise genetisch sehr geschädigt und die Böden sowie das ­Grundwasser nachhaltig belastet. Gentechnologie könnte dazu ­beitragen, diese Schäden zu beheben und die Ernteeffizienz auch ohne Einsatz von Chemie zu erhöhen. Gegen den Einsatz von ­Gen­technologie gehen die Umweltschützer vehement auf die Barrikaden. Das freut die Chemiekonzerne, gegen die man aber eigentlich auch protestiert. Verzichten wir sowohl auf Chemie als auch auf Gentechno­logie, dann werden wir die erforderlichen Steigerungen der Ernte­erträge nicht erreichen. Ist die Ökobewegung etwa dafür, dass in Zukunft immer mehr Menschen verhungern? ­Natürlich nicht. Es sieht also so aus, als ob die Menschheit ein paar Kröten ­schlucken muss, um die anstehenden Probleme zu lösen. Und solange uns nicht etwas viel Intelligenteres einfällt, müssen wir auch ­Kompromisse eingehen, die bis hin zur Akzeptanz einzelner ­Menschenrechtseinschränkungen gehen. Die westlichen Industrienationen müssen ihren Lebens­ standard erheblich reduzieren oder aufhören, Chancengleichheit für die Dritte Welt zu fordern. Wer nicht dazu bereit ist sich ein­ zuschränken, der sollte endlich dazu stehen, dass es ihn nicht stört, wenn Säuglinge irgendwo auf diesem Planeten sterben, weil wir ihre Ressourcen ausbeuten. Was hat das alles mit Design zu tun?

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Die Antwort auf diese Frage liegt in der Aufgabenstellung an die Menschheit, die sich etwas Intelligentes einfallen lassen muss, um die negativen Auswirkungen der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung zu reduzieren oder zu vermeiden. Design kann dabei helfen und kreative, innovative Konzepte entwickeln. Dazu müssen aber eingefahrene Wege, gewohnte Methoden und vertraute Denkweisen verlassen werden. Seit Jahren warnt man uns immer, es sei nun Fünf vor Zwölf. Irgendwie scheint die Uhr der Warnenden stehen geblieben zu sein, denn es ist mittlerweile wenige Sekunden vor Zwölf. Im Klartext: Die Menschheit hat nur noch ein bis zwei Generationen Zeit, um

sich vor der Selbstausrottung zu retten. Weil derartige Aussichten in der Regel demotivierend bis lähmend wirken, schaut man lieber weg. Um diese Paralyse zu beenden, müssen wir aber hinsehen. Und dabei werden wir erstaunt feststellen, dass es mehr als eine berechtigte Chance gibt, das Horrorszenario der drohenden ­Apo­kalypse abzuwenden. Betrachten wir noch einmal den Bedarf an Landfläche von 4,7 ha pro Kopf für den Lebensstandard eines durchschnittlichen Euro­ päers. Nach Hawkens, Lovins & Lovins könnte man theoretisch mit 0,47 ha pro Kopf auskommen, ohne unsere Lebensqualität verringern zu müssen. Gelänge es uns, selbst nur zwei Drittel einzusparen, dann könnten die Länder der Dritten Welt so leben wie wir. Wir wissen also in etwa, wohin wir wollen, müssen und könnten. Um aber aus dem Stillstand des Wegschauens eine Bewegung des Veränderns zu bewirken, brauchen wir die Vorstellung einer alter­­ nativen, globalen und kulturellen Vision. Eine solche gemeinsame gesellschaftliche Vision wirkt immer auch als Triebkraft für ­Inno­vation. Gerade Designer unterscheiden sich von anderen Menschen durch die ausgeprägtere Fähigkeit, sich Situationen vorstellen zu können, die noch nicht existieren. Mehr noch – sie können diese Vorstellungen auch kommunizieren und so darstellen, dass ihre ­Verwirklichung von anderen Menschen als wünschenswert ange­ sehen wird. Damit sind wir bei dem deutschen Philosophen Georg ­Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831): Gethmann-Siefert: Einführung in die Ästhetik, 3.4. Hegels Bestimmung der geschichtlichen Funktion der Kunst, Fink, München 1995 (Seite 202 ff.)

»Vermittels anschaulicher Orientierungsvorschläge erhält die Kunst in der modernen Welt die kritische Funktion der Entwicklung geglückter Alternativen gegenüber bestehender Entfremdung. […] Daher ist die Kunst in der modernen Kultur von der Reflexion nicht mehr zu trennen, sie ist Stimulanz der Reflexion, die ­ihrerseits dem gesellschaftsverändernden Handeln vorausliegt.«

Hegel drückte damit das Gleiche aus wie 143 Jahre später ­Herbert Simon (siehe Kap.1). Wenn Designer diese gesellschaftliche Aufgabe aber erst 185 Jahre später und dann auch nur sehr zögerlich ­annehmen, kann man nicht unbedingt von einer progressiv übereilten Handlung reden. Die Aufgabe ist zwar eine globale – ihre Umsetzung aber eine lokale. 45

2.2 Globalisierung

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Ey, ich find dem Globelisierung konkret krassn scheisndreck, ich schwörs, Aldä. So oder ähnlich intelligent lauten nicht selten die Argumente von Globalisierungsgegnern. Ein wenig differenzierter sollte es allerdings schon sein. Zugegeben – es gibt sehr unterschiedliche Ansichten darüber, was Globalisierung eigentlich bedeutet. Das beginnt schon bei der Frage, wann die Globalisierung angefangen hat. Während die Einen sagen, Globalisierung sei eine Folge der beschleunigten ­Mobilität durch Flugzeuge und nun auch durch die Neuen Medien, datieren Manche den Beginn auf das 15. Jahrhundert und den westlichen Expansionsdrang. Andere wiederum behaupten, Globali­ sierung hätte es schon immer gegeben. So haben Forscher in den USA bei den Indianern an der Ostküste Genspuren aus Europa nach­­ gewiesen. Denn irgendwann fand man auch eine Pfeilspitze aus ­Feuerstein, die – wegen ihrer Form und ihres Materials – von den ­Cro-Magnon-Menschen aus Südfrankreich zu stammen schien. Salopp formuliert gab es demnach schon Sex- und Jagdtourismus im Zeitalter des Holozän. Bei Gegnern wie Befürwortern der Globalisierung gibt es sowohl Informierte als auch Uninformierte. Zu den eher uninformierten Gegnern muss man jene Gruppe zählen, die aus nationalistischen Gründen prinzipiell alles ablehnt, was nicht National ist. Sie haben Angst vor Überfremdung. Solche nationalistischen, fundamenta­ listischen und chaotischen Gruppen äußern ihren Protest eher gewaltsam und prügeln sich manchmal untereinander im Kampf um die gemeinsame Sache. Die informierten Globalisierungsgegner sind nicht gegen die Globalisierung als solche, sondern gegen ganz bestimmte negative Auswüchse einer unkontrollierten Entwicklung der Globalisierung. Ihre Argumente muss man durchaus ernst nehmen. Wenngleich sich diese Gruppe einen Gefallen täte, weniger ideologisch verkrampft aufzutreten und ihre Einwände weniger dogmatisch, dafür aber differenzierter vorzubringen. Bei den Globalisierungsbefürwortern teilt sich die Gruppe der Informierten in die der Ausbeuter und die der Idealisten. Die Ausbeuter sind die eigentliche Zielgruppe der informierten Globa­li­ sierungs­gegner und aus der idealistischen Sicht der Globalisierungsbefürworter ist das auch richtig so. Zumal es ja wohl für jeden­ ­halb­wegs denkenden Menschen außer Frage steht, dass eine ­ein­seitig ökonomische Ausnutzung und die daraus resultierenden negativen sozialen Folgen der Globalisierung intolerabel sind.

Globalisierung hat ökonomische, ökologische, soziale und kulturelle Auswirkungen. Die Vereinten Nationen (UN) und ihre Organisationen wie UNESCO (Erziehung, Wissenschaft und Kultur) oder WHO (Weltgesundheitsorganisation) können als positive Folge der Globalisierung bezeichnet werden. Hier ist man sich der Proble­ matik durchaus bewusst und arbeitet an der Entwicklung politischer Strukturen, um die intolerablen Auswüchse der Globalisierung ­einzudämmen oder zu verhindern. Wenn wir den Traum von Entwicklungs- und Schwellenländern befürworten, einen ähnlichen Lebensstandard wie die Industrie­ nationen erreichen zu wollen, dann brauchen wir – vor allem unter Berücksichtigung von möglichen negativen ökologischen ­Folgen – eine langfristig nachhaltige globale Konzeption. Voraus­ setzung dafür ist eine geplante Reduktion des Energie- und Ressourcen­verbrauchs und ein Export des dadurch gefundenen Prinzips, globale Gerechtigkeit zu schaffen. Das wäre zwar nur ein erster Schritt – könnte in Folge die massiven globalen Migrations­ bewegungen aber verlangsamen und im Optimalfall sogar stoppen. Spätestens dann müssten auch die ängstlichen Nationalisten ein­ sehen, dass eine Überfremdung nicht eine Folge der Globalisierung, sondern eine Folge des globalen Ungleichgewichtes ist. Globalisierung kann dabei helfen, dieses Ungleichgewicht zu verringern. Jeder denkende Globalisierungsgegner sollte vor diesem ­Hintergrund seine Argumente noch einmal prüfen und sich präziser artikulieren, auch um sich von Chaoten und Nationalisten abzu­ grenzen. Die Lösung der anstehenden ökologischen, ökonomischen und sozialen Probleme wird ohne globale Maßnahmen nicht funk­ tio­nieren und setzt deshalb eine Globalisierung in allen relevanten Belangen voraus. Natürlich hat die derzeit weltumfassende und beschleunigte Globalisierung auch erhebliche kulturelle Auswirkungen, die Voraus­ setzungen für vier Szenarien schafft:

Auswirkungen der

Die beste aller Nationalkulturen wird zur globalen Leitkultur. Alle anderen Kulturen haben sich nach dieser einen Kultur auszurichten. Es gibt tatsächlich eine Nation auf diesem Planeten, die der Meinung ist, die beste Kultur der Welt zu haben. Ihrer eigenen Ansicht nach ist diese Kultur so überragend, dass es total überflüssig ist, sich überhaupt mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen. Das hat zur Folge, dass diese Nation durch mangelnden Vergleich die eigenen Schwächen nicht erkennen kann.

1. Kulturdominanz

Globalisierung

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Jeremy Rifkin: Der Europäische Traum. Die Vision einer leisen Supermacht, Campus-Verlag, Frankfurt/New York 2004

»Wir Amerikaner haben immer gesagt, für den Amerikanischen Traum lohnt es sich zu sterben – für den neuen Europäischen Traum lohnt es sich zu leben.«

Dies ist die erstaunliche Erkenntnis des US-Soziologen Jeremy Rifkin nach dem Studium europäischer Denkweisen und seiner daraus resultierenden Publikation Der Europäische Traum: Die Vision einer leisen Supermacht. Es gibt aber weder den Amerikanischen noch den Europäischen Traum. Die Amerikanische Kultur hat zweifelsohne eine ganze Menge zu bieten – andere Kulturen haben dies aber auch. Die Idee, die einzig wirklich gute Kultur zu besitzen, kann fatale Folgen haben. Deutschland wachte 1945 aus dem Deutschen Traum auf und stellte entsetzt fest, dass der Traum des Einen durchaus der Albtraum des Anderen sein kann. Und die Amerikaner? Sie werden gerade mit gehöriger Wucht an die 1980er Jahre erinnert, als das Land in einen Strudel aus Rezession und Inflation geriet. Kulturdominanz ist wohl kein gutes Konzept. Sie führt zwangsläufig zu einem anderen Szenario. 2. Zusammenprall der Kulturen

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Wenn jeder seine Kultur für die einzig richtige hält, führt dies zu einem Kräftemessen. Jede Seite versucht, die andere zu übertrumpfen. Man verliert dabei die Fähigkeit, einander zuzuhören. Man will die Argumente des Anderen gar nicht hören, sondern ihn missionieren: Es gibt nur einen Gott – und meiner ist besser als deiner. Hat man dem Anderen lautstark alle seine Argumente an den Kopf geworfen, ohne dass dieser irgendwie zur Einsicht gekommen wäre, greift man zu den Waffen. Und wenn rohe Gewalt nicht hilft, muss man die Dosis erhöhen. Dann zerstört man mit Vorliebe kulturell wichtige Symbole des Gegners. Man will den Anderen ja nicht umbringen, nur erniedrigen: Beleidigst du Allah, mach ich dir dein World Trade ­Center kaputt – Mach doch, dann bombardiere ich deine Ölquellen – Mir doch egal, dann schick ich dir Briefbomben – Dann sperr ich euch alle nach Guantanamo… Hört sich irgendwie nach Kindergarten an. Historische Erfahrungen lehren uns, dass der Clash der Kulturen als nicht geeignet einzustufen ist. Aber die Kulturen, die aus historischen Erfahrungen noch nicht genug gelernt haben, werden wohl noch ein wenig clashen.

Wozu brauchen wir eigentlich so viele unterschiedliche Kulturen? Eine große Kultur, aus allen Kulturen zusammengemischt, reicht doch völlig aus. Die Idee ist nicht neu und wurde von führenden Architekten und Designern als Reaktion auf das Desaster des Zweiten Weltkrieges favorisiert. Schauen wir uns einmal um in der Welt. Die Hip-HopSzene macht es uns vor. Rappmusik klingt in islamischen Ländern genauso wie in New York, Berlin oder Moskau. Die Kids tragen weltweit die gleiche Mode: Jeans aus Amerika, Sonnenbrillen aus Italien, T-Shirts aus China. Aber auch die etablierte Businesswelt folgt der Weltkultur: Man speakt English, trägt einheitlich Boss, und selbst die Hautfarbe gibt kein sicheres Indiz einer regionalen Herkunft. Der weiße Großvater war noch dagegen, dass der Sohn eine Schwarze heiratete, aber die Enkel haben Chinesen oder Inder geheiratet, ohne dass dies ein Thema gewesen wäre. Wo es keine Differenzen mehr gibt, braucht man auch nicht zu streiten. Aber genau dadurch geht jene Vielfalt verloren, die Kulturen so interessant macht. Darf der Mensch also nur eine Kultur haben? Und könnte die Weltkultur nicht die Einheit der Vielfalt sein? The Family of Man, Titel einer grandiosen Fotoausstellung des MoMA aus den 50er Jahren, zeigte, dass alle Menschen im Kern gleich sind – in ihrer Aus­ prägung aber bereichernd und erfreulich unterschiedlich.

3. Verschmelzen

Wie kann man ein Land regieren, das 246 Käsesorten hat? soll der ­französische General und Politiker Charles de Gaulle (1890–1970) einmal gesagt haben. Frankreich ist aber gerade deswegen ein hervor­ragendes Beispiel für die Synergie von Kulturen. Ein Franzose schüttelt entsetzt den Kopf, wenn er in Schweden einen Schafskäse entdeckt, den der Hersteller wegen seiner Beschaffenheit einen Camembert nennt. Und ein Hersteller von Schaumwein nach der Herstellungsmethode von Champagner sollte es unbedingt vermeiden, den Begriff Champagner auch nur am Rande zu erwähnen. Champagner kommt aus der Champagne und Camembert kommt aus einem kleinen Dorf in Frankreich mit dem Namen Camembert. Jeder Franzose ist stolz auf seinen Terroir, auf seine Region. ­Diesen Stolz zeigt er in der Regel dadurch, dass er außerhalb seines Terroirs die kulinarischen Produkte anderer mit ihnen teilt. Kein Bewohner aus Camembert käme also je auf den Gedanken, in dem kleinen Ort Roquefort-sur-Soulzon seinen eigenen Käse als überlegen zu preisen. Bei einer guten Flasche St. Emilion und einem knus­ prigen Baguette wird man gemeinsam feststellen, dass sich beide Käsesorten hervorragend ergänzen: Zuerst der Camembert, weil er

4. Synergie

der Kulturen

der ­Kulturen

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leichter ist, und dann der Roquefort, der etwas (viel) strenger ­schmeckt. Und ein kleiner Calva aus der Normandie als Digestif ­rundet das Ganze ab. Die einzige Küche, die man neben der Französischen gegebenenfalls zu akzeptieren bereit wäre, ist die Chinesische. Die Chinesen wiede­rum wissen einen guten französischen Wein durchaus zu ­schätzen. Wie bitte? Französischer Wein – es gibt Bordeaux, Bourgogne, Pays d’Oc, Provence, Jura, Alsace. Es gibt keinen französischen Wein. Niemals! Diskutieren Sie deshalb nie mit einem Franzosen über Essen oder Wein. Selbst wenn Sie seiner Meinung sind, er wird dagegen sein. Franzosen sind sympathische Lokalnationalisten. Vive la France – kein Land der Welt hat eine derartige kulinarische Vielfalt und Tradition. Die Idee ist einfach und übertragbar: Jede Region, jedes Land, jedes Volk ist stolz auf seine eigene Kultur – mehr noch, es pflegt seine Kultur und bemüht sich, die eigenen Werte zu steigern. Und dann bietet man seine Kulturerzeugnisse global an. Deutsche Maschinen und Autos. Französische Küche. Da passen dann auch Cola und Hamburger aus den USA ins Bild, solange dadurch nicht regionale Esskulturen zerstört werden. 2.3 Kulturelle Herkunft des ­Designs

Und welche kulturellen Auswirkung hat die Globalisierung auf das Design? Müssen wir jetzt globales Design entwerfen? Und wie sähe ein globales Design aus? Um die Antwort vorweg zu geben: Gerade die Globalisierung beinhaltet die Chance und Notwendigkeit, nationales, regionales oder sogar lokales Design zu fördern. Design, das sich von seiner kulturellen Herkunft eindeutig zuordnen lässt, hat einige Vorteile. Im eigenen Land haben die Menschen keine Probleme, sich damit zu identifizieren. Sie werden das Design nicht als nationales Design sehen, sondern als ein Design, das ihnen nicht fremd ist. Im Kommunikationsdesign kennen wir die Funktion der Corporate Identity. Zur Corporate Identity (CI) finden Sie eine genaue Beschreibung im Buch Designbusiness gründen und entwickeln (aus dieser Reihe), im Kapitel 19.4 Marketing.

Ebenso kann eine nationale, regionale oder lokale gestalterische Eigenart dem Betrachter zusätzliche Werte vermitteln. Dazu muss man die jeweiligen kulturellen Werte allerdings erkennen, pflegen, fördern und darstellen. 50

Chinesische Designer können chinesisches Design machen, Ameri­ kaner amerikanisches Design und Deutsche eben deutsches Design. Man könnte ein Ruhrpott Design, bayrisches oder sächsisches Design entwickeln. Gibt es ein typisches Kölner Design, Berliner Design, ­Dessauer Design? Früher gab es einmal das Bauhaus Design, die ­Wiener Schule, die Ulmer Schule. Regionale Designernetzwerke, nationale Designberufsverbände, Designzentren und Designhochschulen könnten hier eine wichtige Funktion übernehmen und als Forum wirken, um eine lokale, regionale oder nationale Designphilosophie zu entwickeln. Die Bundes­ regierung hat mit der Initiative zur Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft zwar die ersten Schritte in die richtige Richtung getan, es fehlt jedoch eine philosophisch fundierte und finanziell abge­ sicherte klare Zieldefinition. Die Kampagne Du bist Deutschland mit dem gequält dynamischen Dash-Dot-Logo ersetzt in einer föderal strukturierten Republik keine zweckgerichtete nationale Design­ politik. Solange sich Berufsverbände mehr mit Verein als mit Design beschäftigen, Designzentren gegeneinander statt miteinander um Subventionen kämpfen, Designhochschulen den Bologna-Prozess sklavisch und entsprechend resigniert umsetzen und Designernetzwerke schlichtweg nicht verstanden werden – solange werden gut gemeinte Maßnahmen wirkungslos verpuffen. Mehr dazu im Kapitel 17 Designwirtschaft (Seite 237 ff.).

Der Versuch, Mercedes mit Chrysler zu paaren, scheiterte ­grandios – nicht unbedingt aus finanziellen Gründen. Hier sollten zwei Kulturen auf einer inkompatiblen Ebene vermischt werden. ­Deutsch-Amerikanische Kultur geht nicht. Sie ist entweder Deutsch oder Amerikanisch. Weder das Management noch die Arbeiter am Band, ganz zu schweigen von den Kunden, begriffen diese Idee. Ein Mercedes ist und bleibt eben Deutsch – auch wenn das in deutschen Ohren chauvinistisch klingt. Aber genau aus diesem Grund ist Mercedes im Ausland so erfolgreich: Deutsche Qualitätsarbeit! Wenn man im Ausland deutsche Qualität vermarkten will, muss sie deutsch aussehen. Natürlich gibt es auch Stereotypen wie etwa Lederhosen, Maßkrüge und als Schriftart bitte eine Fraktur, das Ganze vor der Kulisse von Neuschwanstein. So würden vielleicht nicht­ deutsche Designer versuchen, etwas typisch deutsch aussehen zu ­lassen. Es gibt aber auch die subtile Form, die mit Deutschland ­assoziiert wird: Vom Bauhaus inspiriertes, kühles und technisch 51

­perfektes Design. Bulthaup Küchen, Audi Eleganz, Lufthansa ­ icherheit. Als Schrift­­art die Meta (nicht die Helvetica, denn die S ist aus der Schweiz). Bosch war ganz mutig. In Frankreich ist ein Boche (ausgesprochen Bosch) ein sehr unschönes Schimpfwort für einen Deutschen. Bosch ist Maschinenqualität wie sie eben nur die (Scheiß-)Deutschen hin­bekommen. Perfekt! Volkswagen ging sogar so weit, den Markennamen aus der ­Nazizeit beizubehalten. Stellen Sie sich vor, Grundig hätte unter Volks­empfänger firmiert. Völlig daneben geriet dagegen das ­VW-­Konzept, den neuen Käfer als Der New Beetle in Deutschland ­vermarkten zu wollen. Das war ein Mischmasch aus gutem nationalem Design mit lächerlichem internationalem Touch. Genial dagegen ist der Claim: Volkswagen – das Auto. In deutscher Sprache auch im Ausland. Renault ist ebenso clever: Créateurs d’auto­ mobiles. Weltweit in Französisch. Ebenso gekonnt macht es IKEA vor, das bewusst vom positiven Image der Schweden im Ausland profitiert: Die Firmenfarben sind identisch mit den Farben der Landesflagge. In Schweden wird das Unternehmen aber weit weniger witzig gesehen als im Ausland. So exotische Namen wie Kramfors, Smögen oder Jokkmokk wirken in Schweden so wenig außergewöhnlich wie Bochum, Plauen oder Lübeck in Deutschland. Der Firmenname IKEA ist übrigens entstanden aus den Anfangsbuchstaben des Gründers Ingvar Kamprad und den Anfangsbuchstaben seines Geburtsortes Elmtaryd Agunnaryd in Småland Südschweden. Man ist dort richtig stolz auf den inter­ natio­nalen Erfolg. IKEA hat das schwedische Nationalbewusstsein gefördert. Internationales Design ist Design, dessen nationale Herkunft nicht erkennbar ist. Nehmen wir das Beispiel von Graffiti. Sie sehen in Tokyo genauso aus wie in New York oder Moskau. Inter­­­nationales Design kann also durchaus positiv dazu beitragen, ein ­glo­bales ­Kulturgefühl zu erzeugen. Herausragendes Beispiel ist das von dem Amerikaner Steve Jobs maßgeblich beeinflusste Apple Design des Briten Jonathan Ive. Dieser wiederum hat den deutschen Designer ­Dieter Rams als sein Vorbild bezeichnet. Think local, act global – lokal denken, global handeln. Wie Sie als Designerin und Designer die dafür erforderliche ­ hilosophie entwickeln können, dazu mehr im nächsten Kapitel. P

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3

Über die Notwendigkeit der ­richtigen Philosophie

Corporate Identity ist die Folge einer eigenen Haltung und die Grundlage einer persönlichen Marke. Marketing hingegen schielt in der Praxis nur auf den Markt und produziert überwiegend Schein (statt Sein). Marketing geht eher vom unwissenden Verbraucher aus, statt vom informierten ­Nutzer. Gestaltung und Service-Qualität gibt es aber nicht zum Nulltarif. Wie können Sie als Designerin und Designer Ihren USP definieren und was ist die richtige Philosophie für Sie?

Mark Twain (1835–1910)

3.1

»Wer nicht weiß, wohin er will, sollte sich nicht wundern, wenn er ganz woanders ankommt!«

Corporate Identity versus Marketing

Besser kann man die Notwendigkeit einer Philosophie als Richtlinie für jegliches Handeln nicht beschreiben. F. H. K. Henrion (1914–1990), als Heinrich Fritz Kohn in Nürnberg geboren, gilt als ein Pionier des Corporate Designs und der ganzheitlichen Corporate Identity Politik. 1936 verließ er Deutschland und studierte in Paris. 1939 emigrierte er nach England, wo er während des Zweiten Weltkriegs für das British Ministry of Information Plakate gestaltete. 1951 gründete er Henrion Design Associates Interna­tional. Er war einer der ersten Designer, der sich nicht als ope­­ra­tiver Gestalter, sondern als strategischer Berater verstand. Während Edmund Jerome McCarthy 1960 in den USA das Werkzeug des Marketing Mix entwickelte, vertrat Henrion ein anderes Konzept: Unternehmenphilosophie, -strategie und -kommunikation müssen aufeinander abgestimmt sein. Ein Erscheinungsbild zu entwerfen, ohne dass das Unternehmen seine Philosophie definiert hat, hielt er für reine Fassade und Potemkinsche Dörfer. Wichtige Grundvoraussetzungen für den Erfolg von Design waren für ihn die Kultur eines Unternehmens, das Verhal­ ten der Mitarbeiter untereinander und den Kunden gegenüber, aber auch ihre innere Einstellung zu den Produkten des Unternehmens. 53

Marketing-Mix

McCarthys Marketing-Mix Theorie dagegen bezog sich auf Produkt, Preis, Vertrieb und Kommunikation (was immer Kommunikation auch bedeuten sollte). Heute, am Ende des Zeitalters des Massen­ konsums, kommt die Marketinglehre auf den Prüfstand, und ­ehrlicherweise müsste man eingestehen, dass Marketing als Lehre eigentlich zu keiner Zeit funktionierte. Marketing kam 1965 in den USA auf und schwappte Anfang der siebziger Jahre über den großen Teich nach Europa. Diesseits und jenseits des Atlantiks wurden die Unternehmen in fast religiösem Eifer missioniert und auf Marketing eingeschworen. Das geschah in der Zeit des zwar noch statt­ findenden, aber sich zunehmend verlangsamenden Wirtschaftsaufschwungs nach dem Krieg. Marketing versprach, den Aufschwung wieder zu verstärken. Seit Mitte der siebziger Jahre ging es mit der Wirtschaft aber kontinuierlich abwärts. Erst ganz langsam und unmerklich, dann mit rasanter Geschwindigkeit. Das hätte nach bestehender Marketinglehre gar nicht der Fall sein dürfen. Deshalb definierte sich Marketing nun neu, als Heilmittel gegen den Abschwung. Von bösen Zungen wird Marketing heute gar als eine Lehre definiert, die sich ständig selbst neu erfindet. Dagegen ­ent­wickeln sich Unternehmen, die die traditionellen Methoden der Unternehmensführung anwenden, wie sie zum Beispiel Henrion ­vertrat, oft antizyklisch. Wo andere verlieren, gewinnen sie.

Markenkern

Ob sich die folgende Anekdote, die man sich gerne in Fachkreisen erzählt, so zugetragen hat, ist nicht belegt. Sie ist aber ein gutes ­Beispiel für eine Markenphilosophie und gegen die ungezügelte Gier von Marketing. Ein ehrgeiziger junger Produktmanager bei Tobler analysierte sorgfältig den Markt für Toblerone (ursprünglich mal als Tobler One konzipiert). Dabei stellte er fest, dass 80 Prozent des Marktes auf Tafelschokoladen fielen. Sonderformen wie Nikoläuse, ­Osterhasen oder Dreiecksformen machten als Nischenprodukte nur 20 Prozent. Er rechnete weiterhin aus, dass die dreieckige ­Ver­packungsform das Produkt erheblich verteuern würde und schlug deshalb vor, sich auf den größeren Markt zu konzentrieren und dabei noch erheblich zu sparen. Kein schlechter Gedanke, sollte man meinen. Doch die Firmenleitung hat ihn nach seiner Präsentation einfach vor die Tür gesetzt. Wie man sich erzählt, seien die Schweizer Chocolatiers der Ansicht gewesen, der junge Mann habe den Markenkern nicht verstanden. Toblerone zöge es vor, in dem Nischenmarkt der Sonderformen die Nummer Eins

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zu bleiben (Tobler: One) statt im Massenmarkt mit Anderen um Marktanteile kämpfen zu müssen. Gerade deshalb sei das Design wichtiger Bestandteil der einzigartigen Verkaufsposition und brächte erheblich mehr Profit ein, als es koste. Die Kosten-Nutzen­ Relation sei positiv.

Haben Sie eigentlich den Bären im Bergsymbol von Toblerone schon entdeckt? Marketing bedient sich gerne der Marktforschung. Neue Pro­dukt­ ideen werden auf Tauglichkeit geprüft und bei positivem Prüf­ ergebnis in den Markt gebracht, bei negativem aber erst gar nicht produziert. So wurde auch RedBull kurz vor der Markteinführung getestet. Das Ergebnis soll – wie aus Insiderkreisen zugetragen – niederschmetternd gewesen sein. Die Plärre schmecke nach eingeschlafenen Füßen, die Verpackungsform sei unmöglich und das Design schlicht lächerlich. Auf den Markt kam das Produkt trotzdem. Weil der Verantwortliche des Produktes kein Manager, sondern ein Unternehmer war, der schon sehr viel eigenes Geld investiert hatte – und weil er an seine Idee glaubte und in der Vermarktung die einzige Chance sah, das eingesetzte Kapital nicht zu verlieren. Das Verkaufsergebnis in den ersten Jahren gab der Marktforschung recht. Er machte kaum Gewinn, aber zumindest verlor er nicht sein ganzes Geld. Bis irgendwann der Durchbruch kam und die Zahlen senkrecht nach oben ­gingen. Die beste Marktforschung ist nicht in der Lage, Visionen zu testen. Zu welchen absurden Schlussfolgerungen der Marketing-Aberglaube führen kann, wird am Beispiel von Smart deutlich. Die Marktforschung hatte über 100 000 Stück im ersten Jahr prognostiziert. Schon bald aber wurde klar, dass wahrscheinlich nur 80 000 ihren Käufer finden würden. Daraufhin stellte man tatsächlich Über­ legungen an, ein ganzes Automobilwerk nach einem Jahr wieder zu schließen. Nur weil das Marketing von falschen Voraussetzungen ausgegangen war. Statt zuzugeben, dass sich die Manager geirrt ­hatten und die Amortisation wohl etwas länger brauchen würde, ­diskutierte man den Verlust von zig Millionen Euro, Arbeitsplätzen, Forschung, Chancen – das Ende einer Vision. Wie gut, dass auch hier einige Wenige an der Vision festhielten.

Marktforschung

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3.2 Die Intelligenz des dümmsten ­anzunehmenden

Marktforschung hat häufig die Aufgabe, ästhetische Kriterien zu bewerten. Wenn also ein Produktmanager Laien fragt, ob die ­Fachleute richtig gedacht haben, dann macht er sich selbst zum Laien und erhöht den Laien zum Felix Aestheticus.

Verbrauchers

Zur Ästhetik finden Sie mehr in Kapitel 6 Die böse Sache mit der guten alten Ästhetik (Seite 101 ff.).

Nichtsdestotrotz schätzt man in Fachkreisen, dass 90 Prozent der Marktneueinführungen floppen – obwohl fast alle den vor­her­gegan­ genen Markttest mit Bravour bestanden haben und in den ersten Monaten alle Auszeichnungen gewannen, die in der Branche zu ver­ geben sind. Nach einem halben Jahr ist der Hype dann aber meist vorbei und die Werbekampagne verpufft: Der vom Marketing angepeilte dümmste anzunehmende Verbraucher hat sich stur gestellt und die neuen Produkte verschwinden unauffällig aus den Regalen der Märkte. Das legt den Schluss nahe, dass rein monetäre Überlegungen heute nicht mehr ausreichen, um ein Unternehmen erfolgreich aufzubauen oder zu führen. Viel Geld verdienen zu wollen ist keine ­Philosophie, sondern Habgier. Im Marketing wird oft die Meinung vertreten, die erste Frage des Kunden gälte dem Preis. Um Erfolg zu haben, müssten Produkte ­deshalb so billig wie möglich hergestellt und verkauft werden. Wenn das wirklich so wäre, dann würden die Kunden in den Supermärkten nach dem Preisschild mit dem niedrigsten Preis Ausschau halten und das billigste Produkt, was es auch ist, begeistert kaufen. Der Verbraucher von heute ist aber schon längst einen Schritt weiter und zum Nutzer geworden. Heute beginnt der Kauf eines Produktes häufig mit der Frage: Was brauche ich? – Ganz im Gegensatz zur Frage: Was wünsche ich mir? Man geht dann gezielt auf die Suche und erarbeitet sich ein Fachwissen über das Produkt seines Bedürfnisses. Dabei zieht der aufgeklärte Kunde geschickt eine Reihe von Medien zurate, und zwar die Medien, die ihm Informationen ver­ mitteln, die der Verkäufer gerne auslässt. Das Bild vom dümmsten anzunehmenden Verbraucher hat ohnehin nie gestimmt und wird auch in Zukunft nicht stimmen. Ohne dass es den durch die Marketingschulen verblendeten Marketingexperten bewusst wurde, hat der Verbraucher eine natürliche Skepsis gegen die Versprechungen der Werbung entwickelt. Der Kunde von heute ist keine Marionette, sondern Einkaufsprofi. Vordergründig auf Effekte ­zielende Produkte haben deshalb immer weniger Chancen, akzeptiert zu werden. Daher auch die hohe Flopprate. 56

Es zeichnet sich hier also nicht nur ein verändertes Verbraucher-/ Nutzerverhalten ab, sondern auch eine an den Grundsätzen des Industriekapitalismus rüttelnde Veränderung in der Akzeptanz der Systembedingungen. Mehr dazu im Kapitel 5 Ökonomischer und sozialer Wandel (Seite 83 ff.).

Wir können also feststellen, dass sich der Wettbewerb zwischen den Unternehmen immer weniger über den Preis und die Qualität im technischen Sinne abspielt, sondern immer mehr über die Gestaltung und die Qualität im service-orientierten Sinne.

3.3 Qualität gibt’s nicht zum Nulltarif

Dazu finden Sie mehr im Buch Designbusiness gründen und ent­ wickeln (aus dieser Reihe), im Kapitel 19.1 Marketing-Management.

Hierzu ein Beispiel mit zwei Akteuren aus der aktuellen unternehmerischen Praxis. Wir erleben in den letzten Jahren zwischen Apple und Microsoft den Wettstreit um die Gunst des Kunden. Apple rangiert im Hochpreis-Segment und bemüht sich, die Qualität seiner Produkte ständig zu verbessern. Microsoft dagegen zielt auf das Niedrigpreis-Segment: Quantität statt Qualität. Microsoft verbessert seine Produkte, um Fehler der Vorgängerprodukte zu beheben, baut aber immer wieder neue Fehlerquellen ein. Manche Markt­ beobachter unterstellen Microsoft sogar Absicht. Apple hat im Laufe seiner Geschichte eine unglaubliche Qualitätssteigerung und echte Innovationskraft gezeigt und macht sich in den USA öffent­lich über Microsoft lustig (Hello, I am PC – and I am Mac). Als Microsoft sein Programmkonzept Windows 95 groß vorstellte, machte Apple eine Kampagne Windows95 – Apple88, mehr nicht. Apple setzt sich selbst unter absoluten Qualitätsdruck. Beim ­klein­sten Fehler geriete das ganze Konzept in Schwierigkeiten. Der Preis bleibt unverändert hoch, denn Qualität ist zum Nulltarif nicht ­möglich. Der Preis ist also kein Argument, wenn der Nutzen stimmt.

Zum dritten Mal in Folge wurde Apple vom Fortune Magazine als renommiertestes Unternehmen der Welt ausgezeichnet und gewann 2010 sogar mit dem höchsten bisher gezählten Stim­ menvorsprung (Quelle: money.cnn.com/magazines/fortune/ 57

mostad­mired/2010). Fortune Magazine erklärte den Erfolg von Apple so: Apple ist das Unternehmen, das die Art, in der wir Dinge tun, verändert hat. Das reicht vom Kauf von Musik über das Produktdesign bis hin zur Interaktion mit der Welt um uns herum. Apple hat also eine Unter­ nehmens­philosophie, die sich auf eine gesellschaftliche Mission bezieht und nicht in erster Linie auf eine betriebswirtschaftliche Tradition. Man sagt, dass der Umsatz von Microsoft höher sei, bei Apple dagegen der Gewinn. Umsatz ist Eitelkeit, Gewinn ist Intelligenz. Sehende und Blinde

Ein großer renommierter Hersteller von Kaffeemaschinen entwarf ein neues Produkt. Der Designer hatte als eines der Features die Idee, den Filterhalter mit einem Schließverzögerer auszustatten. Die Wirkung war vergleichbar mit dem Effekt beim Schließen der Tür eines Luxusautos: Der Filter fuhr sanft mit einem satten Sound zurück. Auch der Ein-Ausschalter war vom Designer optimiert ­worden. Marketing und Controlling befanden allerdings, dass die 1,50 Euro dafür unnötig seien, das sähe man ja gar nicht. Wie so oft heutzutage verlor die Designabteilung den Kampf. Die Maschine, gedacht für das Preissegment um 100 Euro, kam auf den Markt. Von der Form waren die Kunden begeistert, was der Markttest bereits prognostiziert hatte. Im Laden spielten die potenziellen ­Käufer dann aber am Filterhalter herum und probierten den Ein-Ausschalter aus. Nach dem visuellen Eindruck testeten sie also auch das Taktile und das Akustische – ein vom Markttest völlig unterschätztes Ver­halten. Enttäuscht vom Ergebnis sahen sie von einem Kauf ab. Das Produkt wurde ein Ladenhüter. Am Ende half nur noch die Preisreduzierung bis an die eigene Schmerzgrenze, aber auch diese Maßnahme konnte die Verluste nicht auffangen. In dem Bestreben, 1,50 Euro zu sparen, verlor man den weit höheren möglichen Gewinn. Der Imageverlust war nicht zu beziffern. Im Post-Test kam die Markt­ forschung später zu dem Ergebnis, dem Gerät fehle der Touch des Exklusiven. Dafür haben Designer viel Gespür – Marketing und Controlling hingegen geht dieses Feingefühl nicht selten ab. Warum hören die Blinden nicht auf die Sehenden? Weil die Blinden glauben, alles zu sehen und die Sehenden das blind glauben.

Wenig Rendite –

Geld verdienen hat – wie in vielen Unternehmen – auch bei den ­meisten Designern oberste Priorität. Immer mehr Gestalter stehen immer weniger potenziellen Auftraggebern gegenüber. Die Folge ist dann zwangsläufig das Senken des eigenen Preises auf Teufel komm raus. Betriebswirtschaftlich gesehen ist das schlicht Unsinn. Denn je weniger man pro Projekt verdient, umso mehr Projekte muss man

mehr Projekte

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bearbeiten. Und weil die absolute Zahl der Auftraggeber abnimmt, reduziert sich auch die Zahl der Projekte. Und schließlich geht Masse immer auch auf Kosten der Qualität. Und wenn die Qualität abnimmt, sinkt auch das eigene Image – folglich reduziert sich die Zahl der relativen Auftraggeber weiter: Eine unaufhaltsame Spirale nach unten. In einer Autowerkstatt fanden wir kürzlich ein handgemaltes Schild, das einen Bettler zeigte. Auf dem Schild neben seinem Hut stand: Ich war immer der Billigste. Soll heißen: Ihr Auftraggeber wird immer jemanden finden, der den Auftrag noch billiger, aber in aller Regel nicht besser erledigt. Hören wir also auf, uns selbst zu ver­ramschen. Natürlich wird ein potenzieller Auftraggeber vor der Auftrags­vergabe bemüht sein, für die höchstmögliche Qualität den niedrigstmöglichen Preis zu erzielen. Da er aber keinerlei Bewertungs­maßstäbe hat, kann er nicht erkennen, wann er zu wenig ausgibt und damit die erforderliche Qualität nicht mehr erzielbar ist. Sie als Designer müssen ihm das sagen!

Bewertungskriterien

Zur Bewertung von Designleistungen finden Sie eine detaillierte Beschreibung und ein neuartiges Modell im neuen Buch Design­ leistungen bewerten und kalkulieren (in dieser Reihe –in Vor­be­ reitung).

Kunden sind in jedem Fall besser beraten, 20 Prozent zu viel ­auszugeben als zehn Prozent zu wenig. Im Falle von 20 Prozent zu viel verlieren sie 20 Prozent. Im Falle von zehn Prozent zu wenig verlieren sie oft 100 Prozent. Das weiß jeder Unternehmer (weil er kosten­ bewusst denkt) – ein Manager weiß das aber in den seltensten Fällen, (weil er Risiken reduzieren will). Das Dilemma des Auftraggebers ist nicht der Preis, sondern seine Unfähigkeit, das Preis-Leistungsverhältnis bewerten zu können. Der Fehler liegt hier aber nicht beim Auftraggeber, sondern ganz klar beim Auftragnehmer – in unserem Fall also beim Designer. Denn ähnelt die Art und Weise, wie die Auftragsvergabe von Designauf­ gaben vonstatten geht, nicht immer mehr dem Casting von Models? Die Designer zeigen brav ihre Portfolios, die Kunden bewerten anhand von Kriterien wie gefällt mir oder wenn der oder die für diese Marke gearbeitet hat, ist er oder sie erfolgreich. Der Designer, der am Ende den Zuschlag bekommt, bringt dann nicht selten eine ­Aufgabe ins Atelier, für die er weder geeignet ist noch richtig Lust darauf hat. 59

Als Coaches für Designer empfehlen wir ein völlig anderes ­Vorgehen.

Warten Sie nicht, bis der Kunde Sie aussucht, sondern suchen Sie sich die Projekte, die Ihnen am besten liegen, für die Sie brennen und die Sie deswegen auch am besten können. Dann sind Sie in jedem Pitch überlegen. Erstens, weil Sie nur die Pitches annehmen, die Ihnen sowieso liegen, und zweitens, weil Sie den Kunden von Ihrer Leistungsfähigkeit ganz leicht überzeugen können. Sie haben die richtigen Argumente und führen, statt zu folgen. Marktführer, egal in welcher Branche, sind nie die Billigsten und dürfen und ­können es auch nie sein. 3.4 Über die Unique

Autoverkäufer brauchen Kunden. Designer brauchen Projekte. Der Kunde eines Designers ist der Treuhänder seiner Traumprojekte.

­Selling Proposition (USP)

Ein schönes Beispiel ist Claire G. aus Irland. Nach ihrem Abschluss als Designer war sie ratlos. Ihr Hobby waren Pferde, und so würde sie ihr zukünftiger Beruf zwangsläufig in urbanere Umgebungen zwingen. Wir rieten ihr (zugegebenermaßen nach einigen Guinness), Design für Pferde zu machen und wieherten förmlich über diesen Brüller. Bei nüchterner Betrachtung am Tag danach fanden wir die Idee – trotz unseres verkaterten Zustands – aber gar nicht so schlecht. Schließlich verstand Claire sehr viel von Pferden und von allem, was dazugehörte. Sie nannte sich fortan Equestrial Desi­ gner, fuhr zu jedem Reitturnier im Land und verteilte ihre Visitenkarten. In den ersten zwei Jahren geschah nichts. Sie arbeitete auf einem Gestüt und bekam ihr Geld fürs Saubermachen der Ställe und fürs Bewegen der Pferde. Um den Anschluss im Beruf nicht ganz zu verlieren, jobbte sie nebenbei für eine Druckerei. Irgendwann ging es Schlag auf Schlag. Sie bekam den Auftrag für das Springturnier in Paris Bercy und wurde bekannt in der Szene. Heute wirft Claire jede Werbeagentur, die sich um Jobs aus der Pferdewelt bemüht, locker aus dem Rennen. Die Zahl ihrer Mitbewerber ist gering, und bei unserem letzten Kontakt waren ihre Auftrags­bücher auf Jahre hin gefüllt. Im Coaching stellen wir immer die Frage: Was ist Ihre Philosophie und wodurch unterscheiden Sie sich von anderen Designern, was macht Sie einzigartig? Wir sehen dann oft in ratlose Gesichter.

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Wie findet man seine eigenen Stärken, formuliert daraus eine Philosophie, eine Strategie, ein Kommunikations- und letztlich ein einzigartiges Geschäftskonzept? Die Antwort liegt in Ihnen als ­Designerin und Designer selbst. Sie müssen und dürfen nicht nach außen auf andere schielen. Suchen Sie Ihr Idol in sich, nicht bei anderen. Wer führt, setzt Maßstäbe, er befolgt sie nicht. Sinnvoll ist es deshalb, sich zu fragen: Was mag ich überhaupt nicht? Worin bin ich nicht gut? Sie werden dabei möglicherweise feststellen, dass Sie tagtäglich genau das machen, was Ihnen total zuwider ist und was Sie eigentlich auch nicht können. Verschwenden Sie in Zukunft keine Zeit mehr mit Dingen, die Ihnen nicht liegen. Das wusste auch Claire, unsere Equestrial Designerin. Sie verstand nichts von Buchhaltung und versteht es bis heute nicht. Von Anfang an kalkulierte sie deshalb das Honorar für einen externen Buchhalter in ihre Kosten mit ein. Dadurch konnte sie sich voll auf ihre Stärken konzentrieren. In einer Stunde Design verdient sie mehr, als sie in einer Stunde selbst gemachter B ­ uchhaltung sparen würde.

Am Anfang einer Philosophie steht eine Vision, ein Traum. ­Träumen Sie und unternehmen Sie danach die nötigen Schritte, Ihren Traum zu leben. Walt Disney war der Meinung:

»Wenn Du es träumen kannst, kannst Du es auch machen.«

Zunächst unsere Auffassung, was eine Philosophie nicht ist: Ein ­cooler, knapper Claim aus maximal fünf Wörtern. Möglichst in ­Englisch im Stil: We are your creative partner oder We are innovative trend makers. Philosophie ist die Liebe zur Weisheit. Sokrates gilt als einer der wichtigsten Philosophen der Antike. Nach seiner Auffassung bedeutet der Begriff Liebe eher Streben. Philosophie ist ­demnach Streben nach Weisheit. Die Frage nach der richtigen Philosophie eines Unternehmens, und dazu zählt auch der einzelkämpfende Designer, sucht nach der Antwort für die Daseinsberechtigung, dem raison d’être. Was kann ich wissen, was soll ich tun, was darf ich hoffen? So formulierte Immanuel Kant diese Grundfragen. Zuerst müssen Sie natürlich wissen, wohin Sie wollen. Sie sollten das Angebot kennen und erweitern, aus dem Sie wählen können.

3.5 Was ist aber nun die richtige Philosophie?

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Sie sollten wissen, was die Gesellschaft tief in ihrem Innersten ­eigent­­lich von den Kreativen erwartet. Es stellt sich die Frage nach der Kernkompetenz der Designer im Allgemeinen und der von Ihnen im Besonderen. Seien Sie mutig und fragen Sie sich, ob Ihre Vorstellungen und die Anforderungen der Gesellschaft kompatibel sind. Was?

Die Frage Was kann ich tun? sollte man phonetisch unterschiedlich betonen: >> Was kann ich tun? >> Was kann ich tun? >> Was kann ich tun? >> Was kann ich tun? Die erste Frage hat grundsätzlich eine Vielzahl möglicher ­ ntworten. Die Zahl der Möglichkeiten reduziert sich durch die A ­Antworten auf kann und ich.

Kann?

Ich?

Die Frage kann? bezieht sich einerseits auf Ihr Talent, andererseits auf Ihr Wissen und Ihre erlernten Fähigkeiten. Ihr Talent können Sie nicht erweitern, wohl aber Ihr Wissen und Ihre Fähigkeiten. ­Mangelndes Talent (angelegte Fähigkeiten) kann man nur bedingt durch Wissen und Können wettmachen. Dagegen ist ein hohes Talent ohne Wissen und Können reine Verschwendung. Sollten Sie von sich behaupten, ein großes Talent zu sein oder zu besitzen, dann haben Sie die Verpflichtung, dieses Talent zu pflegen, zu ­trainieren und nutzbar zu machen. Wenn Sie über einen halbwegs ausreichenden IQ verfügen und dennoch nicht die Selbstdisziplin aufbringen zu lernen, werden Sie die Grenzen Ihrer Möglichkeiten möglicherweise nie erfahren. Mangelnder Fleiß setzt jedoch sehr enge Grenzen. Ihre Neugier muss deshalb immer größer sein als Ihre Bequemlichkeit. Sollte allerdings Müßiggang das Wichtigste in Ihrem Leben sein, dann schlagen Sie dieses Buch jetzt zu und schlafen Sie ein Stündchen. Die Frage nach dem Ich? erkundet nicht etwa Ihr Talent, sondern setzt Sie in Bezug zur Gesellschaft. Wie können Sie, und nur Sie, der Gesellschaft den größtmöglichen Nutzen erweisen? Und hier kommt Herbert Simons Definition wieder ins Spiel. Sie finden seine Definition im Kapitel 1.1 (Seite 25).

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Die letzte Frage nach dem Tun? ist schließlich die Aufforderung, aktiv zu werden.

Tun?

Wir stellen in unseren Seminaren und Workshops immer wieder fest, dass nicht selten der Mut fehlt, einmal ganz anders zu denken. Mangelndes Selbstbewusstsein und Konventionen behindern dann kreative Lösungen. Wie man den Mut im Denken fassen kann, dazu mehr im Kapitel 11 Denken (Seite 149 ff.).

Gerade die Konventionen bremsen uns ständig aus. Wir werfen anderen gerne vor, zu konventionell zu denken, meist sind wir es aber selbst, die extrem konventionell sind. Schrilles Outfit macht jemanden nicht unkonventionell, sondern zeigt oft die biederste Form von Anpassung an Konventionen: Kreative müssen schrill auftreten. Nicht sehr kreativ, oder? Sie werden im Kapitel 6 Ästhetik (Seite 101 ff.) erfahren, dass wir uns mental immer noch im späten 18. Jahrhundert befinden.

Dort werden Sie auch erfahren, dass die Gesellschaft einen ganz anderen Auftrag an die Gestalter hat, den diese aber aus konventionellen Gründen nicht einmal in Erwägung ziehen oder, wenn sie sich mehr der künstlerischen Seite des Berufes zugeneigt fühlen, vehement als Einschränkung ihrer künstlerischen Freiheit zurückweisen. Künstlerische Freiheit meint nicht – und hat nie gemeint –, dass Sie machen können, was Sie wollen, sondern dass Sie das, was Sie tun, so machen können, wie Sie es für richtig halten. Hier gibt es die wunderschöne Beschreibung von Kurt Weidemann (deutscher Grafikdesigner und Typograf): Der Künstler macht, was er will, der Designer will, was er macht. Er sagte auch: Wenn Du die Zukunft besser kennenlernen willst, musst Du die Vergangenheit kennen.

Kunst ist demnach in einer Sackgasse gelandet, und Design hat gerade den Blinker gesetzt, um in dieselbe Gasse einzubiegen. Die richtige Philosophie für Sie ist die, mit der Sie durch Ihr Talent, Ihr Wissen und Ihre Fähigkeiten den größtmöglichen Nutzen für die Gesellschaft bieten. Als Gestalter verfügen Sie über das Talent, sich Dinge vorstellen zu können, die noch nicht existieren. Diese Vorstellungen können Sie visualisieren und damit zeigen Sie der Gesellschaft etwas, was diese sich nicht vorstellen kann. 63

Wege in die Zukunft aufzeigen – das ist Ihre eigentliche gesellschaftliche Aufgabe als Designerin und Designer! Wie Sie als Designerin und Designer dafür den Metatrend Nachhaltigkeit nutzen können, dazu mehr im nächsten Kapitel.

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4

Metatrend Nachhaltigkeit

Die Trendforschung folgt mathematischer Logik, ausgehend von einer Grundannahme. Wir stellen Ihnen hier eine eigene Metatrend-Theorie vor. Die logische Konsequenz daraus ist die Vermutung, dass wir in Zukunft Gebrauchen statt Verbrauchen werden. Die Märkte gehören denen, die sehen! Wie können Sie als Designerin und Designer durch Designrichtlinien und ein Denken vom Konsum zum Nutzen sehen lernen?

Wie bereits erwähnt gibt es Designer, die von sich behaupten, dass sie Trends setzen oder Trends gestalten können. Die machen zwar viel Wind, aber keine Wellen. Ein Trend findet statt und bezeichnet die Grundrichtung einer Entwicklung. Man kann allenfalls einen Trend­visualisieren, aber weder schaffen noch groß­ artig beeinflussen. Trendforschung untersucht die mathematische Logik hinter Entwicklungen und leitet daraus Prognosen für die weitere Richtung ab. Dazu werden Werte der Vergangenheit auf logische und meist mathematisch darstellbare Verhältnisse hin untersucht.

4.1

Nehmen wir als Beispiel einmal den jährlichen Pro-Kopf-Konsum von Bier in Deutschland.

Gebrautes

Trendforschung und ihre Logik

Hierzu finden Sie im Anhang die Infografik 1 (Seite 306).

Betrachtet man die Entwicklung zwischen 1970 und 1990, dann zeigt die Grafik eine gezackte Linie, die scheinbar unlogischen Regeln folgt. Nach kurzer Betrachtung kann man zu der Schluss­ folgerung kommen, dass es geeignete Maßnahmen der Brauereien geben könnte, eine Aufwärtsbewegung zu erzielen. Betrachtet man diese Entwicklung aber über einen größeren Zeitraum, dann bewegen sich die Schwankungen um eine mathematische Kurve und die Abweichungen sind eher marginal. Zieht man dann meteoro­lo­ gische Daten zurate, so ergeben sich die nach oben gerichteten 65

Abweichungen aus einem warmen Sommer, die nach unten gerichteten aus einem kühlen oder verregneten Sommer. Fußball-Weltmeisterschaften in einem warmen Sommer lassen Brauer jubeln und gaukeln ihnen vor, die Trendwende sei eingetroffen. Die statistisch geglättete Mittelwertkurve zeigt aber, dass der ­Aufwärtstrend nur ein einmaliger Ausrutscher ist. Die Mittelwertkurve lässt sich mathematisch logisch fortschreiben. Daraus entstehen Szenarios. Natürlich gibt es unterschiedliche Interpretationsmöglich­ keiten, die einem Laien als Unsicherheiten erscheinen und von Skeptikern gerne als Beweis angeführt werden, dass die ganze Theorie nicht stimmt. Trendforscher und Trendbeobachter sind sich ­dessen aber bewusst und entwickeln in der Regel ein optimistisches, ein pessimistisches und ein relativ wahrscheinliches Szenario als Mittelwert zwischen den beiden Extremen. Wir kennen das aus den Langzeitvorhersagen im Wetterbericht nach den Nachrichten. Hierzu finden Sie im Anhang die Infografik 2 (Seite 307).

Die Szenarios für das Brauereigewerbe, abgeleitet aus der ­ ntwicklung des Pro-Kopf-Bierkonsums, dürften Alkoholgegner E freuen – für die Brauer jedoch kündigt sich eine Katastrophe an. So kann man den deutschen Brauereien eigentlich nur raten, sich von der Mengenproduktion zu verabschieden, Kapazitäten ­her­unter­zufahren und innovativ nach alternativen Einkommens­ möglichkeiten zu suchen. Das soll aber nicht heißen, andere ­Biersorten zu erfinden. Das wäre der wohl hilfloseste Versuch, dem rückläufigen Bierkonsum zu begegnen. Denn es werden dadurch keine zusätzlichen Umsätze generiert. Die Neuheiten ruinieren ­vielmehr das eigentliche Kerngeschäft, weichen die Kernkompetenz der Marke auf und machen das negative Szenario noch ­wahrscheinlicher. Betriebswirtschaftliche Maßnahmen verkennen diese volkswirtschaftliche Entwicklung. Es gäbe durchaus Auswege aus der sich abzeichnenden Krise, aber dies würde ein extrem innovatives Denken voraussetzen, das bei den traditionell in Hektolitern denkenden Brauern jedoch kaum zu erwarten ist. Trendforscher

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Ein herausragender Trendforscher war der russische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Dmitrijewitsch Kondratjew (1892–1938). Er entwickelte eine Theorie der zyklischen Konjunkturentwicklung. Der österreichische Nationalökonom Joseph Alois Schumpeter (1883–1950) entwickelte diese Theorie weiter und nannte die

Zyklen nach ihrem Entdecker Kondratjew-Zyklen. Diese Theorie ist umstritten. Manche Makroökonomen gehen heute eher von Zufallsbewegungen aus. Wir gehen im Kapitel 5.2 Konjunkturzyklen in langen und kurzen Wellen (Seite 85 ff.) auf beide Wissenschaftler noch einmal näher ein.

Gerade haben wir erklärt, wie die Ungenauigkeiten einer Theorie manchmal als Beweis ihres Scheiterns bewertet werden. Danach dürften die modernen Makroökonomen jedoch Probleme haben, die Ergebnisse von Wirtschaftshistorikern in den USA zu erklären, die im Jahre 2006 in einer Studie der wirtschaftshistorischen Entwicklung der USA der vergangenen 250 Jahre eine Kurve entdeckt haben, die mit den Kondratjew-Kurven nahezu identisch ist. Um das Prinzip von Trendwellen schematisch zu verdeutlichen, stellen wir Ihnen hier eine Hypothese vor, die von einer zyklischen Bewegung ausgeht, die sich an ideologischen Verhaltensformen ­orientiert. Dargestellt ist der Bereich des vergangenen Jahrhunderts. Diese Zyklen nennen wir hier zur Verdeutlichung Metatrends, also Trends, die hinter der gesellschaftlichen Entwicklung stehen. Metatrends sind evolutionär treibende Kräfte, die verschiedene Trends bündeln. Sie beschreiben die grundsätzliche Entwicklung und zeigen Veränderungen auf, die tiefgreifend sind, zu gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umstrukturierungen führen und den Verlauf der Trendkurve maßgeblich beeinflussen. In manchen Kreisen werden sie gerne auch als Megatrends bezeichnet.

4.2 Metatrend-Theorie

Aufgrund der darin enthaltenen megalomanen, also geradezu ­größenwahnsinnigen Irreführung bevorzugen wir die weniger sensa­tionelle Bezeichnung Metatrend.

Mega bedeutet einmal 106, also 1 000 000 = Million (1 MHz = 1 Million Hertz) bzw. in der Informatik 220 = 1 MB (Megabyte) = 1 048 576 Byte. Es bedeutet aber auch groß, abgeleitet vom griechischen Wort megalo (in großem Ausmaß). So ist Megalomanie eben Größenwahn. Mega-Trend bedeutet demnach großer Trend und die Marketingbranche benutzt diesen Begriff gerne für einen echt power-mäßigen Gigahype.

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Hypothese eins

Wir gehen von folgender Hypothese aus: Gesellschaftliche und technische Entwicklungen sind die Folge lang wirkender Zyklen, die durch gesellschaftliche und indi­ viduelle Wertesysteme geprägt werden. Dabei gibt es Anzeichen, wonach auch von der Sonne verursachte Klimaschwankungen eine Rolle spielen könnten. Klimahistoriker sehen zum Beispiel einen Zusammenhang zwischen der Französischen Revolution und der sogenannten kleinen Eiszeit zwischen 1600 und 1900 oder der Renaissance und einer Warmperiode. Technische Errungenschaften sind demnach Reaktionen auf den jeweiligen Metatrend und beruhen nicht auf initialen Aktionen. Protagoras (490–411 v. Chr.)

»Der Mensch ist das Maß aller Dinge: von Dingen, die sind, dass sie sind und von Dingen, die nicht sind, dass sie nicht sind.« ­

Die Kondratjew-Zyklen sind im Prinzip Metatrends, unterscheiden sich aber von der hier benutzten Metatrend-Theorie im Wesentlichen dadurch, dass Kondratjew für die Entstehung eines Zyklus technische Errungenschaften verantwortlich macht, während die hier vertretene Theorie individuelle und gesellschaftliche Werte­ konzepte als Ursache von technischen Errungenschaften betrachtet. Beide Theorien kommen allerdings unabhängig voneinander zu nahezu identischen Entwicklungskurven. Dies kann als Beweis gewertet werden, dass derartige Trends tatsächlich existieren. Die Analyse der Kurven – sowohl die nach Kondratjew als auch jene der hier vorgestellten Metatrend-Theorie, also der Zeit nach dem 2. Weltkrieg bis zu Beginn der 70er Jahre des vergangenen ­Jahrhunderts – macht deutlich, dass die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland – das Wirtschaftswunder – eigentlich kein Wunder war, sondern lediglich die logische Folge der Metatrend-Entwicklung. Man kann für das vergangene Jahrhundert drei Metatrends ­identifizieren: >> Der Metatrend der ideologisch geprägten Massenproduktion >> Der abnehmende Metatrend des materiellen Massenkonsums >> Der entstehende Metatrend des individuellen immateriellen Nutzens. Hypothese zwei

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Ein neuer Metatrend entsteht jeweils am Höhepunkt des vor­ herrschenden Metatrends. Abschwung des alten und Auschwung des neuen Trends sind prinzipiell gegenläufig. Kreuzt der aufschwingende den abschwingenden Trend, tritt er in den relevanten

Bereich und wird allgemein hin sichtbar und dominant. Wir­ ver­muten (wie Kondratjew) eine derzeitige Metatrendlänge von 40 Jahren. Die Metatrends werden immer kürzer, die Verkürzungen ­scheinen logarithmischen Regeln zu folgen. Der kommende wird voraussichtlich 30 Jahre relevant bleiben. Mit Kondratjew und Schumpeter gehen wir auch konform, dass psychosoziale Gesundheit, Kompetenz und die Technologie ­regenerativer Energien treibende Trendfaktoren sein werden. Diese Hypothese (quod esset demonstrandum) verfolgen wir seit Jahren und sind überrascht über die Präzision der Ereignisse. Nach unserer Theorie erwarteten wir für die Zeit um 2010 den Übergang der beiden Metatrends. In der Vergangenheit waren dies Momente, die historisch als Konflikte wahrgenommen ­wurden. Wir prognostizierten etwa für 2009 eine Krise der Finanzen. Bis 2006 schien die Entwicklung der Bruttosozialprodukte unsere ­Theorie ad absur­dum zu führen. Dann trat aber genau das ein, was wir vermuteten. Wir wagen daher die weitere theoretische Prognose, dass nach 2010 der neue Metatrend in den relevanten Bereich getreten sein wird.

Dieser Metatrend könnte zu einem sehr intensiven Wirtschaftsaufschwung führen, der etwa 15 Jahre lang stabil anhält. Unsicherheitsfaktor in der Überlegung ist eine exogene, also eine von außen (ein)wirkende Entwicklung im Bereich der Ressourcen. Hierzu finden Sie im Anhang die Infografik 3 (Seite 308). Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass diese Theorie eine ­Hypothese ist, die lediglich schematisch ein mögliches Prinzip veranschaulichen soll und bis zum ihrem Beweis keinen Anspruch auf wissenschaftliche Relevanz erhebt. Dennoch gibt es aus unserer Sicht auffällige Bestätigungen, dass unsere Annahme richtig sein könnte. Auf Hypothesen und Theorien in diesem Zusammenhang gehen wir auch im Kapitel 5 Ökonomischer und sozialer Wandel ein (Seite 83 ff.). Bei der Suche nach wissenschaftlichen Beweisen dieser Theorie stießen wir auf eine Berechnung des amerikanischen Geo­physikers

Hubbert-Kurve

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Marion King Hubbert (1903–1989), die er 1956 bei einem ­Treffen des American Petroleum Institutes erstmals vorstellte. Die Hub­ bert-Kurve beschreibt den Oil-Peak und die Problematik der ­Ausbeutung einer endlichen Ressource. Sie ist nahezu deckungsgleich mit unserer Metatrendkurve des Konsumzeit­alters.

Hubbert führte später auch aus, dass sowohl der Lebensstandard als auch die Entwicklung der Weltbevölkerung der Bewegung dieser Kurve folgen. Demnach würde die Weltbevölkerung in ­diesem ­Jahrhundert dramatisch abnehmen und nicht zunehmen. Für diese Theorie spricht die Tatsache, dass die Bevölkerung der Bundes­republik bereits abnimmt und 2050 etwa auf den Stand von 1950 gesunken sein wird. Erwartungsgemäß lief die Fachwelt Sturm gegen Hubberts ­Theo­­rie und entwickelte zahlreiche Gegentheorien, die beweisen sollten, dass er nicht ernst zu nehmen sei. Seltsamerweise zeigte sich aber 50 Jahre später, dass seine Prognose überraschend präzise mit der tatsächlichen Entwicklung übereinstimmte. Die in den USA beheimatete International Energy Agency (IEA) veröffentlichte 2006 eine Studie über die Erdölproduktion in den Vereinigten Staaten. Die darin aufgezeigte Kurve stimmt tendenziell mit der Hubbert-­ Prognose überein. Gegenbeweise und deren Nutznießer

Zukunft ohne Erdöl

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Aber, wie könnte es anders sein, auch hier entwickelte man Beweise, wonach die tatsächlich eingetretenen Fakten eigentlich gar nicht eingetreten seien. Lassen Sie sich nicht verwirren. Fragen Sie immer, wem der Gegenbeweis einer Theorie nutzt. Im Zweifelsfall denken Sie daran, dass es auch heute noch Menschen gibt, die beweisen können, dass die Erde eine Scheibe ist, die Gott vor 4 000 Jahren in einer anstrengenden, wenn auch effizienten Arbeitswoche durch ­die Anwendung verschiedener Zaubertricks aus dem Nichts erschaffen hat. Aus Hubberts Untersuchungen resultiert, dass das Erdölzeitalter in wenigen Jahrzehnten der Vergangenheit angehören wird. Wir müssen uns also in Zukunft eine Gesellschaft ohne Erdöl vorstellen. Dieser Gedanke erscheint Vielen als apokalyptische Katastrophe, ein unvorstellbares Szenario. Aus Sicht der Trendforschung ist es aber eine ganz natürliche Evolution mit durchaus optimistischen Aussichten. Es gibt keinerlei Indizien dafür, dass der übliche Meta­ trend-Verlauf eine von der Logik abweichende Entwicklung nehmen könnte. Demnach müsste in absehbarer Zeit eine Phase beginnen,

die dem Wirtschaftswunder der 50er und 60er Jahre ähneln dürfte – und zwar nicht obwohl, sondern gerade weil das Erdöl knapp wird. Skeptiker werden jetzt anführen, dass die drohende Klimakatastrophe aber durchaus als ein solches Indiz gewertet werden müsste. Würde sich die Klimaentwicklung, hervorgerufen durch CO² und andere Gasemissionen, linear exponentiell so weiterentwickeln wie bisher, dann hätten sie wahrscheinlich recht. Denkbar und wahrscheinlicher wären jedoch auch Szenarios, wonach diese Entwicklung ebenfalls einer Kurve folgt. Der bestehende, durchaus ernst zu nehmende Treibhaus-Effekt könnte dann im Extremfall in einen Kühlhaus-Effekt kippen. Seit einigen Jahren gibt es deutliche Anzeichen einer Verbesserung der Situation. Unsere Gesellschaft hat mittlerweile ein Problem­bewusstsein entwickelt und daraus resultierende Verhaltensänderungen sind eingetreten. Zur Veranschaulichung des Prinzips haben wir eine theoretische Kurve abgebildet, die eine Entwicklung des nicht-nachhaltigen Verhaltens des abnehmenden Zeitalters des materiellen Massenkonsums zeigt. Hierzu finden Sie im Anhang die Infografik 4 (Seite 309).

Eine Studie des AWB Bentheim über die Entwicklung des ­Müll­auf­kommes seit 1900 zeigt eine Trendkurve mit einem um wenige Jahre verschobenen, fast parallelen Verlauf zur Hubbert-Kurve. Wäre diese Parallelität nicht zufällig, sondern konse­kutiv – also unmittelbar darauf folgend, dann wäre das Konzept des Abfalls ein Phänomen des Erdölzeitalters und man könnte ­folglich prognos­ tizieren, dass das Müllaufkommen im gleichen Maße wie die Erdölproduktion drastisch sinken wird. Die Gesellschaft hätte dann ­wieder zur Nachhaltigkeit zurückgefunden. Die aktuelle Entwicklung zu mehr Nachhaltigkeit in allen Teilen der Gesellschaft lässt diese optimistische Einschätzung sogar ­realistisch erscheinen. William McDonough und Michael Braungart beanstanden, dass der Mensch das einzige Lebewesen ist, das Abfall produziert, der – und deswegen ist es Abfall – nicht in den normalen Zyklus der Natur zurückgeführt werden kann. Die beiden entwickelten eine Utopie, wonach es möglich sein kann, das Abfallprinzip zu ­verlassen und zu überwinden, um dann von linearen zu zyklischen Produkt­lebensläufen zu kommen.

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Mehr zu dieser Utopie unter 4.5 in diesem Kapitel (Seite 79 ff.). 4.3 Das CO -Problem ²

Was ist eigentlich das Problem mit CO ? ²

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Die Menschheit emittiert CO²-Gas in erheblichen Mengen als Abfall in die Atmosphäre. Dank des Kyoto-Abkommens und danach folgender Umsetzungskonzepte wurde das Instrument des Emis­ sionshandels entwickelt. Emittiert jemand zu viel CO², muss er zahlen – emittiert er weniger, wird er belohnt. Die festgesetzten Quoten werden durch die zu erwartende Dynamik, dass CO²-Emissionen vermieden werden, immer weiter herabgesetzt. Eigentlich keins. Die Natur selbst produziert mit 550 Megatonnen weit mehr CO² als die Menschheit. Und das ist auch gut so. Die derzeitige Durchschnittstemperatur der Erde liegt bei 15 Grad Celsius. Ohne natürliches CO² läge sie bei minus 18 Grad Celsius, und das wäre zu kalt für uns Menschen. Der Mensch darf maximal 24 Megatonnen pro Jahr dazugeben, um das Gleichgewicht nicht zu stören. De facto sind wir derzeit bei 36 Megatonnen. Wir müssen das einmal in Relation pro Kopf setzen. Ein Deutscher produziert heute etwa zehn Tonnen CO² pro Jahr. Eigentlich dürfte er maximal nur drei Tonnen produzieren. Er muss also sieben Tonnen Emissionsrechte von jemandem kaufen, der weniger pro­ duziert, als es die Höchstgrenze vorschreibt. Ein Kenianer produziert nur 0,3 Tonnen, kann also 2,7 Tonnen verkaufen. Zum Ausgleich muss ein Deutscher nun 2,595 Kenianern ihre Rechte abkaufen oder er schafft es, seine eigenen Emissionen auf drei Tonnen zu senken. Der Griff von außen in den eigenen Geldbeutel macht erfinderisch. Die Industrie sucht nach Auswegen. Nicht die Produktion von CO² ist das Problem, sondern die Emission. Wir könnten nach wie vor zehn Tonnen CO² produzieren, ohne sieben Tonnen kaufen zu müssen, wenn wir nur drei der zehn Tonnen in die Umwelt emittieren würden. Die Lösung heißt CCS-Technologie (Carbon Capture and Seques­ tration). Etwa 2020 wird dieses Konzept industriell nutzbar sein. Noch scheitert es am Preis der Technologie. Wenn es aber gelingt, die Herstellung von CO² als Rohstoff unter 20 Euro pro Tonne zu redu­zieren, haben wir die Chance, den CO²-Ausstoß um satte 90 Prozent senken zu können. Dann wird die Welt wieder in Ordnung sein. Hoffentlich. Dann hätten die Deutschen noch eine Jahres­ produktion von einer Tonne pro Kopf statt derzeit zehn. Neun Tonnen würde jeder Einzelne einfangen und nutzbar machen und wäre damit deutlich unter der Höchsttoleranz.

CO² ist ein wertvoller Rohstoff, der unter anderem zur Herstellung von Polycarbonat (PC) benutzt werden kann, woraus wiederum Kunststoffflaschen hergestellt werden können. Darüber hinaus gibt es Untersuchungen, wie man Rohöl durch Zugabe von CO² strecken kann. Aber fragen Sie uns hier nicht nach Details. Wir sind keine ­Chemiker.

Wohin mit all

Mit etwas mehr globaler Intelligenz und innovativer Kreativität könnten wir eine ganze Reihe von Problemen lösen. Wer in unserer Gesellschaft verfügt aber über diese Art kreativer Intelligenz? ­Politiker? Beamte? Marketingmanager? Wohl kaum. Was sagte Herbert Simon noch über Design? Design beschreibt Maßnahmen zur Veränderung von bestehenden in bevorzugte ­Situationen. ­Demnach müsste ein Designer jemand sein, der diese Maßnahmen initiiert. Tut er das? Kann er das überhaupt? Künstler und Designer sind von ihren Denkstrukturen prädes­ tiniert, kreative Prozesse zu generieren. Allerdings erfüllen sie ­derzeit ihren gesellschaftlichen Auftrag in keiner Weise. Noch drastischer: Sie versagen! Unsere Gesellschaft braucht ihre Kreativen aber dringend. Entweder, wir (die Designer) kommen in die Puschen oder die Gesellschaft ersetzt uns. Viele Designer erkennen den Metatrend-Wechsel nicht. Und ­diejenigen, die manchmal von sich behaupten, Trends zu gestalten, wissen noch nicht einmal etwas von der Existenz der Metatrends. Sie versagen in ihrer Aufgabe, der Gesellschaft Wege aufzuzeigen und produzieren stattdessen lieber weiter schönen Abfall. Mit dieser Wegschau-Mentalität riskieren die Designer, selbst ein Abfallprodukt dieses ausklingenden Zeitalters des materiellen Massenkonsums zu werden. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass Designer, die es verstehen, den neuen Metatrend zu gestalten, ungeahnte kreative Möglichkeiten haben werden, was sich nicht nur in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung, sondern letztlich auch in ihrem finanziellen Erfolg manifestieren dürfte. Trendforscher mögen sich in der Kritik der Theorie nicht einig sein, doch die seriösen Vertreter unter ihnen stimmen alle darin überein, dass wir notgedrungen vom Konsum- und Erdölzeitalter Abschied nehmen müssen, dass in Zukunft der Nutzen von Artefakten höher bewertet werden wird als ihr Besitz und dass das Zeitalter des Abfalls enden muss und enden wird. Haben Sie bemerkt, wie sich die Bedeutung des Wortes Verbraucher ändert? Früher war er einmal

Globale Intelligenz

dem CO ? ²

und Kreativität

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König – heute haftet dem Begriff etwas Negatives an. Verbrauchen bedeutet Werte vernichten. Immer mehr spricht man vom Nutzer, und wer sich ganz progressiv ausdrücken will, sagt User. 4.4 Gebrauchen statt

Der kommende Metatrend wird in seiner Ausrichtung nachhaltig sein.

Verbrauchen Was ist ­Nachhaltigkeit?

Der Begriff Nachhaltigkeit – in fashionable business German auch gerne Sustainability genannt – ist nicht identisch mit dem gleich ­lautenden Begriff, den man heute so häufig in Werbekampagnen liest, wo er als Beiwerk zu passenden Soap-Operas degeneriert ist bis zur schillernden Seifenblase. Die öffentliche Meinung über Nachhaltigkeit ist in etwa ­drei­geteilt: >> Nachhaltigkeit ist ein Modewort, eine leere Worthülse mit wenig Bedeutung oder Inhalt. >> Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Konzept, aber so abstrakt wie Freiheit oder Gerechtigkeit. >> Nachhaltigkeit ist ein anderes Wort für Ökologie oder ­Umweltgerechtigkeit. Das alles ist falsch. Hanns Carl von Carlowitz benutzte dieses Wort schon 1713 in ­seinem Buch über die Wilde Baumzucht – Sylvicultura Oeconomica, um ein Konzept zu beschreiben, wie man dem zunehmenden ­Holzmangel dieser Zeit in Sachsen begegnen könne. Nach dem Dreißigjährigen Krieg war das Wissen um nachhaltige Forstwirtschaft ­ver­loren gegangen, nun drohten Nöte. Die kleine Eiszeit – eine ungewöhnliche Kälteperiode, die bereits seit über 50 Jahren extrem kalte Winter und kalte, verregnete Sommer mit sich gebracht hatte – hatte zu einem Holzverbrauch geführt, der weit über der Reproduktionsquote der Wälder lag. Hannss Carl von Carlowitz: Sylvicultura Oeconomica, 1713 (Seiten 105–106)

»Wird derhalben die größte Kunst/Wissenschaft/Fleiß und ­Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen / wie eine sothane Conservation und Anbau des Holzes anzustellen / daß es eine continuierliche, beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weil es eine unentberliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Esse [lat.: Dasein] nicht bleiben mag.«

74

Konrad Ott vom Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung formulierte dies zeitgemäß: Konrad Ott: 1999 (de.wikipedia.org/wiki/Nachhaltigkeit)

»Regenerierbare lebende Ressourcen dürfen nur in dem Maße benutzt werden, wie Bestände natürlich nachwachsen.«

Wir neigen dazu, die Politiker für die sich abzeichnende ­Ressourcenund Umwelt-Krise verantwortlich zu machen, aber in diesem Fall ist das weder fair noch gerechtfertigt. Der Club of Rome hatte 1972 in seinem Bericht Limits to Growth den Begriff der ­Nach­haltigkeit wieder in die Diskussion gebracht. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hatte daraufhin im Jahr 1982 eine Resolution verabschiedet, die die Einrichtung einer Kommission zur Ausarbeitung einer Umweltperspektive für das Jahr 2000 und darüber hinaus vorsah (United Nations General Assembly UN Resolution 38/161; 19. 12. 1982). Die nach der Vorsitzenden Gro Harlem Brundtland benannte Kommission erarbeitete einen Bericht, der heute als Grundlage der Weltpolitik für Nachhaltigkeit gilt (Brundtland Report Our Common Future, UN Resolution 42/187 1986, Oxford University Press 1987). Die dort aufgestellte Kernaussage ist die geltende Definition der Vereinten Nationen:

Politik

»Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der gegenwärtigen Generation entspricht, ohne die ­Möglichkeiten der zukünftigen Generationen einzuschränken, ihren eigenen Bedürfnissen zu entsprechen.«

Darin enthalten sind zwei Schlüsselkonzepte: >> 1. Das Konzept des Bedarfs, insbesondere die essentiellen Bedürfnisse der Armen dieser Welt, die Vorrang haben sollten als auch >> 2. Der Gedanke von Beschränkungen, die der Umwelt durch den technologischen Entwicklungsgrad und soziale Organisationen auferlegt werden, um gegenwärtige und zukünftige Bedürfnisse zu decken. Der Brundtland-Kommission folgen eine Liste von Forderungen: >> Berücksichtigung von sowohl ökologischen als auch sozialen und ökonomischen Anforderungen in jedem Planungsprozess. >> Übernahme der Verantwortung für Umwelteffekte auch außerhalb bestehender juristischer Zwänge. 75

>> Abkoppeln des ökonomischen Wachstums von ökologischer Erniedrigung. >> Gleichheit zwischen den Generationen – zukünftige Gene­ rationen mit dem gleichen Umweltpotenzial versorgen, das heute existiert. >> Vermeidung nicht umkehrbarer Langzeitschäden für ­Öko­systeme oder die Gesundheit der Menschen. >> Sicherstellen der ökologischen Anpassungsfähigkeit – Auf­ rechterhaltung und Steigerung der Aufnahmekapazität von Umweltsystemen. >> Sicherung der Verteilungsgerechtigkeit – Vermeidung von unfairen oder hohen Umweltbelastungen für verletzbare ­Bevölkerungen. Die Kommission legte die Grundlagen für das Drei-Säulen-­ Konzept, wonach Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft als gleichwertige Partner zusammenarbeiten müssen. Kontraproduktive Umweltschützer

Globales ­Ordnungsprinzip 76

Es hätte so einfach sein können. Wären da nicht die Besserwisser dieser Welt. Aus dem Missverständnis heraus, Nachhaltigkeit sei in erster Linie ein Thema der Umwelt, begannen bedauerlicherweise die potenziell stärksten Befürworter der Arbeit der Brundtland-Kommission – die Umweltschützer – mit einer seltsamen Profilierungsdiskussion. Sie glaubten allen Ernstes über die Weisheit zu verfügen, die jahrelange Arbeit ausgewiesener Fachleute infrage stellen zu dürfen. Gro Brundtland war bereits in den 70ern des vergangenen Jahrhunderts Umweltministerin in Norwegen gewesen und kurzzeitig sogar Norwegens Ministerpräsidentin mit dem damals weltweit größten Anteil weiblicher Minister in ihrem Kabinett. Sie kann als radikal bezeichnet werden, ist hochintelligent und gilt als äußerst integer. In Müsli-Manier der postretardierten Spätachtundsechziger stellten die Umweltschützer zähneknirschend die Akzeptanz der Theorie in Aussicht, wonach Ökonomie, Ökologie und Soziales gleich wichtig seien, verknüpften ihre Zustimmung aber an die Bedingung, Ökologie müsse gleicher sein. Nach ihrer Meinung funktioniere das Drei-Säulen-Konzept nur dann, wenn die soziale und die wirtschaftliche Säule in der ökologischen integriert seien. Ökologie sei ja wohl wichtiger. Stimmt, philosophisch gesehen. Aber darum ging und geht es gar nicht. Es geht um ein globales Ordnungsprinzip, das die Rechte der zukünftigen Generationen berücksichtigen soll. Voraussetzung

dafür ist natürlich, dass wir die Umwelt so erhalten, dass die Bedürfnisse zukünftiger Generationen nicht durch Schäden beeinträchtigt werden, die von uns verursacht werden. Und weil die Weltbevölkerung weiter zunimmt, müssen auch unsere Umweltbedingungen ­weiter verbessert werden. Das Nachhaltigkeitskonzept ist nicht identisch mit Umwelt­ gerechtigkeit, aber es beinhaltet einen großen Teil der Umweltverantwortung. So gibt es in der Nachhaltigkeit Aspekte, die nicht mit Fragen der Ökologie übereinstimmen. Schließlich geht es auch darum, dass die zukünftigen Generationen über die finanziellen Mittel verfügen sollen, über die wir heute verfügen. Es geht aber auch um soziale Gerechtigkeit auf diesem Planeten und innerhalb einzelner Gesellschaften. Nachhaltigkeit ist deshalb auch nicht die Schnittmenge aus den einzelnen Bereichen (kennen wir noch aus der Mengenlehre). Hierzu finden Sie im Anhang die Infografik 5 (Seite 310).

Das Thema ist so groß und wichtig, dass wir gut beraten sind, uns mit der Zielsetzung und der Terminologie sorgfältig zu befassen. Auch sollten wir uns bemühen, es nicht durch Halbwissen und Vorurteile zu zerreden. Wenn wir gerade eine Ohrfeige in Richtung Umweltbewegung ­verteilt haben, kommen wir nun zum Marketing. Das Marketing verdient eine weit heftigere Kritik in Bezug auf den Terminologieschwindel. Fallen die Umweltschützer manchmal durch ihr Halbwissen auf, so hat das Marketing auf diesem Gebiet meist nur Wissen im Nanobereich, erweckt aber den Eindruck der Allwissenheit. Das wäre nicht weiter tragisch, würde man dieses Minimalwissen nicht auch noch mit immensem Werbeaufwand hinausposaunen.

Unwissendes

Und weil wir gerade so schön beim Rundumschlagen sind, kommen wir nun zu den Medien. Die Medien könnten ihre Macht besser dazu benutzen, das Thema zu fördern, statt durch die Verbreitung eben dieser Halbwahrheiten und Fehldefinitionen zur Verwirrung beizutragen. Unter­ suchungen in den USA zufolge reagieren Menschen auf Nachrichten, die Probleme beschreiben ohne Lösungswege erkennen zu lassen, mit Apathie.

Verwirrende Medien

­Marketing

77

Stop that nonsense!

Es geht um nicht weniger als um das Überleben der Menschheit auf diesem Planeten, und da dürfen wir keine Fehler machen. David B. Berman schreibt in seinem Buch Do Good Design, Introduction (Seite 2):

»Die menschliche Zivilisation auf dem Weg zu einer einzigen ­globalen Zivilisation kann sich keinen einzigen Blödsinn mehr ­leisten.«

Die Ökos sollten ihre dogmatischen Berührungsängste verlieren, das Marketing erst denken und dann reden, und die Medien sollten ihre Rolle als Hiobsbotschaften-Vermittler überdenken. Unterschätzte ­Chancen

Genug Luft gemacht. Wir regen uns zwar auf, aber in Wirklichkeit sind wir sehr optimistisch und sehen die Entwicklung ausnehmend positiv.

Schließlich geht der Metatrend stabil in Richtung Nachhaltigkeit und es sieht so aus, als ob es gelingen könnte, die Probleme in den Griff zu bekommen. Selbst die oft gescholtene USA ist nicht erst seit Barack Obama aktiv. Zwar hat George W. Bush das KyotoAbkommen nicht unterzeichnet, aber man unterschätzt die Intelligenz der Amerikaner, wenn man glaubt, dies hätte einen Stillstand der Bemühungen um Nachhaltigkeit zur Folge gehabt. Eher das Gegenteil war der Fall. Arnold Schwarzenegger, der als dümmlicher Muskelmann eine Karriere als Schauspieler gemacht hatte, bat zu Beginn seiner ­Amtszeit als Gouverneur von Kalifornien führende Wissenschaftler in Sachen Nachhaltigkeit zu sich. Teilnehmer dieser Beratungs­ gespräche berichten davon, dass Schwarzenegger stundenlang sehr aufmerksam und geduldig zuhörte und in seinem Resümee am Ende der Gespräche bewies, dass er nicht nur die sehr komplexen Themen besser verstanden hatte als so manche Fachleute, sondern dieses Wissen auch in politische Aktionen umsetzen konnte. Er war zwar Parteifreund von George W. Bush, in diesem Punkt aber das genaue Gegenteil von ihm. Schwarzenegger wurde Motor einer Bewegung in den USA, die heute getragen wird von einzelnen Bundesstaaten, und noch wichtiger, von einzelnen Städten. Am Ende der Ära Bush, als unsere Medien die USA als die großen globalen Umweltverweigerer brandmarkten, lebten 30 Prozent der Amerikaner in Staaten oder Städten, die die Kyoto-Regeln als offizielle Politik eingeführt hatten und deren Umweltbilanz über dem Durchschnitt so mancher europäischer Staaten lag. So findet man in den 78

USA namhafte Unternehmen, die sich mit radikaler Innovationskraft in einem Maße für eine nachhaltige Produktion einsetzen, die uns alte Europäer wirklich alt aussehen lässt. Und mit ihrem unverkrampften Verhältnis zu Geld definieren sie gleich auch die möglichen Gewinne. Neue Effizienztechnologien, die dazu beitragen sollen, den Energie­bedarf der Menschheit zu senken und die Mobilität gleichzeitig umweltfreundlicher zu machen, stellen derzeit bereits weltweit einen Markt von rund 400 Milliarden Euro dar. Bis 2030 rechnet man mit mehr als einer Verdoppelung auf rund eine Billion Euro. Demnach wird der Anteil am gesamten Industrieumsatz von heute vier Prozent auf über 15 Prozent steigen. Claudia Kemfert schreibt in Die andere Klimazukunft (Seite 200):

»Die Zukunft der Mobilität liegt nicht im Verzicht und auch nicht in der Rückkehr zu Heißluftballon und Pferdekutsche, sondern in der Entwicklung neuer, effizienter Verkehrstechniken und nachhaltiger Mobilität. Wenn wir lernten, wie die Vögel zu fliegen, würde uns kein Klimaschützer mehr den Urlaub in der Dominikanischen Republik vermiesen – deswegen: Der Ausweg wäre die Erfindung eines Flugzeuges, das ohne Kerosin fliegen könnte, keine fossile Energie verbrennt und somit auch kein CO verursacht.« ²

Unternehmen mit guter CO²-Bilanz haben nach Angaben von Ana­ lysten in der Regel einen 20 Prozent höheren Börsenwert. Die Unternehmensberater Arthur D. Little und E. Capital Partners International stellten fest, dass eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung in Zukunft von einem tief greifenden Verständnis für Umweltstrategien abhängen wird. Auch die Banken erkennen die Chancen, die in nachhaltiger ­Entwicklung liegen. Die Abwendung des Klimawandels ist eine der größten Investitionsmöglichkeiten aller Zeiten sagen Finanzmanager, nicht Klimaschützer! Sie erkennen die Vorteile der Drei-Säulen-­ Theorie. Statt zu diskutieren, wer nun wichtiger ist, beginnen sie, die Finanzierung der Projekte zu planen und zu begreifen, dass eine Abkehr von der Abfallgesellschaft weit profitabler ist als ein Fort­ setzen dieser früher wirtschaftlich scheinbar erfolgreichen Strategie. Während die bösen Kapitalisten zunehmend auf das Umweltgas­ pedal treten, stehen manche der guten Umweltschützer mit zwei Füßen auf der Bremse. Solange der Bürger nicht mitzieht, kann sich die Politik nicht schneller bewegen.

4.5 Die Märkte gehören den Sehenden!

79

Hannover-Prinzipien

Politische Prozesse brauchen lang, weil die Menschen lange ­brauchen, bis sie die Notwendigkeit von Maßnahmen erkennen. Erst dann glauben die Bürger, etwas für sich entdeckt zu haben und ­wollen nun, dass die Politiker endlich etwas tun. Am Beispiel der Hannover-Prinzipien kann man die bürgerliche Schwerfällig­ keit gut verdeutlichen.

Frage 1

Haben Sie schon etwas von den Hannover-Prinzipien gehört? >> Ja? Toll. Weiter zu Frage 2. >> Nein? Kein Problem. Sie sind mit 99 Prozent der Bevölkerung keine Minderheit. Sie brauchen die weiteren Fragen nicht ­beantworten.

Frage 2

Worum geht es bei den Hannover-Prinzipien? >> Äh …, gute Frage, nächste Frage.

Frage 3

Wenden Sie diese Prinzipien in Ihrer täglichen Arbeit an? >> Äh …

Bill of Rights for the Planet: Grundrechte für den Planeten

Bereits 1991 erarbeiteten William McDonough und Michael Braun­ gart mit ihren Designrichtlinien für die Expo 2000 in Hannover ein Dokument, das als die Hannover-Prinzipien (Hannover Principles) bekannt wurde. Unter dem Titel Bill of Rights for the Planet (Grundrechte für den Planeten) stellten sie eine Reihe von Forderungen für alle auf, die mit Gestaltung und Planung zu tun haben, vornehmlich für Architekten und Designer: >> Bestehe auf dem Recht der Koexistenz von Menschheit und Natur in einer gesunden, sich gegenseitig unterstützenden, vielfältigen und nachhaltigen Weise. >> Anerkenne gegenseitige Abhängigkeiten. >> Die Elemente menschlicher Gestaltung stehen in gegenseitiger Wechselwirkung mit und in Abhängigkeit von der natürlichen Welt mit breiten und vielfältigen Auswirkungen auf jeder Ebene. Erweitere Design-Überlegungen, um selbst entfernte Effekte zu erkennen. >> Respektiere eine Beziehung zwischen Geist und Materie. >> Berücksichtige alle Aspekte menschlicher Besiedelung inklusive Gemeinschaft, Bauten, Industrie und Handel in Hinsicht auf existierende und entstehende Zusammenhänge zwischen geistigem und materiellem Bewusstsein.

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>> Akzeptiere Verantwortung für die Auswirkungen von ­Design-Entscheidungen auf das menschliche Wohlbefinden, die Lebensfähigkeit natürlicher Systeme und ihr Recht der ­Koexistenz. >> Gestalte sichere Objekte mit Langzeitwert. >> Belaste zukünftige Generationen nicht mit der Notwendigkeit der Instandhaltung oder Überwachung möglicher Gefahrenquellen durch gedankenlose Gestaltung von Produkten, ­Prozessen und Standards. >> Schaffe das Abfallkonzept ab. >> Entwickle und verbessere den gesamten Lebenslauf von ­Produkten oder Prozessen, um zu einem Zustand natürlicher Systeme zu kommen, die keinen Abfall kennen. >> Verlasse Dich auf natürliche Energieflüsse. >> Menschliches Design sollte wie in der übrigen lebenden Welt ihre gestaltenden Kräfte aus dem ständigen Sonnen­ einkommen beziehen. Baue diese Energie effizient und sicher für ­verantwortlichen Gebrauch ein. >> Verstehe die Grenzen von Design. >> Keine Gestaltung von Menschen hält ewig und Design löst nicht alle Probleme. Gestalter und Planer sollten Demut vor der Natur praktizieren. >> Behandle die Natur als Modell und Ratgeber und nicht als eine Unbequemlichkeit, die es zu verhindern oder zu kontrol­ lieren gilt. >> Suche nach ständiger Verbesserung durch den Austausch von Wissen. >> Ermutige zu direkter und offener Kommunikation zwischen Kollegen, Kunden, Herstellern und Nutzern, um nachhaltige Langzeitüberlegungen mit ethischer Verantwortung mitein­ ander zu verbinden, und schaffe wieder ein abgestimmtes ­Verhältnis zwischen natürlichen Prozessen und menschlichen Aktivitäten.

Zugegeben, dieser Text klingt ein wenig nach den Zehn Geboten, die Moses am Berg Sinai verkündete. Zumindest aber hat man das Gefühl, mit erhobenem Zeigefinger ermahnt zu werden und wer mag das schon. Man könnte es vielleicht anders sagen, aber man könnte nichts Anderes sagen.

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Mit Michael Braungart (bekannt geworden durch sein Cradle to Cradle-Konzept) haben wir gesprochen. Das Interview finden Sie auf Seite 265 ff. Vom Konsumdesign zum Nutzendesign

Der Weg vom marketingorientierten Konsumdesign bis hin zu einem nachhaltigen Nutzendesign beginnt zuerst im Kopf. Eine solche Bewusstseinsänderung kann man nicht in einem Wochenendseminar erlernen. Dazu benötigt es ein hohes Maß an zusätzlicher Fachkenntnis, die erst erworben werden will. Deshalb müssten wir (Designer) unseren Beruf eigentlich von Grund auf neu lernen. Die Gesellschaft hat eine große Erwartungshaltung an uns Gestalter. Zu Recht begegnet man uns aber mit erheblicher Skepsis. Wir dürfen also erst einmal nicht erwarten, dass man uns den roten Teppich ausrollt. Wir müssen unsere Leistungsfähigkeit erst beweisen. Sie als Designerin und Designer werden aber feststellen, dass die Neuausrichtung einer ganzen Gesellschaft eine spannende und durchaus lustvolle Tätigkeit ist. Zum ersten Mal werden wir Designer wirklich als innovative Gestalter benötigt. Jetzt können wir zeigen, wie kreativ wir sind. Moment mal, wie war das eben? Märkte gehören denjenigen, die sehen? Dann sehen wir mal, damit wir nicht irgendwann zusehen. Wie Sie als Designerin und Designer zukunftsorientiert sehen ­lernen können, dazu mehr im zweiten Teil dieses Buches (Seite 98  ff.). Vorher schauen wir uns aber noch einige ökonomische und soziale Zusammenhänge an – im nächsten Kapitel.

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5

Ökonomischer und sozialer ­Wandel

Die evolutionäre Dynamik der Gesellschaft befindet sich in einem Ordnungswechsel globalen Ausmaßes. Konjunkturzyklen sind wesentlich für den Wirtschaftsverlauf und machen den Wechsel seit langem deutlich. Die damit einhergehende Krisendiskussion ist kontraproduktiv und fehl­ geleitet. Die Kritik der ökonomischen Vernunft macht deutlich, dass es unter­schiedliche Modelle und Lösungsansätze gibt. Welche Vernunft ist hier hilfreich?

Wir sind derzeit mit einer globalen Herausforderung konfrontiert, die in ihrer Komplexität historisch einmalig ist. Grundlegende ­Veränderungen hat es in der Evolution der Menschheit schon immer gegeben – sie sind quasi immanent. Allerdings vollzogen sie sich schritt­weise, über lange Zeiträume, viele Jahrhunderte lang. Heute schrumpft der Umstellungszeitraum auf eine Generation zusammen. Ursache ist der technologische Fortschritt. Der Wandel, den wir heute erleben, umfasst alle Lebensbereiche. Davon sind die wirtschaftliche Globalisierung und die Umweltver­ schmut­zung nur zwei Aspekte. Die Gesellschaft wächst zu internationalen und interkulturellen Dimensionen heran, von denen die kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Institutionen über­fordert sind. Unser gewohnt lokales Handeln ist ohne globales Denken ­praktisch nicht mehr machbar. Alte Klischees wie Was interessiert es mich, wenn in China ein Sack Reis umfällt sind nicht mehr akzeptabel, (waren es aber auch noch nie). Eher gilt hier nach der Chaos-Theorie der Schmetterlingseffekt, nach dem der Flügelschlag eines Schmetterlings eine Reihe sich selbst verstärkender Turbulenzen erzeugt.

5.1

Im Laufe der Geschichte sind menschliche Gesellschaftsordnungen auf zunehmend höhere organisatorische Ebenen gewechselt. Es begann mit den steinzeitlichen Stämmen der Jäger und Sammler, wechselte über den Ackerbau, die nomadischen Hirten, den vorindustriellen Feudalismus hin zum Industrialismus. Einen

Macroshift –

Evolutionäre ­Dynamik der ­Gesellschaft

­Bifurkation

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vorläufigen Höhepunkt erreicht diese Konvertierung gegenwärtig mit dem Entstehen postindustrieller Gesellschaftsordnungen. Diese Wechsel in höhere Organisationsebenen verlaufen chaotisch, das heißt weder kontinuierlich noch reibungslos. Die Evo­lution ist ohnehin unumkehrbar und damit progressiv, also ständig fortschreitend. Wesentlich einfacher wären Entwicklung und Sozial­ geschichte der Menschen, wenn diese Innovationen der sich ­ent­wickelnden Systeme konstant, ohne Schwierigkeiten und in Übereinstimmung mit der Allgemeinheit verlaufen würden. Diese Nichtlinearitäten und Diskontinuitäten werden in den neuen ­Wissenschaften, beispielsweise von Ervin Laszlo, als Prozesse der Bifurkation beschrieben. Ervin Laszlo: Macroshift – die Herausforderung (2003, Seite 33)

»Ein Macroshift ist eine Bifurkation in der evolutionären ­Dynamik einer Gesellschaft – in unserer interagierenden und vernetzten Welt bedeutet das eine Bifurkation für praktisch die gesamte menschliche Kultur.«

Ervin Laszlo (in seiner Jugend erfolgreicher Konzertpianist), ­Philosoph, Systemwissenschaftler und Zukunftsforscher, geht in seinem Buch Macroshift – die Herausforderung von einer Entscheidungsphase in der Zeit von 2003 bis 2010 aus, in der die Gesellschaft in eine Chaos-Sprungphase des weltweiten Macroshift, also eines gewaltigen Wandels, gelangt. Ausgelöst wird dieser Wandlungsprozess durch extreme Belastungen infolge politischer Konflikte, gesellschaftlicher Unsicherheit, Anfälligkeit der Wirtschaft, finanzieller Volatilität und wachsender Probleme mit dem Klima und der Umwelt. All das sind Missstände, denen wir heute – jeder für sich, mehr oder minder – ausgesetzt sind. Er stellt weiter fest, dass die fortschreitende Globalisierung der Wirtschaft, verbunden mit intensiverem Kontakt völlig uneinheitlich ausgeprägter Kulturen und Gesellschaften, zu einer unaufschiebbaren Entscheidung drängt. Außerdem ist sich Ervin Laszlo sicher, dass der weltweite Zusammenbruch folgt, wenn die ab 1860 in Gang gesetzten und ab 1960 beschleunigten Abläufe unverändert andauern. Diese Zusammenbruchsperiode beginnt ab 2010, wenn sich Sturheit und mangelnde Voraussicht verfestigen. Er glaubt aber, dass sie auch durch eine Durchbruchsperiode ab 2010 ersetzt werden kann, wenn sich neues Denken mit angepassten Werten und einem weiterentwickelten Bewusstsein durchsetzt. Ein solches Denken kann die Kreativität in der Gesellschaft in Gang bringen, indem Menschen und Instituti84

onen lernen, den Macroshift zu navigieren und die durch unreflektierte Begeisterung für Macht, Technologie und Wohlstand entstandenen Belastungen zu meistern. Ein neues Zeitalter bricht an, mit einer friedlichen und nachhaltigen Kultur. Wir werden uns also darauf einstellen müssen, dass die Entwicklungsdynamik für unsere Zukunft – vor allem wegen mangelnder Beständigkeit vieler Prozesse und Trends – nicht der linearen Dynamik klassischer Schlussfolgerungen entspricht. Sie folgt vielmehr der nichtlinearen Chaosdynamik der Evolution komplexer Systeme. Trendanalytiker und Zukunftsforscher vertreten normalerweise die Ansicht, dass sich die Zukunft aus der Gegenwart ergibt und sich nicht radikal von ihr unterscheidet. Konkreter gesagt: Die heute langfristig ablaufenden Prozesse ziehen zukünftig ein gewisses Maß an Veränderung nach sich. Solche Prozesse werden als Trends bezeichnet, die – ob lokal oder global, ob mikro oder mega – immer Wandel und Korrektur bedeuten. Wenn sie sich dann erst einmal durchgesetzt haben, gibt es von einigen Dingen mehr und von ­anderen weniger. Die Welt bleibt wie sie ist, nur einigen Menschen geht es besser und anderen (derzeit vielen) schlechter.

Altes Denken und Bewusstsein

Das haben wir bereits in den letzten Kapiteln ausführlich beschrieben und bewertet.

Die Kondratjew-Zyklen des russischen Wirtschaftswissenschaftlers Nikolai Dmitrijewitsch Kondratjew sind Inhalt einer von ihm entwickel­ ten Theorie der zyklischen Konjunkturentwicklung (im deutschsprachigen Raum ist die transkribierte Schreibweise Kondratieff weit verbreitet, wie z. B. in den Büchern von Schumpeter, Nefiodow und Händeler). Damit gilt er als Begründer der Theorie der langen Wellen. In seinen Forschungsarbeiten (zwischen 1919 und 1921) fand er heraus, dass es, außer kurzen (bis zu drei Jahre dauernden) und mittleren (bis zu elf Jahre dauernden) Zyklen, auch lange Konjunktur­ wellen mit einer Dauer von 45 bis 60 Jahren gibt.

5.2

Er definierte die Zyklen nach den technischen Entwicklungen: >> 1. Kondratjew: Dampfmaschine, Textilindustrie (1780–ca. 1840) >> 2. Kondratjew: Eisenbahn, Stahl (ca. 1840–1880) >> 3. Kondratjew: Elektrotechnik, Chemie (ca. 1880–1930) >> 4. Kondratjew: Automobil, Petrotechnik (ca. 1930–1965) >> 5. Kondratjew: Informationstechnik (ca. 1965–2005) >> 6. Kondratjew: ? (ca. 2005–20xx)

Kondratjew –

Konjunkturzyklen in langen und kurzen Wellen

­Konjunkturtheorie

85

Hierzu finden Sie im Anhang die Infografik 6 (Seite 311).

Aus seiner Sicht entspringen die langen Wellen Ursachen, die im Wesen der kapitalistischen Wirtschaft liegen. Genau kann er es allerdings nicht erklären, auch nicht, warum die Perioden 45 bis 60 Jahre dauern. Er veröffentlichte seine Erkenntnisse 1926. Zu dieser Zeit war er Direktor des Moskauer Instituts für Konjunkturforschung. Als Kommunist der ersten Stunde setzte er sich während der stalinistischen Diktatur für die Erhaltung marktwirtschaftlicher Strukturen in der russischen Landwirtschaft ein. Deshalb wurde er 1930 wegen angeblich antikommunistischer Agitation verhaftet, nach Sibirien deportiert,1938 zum Tode verurteilt und erschossen. Aus heutiger Sicht eine Bestätigung der Sturheit und mangelnden Einsicht. Wobei damals im Besonderen auch noch ideologische Verblendung und diktatorisches Machtstreben ins Spiel kamen. Schumpeter – ­Entwicklungs-/ Konjunktur- und ­Systemtheorien

Der Österreicher Joseph Alois Schumpeter gehörte zu den bedeutendsten Nationalökonomen des 20. Jahrhunderts. Er entwickelte die Theorie von Kondratjew ab 1936 weiter und nannte die Zyklen nach ihrem Entdecker. Auch er schaute sich die Wirklichkeit nicht durch makroöko­ nomische Statistiken an. Er meinte, dass der seinerzeit diskutierte Preiswettbewerb nicht so wichtig sei wie die Konkurrenz in Qualität und Produktionsverfahren. In seinem Buch Business-Cycles (dt.: Konjunkturzyklen) schreibt er, dass Veränderungen in der Produktion oder bei Waren fast nie vom Verbraucher erzwungen wurden. ­Innovationen fänden statt, weil es immer schöpferische und dynamische Unternehmer gäbe (und damit meinte er nicht etwa ver­ waltende Wirte – Manager, sondern innovative Persönlichkeiten – Entrepreneure). Diese Unternehmer im echten Sinne des Wortes ­konkurrierten die weniger innovativen Firmen nieder. Damit hätten Veränderungen ihre Auslöser auf der Produktionsseite (schrieb er schon in seinem früheren Buch: Theorie der wirtschaftlichen Ent­ wicklung, 1912). Beide Theorien haben wir ebenfalls im letzten Kapitel 4.1 (Seite 65 ff.) erwähnt.

Schumpeter ist besonders bekannt durch seine These der schöpferischen Zerstörung, die er in seinem bekanntesten Werk: Capitalism, Socialism and Democracy, 1942 (dt.: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 1947) entwickelte. Die Grundlage dafür legte er bereits 86

in seinem früheren Buch (1912), insbesondere aber in Konjunktur­ zyklen. Joseph A. Schumpeter: Konjunkturzyklen (1939–2008, Theorie der Innovation, Seite 94 ff.)

»Ohne Innovationen keine Unternehmer; ohne unternehmerische Leistung keine kapitalistischen Gewinne und kein kapitalistischer Antrieb. Die Atmosphäre industrieller Revolutionen – des Fort­ schritts – ist die einzige, in welcher der Kapitalismus überleben kann.«

Schon 1912 fand Schumpeter mit seinem Werk Anerkennung. Durch den Ersten Weltkrieg war dies in der breiten Öffentlichkeit allerdings wenig bekannt geworden. Auch seine Konjunktur­ zyklen wurden überstrahlt vom Werk eines anderen Ökonomen: John Maynard Keynes. Der gleichaltrige Brite John Maynard Keynes (1883–1946) veröffent­ lichte 1936 seine General Theory (dt.: Allgemeine Theorie der Beschäf­ tigung, des Zinses und des Geldes). Auch Keynes beschäftigte sich mit dem Konjunkturzyklus, wenn auch nur im Rahmen von Bemerkungen.

Keynes – Theorie­

In seinem vorletztem Buch Kapitalismus, Sozialismus und Demo­ kratie hatte sich Schumpeter zur Überlebensfähigkeit des Kapitalismus geäußert:

Schumpeter –

bemerkungen

System­kritik

Joseph A. Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (2005, Seite 105)

»Kann der Kapitalismus überleben? Nein, meines Erachtens nicht.«

Schumpeter versäumte es nicht darauf hinzuweisen (Zweiter Teil: Prolog), dass es lediglich seine Ansicht ist, die auf einer Feststellung der in einem Beobachtungsobjekt vorhandenen Tendenzen beruht. Im gleichen Teil spekuliert er, dass der Kapitalismus seinen letzten Atemzug wohl in den dreißiger Jahren gemacht hätte (was durch den Weltkrieg wahrscheinlich sein könnte), aber auch noch eine ­weitere, durchaus erfolgreiche Runde bestehen könnte – weitere 50 Jahre (also ca. bis 2000). Die allgemeine Diskussion über Wirtschafts- und Finanzkrisen ist kontraproduktiv und systemtheoretisch im Grunde fehlgeleitet. Das sogenannte Wirtschafts- und Finanzsystem ist nicht nur komplex, sondern auch von zyklischen Bewegungen gekennzeichnet.

5.3 Kritik der KrisenDiskussionen

87

Wir haben das bereits im vorhergehenden Kapitel ausführlich erläutert.

Das Auf und Ab der Konjunkturen ist demnach systemimmanent. Die kurzen, mittleren und langen Schwankungen (Wellen) als Krisen zu bezeichnen, ist daher völlig falsch. Nichts Neues

Auch die allgemeine Überraschung auf die in den letzten Jahren ­verlaufende Abwärtsbewegung ist völlig unverständlich. Wie aus den Theorien von Kondratjew und Schumpeter ersichtlich, befinden wir uns derzeit im sechsten Kondratjew bzw. in der Zeit nach der ­letzten Runde des Kapitalismus. Das ist seit nunmehr über 80 bzw. fast 70 Jahren zumindest einer wirtschaftsorientierten Fachwelt und interessierten Öffentlichkeit bekannt. Ebenso kennt man die Arbeit von Laszlo, nach der wir uns ­derzeit in einem Macroshift befinden. Schon in seinem Buch Evo­lu­ tio­­näres Management – Globale Handlungskonzepte (1992) hat er auf Bifurkationen und die daraus zu erwartenden tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen hingewiesen. Als Mitbegründer des Club of Rome ist er weit über die Fachwelt hinaus bekannt, auch bei Unternehmern.

Alles im Kopf

Wie also kann eine seit Langem absehbare Entwicklung als temporäre Krise wahrgenommen werden? Die Antwort liegt vermutlich in der Ermangelung eines neuen Denkens mit angepassten Werten und dem nicht weiterentwickelten Bewusstsein. Also im Kopf. ­Demnach beginnt die Lösung einer Krise genau dort: im Kopf! Auch im Buch Designbusiness gründen und ent­wickeln (aus dieser Reihe), im Kapitel 2.1 Krisenzeiten, wurde das bereits beschrieben. Wie die Lösung einer Krise im Kopf durch Denken beginnen kann, darauf gehen wir im Kapitel 11 Denken – anders, kreativ und wie Designer (Seite 149  ff.) ausführlich ein.

Abgesehen von ideologischen, imperialistischen/diktatorischen und anderen Macht-Interessen liegt hier offensichtlich in jedem Einzelnen eine persönliche Ablehnung der fortschreitenden Entwick­ lung zugrunde, die als Krise wahrgenommen wird. Damit handelt es sich nicht um Wirtschafts- und Finanzkrisen, sondern um Persön­ lichkeitskrisen.

88

Wenn man bereit ist, dies so wahrzunehmen und anzunehmen, sind die wesentlichen Voraussetzungen für eine individuelle Therapie gegeben. Das bedeutet, man ist bereit, nicht von sich selbst ab­zu­lenken, zu den eigenen Unzulänglichkeiten zu stehen und diese beherzt anzugehen. Das wäre dann auch die Voraussetzung für eine effektive und professionelle Navigation des Macroshift. Denn nur so könnten die Belastungen, die durch unreflektierte Begeisterung für Macht, Technologie und Wohlstand entstandenen sind, gemeistert werden. Erinnern Sie sich noch? Kapitel 5.1!

Ein solches Um-Denken könnte die Kreativität in der Gesellschaft in Gang bringen! Ist das nicht Ihre Domäne als Designerin und Designer? Allerdings bleibt da noch die Erkenntnis, dass die Ökonomie keine exakte Wissenschaft ist, weil sie Moden, Trends und Ideo­ logien kennt. Die Ökonomie ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts in der misslichen Lage, dass sie als Wissenschaft im Vergleich zu anderen Disziplinen den Nachweis des Erfolgs immer noch nicht erbringen kann. Der Fortschritt in Medizin und Technik ist hingegen trotz aller offenen Fragen unbestritten. Nach wie vor schlägt sich die Menschheit mit Problemen herum, zu deren Beseitigung die ökonomische Theorie beitragen sollte. Noch immer teilt sich die Welt in Arm und Reich, gibt es Kriege, Hungersnöte und Millionen Arbeitslose. Und wohin sich die globale Wirtschaft angesichts des enormen Wachstums der asiatischen Staaten entwickelt, kann kein Wirtschaftsdenker (und noch weniger ein Politiker) vorhersagen. Die Erkenntnis von Sokrates: Ich weiß, dass ich nichts weiß – und das auf hohem Niveau, ist kennzeichnend für die Situation. Allerdings sind die Ökonomen auch mit komplexen Frage­ stellungen konfrontiert. Streng genommen sind die Wirtschaftswissenschaften keine Wissenschaften, auch wenn sich die Ökonomen wissenschaftlicher Methoden bedienen. Gültige Aussagen wie in den Naturwissenschaften lassen sich nicht treffen. Viele Theorie­ aspekte haben sich nicht bestätigt, weil es anders verlaufen ist als erdacht, was auch den ewig wandelbaren und undurchsichtigen Kräften der menschlichen Natur zuzuschreiben ist, wie es der britische Wirtschaftswissenschaftler Alfred Marshall (1842–1924) beschreibt.

5.4 Kritik der ökono­ mischen Vernunft

89

Hinzu kommt, dass – sehr zum Leidwesen ihrer Verfasser – nicht eine der entwickelten Wirtschaftstheorien jemals konsequent umgesetzt wurde. Und damit konnten sie auch nie wirklich bewiesen werden. Die Gründe liegen sicher im mangelnden Verständnis ihrer Theorien und in den häufigen Fehlinterpretationen, ohne das ­Verdienst um ein besseres Verständnis der Rahmenbedingungen des Kapitalismus zu schmälern. Aristoteles

Adam Smith

Immanuel Kant

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Die Geschichte der Ökonomie lässt sich bis zu dem Philosophen und Universalforscher Aristoteles (384 bis 322 v. Chr.) zurückverfolgen. Mit seinen Schriften über die Hauswirtschaft, die er mit Oikonomia betitelte, gab er der Lehre den Namen, die erst im 18. Jahrhundert zu einer eigenen Disziplin wurde. Er unterschied übrigens zwischen der Hausverwaltungskunst (Ökonomik) und der Kunst des Gelderwerbs (Chrematistik) als natürliche und widernatürliche Erwerbskünste. Er kritisierte, dass aus Geld selbst Gewinn gezogen werde und nicht aus dem Tauschhandel, für den das Geld eigentlich erfunden wurde. Die Geburtsstunde der Ökonomie als eigenständige Disziplin 1776 wurde durch das berühmte Hauptwerk An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (dt.: Der Wohlstand der Nationen) des schottischen Philosophen und Nationalökonomen Adam Smith (1723–1790) markiert. Sein Verdienst ist es, die Gesetze des Marktes formuliert und umfassend beschrieben zu haben. Er vermittelte erstmals ein ­Verständnis dafür, wie der Markt das Gemeinwesen im Einzelnen zusammenhält. Er erfasste die Verhaltensweisen, die zur Stabilität der Gesellschaft beitragen. Als Ökonom des vorindustriellen ­Kapitalismus hat er die Veränderungen durch Großkonzerne und ihre Macht, die Mechanismen des Wettbewerbs zu stören, nicht mehr miterlebt. Auch wenn sich seitdem vieles verändert hat – die von ihm dargestellte Arbeitsteilung und der Wettbewerb sind noch immer Basis unseres Wirtschaftslebens. Der deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) ist der bedeutendste Vertreter der abendländischen Philosophie und Aufklärung. Sein Werk Kritik der reinen Vernunft gilt als Wendepunkt in der Philoso­phiegeschichte und markiert den Beginn der Moderne. Neben der Erkenntnistheorie schuf Kant auch neue und umfassende Perspektiven in der Ethik, etwa mit seinem Grundlagenwerk Kritik der praktischen Vernunft, in der Ästhetik mit der Kritik der Urteilskraft

sowie in bedeutenden Schriften zur Religions-, Rechts- und Geschichts­philosophie. Schon zu Lebzeiten und bis ins 21. Jahr­ hundert beeinflusste er die Diskussion maßgeblich. Wenn sich Kant auch nicht mit ökonomischen Fragen im engeren Sinne beschäftigt hat, so ist sein mittelbarer Einfluss auf die Entwicklung der wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen nicht unerheblich. Die aus seiner Erkenntnistheorie (hier insbe­ sondere der transzendentalen Logik und den Verstandeskategorien) abgeleitete Bedeutung der Rationalität hat in der Ökonomie den Glauben an die Allmacht der Berechenbarkeit verfestigt. Auch seine Werke der Ethik sind im ökonomischen Zusammenhang relevant. Hat er doch mit dem Kategorischen Imperativ ­(Naturgesetz-, Allgemeine Gesetz- und Menschheitszweck-Formel) ein allgemeines Prinzip der moralischen Beurteilung menschlicher Handlungen formuliert. Die Kritik an den Handlungssystemen einer Gesellschaft, die den Einzelnen zu einem beliebig auswech­ selbaren Mittel für die Zwecke Anderer (Produktion, Macht etc.) ansieht, stammt somit von dem Pedanten Kant. Die Lösung existierender Probleme unserer heutigen Welt müsste demnach in einer Veränderung der gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Gegebenheiten bestehen. Wir gehen auf Kant noch einmal näher ein im Kapitel 11.4 Wie Designer denken (Seite 166 ff.).

Das Ziel einer gerechten Marktwirtschaft verfolgte der englische ­Philosoph und Ökonom John Stuart Mill (1806–1873). Er galt als einer der einflussreichsten liberalen Denker des 19. Jahrhunderts und war Anhänger des Utilitarismus. In seinen Grundsätzen der Ökonomie (Principles of Political Economy) geht er davon aus, dass nach Erreichen des Wachstumziels (ein Leben in Wohlstand) eine Zeit des Stillstands kommen muss. Das bedeutete für ihn jedoch nicht, dass kein intellektueller, kultureller und wissenschaftlicher Fortschritt stattfindet und ein Mangel an Waren vorhanden ist – Stillstand sah er lediglich in Bezug auf Kapital- und Bevölkerungszunahme. Er meinte einen Zustand, in dem keiner arm ist, niemand reicher zu sein wünscht und niemand Grund zur Furcht hat, durch andere Vorwärtsdrängende zurückgestoßen zu werden. Das Streben nach Wachstum bezeichnete er als Sucht. Erwerbstätigkeit könne ebenso in stationärem Zustand stattfinden. Allerdings mit dem Unterschied, dass die industriellen Verbesserungen anstatt der Vermehrung des Vermögens zu dienen, ihre ursprüngliche Wirkung hervorbrächten, nämlich die Arbeit zu verkürzen.

John Stuart Mill

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Mill hat darüber hinaus in seinem als Freiheitsprinzip bekann­ ten Grundsatz formuliert, dass es zunächst einmal die Freiheit (als erster und stärkster Wunsch der menschlichen Natur) sei, über die der Geist eines Individuums, seine Fähigkeiten und seine Moral voll entwickelt werde. Daher müsse alles staatliche und gesellschaftliche Handeln darauf ausgerichtet sein, dem Einzelnen eine freie Entwicklung zu gewähren (mit der Beschränkung, sich selbst und andere zu schützen). Alle Eingriffe, die darauf abzielten, den Einzelnen zu einem Verhalten zu zwingen, das subjektiv besser oder klüger sei bzw. diesen glücklich mache, seien unrechtmäßig. Johann Silvio Gesell

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Der Kaufmann, Finanztheoretiker und Sozialreformer Johann Silvio Gesell (1862–1930) war Begründer der Freiwirtschaftslehre. Die Ursache für kapitalistische Ausbeutung und Kriege sah er in strukturellen Fehlern des Geldwesens. Er strebte einen fairen Wettbewerb, Chancengleichheit für alle und einen gerechten Ausgleich von Arm und Reich an. Unter dem Eindruck der wirtschaftlichen Krise Argentiniens (um 1890) erfasste er die hohe Bedeutung für eine krisenfeste Wirtschaft in der gleichmäßigen Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Er zog daraus den Schluss, dass Geld der Wirtschaft nur als Tauschmittel dienen und diese nicht als Hortungsmittel lähmen sollte. Da das Geld im Gegensatz zu Waren und menschlicher Arbeitskraft weder rostet noch verdirbt, kann ein Geldbesitzer sein Geld ohne Nachteile zurückbehalten. Er kann warten, bis die Waren für ihn billig oder die Zinsen hoch genug sind, und stört mit diesem Verhalten den Wirtschaftskreislauf. Händler werden gezwungen, ihre Preise zu senken und in der Folge müssen sie ihre Kosten durch Kredite decken. Diesen Bedarf lässt sich der Geldbesitzer durch den Zins honorieren (ein Einkommen, für das er keine Leistung erbringt). Die Zinseinnahme verleiht er erneut, sodass seine Zinseinnahmen ständig wachsen (Zinseszins). So werden leistungslos Reichtümer dort angehäuft, wo sie nicht benötigt werden. Im Gegenzug dazu wird der arbeitenden Bevölkerung der ihr zustehende volle Arbeitsertrag vorenthalten. Dadurch ist das freie Kräftespiel zwischen ­Verkäufer und Käufer grundlegend gestört. Gesell zog daraus den Schluss, Geld solle in seinem Wesen der Natur entsprechen und natürlichen Dingen nachgebildet sein. Das Geld in der Hand eines Geldbesitzers müsse mit der Zeit an Wert einbüßen. Dann habe er auf dem Markt keine Vormacht­ stellung mehr und Geld wäre einem ständigen Druck zur Weitergabe ausgesetzt. Jeder Geldbesitzer würde sein Geld dann nicht

zu lange zurückhalten, sondern damit Waren oder Dienstleis­­ tungen kaufen, laufende Rechnungen begleichen oder es ohne Zins­­ forderung verleihen, um so der Wertminderung zu entgehen. So würde Geld als Diener des Menschen wirken und nicht als dessen Herrscher. Gesell nannte dieses Geld Freigeld. Die Ausgabe des Freigeldes sollte dem Staat vorbehalten sein. Bei Inflationsgefahr sollte dieser Freigeld einziehen, bei Deflationsgefahr solches ausgeben. Zur Umsetzung seiner Idee schlug er den Einsatz von Papiergeld vor, an dem sich die erforderlichen Vermerke über Wertminderung oder Gültigkeitsverfall eines Geldscheins vornehmen ließen. Wegen seiner vorgeschlagenen Wertminderung würde Freigeld auch bei sinkenden Preisen (Deflation) und niedrigen Zinssätzen nicht gehortet. Gesell glaubte, auf diese Weise käme es zu einem starken und dauerhaften Kapitalangebot für die Wirtschaft. Durch einen gesicherten Umlauf würde Freigeld der Wirtschaft Krisen ersparen und durch das Absinken des allgemeinen Zinsniveaus zugleich die sozialen F ­ ragen lösen. Gesells oberstes Ziel war eine Wirtschaft ohne Konjunk­ turschwankungen. Neben der Theorie des Freigeldes entwickelte er eine weitere zur Bodenrechtsreform, dem Freiland. Beide Theorien beschrieb er in seinem Werk Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld (1916). Der österreichische Nationalökonom Friedrich August von Hayek (1899–1992) war Verfechter einer liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Der Wirtschaftsnobelpreisträger lehnte jegliche Eingriffe in den Markt ab und zählte damit zu den wichtigsten Denkern des Liberalismus im 20. Jahrhundert. Sein Werk umfasst die Geld- und Konjunkturtheorie sowie die Sozialphilosophie. 1944 veröffentlichte Hayek (der zwischenzeitlich die britische Staatsbürgerschaft angenommen hatte) sein Buch The Road to ­Serfdom (dt.: Der Weg zur Knechtschaft). In diesem Werk kämpft er gegen jegliche staatliche Einmischung in den Wettbewerb. Er weist nach, dass alle Arten von Sozialismus, Kollektivismus und Plan­ wirtschaft unweigerlich zum Verlust der bürgerlichen Rechte führen müssen. Egal, ob Nationalsozialismus, Faschismus oder Kommunis­ mus – alle enden in der Diktatur. Die Barbarei und Gewaltherrschaft in den totalitären Staaten (damals neben Deutschland und Italien vor allem die Sowjetunion) sei nicht die Folge von besonderer Bosheit der entsprechenden Völker, sondern die Umsetzung der sozialistischen Lehre einer geplanten Wirtschaft. Diese führe zwangsläufig

Friedrich August von Hayek

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zu Unterdrückung, selbst wenn dies nicht die ursprüngliche Absicht der Sozialisten sei. Er erweiterte seine These sogar dahingehend, dass selbst staat­ liche Interventionen, die zunächst die Marktwirtschaft zwar nicht prinzipiell infrage stellen, langfristig aber zur Abschaffung der Freiheit führen würden. Hayek schloss sich übrigens der Meinung des liberalen Klassikers Adam Smith an, wonach wirtschaftliche Ordnung das unangestrebte Resultat menschlichen Handelns ist – das Prinzip der unsichtbaren Hand.

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Pierre Bourdieu

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu (1930–2002) war ­vor­wiegend empirisch orientiert und in seiner Forschung zumeist im Alltagsleben verwurzelt. Er versuchte subjektive Faktoren mit ­objektiven Gegebenheiten zu verbinden. Wirtschaftstheoretisch ­vertrat er unter anderem die Aufhebung des Dualismus von Subjekti­ vismus und Objektivismus, die er beide in ihren relativen Erkenntnissen zusammenzuführen versuchte. In seinem Werk Raisons pratiques. Sur la théorie de l’action, 1994 (dt.: Praktische Vernunft – Zur Theorie des Handelns, 1998) entwickelte er einen Ansatz der Kapitalsorten, in dem er Individuen unterschiedlich viele Potenziale verschiedener Art zuordnete: das symbolische Kapital, das ökonomische Kapital, das kulturelle Kapital und das soziale Kapital. Dabei galt, dass jeder mit seinem Einsatz spielen und der Erwerb kulturellen Kapitals beispielsweise zur Erhöhung des ökonomischen Kapitals dienen kann. Dieser Ansatz ist besonders interessant in Bereichen und ­Branchen, in denen das ökonomische (finanzielle) Kapital unter­ repräsentiert ist (wie zum Beispiel in der Designwirtschaft). Macht er doch deutlich, dass alle Kapitalsorten (materielle Ressourcen, professionelle Kompetenzen, soziale Beziehungen) zwar als Einheit begriffen, aber gegeneinander verrechnet werden, um jeweilige Mängel auszugleichen.

André Gorz

Der in Österreich geborene, französische Sozialphilosoph André Gorz (1923–2007) lebte seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts als Publizist in Frankreich, war Mitarbeiter von Jean-Paul Sartre und Mitbegründer des Nachrichtenmagazins Le Nouvel Observateur. Lange Jahre ein Anhänger von Sartres existentialistischer Variante des Marxismus, brach er mit Sartre nach dem Pariser Mai 1968. Gorz wandte sich der politischen Ökologie zu und wurde deren führender Theoretiker. Die für ihn zentralen Themen waren die ­Fragen der Arbeit: der Befreiung von Arbeit, der gerechten Vertei-

lung von Arbeit und der Entfremdung in der Arbeit. In seinem Hauptwerk Métamorphoses du travail – Quête du sens – Critique de la raison économique von 1988 (dt.: Kritik der ökonomischen Vernunft – Sinnfragen am Ende der Arbeitsgesellschaft, 1989) analysiert er den Begriff der Arbeit und plädiert für ihre Umverteilung und ­Flexibilisierung. Recht auf Arbeit, Pflicht zu arbeiten und Bürgerrecht sind für ihn untrennbar miteinander verknüpft: André Gorz: Kritik der ökonomischen Vernunft (1989, Seite 297)

»Es handelt sich nicht darum, den aus dem Produktionsprozess Ausgeschlossenen ein Grundeinkommen zu sichern, sondern um die Beseitigung der Bedingungen, die zu diesem Ausschluss geführt haben.«

Sehr ausführlich beschreibt er, wie es durch den Industriekapitalismus zur Spaltung von Arbeit und Leben gekommen ist. Denn nicht nur die Entfremdung zwischen Arbeit und Gesamtergebnis eines Produktes/Werkes habe negative Folgen produziert. Auch die subtile Ausbeutung der Arbeiter durch Lohnreduzierung, (um sie zur Mehrarbeit zu bewegen bzw. zu zwingen, damit sie ihre Bedürfnisse decken konnten), wurde umfassend von ihm analysiert. Daraus wird deutlich, dass der Industriekapitalismus zu Arbeitszwängen geführt hat, die den menschlichen Bedürfnissen entgegenstehen. Die Folge waren systembedingte Produktionsüberschüsse, die abgebaut werden mussten. Und so wurden durch eine subtile Propaganda (Werbung/PR) Wünsche geweckt, die weit über die eigentlichen Bedürfnisse hinausgehen. In seinem Buch stellt er in diesem Zusammenhang auch die Maßlosigkeit der Gier heraus, die durch das abstrakte Kapital produziert wurde und zu einer Loslösung von Geld und den tatsächlichen Werten von Dienstleistungen und Produkten geführt haben. In seinem letzten großen Werk L’immatériel – Connaissance, valeur et capital, 2003 (dt.: Wissen, Wert und Kapital – Zur Kritik der Wissensökonomie, 2004) stellt er fest: André Gorz: Wissen, Wert und Kapital (2004, Umschlag)

»Wissen ist keine ordinäre Ware, sein Wert ist unbestimmbar, es lässt sich kostenlos vermehren. Seine Verbreitung steigert seine Fruchtbarkeit, seine Privatisierung reduziert sie und widerspricht seinem Wesen. Eine authentische Wissensökonomie wäre eine Gemeinwesensökonomie, in der die wichtigste Produktivkraft – also das Wissen – zum Nulltarif verfügbar wäre.« 95

Er folgert daraus, dass der Wissenskapitalismus nicht nur ein krisenanfälliger Kapitalismus ist, sondern die Krise des Kapitalismus selbst, die die Gesellschaft in ihren Tiefen erschüttert. Schlussfolgerung

Die historische Betrachtung der Kritik der ökonomischen Vernunft, sowohl der theoretischen als auch der praktischen, macht deutlich, dass es bereits unterschiedlichste Modelle und Lösungsansätze gibt. Wir haben uns hier allerdings aus Platzgründen sehr beschränkt und Ökonomen, Philosophen und Soziologen aufgeführt, die wir subjektiv für relevant halten. Die Zahl derer, die ebenso wichtig sind ist riesig und füllt ganze Bibliotheken.

Hier drängt sich die Frage auf, wie es mit der Ökonomie und ­insbesondere mit dem Kapitalismus weitergehen soll. Hilft hier eine ethische Perspektive? Einen solchen Ausblick zeigt beispielsweise das Buch des französischen Philosophen André Compte-Sponville: Le capitalisme est-il moral?, 2004/2009 (dt.: Kann der Kapitalismus moralisch sein?, 2009) auf. Oder ist eine publizistische Abhandlung dabei nützlich? Als Beispiel dafür steht das Buch des deutschen Wirtschaftsredakteurs Wolf Lotter: Die kreative Revolution – Was kommt nach dem Industriekapitalismus?, 2009. Zwar ist die Diskussion darüber nicht neu – in Anbetracht der Krisensituation nimmt sie jedoch ungebremst zu. Fast täglich/ wöchent­lich kommen Beiträge und Meinungen hinzu, wie zum ­Beispiel in der kleinen Suhrkamp Edition Die Zukunft des Kapitalismus, 2010 (herausgegeben von dem Journalisten Frank Schirrmacher – der auch mit seinem Buch Payback 2009 einen kritischen ­Beitrag leistete – und dem Autor Thomas Strobl), in dem neben anderen der Vorstandsvorsitzende des Denkwerks Zukunft (Stiftung kul­ turelle Erneuerung) Meinhard Miegel in einem Interview 2015 als das Jahr der finalen Krisen bezeichnet. Ein weiteres Beispiel war in der Wochenzeitschrift Die Zeit vom 30. Dezember 2010 zu finden, wo von den Journalisten Marc Brost und Mark Schieritz unter dem Titel Die Wahr-Lügner die Frage gestellt wird, ob Deutschland nicht lernen kann oder es nur nicht will (weil kaum, dass es dem Land besser geht, die Ideologen der Vorkrisenzeit zurückkehren). Sie sehen, die Diskussion geht weiter, und wir wollen mit diesem Buch dazu einen konkreten Beitrag für Sie als Desig­ nerin und Designer leisten. Bevor wir im dritten Teil bessere

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­Erfolgs­perspektiven für Sie darstellen, wollen wir uns zunächst im Teil 2 näher mit der dafür erforderlichen Gestaltung beschäftigen.

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II.

Denkend gestalten

6

Die böse Sache mit der guten alten Ästhetik

Um die Ästhetik für die Zukunft zu definieren, ist eine historische Betrachtung hilfreich: vom Geschmack und der Wahrnehmung bis zur Kunst und zum Design. Dazu gehören auch ethische Werte wie die gesellschaftliche Verantwortung. Und ohne Nachhaltigkeit ist Ästhetik nicht denkbar. Wie soll für Sie als Designerin und Designer die neue Ästhetik zur guten Sache werden?

Wenn Sie zu dem Begriff Ästhetik ein dogmatisch mystisches und romantisch verklärtes Verhältnis haben, dann überspringen Sie dieses Kapitel bitte. Es könnte Ihre Gefühle verletzen.

6.1 Achtung: Tabubruch!

Alle anderen, die sich dieser Thematik offen stellen, begeben sich im Folgenden auf die Suche nach der Zukunft zunächst zurück in die Vergangenheit. Nach einer kurzen Stippvisite ins Paradies gehen wir dann aber schnell ins Jahr 1750. Dank seines ästhetischen Gespürs erkannte Adam, dass das Paradies ein feiner Ort zum Leben war, Äpfel gesund sind und Eva genau die passende Mami für seine zukünftigen Kinder werden könnte. Nicht gefeit war er allerdings gegen die Gefahren der Werbung: Eines Tages sah er auf den großen paradiesischen Billboards Werbung für Äpfel. Slogan: Adam, iss Äpfel und du fühlst dich göttlich. Motiv: Eva, in neckischer Pose mit verführerischem Blick, der Zielgruppe Adam einen Apfel entgegenhaltend. Um die Wurmlosigkeit des Apfels zu verdeutlichen, war ein Riesenwurm im Hintergrund abgebildet (später irrtümlich als Schlange bezeichnet). Adam futterte also wie verrückt Äpfel. Doch statt sich göttlich zu fühlen, bekam er Durchfall. Vielleicht war es ja überhaupt nicht um die Äpfel gegangen, dachte er sich und hegte die Vermutung, dass es möglicherweise um Sex gehen könnte und Eva einfach nur eine schüchtern romantische Werbung um ihn großflächig plakatiert hatte. Also sprach er Eva an. Ihr Gezeter war weit zu hören. Eva warf

Paradies

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Adam vor, immer nur an das Eine zu denken und außerdem habe sie sowieso gerade Migräne. Adam war stinksauer. Er fühlte sich von der Werbung um das Gefühl der Göttlichkeit betrogen. Adam war eben noch nicht aufgeklärt. Wieso haben wir eigentlich nicht dazugelernt? Aufklärung

Geschmack

Zur Erklärung gehen wir jetzt ins Zeitalter der Aufklärung. Laut Immanuel Kant ist Aufklärung der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Versetzen Sie sich einmal in das großbürgerliche 18. Jahrhundert. Als späte Folge der Erfindung der beweglichen Lettern entdeckt die Bourgeoisie die Philosophie der Antike und entwickelt eigene Gedanken dazu. Platon und Aristoteles werden verehrt wie Götter. Zwei philosophische Richtungen sind im Widerstreit miteinander: der Empirismus und der Rationalismus. Der Empirismus geht davon aus, dass alle Erkenntnis nur auf Erfahrung beruht, auf Beobachtung und Experiment. Daraus entstand dann der Sensualismus, der behauptet, die Sinne seien die einzige Quelle der Erfahrung. So neu war das eigentlich nicht. Bereits Leonardo da Vinci sagte, dass all unser Wissen auf Wahrnehmung beruht. Dann gab es da noch den Rationalismus, der erklärt, die Struktur der Welt sei von logisch erfassbarer Beschaffenheit. In England veröffentlicht der Philosoph David Hume (1711–1776) einen Aufsatz zum Thema Geschmack: The Standard of Taste. Dort erwähnt er den Begriff Wahrnehmung (Perception). Er sagt: Each mind perceives a different beauty (jeder Geist nimmt Schönheit unterschiedlich wahr). David Hume: Standard of Taste (1748, Seite 268)

»Es ist nur natürlich für uns, nach einem Standard für Geschmack zu suchen, einer Regel, nach der die unterschiedlichen Gefühle der Menschen in Einklang gebracht werden können; zumindest sich eine Entscheidung zu leisten, die ein Gefühl bestätigt und ein anderes verurteilt.«

Es ging also darum, Gesetzmäßigkeiten in der sensuellen ­Wahrnehmung festzulegen, um letztlich einem Künstler vorschreiben zu können, wie er zu schaffen habe und den Betrachtern, Lesern oder Zuhörern vorschreiben zu können, wie sie darauf zu reagieren hätten. 102

In Deutschland schrieb man damals als gebildeter Mensch in Latein, und es war modern, dies mit griechischen Begriffen zu verzieren. Der Philosoph Alexander Gottlieb Baumgarten (1714–1762) veröffentlichte 1750 seinen ersten und 1758 den zweiten Band über sensuelle Wahrnehmung. Das Werk nannte er Aesthetica. (dt.: Wahrnehmungslehre). Er definierte: Ästhetik ist die Wissenschaft der sensuellen Wahr­ nehmung. Auch hier ging es um die Schaffung von Gesetzen. Der Sensualismus sollte mit dem Rationalismus in Einklang gebracht werden. Baumgarten ging es in erster Linie nicht um Kunst, sondern um Wahrnehmung. Die darstellende Kunst schloss er aber nicht aus. Nehmen Sie heute einmal ein Lexikon und schlagen Sie nach unter Ästhetik.

Wahrnehmung

F. A. Brockhaus (2003)

»Ästhetik ist die Philosophie der Künste, eine philosophische Disziplin, die sich mit Schönheit, Kunst und Wahrnehmung befasst.«

Wenn die Philosophie die Mutter aller Wissenschaften ist, dann hat sie das Kind Ästhetik nicht geboren, denn der Plan der Begründung einer Wissenschaft ging ziemlich daneben. Der Begriff Ästhetik begann ein seltsames Eigenleben. Immanuel Kant kam zu der Entscheidung, dass eine Philosophische Ästhetik nicht möglich sei, also auch Regeln für die Produktion und Bewertung von Kunst nicht möglich seien. Er widersprach Hume und stellte fest: Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Recht heftige Kritik übte er auch an Baumgarten: Die Deutschen sind die einzigen, die das Wort Ästhetik benutzen, um das zu beschreiben, was andere die Kritik des Geschmacks nennen. Schon damals war aus dem Begriff Wahrnehmungslehre ein Begriff für Kunstbewertung geworden. Kant warf Baumgarten vor, sein Versuch, die kritische Bewertung von Schönheit nach rationalen Kriterien vorzunehmen und daraus eine Wissenschaft machen zu wollen, beruhe auf falschen Hoffnungen. Dieser Versuch sei schon deshalb vergeblich, weil die beabsichtigten Regeln und Kriterien nur empirisch sein könnten und nie rationalen Kriterien gerecht würden, denen die Bewertung von Geschmack ­folgen müsste (Kant: Kritik der reinen Vernunft §1, B36). Schöner kann man den Streit zwischen Empirismus und Rationalismus nicht verdeutlichen.

Transzendentale

Objektive Bewertungen können – und hier waren sich Kant, Baumgarten und Hume einig – nur von einer Experten-Gemeinschaft vor-

Glücklicher Ästhet

Ästhetik

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genommen werden. Baumgarten nannte einen derartigen Experten einen felix aestheticus, einen glücklichen Ästheten. Ein solcher bräuchte eine Reihe von besonderen Talenten, um Schönheit begreifen zu können (pulchre cogitare). Unter anderem einen feinen und eleganten Geist, ein Genie, die Fähigkeit, sich etwas vorstellen zu können, diese Vorstellung anzureichern und sensuelle Eindrücke zu erinnern (Aesthetica §30). Ein Künstler bräuchte das Talent wie die antiken Wahrsager, in die Zukunft schauen zu können. Er benötigte ästhetisches Tem­­ perament, verbunden mit ethischem Geist, zusätzlich ausgestattet mit äußeren Werten wie Geld und Macht. Mit anderen Worten: Ein Künstler soll reich, anständig, gebildet und verwöhnt sein. Das kann man von der Mehrzahl der heutigen Künstler ja nicht gerade behaupten. Baumgarten und Kant sprachen vom Genie eines Künstlers ­(ingenium) und meinten damit etwas ganz anderes als das, was Pseudo-Genies der heutigen Kunstszene darunter verstehen. Bildende Künstler

Alle Philosophen des 18. Jahrhunderts stellten die schon seit Aris­ toteles geltende Regel der damaligen Kunst nicht infrage, dass sich Kunst nämlich die Natur zum Vorbild nähme: Ars imitatur naturam. Vor Aristoteles hatte vor allem Platon die bildenden Künstler gerade deswegen massiv kritisiert, weil sie durch die oberflächliche Nachahmung der Natur lediglich eine falsche Scheinwelt schüfen. Dies, befand Platon, sei unehrlich und ethisch verwerflich. In seiner Vision einer idealen Gemeinschaft schloss er die bildenden Künstler deshalb ausdrücklich aus.

Neue Kunst

Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) definierte die gesellschaftliche Funktion der Kunst neu. Seine Vorlesungen über Ästhetik hatten eine völlig neue und bis dahin unbekannte Dimension. Unter dem Eindruck der gewaltigen Umwälzungen im Zuge der Französischen Revolution suchte er nach einer neuen Ordnung. Auch der Status der Kunst und des Künstlers hatte sich verändert. Hegel sah dabei ganz pragmatische Aspekte wie die Art der Kunstvermarktung nach dem Wegfall der bisherigen feudalen Auftraggeber. Hegel: Jenenser Realphilosophie (Einleitung Norbert Schneider: Geschichte der Ästhetik von der Aufklärung bis zur Postmoderne, Stuttgart 2002, Seite 80 ff.)

»Die schönen Tage der griechischen Kunst wie die goldenen Zeiten des Mittelalters sind vorüber […] Deshalb ist unsere Gegenwart ihrem allgemeinen Zustande nach der Kunst nicht günstig.« 104

Hegel bringt Form und Inhalt in direkten Bezug zueinander und gibt dem kreativen Geist eine höhere Bedeutung als der Nachahmung der Natur. Die Funktion der Kunst ist nach Hegel die Vermittlung zwischen Objektivität und Subjektivität. Schönheit ist ­seiner Auffassung nach das sinnliche Scheinen der Idee, also nicht eine rein äußerliche Angelegenheit. Hegel war ein Visionär. 1825 sagte er in seiner letzten Vorlesung über Ästhetik das Ende der Kunst voraus. Sie würde sich selbst als einzige kulturelle Orientierungsmacht überleben. Das hat sie zwischenzeitlich auch, nur die Künstler haben das noch nicht bemerkt. Kunst würde in der modernen Welt die kritische Funktion geglückt entwickelter Alternativen gegenüber bestehender Entfremdung einnehmen. Die neuen Künstler wären in der Lage, Bilder geglückten Lebens anschaulich neben die Konsequenzen miss­ glückten Handelns zu stellen. Kunst der Zukunft könnte Stimulans der Reflexion sein, die menschlichem Handeln vorausgeht. Die Kunst als Welt des Scheins hätte die Funktion der Vermittlung einer Idee zur Nutzbarmachung in der Realität, und das zwar als schöne und sinnlich anschauliche, aber eben auch als bewusst konstruierte ­Realität. Setzt man diese Ideen Hegels in einen Zusammenhang mit der ­Definition von Herbert Simon über Design, dann ergibt sich daraus ein philosophischer Auftrag an unser (Designer)-Metier, der weit über das hinausgeht, was wir heute produzieren. Kunstphilosophisch befinden wir uns in unserer Denkweise etwa zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Wenn wir die Zukunft gestalten wollen, müssen wir uns schnell weiterentwickeln. Dazu müssen wir den Mut haben, die Realität zu sehen wie sie ist. Die Gesellschaft hat einen Auftrag an die Künstler, den diese bisher jedoch mit Hinweis auf die damit verbundene Einschränkung ihrer künstlerischen Freiheit ablehnen.

Kunstauftrag

Es stellt sich die Frage, ob Design Kunst ist. Um das zu beantworten, muss man zunächst fragen: Was ist Kunst? Nach dem Verständnis des Begriffes Kunst – aus der Zeit der Aufklärung und davor – ist Design eindeutig Kunst, denn Design ist der Planungsprozess des Artifiziellen. Nach Ansicht von Walter Gropius (1883–1969) ist Kunst der Superlativ von Handwerk, dem manuellen Herstellungsprozess von Artefakten. Demnach ist der Titel Künstler eine hohe Auszeichnung: Was er macht, ist dann und nur dann Kunst, wenn es herausragend ist.

Was ist Design/ Kunst?

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Wenn uns heute im Fernsehen spätpubertierende Ehrgeizlinge in Casting-Shows als Künstler vorgestellt werden, dann hat Design nichts mit Kunst zu tun. Dann sind Designer keine Künstler. Da aber der Kunstbegriff in früheren Zeiten eine andere Bedeutung hatte als heute und Design damals eindeutig als Kunst bezeichnet worden wäre, gelten die Aussagen der Philosophen auch auf unseren Berufsstand, aber nicht unbedingt auf alle, die sich heute als Künstler bezeichnen. Ästhetik-Begriff

In der Zeit nach Hegel bis zum heutigen Tage begann sich die Diskussion über Ästhetik spiralförmig nach oben in Wolkenkuckucksheime und Luftschlösser zu schrauben. Während des 20. Jahrhunderts wurde der Begriff Ästhetik Teil des allgemeinen Sprachgutes und erfuhr einen seltsamen Paradigmenwechsel. Von einem subjektiven Begriff der Wahrnehmung wurde er zu einer Objektbeschreibung: ein Objekt ist ästhetisch. Vom griechischen Wortstamm abgeleitet macht das keinen Sinn: Ein Objekt nimmt mit den Sinnen wahr. Allenfalls kann man sagen: Das Objekt ist mit den Sinnen wahrnehmbar. Womit auch sonst? Die Bedeutung des Wortes wurde mehr und mehr unpräzise. Ästhetik beschreibt die Gesamtheit aller gestalteten oder geschaffenen Objekte unter Neutralisierung des Wortes Schönheit. In seinem Buch Grenzgänge der Ästhetik stellt Wolfgang Welsch 1996 die berechtigte Frage, ob der polysemantische Gebrauch des Wortes Ästhetik es nicht zu einem Passe-par-tout-Wort macht, das überall passt, weil es nichts bedeutet. Ästhetik hat drei Hauptbedeutungen: >> Ästhetik – artistisch – Kultur >> Ästhetik – aisthetisch – Wahrnehmung >> Ästhetik – kallistisch – Schönheit Unter diesen Hauptbedeutungen ordnen sich eine Vielzahl von Subbedeutungen, von elitär über virtuos zu harmonisch oder kosmetisch.

6.2 Ästhetik und Ethik

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Seit Platon wurden Ästhetik und Ethik miteinander verbunden: Wenn etwas gut und ehrlich ist, dann ist es ästhetisch (= sinnlich wahrnehmbar). Hegel nahm diesen Gedanken auf und formulierte:

Hegel: Vorlesungen über Ästhetik, Band 1 (Norbert Schneider: Geschichte der Ästhetik von der Aufklärung bis zur Postmoderne, Seite 151)

»Da die Idee gleichbedeutend mit Wahrheit ist, muss Schönheit gleichbedeutend mit Wahrheit gesehen werden.«

Diese romantische Idealisierung sollte sich 125 Jahre später als sehr tragischer Irrtum herausstellen. Wir müssen uns heute bewusst darüber sein, dass idealistische Philosophien dem extremen Risiko ausgesetzt sind, in unserer materialistischen Welt kapitalisiert zu werden. Nach dem tschechoslowakischen Literaturwissenschaftler Jan Mukarovský (1891–1975) hat Ästhetik drei Aspekte: >> 1. Ästhetische Funktion: Sie beschreibt das Ziel zu gefallen. Der Träger dieser Funktion kann irgend ein Objekt sein. ­(Mukarovský bewies mit vielen Beispielen, dass die ästhetische Funktion häufig zu unethischen Zwecken missbraucht wird.) >> 2. Ästhetischer Wert: Er beschreibt die Effizienz, mit der das Objekt die ästhetische Funktion erfüllt. (Jeder Profiteur ist natürlich daran interessiert, diesen Wert messbar zu machen. Marktforschung wird häufig dazu eingesetzt, genau das zu tun.) >> 3. Ästhetische Norm: Sie repräsentiert die Erwartungen des Empfängers. Kenntnisse über die ästhetische Norm können die Ausprägung der ästhetischen Funktion beeinflussen, um dadurch einen höheren ästhetischen Wert zu erzielen.

Aspekte der Ästhetik

Diese Aspekte interessieren insbesondere das moderne Marketing, um Konsumenten darin zu bestärken, etwas zu kaufen, ohne darüber nachzudenken. Auch Diktatoren haben diese Mechanismen angewandt, um die Bevölkerung an ihre Ideologien glauben zu machen. Sieht man Ästhetik von vornherein als rein, gut und ehrlich an, wird man blind für die unethischen Absichten, die sich häufig dahinter verbergen. Gerade deshalb tragen wir als Gestalter eine erhebliche Ver­ant­ wortung, der wir uns bewusst sein müssen, sonst laufen wir Gefahr, das Schicksal einer der begabtesten Künstlerinnen des 20. Jahr­hun­ derts zu erleiden: Leni Riefenstahl (1902–2003).

Verantwortung

In einem Ethik-Seminar an der Universität von Lappland wurde den Studenten das Foto eines farbigen Athleten kurz vor dem Start gezeigt: Jesse Owens, der bei der Olympiade in Berlin 1936, sehr zum Missfallen der Nazis, triumphale Erfolge feierte. Nach wie vor ein

Talent für die falsche Sache

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Meisterwerk. Foto: Leni Riefenstahl. Den Studenten – alle Anfang 20 und aus aller Herren Länder – sagte ihr Name zwar nicht viel, aber sie waren hellauf begeistert. (Wussten Sie eigentlich, dass Riefenstahls Film über die Olympiade in Berlin für einen Oskar nominiert war?) Die Studenten sahen weitere Arbeiten von ihren späteren ­Reisen durch Afrika, und man war sich einig, dass diese Fotos von einer ganz großen Künstlerin stammen mussten. Nun präsentierte man den Seminarteilnehmern weitere Aufnahmen Riefenstahls aus den späten 30er Jahren, die den Nationalsozialismus verherrlichend ­darstellten. Eine der deutschen Austauschstudentinnen, eben noch begeistert, begann ihr Gesicht zu verziehen. Als alle dann eine ­Aufnahme von Leni Riefenstahl neben Hitler und Goebbels sahen und erklärt bekamen, dass sie eine begeisterte und unbelehrbare Anhängerin der Nazis war, zeigten sich die Studenten angewidert und entsetzt. Leni Riefenstahl hat ihr herausragendes Talent für die falsche Sache nutzbar gemacht und es dadurch verpasst, eine ihren Fähigkeiten entsprechende Position in der Kunstgeschichte zu erlangen. Es ist also nicht nur ausschlaggebend, was ein Gestalter macht, sondern auch wofür und mit welcher geistigen Grundhaltung er gestaltet. Künstler und Designer tragen eine Verantwortung für das, was ihre Arbeiten auslösen. Im Falle von Riefenstahl ist man sich darüber einig, dass das von ihr idealisiert dargestellte Menschenbild erheblich dazu beitrug, den Wahn des Naziregimes zu ermöglichen. In ihrer künstlerischen Naivität hat Riefenstahl bis zum Schluss nicht verstanden, was sie falsch gemacht hat. Kann man ihr auch moralisch eine Mitschuld am Holocaust geben? Wenn ja – ist der Gestalter der Marlboro-Kampagne moralisch mitschuldig am Krebstod von Nikotinabhängigen? Riskantes Werkzeug

Designer und Künstler brauchen fundamentales Wissen über Ethik und Ästhetik, um ungewollten Missbrauch zu vermeiden. Paul Mijksenaar von der Universität in Delft fordert daher: Paul Mijksenaar: Visual Function. An Introduction to Information Design, Rotterdam, 1997.

»Es ist die Aufgabe von Wissenschaftlern und Designern, die vielen noch versteckten aber unverkennbar operativen Gesetze des De­signs aufzudecken und den Designern Werkzeuge zu geben, mit denen sie ihren Ideen Form geben können.«

Diese Überlegung deckt sich nahezu mit denen der frühen Philosophen der Ästhetik, jedoch vor einem völlig anderen Hintergrund. Die heutige Philosophie der Ästhetik gibt uns bis heute noch keine 108

Antworten auf diese Fragen. Statt über die gefährlichen Phänomene der sinnlichen Wahrnehmung zu diskutieren, verirrte sich die Diskussion über Ästhetik in Fragen von Kunst und Schönheit. Durch die romantische Kopplung von Schönheit und Wahrheit übersahen und übersehen die Gestalter ihre Verantwortung, wenn sie Ästhetik – in welcher Form auch immer – für unethische Ziele nutzbar machen. Wir müssen die Funktionsweisen von Ästhetik verstehen. Dazu sollten wir endlich aufhören, den Begriff mystifiziert romantisch zu ver­­klären. Ästhetik ist eine gefährliche Waffe und kein schmusiges Kuscheltier. Der Sinn des Menschen für das Schöne hat eine wichtige und vom Ursprung her sogar lebenswichtige Funktion. Der in Schwäbisch Gmünd lehrende britische Professor Peter Stebbing formulierte das in einem Vortrag so:

Instinkt

Peter Stebbing in einem Vortrag an der Universität von Lappland, März 2006

»Der Sinn für das Schöne ermöglicht es dem Menschen, Nahrung als essbar (Geschmack!), Umwelt als lebbar und Geschlechtspartner als genetisch passend einzuordnen.«

Stebbing zeigte anhand des Beispiels der Hüftkurve, wie und warum Menschen bestimmte Formen als schön ansehen. Man kann also beim ästhetischen Sinn von einem Instinkt sprechen. Nun ist der Mensch aber in der Lage, Schönheit künstlich zu ­schaffen und damit einen Schein zu erwecken. Ethisch fragwürdig wird das dann, wenn dieser Schein etwas vortäuscht, was nicht ­vorhanden ist. Zeigt man etwas Schönes, was nicht gut ist, erweckt man den Anschein des Guten. Erkennt der Mensch die Täuschung, wird sein Instinkt verunsichert. Hier kann man dann von einer ­Sinnkrise sprechen. Der moderne Mensch ist heute ständig der­ artigen Krisen ausgesetzt, und das geschieht oft unbewusst oder ohne Absicht. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Kino und auf der Großleinwand sehen Sie wunderschöne Aufnahmen aus der ­Ant­arktis. Ihre Augen signalisieren Kälte, die Temperatur im Kino beträgt 25 Grad plus, Ihre Haut signalisiert Wärme. Das Ergebnis ist eine unbewusste Sinnkrise, allerdings ohne Folgen.

Sinnkrise

In solchen Fällen aber, in denen die Sinne bewusst getäuscht ­werden, müssen wir dies ethisch hinterfragen. Wenn auch der am Marketing orientierte Entwicklungsprozess das Design vereinnahmt und die Gestalter deshalb ihrer Fähigkeit, entlang eines

Verantwortung

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ethisch ­fundierten Wertesystems visionär zu denken und zu handeln, beraubt werden, dann entlässt das den Designer noch lange nicht aus seiner Verantwortung. Wenn ein ethisch Sehender einem ethisch Blinden folgt, kann er sich nicht damit herausreden, der Fähigkeit des Sehens beraubt worden zu sein. Der Hinweis auf einen Befehlsnotstand dürfte seit den Nürnberger Prozessen eigentlich nicht mehr gelten. Oder im Sinne der deutsch-amerikanischen Gelehrten Hannah Arendt (1906–1975): Niemand hat das Recht, blind zu folgen. Wenn das blinde Marketing von den Designern etwas verlangt, was diese als ethisch nicht in Ordnung ansehen, müssen die Gestalter ihren Auftraggeber auf diesen Umstand aufmerksam machen, um dem Blinden die Augen zu öffnen. Geschieht das nicht und wird die unethische Denkweise durch den Designer unkritisch als ethisch dargestellt, dann trifft ihn sogar eine Hauptverantwortung: Weil er Menschen dazu verführt, sich durch unnützen Konsum ebenfalls ethisch falsch zu verhalten. Sie können jetzt Einspruch erheben. Nationalsozialismus und Marketing sind ja wohl nicht vergleichbar. Sind sie es wirklich nicht? Denken Sie einmal darüber nach. Wenn die Menschen so weitermachen wie bisher, indem sie erheblich mit dazu beitragen, das Klima dieser Erde zu zerstören, riskieren sie ihre Existenz auf diesem Planeten. Und da geht es um Milliarden von Menschen. Wie viele Kinder in der Dritten Welt ­sterben bereits heute durch den hirnlosen Überkonsum in unserer hochzivilisierten Welt? Natürlich würden wir alle lieber Menschenleben retten als ­Menschenleben vernichten. Wir haben die Chance dazu. Und wir haben die Macht, es zu ändern. Wir sollten uns deshalb damit auseinandersetzen, wie mächtig Design sein kann. Diese Macht brauchen wir, um die Welt aufzu­ räumen von dem Müll, den wir angehäuft haben. Diese Macht dürfen wir nicht weiter missbrauchen oder missbrauchen lassen, indem wir falsche Werte fördern. Wenn die Designer also eine Mitverantwortung tragen, dann brauchen sie Wissen über ethische Zusammenhänge. Und das Recht, unethische Leistungen zu verweigern und anzuklagen, aber auch die gesellschaftlich anerkannte Position, dies durchsetzen zu können. Ethische Werte

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Als klassische ethische Werte gelten u. a.: >> Ehrlichkeit >> Zuverlässigkeit

>> >> >> >>

Gerechtigkeit Fairness Empathie Bescheidenheit >> >> >> >>

gegenüber Anderen gegenüber der Gesellschaft gegenüber der Umwelt gegenüber zukünftigen Generationen

Wenn man Werbung für eine Waschmaschine macht, die ­ eplant nach 2500 Waschgängen ihren Geist unwiderruflich aufgibt g und diese Maschine als hochwertige Qualität anpreist, verstößt man gleich gegen eine ganze Reihe von ethischen Werten. Man lügt, ist nicht zuverlässig und unfair gegenüber Anderen, der Gesellschaft, der Umwelt und kommenden Generationen. Aber woher soll der Designer wissen, dass da ein Kaputtmacher eingebaut ist? ­Fragen Sie die Leute vom Marketing. Die erzählen Ihnen das sogar mit Stolz und halten sich für richtig clever. Hören wir also auf, uns für gute Menschen zu halten, nur weil wir schöne Dinge produzieren! Zum kulturellen Defizit schreibt Dr. phil. Hildegard Kurt, in Berlin lebende Kulturwissenschaftlerin, Autorin und Künstlerin in einem Aufsatz aus dem Jahre 2003:

6.3 Ästhetik und ­Nachhaltigkeit

Hildegard Kurt: Ästhetik der Nachhaltigkeit (H. Strelow: Ökologische Ästhetik. Theorie und Praxis künstlerischer Umweltgestaltung, 2004, Seiten 238–241)

»Wer nach Gründen für die fehlende Attraktivität der Jahrhun­ dertaufgabe Nachhaltigkeit sucht, wird auf das kulturelle Defizit der Konzeption des Leitbildes stoßen. Tatsächlich sucht man in der Rio-Deklaration und der Agenda 21 die Künstler als Akteure ­vergeblich. Entweder es hat eine Ästhetik der Nachhaltigkeit immer schon gegeben oder es gibt sie nie.«

Dass die Künstler als Akteure in der Diskussion um Nachhal­ tigkeit fehlen, ist ein Indiz für die in diesem Buch an verschiedenen Stellen geäußerte Vermutung, wonach sich Kunst (und Design) selbstverschuldet in die Sackgasse der Scheinwelt verirrt haben. Doch kann dieser Umstand den Vordenkern der Nachhaltigkeit nicht angelastet werden. Um den von Hildegard Kurt aufgezeigten Mangel der Präsenz von Kunst und Kultur in der Diskussion um 111

Nachhaltigkeit zu beheben, müssen sich die Kulturschaffenden dafür erst kompatibel machen. Natürliche ­Entsprechung

Nachhaltig­ keitsformel

Unterstellen wir einmal, dass Kunst und Design – aus einem ­Missverständnis über Ästhetik und der daraus resultierenden philosophischen Diskussion – ihrer gesellschaftlichen Aufgabe nicht gerecht werden. Unterstellen wir weiterhin, dass Hegels Neudefinition der Rolle der Kunst in der modernen Gesellschaft nicht die aristotelische Regel ars imitatur naturam ablösen, sondern ergänzen sollte. Sehr leicht lässt sich dann die gesellschaftliche Aufgabe der Kulturschaffenden mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit ­verknüpfen – mehr noch: Nachhaltigkeit ist danach eine Grund­ voraussetzung von Kunst und Design. Ars (griech. [τεχνη] techni) kann man dabei nicht einfach mit Kunst übersetzen, man muss die Bedeutung vielmehr als das künstlich Geschaffene verstehen. Damit ist Kunst die kulturell relevante und qualitativ hervorragende Form des künstlich Geschaffenen. Imitatur bedeutet nicht imitieren im heutigen Sinne, also nachahmen. Das Verb imitari kann auch als sich etwas zum Vorbild oder als Muster nehmen übersetzt werden. Die Form ­imitatur ist im schwächsten Fall eine höfliche Empfehlung, kann aber auch als unbedingter Befehl interpretiert werden. Der Begriff naturam (griech. [φύση] physi) bezeichnet hier auch nicht einfach nur die Natur, sondern vielmehr das ­Natürliche. Demnach heißt ars imitatur naturam nicht, die Kunst möge die Natur kopieren. Diese Denkweise hatte Platon bereits als nicht aus­reichend bemängelt. Die korrekte und philosophisch so gemeinte Übersetzung lautet daher: Das künstlich Geschaffene muss den Funktionsprinzipien der Natur entsprechen! Daraus resultiert im Umkehrschluss, dass das künstlich Geschaffene den Gesetzen der Natur nicht widersprechen darf. Die Ästhetik des künstlich Geschaffenen muss der nachhaltigen Ästhetik der Natur folgen. Diese Formel hätte sowohl für die Kunst als auch für das Design Bedeutung, ohne ihre unterschiedlichen Funktionen dabei zu beeinträchtigen. Um die praktische Umsetzung angehen zu können, brauchen wir das Wissen um die theoretischen Grundlagen der Zeichen. Darüber im folgenden Kapitel mehr.

112

7

Design ist angewandte Semiotik

Das Wissen über Semiotik und die Fähigkeit, die theoretischen Erkenntnisse praktisch umzusetzen, sind Voraussetzung für jede Gestaltung. Die Semiotik ist die Wissenschaft der Zeichen. Das Zeichen ist ein Element von Zeichensystemen. Zeichen können bildbasiert und schriftbasiert sein. Wie können Sie als Designerin und Designer zielgerichtet damit arbeiten?

Der belgische Maler René Magritte (1898–1967) ärgerte seine Zeitgenossen mit dem Gemälde ceci n’est pas une pipe, auf dem eine Pfeife abgebildet war. Die Betrachter fühlten sich auf den Arm genommen, glaubten an einen hintergründigen Witz. Dem war aber nicht so. Es war Magritte damit sehr ernst. Er versuchte nämlich, Semiotik zu erklären. Es war tatsächlich keine Pfeife, es war das Symbol für eine Pfeife. Genauso wie auch das Wort Pfeife ein Symbol als solches ist. Fundiertes theoretisches Fachwissen über Semiotik und die Fähigkeit der praktischen Anwendung dieser Erkenntnisse sind Grundvoraussetzungen, um präferierte Situationen zielgerichtet gestalten zu können. Bei der Analyse bestehender Situationen und ihren Ursachen kann man zum Teil auf statistisch gemessene, ­empirische Werte zurückgreifen. Andere Trends manifestieren sich jedoch nur durch semantisch darstellbare Zeichen. So lassen sich z. B. die Befindlichkeiten einer Gesellschaft an Farb- und Form­trends ablesen und logisch fortschreiben. Zeichen zu erkennen, zu interpretieren und zu projizieren, verlangt aber mehr als Intuition und Daumenpeilung.

7.1

Um die Zukunft verstehen zu lernen, ist es sinnvoll, etwas über die Geschichte der Semiotik zu wissen. Semiotik ist älter als Astrologie, erfuhr aber in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts eine Renaissance und galt zeitweise als neu. Tatsächlich gibt es aber seit der Erfindung der Schrift Nachweise, dass man sich schon damals mit den Erkenntnissen der Semiotik auseinandersetzte. Wenn man weiß, warum die Menschen etwas

Geschichte

Der Verrat der Bilder

der Semiotik

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taten, wird klar, dass der Steinzeit-Mensch bereits einiges über ­ emiotik wusste und diese Wissenschaft auch nutzte. Zeichen waren S und sind für den Menschen demnach von existenzieller Bedeutung. Rauch ist ein Zeichen, ein Sem, das auf die Existenz von Feuer hinweist. Der Tatzenabdruck eines Bären auf dem Waldboden ist ein Zeichen dafür, dass jagdbares Wild in der Nähe ist. Schon früh lernten die Menschen, differenzierte Laute zu bilden und damit Dinge zu bezeichnen. Aristoteles: Peri hermeneias (de interpretatione; 16a 3–8)

»Die gesprochenen Laute sind Zeichen von Gefühlen, die in der Seele hervorgerufen werden und Schrift wiederum ist ein Zeichen für die Laute. Da nicht alle die gleiche Schrift haben, sind auch die Laute für alle nicht gleich. Das, wofür sie aber in erster Linie Zeichen sind, nämlich für Empfindungen der Seele, ist gleich für alle Menschen; und das, was die Empfindungen darstellen, nämlich tatsächliche Dinge, ist ebenso gleich.« 7.2 Semiotik ist die ­Wissenschaft der Zeichen

Scientia de signis

Augustinus von Hippo (354–430) ist einer der bedeutendsten christlichen Kirchenlehrer und ein wichtiger Philosoph der Epochenschwelle zwischen Antike und Mittelalter. Er definierte um das Jahr 400 n. Chr. ein Zeichen als aliquid stat pro aliquo: Etwas steht für etwas. Im 13. und 14. Jahrhundert lehrte die frühe Scholastik um Thomas von Aquin (1225–1274) drei Wissenschaften: Philosophia Moralis, ­Philosophia Naturalis und Scientia de signis. Johannes a Sancto Thoma (1589–1644) definierte Zeichen als Instrumente des Erkennens und der Kommunikation (omnia ­instrumenta quibus at cognoscendum et loquendum utimus signa sunt). Die Wissenschaft der Zeichen verstand sich also seit jeher als Wissenschaft des Erkennens und als Wissenschaft der Kommunikation. Erkennen ist mehr als Wahrnehmung, wie Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) es formulierte: Leibnitz in Hans Burkhardt: Logik und Semiotik in der Philosophie von Leibnitz, 1980, Seite 175 (zitiert in Winfried Nöth: Handbuch der Semiotik, Stuttgart 2000)

»Ein Zeichen ist ein Wahrgenommenes, aus welchem man die ­Existenz eines Nicht-Wahrgenommenen schließen kann.« Ein Zeichen kann für eine Sache (res) stehen oder für einen Gedanken (conceptio, idea, cogitatio).

114

Er untersuchte Schriftzeichen und graphische Symbole (characteres) und definierte diese als sichtbare Zeichen, die Gedanken repräsentieren. Leibniz sah die Bedeutung der Semiotik als Theorie der sichtbaren Zeichen (im Gegensatz zu verbalen Zeichen) und entwarf damit die fortschrittlichsten Strukturen für eine moderne Design-Ausbildung, zweihundert Jahre bevor sich dieser Beruf als solcher etablierte. Nach seiner Vorstellung sollte das Studium der Zeichen folgende Disziplinen beinhalten: >> Ars Characteristica – das Studium der einzelnen Zeichen >> Rationales Kalkül – die Kombination der Elemente >> Ars Vivendi – die kreative Anwendung von Zeichensystemen

Entwurf einer Design-Ausbildung

So ist der Rückgriff in die Vergangenheit eigentlich ein Schritt in die Zukunft. Denn kluge Köpfe haben bereits vor hunderten von ­Jahren die Grundlagen für die Designzukunft gelegt. Ob Hegel mit seiner richtungweisenden Vision der zukünftigen Aufgaben oder Leibniz mit seinen Konzepten einer Design-Ausbildung. Wir könnten zweihundert Jahre weiter sein, hätten wir uns nicht in der sinnlosen Diskussion über eine Pseudoästhetik verloren. Dabei hätte man durch aufmerksame Beobachtungen selbst darauf kommen können. Egal, welches Werk der bildenden Kunst wir betrachten – die erste Frage, die wir stellen, ist die nach der Semiotik und nicht die der Ästhetik. Picasso’s Guernica ist ein großes Kunstwerk wegen seiner semantischen und nicht wegen seiner ästhetischen Inhalte. Was will uns der Künstler sagen? ist die Frage nach den Zeichen. Unsere großen Philosophen haben unseren Beruf bereits wissenschaftlich untersucht, bevor es ihn gab. Dazu zählt auch Christian Wolff (1679–1754), der 1720 in Kapitel III seiner Philosophia sine onthologica (§294) unter der Überschrift de signo (sic) natürliche und willkürliche Zeichen unterschied. Als willkürliche Zeichen verstand er jene, bei denen wir nach Gefallen zwei Dinge miteinander an einen Ort bringen, die sonst für sich nicht zusammenkommen würden. Als Beispiele brachte er die Schilde der Handwerker und Künstler – wir würden heute von Logos sprechen. Auch A. W. Baumgarten, der Begründer der Ästhetik, kam von der Semiotik (Metaphysica 1739, §349 Semiologia Philosophica). Semiotik als Wissenschaft war zwar nie verschwunden – sie spielte in der akademischen Forschung und in der verträumten Diskus-

Wissenschaftliche Analyse

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sion über die schöne Ästhetik aufgrund der ungeheueren Entwick­ lung der Naturwissenschaften aber auch keine herausragende Rolle. Ihre Renaissance in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte keinen erkennbaren Auslöser. Doch seit dieser Zeit hat sich die Semiotik als eine sehr dynamische Wissenschaft entwickelt. ­Derzeit ist eine der herausragendsten Persönlichkeiten in der Semiotik Umberto Eco, den die meisten, wenn überhaupt, als Verfasser des Buches Il nome della rosa (dt.: Der Name der Rose) kennen. Sein Talent, klar und verständlich zu erzählen, macht es zu einem Vergnügen, Näheres über die Grundbegriffe der Semiotik zu erfahren. 1969 beschloss die International Association of Semiotic Studies die Wissenschaft der Zeichen einheitlich als Semiotik zu bezeichnen. Seit 1972 gilt Visuelle Kommunikation als ein erklärter Fach­ bereich innerhalb der Semiotik. Max Bense (1910–1990), der Begründer der Stuttgarter Schule der Semiotik, ist einer der herausragenden deutschen Semiotiker. Progressive Design-Ausbildungsinstitute der damaligen Zeit, meist der Bauhaus-Idee nahestehend, versuchten, Semiotik in ihr Lehrangebot aufzunehmen. Auch gab es Kontakte zwischen ihnen und Bense. Diese Bemühungen fanden ihren Niederschlag vor allem darin, dass man den Ausbildungsgang nur kurz nach seiner Umbenennung von Gebrauchsgrafik zum Grafikdesign dann Kommunikationsdesign nannte (Neudeutsch: Visual Communication Design). Der Versuch der Intellektualisierung der Designausbildung geriet jedoch zunehmend unter den Druck der gesellschaftlichen Kommerzialisierung und des aufkommenden Marketings in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Aus einem Mangel an Hintergrundwissen führte dies dann in nicht wenigen Fällen zu einem unbeabsichtigten Etikettenschwindel. Mit anderen Worten: Vielerorts wurde und wird weder Grafik- noch Kommunikationsdesign unterrichtet, sondern am ­Marketing orientierte Reklamedekoration. Begriffsverwirrung und Fehlgestaltung

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Unsere Zeit ist geprägt von einem Phänomen der Begriffsverwirrung. Worte werden ihres Inhaltes beraubt, ausgehöhlt, ausgelutscht und weggeworfen. Die Ausübung eines Berufes ohne entsprechendes Hintergrundwissen könnte man böswillig als Dilettantismus bezeichnen. Und betrachtet man manche Ausprägungen des Designs im ­Alltag, die einer visuellen Umweltverschmutzung bisweilen sehr nahe kommen, dann scheint an diesem Vorwurf etwas dran zu sein. Wie wenig Designer etwas von Semiotik verstehen, sieht man tag­ täglich in der gestalteten Umwelt.

Am Flughafen im norwegischen Bergen zum Beispiel gibt es zwei Abflugbereiche: National (1) und International (2). Als Reisender erkennt man das aber nicht so einfach. Im nationalen Bereich gibt es etwa acht Gates, im internationalen etwa sechs. Die Nummer jedes Bereiches wird nun vor die Nummer des entsprechenden Flugsteigs gesetzt, ohne Punkt und Komma, im gleichen Schriftschnitt. Also gibt es die Flugsteige 11 bis 18 und 21 bis 26. Der Flughafen wirkt dadurch größer als er ist: 26 statt 14 Flugsteige. Die Schilder am Flugsteig zeigen aber nicht nur die Nummer, ­sondern auch einen Pfeil Richtung Flugsteig, (unnötig, weil es nur die eine Richtung gibt), das Piktogramm Abflug (unnötig, weil man sich ja bereits im Abflugbereich befindet) und die zwei­ sprachige Erklärung Utgang, Gate. Utgang bedeutet aber Ausgang. Wer den Ausgang sucht, landet also auf einem Flugsteig. Die einzelnen Elemente wurden zudem noch willkürlich – quasi nach Gutdünken – auf dem Schild verteilt, ein Ordnungsprinzip ist jedenfalls nicht erkennbar. Der Gestalter dieses Orientierungs­ systems gestaltete die Schilder nach konventionellen Kriterien. Auf ein funktionierendes Flughafenschild gehören ein Pfeil und ein Piktogramm. Statt all der unterschiedlichen Systeme mit redundanten Informationen wie Logogramm (Zahl), Piktogramm (Abflug), Ideogramm (Pfeil) und alphabetisches Phonogramm würde es ­reichen, für Flugsteig 22 nur groß B2 zu schreiben. Dazu müsste man aber etwas von Semiotik verstehen.

Visual Communication Design ist die praktische Anwendung der Theorie der Semiotik und nicht der Ästhetik. Der deutsche Anglist, Linguist und Semiotiker Winfried Nöth hat ein umfangreiches Handbuch der Semiotik verfasst, das für Designer das nötige Grundwissen enthält. Die Industriedesigner werden in diesem Buch jedoch mit ­Verwunderung feststellen, dass sich die Wissenschaft der Semiotik mit der Semiotik von Gebrauchsgegenständen sehr schwer tut. Man scheint sich zwar einig darüber zu sein, dass Artefakte neben den rein praktischen Funktionen auch semiotische Funktionen haben. Aber nicht alle Produkte entsprechen auch dem Prinzip Form follows Function. Manche Produkte haben eine rein symbolische Funktion und ihre gestaltete Form wird von Designern bewusst mit Werten angereichert, die semiotische Funktionen haben. Hier sind Produkte gemeint, die als Statussymbol gelten und weit über ihren praktischen Nutzen hinausgehen. Der Begriff Funktionalismus wird

Theorie und Praxis

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sowohl in der Semiotik als auch im Design benutzt, jedoch in unterschiedlicher Bedeutung. Während im Design gerne auf das Bauhaus verwiesen wird, versteht die Semiotik den Begriff eher philosophisch. Funktionalismus wird definiert als die Denkweise, die Tatbestände nicht als isolierte Gebilde, sondern in Wechselwirkungen zu anderen auffasst bzw. in Abhängigkeit zu den Bestandteilen sieht, aus denen sie hervorgebracht wurden. Die Sprachlosigkeit zwischen der Theorie der Semiotik und der Praxis des Designs hat eine doppelt nachteilige Wirkung. Denn in manchen Fällen haben Designer Antworten auf Fragen, mit denen sich die Semiotik schwer zu tun scheint und umgekehrt. Im Zuge der Akademisierung der Designberufe ist aber zu vermuten, dass diese Kommunikationsbarriere zwischen Theorie und Praxis überwunden wird. 7.3 Das Zeichen als ­Element von ­Zeichensystemen

Der amerikanische Mathematiker und Philosoph Charles Sanders Peirce (1839–1914) gilt als der Begründer der neueren Semiotik. ­Dieses von seinen Zeitgenossen weitgehend ignorierte Universal­ genie wird heute von Manchen als der bedeutendste Philosoph der USA angesehen. Er definierte Zeichen als Something which stands to somebody for something in some respect or capacity (Etwas, das für Jemanden als Etwas in irgendeiner Beziehung oder Eigenschaft steht). Damit erweiterte er die Definition von Augustinus von Hippo (Etwas, das für Etwas steht), die in ihrer Einfachheit die Komplexität kognitiver Prozesse nicht ausreichend repräsentierte. Bereits Aristoteles untersuchte die Semantik der verbalen ­Kommunikation und unterschied zwischen: >> onoma – die Bezeichnung einer Sache >> rhema – das Zeichen in einem Kontext >> logos – ein komplexes Zeichensystem wie eine Rede Seit Aristoteles wird immer wieder der Versuch unternommen, die triadische Beziehung eines Zeichens neu zu interpretieren oder zu verändern. Im Prinzip sind sich jedoch alle Semiotiker einig: Das Zeichen (1), meist Repräsentamen genannt, bezieht sich auf ein Objekt (2), die Bedeutung des Zeichens (3), oft als Interpretant bezeichnet. Lassen Sie uns dies an einem Beispiel erläutern: >> Objekt: eine humanitäre Organisation. >> Zeichen: ein rotes Kreuz auf weißem Grund. >> Bedeutung: Rettung von Menschenleben.

118

Hierzu finden Sie im Anhang die Infografik 7 (Seite 312).

Ein Zeichen agiert auf drei verschiedenen Ebenen: >> Semantik – das Zeichen in Bezug zu seiner Bedeutung >> Syntaktik – das Zeichen in Bezug zu anderen Zeichen >> Pragmatik – das Zeichen in Bezug zu seinem Ursprung, dem Effekt auf den Betrachter und auf den Gebrauch, den man von diesem Zeichen macht Peirce definierte für Zeichen in verbaler und visueller Kommu­ nikation: >> rhema – der einzelne Ausdruck >> dicent – der Satz >> argument – ein komplexer Gedanke Auch hier kommen alle Versuche, dies anders darzustellen, immer wieder zu dem gleichen Ergebnis. Ordnet man diesen unterschiedlichen Ebenen (Semantik – Syn­ taktik – Pragmatik) kommunikative Funktionen zu, so ergeben sich folgende Zuordnungen: >> Orientierung: das Zeichen >> der einzelne Ausdruck – Peirce >> das einzelne Element – Leibniz >> die Bezeichnung einer Sache – Aristoteles

Kommunikative Funktionen

>> Information: das Zeichen im Kontext >> der Satz – Peirce >> die Zeichenkombination – Leibniz >> das Zeichen im Kontext – Aristoteles >> Inspiration: ein komplexes Zeichensystem in Relation zum Effekt auf den Betrachter >> der komplexe Gedanke – Peirce >> der kreative Gebrauch von Zeichenkombinationen – Leibniz >> ein komplexes Zeichensystem – Aristoteles In mehr als 2 000 Jahren hat sich also nichts Grundlegendes am System geändert, sodass man davon ausgehen kann, dass sich das Konzept bewährt hat.

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7.4 Bildbasierte und schriftbasierte ­Zeichen Graphemik

Überlegenheit ­chinesischer Schrift

120

Die Wissenschaft der Semiotik unterscheidet in der Visuellen K ­ om­munikation zwischen bildbasierten und schriftbasierten Zeichen. Bereits Leibniz wusste in diesem Zusammenhang, dass andere Kulturen anders funktionieren als unsere europäische Kultur. Die für Kommunikationsdesigner relevante Forschung wird seit Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts unter dem Begriff Graphemik zusammengefasst. Warum gerade diese Forschung für die Kommunikations­ designer wichtig ist, ergibt sich aus den medientechnischen ­Entwicklungen einerseits und der Globalisierung andererseits. Wenn wir der Ansicht sind, dass unser alphabetisches System das Ende der Entwicklung darstellt und alle anderen Systeme unserem System unterlegen sind, dann unterschätzen wir die ­Dynamik der aktuellen Entwicklung. Gesicherte Erkenntnis und daher Fakt ist, dass die Entwicklung von Schrift als Kommuni­­ kationsmittel dynamisch im Fluss ist und bei weitem nicht als ­abgeschlossen angesehen werden kann. Es gibt Forschungsergebnisse, die prognostizieren, dass unsere Schrift irgendwann verschwinden, das chinesische System vom Prinzip aber überleben könnte, weil es dem alphabetischen System in manchen Aspekten überlegen ist. Man darf auch nicht unterschätzen, dass 1 000 Millionen Menschen eine jahrtausendealte Tradition nicht so einfach aufgeben werden, sondern vielmehr bemüht sein werden, ihr System zu erhalten. Die chinesischen Schriftzeichen unterscheiden sich nicht nur systematisch von unserer europäischen Schrift. Vor rund 5 000 Jahren begann man in Europa gesprochene Laute zu analysieren, zu differenzieren, zu katalogisieren und gestalteten Zeichen zuzuordnen. Anfangs waren es nur die Konsonanten (bis zu 300 verschiedene). Die Vokale galten als negierbare Bindelaute. Die arabische Schrift verfährt noch heute so. Über mehrere Jahrhunderte wurde an ­diesem Konzept gearbeitet, es wurde verändert, verworfen, verbessert. Irgendwann kamen Kleinbuchstaben dazu. Unabhängig von den Europäern hatten die Chinesen begonnen, ein eigenes Konzept zum Übertragen, Archivieren und Memorieren von Gedanken zu entwickeln. Man nahm als Ausgangspunkt aber nicht den einzelnen Laut, sondern ganze Begriffe. Dies liegt in der Eigenart der chinesischen Sprache, deren Aussprachevielfalt sich für eine Lautschrift nicht eignet. Auch hier wurde über all die Jahrtausende ständig nach Optimierung gesucht. Die letzte große

Reform fand 1958/59 statt. Das chinesische Wortzeichen ist unabhängig von der gesprochenen Sprache. Als Europäer kann man die Bedeutung dieser Zeichen in der eigenen Sprache lernen, und wenn man etwa 2 000 Zeichen beherrscht, kann man eine chinesische ­Zeitung lesen, ohne ein Wort chinesisch zu sprechen. Chinesische Wortzeichen besitzen etwas, was europäischen Lautsystemzeichen fehlt: eine Seele. So setzt sich zum Beispiel das Zeichen für Mann aus dem Zeichen für Feld und dem Zeichen für Pflug zusammen. Ein Mann ist also jemand, der mit einem Pflug ein Feld beackern kann. Er schafft dadurch die Lebensgrundlage für eine Familie. Somit ist ein Mann jemand, der eine Familie ernähren kann. Bei uns bedeutet das Wort Mann schlicht Mann. Es ist Gegenstand der semiotischen Forschung zu hinterfragen, ob nicht auch in den Lautsystemzeichen eine versteckte Seele zu finden ist. Einig ist man sich, dass die Art der Schrift (neudeutsch: Font) eine Seele hat. In der typografischen Gestaltung haben wir täglich damit zu tun. Nach dem Aussterben der fachlich geschulten Typografen jedoch pflegen Designer heute gerne Schriften nach Gusto einzusetzen, häufig unter Missachtung aller typografischen Regeln. In Ermangelung von theoretischem Fachwissen über den Stand der Forschung und der bereits angesprochenen Sprachlosigkeit zwischen der semiotischen Wissenschaft und der semiotischen Praxis des Designs, weiß weder der Designer, was er tut, noch der Forscher, warum etwas so getan wird. Hier gibt es also viel nach­zuholen. Ist Schrift ein autonomes Zeichensystem in sich selbst oder nur ein zweitrangiger Code, der die Lautsprache repräsentiert (Phonetik)? Gibt es zwischen der Form eines Buchstabens und seinem Laut einen Zusammenhang? Die Theorie ist hier in zwei Lager gespalten. Der Schweizer Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure (1857–1913) und seine Nachfolger definieren Schrift als zweitrangig im Verhältnis zur gesprochenen Sprache. Andere gehen von einem autonomen System aus, das neben der gesprochenen Sprache ein Eigenleben führt und es gibt dafür einige sehr gute Argumente. Als typografisch orientierter Designer weiß man natürlich, dass Schrift ein autonomes System ist, denn wir benutzen es täglich so. Nehmen wir nur den Frankfurter Flughafen, wo die großen Flugsteige mit A, B und C bezeichnet werden. Wir benutzen also Schrift ohne das gesprochene Wort als Zeichen der Orientierung.

Seele der Schrift

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Bildkommunikation  – Ikonologie

Sprache und Bild

Nicht zu vergessen ist das weite Feld der Bildkommunikation, das in der Semiotik als Ikonik oder Ikonologie bezeichnet wird. Dieser Fachbereich beschäftigt sich auch mit Fragen der Perzeption (oder der Aisthetik, einem vom Griechischen abgeleiteten Fremdwort), also der Wahrnehmung. Wie nehmen wir Bilder wahr? Wie unterscheidet das Gehirn relevante von nicht relevanten Bildern? Wird unsere Wahrnehmung von empirischen Konventionen oder natürlichen Instinkten ­dominiert? Der britische Kunsthistoriker österreichischer Herkunft Ernst Hans Gombrich (1909–2001) beschreibt, dass sich der Mensch seiner visuellen Umwelt gegenüber nicht neutral verhält. Ähnlich wie ein Tier sieht er vielmehr Dinge und Zeichen als relevant an, die für sein Überleben in irgendeiner Form von Bedeutung sind. Wir sind also vorprogrammiert und halten unbewusst ständig Ausschau nach ­Zeichen, die uns Dinge oder Vorgänge als nützlich oder schädlich erkennen lassen. Unsere Fähigkeit, ein Objekt bewusst wahrzu­ nehmen, wird wahrscheinlich unbewusst von der Frage nach seiner biologischen Relevanz gesteuert. Es gibt Anzeichen dafür, wonach bei Zeichen, die für den Menschen biologisch wichtig sind, oft nur ein schwacher Reiz genügt, um Reaktionen auszulösen. Zum Verständnis der selektiven Wahrnehmung müssen Sie sich eine Kamera vorstellen. Sie nimmt alles auf, was ihr vor die Linse kommt. Wie oft haben wir dann später auf den Abzügen Dinge erkannt, die wir vorher gar nicht gesehen hatten. Als visuell geschulter und trainierter Mensch nimmt man um ein Vielfaches mehr wahr als ein ungeschulter Normalbetrachter. Die Forschung in diesem Bereich beschäftigt sich auch mit dem Phänomen, dass unsere Sprache eigentlich ein sehr beschränktes Vehikel ist. Nachlesen können Sie dazu auch über Aristoteles und Ästhetik im vorherigen Kapitel.

Wir kennen den Satz: Ein Bild sagt mehr als 1 000 Worte. Bein­hal­ ten also Bilder Informationen, die sprachlich nicht darstellbar sind? Schränkt unsere sprachliche Begrenzung auch unsere Bildwahr­ nehmung ein? Beeinflusst die Sprache die Bildwahrnehmung? Mit Sicherheit gibt es eine gegenseitige Beeinflussung von Text und Bild. So kann ein Text die Bedeutung eines Bildes verändern und umgekehrt. 122

Sprache ist nur eine Krücke. Versuchen Sie dem Menschen, den Sie lieben, einmal Ihre Gefühle zu beschreiben. Das Wort, das Sie benutzen werden, benutzt McDonald’s bereits für HamburgerWerbung, es ist also schon deutungsbesetzt. Mit Zeichen geht das sehr viel präziser. Sie würden die Liebe zu Ihrem Hund wohl kaum durch eine Rose kundtun. Auch das Symbol des Herzens hat seit Adam und Eva einige Veränderungen erfahren: I Herz NY heißt Ich liebe New York. Dieser Entwurf des amerikanischen Grafikdesigners Milton Glaser aus dem Jahr 1975 gilt als eines der meist kopierten Zeichen der Welt. Auch Smily gehört dazu (1963 vom ­amerikanischen Werbegrafiker Harvey Ball entworfen und später von dem französischen Journalisten Franklin Loufrani in über 80 Ländern als Geschmacksmuster gesichert). Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang auch die aus der SMS-Technik entstandene Symbolschrift: >> :-) ich freue mich >> ;-) zwinker, zwinker >> :-( ich bin traurig >> :-b ätsch >> :-* Kuss

Symbolschrift

Sie funktioniert weltweit unabhängig von Sprache und könnte als Indiz einer entstehenden globalen Symbolschrift gesehen werden. Die Semiotiker suchen nach der Logik in der Bildwahrnehmung und träumen von einer Grammatik der Bildsprache. Das Bild als Zeichen hat zwei Aspekte, die gegenpolig zueinander stehen: Das wahrgenommene Bild und das mentale Bild. Die englische Sprache ist hier etwas präziser: Sie unterscheidet zwischen dem Picture und dem Image. Das Image ist die Interpretation eines Pictures oder eine reine Vorstellung ohne tatsächlichen Stimulus von außen. Der derzeitige Stand der Forschung führt zwar ständig zu neuen Detailerkenntnissen – das ganze Bild von der Bildsemiotik aber haben wir damit noch nicht. Wenn wir uns darauf verständigen ­können, dass Bilder Stimuli sind, die unterschiedlich intensive mentale Reaktionen auslösen können, dann sind Bilder eine Form von Energie. Wir alle wissen, dass Bilder sogar sehr starke emotionale Reaktionen auslösen können, bis hin zum katastrophal wirkenden Schock, der die Psyche nachhaltig verändern kann. Dabei drängt sich manchmal der Verdacht auf, dass wir ­(Designer) mit dieser potenziellen visuellen Munition recht verant-

Picture – Image

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wortungslos (bis gedankenlos) umgehen. Wir sollten deshalb immer daran denken, dass auch andere als nur die Zielpersonen getroffen werden können. Nicht alles, was zeigbar ist, sollten verantwortlich denkende Designer auch zeigen. Wir dürfen eine ethische Abstumpfung nicht mit Toleranz verwechseln. Die Grenzen weit überschritten hatte der Gestalter eines Plakates, das einen erigierten Penis im lustigen rosafarbenen Kondom zeigte. Geworben wurde für die Teilnahme an einem Faschings-Maskenball, im Grunde für eine Sexparty in geschlossenen ­Zirkeln. Ohne die Gefahr einer mentalen Vergewaltigung Unschuldiger, in die sich der Plakatgestalter damit begab, wäre das sicher irre witzig gewesen. Das Plakat hing aber an einer öffentlichen Plakatwand an einer Bushaltestelle ganz in der Nähe einer Gemeinschaftsschule, die besonders viele Schüler mit Migrations­hintergrund besuchten. Was geht beim Anblick eines solchen ­Plakats in einem vorpubertierenden islamischen Mädchen vor? Der Gestalter hatte das Plakat mit Urhebervermerk ­versehen, aus dem hervorging, dass er Professor für Visuelle ­Kommunikation an einer deutschen Hochschule war. Wie auf der Grundlage der Semiotik der Kernnutzen des Kommunikationsdesigns herausgearbeitet werden kann, darüber mehr im folgenden Kapitel.

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8

Orientieren, Informieren, ­Inspirieren – Über den Kernnutzen von Kommunikationsdesign

Die Zukunft des Designs hat weit zurückliegende Ursprünge. Orientierung war bereits in der Steinzeit überlebenswichtig. Informationen über Schrift und Design verständlich vermitteln zu können, ist die Voraussetzung dafür, Fehl-Wahrnehmungen und Fehl-Entscheidungen zu vermeiden. Das Inspi­ rierende nützt der Beschaulichkeit, der Unterhaltung, der Dekoration, aber auch der Manipulation. Was wird diesbezüglich auf Sie als Desig­ nerin und Designer zukommen?

Auf der Suche nach Spuren des Designs der Zukunft muss man weit in die Geschichte der Menschheit zurückgehen. Dort angekommen, muss man aus den unterschiedlichen Erscheinungsformen den gemeinsamen Nenner herausfiltern, der den oder die Kern­ nutzen von Design definiert. Auffällig ist die traditionelle Nähe zu mystischen Kulten oder Religionen. Bemerkenswert erscheint es auch, dass Juden, Christen und Moslems ein Bilderverbot kennen.

8.1 Kult und Religion

Exodus 20, 4 (Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift: Katholische Bibelanstalt, Stuttgart 1980)

»Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im ­Wasser unter der Erde.«

Dem Tun der Gestalter wurden demnach schon damals Grenzen gesetzt. Auch der moderne Designer bedient die Ersatz­ religion des Konsums. Verhaltensforscher vergleichen MegaStores und Shopping-Galerien mit Kirchen, manche sind sogar gebaut wie Kathedralen. Designer firmierten in der Vergangenheit unter zahlreichen unterschiedlichen Begriffen, die meist aus der Art der Tätigkeit oder dem benutzten Material abgeleitet wurden, nicht aber aus dem gesellschaftlichen Nutzen. Es gab den Holzschneider, den Kupferstecher,

Vorzeichner und ­Ausmaler

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den Illustrator, den Schildermaler, den Schriftsetzer, den Bildhauer, etc. Schon zur Zeit der Ägypter gab es eine hierarchische Arbeits­ teilung. Der Vorzeichner (im heutigen Sinne Art-Director) legte die Konturen fest und übertrug sie mit roter Farbe auf das Träger­ material. Ausmaler (heute würden wir von Layoutern reden) vollendeten das Bild. Diese Praxis war bis zur Zeit Gutenbergs üblich. Die Farbe der Vorzeichnung war aus rotem Bleioxidpigment hergestellte Mennige, lateinisch Minium. Der Vorzeichner wurde auch Miniator genannt, das Ergebnis seiner Arbeit war die Miniatur. Die Tätigkeit hieß Miniaturmalerei, die übrigens nichts mit mini zu tun hat, einer Verkleinerung, abgeleitet von Minimum (kleinst). Das Ergebnis der jeweiligen Tätigkeiten hatte entweder orien­ tierende, informierende oder inspirierende (bis unterhaltende) Funktion – damit ist der Kernnutzen definiert. 8.2 Orientierungsdesign

Höhlenmalerei

126

Kommunikationsdesign mit primär orientierender Funktion gab es schon in der Steinzeit. Erste Zeugnisse von Design findet man in den Höhlen der Steinzeitmenschen. Archäologen und Historiker stehen heute staunend vor diesen Wandgemälden und suchen nach wissenschaftlichen Erklärungen für ihr Entstehen. Da man keine logisch rationalen Gründe findet, können sie nur mystisch religiöser Natur gewesen sein. Was sagen die Archäologen wohl in 10 000 Jahren, wenn sie unsere Graffiti­ausgraben? Wenn sie dann noch an verschiedenen Stellen der Erde CocaCola-Schilder finden, werden sie wahrscheinlich Spuren eines versunkenen Königreiches dahinter vermuten. Die Fundamente der Einkaufszentren werden sie zu Tempeln eines untergegangenen Kultes erklären, die der Großbanken zu Königs­ palästen. Die Tendenz zur romantischen Verklärung der Funde stammt aus den frühen Zeiten der modernen Archäologie, als es mehr um Schatzsuche als um historische Forschung ging. Sicher und unbestritten ist, dass die Höhlenmalereien nicht aus dekorativen Gründen entstanden sind. Die Höhlenmaler waren in der Regel außerordentlich gute Illustratoren und ihre Technik und Ausdruckskraft lassen vermuten, dass sie einen Pinsel nicht zum ersten Mal in der Hand hielten. Das waren Profis, die ihr Handwerk verstanden. Versetzen wir uns einmal in die damalige Gesellschaft. Wichtigster Wirtschaftszweig war die Jagd. Man darf sich das nicht so ­vorstellen, dass die Jungs damals fröhlich loszogen und das erstbeste

Mammut mit einem gezielten Keulenschlag zwischen die Augen erlegten. Jagd setzte sorgfältige Planung, aufwendige Vorbereitung, eingeübte Teamarbeit und Kommunikation über große Distanzen voraus. Die Beutetiere wurden in der Regel in vorbereitete Fallgruben, Engpässe oder Gatter getrieben und dort erschlagen, erstochen oder später mit Pfeil und Bogen erschossen. Es gibt einige Darstellungen bei den Höhlenmalereien, die Jäger bei der Jagdausübung andeuten und sowohl als Aufzeichnungen von Erlebnisberichten wie auch als Planungs- und Schulungsdar­ stellungen interpretiert werden können. In vielen Höhlen fanden sich auch einfache Zeichen wie Punkte, Striche oder Abbildungen von Händen mit gespreizten Fingern, die Informationen über Anzahl oder Standort gesichteter Tiere darstellen können. Der meist eher spärliche Jagderfolg war überlebenswichtig für die Gruppe, und so dürfte die Sorge um die Zukunft sehr früh zur Anrufung übernatürlicher Kräfte geführt haben. Die Funktion der Höhlenmalerei könnte daher in einer Mischform zwischen zielgerichteter Erzählform und mystischem Zauber gelegen haben. Vielfältige Zeichensysteme wurden auch zur Orientierung und später zur Besitzkennzeichnung benutzt. Die Urmenschen ­verfügten zwar über einen weit ausgeprägteren Orientierungssinn als der moderne Mensch (der diesen heute durch technische ­Hilfs­mittel immer mehr verliert) – dennoch waren sie bei ihren ­weiten Jagdstreifzügen auch auf künstliche Orientierungshilfen angewiesen. Orientierung ist für alle Lebewesen von existenzieller Bedeutung, ihr Verlust führt in kürzester Zeit zu panischen Stressreaktionen und kann innerhalb weniger Stunden sogar zum Tode führen. ­Orientierungsdesign half und hilft zu überleben.

Orientierung zum

Archaische Orientierungssysteme haben sich über Jahrtausende bis in die heutige Zeit erhalten. So sind Steinmännchen in der ganzen Welt zu finden, in fast identischer Form und mit gleicher Funktion. Auch sogenannte Bruchzeichen (einfaches Zeichen­ system aus unterschiedlich behandelten Ästen bestimmter Bau­m­ arten), wie sie Jäger heute noch zur Orientierung und Kommuni­ kation unterein­ander und auch als Brauchtum benutzen, dürften schon in der ­Steinzeit üblich gewesen sein. Mit dem Übergang zu Ackerbau und Viehzucht begannen die Menschen verstärkt, Besitz und Terrain zu kennzeichnen. Wahrscheinlich taten sie dies aber auch als Jäger und Sammler, denn Terrainmarkierung ist ein

Frühzeitliche

Überleben

­Orientierung

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(meist männlicher) Instinkt, auch bei Tieren. Da sich Tiere aber mehr über den ­Geruchssinn als über den Gesichtssinn orientieren, benutzen sie dafür meist Geruchsmarkierungen. Jeder Hundebe­ sitzer weiß das. Eine Mark im territorialen Sinn ist eine Grenzregion. Markieren bedeutet also Grenzen festlegen. Vieh wurde durch Schnittmarkierungen am Ohr oder Brandzeichen gekennzeichnet. Die modernen Begriffe Branding oder Marke haben darin ihren Ursprung. Jeder Stamm erfasste seine Zeichen in einem Register. Besitzzeichen sind Vorgänger moderner Logos. Die keramischen Manufakturen benutzten Logos als Herkunftskennzeichen bereits in der Antike. Der Hersteller der Ziegel von Knossos auf Kreta markierte seine Produkte mit dem Zeichen einer stilisierten Doppelaxt (griech. Labyr). Weil Knossos einen etwas unübersichtlichen Stadtplan hatte, entstand daraus der Begriff Labyrinth. Fahnen und Wappen

Zeichen wurden bereits sehr früh auch zu militärischen Zwecken genutzt. Um zu verhindern, dass sich die eigenen Leute im Eifer des Gefechts gegenseitig liquidierten (heute gerne als friendly fire bezeichnet), versah man seine eigenen Krieger mit leicht erkennbaren Markierungen. De signo … (vom Zeichen) würde man heute mit Waffengattung übersetzen. Was führst du im Schilde geht auch darauf zurück. Vom Wortstamm abgeleitet gibt es noch heute in Skandinavien den Begriff skilde – sich unterscheiden. Das Wort Wappen stammt von wappnen und ist verwandt mit Waffen. Im ­Englischen heißt Wappen Coat of Arms. Orientierungsfunktion hatten auch Fahnen. Sie zeigten sowohl dem Feldherren als auch den Kämpfern, wo die Front verlief. War die eigene Fahne gefallen, hatte man den Kampf verloren. Also galt es, die Fahne zu verteidigen. Die bis heute gefühlsmäßige Bindung zur eigenen Fahne und zu seinem Wappen ist verständlich, denn sie versprach Sicherheit. Betrachten Sie einmal eine japanische Reisegruppe am Haupt­ bahnhof in München: Brav folgen die den Europäern in der Körpergröße unterlegenen Asiaten dem aus der Masse herausragenden Wimpelchen ihres Reiseleiters.

Schild(bürger)

Die heute gebräuchlichste Form des Orientierungsdesigns ist das Schild – sei es als Verkehrsschild, als Leitsystem oder Lichtwerbe­ anlage. Gestalter in der Reklameindustrie scheinen aber die Gesamtzusammenhänge oft nicht zu kennen und entwerfen pseudo­ästhe­ tische Objekte, ohne Wissen um die funktionale Bestimmung und

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ohne Rücksicht auf das Umfeld. Leitsysteme auf Straßen, ­Flughäfen, Bahnhöfen oder in Gebäuden müssen mit Werbeschildern kon­ kurrieren und beeinträchtigen sich gegenseitig in ihrer Wirkung. Jedes einzelne Werbeschild, mag es in sich auch noch so gut gestaltet sein, wirkt verunstaltend, wenn der Gestalter das Umfeld nicht berücksichtigt. Die heutige Praxis der Reklame im öffentlichen Raum ist in den meisten Fällen visueller Müll, der sowohl in der Herstellung als auch in seinem Betrieb Energie und Ressourcen verbraucht, ohne dass der Nutzen einen derartigen Verbrauch rechtfertigen würde. Diese Praxis muss man überdenken und neu konzipieren, bevor die Öffentlichkeit die Geduld verliert und der Gesetzgeber sich genötigt fühlt einzuschreiten (durch den Erlass von erfahrungsgemäß aberwitzigen Regelungen). Orientierungssysteme der Zukunft werden den öffentlichen Raum weitgehend von Schildern befreien. Versuche in Holland, ohne ­Verkehrsschilder auszukommen, hatten das erstaunliche Ergebnis zur Folge, dass die Unfallquote deutlich sank, die Verkehrsteilnehmer aufmerksamer wurden und der Verkehrsfluss störungsfreier verlief. Navigationssysteme in Fahrzeugen können ohne großen Aufwand mit verkehrsregelnden Informationen ausgestattet werden, die zum Beispiel auch als Parkleitsystem dienen. Die Zukunft wird schilderlos. Orientierungssysteme der Zukunft werden interaktiv und auf individuellen Nutzen maßgeschneidert. Geographisches Orientierungsdesign wird bereits heute von Google oder TomTom geliefert. Demnächst werden wir über noch intelligentere Tools verfügen, die uns ständig über unseren eigenen Standort, unseren Zielpunkt, den Weg dorthin und über die erforderlichen Informationen auf dem Weg zum Ziel versorgen werden. Unsere Navis sind nur erste Vorläufer dieser Technologie, etwa so ausgereift wie seinerzeit der Stummfilm. Der Designer wird ein hochspezialisierter Fachmann sein, der weit mehr über Medien wissen muss als früher zur Gestaltung und Herstellung von Schildern erforderlich war.

Schilder(frei)

Ein Steinmännchen diente sowohl der Orientierung als auch der Information. Die in der Regel auf Sichtweite zueinander stehenden Steine bildeten zusammen ein Zeichensystem und kennzeichneten nicht nur einen Punkt, sondern eine Linie: den Weg. Das Ziel eines derartigen Weges erschloss sich aber in der Regel noch nicht aus diesem System.

8.3 Informationsdesign

129

In Stein, Knochen oder Holz geritzte einfache Symbole erlaubten in ihrer Kombination die Wiedergabe von Gedankensegmenten. Ritzte man ein Terrainzeichen abseits eines markierten Terrains in einen Stein am Weg, konnte man das Wegziel ablesen. Ritzen heißt im Griechischen grapho, daraus entstanden die Worte gravieren und Grafik. Stück für Stück wurden die Zeichensysteme komplexer. Dass man mit Zeichen nicht nur Dinge, sondern auch Laute darstellen kann, war die eigentliche Idee und konzeptionell genial. Das haben wir bereits im Kapitel 7 Semiotik (Seite 113 ff.) erläutert.

So entstand die Schrift. Man spricht von Schrift, wenn die ­ eichen eines Zeichensystems keine unterschiedlichen Interpreta­ Z tionen zulassen. Es wurde nun möglich, komplexe Gedanken zu archivieren, zu transportieren und wiederzugeben, ohne dass der Mensch als Speicher, Übermittler oder Sender direkt daran beteiligt sein musste. Informationen wurden durch Schrift kodiert und der Leser konnte die Information dekodieren, wenn er die Regeln des Zeichensystems kannte. Göttliche Macht

Schrift und Design

130

Dies wurde von den Hütern der Machtstrukturen als gefährlich ­eingestuft. Ihre Macht und den Machterhalt verdankten sie ihrem höheren Wissen. So wurde es nur Eingeweihten erlaubt, die Kodes zu kennen. Man erklärte das System Schrift als gottgegeben und nur Priester hatten Zugang. Hieroglyphen heißt übersetzt: heilige Schriftzeichen. Bis heute wird die Bibel deshalb auch synonym ­Heilige Schrift genannt. Obwohl man mit Schrift sehr komplexe Sachverhalte wiedergeben kann, bleibt Schrift eine Prothese. Ab einem gewissen Grad der Komplexität werden geschriebene Informationen zu unübersichtlich und müssen mit anderen Darstellungsformen ergänzt oder durch sie ersetzt werden. Die Übertragung komplexer Sachzusammenhänge in einfach ablesbare und übersichtliche Strukturen ist ein weiterer Kernnutzen von Design. Dieser Bereich gewinnt immer mehr an Bedeutung. Weil einerseits die Inhalte immer komplexer werden und sich andererseits die Informationen geradezu inflationär vermehren, während sich die verfügbare Zeit zur Informations­ verarbeitung immer mehr verkürzt, müssen die Botschaften immer präziser und schneller ablesbar dargestellt werden.

Was passieren kann, wenn eine Information nicht in der entsprechenden Form dargestellt wird und verfügbar ist, zeigt der amerikanische Informationswissenschaftler und Grafikdesigner Edward R. Tufte am Beispiel des Challenger-Unglücks vom 28. Januar 1986. Bei der Explosion der Rakete kamen kurz nach dem Start alle sieben Astronauten ums Leben. Die Information, wonach die Dichtungsringe der Feststoffraketen bei niedrigen Temperaturen ihre Elastizität verlieren und brechen können, war den zuständigen Ingenieuren bekannt. Sie warnten auch vor einem Start. Da diese Fakten jedoch nicht schnell genug zugänglich und für die verantwortlichen Entscheider verständlich aufbereitet waren, wurden die Warnungen als nicht relevant abgetan und es kam zu der folgenschweren Fehlentscheidung: Der Start wurde genehmigt.

Folgenschwere

Der Informationsdesigner muss über ein hohes zusätzliches Wissen verfügen, um die zu gestaltenden Botschaften selbst so begreifen zu können, dass er sie den Empfängern sachlich korrekt vermitteln kann. Es wird darauf hinauslaufen, dass hierfür Mehrfachqualifi­ kationen erforderlich sein werden, ähnlich wie bei Patentanwälten oder Wirtschaftsingenieuren. Der Designer kann dabei unterschiedliche Medien zu Hilfe ziehen, deren technische Möglichkeiten er aber beherrschen muss. Wir können davon ausgehen, dass immer komplexere Informationen in unserer Gesellschaft zunehmend an Bedeutung gewinnen werden. Damit wird auch dieser Kernnutzen von Design immer wichtiger – auch und gerade im Zusammenhang mit den anstehenden globalen Aufgaben, unsere ökonomischen Grundlagen umzubauen und die Ressourceneffizienz zu steigern.

Mehrfach qualifiziert

Das ornamentale Ausschmücken von Produkten findet man seit der Steinzeit in allen Epochen. Im alten Ägypten war es üblich, die Wände der Tempel mit Schrift und Bildern zu versehen, was von den meist leseunkundigen Betrachtern als ornamentaler ­Wandschmuck verstanden wurde.

8.4

Aufwendig gestaltete und aus farbigem Glas hergestellte Kirchenfenster hatten im Mittelalter die Aufgabe, die Menschen in eine ­kontemplative Stimmung zu versetzen. Rosetten waren meist so geschickt geplant, dass ein Lichtstrahl der Sonne während einer Zeremonie zu einem bestimmten Zeitpunkt genau auf den Priester fiel. Der andächtige Gläubige sah darin ein Zeichen Gottes.

Religionsmacht

Nichtgestaltung

Inspirationsdesign

131

Die Darstellung religiöser Motive war vorherrschend in der Kunst des Mittelalters. Ungeachtet des eigenen Verbotes, sich ein Abbild von Gott zu schaffen, wurde im Christentum der Inhalt der Heiligen Schrift bildhaft dargestellt, um die Frohe Botschaft vorstellbar zu machen und um die Menschen zu inspirieren, sich einen moralisch einwandfreien Lebensstil zum Leitbild zu machen. Wirtschaftsmacht

Relativ spät erst erkannte die Wirtschaft die Macht der Bilder. Für Bildende Künstler erschlossen sich neue Auftraggeber und Märkte. Plakatmaler begannen vor etwas mehr als 100 Jahren Werbebotschaften zu visualisieren. Ihr Erfolg manifestierte sich in steigenden Umsätzen und immer lukrativeren Honoraren. Dies förderte das Entstehen einer eigenen Branche, in die bald auch andere Gewerke einflossen. Da seine Entwürfe in der Regel durch die grafische Industrie in hohen Auflagen vervielfältigt wurden, mutierte der Reklamemaler zum Gebrauchsgrafiker, eine Berufsbezeichnung, die bis Anfang der 70er Jahre durchaus noch gebräuchlich war. Der inspirierende Nutzen von Design erstreckt sich von der ­Kontemplation bis zur reinen Unterhaltung, von der Dekoration bis zur Manipulation. In Zukunft werden wir (als Designer) neue Auftraggeber bekommen. Die Kernfunktionen der Zeichen werden sich nicht ändern, wohl aber die gesamte Zeichenpraxis. Welche Rolle die Neuen Medien bei der zukünftigen Entwicklung spielen, dazu mehr im nächsten Kapitel.

132

9

Neue Medien – Über die digitale Revolution, die Dementia Digitalis und andere Folgen

Die Technologie war eine entscheidende Voraussetzung für die Aufklärung und ihre Folgen. Es entstanden daraus kommerzielle, politische und medientechnische Revolutionen und es kommen weitere auf uns zu. Ein grundlegender Wechsel im Weltbild der Medien-Nachhaltigkeit ist erforderlich. Wie wollen Sie als Designerin und Designer dieser Aufgabe gerecht werden?

Mit Gutenbergs Erfindung der beweglichen Lettern um 1450 begann eine lang anhaltende gesellschaftliche Revolution. Die Erfindung war lediglich eine Veränderung des Druckprozesses, der als solcher schon lange bekannt war. Doch die beweglichen Lettern verbesserten die Druckvorstufe und ermöglichten die Herstellung großer Auflagen in kurzer Zeit. Diese Prozessverbesserung hatte weitreichende Folgen: 1517 veröffentlichte Martin Luther seine 95 Thesen und leitete damit die Reformation ein. Geschickt nutzten die Reformatoren das neue Medium zur Verbreitung ihrer Ideen. Seit Jahrhunderten bestehende Machtstrukturen wurden damit zerstört. Aufklärung, Industriali­ sierung, Demokratie und der heutige Massenkonsum hätten ohne Gutenbergs Erfindung so nicht stattfinden können. Viele Detailerfindungen haben den Buchdruck seitdem ver­ bessert, die Herstellungs-Geschwindigkeit erhöht und die Qualität gesteigert – sie änderten aber grundsätzlich nichts am Prinzip. Wenn wir heute glauben, dass sich Gutenbergs Idee im Vergleich zu den Neuen Medien nur sehr langsam durchsetzte, dann überschätzen wir die Entwicklungs-Geschwindigkeit der modernen Datentech­ nologie. Bereits 1833 hatte der englische Mathematiker, Philosoph, Erfinder und Ökonom Charles Babbage (1792–1871) in London mit dem Bau einer Analytical Engine begonnen, die als der erste Computer der Welt bezeichnet werden kann. Seine Entwicklung wurde 1842

9.1 Technologie und Aufklärung

150 Jahre von der Idee zum WWW

133

eingestellt und soll nie funktioniert haben, aber das Prinzip war erfunden. Erst 100 Jahre später, 1941, gelang dem deutschen Bau­ingenieur, Erfinder und Unternehmer Konrad Zuse (1910–1995) im Wohnzimmer seiner Eltern der Bau eines funktionierenden Rechners. 1945 entwickelte der amerikanische Ingenieur und Pionier des Analogrechners Vannevar Bush (1890–1974) seine Visionen vom DeskTop-Rechner – einer fiktiven Maschine, genannt Memex (Memory Extender). Anfang der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts hatte das ameri­ka­ nische Militär ein Konzept (ARPANET) entwickelt, Rechner zu ­vernetzen. Doch erst 30 Jahre später, nachdem Universitäten bereits erfolgreich damit gearbeitet hatten, war das System für die breite Bevölkerung zugänglich. Das WorldWideWeb, heute nur noch Internet genannt, begann seinen Siegeszug also 150 Jahre nach den ersten Überlegungen zum Thema Computer. Besonders schnell kann man das auch nicht nennen. 9.2 Kommerzielle ­Revolution

Wenn wir nun glauben, eine Revolution erlebt zu haben, dann irren wir uns. Denn die eigentliche Revolution hat noch gar nicht begonnen. Abgesehen von technischen Verbesserungen wird sich auch am ­Prozess selbst nichts Grundlegendes mehr verändern. Was aber noch vor uns liegt und die eigentliche Revolution ausmachen wird, sind die sozialen Auswirkungen. Die Neuen Medien haben mit Gutenbergs beweglichen Lettern eines gemeinsam: Sie basieren auf Kommunikation. Wikipedia: 2010

»Kommunikation (aus dem Lateinischen: communicare) bedeutet teilen, mitteilen, teilnehmen lassen, gemeinsam machen, ver­ einigen, sich besprechen und bezeichnet eine soziale Handlung. Wesentliche Aspekte dieser Sozialhandlung sind zum einen ­Anregung und Vollzug von Zeichenprozessen, und zum anderen Teilhabe an etwas, in dem etwas als etwas Gemeinsames entsteht (lat.: communio: Gemeinschaft; communis: gemeinsam). ­Kommunikation ist demnach eine Sozialhandlung, die immer ­situationsbezogen ist und der Problemlösung dient. Häufig wird Kommunikation auch als Austausch oder Übertragung von Infor­ mationen beschrieben: Information ist in diesem Zusammenhang eine zusammenfassende Bezeichnung für Wissen, Erkenntnis oder Erfahrung. Mit Austausch ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen gemeint. Übertragung ist die Beschreibung dafür, dass 134

dabei Distanzen überwunden werden können – oder es ist eine Vorstellung gemeint, dass Gedanken, Vorstellungen, Meinungen und anderes ein Individuum verlassen und in ein anderes hinein gelangen.«

In den letzten Jahrzehnten war Kommunikation jedoch alles andere als ein Geben und Nehmen in gleichberechtigter Form. Kommu­nikation war vielmehr eine Einbahnstraße, denn ein­ ­wirklicher Austausch fand nicht statt. In den 50er und frühen 60er ­Jahren des letzten Jahrhunderts hatten Industrie und Handel eine starke Position im Markt. Es waren Supplier’s Markets. Erst Mitte der 70er Jahre wurde die Position des Käufers zunehmend stärker. Es entstand der Buyer’s Market. Industrie und Handel taten sich schwer damit, dies zu akzeptieren. Statt den Käufer in seiner neuen Rolle anzuerkennen, benutzte man die bereits erwähnten Tricks der Täuschung. Die Kommunikation, vom Kommunikations­ designer entsprechend ­aufbereitet, ermöglichte allerdings keinen interaktiven Austausch – weil die eingesetzten Medien dazu nicht konzipiert waren.

Vom Lieferanten

Wir erleben gerade einen Rollentausch. Der erste Schritt bestand darin, dass Industrie und Handel begannen, die Möglichkeiten der Neuen Medien bezüglich Kostensenkung, Geschwindigkeits­ steigerung und Zielgruppenpräzision für ihre Zwecke zu nutzen. Die aufwendige Produktion der meist drucktechnisch vervielfältig­ ten Träger entfiel, und der ebenfalls kostenintensive und zeitaufwendige Transport der Printmedien durch LKW konnte eingespart werden. Auch der Streuverlust wurde erheblich reduziert. Ziel­ gruppen konnten analysiert und sehr präzise erreicht werden. Seit Anfang des neuen Jahrhunderts entwickelt sich das Web nun mehr und mehr zum Leitmedium. Schritt 2 war das Entstehen von User-Platforms. Das Internet begann Parallelinformationen anzubieten. Plötzlich wurden die Angebote des Handels und der Industrie transparent. Der Verbraucher mutierte zum Nutzer. Handel und Industrie reagierten wieder hilflos und schwerfällig. Sie begriffen nicht, dass ihre Macht über Nacht verschwunden war und benahmen sich weiter arrogant und unehrlich. Bis heute. Darauf folgte Schritt 3: Die User übernahmen das Sagen und heute regeln Internet-Börsen Nachfrage und Angebot. Im Handwerk hatte sich dieses Prinzip ohnehin schon recht gut etabliert: Der ­Auftraggeber schreibt seine Anfrage aus, der Handwerker gibt ein

Drei Schritte zum

zum Käufer

Rollentausch

135

­ ngebot ab und erhält dann den Zuschlag, wenn es ihm von allen A Anbietern am besten gelingt, sein Preis-Leistungsverhältnis glaubhaft darzustellen. Dabei zeigen die ersten Erfahrungen, dass der Auftraggeber dabei längst nicht nur über den Preis entscheidet. 9.3 Politische Revolution

Doch findet dieser Rollentausch bei weitem nicht nur zwischen kommerziellen Beziehungen statt. Zunehmend wird auch das Internet politisch als eine neue Form der Demokratisierung genutzt und erweist sich dabei als ein wirksames Mittel der Meinungsbildung, des Protestes und der Machtkontrolle. Als 2004 in New York fast 2 000 Bürger im Anschluss an eine Demonstration festgenommen wurden, verbreitete die Polizei über die Medien Bilder, die die Notwendigkeit des Polizeieinsatzes ­eindeutig belegen und rechtfertigen sollten. Die Bilder waren jedoch manipuliert. Über das Internet veröffentlichten die Demonstranten daraufhin eigene Bilder, die das Gegenteil zeigten: Willkürliche Brutalität auf Seiten der Polizei, von der die Ausschreitungen ­provoziert worden waren. Bis auf wenige Ausnahmen konnte die Unschuld der Verhafteten nachgewiesen werden. Watch the ­Watchers, bewacht die Bewacher, heißt diese Strategie.

Bildmanipulationen sind schon immer ein beliebtes Mittel ­politischer Propaganda gewesen. So zeigten die Medien nach dem Fall von Saddam Hussein in ­Bagdad eine jubelnde Menschenmenge, die sich versammelt hatte, als ein Denkmal des Diktators vom Sockel gestürzt wurde. Es gibt aber auch innoffizielle Bilder dieser Veranstaltung vom 9. April 2003, die nachweisen, dass diese Aktion für die Medien inszeniert war und die scheinbar große Menschenmenge gerade einmal aus 150 Personen bestand, von denen später einige als ­Iraker verkleidete amerikanische Soldaten identifiziert ­wurden.

Menschenrechtsorganisationen nutzen das Internet weltweit, um Verletzungen von Menschenrechten aufzudecken. Der Vorhang, hinter dem Menschen verschleppt, gefoltert, erniedrigt oder ­ermordet werden, verdeckt die Taten immer weniger und die Täter bemerken nun, dass sie dabei nicht anonym bleiben. Geheime Dokumente werden gestohlen und auf dem Internet für jeden zugänglich gemacht (WikiLeaks). Die Politik klagt die Diebe an, die sich damit 136

verteidigen, dass das Recht der Politiker, Informationen geheim zu halten, keinen größeren Wert hat als das Recht der Bürger, diese Informationen zu kennen. Websysteme werden politisch interaktiv und zu einem Werkzeug der Mitbestimmung. Was manche Politiker als Gefahr einer aufkommenden Anarchie ansehen, könnte auch ein wichtiger Schritt in Richtung einer totalen Demokratie sein. Die Medienrevolution besteht nicht darin, dass wir Internet ­besitzen, sondern wie wir das Internet benutzen werden.

9.4 Medienrevolution

Howard Rheingold: Smart Mobs, the next social revolution (Basic Books 2002)

»Die Killerapplikationen der mobilen IT-Industrie von morgen ­werden nicht Hard- oder Software sein, sondern soziale Hand­ lungen. Dem Leitbild der Schwarmintelligenz wird das Potenzial unterstellt, Gesellschaft und Märkte zu transformieren. Die am weitesten reichenden Veränderungen werden, wie so oft, von der Art der Beziehungen, Unternehmen, Gemeinschaften und Märkte herrühren, die durch diese Infrastrukturen ermöglicht werden.«

Eine Killerapplikation ist eine konkrete Anwendung, die einer bestehenden Technologie zum Durchbruch verhilft. Es zeichnet sich dabei ab, dass ein solcher Durchbruch (wie auch schon bei Gutenbergs Medienrevolution) zu einer Zerstörung tradierter Machtstrukturen führen wird. Davon betroffen werden alle Systeme sein, die in irgendeiner Form ihre bisherige Macht­ position missbraucht oder nicht zum ausschließlichen Nutzen der Gesellschaft verwendet haben. Der Trend lässt vermuten, dass die Zerstörung gewaltlos stattfinden wird, eher in Form einer Ablösung. Das wird bei weitem nicht nur positive Auswirkungen haben, und wir können nur hoffen, dass eine globalgesellschaftliche Weisheit mögliche dramatische Auswirkungen oder Fehlentwicklungen vermeiden kann. Die Erfahrung vergangener Revolutionen zeigt allerdings, dass nach dem Zerfall tradierter Strukturen immer ein anarchisches Vakuum entstand und damit die Gefahr besteht, dass die Entwicklung implodiert. Die Finanzkrise – am Ende des ersten Jahrzehntes des 21. Jahrhunderts – war eine innere Krise der Finanzwelt. Zum Leidwesen der Bankkunden, des sogenannten kleinen Mannes, der für die Fehler der Bankmanager zur Kasse gebeten wurde. Die Verursacher dieser Krise begriffen aber ihre Fehler nicht und beanspruchten für die

Finanzrevolution

137

Verluste horrende Boni (mit dem Argument, schließlich hätten sie große Geldsummen bewegt). Dieser Mangel an Einsicht erschütterte das Vertrauen der Kunden noch mehr als die eigentliche Ursache der Krise, das Missmanagement. Hätten die Verantwortlichen ihre Fehler eingestanden, wäre der Schaden psychologisch vielleicht noch erträglich gewesen. So war es beschämend, dass rechtliche Maßnahmen ergriffen werden mussten, um dem Bonussystem für Verluste Einhalt zu gebieten. Als Folge entstehen nun private Geldtransfer-Plattformen mit dem Potenzial, das bestehende Banksystem langfristig abzulösen. Das System ist eigentlich ganz einfach: Leute, die Geld brauchen, melden ihren Bedarf auf einer dieser Plattformen. Leute die Geld besitzen, suchen sich Projekte aus, die sie mitfinanzieren möchten. Der Geldfluss erfolgt ohne Beteiligung eines Vermittlers, also ohne Bank. Derartige Substituierungssysteme entstehen in allen Bereichen. Die Plattformbetreiber funktionieren katalytisch: Sie ermöglichen einen Prozess, ohne selbst daran teilzuhaben. Für ihre Leistung erhalten sie eine Nutzergebühr. Beim klassischen Handel ist der Händler direkt am Prozess beteiligt, er ist Zwischenhändler. Sein Einkommen entsteht aus einer Handelsspanne, der Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis. Diese Spanne wird in der Regel durch Druck auf den Einkaufspreis und künstliche Erhöhung des Verkaufspreises erweitert. Billig einkaufen, teuer verkaufen. So einfach ist das System. Ein schönes Beispiel ist die Geschichte eines abgelegenen Dorfes in Afrika, das vom Kaffeeanbau lebte. Einmal im Jahr kam der ­Kaffeehändler, der die ganze Ernte aufkaufte. Jedes Jahr kam er mit der gleichen schlechten Nachricht: Der Kaffeepreis sei gesunken. Irgendwann war das Dorf so verarmt, dass es ein Fall für die Entwicklungshilfe wurde. Der verantwortliche Entwicklungshelfer war Internet-Fachmann und mit seiner Fachkenntnis eigentlich deplatziert in dem Dorf, in dem es noch nicht einmal Elektrizität gab. Statt eines Agrarumstrukturierungs-Konzeptes, verbunden mit Unterstützungsmaßnahmen in Form von Lebensmittellieferungen, empfahl er, eine Solaranlage zur Stromgewinnung und eine Satellitenantenne anzuschaffen, damit er ein Laptop anschließen und ins Internet konnte. Ein besonders begabter Dorfbewohner wurde in der Benutzung des Systems geschult. Von da an konnten die Dorfbewohner den Kaffee direkt vermarkten und waren erstaunt, wie viel mehr sie für ihre Ernte bekamen. 138

Eines Tages erschien der Kaffeehändler, wieder mit der traurigen Nachricht, dass der Preis weiter gesunken sei. Die Nachricht der Dorfbewohner für den Händler war aber weit trauriger: Es gab ­keinen Kaffee mehr, denn der war bereits verkauft. Und natürlich hatte in der ganzen Gegend die Nachricht von den höheren Einkaufspreisen wie ein Lauffeuer die Runde gemacht. Der Händler war ruiniert, das Dorf florierte wieder.

Sowohl die Auftraggeber als auch die Aufgaben für den Kommu­ nikationsdesigner werden sich komplett ändern. Viele Gestalter tun sich damit sehr schwer und es ist erschreckend, dass viele von ihnen noch immer Berührungsängste mit den Neuen Medien haben. Sie sind nicht einmal in der Lage, eine halbwegs mediengerechte Keynote-, PDF- oder PowerPoint-Präsentation zu gestalten, geschweige denn ihren Kunden zu erklären, wie sie die Neuen Medien am sinnvollsten für sich nutzen können.

9.5

Bei all den Veränderungen, die im Moment stattfinden, vergessen wir aber einen ganz wichtigen Aspekt: Wir denken nicht an die ­nachfolgenden Generationen. Schließlich geht es nicht nur darum, der Nachwelt ein gesundes Ökosystem zu hinterlassen und die ­Ressourcen- und Energieprobleme zu lösen. Auch die Neuen Medien sind keineswegs nachhaltig. Das heute produzierte Papier hat eine Lebensdauer von weniger als 100 Jahren. Bücher und Archive lösen sich in Staub auf. Fotos verblassen schon nach wenigen Jahren, Filme sind nur mit hohem Aufwand zu erhalten, selbst die NASA kämpft gegen den Datenschwund. Ergebnisse aufwendiger, auf Magnetbändern gespeicherter Raumfahrtprojekte gehen verloren. CD-Roms beginnen nach zehn Jahren unlesbar zu werden. USBSticks speichern Daten gerade einmal zwei Jahre lang stabil. Die Dokumente unserer Zeit werden uns nicht überleben. Unsere Kultur ist nicht nachhaltig. Dieses Phänomen der digitalen Demenz kann für die nach­ folgenden Generationen katastrophale Folgen haben, denn mit unseren gespeicherten Daten geht unser Wissen verloren.

Medien-Nach­

Eine derartige Katastrophe geschah vor 1 600 Jahren schon einmal und hatte das dunkle Mittelalter zur Folge. Im Römischen Reich gab es Bibliotheken mit Millionen von Schriftrollen. Aber nur ein Prozent der Schriften der Antike sind uns erhalten geblieben. Die Wissenschaft ist sich nicht einig, was letztlich zu diesem dramatischen Schwund geführt hat. Möglicherweise war es eine Verkettung

Historische Medien-

Paradigmenwechsel

haltigkeit

Katastrophe

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v­ erschiedener Ursachen. Eine davon war die Verrottung des Trägermaterials Papyrus. Etwa 400 nach Christus gab es den verzweifelten Versuch, den Inhalt der Papyrusrollen auf Codices (Bücher aus Pergament) zu übertragen. Diese Maßnahme wurde aber nach einer gewissen Zeit nicht fortgeführt. Eine weitere Ursache lag im aufkommenden Christentum, das Schriften mit nicht christlichem Inhalt systematisch vernichtete und den Besitz von Büchern mit magischem Inhalt – dazu zählten auch Werke der Mathematik – sogar unter Todesstrafe stellte. Man vermutet, dass in der Antike ein sehr hoher Grad der Alpha­be­ tisierung bestand und selbst Sklaven lesen und schreiben konnten. Nur wenige Jahrhunderte später waren in Europa 99 Prozent der Menschen Analphabeten. Mehr als 1 400 Jahre brauchte es, bis der Buchbestand in den Bibliotheken wieder den Stand der Antike erreicht hatte. Dokumentations­ aufgabe

Es wird eine wichtige Aufgabe auch der Kommunikationsdesigner werden, die Wiederholung einer derartigen Kulturkatastrophe zu verhindern. Wir müssen den Übergang in die neue Medienzeit dokumentieren und das Wissen der Gegenwart archivieren. Es geht also nicht nur darum, die Kommunikationsstrukturen neu zu planen und ihre Veränderungen fachlich zu gestalten, sondern dabei auch an den Erhalt des Wissens zu denken. Damit die nachfolgen­ den Generationen die gleichen Chancen haben, die wir hatten. Was zur Bewältigung dieser Aufgaben wichtiger als das Produkt ist, dazu mehr im nächsten Kapitel.

140

10

Process precedes Product

Die Denkweise von Designern ist gefragt, weil immer noch gilt, dass die Form der Funktion folgt. Hier sind Planung und Formgebung zukunfts­ relevant. Der gesellschaftliche und technische Prozess beeinflusst das ­Produkt. Designer müssen bereits am Anfang des Prozesses involviert ­werden. Wie können Sie als Designerin und Designer den Mut aufbringen, dafür zu kämpfen?

Hawkens, Lovins & Lovins: Natural Capitalism (Seite 73)

10.1

»Die Denkweise des Designs kann Produktionsprozesse neu formen – und sogar die Logik und ganze Strukturen der Wirtschaft.«

Form folgt der ­Funktion

Dieser von Nichtdesignern formulierte Satz drückt aus, was die Gesellschaft von Designern eigentlich erwartet: Neue Ideen und nicht schöne Formen. Einer der ersten großen Hochhausarchitekten, der Amerikaner Louis Sullivan (1856–1924), formulierte: Louis Sullivan: The tall office building artistically considered (1896)

»Die Form folgt immer der Funktion, dies ist das Gesetz. Wenn die Funktion sich nicht ändert, ändert sich auch nicht die Form.«

Aus diesem Zitat ergibt sich logischerweise, dass die Form ­zweitrangig ist. Die Form wird bestimmt von der Funktion. ERCO hat dieses Gesetz zur Maxime gemacht: Licht statt Leuchten. Das Unternehmen hat damit die Funktion und nicht die Form zum Inhalt seines Designs gemacht. Genau dies beschrieb auch Steve Jobs, wenn er sagte, dass Design nicht bedeutet, wie etwas aussieht, sondern wie etwas funktioniert. Der Nutzen eines Artefaktes ist wichtiger als das Artefakt. Erinnern wir uns wieder an den Satz: Gestaltung ist das Gestalten der Gestalt von Gestaltetem. Demnach geht einem Produkt ein Prozess voraus: Process precedes Product. 141

Formgebung und Planung

Wenn wir nach der Zukunft des Designs suchen, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass es zwei völlig unterschiedliche Denkweisen im Design gibt: die des Formgebens und die des Planens. Herbert Simon widmet in seinem Buch The Sciences of the Artificial ein ganzes Kapitel der Wissenschaft des Designs: Schaffung des Künstlichen. Er schreibt im ersten Absatz, dass es historisch und traditionell die Aufgabe der wissenschaftlichen Disziplinen war, über die natürlichen Dinge zu unterrichten – wie sie sind und wie sie funktionieren. Es sei die Aufgabe von Ingenieur-Schulen, die künstlichen Dinge zu unterrichten – wie man Artefakte herstellt, die gewünschte Eigenschaften besitzen und how to design, wie sie zu planen sind (Kap. 5, Seiten 111ff.). Ingenieure, so schreibt er weiter, seien nicht die einzigen professionellen Designer. Aus Sicht eines Designers ist es erst einmal befremdlich, dass er nicht schreibt: Designer sind nicht die einzigen, die gestalten. In unserem Buch ist vielfach die Rede davon, dass unsere ­Gesellschaft dazu neigt, Begriffe falsch zu benutzen und dass die Designer sich die Frage gefallen lassen müssen, ob sie ­wirklich Designer sind, oder eben nur Dekorateure mit einem Hang zur Selbstüberschätzung.

Aus der Sicht von Simon ist Design eine planende Tätigkeit, um künstliche Dinge zu schaffen. Der technische Aspekt, das Engineering, ist dabei nicht nur dominant, sondern exklusiv. Nach seiner Auffassung ist es die Aufgabe des Designs, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie Dinge sein sollen, wie man Artefakte so gestaltet, dass sie ihre vorgesehene Aufgabe erfüllen. Simons Überlegungen gehen in die Richtung, Computerprogramme zu entwickeln, die zu den gestellten Aufgaben objektiv die jeweils optimale Lösung ermitteln. Der subjektiv und kulturell eher künstlerische Aspekt, den die Berufsgruppe, die sich Designer nennt, als Kern ihrer Tätigkeit ansieht, kommt bei ihm nicht vor. Es wäre vermessen, die Ansichten eines so großen Denkers wie Herbert Simon als nicht relevant anzusehen. Seine Sicht betont aber ausschließlich den planenden Aspekt des Ingenieurwesens als das wahre Design. Damit beschreibt er aber nichts anderes als die andere Seite einer Medaille, die der kulturell und künstlerisch orientierte Designer in der Vergangenheit oft nicht genügend gesehen hat. Die Wahrheit ist, dass Design beide Seiten hat – die künstlerisch gestaltende und die technisch planende. Simon beendet sein Kapitel über die Wissenschaft des Designs jedoch mit einer interessanten Feststellung: 142

»… das eigentliche Studium der Menschheit ist die Wissenschaft der Gestaltung – nicht nur als eine technische Ausbildung, ­sondern als Kerndisziplin für jede liberal erzogene Person.«

Diese Diskussion ist nicht neu. Am Bauhaus in Weimar gab es heftige Auseinandersetzungen über die inhaltliche Ausrichtung, die letztlich zum Ausscheiden des Schweizer Malers, Kunsttheoretikers und Kunstpädagogen Johannes Itten (1888–1967) führte. Anfangs war man noch unter dem Einfluss der Arts and Crafts-Bewegung bemüht, Kunst und Handwerk wieder zu vereinen. Walter Gropius’ (Gründer des Bauhauses und deutscher Architekt, 1883–1969) Grundanliegen war es,

Historische ­Auseinandersetzung

Rainer K. Wick: Bauhaus, Kunstschule der Moderne (Hatje Cantz 2000, Seite 37)

»… dem im 19. Jahrhundert sozial heimatlos gewordenen Künstler einen neuen Platz in der Gesellschaft zuzuweisen, der es ihm erlaubt, sozial konstruktiv an der Gestaltung der Realität mit­ zuwirken.«

Gropius wollte Gestalter ausbilden, die in der Lage waren, ­entscheidenden Einfluss auf industrielle Werke zu nehmen. Der deutsche Maler, Grafiker und Hochschullehrer Georg Muche (1895–1987) hielt das für unmöglich: Kunst und Technik seien nicht miteinander vereinbar. Der Nachfolger von Gropius, Hannes Meyer (Schweizer Architekt und Urbanist, 1889–1954), ging in seinen ­programmatischen Überlegungen noch weiter. Er stellte fest, dass die Tätigkeit des Gestalters gesellschaftsbedingt ist und die Auf­ gabenstellung aus gesellschaftlichen Notwendigkeiten resultieren muss. Die neue Baulehre sei eine Erkenntnislehre vom Dasein. Damit drückte Meyer im Jahre 1928 genau dasselbe aus wie Herbert Simon mit dem Satz: Das eigentliche Studium der Menschheit ist die Wissenschaft der Gestaltung. Ein Produkt ist das Ergebnis zweier Prozesse: Einem gesellschaftlich inhaltlichen und einem technisch realisierenden. Die Gesellschaft befindet sich in einem permanenten Evolutionsprozess, der wiederum von Rahmenbedingungen, die sich ständig ändern, beeinflusst wird und die individuellen Wertekonzepte prägt. Visionäre und innovative Gestalter spüren die entstehenden Bedürfnisse, die aus diesen Veränderungsprozessen resultieren. Und sie erkennen die Chancen, die in den sich verändernden Rahmenbedingungen liegen und wissen sie für sich zu nutzen. So entstehen Produktideen. Inno-

10.2 Zwei Prozesse

143

vationen haben also eine Vorgeschichte. Erfindungen entstehen nicht aus dem Nichts. Design erfordert somit eine ständige Auseinandersetzung mit dem stattfindenden Evolutionsprozess. Vannevar Bush beschrieb 1945 eine derartige Produktidee, die jedoch mangels damals bekannter technischer Möglichkeiten noch nicht realisierbar war. Seine Gedanken inspirierten jedoch Forscher, über die nicht vor­ handenen Grundvoraussetzungen nachzudenken und bestimmten die Forschungsrichtung und -inhalte. Die Grundidee wurde 40 Jahre später als PC sichtbar. Der Erfolg und die daraus resultierenden revolutionären Veränderungen entstanden nicht zufällig, sondern weil die Zeit dazu reif war. Ein PC konnte im Mittelalter auch deshalb nicht erfunden werden, weil die Gesellschaft sich ein derartiges Tool nicht vorstellen konnte. Die Herstellung eines Artefaktes benötigt also eine gesellschaftliche und eine technische Grundvoraussetzung. Nach der MetatrendTheorie folgt die technische der gesellschaftlichen Voraussetzung (Form follows function). Erst wenn beide gegeben sind, entwickelt sich die formale Ausprägung einer Idee, die Formgebung. Von Innen nach Außen

144

Eine Form existiert als innere und äußere Form. Man kann ein Produkt von innen nach außen oder umgekehrt planen. Die Vorgehensweise prägt die Form. Gestaltet ein Architekt ein Gebäude von außen nach innen, wird es nie so aussehen, als hätte er es von innen nach außen geplant. Ein Repräsentationsbau wird immer von außen nach innen geplant, ein reiner Funktionsbau von innen nach außen. Analysiert man den Entstehungsprozess von Designklassikern, fällt auf, dass gutes Design in der Mehrzahl von innen nach außen entworfen wurde. Der Werdegang des Prozesses begann aber oft außen und erst im Zuge der planerischen Vertiefung wanderte er mehr und mehr nach innen, um dann von innen das Äußere zu bestimmen. Unterbleibt dieser Prozess der Verinnerlichung, bleibt das Ergebnis zwangsläufig oberflächlich. In der technischen ­Umsetzung wird die Idee mit den industriellen Möglichkeiten in Einklang gebracht. Der Produktionsprozess und die physikalischen und chemischen Materialeigenschaften nehmen ebenso Einfluss auf die Form eines Produktes wie finanzielle, rechtliche und zunehmend auch ökologische Überlegungen. Die Praxis heute sieht aber meist so aus, dass der Designer nicht am Anfang der Schnittstelle zwischen dem gesellschaftlichen und dem technischen Prozess eingesetzt wird, sondern am Ende des technischen Prozesses den Auftrag erhält, das Äußere schön zu

machen. Damit unterbleibt die für Qualität und Erfolg entscheidendste Phase der Verinnerlichung. Der Designer, von dem Herbert Simon spricht, ist als technischer Formgeber am Anfang des Gestaltungsprozesses tätig. Im herkömm­ lichen Sinne wird aber derjenige als Designer bezeichnet, der als kultureller Formgeber in den meisten Fällen eher am Ende eines Prozesses herangezogen wird. In dieser Position kann der Designer aber seiner ethischen Verantwortung nicht gerecht werden. Ebenso wenig kann er an dieser Stelle Einfluss auf Belange der Nachhaltigkeit nehmen. Dieses Dilemma kann nur durch eine Neupositionierung des Designs innerhalb des Gestaltungsprozesses gelöst werden. Dies setzt zum einen zusätzliche Qualifikationen der Designer voraus und zum anderen ein verändertes Bewusstsein der Prozess­ entscheider. Diese Veränderung wird zwangsläufig stattfinden, denn die Anzeichen sprechen dafür, dass die Gesellschaft eine ­derartige Veränderung fordert. Zur Zeit des Bauhauses gab es eine erste historische Chance, diese Positionierung zu erreichen. Sie wurde selbstverschuldet vertan – zunächst durch die internen Richtungskämpfe und danach durch die Unterwerfung unter den konsumorientierten und oberflächlichen Marketingtrend. Die stattfindende Änderung des Metatrends ist eine neue Chance, die es nun für die Designer zu nutzen gilt.

10.3

Am Beispiel von Verpackungsdesign lässt sich das Problem der ­Prozessoptimierung nachvollziehbar darstellen.

Beispiel:

Designer an den Anfang des Prozesses!

­Verpackungsdesign

Die zunehmende Zahl der meist ökologisch denkenden Verpackungsgegner träumt von einer Rückkehr in eine verpackungslose Welt. In der Feinkostabteilung der Galerie Lafayette in Paris gibt es einen großen Bereich, in dem alle Käsespezialitäten Frankreichs angeboten werden. Im Zentrum ist eine Verkaufstheke, wo fachlich geschulte Verkäuferinnen unverpackten Käse anbieten. Man darf probieren und kann sich die gewünschte Menge ganz individuell wählen: Bitte 65 Gramm von diesem Thom d’Auvergne. An den Wänden um diese Insel herum stehen elegant beleuchtete Regale, in denen fertig abgepackter Käse präsentiert wird. Die hygienisch einwandfreien und meist sowohl formal wie auch technisch einheitlich standardisierten und geruchlosen Klarsichtverpackungen haben nichts, aber auch gar nichts von dem Charme der großen 145

Käselaiber in der Mitte der Abteilung. Die grafische Gestaltung tut das ihre, um aus dem natürlichen Lebensmittel ein künstliches Industrieprodukt zu machen. Kauft man den abgepackten Käse trotz dieser Abschreckungsmaßnahmen, steht man zu Hause vor dem Problem, dass sich die Verpackung nur mit roher Gewalt ­öffnen lässt. Und will man sich irgendwie ökologisch korrekt verhalten, dann stellt die leere Verpackung wiederum ein Problem dar. Man schaltet kurzfristig das Gewissen aus und delegiert das Problem an die Müllabfuhr – in der illusionären Hoffnung, dass die Packung dort ganz umweltschonend und für die Natur gewinnbringend entsorgt werde.

Soweit zu den Nachteilen. Verpackungen, insbesondere die von Lebensmitteln, haben ­entscheidende Vorteile: Durch Verpackungen wird der Verlust von Lebensmitteln durch Verderben erheblich gemindert. Das alleine rechtfertigt schon den finanziellen Mehraufwand, der durch die ­Verpackung zwangsläufig entsteht. Ein weiterer Vorteil ist die hygienische Sicherheit, die Gefahren für die Gesundheit durch andere Lebensmittel reduziert. Außerdem wird das wirtschaftliche Handling durch genormte Inhaltsmengen erleichtert. Der Transport wird durch standardisierte und auf Ladeflächen abgestimmte Verpackungsformen vereinfacht und günstiger. Und auch die Lagerung benötigt weit weniger technischen Aufwand. All dies wirkt sich ­günstig auf der Kostenseite aus. Auf diese Vorteile kann die heutige Gesellschaft nicht mehr ­verzichten, will man nicht erhebliche Verteuerungen einerseits und geringere Verfügbarkeit andererseits in Kauf nehmen. Ingenieure ­formen – Designer dekorieren

146

Die Formgestaltung von Verpackungen obliegt in den seltensten ­Fällen Designern, sondern in der Regel den Verpackungsingenieuren, die auch die Verpackungsmaschinen und die Verpackungsprozesse entwickeln. Dort wird über System, Material und Form entschieden. Ganz am Schluss bittet das Marketing die Werbeagentur, die Ver­ packung so zu dekorieren, dass ein hoher Shelf-Impact entsteht und die Verbraucher willenlos nach dem Produkt greifen (was diese allerdings nur bedingt tun). Diese Aufgabe bekommen dann die Grafiker. Der Handlungsspielraum für Veränderungen ist hier in der Regel recht klein, denn die Verpackungsindustrie wird von monetären Zwängen geleitet: Es geht um viel Geld, es wird scharf kalkuliert, die Konkurrenz ist brutal. Der gesamte Prozess verschlingt Millionen. Am teuersten

sind die Verpackungsmaschinen, die sich erst nach Jahren amor­ tisieren und leichter umzurüsten sind als komplett neu konzipiert zu werden. Es gibt sehr wenig bis überhaupt kein Interesse daran, sich ökologisch oder nachhaltig zu verhalten, solange der Gesetz­ geber die Industrie nicht massiv dazu zwingt. Zudem weiß eine gut agierende Lobby das Schlimmste geschickt zu verhindern. Designer, die wirklich glauben, hier Grundsätzliches verändern zu können, sind irreale Träumer. Wer aber keinen Mut hat, zu ­träumen, der hat auch keine Kraft zu kämpfen. Wenn man es träumen kann, kann man es auch machen. Man muss sich beim Auf­ wachen aber darüber im Klaren sein, dass viele Schritte nötig sein werden, um hier zu einer wirklichen Veränderung zu kommen. Wenn es gelänge, Verpackungskonzepte zu entwickeln, die ­ökologisch, nachhaltig und einfach im Handling wären, zudem extreme Kosteneinsparungen für die Unternehmen und absehbar höhere Gewinne für die Hersteller von Verpackungsmaschinen und die Liefe­ranten von Verpackungsmaterialien brächten, dann würde sich zweifellos sehr schnell etwas ändern. Ein schönes Design alleine wird aber nichts bewirken. Verpackungsdesign ist keine ­Aufgabe für Grafikdesigner in Werbeagenturen. Solange die Auftrag­ geber dies aber nicht begreifen, werden dienstbeflissene Reklame­ gestalter ­weiterhin zur Vermüllung der kulturellen und ökologischen Umwelt beitragen. Die Gesellschaft braucht neue Verpackungsdesigner, die ­Ver­packungsingenieure, Verpackungskaufleute, Umweltschützer, ­Fachleute für Nachhaltigkeit und auch Verpackungs-Formgeber sind. Durch neue vernetzte Unternehmensstrukturen kann das durchaus geleistet werden. Das erste Team, das hier einen Durchbruch schafft, wird eine unangreifbare Marktposition in einem sehr ­lukrativen Markt bekommen und durch die Einsparung beim Ver­packungsabfall richtig reich werden. Die Kunst liegt darin, Prozesse zu begreifen, zu gestalten und zu steuern. Produkte werden durch Prozesse geformt. Zukünftige Designer müssen Prozesse formen. Und das will gelernt sein.

Neue Designer

Wie Sie all dies als Designerin und Designer lernen können, dazu mehr im dritten Teil dieses Buches. Vorher aber noch ein Ausflug in Ihre Denkfähigkeiten, im folgenden Kapitel.

147

11

Denken – anders, kreativ und wie Designer

Was heißt es, vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen, anders zu denken? Kann man dieses andere Denken lernen, und wenn ja, wie? Welche Rolle spielt dabei das kreative Denken? Wie denken Designer? Was macht den Typus des denkenden ­Designers aus? Und welche Bedeutung hat das Design-Denken? Die Antworten auf diese Fragen zeigen die Voraussetzungen auf, die für einen ­(Ihren) ­Erfolg in der Designzukunft unerlässlich sein werden.

Vor der Frage was wir tun können, steht die Frage wie wir denken ­müssen. Doch in Anbetracht der kulturellen, politischen, öko­ logischen, ökonomischen und soziologischen Streitfragen scheint die Verbindung zwischen Denken, Handeln und Wirken verloren gegangen zu sein. In einer Welt vielfältiger, kaum überschaubarer gesellschaftlicher und technologischer und immer abstrakter werdender ­Verwicklungen kommt es auf einen neuen Ansatz an. In einer Zeit, die voller Risiken und Ungewissheiten ist, muss das Denken neu durchdacht werden. Das neue Denken muss als eine vorausschauende Handlung entwickelt werden, bevor wir tatsächlich handeln.

11.1 Anders denken

Wir greifen in diesem Kapitelabschnitt Gedanken des Philosophen und Sozialwissenschaftlers Bernhard von Mutius auf (aus seinem Buch Die andere Intelligenz, 2008).

Schon in früheren Zeiten hat man sich Gedanken über ein neues Denken gemacht, wie folgender Auszug aus einer Abhandlung über die Methode, richtig zu denken … beweist:

Früheres Denken

René Descartes (1596–1650), zitiert in Slavoj Zizek: Parallaxe (2006, Seite 14)

»[…] So bestimmt uns mehr die Gewohnheit […] als die sichere Kenntniss; und obgleich die Mehrheit der Stimmen für schwer zu entdeckende Wahrheiten nicht viel werth ist, und es oft wahr149

scheinlicher ist, dass ein Einzelner sie eher als ein ganzes Volk entdecken werde, so fand ich doch Niemand, dessen Meinungen mir einen Vorzug vor denen Anderer zu verdienen schienen, und ich war gewissermassen zu dem Versuch genöthigt, mich selbst weiter zu bringen.« Neue Denkansätze

150

Neue Denkweisen in der Gegenwart zeichnen sich zum Beispiel durch mehrdimensionales, systemisches, vernetztes und zirkuläres Denken aus. Diese Begriffe reichen allerdings nicht mehr aus, um die Unterschiede zu verdeutlichen, die mit der Formulierung neue Denkansätze gemeint sind. Es sind die Unterschiede, die weniger im Was als vielmehr im Wie liegen. Das aber setzt eine andere Denk­ haltung voraus, die bewusst als offen und suchend charakterisiert werden kann und sich nicht auf gesicherte, vermeintlich objektive Erkenntnisse beruft. Es ist die Suche nach Alternativen zu den überlieferten Gesetzmäßigkeiten – insbesondere zu denen aus dem Industriekapita­ lismus. Sie funktionieren zwar gut in mechanischen Systemen, materiellen Herstellungsverfahren und maschinellen Fertigungs­ prozessen – in der Übertragung auf Prozesse des Lebens und des sozialen Handelns aber sind sie sehr beschränkt. Es sind Begriffe wie zum Beispiel: eindeutig, exakt, kalkulierbar, linear, Objekt, objektiv und vorhersehbar, die zu unbeirrbaren Meinungen und festen Standpunkten geführt haben und deshalb wieder führen ­werden. Alternativen hingegen sind dynamische Relationen und das In-Beziehungen-Denken. Es ist das Relativieren der eigenen ­Beobachtungen und das Reflektieren des Auf-sich-selbst-Beziehens. Es ist ferner die Suche nach Alternativen zur Logik des Teilens, des Trennens und des Zerlegens der Dinge. Und es ist die Suche nach neuen Regeln, die über jene, die in den letzten Jahrhunderten als Forschungsmethodiken der Wissenschaften so erfolgreich waren und als Lehrmethoden auch heute noch nahezu konkurrenzlos erscheinen, hinausreichen. Regeln, durch die wir unsere geistigen, kulturellen und sozialen Systeme differenzieren, den Dingen immer weiter auf den Grund gehen und sie in immer kleinere Teile analysieren können. Regeln, durch die wir Unterscheidungen treffen ­können, das eine vom anderen und sich selbst vom anderen eindeutig abzugrenzen: Objekt und Subjekt, außen und innen, falsch und richtig, böse und gut, emotional und rational. Regeln, die damit ­verbundene Fortschritte und Zivilisationsleistungen nicht grundsätzlich bezweifeln – geht es doch um die Frage, ob das Denken darüber hinaus nicht noch andere Perspektiven einnehmen und

eine andere Richtung der Entwicklung einschlagen kann. Es geht um einen Perspektivwechsel, und der Weg dahin führt über Ambivalenz, Komplementarität, Mehrwertigkeit und ein Sowohl-als-Auch. Bernhard von Mutius hat das in seinem bereits erwähnten Buch (2008, Seite 18) wie folgt formuliert:

»Unterscheidungen oder Grenzziehungen werden also nicht negiert, sondern es wird – unter Achtung des Unterschiedlichen – versucht, das Ausgeschlossene im Sinne eines Re-entry wieder einzuführen in die Beobachtung. Ich nenne dies das reincluding thinking, das wieder einschließende Denken.«

Dieser Kehrtwende hin zur Pluralität können wir nicht ausweichen. Jetzt besteht vielmehr die Chance und auch die Aufgabe, das Plurale zum Ausgangspunkt einer neuen geistigen Entdeckungsreise zu machen. Die Frage ist: Wie können wir Stimmigkeit in der Vielstimmigkeit erreichen? Und wie kommen wir dahin, dass unsere Projekte besser als bisher zusammenschwingen? Die Schlussfolgerung kann nur ein Perspektivwechsel unserer geistigen Konzepte und Modelle sein: Von festen Denkgebäuden hin zu neuen, lebendig konstruierten Korrespondenzen und Kompositionen.

Pluralität

Bernhard von Mutius nennt das (in seinem Buch, 2008 Seite 24): »Von der Architektonik zur Relatonik.«

Als Träger dieser neuen Art von Intelligenz sind nicht in erster Linie die klassischen Intellektuellen (reine Theoretiker, Literaten oder Fachgelehrte) zu sehen. Es ist eher eine andere, gerade erst entstehende Gruppe, die einen starken praktischen Bezug zu den sozialen Auseinandersetzungen dieser Zeit hat und in dieser Epoche wahrscheinlich immer mehr an Einfluss gewinnen wird. Es wird sich ein neuer Typ des Intellektuellen herausbilden, der als Wissensarbeiter (angestellt oder freiberuflich) in diversen Organisationszusammenhängen mit komplexen Entwicklungsprojekten (bzw. Entwicklungsprozessen) betraut sein wird. Das werden Prozesse (Projekte) sein, die wissenschaftliche und technische Innovationsvorhaben ebenso wie soziale Veränderungs- und Lernprozesse umfassen. Es ist der konstruktive Intellektuelle, der aus diesem Veränderungsprozess hervorgehen wird. Sie oder er zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Wirklichkeit als einen (gemeinsam mit anderen zu konstruierenden und veränderbaren) Möglichkeitsraum begreifen. Von ihnen wird erwartet, dass sie intellektuell Neues konstruieren. Dabei sollen sie einerseits

Die konstruktiven Intellektuellen

151

vorhandene Prozesse kritisch analysieren und andererseits die ­angestoßenen Veränderungen gemeinsam mit Gleich­gesinnten ­kons­truktiv und nachhaltig zu positiven Ergebnissen ­führen. Diese Intellektuellen neuen Typs sind weniger an den großen Theorien interessiert, weil sie in ihrer täglichen Arbeit damit nicht viel anfangen können. Umso mehr interessieren sie sich für brauchbare geistige Methoden, die sie in die Lage versetzen, Zusammenhänge transparent zu machen, bruchstückhafte Projekte in anschlussfähige Prozesse zu transformieren und die Zusammenhänge über Grenzen hinweg zu verbessern. An dieser Stelle müssten Sie sich als Designerin und Designer angesprochen fühlen. Wir gehen darauf in diesem Kapitel gleich noch etwas näher ein. Fähig sein zur ­kreativen ­Umgestaltung

Eine solche Fähigkeit mag jenen Kreisen der intellektuellen ­Öffentlichkeit (zwischen Erregung und Ermüdung schwankend und kaum noch neue Zwischentöne wahrnehmend) wenig spektakulär erscheinen. Weil das kreative Umgestalten eine mühsame intellektuelle ­Klein­arbeit ist, die oft auf niederen Hierarchieebenen ver­ richtet wird. Weil es heißt, mit Wenigem auszukommen und daraus etwas zu ­konstruieren, damit sich das Wenige künftig mit dem Mehr  anderer ­geistiger Traditionen anreichert. Dass diese Intelligenz als soziale Schicht an Bedeutung gewinnt, liegt an der Fähigkeit ihrer Intelligenz zur kreativen Umgestaltung. Mitglieder dieser Schicht werden in den Anpassungsprozessen einer global vernetzten Wissensökonomie zunehmend ausfindig gemacht, nachgefragt und höher bewertet werden. Das wird auch in der Politik bemerkt. Dazu mehr im Kapitel 17 Designwirtschaft (Seite 237 ff.).

Gerade heute braucht die Wirtschaft unserer Gesellschaft dieses Vermögen, das die alten Machteliten meist (wie der Teufel das Weihwasser) scheuten. Der französische Philosoph und Lyriker Paul Valéry (1871–1945) nannte das den Geist, der nicht als metaphysische Wesenheit, sondern ganz einfach als Umformungsvermögen verstanden wird. Fähig sein zur Zusammenführung

152

Die neuen Intellektuellen sind Akteure, die sich gleichermaßen als intellektuell, aber auch als sozial verstehen. Sie definieren sich selbst nicht einfach als progressiv, sondern als congressiv. Ihren eigentlichen Auftrag sehen sie im Zusammenführen: Sie führen

unterschiedliche neue (und alte) Denkansätze zusammen, Theorie und Praxis und Menschen, die in diesem Sinne erneuernd auf ­verschiedenen Feldern zu arbeiten versuchen. Es sind diejenigen, die nicht mehr (vorauseilend im Bewusstsein einer richtigen Idee) der Vorstellung einer Avantgarde folgen, sondern sich auf den schwierigen und konfliktreichen Dialog mit anderen einstellen und das gemeinsame Herausfinden im Gespräch als Erkenntnis- und als Praxisform wählen. Diejenigen, die Abwehrhaltungen und Berührungsängste zwischen den Fraktionen der Intelligenz abbauen – der literarisch-kulturellen auf der einen Seite und der ökonomisch-­ technischen auf der anderen Seite. Das relationale und einschließende Denken ist auch ein politisches Denken. Ein Denken, das uns helfen kann, gesellschaftspolitische Problemfelder anders zu sehen: Transformationsprozesse im Spannungsfeld von Einfachheit und Komplexität, Konflikte im Spannungsfeld von Exklusion und Inklusion. Die traditionelle Politik ist hier überfordert. Sie agiert gleichzeitig zu tief und zu hoch – gedanklich zu tief, d. h. unterhalb des geforderten Reflexionsniveaus und praktisch zu hoch, d. h. über die Köpfe der Menschen hinweg.

Politisches Denken

Wir kommen in einem anderen Zusammenhang noch einmal darauf zurück, im Kapitel 17 Designwirtschaft (Seite 237 ff.).

Im Wesentlichen geht es also um die Frage, wie man ein lebendiges, nicht-triviales Verständnis von komplexen Zusammenhängen bekommen kann und dabei entscheidungsfähig bleibt. Das wirft eine weitere und grundsätzliche Frage auf: Gibt es dafür ein Vorbild? Ein Vorbild, von dem wir lernen könnten, anders an gesellschaftliche Planungsprozesse heranzugehen und kollektive Leistungen intelligenter zu organisieren. Ein solches Vorbild gibt es, allerdings nicht im Umfeld unserer sozialen Institutionen. Es kommt aus der belebten Natur und es steckt in jedem von uns – es ist unser Gehirn. Das menschliche Gehirn ist das komplexeste und leistungs­ fähigste Organ, weil die Verknüpfungen – wie wir aus der Hirn­­for­ schung wissen – wichtiger sind als die Einzelteile, und weil etwas zwischen den Neuronen passiert: elektrische und chemische, ­mög­licher­weise auch rhythmische Verbindungen, Vernetzungen und Beziehungen. Es gibt keine zentral steuernde Instanz – das Gehirn meistert seine komplexen Aufgaben in weitgehend dezentral und zirkulär ablaufenden Prozessen, die in sich selbst steuernden ­Elementen des Nervensystems zusammenspielen.

Vorbild Gehirn

153

Wie es Bernhard von Mutius ausdrückt (Buch 2008, Seite 28)

»Die Intelligenz dieser Organisation beruht auf der Selbst­ organisation der miteinander vernetzten Teile.« Freiheit zum Denken

Dieses Prinzip lässt sich nicht einfach auf soziale Systeme über­ tragen. Aber man kann daraus lernen. Zentrale und hierarchische Organisationen sind offensichtlich weniger dazu geeignet, komplexe Funktionen gut zu erfüllen. Je höher die Intelligenz einer ­Organisation oder eines Systems ist, desto höher muss die Freiheit der selbstständig operierenden Einheiten sein. Vorsicht also bei allen Versuchen, regulierend oder bevormundend von oben oder von außen in komplexe Systeme einzugreifen. Wir kommen auch darauf noch einmal zurück, im Kapitel 12 Arbeitswelt (Seite 179 ff.) und Kapitel 17 Design­wirtschaft (Seite 237 ff.).

Isolierte, unkoordinierte Aktionen sind nicht dazu geeignet, komplexe Systeme nachhaltig zu einer gewünschten Veränderung zu bewegen. Wir brauchen Handlungselemente, die zueinander in Beziehung gesetzt, miteinander kombiniert und so eingesetzt wer­ den, dass sie zusammenpassen und zusammenwirken. Das bedeutet: ­Selbstorganisation plus Zusammenspiel statt hierarchischer ­Organisation plus Einzelaktion. Ziel ist es: Einfachheit jenseits der Kom­plexität anzustreben, statt sich mit Einfachheit diesseits der Komplexität zu begnügen. Kooperatives ­Verhalten

154

Denkansätze, die in der systemischen Therapie oder in der Kreati­ vitätsforschung entwickelt wurden, können uns anregen, wie wir durch die emotional geprägten Beziehungs- und Vorstellungswelten des anderen, unter Einbeziehung des bislang logisch Ausgeschlossenen, neue Lösungs- und Handlungsperspektiven entwickeln ­können. Kooperatives Verhalten sollte keine Ausnahme mehr sein, sondern als grundlegende Regel neu bewertet werden. Dabei sollten Spielregeln gelten, bei denen sich Wettbewerb und Zusammenarbeit nicht ausschließen, sondern zusammengehören. Dieses andere Denken lenkt den Blick vom Programm auf den Prozess: Auf das, was nicht berechenbar ist, was zufällig ist, was veränderbar ist. Dadurch wird die Zeit der Eigenaktivität betont, ohne deren Reflexion jede Forderung nach Nachhaltigkeit nur wie ein Mahnruf erscheint. Auf diese Weise können vielleicht auch wieder Politikentwürfe entstehen, die auf der Höhe der Zeit sind und nicht

auf Kamerahöhe. Es geht hier um das Sowohl-als-auch, das als ­ enkform des Politischen neu zu entwickeln ist. Es ist das andere D Denken – verstanden als eine andere Form von Bewusstheit, bezogen auf Personen und Funktionen, auf Raum und Zeit. Dieses andere ­Denken hat gelernt von der deutsch-amerikanischen Publizistin und Gelehrten Hannah Arendt (1906–1975): Handeln ist ein Wir und nicht ein Ich. Neu denken müssen wir auch die Wertschöpfungsprozesse. Durch die Verlagerung von materiellen Produkten zu immateriellen Dienstleistungsbeziehungen (zwischen Kunden, Mitarbeitern, ­Netzwerkpartnern und Zulieferern) verschiebt sich das Gewicht von Sachkapital hin zum Wissenskapital. Das aber ist schwerelos und kann nicht angefasst werden, weil es in den Köpfen der Akteure steckt, verborgen in Teamstrukturen und Netzwerken und kaum sichtbar. Dieses Wissenskapital vermehrt sich auf besonderer Weise dadurch, dass man es weggibt und mit anderen teilt. Wer es hortet oder abgeschottet von anderen damit arbeitet, verliert es. Diese Art der Wissensvermehrung durch Teilung ist neu und eine schwierige Aufgabe, deren Umsetzung aber für nahezu alle Unternehmen zukunftsentscheidend sein wird. Schon heute sehen sich deshalb viele Wissensarbeiter mit diesen Herausforderungen konfrontiert. Es geht heute in der Wertschöpfung um die Entwicklung eines immateriellen Vermögens (im Sinne des Könnens und Habens). Ein solches Vermögen entsteht nur in Beziehungen und kann nur durch die in Beziehungen gelebten Werte gefördert werden. Erst Beziehungswerte wie Integrität, Kooperationsfähigkeit, Respekt, Toleranz und Transparenz ermöglichen die grenzüberschreitenden Prozesse der Wissensbearbeitung. Sie sind Voraussetzung für gelingende Innovationsvorhaben. Und sie bekommen zunehmend auch eine ökonomische Relevanz.

Wertschöpfung und

Die Ökonomie verwandelt sich in eine Beziehungs-Ökonomie, in der Wertschöpfung auf Wertschätzung basiert. Das rein Rationale und Berechenbare entwickelt sich zum Emotionalen und Hoch­ geschätzten.

Beziehungs-­

Wissenskapital

Ökonomie

Der Anthropologe Michael Tomasello hat das in seinem neuen Buch Warum wir ­kooperieren (2010, Umschlag) über das Übliche hinausgehend beschrieben:

»Wir Menschen verfügen nicht nur über eine unglaubliche ­Intelligenz, sondern wir sind auch noch unglaublich nett.«

155

Wir haben es nicht nur mit einer Tendenz zur Ökonomisierung der Gesellschaft und des geistigen Lebens zu tun, sondern auch mit der Gegentendenz zur Sozialisierung und Intellektualisierung der Wirtschaft. Es ist deshalb die Frage, ob sich die Erfahrungen des konstruktiven Intellektuellen bei der Gestaltung von Veränderungsprozessen auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen als fruchtbar erweisen können. Die Antworten werden dort zu finden sein, wo Vertreter des privatwirtschaftlichen und des öffentlichen Sektors in grenz­über­ schreitenden sozialen Kooperationen an längst überfälligen ­gesellschaftspolitischen Reformen arbeiten und über neue zivile Strukturen der Gesellschaft nachdenken. Gestaltungsauftrag

Sinnvoll wäre es auch, über die Begriffe Gestalt und Gestaltung nachzudenken. Üblicherweise wird Gestaltung mit Design gleich­gesetzt und im Sinne von visueller Gestaltung bzw. Produktge­staltung als äußere Formgebung materieller Dinge gebraucht. Zwar wird auch häu­ fig davon geredet, den Wandel zu gestalten oder vom Gestaltungsauftrag der Politik, der Wirtschaft und der Medien gesprochen, bisher aber scheint das noch eine überwiegend leere Gestaltrhetorik zu sein. Friedrich August von Hayek schreibt in Der Primat des Abstrakten (aus Bernhard von Mutius, Buch 2008, Seite 37):

»Über Gestalt und Gestaltung neu nachzudenken bedeutet, alte und neue Sichtweisen zusammenzuführen und dabei von der Anschauung konkreter, materieller Objekte auf die Ebene der Betrachtung immaterieller Prozesse zu wechseln und künftig nicht mehr von konkreten Einzeldingen, sondern von abstrakten Rela­tionen auszugehen.« Diese Sichtweise betrifft Sie als Designerin und Designer ­unmittelbar. Mehr dazu im Kapitel 14 Prozessorientierte Dienst­ leistungen (Seite 201 ff.). Bernhard von Mutius hat in seinem Buch Die andere Intelligenz die Gegensätze des alten und neuen Denkens, der Logik von Trivialem versus Komplexem, der Muster, die trennen im Vergleich zu denen, die verbinden, anschaulich dargestellt (3. Auflage 2008, Seiten 40–41). Im gleichen Buch ist auch ein Interview zwischen ihm und Bernhard E. Bürdeck (Professor im Fachbereich Produktgestaltung an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach a. M.) abgedruckt, das bereits in gekürzter und modifizierter Form in der Zeitschrift 156

form Nr. 184 in 2002 erschienen ist. Hier vermutet Bernhard von Mutius, dass Designer, die nach einem erweiterten Designbegriff arbeiten, auf absehbare Zeit mit großer Wahrscheinlichkeit eher nur eine Nischenposition auf dem Markt besetzen können, sich aber der Radius ihres Tuns allmählich erweitern und in Richtung prozesssowie beziehungsorientierter Gestaltungsprojekte verlagern wird. Dieser Sichtweise schließen wir uns an und stellen fest, dass wir in der Beziehungs- und Prozess-Richtung schon ein ganzes Stück weitergekommen sind. Eigentlich sind wir mittendrin!

Wenn man in einer Wissenschaft wie der Physik Neuland gewinnen will, muss man den Grund verlassen, auf dem ihre Erkenntnisse ­bisher ruhen. Um die Materie besser zu verstehen, ist es hilfreich zu beobachten, was sich innerhalb einzelner Atome abspielt. Dazu müssen immer feinere Messinstrumente entwickelt werden. ­Bevor diese entwickelt sind, arbeiten die Physiker mit sogenannten Gedankenexperimenten. Sie suchen in ihrem Geist nach physi­ kalischen Theorien und entsprechenden mathematischen Formeln. Mit diesen berechnen sie im Voraus, welche zukünftigen Experimente nach ihrer Theorie zu welchen Ergebnissen führen müssen. Erst danach versuchen sie ihre Ergebnisse experimentell zu überprüfen. Es hängt allein von diesen Ergebnissen ab, welche Mess­ geräte gebaut werden, und die Messungen beantworten nur die ­Fragen, die vorher gestellt werden. Die entscheidenden Fortschritte im Bereich der Physik werden demnach durch das Denken erzielt. Aber nur wer in der Lage ist, sich von kollektiven Gedankenformen zu verabschieden, kann wirklich Neuland betreten. Revolutionen im Bereich der Wissenschaft (und sicher nicht nur dort) entstehen immer durch einen Fortschritt in der Flexibilität des Denkens wie die Beispiele der Quantenmechanik und die Relativitätstheorie zeigen. Es sind also letztlich die Fragen und nicht die Antworten, die unser Weltbild bestimmen. Es werden uns deshalb Antworten verborgen bleiben, für die wir keine Fragen haben. Wir müssen also überprüfen, wo unsere Fähigkeit flexibel zu denken, eingeschränkt wird. Gewohnte Gedanken sind wie unsichtbare Mauern, die uns gefangen halten. Erst wenn uns diese Widerstände bewusst werden, können wir nach Türen suchen.

11.2 Anders denken ­lernen

Im folgenden Kapitelabschnitt setzen wir uns mit den Gedanken der Philosophin Natalie Knapp auseinander (aus ihrem Buch anders denken lernen, 2008). 157

Gedankenformen

Denken und ­sprechen

158

Unsere Gedankenformen sind nicht nur hilfreich für Sinnesein­ drücke, sie können auch Ideen ordnen und miteinander verknüpfen. Um neue Ideen zu verstehen, müssen wir neue Gedankenformen ­bilden. Das braucht Zeit und Raum, in dem sie sich entwickeln können. Zunächst einmal entsteht dabei Verwirrung, und es ist sinnvoll, auf die Erfahrungen, die man mit den einzelnen neuen Gedanken macht, zu achten. Die emotionale oder physische Reaktion auf neue Gedanken hilft, ihre Qualität zu erfassen. Ändert sich ein Weltbild, haben wir die einmalige Chance, den Charakter und die Qualität von Ideen bewusst wahrzunehmen. In erster Linie geht es hier also nicht um falsch oder richtig, sondern darum, eine neue Welt zu entdecken. Je mehr es uns gelingt zwischen verschiedenen Gedankenformen entscheiden zu können, desto flexibler sind wir in der Lage, nach Lösungen zu suchen. Dafür müssen wir uns zunächst auf verschiedene Gedankengebäude einlassen. Erst dann wird uns bewusst, dass unsere gewohnte Form zu denken nur eine Möglichkeit von ­vielen ist. Wenn man dabei nicht gleich alles versteht, ist man auf dem richtigen Weg. Denn die Verwirrung ist ein Zeichen dafür, dass die gewohnten Gedankenformen ihre ordnende Funktion nicht mehr selbstverständlich ausüben, sondern sich neu konstituieren. Ideen, die Gedankenformen grundlegend verändern, können nicht in unserer vertrauten Sprache ausgedrückt werden. Neue Gedankenformen brauchen eine neue Sprache. Nur wenn wir uns die Zeit nehmen, ein Gefühl für diese neue Sprache zu entwickeln, können wir unsere Gedankenformen verändern. Deshalb lohnt es sich auch für Laien, sich mit schwierigen philosophischen Texten auseinanderzusetzen. Gerade weil wir diese Sprache nicht sofort ­verstehen, kann sich für uns eine Tür mit neuen Erkenntnissen öffnen. Unsere Sprache spiegelt das Weltbild unserer Zeit und sorgt dafür, dass unsere Gedankenformen lebendig bleiben. So ersetzt zum ­Beispiel der Begriff Abspeichern oder Speichern in unserer Alltagssprache immer mehr den Begriff Sich-Erinnern. Das erscheint uns ganz normal und ist ein nüchterner Vorgang. Das Sich-Erinnern ist allerdings wesentlich komplexer. Denn Erinnerungen bestehen nicht nur aus nüchternen Daten, sie enthalten Bilder, Emotionen (Atmosphären, Gefühle, Stimmungen) und Gerüche, die wir mit Ereignissen und Wahrnehmungen verbinden. Wenn man innerhalb einer Erinnerung eine Marke, also ein Zeichen setzt und dadurch eine komplexe Erinnerung strukturiert, dann bedeutet das: Wir haben uns etwas gemerkt. Etwas speichern hingegen heißt, es auf eine Datenmenge zu reduzieren.

Wir können zum Beispiel den Namen eines Menschen abspeichern oder uns an seinen Namen erinnern. Diese Vorgänge sind ­völlig unterschiedlich. Je häufiger wir unbewusst lebendige Ereignisse auf bloße Datenmengen reduzieren, desto schneller vergessen wir, was sich erinnern eigentlich bedeutet. Wir sehen unser Gehirn damit als eine mehr oder weniger leistungsfähige Maschine an. Wenn wir das menschliche Denken mit Begriffen wie neuronale Netzwerke und Synapsenverbindungen oder Speicherkapazitäten beschreiben, erscheint uns das einleuchtend. Wir glauben, dass damit beschrieben ist, was wirklich in unserem Gehirn vor sich geht. Der Vergleich zwischen Mensch und Maschine ist zu einer uns vertrauten Gedankenform geworden und setzt sich in unserer Sprache fest. Ursache unserer Sprache aber ist nicht etwa unser Wissen um das, was hinter den Begriffen steht oder unser Nachdenken über den Unterschied zwischen Gehirnfunktionen und Denken. Wenn wir unsere Sprache auf objektive Aussagen und Inhalte reduzieren, richten wir uns auf den materiellen Gehalt des Lebens aus. Wir können auf diese Weise die objektiven Tatsachen der Naturwissenschaften (und die scheinbar rationalen Ideologien der Wirtschaftswissenschaften) beschreiben, das pragmatische Falsch oder Richtig. Aber all die anderen Aspekte des Lebens bleiben uns ver­ borgen. In der reduzierten Sprache der Naturwissenschaften (und auch der Wirtschaftswissenschaften) haben Aspekte des Lebens, die sich nicht objektivieren lassen, keinen Platz. Atem, Dichtung, Dynamik, Rhythmus, Vielfalt und Wandel haben hier keinen Zugang. Die Sprache ist Teil unseres Bewusstseins und viel mehr als nur ein Hilfsmittel, um Gedanken auszudrücken und zu vermitteln. Die Sprache, die wir sprechen, die uns umgibt, mit der wir uns beschäftigen, beeinflusst unser Leben. Je lebendiger und differenzierter sie ist, desto vielschichtiger ist die Welt, die wir durch unser Bewusstsein, unser Denken gestalten. Wenn wir unser materialistisches Weltbild überdenken wollen, müssen wir unserer Sprache ihren lebendigen Charakter zurückgeben. Nur so formt sie eine lebendige Welt. Die Struktur unsere Sprache festigt unser vierdimensionales ­Weltbild. Auch wenn wir uns bemühen, uns weitere Dimensionen vor­­zustellen, bleiben wir in unserer Realität. Das bedeutet allerdings nicht, dass es keine weiteren Dimensionen gibt, sie sind nur nicht Teil unseres kollektiven Weltbildes. Was wir uns nicht bildhaft und räumlich vorstellen können, erscheint uns unwirklich. Und das, obwohl wir schon immer die Fähigkeit und Mittel hatten, viel mehr

Denken verstehen

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Dimensionen des Realen zu erfassen. Physiker nutzen die exakte Sprache der Mathematik, Künstler die der Dichtung, der Musik oder der Bildenden Kunst. Für viele Menschen sind diese Dimensionen allerdings nicht real, sondern lediglich eine Abwechslung und im besten Fall eine Methaper. Wenn wir aber kollektiv eine Atmosphäre des Denkens schaffen wollen, die kreative Lösungen ermöglicht, müssen wir alle Dimensionen als real anerkennen. In der Philosophie ist die Haltung des Ich weiß, dass ich nichts weiß schon seit Sokrates (469–399 v. Chr.) selbstverständlich. Es ist das Bekenntnis zu der hohen Kunst, die eigenen Gedankenformen nicht absolut zu setzen. Es ist die Kunst, auf die Sicherheit angeblichen Wissens zu verzichten und zeitweise orientierungslos zu sein. Und es ist schließlich die Kunst, immer wieder von vorne anzufangen und neu zu denken. Die Philosophen helfen uns dabei, Fragen nach Gerechtigkeit, Leben und Menschsein von allen Seiten zu betrachten. Sie zeigen uns verschiedene Weltbilder und geben uns dadurch die Möglichkeit, uns mit unseren eigenen Weltbildern auseinanderzusetzen. Sie erschließen uns verschiedene Möglichkeiten des Denkens. Und Denken ist eine Fähigkeit, Wahrnehmungen auf jeweils ­angemessene Weise zu strukturieren. Das Denken hat verschiedene Formen. Jedoch wissen nur wenige, wie man sich aktiv und aufmerksam in einen Raum des Nicht-Wissens begibt und dadurch die Voraussetzungen für neue Erkenntnisse schafft. Auch an den meisten Hochschulen wird diese Fähigkeit schon lange nicht mehr gelehrt. Vorherrschend ist lediglich das intellektuelle Verarbeiten von Informationen, ohne Platz zu schaffen für individuelle Interpretationen. Das ist einerseits nützlich, anderseits doch ziemlich kümmerlich im Denken. Solange wir nur das wahrnehmen, was im materiellen Sinne messbar ist, wird das meiste aussortiert, bevor es in unser Bewusstsein kommt. Das ist eine effektive Methode, Innovation wirksam zu verhindern. Ideen denken

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Um gute Ideen zu haben, besonders als Designerin und Designer, müssen wir uns auf unbekanntes Terrain begeben. Wir kennen weder den Weg dorthin noch die Welt, die dort auf uns wartet. Es ist eine Welt des Nicht-Verstehens. Das ist leichter als man glaubt, zumal jeder diesen Weg bereits gegangen und ans Ziel gekommen ist. Eine Idee ist, nach philosophischer Auffassung (Aristoteles), einerseits ein Begriff, mit dem wir die Grundstrukturen ähnlicher Erfahrungen erfassen – andererseits (Platon) ist sie ein lebendiges

geistiges Wesen in einer eigenen Welt, die – auch unabhängig von einzelnen Erfahrungen – lebendig ist. Diese Ideenwelt bleibt uns unverständlich, solange wir unseren Fokus auf die Welt der Materie richten. Wenn wir jedoch die Qualität der geistigen Erfahrungen im Blick haben, wird sie denkenswert. Platons Sicht konzentrierte sich auf die Welt der lebendigen geistigen Formen, da diese Welt bestimmt, was letztlich materiell sichtbar werden kann. Wir allerdings verknüpfen unsere sprachliche Wirklichkeit eng mit unserer Erfahrungswirklichkeit und führen jede sprachliche Äußerung auf das zurück, was wir bereits kennen. Daher stellen wir uns unter ­Platons Ideenwelt eine Welt vor, die unserer materiellen entspricht. Unabhängig davon, wer (Aristoteles oder Platon) nun recht hat – es kommt darauf an zu sehen, welche Folgen unsere Denk­ strukturen für unseren Alltag haben und wie andere Denkstrukturen unseren Alltag verändern können. Erst wenn wir verschiedene ­Formen des Denkens einüben, können wir entscheiden, was wir in einer bestimmten Situation für angemessen halten. Das Denken ist die Wahrnehmung, mit der wir zwischen der Welt der Materie und der Welt der Ideen eine Verbindung schaffen können. Dazu brauchen wir eine geteilte Aufmerksamkeit. Einerseits auf Inhalte, die beschreiben, kombinieren, ordnen, vergleichen und abwägen. Andererseits auf etwas, das noch keine konkrete Form hat. Menschen, die mit Ideen arbeiten, sind das gewohnt. Künstler, Philosophen und Wissenschaftler beschäftigen sich nur zum geringen Teil mit konkreten Problemen und konzentrieren sich überwiegend auf etwas, wovon sie nicht genau wissen, was es ist und was es einmal wird. Diese Konzentration ist eine Form von entspannter Wachheit, ein offenes Denken in jede mögliche Richtung. Für die meisten Menschen ist das ein intuitiver Prozess. Zur Intuition finden Sie einige Hintergründe im ersten Buch (aus dieser Reihe): Designbusiness gründen und entwickeln, im Kapitel 19.12.

Die Welt der Ideen ist ungleich dynamischer als die Welt ­ nse­rer persönlichen Erfahrungen und der individuell erfassbaren u Inhalte. Sie ist ständig in Bewegung und verändert sich. Wir dürfen keine festen Vorstellungen haben, wenn wir uns mit ihr verbinden. ­Vielmehr emp­fiehlt es sich, dass wir uns völlig entspannt in diese Ideenwelt hineinversetzen und auf ihre Bewegungen reagieren, gerade weil wir sie nicht erfassen können. Durch die Bewegung werden die von uns erarbeiteten Inhalte neu geordnet und bewertet. 161

Wir verlassen uns im Alltag oft auf unseren Instinkt. Er ist Teil unseres Verstandes, der an den meisten Hochschulen vernach­ lässigt wird. Auch wenn wir denken lernen, kann sich ein Instinkt entwickeln. Der Instinkt des Denkens hat nichts mit Lernmethoden oder der Ansammlung von Wissen zu tun, er ist eine Form von Wachheit für das Immaterielle. Wenn wir diese Wachheit im Denken ­entwickeln, können wir einer Welt der Veränderungen auf ange­ messene Weise begegnen. 11.3 Kreativ denken

Eine Idee oder ein Produkt, das die Bezeichnung kreativ verdient, entsteht aus dem Zusammenwirken vieler Einflüsse und nicht nur aus der Genialität des Einzelnen. Es ist daher leichter, Kreativität durch eine Veränderung äußerer Bedingungen zu fördern als durch den Versuch, das Individuum zu kreativem Denken anzuregen. Eine wirklich herausragende Kreativleistung ist so gut wie nie das Ergebnis einer schlagartigen Erkenntnis, einer plötzlichen Eingebung, sondern vielmehr das Resultat jahrelanger harter Arbeit. Kreativität spielt in unserem Leben aus mehreren Gründen eine zentrale Rolle der Sinngebung. Die meisten bedeutsamen, ­interessanten und menschlichen Phänomene sind Ergebnisse der Kreati­vität. Kreativität ist so faszinierend, weil sie uns aus dem Alltag heraushebt und weil sie uns das Gefühl gibt, intensiver zu leben. Kreativität hinterlässt ein Ergebnis, das zum Reichtum und zur Komplexität des Lebens in der Zukunft beiträgt. Der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi (emeritierter Professor der University of ­Chicago, in Italien als Sohn einer ungarischen Familie geboren) formulierte in s ­ einem Buch Creativity (1996; dt.: Kreativität, 1997 – 8. Auflage 2010, Seite 16):

»Was auch geschieht, die Zukunft ist heute untrennbar mit der menschlichen Kreativität verknüpft.« Mit den Gedanken von Mihaly Csikszentmihalyi setzen wir uns in diesem Abschnitt auseinander. Evolution

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Kreativität entsteht aus der Interaktion dreier Elemente, die ­gemeinsam ein System bilden: eine Kultur, die symbolische Regeln umfasst, eine Einzelperson, die etwas Neues in diese symbolische Domäne einbringt und ein Feld von Experten, die diese Innovationen anerkennen und bestätigen. Alle drei Elemente sind Voraussetzung dafür, dass es zu einer kreativen Idee, Arbeit oder Entdeckung kommen kann. Kreativität ist das kulturelle Gegenstück zum genetischen Veränderungsprozess, der die biologische Evolution bewirkt. In der kulturellen Evolution gibt es keine Mechanismen, die genauso

­wirken wie Gene, weil eine neue Idee oder Erfindung nicht auto­ matisch an die nächste Generation vererbt wird. Kreative Entwicklungen in einer bestimmten Domäne sind nur möglich, wenn ein Überschuss an Aufmerksamkeit vorhanden ist. Darüber hinaus liegen Zentren der Kreativität offenbar häufig an den Schnittstellen verschiedener Kulturen – dort wo Erkenntnisse, Lebensweisen und Überzeugungen zusammentreffen und dem ­einzelnen die Möglichkeit geben, neue Ideenkombinationen leichter wahrzunehmen. Kreativität entfaltet sich also vorzugsweise an Orten, wo neue Ideen weniger wahrnehmbare Anstrengungen ­erfordern.

Aufmerksamkeit

Mihaly Csikszentmihalyi ist in dieser Erkenntnis dem amerikanischen Wirtschaftsgeografen Richard Florida um einige Jahre voraus. Dazu mehr im Kapitel 17 Designwirtschaft (Seite 237 ff.).

Kreative Menschen gelten häufig als Sonderlinge, werden oft sogar für arrogant, selbstsüchtig und rücksichtslos gehalten. Diese bei kreativen Personen vermuteten Eigenschaften sind aber nicht angeborene, sondern es sind Merkmale, die wir ihnen aufgrund unserer Wahrnehmung unterstellen. In der Regel sind Kreative aber weder einseitig spezialisiert noch egoistisch. Häufig ist das Gegenteil der Fall. Sie verknüpfen gern und stellen leidenschaftlich ­Verbindungen zu angrenzenden Wissensgebieten her. Im Prinzip sind sie fürsorglich und einfühlsam. Allerdings werden sie durch die Anforderungen ihrer Tätigkeit unweigerlich zur Spezialisierung und Selbstsucht getrieben. Von den vielen Paradoxien rund um die ­Kreativität ist dieses Fehlurteil vielleicht am wenigsten ­vermeidbar. Um die enormen Probleme unserer Gesellschaft zu lösen, braucht man ein positives Ziel, das zum Weitermachen motiviert. Die Krea­ tivität ist eine solche Motivationsquelle. Csikszentmihalyi führt weiter aus, dass jeder Mensch mit zwei widersprüchlichen Instruktionsprogrammen geboren wird: mit einer konservativen Tendenz und einer expansiven Tendenz. Zur letzteren gehört die Neugier, die zur Kreativität führt. Beide Programme sind notwendig. Die erste braucht wenig Ermutigung oder Unterstützung von außen. Die zweite kann jedoch verkümmern, wenn sie nicht gefördert wird, wenn es zu wenig Anreize für die Neugier gibt, wenn der Risikobereitschaft und dem Forschungsdrang zu

Nutzen

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viele Hindernisse in den Weg gestellt werden. Sehr schnell ersticken solche Stolpersteine die Neigung zu einem kreativen Verhalten. Die Kreativität gehört in Anbetracht ihrer Bedeutung zu unseren obersten Prioritäten – das sollte man zumindest meinen. Allerdings sieht die Realität anders aus. Grundlagenforschung wird zu Gunsten praktischer Anwendungen reduziert. Künste werden zunehmend als überflüssig betrachtet und ihre Daseinsberechtigung müssen sie im anonymen Massenmarkt beweisen. Dimensionen der Komplexität

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Mihaly Csikszentmihalyi beschreibt in seinem Buch zehn Dimen­ sionen der komplexen Kreativität. Er meint damit, dass kreative ­Persönlichkeiten Denk- und Handlungstendenzen zeigen, die bei den meisten anderen Menschen getrennt sind. Kreative vereinen also widersprüchliche Extreme in sich. Diese bilden allerdings keine individuelle Einheit, sondern eine individuelle Vielheit. Bei einem kreativen Menschen ist die Wahrscheinlichkeit deshalb größer, dass er sowohl aggressiv als auch kooperativ ist (gleichzeitig oder abwechselnd, je nach Situation). Eine so komplexe Persönlichkeit hat das Vermögen, die volle Bandbreite von möglichen Eigenschaften unseres menschlichen Repertoires zum Ausdruck zu bringen. ­Allerdings verkümmern diese Begabungen in der Regel, weil wir den einen oder anderen Pol für gut bzw. schlecht halten. Der Schweizer Psychoanalytiker Carl Gustav Jung (1875–1961) definierte einen Typus, den er als reife Persönlichkeit bezeichnete. Kreative Menschen haben viel Ähnlichkeit damit. Fassen wir noch einmal zusammen: Kreative Menschen sind komplexe Persönlichkeiten. Sie haben die Fähigkeit, von einem Extrem zum anderen zu wechseln, sofern es die Situation erfordert. Sie kennen definitiv beide Extreme und erleben beide mit derselben Intensität und ohne innere Konflikte. Zu veranschaulichen ist das am Beispiel von zehn scheinbar gegensätzlichen Merkmalspaaren, die bei diesen Personen häufig gemeinsam auftreten und durch ein dialektisches Spannungs­ verhältnis verbunden sind: >> 1. Kreative verfügen über eine Menge physischer Energie, sind häufig aber auch ruhig und entspannt. >> 2. Kreative sind oft weltklug und naiv zugleich. >> 3. Kreative verbinden Disziplin und Spielerisches oder ­Verantwortungsgefühl und Ungebundenheit. >> 4. Kreative wechseln zwischen Imagination und Phantasie ­einerseits und einem bodenständigen Realitätssinn ­andererseits.

>> 5. Kreative vereinen offenbar gegensätzliche Tendenzen auf dem Spektrum zwischen Extraversion und Introversion. >> 6. Kreative fallen durch eine widersprüchliche Mischung von Demut und Stolz auf. >> 7. Kreative entfliehen in gewisser Weise der rigiden Rollen­ verteilung zwischen Frau und Mann, der Femininität und Masku­linität. >> 8. Kreative sind sowohl traditionell und konservativ als auch rebellisch und bilderstürmerisch. >> 9. Kreative bringen sehr viel Leidenschaft für ihre Arbeit auf und können ihr doch mit einem Höchstmaß an Objektivität begegnen. >> 10. Kreative sind durch ihre Offenheit und Sensibilität häufig Leid und Schmerz, aber auch intensiver Freude ausgesetzt. Diese zehn widersprüchlichen Merkmale sind die vielleicht ­ ufschlussreichsten Eigenschaften von Kreativen. Selten sind sie a jedoch alle in ein und derselben Person anzutreffen. Mihaly Csikszentmihalyi geht in seinem Buch Kreativität u. a. auch auf den Flow der Kreativität ein, den er grundsätzlich in seinem bekanntesten Buch FLOW – The Psychology of Optimal Experience, 1990 (dt.: FLOW – Das Geheimnis des Glücks, 1992) beschrieben hat. Neben der psychologischen Definition des kreativen Denkens gibt es noch zahlreiche Betrachtungen aus verschiedenen ­wissenschaftlichen Disziplinen. Auf diese wollen wir hier nur kurz hinweisen.

Der britische Neurologe Oliver Sacks zitiert in seinen Buch Musicophilia – Tales of Music and the Brain, 2007 (dt.: Der einarmige Pianist, 2008, Seite 54) den Berufskol­ legen Rodolfo Llinás:

Neurologische ­Einschätzung

»Die neuronalen Prozesse, die dem zugrunde liegen, was wir Kreativität nennen, haben nichts mit Rationalität zu tun. Das heißt, wenn wir uns anschauen, wie im Gehirn Kreativität erzeugt wird, sehen wir, dass es überhaupt kein rationaler Prozess ist; Kreativität wird nicht aus dem Denken geboren.«

Der amerikanische Soziologe Richard Sennett hat in seinem Buch The Craftsman, 2008 (dt.: Handwerk, 2008, Seite 384) den Ausdruck Kreativität so selten wie möglich benutzt und begründet das wie folgt:

Soziologische ­Einschätzung

»Er [der Begriff] führt allzu viel romantisches Gepäck mit sich – das Mysterium der Inspiration, den Anspruch auf Genialität. Ich habe 165

versucht, dieses Geheimnis ein wenig zu lüften, indem ich gezeigt habe, wie es beim Nachdenken über die Aktivität der eigenen Hand oder beim Gebrauch von Werkzeugen zu Intuitionssprüngen kommt.«

Er betont in seinem Buch die Bedeutung der handwerklichen Arbeit und macht aufmerksam auf die Relevanz der Verbindung ­zwischen Handeln und Denken. Vorwiegend setzt er sich hier mit der menschlichen Hand und deren Einfluss auf unsere Denk­ prozesse auseinander.

Der deutsche Wirtschaftsjournalist Wolf Lotter hat im Wirtschaftsmagazin brand eins (Heft 05 Mai 2007, Seite 53) in seiner Kolumne über Die Gestörten den Wissenschaftler Hans Eysenck zitiert:

»Kreative sind deshalb kreativ, weil ihr Gehirn auf Sinnesreize aller Art höchst offen reagiert.«

Pointiert beschreibt er, wie sich die Gestörten (die Kreativen) von den Gehemmten (die sich durch nichts von ihren Routinen ablenken lassen) unterscheiden lassen und welche gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung sie haben. Außerdem hat er in seinem Buch Die Kreative Revolution (2009, Seite 75) über Kreati­ vität und Denken gesagt:

»Kreativität ist, vereinfacht gesagt, die Fähigkeit, sich einem ­Problem, das in dieser Art und Weise noch nie vorgekommen ist, zu nähern und dieses Problem so zu lösen, wie es noch nie zuvor gelöst wurde.« 11.4 Wie Designer denken

Der deutsche Gestalter Otl Aicher (1922–1991) setzte sich in seinen Arbeiten auch mit dem Spannungsfeld zwischen Denken und Machen auseinander. In seinem Buch analog und digital (1991/1992, Seite 76) schreibt er u. a.:

»wir müssen vom denken zum machen übergehen und am machen neu denken lernen.« Seine Gedanken betrachten wir in diesem Abschnitt etwas näher. Eine neue ­Philosophie

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Otl Aichers Ansatz lässt sich mit Hinweis auf die Philosophie, und hier u. a. auf Immanuel Kant begründen. Dass (zum Beispiel) für Kant die Erkenntnisse von den Dingen ausgehen, aber nicht von ihnen

selbst, sondern von der Anschauung, von den Bildern, die wir uns von den Dingen machen. Unser Verstand verarbeitet diese ­Anschauung mit seinen Kategorien und ist damit begrenzt. Er kann nur ­Anschauliches verarbeiten und das auch nur in den Grenzen seiner Verstandesbegriffe. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Kant der Philosoph der Anschauung (und nicht der Vernunft) ist. Weil Kant die Anschauung als Philosophie betrachtet, erkennt er die ­Vernunft auch nur auf dieser Ebene gemäß ihren Kategorien und Prinzipien an. Weil der Geist nicht über das hinaus kann, was die Sinne einbringen, weil er eben auf die Anschauung bezogen ist. Nachdem Kant seine Kritik der reinen Vernunft und seine Kritik der praktischen Vernunft abgeschlossen hatte, stellte er sich die Frage, was unser Denken bestimmt: die Vernunft oder die Empfindung, das rationale, systematische Urteil oder das ästhetische Urteil? Daraus leitete er ab, dass die Welt nicht nur vernünftig ist, sondern auch zweckmäßig, dass nicht nur ihre objektive Wahrheit von Belang ist, sondern auch ihr Sinn. Kant schrieb daraufhin die Kritik der Urteilskraft. Wenn unsere Lebensform durch Zweckmäßigkeit bestimmt wird und der Verstand zum richtigen Machen nicht ­ausreicht, dann wird eine neue Art des Denkens und Urteilens not­ wendig. Der Begriff Urteilskraft lehnt sich zwar an Vernunft und ­Verstand an – tatsächlich aber geht es um Empfindung. Ein Titel wie Empfindung als Erklärungsprinzip hätte allerdings eine Umkehr bedeutet. Im Text spricht Kant von Einbildungskraft, im Titel bleibt er in der Rationalität. Empfindung ist eine Erkenntnis und nicht nur Denken in den Kategorien des Verstandes. Zu dieser Einsicht kommt Kant, geleitet von einer neuen Auffassung von der Natur. Wir erfahren die Welt zuerst durch unsere Empfindung und nicht durch die Vernunft. Der Mensch hat die Freiheit, sich in eine Welt der Zweckmäßigkeiten einzufügen, in sinnvolle Perspektiven. Dazu entwickeln wir perspektivische Weltentwürfe: Die Welt und das Leben als Entwurf, geleitet von der Empfindung des Konkreten. Eine neue Philosophie. Unser Gehirn ist kein Schlussfolgerungsorgan für logische Schritte und objektivierbare Regeln, sondern ein auf das eigene Selbst ­bezogenes Bewertungsorgan. Bewertungen und Feststellungen von Bedeutungen sind keine Rechenoperationen. Auch Emotionen ­las­sen sich nicht berechnen, genauso wenig wie Zweckmäßigkeit oder ästhetische Qualität. Die Neurophysiologie unterscheidet zwei Methoden der Informationsverarbeitung, eine rechnende und eine bewertende. Das Gehirn hat eine analytische und eine synthetische

Kultur des Denkens

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Hälfte – eine schlussfolgernde im digitalen Sinn und eine schauende im analogen Sinn. Vor dem Hintergrund der Computerisierung unserer Gesellschaft stehen wir vor einer Kulturschere. Es stellt sich die Frage, ob wir uns dem logischen Determinismus exakter Rechenmethoden überlassen, oder ob wir den Rahmen einer eindimensionalen Zivilisation der Ordnung und Einordnung (die auch immer eine Unterordnung und Herrschaft mitbringt) sprengen. Unsere Kultur ist wie ihre methodische Ausstattung (Technik). Mit jedem neuen Computer nimmt die Quantifizierung und Kapitalisierung zu. Außer der rechnerischen Entfaltung engt dies aber alle Freiheiten ein. Ein Beispiel: Im Kampf um höhere Auflagen wird die Qualität einer Zeitung ­reduziert. Es geht hier nicht um eine Revolte gegen das Computerzeitalter, sondern vielmehr um den Nachweis, dass Gehirn und D­enken wesentlich komplexer angelegt sind, als dass sie in mathematischen Methoden abbildbar wären. Otl Aicher (analog und digital, 1991/1992, Seite 183) stellt dazu fest:

»erkenntnis ist nicht sein, sondern verhalten. nichts ist, außer in bedeutungen. die bedeutung ist eine individuelle, persönliche ­korrespondenz zwischen mir und meinem umfeld, in dem ich stehe, lebe und agiere.«

Wir ändern ständig unsere Positionen: geografisch, beruflich, gesinnungs- oder neigungsmäßig. Unsere Bezugspunkte sind ein Umfeld, dass sich ständig bewegt – mit neuen Gesichtern, Ideen und Positionen. Ausgenommen ist – als einziger fester Bezugspunkt – unser eigenes Ich. Die Welt des Computers ist statisch, wenn auch grenzenlos. Unsere Welt hingegen ist begrenzt, aber dynamisch. Das schlussfolgernde Denken unterscheidet sich deutlich vom anschauenden Denken. Das schlussfolgernde Denken wird als ­Konzentration bezeichnet. Sich konzentrieren bedeutet, alle Denkmechanismen auszuschalten, die das lineare Schlussfolgern beeinflussen oder überlagern. Damit lassen wir nur eine bestimmte Form des Denkens zu und sparen andere Denkformen aus (schalten das licht anderer funktionen unseres gehirns ab). Das Arbeiten mit Zahlen ist digital und das mit Vergleichen analog. Digitale Verfahrensweisen erfassen Quantitäten, analoge zeigen Qualität, und das auf Anhieb. Logisches Denken kann nur einen Gedanken denken, analoges ­Denken mehrere. Nur wenn es mindestens zwei Dinge (Gedanken) gibt, kann man vergleichen und Einsichten gewinnen (anstatt Resul168

tate erzielen). Anstelle von Schlussfolgerungen fällt man Urteile. Nur die Anschauung ermöglicht, das Ganze zu sehen. In unserem Selbstverständnis betrachten wir unser Denken als angeboren. Tatsächlich ist es ein Produkt unserer Erziehung und Kultur. So wie es uns die Zeit lehrt, denken wir. Als Produkt unserer Kultur sind wir denkende und konsumierende Menschen. Deshalb bilden sich auch unsere Fähigkeiten, etwas zu machen und zu entwerfen, zurück. Wir werden passiv und unsere Aktivitäten verkümmern. Wir sind Kinder einer Denkkultur geworden, die das Denken vom Machen abgekoppelt hat, um es an logische Exaktheit zu binden. Der Konsumgenuss trat an die Stelle des Tuns. Otl Aicher (analog und digital, 1991/1992, Seite 189) schließt mit der Feststellung:

»wir sitzen im gefängnis der eigenen vernunft. je mehr wir wissen, um so weniger können wir tun.«

Er war einer der herausragendsten Vertreter des modernen ­ esigns und Mitbegründer der legendären Ulmer Hochschule D für Gestaltung. Seine Arbeiten, z. B. auf dem Gebiet des Corporate Designs, gehören zu den großen Leistungen der visuellen Kultur unse­rer Zeit und sind verankert in einer Philosophie des Machens. Diese Philosophie hat er in seinen Schriften zu Fragen des Designs (von der visuellen Gestaltung bis zur Architektur) kritisch bewertet. In seinem Buch hat er sich u. a. auch mit den Fragen von greifen und begreifen und das auge, visuelles denken auseinandergesetzt. ­Welche Relevanz seine Kritik des Denkens hat, wird einmal mehr deutlich an folgendem Zitat aus seinem Buch die welt als entwurf (1991/1992 Seite 23): »[…] mit ästhetischen empfindungen könnte man kein gespräch mit einem ingenieur oder einem ökonomen anfangen.« Auch wenn seine Gedanken aus dem letzten Jahrhundert ­stammen, sind sie immer noch aktuell und zeitgemäß. Wie sehr, das wird aus dem folgenden leidenschaftlichen Plädoyer einer lehrenden Designerin ersichtlich.

Die spanische Designerin und promovierte Professorin an der ­Fachhochschule Lübeck, Felicidad Romero-Tejedor, hat sich in ihrem Buch Der denkende Designer (2007) mit dem Paradigmenwechsel von der Ästhetik zur Kognition auseinandergesetzt. Im Zentrum ihrer Überlegungen steht einer neuer Typ des denkenden Designers.

11.5 Der denkende ­Designer

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Sie meint damit einen interdisziplinären Designer, der einen ­fun­­damental erweiterten Designbegriff vertritt. Ein Designertyp, der die andere Intelligenz (nach Bernhard von Mutius) vertritt. Diesen (und weitere) Gedanken von Felicidad Romero-Tejedor ­verfolgen wir in diesem Abschnitt und sind mit ihr in folgender Hinsicht absolut einig. Oben denken

Vernetztes Denken

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Designer sollen erkennen, welche entscheidende Rolle sie in unserer Gesellschaft in Zukunft einnehmen können. Designer haben heute die Chance, sich nicht mehr nur auf Erscheinungsbilder beschränken zu müssen, sondern eine bedeutendere Stelle erobern zu können. Einen Stellenwert, der auf einer sub­­stan­ ziellen Kompetenz aufbaut. Die postindustrielle Gesellschaft erfordert einen Designertyp, der nicht nur in Formen denkt, sondern in komplexen Kontexten der Kognition. Deshalb müssen Designer zukünftig auf einer geistig höheren Stufe arbeiten als bisher. Da inzwischen jeder, der einen Computer besitzt, Design fabrizieren kann (ein Design, dass nichts ist außer Design), ist es notwendig, ein zeitgemäßes Berufsbild zu entwerfen. Aus ihrer Sicht verschmelzen Grafikdesign und Industriedesign zu einem allgemeinen Mediendesign – einem Design für die Kommunikationsgesellschaft. Das was unten (bei den leichten Aufgaben) verloren geht, muss oben (bei den schwierigen Aufgaben) professionell zurückgewonnen werden. Das Design der Kommunikationsgesellschaft muss die Vernetzung unseres Denkens und Handelns ins Zentrum rücken. Der deutsche Biochemiker und Umweltexperte Frederic Vester (1925–2003) hat den Begriff des vernetzten Denkens geprägt. Ein Design, das ein solches Denken adaptiert, belässt dem Menschen die Kontrolle seiner Handlungen. Der Designertyp, der sich durch intellektuelle Anstrengungen ernsthaft der vernetzten Weltkomplexität stellt, wird den vorwiegend ideenproduzierenden bildnerischen Designer ablösen. Dieser denkende Designer ist kein bloßer Theoretiker, kein Designphilosoph. Aber er entwickelt sich über den am Objekt orientierten Praktiker hinaus, bewegt sich auf vielen Feldern und ist interdisziplinär (wirklich und nicht nur rhetorisch). Durch die technische Entwicklung wird Design und seine ­Wissenschaft (die Designwissenschaft) zu einer Vermittlungsinstanz zwischen den Kulturen der Natur-/Ingenieurwissenschaften und der Geistes-/Kulturwissenschaften.

Ein kognitives Kommunikationsmodell befasst sich mit dem Denken. Hier muss zunächst gefragt werden: Wie erscheint in der ­Kom­muni­kation Komplexität? Die Antwort: Durch die Konfrontation der menschlichen Kognition mit der Maschinenlogik. Denn die Art und Weise, wie eine Maschine arbeitet, unterscheidet sich prin­ zipiell von der menschlichen Kognition. Weil unser Gehirn und unser ­Denken mit Begriffen und Filtern ausgestattet ist, funk­tio­ nieren unsere Sinne so wie sie funktionieren. Unser Gehirn ist ­deshalb das wesentliche Medium, um die Welt zu verstehen: ­Denken ist ­Weltinterpretation. Komplexität wird also erzeugt, wenn die algorithmische ­Linearität von Maschinen konfrontiert wird mit der Nicht-Linearität der Kognition. Sie lässt sich nicht einfach mit entsprechender Anstrengung bewältigen, da wir vor allem den undurchsichtigen Vorgängen, die sich dabei abspielen, ausgesetzt sind. Um zur Einsicht (Kognition) zu kommen, muss das entstandene Überangebot ­(Komplexität) in unserem Gehirn reduziert werden. Und Design ist das einzige Verfahren, durch das Komplexität reduziert werden kann (nach dem deutschen Soziologen Niklas Luhmann, 1927–1998). Wobei Reduzieren hier nicht Vereinfachen bedeutet, sondern transparent machen. Reduktion findet statt, wenn die Beziehungen ­zwischen den Elementen selektiert werden (um Beliebigkeit zu vermeiden). Dafür müssen Selektionsmuster entwickelt werden, die nicht starr und immer gleich sind, sondern beweglich und ständig im Wandel begriffen. Sie werden die steuernden Parameter für unterschiedliche Beziehungskombinationen sein.

Komplexität

Wiederum ist in diesem Zusammenhang auf Otl Aicher zu verweisen, der ein Glücksfall ist, ein seltener Vogel (rara avis). Umso bedauerlicher ist es, dass er in der Designerwelt als Denker zu unbekannt geblieben ist. Hätte sich Otl Aicher (der denkende Designer) als der Prototyp und die professionelle Figur eines Designers kontinuierlich weiterentwickelt, müsste das heutige Design nicht unter seiner gesellschaft­lich eher unbedeutenden Stellung leiden. Denn einst repräsentierte Otl Aicher (aber auch andere Mitglieder der HfG Ulm) eine viel versprechende und ernst zu nehmende Disziplin.

Der Prototyp

­reduzieren

des denkenden ­Designers

In diesem Zusammenhang ist es nicht unwichtig darauf hinzu­ weisen, dass die Ursachen dieser für Designer so unerfreulichen Entwicklung bereits ausführlich erläutert wurden (von Otl Aicher in seinem Buch die welt als entwurf, unter krise der moderne).

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Sie sind (verkürzt formuliert) in politischen Ideologien und industriekapitalistischen Konsuminteressen zu finden.

Solange also denkende Designer in der Minderheit sind, bleibt Design eine eher harmlose, ästhetische Sparte in unserer Gesellschaft. Aus dieser, ihm aufgezwungenen Lage, wird sich der Designer erst befreien können, wenn er nicht nur Objekte und Zeichen entwirft, sondern auch Inhalte und Haltungen. Das Ziel des heutigen Designs ist das reine Marketing – als Durchsetzungsmittel des konsumorientierten Industriekapitalismus. Die daraus resultierenden akuten Probleme unserer Gesellschaft können erst dann nachhaltig gelöst werden, wenn sich ein Identität erzeugendes Design gegen das ­Marketing durchsetzt. Otl Aicher fordert daher Transparenz statt Versprechen und Verstecken. Und von Designern erwartet er eine redliche designintelligenz. Dies liegt nahe an dem von Bernhard von Mutius verwendeten Begriff andere Intelligenz. Die Intelligenz fragt nach Funktion, Gebrauch, Sinn und Zweck. Das ist der Weg vom abstrakten Denken zum Kontext: vom spekulativen denken zum denken im gebrauch. Odysseisches ­Denken

11.6 Design denken

Felicidad Romero-Tejedor stellt in ihrem Buch abschließend fest, dass der denkende Designer odysseisch denkt. Zwischen der analytischen, einer Logik folgenden Vorgehensweise und dem intuitiven, synthetischen Denkstil gibt es für sie noch den odysseischen Typus, der auf seinen Irrfahrten an der Orientierung auf sein Ziel konsequent festhält. Dieser Typus kann mit Undefiniertheit und Ungewissheit umgehen. Er findet auch dann zum Ziel, wenn der Weg dorthin nicht linear verläuft. Dieser Typus denkt nicht-linear. Der OdysseusDesignertyp riskiert mehr in seinen Innovationen. Damit entspricht der denkende Designer dem Typus des Entre­ preneurs in Abgrenzung zum arrivierten Unternehmer. Das erklärt auch den Unterschied zwischen Identität (Design) und Konsum (Marketing). Über Design nachzudenken, hat nicht nur Otl Aicher bewegt. Die Liste der Praktiker und Theoretiker, die sich mit Fragen der Gestaltung beschäftigt haben, ist lang. Es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, diese auch nur annähernd vollständig wiederzugeben. Wir wollen lediglich auf ein paar Beispiele aus jüngster Zeit hinweisen – Bücher, die verschiedene Autoren zu Wort kommen lassen:

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>> Der Welt über die Straße helfen (Hg. Peter Sloterdijk u. a.) >> Emergency Design (Hg. Gerhard Blechinger u. a.) >> Gestaltung denken (Hg. Klaus Thomas Edelmann u. a.)

Ein weiteres, kritisches Buch zum Design stammt von Victor Papanek: Design For The Real World; es erschien bereits 1971 und wurde 2009 neu aufgelegt. Besonders empfehlen möchten wir auch In the Bubble – Designing in a Complex World von John Thackara, der in diesem Buch im Rahmen eines Interviews zu Wort kommt (Seite 295 ff.). Sie finden die genannten Bücher in unserer Literaturliste im Anhang (Seite 321 ff.).

In den letzten Jahren hat der Begriff Design Thinking Karriere gemacht, der auf den Designer und Gründer der amerikanischen Design-Agentur IDEO, David Kelly, zurückgeht. Es handelt sich um eine Methode zur Lösung komplexer Probleme und zur Entwicklung innovativer Ideen. Das Konzept basiert auf der Zusammenarbeit interdisziplinärer Gruppen, die in einem sich wiederholenden und anwendungsorientierten Prozess entwickeln, testen und umsetzen. Der britische Designer Tim Brown, CEO und Präsident von IDEO, hat die Methode in seinem Beitrag Designer als Entwickler des Harvard Business Manager Magazins (Juli 2008, Seiten 57ff.) sehr deutlich und verständlich beschrieben:

Design Thinking

»Bei dieser Methodik [Design Thinking] liegt der gesamten ­Bandbreite innovativer Tätigkeiten ein Gestaltungsethos zugrunde, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht.«

Er führt dort u. a. aus, dass das Design Thinking eine Disziplin ist, die sowohl die Bedürfnisse der Kunden als auch das technisch Machbare verbindet. Dabei werden durch eine auf Rentabilität ­ausgerichtete Geschäftsstrategie sowohl Kundenwert als auch ­Markchancen erzeugt. Den methodischen Entwicklungsprozess beschreibt er als ein System aus drei Phasen: Inspiration, Ideen­ findung und Implementierung. Auf Prozessphasen in Entwicklungsprozessen gehen wir im ­Kapitel 14 Prozessorientierte Dienstleistungen noch näher ein (Seite 201 ff.). 173

In seinem Artikel beschreibt Tim Brown, wie ein Designer denkt. Wobei er einräumt, dass dieses Denkmuster kein Privileg ausgebildeter Designer ist, da er viele Menschen kennt, die hauptberuflich keine Designer sind, aber dennoch ein Talent fürs Design Thinking haben. Als Ausgangspunkt nennt er einige kennzeichnende Eigenschaften: >> Empathie >> Integratives Denken >> Optimismus >> Experimentierfreude >> Teamfähigkeit Die Idee und die praktische Umsetzung des Design Thinking beschreibt er darüber hinaus in seinem Buch Change by Design: how design thinking transforms organizations and inspires inno­ vation, 2009.

Der deutsche Designer und Designkritiker Markus Frenzl hat in seinem Essay Designerglück: Jetzt neu – mit Denkfunktion! (erschienen im design report magazin, Heft 1/2011) erfreut fest­ge­ stellt, dass Design endlich auch mit Denken in Verbindung gebracht wird. Gleichzeitig gibt er aber auch zu bedenken, dass die Designer besser den Eindruck vermeiden sollten, diese Tätigkeit sei für sie etwas ganz Neues. Und er hofft, dass sich zu den leidigen Begriffen wie Desig­­ner-Baby und Designer-Droge nicht auch noch DesignerDenke hinzugesellt. 11.7 Offen denken

174

Wenn wir das andere Denken und das Lernen, anders zu denken, das kreative Denken, das wie Designer denken, den denkenden Designer und schließlich das Design denken zusammenfassen, stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang. Was verbindet die besprochenen Denker? Auffallend ist, dass fast alle erwähnten Denker dem reflexiven Denken hohe Priorität einräumen, es quasi auf eine Meta-Ebene heben. Reflexives Denken wird damit zum Nachdenken über das Denken selbst. Jeder Mensch, dessen Charakter als tendenziell hochsensibel eingeordnet werden kann, beschäftigt sich irgendwann einmal damit, die Freiheit seines Willens zu hinterfragen, dem ­eigenen Denkapparat beim Denken und Assoziieren zuzuschauen. Genau das sind die Voraussetzungen für jegliche Musterund Perspektivwechsel. Nur so sind wir in der Lage, anstehende ­Probleme zu lösen und Fragen zu beantworten.

Albert Einstein stellte dazu fest:

»Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.« Und er forderte darüber hinaus:

»Eine neue Art des Denkens ist notwendig, wenn die Menschheit weiterleben will.«

Diese neue Art zu denken geht über das enge Denken (in naheliegenden Bereichen) hinaus. Es ist ein offenes Denken, das sich in verschiedenen Denkbereichen bewegt. Es schließt auch das (scheinbar) Sekundäre mit ein und bleibt nicht im (scheinbar) Primären verhaftet. Es ist nicht normal und nicht populär. Es ist (scheinbar) irrational und stößt sehr oft auf Ablehnung. Kurzum: Es ist die Fähigkeit zu träumen. Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk hat diese Fähigkeit des (Tag-)Träumens in dem Buch Philosophie des Raumes (Hrsg.: Marc Jongen, Vorwort) als Utopie bezeichnet:

»Durch das Erzeugen von Utopien reklamieren die Menschen kraft ihrer Phantasie das Recht, nicht nur hier im realen Raum zu sein, sondern auch anderswo. Bei helllichtem Tage benutzen sie die menschliche Traumkraft als die Fähigkeit, alternative Welten zu entwerfen.«

Die Fähigkeit zu träumen, offen zu denken entsteht aus der ­ erbindung von Verstand und Gefühl. Die Neurologie hat uns bewieV sen, dass ohne Gefühl kein vernünftiges Handeln möglich ist, und dass Geist und Körper eine weit engere Einheit bilden als bislang angenommen. Und damit sind wir bei der Ganzheitlichkeit. Sie führt uns zu dem, was Sie als Designerin und Designer schaffen: Die Voraussetzungen für Innovation und Orientierung, im Business und in der Gesellschaft. Wie Sie das offene Denken und das Gestalten von Voraussetzungen in zukünftigen Erfolg umsetzen können, zeigen wir Ihnen im dritten Teil dieses Buches.

175

III.

Gewinnend denken und gestalten

12

Arbeitswelt Zukunft – ­inter­disziplinäre Netzwerke

Wie gelangen wir von der Hierarchie zur Heterarchie? Wie entwickeln Sie sich als Designerin und Designer vom Einzelkämpfer zum Netzwerker? Und wie können Sie aus dem aktiven Netzwerken Ihren praktischen ­Nutzen ziehen? Diese Fragen werden im folgenden Kapitel analysiert und beantwortet.

Die Entwicklung des Internets und dessen schnelle und bahn­ brechende Verbreitung hat grundlegende gesellschaftliche ­Veränderungen in Gang gesetzt. Ist das Internet Ursache dieser ­Veränderungen oder selbst nur ein Symptom? Die technologische Entwicklung des Internets ist die Folge gesellschaftlicher Ent­ wicklungen.

12.1 Von der Hierarchie zur Heterarchie

Dies begründet sich aus der in diesem Buch beschriebenen ­Metatrend Theorie (im Kapitel 4.2, Seiten 67 ff.).

Dafür gibt es einige Indizien. Unsere Gesellschaft ist stolz auf ihre demokratische Regierungsform, die Herrschaft durch das Volk. In Deutschland wurde die Demokratie im Grundgesetz von 1949 in Artikel 20 als unwiderruflich festgeschrieben. Demnach geht alle Macht vom Volke aus. Direkte Volksentscheide sind aber gar nicht vorgesehen. Die deutsche Demokratie ist nach der klassischen Verfassungssystematik also keine Demokratie, sondern eine Oligarchie (Herrschaft durch Wenige) oder optimistisch gesehen eine Aristokratie (Herrschaft durch die Besten). Demokratie klingt aber viel besser und man spricht deshalb von der sogenannten repräsentativen Demokratie. Der Begriff bedeutet eigentlich nichts anderes als Demokratie. Republik ist die Herrschaftsform, bei der das Staatsvolk die höchste Gewalt des Staates und oberste Quelle der Legitimität ist.

Demokratie/­ Oligarchie/­ Aristokratie

179

Als Vorläufer der deutschen Demokratie gelten die US-ameri­ kanische Verfassung von 1787, die ihrerseits auf der englischen Bill of Rights basiert, sowie die Verfassung der Frankfurter National­ versammlung von 1848. Hierarchie

Mitte des 19. Jahrhunderts kam es nahezu weltweit zu Aufständen gegen die damals herrschende zentralistische Hierarchie. Dieses soziale Organisationsprinzip wurde zwar formal, aber nicht funktional abgelehnt. Auch heute noch sind politische Parteien, Unternehmen und vor allem religiöse Gruppierungen zentralistisch strukturiert. Die meisten Formen der demokratischen Mitbestimmung haben nichts an dem herrschaftlichen Prinzip der Machtausübung geändert. Statt einer rein zentralistischen Hierarchie haben wir allenfalls eine dezentralistische Hierarchie – in jedem Fall aber noch eine hierarchische Struktur. Wie sehr unser Denken von ­Hierarchiestrukturen geprägt ist, zeigt sich an Formulierungen wie die da oben, wenn man über die Regierung spricht. Doch es beginnt sich zu ändern, weil die Menschen mit dem Internet über die nötige Technologie verfügen, die Demokratie möglich macht.

Heterarchie

In einer heterarchischen Struktur stehen die Organisationseinheiten nicht in einem Über- oder Unterordnungsverhältnis zueinander, sondern gleichberechtigt nebeneinander. Die typische Heterarchie ist strukturiert wie ein Netz. Ein soziales Netzwerk ist eine Sozialstruktur, die durch Individuen oder ­Gruppen gebildet wird (Knoten oder Nodes genannt). Die Knoten sind ver­bun­ den durch Interdependenzen (Links). Die Gemeinschaft der ­Knoten nennt man heute gerne Community. Die Infografik 8 im Anhang (Seite 313) stellt die Unterschiede von ­hierarchischen (zentralen, dezentralen) und heterarchischen (neuronalen) Netzwerken dar.

Erst um die Wende zum 20. Jahrhundert begann die Wissenschaft, sich mit dem Phänomen der sozialen Interaktion systematisch auseinanderzusetzen. Der deutsche Philosoph und Soziologe Georg ­Simmel (1858–1918) legte wichtige Grundlagen für die Analyse sozialer Netzwerke. Der Begriff Netzwerk selbst wurde aber erst Mitte des 20. Jahrhunderts Teil der Terminologie soziologischer Forschung. Es kommt also nicht von ungefähr, dass die Computertech­­­­ nologie denselben Begriff benutzt wie die Soziologie. Der Trend zur Heterarchie führte dann zur Entwicklung des Internets, das die 180

­soziale Evolution von der Hierarchie zur Heterarchie enorm beschleunigte. Wir müssen verlernen, in hierarchischen Strukturen zu denken und es erlernen, heterarchisch zu handeln. Designer sind traditionell eher individualistische Einzelkämpfer. Sie tun sich schwer, größere Unternehmenseinheiten zu bilden. Im Jahr 2005 lag die durchschnittliche Unternehmensgröße im Kommunikationsdesign in Deutschland bei 4,3 Mitarbeitern pro Einheit, im Industriedesign lag sie mit 2,6 Mitarbeitern noch darunter.

12.2 Vom Einzelkämpfer zum Netzwerker

Quelle: Michael Söndermann, Informationen zur Kultur­ wirtschaft 2005

Ebenso schwer fällt es Designern, sich in Berufsverbänden zu organisieren. Der Organisationsgrad der Designer in den derzeit fünf deutschen Berufsverbänden wird mit knapp fünf Prozent ­beziffert. Das liegt sicher nicht nur an der hohen Anzahl prekär-­ wirtschaftlicher Verhältnisse, sondern primär an den hierarchischen (teilweise präsidialen) Strukturen aus dem letzten Jahrhundert, die diese wenigen Verbände zelebrieren. Seit über zehn Jahren aber zeigt sich ein Trend zur regionalen Organisation und Vernetzung, der sicher weiter zunehmen wird. Solche vernetzte Strukturen ähneln viel mehr den heterarchischen Strukturen. Mehr dazu finden Sie im Buch Designbusiness gründen und ­entwickeln (aus dieser Reihe), im Kapitel 5.5 Networking.

Gerade dieser Hang zur Individualität wird sich in Zukunft als ein Vorteil erweisen. Designer sind deshalb prädestiniert für Kooperationen in Netzwerken. Im Allgemeinen unterscheidet man zwischen synergetischen und additiven Kooperationen. Von synergetischer Kooperation spricht man, wenn die Kooperationspartner durch ihre Zusammenarbeit etwas Neues schaffen, was ohne Kooperation nicht hätte entstehen können. Die synergetische Kooperation basiert auf unterschiedlichen Einzelqualifikationen. Additiv ist eine Kooperation dann, wenn sich die gleichen Einzelqualifikationen zusammentun.

Kooperationen

Individuen, die gemeinsame Ziele verfolgen und dafür über spezielle Medien in einem sozialen Netzwerk interagieren, nennt man

Virtuelle ­Gemeinschaften 181

eine virtuelle Gemeinschaft (virtual community). Im Gegensatz zu ­traditionellen Gemeinschaftsformen ist eine virtuelle Gemeinschaft unabhängig von geographischen, politischen oder kulturellen ­Grenzen. Virtuelle Gemeinschaften ähneln nichtvirtuellen Gemeinschaften insofern, als beide einen vergleichbaren sozialen Nutzen anbieten. Eine virtuelle Gemeinschaft (zum Zweck der Herstellung und Vermarktung von Waren oder Dienstleistungen) ist ein virtuelles Unternehmen, das unabhängig von geographischen Grenzen und unabhängig von einer geographischen Lokalisierung – mit Unterstützung von Medien – im Markt agieren kann. Nicht lokal definierte Gemeinschaften gibt es nicht erst seit der Erfindung des Internets. Bereits im 17. Jahrhundert haben Wissenschaftler der britischen Royal Society eine virtuelle Gemeinschaft gebildet, in der sie nur über Briefe miteinander kommunizierten. Commons-Based Peer Production

182

Es spricht für die soziale Dynamik des Internets, dass die ersten virtuellen Unternehmen nicht primär profitorientiert agieren, sondern spielerisch, aus Spaß. Der an der Harvard Law School unterrichtende Professor Yochai Benkler (Autor des Buches The Wealth of Networks: How Social Production Transforms Markets and Freedom) prägte den Begriff Commons-Based Peer Production (CBPP), um dieses neue Modell ökonomischer Produktion zu beschreiben. CBPP koordiniert die kreative Energie einer großen Anzahl von Menschen, um große und bedeutende Projekte zu schaffen – meist über das Internet und ohne traditionelle hierarchische Organisation. Yochai Benkler unterscheidet zwischen Commons-Based Peer ­Production und Peer Production. Zur Peer Production zählt er YouTube oder Facebook. Derartige Modelle seien nicht vergleichbar mit Unternehmensproduktion (der ein zentralisierter Entscheidungsprozess zu Grunde liegt) oder marktbezogener Produktion (bei der meist finanzielle Anreize für eine Beteiligung ausschlaggebend sind). Die Menschen unterstützten Peer Production Projekte, weil es einfach Spaß macht, etwas zu gestalten und weltweit zu distribuieren. Der kanadische Unternehmer und Professor für Management Don Tapscott stellt in seinem Buch Wikinomics – How Mass Colabo­ ration Changes Everything, 2006 (dt.: Wikinomics – Die Revolution im Netz, 2007) – gemeinsam mit seinem Co-Autor Anthony D. Williams fest: Peer Production wird sich behaupten. Er sieht für die Peer Production Communities einen Platz neben offenen Märkten und hierar­ chischen Firmen, als alternative Wettbewerbsstrategie und als eine Organisationsform der Arbeit. Peer Production wird auch weiter

an Gewicht gewinnen und sich weiter ausdehnen, weil die Voraussetzungen dafür vorhanden sind: der Zugang zu Rechnerleistungen und Anwendungen, Transparenz, Globalisierung, Demokratisierung von Fähigkeiten und Wissen und die wachsende Komplexität von Systemen. Die jüngsten Naturkatastrophen und politischen Ereignisse bestätigen diese Annahmen und werden – neben den ökonomisch/ unternehmerischen Aspekten der Demokratisierung – auch die Gesellschaften und Kulturen erfassen und weitgehend verändern. Politiker und Beamte, Banker und Kapitalisten, Unternehmer und Marketingfachleute wurden von der normativen Kraft des Faktischen überrollt. Schon längst gibt es eine funktionierende virtuelle Welt mit eigenen Regeln, die die gesetzlich organisierte und voll besteuerte reale Welt ad absurdum führt. Diese neue virtuelle Welt hat sehr viel mit Design, aber erstaunlich wenig mit Designern zu tun. Dort findet die Zukunft des Designs bereits statt – und sie ist für Designer geradezu maßgeschneidert.

Virtuelle Welt

Dieses Buch handelt von dieser Zukunft des Designs – für Designer.

Alle dafür nötigen Tools basieren auf den Grundlagen der Gestaltung. Die Zukunft gehört individuellen Querdenkern und Kreativen. Große Designprojekte werden (schon heute und) in Zukunft (mehr und mehr) von vernetzten Einzelkämpfern bearbeitet. Gerade die Loslösung von geographischen Grenzen beinhaltet für jeden Einzelnen die Chance, sein ganz persönliches Talent einzubringen. Claire G. aus Irland hat das als Equestrial Designer (Kapitel 3.4, Seite 60) bereits vor Jahren erkannt. Auch in Skandinavien ziehen sich Kreative aus den urbanen Zentren in die Einsamkeit der Wälder zurück. Wozu ein sündhaft teures, schickes Atelier im Zentrum von Oslo bezahlen, wenn ein Internet-Anschluss in einer Blockhütte am See reicht? Neben ihren kreativen Fähigkeiten und einem Internet-Anschluss benötigen Netzwerker aber weitere Grundvoraussetzungen zum Netzwerken: >> Wissen um die technologischen Möglichkeiten >> klares Eigenmarketing und deutliche Profilierung >> ausgeprägte Soft-Skills wie: >> die Fähigkeit, eigene Handlungsziele mit den Einstellungen und Werten der virtuellen Partner zu verknüpfen

Netzwerker

183

>> die Fähigkeit, das individuelle Talent im Sinne einer ­Gruppenaufgabe optimal einzubringen >> Kritikfähigkeit >> Teamfähigkeit >> Kompromissfähigkeit >> interkulturelle Kompetenz >> Konfliktfähigkeit >> emotionale Intelligenz Designer lieben es, Regeln zu brechen. Jetzt haben sie die Chance, die Regeln der hierarchischen Strukturen der letzten ­Jahrtausende zu brechen und die Zukunft in interaktiven, ­heterarchischen Netzwerken zu gestalten. Mehr dazu finden Sie im Buch Designbusiness gründen und ­entwickeln (aus dieser Reihe), im Kapitel 5.5 Networking. 12.3 Netzwerken und Gewinnen

Um die Vorteile von Netzwerken effektiv und bewusst zu nutzen, ist es hilfreich, sich einige Eigenschaften sozialer Netzwerke näher anzusehen. Besonders interessant dabei ist es, wie unmerklich ­Netzwerke unser Verhalten beeinflussen. Jüngste Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Forschung ­zeigen, dass Verhaltensmuster und Gefühle der Menschen einem Fischschwarm entsprechen. Hier entscheidet nicht ein ­ein­zelner Fisch, wohin es geht, sondern der Schwarm trifft die ­Ent­scheidung. Der amerikanische Mediziner und Soziologe Nicholas A. Christakis und der Politikwissenschaftler James H. Fowler haben soziale Netzwerke erforscht. In ihrem Buch Connected – The Surprising Power of Our Social Networks and How They Shape Our Lives, 2009 (dt.: Connected! Die Macht sozialer Netzwerke und warum Glück ansteckend ist, 2010) stellen sie die Ergebnisse ihrer Forschung vor. Wir greifen sie im Folgenden auf und beschreiben einige für ­Designer-Netzwerke interessante Aspekte.

Beeinflussung

184

Spannend sind ihre Erkenntnisse über die gegenseitige Beein­ flussung von Menschen in Netzwerken, die sich noch nicht einmal persönlich kennen. Der Einfluss, und das bis ins kleinste Detail, soll hier sogar maßgeblich sein. Was die Freunde eines Freundes unserer Freunde tun, soll mit in unserer Hand liegen – eine ebenso provokante wie verblüffende These. Von den Autoren wird sie an

zahlreichen Beispielen erläutert, die selbstverständlich für alle Lebensbereiche gelten: private, politische und geschäftliche. Verbindungen unterscheiden sich in ihrer Intensität und daraus ­folgenden Effekten. Starke Bindungen schweißen uns zu Gruppen zusammen. Schwache Bindungen verknüpfen die Gruppen unter­ einander zu einer Gesellschaft. Alle Gruppierungen sind daher ­entscheidend für die Verbreitung von Informationen. Wir nutzen sie, wenn wir unsere Lebens-/Arbeitsumstände verbessern wollen und gehen dabei instinktiv vor. Auch dann, wenn wir die Struktur unseres Netzwerks nicht kennen und uns unserer starken und schwachen Bindungen nicht bewusst sind.

Bindungen

Die Kreativität von Netzwerken ist besonders für Designer interessant, und hier vor allem die Rolle, die soziale Netzwerke für Produktionsteams spielen. Teams mit Mitarbeitern, die nie zusammen­gearbeitet haben, sind weniger erfolgreich, weil sie in sich schlecht vernetzt sind und überwiegend aus schwachen Beziehungen bestehen. Aber auch eingespielte Teams, mit Mitarbeitern, die schon zusammen­ gearbeitet haben, können Misserfolge produzieren: Weil ihnen der kreative Input von außen fehlt, bleiben sie bei den alten Ideen. Ideal ist ein Gleichgewicht aus beiden Extremen, weil sich hier die Krea­tivität neuer Mitarbeiter und die Stabilität bewährter Beziehungen ausgleichen. Solche Netzwerke haben den größeren Erfolg, weil die Mischung aus starken und schwachen Beziehungen die Kommunikation erleichtert und die Kreativität ­fördert. Demnach hat die Struktur des Netzwerkes einen entscheidenden Einfluss auf den ­kreativen und wirtschaftlichen Erfolg. Früher wurden Entdeckungen, zum Beispiel in den Naturwissenschaften, einzelnen Genies zugeschrieben. Im Laufe des letzten ­Jahr­hunderts hat sich dies zu Gunsten von Gruppen verschoben. Ohne Input von außen kommen Entdeckungen heute gar nicht mehr zustande. Durchbrüche werden in der Zusammenarbeit mit anderen erzielt. Netzwerke können die darin agierenden Talente verstärken.

Kreativität

Der Einfluss von Netzwerken auf unsere wirtschaftliche Situation hängt von deren Dynamik ab. Über den Strom von Informationen, Einfluss und Geld erreichen wir unsere Freunde und deren Freunde. Erfolgreiche Menschen und Unternehmen gestalten ihre Netzwerke nach ihren finanziellen und wirtschaftlichen Zielen. Die Form des Netzwerkes hat entscheidenden Einfluss darauf, ob sie diese Ziele erreichen. Seilschaften sorgen füreinander und halten zusammen.

Seilschaften

185

Soziale Netzwerke beeinflussen die Ein- und Verkaufspolitik von Unternehmen. Die These, dass an den Meistbietenden verkauft und beim günstigsten Anbieter gekauft wird, berücksichtigt keine persönlichen Beziehungen. Wirtschaftliche Entscheidungen werden aber nicht selten von gegenseitigen Beziehungen und Vertrauensverhältnissen beeinflusst. Wert des Netzwerkes

Der Wert eines Netzwerkes von (wirtschaftlich) erfolgreichen ­Menschen und Unternehmen ist offensichtlich. Wer erfolgreich ist, ist anziehend und findet mehr Möglichkeiten, noch erfolgreicher zu werden. Die technologische Entwicklung der letzten Jahre fördert das, weil es immer leichter wird, soziale Netzwerke zu durchsuchen und für sich zu nutzen. Umso mehr kann der positive Zusammenhang zwischen Erfolg und sozialen Beziehungen den Erfolg verstärken und dafür sorgen, dass die Erfolgreichen noch erfolgreicher werden. Wie aber sieht es bei den (nach monetären Kriterien) weniger erfolgreichen Netzwerken aus? Auch sie nutzen die technischen Möglichkeiten und können von sozialen Verbindungen profitieren. Tun sie das? Bei dem ein oder anderen (Designer-Berufsverband) ist das zwar so – von den Designern wird dieses Angebot aber nicht effektiv genutzt. Doch je lauter man die prekären Verhältnisse bejammert, desto mehr beflügelt das den negativen Effekt. Auch der Ruf nach gesetzlicher Hilfe und Schutz allein ist zu kurz gedacht. Wo bleiben da die vorhandenen Fähigkeiten und der daraus resul­ tierende Nutzen für andere? Wir haben das unter 12.1 bereits kurz erörtert und gehen im ­Kapitel 17 Designwirtschaft (Seite 237 ff.) noch näher darauf ein.

Am Beispiel der Mikrokredite in Ländern mit einer hohen Anzahl an Armen lässt sich ablesen, dass soziale Netzwerke (selbst bei den Ärmsten der Armen) als Sicherheit dienen können. Diese Netzwerke sind allgegenwärtig und es ist mittlerweile unstrittig, dass sie als Sicherheit für Kredite dienen können. Herkömmlichen Banken war das bisher nicht klar. Seitdem allerdings die Grameen Bank (in Bangladesch gegründet vom Wirtschaftswissenschaftler Muhammad Yunus) als Pionier so erfolgreich mit der Vergabe von Mikrokrediten ist, findet hier international ein Umdenken statt. Muhammad Yunus und die Grameen Bank haben 2006 für ihren Einsatz, eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Bewegung von unten zu schaffen, den Nobelpreis erhalten. 186

Außer diesem Beispiel der Mikrokredite gibt es in der Geschichte noch viele andere, etwa die Rotationskreditgesellschaften: Hier ­zahlen viele in einen Fonds ein, den ein Einzelner nutzen kann. Auch die Genossenschaftsbewegung lässt sich dem Prinzip sozialer und selbst unterstützender Netzwerke zuordnen. Oder die tätige und gegenseitige Hilfe in bäuerlichen Strukturen, z. B. bei der Ernte oder beim Scheunenbau. Was hat das alles mit Designern zu tun? Mehr als Sie vermuten! Stellen Sie sich vor, Designer würden sich nicht nur zu sozialen Netzwerken (Berufsverbänden, Clubs, Foren etc.) zusammenschließen, sondern auch das Potenzial der Wertschöpfung erkennen und publizieren. Dann würden sie nicht nur für andere interessant, sondern fänden hier auch unzählige Möglichkeiten erfolgreicher zu werden. Hinzu käme, dass Designer dabei nicht nur auf das monetäre Kapital angewiesen wären, sondern vielmehr auch ihr kulturelles und soziales Kapital einbringen könnten. Auf die verschiedenen Kapitalsorten sind wir in Kapitel 5.4 Kritik der ökonomischen Vernunft: Pierre Bourdieu (Seite 89 ff.) bereits eingegangen.

Ein soziales Netzwerk ist eine Art menschlicher Überorganismus mit eigener Struktur und Funktionsweise. Ob in realer oder virtueller Form, schafft dieser Überorganismus Dinge, die die Fähigkeiten Einzelner übersteigen. Gemeinsam schaffen alle im Netzwerk Aktiven und Beteiligten etwas, das über das Individuum hinausgeht. Das ähnelt den Zellen eines mehrzelligen Organismus, die durch ihre Zusammenarbeit eine höhere Lebensform schaffen. Ein solcher Vorgang spielt sich beispielsweise in unseren Gehirnzellen ab: Unsere Gedanken sind nicht etwa Teile der Zellen, sondern Produkte der Neuronenverbindungen. Soziale Netzwerke zeichnen sich durch eine Intelligenz aus, die die des Einzelnen ergänzt und über einen Bereich hinaus in einen anderen übergeht. Soziale Netzwerke können Informationen über lange Zeiträume hinweg bewahren und zielgerichtet Bewegungen ausführen, die viele Entscheidungen beinhalten. Hier sind Netzwerke unabhängig vom Einzelnen. Soziale Netzwerke haben ein Gedächtnis und erinnern sich an ihre Funktion und Struktur. Dadurch bleiben ihre Form und Funktion erhalten, auch wenn einzelne Individuen ausgetauscht werden. Wenn wir einem Netzwerk beitreten, in dem Menschen einander vertrauen, dann profitieren wir von dieser Vertrauenskultur und

Organismus ­Netzwerk

187

­ erden durch sie geprägt. Ein derart vertrauensförderndes Netzw werk wirkt sich auf das Verhalten seiner Mitglieder aus, unabhängig vom Einzelnen, der Vertrauen an den Tag legt oder sich vom Ver­ halten Anderer allein beeinflussen lässt. Netzwerke können sich reproduzieren und nach ihrer Zerschlagung selbst wiederherstellen. Da sich jeder daran erinnert, mit wem er verbunden war, können diese Verbindungen zwar durchtrennt, aber auch wieder neu aufgenommen werden. Netzwerke reproduzieren sich auch dadurch, indem sie ihre ­Mitglieder überleben. Sie bestehen fort, selbst wenn Einzelne kommen und gehen; genauso wie unsere Körperzellen, die ständig erneuert werden. Soziologische Forschungen zeigen, dass größere Gruppen untereinander vernetzter Personen umso langlebiger waren, je häufiger ihre Mitglieder ausgetauscht wurden. In großen sozialen Netzwerken ist ein ständiger Austausch vermutlich sogar überlebenswichtig (wie im Fall unserer Körperzellen), weil sie sich (wie lebende Organismen) selbst heilen können: Entsteht eine Lücke, kann sie innerhalb des Netzwerks geschlossen werden. In komplexen Netzwerken wird ein solcher Ausgleich durch vielfältige und zielgerichtete Beziehungen befördert. Sie sind damit quasi auf Haltbarkeit ausgelegt. Auch die jüngsten politischen Ereignisse bestätigen diesen Gesichtspunkt. Das wird die Demokratisierung der Gesellschaften und Kulturen weiter vorantreiben. Kooperation und Konkurrenz

188

Neben der Beeinflussung, Bindung und Kreativität, den Seilschaften und dem Wert von Netzwerken, aber auch dem Netzwerk als ­Organismus ist abschließend noch der Aspekt der Kooperation und Konkurrenz innerhalb von Netzwerken erwähnenswert, weil nützlich. Es geht dabei weniger um die Frage, was sich in einem solch strategischen, sozialen Netzwerk in welchem Maße positiv für ein Mitglied auswirkt – gemeint sind vielmehr Sinn und Zweck für die Mitglieder und die mögliche Weitergabe schädlicher Erscheinungen. Zweifellos muss die Tatsache toleriert werden, dass neben Aktiven und Förderern eines Netzwerkes auch Trittbrettfahrer und Frei­beuter mitwirken. Denn das Nebeneinander von Altruismus und Egoismus sind natürliche Bestandteile und für eine evolutionäre Entwicklung unabdingbar. Es geht um den Grad des kooperativen Nutzens, der sich aus egoistischen (individuellen) Zielen ziehen lässt. Oder anders formuliert: Es geht um das Erreichen egoistischer Ziele über kooperatives Verhalten. Insbesondere geht es dabei um solche Ziele, die einer

allein nicht erreichen kann, weil dazu weder die persönlichen ­ essourcen noch die (starken und schwachen) Bindungen eines R ­Einzelnen ausreichen. Als ein praktisches Beispiel bietet sich der Marktanteil an, also das, was der einzelne Designer (Dienstleistungs-/Produkt-Anbieter) an potenziellen Auftraggebern/Kunden erreichen und für sich gewinnen kann. Wenn der Markt gesättigt ist und nicht mehr stark wächst, bleibt für den einzelnen Anbieter, weil er einer von vielen ist, immer weniger übrig. Sinnbildlich gesprochen: Für viele Anbieter wird das Stück (Anteil) vom Kuchen (Markt) immer kleiner und es bleibt (nicht selten bestenfalls) nur noch ein Krümel übrig. Was tun in diesem Fall? Die Lösung: Einen neuen Kuchen backen, also Markt aufbauen und seine Anteile daran ausbauen. In der Regel funktioniert das nicht allein – man braucht dazu die Hilfe und Unterstützung von Konkurrenten, die ähnliche oder sogar gleiche Ziele haben. Es ist das intelligente Konkurrieren: Kooperation statt Konkurrenz. Gemeint ist hier nicht jene Konkurrenz, die nur auf Gewinn ausgerichtet ist und mehrheitlich Verlierer produziert. Das ist weder ökonomisch noch gesellschaftspolitisch intelligent. Mehr dazu finden Sie im Buch Designbusiness gründen und ­entwickeln (aus dieser Reihe), im Kapitel 5.5 Networking.

Ein weiteres praktisches Beispiel ist die Branchenpolitik für die Designwirtschaft. Als Einzelner hat man kaum eine Chance eine wirksame Öffentlichkeit für politische Ziele zu aktivieren. Nur starke soziale Netzwerke (Berufsverbände, Clubs, Foren etc.) haben hier die Möglichkeiten, sich Gehör und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Hierzu mehr im Kapitel 17 Designwirtschaft (Seite 237 ff.). In den nächsten vier Kapiteln beschäftigen wir uns mit der Zukunft als Leistungsangebot, den am Prozess orientierten Dienstleistungen, der Designausbildung und der Design­ weiterbildung der Zukunft.

189

13

Zukunft als Leistungsangebot – Vision statt Illusion

Wie definiert man den Wert der Umwelt und den eines Menschen? Und was hat das mit Design zu tun? Wie lässt sich ein charakteristisches Leistungs­ angebot entwickeln, das wertorientierten Anforderungen gerecht wird? Wie positionieren Sie sich als Designer erfolgreich durch eine prozess­ orientierte Vorgehensweise? Im Folgenden werden die dafür notwendigen Voraussetzungen näher beleuchtet.

Hawkens, Lovins & Lovins: Natural Capitalism (1999, Seite 321)

13.1

»Wie konnte es geschehen, dass wir ein ökonomisches System entwickelt haben, dass uns vormacht, es sei billiger die Erde zu zerstören und die Menschen auszubeuten, als beide zu ernähren? Macht es Sinn ein Preissystem zu haben, das die Zukunft außer Acht lässt und die Vergangenheit ausverkauft? Wie konnten wir ein ökonomisches System schaffen, das Kapitalverlust mit ­Einkommen verwechselt?«

Der Wert der Umwelt und des Menschen

Entgegen der in der Öffentlichkeit propagierten und vor­ herrschenden Meinung, es geschähe nichts, was die bestehende Situation auch nur annähernd veränderte, hat sich mittlerweile ein globaler Konsens darüber entwickelt, dass etwas getan werden muss und etwas getan werden kann. Und es passiert sehr viel. Weltweit gibt es eine wachsende Zahl von Organisationen, die daran arbeiten, die Schäden der Vergangenheit zu beheben. Dies ist eine Reaktion auf den neuen Metatrend, der seit 2010 den alten Metatrend des materiellen Massenkonsums ablöst. Wir haben in diesem Buch bereits ausführlich beschrieben, dass Zukunftsplanung eine kritische Analyse der bestehenden Situation voraussetzt.

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Rolle der Designer

Designer müssen sich fragen und fragen lassen, welche Rolle sie dabei spielten und spielen, dass das ökonomische Verhalten der Menschen so desolat wurde. Erheblich dazu beigetragen haben das naive Schaffen von Scheinwelten, die unkritische Umsetzung ­unethischer Marketingziele und das Negieren von Verantwortung bezogen auf die Reaktionen, die Design hervorrufen kann. Diese Kritik ist nicht neu. Der österreichisch-amerikanische Designer und Designphilosoph Victor Papanek (1927–1999) hat bereits in seinem 1971 erstmals erschienenen Buch Design For The Real World darauf hingewiesen. Im Vorwort zur ersten Auflage schrieb er: »Es gibt Berufe, die schädlicher sind als Industriedesign, aber nur wenige. Und möglicherweise ist nur ein einziger Beruf ­ver­logener. Werbedesign – das Leute dazu überredet, Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchen, mit Geld, das sie nicht haben, um Andere zu beeindrucken, denen es egal ist – ist heute vielleicht der verlogenste Bereich, den es gibt.« Wir haben bereits in Kapitel 11.6 Denken auf sein Buch hingewiesen.

Die Gesellschaft braucht Kultur als Leitbild. Doch die Designer haben statt Visionen Illusionen geschaffen. Willfährig haben sie damit ein System unterstützt, in dem wenige Menschen sehr reich, die Mehrheit aber immer ärmer wurde. Unser ökonomisches Prinzip funktioniert heute wie ein Kettenbrief-Geschäft, wie ein Kartenhaus. Sobald aber die Basis nicht mehr mitspielt, bricht das System zusammen. Viele Menschen stellten in der sogenannten Finanzkrise 2008 die Frage, wo das ganze Geld geblieben sei, das wir verloren haben. Die Antwort ist einfach: Wir haben nichts verloren. Wir haben dieses Geld nie besessen – es war eine reine Illusion. Wir müssen wieder anders rechnen. Welchen Wert hat die Welt? Welchen Wert hat die Atmosphäre? Welchen Wert hat das Süßwasser? Welchen Wert hat ein Mensch? Das ist jetzt nicht ideologisch, philosophisch, ethisch oder gar moralisch zu verstehen, sondern als eine realistische ökonomische Frage in Bezug auf eine entsprechende Kapitalberechnung. Beispiel Wald

192

Am verständlichsten kann man das Prinzip einer solchen Kapital­ berechnung am Thema Wald erklären. Nehmen wir einen Wald mit einem Bestand von 100 000 Festmeter Nadelholz einer gehobenen

Güteklasse zu 50 Euro pro Festmeter. Der Waldbesitzer hat damit ein Kapital von fünf Millionen Euro. Das natürliche Wachstum beträgt zehn Prozent pro Jahr. Erntet er immer nur diese zehn Prozent, bleibt sein Kapital bei fünf Millionen Euro und er hat eine ­Rendite von 500 000 Euro pro Jahr. Verbessert er die Wachstumsquote, steigt sein Kapital. Wird nebenan ein Braunkohlekraftwerk errichtet, das den Wald zu 30 Prozent schädigt, verliert sein Kapital an Wert. Müsste der Kraftwerksbesitzer diesen Schaden bezahlen, würde ­dessen Gewinn an der Energieproduktion drastisch einbrechen. Er muss aber nicht bezahlen. Würde allerdings ein Kohlekraftwerk (rein theoretisch gesehen) die Qualität des Waldes verbessern und der Waldbesitzer dadurch einen höheren Gewinn erzielen, dann könnten wir sicher sein, dass der Kraftwerksbesitzer diese Geldquelle für sich nutzbar machen würde. Erntet der Waldbesitzer jedoch seinen gesamten Wald ab und kauft sich davon Gummibärchen, die er selbst wegfuttert, ist ihm danach schlecht und er hat sein ganzes Kapital auch noch aufge­ gessen. Aber genauso funktioniert derzeit unser System: Uns wird zunehmend schlecht. Langfristig gedacht, würde der Waldbesitzer doch nur so viel abholzen wie nachwächst. Und wollte er seinen Besitz vergrößern, dann würde er eben weniger abholzen. Natürlich würde er auch peinlich darauf achten, dass der Wald keinen Schaden erleidet. Schließlich ist eine gesunde Umwelt für ihn eine Kapitalsicherung. Er wäre natürlich auch daran interessiert, die Qualität der Umwelt weiter zu verbessern, damit der Wald noch besser wächst. Diese Rechnung ist für den einfältigsten Waldbauern nachvollziehbar. Wieso werden dann in Brasilien und Indonesien so viele tropische Regenwälder abgeholzt? Ganz einfach, weil es uns – den Industrienationen – egal ist, ob ein brasilianischer Waldbauer auch in Zukunft hat, was er zum Leben braucht. Es sind nicht etwa die Brasilianer, die davon profitieren – die Verursacher sind kurzsichtige und gewinnorientierte internationale Investoren. Für die Schäden, die sie anrichten, kommen sie aber nicht auf. Von sich aus betreiben die Brasilianer auch keinen Raubbau – wir sind es, die nicht nur ihren Wald abholzen, die Umwelt damit schädigen und dem brasilianischen Waldbauern auch noch die Zukunft nehmen. Von den Gewinnen, die durch Tropenholz erzielt werden, bekommt der Waldbauer schon heute so wenig, dass er das Spiel gezwungener­ maßen mitspielen muss.

193

Verursacherprinzip

13.2 Was hat das mit Design zu tun?

In Zukunft werden wir anders rechnen müssen. Unsere Gesellschaft muss das Verursacherprinzip wieder einführen: Derjenige, der einen Schaden verursacht, muss auch für seine Folgen aufkommen. So manche lukrative Goldmine würde dann versiegen. Design ist aus Sicht der Wirtschaft eine Maßnahme mit hoher Kapital­ verzinsung (und wären die Manager etwas intelligenter, könnte diese Verzinsung noch weit höher sein). Schließlich werden unsere Aufträge und Honorare allein von den angesprochenen Gewinn­ steigerungen finanziert. Es ist ein kaufmännisches Prinzip, den Kapitaleinsatz so gering wie möglich zu halten. Im Falle von Designhonoraren ist das aber der falsche Weg. Hier gilt in den meisten Fällen: Je niedriger das Designhonorar, desto geringer fällt der Kapitalertrag für den ­Auftraggeber aus. Scheinbarer Gewinn beim Feilschen um das Honorar ist in Wirklichkeit dann sein Verlust. Als faire Geschäftspartner sollten Designer ihre Kunden auf diesen Umstand auf­merksam machen – zum beiderseitigen Nutzen. Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden ein Verpackungskonzept entwickeln, bei dem es gelänge, das eingesetzte Verpackungs­ material zurückzugewinnen und es in einem Materialkreislauf immer wieder zu benutzen. Erinnern Sie sich an das Beispiel der Uni Zürich, wo Studenten lernten, aus reinen Chemikalien Sondermüll zu pro­ duzieren und aus dem Sondermüll die reinen Chemikalien zurückzugewinnen? Wir hatten darüber im Kapitel 1.7 Strategien entwickeln (Seite 38 ff.) berichtet.

Stellen Sie sich weiter vor, Sie könnten Ihrem Auftraggeber nachweisen, dass er durch Ihr Verpackungskonzept jährlich 100 000 Euro einsparen könnte. Schlagen Sie ihm vor, zehn Prozent der Ersparnisse in Ihr Honorar zu investieren – jährlich (!). Der Natur wäre geholfen, dem Auftraggeber wäre geholfen, Ihnen wäre geholfen: Eine klassi­ sche Win-win-Situation. Rechnen Sie weiter: Sie machen pro Jahr zehn solcher Projekte. Nach einem Jahr hätten Sie 100 000 Euro jähr­ liches Einkommen, ohne dafür weiter etwas tun zu müssen. ­Las­sen Sie uns weiter träumen: Sie machen das zehn Jahre lang. Sie wären ­Millionär. Nicht schlecht, oder? Eine solche Strategie nennt man nachhaltig. Die Kunst liegt darin, ein Produkt nicht am Schluss zu verhübschen, sondern einen Prozess von Anfang an so zu planen, dass 194

durch den sinnvollen Einsatz von Ressourcen Werte eingespart ­werden. Im Buch Designrechte international schützen und managen (aus dieser Reihe) haben wir im Kapitel 13.3 das Nutzungshonorar ­ausführlich erläutert.

Nutzenhonorar statt Nutzungshonorar

Wir wissen alle, wie schwierig ein Nutzungshonorar durchzu­ setzen ist. Das eben genannte Beispiel macht aus einem Nutzungshonorar ein Nutzenhonorar. Wie genau das bewertet, den Marktbedingungen angepasst und kalkuliert werden kann, dazu mehr in unserem Buch Design­ leistungen bewerten und kalkulieren (in dieser Reihe –in Vor­ bereitung).

Nehmen wir ein anderes Beispiel: ein Projekt wie der IKEA Katalog. 360 Seiten, vollgepackt mit Informationen. Der Katalog erscheint in 40 Sprachen. Angenommen, IKEA böte 10 000 Euro Honorar pro Seite für die Gestaltung des neuen Kataloges. Das Gesamthonorar wäre damit 3,6 Millionen Euro. Als guter Designer würden Sie ver­ suchen, die Informationen auf den Seiten weniger dicht zu machen. Statt alles (Produktdarstellung, technische Informationen, Bestellinformationen und Preis für bis zu 20 Produkte) auf einer Seite zu platzieren, würden Sie selbstverständlich darauf hinwirken, den Umfang zu Gunsten besserer Kommunikation etwas zu erweitern – sagen wir auf insgesamt 400 Seiten. Das Honorar würde logischerweise auf 4 Millionen Euro steigen müssen, denn 40 Seiten Mehrarbeit kosten mehr. Nehmen wir weiter an, IKEA würde den umgekehrten Weg gehen. Das Honorar beträgt 3,6 Millionen Euro. Für jede Seite, die zusätzlich erforderlich würde, würden 10 000 Euro abgezogen und für jede eingesparte Seite bekämen Sie einen Bonus von 10 000 Euro. Auch hier handelte es sich um ein Nutzenhonorar und Sie wären ein schlechter Kaufmann, würden Sie nun den Vorschlag unterbreiten, den Umfang um 40 Seiten zu erhöhen. Sie verlören bei Mehrarbeit 400 000 Euro. Sie würden selbstverständlich alles dransetzen, den Katalogumfang zu reduzieren, egal, wie gut (oder wie schlecht) die Kommunikation dann noch funktionierte (Vier-Punkt-Schrift müsste reichen). Gelänge Ihnen die Halbierung des Umfangs, ­hätten Sie schließlich 1,8 Millionen Euro gewonnen.

Beispiel IKEA

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Dieses Projekt wurde mit Studierenden im Rahmen eines ­ eminars an der Nationalen Akademie der Künste in Bergen (NorweS gen) durchgeführt. Die Studenten entwickelten ein Konzept, alle technischen Informationen vom Katalog ins Internet zu übertragen. Weiterhin wurde ein neues Preiskonzept eingeführt: Tagespreise statt jährlich festgelegter Fixpreise. IKEA würde dadurch nicht nur die Preise besser kontrollieren, sondern auch das unternehmerische Risiko erheblich senken können. Ein geschicktes Bestell­wesen würde darüber hinaus eine verbesserte Just-In-Time Produktion ermög­lichen, wodurch ­Ressourcenverluste und Lagerkapazitäten erheblich gemindert ­werden könnten. Was am Schluss übrig blieb, war kein Katalog mehr, sondern das, was wir alle am IKEA Katalog so schätzen: eine Trendinspiration. Der Umfang war auf 80 Seiten reduziert worden. Dennoch schlugen die Studenten vor, den Umfang auf 120 Seiten zu erhöhen und die Druck- und Verarbeitungsqualität erheblich anzuheben: Hardcover statt Paperback. Das Ergebnis sollte allerdings in weit geringerer Auflage produziert – weniger als ein Prozent der bisherigen Auflage – und als Trendbericht des kommenden Jahres für zehn Euro verkauft werden. Statt Ausgaben entstünden Einnahmen. Warum könnte sich IKEA für ein solches Konzept interessieren? Die Einsparungen an Papier, Druck, Verarbeitung, Transport und Verteilung des Kataloges wären ein Vielfaches von dem, was man an höherem Honorar für Designleistungen aufwenden müsste. IKEA würde gewinnen, der Designer würde gewinnen, die Natur würde gewinnen. Für den Designer wäre es jedoch nicht ratsam, bei der Jahreshauptversammlung der Druckindustrie oder gar in einer Truckerkneipe mit diesem Erfolg zu prahlen, denn das Konzept würde zweifellos einige Leute um sichere Arbeitsplätze bringen. Beispiel ­Waschmaschine

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Ein anderes Beispiel ist das Projekt Waschmaschine. Wir alle wissen, dass bei Haushaltsgeräten nach einer gewissen Zeit eine Reparatur notwendig wird. Der herbeigerufene Installateur oder Wasch­maschinen-Techniker schätzt die Maschine als irre­ parabel ein und prognostiziert für die Reparatur schon einmal so hohe Kosten, dass sich das Reparieren im Vergleich zu einer ­Neu­anschaffung nicht rechnet. Diese Aus­fallerscheinungen nach einer gewissen Zeit sind recht genau geplant. Man geht von etwa 2 500 Waschgängen aus, dann tritt an einer ­Sollbruchstelle ein ­ein­gebauter Fehler ein. Meist muss der Besitzer dann noch für die ­Entsorgung der vermeintlich unbrauchbaren Maschine bezahlen.

Will der Hersteller der Waschmaschine seinen Umsatz steigern, kann er die Anzahl der Waschgänge weiter reduzieren und die Verkaufspreise erhöhen. Letzteres wird durch Importe aus Asien immer schwieriger. Also verlegt er die Produktion dorthin und wird selbst Importeur. Hiesige Arbeitsplätze gehen verloren, der Service wird weiter eingeschränkt. Der Verbraucher lernt daraus, dass eine Reparatur sowieso nichts bringt und spart sich die Anfahrts- und Diagnosekosten für den Monteur. Rechnet man aus der Sicht des Verbrauchers, so kostet ein Waschgang bei einer Maschine von 600 Euro und 2 500 Waschgängen exakt 0,24 Euro. Waschmittel, Strom und Energie mit eingerechnet, kostet ein Waschgang 0,68 Euro. Angenommen, ein Waschmaschinen-Hersteller, ein Waschmittel-Hersteller, ein Wasserlieferant und ein Energielieferant schlössen sich zu einem Netzwerk zusammen. Der Nutzer bekäme seine Waschmaschine, die mit einem ­kleinen Sender versehen wäre, gratis und bei jedem Waschgang ­würden 0,68 Euro von seinem Konto abgebucht. Was passiert nun, wenn alle Beteiligten mehr Geld verdienen wollen? Der Waschmaschinen-Hersteller würde alles tun, um die Lebensdauer des Produktes zu erhöhen. Bei 5 000 Waschgängen hätte er seinen Umsatz verdoppelt (wir wissen, dass noch viel mehr möglich wäre). Als Besitzer der Maschine würde er sie auch wieder zurücknehmen, wenn sie nicht mehr funktionierte. Die einzelnen noch brauchbaren Module könnten schließlich wiederaufbereitet werden und in die Produktion neuer Maschinen einfließen. Damit könnten die Materialkosten für neue Maschinen erheblich gesenkt werden, während er mehr profitieren würde. Ein solches Interesse hätten natürlich auch die Waschmittel-Hersteller und die Wasserund Stromlieferanten. Verbrauchte die Maschine nur halb so viel an Waschpulver, Wasser und Strom, verdoppelte sich auch ihr Umsatz. Unabdingbar dafür wäre ein verbessertes Servicekonzept, denn eine Maschine, die nicht läuft, bringt kein Geld. Also müssten Monteure schnellstens zur Stelle sein, um einen entstandenen Mangel zu beheben. Arbeiter, die man in den Fabriken zunehmend weniger bräuchte, könnten umgeschult werden zu Servicekräften. Die heimische Produktion von Waschmaschinen würde sich wieder lohnen. Es entstünde wieder eine Win-win-Situation: Der Nutzer (früher ­Verbraucher) müsste nicht einen Cent mehr ausgeben, aber die anfänglich teure Investition könnte er sich sparen. Alle am Waschgang beteiligten Partner könnten ihren Umsatz verdoppeln. Die alte Maschinen würde – soweit möglich – wiederaufgearbeitet und die

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Abfallsituation verbessert. Die Arbeiter hätten eine neue und weit interessantere Aufgabe. Die Natur würde erheblich entlastet. Konnten wir Sie inspirieren? Welche Idee können Sie einbringen? 13.3 Leistungsangebot nach Typen

Wie können Sie Ihr Leistungsangebot als Designerin oder als ­Designer von Illusion auf Vision umrüsten? Wenn Sie zu den besonders kreativen Lesern, den sogenannten Pussycats, gehören, müssen Sie jetzt nicht weiterlesen. Denn sie ­wissen, was Sie tun können. Schließlich füllen Sie die Kernfunktion von Designern, bestehende in präferierte Situationen zu verändern, tagtäglich aus. Wir müssen Ihnen deshalb nicht sagen, wie Sie das anstellen sollen. Sie fanden alles in diesem Buch total überflüssig und wollen so weitermachen wie bisher? Für Nightmare-Typen wie Sie haben wir leider keine Tipps parat. Danke aber, dass Sie dieses Buch trotzdem gekauft und so tapfer durchgehalten haben. Die Challengers unter Ihnen brauchen vielleicht noch einen kleinen Anstoß. Wir empfehlen: Lehnen Sie alle Aufträge ab, bei denen Sie keine Chance sehen, wirklich etwas zu verändern. Wer Sie nur als Dekorateur beauftragen will, trifft Sie in Ihrem professionellen Stolz und Ihrer ethischen Grundhaltung, die Ihnen die Annahme eines solchen Auftrags verbieten. Lehnen Sie aber mit einer Begründung ab, etwa so: »Leider entspricht die von Ihnen gestellte Aufgabe nicht meinem Leistungsangebot. Ich sehe meine Kernfunktion nicht in der ästhe­ tischen Ausgestaltung und damit dem Schaffen von Illusionen, ­sondern in der prozessbegleitenden Entwicklung, Planung und Formgebung innovativer Projekte.« Eine Erläuterung zu den den drei Typen (Challenger, Nightmare und Pussycat) finden Sie in der Einführung zum Buch Design­ rechte international schützen und managen (aus dieser Reihe).

Reaktion der ­Auftraggeber

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Das passiert, wenn Sie wie ein Challenger vorgehen: >> 50 Prozent der Auftraggeber werden Sie für einen arroganten Schnösel halten und das auch in aller Welt laut verkünden. Eine bessere Werbung können Sie nicht bekommen. Denn Einer, der so laut schlecht über Sie erzählt, macht nicht Sie, sondern sich selbst unglaubwürdig und Sie damit interessant. >> 30 Prozent der Auftraggeber werden sich spätestens dann an Sie erinnern, wenn sie festgestellt haben, dass die reine Dekoration das eigentliche Problem nicht lösen konnte.

>> 20 Prozent werden mit Ihnen ins Gespräch kommen wollen, Sie um Mithilfe bei der Veränderung der Aufgabenstellung ­bitten. Das weitaus interessantere Honorar wird die vermeintlichen Verluste durch unattraktive Auftraggeber mehr als wettmachen. Sie werden nicht weniger Umsatz machen, gleichzeitig aber mehr Zeit für Ihre eigentliche Arbeit haben, viel mehr Befriedigung aus Ihrer Arbeit ziehen, und Sie dürfen (müssen) zum ersten Mal richtig innovativ und kreativ sein. Denn davor war alles reproduktiv. Seien Sie erfolgreich als Designer! Denken und gestalten Sie die Zukunft! Es lohnt sich übrigens in jedem Fall weiterzulesen: Für die Pussycats, um eine Bestätigung zu bekommen für das, was sie schon wissen. Für die Nightmares, um zu sehen, was sie nicht wollen. Und für die Challengers, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen.

Aktion der Designer

Was das konkret für Sie bedeutet, wie Sie prozessorientiert vor­ gehen und wie diese Vorgehensweise erfolgreich beim Gewinnen neuer und interessanterer Auftraggeber umgesetzt werden kann, dazu mehr im nächsten Kapitel.

199

14

Prozessorientierte Dienst­ leistungen – Beraten, Planen und Gestalten

Welchen Einfluss haben Berufsbild und Funktion der Designer auf ihre ­Einbeziehung in Entwicklungsprozesse? Wie lässt sich ein Entwicklungsprozess in Phasen strukturieren? Wie lassen sich Dienstleistungen den einzelnen Phasen zuordnen? Und wie lassen sich die Phasen und ­Leis­tungen in ihrer Relevanz und Bewertung einordnen? Diese Fragen untersuchen wir in diesem Kapitel und arbeiten uns prozesshaft zu den Antworten durch.

Ein Diskurs über das Berufsbild der Designer wird schon seit vielen Jahren geführt. Erörtert wird dabei vor allem die Frage, ob und wie Designer in gesellschaftliche, institutionelle und unternehmerische Entwicklungsprozesse eingebunden werden. Neu ist die Forderung nicht, dass Designer bei grundsätzlichen Fragen und Problemen frühzeitig hinzugezogen werden sollten. Trotz dieses Bewusstseins um die Wichtigkeit der Designer lässt ihre Akzeptanz als Berater und Planer (Manager) von Prozessen doch noch immer sehr zu wünschen übrig. Warum ist das so? Seit Jahrzehnten wird Designförderung praktiziert und die Bedeutung von Design als Wettbewerbsfaktor herausgestellt – umso verwunderlicher ist es, dass Designer in der Beratung und Planung eine so geringe Akzeptanz haben. Vermutlich liegt die Ursache auch und gerade in der einseitigen Förderung und Penetration von Design.

14.1

Es ist unstrittig, dass Designförderung Wesentliches im Bewusstsein der Gesellschaft, aber auch in den Institutionen und Unternehmen bewirkt hat. Wenn man beispielsweise Unternehmen nach ihrer Designaffinität befragt, ist die Antwort eindeutig positiv. Selbst diejenigen Unternehmen, die Design in der Praxis nur wenig nutzen, äußern sich positiv zu Design. Bei der Frage wie und vor allem mit wem man Design professionell realisieren kann, wird allerdings deutlich, dass darüber wenig Erfahrungen und Kenntnisse vorhanden sind. Je kleiner die Unternehmen

Design-Bewusstsein

Berufsbild und ­Funktion der ­Designer

201

sind, umso geringer sind die Erfahrungen und umso höher ist die Skepsis. Weit weniger Ablehnung hingegen gibt es bei größeren Unternehmen, die Design-Kompetenzen im Hause haben und Design deshalb kontinuierlich und professionell praktizieren. Aber auch dort kann die Akzeptanz noch deutlich erhöht werden – ins­beson­dere, wenn es um den grundlegenden Entwicklungsprozess geht, der ja unabhängig von der eigentlichen Entwurfsleistung ist und jedem Designprozess vorausgehen muss. KomplementärKompetenzen

Eine weitere Ursache ist die unzureichende Komplementär-Kom­ petenz von Designern in betriebswirtschaftlichen, vor allem aber in unternehmerischen Fragen. Diese Thematik haben wir in den Büchern Designbusiness gründen und entwickeln sowie Designrechte international schützen und managen (aus dieser Reihe) ausführlich bearbeitet.

Das Selbstverständnis von Designern orientiert sich immer noch sehr stark am klassischen Berufsbild des Gestalters oder sogar des Künstlers. Das Berufsbild des Design-Unternehmers dagegen ist unterentwickelt (wenn überhaupt präsent). Die Funktion als Berater und Planer (Manager) ist bei Designern in der Regel noch viel zu s­ elten im eigenen Bewusstsein verankert. Das ist mehr als erstaunlich, weil sowohl das Berufsbild als auch die Funktionen ja nicht neu sind. Das Berufsbild und die Funktionen als Berater und Manager haben wir im Buch Designbusiness gründen und entwickeln (aus dieser Reihe), dort im Kapitel 3 Selbstverständnis, analysiert.

Dass Designer auf Grund ihres hohen Anteils an Selbstständigen auch Unternehmer sind, ist naheliegend. Maßgeblich beeinflusst wird die öffentliche Wahrnehmung allerdings durch das herrschende Image von Freiberuflern und Selbstständigen (Kleinst- und Klein­ unternehmer) auf der einen Seite und das der Entrepreneure und Unternehmer (Mittelständler und Großunternehmer) auf der anderen Seite. Auch in der Politik ist das so. Darauf gehen wir in Kapitel 17 Designwirtschaft (Seite 237 ff.) noch näher ein.

Die Funktionen Beratung und Planung (Management) werden, wie erwähnt, schon lange diskutiert. In der Designliteratur gibt es 202

mittlerweile eine stattliche Anzahl von Veröffentlichungen, ins­­be­ sondere zum Designmanagement – nicht zu verwechseln mit (dem derzeit sehr populären) Design Thinking, bei dem es sich nicht um eine Funktion, sondern um eine Methode handelt. Wir sind darauf bereits näher eingegangen im Kapitel 11.6 Design denken (Seite 172 ff.).

Betrachtet man die Begriffserläuterungen zum Designmanagement und zur Designplanung näher, dann wird deutlich, dass die Funktionen der Beratung und Planung schon immer eng mit dem Entwurf, der Gestaltung verknüpft waren. Das ist deshalb naheliegend, weil diese Fähigkeiten nicht nur die Kernkompetenzen von Designern ­darstellen, sondern auch ihre Hauptmotivation sind. Die Folge aber ist, dass die Beratungs- und Planungsleistungen von Designern immer am fertigen Produkt gemessen werden und nicht am gesamten Entwicklungsprozess. Auf ungenaue (unprofessionelle) Fragen der Auftraggeber ­liefern Designer oft ebenso ungenaue (unprofessionelle) Antworten. Beides, die Bewertung und die Fragen/Antworten, führt in der Praxis dazu, dass Designaufträge über Pitches vergeben werden. Diese weit verbreitete Unsitte ist – ökonomisch gesehen – für beide Seiten mit hohen Risiken behaftet. Für Designer hat sie nicht selten prekäre Folgen, und für Auftraggeber führt sie zu wenig guten, oft einfach schlechten Ergebnissen.

Produkt-­

Warum Pitches aus ökonomischer Sicht von Nachteil sind, schauen wir uns im Rahmen eines kleinen Exkurses näher an.

Pitch – eine ökono-

Orientierung

mische Analyse

Der folgende Text (von Joachim Kobuss) ist 2009 erstmalig im Magazin R_Vision 2 erschienen.

Warum pitchen? Ist diese Form der Suche nach Gestaltungs­ lösungen effektiv und wirtschaftlich? Wie kann sichergestellt werden, dass die präsentierten Lösungen zu den Problemen und Fragen der Auftraggeber passen? Was ist erforderlich, um ein professionelles Briefing für einen Pitch zu erstellen? Wie sind die präsentierten ­Kreativ-Dienstleistungen einem Entwicklungsprozess zuzuordnen? Wie können Entscheidungen für den passenden Dienstleister professionell getroffen werden? Eins vorweg: Pitches sind nur etwas für Investoren und Profis. Das bedeutet, ein Pitch kostet Geld, und zwar nicht wenig, und der Auftrag203

geber muss Designkompetenzen haben. Alles andere (kostenarme Durchführung und/oder mangelnde Designkompetenz) ist mit unübersehbaren Risiken und erheblichen Folgekosten verbunden. Das führt zur ersten oben genannten Frage. Warum pitchen? Für einen Auftraggeber, der sich einen Eindruck über die Gestaltungskompetenzen und -möglichkeiten von Designern machen möchte und Anregungen für einen Designprozess sucht, kann ein Pitch durchaus hilfreich sein. Allerdings nur dann, wenn dieser professionell und effektiv durchgeführt wird. Das setzt voraus, dass man sich bewusst ist: Ein Pitch kann einen Entwicklungsprozess nicht ersetzen, sondern lediglich ergänzen. In der Praxis kommt es häufig vor, dass Pitches als preiswerter Zugang zu Gestaltungsdienstleistungen betrachtet werden. Nicht selten werden diese ohne angemessene Honorierung (manchmal sogar gänzlich ohne Honorar) ausgeschrieben. Und das ohne Kenntnis seitens der Auftraggeber über die Wirtschaftlichkeit und die rechtlichen Risiken. Manchmal ist sogar Orientierungslosigkeit und Unwissenheit bei den Auftraggebern der Grund für einen Pitch. Beides sind falsche Voraussetzungen, um zu guten und wirkungsvollen Gestaltungslösungen zu kommen. Effektiv und wirtschaftlich ist ein Pitch nur dann, wenn das Briefing im Rahmen eines professionellen Entwicklungsprozesses – also unter Einbeziehung von Designkompetenz – entstanden ist. Soviel zur zweiten Frage, ob diese Form der Suche nach Gestaltungslösungen effektiv und wirtschaftlich ist. Was das genau bedeutet, wird klar, wenn man einen Entwicklungsprozess betrachtet. Dieser beginnt mit einer Frage/einem Problem und wird abgeschlossen mit einer Antwort/Lösung. Nun gibt es zwei Möglichkeiten, diesen Prozess anzugehen: professionell von vorn oder semiprofessionell von hinten. Die letzte Variante überwiegt in der Praxis. Deutlich wird das, wenn man einen Entwicklungsprozess in Phasen strukturiert. In der ersten Phase findet die Analyse und Ideen­findung statt. Dies sind die Grundlagen für die zweite Phase, in der Konzepte und Strategien entwickelt und daraus Maßnahmen definiert werden. Letztere sind die Voraussetzung für die dritte Phase, in der die konkrete Gestaltung beginnt und diese dann in Produktion (Produkte/Kommunikation) gehen. In der Zuordnung von Dienstleistungen ist die erste Phase die der Beratung bei Prozessen, die zweite die der Planung von Projekten und die dritte die der Operation, d. h. der gestalterischen Umsetzung bis hin zu End-Produkten. 204

Da an der ersten und zweiten Phase Designer sehr oft nicht beteiligt sind, müssen in einem Briefing diese beiden Phasen so beschrieben werden, dass der Designer in der Lage ist, seine ­ope­rative Gestaltungs-/Produktions-Leistung zu erbringen. Eine ­solche Beschreibung ist für einen Nichtdesigner sehr schwierig und eigentlich nicht machbar. Das Ergebnis ist daher für den Designer unzu­reichend und muss in einem Rebriefing nachgearbeitet werden. Dieses Vorgehen ist zeitaufwendig und mit hohen Risiken ­verbunden, insbesondere dann, wenn der Auftraggeber als Briefing­ autor nicht über Design- und Designmanagement-Kompetenzen verfügt. Das führt zu zusätzlichen Kosten auf der Auftraggeberseite und darüber hinaus zu dem Risiko einer unzureichenden Lösung. Allein die Tatsache, dass dem Designer die Rebriefingphase vom Auftraggeber nicht honoriert wird, produziert am Ende höhere, nicht einzuschätzende Kosten. Fast immer ist das Ergebnis unter den Möglichkeiten eines professionellen Prozesses, in den der ­Designer von Anfang an involviert ist. Ein weiterer Vorteil der Professionalität liegt in der effizienten und effektiven Entwicklung eines ­Briefings, mit der hohen Wahrscheinlichkeit, Zeit (und damit Kosten) zu sparen und eine optimale und erfolgreiche Lösung zu finden. Dies ist in einem Pitch, der nicht von Investoren und Design­ profis durchgeführt wird, nicht machbar. Denn: Nur durch einen vorgeschalteten professionellen Entwicklungsprozess lässt sich in einem Pitch der geeignete Designdienstleister finden. Nur so kann die Präsentation eines am Pitch beteiligten Designers bewertet, die richtige Antwort/Lösung zu spezifischen Fragen/Problemen gefunden und eine Entscheidung für den passenden Designer getroffen werden. Soweit diese Analyse. Die hier erwähnten Phasen eines Entwicklungsprozesses werden wir uns nun näher ansehen.

Einem Entwicklungsprozess liegt immer ein Problem oder eine Frage zu Grunde. Ziel ist es, eine Lösung oder eine Antwort zu finden. Dieses Grundprinzip gilt für alle Prozesse, unabhängig von der Gestaltung im engeren Sinne, wie zum Beispiel für ein Produkt oder für eine Kommunikation. Wenn Sie sich als Designerin und Designer mit der Gründung oder Entwicklung Ihres Business beschäftigen, erstellen Sie dafür (wenn Sie es professionell angehen) einen Businessplan. Die Phasen, die Sie hierbei durchlaufen, entsprechen denen eines Entwicklungsprozesses. Das Gleiche gilt für jedes Unternehmen, das seinen

14.2 Entwicklungs­ prozess in Phasen

205

Business­plan aufstellt und kontinuierlich weiterentwickelt (und es gilt auch für Institutionen). Wie in dem vorhergegangenen Exkurs über Pitches bereits ­angedeutet, besteht ein Entwicklungsprozess aus drei Phasen: >> Prozessphase >> Projektphase >> Produktphase Prozessphase

Die erste Phase eines Entwicklungsprozesses ist die Prozessphase. Sie hat ihren Ausgangspunkt in der Analyse der Problem- oder Fragestellung. Die Situation wird hinterfragt, es wird recherchiert, diskutiert, reflektiert, konkretisiert, strukturiert und formuliert. Die eigene Einstellung zur Situation, die Motivation zur Prozesseinleitung und die Zielsetzung werden hier bewusst gemacht und für alle am Prozess beteiligten Personen transparent dargestellt. Dieser Öffnungsprozess sollte im Idealfall ein barrierefreies Denken fördern. Was das barrierefreie Denken charakterisiert, haben wir im ­Kapitel 11.7 Offen denken (Seite 174 ff.) ausführlich beschrieben.

Das offene Denken ist die Voraussetzung dafür, Ideen zu finden und zu entwickeln. Dieser kreative Schritt kann nur bei unein­ geschränkter und non-direktiver Herangehensweise zu optimalen Ergebnissen führen. Jede Form von Direktion (so soll es sein) und Einschränkungen (das geht nicht) mindert die Chance, zu inno­ vativen Ansätzen zu kommen. Je unkonventioneller die Idee – desto höher der Innovationsgrad. Je höher die Bereitschaft Risiken ein­ zugehen – desto geringer die Gefahr, potenzielle Lösungswege zu übersehen. Eine gute Idee ist die unabdingbare Voraussetzung für die ­Fortführung eines professionellen Entwicklungsprozesses und damit die Grundlage für die nächste Phase. Projektphase

Die zweite Phase eines Entwicklungsprozesses ist die Projektphase. Sie dient dazu, die entwickelte Idee zu konkretisieren. Deshalb wird zunächst ein Konzept erstellt. Das Konzept ist die Beschreibung dessen, wie die Idee umzusetzen ist. Neben der Beschreibung hilft diese Phase auch dabei, einen rechtlich schützbaren Rahmen zu schaffen. Welche Relevanz dies hat, haben wir im Buch Designrechte ­international schützen und managen (aus dieser Reihe) erläutert, dort im Kapitel 9.2 Verbot der Vorlagenfreibeuterei.

206

Aus der konzeptionellen Ausformulierung wird in einem ­ ei­teren Schritt die Strategie abgeleitet und definiert. Diese dient w dazu, das angestrebte Ziel zu erreichen, indem alle Faktoren, die die eigene Aktion beeinflussen können, einkalkuliert werden. Aus der Strategie werden dann die erforderlichen Maßnahmen bestimmt und detailliert beschrieben. Art, Form und Investitionen/ Kosten müssen jetzt definiert, gewichtet und bewertet werden. Die Beschreibung der Maßnahmen ist quasi das Briefing für die folgende Phase: die Produktgestaltung und -produktion. Die dritte und abschließende Phase ist die Produktphase. Hier findet die Erstellung eines Entwurfes (oder mehrerer Entwürfe) statt. Es ist der Schritt der konkreten Gestaltung von Produkten oder Kommu­ nikation. Die Maßnahme (oder die Maßnahmen) bekommt nun eine sichtbare und fassbare Form. Unter Produktion versteht man den Schritt, in der die Form ­realisiert wird. Das kann ein Industrieprodukt (welcher Art auch immer) sein, ein Manufakturprodukt, eine Einzelanfertigung oder ein ­Kommunikationsprodukt (welcher Medienart auch immer). Es kann aber auch ein immaterielles Produkt sein, wie das etwa im Dienst­leistungs- und Servicebereich der Fall ist.

Produktphase

Die Prozessphasen sind in der Infografik 9 im Anhang (Seite 314) visualisiert.

Ausgehend von den drei Phasen des Entwicklungsprozesses stellt sich nun die Frage nach den Dienstleistungen, die den einzelnen Phasen zugeordnet werden. Ein Unternehmen (und hier sind auch Institutionen gemeint), das einen Entwicklungsprozess initiiert und durchführt, hat sehr häufig keine ausreichenden Kapazitäten und/oder Kompetenzen, diesen Prozess allein (ohne Hilfe und Unter­stützung von außen) durchzuführen (oder will das aus ver­ schiedenen Gründen nicht). In einem solchen Fall benötigt es ­kom­plemen­täre Dienstleistungen, die auf die jeweiligen Phasen abgestimmt sind. Zu den Phasen lassen sich adäquate Leistungsarten wie folgt zuordnen: >> Prozessphase – Beratung >> Projektphase – Planung >> Produktphase – Gestaltung

14.3 Dienstleistungen in Phasen

207

Beraten

In der Prozessphase, die Analyse und Ideen-Entwicklung einschließt, ist Beratungskompetenz gefragt. Die Klärungs- und Findungsschritte erfordern neben dem Branchen- und Fachwissen vor allem auch Methodenkompetenz. Beides baut auf Erfahrungen, Fähigkeiten und Kenntnissen auf, die in den darauf folgenden Dienstleistungsarten, also in der Praxis erworben werden. Nur diese Kompetenzen gewährleisten eine optimale Beratung und Vorbereitung auf die ­folgenden Phasen. Professionell kann eine Beratungsleistung daher nur mit entsprechender Berufs- und Praxiserfahrung erbracht werden. An dieser Stelle sei noch ein kurzer Exkurs erlaubt: Beratungs­ leistungen sind immer auf ein Objekt bezogen, also auf eine Sache – Coachingleistungen hingegen immer auf ein Subjekt, also auf eine Persönlichkeit. Das bedeutet für die Praxis, dass Coaching im Idealfall immer vor der Beratung liegt. Der Unterschied zwischen Coaching und Beratung wird in dem Buch Designbusiness gründen und entwickeln (aus dieser Reihe), dort in den Kapiteln 21.2 und 21.3, näher erläutert.

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Planen

In der Projektphase, in der Konzept, Strategie und Maßnahmen entwickelt werden, ist Planungskompetenz gefragt. Neben dem bereits erwähnten Branchen- und Fachwissen erfordern diese Formulierungs-, Kalkulations- und Definitionsschritte, ebenso Methodenkompetenz. Auf beides baut auch die letzte der drei Dienstleistungsarten, die Ausführung, auf und gewährleistet so die bestmögliche Planung und Vorbereitung für die Gestaltungsleistung. Professionell kann eine Planungsleistung daher nur mit entsprechender Berufs- und Praxiserfahrung erbracht werden. Demnach können Designer mit wenig oder keiner Praxis- und Berufserfahrung nur als Subunternehmer eines planenden und beratenden Designers professionell arbeiten.

Gestalten

In der Produktphase, die Gestaltung und Produktion einschließt, ist Entwurfs- und Umsetzungskompetenz gefragt. Diese form-/ gestaltgebenden und realisierenden Schritte erfordern nicht nur besondere handwerkliche Fähigkeiten, sondern ebenfalls Methoden­ kompetenz. Branchen- und Fachwissen sind zwar von Vorteil, aber nicht immer zwingend erforderlich (vorausgesetzt, die ersten Phasen sind professionell verlaufen). Das bedeutet: Hier kann auch ­delegiert werden.

Eine Gestaltungsleistung kann daher nur mit einer guten praktischen und theoretischen Ausbildung erbracht werden. Berufs- und Praxiserfahrungen steigern die Leistungsfähigkeit entsprechend. Die Dienstleistungen zu den Prozessphasen sind in der ­Info­grafik  9 im Anhang (Seite 314) visualisiert.

Ausgangspunkt und Ziel eines Entwicklungsprozesses unterliegen einer logischen Abfolge. Ein Ziel kann ohne eine klare Standort­ bestimmung weder erreicht noch erkannt werden. Im Prinzip vergleichbar mit Glück: Es ist immer, überall und jederzeit präsent – nur wir sehen es oft nicht. Wie sollen wir auch, wenn wir keine Vorstellung, kein Bild davon haben? Wir können es nur über eine Idee und deren Strukturierung finden.

14.4 Relevanz und ­Bewertung der ­Phasen und ­Leistungen

Wie Sie Glück empfinden können und wie das der russische Schriftsteller Dostojewski in seinem bekannten Zitat auf den wesentlichen Punkt brachte, ist im Buch Designbusiness gründen und entwickeln (aus dieser Reihe) beschrieben, im Kapitel 19.12 Intuition.

Der folgerichtige Prozessablauf macht deutlich, dass professionell nur von Vorne begonnen werden kann. Das (in der Praxis weit verbreitete) Aufzäumen von Hinten ist bestenfalls semiprofessionell, in den meisten Fällen aber einfach nur unprofessionell. Die anfangs bereits erwähnte geringe Akzeptanz von Designern (in den ersten beiden Prozessphasen als Berater und Planer einbezogen zu werden) führt dazu, dass erst wenn die Maßnahmen definiert sind, daran gedacht wird, einen Designer hinzuzuziehen. Damit der Designer dann die letzte Prozessphase der Gestaltung überhaupt angehen kann, ist ein Briefing notwendig. Das Briefing soll der effizienten Kommunikation zwischen ­Auftraggeber und Designer dienen. Aber genau an dieser Effizienz hapert es. Wie sollen die Voraussetzungen für optimale Lösungen (Innovationen und Orientierung) geschaffen werden, wenn der Designer an den ersten beiden Phasen nicht beteiligt ist? Wie will ein Auftraggeber ohne Gestaltungskompetenz die ersten Prozessphasen so wiedergeben und vermitteln, dass der Designer optimal damit arbeiten kann? Es ist nicht möglich! Und Effektivität schließt sich hier gänzlich aus.

Regelfall Briefing

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Daher folgt dem Briefing fast immer ein Rebriefing. Auf den ersten Blick scheint das ganz vernünftig zu sein. Genauer betrachtet, ist es allerdings alles andere als effizient, ja geradezu ineffektiv. Denn zunächst kostet es Zeit und damit – ökonomisch betrachtet – Geld, und das in doppelter Hinsicht: Der Auftraggeber verliert Zeit, und der Designer bekommt kein Geld (Honorar) dafür. Und immer bleibt etwas (viel) auf der Strecke: Abläufe, Beteiligte, Hintergründe, ­Möglichkeiten … Fatale ­Nebenwirkungen

So wird dann eben fleißig gemutmaßt, spekuliert, interpretiert und irgendetwas ausgedacht. Die meisten Designer wissen sich in solchen Fällen nur damit zu helfen, dass sie mehrere Entwürfe vorlegen, die oft derart unterschiedlich sind, dass eine professionelle (also nicht am Geschmack orientierte) Entscheidungsfindung unmöglich wird. Aber nicht nur das. Die fatale Nebenwirkung dabei ist, wie gering der Auftraggeber die einzelnen Entwürfe wertschätzt. Aber wie soll er sie auch wertschätzen, wenn er Entwürfe in so großer Zahl prä­ sentiert bekommt? Die Menge der Entwürfe suggeriert schließlich die Wertigkeit und, dass der Designer sich offensichtlich selbst nicht entscheiden konnte und/oder gar nicht genau wusste, um was es eigentlich geht. Auf die effektive Bewertung von Leistungen gehen wir in unserem Buch Designleistungen bewerten und kalkulieren (in dieser Reihe) noch näher ein (in Vorbereitung).

Enttäuschte ­Erwartungen

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Aus der Sicht eines Auftraggebers ohne Gestaltungskompetenz (meistens Ökonomen, Juristen, Techniker) erscheint die Erstellung eines Entwurfs simpel und geringwertig. Er hat die ersten beiden Prozessphasen absolviert und glaubt nun, dass der Designer diese so aus der Lamäng nachvollziehen und in Formen und Farben um­setzen kann. Zunächst scheint das auch so zu funktionieren, bekommt er doch viel Kantiges/Rundes und Buntes vorgesetzt. Es wird ihm aber auch klar, dass die Vielzahl der (scheinbaren) Lösungsansätze zwar seine Wahlmöglichkeiten erhöhen, gleichzeitig aber auch die Qual seiner Wahl maximieren. In dieser Situation entsteht sehr oft der Eindruck, dass der Designer ihn nicht verstanden hat (womit der Auftraggeber meistens völlig richtig liegt). Dieses Nicht-verstanden-werden bewirkt beim Auftraggeber die Geringschätzung seines ­Auftragnehmers. Psychoanalytisch betrachtet ist das zwar nur eine Projektion, die aber zu einer Enttäuschung führt.

Die Alternative zum Regelfall – und den damit verbundenen fatalen Nebenwirkungen und enttäuschten Erwartungen – kann nur die Einbeziehung des Designers von Anfang an sein. Nur so bietet sich die Chance, zu optimalen Ergebnissen zu kommen. Und wenn schon ein Briefing für Designer als externe Dienstleister (für die Produktphase) gebraucht wird, dann aber doch bitte mit Gestaltungskompetenz – also unter Einbeziehung eines Designers.

Idealfall

Da optimale Ergebnisse und Erfolgsmaximierung nur über eine ­professionelle Durchführung eines Entwicklungsprozesses möglich sind, ist die kompetente Beratungsleistung sehr hoch zu bewerten. Mit anderen Worten: Hier muss in Spitzenhonorare investiert ­werden (was in den Bereichen Strategie, Technik, Recht und Steuern auch üblich ist). Designberater sind daher bemüht, ihren Einfluss auf viele Bereiche eines Unternehmens auszudehnen und die Nutzung von Design als strategischem Geschäftsinstrument zu etablieren. In diesem Zusammenhang ist auch der Hype der Methode Design Thinking zu betrachten.

Dienstleistungswert

Auf Design Thinking sind wir in Kapitel 11.6 Design denken (Seite 172 ff.) bereits eingegangen.

Das darf allerdings weder mit der Denk- und Arbeitsweise von Designern noch mit ihrer Gestaltungskompetenz verwechselt ­werden. Sonst müsste es auch Designer Thinking heißen. Aber nicht überall wo Design draufsteht, muss zwingend auch ein Designer drin sein. In der Designberatung geht es insbesondere um die Fähigkeit, (interdisziplinäre) Gruppen zu moderieren. Nun ist die Moderation zwar nicht die alleinige Domäne der Designer – in Verbindung mit ihrer Visualisierungskompetenz ist sie aber nur bei einem Desig­ ner in einer Person präsent. Das macht den Designer unentbehrlich – und damit auch hoch bezahlt. Die auf die Beratung aufbauende Planungsleistung ist hier nicht minder zu bewerten, weil sie von der Beratung abhängig ist, zumindest aber in engem Zusammenhang mit ihr steht. Und damit ist sie hoch bis mittel bezahlt. Die Gestaltungsleistung steht nicht nur am Ende des Entwicklungsprozesses, sondern auch am Schluss der Bewertungsskala. Und damit ist sie in der Praxis überwiegend eher niedrig bezahlt.

211

Die Hierarchie der Dienstleistungen und Prozessphasen ist in der Infografik 10 im Anhang (Seite 315) visualisiert. Alle Designer ­beraten und planen

Alle Designer müssen entsprechend ­aus­gebildet werden

Die Mehrheit der Designer nimmt für sich in Anspruch, auch ­beratend und planend tätig zu sein. Wie sollte ein der Aufgabe entsprechendes Briefing und Rebriefing sonst auch durchgeführt ­werden? Allerdings werden diese Leistungen ebenso mehrheitlich nicht honoriert und bezahlt. Doch eine Leistung, die nicht honoriert wird, kann auch nicht als professionelle Leistung gewertet werden. Nur eine honorierte Dienstleistung wird als solche anerkannt (zumindest in wirtschaftlichen Bereichen). Die Bereitschaft der Auftraggeber, Beratungs- und Planungs­ leistungen (und selbstverständlich auch Gestaltungsleistungen) angemessen – also ihrer strategischen Bedeutung entsprechend – anzuerkennen und zu honorieren, hängt nicht nur von der Erkenntnis dieser Tatsache ab. Vielmehr noch müssen die ­Designer selbst aktiv werden und sich über eine Aus- und Weiter­ bildung professionali­sieren und qualifizieren. Wie die Designausbildung und die Designweiterbildung der Zukunft diesem Anspruch genügen kann, dazu mehr in den ­nächsten beiden Kapiteln.

212

15

Designausbildung der Zukunft

Was unterscheidet die Ausbildung von Designern von der im Handwerk, in der Kunst und in der Wissenschaft? Wie können Ausbildungsinhalte konkret ins Denken und Machen übertragen werden? Wie sieht ein zukunftsfähiges Curriculum der Designausbildung aus und welche Voraussetzungen müssen dafür geschaffen werden? Auf diese Fragen wollen wir in diesem Kapitel eingehen.

Jede Ausbildung ist in sich selbst ein Gestaltungsprozess, dessen Ergebnis erst in der Zukunft sichtbar wird. Somit ist die Designausbildung die Gestaltung der Gestalter zur Gestaltung des Gestaltens der Gestalt von Gestaltetem. Noch komplizierter wird dieser Satz, wenn es um die Gestaltung der Designausbildung geht. Wie war die Designausbildung einmal aufgebaut, wo befindet sie sich heute und wie sähe eine präferierte Designausbildung aus? Die Beantwortung dieser dreiteiligen Frage würde per se eine langwierige und tiefgründige Analyse voraus­setzen, deren Ergebnis möglicherweise zu dem Schluss kommt, dass es keine Antwort gibt. Einer der besonderen Aspekte des Designs und logischerweise auch der Designausbildung ist die Tatsache, dass es keine Regeln und keine Standards gibt und auch nicht geben sollte. Allgemein beobachten wir derzeit die Akademisierung eines ursprünglich hand­­ werklich künstlerischen Berufes, die einerseits nötig erscheint, um die anstehenden Aufgaben lösen zu können – andererseits aber den Schwerpunkt der Ausbildung einseitig verschiebt. Als nicht­­vorteilhaft erweist sich auch die im Bologna-Prozess vorgeschriebene Ausbil­ dung zum Bachelor und Master. Die Administration beginnt – tragischerweise –, die Studiengänge zu standardisieren. Die Quantität der Studienpunkte (credit points) scheint wichtiger als die Qualität der Absolventen. Die Reduktion von Menschen auf Quoten und Zahlen ist eine fragliche und potenziell gefährliche Geisteshaltung.

15.1 Ausbildung: ­Handwerk, Kunst und Wissenschaft

213

Dessau und Halle

Bauhaus und HfG Ulm

Das Bauhaus in Dessau war von der Burg Giebichenstein in Halle gerade einmal etwas über 50 Kilometer entfernt und dennoch hatten beide Schulen vollkommen unterschiedliche, kontrastierende Ansätze. Möglicherweise war gerade die geographische Nähe gegenseitig befruchtend. Jedenfalls schafften die Vielfalt der Denkweisen und die daraus resultierenden Gegensätze und Spannungsfelder den Nährboden für Kreativität und neue Ideen. Weder zu Zeiten des Bauhauses noch zu denen der HfG Ulm war es für Außenstehende erkennbar, dass diese Schulen so nachhaltig ­wirken würden. Wäre dies der Fall gewesen, wären sie wohl nie geschlossen worden. Die Frage ist statthaft, ob beide Institutionen ihre heutige designhistorische Bedeutung auch dann hätten, wenn sie noch existierten. Den Bauhauslehrern, die in den USA die Lehre weiterführten, gelang die Fortsetzung des Erfolges jedenfalls nicht. Otl Aicher schreibt in die welt als entwurf (1991, Seite 95) fast resigniert über Ulm:

»… wir sind wieder beim streit der dadaisten angekommen. sie zerfielen in zwei lager: die ästheten und die moralisten. […] die moralisten wollten sich der anklage nicht entziehen, dass die welt aus schund, lug und trug besteht. das prinzip des modernen marktes basierte auf dem gewinn, und weder das produkt der fabrik noch die mittel der chemie noch die erzeugnisse der lebensmittelindustrie entsprangen einer verantwortung gegenüber dem produkt und der sache. die moralisten mußten die ästheten im stich lassen. an dieser situation hat sich eigentlich bis heute nicht viel verändert. die welt ist nicht viel anders geworden, als sie war. die meisten designer sind ins lager der stylisten, der ästheten übergelaufen, um produkte dem aspekt der ästhetischen verkaufsförderung entsprechend aufzumachen. aufmachung ist noch immer alles. schade, dass es kein ulm mehr gibt.«

Damit zeigt Aicher ein Problem auf, das er bereits am Bauhaus für ungelöst gehalten hatte: Die Designer sind keine Designer (mehr), sondern Stylisten, die sich einseitig mit Ästhetik und hier ausschließlich mit dem kallistischen Aspekt der Ästhetik beschäf­­t­i­gen. Sie verschönern die Welt, statt sie zu verbessern. Die zunehmende Enttäuschung der Menschen bemerken sie dabei gar nicht. Enttäuschung ist das Resultat einer Täuschung – die Menschen ­lassen sich aber nicht länger täuschen. Alles schön zu gestalten, zerstört letztlich die Qualität des Schönen und die Schönheit verkommt zur bedeutungslosen Hübschheit. Ästhetik wird als Sinnkrise 214

e­ mpfunden und der Mensch entwickelt zunehmend eine anti-­ ästhetische Haltung als neue Strategie. Die visuelle Verwahrlosung der modernen Innenstädte ist dafür ebenso ein Zeichen wie die ­auf­kommende Trash-Kultur. Bereits in seiner Einführung zu Otl Aichers Buch analog und digital (1991, Seite 17) ­formulierte das Wilhelm Vossenkuhl so:

»Das künstlerische Design vergibt […] leichtfertig die Chance zur humanen Gestaltung der Lebenswelt.«

Aber nicht nur das – Design, wie es heute vielerorts gelehrt wird, trägt sogar zur Umweltbelastung bei. Um derartige Auswirkungen zu vermeiden, setzte das Bauhaus in ­seiner Lehre bereits 1919 auf drei Grundpfeiler: >> 1. Eine handwerkliche Ausbildung >> 2. Eine künstlerische Ausbildung >> 3. Eine wissenschaftlich theoretische Ausbildung

Grundpfeiler der Lehre

Rainer K. Wick belegt diese Ausrichtung in seinem Buch Das Bauhaus, Kunstschule der Moderne (Hatje Cantz 2000, Seite 67):

»Handwerk war für den Gründer des Bauhauses, Walter Gropius, von fundamentaler Bedeutung. Er sah darin eine Grundform ­praktischer Arbeit und des beruflichen Lernens, die zwar im vor­ industriellen Gewerbe entstanden war, aber unabhängig von irgend­einer Organisationsform der Gewerbewirtschaft ist. Wie hochindustrialisiert das Umfeld auch sein mag, als grundlegende Arbeits- und Lernweise bleibe das Handwerk unablösbar.«

In der Tat mussten die Bauhaus-Studenten eine Doppelqualifikation erwerben. Die obligatorische Handwerksausbildung schloss ab mit dem Gesellenbrief in einem Handwerk, abgenommen von der Handwerkskammer. So wurden Schmiede, Schlosser, Tischler, Weber, Dekorationsmaler oder Lithographen neben ihrem Studium am Bauhaus aus­ gebildet. Hinlänglich bekannt ist die künstlerische Ausbildung mit ihrer Lehre von elementaren Stoffen, dem Naturstudium, der Gestaltungslehre und dem Werkzeichnen. Weniger bekannt ist die wissenschaftlich theoretische Ausbildung, die die naturwissenschaftlichtechnologischen Grundlagenfächer, Kunstgeschichte (im Sinne von Technikgeschichte) und betriebswirtschaftliche Grundlagen umfasste.

Doppelqualifikation

215

Wolfgang Jean Stock bemerkt dazu in seiner Einführung von Otl Aichers Buch die welt als entwurf (1991/1992, Seite 11 ff.):

»Auch Otl Aicher hielt in Ulm praktische Arbeit für eine wichtige Grundlage, die er gegen eine reine Verwissenschaftlichung verteidigte. So wandte er sich vehement gegen eine unkritische Wissenschaftsgläubigkeit mit ihrem aufgeblähten Trieb zur Analyse und ihrer fortschreitenden Impotenz des Machens. […] Design heißt Denken und Machen aufeinander zu beziehen. Ästhetik ohne Ethik tendiert zur Täuschung. Es geht um das Produkt als Ganzes, nicht allein um seine äußere Form. Das Kriterium des Gebrauchs schließt auch die sozialen und ökologischen Wirkungen ein.« Wissenschaft des Künstlichen

In Herbert Simons Überlegungen über die Wissenschaft des Künstlichen kommt dagegen die künstlerisch handwerkliche Seite in einer möglichen Designausbildung nicht mehr vor. Design ist für ihn eine Kernfunktion des Ingenieurwesens. Ein Schwerpunkt der Wissenschaft des Künstlichen sieht er in der zu schaffenden Wissenschaft des Designs. Für die Theorie des Designs entwirft er ein Curriculum, das auf den ersten Blick auf viele kulturell orientierte Designer schockierend wirkt. Sein Lehrplan umfasst 7 Themen (Topics): >> A. Designbewertung >> 1. Evaluationstheorie, Nutzentheorie, statistische ­Ent­scheidungstheorie >> 2. Berechnungsmethode >> a. Algorithmen zur Auswahl optimaler Alternativen wie ­lineare Programmierungsberechnung, Kontrolltheorie, dynamische Programmierung >> b. Algorithmen und Heuristik zur Suche nach zufrieden stellenden Alternativen >> 3. Formale Designlogik – Imperative und deklarative Logik >> B. Suche nach Alternativen >> 4. Heuristische Suche – Faktorisierung und means-end ­Analyse >> 5. Bereitstellung von Such-Ressourcen >> 6. Strukturtheorie und Design-Organisation / System­hierarchie >> 7. Darstellung von Designproblemen (Herbert Simon: The Sciences of the Artificial, Kap.5, The ­Science of Design, Seite 111 ff.) So einfach oder kompliziert diese sieben Topics auch scheinen mögen – Herbert Simons Konzept erschließt sich erst bei genauer

216

Betrachtung, und zwar aus seinem Blickwinkel. Er vertritt eine ­philosophische Theorie. Das vom Menschen künstlich Geschaffene folgt ganz eigenen Regeln, die wir aber noch nicht kennen, da wir sie noch nie wissenschaftlich untersucht haben. Er beklagt die naturwissenschaftliche Dominanz, selbst in solchen akademischen Fachbereichen, die eher den Ingenieurwissenschaften entsprechen. Sein geplantes Curri­culum sucht nach mathematischer Messbarkeit bei der Entwicklung von Artefakten. Artefakt (aus dem Lat. [cum] arte mit Kunst und factum das Gemachte), auch Kunstprodukt, vom Menschen Geschaffenes Gemachtes – im Unterschied zu dem von der Natur Geschaffenen.

Simons Science of the Artificial und Baumgartens Aesthetica haben beide das Ziel, die Evaluierung von menschlich Geschaffenem unter logisch messbare Kriterien zu bringen: Baumgarten in romantischer Verklärung der Aufklärung – Simon in nüchterner Logik des Computerzeitalters. Design hat aber zwei Aspekte: Denken und Machen. Für beide Aspekte sind rational erfassbare Kriterien und theoretische Grundlagen erforderlich. Der Aspekt des Machens benötigt zusätzlich handwerkliche Fähigkeiten und Intuition. Der Computer scheint rein handwerkliche Fähigkeiten zu ersetzen. Seit Beginn jeden gestalterischen Tuns (und damit schon seit der Steinzeit), zeichneten sich die Gestalter durch die Fähigkeit aus, zeichnen zu können. Sie studierten und erfassten ihre Umwelt durch Skizzen und ebenso entwarfen sie ihre Ideen. Jeder, der in ­seiner Ausbildung und Berufsausübung diese Fähigkeit noch zu beherrschen gelernt hat und heute mit dem Computer arbeitet, beklagt den Verlust dieses Vorganges. Dieser wurde – sowohl im Machen als auch im Resultat – als ein lustvolles, manchmal kontemplatives und emotionales Erlebnis empfunden. Das Gestalten am Computer hat nur einen Bruchteil dieser Qualität. Die Möglichkeiten der eingesetzten Software haben Anteil am Ergebnis. Der Computer wird dabei zum Partner des Gestalters. Der Entwurf wird teilweise entmenschlicht. Die seltenen Vorskizzen, die Designer heute noch von Hand machen, zeigen oft eine erschreckend geringe Qualität und offenbaren einen Mangel an visuellem Denken und Vorstellungsvermögen. Der Computer ist eine Krücke, mit der auch

15.2 Denken und Machen

217

ein Gelähmter laufen kann. Designer sollten sich wieder vom ­ omputer befreien und ohne Krücken laufen lernen. C Verantwortung des Designers

Sehnsucht

Ein Aspekt, der in den früheren Designausbildungen keine Rolle spielte, wird in Zukunft einen Schwerpunkt in der Ausbildung bekommen müssen: Die Life-Cycle-Responsibility – die Verantwortung des Designers für die Auswirkung seines Tuns während der gesamten Lebenszeit des von ihm Gestalteten. Michael Braungart und William McDonough nennen dies Cradle to Cradle – von der Wiege bis zur Wiege. Diese Formulierung bedeutet, dass es nicht nur darum geht, dass der Designer auch den Prozess nach Gebrauch eines Produktes berücksichtigt, sondern dass die Reduktion bereits in der Produktionsphase geplant werden muss. Damit wird es umso zwingender, den Designer bereits am Anfang der Planung einzubeziehen. Wie kann man zukünftige Designer heute für eine Zukunft aus­ bilden, die so ganz anders sein wird als die Vergangenheit? Welches Wissen und welche Fähigkeiten kann und soll man vermitteln? Von Antoine de Saint-Exupéry stammt das in diesem Zusammenhang wohl ­bekannteste Zitat:

»Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht deine ­Männer zusammen, um Holz zu beschaffen und um die Arbeit zu verteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten ­endlosen Meer.«

Wenn man die Designer für das Design der Zukunft ausbilden will, dann muss man in erster Linie eine Sehnsucht lehren und die Studenten für eine Aufgabe begeistern. Bringt man den Studen­ ten bei – um im Bild von Saint-Exupéry zu bleiben – wie man ein Schiff baut, werden immer nur Schiffe entstehen. Bringt man einem Designer bei, wie man ein Auto entwirft, werden Autos das Resultat sein. Begeistert man einen Studenten aber von der Idee der Mobi­ lität, dann werden die weniger Kreativen unter ihnen auf Bekanntes zurückgreifen und Autos entwerfen und die wirklich Kreativen ­werden ihre Lehrer mit bisher unvorstellbaren Ideen überraschen. Sie werden dann allenfalls Hilfe benötigen, wie man das Unmachbare machbar machen kann. Hierfür benötigen sie nicht detailliertes Fachwissen, sondern die Fähigkeit, Projekte strukturiert zu planen und Methoden, sich das erforderliche Detailwissen anzueignen. Auch dies kann man dadurch erreichen, dass man Sehnsucht weckt. Betrachtet man die 218

innere Einstellung vieler Studenten bezüglich der im Master­studium geforderten These (theoretische Arbeit), dann begegnet man selten einer Begeisterung für wissenschaftliches Arbeiten – von Sehnsucht nach ­Wissen gar nicht zu reden. Um wie viel lustvoller wäre die Arbeit für die Studenten und um wie viel spannender und relevanter wären die Ergebnisse, gelänge es, die Pflicht als Teil der Kür begreifbar zu machen? Die traditionelle Kunstausbildung in islamischen Ländern basierte noch bis vor kurzem ausschließlich auf Kalligraphie, denn die ­Religion verbietet es, Bilder zu schaffen. Sieht man einem so ­aus­gebildeten Künstler bei der Arbeit zu, wird man gepackt von der Kombination aus Klang, Rhythmus und entstehendem Bild. Ähnlich faszinierend muss auch die Arbeit der Mönche gewesen sein, die Bibeln handschriftlich reproduzierten. Ein Kalligraph im Islam studiert sieben Jahre lang das Werkzeug und Material, bevor er erste Arbeiten anfertigen darf. Studieren bedeutet in diesen Ländern acht bis zehn Stunden am Tag Fleiß und Konzentration. Man wird heute in unserer Zivilisation keinen jungen Menschen dazu bewegen können, sieben Jahre lang den rhythmischen Mausclick zu üben, bevor er den Computer anschalten darf. Die heutigen Lehrpläne lassen nicht einmal mehr die nötige Zeit, die handwerklichen Basisfähigkeiten zu erlernen und einzuüben. Die Regelstudien­ zeit ist zu kurz und mit zu vielen Fächern überfrachtet, um alle nötigen Fähigkeiten vermitteln zu können. Das Ergebnis ist oft für alle Seiten (die Administration ausgenommen) unbefriedigend. So wie Designer oft ästhetischen Müll produzieren, so produzieren Hochschulen nicht selten akademischen Müll. Die Berufswelt beklagt den mangelnden Realitätsbezug der Ausbildung. Die Hochschulen passen sich an und verkommen zu Berufsschulen. Die Absolventen überleben den Praxis-Schock nur durch radikales Verdrängen all dessen, was sie gelernt haben. Der Fehler beginnt bereits im Kunstunterricht an der Grundschule und setzt sich im Gymnasium fort. Erstsemester-Studenten haben oft keinerlei handwerkliche Grundlagen, geschweige denn irgendwelche kunsthistorischen oder gar designhistorischen Kenntnisse. Angesichts einer betonierenden Bildungsbürokratie wird es nicht leicht, Änderungen der bestehenden Praxis zu bewirken, denn es fehlen entsprechende visionäre Leitbilder in der politischen Führung. Gelänge das Unmögliche, die Lehrpläne im Bereich Kunst- und Handwerksunterricht mit denen der Kunst- und Designhochschulen zu koordinieren, könnte eine in sich logisch aufgebaute Ausbildung

Kunstaus­ bildung – Handwerksausbildung

219

nicht nur ein Dilemma abschaffen, sondern zu einer nachhaltigen Verstärkung der einzelnen Ausbildungsphasen führen. Ein Musikstudent muss schon nahezu Konzertreife besitzen, um zum Studium zugelassen zu werden. Mathematikstudenten müssen überdurchschnittliche Ergebnisse in Mathematik nachweisen. Handwerk und Basiswissen

15.3 Curricula der ­Designausbildung

220

Bewerber um Studienplätze im Design sollten bereits das nötige Handwerk und Basiswissen mitbringen, das zum akademischen und wissenschaftlichen Studium erforderlich ist. Es geht dabei nicht um Kreativität, sondern ganz simpel um die Kenntnis, wo beim Bleistift vorne ist und dass man eine Skizze mit Kugelschreiber auf Rechenpapier nur im äußersten Notfall machen sollte. Auch sollte man wissen, dass die Impressionisten kein Geheimbund waren und dass das Bauhaus nicht die Konkurrenz von OBI/Praktiker etc. ist. Die Bewerber sollten sich dessen bewusst sein, dass das ­Kopieren von Mangas etwa auf dem Niveau des Ausmalens von ­Malbüchern im Kindergarten zu sehen ist und dass man kein Künstler ist, wenn man alle Bilder von Malen nach Zahlen gemacht hat. Wer als Bewerber das vorpubertäre Stadium der Graffitimalerei noch nicht überwunden hat, sollte im Leistungskurs Kunst eigentlich durchgefallen sein. Keine Musikhochschule der Welt würde einen Heavy Metal-Gitarristen aufnehmen, der nur drei Akkorde beherrscht. (Zum besseren Verständnis: Mangas, Graffiti und Heavy Metal haben ihre Daseinsberechtigung in jugendlichen Subkulturen, die zwar einen wichtigen Teil der Kultur ausmachen, aber an Design- und Musikhochschulen nichts zu suchen haben.) Die Curricula der Designausbildung sollten Denken und Machen ermöglichen. Diese zweiteilige Vorgehensweise hat sich am Bauhaus ebenso bewährt wie in Ulm und eigentlich an allen Designhoch­ schulen weltweit. Es gibt keinen Grund, das Rad neu zu erfinden. Zu überdenken wären wissenschaftliche Grundlagen und die künstlerische Ausbildung. Letztere sollte grundsätzlich neu definiert werden. Ästhetik gehört dabei allenfalls als Randgebiet in den wissenschaftlich philosophischen Teil. Bezüglich der Haltung gegenüber dem Begriff Kunst hat die HfG Ulm die nötigen theoretischen Vor­ arbeiten geleistet und den Nachweis der Gültigkeit ihrer aufgestellten Theorie erbracht. Simons Theorie der Wissenschaft des Künstlichen und der Wissen­­schaft des Designs ist es wert, zum Inhalt weiterer Forschung zu werden und in die Lehrpläne einer Designausbildung der Zukunft aufgenommen zu werden.

Vertieft werden könnte darin der Aspekt der Zukunftsplanung, Analyse der bestehenden Situation und Definition von präferierten Situationen sowie Prognosetechniken. Drei-Säulen-Modell

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%$In den üblichen Lehrplänen fehlt gänzlich ein an der Bionik ­orientiertes Lehrmodul, das die Nachhaltigkeit von Design zum Inhalt hat. Somit müsste eine Designausbildung auf drei Säulen beruhen: > Wissen als Designer – > Designzukunft denken und gestalten« Auflage 1 >> Denken itel 15.3 – Drei-Säulen-Modell >> Machen

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Diese drei Säulen bilden gemeinsame Schnittmengen: Wissen und Denken bilden analytische Fähigkeiten: Wie kann man aus dem Wissen um einen Sachverhalt ein Konzept ent­ wickeln, um zu einer präferierten Situation zu gelangen? Denken und Machen bilden synthetische Fähigkeiten: Wie kann man das Konzept einer präferierten Situation gestalterisch umsetzen? Wie kann man ein Konzept evaluieren? Machen und Wissen bilden kritische Fähigkeiten: Welche ­ökonomischen, ökologischen und sozialen Auswirkungen hat das Gestaltungsergebnis? Wie verändert sich dadurch das ­vorhandene Wissen um einen Sachverhalt? Wissen, Denken und Machen zusammen bilden gestalterische Fähigkeiten. 221

Ein guter Gestalter kann aus Wissen Gedanken (Assoziationen) entwickeln, um eine bestehende Situation in eine präferierte zu ­verändern und ist in der Lage, dies sichtbar und nutzbar zu machen. Sekundär und Primär

Synchronisation mit gymnasialem ­Kunstunterricht

222

Gerade diese Schnittmengen spielen in einer so gestalteten Ausbildung eine besondere Rolle. Als Sekundärbereiche im Sinne der klassischen Gestaltungslehre bilden sie die Kontraste zu den diametral gegenüberliegenden Primärbereichen. So steht die Synthese diametral gegenüber dem Wissen, die Kritik gegenüber dem Denken und die Analyse gegenüber dem Machen. Diese Grundstruktur einer Designausbildung bietet genügend Raum für die einzelne Hochschule, eine spezielle Ausrichtung zu verfolgen, ermöglicht aber gleichzeitig die im Bologna-Prozess ­angestrebte Kompatibilität der Hochschulen untereinander. Dabei lassen sich Simons Vorstellungen eines analytisch wissenschaftlichen Curriculums mit den Forderungen von Bauhaus und Ulm nach handwerklichen Grundlagen durchaus ziel­führend verknüpfen. Eine derartige Struktur stellt an die Studienbewerber hohe Voraussetzungen. Um diese erfüllen zu können, muss der Kunstunterricht an den Gymnasien synchronisiert werden. Wer sich an einer Design-Hochschule bewirbt, sollte fundierte Fähigkeiten in den kunsthandwerklichen Fachbereichen – wie zum Beispiel Zeichnen, Malen, Modellieren (Töpfern, Bildhauern oder Schnitzen) oder Weben – bereits besitzen und nachweisen. Dabei geht es, wie erwähnt, nicht um die kreativen, sondern um die ­handwerklichen Fähigkeiten. In Bezug auf das Wissen sollte neben einer überdurchschnittlichen Allgemeinbildung, spezielles Wissen im Bereich Kultur­ geschichte und gestaltungsrelevanter Mathematik (Geometrie) ­vorhanden sein. Die Fähigkeit, analytisch und synthetisch gestalterisch zu ­denken, sollte ausgeprägt sein. Der Nachweis dieser Grundvoraussetzungen sollte in einem bundeseinheitlichen oder – im Optimalfall – europaweit einheitlichen Aufnahmetest erbracht werden. An den jeweiligen Hochschulen sollten die Bereiche Wissen, Denken und Machen synchron nach dem gewählten Schwerpunkt abgestimmt sein.

Im Bachelorstudium erwirbt der Studierende das fachspezifisch ­vorhandene Grundwissen und die Fähigkeit, dieses Wissen gestal­ terisch anwendbar zu machen. Aufbauend auf seinen analogen handwerklichen Fähigkeiten erwirbt er zusätzliche Fähigkeiten im Bereich digitaler Gestaltung. Der im Bologna-Prozess angeregte ­internationale Austausch konfrontiert den Studenten mit anderen Denkweisen. Nach der hier vorgeschlagenen Struktur und darin implizierten Kompatibilität ist er in der Lage zu vergleichen.

Bachelorstudium

Im Masterstudium wird der Schwerpunkt auf die Erweiterung des vorhandenen Wissens gelegt. Der Studierende wird vertraut gemacht mit den Grundlagen akademischer Forschung und deren Anwendung. Wissenschaftlich interessierte Absolventen haben dann die Möglichkeit, das vorhandene Wissen durch Forschung in einem postgraduierten Studiengang durch Promotion zu erweitern.

Masterstudium

Progressive Gedanken provozieren die konservativen Grundgesetze: >> §1 So haben wir das noch nie gemacht. >> §2 Wir haben das schon immer anders gemacht. >> §3 Da könnte ja jeder kommen.

Progression

Wie progressiv ist das konservative System der kreativen ­ esignausbildung? D Wie auf eine zukunftsorientierte Designausbildung eine ebenso zukunftsorientierte Designweiterbildung aufgebaut werden kann, dazu mehr im folgenden Kapitel.

223

16

Designweiterbildung der Zukunft

Wie kann Weiterbildung als kontinuierlicher Prozess gestaltet werden? Wie muss die Professionalisierung der Gestaltung aussehen? Wie ist die Qualifizierung der Planung machbar, wie die Qualifizierung der Beratung? Und welche Chancen bietet eine Zertifizierung? Diese Fragen beantworten wir in diesem Kapitel.

Die Designausbildung an den Hochschulen ist die wesentliche Voraussetzung für eine professionelle Ausübung des Designerberufs.

16.1 Weiterbildung als kontinuierlicher

Die zukunftsorientierte Designausbildung haben wir im Kapitel 15 (Seite 213 ff.) differenziert, konkret und curricular beschrieben.

Prozess

Wissen, das durch die Designausbildung erworben wird und die erarbeiteten Fertigkeiten sind einem permanenten Wandel unter­zogen. Um im Wettbewerb bestehen zu können, erfordern die techno­logischen, ökonomischen und sozialen Veränderungen – unabhängig vom Abschluss (klassisches Diplom, Bachelor, Master, Pro­ mo­tion) – deshalb eine lebenslange Weiterbildung. Vor allem die gesellschaftliche Umorientierung, ausgelöst durch den Metatrend, wird Viele dazu zwingen, ihren Beruf ganz neu zu lernen. Und das gilt nicht nur für Designer, sondern betrifft die Mehrzahl der ­heutigen Berufe. Neben den Kern-Kompetenzen der Gestaltung geht es in diesem Zusammenhang auch um die Komplementär-Kompetenzen in den Leistungsfeldern der Planung und Beratung sowie im wirtschaft­ lichen Bereich. Geht man von den in der Praxis geforderten Kenntnissen und Fähigkeiten aus, ist eine adäquate und speziell auf die Eigenschaften der Designer zugeschnittene Professionalisierung und Qualifizierung erforderlich. Diese lässt sich an den folgenden, praktischen Dienstleistungen differenziert deutlich machen:

Kompetenzen

225

>> Gestaltung >> Planung >> Beratung Diese drei Dienstleistungen sind an das ProzessphasenModell im Kapitel 14 (Seite 201 ff.) angelehnt und in 14.3 (Seite 207 ff.) kurz beschrieben. Disziplinen

Weiterbildung in ­Prozessen

Ein zusätzlicher und alle Bereiche und Dienstleistungen betreffender Aspekt ist die Interdisziplinarität, die sich auf alle Designdisziplinen (Produkt, Kommunikation und Service) und auf weitere Kultur­ disziplinen (Ökonomie und Technologie, Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften) bezieht. Die differenzierten Dienstleistungen erfordern ebenso unter­ schiedliche Formen der Weiterbildung: >> Professionalisierung der Gestaltung >> Qualifizierung der Planung und Beratung Professionalisierung und Qualifizierung liegen eng beieinander und bedingen sich gegenseitig. Einen Beruf auszuüben und fachmännisch zu agieren, ist eine Grundlage und unabdingbare Voraussetzung für Akzeptanz – quasi die Pflicht. Sich weiterzubilden und einen Befähigungsnachweis dafür zu erbringen, ist ein Aufbau und führt zu einer höheren Bewertung und Respekt – quasi die Kür. Die Professionalisierung in der Gestaltung ist daher die Voraussetzung für die Qualifizierung in der Planung und Beratung.

16.2 Professionalisierung der Gestaltung Prozesskompetenz

Ausgehend von der These, dass sich die Designausbildung auf handwerkliche, theoretische und reflektierende Fähigkeiten konzentriert, kommt die ökonomische Kompetenz dabei in der Regel zu kurz. Die meist fehlenden ökonomischen Kompetenzen führen zur Kritik auf Seiten der Auftraggeber von Designdienstleistungen – erschwert diese Sachlage doch die Zusammenarbeit ­zwischen Designern und Unternehmern und damit auch die ­Integration von Designleistungen in Unternehmensprozesse. Es geht hier um die Prozessfähigkeit von Designern und Unternehmern. Wir haben dies in Kapitel 14 Prozessorientierte Dienstleistungen (Seite 201 ff.) bereits anschaulich dargestellt.

226

Um das eigene Wirtschaften professionell zu praktizieren, ist neben der Prozesskompetenz auch die wirtschaftliche Kompetenz der Designer von Bedeutung. Es geht also um all das, was Sie als Designerin und Designer brauchen, um sicherzustellen, dass Ihre Dienstleistung einerseits wahrgenommen, angenommen und ­honoriert wird, und sie sich andererseits für Sie rechnet und Sie davon leben können. Hier setzt eine schon länger geführte Diskussion an, wonach die Designer in wirtschaftlichen Belangen unfähig seien und einer betriebswirtschaftlichen Ausbildung bedürften. Auf den ersten Blick scheint das rational und sinnvoll zu sein – bei näherer Betrachtung ist dieser Ansatz allerdings sehr fragwürdig und – um es vorweg zu nehmen – geradezu unsinnig!

Wirtschafts­

Um erfolgreich unternehmerisch tätig zu sein (also den Beruf auch selbstständig ausüben zu können), kommt es nicht in erster Linie auf betriebswirtschaftliche Kenntnisse an. Der deutsche Hochschullehrer und Unternehmensgründer Günter Faltin hat in seinem erfolgreichem Buch Kopf schlägt Kapital (2008) als Erfolgsfaktoren für Start-ups folgende Punkte definiert: >> Rohmaterial: Erfindung, Forschungsergebnis, neue Techno­logie >> Entrepreneurial Design: Ausarbeitung eines unternehmerischen Konzepts >> Markt: Wettbewerb, Kundenakzeptanz

Betriebswirtschafts-

Das Entrepreneurial Design ist seiner Meinung nach nicht die betriebs­ wirtschaftliche Umsetzung. Vielmehr geht es um das Gespür für gesellschaftliche Veränderungen und die Sensibilität für Marktentwicklung. Es reicht nicht, dem Erfinder und Forscher (dem Designer) einen Betriebswirt zur Seite zu stellen (oder gar einen aus ihm zu machen). Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Kaufmann/Betriebs­ wirt den Transfer in die Praxis leisten kann – auch wenn er sich Master of Business Administration MBA (dt.: Meister der Unter­nehmens­ verwaltung) nennt. Ob die heutigen Inhalte der betriebswirtschaftlichen Ausbildung, der Aufgabe zum Gespür für zukünftige Entwicklungen angemessen sind, ist nicht relevant. Es geht vielmehr darum, dass in Zeiten von Nachfrageengpässen bzw. Überangeboten ein scharfer Wettbewerb herrscht. Wir leben heute in nachfrageorientierten Märkten. Unter diesen Bedingungen liegt die Aufgabe darin, die Psychologie der Märkte und ihre Veränderungen richtig einzuschätzen, mit dem Wandel umzugehen und Konzepte zu entwickeln, die Erfolgschancen haben.

Entrepreneurial

kompetenz

Relevanz

Design

227

Das war nicht immer so. Im 19. und 20. Jahrhundert dominierten Angebotsmärkte mit vergleichbar deutlich geringerem Wettbewerb. Es waren angebotsorientierte Märkte. Das Management und die ­Verwaltung standen im Vordergrund. Finanzierung und Rechnungswesen musste hohe Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Betriebs­ wirtschaft entstand, um in Großunternehmen den Überblick zu behalten (und diese zu verwalten). Darin liegt die Stärke der Betriebswirtschaft und nicht in der Ausarbeitung von ­Ideenkonzepten. Hochschul-Effizienz

Aus diesem Grund ist die Effizienz (und auch Effektivität) sogenannter Transferstellen an Hochschulen und Universitäten relativ gering. Es geht nicht um eine Übersetzung oder Vermittlung. Günter Faltin (Buch 2008, Seite 40) schreibt dazu:

»Im Transfer steckt die eigentliche unternehmerische Leistung! Sie verlangt Entrepreneure, nicht Angestellte der [Hochschul-] Universitätsverwaltung.« Kenntnisse – Dogma

Es ist ein weit verbreitetes Dogma in der (deutschen) institutionellen Förderung, dass der Gründer und Unternehmer zuallererst gute betriebswirtschaftliche Kenntnisse braucht. Sich diese Kenntnisse anzueignen und sie sachkundig anzuwenden, sei entscheidend. Je besser man sich in Finanzierung, Management und Marketing einarbeitete, desto höher seien die Erfolgschancen. Damit wird der Eindruck vermittelt, dass man nicht nur alles können, sondern sich auch auskennen muss: im Arbeitsrecht, Steuerrecht und Vertragsrecht; mit Bilanzen und im Controlling; in der Verhandlung mit Banken, Kunden und Lieferanten; in der Mitarbeiterführung; in der Öffentlichkeitsarbeit. Bevor alle Nichtökonomen dazu aufgefordert werden, sich mit dieser Aufgabenfülle vertraut zu machen, sollte man prüfen, was vor dem Hintergrund individueller Voraussetzungen sinnvoll und angemessen ist. Dass die aufgezählten Qualifikationen notwendig sind, trifft durchaus zu – sie müssen aber nicht von einer einzigen Person erfüllt werden. Das Berufsbild des Unternehmers haben wir in unserem Buch Designbusiness gründen und entwickeln (aus dieser Reihe) näher beschrieben, dort im Kapitel 3.2.

Beurteilen und ­Kooperieren 228

Um die einzelnen Kompetenzen und Sachfragen beurteilen zu ­können, brauchen Sie als Designerin und Designer vor allem einen

Überblick. Denn Ziel ist es nicht, Sie zu Alleskönnern zu machen (was weder effizient noch effektiv wäre), sondern Ihnen die Voraussetzung zur Kooperation zu vermitteln. Das bedeutet, Ihre Kenntnisse so weit zu entwickeln, dass Sie in der Lage sind, effektiv und effizient mit anderen Professionen zusammenzuarbeiten. Dabei kommt es darauf an, Kompetenzen zu delegieren und Partner zu ­finden, die Ihre Ideen und Arbeitsweise verstehen. Besser noch wäre es, wenn diese Partner Ihre Begeisterung teilen und so kompetent sind, dass sie ihr Fachwissen verständlich darlegen können. Wie Sie externe Kompetenzen für sich nutzen können, haben wir in unserem Buch Designbusiness gründen und entwickeln (aus dieser Reihe) umfassend erläutert, dort im Kapitel 21.

Eine zeitgemäße Arbeitsteilung und Ihre Virtualität bieten völlig neue Möglichkeiten für eine selbstständige und unternehmerische Aktivität. Wichtig zu wissen ist es, wo Sie verlässliche Informationen erhalten, deren Qualität Sie beurteilen können und wo Sie Ratschläge einholen können, die Sie mit kritischer Distanz einzuschätzen wissen. Ein gesunder Menschenverstand und eine gut entwickelte Intuition helfen hier oft mehr als fundiertes Wissen auf allen Gebieten. Durch gezieltes Informieren, Trainieren und Coaching werden Sie mit der Zeit in Ihrer Tätigkeit mehr und mehr Kenntnisse und Kompetenzen erwerben. Besonders wichtig aufgrund der unterschiedlichen Anforde­ rungen ist die Differenzierung zwischen Ihrer Kernkompetenz (Design) und der Komplementärkompetenz (Betriebswirtschaft/ Business Administration). Designleistung ist ein kreativer und schöpferischer Akt – Betriebswirtschaft dagegen ist die kontrol­ lierende, ordnende und verwaltende Fähigkeit. Design kann daher nicht von der Betriebswirtschaftslehre her gedacht werden. Man kann nicht gleichzeitig Master of Business Administration und Master of Ideas and New Concepts sein (Günter Faltin verwendet ­diesen Begriff in seinem Buch in Bezug auf Entrepreneure – gemeint sind hier die Designer). Und die ohnehin raren Meister der Ideen und der neuen Konzepte sollten nicht zu betriebswirtschaftlichen Dilettanten gemacht werden. Das Primat der Betriebswirtschaftslehre ist also obsolet. Wer sich mit konventionellen Ökonomen einlässt, wird in seiner offenen Perspektive stark eingeschränkt. Das Konventionelle und das Sicherheitsdenken verträgt sich nicht mit neuen, unkonven­ tionellen Ideen. Insbesondere Banker scheiden als Ratgeber aus, 229

weil sie lediglich Geldverwalter sind. Ideen stoßen dort auf wenig Interesse und schon gar nicht auf Begeisterung. Kaufmännische ­Prinzipien

Ökonomische ­Professionalität

Ökonomisches ­Verständnis

230

Zu den wichtigen Prinzipien gehören der sparsame Umgang mit ­Ressourcen und das frühzeitige Erkennen von Liquiditätsengpässen. Erfunden wurden diese Grundsätze allerdings nicht von der Betriebswirtschaftslehre, geschweige denn durch sie erzeugt. Solche betriebswirtschaftlichen Techniken brauchen Sie auch nicht notwendigerweise. Für den, der sie kennt und dem sie leicht fallen, ­können sie hilfreich sein. Wem sie mehr Komplexität als Klarheit bringen, der sollte mit selbstentwickelten (wenigen) Mitteln (wie zum Beipiel Ordnung der Unterlagen und Tabellen für Umsatz-/­ Kostenübersichten) oder fremder Hilfe handeln. Dies gilt, solange die Selbstständigkeit oder das Unternehmen einfach und überschaubar ist. Nimmt die Komplexität zu, ist die Betriebswirtschaftslehre von unschätzbarem Wert. Ein Teil der Betriebswirtschaftslehre (wie zum Beispiel einfache Kostenrechnungen) betrifft so banale Dinge, dass man sie auch ohne detaillierte Kenntnisse begreift. Der andere Teil (wie zum Beispiel Kennzahlen-/Analyse-Modelle) ist so aufwendig, dass sie keinen Nutzen stiftet. Mit andersartigen, engagierten und sensiblen Ideen hat man in der herkömmlichen Beratung ökonomischer Prägung kaum eine Chance. Im Gegenteil – hier werden den potenziellen Gründern und progressiven Unternehmern die Flausen ausgetrieben und die Lust dazu gleich mit. Ökonomische Grundfähigkeiten sind allerdings unverzichtbar, nicht zu verwechseln mit der Beherrschung eines komplexen Instrumentariums, das ursprünglich für andere Zwecke entwickelt wurde. Wer sich eine solche anspruchsvolle Professionalität nicht ­leisten kann, muss sich über die Tragfähigkeit seiner Idee Gedanken machen. Mit Tragfähigkeit ist hier gemeint, dass das Konzept klare Marktvorteile mitbringt, Kunden anzieht und Margen erwirtschaftet, die zur Finanzierung professioneller Kräfte ausreichen. Neben der Professionalität in eigener Sache geht es auch um das Verständnis der Abläufe und Hintergründe beim Auftraggeber/­ Kunden. Auch hier gilt, dass Betriebswirtschaft nicht in ihrer ganzen Komplexität geläufig sein muss. Ein Überblickswissen kann jedoch die Kommunikation zwischen Designer und Auftraggeber wesentlich erleichtern.

Über die Professionalisierung in der ökonomischen Kompetenz kommen Sie als Designerin und Designer zur Qualifizierung in der Planung.

16.3

Der Dienstleistung Planung wird im Allgemeinen das Design­ management zugeordnet bzw. als solches bezeichnet. Es beinhaltet die Organisation und Koordination der Menschen, Projekte und ­Ver­fahrensweisen und ist damit Voraussetzung für das Design von Produkten, Kommunikation und Service. Der Planungsmanager (Designmanager) vermittelt zwischen ­verschiedenen Fachdisziplinen: Design, Finanzen, Management und Marketing. Darüber hinaus synchronisiert er die verschiedenen Funktionen: Designer, Kunden, Projektbetroffene und Projektteams. Das Designmanagement befasst sich mit der Verbindung von Personen, Projekten und Prozessen in einem interdisziplinären und gemeinschaftlichen Netzwerk innerhalb und zwischen Unternehmen, Gesellschaft, Politik und Umwelt. Es sollte deshalb vielfältige Aspekte berücksichtigen, um ein attraktives, finanzierbares und schlüssiges Ergebnis präsentieren zu können. Daraus resultiert die Erwartungshaltung, dass Designer gemeinsam mit anderen Fachleuten – wie Ingenieuren, Juristen, Marketingspezialisten, Ökonomen und Sozialwissenschaftlern – tätig werden. Das setzt aber voraus, dass sie das breite Umfeld genau kennen.

Planungsmanage-

Im Gegensatz zur Professionalisierung der Gestaltung sind hier Kenntnisse und Wissen über wesentliche Prozesse der Betriebswirtschaft und des Managements eine Voraussetzung. Dazu zählen: >> Unternehmen: Grundlagen, Typologie und Ziel >> Marketing: Grundlagen, Forschung und Marketing-Mix >> Materialwirtschaft: Grundlagen, Beschaffung und Lagerung >> Produktion: Grundlagen, Prozesse, Planung und Kontrolle >> Rechnungswesen: Grundlagen, Externes und Internes >> Finanzierung: Grundlagen, Planung und Kontrolle >> Bewertung und Investitionen: Grundlagen >> Personal: Grundlagen, Bedarf, Beschaffung, Einsatz und ­Honorierung >> Organisation: Grundlagen, Theorie und Formen >> Management: Grundlagen, Funktion, Stil und Strategie >> Management von Ethik, Informationen, Projekten, Risiken und Wissen

Kenntnisse und

Qualifizierung zur Planung

ment – Design­ management

­Wissen der Betriebswirtschaft

231

Leistungsmessung

Ein besonderer Aspekt der Planung ist die Bewertung von Design und Designdienstleistungen, die sich neben der Leistungsmessung am Nutzen ermitteln lässt, der sich aus dem Design und der Designdienstleistung ergibt. Mehr zur Bewertung finden Sie in dem Buch Designleistungen bewerten und kalkulieren (in dieser Reihe –in Vorbereitung).

Briefing

In der Praxis wird im Rahmen der Planung auch das Briefing für den Gestalter (Entwerfer) erstellt. Für den Fall, dass Planer und Gestalter in einer Person vereint sind, ergibt sich das Briefing aus dem ent­ wickelten Konzept. In der Regel überwiegt hier allerdings eine personelle Trennung, sodass der Planer für einen anderen Gestalter ein professionelles Briefing erstellen muss. Für einen planenden Designer ist das kein Problem, bringt er doch alle Kompetenzen zur Vermittlung zwischen Auftraggeber (Unternehmer) und Auftrag­ nehmer (Designer) mit. Der wesentliche Zweck des Briefings ist die effiziente und effektive Kommunikation zwischen den Beteiligten. Das setzt voraus, dass alle relevanten Informationen aus der Planung im Briefing enthalten sind. Dazu gehören: >> Projekt >> Projektteam >> Projekthintergrund (Strategien, Zielgruppen, Produkt/­ ­Dienst­leistung/Service, Unternehmen, Markt) >> Vorgaben (übergeordnete Strategien, gestalterische Wünsche, Budget, Termine, Evaluation, Sonstiges) >> Anlagen (Beispiele, Manuals, Materialien, Muster) Neben der Erstellung des Briefings kommen bei hinzugezogenen Gestaltern dann auch noch die Auswahlkriterien hinzu. Welcher Typ von Gestalter wird benötigt und wie und wo findet man genau diesen? Das setzt nicht nur Kompetenzen in der Planung und Gestaltung voraus, sondern auch im Scouting. Scoutingprozesse haben wir in dem Buch Designbusiness gründen und entwickeln (aus dieser Reihe) beschrieben, dort im Kapitel 21.4.

16.4 Qualifizierung zur Beratung

232

Über die Professionalisierung in der ökonomischen Kompetenz und die Qualifizierung in der Planung kommen Sie als Designerin und Designer zur Qualifizierung in der Designberatung. Darunter versteht man nicht, einem Kunden im Zuge eines operativen

­ esignauftrags mal einen guten Rat zu geben. Professionelle Design­ D beratung ist eine eigene Dienstleistung, die besondere Qualifi­kation erfordert. Die Qualifikation zur Beratung schließt fachliche und persönliche Fähigkeiten ein. Zu den fachlichen Fähigkeiten gehören: >> Fachwissen im Beratungsgebiet >> Erfahrung im Theoretischen und Praktischen >> Branchenkenntnisse >> Methodik >> Moderation >> Verbale und visuelle Präsentation >> Neutralität

Berater­ qualifikationen

Zu den persönlichen Fähigkeiten zählen: >> Einfühlungsvermögen (Empathie) >> Überzeugungsvermögen (Begeisterungsfähigkeit) >> Zuverlässigkeit (Termine, Vertraulichkeit) Der Anlass zu einer Beratung (die Sie als Designerin und Designer anbieten und durchführen) ergibt sich aus einer Problem- oder Frage­stellung. Das können äußere oder innere Zwänge sein: Verän­­­ derungen in Unternehmen (Institutionen), im Markt, in der Techno­ logie, in der Gesetzgebung und/oder in der Umwelt. Es können Anlässe unterschiedlichster Art sein. Und es können selbstgesteckte Zielvorstellungen sein. Ein Beratungsanlass ist eng mit der Phase des zu beratenden Unternehmens ­verbunden. Die Unternehmensphasen lassen sich wie folgt ­diffe­renzieren: >> Gründungsphase >> Festigungsphase >> Entwicklungsphase >> Krisenphase

Beratungsanlässe

Die Unternehmensphasen haben wir im Buch Designbusiness gründen und entwickeln (aus dieser Reihe) näher analysiert, dort im Kapitel 20.4.

Im Consulting wird in der Praxis zwischen allgemeiner, besonderer und spezieller Beratung unterschieden. Davon sind alle Bereiche der Unternehmensführung betroffen. Ein einzelner Beratungs­prozess

Beratungsarten

233

kann alle Unternehmensbereiche oder auch nur Teile davon ­betreffen. In der Regel findet die Beratung vor Ort im Unternehmen statt. Methodisch in Form von Gesprächen, Gruppen- und Teamdiskus­ sionen, Moderationen und Trainings. Die Inhalte werden dokumentiert und mit konkreten Handlungsvorschlägen ergänzt. Meta-, Makround Mikro-Ebenen der Beratung

16.5 Zertifizierung

234

Bei allen Beratungsanlässen und -arten ist es sinnvoll, während des gesamten Prozesses zwischen verschiedenen Ebenen zu unterscheiden. In der Meta-Ebene geht es um das zentrale Ergebnis, das erreicht werden soll und den Zweck, den es erfüllen soll. In der Makro-Ebene stehen die einzelnen Aktionen und Schritte im Vordergrund. Hier müssen die einzelnen Werkzeuge, die zum Einsatz kommen sollen, definiert werden: Was ist vorrangig und wie werden die Zuständigkeiten verteilt? In der Mikro-Ebene sind die scheinbar unbedeutenden Dinge und Sachverhalte zu beachten: Welcher Mitarbeiter und Verantwortliche wird am Prozess beteiligt? Wie verläuft die Kommunikation zwischen Berater und Auftraggeber? Scheinbar Unbedeutendes kann relevanter sein, als es zunächst aussieht. Diese Ebenen sollten dem gesamten Beratungsprozess gegen­ übergestellt werden, um komplexe Zusammenhänge in jeder Phase zu verdeutlichen. Die Abschlüsse (klassisches Diplom, Bachelor, Master, Promotion) aus der Designausbildung an den Hochschulen lassen für Außen­ stehende nicht erkennen, wie und in welcher Weise Sie sich als ­Designerin und Designer professionalisiert und qualifiziert haben. Das Image der einzelnen Abschlüsse wird durch das vorherrschende Klischee des Designers als Künstler und Verhübscher ­verwässert. Der sogenannte Kreative überstrahlt dabei den Dienstleister. Selbstdarstellung lässt die Lösungsorientierung in den Hintergrund treten. Erschwerend kommt hinzu, dass die sogenannten Stardesigner zwar populär sind, aber die gängigen Klischees oft noch verstärken. Designer-Auszeichnungen und -Verzeichnisse lassen den ­Desig­ner als Person völlig untergehen und seine komplexe Leistung am fertigen Produkt nicht erkennen (zumindest nicht bei den ­Nicht-Designern – und die sollen ja erreicht und überzeugt werden). Das alles gilt für das klassische und am Markt vorherrschende Diplom. Beim Bachelor besteht sogar die Gefahr, dass er als

­Schmalspurabschluss gering geschätzt wird. Ob der MasterAbschluss das ausgleichen kann, muss sich in der Praxis erst noch zeigen. Die Promotion wird vermutlich eher eine Ausnahmerolle spielen und vermittelt wegen des Theoriehintergrunds weniger ­Praxisbezug. Um diese Image-Nachteile auszugleichen, ist eine Zertifizierung für die Professionalisierung und Qualifizierung sinnvoll und ­nützlich. Dadurch würde der Leistungstyp des Designers – quasi wie eine Marke – gekennzeichnet. Als Marken für die einzelnen Leistungsstufen kämen in Frage: >> Operativer Designer >> Planender Designer >> Beratender Designer

Marke Designer

Denkbar ist aber auch eine Art Dachmarke als: >> Strategischer Designer Mit diesen durch Zertifizierung untermauerten Marken wäre sowohl die unklare und klischeehafte Bezeichnung Designer ­aufgewertet als auch die Zukunftsfähigkeit der Designer gewähr­ leistet. Im Vordergrund stünden damit Person, Haltung und ­Arbeitsweise – also Identität. Weiterbildungsangebote und Anbieter gibt es viele. Dort sind alle Inhalte zur Professionalisierung und Qualifizerung vertreten. ­Allerdings gibt es nur wenig gute und spezielle Angebote für Sie als ­Designerin und Designer. Einige Designerverbände und Design­ institutionen führen Seminare und Workshops durch. Diese sind thematisch und inhaltlich in der Regel nicht verbunden und auch nicht durchgehend moderiert. Ein neues Fortbildungskonzept entsteht zurzeit, dass vom ­Institut für designpolitische Entwicklung Unternehmen: Design (mit Sitz in Berlin) entwickelt wurde und in Kooperation mit Design­ hochschulen durchgeführt wird.

Professio­na­ lisierungs- und Qualifi­zierungsAngebote

Das Institut wird von uns mit Partnern betrieben und ist über www.unternehmendesign.de erreichbar. Dort finden Sie die neuen Fortbildungsprogramme.

235

Darüber hinaus gibt es spezielle Workflows und Workshops auf www.designersbusiness.de (diese Website wird von mir – Joachim Kobuss – betrieben). Welche Relevanz die Designausbildung und Designweiterbildung für die Designwirtschaft hat, dazu mehr im nächsten Kapitel.

236

17

Designwirtschaft – Status, ­Perspektiven und Handlungs­ empfehlungen

Welche Rolle spielt Design auf internationalem Top-Level? Was bedeutet der Begriff Creative Industries? Wie hoch ist die politische und wirtschaftliche Relevanz der Kultur- und Kreativwirtschaft und was wird darunter subsumiert? Wie ist die Designwirtschaft in diesem Umfeld aufgestellt und welche Bedeutung hat sie? Was zeigt die Ausbildungsstatistik im ­Design? Welche Handlungsempfehlungen lassen sich daraus für die Akteure in der Designwirtschaft und für die Förderinstitutionen ableiten? Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns im letzten Kapitel dieses Buches.

Das UNESCO Rahmenwerk für Kulturstatistik (FCS) organisiert ­Kulturstatistiken auf internationaler und nationaler Ebene. International vergleichbar werden die Daten durch Standarddefinitionen. Das Rahmenwerk ist aus einem weltweiten Konsultationsprozess hervorgegangen und basiert auf einer Erstfassung von 1986. Es führt die kulturell/kreative Diskussion ein, berücksichtigt dabei die Auswirkungen der Globalisierung auf Produktion und Distribution ­kultureller Güter und reflektiert aktuelle Praktiken und Fragen des geistigen Eigentums. Weil hier mehr Wirtschaftsdaten zur Verfügung stehen und viele internationale Wirtschafts-Klassifikationssysteme in Gebrauch sind, ist die ökonomische Dimension von Kultur im FCS besser entwickelt als die soziale. Folgende internationale Klassi­ fikationssysteme sind derzeit im FCS verfügbar: >> Internationale Standard-Industrieklassifikation (ISIC) für ­kulturelle Produktion >> Zentrale Produktklassifikation (CPC) für kulturelle Güter und Dienstleistungen >> Internationale Standardklassifikation von Beschäftigung (ISCO) für Kulturbeschäftigte >> Harmonisiertes System zur Bezeichnung und Codierung von Waren (HS) für den internationalen Warenfluss von ­Kultur­gütern

17.1 Design auf ­inter­nationalem Top-Level

237

>> Versuch einer internationalen UN-Klassifikation für ­Zeitverwendungsstatistiken (ICATUS) Diese im FCS definierten Kulturdomänen stellen eine Gesamtheit gemeinsamer ökonomischer Produktion von Gütern und Dienstleistungen und sozialer Teilhabe an kulturellen Aktivitäten dar, die herkömmlicherweise als kulturell betrachtet wird. Das 2009 von der UNESCO verabschiedete neue Rahmenwerk zielt insbesondere auf die bessere Vergleichbarkeit von Daten ab. Hier wird die Verbindung von Kultur und Entwicklung stärker betont und Kultur vielfach als ein Mittel zur Förderung wirtschaft­ lichen Fortschritts angesehen. Auch der Sinn stiftende Charakter wird hervorgehoben. Vor allem aber die wachsende Bedeutung der Kultur- und Kreativwirtschaft hat die Relevanz des kulturellen Sektors stark zunehmen lassen. Kulturpolitik

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Daher ist auch die Kulturpolitik wichtiger geworden. Seit den letzten beiden Jahrzehnten hat der internationale Handel mit Kulturgütern zugenommen. Dies verlangt den Ausbau der Gesetzgebung in Bezug auf geistiges Eigentum und Urheberrecht. Denn nicht nur die Digitalisierung und das Internet haben zu einer enormen Zunahme an Raubkopien geführt. Auch die wachsende Marktmacht einiger ­weniger multinationaler Konzerne in der Kulturindustrie spielt hier eine Rolle. Festzustellen ist, dass sich die traditionellen kulturpolitischen Instrumente wegen des außerordentlichen Wachstums der Kulturwirtschaft überlebt haben und die gegenseitige Abhängigkeit von öffentlichem und privatem Sektor komplexer geworden ist. Nicht selten wird die Kulturwirtschaft heute als Mittel zur Über­­­­win­ dung von Armut angesehen. Auch die kulturelle Vielfalt hat zunehmend Beachtung gefunden. Und nicht zuletzt geht das neue Rahmen­werk viel stärker auf die Bedürfnisse der Entwicklungs­ länder ein. Hauptziel dieses neuen Rahmenwerks ist der internationale ­Vergleich, der den vollen Umfang aller kulturellen Aktivitäten in den Bereichen Produktion, Zirkulation und Gebrauch von Kultur umfasst. Dabei sind drei Komponenten bestimmend: die Definition der zur Kultur zugehörigen Domänen und deren jeweilige Tiefe; das Ziel der direkten Messung; direkte internationale Vergleiche, ohne regio­ nale oder nationale Besonderheiten unberücksichtigt zu lassen. Die darin enthaltenen Kulturaspekte umfassen alle Phasen der Schöpfung, Produktion, Verbreitung, Ausstellung/Rezeption/Übertragung und Konsumption/Partizipation.

Die Kulturdomänen in der Definition des FCS umfassen folgende Bereiche: >> A. Kulturerbe und Naturerbe >> B. Aufführung und Festlichkeiten >> C. Bildende Kunst und Kunsthandwerk >> D. Buch und Presse >> E. Audiovisuelle und interaktive Medien >> F. Design und kreative Dienstleistungen >> Immaterielles Erbe als transversale Domäne

Kulturdomänen

Dies ist das Minimum von Kerndomänen, für die jedes Land ­ ergleichsdaten erheben sollte. Zusätzlich gibt es noch drei quer V verlaufende Domänen, die wegen ihrer Schlüsselrolle für den ­Kulturzyklus eingeschlossen werden: >> Bildung und Ausbildung >> Archive und Denkmalschutz >> Ausrüstung und Hilfsmaterialien Die neue kulturelle Domäne Design und kreative Dienstleistungen umfasst Aktivitäten, Güter und Dienstleistungen, die sich aus dem kreativen, künstlerischen und ästhetischen Design von Objekten, Gebäuden und Landschaften ergeben: >> Modedesign >> Grafikdesign >> Innenarchitektur >> Landschaftsarchitektur >> Architekten-Dienstleistungen >> Werbung

Domäne: Design und kreative Dienstleistungen

Quelle: Arbeitskreis Kulturstatistik (ARKStat). Mehr dazu finden Sie bei Michael Söndermann, Büro für Kulturwirtschaftsforschung Köln (Adresse im Anhang, Seite 319 ff.)

Eine Merkwürdigkeit fällt auf: Modedesign wird hier an erster Stelle genannt und schließt offensichtlich das Industrie-/Produkt­ design mit ein. Das ist wirtschaftlich zwar nicht nachvollziehbar, spiegelt aber das Image der Mode. Auch der Begriff Grafikdesign ist etwas kurz gefasst – geeigneter wäre Kommunikationsdesign (mit seinen Disziplinen Film, Foto, Grafik, Illustration, Typographie). Der ganz neue Bereich des Servicedesigns kommt hier noch gar nicht vor, und die Innenarchitektur steht für die international gebräuchliche Bezeichnung Interiordesign. 239

Relevanz des ­Designs

17.2 Creative Industries

Dass die Domäne Design die Wirtschaftsbereiche Architektur und Werbung einschließt, liegt aus internationaler Perspektive nahe. In Deutschland wird dies bei Architekten und Werbern aber sicher nicht auf große Akzeptanz stoßen. Umso mehr verwundert es, dass beide Wirtschaftsbereiche bisher nicht darauf reagiert haben. Die Architekten sehen die Architektur aus der Historie betrachtet quasi als Königsdisziplin, können diesen Anspruch wegen der geringeren wirtschaftlichen Bedeutung allerdings nicht halten. Die Werber ­wiederum haben zwar eine etwas höhere wirtschaftliche Bedeutung, betrachten Design allerdings nur als willfähriges Mittel zum Zweck der Werbung. Der Begriff Creative Industries wird in den angelsächsischen ­Ländern verwendet und steht dort für die Zusammenfassung verschiedener Kreativsektoren: Architektur, Design, Film, Fotografie, Handwerk, Kunst, Musik, Publishing, Radio und Television, Software und Computergames sowie Werbung. Er entspricht weitgehend der in Europa verwendeten Bezeichnung Cultural Industries und diese wiederum der deutschen Kulturwirtschaft. Um die internationale Vergleichbarkeit deutlich zu machen, ist der Begriff Creative Industries zu der anfangs verwendeten Bezeichnung Kulturwirtschaft hinzugefügt worden. Offensichtlich war den Verwaltungen das zu lang (oder unverständlich), sodass daraus die in Deutschland heute gebräuchliche Branchenbezeichnung Kultur- und Kreativwirtschaft wurde. Abgesehen von der Begriffs-Redundanz resultiert daraus auch eine nicht unerhebliche Unschärfe. Der Begriff Kreativität ist eben nicht so leicht definierbar. Wir haben uns mit dem Begriff Kreativität bereits eingehend im Kapitel 11.3 Kreativ denken (Seite 162 ff.) beschäftigt.

Erschwerend kommt hinzu, dass Kreativität als Begriff inflationär gebraucht wird und damit auf dem besten Weg ist, ähnlich wie Coaching und Design, völlig beliebig zu werden. Am Ende ist mit ­Kreativität dann Alles und Nichts gemeint. Creative Class

240

Begründet wird die Verwendung des Begriffs sehr oft mit der Arbeit des amerikanischen Wirtschaftsgeografen Richard Florida (die ­Betonung des Nachnamens liegt auf dem - i -). Bekannt wurde er durch sein Buch The Rise of the Creative Class (2002/2004). Er analysiert darin die Beziehung von Kultur, Kreativität und wirtschaft-

lichem Wachstum und weist nach, dass Kreativität als Standort­faktor entscheidend zu ökonomischem Erfolg beiträgt. Damit bestätigt er den weit verbreiteten Standpunkt, dass wirtschaftliches Wachstum in Industrieländern vor allem durch kreatives Handeln generiert wird. Dies ist auch auf die Arbeit von Joseph A. Schumpeter zurückzuführen, der in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts den Begriff der schöpferischen (kreativen) Zerstörung geprägt hat. Wir haben im Kapitel 5.2 Konjunkturzyklen (Seite 85 ff.) bereits darauf hingewiesen.

Richard Florida stellt die These auf, dass Kultur mit ihrer positiven Wirkung auf Kreativität ein bestimmender Faktor für wirtschaftlichen Erfolg ist. Entscheidend für die Entfaltung kreativer Fähigkeiten seien kulturelle Umfeldbedingungen. Daher richteten Unternehmen ihren Standort auch zunehmend nach der Ortswahl kreativer Köpfe aus. Die von ihm entwickelte kreative Klasse spielt demnach für die Wachstumsdynamik einer Region eine nachweisbare Rolle. Zur Creative Class zählt er unter anderem Berufsgruppen aus den Bereichen IT, Medien, Kunst, Bildung, Wissenschaft und Management – das heißt Menschen, die eine kreative und eigenständige Leistung erbringen. Er nennt drei Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit sich Kultur und Kreativität zu Gunsten der Wirtschaft frei entfalten können: Technologie, Talente und Toleranz (the 3 T’s of economic development). Die Creative Class unterscheidet sich von den beiden anderen sozialen Klassen (Working Class und Service Class) durch das, wofür ihre Akteure bezahlt werden, nämlich dafür, sich neue Dinge aus­ zudenken (anstatt vorgegebene Pläne und Verfahren auszuführen). Die Creative Class unterscheidet sich aber auch durch ihren Lebenswandel: Individuelle Arbeitsplätze; Arbeiten nach Lust zu selbstbestimmten Zeiten in individueller Kleidung und stimu­lie­ rendem Ambiente; eigene Betriebsformen und Erwerbsbiographien; hohe Flexibilität, Individualität und Innovationsfreude; Wechsel zwischen angestellter und selbstständiger Tätigkeit. Die Creative Class benötigt zum Leben städtische Räume mit einem breiten und anspruchsvollen Spektrum an kulturellen Angeboten. Für großstädtische Ballungsräume ist die Konzentration auf das, was die Creative Class für ihre Lebensführung und Arbeit braucht, deshalb ein ideales Zukunftskonzept. 241

Richard Florida hat das in seinem Buch The Rise of the Creative Class eingehend analysiert und beschrieben und seine methodischen Ansätze in dem Buch Cities and the Creative Class (2005) vertieft und erläutert. Auch in seinem neuesten Buch The Great Reset – How New Ways of Living and Working Drive Post-Crash Prosperity, 2010 (dt.: Reset – Wie wir anders leben, arbeiten und eine neue Ära des ­Wohlstands begründen werden, 2010) betont er erneut, dass die Kreativen der Wirtschaftsmotor der Zukunft sind. 17.3 Kultur- und ­Kreativwirtschaft (D)

Teilmärkte der ­Kultur- und Kreativwirtschaft

242

Die politische Bedeutung der Kultur- und Kreativwirtschaft ist noch relativ neu. Mit der Erstellung von Kulturwirtschaftsberichten – in den deutschen Bundesländern (erstmalig in NRW in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts), in einzelnen Kommunen (z. B. in Köln und München, 2007) und im Bericht der Enquete-Kommission Kultur des Deutschen Bundestages (Herbst 2007) – sind diese Wirtschaftszweige von der Politik erst in jüngster Zeit wahrgenommen worden. Die traditionelle Kulturpolitik in Deutschland hat dazu geführt, dass die Kulturbranchen eher wirtschaftsfern betrachtet wurden. Kulturförderung und Wirtschaftsförderung sind traditionell getrennt und dadurch nicht nur in den Institutionen und in der Politik, sondern auch in der Öffentlichkeit völlig unabhängig voneinander gesehen worden – bis heute. Die Folge ist, dass die Kommerziali­ sierung der Kultur sehr kritisch beäugt, aber auch die Kulturisierung der Wirtschaft eher argwöhnisch beobachtet wird. Kultur und Wirtschaft scheinen aus dieser Perspektive nicht zusammenzugehören. Unabhängig von der öffentlichen und politischen Wahrnehmung hat sich hier aber ein kultureller Wirtschaftszweig mit hoher gesellschaftlicher Bedeutung entwickelt. Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist in Deutschland und Europa mittlerweile die drittstärkste Branchengruppe und liegt zwischen der Automobil- und der Chemie­ industrie. Darüber hinaus ist das Wachstum im letzten Jahrzehnt überdurchschnittlich, und selbst im letzten Konjunkturzyklus (der sogenannten Wirtschaftskrise 2008/2009) stabiler als andere traditio­nelle Branchen (wie z. B. Automobil). Unter Kultur- und Kreativwirtschaft werden Kultur- und Kreativ­ unternehmen (bzw. -unternehmer) erfasst, die überwiegend erwerbswirtschaftlich orientiert sind. Sie befassen sich mit der Schaffung, Produktion, Verteilung und/oder medialen Verbreitung von kulturellen (und kreativen) Gütern und Dienstleistungen.

Die Kultur- und Kreativwirtschaft umfasst insgesamt elf ­Kernbranchen oder Teilmärkte: I. Kulturwirtschaft: >> 1. Musikwirtschaft >> 2. Buchmarkt >> 3. Kunstmarkt >> 4. Filmwirtschaft >> 5. Rundfunkwirtschaft >> 6. Markt für darstellende Künste >> 7. Architekturmarkt >> 8. Designwirtschaft >> 9. Pressemarkt II. Kreativbranchen: >> 10. Werbemarkt >> 11. Software-/Games-Industrie Es handelt sich hier um eine auf Branchen und Teilmärkte ­ ezogene Gliederung, die am weitesten verbreitet ist. Sie unter­ b scheidet sich zum Beispiel vom britisch-australischen Ansatz, der nach Berufsgruppen differenziert. Der Branchenkomplex Kulturund ­Kreativwirtschaft hat Felder und Teilmärkte, die sowohl mitein­ ander verbunden sind als auch unverbunden nebeneinander ­existieren. Die Schwierigkeit, den Branchenkomplex einheitlich zu verstehen und zu erfassen, lässt sich auch an den unter­ schiedlichen Begriffsbezeichnungen ablesen, wie zum Beispiel: ­Kreative Öko­nomie und Kreative Klasse. Das Kernmodell enthält darüber hinaus einen Bereich Sonstiges, in den neue wirtschaftliche Aktivitäten aufgenommen werden ­können. In deutschen und europäischen Fachkreisen und Arbeitsgruppen wird über die Aufnahme der Produktion von Musikinstrumenten, des Kunst- und Kulturhandwerks oder des Fotografischen Gewerbes beraten. Quelle: Michael Söndermann, Monitoring zu wirtschaftlichen ­Eckdaten der Kultur- und Kreativwirtschaft 2009, Hrsg. Bundes­ ministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWI).

Der wirtschaftlich verbindende Kern ist der sogenannte schöpferische Akt – ein Vorschlag, der von die Enquetekommission Kultur kommt.

Schöpferischer Akt

243

Die Autoren des Kapitels Kulturwirtschaft formulierten das so:

»Es bleibt zu betonen, dass im Mittelpunkt der Kulturwirtschaft nicht der Beruf, sondern dessen Ausübung steht, also der schöpferische Akt der künstlerisch und kreativen Tätigkeiten…«

Gemeint sind damit alle künstlerischen, literarischen, kultu­ rellen, musischen, architektonischen oder kreativen Inhalte, Werke, Produkte, Produktionen oder Dienstleistungen. Alle schöpferischen Akte – als analoges Unikat, Liveaufführung, serielle bzw. digitale ­Produktion oder Dienstleistung – zählen dazu. Diese können im umfassenden Sinne urheberrechtlich geschützt sein (Patent-, Urheber-, Marken-, Designrechte), aber auch frei von urheberrechtlichen Bezügen sein. Mit dem schöpferischen Akt sind Inhalte- oder Kreativ­ produktionen mit einem ästhetischen Kern oder Bezug gemeint. Im Konzept der Kultur- und Kreativwirtschaft wird er sogar als eine wirtschaftliche Kategorie verstanden. Mit dem Bezug auf seinen ästhetischen Kern soll sich der schöpferische Akt deutlich abgrenzen von den ­vorwiegend technologisch-orientierten Produktionen (insbesondere IT oder Multimedia), die nicht zum Kernbereich der Kultur- und ­Kreativwirtschaft zählen. Unternehmenstypen

In alle Teilbranchen der Kultur- und Kreativwirtschaft sind verschiedenartige Unternehmenstypen aktiv. In der Binnensegmentierung wird zwischen drei idealtypischen Formen unterschieden: >> Kleinstunternehmen – Freiberufler und Selbstständige in ­Ateliers und Büros als Einzelunternehmen, GbR’s oder ­unabhängige Netzwerke >> Kleine und mittelständische Unternehmen – meist gewerblich in GmbH-Form in Wirtschaftskammern organisiert >> Großunternehmen – sogenannte Majors (Konzerne) in AG-Form

Eckdaten

Die bis Sommer 2011 veröffentlichten empirischen Daten beziehen sich auf das Jahr 2009. Demnach sehen die Werte wie folgt aus: >> Unternehmen – 237 000 (7,4 Prozent der Gesamtwirtschaft) >> Umsatzvolumen – mehr als 131 Milliarden Euro (2,7 Prozent der Gesamtwirtschaft) >> abhängig Beschäftigte – knapp 787 000 (2,9 Prozent der ­Gesamtwirtschaft) >> Beschäftigte inkl. Selbstständige – mehr als eine Million (3,3 Prozent der Gesamtwirtschaft)

244

>> Bruttowertschöpfung – 62,6 Milliarden Euro (2,6 Prozent der Gesamtwirtschaft) Zu den abhängig Beschäftigten (Teil- und Vollzeit) und den Selbstständigen kommen noch knapp 300 000 geringfügig Beschäftigte und geschätzt 160 000 geringfügig Tätige (unterhalb 17 500 Euro Jahresumsatz) hinzu. Insgesamt also mehr als 1 465 000 (nach Beschäftigungsstatistik und Mikrozensus 2008). Freiberufler, Selbstständige und geringfügig Tätige machen ­insgesamt einen Anteil von 27 Prozent aller Erwerbstätigen in der Kultur- und Kreativwirtschaft aus, also mehr als doppelt so viel ­Menschen im Vergleich zur Gesamtwirtschaft, die nur mit 11 Prozent zu Buche schlägt. Die Unternehmenstypen (nach offizieller EU-Definition) sind in der Anzahl (A) und im Umsatz (U) wie folgt verteilt (2008): >> Kleinstunternehmen (bis 2 Mio. Umsatz) – 97 Prozent (A) und 26,7 Prozent (U) >> Kleinunternehmen (bis 10 Mio. Umsatz) – 2 Prozent (A) und 16,1 Prozent (U) >> Mittlere Unternehmen (bis 50 Mio. Umsatz) – 0,5 Prozent (A) und 16,4 Prozent (U) >> Großunternehmen (über 50 Mio. Umsatz) – 0,1 Prozent (A) und 40,9 Prozent (U) Quelle: Michael Söndermann, Monitoring zu wirtschaftlichen ­ ckdaten der Kultur- und Kreativwirtschaft 2009, Hrsg. BundesE ministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWI).

In Folge des bereits erwähnten Abschlussberichtes der Enquete-­ Kommission Kultur des Deutschen Bundestages (Herbst 2007) hat die Bundesregierung 2008 eine Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft gegründet. Im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWI) und beim Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM) sind eigens dafür Referate eingerichtet worden, die im Rahmen der Initiative eng zusammenarbeiten. Nach einer Auftaktveranstaltung im Mai 2008, zu der Vertreter aller Teilmärkte geladen waren, führten das BMWI und der BKM in 2008 und 2009 Branchenhearings durch. Man wollte sich damit ein detailliertes Bild der einzelnen Branchen machen. Die Ergebnisse sind dokumentiert und veröffentlicht worden. Im Sommer 2009 fand dann eine erste Jahresveranstaltung in Berlin statt, in der die Ergebnisse vorgestellt wurden.

Initiative der ­Bundesregierung (D)

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Informationen dazu finden Sie auf der für die Bundesinitiative eingerichteten Website (Adresse im Anhang, Seite 319 ff).

Die beiden federführenden Ministerien haben seitdem einige Expertenrunden mit Fachleuten aus den Teilbranchen durch­ geführt, um Fragen der gezielten Entwicklung von Förderrahmen­ bedingungen zu diskutieren. Zum Beispiel auch speziell zum Thema Finanzierung – Instrumente und Vergabepraxis im Fokus der Kultur- und Kreativwirtschaft. Auch in 2010 ist wieder eine Jahresveranstaltung durchgeführt worden, dieses Mal zum Thema Demografischer Wandel als Herausforderung und Chance. Um den einzelnen Teilmärkten einen regelmäßigen Austausch zu ermöglichen, sind weitere Veranstaltungen im Jahresrhythmus geplant. Für die Zukunft ist hier allerdings eine inhaltlich anspruchsvollere Ausrichtung gefordert, die sich stärker an den branchenbezogenen Fragen und Problemen orientiert. Auch sollten die Kompetenzen der Teilbranchen mehr berücksichtigt und die tendenzielle Unterschätzung ökonomischer Kompetenzen relativiert werden. Kompetenzzentrum mit Regionalbüros

Um einen Kontakt zwischen den kreativ Tätigen mit ihren beson­deren Bedürfnissen und den wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgern herzustellen, ist 2010 als Teil der Initiative ein Kompetenz­ zentrum des Bundes mit Regionalbüros eingerichtet worden. Es arbei­ tet deutsch­landweit und hat zur Aufgabe, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, Dialog und Vernetzung zu fördern, Kreative unternehmerisch zu professionalisieren, Austausch zu unterstützen, politische Entscheider zu beraten und kreativen Gründern und Selbstständigen vor Ort Beratung anzubieten. In derzeit acht Regionen stehen Ansprechpartner vor Ort zur Verfügung. Sie kommen alle aus verschiedenen Branchen der Kulturund Kreativwirtschaft, schwerpunktmäßig aus den Bereichen Musik, Film und darstellende Künste. Die Designwirtschaft ist hier leider nicht vertreten, sodass man in diesem Bereich keine speziellen Kompe­tenzen und entsprechende Beratung erwarten kann. Die Bera­ tung vor Ort kann und soll ohnehin nur vermitteln. Eine branchenspezifische Vertiefung ist in diesem Rahmen nicht möglich. Informationen und Kontaktadressen finden Sie auf der für die ­Bundesinitiative eingerichteten Website (Adresse im Anhang, Seite 319 ff).

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Die Designwirtschaft als Teil der Kulturwirtschaft wurde bisher in ­folgende Zweige unterteilt, auf die sich Selbstständige und Unternehmen wie folgt verteilen (in Klammern): >> Industriedesign (9 Prozent) >> Produkt-/Mode-/Grafikdesign (35 Prozent) >> Kommunikationsdesign/Werbegestaltung (56 Prozent)

17.4

Insgesamt wurden 129 800 Erwerbstätige beschäftigt. Das entspricht einem Anteil von 11,1 Prozent in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Darin sind 87 700 sozialversicherungspflichtig Beschäftige enthalten (ein erheblicher Anteil von 68 Prozent). Mit 32 Prozent ­liegen die unabhängig Tätigen allerdings über dem Durchschnitt in der Kulturund Kreativwirtschaft. Das Umsatzvolumen der Designwirtschaft lag 2009 bei rund 15,2 Milliarden Euro. Das macht einen Anteil von 10,2 Prozent der gesamten Kultur- und Kreativwirtschaft aus. Kommunikations­ design/Werbegestaltung dominiert mit 12,7 Milliarden Euro und 83 Prozent. Die Selbstständigen und steuerpflichtigen Unternehmen liegen bei 42 100 und 14,4 Prozent in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Davon sind knapp 23 400 (55 Prozent) im Bereich Kommunikationsdesign/Werbegestaltung, mehr als 14  800 (35 Prozent) im Produkt-/ Mode-/Grafikdesign und knapp 3 900 (10 Prozent) im Industrie­ design tätig.

Eckdaten

Die Unternehmenstypen in den Bereichen Industriedesign und ­Produkt-/Mode-/Grafikdesign (ohne Kommunikationsdesign/Werbegestaltung, deren Struktur dem Teilmarkt Werbung zugeordnet ist) verteilen sich wie folgt: >> Kleinstunternehmen – 18 200 (99 Prozent) schaffen 76 Prozent Umsatzanteil >> Kleine und mittlere Unternehmen – 111 (1 Prozent) schaffen 22 Prozent Umsatzanteil >> Großunternehmen – 1 (im Industriedesign) schafft 2 Prozent Umsatzanteil

Unternehmenstypen

Designwirtschaft in Deutschland

Der Durchschnittsumsatz des einzigen Großunternehmens liegt bei 55 Millionen Euro und der von Kleinstunternehmen bei 104 000 Euro pro Jahr.

247

Unternehmenstypen – Exkurs ­Werbemarkt

Die im Monitoring des Bundeswirtschaftsministeriums dem Teilmarkt Werbung zugeordneten Unternehmenstypen im Bereich ­Kommunikationsdesign/Werbegestaltung haben dort einen Anteil von 56 Prozent. Im gesamten Werbemarkt verteilen sich die Unternehmenstypen wie folgt: >> Kleinstunternehmen – 39 200 (96 Prozent) schaffen 27 Prozent Umsatzanteil >> Kleine und mittlere Unternehmen – 1 520 (3 Prozent) schaffen 33 Prozent Umsatzanteil >> Großunternehmen – 53 (0,1 Prozent) schaffen 39 Prozent Umsatzanteil Wie in der Designwirtschaft dominieren auch hier die Kleinst­ unternehmen zahlenmäßig, sind im Umsatzanteil aber mit etwas mehr als einem Viertel deutlich unter dem der Designwirtschaft. Im Werbemarkt schöpfen die Großunternehmen mit deutlich mehr als einem Drittel einen großen Teil des Umsatzes ab. Der Durchschnittsumsatz der Großunternehmen liegt bei 203 Millionen Euro und der von Kleinstunternehmen bei 188 000 Euro pro Jahr. Hier wirkt sich offensichtlich die Dienstleistung der Werbevermittlung (in Abgrenzung zur Werbegestaltung) aus.

Entwicklung – Design­wirtschaft

Entwicklung – Exkurs Werbemarkt

248

Im Zeitraum 2003 bis 2009 ist die Designwirtschaft stetig gewachsen – die Unternehmen um insgesamt 28 Prozent (Industriedesigner 50 Prozent, Produkt-/Mode-Grafikdesigner um 31 Prozent und Kommunikationsdesigner/Werbegestalter um 23 Prozent). Das Umsatzvolumen ist bis 2008 um insgesamt 47 Prozent gestiegen und in 2009 stark gefallen, auf ein Plus von immerhin noch 40 Prozent im Vergleich zu 2003. Im Industriedesign schrumpfte der Umsatz von 2008 bis 2009 um fünf Prozent, im Bereich Kommunikationsdesign/Werbegestaltung sogar um sechs Prozent. Produkt-/ Mode-/Grafikdesign hingegen konnte von 2008 bis 2009 um vier ­Prozent zulegen. Die Erwerbstätigen nahmen im Zeitraum 2003 bis 2008 um 13 Prozent zu und schrumpften in 2009 auf elf Prozent gegenüber 2003. Bei den davon abhängig Beschäftigten spiegelt sich das ­entsprechend wider: mit acht Prozent bis 2008 und vier Prozent bis 2009. Im Vergleich zur Designwirtschaft fallen die Steigerungsraten im Werbemarkt deutlich geringer aus: Bei den Unternehmen sind es nur 11 Prozent, beim Umsatz bis 2007 und 2008 nur 19 Prozent und bis

2009 nur noch zwölf Prozent. Bei den Erwerbstätigen stiegen sie bis 2008 nur um fünf Prozent, um in 2009 wieder auf zwei Prozent Steige­ rung im Vergleich zu 2003 abzufallen. Die darin enthaltenen abhängig Beschäftigten lagen 2008 bei drei Prozent und 2009 nur bei null ­Prozent Steigerung im Vergleich zu 2003. Alle Eckdaten und Entwicklungen basieren auf der derzeitigen ­Wirtschaftszweigklassifikation (WZ 2003). Mit Einführung der neuen Klassifikation (WZ 2008) mit Wirtschaftsstatistiken zu 2009, die voraussichtlich ab Herbst 2011 verfügbar sein werden, wird die Design­wirtschaft differenzierter dargestellt: >> Industrie-, Produkt- und Modedesign >> Grafik- und Kommunikationsdesign >> Interiordesign >> Consulting Architektur und Interiordesign (Architekturmarkt) >> Werbeagenturen (Werbemarkt)

Wirtschaftszweigklassifikation

Quelle: Michael Söndermann, Monitoring zu wirtschaftlichen ­Eckdaten der Kultur- und Kreativwirtschaft 2009, Hrsg. Bundes­ ministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWI).

Die Designwirtschaft zählt – nach dem Monitoring des Bundeswirtschaftsministeriums – zu den wichtigsten Teilmärkten in der Kulturund Kreativwirtschaft. Das gilt sowohl für ihre quantitative Größe als auch für ihre Entwicklungsdynamik. Die Abhängigkeit der Teilbereiche in der Designwirtschaft wird sichtbar bei den Industrie­­ designern vom verarbeitenden Gewerbe, bei den Produkt-/Mode-/ ­Grafikdesignern vom privaten Konsum und bei den Kommu­nikations­ ­­designern/Werbegestaltern vom Werbemarkt und zusätzlich von der konjunkturellen Entwicklung. Über diese Schlussfolgerung im Monitoring hinaus ist noch ­festzustellen, dass die Designwirtschaft innerhalb der Kultur- und Kreativwirtschaft quasi eine Querschnittsfunktion hat, da sie in allen Teilmärkten aktiv ist. Daraus lässt sich allerdings keine Führungsposition in der ­Kultur- und Kreativwirtschaft ableiten. Trotz der Größe und Dynamik fehlen der Designwirtschaft die organisatorischen und personellen Voraussetzungen. Die fünf deutschen Designer-Berufsverbände sind weder in der Lage geschlossen aufzutreten noch überhaupt repräsentativ für die Designer (von denen nur rund fünf Prozent in den Berufsverbänden organisiert sind). Wiederholte Versuche sich zusammenzuschließen – oder einen repräsentativen und

Fazit für die D­esignwirtschaft

249

f­ unk­tionierenden Dachverband zu gründen – sind bisher gescheitert. Eine politisch wirksame Lobbyarbeit wird nicht betrieben. Welche Handlungsempfehlungen sich für die Akteure in der ­Designwirtschaft daraus ableiten lassen, beschreiben wir im ­letzten Unterkapitel (17.7, Seite 254 ff.). 17.5 Designwirtschaft in Österreich und der

Auch in den Ländern Österreich und Schweiz nehmen die ­Designwirtschaften an Bedeutung zu. Der quantitative Vergleich zu Deutschland zeigt differenzierte Bilder.

Schweiz Österreich 2008

Schweiz 2008

250

In der österreichischen Wirtschaftszweigklassifikation (ÖNACE 2008) wird nach Ateliers für Textil-, Schmuck-, Grafik- und ähnlichem Design unterschieden und nach Werbeagenturen (die hier mit einem Anteil von 50 Prozent dem Design zugeordnet sind, dort zum großen Teil dem Bereich Werbegestaltung/Kommunikations­design). Demnach gibt es in Österreich 1 237 Ateliers und 3 729 Agenturen (zu denen alle steuerpflichtigen Selbstständigen, Freiberufler und Unternehmen zählen). Diese fast 5 000 Unternehmen haben im direkten Vergleich zu Deutschland (2009) einen Anteil von 15 Prozent. Die Zahlen der Beschäftigten (hier Selbstständige und abhängig Beschäftigte einschließlich geringfügig Beschäftigter) liegen bei 2 034 in den Ateliers und bei 10 587 in den Agenturen. Diese nahezu 13 000 Beschäftigten machen im direkten Vergleich zu Deutschland (2009) einen Anteil von zehn Prozent aus. Im Umsatz (hier sind alle Steuerpflichtigen ab 10 000 Euro im Jahr erfasst) liegen die Ateliers bei 133 Millionen Euro und die ­Agenturen bei 1 870 Millionen Euro. Diese rund zwei Milliarden Euro Umsatz machen im direkten Vergleich zu Deutschland (2009) 14 Prozent aus. In der Schweizer Wirtschaftszweigklassifikation (NOGA 2008) sind Ateliers für Textil-, Schmuck-, Grafik und ähnlichem Design (hier auch zum Teil differenziert nach Industrie- und Produkt­ design, ­Grafikdesign und Kommunikation sowie Innenarchitektur und Raumgestaltung) und Werbeagenturen (hier ebenfalls mit einem Anteil von 50 Prozent im Design, und dort zum großen Teil Werbe­gestaltung/Kommunikationsdesign) erfasst. Es werden Arbeitsstätten (örtliche Betriebe, Firmen, Agenturen und Büros) mit 3 331 Ateliers (davon 232 im Industrie- und Produktdesign, 2 273 im Grafikdesign und in der Kommunikation sowie

826 in der Innenarchitektur und Raumgestaltung) und 1 440 Agenturen ausgewiesen. Die nahezu 5 000 Unternehmen entsprechen im direkten Vergleich zu Deutschland (2009) einem Anteil von 14 Prozent. Die Beschäftigtenzahlen (hier selbstständig Erwerbstätige und abhängig Beschäftigte) liegen bei 7 743 in den Ateliers (davon 559 im Industrie- und Produktdesign, 5 137 im Grafikdesign und in der Kommunikation sowie 2 047 in der Innenarchitektur und Raumgestaltung) und 6 647 in den Agenturen. Die über 14 000 Beschäftigten entsprechen im direkten Vergleich zu Deutschland (2009) einem Anteil von elf Prozent. Die Umsätze der Ateliers liegen bei 1 002 Millionen Euro und die der Agenturen bei 2 359 Millionen Euro. Diese über drei Milliarden Euro Umsatz entsprechen im direkten Vergleich zu Deutschland (2009) einem Anteil von 24 Prozent. Quelle: Michael Söndermann, Büro für Kulturwirtschaftsforschung Köln Designwirtschaft Schweiz im Vergleich zu Österreich und Deutschland 2008 (2009) – Adresse im Anhang (Seite 319 ff.)

Bemerkenswert ist, dass in beiden Ländern – im Vergleich zu den Bevölkerungszahlen mit über acht Millionen in Österreich (zehn Prozent von D) und nahe an sieben Millionen in der Schweiz (neun Prozent von D) – die Unternehmen mit 15 und 14 Prozent Anteil an den deutschen darüber liegen. Die Beschäftigten in beiden Ländern liegen mit zehn und elf Prozent (von D) wieder nahe an den Bevöl­kerungsrelationen. Auch in den Umsätzen sind die Anteile deutlich höher: in Österreich mit 14 Prozent und in der Schweiz sogar mit 24 Prozent (von D). Hier wäre es sehr interessant zu analysieren, ob diese Unterschiede auf eine höhere Bedeutung von Designdienstleistungen in den beiden Ländern zurückzuführen ist. Im Fall der Schweiz ist das naheliegend. Wahrscheinlich ist ebenfalls, dass die Akteure in den Designwirtschaften beider Länder auch in Deutschland sehr aktiv sind. Eine Dienstleistungsbilanz zwischen den drei Ländern könnte hier sicher sehr aufschlussreich sein. Leider gibt es eine solche (noch!) nicht.

Fazit

Im Zusammenhang mit den Eckdaten der Designwirtschaft sind die statistischen Daten der Designausbildung an den staatlichen Hochschulen interessant. Beim Vergleich der Wintersemester 2003/2004 zu 2009/2010 ergeben sich im Verlauf dieser sechs Jahre

17.6 Ausbildungs­ statistik (D)

251

zum Teil deutliche Veränderungen bei der Anzahl Studierender und der bestandenen Prüfungen. Industriedesign/­ Produktgestaltung

Studierende: >> WS 2003/2004 – insgesamt 6 315 Studierende (davon waren 562 keine Deutschen). Der Anteil der ersten Hochschul- und Fach­semester lag bei insgesamt 1 851. >> WS 2009/2010 – insgesamt 3 600 Studierende (davon waren 466 keine Deutschen). Der Anteil der ersten Hochschul- und Fach­ semester lag bei insgesamt 1 300. Das entspricht einem Rückgang von 43 Prozent (bei den Nichtdeutschen von 17 Prozent) und bei den Erstsemestern von 30 Prozent. Hierzu finden Sie im Anhang die Infografik 11 (Seite 316).

Bestandene Prüfungen: >> Prüfungsjahr 2003 – insgesamt 718 (davon waren 37 keine ­Deutschen). Diese verteilen sich auf 230 Universitäts- und 476 Fachhochschul-Abschlüsse. >> Prüfungsjahr 2009 – insgesamt 733 (davon waren 79 keine ­Deutschen). Diese verteilen sich auf 305 Universitäts-, 277 Fachhochschul-, 123 Bachelor- und 28 Master-Abschlüsse. Im Gegensatz zu den Studierenden sind die bestandenen Prüfungen um zwei Prozent leicht gestiegen (bei den Nichtdeutschen sogar um 114 Prozent auf mehr als das Doppelte). Grafikdesign/­ Kommunikations­ gestaltung

Studierende: >> WS 2003/2004 – insgesamt 13 066 Studierende (davon waren 1 062 keine Deutschen). Der Anteil der ersten Hochschul- und Fachsemester lag bei insgesamt 3 095. >> WS 2009/2010 – insgesamt 14 922 Studierende (davon waren 1 444 keine Deutschen). Der Anteil der ersten Hochschulund Fachsemester lag bei insgesamt 5 346. Das entspricht einer ­Steigerung von 14 Prozent (bei den Nichtdeutschen von 36 Prozent) und bei den Erstsemestern sogar von 73 Prozent. Hierzu finden Sie im Anhang die Infografik 11 (Seite 316).

Bestandene Prüfungen: >> Prüfungsjahr 2003 – insgesamt 1 730 (davon waren 103 keine Deutschen). Diese verteilen sich auf 442 Universitäts-, 1 265 Fachhochschul- und 22 Bachelor-Abschlüsse. 252

>> Prüfungsjahr 2009 – insgesamt 2 367 (davon waren 202 keine Deutschen). Diese verteilen sich auf 432 Universitäts-, 1 243 Fachhochschul-, 610 Bachelor- und 81 Master-Abschlüsse. Ebenso wie die Studierenden sind hier auch die bestandenen ­Prüfungen gestiegen, hier aber sogar um 37 Prozent (bei den Nichtdeutschen sogar um 96 Prozent auf fast das Doppelte). Studierende: >> WS 2003/2004 – insgesamt 4 108 Studierende (davon waren 291 keine Deutschen). Der Anteil der ersten Hochschul- und Fachsemester lag bei insgesamt 1 126. >> WS 2009/2010 – insgesamt 3 242 Studierende (davon waren 285 keine Deutschen). Der Anteil der ersten Hochschul- und Fach­semester lag bei insgesamt 1 271. Das entspricht einem Rückgang von 21 Prozent (bei den Nichtdeutschen von nur 2 Prozent) und bei den Erstsemestern ist sogar eine Steigerung von 13 Prozent zu verzeichnen.

Innenarchitektur

Hierzu finden Sie im Anhang die Infografik 11 (Seite 316).

Bestandene Prüfungen: >> Prüfungsjahr 2003 – insgesamt 645 (davon waren 36 keine ­Deutschen). Diese verteilen sich auf 23 Universitäts- und 622 Fachhochschul-Abschlüsse. >> Prüfungsjahr 2009 – insgesamt 808 (davon waren 49 keine ­Deutschen). Diese verteilen sich auf 24 Universitäts-, 499 Fachhochschul-, 266 Bachelor- und 19 Master-Abschlüsse. Im Gegensatz zu den Studierenden sind die bestandenen ­Prüfungen um 25 Prozent gestiegen (bei den Nichtdeutschen sogar um 36 Prozent). Im Vergleich der drei Disziplinen werden einige Auffälligkeiten deutlich: >> Industriedesign/Produktgestaltung – hier hat sich die Zahl der Studierenden fast halbiert. Im Gegensatz dazu sind die bestandenen Prüfungen leicht angestiegen, bei den Nichtdeutschen sogar um mehr als das Doppelte. >> Grafikdesign/Kommunikationsgestaltung – hier hat sich die Zahl deutlich erhöht und auch die bestandenen Prüfungen sind angestiegen, besonders wieder bei den Nichtdeutschen. >> Innenarchitektur – hier ist (ähnlich wie im Industriedesign/Produktgestaltung) die Zahl der Studierenden zurückgegangen und

Fazit der Ausbildung

253

die bestandenen Prüfungen sind angestiegen, bei den Nichtdeutschen ebenfalls deutlich stärker. Wenn man die jüngsten Zahlen der Studierenden (S) mit den bestandenen Prüfungen (P) vergleicht, ergeben sich folgende ­Verhältnisse aller drei Disziplinen: >> Industriedesign/Produktgestaltung – 3 600 und 16 Prozent (S), 733 und 19 Prozent (P) >> Grafikdesign/Kommunikationsgestaltung – 14 922 und 69 Prozent (S), 2 367 und 60 Prozent (P) >> Innenarchitektur – 3 242 und 15 Prozent (S), 808 und 21 Prozent (P) Im Durchschnitt sind die Anteile von Industriedesign/­ Produktgestaltung und Innenarchitektur je ca. 20 Prozent und mit ca. 60 Prozent ist Grafikdesign/Kommunikationsgestaltung die größte Einzeldisziplin. Im Vergleich zu den Umsatzrelationen in der  Designwirtschaft steht Grafikdesign/Kommunikationsgestaltung offensichtlich besser da. Hier bleibt allerdings abzuwarten, ob die ­bis­herigen statistischen Unschärfen durch die neue Wirtschaftszweigklassifikation aufgehoben werden und dieses Bild bestätigt wird. Durch die Zuordnung der Innenarchitektur (Interior­design) zum Design ist zu hoffen, dass hier eine bessere Vergleichbarkeit möglich wird. Hierzu finden Sie im Anhang die Infografik 11 (Seite 316). 17.7 Handlungs­ empfehlungen

254

Die internationale, nationale und regionale Bedeutung von Kultur, Kreativität und Design ist nicht mehr infrage zu stellen. Dies wird mittlerweile nicht nur von der Politik und in den Förderinstitutionen so gesehen, sondern auch in den Unternehmen und zunehmend in der Öffentlichkeit. Und das ist in jeder Hinsicht positiv zu werten. Allerdings sind infolge der zunehmenden Popularität auch ­kritisch bis negativ zu wertende Nebeneffekte entstanden. Diese äußern sich vor allem durch die inflationäre und oft auch völlig unsinnige Verwendung der Begriffe Kultur, Kreativität und Design. So schmücken sich mittlerweile auch immer mehr Politiker, Institutionen, Unternehmen und Andere mit diesen Begriffen, ohne zu realisieren, dass sie – bezogen auf ihre Kompetenz und ihre Intention – weder die Voraussetzungen noch die Haltungen dafür mit­bringen. Das ist nicht nur tragisch, sondern auch ärgerlich – werden dadurch doch Erwartungen geweckt, die nicht eingehalten ­werden können.

Um das Problem darin zu erkennen und entsprechende Schlussfolgerungen ziehen zu können, ist es sinnvoll, die einzelnen Begriffe in ihren Gegensätzen zu analysieren. Der Kulturbegriff steht für die Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Lebensäußerungen einer Gemeinschaft bzw. Menschengruppe. Er steht darüber hinaus auch für Bildung, Erziehung und Lebensart. Dazu zählt im erweiterten Sinne auch die handwerkliche (und geistige) Fähigkeit und Fertigkeit. Damit entspricht der Kulturbegriff am ehesten der Ausübung eines Berufes – gemeint ist hier der sogenannte schöpferische Akt der künstlerischen und kreativen Tätigkeit. Die im wirtschaftlichen Sinne ausgeübte Erwerbstätigkeit beinhaltet die Erschaffung und Produktion, die Verbreitung und Verteilung von Dienstleistungen und Gütern. Da der Begriff Kreativität in diesem Zusammenhang lediglich einen Teilaspekt abdeckt und nur der Begriff Kultur alle Gesichtspunkte subsumiert, ist eine korrekte und eindeutigere Verwendung der Bezeichnung Kulturwirtschaft dem der Kreativwirtschaft zweifellos vorzuziehen. Damit wären auch jegliche Verwechselungen mit der sogenannten Creative Class ausgeschlossen.

Kulturwirtschaft­­

Um es gleich vorwegzunehmen: Die Entwicklung und Verwendung des Branchen-Dachbegriffs Kultur-(Kreativ-)wirtschaft ist für die Designwirtschaft ein Glücksfall. Ohne diese Klassifizierung hätte sie keine Chance, in Politik, Institutionen, Wirtschaft und Öffentlichkeit angemessen wahrgenommen zu werden. Die Dachmarke verhilft zu einer wirtschaftlich relevanten Zuordnung und in Anbetracht des unscharfen und klischeehaften Begriffs Design ist das von großem Vorteil. Allerdings sollte daraus nicht der Schluss gezogen werden, den Begriff Design gegen Kultur oder sogar Kreativ auszutauschen. Die Designwirtschaft ist zwar ein wichtiger Teilmarkt innerhalb der Kultur-(Kreativ-)wirtschaft, aber sie ist nicht die Kultur-(Kreativ-) wirtschaft. Der Designwirtschaft ist in keiner Weise geholfen, mit der ­Kultur-(Kreativ-)wirtschaft verwechselt zu werden. Vielmehr muss sie darauf bedacht sein, ihre Besonderheiten, Eigenarten, Fähig­ keiten und vor allem ihren Nutzen für alle anderen – nicht nur ­innerhalb der Kultur-(Kreativ-)wirtschaft, sondern auch außerhalb, quasi für alle ­Gesellschaftsbereiche – herauszustellen.

Designwirtschaft

­versus ­Kreativwirtschaft

versus Kultur-/­ Kreativwirtschaft

255

Diese Eigenständigkeit erfordert Persönlichkeit und Haltung. Beides sind Voraussetzungen für Identität. Denn nur mit der jeweils eigenen Identität lassen sich Arbeitsweise, Leistungsangebot und Nutzen unverwechselbar und überzeugend vermitteln. Designökonomie ­versus ­Design­wirtschaft

256

Der erwerbswirtschaftliche Aspekt der Designwirtschaft ist bereits angesprochen worden. Er ist die Grundlage für diese Klassifikation. Die inhaltlichen Tätigkeiten umfassen sowohl die Erschaffung als auch die Vermittlung von Dienstleistungen und Produkten. Betont wird damit gleichzeitig ein sichtbares Endprodukt ­(welcher Art und Weise auch immer). Produktunabhängige Prozesse – wie zum Beispiel Beratungs- und Planungsleistungen – werden hier eher selten zugeordnet. Erwerb und kaufmännisches Agieren stehen für wirtschaftliches Handeln. Damit werden die Fähigkeiten und Potenziale der Akteure in der Designwirtschaft eingegrenzt und reduziert auf einen monetären und in erster Linie eigennützigen Grund. Die bereits mehrfach angesprochenen Herausforderungen für unsere Gesellschaft erfordern allerdings erweiterte Perspektiven. Schäden und Ungerechtigkeiten, die in Folge der Ausbeutung von Mensch und Umwelt entstanden sind, können nur durch ­ehr­bares Verhalten und gutes Haushalten wieder einigermaßen ­behoben werden. Überzogene Renditewünsche gehen zu Lasten von Bedürfnissen an die Lebensqualität. Einstellungen und Mentalitäten, die einen sogenannten Kasino-, Raubtier- oder Turbo-Kapitalismus erzeugten, haben die gesellschaftliche Ordnung massiv gestört und sie in Krisen geraten lassen, die sich mehr oder weniger regelmäßig wiederholen. Der deutsch-britische Soziologe, Politiker und Publizist Lord Ralf Dahrendorf (1929–2009) hat sich in seinem letzten Essay Die ­verlorene Ehre des Kaufmanns (2009) mit dieser Problematik auseinandergesetzt. Er hat darin zwei Maximen definiert: Die eine betrifft die Abkehr von der Bevorzugung des Shareholder Value (der Kapitaleigner) und die Berücksichtigung der Interessen der Stakeholder (der Beschäftigten, Kunden, Lieferanten und des Umfeldes). Die andere Maxime ist die Verantwortung, und die sah er nicht nur als ein moralisches Ideal, sondern ganz praktisch in Bezug auf die Zeitspanne, in der und für die alle Entscheidungsträger denken und handeln: ­Verantwortung verlangt Nachhaltigkeit, also das Denken in zumindest mittleren Fristen.

Quelle: www.tagesspiegel.de/wirtschaft/die-verlorene-ehre-­ d ­ es-kaufmanns

Diese Verantwortung im Denken und Handeln hat eine unternehmerische Dimension, die eher durch den Begriff Ökonomie deutlich wird, der zum gleichen Sprachstamm wie die Ökologie gehört. Designer – und damit die sogenannte Designwirtschaft – tun also gut daran, ihre speziellen Fähigkeiten über schlüssige Begriffe und Branchenbezeichnungen zu vermitteln. Der Begriff der Designökonomie ist daher in jeder Hinsicht zu bevorzugen. Schließlich lassen Sie damit unmissverständlich erkennen, dass Sie als Designerin und Designer Voraussetzungen schaffen ­können – für Innovation und Orientierung in der Gesellschaft und ­Wirtschaft. In unserem Institut für designpolitische Entwicklung Unter­nehmen: Design beschäftigen wir uns u. a. mit der Klärung von Begriffen und der Entwicklung eindeutiger Positionen. Die Diskussion darüber läuft. Wenn Sie sich auf dem Laufenden halten und beteiligen wollen, schauen Sie auf die Website (Adresse im Anhang, Seite 319 ff.). Wie einige Denker und Handelnde die Zukunft bewerten, können Sie im folgenden Interviewblock nachlesen.

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Einführung Interviews Die Designzukunft zu denken und zu gestalten, ist eine individuelle und kollektive Herausforderung. Der erste Schritt ist, selbst zu denken und zu handeln – der zweite, andere zu finden, die sich dem Denken und Handeln ebenso verpflichtet fühlen. Und der dritte Schritt ist es, diese Anderen zu motivieren, Stellung zu beziehen. Wir haben einige solcher Denker und Handelnden gefunden. Experten aus verschiedenen Fachdisziplinen teilen uns ihre persönliche Meinung mit.­

David B. Berman sieht die Zukunft als gemeinsames Design­projekt. Er fordert auf, weiter zu gehen und die Zusammenhänge, Macht und den Einfluss der Rolle des Designers zu erkennen.

David B. Berman

Sein Interview finden Sie auf Seite 261 ff.

Michael Braungart wünscht sich selbstbewusste Designer mit starkem Gestaltungswillen. Er ist überzeugt, dass sie dann die Change Agents für Innovationen sind.

Michael Braungart

Sein Interview finden Sie auf Seite 265 ff.

Alexander Bretz empfiehlt den angehenden Designern, ehrlich zu sagen, dass sie nach ihrem Abschluss nur einen Bruchteil dessen gelernt haben, was sie für die Zukunft brauchen.

Alexander Bretz

Sein Interview finden Sie auf Seite 269 ff.

Hajo Eickhoff denkt, dass sich Designer zukünftig bewusster als Unternehmer begreifen. Er glaubt, dass sie dazu Wissen über das Haushalten – Oikos – brauchen.

Hajo Eickhoff

Sein Interview finden Sie auf Seite 273 ff.

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Severin Filek

Severin Filek glaubt, dass Beratung und Überzeugungskraft immer wichtiger werden. Er unterstellt, dass neben breitem Wissen und unternehmerischen Kompetenzen fast schon eine Allround­ begabung nötig ist. Sein Interview finden Sie auf Seite 277 ff.

Pete Kercher

Pete Kercher sagt, dass die Designer von morgen bewusste ­Dirigenten multidisziplinärer Orchester sein werden. Er ist sich sicher, dass sie ihr Publikum ständig beraten und an Aufgaben­ stellungen beteiligen werden. Sein Interview finden Sie auf Seite 281 ff.

Aaris Sherin

Aaris Sherin findet, dass sich Designer durch ihre leidenschaftliche Überzeugung von ihren Mitbewerbern abheben. Sie meint, dass wenn man schon jahrzehntelang arbeitet, dann nur an Projekten, an die man auch glaubt. Ihr Interview finden Sie auf Seite 285 ff.

Michael Söndermann

Michael Söndermann ist überzeugt davon, dass Designdienst­ leistungen weiter gigantisch wachsen werden. Ein Beispiel dafür sieht er in der Forschung, die ihre Ergebnisse durch Design ­quali­fizieren könnte. Sein Interview finden Sie auf Seite 289 ff.

Jan Teunen

Jan Teunen sieht größte Veränderungen in der Gesellschaft auf uns zukommen, deren Mitglieder bewusster, kritischer, informierter und fordernder werden. Er ist sich sicher, dass die Menschheit vor einem Evolutionssprung steht. Sein Interview finden Sie auf Seite 293 ff.

John Thackara

John Thackara wirft Fragen darüber auf, wie wir Gespräche ­parti­zipatorisch statt direktorisch gestalten und Schnittpunkte identifizieren und organisieren. Er sieht die Rolle zeitbasierter ­Vorgänge als wertvolles Design-Wissen. Sein Interview finden Sie auf Seite 295 ff.

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David B. Berman ist international renommierter Redner, Typograf und Autor (Do Good Design). Er war in mehr als 25 Ländern tätig und ist seit 2002 Nationaler Ethikbeauftragter für Grafik in Kanada. David ist Präsidiumsmitglied des ICOGRADA, dem Weltverband für Graphik-Design, Mitglied der Society of Graphic Designers of Canada und des Ethik-Beirates für Graphic-Design in Kanada.

Interview mit David B. Berman, Designer und ­Vordenker, Ottawa (CDN)

Wie sehen Sie die Zukunft der ­Designberufe? Design ist ein sehr junger Beruf. Wir haben kaum angefangen: Wir, die Designer, werden entscheiden, worum es in unserem Beruf geht. Die Rolle des Designs muss nicht definiert werden als Leute ­auszutricksen, etwas zu kaufen oder an etwas zu glauben. Die Rolle des Designers braucht nicht die zu sein, Dinge zu entwerfen, die ­Niemand braucht. Wir haben die Gelegenheit zu entscheiden, ob wir einfach nur gutes Design machen oder ob wir Gutes durch Design machen wollen. Wir leben in einer zerbrechlichen Zeit, aber auch in einer Zeit unerhörter Hoffnung. Für die Mehrheit der Menschen bleibt Internet immer noch Utopie. Dennoch – bevor dieses Jahrzehnt zu Ende gehen wird, werden die meisten Menschen ihre erste Interaktion mit dem Internet gehabt haben. Wird ihnen dieser erste Zugang zum Internet das Beste zeigen, was wir zu bieten haben: in der Medizin, der Konfliktlösung, der Demokratie, der Staatsführung, der Meinungsfreiheit … oder wird es nur ein weiterer Weg sein, die ständig wachsenden Bevölkerungen in den Entwicklungsländern davon zu überzeugen, dass sie noch mehr von irgendwelchem Zeug konsumieren müssen, um sich zugehörig zur globalen Kultur zu fühlen? Stellen Sie sich vor, was alles möglich wäre, wenn Designer beim Export des Überkonsums und der grenzenlosen Erfüllung von Gier nicht mitmachen würden. Niemand versteht die machtvollen Mechanismen hinter diesen Manipulationen besser als die profes­ sionellen Designer, und wir haben die Kreativität und Überzeugungs­ fähigkeit, positive Veränderungen herbeizuführen. Wir müssen ­handeln, gehört werden – und manchmal einfach Nein sagen – durch die Gestaltung eines besseren Ja. Wir können wählen, welche Botschaften gesendet werden. Wir können wählen, welche Produkte in Mode kommen. Wir können wählen, etwas in der Welt zu verändern. Wir können wählen, Gutes zu tun, jetzt. Und ich glaube, wir werden es tun.

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Welche Bedeutung hat für Sie der Begriff Nachhaltigkeit im Design? Nachhaltigkeit wird bald ein so natürlicher Teil des Designs als ­solches sein, dass wir nicht mehr gesondert davon reden werden. Das wäre so, als würden wir über Farbdesign gegenüber SchwarzWeiß-Design reden. Unser derzeitiger Fokus auf umweltbezogene Nachhaltigkeit sollte in eine weiter gehende Definition von Nachhaltigkeit über­ gehen: eine Nachhaltigkeit, die kulturelle Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und ökonomische Nachhaltigkeit beinhaltet. Was muss die ­Designausbildung zukünftig leisten, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden? Design-Ausbildung sollte Nachhaltigkeit in jeden Kurs inte­grieren. Die Kernausbildung sollte um zwei weitere Themen ­erweitert ­werden: Design-Strategie und Design-Ethik. Ausgestattet mit Wissen, Kontext und einem gemeinsamen Standard unserer Rolle in der Gesellschaft, werden die Absolventen in der Lage sein, ihre Rolle als wirkliche Profis anzunehmen. Was, glauben Sie, haben Designer in der Vergangenheit falsch gemacht? Abgelenkt von dem Vergnügen und der Macht, Dinge zu gestalten, haben die Designer verständlicherweise Anderen gestattet, die Rolle des Designs und des Prozesses zu bestimmen. In der derzeitigen globalen Situation jedoch können die Designer noch größeres Vergnügen und Daseinsberechtigung finden in der Macht des ­Designs, die Gesellschaft zum Besseren zu verändern. Und weil wir es können, müssen wir es tun. Welchen Rat würden Sie einem angehenden Designer für die Zukunft geben? Wir leben jetzt in einer Zeit, in der jeder Designer ist – die Zukunft ist unser gemeinsames Designprojekt. Das ist mein Rezept: Manche von uns ziehen es vor, Design nur als eine ästhetische Übung zu betreiben. Ich weiß, dass einfach nur schöne Dinge zu gestalten und sich mit schön gestalteten Objek­ ten zu umgeben dazu beitragen kann, ein erfülltes und bequemes Leben zu schaffen. Dies ist aber nur die Oberfläche des Sinnes der Leistung, die du mit deinen kreativen Fähigkeiten erreichen kannst. Geh weiter: Erkenne die Zusammenhänge, die Macht und den Einfluss deiner Rolle als Profi und lass sie mit der Welt um dich herum und in dir wirken.

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Nimm dieses dreiteilige »Tue-Gutes-Versprechen« mit seinen Komponenten Professionalität, persönliche Verantwortung und Zeit: 1: Ich will ehrlich gegenüber meinem Beruf sein. Tritt einem nationalen oder regionalen Designverband bei, der einen Ethik-Kodex hat. Damit zeigst du öffentlich deine Bereitschaft, einen Minimalstandard ethischen Verhaltens einzuhalten. 2: Ich will mir gegenüber ehrlich sein. Lass dich davon führen, was du als richtig ansiehst. Würde jeder von uns sich selbst verbieten, etwas zu tun oder es zulassen, etwas zu sagen, was nicht im Einklang mit unseren persönlichen Überzeugungen ist, wäre das bereits mehr als genug, um die Welt zu verändern. Manchmal Nein zu sagen ist ein großer Teil davon. Aber es ist oft kreativ wirkungsvoller, eine alternative Lösung vorzuschlagen, die mit den Prinzipien aller Beteiligten übereinstimmt. Wenn wir das alles tun, werden wir die nötige Veränderung erreichen: Wir werden mehr geben als wir nehmen: Mehr Gutes tun als schaden. 3: Ich werde mindestens zehn Prozent meiner professionellen Zeit dafür verwenden, die Welt reparieren zu helfen. Es gibt fast zwei Millionen Designer in der Welt. Stell Dir vor, was möglich wäre, würden wir alle gerade einmal zehn Prozent unserer professionellen Zeit aufwenden: Fast acht Millionen Arbeitsstunden pro Woche, um eine gerechtere, nachhaltigere und fürsorglichere Zivilisation zu gestalten. Ich glaube, es gäbe kein Problem auf der Welt, was wir nicht lösen könnten. Wenn du dazu beitragen möchtest, einen Ethik-Kodex in ­deinem Land zu etablieren, nimm direkt Kontakt mit David Berman auf ­([email protected]). Lies die ersten 40 Seiten seines Buchs Do Good Design (www.davidberman.com/dogoodgooglebook).

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Er ist zusammen mit William McDonough Autor des richtungs­ weisenden Buches einfach intelligent produzieren und Die nächste industrielle Revolution: Die Cradle to Cradle-Community. Er ist Gründer der EPEA Internationale Umweltforschung und Mitgründer der Design- und Entwicklungsfirma McDonough Braungart Design Chemistry in Charlottesville, Virginia (USA).

Interview mit Prof. Dr. Michael Braungart, Chemiker und ­Verfahrenstechniker, Hamburg (D)

Wie sehen Sie die Zukunft der Designberufe? Die Frage ist: Welche Erwartungen haben die Menschen, die Design studieren? Zur Zeit sind die Designer auf dem Rückzug. Sie überlassen das Design für komplexe Produkte meist den Inge­nieuren und geben sich mit der Rolle des Verhübschens zufrieden. Das ist nicht sehr zukunftsträchtig. Auf dieser Ebene des Designs gibt es internationalen Wettbewerb, bei dem – für europäische ­Verhältnisse – menschenunwürdig entlohnt wird. Die Designer sind in einer Identitätskrise. Es stellt sich die Frage, ob sie es schaffen werden, ihr eigenes Leben so zu designen, dass es eine Zukunft hat. Designer können viel mehr sein: nämlich die zentralen Gestalter einer Kommunikations- und Industriegesellschaft. Das setzt aber voraus, dass sie diese angebotene Chance auch wahrnehmen. Ich habe in Vorlesungen vor Designern oft gemerkt, dass das eigentliche Motiv zum Designstudium eher das ist, quasi nur an einer Autotür einen Schnörkel anders zu machen. Das Erstaunliche ist, dass die bestehenden Produkte nur eine einseitige Qualität haben: Sie sehen nett aus. In Bezug auf Umwelt und Gesundheit sind sie extrem primitiv. Wir untersuchen Kinderspielzeug und ­finden darin bis zu über 600 gesundheitsschädliche Stoffe. Diese Spielsachen sind nicht für Kinder hergestellt worden. Das Design begrenzt sich allein darauf, hübsch auszusehen. Ein Produkt, das Kinder krank macht, ist einfach ein schlecht gestaltetes Produkt. Wir analysieren zum Beispiel die Innenraumluftqualität in Gebäuden und finden eine Luftqualität in ganz normalen Gebäuden, im normalen Einfamilienhaus in Deutschland vor, die drei bis acht mal schlechter ist als die schlechteste Außenluft einer Großstadt. Nichts in den Gebäuden ist für Innenräume hergestellt. Das ist eine riesige Designherausforderung. Das Know-how ist da: bei Wissenschaftlern, Chemikern, Physikern, Biologen oder Toxikologen. Es braucht jemanden, der dieses Know-how zusammenfasst und offensiv wirklich in neue Produkte umsetzt. Nach 30 Jahren Umwelt­ diskussion müssen wir alle Dinge noch mal neu erfinden, dass sie entweder für die Biosphäre oder für die Technosphäre nützlich sind. 265

Es geht nicht darum, weniger schädlich zu sein, sondern nützlich zu sein. Die Designer könnten die Schlüsselstellung bei einer nächsten industriellen Revolution haben. Es geht nicht nur direkt um Industrie- oder Kommunikationsdesign. Es geht um die ganz grundlegende Frage nach der Rolle der Menschen auf der Erde. Im kulturellen Bereich, im Design unserer Beziehung zur Natur, ist etwas völlig schief gegangen, was jetzt eine völlig neue Definition unseres öko­ logischen Fußabdrucks braucht. Es geht nicht darum, ihn zu mini­ mieren, sondern ihn zu optimieren. Den Fußabdruck zu minimieren hieße in letzter Konsequenz, man wäre besser nie geboren worden. Was heißt das für die Anforderungen an die zukünftige Designausbildung? Die Designausbildung, die ich kenne, ist eigentlich ganz gut. Aber wenn es um Nachhaltigkeit geht, ist sie eher von Schuldmanagement geprägt. Das Berufsbild, das nach außen vermittelt wird, zieht offensichtlich nur Leute an, die eigentlich selber kein großes Selbstwertgefühl haben. Es ist nun eher die Frage, wie wir deren Selbstbewusstsein verbessern können, Selbstwertkurse für Designstudenten, auch für Designprofessoren und -professorinnen. Die machen eigentlich tolle Arbeit. Das Problem ist, dass sie ihre Arbeit selber nicht zu schätzen wissen. Was ist da schief­gelaufen, denn das ist nichts Neues, warum hat sich da in den letzten ­Jahrzehnten nichts geändert? Die Designer haben nicht verstanden, dass Umwelt und Gesundheit Qualität bedeutet. Das Erstaunliche ist, und da läuft etwas ganz schief, dass man das Umweltthema als ein Ethikthema versteht. Nicht nur wir Deutschen vergessen die Ethik sofort, wenn es uns schlecht geht. Es geht um Qualität. Wir können in den USA sehen, was geschieht, wenn das Marketing das Design völlig dominiert und die Designer noch weniger geachtet sind. Dann werden die Dinge extrem hässlich. Wenn nur das Bestehende ein bisschen verhübscht werden kann, dann sind echte Innovationen nur sehr eingeschränkt möglich. In Ländern, in denen Design geachtet wird, ist es wesentlich leichter, auch andere gesellschaftliche Prozesse anzustoßen. Welche zusätzlichen Kompetenzen braucht ein Designer, um ­diesen ­professionellen Anforde­rungen gerecht werden zu können? Das Erstaunliche ist, dass den Designern der eigentliche Gestaltungs­ wille abhanden gekommen zu sein scheint und durch einen Ver­ hübschungswillen ersetzt worden ist. Ich weiß nicht, wer ihnen da die Seele herausoperiert hat. Die Ingenieure mit ihrer Dominanz 266

vielleicht. Die haben doch einfach nur umgesetzt, was machbar ist und den Designern nur eine kleine Spielwiese gelassen. Das führt auch dazu, dass sie retardieren und oft kindliche Verhaltensweisen zeigen. Das zeigt sich auch daran, dass Auseinandersetzungen nicht auf der sachlichen Ebene geführt werden, sondern oft auf der Ebene persönlicher Beleidigungen, und das ist schade, denn es gibt dazu keinen Grund. Man kann sich über Qualität sachlich verständigen. Wenn Designer über Design reden, dann geht es primär um die Gestaltungs­kompetenz und …? … diese Kompetenz ist da, aber der Wille ist nicht da. Erstaunlicherweise trainiert man den Leuten den Gestaltungswillen ab oder er ist bei den Studienanfängern gar nicht da und wird nicht entwickelt. Wille – bezieht der sich auf das, was zusätzlich notwendig ist, um ­gestalten zu können? Um es ganz klar zu sagen: Designer brauchen einen gewissen Machtanspruch und Kampfgeist statt einfach zu sagen: Oh, wir ­setzen uns in die Ecke und spielen hübsch im Sandkasten. Haben sich die ­Designer von den Marketingexperten verdrängen lassen? Das ist der Punkt: Das Marketing und die Ingenieure haben das Design häufig übernommen. Lässt sich Ihr ­Kreislaufmodell (das technische und biologische) auf ­ ommunikation übertragen und wie würden Sie das ­formulieren? K Zunächst schaue ich mir die Hardware dazu an. Ich war in einem Druckbetrieb und dort hat man mir stolz eine neue Maschine gezeigt: den neuen Ökodrucker. Er brauche 20 Prozent weniger Energie und sei doppelt so schnell. Ich fragte: Kann ich das Papier essen, das aus eurer Maschine kommt? Die schauten mich entsetzt an und sagten: Nein! Die Druckerei hatte das Falsche optimiert und es damit perfekt falsch gemacht. Wenn diejenigen, die Kommuni­ kationsdesign machen, zu wenig hinterfragen, was sie da eigentlich vor sich haben, dann sind sie wirklich nur die ausführenden Verhübscher. Da wird man, wenn man ein bisschen intelligent ist, irgendwann zum Zyniker. Das ist oft ein Trauerspiel. Wenn man als Designer Kommunikation gestaltet, ohne den Inhalt zu hinterfragen, kann man auch Design für Konzentrationslager machen. Wenn man die elektrischen Stühle in Texas mit Windrädern betreibt, sind es immer noch elektrische Stühle.

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Welchen Rat würden Sie einem angehenden Designer für die Zukunft geben? Ich möchte, dass es selbstbewusste Designerinnen und Designer mit starkem Gestaltungswillen gibt. Wenn sie das haben, sind sie die Change Agents für Innovationen. Bestehendes können wir unmöglich so weitermachen. Ich möchte, dass die Designer nicht nur Verhübscher sind, sondern ihre Chance erkennen, wirklich gesellschaftlich relevant sein zu können.

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Alexander Bretz ist seit über 15 Jahren Rechtsanwalt in Berlin und mit seiner DesignLawForce® spezialisiert auf die Beratung und Betreuung von Designerinnen und Designern – weit über Rechts­ fragen hinaus bis in Unternehmensführung und -planung und ­Controlling. Besonderen Schwerpunkt legt er dabei auf Gründerinnen und Gründer, weswegen ihn die Zeitung Die Welt zum Paten der ­jungen Kreativen ernannte. Er ist Co-Autor der in dieser Reihe erschienenen Bücher Designbusiness gründen und entwickeln und Designrechte schützen und managen.

Interview mit ­Alexander Bretz, Rechtsanwalt, Berlin (D)

Wie sehen Sie die Zukunft der ­Designberufe? Design ist ein Kind der Industrialisierung und in der klassischen Definition die Gestaltung industriell herzustellender Produkte. Das heißt: Design ohne Industrie geht nicht. Also hängt die Zukunft der Designberufe ganz eng mit der Zukunft der Industrie zusammen – eine schöne Einladung an alle Designerinnen, die Zukunft der Industrie aktiv mitzugestalten. Die große Chance ist dabei, dass Designerinnen dazu ausgebildet sind, über Grenzen hinweg zu ­denken. Das werden wir alle noch gut gebrauchen können. Welche Bedeutung hat für Sie der Begriff Nachhaltigkeit im Design? Das ist doch eigentlich nur alter Wein in neuen Schläuchen. Eine wirklich gute Designerin hat schon immer über den Tassenrand geschaut und sich mit den schädlichen oder nützlichen Wirkungen ihres Tuns und ihrer Entwürfe beschäftigt. Richtig gut sind eben nur Leute, die den großen Überblick behalten und sich nicht zu sehr ins Detail vertiefen (was eine typisch deutsche Krankheit ist). Und was bitte ist denn nachhaltig? Nehmen wir das Beispiel meiner beiden Bürostühle. In meinem Hamburger Büro sitze ich auf dem Bürostuhl Picto von Wilkhahn. Diesen Stuhl entwickelte Hans Roericht 1991. Er entsprach bereits damals allen Anforderungen, die heute von den Anhängern der Nachhaltigkeit postuliert werden. Und er war äußerst preiswert für einen qualitativ so hochwertigen Bürostuhl. Aber 2010 hat Wilkhahn den Stuhl aus dem Programm genommen – bestimmt nicht, weil er sich so gut verkauft. In Berlin sitze ich dagegen auf einem Soft Pad von Eames für Vitra. Der Entwurf ist sehr viel älter – und bei weitem nicht so öko­ logisch wie der Picto. Aber er ist eigentlich unkaputtbar und von ­seiner ästhetischen Qualität unbestritten zeitlos. Deswegen hat er auch einen hohen Wiederverkaufswert und wird niemals aus der Mode kommen. Welcher ist aber nun der nach­hal­tigere von beiden? 269

Ich weiß es wirklich nicht. Wahrscheinlich frag ich da am besten mal eine Designerin … Ich persönlich glaube aber, dass die Ansätze von Michael Braungart (Cradle to Cradle) oder Tim Jackson (Prosperity Without Growth) die erfolg­versprechends­ten sind. Welche ­Aus­wirkungen hat die Globalisierung für das Design und die Designer? Globalisierung ist auch so ein dummes Wort. Denn wir waren und sind ja immer schon globalisiert. Allerdings haben das offensichtlich einige Leute noch nicht so ganz verstanden. Es kommt also darauf an zu verstehen: Dass man in einer Welt lebt, in der es außer den paar völlig überflüssigen Staaten und deren willkürlich gezogenen Grenzen nur Übergänge gibt, ansonsten aber nur eine ganze Welt. Ich glaube aber, dass das guten Designerinnen ohnehin schon bewusst ist. Viel wichtiger als die jeweils aktuellen Leerbegriffe wie Nachhaltigkeit und Globalisierung ist, dass es im Kern immer um die soziale Frage geht und gehen wird: In dem Maße, in dem wir Ungleichheit und soziale Unterschiede ausgleichen, lösen wir zugleich alle anderen Probleme. Nicht nachhaltige Produkte sind vor allem auch unsozial gegenüber nachfolgenden Generationen. Und sie werden meist unter Verbrauch von Ressourcen hergestellt, auf die andere Menschen schon jetzt dringend angewiesen wären. Und das nur, damit einige Wenige damit mehr Geld verdienen als sie brauchen. Was muss die ­Designausbildung zukünftig leisten, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden? Sie sollte den angehenden Designerinnen ehrlich sagen, dass sie nach ihrem Abschluss nur ein Bruchteil dessen gelernt haben, was sie für ein erfolgreiches Berufsleben brauchen. Also bitte bloß nicht die ganze Designausbildung umkrempeln – hier gibt es hervor­ ragende und wichtige Inhalte, die unverzichtbar sind. Und natürlich ist eine gute handwerkliche Ausbildung das Herzstück dessen, was eine Designerin später tut. Nur ist es eben (leider) noch lange nicht alles, was eine Designerin später braucht. Was würden Sie gerne aus der ­Vergangenheit des Designs in die Zukunft retten? Vor allem anderen den Grundsatz: Less is More. Weg mit all dem Deko-Mist – das ist dann schon mal ein guter Schritt in Richtung auf Nutzenmehrung, Lebensverlängerung und Müllvermeidung, von mir aus auch Nachhaltigkeit und Globalisierung. Und vielleicht die 270

Modemessen nur noch einmal im Jahr und die Möbelmessen nur noch alle paar Jahre. Was glauben Sie, haben Designer in der Vergangenheit falsch gemacht? Da ich Designerinnen und Designer äußerst gerne mag, kann ich da so viel Falsches nicht entdecken. Und ich glaube, niemand sollte sich zu viel von anderen vorschreiben oder empfehlen lassen. Die Zeit arbeitet ohnehin für die Designerinnen, weil es in Firmen immer mehr auf Design ankommt. Firmen, die das nicht verstehen, sind heute schnell aus dem Markt – was dann aber auch kein großer Verlust ist. Welche zusätzlichen Kompetenzen braucht ein Designer, um den ­professionellen Anforderungen gerecht werden zu können? Untersuchungen zeigen immer wieder, dass höchstens etwa 15 Prozent der gesamten aufgewendeten Arbeitszeit von Designerinnen auf Tätigkeiten entfallen, die im weitesten Sinn irgendetwas mit Gestaltung zu tun haben. Auf alles andere – Verwaltung, Akquise, Finanzierung, Verhandlungen, Controlling, Netzwerken etc. – sollte sich eine Designerin also zumindest ein klein wenig vorbereiten. Je früher und je mehr, desto besser.

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Dr. Hajo Eickhoff lebt in Berlin als Kulturhistoriker, Berater und Ausstellungsmacher, ist Autor von Himmelsthron und Schaukelstuhl; Die Geschichte des Sitzens; Form:Ethik (mit Jan Teunen); Essenz der Zukunft. Außerdem schreibt er Texte zur Kunst, Kultur, Literatur und zum inneren Design des Menschen.

Interview mit Dr. Hajo Eickhoff, Philosoph, Berlin (D)

Wie sehen Sie die Zukunft der ­Designberufe? Die Zukunft gehört der Oikologie – auch im Design. Der Mensch ist der Produzent der Dinge. Er stellt sie her, indem er der Erde Material – Naturstoff – entnimmt und ihm Form, Funktion und Bedeutung gibt. Da ein Ding nur ein Ding ist, insofern es vom Menschen gestaltet ist, ist jedes Ding ein Stück Design. Daher, dass Designer die Dinge berufsmäßig gestalten, hat ihre Arbeit eine große soziale, wirtschaftliche, politische und ästhetische Bedeutung. Zukünftig werden Designer stärker interdisziplinär arbeiten. Sie werden auch Teamarbeiter an der Schnittstelle sein von gestal­ terischer, planender, beratender und Qualität und Nachhaltigkeit kontrollierender Tätigkeiten. Design wird nicht länger als bloße Zutat zu einem Produkt angesehen, sondern als wesentliches Produkt­ element. Zugleich aber wandelt sich die Orientierung auf das Produkt hin zum System der Produkte. Deshalb werden in Zukunft viele Designer den Prozess von der Produktidee und Produktplanung über die ­Entwicklung bis hin zur Gestaltung, Realisierung und Vermarktung durchschreiten. Designer begreifen sich zukünftig bewusster als Unternehmer und benötigen dazu ein Wissen über Unternehmensführung, ­Nachhaltigkeit, Sozialität und Wirtschaftlichkeit. Als Haushalten im Rahmen des Gesamthaushaltes Erde – Oikos – wird das Wirtschaften zur Oikologie und Design zum Oiko-Design – zu einem Gesamtkonzept aus Schönheit und guter Qualität, aus Langlebigkeit, angemessenem Material und sinnvollem Nutzen. Man kann es auch Bio-Design nennen, wenn die Natur die Produkte zurücknimmt. Damit kommende Generationen über eine angemessene Umwelt verfügen, müssen Designer immer auch für die Zukunft gestalten. Welche ­Auswirkungen hat die Globalisierung auf das Design und die Designer? Die Globalisierung ist so alt wie der Mensch. Menschen sind lern­ fähig, haben Gedächtnis und geben ihr Können und Wissen an Nachkommen und andere Kulturen weiter. So konnte sich im Laufe einer Jahrtausende währenden Entwicklung Wissen und Können 273

erweitern und die Produktivität enorm erhöhen, sodass sich die moderne High-Tech-Welt entwickeln konnte und die Weltbevölkerung so stark anwuchs, dass der Konsum das Haus Erde gefährdet. Das Haus ist groß, doch Energie und Biomasse sind begrenzt, weshalb die Menschen gezwungen sind, mit ihrer Lebensgrundlage, der Erde, sorgsam und nachhaltig umzugehen. Jedes Produkt stellt eine Handlungsanweisung dar. Deshalb kommt Designern in der Zeit fortgeschrittener Globalisierung eine bedeutende Rolle zu, denn durch ihre Gestaltung können sie gesellschaftliche Entwicklung mitsteuern. Da jedes Produkt auch die Umwelt beeinflusst, bestimmen Designer mit, wie die eigene Umwelt aussieht und übernehmen so auch Verantwortung für die Zukunft. Was muss die ­Designausbildung zukünftig leisten, um den geänderten Anforderungen gerecht zu werden? Zukünftig sind Designer in gleicher Weise Spezialisten wie Gene­ra­ listen – was auch für andere qualifizierte Berufe gilt. Designer werden nach wie vor ihren persönlichen Stil ausbilden, zukünftig aber stärker als bisher interdisziplinär arbeiten. Sie werden als Teamarbeiter in der Lage sein, die Entwicklung und Gestaltung von Produkten und Projekten zu begleiten, zu beurteilen und zu lancieren mit einem kritischen Blick auf Qualität, Gestaltung und Materialität, auf Nutzen, Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit. Das Studium des Designs muss den Studierenden künstlerische Freiräume schaffen – ohne Unterordnung unter die Kriterien der Effizienz –, symbolische Räume bewahren. Die Ausbildung wird auch der Erkenntnis gerecht werden müssen, dass neue Unterscheidungen wichtig geworden sind – einer­ seits das Konzipieren einer Gestaltung, andererseits die Realisierung dieser Gestaltungskonzeption. Was würden Sie gerne aus der ­Vergangenheit des Designs in die Zukunft retten? Die Unvoreingenommenheit, mit der viele Designer gegen Trends die Welt gestaltet haben; ihre Liebe zum Detail, die herausragende Formen und Produkte entstehen ließ; die Weitsicht, mit der sie ihre Umwelt mit Bedacht auf ein Morgen gestaltet haben; das Gespür, dass Designer bewogen hat, die Produktorientiertheit zugunsten eines systemorientierten Designs aufzugeben durch das Gestalten eines regen Zusammenspiels von Funktion und Schönheit, von angemessener Materialität, schonendem Umgang mit der Natur und einer individuellen Formensprache; die Bereitschaft kommu­ nikationsfreudiger Designer zu Teamarbeit und Vernetzung; und 274

nicht zuletzt die Freude am Gestalten, die den Formen und ­ rodukten zugute kam und viele Menschen berührt hat. P Welchen Rat würden Sie einem angehenden Designer für die Zukunft geben? Nie zu vergessen, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die er mit ­Leidenschaft macht. Also Freude und Humor immer auch als ­Werkzeuge des Gestaltens anzusehen. Dem inneren Design nachzuspüren. Dem, was den Menschen jeweils als Potenzial zur Verfügung steht. Das innere Design ist eine innere Struktur des Menschen, die immer dann, wenn er etwas ­herstellt und zum Ausdruck bringt, aktiv ist. Produkte dieses inneren Designs sind Design. Da Designer von Berufs wegen und mit Verstand und Intuition gestalten, sollten sie ihr inneres Design kennen. Denn bevor sie gestalten, sind ihr Denken, Handeln und Fühlen von anderen geprägt – von Eltern, Lehrern und dem sozialen Umfeld. Dieser Prägung müssen sie selbstkritisch nachspüren, um die Sinne zu schärfen, das Vorurteilen in ein Urteilen zu wandeln, das Maß an Freiheit und Selbständigkeit zu vergrößern und Authentizität zu gewinnen. Sich immer an der Qualität zu orientieren. Denn gutes Design regt Sinne, Denken und Fühlen an und motiviert den Menschen. Qualität und inneres Design sind eng verbunden. Je besser ­Designer sich kennen und den Sinnen auf der Spur bleiben, desto genauer können sie durch ihre ausgebildeten Sinne Qualität ­bewerten und infolge des Zusammenwirkens der Sinne Produkte in einem Gesamtkonzept begreifen. Welche zusätzlichen Kompetenzen braucht ein ­Designer? Der Beruf des Designers ist eingebettet in gesellschaftliche Zusammenhänge, woraus hervorgeht, dass Design nicht die verspielte, beliebige und nachträgliche Zutat zu einem Produkt ist, sondern eines seiner wesentlichen Merkmale. Designer sind Spezialisten, die in einem Bereich wie Mode, Industrie oder Medien arbeiten und speziellen Gestaltungsarbeiten nachgehen. Heute sollten sie auch in der Lage sein, interdisziplinär zu arbeiten – etwa die Fähigkeit haben, den Prozess eines Produkts planend, beratend, gestaltend und kontrollierend von der Idee bis zur Realisierung zu durchmessen. So wie Verkäufer nicht in erster Linie Verkäufer, Architekten nicht Architekten und Designer nicht Designer sind, sondern Menschen, die am Weltgeschehen teilhaben, benötigen Designer ein Wissen über den Zustand ihrer natürlichen und sozialen Umwelt, 275

um ihre Arbeit im Rahmen einer Gemeinschaft – idealerweise im Rahmen einer Weltgemeinschaft – ausführen zu können. Designer müssen keine Hüter des Grals sein, sie dürfen aber Hüter des Naturstoffs, der guten Form, der Qualität und einer Verantwortung für die Weltgemeinschaft sein. Indem sie daran mit­ wirken, dass sich Naturstoff, Gestaltung, Funktion und Qualität im Produkt zu einer Einheit, zu einer Logik oder auch zu einem Aufbruch, einer Bewegung fügen, geben sie eine Antwort auf die prekäre Weltlage von Überbevölkerung, Armut und Umweltzerstörung.

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Severin Filek ist Geschäftsführer von designaustria, dem österrei­ chischen Wissenszentrum und der Interessenvertretung für Design sowie Mitbegründer des designforum in Wien.

Interview mit Mag. Severin Filek, designaustria, Wien (A)

Wie sehen Sie die Zukunft der ­Designberufe? Kernaufgabe jeder Designfunktion ist letztlich das Optimieren von Prozessen – bei der Produktentwicklung, aber auch bei der Realisierung kundenorientierter Service-, Informations-, Kommuni­ kations- und Marketingkonzepte. Designer fungieren dabei als verbindende Kraft zwischen Technik, Kommunikation, Marketing, Verkauf und dem Kunden. Design spielt eine immer wichtigere Rolle für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft; Design­ förderung – mit Betonung auf Design- und nicht auf Designer­ förderung – muss daher integrativer Bestandteil von Innovations­ politik sein. Die Zukunft der Designberufe entwickelt sich daher immer mehr zu einer beratenden Funktion mit starker Tendenz zu Interdiszi­pli­na­ rität. Eine Umfrage 2009 in Österreich ergab, dass knapp zwei Drittel der befragten Designer interdisziplinär agieren und sich immer mehr als Unternehmer denn als Freiberufler oder ­Künstler verstehen. Wie wird sich die Arbeitswelt des ­Designers verändern? Design ist überall. So gut wie alle Objekte, die uns täglich umgeben, sind Produkte eines Gestaltungs-, eines Designprozesses. Dies gilt auch für gestaltete Information und Kommunikation. Die Möglichkeiten, zu gestalten, Information, Kommunikation, Räume und Objekte zu entwerfen und zu produzieren, sind in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten durch technische Innovationen sprunghaft angestiegen. Damit einhergehend haben sich aber auch die Ansprüche an die Designer verändert: vom Designer zum Kon­ sulenten und Konzeptionisten. Der professionelle Designer als Konsulent und Konzeptionist spielt dabei eine wichtige Rolle als Vermittler von hoch entwickelter Benutzertechnologie und ihren Werkzeugen, auch in Bereichen, die normalerweise nicht mit Design in Zusammenhang gebracht werden. Design ist eine große und erfolgreiche Dienstleistungs­ industrie, und der Designer muss hierbei immer mehr die unterschiedlichsten Aspekte berücksichtigen, wie z. B. gesellschaftliche und soziale Aspekte, soziale Strukturen und Werteverschiebungen, aber auch Gewohnheiten, Produktdifferenzierung, Sicherheit und Benutzerfreundlichkeit. 277

Was muss die ­Designausbildung zukünftig leisten, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden? Design wird immer mehr zur Querschnittsmaterie. Alte Strukturen geben da nicht mehr die nötigen Antworten. Größtes Augenmerk sollte auf wirtschaftliche Aspekte gelegt werden, denn die kreativen, visionären Aspekte werden von der auftraggebenden Seite als vorhandene Basis-Skills vorausgesetzt. Es gilt, auf dem globalen Markt wettbewerbsfähig zu bleiben, die Innovationskapazität auch in der Ausbildung der auftraggebenden Seite und den Innovationsoutput laufend zu steigern, vor allem im Bereich der Klein- und Mittelbetriebe. Dabei muss man gleichzeitig die Notwendigkeit wirtschaftlicher, sozialer und öko­ logischer Nachhaltigkeit im Auge behalten. Die Entwicklung interdisziplinärer Lehrpläne wie z. B. Design und Technik, Design und Sozialwissenschaften, Design und Medizin wäre sinnvoll. Die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Aus- und Weiterbildung sollte zu einer Beseitigung von Barrieren und damit zu einer effizienteren Nutzung von Design als Innovationsinstrumentarium dienen. An den meisten Designausbildungsstätten fehlt eine Vor­ bereitung für den Markt; das diesbezügliche Rüstzeug muss nach wie vor mühevoll erarbeitet und recherchiert werden. Daher sind für die Designausbildung Grundlagen der Unternehmensführung, ­Kalkulation und Vertragsrecht, Argumentationstechnik, Verhandlungsführung und Themen der Zusammenarbeit mit Kunden ein absolut zu verbesserndes Muss! Welchen Rat würden Sie einem angehenden Designer für die Zukunft geben? Design ist ein grundlegender Bestandteil in unserer Informations-, Wissens- und Kommunikationsgesellschaft, in der Service- und ­Produktentwicklung, in Dienstleistung und Produktion. Design ist auch ein ausgleichendes Moment in der Wechselbeziehung zu gesellschafts- und umweltpolitischen Fragen. Laut einer Umfrage in Europa hinsichtlich der Potenziale von Design wird als Haupthindernis das mangelnde Bewusstsein und  Wissen unter Entscheidungsträgern genannt, gefolgt von ­mangelndem Wissen und unzureichenden Messinstrumenten hinsichtlich der ­Bewertung des Rücklaufs von Designinvestitionen sowie das mangelnde Bewusstsein und Wissen hinsichtlich der Potenziale von Design unter möglichen Auftraggebern wie privaten und öffentlichen Organisationen. 278

Die Zukunft für angehende Designer sieht äußerst positiv aus, sofern es ihnen gelingt, den eigenen USP deutlich herauszuarbeiten, sich ein möglichst breites Wissen anzueignen, sich von Anfang an möglichst professionell aufzustellen und sich als gleichberechtigter Partner – als qualifizierter Konsulent und visionärer Konzep­ tionist – zu positionieren. Der professionelle Designer als Konsulent und Konzeptionist spielt eine wichtige Rolle als Vermittler von hoch entwickelter Benutzertechnologie und ihren Werkzeugen, auch in Bereichen, die normalerweise nicht mit Design in Zusammenhang gebracht werden. Design ist eine große, erfolgreiche und zukunftsorientierte Dienstleistungsindustrie. Welche zusätzlichen Kompetenzen braucht ein Designer, um den professionellen Anforderungen gerecht werden zu können? Beratung und Überzeugungskraft werden immer wichtiger. ­Beratende Skills, breites Wissen, unternehmerische Kompetenzen, Argumentations- und Verkaufstraining und Teamführung sind nicht mehr wegzudenken; eine fast schon Allroundbegabung wird benötigt. Dazu Kenntnisse über Material und Technik, über gesellschaftliche und soziale Aspekte, über Konsumenten und Benutzer, über Marketing und Produktdifferenzierung, über Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung, aber auch über menschliche Gewohnheiten und Bedürfnisse wie Emotion, Sicherheit und Benutzerfreundlichkeit. All das und noch mehr gehört zu einem erfolgreichen Innovationsprozess. Der Designer fungiert dabei als Begleiter von der Idee bis zur Umsetzung. Kreativität und visionäres Denken werden voraus­ge­ setzt. Immer mehr wird man sich der Bedeutung von Design als Wettbewerbsfaktor und damit als Schlüssel zu Wachstum und neuen Märkten bewusst. Die klassische Wirtschaft verstärkt in diesen Innovationsprozess einzubinden und von den Wettbewerbsvorteilen durch die rechtzeitige und ständige(!) Einbeziehung von Design zu überzeugen, ist eine der Aufgaben, die die politisch Verantwortlichen, aber auch Organisationen wie designaustria und andere Beratungsstellen fordern. designaustria – Wissenszentrum und seit 1927 Interessenvertretung in Österreich – ist Nahtstelle zwischen der klassischen und der Designwirtschaft, vernetzt und hat zum Ziel, das Designbewusstsein in Gesellschaft und Wirtschaft zu entwickeln, den Nutzen von Design zu verbreiten, Unternehmen dazu zu ­befähigen, Design einzusetzen, anzuwenden und beurteilen zu ­können und den Professionalisierungsgrad zu steigern. 279

Innovatives, funktionelles, unverwechselbares und anwendungsorientiertes Design ist der Erfolgsfaktor für Unternehmen. Und gerade jene sind im globalen Wettbewerb erfolgreich, die sich mit neuen Gestaltungsideen und Produktentwicklungen auf dem Markt positionieren: mit verbesserten Services, strategischer Ausrichtung und innovativen Produkten, die sich durch technisches Know-how, Anwenderfreundlichkeit und ökologische Ausrichtung auszeichnen und Kriterien wie soziale Verantwortung und Ressourcenschonung berücksichtigen – ein breites Feld für neue, erfolgversprechende Innovationen.

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Pete Kercher ist deutscher Brite und ausgebildeter Jurist, heute europaweit aktiver und anerkannter Designdenker, Designberater und Designstratege. Von 1988 bis 1994 war er Generalsekretär des BEDA – Büro der Europäischen Designerverbände und seit 1993 ­Mitbegründer und langjähriger Präsident und heutiger Botschafter des EIDD Design for All.

Interview mit Pete Kercher, Jurist und Designdenker, Vassena (I)

Wie sehen Sie die Zukunft der ­Designberufe? Schauen Sie mal aus dem Fenster: Sehen Sie, wie die Welt nach ­besserem Design verlangt? Nach besserem Umfeld, besseren Produkten, besserer Kommunikation, selbstverständlich – aber auch nach besseren Systemen, all dies zusammenzuhalten. Viel zu viele der tausende von Designern, die jedes Jahr die Hochschulen verlassen, möchten der kommende Stardesigner für Stühle oder Schriften ­werden, aber wir kratzen nur an der Oberfläche der Herausforderungen, die an Design gestellt werden: Unsere ganze Welt muss für uns Menschen mit all unseren schrulligen Eigenarten passend neu gestaltet werden. Die Designer von morgen werden nicht nur bewusste Dirigenten multidisziplinärer Orchester sein, sie werden auch beständig ihr Publikum beraten und daran beteiligen, Auf­ gabenstellungen für das Design zu definieren für jede Herausforderung, denen sie sich stellen müssen. Als Selbstständige werden sie mit involviert sein und dabei helfen, den gesamten Prozess der ­Aufgabenstellung vom Anbeginn zu leiten. Als Angestellte werden sie auf der Führungsebene Positionen einnehmen, die heute noch von vielen Ingenieuren besetzt sind, und innovative Entscheidungsfindungsprozesse bearbeiten, die zu kreativen Lösungen führen. Welche Bedeutung hat für Sie der Begriff Nachhaltigkeit im Design? Lassen Sie mich die Frage rumdrehen: Welche Zukunft glauben Sie, wird es für einen Designer oder Unternehmer geben, der ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit nicht in Einklang bringt? Ich denke, die Antwort wird etwa sein: Nicht rosig, es sei denn, er oder sie gehört zu der verschwindend kleinen Minderheit, die über eine derart herausragende Stellung verfügt, die es seinem oder ihrem Ego erlaubt, die Realität zu ignorieren. So wichtig ist Nachhaltigkeit: Es ist keine Option, sondern eine Obligation. Und beachten Sie bitte das 3-Säulen-Prinzip: Grün allein reicht nicht. Wenn ein Produkt im Markt so teuer wird, dass man es sich nicht mehr leisten kann, ist es überflüssig und damit per Definition Anti-Ökologisch. Und wenn es sowohl grün als auch preiswert ist, aber nicht nutzerfreundlich (manchmal nur ein schlechtes Inter281

face, manchmal sogar richtig gefährlich), dann wird es nicht benutzt werden, dann ist alleine die Herstellung nicht nachhaltig. Wirkliche Nachhaltigkeit gibt es nicht ohne den Ansatz Design für Alle, um ­dieser vital nötigen dritte Säule zu entsprechen. Was, glauben Sie, haben Designer in der Vergangenheit falsch gemacht? Meine Bücherregale sind voll mit Geschichtsbüchern: Von unserer eigenen Vergangenheit und der von Anderen kann man immer viel lernen – und durch den Vergleich der unterschiedlichen Blickwinkel anderer Bevölkerungsgruppen auf die gleiche Vergangenheit und den daraus resultierenden unterschiedlichen Reaktionen. Meine Faszination für die Vergangenheit hat mich gelehrt, dass es nicht oft hilfreich ist, nach Kriterien wie Erfolg oder Fehler zu urteilen: Dies sind wertvolle Beurteilungen, die wir mit der Weisheit der nachträglichen Erfahrung machen können, sie zeigen sich aber selten so ­kristallklar denen, die in dieser jeweiligen Zeit leben. Ich denke, es ist nicht konstruktiv, über Fehler der Vergangenheit seitens der Designer zu reden. Wie alle Anderen haben auch die Designer in einem sozio-ökonomischen Kontext ihrer Zeit und ihres Umfeldes gearbeitet. Die alleinige Tatsache, dass ich es heute vorziehe, Dinge anders zu tun, macht die Praxis von Gestern nicht zu einem Fehler. Was aber würden Sie vor allem verändern wollen? Vor allem eins: Bitte, lasst uns diese Macke des Problemlösens ­vergessen. Das Konzept Problem impliziert, dass wir von einer negativen Grundvoraussetzung ausgehen: Erkennen wir eine Aufgabe nur dann, wenn etwas falsch ist, was wir richtig machen müssen? Ich zöge es vor, stattdessen von Behandlung von Herausforderungen zu reden. Warum? Weil Designer grundsätzlich von einer positiven Geisteshaltung ausgehen sollten. Eine Herausforderung ist etwas Aufregendes: eine positive Anregung, kreativ zu werden. Ein Problem tut nur weh, wie Zahnschmerzen, die man verdrängen oder mit Medikamenten abtöten möchte. Welchen Rat würden Sie einem angehenden Designer für die Zukunft geben? Lerne zuzuhören: Egal, was man dir alles in der Ausbildung bei­ gebracht hat, du bist doch kein Gott. Du kannst nicht alles wissen. Du bist nicht ein Experte, der ein magisches Band über das Leben der Leute webt. Betrachte Menschen als Individuen, nicht als ­statistische Größe, so unterschiedlich von anthropometrischen Standards wie sich wirkliche Bäume von Bölls verhassten Architek282

tenbäumen unterscheiden. Menschen sind der einzige Grund, warum man dich überhaupt bittet, irgendetwas zu entwerfen. Also lerne, deren Wissen zu respektieren, ihre Erfahrung, ihre Bedürfnisse und Anforderungen, ihre Erwartungen und Träume. Wenn du lernst, wie man ihnen zuhört, wirst du mehr von ihnen lernen als von allen Theoriebüchern. Beschränke dich dabei nicht auf den Endnutzer: Höre auf jeden, der über den Raum, das Produkt oder das System, für den oder das du entwirfst, irgendetwas Nützliches zu sagen hat. Lerne Geduld: Die Leute werden dir nicht unbedingt ihre innersten Gedanken in zehnminütigen Zielgruppeninterviews preisgeben. Geh nochmal zurück, wiederhole den Vorgang, baue Vertrauen auf. Es wird Zeiten geben, wenn ein plötzlicher genialer Einfall die Lösung hervorzubringen scheint, aber dieser basiert immer auf menschlicher Erfahrung. Lerne, über den Tellerrand zu schauen: Wenn man dich bittet, dich mit einer bestimmten Situation auseinanderzusetzen, dann vielleicht aus dem Grund, weil der Auftrag­ geber so lange darauf gestarrt hat, dass er sie selbst nicht mehr sieht. Mach einen Schritt zurück, hole tief Luft, wirf das Problem mental weg und betrachte nur die Herausforderung. Irgendwo über jenen Tellerrand gibt es für alles eine Lösung. Das Wort unmöglich gehört nicht ins Vokabular eines Designers. Welche Bedeutung messen Sie der ­beratenden und ­planenden Tätigkeit des Designers bei, gegenüber der operativen (entwerfenden/ gestaltenden)? Operative Ausführung ist eine handwerkliche Fähigkeit, die zum Aufgabenbereich eines Designers ebenso dazugehört wie das Styling zum Gesamtkonzept eines Designprojektes. Louis Sullivan war es, der Design als eine Kombination von Form und Funktion beschrieb: Styling ist nur die Form, die die Funktion vervollständigt. Ebenso ist operative Ausführung nur die letzte Phase eines weit komplexeren Design-Prozesses. Dieser Prozess beginnt, wenn sich die Aufgabenstellung herausbildet. Ein Auftraggeber, der einen Designer erst zu einem späteren Zeitpunkt dazubittet, hat völlig missverstanden, was der Designer für ihn tun kann. Damit vergeudet er sowohl sein eigenes Geld als auch die Fähigkeiten des Designers. Bei richtiger Vorgehensweise liefert Beratung (in Zusammenarbeit mit Nutzern – die ich als alle definiere, die im Lebenszyklus eines Produktes, im Entscheidungsprozess, in der Ideenfindung, im Engineering, in der Programmierung, der Produktion, der Evaluation, der Veränderung und der Rückkehr zum Ausgangspunkt irgendwie involviert sind) wertvolle Erkenntnisse, die erst die Vorschläge des Designers 283

in eine Win-Win Situation überführen: durch Einsparung von Geld, menschlichen und materiellen Ressourcen, durch Sicherung der Recyclingfähigkeit, durch die Perfektion des bestmöglichen Gebrauchs der verfügbaren Technologien oder die Entwicklung neuer Spitzentechnologien. Beratung sichert, dass das Produkt wirklich die Erfordernisse, Bedürfnisse und Erwartungen des ­Zielmarktes erfüllt und vor Überraschungen schützt, da Menschen nun mal die ständige und mitunter irritierende Angewohnheit haben, unvorhersehbar zu reagieren.

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Aaris Sherin ist Dozentin für Graphikdesign an der St. John’s ­University. Sie ist Autorin des Buches Grafikdesign – nachhaltig: Ein Handbuch über Materialien und Herstellungsverfahren für Grafikdesigner und deren Kunden und des demnächst erscheinenden Buches Design Elements: Color Fundamentals. Ihre Schriften wurden in zahlreichen internationalen Veröffentlichungen vorgestellt.

Interview mit Aaris Sherin, Designdozentin, New York (USA)

Wie sehen Sie die Zukunft der ­Designberufe? In seiner komplexen Geschichte hat Design vielen Herren gedient, oft gleichzeitig. Design ist ein Vermittler zwischen Kunde und ­Produzent und zwischen Rohstoff und Hersteller. Manche denken, die Rolle des Designers ist die eines Stylisten oder die, Inhalte ­verständlich und leicht zugänglich zu machen. Andere sehen den Designer in einer komplizierten Rolle als der eines Problemlösers und Mitarbeiters für Handel, Non-Profits, Unterhaltung und die Regierung. In Wirklichkeit ist Design alles davon und noch viel mehr. Die Rolle, die der Designer in der Gesellschaft spielt, ist ­vielseitig. Dies anzuerkennen, wird wichtiger angesichts der Heraus­forde­rungen, die durch den Massenkonsum hervorgebracht wurden. Der Designer ist in einer einzigartigen Lage, da seine Fähigkeiten nicht nur den Veränderungen entsprechen, die wir in unserer Gesellschaft derzeit sehen, sondern auch darin, dass er daran teilhat und anfängt, uns in eine bessere Zukunft zu bewegen. Welche Bedeutung hat für Sie der Begriff Nachhaltigkeit im Design? Nachhaltigkeit ist hier, um zu bleiben. Sie gewinnt an Kraft auf ­politischer Ebene ebenso wie in Basisorganisationen. Da der Planet immer mehr bevölkert wird und wir die natürlichen und vom Menschen geschaffenen Ressourcen überbeanspruchen, wird Nachhaltigkeit für alle Völker und nicht nur für die reichen Nationen eine Priorität darstellen. Westliche Länder haben am meisten von industriellen und postindustriellen Entwicklungen profitiert. Seit mehr als einem Jahrhundert führen wir diese Entwicklungen an und nun haben wir die Gelegenheit, in der ersten Reihe einer Entwicklung zu stehen und die negativen Auswirkungen zu reduzieren und ­umzukehren, die die industrielle Entwicklung an Umwelt und ­Sozialsystemen verursacht hat. Man verlangt von Designern bereits jetzt Grundlagenverständnis in Verfahrensoptimierung und verantwortlicher Produktionswahl. Auf lange Sicht wird die Bedeutung von nachhaltigem Design jedoch mehr im Denken und in der Problemlösung liegen als in Material und Produktion. Damit nachhaltige Produkte und Dienstleis­tungen 285

sich im globalen Markt durchsetzen können, brauchen wir spektakuläre Darstellungen und Informationssysteme, um deren Nutzen zu erklären und zu fördern. Partnerschaften mit Designern aus anderen Fachgebieten ­bieten die Möglichkeit, Katalysatoren für Veränderungen in unterschiedlichen designbezogenen Gebieten zu sein. Letztendlich ­werden es Zusammenarbeit und Problemlösungen im Design sein, die in der Lage sein werden, die stabilsten und bedeutungsvollsten Lösungen hervorzubringen, um den Notwendigkeiten des Planeten und den angesprochenen Zielgruppen zu entsprechen. Welche ­Aus­wirkungen hat die Globalisierung für das Design und die Designer? Globalisierung macht den Planeten kleiner und flacher. Ver­ bindungen zwischen Menschen, Regierungen und Organisationen haben weniger mit physischer Nähe als mit gemeinsamen Zielen und Überzeugungen zu tun. Eine klarere, besser gestaltete Welt hilft sowohl den reicheren als auch den ärmeren Völkern. Ob wir bessere Erfahrungen für Betrachter gestalten oder Grundlagen schaffen, die den Bürgern helfen, Veränderungen zu organisieren und zu fördern – wir haben die Gelegenheit, neue Kommunikationsformen zu nutzen, um die Arbeit zu fördern, die wir herstellen, Verbindungen zwischen gleich gesinnten Menschen zu schaffen und an Projekten mitzuarbeiten, die der Bevölkerung sowohl in der Nähe als auch in der Ferne dienen. Welchen Rat würden Sie einem angehenden Designer für die Zukunft geben? Habe keine Angst, sowohl deine Werte als auch deine Fähigkeiten als Designer anzubieten. Ein Vorteil, als sozial und umweltbewusst angesehen zu werden, ist, dass sich dadurch Türen zu gleich gesinnten Organisationen öffnen. Unternehmen sind oft eher bereit, mit Designern zusammenzuarbeiten, die ihre Werte teilen. Leidenschaftlich seine Überzeugungen zu vertreten, ist gleichzeitig ein ­hervorragender Weg für einen jungen Designer, sich von seinen Mitbewerbern abzuheben. Da die Menschen immer länger und gesünder leben, wird auch die Zeit länger werden, in der wir erwerbstätig sein werden. Wenn du schon jahrzehntelang arbeiten wirst, dann kannst du es auch gleich an Projekten tun, an die du glaubst und in einer Industrie, die du liebst.

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Welche Bedeutung messen Sie der ­beratenden und ­planenden Tätigkeit des Designers bei, gegenüber der operativen (entwerfenden/ gestaltenden)? Die Vielfalt und Tiefe von visuellen Erzeugnissen, die von Designern geschaffen werden, hat erheblich zugenommen. Egal, ob man nun Motion Graphics gestaltet oder Orientierungssysteme für neue Gebäude – absolut wichtig ist es, dass der Designer als Problemlöser und nicht als einfacher Stylist gesehen wird. Erfolgreiches Design hängt ab von einer Methode, die Planung und Forschung beinhaltet. Junge Designer und Studenten werden beruflich erfolgreicher werden, wenn sie Planung, Schreiben und verbale Präsentationsfähigkeiten zuzüglich zur operationalen Ausführung erlernen. Wenn man den gesamten Design-Prozess meistert, kann man mehr Dienstleis­ tungen anbieten, den Kunden besser bedienen und beständige und bedeutungsvolle Ergebnisse gestalten.

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Michael Söndermann ist Gründer des Büros für Kulturwirtschaftsforschung in Köln. Seit Beginn der Neunzigerjahre beschäftigt er sich mit der Kultur- und Kreativwirtschaft (www.kulturwirtschaft.de) und ist Autor zahlreicher Studien für den Bund, einzelne Länder und Kommunen.

Interview mit Michael Söndermann, Kulturwirtschafts­ forscher, Köln

Wie sehen Sie die Zukunft der ­Designberufe? Ich sehe die Designerberufe nur noch sinnvoll als Akteure einer eigenständigen Branche. Es wird noch immer viel dem InhouseDesigner nachgetrauert, der meist für die oder in der Schlüssel­ industrie (Automobil) tätig war. Ich glaube, dass dies das Bewusstsein der Designer negativ belastet, denn sie verstehen sich dann immer schnell nur als Zulieferer von Branchen. Damit wird man immer nur die dritte Geige spielen können. Außerdem werden Designdienstleistungen noch gigantisch ­weiter wachsen. Weil die Produkt- und Dienstleistungsgestaltungen in vielen Bereichen eigentlich noch am Anfang stehen. Es gibt derzeit noch so viele Güter und Angebote, die gar nicht designed sind, die einfach so gemacht sind, wie es die Produzenten gerade konnten – da ist für Designer ein riesiger Markt. Beispiel: Die Forschung (also mein Bereich). Da ist doch bisher keine designerische Leistung enthalten, jeder Forscher bemüht seine Excel-Ästhetik. Die gesamte Forschung könnte einen Riesensprung nach vorne machen, wenn die Designwirtschaft unsere Forschungen und Ergebnisse noch ­einmal qualifizieren würde, indem sie sie sinnlich klarer und begreifbarer macht. Dafür muss die Designwirtschaft Ideen entwickeln und an die Forschung herantragen. Und ähnlich verhält es sich mit sehr vielen Wirtschaftsbereichen. Wenn die Designwirtschaft neue ­Formate entwickelt, kann sie ganz neue Türen aufstoßen. Welche Bedeutung hat für Sie der Begriff Nachhaltigkeit im Design? Design ist immer mehr im Einsatz für eine rasante wirtschaftliche Veränderung aller Produkte – Design ist in diesem Sog mit drin. Ich würde mir ja gerne nachhaltiges Design wünschen, dann aber auch mit der Entschleunigung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Wie wird sich die Arbeitswelt des ­Designers verändern? Ich glaube, dass die Größentypen Klein-Mittel-Groß für die Designbüros unterschiedlichen strukturelle Bedingungen unterliegen. Ein Kleiner wird eher in einem lokal-regionalen Markt mit einem normalen Qualitätslevel bestehen. Ein Mittlerer muss wohl schon 289

nationale Nischenmärkte erobern und braucht dazu gehobenere Qualitätssiegel. Der Große muss im globalen Markt höchste Qualität liefern. Zentral für alle drei bleibt aber, ein authentisches Produkt auf seinem jeweiligen Qualitätslevel zu schaffen. Oder anders gesagt: Wenn mich der Designer nicht an seine Authentizität binden kann, werde ich kein Kunde bei ihm, sondern wechsle munter. Welche ­Auswirkungen hat die Globalisierung für das Design und die Designer? Wenn man etwas schnell kopieren kann, dann muss man noch schneller sein, um etwas Neues zu kreieren! Globalisierung ist wohl der Kampf zwischen den Europäern/Amerikanern und den Asiaten bzw. BRIC. Es kann sein, dass wir noch einen Ausbildungsvorsprung haben bei der Entwicklung kreativer Denkprozesse – aber die Asiaten werden unweigerlich aufholen, so oder so. Vielleicht muss Design ernsthafte gesellschaftliche Probleme gestalterisch lösen wollen, und nicht immer wie eine Hündin den Produktionsindustrien hinter­herlaufen. Okay, ich bin ein wenig zu emotional. Aber dieses Minderwertigkeitsgedusel der Designer nervt mich. Dass wir auch gesellschaftlich-soziale Probleme zu lösen haben, entgeht den Ästhetisierern. Was würden Sie gerne aus der ­Vergangenheit des Designs in die Zukunft retten? Bodenhaftigkeit zeigen, regionale Verwurzelung offen bekennen, originäre und regional verwurzelte Produkte gestalten. Was, glauben Sie, haben Designer in der Vergangenheit falsch gemacht? Designer haben wirtschaftspolitisch nicht erkannt, dass sie ein eigenständiges Feld sind. Die Designpreis-Kultur wurde zum ­Placebo für Politik und für die Branche. Design hat immer wieder mehr Schein gezeigt als Substanz. Ferner kämpfen die einzelnen Designsparten auch gegenein­ ander. Die Designer der einzelnen Bereiche heben ihren Design­ bereich hervor: Wir sind die eigentlichen Designer! Das machen die Industriedesigner, das machen die Modedesigner, das machen die Kommunikationsdesigner. So entsteht aber keine gemeinsame Identität als große Designwirtschaft. Die Designer müssen diese internen Abgrenzungstendenzen überwinden.

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Welchen Rat würden Sie einem angehenden Designer für die Zukunft geben? Da wir uns alle immer stärker in Projekten bewegen, muss der ­Designer eine glaubhafte Rolle in der Projektwirtschaft finden. Handwerklich gut sein muss er und wahrscheinlich kann er auch der natürliche Netzwerker sein, dem alle anderen Projekt­ akteure folgen würden, wenn er etwas Kompliziertes in einfach gestaltete Formen umsetzen kann. Welche zusätzlichen Kompetenzen braucht ein Designer, um den­ ­professionellen Anforderungen gerecht werden zu können? Die Designer müssen nicht nur das Ergebnis ihrer Arbeit – die Lösung – in den Vordergrund stellen, sondern den Entwicklungsund Gestaltungsprozess vermitteln. Nur so kann auch der Wert ihrer Dienstleistung deutlich werden. Grundlage ihrer Arbeitsweise ist ihre Haltung und Persönlichkeit. Ein Designer braucht also vor allem Kommunikationskompetenz (in eigener Sache). Welche Bedeutung messen Sie der ­beratenden und ­planenden Tätigkeit des Designers bei, gegenüber der operativen (entwerfenden/ gestaltenden)? Designberatung ist als eigenständige Dienstleistung anzubieten – dies bedeutet nicht die kompetente Beratung der Kunden im Laufe eines Projektes, sondern Design als beratende Funktion. ­Vergleichbar mit dem beratenden Ingenieur, der Ingenieurwissen als eigenständige Dienstleistung anbietet.

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Jan Teunen versteht sich als Diener der Diener. Als Cultural Capital Producer betreut er mit seinem Unternehmen in einer umfassenden Art und mit einer übergreifenden Philosophie. Kunden, die sich bewusst sind, dass Wirtschaftskraft zunehmend aus kultureller, moralischer und ästhetischer Kraft entsteht, hilft er dabei, ihre Unternehmen weiter zu kultivieren, indem er sich um all das kümmert, was nicht in der Bilanz steht: die Werte, das Wissen, das Verhalten. Dadurch entstehen neue Kombinationen, die in den Unternehmen zu einem Mehr an Motivation, Kreativität, Produktivität und Gesellschaftsorientierung führen. Zu seinen Kunden gehören u. a. BASF (D), BENE (D), Grohe (D), IKEA (D), Kembo (NL), Messe Frankfurt (D), Nestlé (CH), Räder (D), Tessaro Associates (CH). Seine editorische Tätigkeit hat zu einer Vielzahl von mehrfach preisgekrönten Publikationen geführt wie z. B. Form:Ethik (gemeinsam mit Hajo Eickhoff), Kulturstatements, Ewige Werte, Horizont der Verantwortung, Immaterielle Übungen. Er gehört dem Kuratorium der Hochschule für Kunst und Design, Burg Giebichenstein in Halle/Saale an und hat dort eine Professur für Designmarketing. Jan Teunen ist verheiratet, hat zwei Kinder und zwei Enkel und lebt und arbeitet seit 1977 auf Schloss Johannisberg im Rheingau. Dort befindet sich auch seine umfangreiche Kunstsammlung.

Interview mit Prof. Jan Teunen, Teunen Konzepte, Geisenheim (D)

Wie sehen Sie die Zukunft der ­Designberufe? Diese Frage beantworte ich mit zwei Zitaten. Das erste stammt von IKEA-Gründer Ingvar Kamprad, das zweite von dem großen ­französischen Gestalter Jean Prouvé. Das meiste ist noch nicht getan. Wunderbare Zukunft! Die Gestaltung unserer Umwelt ist das Hauptproblem unserer Epoche, das Schicksal der Menschheit ist von seiner Lösung direkt abhängig. Welche Bedeutung hat für Sie der Begriff Nachhaltigkeit im Design? Es ist die Aufgabe von Designern, Gesellschaft zu gestalten und nicht zu verunstalten. Designer müssen mit allem, was sie tun, die Welt reicher und nicht ärmer machen. Schon sind wir bei der Nachhaltigkeit. Gerade weil Designer von Beruf Gestalter sind, haben sie eine große Verantwortung. Mit der Verwandlung der Natur durch die menschliche Hand begann die Evolution der Gegenstände und mit ihr die Geschichte der Gestaltung im engeren Sinne. Da das der Natur Entnommene dem Bereich der Götter angehörte, musste es sorgsam behandelt werden. Es war dieses sorgfältige Produzieren, Herstellen und Gestalten, welches das der Natur Entnommene in den Rang des Kostbaren erhob. Hierin liegt ein Ursprung aller 293

Gestaltungsethik, da das Schonen des Gegenstandes – das ist seine Schönheit – als Ausgleich für die Verletzung des Naturstoffes durch seine Gestaltung aufgefasst wurde. Gute Designer sehen das auch heute so, und die Ergebnisse ihrer Arbeit sind deswegen Produkte von hoher Qualität. Eine Qualität, die dazu beiträgt, dass Unternehmen, dass Familien mit ihren Häusern sich wieder mit dem Haus Kosmos verbinden. Das ist die Voraussetzung für das Entstehen von Nachhaltigkeit. Weil Designer eine besondere Verantwortung haben, müssen sie dafür Sorge tragen, dass das, was sie schaffen, sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltig ist. Dies wird übrigens zunehmend auch von den Anspruchsgruppen gefordert. Wie wird sich die Arbeitswelt des ­Designers verändern? Die größte Veränderung wird seitens der Gesellschaft kommen. Ihre Mitglieder werden bewusster, kritischer, informierter und fordernder. Die Menschheit steht nämlich vor einem Evolutionssprung, vor einem Bewusstseinssprung, und dieser wird enorme Auswirkungen auf die Arbeitswelt von Designern haben. Jedem, der dies­ bezüglich mehr wissen will, empfehle ich, sich zu beschäftigen mit dem, was Wissenschaftler wie Ervin Laszlo und Dieter Broers über das magische Datum 2012 geschrieben haben. Was muss die ­Designausbildung zukünftig leisten, um den geänderten Anforderungen gerecht zu werden? Die Designausbildung findet an Bildungseinrichtungen statt; wir sagen Akademie, Hochschule und Universität. Universität besteht aus dem lateinischen Wort unus (eins) und versus (gewendet) und bedeutet die zur Einheit gewendete Gesamtheit der Lehrenden und ­Lernenden, und das Universum die zur Einheit gewendete Gesamtheit alles Seienden. Die zukünftige Designausbildung muss eine Drehung zum Ursprung sein, muss also in Zusammenhang sowohl mit den Lehrenden und Lernenden als auch mit allem Sein stattfinden. Das ist mein Ideal von Bildung – nicht die Fragmentierung der Dinge, wie sie heute Gang und Gäbe ist, sondern ihr Zusammenwirken und Zusammenweben zu einem sinnvollen Ganzen, wozu Wissen und Erfahrung ebenso gehören wie Gespür, Qualität und Moral. Was, glauben Sie, haben Designer in der Vergangenheit falsch gemacht? Nicht alle, aber zu viele haben sich vom Marketing vereinnahmen ­lassen, nicht alle, aber viele sahen ihre Arbeit als Job und nicht als Mission. Nicht alle, aber sehr viele haben mit dem Ergebnis ihrer Arbeit Probleme verursacht und keine Lösungen herbeigeführt. 294

Business Week beschrieb den Autor, Redner und Veranstaltungs­ produzenten John Thackara als eine der großen Stimmen der Nachhaltigkeit. Eines seiner dreizehn Bücher ist In The Bubble: Designing In A Complex World (MIT Press). Er ist auch der Autor des weltweit gelesenen Blogs doorsofperception.com über Design für eine restaurative Ökonomie. Als Gründer und Leiter von Doors of Perception (Doors) organisiert er Veranstaltungen auf der ganzen Welt für Städte, die sich eine nachhaltige Zukunft vorstellen und konkrete Schritte in diese Richtung machen wollen. Thackara studierte Philosophie, ist ausgebildeter Journalist und arbeitete als Busfahrer in London bevor er Buchverleger und Herausgeber von Magazinen in London und Sydney wurde. Er war Forschungsleiter am Royal College of Art in London und von 1993–2000 Direktor des Netherlands Design Institute in Amsterdam. Thackara veranstaltete sieben Doors-Kon­ferenzen in Amsterdam und bisher drei in Indien. 2007 war er Programmdirektor von Designs of the time (Dott), der Biennale für ­Soziale Innovation in England. 2008 war er Beauftragter bei Cité du Design, der wichtigsten Design-Biennale in Frankreich. Er ist Mitglied der Young Foundation in London; hat einen Sitz im Beratungsrat des PixelacheFestival in Helsinki und der Pecha Kucha Foun­dation in Tokio; er ist Mitglied der Ständigen Designkommission des britischen Parlaments. John Thackara lebt in Frankreich. (www.thackara.com)

Interview mit John Thackara, Gründer und Leiter von Doors of ­Perception, ­Amsterdam (NL)

Wie sehen Sie die Zukunft der ­Designberufe? Die heutige thermoindustrielle und Biosphären mordende Wachstumswirtschaft um jeden Preis ist ein Auslaufmodell. Ihr Ersatz durch eine restaurative Wirtschaft ist im Entstehen: von unten nach oben, in Millionen von Basisprojekten. Die bekannteren Beispiele haben Namen wie Post-Carbon Cities oder Transition Towns – aber es gibt noch Viele mehr: von Damm-Entfernern zu Saat-Bankern, von iPhone-Doktoren zu Regenwasser-Rettern. Diese weltweiten Sozialinnovatoren sind dabei zu lernen, wie man Werte schaffen kann, ohne natürliche und menschliche Voraussetzungen zu zerstören. Die Zukunft des Designs wird es sein, mit ihnen zu arbeiten. Welche Bedeutung hat für Sie der Begriff Nachhaltigkeit im Design? Ich versuche, Beispiele der realen Welt für Nachhaltigkeit zu finden anstatt sie abstrakt zu definieren. Die restaurative Wirtschaft, die da draußen an den Rändern am Entstehen ist, basiert auf einem einfachen Prinzip: Hinterlasse die Welt besser, als du sie vorgefunden hast. Dies geschieht jedes Mal dann, wenn Leute Nahrungsmittel in 295

den Städten anbauen, Saaten-Banken eröffnen oder Schulhöfe in Gemüsegärten verwandeln. Die Bewegung umfasst auch Menschen, die Ökosysteme und Wassereinzugsgebiete wiederherstellen. Viele in dieser Bewegung recyclen Gebäude in Innen- und Vorstädten, Favelas und Slums. Sogenannte Slack Space Aktivisten arbeiten Seite an Seite mit Computer-Recyclern, Hardware-Bastlern, Büro­ gebäude-Instandsetzern und Trailer-Park Erneuerern. Diese Bewegung findet man auch überall dort, wo Menschen eigene lokale ­Währungen ausgeben. Geldlose Handelsmodelle tauchen plötzlich auf wie verrückt: Neuntausend bei letzter Zählung. In ihrer Version von Grüner Ökonomie tauschen Menschen Zeit statt Geld. Wie wird sich die Arbeitswelt des ­Designers durch das Internet ­verändern? Für mich ist der wichtigste Nutzen des Internets, Menschen wieder miteinander und mit der natürlichen Welt zu verbinden. Die Entdeckung, Kartierung und Dokumentation der natürlichen, kulturellen und menschlichen Ressourcen ist ein Schlüssel­ element, Haltbarkeit zu erzeugen. Designer und Künstler können besonders gut darin sein, Werte in einem Territorium aufzuzeigen – so wie leer stehende Gebäude, ausgediente Anlagen oder heimische Werkzeuge –, die andere Leute nicht für interessant halten. Derartige Stadtpläne können in digitalisierter Form leicht unter­ einander ausgetauscht werden. Wenn ich das sagen darf, wäre es leichter, weniger zu reisen und mehr zu telekommunizieren, wenn das Gefühl, dort zu sein verbindlicher wäre. Es gibt hier für Designer eine riesige Gelegenheit, das Design von Kommunikation auf ­Entfernung zu verbessern und Künstler, Theaterdirektoren, Mode­ designer, Psychologen, Spiele-Designer – sogar Philosophen – zusammenzubringen. Welche ­Auswirkungen hat die Globalisierung für das Design und die Designer? Die globale Herausforderung ist es, Lösungen aus anderen ­Zusammenhängen zu finden und anzuwenden. Tausende Gruppen, zehntausende Experimente: Für jedes ­jetzige, nicht nachhaltige System der Lebenserhaltung – Nahrung, Gesundheit, Unterkunft und Kleidung – werden nun Alternativen erfunden. Das Schlüsselwort hier ist soziale Innovation, weil es in dieser Bewegung darum geht, dass Gruppen von Menschen ­gemeinsam innovativ sind. Es geht nicht um einsame Erfinder oder allein gelassene, supersmarte Designer, die arme Leute retten.

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Was muss die ­Designausbildung zukünftig leisten, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden? Design Schulen und Berufsverbände begreifen zu langsam die ­Realität der restaurativen Ökonomie. Der Mainstream im Design bleibt verhext von einem hoch entropischen Konzept von Qualität und Wirkung. Design-Ausbildung – und -Praxis – müssen zukünftig auf einem bedingungslosen Respekt vor dem Leben und vor den Bedingungen, die Leben unterstützen, basieren. Dieser ökologische Ansatz zieht eine tiefgreifende Abkehr von dem menschbasierten Design nach sich, das in den meisten der heutigen Universitäten und Design-Schulen gelehrt wird – und eine Abkehr von der technologiegesteuerten Innovation, die die meisten Forschungs- und Entwicklungsabteilungen in der Industrie dominiert. Die nächste Phase wird der Übergang zu einer neuen Ökonomie sein. Dies setzt Disziplin-, Kultur- und Grenzüberschreitung und so weiter voraus. Doors of Perception veranstaltet ein Projekt namens Xskool, wo man sich einen derartigen Übergang vorstellt wie den Lernprozess beim Überqueren eines Flusses, wo man Trittsteine benutzt, die man zu unterschiedlichen Zeiten erreicht (http://xskool.com). Eine neue Fähigkeit für Designer wird das Veranstalten und Koordinieren werden. Ein ganzheitlicher und transdisziplinärer Ansatz beinhaltet die Notwendigkeit, Beteiligte mit abweichenden Perspektiven miteinander zu verbinden und zu koordinieren. Wie gestalten wir Gespräche, um partizipatorisch statt direktorisch zu sein? Wie identifiziert und organisiert man Schnittpunkte? Die Rolle zeitbasierter Vorgänge ist ebenfalls wertvolles Design-Wissen. Was würden Sie gerne aus der Vergangenheit des Designs in die Zukunft retten? Neugier, Offenheit. Den Wunsch, Dinge gut funktionierend zu machen. Den Wunsch, Dinge sowohl schön als auch funktionabel zu gestalten. Was, glauben Sie, haben Designer in der Vergangenheit falsch gemacht? Ich versuche, Leute nicht für Handlungen verantwortlich zu machen, die gemacht wurden, als wir die Welt anders wahrgenommen und verstanden haben. Als Gesellschaft haben wir kollektiv dabei versagt, die Auswirkungen von vorgeschlagenen Designmaßnahmen mit ihren tatsächlichen Kosten ins Verhältnis zu setzen.

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Welchen Rat würden Sie einem angehenden Designer für die Zukunft geben? Zwei Dinge: Erstens, achte genauso auf die informelle oder soli­ darische wie auf die formale Ökonomie. Lerne etwas über die neuen Modelle der sozialen Mitbestimmung – und wie man in Energie-­ Senkungsplänen Servicegelegenheiten identifizieren und in nachhaltige Sozialunternehmen übertragen kann. Zweitens, lerne von anderen Kulturen und Zeiten. Einer der Gründe, warum wir natürliche Systeme schädigen, ist unsere ­kulturelle Überzeugung, von der Natur losgelöst zu sein und sie zu dominieren. Mit dieser Überzeugung sind wir wahrscheinlich eine Minorität in der Weltbevölkerung. Unsere Mitmenschen in anderen Kulturen halten derweil die Natur in Ehren; sie entwickeln alter­ native Wege der Bewertung und Anwendung von Zeit und Geschwindigkeit. Lerne von ihnen.

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Anhang

299

Danksagung

Dieses Buch hätten wir ohne Hilfe nicht schreiben können. Daher möchten wir uns an dieser Stelle bei den Vielen, die uns dabei unterstützt haben, bedanken. Besonderen Dank sind wir denen schuldig, die uns nahestehen – uns aber trotz Entbehrungen ihre Liebe und Zuneigung nicht aufkündigten. Meine (Michael B. Hardt) Ehepartnerin Janne Hardt musste als Zuhörerin die Ergebnisse meiner oft noch unausgegorenen Überlegungen über sich ergehen lassen und gab mit erstaunlicher Fachkenntnis zahlreiche Anregungen, die dem Buch eigentlich erst zur richtigen Würze verhalfen. Meine (Joachim Kobuss) Ehepartnerin Barbara Fuchs hat mir bis zum Abschluss des Buches nicht mehr folgen wollen. Unab­ hängig davon bin ich ihr dankbar für die zeitweilige Begleitung und die kritischen Anregungen zur Zukunft. Weiterer Dank geht an Dr. Robert Steiger, Daniel Morgenthaler und Odine Oßwald vom Birkhäuser Verlag, die uns ihr Vertrauen schenkten. Und an unsere Lektorin Gudrun Martens-Gottschall für ihre sachkundige und sorgfältige Prüfung und Bearbeitung. Ein extragroßes Dankeschön geht ganz persönlich an Erik ­Spiekermann – nicht nur für das Privileg, dass er unser Buch gestaltet hat und auch das Vorwort beisteuerte (wer sonst hätte es schreiben können?), sondern vor allem für seine Freundschaft. Unser Dank und unsere Anerkennung gilt auch Thomas Walsch von Edenspieker­ mann für die Liebe zum Detail bei der Herstellung und Anja Knust und Dorothee Weinlich für ihr Illustrationskonzept. Ganz besonders möchten wir uns bei unseren Interviewpartnern bedanken. Wir freuen uns, dass alle, die wir uns als die idealen ­Partner für unser Buch erträumt hatten, unserer Bitte nachkamen: Jan Teunen – der sympathische Querkopf; John Thackara – der große Designguru; Michael Braungart – der Pionier der modernen Nach­­haltig­keit; Pete Kercher – der Philosoph des Design for All-Ge­ dankens; David B. Berman – der Prophet der Ethik; Aaris Sherin – die Frau, die Nachhaltigkeit im Design in den USA machbar macht; Hajo Eickhoff – der Kulturhistoriker, der die Zukunft sieht;

Joachim Kobuss Michael B. Hardt

301

Severin Filek – der unermüdlich Design fördert; Michael Söndermann – der Designstatistiker, der die unzulänglich wahrgenommene Bedeutung des Designs als Wirtschaftsfaktor in Europa sichtbar gemacht hat; und last but not least Alexander Bretz, unser Mitstreiter im Institut Unternehmen:Design (und Co-Autor der ersten beiden Bücher ­dieser Reihe). Ein freudschaftlicher Dank auch an Axel Gottschall (Koope­ rationspartner im Institut Unternehmen:Design). Er hat in vielen tief­gründigen Diskussionen Anregungen gegeben, wie zum Beispiel zur Designökonomie. Ohne unsere Klienten und Studenten, die uns ihre Ideen offenbart haben und ihr Vertrauen schenkten, wäre dieses Buch nicht möglich gewesen. Auch wenn sie aus Gründen des Vertrauens­ schutzes namentlich nicht genannt sind, stecken sie doch in allen Seiten dieses Buches. Dafür gebührt ihnen unser Dank. Anerkennung haben auch unsere Sponsoren verdient, ohne die heutzutage ein solches Buch nicht mehr realisierbar wäre. Ihr Engagement resultiert nicht aus vordergründig eigennützigem Gewinndenken, sondern aus ihrer Haltung, etwas zu unterstützen, was aus ihrer Sicht wert ist, publiziert zu werden.

302

Autorenporträts

Joachim Kobuss, geboren 1954, ist Kaufmann, Buchautor, Coach, Scout, Trainer und Inhaber der Marke DesignersBusiness®. Er berät Designer aller Designbereiche bei ihrer unternehmerischen Entwicklung und auf dem Weg in die Selbstständigkeit; Unternehmen unterstützt er bei der Personalsuche und in ihrer Zusammenarbeit mit Designern. Er betreibt ein Büro für designökonomische Entwicklung und mit Partnern das Institut für designpolitische Entwicklung Unternehmen: Design, beide mit Sitz in Berlin. Als Mitbegründer des Netzwerks KölnDesign moderiert er dort die Gründer- und Profi-Tage. Ferner ist er Mitglied im Deutschen Designer Club (DDC) und im Forum für Entwerfen. Joachim Kobuss kooperiert mit Designförderinstitutionen, ­Designernetzwerken und engagiert sich als Experte für die Designwirtschaft im Rahmen der Initiative Kultur- & Kreativwirtschaft der Bundesregierung in Deutschland. Er hat 2007 die erste Auflage des Buches Business gründen und entwickeln in dieser Reihe veröffentlicht. 2009 und 2010 folgten dann – zusammen mit Alexander Bretz – das Buch Designrechte international schützen und managen und die zweite Auflage von Designbusiness gründen und entwickeln. Weitere Titel sind in Vorbereitung und Planung. Er lebt und arbeitet in Berlin und Köln.

Joachim Kobuss

Michael B. Hardt, geboren 1951, ist international tätiger Design­ berater. Er war von 1992 bis 1994 Chairman des Bureau of European Designers Associations (BEDA) und zwischen 1995 und 1997 Vize­ präsident des Weltverbandes für Grafik-Design (ICOGRADA). Im Jahr 2002 verlieh ihm die Nationale Akademie der Künste in Bergen/­ Norwegen die Professur und er war dort bis 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationsdesign. Viele Jahre war er Gastdozent am National College of Art and Design in Dublin und hat außerdem Lehrerfahrung, u. a. in Deutschland, Frankreich, Belgien, Norwegen, Estland, Lettland, Litauen und China.

Michael B. Hardt

303

Michael B. Hardt ist ein weltweit gefragter Redner zum Thema ­ esignzukunft und Nachhaltiges Design und hat dazu Vorträge gehalten D in Düsseldorf, Berlin, Köln, Essen, München, Wien, Athen, Istanbul, Barcelona, Mailand, Nantes, Nancy, Mexico City, Santiago de Chile, Punta del Este (Uruguay). Er lebt heute in einem verlassenen Waldbauerndorf in Nordschweden und unterrichtet als Gastprofessor an der Universität von Lappland in Rovaniemi/Finnland im Fach Sustainable Design, wo er zu diesem Thema auch als Doktorand forscht.

304

Infografiken

305

vereinfachte Verbrauchskurve tatsächlicher Verbrauch

1960

Quellen: Claus Hoffmann-Güth und Deutscher Bierbrauerbund; Stand 2002

80

90

100

110

120

130

140

150

Liter

1970

Jährlicher Pro-Kopf-Bierkonsum in Deutschland

Infografik 1

1980

306 © Hardt 2011

117 l/c

2010 2000

1990

307

80

90

100

110

120

130

140

150

Liter

2010

2000

1990

Prognose des jährlichen Pro-Kopf-Bierkonsums in Deutschland

optimistisches Szenario realistisches Szenario pessimistisches Szenario

irreales Wunschszenario

2020

Infografik 2

© Hardt 2011

117 l/c

2040 2030

materieller Metatrend ideeller Metatrend

1920

Ideologische Massenproduktion

Metatrend-Zyklen

Infografik 3

„Wirtschaftswunder“

Kondratjew Hubbert-Kurve / Erdölzeitalter Kondratjew Fortschreibung nach Ian Gordon (the long wave analysts)

Materieller Massenkonsum

1950

308

2000

© Hardt 2011

Ideeller Individualnutzen

309

materieller Metatrend ideeller Metatrend Hubbert-Kurve

1920

Prognose

Nachhaltigkeitsverlust / Abfallentwicklung

Materieller Massenkonsum

1950

Ideologische Massenproduktion

Metatrend, Erdölzeitalter und Nachhaltigkeit

Infografik 4

2000

© Hardt 2011

Ideeller Individualnutzen

310

nach Brundtland-Report

Wirtschaft

Gesellschaft

Umwelt gering nachhaltig

Nachhaltige Entwicklung / Prinzip Drei-Säulen-Modell

Infografik 5

nachhaltig

© Hardt 2011

311

von Kondratjew nachgewiesen stilisierte Projektion nach Ian Gordon

1800

1789

Dampfmaschine

1849

Eisenbahn

Stahlindustrie

“der bürgerliche Kondratjew”

1850

Textilindustrie

1814

2. Kondratjew

1873

Industrielle Revolution

technologie

Automobil

“Wirtschaftswunder”

Informations-

Petrochemie

Chemie / Elektrizität Motor

5. Kondratjew

4. Kondratjew

3. Kondratjew

1900

1. Kondratjew

1920

Kondratjew-Zyklen

1950

Infografik 6

© Hardt 2011

2000

1896

312

Semiotik

Infografik 7

Objekt

Zeichen

Deutung

pragmatisch

syntaktisch

semantisch

© Hardt 2011

313

hierarchisch zentral

Netzwerke

Infografik 8

hierarchisch dezentral

heterarchisch vernetzt

© Hardt 2011

314

Relevanz zukünftig

Reaktion

++

++

+++

Bewertung

+

Briefing

Ausführung

Planung

Beratung

Dienstleistung

Regelfall

Produkt

Projekt

Prozess

Definition



Rebriefing

+

Gestaltung Produktion

Konzept Strategie / Maßnahme

Analyse Idee

Lösung Antwort

3

Inhalt

2

Problem Frage

1

Status

Phase

Entwicklungsprozess

Infografik 9

© Kobuss/Hardt 2011

315

Ausführung Produkt

3

Planung Projekt

2

Beratung Prozess

1

Prozesshierarchie

Infografik 10

Lösung Antwort

Problem Frage

Gestaltung Produktion +

© Kobuss/Hardt 2011

Konzept Strategie Maßnahme ++

Analyse Idee +++

316

1 S A

5.000

10.000

15.000

S

A

1

S

WS 09/10

Grafik-/ Kommunikationsdesign

WS 03/04

Studierende im Erstsemester Studierende gesamt Absolventen

1

Ausbildungsstatistik

Infografik 11

A

1 S A

1

S WS 09/10

Industrie-/Produktdesign

WS 03/04

A

1

S

A

1

S WS 09/10

A

© Kobuss/Hardt 2011

Innenarchitektur

WS 03/04

Adressen

Adressen (A – S)

www

David B. Berman

davidberman.com

Prof. Dr. Michael Braungart

epea.com

Alexander Bretz

kulturanwalt.de

Buchreihe: Erfolgreich als Designer

erfolgreichalsdesigner.de

DesignersBusiness®

designersbusiness.de

DesignLawForce®

designlawforce.com

Designökonomie

designoekonomie.de

Designpolitik

designpolitik.de

Deutscher Designer Club DDC e.V.

ddc.de

Edenspiekermann AG

edenspiekermann.com/de

Severin Filek, Design Austria DA

designaustria.at

Prof. Michael B. Hardt

michael-hardt.com

Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft

kultur-kreativ-wirtschaft.de

Joachim Kobuss

designersbusiness.de

KölnDesign e.V.

koelndesign.de designguide-koeln.de

Michael Söndermann, Büro für Kulturwirtschaft

kulturwirtschaft.de 319

Adressen (S – U)

www

Prof. Dr. Erik Spiekermann, Spiekerblog

spiekermann.com

Prof. Jan Teunen

teunen-konzepte.de

John Thackara

thackara.com

Unternehmen:Design GbR

unternehmendesign.de

320

Literaturliste

Autoren (A – B)

Titel / Verlag / ISBN

Otl Aicher

analog und digital Ernst & Sohn, Berlin 1991/1992 3-433-02176-7

Otl Aicher

die welt als entwurf Ernst & Sohn, Berlin 1991/1992 3-433-02185-6

David B. Berman

Do good design New Riders Berkeley CA, 2009 978-0-321-57320-9

Gerhard Blechinger,

emergencydesign – designstrategien im arbeitsfeld der krise Springer Verlag, Wien 2008 978-3-211-48760-0

Yana Milev

Pierre Bourdieu

Praktische Vernunft – Zur Theorie des Handelns Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998 978-3-518-11985-3

Michael Braungart,

Einfach intelligent produzieren Bvt Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin 2008 978-3-3442761838

William McDonough

Michael Braungart, William McDonough

Marc Brost, Mark Schieritz

Die nächste industrielle Revolution – Die Cradle to Cradle-Community Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2009 978-3-434-50616-4 Die Wahr-Lügner Zeit Verlag, Hamburg 30. 12. 2010 www.zeit.de/2011/01/Konjunkturpolitk

321

Autoren (B – E)

Titel / Verlag / ISBN

Tim Brown

Change by design: how design thinking transforms organizations and inspires innovation Harper Collins, New York 2009 978-0-06-176608-4

Tim Brown

Designer als Entwickler Harvard Business manager, Heft Juli 2008, Seiten 57 ff. manager magazin Verlag, Hamburg

Vannevar Bush

As we may think Atlantic Magazine, Juli 1945 www.theatlantic.com/magazine/archive/1969/12/ as-we-may-think/3881

Nicholas A.

Connected! – Die Macht sozialer Netzwerke und warum Glück ­ansteckend ist S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010 978-3-10-011350-4

Chris­takis, James H. Fowler

André Comte-­Sponville

Mihaly Csikszentmihalyi

Mihaly Csikszentmihalyi

Kann der Kapitalismus moralisch sein? Diogenes Verlag, Zürich 2009 978-3-257-06738-5 FLOW – Das Geheimnis des Glücks Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1992/2010 978-3-608-94555-3 Kreativität – Wie Sie das Unmögliche schaffen und Ihre Grenzen ­überwinden Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1997/2010 978-3-608-94656-7

Umberto Eco

Zeichen – Einführung in einen Begriff und seine Geschichte Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1977 3-518-10895-6

Umberto Eco

Der Name der Rose Hanser Verlag, München 1982 3-446-14695-4

322

Autoren (E – G)

Titel / Verlag / ISBN

Umberto Eco

Einführung in die Semiotik Fink Verlag, München 2002 3-7705-0633-2

Klaus Thomas

Gestaltung denken Birkhäuser Verlag, Basel 2010 978-3-0346-0515-1

Edelmann, Gerrit Terstiege Hajo Eickhoff, Jan Teunen

Form:Ethik – Ein Brevier für Gestalter Verlag avedition, Ludwigsburg 2005/2006 978-3-89986-066-5

Günter Faltin

Kopf schlägt Kapital – Die ganz andere Art, ein Unternehmen zu gründen – Von der Lust, ein Entrepreneur zu sein Hanser Verlag, München 2008 978-3-446-41564-5

Richard Florida

The Rise of the Creative Class Basic Books, New York 2002/2004 978-0-465-02477-3

Richard Florida

Cities and the Creative Class Routledge, New York 2005 978-0-415-94887-8

Richard Florida

Reset – Wie wir anders leben, arbeiten und eine neue Ära des Wohlstands begründen werden Campus Verlag, Frankfurt am Main 2010 978-3-593-37158-0

Markus Frenzl

Designerglück: Jetzt neu – mit Denkfunktion! design report, Heft 1/2011, Seite 14 Konradin Verlag, Leinfelden-Echterdingen

Annemarie

Einführung in die Ästhetik Wilhelm Fink Verlag, München 1995 3-7705-3059-4

­Gethmann-Siefert

323

Autoren (G – H)

Titel / Verlag / ISBN

André Gorz

Kritik der ökonomischen Vernunft – Sinnfragen am Ende der Arbeitsgesellschaft Rotpunktverlag, Zürich 2010 978-3-85869-429-4

André Gorz

Wissen, Wert und Kapital – Zur Kritik der Wissensökonomie Rotpunktverlag, Zürich 2004 3-85869-282-4

André Gorz

Auswege aus dem Kapitalismus – Beiträge zur politischen Ökologie Rotpunktverlag, Zürich 2009 978-3-85869-391-4

Ulrich Grober

Die Entdeckung der Nachhaltigkeit – Kulturgeschichte eines Begriffs Verlag Antje Kunstmann, München 2010 978-3-88897-648-3

Boris Groys

Einführung in die Anti-Philosophie Hanser Verlag, München 2009 978-3-446-23404-8

Erik Händeler

Die Geschichte der Zukunft – Sozialverhalten heute und der Wohlstand von morgen / Kondratieffs Globalsicht Brendow Verlag, Moers 2007 978-3-87067-963-7

Erik Händeler

Kondratieffs Welt – Wohlstand nach der Industriegesellschaft Brendow Verlag, Moers 2007 978-3-86506-065-5

Paul Hawken,

Natural Capitalism – creating the next industrial revolution Back Bay Books; Little, Brown and Company, NY 1999 978-0-316-35300-7

Amory Lovins, L.Hunter Lovins Friedrich A. Hayek

324

Der Weg zur Knechtschaft Olzog Verlag, München 2009 978-3-7892-8262-1

Autoren (H – K)

Titel / Verlag / ISBN

John Heskett

Design – a very short introduction Oxford University Press, 2002 978-0-19-285446-9

Marion King Hubbert

Nuclear Energy and the Fossil Fuels American Petroleum Institute, 1956 www.mkinghubbert.com/files/1956.pdf

David Hume

Of the Standard of Taste Essay, 1757 Wikisource

Eva Illouz

Die Errettung der modernen Seele Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009 978-3-518-58520-7

Marc Jongen

Philosophie des Raums Wilhelm Fink Verlag, München 2008/2010 978-3-7705-4643-5

Erich Kästner

Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee Dressler, Hamburg 55. Auflage 2006 978-379-1530-161

Immanuel Kant

Kritik der reinen Vernunft Felix Meiner Verlag, Hamburg 1998 978-3-7873-1319-8

Immanuel Kant

Kritik der praktischen Vernunft Felix Meiner Verlag, Hamburg 2003 978-3-7873-1650-2

Immanuel Kant

Kritik der Urteilskraft Felix Meiner Verlag, Hamburg 2009 978-3-7873-1948-0

Claudia Kemfert

Die andere Klimazukunft – Innovation statt Depression Murmann Verlag, Hamburg 2. Auflage 2008 978-3-86774-047-0

325

Autoren (K – L)

Titel / Verlag / ISBN

John Maynard

Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2006 978-3-428-12096-3

Keynes

Natalie Knapp

anders denken lernen – von Platon über Einstein zur Quantenphysik Oneness Center, Bern 2008 978-3-033-01634-7

Joachim Kobuss

Erfolgreich als Designer – Business gründen und entwickeln Birkhäuser Verlag, Basel 2008 978-3-7643-8388-6

Joachim Kobuss,

Erfolgreich als Designer – Designrechte international schützen und managen Birkhäuser Verlag, Basel 2009 978-3-7643-9988-7

Alexander Bretz

Joachim Kobuss, Alexander Bretz

Erfolgreich als Designer – Designbusiness gründen und entwickeln Birkhäuser Verlag, Basel 2010 978-3-0346-0672-1

Hildegard Kurt

Ästhetik der Nachhaltigkeit in Heike Strelow (Hg.): Ökologische Ästhetik. Theorie und Praxis künstlerischer Umweltgestaltung, S. 238 ff. Birkhäuser Verlag, Basel 2004 3-7643-2423-6

Ervin László

Evolutionäres Management – Globale Handlungskonzepte Paida Verlag, Fulda 1992 3-89459-020-3

Ervin László

Macroshift – Die Herausforderung Insel Verlag, Frankfurt am Main 2003 978-3-458-17157-7

Vera Linß

Die wichtigsten Wirtschaftsdenker Marix Verlag, Wiesbaden 2007 978-3-86539-922-9

326

Autoren (L – R)

Titel / Verlag / ISBN

Wolf Lotter

Die Gestörten brand eins Wirtschaftsmagazin, Heft 05 Mai 2007, Seiten 52 ff. brand eins Verlag, Hamburg

Wolf Lotter

Die kreative Revolution – Was kommt nach dem Industriekapitalismus? Murmann Verlag, Hamburg 2009 978-3-86774-062-3

William McDonough,

Cradle to Cradle, remaking the way we make things North Point Press, NY 2002 978-0-86547-587-8

Michael Braungart

Donella Meadows, Jorgen Randers, Dennis Meadows

Limits to growth – the 30 years update Chelsea Green Publishing; White River Junction VT, 2004 1-931498-58-X

Leo A. Nefiodow

Der sechste Kondratieff – Wege zur Produktivität und Vollbeschäftigung im Zeitalter der Information Rhein-Sieg Verlag, Sankt Augustin 2006 3-9805144-5-5

Winfried Nöth

Handbuch der Semiotik Verlag J. B. Metzler, Stuttgart 2. Auflage 2000 3-476-01226-3

Konrad Ott

Lässt sich das Nachhaltigkeitskonzept auch auf Wissen anwenden? Heinrich Böll Stiftung, 1999 Essay

Victor Papanek

Design For The Real World – Anleitungen für eine humane Ökologie und sozialen Wandel Springer Verlag, Wien 1984/2009 978-3-211-78892-9

Felicidad

Der denkende Designer – Von der Ästhetik zur Kognition – Ein Para­digmenwechsel Olms Verlag, Hildesheim 2007 978-3-487-13386-7

Romero-Tejedor

327

Autoren (S – S)

Titel / Verlag / ISBN

Oliver Sacks

Der einarmige Pianist – Über Musik und das Gehirn Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008 978-3-498-06376-4

Frank Schirrmacher

Payback – Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen Blessing Verlag, München 2009 978-3-89667-336-7

Frank Schirrmacher,

Die Zukunft des Kapitalismus Suhrkamp Verlag, Berlin 2010 978-3-518-12603-5

Thomas Strobl

Arno Schmuckler, Peter Kerstan

Richtung 2000 – Vorschau auf die Welt von morgen ZDF, 1972 www.youtube.com/watch?v=kaGnBNhE2xl

Norbert Schneider

Geschichte der Ästhetik von der Aufklärung bis zur Postmoderne Philipp Reclam jun., Stuttgart 3. Auflage 2002 3-15-009457-7

Joseph A.

Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung Duncker & Humblot Verlag, Berlin 1912/2006 978-3-428-11746-8

Schumpeter

Joseph A. Schumpeter

Joseph A. Schumpeter

Richard Sennett

328

Konjunkturzyklen – eine theoretische, historische und statistische ­ nalyse des kapitalistischen Prozesses A Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2008 978-3-525-13237-1 Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie Narr Franke AttemptoVerlag, Tübingen 2005 3-7720-8147-9 Handwerk Berlin Verlag, Berlin 2008 978-3-8270-0033-0

Autoren (S – T)

Titel / Verlag / ISBN

Herbert Simon

The Sciences of the Artificial Massachusetts Institute of Technology, 3. Ausgabe 1996 978-0-262-69191-8

Peter Sloterdijk,

Der Welt über die Straße helfen Wilhelm Fink Verlag, München 2010 978-3-7705-4985-6

Sven Voelker

Adam Smith

Der Wohlstand der Nationen Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005 978-3-423-30149-7

Marco Spies

Branded Interaction Design – Digitale Markentouchpoints gestalten  Birkhäuser Verlag, Basel 2012 978-3-0346-0729-2 (Deutsch) 978-3-0346-0732-2 (Englisch)

Edward Steichen

The Family of Man The Museum of Modern Art New York, Thames and Hudson Ltd., London 9. Ausgabe 2003 ©1955 0-87070-341-2

Don Tapscott,

Wikinomics – Die Revolution im Netz Hanser Verlag, München 2007 978-3-446-41219-4

Anthony D. Williams

John Thackara

In the Bubble – Designing in a Complex World Massachusetts Institute of Technology, 1. Auflage 2005 0-262-70115-4

Olga Tolmacova

Nikolaj Dmitriewitch Kondratjev und seine Theorie der langen Wellen Hausarbeit Uni Münster, 1993 www.uni-muenster.de/ecochron/ec-top.htm?pp_kondratjev1

Michael Tomasello

Warum wir kooperieren Suhrkamp Verlag, Berlin 2010 978-3-518-26036-4

329

Autoren (T – Z)

Titel / Verlag / ISBN

Edward R. Tufte

Visual Explanations, images and quantities, evidence and narrative Graphics Press, Cheshire, Connecticut 6. Ausgabe 2003 0-961-3921-2-6

Frederic Vester

Die Kunst vernetzt zu denken – Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1999/2007 978-3-423-33077-0

Hanns Carl von

Über die Wilde Baumzucht, Sylvicultura Oeconomica Verlag Norbert Kessel, Remagen 2009 (1713, Nachdruck der 2. Auflage von 1732) 978-3941300194

­Carlowitz

Bernhard von Mutius

Die andere Intelligenz – Wie wir morgen denken werden Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2004/2008 978-3-608-94085-5

Christoph Weckerle,

Kreativwirtschaft Schweiz – Daten. Modelle. Szene Birkhäuser Verlag, Basel 2008 978-3-7643-7972-8

Manfred Gerig, Michael Söndermann Wolfgang Welsch

Grenzgänge der Ästhetik Philipp Reclam jun., Stuttgart 1996 3-15-009612-X

Rainer K. Wick

Bauhaus – Kunstschule der Moderne Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2000 3-7757-0800-6

Slavoj Žižek

Parallaxe Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2006 978-3-518-58473-6

330

Personen-Index

A

D

Aicher, Otl 166, 171, 214, 216 Aquin, Thomas von 114 Arendt, Hannah 110, 155 Aristoteles 90, 102, 104, 114, 118, 160

Dahrendorf, Ralf 256 Disney, Walt 61 Descartes, René 149 Dostojewski 209

B

Babbage, Charles 133 Ball, Harvey 123 Baumgarten, Alexander Gottlieb 103, 115, 217 Benkler, Yochai 182 Bense, Max 116 Berman, David B. 21, 78, 259, 261, 301 Blechinger, Gerhard 173 Bourdieu, Pierre 94, 187 Braungart, Michael 35, 71, 80, 218, 259, 265, 301 Bretz, Alexander 16, 259, 269, 302 Brost, Marc 96 Brown, Tim 173 Brundtland, Gro Harlem 75 Bürdeck, Bernhard E. 156 Bush, George W. 78 Bush, Vannevar 30, 134, 144 C

Carlowitz, Hanns Carl von 74 Christakis, Nicholas A. 184 Compte-Sponville, André 96 Csikszentmihalyi, Mihaly 162, 165

E

Eco, Umberto 116 Edelmann, Klaus Thomas 173 Eickhoff, Hajo 17, 21, 259, 273, 301 Einstein, Albert 38, 175 F

Faltin, Günter 227, 228 Filek, Severin 260, 277, 302 Florida, Richard 163, 240 Ford, Henry 32 Fowler, James H. 184 Frenzl, Markus 174 Fuchs, Barbara 301 G

Gaulle, Charles de 49 Gesell, Johann Silvio 92 Glaser, Milton 123 Gombrich, Ernst Hans 122 Gorbatschow, Michail 37 Gorz, André 94 Gottschall, Axel 302 Gropius, Walter 105, 143, 215 Groys, Boris 16 Gutenberg 133

331

H

Hardt, Janne 301 Hardt, Michael B. 15, 301, 303 Hawkens, Lovins & Lovins 36, 38, 45, 141, 191 Hayek, Friedrich August von 93, 156 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 45, 104 Henrion, F.H.K. 53 Heskett, John 26 Hippo, Augustinus von 114, 118 Hubbert, Marion King 70 Hume, David 102 I

Illouz, Eva 15 Itten, Johannes 143 Ive, Jonathan 52

Loufrani, Franklin 123 Luhmann, Niklas 171 Luther, Martin 133 M

Magritte, René 113 Marshall, Alfred 89 Martens-Gottschall, Gudrun 301 McCarthy, Edmund Jerome 53 McDonough, William 35, 71, 80, 218 Meyer, Hannes 143 Miegel, Meinhard 96 Mijksenaar, Paul 108 Mill, John Stuart 91 Morgenthaler, Daniel 301 Muche, Georg 143 Mukarovský, Jan 107 Mutius, Bernhard von 149, 156, 172

J

Jobs, Steve 52, 141 Jongen, Marc 175 Jung, Carl Gustav 164

N

Nöth, Winfried 117 O

K

Kaiser Wilhelm II. 32 Kamprad, Ingvar 52 Kant, Immanuel 61, 90, 102, 166 Kästner, Erich 31 Kelly, David 173 Kemfert, Claudia 79 Kercher, Pete 260, 281, 301 Keynes, John Maynard 87 Knapp, Natalie 157 Knust, Anja 301 Kobuss, Joachim 203, 301, 303 Kondratjew, Nikolai Dmitrijewitsch 66, 85 Kurt, Hildegard 111 L

Laszlo, Ervin 84 Leibniz, Gottfried Wilhelm 114 Lotter, Wolf 96, 166 332

Obama, Barack 78 Osswald, Odine 301 Ott, Konrad 75 Owens, Jesse 107 P

Papanek, Victor 34, 173, 192 Peirce, Charles Sanders 118 Picasso 115 Platon 102, 104, 106, 112, 160 R

Rams, Dieter 52 Rheingold, Howard 137 Richter, Claus 37 Riefenstahl, Leni 107 Rifkin, Jeremy 48 Robinson, Ken 37 Romero-Tejedor, Felicidad 169, 172

S

p

Sacks, Oliver 165 Saint-Exupéry, Antoine de 218 Sartre, Jean-Paul 94 Saussure, Ferdinand de 121 Schieritz, Mark 96 Schirrmacher, Frank 96 Schneider, Norbert 107 Schumpeter, Joseph Alois 66, 86, 241 Schwarzenegger, Arnold 78 Schweitzer, Albert 20 Sennett, Richard 165 Sherin, Aaris 260, 285, 301 Simmel, Georg 180 Simon, Herbert 19, 25, 26, 45, 62, 73, 105, 142, 145, 216 Sloterdijk, Peter 173, 175 Smith, Adam 90, 94 Sokrates 61, 89, 160 Söndermann, Michael 181, 239, 243, 245, 249, 251, 260, 289, 302 Spiekermann, Erik 13, 301 Spies, Marco 17 Stebbing, Peter 109 Steiger, Robert 301 Stock, Wolfgang Jean 216 Stoiber, Edmund 28 Strobl, Thomas 96 Sullivan, Louis 141

Valéry, Paul 152 Vester, Frederic 170 Vinci, Leonardo da 102 Vossenkuhl, Wilhelm 215 W

Walsch, Thomas 301 Weidemann, Kurt 63 Weinlich, Dorothee 301 Welsch, Wolfgang 106 Wick, Rainer K. , 143 Williams, Anthony D. 182 Wolff, Christian 115 Y

Yunus, Muhammad 186 Z

Zizek, Slavoj 149 Zuse, Konrad 134

T

Tapscott, Don 182 Teunen, Jan 17, 21, 260, 293, 301 Thackara, John 20, 173, 260, 295, 301 Thoma, Johannes a Sancto 114 Tomasello, Michael 155 Tufte, Edward R. 131 Twain, Mark 53 U

Ulrich, Peter 20 333

Sach-Index

A

Aesthetica 103 Amerika 28, 49 Analyse 206 Analytical Engine 133 Apple 57 Argentinien 92 Argumentationshilfen 20 Aristokratie 179 ARPANET 134 Ars 112 Art-Director 126 Artefakt 117, 217 Arts and Crafts 143 Ästhetik 33, 103 Atomenergie 34 Aufklärung 102 Ausbildungsstatistik 251 B

Bachelorstudium 223 Bauhaus 116, 118, 143 Bauhaus Dessau 214 Bauhauslehrer 214 Bauhaus-Studenten 215 Beraten 208 Berater 201 Beraterqualifikationen 233 Beratungsanlässe 233 Beratungsarten 233 Betriebswirtschaft 228, 231 Betriebswirtschaftslehre 229 Betriebswirtschafts-Relevanz 227 Bevölkerungszahlen 42

Bewertungsmaßstäbe 59 Beziehungs-Ökonomie 155 Bifurkation 84 Bilderverbot 125 Bildkommunikation 122 Bildmanipulation 136 Bildungsbürokratie 219 Bindungen 185 Bologna-Prozess 213 Branchenhearings 245 Branding 128 Brasilien 193 Briefing 207, 209, 232 Brundtland-Kommission 41 Brundtland-Report 75 Bundesbeauftragter für Kultur und Medien 245 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 245 Burg Giebichenstein Halle 214 Buyer’s Market 135 C

CCS Technologie 72 Challenger 198 Chaos-Sprungphase 84 Chaos-Theorie 83 Chauffagisten 39 China 28, 43, 49 Chinesische Schrift 120 Chrematistik 90 Clash der Kulturen 48 Club of Rome 75, 88 CO²-Gas 72 335

Coachingleistungen 208 Codices 140 Commons-Based Peer Production 182 Computer 217 Corporate Design 53 Corporate Identity 50, 53 Cradle to Cradle 218 Creative Class 240, 255 Creative Industries 240 Credit points 213 Cro-Magnon-Menschen 46 Cultural Industries 240 Curricula Designausbildung 220 Curriculum 216

Design-Unternehmer 202 Designweiterbildung 225 Designwirtschaft 247, 248, 255 Designwirtschaft Österreich 250 Designwirtschaft Schweiz 250 Deutschland 28, 52, 93 Dezentral 153 Dienstleistungs-Phasen 207 Dimensionen 160 Domäne Design und Kreativdienst­ leistungen 239 Drei-Säulen-Konzept 76 Drei-Säulen-Modell 221 Druckprozess 133 Durchbruchsperiode 84

D

E

Datenschwund 139 Deepwater Horizon 35 Demokratie 179 Denkansätze 150 Denken 19, 149, 168 Denkhaltung 150 Denkweisen 150 Design 25 Designausbildung 27, 213 Designberater 211 Designbusiness 42, 50, 88, 161, 181, 184, 189, 202, 208, 209, 228, 229, 232 Designdisziplinen 226 Designer Thinking 211 Designförderung 201 Designintelligenz 172 Design-Kompetenzen 202 Designleistungen 59, 210, 232 Designmanagement 203, 231 de signo 115 Designökonomie 256 Designplanung 203 Designprozess 25, 202 Designrechte 29, 195, 198, 202, 206 Design Thinking 173, 203, 211

Ebenen der Beratung 234 Ein-Kind Politik 43 Emissionshandel 72 Empirismus 102 Enquete-Kommission Kultur 242 Entrepreneur 86, 172, 202, 229 Entrepreneurial Design 227 Entwicklungsprozesse 109, 201 EntwicklungsprozessPhasen 205 Entwurf 207 Equestrial Designer 60 ERCO 141 Erdölreserven 34 Erdölzeitalter 70 Ernteeffizienz 44 Ethik 108 Europa 28, 120 Evolution 83 Expo 2000 80

336

F

Facebook 182 Fachkräftemangel 42 Fahne 128

felix aestheticus 104 Finanzkrise 137, 192 Finanzkrisen 87 Flettner Rotoren 37 Flexibilität des Denkens 157 Flopprate 56 Font 121 Form follows Function 117 Forstwirtschaft 74 Frankreich 49, 52 Freibeuter 188 Freigeld 93 Freiland 93 Freiwirtschaftslehre 92 Fukushima 35 Funktionalismus 117 G

Gebrauchsgrafik 116 Gebrauchsgrafiker 132 Gedankenexperimente 157 Gedankenformen 158 Gehirn 153, 167 Geldtransfer-Plattformen 138 Genossenschaftsbewegung 187 Gentechnologie 44 Gesellschaft 27 Gestalten 208 Gestaltprozess 19 Gestaltrhetorik 156 Gestaltung 26 Gestaltungsprozess 145 Globalisierung 46 Globalisierungsbefürworter 46 Globalisierungsgegner 46 Grafik 130 Grafikdesign 116 Grameen Bank 186 Graphemik 120 Grundschule 219 Gymnasium 219

H

Handeln 149 Handelsspanne 138 Handlungsempfehlungen 16 Hannover-Prinzipien 80 Heterarchie 180 HfG Ulm 214, 220 Hierarchie 180 Hieroglyphen 130 Höhlenmalerei 126 Holozän 46 Hubbert-Kurve 70 Hype 32 I

Ideen 160, 206 Identität 172 Ideogramm 117 IKEA 195 Ikonik 122 Ikonologie 122 Illusionen 192 Image 123 Imitatur 112 Immaterielles Vermögen 155 Indonesien 193 Industriekapitalismus 95 Infografiken 305 Informationsdesigner 131 Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft 245 Innovation 160, 257 Intellektuelle 151 Intelligentes Konkurrieren 189 International Energy Agency (IEA) 70 Internet 134 Interpretant 118 Interpretationen 160 Intuitiver Prozess 161 Italien 49, 93

337

K

Kalifornien 78 Kalligraphie 219 Kapitalberechnung 192 Kapitaleinsatz 194 Kapitalismus 88, 96, 256 Kapitalsorten 94 Kategorischer Imperativ 91 Kaufmännische Prinzipien 230 Kern-Kompetenzen 225 Kettenbrief-Geschäft 192 Killerapplikation 137 Klimaentwicklung 71 Kommunikation 134 Kommunikationsdesign 116 Kommunikationsstrukturen 140 Kompetenzzentrum des Bundes 246 Komplementär-Kompetenzen 202, 225 Komplexität 171 Konjunkturentwicklung 66, 85 Konjunkturwellen 85 Konjunkturzyklen 86 Konkurrenz 188 Konsonant 120 Konsum 33, 172 Konsumdesign 82 Konzept 206 Kooperationen 181, 188 Kooperativ 154 Kreativität 162, 185, 240, 255 Kreativleistung 162 Kreativwirtschaft 255 Krise 88 Kritik der praktischen Vernunft 90 Kritik der reinen Vernunft 90 Kritik der Urteilskraft 90 Kulturdisziplinen 226 Kulturdomänen 238 Kulturen 27 Kulturförderung 242 Kulturpolitik 238 Kultur- und Kreativwirtschaft 240 338

Kulturwirtschaft 238, 255 Kulturwirtschaftsberichte 242 Kunst 105 Künstler 104 Kunstunterricht 219 Kyoto 35 Kyoto-Abkommen 72 L

Labyrinth 128 Lappland 27 Layouter 126 Leistungsmessung 232 Liberalismus 93 Life-Cycle-Responsibility 38, 218 Limits to Growth 75 Logo 128 Logogramm 117 M

Macroshift 84 Manager 86 Marke 128 Marke Designer 235 Markenphilosophie 54 Marketing 33, 54, 77, 109 Marketinglehre 54 Marketing-Mix 54 Marktforschung 55 Maßnahmen 207 Master of Business Administration 227 Masterstudium 223 Medien 77 Medienrevolution 30 Memex 31, 134 Metatrend 67 Microsoft 57 Migrationsbewegungen 47 Mikrokredite 186 Miniator 126 Möglichkeitsraum 151 MoMA 49

N

Nachhaltigkeit 74, 256 natura 112 Naturvölker 28 Naturwissenschaften 89 Navigationssysteme 129 Nervensystem 153 Netzwerk 180, 186 Netzwerker 183 Neugier 163 Neuheitswahn 34 Neuronale Netzwerke 159 Neurophysiologie 167 Nichtökonomen 228 Nightmare 198 Nobelpreis 186 Norwegen 76 Nutzendesign 82 Nutzenhonorar 195 Nutzer 74 Nutzungshonorar 195 O

Odysseus-Designertyp 172 Offenes Denken 175 Oikonomia 90 Ökobewegung 44 Ökologie 76, 257 Ökonomie 89, 257 Ökonomik 90 Ökonomische Professionalität 230 Ökonomisches Verständnis 230 Oligarchie 179 Organismus 187 Orientierung 257 Orientierungsdesign 127 P

Papyrus 140 Paradies 101 Persönlichkeitskrisen 88

Perspektivenwechsel 151 Philosophie 61, 103 Phonetik 121 Picture 123 Piktogramm 117 Pitch 203 Plakatmaler 132 Planen 208 Planer 201 Planungsmanagement 231 Pluralität 151 Politisches Denken 153 Pragmatik 119 Preis-Leistungsverhältnis 59 Produktion 207 Produktphase 207 Professionalisierung 225 Projektphase 206 Propaganda 95 Prozess 141 Prozesskompetenz 226 Prozessphase 206 Pussycats 198 Q

Qualifizierung 225 Qualität 168 Quantitäten 168 R

Rationalismus 102 Rationalität 91 Rebriefing 210 RedBull 55 Reduktion 218 Reduktionsprozess 38 Reflektieren 150 Reklame 129 Reklamedekoration 116 Reklamegestalter 147 Relativieren 150 Relatonik 151 339

Repräsentamen 118 Republik 179 Risikobereitschaft 163 Rotationskreditgesellschaften 187 Royal Society 182 S

Schild 128 Schlussfolgerungen 169 Schmetterlingseffekt 83 Scholastik 114 Schönheit 106 Schöpferischer Akt 243, 255 Schöpferische (kreative) Zerstörung 86, 241 Schrift 113, 130 Schweden 49, 52 Scoutingprozesse 232 Sechste Kondratjew 88 Seilschaften 185 Selbstorganisation 154 Semantik 119 Semiotik 113 Sensualismus 102 Service Class 241 Service & Flow-Ökonomie 39 Shareholder Value 256 Sich-Erinnern 158 Skizzen 217 Smart 55 Smily 123 SMS-Technik 123 Sowjetunion 93 Spitzenhonorare 211 Sprache 159 Stakeholder 256 Strategie 207 Stuttgarter Schule 116 Substituierungssysteme 138 Südfrankreich 46 Supplier’s Market 135 Sustainability 74 Symbiose 20 340

Syntaktik 119 T

Technologie, Talente und Toleranz 241 Toblerone 54 Trend 32, 65 Trendforschung 65 Trittbrettfahrer 188 Tschernobyl 35 Typograph 121 U

Ulmer Hochschule 169 Umformungsvermögen 152 UNESCO 47 UNESCO Rahmenwerk für Kulturstatistik 237 Unique Selling Proposition 42 Unternehmensphasen 233 Unternehmensphilosophie 53 Uran 34 Urteile 169 USA 28, 50, 77, 78 User 74 User-Platforms 135 USP 42 Utilitarismus 91 V

Verantwortung 256 Vereinte Nationen 41, 47, 75 Verinnerlichung 145 Vernetztes Denken 170 Verpackungsdesign 145 Verpackungsingenieure 146 Verpackungsprozesse 146 Verursacherprinzip 194 virtual community 182 Virtuelle Welt 183 Vision 198 Visual Communication Design 116 Visualisierungskompetenz 211

Vokal 120 Voraussetzungen 257 W

Zukunftsdenker 15 Zusammenbruchsperiode 84 Zusammenführen 152 Zweites Deutsches Fernsehen 30

Wachstum 91 Wahrnehmung 102 Wahrnehmungslehre 103 Wald 192 Wappen 128 Waschmaschine 111, 196 Wegwerfgesellschaft 20 Weiterbildungsangebote 235 Weltinterpretation 171 Werbemarkt 248 Wertschöpfungsprozesse 155 WHO 47 WikiLeaks 136 Wirken 149 Wirtschaftsentwicklung 68 Wirtschaftsförderung 242 Wirtschafts-Klassifikationssysteme 237 Wirtschaftskompetenz 227 Wirtschaftskrisen 87 Wirtschaftswissenschaften 89 Wirtschaftswunder 68 Wirtschaftszweigklassifikation 249 Wissenskapitalismus 96 Wissensvermehrung 155 Workflows 236 Working Class 241 Workshops 236 WorldWideWeb 134 Y

YouTube 182 Z

Zeichen 114 Zertifizierung 234 Zirkulär 153 Zukunft 15 Zukunftsaussage 29 341

Bereits in der Reihe Erfolgreich als Designer erschienen: – Designbusiness gründen und entwickeln und – Designrechte international schützen und managen

Joachim Kobuss, Alexander Bretz 2., überarbeitete und erweiterte Auflage

Joachim Kobuss, Alexander Bretz

ERFOLGREICH ALS DESIGNER – DESIGNBUSINESS GRÜNDEN UND ENTWICKELN

ERFOLGREICH ALS DESIGNER – DESIGNRECHTE INTERNATIONAL SCHÜTZEN UND MANAGEN

Dieser Business-Ratgeber gibt Orientierung in relevanten Fragen der Gründung und Entwicklung in der DesignWirtschaft. Er ist für Designerinnen und Designer aller Design-Bereiche. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die persönlichen Voraussetzungen, die Entwicklung von Ideen, Konzepten und Strategien sowie die Planung und das Management werden ausführlich beschrieben. Alle unternehmerisch relevanten Aspekte zur Gründung, Entwicklung und Existenzsicherung sind behandelt. Adressen, Checklisten, Statistiken und Tabellen runden dies ab. Designer, Finanz- und PR-Experten kommen zu Wort.

Das Thema der Designrechte wird von Kobuss und Bretz erstmals umfassend und praxisbezogen, mit spannenden Strategien und nachvollziehbaren Vorgehensweisen bearbeitet. Aus der Sicht alltäglicher Rechtsfragen werden unkonventionelle, aber wirkungsvolle Lösungen und Ansätze für die eigene Nutzung, Gestaltung und Formulierung vermittelt. Ein besonderes Gewicht liegt auf den internationalen Entwicklungen und Fragestellungen, die durch die zunehmende Globalisierung im Design immer relevanter werden. Designer, Unternehmer und Juristen äußern sich in Interviews zu den angesprochenen Themen.

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