Assurances of Friendship: Transnationale Wege von Metallgewerkschaftern in der Schiffbauindustrie, 1950–1980 [1 ed.] 9783666356926, 1976198395, 9783525356920

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Assurances of Friendship: Transnationale Wege von Metallgewerkschaftern in der Schiffbauindustrie, 1950–1980 [1 ed.]
 9783666356926, 1976198395, 9783525356920

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transnationale geschichte band 11

Johanna Wolf

Assurances of Friendship Transnationale Wege von Metallgewerkschaftern in der Schiffbauindustrie, 1950–1980

Transnationale Geschichte Herausgegeben von Michael Geyer und Matthias Middell Band 11: Johanna Wolf Assurances of Friendship

Johanna Wolf

Assurances of Friendship Transnationale Wege von Metallgewerkschaftern in der Schiffbauindustrie, 1950–1980

Mit 2 Abbildungen und 11 Tabellen

Vandenhoeck & Ruprecht

Gedruckt mit freundlicher Genehmigung der Hans-Böckler-Stiftung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Schiffswerft AG »Weser«, Bremen 1956. Schiffsanstrich im Schwimmdock. Fotografie von Georg Hoffmann, LIS Zentrum für Medien, Bremen. Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-1021 ISBN 978-3-666-35692-6

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.1 Der Aufstieg und Fall von Schiffbauländern . . . . . . . . . . . . 15 1.2 Die 1970er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.3 Die westdeutsche Gewerkschaftsbewegung nach 1945 . . . . . . 22 1.4 Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1.5 Transnationale Arbeitsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1.6 Literatur- und Quellenlage der Untersuchungsgegenstände . . . 42 1.7 Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Die Bremer Vulkan-Werft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2.1 Entwicklung Bremens und der Bremer Vulkan-Werft, 1890−1953 53 2.1.1 Die Entstehung eines internationalen Unternehmens . . . 53 2.1.2 Die bremische Arbeiterbewegung und ihr revolutionäres Potential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2.1.3 Die wirtschaftliche Entwicklung des Bremer Vulkan nach dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2.1.4 Die Auseinandersetzungen während des Werftarbeiterstreiks 1953 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2.2 Erfolge und Konflikte während der Phase des Booms, 1967–1974 64 2.2.1 Die wirtschaftliche Entwicklung des Bremer Vulkan während des Booms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2.2.2 Die Streiks Ende der 1960er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.2.3 Die politische Mobilisierung der Vulkanesen . . . . . . . 71 2.2.4 Der wilde Streik 1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2.2.5 Rücktritte, Ausschlüsse und eine Tarifverhandlung . . . . 87 2.3 Interessenvertretung in Zeiten der Krise, 1976–1983 . . . . . . . 95 2.3.1 Die wirtschaftliche Entwicklung des Bremer Vulkan nach dem Boom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2.3.2 Forderungen zum Erhalt der Arbeitsplätze . . . . . . . . . 103 2.3.3 Forderungen nach Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

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Inhalt 

2.3.4 Die Massenentlassungen im September 1982 . . . . . . . . 109 2.3.5 Solidarische Aktionen während der Fusionsdiskussionen 113 2.3.6 Internationale Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Die IG Metall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3.1 Eine politische Vorzeigegewerkschaft, 1949–1959 . . . . . . . . . 129 3.1.1 Die institutionelle Entwicklung der IG Metall nach 1949 . 129 3.1.2 Verantwortlichkeiten, Informationsaustausch und Mitgliederwerbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3.1.3 Wiederaufbau des Schiffbausektors bis zur ersten Krise . . 138 3.1.4 Politische Auseinandersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . 146 3.1.5 Die westdeutsche Schiffbauindustrie auf dem Weltmarkt 150 3.2 Der Wirtschaftsboom im Schiffbau und seine Schönheitsfehler, 1960–1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 3.2.1 Subventionen werden zum Hauptthemenfeld der IG Metall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 3.2.2 Fusionen und Rationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3.2.3 Sicherheit am Arbeitsplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 3.2.4 Das Thema Europäische Wirtschaftsgemeinschaft . . . . . 170 3.2.5 Wandel der Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 3.2.6 Das Werftgutachten der Bundesregierung . . . . . . . . . . 178 3.3 Anzeichen einer ernsthaften Krise, 1975–1983 . . . . . . . . . . . 182 3.3.1 Unmittelbare Reaktionen auf die Krise . . . . . . . . . . . . 182 3.3.2 Ein Strukturkonzept in Zeiten der Krise . . . . . . . . . . . 190 3.3.3 Gespräche mit politischen Entscheidungsträgern . . . . . 196 3.3.4 Sicherheit und Umwelt als letztmögliche Strategie . . . . . 204 3.3.5 Die Reaktion der Werfteigner . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 3.3.6 Ein Strukturprogramm für den Norden . . . . . . . . . . . 209 3.3.7 Ende der sozialdemokratischen Regierung . . . . . . . . . 215 3.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 4. Der Europäische Metallausschuss und Metallgewerkschaftsbund . . 225 4.1 Die Initiativen während der Zeit des Metallausschusses, 1964–1971 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 4.1.1 Institutionelle Entwicklung des Metallausschusses . . . . 225 4.1.2 Erste Überlegungen zu einer Beihilfen- und Strukturpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228

Inhalt

4.1.3 Die Hoffnung auf eine europäische Industriepolitik . . . . 234 4.1.4 Zusammentreffen mit dem Verbindungsausschuss der Werftunternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 4.2 Institutionalisierung mit Hindernissen, 1972–1976 . . . . . . . . 237 4.2.1 Die Gründung des EMB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 4.2.2 Das Bild von Japan wandelt sich . . . . . . . . . . . . . . . . 240 4.2.3 Die Etablierung regelmäßig tagender Arbeitsgruppen . . . 243 4.2.4 Die Rolle des IMB und Karl Casserinis . . . . . . . . . . . . 246 4.2.5 Sitzungen der nationalen Berichterstatter . . . . . . . . . . 250 4.3 Kehrtwende in der europäischen Schiffbaupolitik, 1976–1988 . . 254 4.3.1 Die Etablierung einer Arbeitsgruppe zur Schiffbauindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 4.3.2 Die Konsultationstagung im Juni 1976 . . . . . . . . . . . . 256 4.3.3 Die dreigliedrigen Konferenzen 1977/78 . . . . . . . . . . . 261 4.3.4 Initiativen zur Umsetzung einer europäischen Schiffbaupolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 4.3.5 Aktionsprogramme für die europäische Schiffbauindustrie 270 4.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 5. Der Internationale Metallgewerkschaftsbund . . . . . . . . . . . . . . 297 5.1 Die institutionelle Entwicklung des IMB . . . . . . . . . . . . . . 297 5.1.1 Die historische Entwicklung des IMB . . . . . . . . . . . . . 297 5.1.2 Die Schiffbauabteilung und internationalen Konferenzen, 1951–1987 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 5.1.3 Aufbau wissenschaftlicher Expertise . . . . . . . . . . . . . 312 5.1.4 Regionale Ausdehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 5.2 Hauptthemenfelder und Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 5.2.1 Überkapazität, Subventionen und Beschäftigungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 5.2.2 Unterschiedliche Entwicklungen durch Technologie und Umstrukturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 5.2.3 Ölpreiskrise und neue Herausforderungen für gewerkschaftliche Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 5.2.4 Globale Antworten auf einen globalisierten Markt . . . . . 333 5.3 Ansätze des Transnationalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 5.3.1 Boykott versus politischer Streik . . . . . . . . . . . . . . . . 335 5.3.2 Internationale Kontrolle von Subventionen und die Kontakte zur OECD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338

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Inhalt 

5.3.3 Sicherheit auf den Werften und die Verhandlungen bei der ILO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 5.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 6. Vergleich und Verflechtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 6.1 Wahrnehmung der Krise und der globalen Zusammenhänge . . 361 6.2 Herausforderungen und Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 6.2.1 Information und Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 6.2.2 Mitbestimmung und Korporatismus . . . . . . . . . . . . . 365 6.2.3 Das Handlungsspektrum der Akteure . . . . . . . . . . . . 368 6.2.4 Der Herausforderer Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 6.2.5 Rationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 6.2.6 Subventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 6.3 Verflechtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 6.3.1 Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 6.3.2 Gesundheit am Arbeitsplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 6.4 Transnationale Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Mündliche Quelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Archivalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Literatur und gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Organisationsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404

Vorwort

Dieses Buch ist die leicht gekürzte Fassung meiner Dissertation, die ich im Dezember 2016 an der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie der Universität Leipzig im Fach Global Studies eingereicht habe. Dass die Arbeit in dieser Form vorliegt, verdanke ich den vielfältigen Anregungen und der Unterstützung zahlreicher Personen. An erster Stelle gilt mein herzlicher Dank Matthias Middell, der mir half, meinen Forschungsgegenstand kritisch zu reflektieren und ihn aus neuen Perspektiven zu betrachten. Er gab mir außerdem die Möglichkeit, mich zwischen 2009 und 2011 als Mitarbeiterin am Global and European Studies Institute in einem reizvollen und herausfordernden Arbeitsumfeld zu betätigen. Herzlich danken möchte ich auch dem Direktor des Instituts für soziale Bewegungen Stefan Berger, der sich für mein Thema begeisterte und freundlicherweise das Zweitgutachten übernahm. Während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie von 2011 bis 2013 erfuhr ich vielseitige Unterstützung von meinen Kolleginnen und Kollegen. Meinen besonderen Dank will ich Joachim Feldmann und Thomas Kater aussprechen, die mich stets in meinem Promotionsvorhaben bestärkten und mir viel Freiraum zur wissenschaftlichen Arbeit gaben. Darüber hinaus bot mir der Promotionsstudiengang »Transnationalisierung und Regionalisierung vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart« an der Research Academy in Leipzig einen anregenden Ort für die kritische Reflexion meiner Arbeit. Für eine kollegiale und freundschaftliche Zusammenarbeit sowie für die aufmunternde Unterstützung zum Gelingen der Dissertation möchte ich hier vor allem Stefanie Baumert, Ulrike Breitsprecher, Martina Keilbach, Janine Kläge, Kerstin Lange, Steffi Marung, Ninja Steinbach-Hüther und Antje Zettler danken. Großen Anteil an der Auseinandersetzung mit dem Thema Schiffbau hatten die Kolleginnen und Kollegen im internationalen Forschungs­ projekt »Shipbuilding and Ship-repair Workers. A Global Labour History ­(1950–2010)« am International Institute of Social History in Amsterdam. Ich möchte Marcel van der Linden und Raquel Varela dafür danken, dass sie es möglich machten, eine so vielfältige und internationale Gruppe an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammenzubringen. Ich danke allen

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Vorwort 

im Projekt involvierten Personen für den anregenden Forschungsaustausch und die kritische Lektüre meiner Texte, insbesondere Hans-Jakob Ågnotes, S. M. Fahimuddin Pasha, Sarah Graber Majchrzak, Tobias Karlsson, Hugh Murphy und Wonchul Shin. Geschrieben wurde ein Großteil dieser Arbeit im Rahmen einer Promo­ tionsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, der ich für die vielfältige finanzielle und ideelle Förderung während dieser Zeit zu großem Dank verpflichtet bin. Mein herzlicher Dank gilt auch dem European Network in Universal and Global History (ENIUGH), das mir für die Dissertation den WalterMarkov-Preis 2017 verlieh. Über diese Anerkennung und finanzielle Unterstützung zur Drucklegung dieses Buches freue ich mich sehr. Dem Archiv der sozialen Demokratie in Bonn und dem Staatsarchiv Bremen danke ich für die Unterstützung während meiner Forschungsaufenthalte. Besonders habe ich mich gefreut, dass sich Fritz Bettelhäuser spontan für ein Gespräch zur Verfügung stellte und dadurch meine Arbeit bereicherte. Sehr verbunden bin ich Dorothea Trebesius, die mir die Zeit in Bonn zu einer der schönsten Phasen während meines Forschungsvorhabens machte. Mein Dank gilt zudem all denjenigen, die mein Projekt bei Konferenzen und Kolloquien begleiteten und mich auch nach Abschluss der Promotion auf vielfältige Weise unterstützten, insbesondere Knud Andresen, Peter Birke, Yves Clairmont, Heiner Dribbusch, Michaela Kuhnhenne und Stefan Müller. Für ein aufmerksames und umsichtiges Lektorat bin ich Nancy Grochol zu Dank verpflichtet. Die Arbeit wäre nicht möglich gewesen, ohne all die Menschen, die mich immer wieder bestätigt und unterstützt haben und mir in mühsamen Arbeitsphasen Kraft und Mut gaben. Ich danke Johanna Fütterer, Elmar, Maria und Peter Kühn, Susanne Lantermann, Dana Lorenz, Kristina Patzelt, Astrid, Helmut und Wilhelm Bold, meinen Eltern Renate und Klaus Wolf, meiner Großmutter Ilse Wolf und vor allem meinem Sohn Thaddeus. Den größten Anteil an der Fertigstellung dieses Buches trug Christian Bold, der den Entstehungsprozess des Manuskripts aufmunternd begleitete und mich mit viel Geduld von den Stärken meiner Arbeit überzeugte. Johanna Wolf Leipzig, im Februar 2018

1. Einleitung

Am 25. März 1973 trat Heinz Scholz, der IG Metall-Bezirksleiter Hamburgs, eine 13-tägige Reise nach Tokio an, um an der siebten Schiffbaukonferenz des Internationalen Metallgewerkschaftsbundes (IMB) teilzunehmen. Die Konferenz versammelte 140 Personen aus Nord-, West- und Südeuropa, Afrika, Asien und Lateinamerika. Hauptthema war die Entwicklung in der Weltschiffbauindustrie. Der Sektor werde globaler, hieß es, zunehmend von »internationalen Kapitalgruppierungen« beherrscht und dominiert von der Produktion unter niedrigen Sozialstandards und Löhnen.1 Der Präsident der Schiffbauabteilung des IMB forderte, die Arbeitsplätze und Einkommen aller zu sichern.2 In einer Broschüre, die der IMB auf der Konferenz verteilen ließ, reflektierten die Gewerkschafter die Probleme des Schiffbaus und ihre Einflussmöglichkeiten: Die Erfahrung […] dieser umfangreichen Tätigkeit zeigt, dass der IMB durchaus imstande ist, auf […] internationale Organisationen erfolgreich einzuwirken, um allerdings erst nach Jahren ununterbrochener Bemühungen seine sozialen und wirtschaftlichen Forderungen durchzusetzen. Internationale Aktionen zur Unterstützung von Vertragsverhandlungen und zur Sicherung der Arbeitsplätze haben mit zum Erfolg angeschlossener Verbände beigetragen. Zugleich muss eingestanden werden, dass es sich hier um Einzelfälle handelt, in denen der IMB zur Mitarbeit ersucht wurde.3 Angesichts dieser nur sporadisch genutzten Möglichkeiten bat der Präsident, die Schiffbauabteilung des IMB stärker in nationale Auseinandersetzun­gen und Aktionen einzubeziehen, um das gemeinsame Vorgehen weiterzuentwickeln und zu festigen. 1 Casserini, in: Nachrichten für die Gewerkschaftler in Betrieben und Büros, Nr. 14. März 1973, S. 2, 7.  IMB -Schiffbaukonferenz in Tokio 27. März – 5. April 1973, in: IMB , AdsD 5/IMB 1694–1695. 2 Daniel McGarvey, ebd. 3 Casserini: Die sozialen Probleme der Strukturveränderungen im Schiffbau, S. 93, in: 7. IMB -Schiffbaukonferenz, in Tokio 27. März  – 5. April 1973, in: IMB , AdsD 5/IMB 1694–1695.

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Einleitung 

Nur wenige Monate nach dem Treffen in Tokio sah sich Scholz vor eine schwierige Situation gestellt. Im Juni 1973 war auf dem Bremer Vulkan ein wilder Streik ausgebrochen. Die Vulkanesen forderten eine Lohnzulage in ihrem Betrieb, um das schlechte Ergebnis der letzten Tarifverhandlung aufzubessern. Der Streik fand im Rahmen einer größeren Streikwelle statt, in der nicht nur für höhere Löhne, sondern auch für die Veränderung der gewerkschaftlichen Strukturen und gesellschaftlichen Verhältnisse gekämpft wurde.4 Scholz wurde gebeten, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Trotz aller Abwehrversuche der Geschäftsleitung konnte er eine Zulage aushandeln, die zwar nicht den Forderungen der Werftarbeiter5 entsprach, aber dennoch eine Verbesserung darstellte. Doch die Streikenden des Bremer Vulkan hatten sich mehr erhofft und Scholz sah sich einiger Kritik ausgesetzt, indem ihm die Vertretung kapitalistischer Interessen statt der Sorge um das Wohlergehen der Arbeiter unterstellt wurden. Es war nicht neu, dass ein IG Metall-Bezirksleiter an zwei so unterschiedlichen Orten zum Einsatz kam. Die IG Metall hatte sich in der Vergangenheit bemüht, auf internationalen Konferenzen präsent zu sein und sich in die globalen Debatten einzumischen. Als Bezirksleiter hatte Scholz ebenso engen Kontakt zu Gewerkschaftern der Verwaltungsstellen wie zu den Betriebsräten der Werften und musste nicht selten zwischen den Interessen der lokalen Vertreter und den Vorstellungen des IG Metall-Vorstands vermitteln. Damit war er vor einige Herausforderungen gestellt. Er sollte sich international offen und solidarisch verhalten und war in Bremen der Kritik der Kollegen ausgesetzt. Die Situation für die Schiffbauindustrie spitzte sich zu, als im Herbst 1973 die Organisation der erdölexportierenden Länder (OPEC) infolge des Jom4 Vgl. zur Einführung Gehrke u. Horn. Am Beginn der deutschen Streikwelle 1973 stand die Lohnzurückhaltung der IG Metall, die durch die Inflation für viele einen Reallohnverlust ankündigte. Daraufhin kam es im Verlauf des Jahres zu einer Vielzahl wilder Streiks. Die IG Metall und die anderen DGB -Gewerkschaften waren wenig erfreut über diese Entwicklungen, da sie Sorge hatten, dass sich die Streiks verselbstständigen und die Verhandlungshoheit der Gewerkschaften infrage stellen könnten. Zur westdeutschen Entwicklung siehe genauer Birke, Wilde Streiks. 5 In der Verwendung des Begriffs Arbeiter beziehe ich mich auf die Erläuterungen von Jürgen Schmidt: »Daher bezieht sich die Grunddefinition der Arbeiter und Arbeiterinnen auf jene Bevölkerungsgruppe, die körperliche, abhängige (Lohn-)Arbeit zum Zweck der Lebenssicherung und gemeinsame soziokulturelle Merkmale teilen.«, Schmidt, S. 14. Für die bessere Lesbarkeit wird auf die Nennung beider Geschlechter verzichtet. Es sind sowohl weibliche wie männliche Personen gemeint.

Einleitung

Kippur-Krieges die Fördermengen von Rohöl drosselte. Der Ölpreis stieg um etwa siebzig Prozent, was die ohnehin schon schwierige Situation für die Gewerkschafter um ein Vielfaches verkomplizierte. Der hohe Ölpreis be­einflusste den Handel von Rohöl, was letztlich eine geringere Nachfrage nach Tankern und damit einen Einbruch des Schiffbaus nach sich zog und zu sinkenden Beschäftigungszahlen auf den Werften führte. An diesen Entwicklungen wird der in der Zeitgeschichte vieldiskutierte Strukturbruch der 1970er Jahre besonders deutlich. Der Schiffbausektor verlor in Westdeutschland wirtschaftlich an Bedeutung. Die Küstenregionen hatten mit hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen und die Werftarbeiter büßten viel von ihrem kulturellen und politischen Kapital ein. Diese Beobachtungen sind der Ausgangspunkt der Arbeit. Doch die Erzählung würde zu kurz greifen, wenn nur das Jahr 1973 und die Folgen der Ölpreiskrise im Fokus stünden. Die Diskussionen vor den 1970er Jahren zeigen, dass den Gewerkschaftern schon weit früher bewusst war, dass der Schiffbausektor durch seinen hohen Exportanteil von den Entwicklungen auf dem Weltmarkt abhängig war. Dass sie darauf zu reagieren versuchten, zeigte sich in der frühen Institutionalisierung von Arbeitsgruppen zum Schiffbau auf globaler Ebene sowie an der Thematisierung des Internationalen auf nationaler Ebene. Im Mittelpunkt ihrer Diskussionen stand die Frage, wie und mit welchen nationalen wie transnationalen Mitteln auf Herausforderungen des Marktes reagiert werden könne. In einer Rede erklärte Isaac Baart, Präsident der IMB -Schiffbauabteilung, auf der fünften IMB -Schiffbaukonferenz 1964: In view of the radical changes in our community, which also leave their traces in shipbuilding, it is obvious that the effectiveness of our means merits reconsideration. That means that as a branch of industry we should think and act less individually, consider ourselves more as part of totality. That will make our action much more difficult, but also extremely more captivating.6 Aber zur Entwicklung und Umsetzung gemeinsamer Positionen mussten einige Hürden genommen werden. Der IG Metall-Gewerkschafter Heinz Ruhnau entgegnete den Vorstellungen Baarts:

6 Baart, 5. IMB -Schiffbaukonferenz in Genua, 1.–3. April 1964, Redebeitrag 2, in: IMB , AdsD 5/IMB 1697–1699.

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Einleitung 

Ich meine, wir alle […] müssten mehr dazu tun, um unsere eigenen Aktionen zu koordinieren. Ich möchte nicht an irgendjemandem Kritik üben, aber ich habe manchmal das ungute Gefühl, dass wir zwar alle internationale Resolutionen fassen, aber dann doch mehr oder weniger unsere eigene nationale Politik in unserem Lande betreiben […]. Wir sind uns […] in diesem Kreise sehr schnell über eine internationale Resolution einig, aber dann komme ich nach Hamburg, und dann sagen unsere Mitglieder, wenn ihr Arbeitsplatz in Gefahr ist: Das ist alles gut und schön, internationale Solidarität hin und her, aber unser Arbeitsplatz muss gesichert werden; mit welchen Mitteln, auf wessen Kosten, das ist uns egal. Und das, glaube ich, ist eine unserer großen Schwächen, dass wir gezwungen sind, […] die unmittelbaren täglichen Interessen unserer Mitglieder zu vertreten, und dass es dabei zu Widersprüchen kommt.7 Die Arbeit beleuchtet, wie sich die gewerkschaftlichen Vertreter angesichts dieser Herausforderungen verhielten, wie sie mit den globalen Zusammenhängen des Marktes umgingen und welche Argumentationen und Strategien sie entsprechend ihrer Verhandlungskontexte entwickelten. Dies wird auf mehreren Ebenen untersucht: lokal mit den Ereignissen bei der Bremer Vulkan-Werft, national mit den Schiffbaukonferenzen der IG Metall, auf europäischer Ebene mit den Arbeitstreffen und Konferenzen des Europäischen Metallausschusses beziehungsweise des Europäischen Metallgewerkschaftsbundes (EMB) und schließlich global durch die Linse der Konferenzen der Schiffbauabteilung des IMB. Auf diesen Ebenen stellen sich verschiedene Forschungsfragen: Wie nahmen die Gewerkschafter die wirtschaftlichen Entwicklungen wahr? Wann wurde von einer Krise gesprochen? Welche Rolle spielte die Globalisierung des Marktes? Ab wann wurde darauf reagiert? Mit welchen Herausforderungen waren die Gewerkschafter während des Untersuchungszeitraums konfrontiert und welche Strategien entwickelten sie? Darüber hinaus analysiert die Studie, ob es angesichts der globalen Einflüsse transnationale Wege jenseits nationaler Pfade gab. Durch die Verknüpfung verschiedener räumlicher Diskussionsebenen zeigt sie, wie sich der Aktionsradius der Gewerkschafter ausdehnte, wie Argumentationen von der einen auf die andere Ebene übertragen wurden und wie das Wissen über internationale Entwicklungen die Entscheidungen auf lokaler und nationaler Ebene beeinflusste und umgekehrt. 7 Ruhnau, ebd., Redebeitrag 26, in: IMB , AdsD 5/IMB 1697–1699.

Der Aufstieg und Fall von Schiffbauländern

1.1

Der Aufstieg und Fall von Schiffbauländern

Die eigentlichen Entscheidungsträger auf dem Schiffbaumarkt waren die Reeder. Waren die Kapazitäten in der Welthandelsflotte, also die Zahl der Schiffe für den globalen Seeschiffsverkehr, nicht ausreichend, gaben die Reeder in Erwartung des Aufschwungs neue Schiffe in Auftrag.8 Sie holten Angebote von unterschiedlichen Werften ein, verglichen Produktionsbedingungen und Kosten und entschieden sich für die preisgünstigsten Schiffe mit den besten Finanzierungskonditionen.9 Preis- und Marktveränderungen trugen die Werften weitgehend allein, etwa nicht einkalkulierte Preissteigerungen und höhere Löhne. So gab es auf dem globalen Schiffbaumarkt schon immer ein Kommen und Gehen von Schiffbauländern. Führend waren die, die über beste technologische Entwicklungen, ausreichend Kapital und niedrige Produktionskosten verfügten. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts führten Unternehmen Großbritanniens den Schiffbaumarkt an. Sie hatten sich auf den Spezialschiffbau konzentriert und konnten durch ihre hohe Flexibilität gut auf den Markt reagieren. Erst ab 1930 veränderte sich die Situation: Durch die größere Nachfrage nach Öl gab es einen erhöhten Bedarf an Tankern, die durch ähnliche Bauart leicht zu produzieren waren. Einige Werften Europas entwickelten das Schweißverfahren weiter und führten die Sektionsbauweise ein. Da die britischen Werften diese Neuerungen erst spät übernahmen, entstanden für sie auf dem bereits global vernetzten Markt einige Nachteile, die zum Rückgang der Nachfrage nach britischen Schiffen führte.10 Das Land litt außerdem an einer ständigen Zahlungsbilanzkrise – Schulden, die sich durch den Krieg gegen Deutschland und Japan angesammelt hatten –, sodass das Pfund überbewertet war und der Export britischer Produkte erschwert wurde (siehe Tab. 1).11 Schweden und Japan dagegen stiegen früh in den Sektionsbau ein und stellten Schiffsteile in überdachten Hallen her, die eine wetterunabhängige Produktion ermöglichten.12 8 Heseler u. Kröger, S. 27. 9 Sun u. Porter, S. 617. 10 Lorenz, S. 920. 11 Judt, S. 396 f. 12 Beim früheren Spantenbau waren die verschiedenen Werkstätten wie Gießerei, Schmiede, Maschinenbauanstalt, Schlosserei um den Helgen gruppiert. Beim Sektionsbau mussten die Produktionshallen, die das Material bis zum fertigen Schiff durchlief, speziell angeordnet sein. Dazu musste der Produktionsablauf präzise gesteuert

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Einleitung 

Die kurzzeitige Schließung des Suez-Kanals nach dem Sinai-Krieg 1956 wirkte sich positiv auf die globale Schiffbauindustrie aus. Der Kanal war eine wichtige Handelsverbindung zwischen Nordatlantik und Indischem Ozean. Mit der Schließung mussten die Schiffe den Weg um Afrika herum wählen, wodurch sich die Handelsrouten um ein Vielfaches verlängerten, sodass zur Effizienzsteigerung größere Schiffe nachgefragt wurden. Davon wiederum profitierten auch westdeutsche Werften. Dass ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg die Rückkehr auf den globalen Schiffbaumarkt gelang, lag zunächst an einem relativ geringen Lohnniveau, niedrigen Materialpreisen und effizienten Dieselmotoren. Aber auch die westdeutschen Unternehmen investierten bald in den Sektionsbau und versuchten, an die technologischen Neuerungen auf dem Tankermarkt anzuschließen. Tab. 1: Anteile am Weltexportmarkt Schiffbau in Prozent (in Bezug auf abgelieferte Tonnen) Jahr

Großbritannien

Japan

Westdeutschland

Schweden

1948–1950

35.0

2.2

0.3

18.3

1951–1955

22.0

10.6

14.9

12.9

1956–1960

6.9

31.6

20.7

12.0

1961–1965

4.5

38.8

13.0

15.7

Quelle: Lloyds Register of Shipping nach Lorenz, S. 917.

Ab 1959 stockte die positive Entwicklung der westdeutschen Schiffbauindustrie. Die Marktbedingungen hatten sich verschlechtert: Die D-Mark war aufgewertet worden und das Lohnniveau der Arbeiter gestiegen. Gleichzeitig drängte die japanische Werftindustrie auf den globalen Markt. Nachdem sich Japan bis Mitte der 1950er Jahre auf den Wiederaufbau der eigenen Flotte konzentriert hatte, investierte es ab 1956 mit staatlichen Förderungen und günstigen Kreditvergaben verstärkt in den Export. Die Werften wurden zum globalen Marktführer der Serienproduktion und boten effiziente und hochtechnologische Schiffe zu einem vergleichsweise günstigen Preis an.13 und kontrolliert werden. Nur bei einem möglichst reibungslosen Ablauf der einzelnen Bauschritte war der Sektionsbau effizient. Dafür mussten die Unternehmen auch das nötige Kapital aufbringen, siehe Albert, S. 143. 13 Rother, S. 132.

Der Aufstieg und Fall von Schiffbauländern

Als der Suez-Kanal 1967 erneut geschlossen wurde, stieg die Nachfrage nach Tankern und Containerschiffen wieder. Als zeitgleich eine transatlantische Containerlinie eröffnet wurde, investierten westdeutsche Werften zunehmend in die Entwicklung solcher Schiffe.14 Viele internationale Ausschreibungen gingen an deutsche Werften, was neben der hohen Qualität auch auf die geringen Lieferzeiten zurückzuführen war. Ein nicht unwesentlicher Faktor bei der Neubelebung des deutschen Schiffbaus war außerdem das Subventionsprogramm der Bundesregierung ab 1961.15 Das Jahr 1973 beendete mit dem Ölpreisschock die positive Entwicklung des globalen Schiffbaumarktes. Zunächst war aufgrund langfristiger Planung auf den deutschen Werften vom Rückgang nicht viel zu spüren. Erste Veränderungen zeigten sich erst in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre. Durch die Verringerung der Aufträge mussten die Stammbelegschaften auf den Werften minimiert werden. Ab Anfang der 1980er Jahre folgten Unternehmensfusionen oder Werftschließungen. Was in Westdeutschland schließlich zur Strukturkrise in der Küstenregion führte, fing die japanische Regierung durch eine andere Unternehmensstruktur und eine spezifisch maritime Industriepolitik ab. Die japanische Industrielandschaft zeichnete sich durch Großunternehmen aus (Zaibatsu), in denen der Schiffbau nur ein Produktionsbereich war. Dadurch konnten die Konzerne wirtschaftliche Engpässe in einem Sektor durch die Finanzierung über andere ausgleichen. Zusätzlich sorgten konzerneigene Reedereien 14 Die Entwicklung hatte bereits Mitte der 1960er Jahre in den USA begonnen. Kostspielige Umschlags- und Lagervorgänge erübrigten sich, da der nötige Aufenthalt im Hafen auf weniger als einen Tag begrenzt werden konnte. Grund dafür war die Zusammenfassung von Gütern in genormten Kisten, Säcken und Ballen. Das ermöglichte auch einen Direktverkehr vom Sender zum Empfänger und den Transport fünfmal höherer Frachten als auf konventionellen Schiffen, siehe Behling u. Thiel, S. 135 f. 15 Diese Subventionsprogramme liefen über mehrere Jahrzehnte. Um welche Summen es sich handelte, verdeutlicht das siebte Werfthilfeprogramm 1971, das Subventionen von 3,8 Milliarden DM zur Verfügung stellte und nach Verhandlungen nochmals um 1,5 Milliarden DM aufgestockt wurde. Neben Exporthilfen gab es zahlreiche andere Programme, die die Schiffbauindustrie fördern sollten, darunter Reederhilfen ­(1962–1987) als Anreiz für Reeder, ihre Aufträge im Inland zu vergeben, und Investitionshilfen (1969–1974) als Ergebnis des ersten Werftgutachtens der Bundesregierung, in dem man den Investitionsrückstand deutscher Werften im internationalen Vergleich festgestellt hatte. Die Regierung förderte zudem den Großschiffbau, den Übergang zur Sektionsbauweise sowie die Serienfertigung. Ab 1979 kamen Auftragshilfen hinzu, ab 1987 Wettbewerbshilfen und nach dem endgültigen Rückgang der Nachfrage für westdeutsche Schiffe schließlich Umstrukturierungshilfen für die Küstenregion, siehe Albert, S. 205 ff.

17

18

Einleitung 

für eine stetige Nachfrage.16 Staatliche Förderung, Exportkredite, Importverbote oder hohe Importzölle, Unterstützung von Forschung und Entwicklung und Baukostenzuschüsse wirkten sich ebenfalls positiv aus. Das Ministerium für Transport verfolgte eine langfristige maritime Industriepolitik. Während der Tankerkrise ab Mitte der 1970er Jahre leitete die Regierung einen Plan zur Reduzierung der Kapazitäten ein: Sie drosselte die Produktion und versetzte zahlreiche Werftarbeiter in andere Industriezweige oder Subunternehmen.17 Dennoch war auch Japan nicht vor Konkurrenz gefeit. Zur gleichen Zeit begann Südkorea, massiv in die Branche zu investieren.18 Die koreanische Militärregierung stellte Fünfjahrespläne auf, die seit 1972 konkret auf den Schiffbau ausgerichtet wurden. Schon zwei Jahre später war die koreanische Hyundai-Werft die größte Werft der Welt und baute Schiffe mit einer Million Tonnen Tragfähigkeit. Es kamen weitere Großwerften hinzu, die  – wie in Japan  – breit diversifizierte Mischkonzerne (Chaebols) waren. Die südkoreanischen Werften bauten trotz der weltweiten Krise Mitte der 1970er Jahre ihre Produktionskapazitäten aus. Ihr schneller Anschluss an den Weltmarkt gelang durch die intensive Förderung des Technologietransfers. Westeuropäische und japanische Unternehmen wurden angefragt, Werftausrüstungen zu liefern, die Planung der Anlagen zu übernehmen und das Führungspersonal auszubilden.19 Südkorea konnte bis Anfang der 1980er Jahre internationale Entwicklungshilfe in Anspruch nehmen und stellte selbst zahlreiche nationale Anleihen, Kredite und Forschungsfördermittel zur Verfügung.20 Der Aufstieg und Fall von Marktführern verlief immer wieder nach ähnlichen Mustern. In Westdeutschland gelang es nur wenigen Werften, nach 1985 ihre Position auf dem Weltmarkt zu halten. Der insgesamt enorme Produktionsanstieg von Schiffen erzeugte schon früh eine hohe Überkapazität auf dem Schiffbauweltmarkt. Darauf nahmen neue Schiffbauländer selten

16 17 18 19 20

Albert, S. 166. Ebd., S. 173 ff. Ebd., S. 174. Ebd., S. 178. Ebd., S. 181. Ein wichtiger Faktor für den Aufstieg Südkoreas waren auch die niedrigen Lohnkosten. Durch einen zusätzlich günstigen Wechselkurs lagen die Preise von südkoreanischen Schiffen in dieser Zeit um zwanzig bis dreißig Prozent unter denen der westeuropäischen. Alice Amsden hat sich ausführlich mit dem schnellen Aufstieg Südkoreas beschäftigt und geht auch auf die Schiffbauindustrie ein, Amsden.

Die 1970er Jahre

Rücksicht, denn der Schiffbau bot durch die Verschiedenartigkeit der Produktionsbereiche und die enge Verknüpfung mit dem Handel einen guten Einstieg in die Industrialisierung.

1.2

Die 1970er Jahre

Die Schiffbauindustrie bildete in Bezug auf ihren Wandel keine Ausnahme in der Bundesrepublik. Das Land entwickelte sich während der Boomphase der 1950er und 1960er Jahre zu einem prosperierenden Staat mit hochentwickelter Industrie und – durch den Abbau der Arbeitslosigkeit und dem Anstieg der Löhne – zu einer Wohlstands- und Konsumgesellschaft. Wie und warum sich die Bundesrepublik so positiv entwickelte, wird bis heute diskutiert. Zu den verschiedenen Einflussfaktoren werden Ereignisse von außen gezählt wie der Korea-Krieg, die Marshallplan-Hilfen und die europäische Integration. Bei den endogenen Prozessen wird von einem besonderen Entwicklungswillen der Bevölkerung und der schnellen Aufhol- und Anschlussfähigkeit der Industrie gesprochen.21 Unterstützt durch Investitionsprogramme und Steuerentlastungen investierten die Unternehmer in die Weiterentwicklung ihrer Produkte, wovon auch die Gesellschaft profitierte. Die Wirtschaft kam erst durch die Rezession 1966/67 ins Stocken. Die Große Koalition versuchte, darauf mit einer keynesianische Globalsteuerung zu reagieren. Das »Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft« sollte das Preisniveau stabilisieren, die Vollbeschäftigung erhalten, ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht und das wirtschaftliche Wachstum sichern.22 Historiker bewerteten die damit verbundenen staatlichen Mehrausgaben sowie Absprachen mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern später entsprechend ihrer Überzeugung als gelungen oder gescheitert.23 Gleichwohl gelang es der damaligen Politik nicht, die positiven wirtschaftlichen Entwicklungen der 1960er Jahre weiterzuführen. Langfristig stellte dieser Rückgang allerdings nur einen Übergang zur Normalisierung dar und mündete nach der »Rekonstruktionsperiode« in eine Kontinuität, die die Entwicklung lediglich entschleunigte, aber nicht verhinderte.24 21 Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte, S. 292 ff. 22 Hardach, S. 213. 23 Siehe etwa die unterschiedlichen Positionen von Schildt, Materieller Wohlstand, S. 48 und Wehler, S. 60. 24 Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte, S. 300.

19

20

Einleitung 

Der Ölpreisschock und die Abschaffung des Bretton-Woods-Systems25 1973 deuteten dennoch eine tiefgreifende Wende an.26 Auch wenn der Verteuerung des Öls keine politische Wirkung attestiert wurde, hatte die zeitweilige Vervierfachung des Preises zumindest einen psychologischen Effekt auf den Welthandel und auf die Nachfrage nach entsprechenden Transportmitteln.27 An die Stelle von Bretton-Woods und dem US -Dollar als Leitwährung traten flexible Wechselkurse, die wiederum globale Finanzund Kapitalmärkte möglich machten und Wechselkursrisiken für Waren-, Geld- und Kapitaltransfer erhöhten.28 Länder mit zuvor niedrig bewerteten Währungen wie die Bundesrepublik mussten nun reagieren, indem sie Kapitalverkehrskontrollen aufweichten und die Wirtschafts- und Finanzpolitik flexibilisierten.29 Zeitgleich wurden Veränderungen innerhalb der bis dahin industriell geprägten Gesellschaft Westdeutschlands sichtbar. Bis 1970 waren noch 48,4 Prozent der Erwerbstätigen in der Industrie beschäftigt, danach sanken die Beschäftigungszahlen in diesem Sektor.30 Grund waren ausländische Konkurrenten, das Abebben der Nachkriegskonjunktur und eine fehlende technische Weiterentwicklung.31 Besonders im Bergbau, in der Schwerindustrie, der Bauwirtschaft und der verarbeitenden Industrie, die auf bestimmte Regionen konzentriert waren, lösten diese Probleme eine hohe Arbeitslosigkeit aus.32 Im Gegensatz dazu wuchs der Dienstleistungssektor. Der Anteil der Angestellten und Beamten stieg von 34 Prozent 1950 auf 43 Prozent im 25 Das Abkommen von Bretton-Woods 1944 basierte auf fixen Wechselkursen und einer Absicherung des Dollars durch eine Goldparität. Damit wurde die US -Währung zur internationalen Leitwährung. In den Folgejahren gründete sich der Internationale Währungsfonds und die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, die maßgeblich für das Funktionieren des Bretton-Woods-Systems sorgten. Dass das System Anfang der 1970er aufgegeben wurde, wird mit der wirtschaftlichen Situation der USA begründet, die durch sinkenden Export sowie Ausgaben für Militär- und Wirtschaftshilfen in Zahlungsschwierigkeiten gerieten, Gavin. 26 Wehler, S. 60 f. Zu den Folgen der Ölpreiskrisen in den 1970er Jahren, Göbel. 27 Plumpe, S. 113; Hohensee. So ist auch die Frage der Abhängigkeit zwischen Ölpolitik und wirtschaftlicher Entwicklung eine Frage der Perspektive. Die nachhaltige Auswirkung für die Schiffbauindustrie kann in keiner Weise negiert werden, auch wenn sie auf die Spekulationen der Reeder fußte und nicht auf den tatsächlichen Absatz des Öls. 28 Plumpe, S. 109. 29 Ebd., S. 110 f. 30 Wehler, S. 58. 31 Plumpe, S. 118. 32 Nonn.

Die 1970er Jahre

Jahr 1970,33 unter anderem durch steigende Beschäftigung bei Banken, Versicherungen, Beraterfirmen, im Medienbereich und durch den Ausbau der Kommunikationsstrukturen in Unternehmen. Der Ausbau des Sozialstaates bedurfte personeller Erweiterungen in den Sicherheitssystemen, der öffentlichen Verwaltung und im Bildungswesen.34 Doch der Dienstleistungssektor wuchs nicht in der Form, dass er die freiwerdenden und neu auf den Arbeitsmarkt drängenden Arbeitskräfte hätte aufnehmen können, weshalb die Arbeitslosigkeit ab Mitte der 1970er Jahre signifikant stieg.35 Diese Veränderungen traten allerdings nicht plötzlich auf, sondern zeichneten sich schon wesentlich eher ab und sind nicht allein im nationalen Kontext zu erklären. Besonders wenn die Abschaffung des Bretton-Woods-Systems als Grund für die verstärkte Globalisierung herangezogen wird, zeigt sich mit Blick auf außereuropäische Entwicklungen, dass wirtschaftliche Verflechtungen bereits vor diesem Ereignis existierten. In den 1960er Jahren etablierten sich multinationale Unternehmen in Europa, um Handelsbarrieren zu umgehen und auf dem europäischen Markt Fuß zu fassen.36 Vor allem US -amerikanische Firmen siedelten Produktionsstandorte in den Ländern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) an, um neue Absatzmärkte zu erschließen. Als Reaktion auf diese Expansion entschieden sich die Mitglieder der EWG, eigene multinationale Unternehmen zu fördern und Kapital zu mobilisieren. In der Folge schlossen sich zahlreiche europäische und US -amerikanische Unternehmen zu Gesellschaften zusammen, die durch ihre Größe die Preispolitik maßgeblich bestimmen konnten.37 Die Expansion der Unternehmen war nur durch eine zeitgleiche Entwicklung im Transport-, Informations- und Kommunikationswesen möglich. Der Austausch brachte enorme Fortschritte in der Produktion, die nach und nach auf Computertechnologie umstellte. Die Veränderungen im Transportsektor bewirkten wiederum eine steigende Mobilität von Waren und Menschen. Schon 1957 war durch die Entwicklung von Langstreckenflugzeugen eine Reise über den Atlantik möglich. Im Jahr 1973 flogen bereits 18,9 Millionen Menschen über den Ozean.38 Der Güterverkehr wurde revolutioniert, indem 33 Wehler, S. 58. 34 Ebd. 35 Raithel, Rödder u. Wirsching, S. 9. 36 Einen Überblick der wirtschaftlichen Entwicklungen aus globaler Perspektive bietet Zeiler. 37 Ebd., S. 263. 38 Ebd., S. 289.

21

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Einleitung 

US -Speditionen in den 1950er Jahren verstärkt Containerschiffe nachfrag-

ten, die den Überseehandel beschleunigten. Westeuropäische Unternehmen griffen die technischen Entwicklungen in den Folgejahren auf. Die beschleunigte Kommunikation zwischen weit entfernten Orten wurde zudem durch neue Kommunikationstechnologien wie das Telex und Telefax möglich. Vor allem mit dieser revolutionierten Kommunikation gelang die Expansion von Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks. Die Entwicklungen der 1970er Jahre stellten also lediglich ein neues Stadium der weltweiten Verflechtung und Vernetzung dar. Der Währungsfonds war nicht mehr damit beschäftigt, das Währungssystem zu überwachen, sondern richtete seine Aufmerksamkeit auf die Entwicklung von Ländern des globalen Südens39, indem er deren Regierungen riet, ihre Märkte zu öffnen und sich in die Weltwirtschaft zu integrieren. Die Weltbank unterstützte diese Länder ebenfalls und sicherte ausländische Direktinvestitionen ab. Multinationale US - wie westeuropäische Konzerne stießen in bisher unerschlossene Märkte vor und etablierten dort neue Produktionsstandorte. Gleichzeitig investierten vor allem asiatische Länder in eigene Produktionsbereiche und eroberten den Markt des globalen Nordens. An vielen Stellen dieser Arbeit wird deutlich werden, dass es zahlreiche Klagen über ihre schnelle Expansion gab und ihnen unlautere Handelspraktiken, subventionierte Exporte und Dumpingpreise unterstellt wurden. Zudem wird am Beispiel des Schiffbaus gezeigt, wie die bisherigen Marktführer versuchten, die neuen Konkurrenten durch protektionistische Maßnahmen zu vertreiben.40

1.3

Die westdeutsche Gewerkschaftsbewegung nach 1945

Bundeskanzler Konrad Adenauer konzentrierte sich in der Nachkriegszeit auf eine schnelle erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung. Dem Staat kam eine wichtige Entscheidungsgewalt in der Kohle- und Eisenproduktion, der 39 Ich verwende diese Umschreibung aus Ermangelung eines besseren Begriffs, um die Wahrnehmung historischer Akteure von industriellen Entwicklungen außereuropäischer Länder zu benennen. Diese Prozesse verliefen weder zeitgleich noch homogen, wurden von den Akteuren durch Bezeichnungen wie »Dritte Welt« oder »Entwicklungsländer« aber in dieser Form kategorisiert. In der Arbeit verwende ich die letztgenannten Bezeichnungen in Anführungszeichen, um sie als Zitate kenntlich zu machen und auf die Perspektive der Akteure hinzuweisen. 40 Ebd.

Die westdeutsche Gewerkschaftsbewegung nach 1945

Stromerzeugung und im Bankensektor zu.41 Politische Diskussionen in Aufsichtsgremien sollten möglichst unterbunden werden. Die Sozialdemokraten stimmten diesem Vorhaben mit dem Godesberger Programm 1959 zu. Sie verzichteten auf systemverändernde Forderungen und gingen einen Kompromiss mit wohlfahrtsstaatlichen Angeboten ein.42 Was von den Kritikern als »Integration der Klassenautonomie in die alleinige Logik des Kapitals« interpretiert wurde, sahen Befürworter als »Ausdehnung der Arbeiterklasse, ihrer Macht und ihres gewachsenen Einflusses«.43 Diesen Kompromiss machten  – mit etwas Verzögerung  – auch die Gewerkschaften. Ihre Neubildung nach dem Zweiten Weltkrieg stand unter dem Vorzeichen der Einheit von kommunistischen, sozialdemokratischen, christlichen und liberalen Traditionen unter dem Dach des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Das waren die Lehren, die man aus der Weimarer Republik zog, in der die parteipolitische Zersplitterung zur Kapitulation vor dem Nationalsozialismus geführt hatte.44 Doch die Gründung des DGB fiel in die Zeit des Kalten Krieges. Der anfänglichen Euphorie folgten bald Rivalitäten über eine politische Ausrichtung – eine Kontroverse, an der auch die Parteien ihren Anteil trugen. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) war nach 1945 die führende Partei innerhalb der Gewerkschaften. Ihre Mitglieder besetzten wichtige Posten in Vorstandsgremien sowie auf regionaler und lokaler Ebene.45 Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) unterstützte den Gedanken der Einheitsgewerkschaft, setzte aber vor allem auf Betriebsarbeit und konnte in einigen Industriezweigen und Regionen, wie im Ruhrbergbau und auf den Werften, Betriebsratswahlen für sich gewinnen.46 Angeführt von kommunistischen Betriebsräten, die den Zweiten 41 Judt, S. 300. 42 Dörre, Überbetriebliche Regulierung, S. 882. Der Weg zu einer gemäßigten Sozialdemokratie wurde schon in den 1930er Jahren beschritten, als sich Sozialisten statt eines Kampfes gegen den Industriekapitalismus für einen schrittweisen und kooperativen Wandel entschieden, der am konsequentesten in Schweden verfolgt wurde. Grundlage war die Einbindung der Bauern und Landbevölkerung, aus denen sich die Gesellschaft zu einem großen Teil zusammensetzte, und der Aufbau eines Wohlfahrtsstaates mit einem umfassenden Sozialsystem, sozialen Rechten und Sozialleistungen, die durch eine hohe progressive Besteuerung finanziert wurden. Diese Politik machte Skandinavien, insbesondere Schweden, zu einem Vorzeigemodell der Sozialdemokratie, Judt, S. 403 ff. 43 Buci-Glucksmann u. Therborn nach Dörre, Überbetriebliche Regulierung, S. 882. 44 Schönhoven, Kalter Krieg, S. 261. 45 Ebd., S. 264. 46 Ebd., S. 266. Siehe auch Kleßmann; Kössler.

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24

Einleitung 

Weltkrieg überlebt hatten und im Wiederaufbau die Möglichkeit einer »gewerkschaftlichen Aktionseinheit« der Sozialisten sahen, kam es in einigen Betrieben zu politischen Streiks.47 Der Marshallplan führte bei den Gewerkschaften schließlich zum Bruch zwischen den politischen Lagern. Während die KPD die US -amerikanischen Hilfen strikt ablehnte, stimmte die SPD diesen zu und ging dazu über, in den Betrieben ihre parteipolitische Arbeit zu verstärken. Die Kommunisten wurden zunehmend aus den Betrieben und Gewerkschaftsebenen gedrängt und es gelang ihnen nicht, eine Opposition aufzubauen. Das lag zum einen an der Ausbreitung der antikommunistischen Haltung in den Belegschaften, zum anderen an der KPD selbst, die mit ihrer gewerkschaftskritischen »These 37« offensiv gegen sozialdemokratische Gewerkschafter vorging: Im Auftrage und im Interesse des amerikanischen Imperialismus und im Einklang mit den deutschen Monopolisten versuchen die rechten Gewerkschaftsführer, die Gewerkschaftsorganisation in den Dienst der Kriegsvorbereitungen zu stellen. Dies beweisen ihre Abmachungen mit den deutschen Monopolisten über die Vertretung in den Aufsichtsräten. Diese Vereinbarungen sollen die Gewerkschaften einreihen in die Organisation der Kriegsproduktion und der Kriegswirtschaft.48 Damit war der Konflikt auf dem Höhepunkt. Die Gewerkschaften verpflichteten ihre Mitglieder, ein Schreiben zu unterzeichnen, in dem sie zustimmten, dass die Aussagen der KPD gewerkschaftsfeindlich seien. Geschah dies nicht, kam es zum Ausschluss aus der Organisation. Es gab Verbote kommunistischer Publikationen und Organisationen sowie Verhaftungen. Insgesamt wurden 654 Mitglieder aus DGB -Gewerkschaften aufgrund »gewerkschaftsschädigenden Verhaltens« ausgeschlossen.49 Die Kurskorrektur der KPD 1954 kam zu spät, 1956 wurde sie verboten. Durch ihre weitgehende Isolierung gab es in den Belegschaften kaum Proteste.50 Diese Auseinandersetzung vollzog sich auch bei der inhaltlichen Ausrichtung des Gewerkschaftsprogramms. Mit der paritätischen Mitbestimmung im Montansektor hatten die Gewerkschaften 1951 noch für eine Gleich­ berechtigung zwischen Kapital und Arbeit gekämpft – und gewonnen. Doch 47 Eschenhagen, S. 6. 48 Nach Fülberth, S. 50. 49 Schönhoven, Kalter Krieg, S. 275. 50 Fülberth, S. 92.

Die westdeutsche Gewerkschaftsbewegung nach 1945

schon ein Jahr später mussten sie bei der Aushandlung des Betriebsverfassungsgesetzes und der Ausdehnung dieser Regelung auf andere Industriezweige eine Niederlage einstecken: Die Rechte der Betriebsräte wurden auf soziale und personelle Fragen reduziert und politische Streiks zum Wohl des Wirtschaftswachstums und im Sinn der Friedenspflicht unterbunden.51 Forderungen nach einer Neuordnung wurden immer nebensächlicher. Mit dem Grundsatzprogramm von 1963, das in Anlehnung an das Godesberger Programm der SPD verfasst wurde, verzichteten die Gewerkschaften endgültig auf Formulierungen zu gesellschaftlichen Veränderungen oder gar Gegenentwürfen und erklärten die Gewerkschaften zu einem mitgestaltenden Teil im und am Staat.52 Nach den Erfahrungen der Weimarer Republik verstanden sie die wirtschaftliche Mitbestimmung als Emanzipation und Veränderung aus dem System heraus.53 Die Folge, die die Gewerkschafter damals nicht im Blick hatten oder als notwendiges Übel in Kauf nahmen, war eine Organisation, deren Führung dem Kapital manchmal näher war als der Basis. Viele sahen diesen Weg als den richtigen und interpretierten die Beteiligung an Lohnverhandlungen als eine Form sozialistischer Umgestaltung.54 Dementsprechend begrüßten die meisten die zentral gesteuerte Tarifpolitik und die lokal organisierte betriebliche Mitbestimmung. Es begann das »Goldene Vierteljahrhundert der Gewerkschaften«. Die Mitgliederzahlen stiegen, die Gewerkschaften waren durch Presse und Demonstrationen zum 1. Mai in der Öffentlichkeit präsent und fanden in breiten Bevölkerungsschichten Anklang.55 Die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen der Bundesrepublik in den 1950er und 1960er Jahren schienen die Versprechen des Klassenkompromisses einzulösen: Das Wirtschaftswachstum führte die Gesellschaft in eine Phase des Wohlstands. Die Arbeiterklasse galt durch die Steigerung ihrer Einkommen, die Verbesserung ihres Lebensstandards und ihrer Wohnsituation als befriedet. Der Wohlfahrtsstaat hatte die Funktionen der solidarischen Arbeitergemeinschaft durch Sozial- und Rentenabsicherungen übernommen. Ein Klassenkampf wurde nun unnötig, da die Gesellschaft nicht mehr unter sozialer Ungleichheit zu leiden schien. Als 1966 die Sozialdemo51 Für viele Zeitgenossen bedeutete diese Regelung eine Niederlage, siehe Birke, Wilde Streiks, S. 48. 52 Schroeder, Gewerkschaften als soziale Bewegung, S. 251. 53 Schneider, S. 257. 54 Kempter, Gefolgschaft, Kooperation, S. 283. 55 Kaelble, Sozialgeschichte Europas, S. 303.

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Einleitung 

kraten in die Regierung wechselten, schien die Strategie aufzugehen. Die erste Phase des sozialdemokratischen Jahrzehnts war in den Gewerkschaften von Euphorie geprägt.56 Die meisten Abgeordneten der SPD gehörten einer DGB Gewerkschaft an. Die Antrittserklärung des Bundeskanzlers Willy Brandt wurde von den Gewerkschaftern begrüßt und als »Gründungsdokument eines neuen Staates« interpretiert.57 Die Ausweitung der paritätischen Mitbestimmung in Großunternehmen allerdings – eine Forderung, an der die Gewerkschaften immer noch festhielten – wurde von der SPD aufgrund des Regierungspartners, der Freien Demokratischen Partei (FDP), hintangestellt. Errungenschaften der Gewerkschaften in dieser ersten SPD -regierten Phase waren die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes, die Rentenreform für eine flexiblere Altersgrenze und Leistungsverbesserungen im Gesundheitswesen im Jahr 1972 und ein neues Personalvertretungsgesetz für den öffentlichen Dienst 1974.58 In dieser Phase waren die Gewerkschaften die Stütze der sozialliberalen Regierung. Der Eintritt in die Konzertierte Aktion war allerdings von einer intensiven innergewerkschaftlichen Debatte um die Frage begleitet, ob sich die Ziele der Gewerkschaften nicht in ihr Gegenteil verkehren könnten. Von vielen wurde die Konzertierte Aktion aber als bisher »kaum erreichtes Maß an Anerkennung«, als »Stabilisierung des deutschen Modells industrieller Beziehungen« und »Organisationshilfe« der Akteure interpretiert.59 Doch nicht für alle galt diese Form der Mitbestimmung als Errungenschaft der Gewerkschaftsbewegung oder gar als beste Möglichkeit, die Arbeiterinteressen durchzusetzen. Im Zuge der Tarifverhandlungen entwickelte sich Ende der 1960er Jahre eine Welle an wilden Streiks in den Betrieben. Zwischen 1970 und 1979 verdoppelte sich im Vergleich zum vorhergehenden Jahrzehnt die Zahl der an den Streiks beteiligten Arbeiter. Die ausgefallenen Arbeitstage verdreifachten sich.60 Die Streiks markierten die strategischen Grenzen des zentral organisierten sozialen Ausgleichs und stellten die strukturelle Entwicklung des Jahrzehnts infrage.61 Die Bewegung von unten bekam eine »schädliche Eigendynamik«.62 Das hatte wiederum zur Folge, 56 Kempter, Gefolgschaft, Kooperation, S. 285. 57 Ebd., S. 286. 58 Ebd. 59 Schroeder, Industrielle Beziehungen, S. 524. 60 Ders., Gewerkschaften als soziale Bewegung, S. 255. 61 Ders., Industrielle Beziehungen, S. 526. 62 Ders., Gewerkschaften als soziale Bewegung, S. 265.

Die westdeutsche Gewerkschaftsbewegung nach 1945

dass die Gewerkschaften im Moment des strukturellen und wirtschaftlichen Wandels Mitte der 1970er Jahre auf die (eigentliche) Problematik, wie eine zukunftsweisende Arbeitsgesellschaft aussehen könnte, nicht reagierten. In den Betrieben wurde die Gewerkschaftspolitik schon in der ersten Streikwelle 1969 kritisiert. Problematisch wurde es mit den wirtschaftlichen Ereignissen der Jahre 1973/74: Durch die Ölpreiskrise wurde der Aufschwung gebremst. Die Amtsübernahme von Helmut Schmidt machte klar, dass eine »andere Zeit angebrochen war«, denn Schmidt stand für den konservativen Flügel der SPD.63 Er ging mit den wirtschaftlichen Veränderungen anders um als Brandt, stellte die Forderungen nach sozialem Ausbau zurück und geriet damit zwangsläufig in Konflikt mit den Gewerkschaften. Beim Thema Ausweitung der Mitbestimmung konnte sich die SPD gegen den Koalitionspartner nicht durchsetzen. In Großunternehmen war die Arbeitnehmerseite im Vorstand nicht vertreten und im Aufsichtsrat wurde ihre Position geschwächt. In den Folgejahren gab es immer weniger soziale Reformen.64 Durch die steigenden Arbeitslosenzahlen gerieten die Gewerkschaften zunehmend unter Druck. So forderte der DGB im Juli 1977 zur Wiederherstellung der Vollbeschäftigung die Förderung des qualitativen Wachstums, die Humanisierung der Arbeit, die Verkürzung der Arbeitszeit und allen voran eine aktivere Beschäftigungspolitik.65 Zu einer zusätzlichen Herausforderung gerieten die neuen sozialen Bewegungen. Einerseits kritisierten die Umweltaktivisten die industrielle Produktion und den Konsum und griffen damit eine wesentliche Strategie der Gewerkschaften an, die mit wirtschaftlichem Wachstum die Vollbeschäftigung zu sichern versuchten. Andererseits bahnten sich kommunistische Gruppen (K-Gruppen) ab 1969 einen Weg in die Betriebe, um mit der Arbeiterschaft die Gewerkschaftsstrukturen von innen heraus zu verändern.66 Schließlich spitzte sich die wirtschaftliche Situation zu einer Phase zu, die Klaus Kempter als »Dissens und Konfrontation« bezeichnet.67 Mit der schlechten Arbeitsmarktlage Ende der 1970er Jahre wurden die Forderungen der FDP nach einer Kursänderung immer lauter und Schmidt entschied 1981, die Sozialleistungen zu kürzen, darunter die Ausbildungsförderung,

63 64 65 66 67

Kempter, Gefolgschaft, Kooperation, S. 287 f. Ebd., S. 289. Schneider, S. 371. Steffen. Kempter, Gefolgschaft, Kooperation, S. 295.

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28

Einleitung 

die Krankenversicherung, das Kindergeld und die Subvention des sozialen Wohnungsbaus.68 1982 gingen die Kürzungen weiter, was die Gewerkschaften herausforderte. Sie verlangten ein Beschäftigungsprogramm, konnten die Sozialpartner aber nicht an den Verhandlungstisch bringen. Der DGB begann daraufhin eine Kampagne gegen die Regierungspolitik mit Worten wie »Abkehr vom Sozialstaat« und »tiefer Bruch« zwischen SPD und Gewerkschaften.69 Kempter interpretiert das Ende der SPD -Regierungsbeteiligung 1982 als regelrechte Erleichterung für die Gewerkschaften, die mit der SPD nun wieder eine gemeinschaftliche Opposition bilden konnten.70 Mit der neuen Regierung kam eine neue Politik, die die Stärkung der Privatwirtschaft sowie die Verbilligung der Arbeitskraft durch Unterschreiten der Tariflöhne unterstützte.71 Hinzu kam die Lockerung des Kündigungsschutzes. Die Gewerkschafter sahen nun ernstlich die Errungenschaften des kollektiven Tarifvertrags und der Mitbestimmungsregelungen in Gefahr. Sie gaben Resolutionen und Broschüren heraus, veranstalteten wissenschaftliche Tagungen und Kundgebungen, doch ihr Bemühen war wenig aussichtsreich. Die Gewerkschaften gerieten auf ein »politisches Abstellgleis«.72

1.4 Forschungsstand Die westdeutsche Forschung verfolgte die Entwicklungen der Schiffbauindustrie schon während der Ereignisse in den 1970er und 1980er Jahren. Die Ölkrise spielte eine zentrale Rolle,73 aber auch die Umstellung der Produktion. Einige Analysen zeigen, dass durch die Konzentration auf den Großschiffbau die Spezialisierung im Bereich der kleineren Schiffe von Yachten bis Fähren wegfiel – eine Ressource, die beim Einstieg neuer Schiffbauländer in den Großschiffbau ein wichtiger Wettbewerbsvorteil war.74 Einige Autoren argumentieren, dass der Schiffbaumarkt schon immer international gewesen sei und seit den 1970er Jahren nur einen erneuten Schub durch die Industria68 69 70 71 72 73 74

Jäger u. Link. Kempter, Gefolgschaft, Kooperation, S. 297. Ebd., S. 298. Schneider, S. 377. Ebd., S. 383. Kappel, Zur Krise; Albert; Heseler u. Kröger; Kloberg. Götz Albert argumentiert, dass die Industrie bereits Ende der 1950er Jahre in eine Krise geriet, von der sie sich durch den Großschiffbau nur kurzfristig erholte, Albert.

Forschungsstand

Abb. 1: Beschäftigte in der westdeutschen Schiffbauindustrie (1959–1987) 120.000

100.000

80.000

60.000

40.000

20.000

19 59 19 60 19 61 19 62 19 63 19 64 19 65 19 66 19 67 19 68 19 69 19 70 19 71 19 72 19 73 19 74 19 75 19 76 19 77 19 78 19 79 19 80 19 81 19 82 19 83 19 84 19 85 19 86 19 87

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Quelle: Albert, S. 355.

lisierung von Ländern des globalen Südens erfahren habe.75 Des Weiteren zeigen die Studien, dass der Abbau von Arbeitsplätzen aufgrund der Automatisierung von Arbeitsprozessen schon in den 1960er Jahren begann (vgl. Abb. 1). Als sich die Anforderungen des Schiffbaumarktes veränderten, stieg der Anteil an Fremdfirmen, die auf die erhöhte Flexibilisierung zu reagieren versuchten.76 Dass diese Prozesse letztlich durch die Krise der 1970er Jahre nur beschleunigt wurden, ist ein wesentliches Argument in den Arbeiten zur Schiffbauindustrie.77 75 Porter; Amsden. Siehe außerdem Todd, Industrial Dislocation sowie Todd, Going East. 76 Die Schiffbauindustrie ist von einem sehr unregelmäßigen Arbeitsprozess gekennzeichnet, der ebenfalls Auswirkungen auf die Beschäftigung hat. Das Warten auf Neubauaufträge steht in einem ständigen Wechsel mit arbeitsintensiven Produktionsphasen. Für die Personalabteilungen war es in den 1950er Jahren schwierig, langfristig eine gleichbleibend hohe Zahl an Arbeitern zu beschäftigen. Werftarbeiter Westdeutschlands hatten in den 1950er Jahren sehr kurze Arbeitsverträge, zugeschnitten auf den jeweiligen Produktionszeitraum eines Schiffes. Als die Nachfrage nach Schiffen wuchs, entstand ein Mangel an Arbeitskräften. Die Arbeitsverträge verlängerten sich, um das Personal an das Unternehmen binden zu können. In Zeiten schwieriger Auftragslagen versuchten die Unternehmen später, die Kernarbeiter durch Kurzarbeit zu halten, Friedmann, S. 75. 77 Dieses Argument verfolgt vor allem Stråth, aber auch Albert.

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Zahlreiche Sozialwissenschaftler untersuchten schließlich die Folgen der Veränderungen für die Werftarbeiter. Sie beobachteten die Beschäftigten bei ihren Arbeitsprozessen und befragten sie zur Entwicklung der Industrie und zu ihrer persönlichen Perspektive. Von optimistischen Analysen Anfang der 1970er Jahre, in denen Streiks als ein Aufbäumen der Arbeiterbewegung interpretiert werden,78 entwickeln sich die Studien bis in die 1980er Jahre zu Dokumentationen des Niedergangs der Arbeiterklasse und des Verschwindens der Industriegesellschaft.79 Die Untersuchungen der westdeutschen Schiffbauindustrie ähneln denen anderer westeuropäischer Industrieländer. Dabei zeigt sich, dass es Vorläufer dieser Entwicklungen gab, etwa Großbritannien, das schon in den 1950er Jahren durch die Konkurrenz westdeutscher, schwedischer und japanischer Werften beeinflusst war,80 oder dass die sinkende Nachfrage im Schiffbau zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen führte, wie in Schweden, wo die abklingende Konkurrenzfähigkeit relativ früh erkannt und umgehend mit Umstrukturierung reagiert wurde.81 Ganz anders lesen sich Arbeiten zu Ländern, in denen sich die Industrie während der 1970er Jahre gerade erst entwickelte oder die nicht von der Krise betroffen waren. Da es beispielsweise japanischen Werften gelang, ihre führende Position auf dem Weltschiffbaumarkt zu halten, beschäftigte man sich mit der Integration hochtechnologischer Produktionsabläufe und der schnellen und preiswerten Produktion von Schiffen, die von Forschungseinrichtungen entwickelt und erprobt wurden.82 Gemein ist vielen Darstellungen, dass die nationalen Entwicklungen relativ unabhängig von anderen Prozessen erläutert werden. Dennoch sind sie miteinander verflochten, etwa über Reeder, die die neuen Märkte entdeckten und den Kontakt zu neuen Werften etablierten, über Unternehmer, die den Bau neuer Werften durch Kapitalinvestitionen forcierten, über Ingenieure, die die Technologie in neue Kontexte transferierten und über Arbeiter, die für bestimmte Produktionsphasen als Vorarbeiter auf Werften gingen, um die anderen in ihren Tätigkeiten anzulernen. Die Arbeit geht speziell der grenzübergreifenden Zusammenarbeit von gewerkschaftlichen Akteuren nach. Sie wird aufzeigen, wo es zu Zusammen-

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Schumann, Bathge u. Schwenke; Jacobi, Müller-Jentsch u. Schmidt; Kern u. Schumann. Einemann; Schumann, Einemann, Siebel-Rebell u. Wittemann. Johnman u. Murphy. Karlsson. Chida u. Davies.

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schlüssen von Gewerkschaftern auf europäischer und globaler Ebene kam, wie die Schiffbauindustrie dort verhandelt wurde, welche Themen für die Vertreter der Werftarbeiter eine Rolle spielten und was das Ergebnis dieser Austauschprozesse war. Dadurch wird deutlich, dass Ideen für nationale Strategien nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern aus anderen Kontexten adaptiert oder leicht verändert umgesetzt wurden. Die Konzentration auf transnationale Verbindungen kann die Forschung zur Schiffbauindustrie beziehungsweise zu Werftarbeitern und Metallgewerkschaften bereichern und das bereits als abgeschlossen geltende Kapitel zum westeuropäischen Schiffbau mit neuen Fragen öffnen. Eine wesentliche Frage in der zeitgeschichtlichen Debatte war, welchen Einfluss die wirtschaftlichen und industriellen Veränderungen der 1970er Jahre auf die Gesellschaft hatten. In Bezug auf den Soziologen Daniel Bell, der die These vom Übergang in eine nachindustrielle Gesellschaft aufstellte,83 fragen Historiker heute, wie relevant der Rückgang der Industrie dabei war. Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael sehen in den 1970er Jahren einen Strukturbruch mit »revolutionärer Qualität«, der die etablierten Parameter politischen und gesellschaftlichen  Handelns veränderte.84 Ihre Monographie ist Ausgangspunkt weiterer Diskussionen,85 in denen auch die Rede von der Phase des Booms relativiert wird. Eckart Conze schreibt beispielsweise, der Zeitraum der außerordentlichen Wirtschaftsentwicklung sei zwar als das »goldene Zeitalter«86 bezeichnet worden, zeige aber bereits vor 1973 Brüche. Die Industriezweige seien lange vor dem Ende des Booms in eine Krise geraten und man könne ihren Niedergang nicht ausschließlich mit den weltwirtschaftlichen Verwerfungen und dem globalen Konjunktureinbruch der 1970er Jahre erklären.87 Auch der plötzliche Niedergang der Industrie gilt als widerlegt.88 Die Industrie sei nicht plötzlich verschwunden, wie Conze fortsetzt, sondern habe sich zu einer »tertiarisierten Industriewirtschaft« entwickelt. Ähnliche Erklärungen findet man bei Gerold Ambro-

83 Bell. 84 Doering-Manteuffel u. Raphael, Nach dem Boom, S. 74. 85 Sie haben mittlerweile Forschungsergebnisse zu ihren bereits 2008 aufgestellten Hypothesen zusammengetragen, siehe Doering-Manteuffel, Raphael u. Schlemmer, Vorgeschichte der Gegenwart. 86 Im Französischen als »les trente glorieuses«, Fourastié, im Englischen als »Golden Age« bezeichnet, u. a. bei Hobsbawm. 87 Conze, S. 550. 88 Plumpe u. Steiner.

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sius.89 Die Entwicklung des Schiffbaus unterstreicht diese Beobachtungen. Die wirtschaftlichen Probleme des Sektors begannen nicht erst 1973, sondern erforderten schon in den 1960er Jahren weitgehende Umstrukturierungen und technologische Innovationen, was nicht allen Werften gelang. Ebenso verschwand der Schiffbau in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre nicht vollständig, sondern wurde in einzelnen Werften von staatlichen Subventionen am Leben erhalten. Selbst als Anfang der 1980er Jahre Werftanlagen massiv rückgebaut wurden, gab es einige Beispiele wie den Bremer Vulkan, die diese Phase überlebten. Die Veränderungen wurden insgesamt aber als einschneidender gesellschaftlicher Strukturwandel interpretiert, was vor allem an zwei Parametern liegt: der rückläufigen Beschäftigungszahlen seit Mitte der 1970er Jahre90 und der Umformung der industriellen Produktion selbst. Gerold Ambrosius schreibt, die deutsche Wirtschaft habe sich vom Industrialisierungs­muster des 19. Jahrhunderts verabschiedet und einen Wandel von Massenproduktion zu höher qualifizierten Arbeiten durch forschungs- und entwicklungsintensive Verfahren und flexible Fertigung vollzogen.91 Dies wiederum führte zu einem geringeren Arbeitskräftebedarf, da Arbeitsabläufe zunehmend von Maschinen übernommen wurden.92 Auch dieser Aspekt traf auf den Schiffbau zu, der seinen Beschäftigungszenit bereits 1959 erreichte. Der sektorale Wandel ist nicht die einzige Veränderung, die für die 1970er Jahre beobachtet wird. Historiker sind sich weitgehend einig, dass es sich um vielschichtige Veränderungen in Wirtschaft, Politik, Bildung und Kultur handelte. Axel Schildt konstatiert, dass eine einzige privilegierte Kennzeichnung der komplexen Veränderungen nicht machbar sei.93 Das betrifft auch die Periodisierung. Während manche wie Schildt diese Zeit in ein Davor und Danach einteilen, in dem das Jahr 1973 eine entscheidende Rolle spielt,94 89 Er spricht von einem kombinierten Industrie-Dienstleistungssektor und relativiert die These der Deindustrialisierung, siehe Ambrosius, S. 19. 90 Steiner, S. 35. 91 Ambrosius, S. 23. Dieser Diskussion schloss sich die Frage an, ob die Produktionsveränderungen zum Ende des fordistischen Produktionsregimes führten, siehe auch Hachtmann, S. 207 ff. 92 Als Überblick zum Wandel der Arbeitsgesellschaft Andresen, Bitzegeio u. Mittag, Nach dem Strukturbruch? 93 Schildt, Die Sozialgeschichte, S. 86. 94 Bei Schildt wird die Phase der Transformationen der Zeit vor 1973 zugesprochen, die bis in die ausgehenden 1950er Jahre zurückreiche und von ihm als die langen 1960er Jahre bezeichnet werden, ebd., S. 30.

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denken andere die Phase übergreifender95 oder spannen den Bogen bis in die 1990er Jahre.96 Trotz der Beobachtung globaler Prozesse bleibt die Debatte meistens auf deutsche Phänomene beschränkt, was neuere Arbeiten mitunter kritisieren.97 Diese Kritik kann in zwei Richtungen weitergedacht werden: Die eine führt zur Frage, ob es vergleichbare Veränderungen in den Ländern Europas gab.98 Dieser Weg birgt allerdings die Gefahr, dass eine europäische Homogenität konstruiert wird, die die Unterschiede der Regionen und Länder aus dem Blick verliert oder aber eine Sonderrolle des Kontinents gegenüber anderen entwirft.99 Eine zweite Möglichkeit ist der Blick auf außereuropäische Entwicklungen. Es gibt zahlreiche Publikationen zu den Veränderungen in der US -amerikanischen Gesellschaft.100 Die Bezugspunkte ähneln denen der europäischen Literatur. Einige Autoren relativieren die Einschätzung zum wirtschaftlichen und sozialen Wandel der 1970er Jahre. In einem globalen Vergleich stellt Niall Ferguson fest, dass der wirtschaftliche Einbruch nicht sehr dramatisch verlief.101 Zwar beendeten die 1970er Jahre den Nachkriegsboom, die 1980er Jahre sollten aber noch deutlichere Auswirkungen haben. Dennoch teilt auch er die Sicht seiner Kollegen, dass sich eine langfristige Veränderung vollzog und zwar vor allem bezogen auf die industrielle Gesellschaft und Liberalisierung des Marktes.102 Charles Maier hat die Veränderung in kapitalistischen wie sozialistischen Staaten dieser Zeit untersucht und entdeckt in beiden Systemen einen Kollaps des Fordismus, hervorgerufen durch technologische Entwicklungen und die Industrialisierung von Ländern des globalen Südens, was er als »dritte Krise des Jahrhunderts« bezeichnet.103 Im Zusammenhang mit der Interpretation der 1970er

95 Doering-Manteuffel und Raphael dehnen den Zeitraum auf die zehn Jahre zwischen 1965 und 1975 aus, Doering-Manteuffel u. Raphael, Nach dem Boom. 96 Raithel, Rödder u. Wirsching, S. 9. Oder als Probleme der Gegenwart, siehe Jarausch. 97 Welskopp, Rezension; Fabian; Geyer. Reaktionen auf diese Kritik siehe u. a. Gallus, Schildt u. Siegfried. 98 Kaelble, The 1970s in Europe, S. 19, Judt, S. 513. 99 Hans-Heinrich Nolte kritisiert: »Bis in die Gegenwart hinein werden […] Aussagen zur Sonderrolle Europas gemacht, die nicht als komparative Aussagen angelegt sind, sondern aus der Fülle quellenimmanenten Materials heraus endogene Entwicklungslinien nachzeichnen und zu ›Sonderwegen‹ erklären, ohne dass die Literatur zu anderen Kulturkreisen ausreichend zur Kenntnis genommen wurde.«, Nolte, S. 13. 100 Berkowitz; Stein. 101 Ferguson. 102 Ebd., S. 16. 103 Maier, S. 51.

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Jahre fällt häufig auch der Begriff Krise. Im Mittelpunkt stehen dabei die Zeitgenossen und deren Wahrnehmung.104 In den Arbeiten, die aus globaler Perspektive auf die Entwicklungen schauen, fallen Krisen weniger ins Gewicht. Es geht vielmehr um ökonomische Verflechtungen und die Verdichtung von Beziehungen, die häufig unter dem Schlagwort Globalisierung zusammengefasst werden.105 Doch auch Globalhistoriker sind sich bei der Terminierung dieser Globalisierungsphase uneins.106 Gemeinsam ist allen, dass sie ökonomische Indikatoren als Schlüsselfaktoren der Veränderungen benennen und die »zunehmende Verflechtung zuvor räumlich […] entfernter Wirtschaften«107 als Vorboten der Globalisierung betrachten. Die Veränderungen bedeuteten für die gesellschaftlichen Akteure enorme Herausforderungen, heißt es häufig.108 Ich verstehe die neuen Globalisierungsprozesse nicht als abstrakt-ökonomische Veränderungen, mit denen gesellschaftliche Akteure umgehen mussten, sondern als Ereignisse, die Reaktionen von Akteuren mit eigenen Interessen und je eigenen Möglichkeiten hervorriefen. Ähnlich wie Matthias Middell und Ulf Engel nehme ich an, dass die Globalisierungsprozesse nicht in eine globale Homogenisierung mündeten, sondern unterschiedliche Gegenbewegungen hervorriefen und zu neuen räumlichen Ordnungsmustern führten.109 Diese Raumbezüge – ob regional, lokal, national, transnational – existierten nebeneinander und wurden je nach Kontext und Notwendigkeit neu verhandelt und genutzt.110 Ein weiterer Aspekt, den die Arbeit aus der Globalgeschichte aufgreift, ist der Versuch, eine Distanz zum Narrativ des »Rise of the West« zu ent-

104 Vorgestellt zum Beispiel beim 11. DoktorandenInnenforum des Zentrums für Zeitgeschichte in Potsdam, Metzner. Aber auch im Rahmen von Krisenwahrnehmungen in der Arbeitsgesellschaft gibt es neue Forschungsansätze, Wolf, Tagungsbericht. 105 Osterhammel u. Petterson, S. 24; Conrad u. Eckert, S. 20. 106 Diejenigen, die langfristige Prozesse betrachten, sehen den Beginn bereits in den 1950er Jahren mit der wirtschaftlichen Erholung in der Nachkriegszeit und dem strukturellen Wandel in der Weltwirtschaft, Hopkins, S. 34. Andere interpretieren 1973 als entscheidendes Jahr für den Beginn der Kursänderung zu einem globalen Liberalismus, neben anderen Cox. Engel und Middell verweisen auf 1989/90 als Ausgangspunkt globaler Veränderungen, Engel u. Middell, Bruchzonen der Globalisierung, S. 11. 107 Borchardt, S. 217. 108 Hobsbawm, S. 509. 109 Engel u. Middell, Bruchzonen der Globalisierung, S. 13. 110 Middell u. Naumann; Engel u. Middell, Theoretiker der Globalisierung.

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wickeln.111 Zwar richtet sich der Untersuchungsgegenstand auf die Veränderungen der westlichen Industriegesellschaft, diese werden aber mit außereuropäischen, nicht-westlichen Entwicklungen in Beziehung gesetzt.112 Die Kritik am Eurozentrismus findet sich auf zwei Ebenen wieder. Erstens reflektiert die Arbeit die etablierten Erzählungen über alte und neue Industrieländer sowie über den »Aufstieg und Niedergang« des globalen Nordens, der mit der Entwicklung des globalen Südens verbunden wird und sich in zahlreichen Mental Maps widerspiegelt. Zweitens wird anhand der Beziehungen zu außereuropäischen Akteuren die westliche Perspektive der Gewerkschafter reflektiert und ihre Reaktion auf außereuropäische Entwicklungen dargestellt. Wirtschaftliche Veränderung forcierten in der Schiffbauindustrie neue Aushandlungsprozesse und zwischen einer nationalen Ausrichtung des Industriezweiges und einer neuen globalen Herausforderung entstand durch die Etablierung neuer Marktführer, die Transnationalisierung des Kapitals und die Ölkrise ein Spannungsverhältnis. Die steigende Arbeitslosigkeit infolge des sektoralen Wandels führte zunächst zu einer Welle an Literatur zum »Ende der Arbeitsgesellschaft«, in der Erwerbsarbeit nicht länger als lebensbestimmendes Element in Gesellschaften charakterisiert wurde.113 Mittlerweile ist diese Beobachtung insofern relativiert worden, als dass man Erwerbsarbeit auch heute noch eine zentrale Rolle zuspricht, aber feststellen muss, dass das Normalarbeitsverhältnis überwiegend durch Teilzeit und Selbständigkeit sowie befristete Beschäftigung abgelöst wurde. Einige Untersuchungen gehen davon aus, dass diese Transformationsprozesse bereits Anfang der 1970er Jahre begannen und die Studenten- und Jugendproteste sowie die Streiks in den Betrieben erste Anzeichen dieser Entwicklung waren.114 Die Geschichtswissenschaft, 111 McNeill. 112 Auch wenn es um ein westeuropäisches Problem aus westdeutscher Perspektive geht, wird die Eurozentrismuskritik genutzt, im Sinne von Conrad und Eckert die eigene Projektion gegenwärtiger Vorstellungen und Werte zu problematisieren, siehe Conrad u. Eckert, S. 29 f. Auch Middell und Engel schreiben, dass mit der Kritik nicht unbedingt einhergehen muss, dass Europa aus dem Blickfeld der Forschung gerät. Vielmehr gehe es darum, »Ausmaß, Bedeutung und Rückwirkung der vielfältigen Verflechtung, die Europa im Zuge der Globalisierung durch Marktbeziehungen, Migration oder Ideentransfer eingegangen ist«, zu beleuchten, Engel u. Middell, Bruchzonen der Globalisierung, S. 19 f. Siehe einführend zum Eurozentrismus Conrad u. Randeira. 113 Offe. 114 Zu den Studentenprotesten und den Streiks in den Betrieben gibt es mittlerweile zahlreiche historische Arbeiten siehe u. a. Fink, Gassert u. Junker; Kastner u. Mayer; Gehrke u. Horn; Birke, Wilde Streiks.

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speziell die Arbeitsgeschichte beginnt nun, diese Phase aus unterschiedlichen Perspektiven mit neuen methodischen und theoretischen Impulsen zu analysieren.115 Begriffe und Konzepte von Arbeit werden neu vermessen und nationale Engführungen infrage gestellt. Grund dafür sind nicht nur der Transformationsprozess innerhalb westlicher Gesellschaften, sondern auch Entwicklungen in außereuropäischen Ländern.116 Die Gewerkschaftsgeschichte entwickelte sich in ähnlicher Weise wie die Arbeitsgeschichte.117 Aufgrund verschiedener Ursachen, darunter der gesellschaftspolitische Bedeutungsverlust der Gewerkschaften selbst, verlor sie in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung. Darstellungen der Arbeiterbewegung und deren Organisationen waren kaum noch zu finden, was die Gewerkschaften über eigene Aufträge und Forschungsvergaben auszugleichen versuchten.118 Ungeachtet ökonomischer und gesellschaftlicher Veränderungen attestierte man den Gewerkschaften bis Anfang der 1980er Jahre eine Hochphase. Zugunsten einer linearen Erzählung wurden allerdings innere Konflikte und gegenläufige Entwicklungen in der Organisation vernachlässigt.119 Seit einigen Jahren gibt es wieder Bemühungen, der Gewerkschaftsforschung neuen Auftrieb zu verleihen.120 Auch die Kritik, dass die Gewerkschaftsforschung vornehmlich auf nationaler Ebene agiere, wurde aufgegriffen, indem man der Arbeiterbewegung auf lokaler beziehungsweise betrieblicher Ebene mehr Beachtung schenkte. Der Betrieb wurde transdisziplinär als soziales Handlungsfeld rekonzeptualisiert,121 im Groben entlang zweier Forschungsstränge: Zum einen kamen industriesoziologische Studien der 1960er bis 1980er Jahre in den Fokus, die aus heutiger Perspektive gelesen und neu be115 Einen Überblick zum Forschungsstand im deutsch-britischen Kontext liefert Priemel. Einen Überblick zur aktuellen Geschichte der Arbeit ebenfalls das Schwerpunktheft von Geschichte und Gesellschaft. 116 Marcel van der Linden gab zahlreiche Anregungen, etwa in van der Linden, Workers of the World. 117 Grebing; vorher Ebbighausen u. Tiemann. 118 Zur Institutionsgeschichte der IG Metall etwa gibt es nur Publikationen, die von der Gewerkschaft selbst in Auftrag gegeben wurden, siehe IG Metall, Fünfundsiebzig Jahre Industriegewerkschaft; IG Metall, 100 Jahre Industriegewerkschaft. 119 Schroeder, Gewerkschaften als soziale Bewegung; Faulenbach. 120 Andresen, Kuhnhenne, Mittag u. Platz, Der Betrieb. Siehe auch die Quellenedition zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung im 20. Jahrhundert, zuletzt Dowe, Kruke u. Schneider. Die Biographieforschung hat sich seit Mitte der 2000er Jahre den Gewerkschaften gewidmet Becker u. Jentsch; Kempter, Eugen Loderer; Borsdorf u. Bitzegeio; Lauschke, Hans Böckler; Abelshauser, Nach dem Wirtschaftswunder; Ahland. 121 Welskopp, Der Betrieb.

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wertet werden.122 Zum anderen spielen historische Quellen mit Bezug auf den Cultural Turn eine Rolle: diskursanalytisch, mit Vorschlägen Pierre Bourdieus123 oder der Mikrogeschichte.124 Was diesen Überlegungen allerdings fehlt, ist die Kontextualisierung der betrieblichen Ereignisse. Dabei könnten die Auseinandersetzungen im Betrieb zeigen, warum es so schwierig ist, ein transnationales Netzwerk von Arbeitern zu bilden oder gar zu mobilisieren. Das Interesse der Geschichtswissenschaft für internationale Gewerkschafts­ organisationen ist mit dem allgemeinen Interesse für internationale Organisationen gewachsen, steckt aber noch in den Kinderschuhen.125 Über die historische Entwicklung von Gewerkschaftsinternationalen und deren transnationalem Charakter ist bis auf wenige Ausnahmen wie dem Internationalen Bund Freier Gewerkschaften (IBFG)126 und der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF)127 wenig bekannt. 1950 wurde aus dem IBFG heraus eine europäische Regionalorganisation gegründet, die in Brüssel den europäischen Integrationsprozess begleiten sollte.128 Mittlerweile gibt es verschiedene Analysen zu diesen Entwicklungen, allerdings fehlt es an vergleichenden und übergreifenden Ansätzen.129 Geschichtswissenschaftliche Arbeiten über europäische Gewerkschaftsverbände sind noch relativ dünn gesät.130 Anders sieht es in den Politik- und Sozialwissenschaften aus, wo sich aufgrund der globalen Veränderungen seit den 1990er Jahren ein stärkeres Interesse für internationale Organisationen und Gewerkschaftsverbände entwickelte.131 Was außerdem fehlt, ist die Zusammenführung der Forschung von internationalen Gewerkschaftsorganisationen und internationalen Organisationen (IO). Die Definition von IOs spricht dafür, die gewerkschaftlichen internationalen Dachverbände unter dieser Perspektive zu betrachten.132 In 122 Graf u. Priemel; Dietz u. Neumaier; Lüthi, Maeder u. Mergel; Pleinen u. Raphael; Dietz, Neumaier u. Rödder. 123 Bluma u. Uhl. 124 Beispiele mikrohistorischer Arbeiten sind Süß; Lauschke, Die Hoesch-Arbeiter. 125 Van der Linden, Conclusion; Mayer. 126 Carew, Dreyfus, van Goethem, Gumbrell-McCormick u. van der Linden. 127 Koch-Baumgarten. 128 Zur Geschichte des Europäischen Gewerkschaftsbundes Tudyka; Ebbinghaus u. Visser. 129 Phelan; Schroeder u. Weinert. 130 Clairmont; Mittag. 131 Platzer u. Müller; Gumbrell-McCormick u. Hyman. 132 Siehe auch Rodríguez García, S. 19. IOs sind grenzübergreifend formalisierte Strukturen, die im internationalen System als Akteure wahrgenommen werden, siehe Herren, S. 6; Reinalda, International Organizations.

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der IO -Forschung gab es bereits Ansätze, welche die Organisationen stärker unter ihrem transnationalen Charakter beobachteten. Susan Zimmermanns Argument für die Betrachtung grenzüberschreitender Interaktionen gab für die Arbeit den Anstoß, den transnationalen Ansätzen in der Gewerkschaftsbewegung nachzugehen.133

1.5

Transnationale Arbeitsgeschichte

Wie Arbeitsgeschichte aus transnationaler oder globaler Perspektive geschrieben werden kann, wird derzeit an verschiedenen Stellen debattiert.134 Die sogenannte neue Arbeitsgeschichte hatte ihren Anfang in den 1960er Jahren und wird häufig mit der Publikation zur Entstehung der englischen Arbeiterklasse von Edward P.  Thompson in Zusammenhang gebracht.135 Diese New Labour History war gegenüber der älteren, die sich auf Organisationsgeschichte und die Beschreibung politischer Biographien konzentrierte, offener.136 Trotzdem blieb auch sie innerhalb nationaler Rahmen und stellte Ordnungsmuster nicht infrage. Außerhalb Europas orientierte man sich in der Arbeitsgeschichte zunächst an den europäischen Entwicklungen. Mit Abweichungen vom europäischen Modell geriet das Vorbild allerdings zunehmend ins Wanken. Die Begriffe der traditionellen Arbeitsgeschichte kamen auf den Prüfstand und bewirkten innerhalb wie außerhalb Europas eine Neuformierung des Feldes.137 Was sich zeigt, ist eine neue Disziplin, die sich aus der Überlagerung verschiedener Diskussionen, der Überwindung traditioneller Erzählweisen und der Beobachtung von Transnationalisierungsund Globalisierungsprozessen entwickelt.138 133 Zimmermann, GrenzÜberschreitungen, S. 13; Zimmermann, International – transna­ tional, S. 29. 134 Einen Überblick zur Debatte siehe den Schwerpunkt in International Labor and Working-Class History. Als Ausgangspunkt der Diskussion siehe van der Linden, Promise and Challenges. 135 Thompson. 136 Zur Abgrenzung zwischen alter und neuer Arbeitsgeschichte siehe Brody. 137 Schmidt; Eckert; Fall, Phaf-Rheinberger u. Eckert; Fink; Komlosy; Lucassen; Mohapatra u. van der Linden; McIlroy u. Croucher. 138 Bezeichnend dafür die Gründung verschiedener Netzwerke, die den Austausch zur Arbeitsgeschichte befördern sollen, darunter German Labour History Association (Gründung 2017), Global Labour History Network (2015), European Labour History Network (2013).

Transnationale Arbeitsgeschichte

Offen bleibt, wie »transnational« und »global« im Kontext der Arbeitsgeschichte begrifflich zu trennen sind. Für Marcel van der Linden sind transnational solche Ansätze, die den Gegenstand in einen weiteren Kontext einordnen. Auch wenn er geographisch klein sei, gehe es vor allem um interaktive Prozesse.139 In ihren Überlegungen zu transnationaler Arbeiterbewegungsgeschichte und in Abgrenzung zu einer globalen Perspektive haben Jürgen Mittag und Berthold Unfried vorgeschlagen, »globale Makrostrukturen« und »das subjektlose Wirken von weltumspannenden Triebkräften« außen vor zu lassen und sich auf »alltagsweltliche […] Verflechtungsbeziehungen zwischen individuellen und kollektiven Akteuren« zu konzentrieren.140 Somit könne auch auf die unterschiedlichen Kontexte der Vergesellschaftung eingegangen werden, die nicht ausschließlich nationalstaatlich ablaufe.141 Im gleichen Band hat Ravi Ahuja allerdings zu bedenken gegeben, dass transnationale Verflechtungen, wie sie auch mit dem Begriff Netzwerk umschrieben werden, lediglich als Metapher dienen können »zur anschaulichen Beschreibung solcher Beziehungsgeflechte zwischen sozialen Akteuren […], also im Sinne einer Analogie und nicht als definierter und operationalisierbarer Begriff«.142 Denn ansonsten würden die derzeitigen Globalisierungsnarrative normativ aufgeladen werden und den Eindruck vermitteln, jegliche soziale Beziehung sei fluid und unbegrenzt. Der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit bezieht sich neben den nationalen Diskussionen auf europäische, globale und lokale Aspekte. Die Studie beschreibt, wie übergreifende, transnationale Initiativen auf den jeweiligen Analyseebenen aussahen und wie sie aus Perspektive der Akteure beurteilt wurden. Sie nimmt dabei eine europäisch-westdeutsche Perspektive ein. Die Wahl des lokalen und nationalen Beispiels – der Betriebsrat des Bremer Vulkan und die Gewerkschaftssekretäre der IG Metall – sind westdeutsche Akteure. Auch mit der Wahl des Vokabulars und der Methoden wird eine europäische Debatte aufgegriffen. Die Arbeit versteht sich gemäß der Definition Klaus Kiran Patels daher als Erweiterung einer nationalen Perspektive und Debatte.143 Sie stellt einen ersten Schritt dar, die verfestigten Strukturen der 139 Van der Linden, Global Labor History, S. 74. 140 Mittag u. Unfried, S. 14 f. 141 Ebd. 142 Ahuja, S. 99. 143 Patel, S. 74 f. Zur transnationalen Geschichte siehe Osterhammel, Transnationale Gesellschaftsgeschichte; Saunier; Middell, On the Road to a Transnational History; Budde, Conrad u. Janz; Pernau; Iriye.

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Arbeits- und Gewerkschaftsgeschichte aufzuweichen und die Vernetzungen im Sinne der transnationalen Geschichte zu betrachten. Diese Entscheidung lässt sich ebenfalls mit dem Selbstverständnis der Akteure begründen, die aus national geprägten Gewerkschaftsbewegungen kamen, deren Referenzrahmen für die Akteure stets bestehen blieb. Die Studie untersucht, wie nationale Antworten in andere räumliche Ordnungsmuster integriert wurden und wie transnationale Erfahrungen in nationale Kontexte zurückwirkten. Dabei stellen die Orte des Aufeinandertreffens – gleich auf welcher räumlichen Ebene – verschiedene, sich überlappende Raumvorstellungen der Akteure dar.144 Mit Hilfe der erweiterten Forschungsperspektive werden die Reaktionen der Gewerkschafter in diesen grenzüberschreitenden Zusammenschlüssen untersucht. Als empirisches Beispiel dienen internationale Gewerkschaftsverbände der Metallindustrie, die im Untersuchungszeitraum eine verstärkte Vernetzung mit außereuropäischen Gewerkschaften anstrebten, wie sich am IMB zeigen lässt, oder auf neue Verräumlichungsprozesse reagierten und regionale Strukturen etablierten, wie die Gründung des EMB 1971 verdeutlicht. Der IMB entstammt einer Zeit wachsender Internationalisierung. Die Wahl des Attributs »international« verweist auf diesen Entstehungszeitraum. Die Diskussionen werden zeigen, dass es nicht nur um den Austausch nationaler Positionen auf zwischenstaatlicher Ebene ging. Es gilt deshalb, den Begriff »international« im Zusammenhang mit dem IMB zu historisieren und die Vielfältigkeit dieser Diskussionsebene darzustellen. Das Gleiche betrifft den EMB, der sich in seiner offiziellen Bezeichnung »europäisch« nannte und damit auf verstärkte Europäisierungsprozesse während der 1970er Jahre verweist. Die europäischen und globalen Zusammenschlüsse werden in Beziehung zur nationalen und zur lokalen Ebene gesetzt. Die Arbeit untersucht, ob sich die europäischen und globalen Diskussionen in den kleinteiligeren Ebenen widerspiegelten.145 Sie wird zeigen, wie sich die Interessen unterschieden, wie Gewerkschafter aufgrund variierender Kontexte, Aushandlungen und Konfliktlinien verschiedene Positionen und Strategien entwickelten. Gleichzeitig

144 Drost u. North, S. 11. 145 Anregungen zur Verbindung des Globalen mit dem Lokalen finden sich u. a. bei Roland Robertson, der den Begriff der »Glokalisierung« prägte, um zu betonen, daß globale Tendenzen stets lokal wirksam werden, aber eine besondere Aneignung erfahren, Robertson.

Transnationale Arbeitsgeschichte

stellt sie dar, wie sich die Themen durch Transfer von Wissen und Mobilität von Akteuren überschnitten und gegenseitig beeinflussten. Abgeleitet von den Termini des Kulturtransfers gilt Transfer als die Bewegung von Wissen und materiellen Gegenständen in einen neuen Kontext.146 Bei der Analyse des Transfers ist der Fokus auf die Rezeption des Transferierten im neuen Kontext gerichtet. Dabei spielen die Akteure als Träger des Wissens oder Materials eine wesentliche Rolle sowie die Frage, wie der transferierte Gegenstand angeeignet wird und wie er sich verändert. Die Arbeit analysiert diesen Austausch von Wissen. Im Mittelpunkt stehen die Treffen der Gewerkschafter internationaler Gewerkschaftsorganisationen als Ort des Austauschs über die Schiffbauindustrie. An diesen Orten wurde Raum neu konstituiert und es kamen verschiedene Akteure mit unterschiedlichem Wissen, das sich aus nationalen, lokalen und transnationalen Erfahrungen zusammensetzte, ins Gespräch. Die Akteure eigneten sich dabei fremdes Wissen an und entwickelten es weiter. Dass es überhaupt zu einem Bedürfnis nach Austausch kam, geht mit der Annahme der Transferforschung einher, dass der Auslöser des Rezeptionsbedürfnisses eine Defiziterfahrung des Rezipierenden ist. Ich gehe davon aus, dass die gemeinsamen Treffen der Gewerkschafter nicht allein symbolischer Natur waren. Die Treffen hatten den Zweck, sich über die Entwicklung anderer nationaler Industrien und die Strategien der jeweiligen Gewerkschaftsbewegung auszutauschen. Die Arbeit analysiert die Aneignung des Wissens aus anderen Kontexten und die möglichen Konflikte, die sich während des Austausches entwickelten. Sie betrachtet den Transfer als Prozess, in dem verschiedene Akteure die Bedingungen der Aneignung und Weiterentwicklung verhandelten und den Austausch mit einem spezifischen Interesse zu steuern versuchten. Dieser Prozess konnte auch zum Scheitern führen, indem sie Ablehnung äußerten oder sich gegenüber bestimmten Gruppen abgrenzten.147 Ich vermute, dass der Transfer auf den räumlichen Analyseebenen unterschiedlich aussah, bestimmt von der Zusammensetzung der Akteure und dem jeweiligen Kontext. So ist es wahrscheinlich, dass die europäischen Aushandlungen andere Diskussionspunkte und Perspektiven zum Inhalt hatten als die Debatten im IMB. Die Arbeit untersucht, ob mit möglichen direkten Ansprechpartnern wie der Europäischen Kommission die Strategien andere waren als auf

146 Espagne u. Werner; Espagne u. Middell. 147 Kaelble, Herausforderungen.

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globaler Ebene, wo das Gegenüber diffuser und das Gemeinsame von sehr unterschiedlichen Interessen geprägt war. Die Transferforschung wird in dieser Arbeit mit dem Vergleich kombiniert, indem die verschiedenen räumlichen Ebenen, Diskussionsinhalte und Strategien zueinander in Beziehung gesetzt werden. Vergleichende und Transfergeschichte näherten sich in den letzten Jahren an und profitierten voneinander.148 Der historische Vergleich ist für die transnationale Forschung durch die Öffnung hin zu grenzüberschreitenden Fragestellungen nützlich und die Transferforschung hat sich von ihrem ursprünglichen Untersuchungsgegenstand, der deutsch-französischen Geschichte, gelöst und wird sowohl für die historische Betrachtung außereuropäischer Beziehungen angewendet149 als auch für tri- und multilaterale Transferforschung.150 Die Arbeit untersucht vor diesem theoretischen Hintergrund die Aneignung und Weiterentwicklung des transferierten Wissens gewerkschaftlicher Akteure, vergleicht diese Prozesse und setzt sie in den jeweiligen räumlichen Kontext.

1.6

Literatur- und Quellenlage der Untersuchungsgegenstände

Die Werften Westdeutschlands hatten im Untersuchungszeitraum alle mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen und die Belegschaften reagierten mit ähnlichen Mitteln. Bei der Auswahl des lokalen Beispiels stand deshalb die Frage im Vordergrund, wo ich ausreichend Quellenmaterial finde, das etwas über die internen Diskussionen der Belegschaft und des Betriebsrats preisgibt. Das Archivmaterial des Bremer Vulkan enthält zwar keine Dokumente des Betriebsrates, aber immerhin umfasst es Diskussionen zwischen Betriebsrat und Direktorium sowie Flugblätter und Zeitschriften verschiedener politischer Akteure auf der Werft. Da die Verantwortlichkeit der Protokollführung für die Direktoriumssitzungen in den Händen der

148 Middell, Historische Komparatistik; Middell, Kulturtransfer; für die einzelnen Positionen Haupt u. Kocka; Espagne. 149 Der Transferansatz wurde u. a. von Jürgen Osterhammel weiterentwickelt, der ihn für einen außereuropäischen Transfer als Konzept der Kulturbegegnung nutzbar machte, Osterhammel, Transferanalyse. In ähnliche Richtungen geht das Konzept von Shalini Randeria und Sebastian Conrad über »entangled history«, die sich mit Beziehungen zwischen kolonialisierenden und kolonialisierten Ländern beschäftigten, Conrad u. Randeria. 150 Kaelble u. Schriewer.

Literatur- und Quellenlage der Untersuchungsgegenstände

Geschäftsleitung lag, fehlen häufig Antworten aus Sicht der Betriebsräte. Um diese Perspektive zu ergänzen, habe ich ein Interview mit dem langjährigen Betriebsratsvorsitzenden und Vertrauensmann der IG Metall, Fritz ­Bettelhäuser, geführt, mit dessen Erzählungen ich das Material auffüllen konnte.151 Für die Auseinandersetzung mit politischen Akteuren, die während der 1970er Jahre auf dem Bremer Vulkan aktiv waren, habe ich auf Material zurückgegriffen, das Jürgen Schröder auf Grundlage des Bundesarchivs des Kommunistischen Bundes Westdeutschlands und dem Archiv »APO und soziale Bewegungen« der Freien Universität Berlin auf einer Internetseite zur Verfügung gestellt hat.152 Die Schließung der Bremer Vulkan AG153 im Jahr 1997 kommentierte Wolfgang Kiesel als Zeichen des Niedergangs der europäischen Schiffbauindustrie.154 Die Bremer Vulkan-Werft war die letzte Großwerft Bremens. Damit war die Stadt als bedeutsamer Schiffbaustandort vor große Herausforderungen gestellt und musste wie viele andere Industrieregionen dieser Zeit nach alternativen Wirtschaftsformen suchen. Der Bremer Vulkan war bereits seit Mitte der 1970er Jahre von der sinkenden Nachfrage betroffen, überstand aber die Phase der Werftschließungen in den 1980er Jahren und baute bis 1997 Schiffe. Die Geschichte des Bremer Vulkan fügt sich in die allgemeine Erzählung der westdeutschen Schiffbauindustrie ein. Für die Arbeit ist die Werft von besonderer Relevanz, weil die Belegschaft und insbesondere der Betriebsrat an den Entwicklungen in hohem Maß Anteil nahmen und häufig ihr Mitbestimmungsrecht geltend machten. Mit der Schließung des Bremer Vulkan 1997 entstanden drei Publikationen, die rückblickend die Höhen und Tiefen des Unternehmens schildern.155 Sie geben einen Überblick über die historische Entwicklung und beschäftigen sich vor allem mit den technischen Innovationen und führenden Persönlichkeiten der Werft. Die Situation der Arbeiter und deren sozialer Situation wird nur am Rande erwähnt.156 Darüber hinaus entstanden in

151 Interview mit Fritz Bettelhäuser, 01.03.2013. 152 Im Folgenden verwende in Absprache mit Jürgen Schröder die Angabe unter Schröder. 153 Das Unternehmen verfügte zum Zeitpunkt seiner Schließung über mehrere Werften in West- und Ostdeutschland. Es hatte mit den Ereignisse um 1989/90 u. a. zwei Großwerften Ostdeutschlands übernommen, darunter die Meerestechnik-Werft und die Volkswerft. 154 Kiesel, S. 7. 155 Ebd.; Behling u. Thiel; Thiel. 156 Siehe auch Wolf, Bremer Vulkan.

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Einleitung 

Bremen Beiträge zur Werftenlandschaft der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg, die einen Einblick in die Sozialgeschichte der Region geben.157 Eine umfassende Historisierung Bremens als Werftstandort, eine Stadt, die durch zwei Großwerften und viele mittlere und kleinere Werften von der Schiffbauindustrie geprägt war, gibt es nicht. Kurz nach der Schließung des Bremer Vulkan begann die Sichtung des Archivbestands. Von den zu Beginn 5.000 laufenden Metern Schriftgut wurden 95 laufende Meter in das Staatsarchiv Bremen übernommen.158 Die für die Analyse hauptsächlich verwendeten Materialien sind im Unterpunkt »Betriebsrat« der Vorstandsakten abgelegt. Sie dokumentieren die vom Betriebsrat und der Geschäftsführung herausgegebenen Materialien. Durch diese Akten lässt sich allerdings nur das offizielle Bild der Diskussionen und Strategien des Betriebsrates abbilden.159 Die Beteiligung von Akteuren innerhalb des Betriebsrates kann nur indirekt herausgelesen werden. So sind die Betriebsratsvorsitzenden beispielsweise nur anhand von Teilnehmerlisten in Sitzungen mit der Geschäftsführung erkennbar – aber selbst hier werden sie im Wortprotokoll anonymisiert. Der Prozess der Entscheidungsfindung für die Strategie des Betriebsrates lässt sich dadurch leider nicht rekonstruieren. Von größerer Relevanz für die Analyse sind die gemeinsamen Sitzungen von Direktion und Betriebsrat.160 Sie geben einen allgemeinen Überblick über die Entwicklung des Unternehmens und zeigen, welche Informationen dem Betriebsrat über die Werft und die Entwicklung der Schiffbauindustrie zur Verfügung standen. Eine weitere Unterrubrik ist mit dem Titel »Tarifverträge, -auseinandersetzungen, Streiks und Entlassungen« überschrieben. Hier befindet sich der größte Teil des für die Analyse notwendigen Materials. Die Ordner sind nach verschiedenen Ereignissen sortiert, anhand derer die 157 Kuckuk, Unterweserwerften in der Nachkriegszeit. 158 Aus dem Findbuch im Staatsarchiv Bremen, Bestand 7,2121/1, Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, bearbeitet von Asmus Nitschke und Bettina Schleier, eingeleitet von Adolf E. Hofmeister, Bremen 2000, hier S. X. Der Aktenbestand gliedert sich in Schriftgut vor und nach 1945. Der für die Arbeit in Betracht kommende jüngere Bestand (B) ist unterteilt in einen Vorstands-, einen kaufmännischen und technischen Bereich. 159 In einer Mail des Archivars Brinkhus vom 29.01.2014 heißt es dazu: »Eine originäre Überlieferung des Betriebsrats des Bremer Vulkan liegt im Staatsarchiv Bremen nicht vor. Im Bestand StAB 7,2121/1 findet sich nur Material zum Betriebsrat, wenn und insoweit dieses in die Unterlagen der Personalabteilung Eingang gefunden hat.« 160 Gemeinsame Sitzungen von Direktion und Betriebsrat, Bd. 1 1962–1980 (StAB 7,2121/ 1-646), Bd. 2 1981–1984 (StAB 7,2121/1-647), Bd. 3 1985–1987 (StAB 7,2121/1-648).

Literatur- und Quellenlage der Untersuchungsgegenstände

Schwerpunkte gelegt werden, darunter Streiks zwischen 1971 und 1973,161 der wilde Streik 1973162 und der Unterweserstreik 1974163 sowie der Protest gegen die geplante Entlassung von 500 Beschäftigten 1982.164 Für diesen Zeitraum gibt es außerdem Dokumente über die Debatten einer möglichen Fusion mit der zweiten Großwerft Bremens, der AG Weser, die für die Analyse auszugsweise herangezogen wurden.165 Die Literaturliste zur Geschichte der IG Metall ist relativ kurz. Eine umfassende Aufarbeitung der Institution im Kontext bundesdeutscher Gewerkschaftsgeschichte fehlt bisher. Einen Überblick bieten lediglich die Jubiläumsbände.166 Will man sich darüber hinaus der Geschichte der Organisation nähern, stößt man auf Biographien ihrer Vorsitzenden wie Otto Brenner167 und Eugen Loderer168 oder auf Publikationen von IG Metall-Verwaltungs-

161 In diesem Ordner (StAB 7,2121/1, 666) befinden sich Namenslisten der Streikenden und der für Notdienste abgestellten Mitarbeiter, Flugblätter, Betriebszeitungen, Presse­artikel und Verhandlungsschriftgut. 162 Bei den Dokumenten handelt es sich um die Auseinandersetzung zwischen Unternehmensleitung und Arbeiterschaft während des wilden Streiks vom 8. bis 21. Juni 1973. Unter diesem Titel gibt es vier Ordner: Bd. 1 1973 (StAB 7,2121/1-667) enthält u. a.: Berichte über den Ablauf des Streiks, Verhandlungsprotokolle, Schlichtungsund Schiedsvereinbarung, Bd. 2 1973 (StAB 7,2121/1-668), Bd. 3 1973 (StAB 7,2121/ 1-669), Bd. 4 (1971) 1973 (StAB 7,2121/1-670,) enthält u. a.: Arbeitskampf-Richtlinien des Gesamtverbandes der metallindustriellen Arbeitgeberverbände (1971), Betriebsratsinformationen und Schriftgut der Unternehmensleitung. 163 Diese Rubrik enthält drei Bände über die Auseinandersetzungen 1974: Bd. 1 1974 (StAB 7,2121/1-671) enthält u. a.: Rundschreiben des Arbeitgeberverbandes der Metallindustrie im Unterwesergebiet und des Gesamtverbandes der Metallindustriellen Arbeitgeberverbände, Bd. 2 1974 (StAB 7,2121/1-672) enthält: Zeitungsausschnitte (Kopie), Flugblätter, Streik- und Betriebszeitungen, Bd. 3 1974 (StAB 7,2121/1-673) enthält u. a.: Kopie einer vertraulichen »Disposition für Maßnahmen der Streikabwehr«, Korrespondenzen mit dem Senat, Schriftgut zu einer ganzseitigen Anzeige der Unternehmensleitung und zur gerichtlichen Auseinandersetzung um den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen betriebliche und gewerkschaftliche Streikleiter, Plakat der Unternehmensführung zur Friedenpflicht und zur Rechtswidrigkeit von wilden Streiks. 164 Einhält einen Ordner: Bd. 1 1982 (StAB 7,2121/1-661) mit Auflistung der betroffenen Mitarbeiter sowie die von der Einigungsstelle im Oktober 1982 verabschiedeten Regelungen: den Sozialplan, den Interessenausgleich und die Betriebsvereinbarung. 165 Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Vorstandssitzungen 04.10.1982–08.02. 1983, StAB 7,2121/1-563. 166 IG Metall, 100 Jahre Industriegewerkschaft; IG Metall, Fünfundsiebzig Jahre Industriegewerkschaft. 167 Becker u. Jentsch. 168 Kempter, Eugen Loderer.

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Einleitung 

stellen.169 Eine Ergänzung ist ein Band zu den Anfängen der IG Metall in der frühen Bundesrepublik.170 Das Archivgut der IG Metall wurde im Januar 1998 an das Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) übergeben und umfasst zur Zeit 1.298 laufende Meter: Akten von der Neugründung nach dem Zweiten Weltkrieg bis Ende der 1980er Jahre.171 Mit finanzieller Hilfe der Volkswagen-Stiftung wurde der Bestand ab 2000 für drei Jahre durch ein breit angelegtes archivwissenschaftliches Ordnungs- und Erschließungskonzept zusammengeführt, vollständig neu strukturiert, geordnet, verzeichnet und konservatorisch bearbeitet. Das Archivgut teilt sich in vier Teilbestände: 1. Beschlussfassende Organe und Gremien, 2. Abteilungen des Vorstandes, 3. Nachlässe und Deposita und 4. Sammlungen. Dank der Erschließung durch die Archivsoftware FAUST 5 war es mir möglich, mit den Begriffen »Schiffbau« und »Werftindustrie« den gesamten Bestand zu durchsuchen und das für die Arbeit relevante Material vor allem aus dem zweiten Teilbestand zusammenzustellen. In diesem sind die Aktenregistraturen aus der Arbeit von 17 Vorstandsabteilungen der IG Metall überliefert (in Anlehnung an den Geschäftsbericht von 1986–1988, der dem Ende der Laufzeit des bearbeiteten Bestandes entspricht). Dieser Teil ist untergliedert in von der IG Metall selbst archivierte Altregistraturen172 und den neu zusammengestellten Bestand. Die relevanten Archivakten aus dem neuen Bestand sind in der Wirtschaftsabteilung abgelegt. In der Untergruppe »Industriezweige« gibt es zwei Ordner mit dem Aktentitel »Schiffbau«173 und weitere Ordner, die Korrespondenzen zur internationalen Gewerkschaftsbewegung und der Schiffbauindustrie beinhalten.174 In der Korrespondenz zur IG Metall-Bezirksleitung Hamburg habe ich ebenfalls 169 Siehe für Bremen IG Metall Bremen. 170 Schönhoven u. Weber. 171 Siehe der Bericht von Dr. Hans-Holger Paul zum Projekt: »Archivwissenschaftliche Erschließung des IG Metall-Archivs«, Bonn 2004 im Findbuch zum IG Metall-Bestand. 172 Im ehemaligen Bestand war Aktenmaterial zur Schiffbauindustrie unter dem Aktentitel »Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie« von 1950–1983 unter den folgenden Signaturen zu finden: 5/IGMA071109-5/IGMA071112 und unter dem Aktentitel »Die wirtschaftliche Situation im Schiffbau« von 1966–1974, Signaturen: 5/IGMA071270-5/IGMA071271. 173 Aktengruppe: Abteilung Wirtschaft, Untergruppe: Industriezweige, Aktentitel: Schiffbau, Laufzeit: 1977–1982, Signatur: 5/IGMA100134 und Laufzeit: 1972–1977, Signatur: 5/IGMA100135. 174 Aktentitel: IMB -Arbeitsgruppe Schiffbau, Laufzeit: 1972–1982, Signatur: 5/IGMA 100139; Aktentitel: EMB -Arbeitsgruppe Schiffbau und Schiffsreparatur, Laufzeit: 1972– 1982, Signaturen: 5/IGMA100144/45 und Signatur: 5/IGMA100169-5/IGMA100171.

Literatur- und Quellenlage der Untersuchungsgegenstände

Material zum Schiffbau175 gefunden und kann damit nicht nur die Beziehungen zu internationalen Organisationen nachzeichnen, sondern auch die Kontakte zum Bezirk Hamburg nachverfolgen. Das Material konnte um den Bestand der Abteilung »Grundsatzfragen« ergänzt werden, da sich der Vorstand der IG Metall während der besonders schwierigen Situation der Schiffbauindustrie verstärkt mit diesem Sektor beschäftigte. In dieser Abteilung habe ich in der Untergruppe »Wirtschaftspolitik« zwei Ordner zum Thema »Werftindustrie« durchgesehen,176 die auch Korrespondenzen des IG MetallVorstandes mit der Bundesregierung beinhalten. Im Rahmen eines von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projektes wurde die Geschichte des EMB von Klaus Henning und Yves Clairmont an der Arbeitsstelle für Nationale und Internationale Gewerkschaftspolitik beim Otto-Suhr-Institut an der Freien Universität Berlin erstmals quellenbasiert bearbeitet und ist damit institutionell erforscht.177 Die Arbeit von Clairmont bietet hilfreiche Einblicke in die historische Herausbildung des EMB und stellt dar, wo der EMB eigene transnationale Handlungskompetenzen erwarb. Für die Anfänge der Schiffbaupolitik in den 1960er Jahren habe ich auf das von Clairmont zitierte Quellenmaterial zurückgegriffen. 1994 begann die Bearbeitung des Bestandes des EMB im AdsD, der mittlerweile auf 150 laufende Meter Akten angewachsen ist.178 Das Material reicht bis in das Jahr 1963 zur Gründung des Europäischen Metallausschusses zurück. Für die Schiffbauindustrie gibt es einen umfangreichen Aktenbestand, der in der Rubrik »Industriepolitik  – Sektoren« zu finden ist. Hier sind Gespräche zwischen dem Europäischen Metallausschuss beziehungsweise EMB und Vertretern der Werftindustrie auf europäischer Ebene dokumentiert, Wortprotokolle zu Sitzungen der Arbeitsgruppe Schiffbau sowie Material über gemeinsame Aktionen und Forderungen.179 175 Aktentitel: Arbeitsgemeinschaft Schiffbau, Bezirksleitung Hamburg, Laufzeit: 1972– 1980, Signaturen: 5/IGMA100181, 5/IGMA100351. 176 Abteilung Wirtschaftspolitik, Werftindustrie, Laufzeit: 1976–1978, Signatur: 5/IGMA 090334, 5/IGMA090337. 177 Mit der Entwicklung bis 1990 beschäftigte sich Clairmont. Die Analyse des EMB ab 1990 übernahm Henning. 178 Durch ein Projekt der Hans-Böckler-Stiftung wurde das Material in Zusammenarbeit mit dem AdsD archivwissenschaftlich erschlossen und technisch bearbeitet. Das Projekt endete im März 2010. 179 Folgende Ordner waren für die Analyse von besonderer Relevanz: Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB: 1969–1979 (AdsD 5/EMBA080204), Schiffbau – Arbeitsgruppen des EMB: Sitzungen 1980–1982 (AdsD 5/EMBA080206), Schiffbau  – Thematischer Handapparat mit Materialien zur Korrespondenz, Arbeitspapiere und

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Einleitung 

Der Internationale Metallgewerkschaftsbund (IMB) existiert in Form des größten der Internationalen Berufssekretariate nicht mehr, da er sich im Juni 2012 mit zwei weiteren Berufssekretariaten zur Global Union unter dem Namen IndustriALL zusammenschloss.180 Die Wissenschaft hat sich in jüngster Zeit trotz einer größeren Aufmerksamkeit für internationale Organisationen noch nicht mit dem IMB beschäftigt.181 Historische Überblicksdarstellungen gibt es nur aufgrund der Initiative einzelner Akteure, die selbst im IMB tätig waren und zum Anlass von Jubiläen Bücher zur Geschichte der Organisation veröffentlichten.182 Für die Analyse des IMB ist Material von 1951 bis 1987 vorhanden.183 Im Mittelpunkt stehen neun Konferenzen, die der IMB zur Schiffbauindustrie veranstaltete.184 Die Treffen sind unterschiedlich dokumentiert, teilweise durch Wortprotokolle, Tagungsberichte, Reden, Erhebungen, Teilnehmerlisten, Tagungsprogramme und Resolutionen, manchmal Broschüren des EMB zur Meeresverschmutzung, zum Seeverkehr, zum Abwrackprogramm »Scrap and Build« und zur Sicherheit im Seeverkehr (AdsD 5/EMBA080260), Schiffbau – Thematischer Handapparat mit Materialien zur Korrespondenz, Arbeitspapiere und Broschüren des EMB zu Beihilfen für den Schiffbau, zur Strukturpolitik und zum Memorandum zur Schiffbaupolitik (AdsD 5/EMBA080261). 180 Eine Namensänderung, allerdings nicht verbunden mit Umstrukturierungen dieser Art, hatte es schon 1971 gegeben, als man sich statt Metallarbeiterbund für Metallgewerkschaftsbund entschied, um auch die Angestellten zu repräsentieren. 181 Mit Ausnahme zweier Artikel in Publikationen zur internationalen Gewerkschaftsbewegung siehe Kugler; Platzer u. Müller. Siehe auch Wolf, Antworten auf eine globalisierte Welt. 182 Opel; Casserini; Harmon. 183 Das gesamte Quellenmaterial des IMB gelangte 1990 von Genf nach Bonn, in das Archiv der sozialen Demokratie (AdsD). Das AdsD bewahrt den Bestand seitdem auf, ohne ihn bisher erschlossen oder systematisiert zu haben. Die Laufzeit wird von 1888 bis 1985 angegeben. Ein kleiner Teil des IMB -Bestandes befindet sich im International Institute of Social History in Amsterdam (IISH IMF Collection). 184 Es handelt sich um zwanzig Ordner, in denen Materialien in fünf Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Schwedisch, teilweise Italienisch) vorhanden sind, darin: 1. IMB -Schiffbaukonferenz, in Newcastle upon Tyne, 4.–5. Juni 1951 (AdsD 5/IMB 1707); 2. IMB -Schiffbaukonferenz, in Stockholm, 1955 (AdsD 5/IMB 1704); 3. IMB -Schiffbaukonferenz, in Rotterdam, 10.–11. September 1957 (AdsD 5/IMB 1702); 4. IMB -Schiffbaukonferenz, in Hamburg, 24.–26. März 1960 (AdsD 5/IMB 1701; IISH IMF Collection Folder 41); 5. IMB -Schiffbaukonferenz, in Genua, 1.–3. April 1964, (AdsD 5/IMB 1697–1699); 6. IMB -Schiffbaukonferenz, in Newcastle upon Tyne, 22.–25. Mai 1967 (AdsD 5/IMB 1696); 7.  IMB -Schiffbaukonferenz, in Tokio 27. März– 5. April 1973 (AdsD 5/IMB 1694–1695); 8. IMB -Schiffbaukonferenz, in Kopenhagen, 27.–29. November 1979 (AdsD 5/IMB 1540–1541, AdsD 5/IMB 1690–1691; IISH IMF Collection Folder 43). Des Weiteren ist eine Reise nach Kansas-City von 1952 dokumentiert (AdsD 5/IMB 1540–1707). Die 9.  IMB -Schiffbaukonferenz lag mir als Publikation vor siehe IMB.

Aufbau der Arbeit

nur in Form von gedrucktem Material. Für den Zeitraum zwischen 1951 und 1964, in dem fünf Konferenzen stattfanden, sind Wortprotokolle vorhanden. Für die vier Konferenzen zwischen 1967 und 1987 sind nur Broschüren verfügbar, die an die Teilnehmer verteilt wurden, oder Positionspapiere mit den Ergebnissen und Beschlüssen der Konferenzen. Die Unterschiedlichkeit der Quellen wirkt sich auf die Auswertung und Interpretation in der Arbeit aus. Während für die erste Phase eine detailgetreue Analyse der Gesprächsteilnehmer, ihrer Perspektiven sowie ihrer Rollen innerhalb der internationalen Treffen möglich ist, kann für die zweite Phase nur über die Ergebnisse der Strategietreffen berichtet werden. Zusätzlich habe ich das Material zweier Schiffbauseminare in Asien ausgewertet185 sowie Material von Treffen mit der Organization for Economic Co-operation and Development (OECD).186

1.7

Aufbau der Arbeit

Die Analyse beginnt im zweiten Kapitel mit der Betrachtung der lokalen Ebene. Als Beispiel steht die Bremer Vulkan-Werft im Mittelpunkt, einschließlich ihrer wirtschaftlichen Entwicklung und frühen Verbindungen zum internationalen Markt. Die Verwendung des Sekundärmaterials zeigte allerdings, dass die Darstellung des Unternehmens konträr zur Entwicklung der bremischen Arbeiter­bewegung stand. Da beide Erzählstränge kaum miteinander kombinierbar waren, werden sie nacheinander abgehandelt. Dem folgen die Ereignisse auf der Werft und in der Region Bremen während der 1970er Jahre. Die Arbeit analysiert die lokalen Reaktionen der Gewerkschafter und betrieblichen Interessenvertreter auf die Veränderungen in der Schiffbauindustrie, darunter den wilden Streik 1973 und den von der IG Metall organisierten Unterweserstreik 1974. Im letzten Abschnitt zur lokalen Ebene beschreibt die Studie die Massenentlassungen beim Bremer Vulkan 1982 sowie die Fusionsgespräche mit der AG Weser und Reaktionen auf deren Schließung Ende 1983. 185 Second IMF Asian Shipbuilding Seminar, 30. Mai  – 1. Juni 1978, Tokio (IISH IMF Collection Folder 42), 3rd IMF Asian Shipbuilding Seminar, 2. – 4. Juli 1981, Taipei, Republic of China (Publikation, AdsD 5/IMB , ohne Signatur). 186 Sitzung der IMB -Arbeitsgruppe über Schiffbau mit der Arbeitsgruppe Nr. 6 des OECD -Rates für die Schiffbauindustrie (im Rahmen der offiziellen Beziehungen zwischen dem gewerkschaftlichen Beratungsausschuss – TUAC und der OECD) am 10., 11. Juli 1978, am Sitz der OECD in Paris (AdsD 5/IMB 1692), am 21., 22., März 1977, am Sitz der OECD in Paris (AdsD 5/IMB 1693).

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Einleitung 

Im dritten Kapitel stehen die nationalen Perspektiven im Vordergrund. Entsprechend der langfristigen Entwicklungen in der Schiffbauindustrie beginnt die Analyse zur IG Metall mit den 1950er Jahren, die geprägt waren von Institutionalisierung, den Aushandlungen über Verantwortungsbereiche und Inhalte eines Wirtschaftsprogramms. Die Arbeit beschäftigt sich mit der Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs in Westdeutschland, den programmatischen Ansätzen der IG Metall, den Einflüssen europäischer und globaler Erfahrungen sowie den Aushandlungen mit der Bezirksleitung in Hamburg. Anschließend steht die Wahrnehmung der Krise im Mittelpunkt. Es wird der daraus resultierende Strategiewandel dargestellt und gezeigt, wie sich die Metallgewerkschafter bemühten, ihren Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger geltend zu machen. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit den europäischen Diskussionen. Die Analyse beginnt mit dem Metallausschuss und den Auseinandersetzungen um den Schiffbau ab 1963. Mit der Gründung des EMB 1971 versuchten die Metallgewerkschafter, den Kontakt zur Europäischen Kommission zu intensivieren und sich stärker in die Verhandlungen einzubringen. Konkrete Vorschläge unterbreitete die Europäische Kommission allerdings erst nach 1976, als sie ihren Mitgliedsländern empfahl, die Schiffbaukapazitäten massiv zu reduzieren. Die Analyse der europäischen Ebene schließt mit den gewerkschaftlichen Reaktionen auf diese Veränderungen. Der IMB steht im Fokus des fünften Kapitels. Hierbei spielen die internationalen Schiffbaukonferenzen eine Rolle, aber auch die Beziehungen zu anderen internationalen Organisationen wie der International Labour Organisation (ILO) und der Arbeitsgruppe Schiffbau bei der OECD. Dieses Kapitel ist aufgrund der durchgängigen Probleme in der Schiffbauindustrie nicht in eine Phase vor 1973 und in eine Phase danach eingeteilt. Stattdessen orientiert sich die Gliederung an thematischen Schwerpunkten. Die Analyse beginnt mit der Institutionalisierung der Schiffbaukonferenzen und beschreibt die Kontaktaufnahme mit Japan und anderen asiatischen Ländern, die als bedeutende wirtschaftliche Herausforderer wahrgenommen wurden. Nach den Erläuterungen zu den Hauptthemenfeldern auf den Schiffbaukonferenzen geht sie auf die Ansätze des Transnationalen und die grenzübergreifenden Strategien der Gewerkschafter ein. Das Schlusskapitel vergleicht die verschiedenen Ebenen und untersucht, wie sie miteinander verflochten sind. Die Arbeit zeigt, ob die Akteure die Veränderungen des Sektors als Krise wahrnahmen und ob ihnen die globalen Zusammenhänge des Schiffbaus bewusst waren. Sie vergleicht die

Aufbau der Arbeit

Strategien auf den jeweiligen Ebenen und geht schließlich der Frage nach, wo es gegenseitige Beeinflussungen und übergreifende Überlegungen gab, wie die Probleme im Schiffbau behoben werden könnten. Abschließend wendet sie sich den Akteuren zu, die auf mehreren räumlichen Ebenen aktiv waren und entscheidend zur Entwicklung grenzübergreifender Perspektiven beitrugen.

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2.

Die Bremer Vulkan-Werft

2.1

Entwicklung Bremens und der Bremer Vulkan-Werft, 1890–1953

2.1.1 Die Entstehung eines internationalen Unternehmens Mit dem Anschluss an das Zollgebiet des Deutschen Reiches im Jahr 1888, der Errichtung eines Freihafens und der Vertiefung der Weser auf fünf Meter wuchs der Handel Bremens. Die hier produzierten Konsumgüter wie Schokolade, Pflanzenöle, Kaffee und Bier waren überall nachgefragt.1 Die Warenausfuhr vom Bremer Hafen stieg zwischen 1890 und 1913 um 216 Prozent. Die Bremer Handelsflotte erhöhte dementsprechend ihre Tonnage. Innerhalb eines kurzen Zeitraums entstanden mehrere Werke zur Verarbeitung von Stahl und zur Herstellung von Maschinen und Transportmitteln.2 Auch die Werftindustrie erlebte einen Aufschwung. Der Bremer Vulkan ging 1893 in eine Aktiengesellschaft über. Bremer Großkaufleute ließen das Unternehmen mit einem Kapital von 300.000 Mark in das Bremer Handelsregister eintragen und gaben 300 Aktien zu je 1.000 Mark aus.3 Um der Werft zu wirtschaftlichem Aufstieg zu verhelfen, verlagerten sie den Standort an eine Stelle, die genügend Platz für eine Expansion und einen geeigneten Zugang zum Wasser bot.4 Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung wuchs auch die Bevölkerung. In Vegesack, wo der Bremer Vulkan seine Schiffe baute, stieg die Einwohnerzahl zwischen 1880 und 1910 von 20.000 auf 44.000. Als Großunternehmen beschäftigte der Bremer Vulkan im Jahr 1906 2.700 Mitarbeiter.5 Nur die

1 Die über Bremen hinaus bekannten Firmen waren die Chocoladenfabrik Hachez, (gegründet 1890), die Bremen-Besigheimer Ölfabriken zur Herstellung von Margarine (1895), die Kaffee- und Handelsgesellschaft HAG (1906) und die Kaiserbrauerei Beck (1909), siehe Paulmann, S. 75. 2 1901 die Norddeutsche Maschinen- und Armaturenfabrik, 1906 die Norddeutsche Automobil- und Motoren AG , 1908 die Norddeutsche Hütte, später Klöckner, und 1911 die Atlas-Werke. 3 Kiesel, S. 25. 4 Ebd., S. 29. 5 Ebd., S. 31.

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Die Bremer Vulkan-Werft 

Expansion außerhalb des Landes wollte nicht gelingen. Aus der belgischen Unternehmensgründung »Vulcan Belge« musste sich der Bremer Vulkan beispielsweise mit großen Verlusten zurückziehen. Zusätzlich überschattete die Wirtschaftskrise von 1907 bis 1909 das Unternehmen. 1.600 Arbeiter mussten entlassen werden, die Produktion wurde im Maschinenbau um die Hälfte und im Schiffbau auf ein Viertel reduziert.6 Doch schon 1910 vermeldete der Bremer Vulkan erneut Rekordzahlen in der Schiff- und Maschinenbau­ produktion, stellte neue Arbeiter ein und eroberte durch leistungsfähige Dampfmaschinen den ersten Platz am deutschen Markt.7 Die deutschen Werftunternehmer diskutierten ein Syndikat, das für feste Auftragsquoten und eine gleichmäßige Verteilung der Aufträge unter den deutschen Werften hätte sorgen können, das aber an den unterschiedlichen Vorstellungen der Unternehmer vor allem kleinerer Werften scheiterte. Während des Ersten Weltkriegs übernahm der Bremer Vulkan erstmals Militärschiffbauaufträge. Im Jahr 1916 wurde das Reichsmarineamt Auftraggeber der Werft und ließ zahlreiche U-Boote bauen. Beim Bremer Vulkan erhoffte man sich auch für die Zeit nach dem Krieg eine große Nachfrage und sicherte sich noch während des Krieges große Mengen an Stahl. Die Frachtschiffe, die der Bremer Vulkan bis 1920 baute, wurden nach Kriegsende zwar von der Reichsregierung beschlagnahmt und als Reparationsleistungen ausgegeben. Dennoch profitierte der Bremer Vulkan vom Nachkriegsboom, vor allem durch die gestiegene Nachfrage vom Norddeutschen Lloyd und der Hamburg-Amerika-Linie. Den Aktionären konnte eine Dividende von dreißig Prozent ausgezahlt werden und die Mitarbeiterzahl stieg auf über 4.000.8 Aufgrund der guten Auftragslage wurde der Bremer Vulkan für den Großindustriellen August Thyssen interessant, der bereits 1915 Aktienpakete erworben hatte. Der Schiffbau war für die Gesamtentwicklung des Thyssen-Konzerns im Vergleich zu den Bergbau- und Hüttenwerken keine große Aufwendung, aber Thyssen war an Investitionen interessiert und erwarb 1919 die Mehrheitsbeteiligung.9 Die Expansion des Unternehmens war sein wichtigstes Anliegen und er versuchte, dies mit technischen Innovationen und der Verbesserung der Organisations- und Betriebsstruktur zu erreichen. Ähnlich wie schon die Werftunternehmer um 1910 formulierte er 6 7 8 9

Ebd., S. 33. Ebd., S. 34. Ebd., S. 38. Lesczenski, S. 324.

Entwicklung Bremens und der Bremer Vulkan-Werft, 1890–1953

Ideen, wie die Kosten durch Synergieeffekte mit anderen Konzernbetrieben verringert werden konnten, um die Wettbewerbsposition des Bremer Vulkan zu sichern.10 Der Bremer Vulkan baute bereits zu dieser Zeit Dieselmotoren für andere Werften und sicherte sich somit eine stetige Nachfrage in der Maschinenproduktion. Um die Kaufkraft noch weiter zu stärken, wollte Thyssen in den Norddeutschen Lloyd investieren und war an der Fusion mit der Flensburger Schiffsbau-Gesellschaft interessiert. Um die Nachfragen aus dem Ausland zu stärken, sah er auch Kooperationen außerhalb Europas vor.11 Als sich Thyssen altersbedingt aus den Geschäften zurückzog, ging ein Großteil seines Aktienbesitzes in die Niederlande, wo sein Sohn Heinrich saß. Mit dem strukturellen Wandel im Unternehmen trat auch der langjährige Leiter des Bremer Vulkan, Victor Nawatzki, zurück.12 Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten versuchte man im Bremer Vulkan, den Handelsschiffbau fortzusetzen. Reeder aus England, den USA und Skandinavien waren aufgrund der guten und preiswerten Produktionen an der Werft interessiert, sodass 1936 zwei Drittel der Fabrikation im Handelsschiffbau und 1939 sogar drei Viertel ins Ausland gingen.13 Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Marineschiffbau zum Produktionsschwerpunkt des Bremer Vulkan.14 Die Zahl der Mitarbeiter verdoppelte sich in dieser Zeit. Unter ihnen waren Marinesoldaten sowie zeitweise mehr als 1.000 Kriegsgefangene.15

10 Wixforth, S. 162. 11 So ließ Thyssen beispielsweise in Argentinien über einen Vertreter des Thyssen-Konzerns anfragen, ob es nicht Bedarf an Tankern des Bremer Vulkan gebe. Und er hatte davon gehört, dass die Sowjetunion den Ausbau ihrer Handelsflotte plante und schlug deshalb vor, umgehend nach Moskau zu reisen, um dort Aufträge für den Bremer Vulkan zu akquirieren, siehe Geschäftsbericht des Bremer Vulkans für das Geschäftsjahr 1924, StAB 7,2121/1-113, nach Wixforth, S. 168 ff. 12 Die Sorge Augusts, dass sein Sohn Heinrich die Geschäfte nicht in seinem Sinn fortführen könne, verdeutlichte sich schon in den Jahren vor seinem Rückzug. Heinrich fehle es an nötigem Verständnis für industriepolitische Zusammenhänge »und er trage mit seiner Kreditpolitik zu wenig dazu bei, das gesamte Konzerngefüge in Krisenzeiten zu stabilisieren«, Lesczenski, S. 348. 13 Kiesel, S. 46. 14 Ebd., S. 49. 15 Ebd., S. 51.

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2.1.2 Die bremische Arbeiterbewegung und ihr revolutionäres Potential Der Wandel vom Holz- zum Eisenschiffbau brachte Anfang des 20. Jahrhunderts in der Arbeitsorganisation auf Werften neue Strukturen mit sich. Einige Werftarbeiter stiegen zu qualifizierten Facharbeitern auf wie Schlosser, Dreher oder Schiffbauer, für andere war durch den Einsatz von Maschinen der Arbeitsplatz in Gefahr. Das betraf in besonderem Maß die Nieter.16 Im Jahr 1903 drückte der Werftdirektor des Bremer Vulkan die Akkordsätze dieser Berufsgruppe. Die Nieter reagierten mit passivem Widerstand und verlangsamten ihren Arbeitsablauf.17 Daraufhin sperrte die Geschäftsleitung die am Widerstand beteiligten Arbeiter aus und war zu keiner Verhandlung bereit. Der Kampf endete für die Arbeiter in einer Niederlage, da sie es nicht vermochten, sich in einer größeren Bewegung zusammenzuschließen. Daraus zogen sie aber entscheidende Lehren:18 Am 1. November 1905 löste sich der bis dahin separierte Bremer Werftarbeiterverband auf, in dem auch die Nieter organisiert waren, trat dem Deutschen Metallarbeiter-Verband (DMV) bei und überwand damit gleichfalls die Trennung zwischen Fach- und ungelernten Arbeitern.19 Ihr Zusammengehörigkeitsgefühl wurde allerdings 1913 erneut auf die Probe gestellt, als die Gewerkschaftsführung einen siebenwöchigen Werftarbeiterstreik nicht unterstützen wollte. Im DMV war es schon 1905 zu Diskussionen darüber gekommen, inwiefern die Gewerkschaft die spontanen Streiks befürwortete. Auf der siebten Generalversammlung des DMV 1905 verabschiedeten die Delegierten eine Resolution, die besagte, dass ein Streik die Zustimmung von drei Vierteln der beteiligten Verbandsmitglieder benötige.20

16 »Durch den Einsatz von Preßluftmaschinen und elektrischen Bohrmaschinen […] wurden die Nieter einem Dequalifikationsprozeß unterworfen, die Qualität wurde von der Maschinerie und nicht mehr vom handwerklichen Geschick des einzelnen Nieters bestimmt.«, IG Metall Bremen, S. 71. 17 Andresen, A., S. 26. 18 Das Problem, dass die verschiedenen Berufsgruppen in der Metallindustrie nicht zusammenkamen, bestand bereits seit Gründung des DMV 1891. »Viele der qualifizierten Berufe der Metallbranche sperrten sich gegenüber einem Zusammenschluß aller Metaller, verfügten sie doch über eigene Zentralorganisationen und starke lokale gewerkschaftliche Vorstände; zudem befürchteten sie den Verlust ihres Einflusses in einem Verband, der auch die schlechter qualifizierten und weniger gut organisierten Berufsgruppen umfassen sollte.«, IG Metall Bremen, S. 10. 19 Andresen, A., S. 26. 20 IG Metall Bremen, S. 15.

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Beim Streik im Jahr 1913 ging es um Lohnforderungen, die angesichts der guten Auftragslage und hohen Gewinne der Werftunternehmer von den Arbeitern als längst überfällig erachtet wurden. Die Zurückhaltung des DMV bei den Verhandlungen löste im Juli 1913 einen auf mehrere Werften übergreifenden Streik aus, der im weiteren Verlauf unabhängig vom DMV geführt wurde. In Hamburg, Bremen, Kiel und Stettin streikten bis Ende Juli über 35.000 Werftarbeiter.21 Eilig berief der DMV eine außerordentliche Konferenz ein, auf der der Streik von der Mehrheit der Anwesenden als illegal eingestuft wurde und auf der man die Arbeiter zur Rückkehr an ihre Arbeitsplätze aufforderte.22 Diese negative Erfahrung der Werftarbeiter führte in der Folgezeit zu verstärkter Distanz zum DMV.23 Im Bremer Ortsteil Vegesack bildete sich eine sogenannte linksradikale Ortsgruppe, die in Verbindung zu den Internationalen Kommunisten Deutschlands und zum linksradikalen Flügel der Bremer SPD stand.24 Im Mai 1917 gründete Alfred Henke, Redakteur der damals politisch linken Bremer Bürgerzeitung, eine Ortsgruppe der Unabhängigen Sozial­ demokratischen Partei Deutschlands (USPD).25 Die Mobilisierung der Werftarbeiter, die auch während des Ersten Weltkriegs nicht nachließ,26 und die Entwicklung innerhalb der SPD ebneten den Weg für eine revolutionäre Entwicklung Bremens bis zur Gründung der Räterepublik. Am 4. November 1918 sprach Redakteur Henke auf einer öffentlichen Versammlung vom Erfolg der Russischen Revolution, die auch Bremen verändern könne.27 Als am Tag darauf die Mehrheitssozialisten ebenfalls zu einer öffentlichen Versammlung zusammenriefen, kam es zu Unruhen und zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten. Am 6. Januar 1919 wurde in Bremen ein Arbeiterrat gewählt, in dem die linksradikalen und unabhängigen Arbeiter der 21 Ebd., S. 72. 22 Ebd. 23 Oltmann, S. 28. 24 Andresen, A., S. 27. Genauer Kuckuk, Bremer Linksradikale. 25 Andresen, A., S. 29. 26 In der historischen Aufarbeitung der Geschichte der Bremer IG Metall ist festgehalten, dass die überwiegend wegen Lebensmittelknappheit aufkommenden Streiks auf den Werften auch politische Hintergründe hatten, wie der Protest gegen die Verurteilung Karl Liebknechts. Die während des Krieges aufkommenden Streiks liefen alle ohne das Wissen des DMV ab und verkörperten wie schon zuvor eine Gegenposition zur offiziellen Politik des DMV-Vorstandes, der an einem Burgfrieden mit der Regierung festhielt, IG Metall Bremen, S. 18 f. 27 Paulmann, S. 118.

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Bremer Betriebe die Mehrheit bildeten. Doch durch den unmittelbaren Eingriff G ­ ustav Noskes wurde die Räteregierung in Bremen niedergeschlagen.28 Die Auseinandersetzung 1919 endete damit, dass sich die Bremer Sozialdemokraten rechtzeitig auf die Seite Noskes schlugen. Obwohl eine linke Koalition zwischen den Mehrheitssozialdemokraten (MSPD), der USPD und der KPD möglich gewesen wäre, ging die SPD 1919 mit der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und der Deutschen Volkspartei (DVP) eine Koalition ein.29 Die Arbeiterschaft versuchte, diese Entscheidung mit einem Generalstreik auszuhebeln. 14.000 Arbeiter gingen gegen die sozialdemokratisch-bürgerliche Koalition auf die Straße. Doch nach 17 Tagen des Ausnahmezustandes mit geschlossenen Läden, Betrieben und eingestellter Wasserversorgung wurde der Streik abgebrochen.30 Es blieb den Arbeitern die bittere Erfahrung, dass sich die politischen Machtverhältnisse in Bremen nicht so einfach ändern ließen. Die Sozialdemokraten sorgten in der Folgezeit für die Umsetzung wesentlicher Forderungen der Arbeiterbewegung, um sich als Repräsentant der Arbeiter zu bewähren und die Gemüter der Kritiker zu beruhigen. Sie ließen das allgemeine Wahl- und Stimmrecht zu, setzten in den Betrieben einen Normalarbeitstag mit acht Stunden durch, ermöglichten das Koalitionsrecht und sorgten für die nötige Repräsentanz der Linken im Senat.31 Für den linksradikalen Flügel war die Zerschlagung der Räterepublik ein moralischer und organisatorischer Rückschlag. Das Ergebnis besiegelte die Spaltung der sozialistischen Bewegung und führte den radikalen Flügel nach dem Kapp-Putsch im März 1920 in die Bedeutungslosigkeit. Zahlreiche Akteure der USPD gingen in den Folgejahren wieder zur SPD. Auch die KPD verlor ab Mitte der 1920er Jahre in Bremen an Bedeutung.32 Politische Auseinandersetzungen spielten sich in den Folgejahren vor allem auf betrieblicher Ebene ab. Auf dem Bremer Vulkan streikte die Belegschaft 1922/23 für eine Teuerungszulage und beteiligte sich 1928 an einem 13-wöchigen Streik für Lohnerhöhung und die Verkürzung der Arbeitszeit.33 Doch sie blieben weitgehend erfolglos. Durch bereits existierende wirtschaftliche Schwierig-

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Ebd., S. 122. Andresen, A., S. 30. Ebd., S. 31. Ebd., S. 32. Ebd., S. 466. Oltmann, S. 29.

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keiten im Schiffbau ließen sich die Arbeitgeber nur auf geringfügige Lohnerhöhungen ein.34 Damit endete eine Streikphase der Bremer Werftarbeiter, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auflebte. Die politischen Auseinandersetzungen der Arbeiterbewegung spiegelten sich auch in den Gewerkschaften wider. Während die Bremer Linksradikalen keine Alternative zur Spaltung der Gewerkschaften sahen, zeigten sich die Mitglieder der USPD gemäßigter und forderten, den Einheitsgedanken der Arbeiterbewegung aufrechtzuerhalten. Während es den USPD -Mitgliedern dementsprechend gelang, einige wichtige Posten in den Gewerkschaftsverbänden, darunter im DMV, zu besetzen, gründeten einige der Bremer Radikalen im September 1919 die Allgemeine Arbeiter-Union (AAU). Ihr Programm stützte sich auf die Räterepublik und gewerkschaftliche Organisierung im Betrieb. Bremen wurde ein wichtiges Zentrum der AAU, vor allem für die Werftarbeiter. Nachdem die sozialistische Revolution allerdings gescheitert war, traten viele Arbeiter wieder den anderen Gewerkschaftsverbänden bei.35

2.1.3 Die wirtschaftliche Entwicklung des Bremer Vulkan nach dem Zweiten Weltkrieg Nach der Wirtschafts- und Währungsreform 1948 erlebte die Bundesrepublik eine Deflation, in der die Preise fielen und die Arbeitslosigkeit bis auf zwei Millionen Menschen anstieg.36 Das Wirtschaftsministerium versuchte darauf zu reagieren, indem es Finanzierungshilfen für die Ankurbelung der Produktion bereitstellte, was allerdings nur langsam vonstatten ging, da die Alliierten bis auf einige Ausnahmen die Demontage von Industrieanlagen angeordnet hatten. Das betraf in besonderer Weise die Schiffbauindustrie. Im Potsdamer Abkommen wurden zunächst Reparaturtätigkeiten im Schiffbau erlaubt, der Neubau von seegehenden Schiffen allerdings untersagt und erst 1949 mit dem Washingtoner Abkommen mit einigen Einschränkungen freigegeben.37

34 IG Metall Bremen, S. 77 f. 35 Ebd., S. 23. Hier wird erwähnt, dass Übertritte stattfanden, weil die Gewerkschaften stärker als die AAU in der Lage waren, die Lohnkämpfe in den Betrieben finanziell zu unterstützen. 36 Abelshauser, Probleme des Wiederaufbaus, S. 240. 37 Kuckuk, Westdeutscher Schiffbau, S. 16 f.

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Entsprechend dieser Regelungen begann der Bremer Vulkan ab 1949 wieder Handelsschiffe zu bauen.38 Die Liberalisierung des Welthandels, der Seetransport von Rohstoffen wie Öl und Nahrungsmitteln sowie die Schließung des Suez-Kanals 1956 führten zu einer größeren Nachfrage nach Schiffen. Die Geschäftsleitung des Bremer Vulkan war dementsprechend darum bemüht, wieder Aufträge aus dem Ausland zu akquirieren und unternahm einige Reisen, um die Reedereien von der Qualität der Schiffe zu überzeugen. Dabei griff man auf alte Netzwerke aus der Vorkriegszeit zurück. Vorstandsmitglied Robert Kabelac, der 1935 zum Bremer Vulkan gekommen war, reiste mehrmals ins europäische Ausland und in die USA, um Abnehmer zu finden.39 Seine Bemühungen waren bald von Erfolg gekrönt. Durch das Angebot von Festpreisen und kurzen Lieferfristen gelang es ihm, europäische Konkurrenten auszustechen.40 Aber auch auf dem heimischen Markt zählten gute Beziehungen: Der Norddeutsche Lloyd war der beste Abnehmer der Werft, was unter anderem durch die enge Freundschaft zwischen Kabelac und dem Vorstand des Lloyds befördert wurde.41 Doch dass es überhaupt zu neuen Aufträgen aus dem Inland kam, war eine direkte Folge der staatlichen Finanzierungshilfen. Der Bremer Bürgermeister sprach im Oktober 1950 von einem öffentlichen Finanzierungsvolumen von 31 Millionen Mark, die von den Küstenländern zum Bau von Fischdampfern zur Verfügung gestellt wurden.42 Mit der steigenden Nachfrage nach Frachtschiffen entschied der Bremer Vulkan Mitte der 1950er Jahre, in größere Anlagen zu investieren: Man baute zwei Hellinge, eine größere Schiffbauhalle und ein größeres Auslaufbecken.43 Diese Investitionen sollten sich bald auszahlen. Ein Wiedergut­

38 Kiesel, S. 54. 39 Bei Hartmut Roder heißt es: »Seine Reise vom Anfang Dezember 1948 zu alten Reederkunden des Vulkan nach Norwegen hatte Kabelac in seiner Einschätzung bestärkt, daß nicht nur in südamerikanischen, sondern auch in nordeuropäischen Ländern nach der Währungsreform die Bereitschaft vorhanden wäre, bei deutschen Werften Schiffsneubauten zu ordern. […] Daß der Bremer Vulkan bei Neubauaufträgen ›voll wettbewerbsfähig‹ war, hatte Robert Kabelac festgestellt, nachdem er im April 1949 eine dreiwöchige Amerikareise unternommen hatte, die ihn auch zu einer Reihe von neuen Werften an der amerikanischen Ostküste geführt hatte.«, Roder, S. 96. 40 Thiel, S. 44. 41 Roder, S. 101. 42 Kiesel, S. 66. 43 Thiel, S. 55.

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machungsabkommen zwischen Deutschland und Israel verschaffte dem Bremer Vulkan 1956 unter anderem den Auftrag von sechs Frachtmotorschiffen.44

2.1.4 Die Auseinandersetzungen während des Werftarbeiterstreiks 1953 Auf dem Bremer Vulkan herrschte in den Nachkriegsjahren eine große Streikbereitschaft. Die Werftarbeiter hatten im April 1946 gegen die Kürzung der Lebensmittelrationen sowie für die Durchsetzung der Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich gestreikt und im Jahr darauf für die Einführung einer 35-Stunden-Woche. Während die Streiks wenige materielle Erfolge zeigten, stärkten sie doch den kollektiven Zusammenhalt.45 Die Vulkanesen streikten auch in den folgenden Jahren um Löhne und drohende Akkordkürzungen sowie bei Unzufriedenheit über schlechte Arbeits­ bedingungen.46 Die meisten der SPD - und KPD -nahen Gewerkschafter traten in der Nachkriegszeit für eine Einheitsgewerkschaft ein und riefen zu gemeinsamen Veranstaltungen und Aktivitäten auf.47 Als sich Ende der 1940er Jahre allerdings die Auseinandersetzungen im Kontext des Kalten Krieges verschärften, baute sich der Konflikt erneut auf. Die KPD schied Anfang 1948 aus dem Bremer Senat aus und die SPD koalierte mit der bürgerlich-liberalen Bremer Demokratischen Volkspartei (BDV). Für die Eskalation des Konfliktes waren verschiedene Einflüsse ausschlaggebend: Die SPD ließ sich zur »Eindämmung des kommunistischen Einflusses« vom US -amerikanischen Landeskommissariat unterstützen.48 Daneben sandten die USA dem Land Bremen, das zu ihrem Besatzungsgebiet gehörte, zahlreiche Spenden und organisierten Wohltätigkeits- und Kulturveranstaltungen. Die KPD verfolgte die Strategie der konsequenten Distanz zu den Alliierten und forderte die Sozialdemokraten

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Ebd., S. 56. Ebd., S. 449. Ebd., S. 451. Unter den Gewerkschaftern war die Mehrheit für eine Einheitsgewerkschaft. Sie wollten die grundlegende Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse für alle Arbeitnehmer. Doch die US -amerikanische Militärregierung stand einer Einheitsgewerkschaft zögerlich gegenüber. Im Oktober 1945 gab sie schließlich nach und genehmigte in Bremen die ersten sechs Verbände, darunter den Metallarbeiterverband, IG Metall Bremen, S. 48. Siehe auch Oltmann, S. 87. 48 Oltmann, S. 15.

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auf, ebenfalls Abstand zu wahren. Die Sozialdemokraten interpretierten diese Aufforderung als Affront und reagierten mit Mitgliederausschlüssen und der Denunziation von Kommunisten.49 Auf dem Bremer Vulkan war eine kommunistische Betriebsgruppe aktiv, die auch im Betriebsrat vertreten war.50 Die KPD hatte ihr den Auftrag erteilt, sich stärker in das Geschehen des Betriebes einzumischen. Die Arbeiter sollten über die Pläne der Regierung zur Aufrüstung, die sie in der Zustimmung zum Schumann-Plan sah, informiert werden.51 Sie rief zum Kampf gegen »neue Kriegsvorbereitungen« auf und mobilisierte »gegen die rechte DGB -Führung«.52 Im Werftarbeiterstreik 1953 sah die kommunistische Betriebsgruppe die Zeit für einen Umsturz gekommen. Die IG Metall hatte am 25. April die mehr als 10.000 Werftarbeiter Bremens zum Streik aufgerufen, nachdem die Verhandlungen um die Erhöhung des Stundenlohns und die Angleichung von Zeit- und Akkordlöhnen gescheitert waren.53 Die Geschäftsleitung des Bremer Vulkan reagierte auf den Arbeitskampf der Belegschaft mit massiven Mitteln: Unmittelbar nach Beginn des Streiks verhängte sie die Aussperrung. Das bestärkte die Arbeiter in ihrem Kampf. Sie trafen sich in den umliegenden Gaststätten und diskutierten ihr weiteres Vorgehen. Bei Versuchen anderer Betriebe, Streikbrecher einzusetzen, eilten hunderte Beschäftigte vor die Betriebe, um ihnen den Zugang zur Werft zu versperren.54 Verschiedene Vereine und Organisationen Vegesacks solidarisierten sich mit den Werftarbeitern, boten Film- und Konzertveranstaltungen an, richteten ein Fest für die Werftarbeiterkinder aus und organisierten ein Fußballspiel. In dieser Situation versuchten die Kommunisten, den Verlauf des Streiks zu beeinflussen. Die Betriebsgruppe des Bremer Vulkan schlug eine eigene Streikleitung vor, sie rief zu Spendenaktionen für unorganisierte Arbeiter auf und veranstaltete eigene Kundgebungen, auf der sie zum Umsturz der Verhältnisse aufrief.55 In der kommunistischen Betriebszeitung Werft-Echo hieß es: 49 Ebd., S. 15 f. 50 Die Kommunisten blieben, wenn auch in der Minderheit, bis 1956 im Betriebsrat präsent, nach ebd., S. 69. 51 Ebd., S. 132. 52 Ebd., S. 135 f. 53 Ebd., S. 456. 54 Ebd., S. 456 f. 55 Ebd., S. 462.

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Das reaktionäre Unternehmertum hat, verbunden mit der Adenauer-Regierung und mit Hilfe des Betriebsverfassungsgesetzes56 zum entscheidenden Schlag ausgeholt, um uns in die Knie zu zwingen, mit Hilfe des Generalkriegsvertrages in das profitable Rüstungsgeschäft einzusteigen und uns in einem Bruderkrieg völlig zu vernichten.57 Damit eskalierte während des Streiks der Konflikt zwischen den SPD nahen und KPD -nahen Akteuren. Die sozialdemokratischen Gewerkschafter fühlten sich durch das An-sich-Reißen des Streikgeschehens der Kommunisten und die Einbeziehung unorganisierter Arbeiter hintergangen. Über die jeweils eigenen Medien informierte man sich, was man vom anderen hielt. Einzelne Akteure wurden diskreditiert – die Auseinandersetzung artete in eine verbale Schlammschlacht aus.58 Letztlich scheiterten die Verhandlungen zwischen den Tarifparteien. Der Bremer Senat vermittelte bei der Ergebnisfindung und blieb hinter den Vorstellungen der Arbeiter zurück: Fünf statt der geforderten acht Pfennig waren der Kompromiss. Die Kommunisten beharrten auf den ursprünglichen Forderungen und unterstützten die Fortsetzung des Streiks. Zwar war ein Großteil der Belegschaft mit dem Ergebnis ebenfalls nicht einverstanden, doch es fehlte an einer notwendigen Mehrheit, um den Kampf weiterzuführen.59 Die Kommunisten interpretierten den Abbruch des Streiks erneut als Verrat der Sozialdemokraten an den wirklichen Interessen der Arbeiter. Sie erlebten in den Folgejahren in Bremen wie in anderen Städten der Bundesrepublik einen Niedergang, der mit dem Verbot der KPD 1956 seinen Endpunkt fand.60 56 Bei den Verhandlungen um das Betriebsverfassungsgesetz im Sommer 1952 konnte die von den Gewerkschaften ursprünglich geforderte paritätische Mitbestimmung in Aufsichtsräten nicht durchgesetzt werden. Viele, die sich in den Monaten zuvor an den Arbeitsniederlegungen beteiligt hatten, empfanden den Beschluss als Niederlage, siehe Kempter, Gefolgschaft, Kooperation, S. 283. 57 Was haben Euch die Kollegen der KPD Betriebsgruppe zu sagen?, Werft-Echo Nr. 12 nach Oltmann, S. 461. 58 Das Hin und Her ist ausführlich bei Oltmann dokumentiert, ebd., S. 462–469. 59 Ebd., S. 453 f. 60 »Während der gesamten Illegalität hatten auch die größten Betriebsgruppen in Bremen nicht mehr als zehn bis 15 Mitglieder.«, Bunke, S. 334 ff. Wenn sich in Betrieben Arbeits­kämpfe entwickelten, standen sie unter Generalverdacht, kommunistisch infiltriert zu sein und wurden sofort unterbunden. Trotz des Verbotes gab es in Bremen Betriebszeitungen, sie blieben aber sporadisch und nur im Bremer Hafen sowie bei Klöckner gab es kommunistische Aktivitäten, siehe dazu auch Birke, Der Eigensinn der Arbeitskämpfe, S. 59.

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Die SPD -geführte Gewerkschaftsbewegung kümmerte sich in den Folgejahren intensiver um die Interessen ihrer Mitglieder. Ausgeschiedene Arbeiter bekamen ab 1958 erstmals eine Pension. Als die deutsche Schiffbauindustrie Anfang der 1950er Jahre den vierten Rang im Weltschiffbau erreichte, setzte die IG Metall auf Lohnkampf für die Werftarbeiter der landes­bremischen Schiffbaubetriebe und verzeichnete in den nächsten Jahren einige Erfolge.61

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2.2.1 Die wirtschaftliche Entwicklung des Bremer Vulkan während des Booms Entgegen der allgemeinen Annahmen, die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik habe in den 1960er Jahren ein durchgehendes wirtschaftliches Wachstum erlebt, musste die Schiffbauindustrie ab 1959 einen ersten Nachfrageeinbruch verkraften. Auch der Bremer Vulkan geriet in wirtschaftliche Schwierigkeiten und die Geschäftsleitung begann nach außen zu kommunizieren, Grund dieser Probleme seien die wachsenden Lohnerhöhungen.62 Auf der Jahresabschlusssitzung 1963 erläuterte Direktor HansMartin Huchzermeier, die Löhne seien, wenn man 1949 mit hundert Prozent gleichsetze, bis Anfang 1964 um beinahe dreihundert Prozent gestiegen. Das schädige die Konkurrenzfähigkeit: Es sei zwar verständlich, daß alle Menschen möglichst viel Geld in möglichst kurzer Zeit verdienen wollten, aber wir in Deutschland dürften auf diesem Wege nicht schneller vorwärts gehen als die Konkurrenz im Ausland, sonst würden alle Aufträge im Ausland bleiben. Einjeder sollte sich vor Augen halten, daß nur bei hoher Leistung Höchstlöhne gezahlt werden können.63 61 Thiel, S. 66 f. Nach Berechnungen von Götz Albert stiegen die Löhne zwischen 1957 bis 1960 um 5,4 Prozent im jährlichen Durchschnitt. Diese Zahl stieg in den folgenden fünf Jahren auf einen Höchstwert von 7,3 Prozent. Ab 1966 sank die Wachstumsrate des Bruttostundenverdienstes eines männlichen Arbeiters allerdings wieder, Albert, S. 108. 62 Protokoll Nr. 3/62, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 16. April 1962, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Gemeinsame Sitzungen von Direktion und Betriebsrat, Bd. 1, 1962–1980, StAB 7,2121/1-646. 63 Protokoll, Jahresschlußunterhaltung mit dem Betriebsrat vom 30. Dezember 1963, in: ebd. Das ist insofern interessant, weil es den Argumenten der IG Metall in diesen Punkten sehr ähnlich war.

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Huchzermeier war 1952 als Leiter der Konstruktionsabteilung zum Bremer Vulkan gekommen und wurde 1958 Mitglied des Direktoriums. Er war nach Victor Nawatzki und Robert Kabelac der Dritte, der die Entwicklung des Unternehmens prägte.64 Als Problem sah Huchzermeier nicht nur die hohen Lohnforderungen der Beschäftigten, sondern auch globale Herausforderungen wie die Kredite im japanischen Schiffbau.65 Er forderte ein nationales Schiffbauprogramm, das die Beschäftigung sichern und die Modernisierung der technischen Ausrüstung zur Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt ermöglichen sollte.66 Der Aufschwung für den Bremer Vulkan kam mit dem Bau von Containerschiffen Ende der 1960er Jahre und damit erst später als auf anderen westdeutschen Werften.67 Dank eines Auftrags des Norddeutschen Lloyds baute der Bremer Vulkan 1968 das erste deutsche Überseecontainerschiff. Die Bremer Prominenz feierte den Bau als eine neue Phase in der deutschen Schiffbauindustrie.68 Das Unternehmen etablierte sich damit zu einem wichtigen Akteur auf dem globalen Markt und akquirierte siebzig Prozent der Aufträge aus dem Ausland.69 Zum zweiten Standbein wurden ab 1969 Serienschiffe mit dem Namen »German Liberty«.70 Hierbei handelte es sich um Mehrzweckfrachter, die universell zu beladen und preiswert zu produzieren waren. Doch trotz der guten Auftragslage blieb die Geschäftsleitung in ihren Prognosen vorsichtig. Die steigende Inflation für Material machte der Schiffbauindustrie zu schaffen.71 Die Geschäftsleitung entschied sich, ein größeres Trockendock zu bauen und in eine Großsektionshalle zu investieren, um auf die steigende Nachfrage nach größeren Schiffstypen reagieren zu können.72 Gleichzeitig kündigte sie Umstrukturierungen und Umschulungen für die

Kiesel, S. 89. Geschäftsbericht des Bremer Vulkan, 1961 nach Thiel, S. 74. Aus Bremer Nachrichten vom 7. Juli 1964, nach ebd., S. 84. Albert, S. 136 f. Thiel, S. 100. Kiesel, S. 75. Diese Art von Frachtern mit einer Länge von 132 Metern entstanden bereits während des Zweiten Weltkrieges. Die in den USA produzierten Schiffe bezeichnete man als »Liberty-Schiffe«. Sie zeichneten sich durch kurze Bauzeiten aus und waren als Transportmittel über den Atlantik gedacht, ebd., S. 77. 71 Geschäftsbericht des Bremer Vulkan, 1970 nach Thiel, S. 111. 72 Protokoll, Jahresabschlußfeier am 30.12.71, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Gemeinsame Sitzungen von Direktion und Betriebsrat, Bd. 1, 1962–1980, StAB 7,2121/1-646. 64 65 66 67 68 69 70

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Arbeiter an.73 Diese Investitionen zahlten sich für einige Jahre aus. Den Aktionären wurde im Jahr 1974 eine Dividende von 22,5 Prozent gezahlt. Zusätzliche Schweißer wurden eingestellt.

2.2.2 Die Streiks Ende der 1960er Jahre Weihnachten 1967 forderte der Betriebsrat des Bremer Vulkan bei der Geschäftsleitung die Erhöhung des Weihnachtsgeldes. Es sollte mehr geben als die bisherigen fünf DM pro Beschäftigungsjahr. Der für Verhandlungen von Zulagen zuständige Direktor erklärte, er würde dem Wunsch zwar gern nachkommen, ihm seien aber die Hände gebunden, da die IG Metall sich mit der Regierung und den Arbeitgebern darauf geeinigt habe, außertarifliche Leistungen in die festen Beträge der Tarife eingehen zu lassen. Daran müsse sich die Geschäftsleitung des Bremer Vulkan halten, das sei eine Frage des Prinzips.74 Der Betriebsrat zeigte sich verärgert, denn eine solche Anfrage war in der Vergangenheit Routine gewesen, nun sollte sie mit der neuen Politik der Gewerkschaften nicht mehr möglich sein. Aufgrund von Krisenerfahrungen in den Jahren 1966/67 hatte sich die IG Metall entschlossen, außertarifliche Leistungen in die Tarife zu integrieren und die bisherige Praxis der Verbetrieblichung von Lohn- und Arbeitspolitik einzudämmen.75 Gleichzeitig hatte die IG Metall dem Vorschlag der Regierung zur Bildung einer Konzertierten Aktion zugestimmt.76 Im Februar 1967 waren Gewerkschafter mit Regierungsvertretern und Arbeitgebern zusammengekommen und hatten das »Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft« unterstützt. Was für die Gewerkschaftssekretäre eine neue Form der Mitbestimmung und Hoffnung auf Einfluss in der Politik bedeutete, verstimmte viele Betriebsräte und Belegschaften, die die betrieblichen Leistungen als unabdingbar ansahen. Die Gewerkschaften, 73 Ebd. 74 Protokoll Nr. 5/67, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 9. November 1967, in: ebd. 75 Nach dem Betriebsverfassungsgesetz bezogen sich die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte eigentlich nur auf die Verwaltung des Pensionsfonds oder der Wohnungsund Sozialeinrichtungen des Unternehmens. Im Fall von außertariflichen Regelung war es möglich, Arbeitszeiten und Urlaubstage zu verhandeln. Und der Betriebsrat war berechtigt, Betriebsvereinbarungen abzuschließen und die Rechtmäßigkeit von Neueinstellungen und Entlassungen zu überprüfen, siehe Milert u. Tschirbs. 76 Rehling.

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allen voran die IG Metall, hatten in der Vergangenheit die lokalen Proteste unterstützt, um einer möglichen Entfremdung mit der Basis entgegenzuwirken. Die gleichzeitige Kooperationsbereitschaft mit Regierung und Arbeitgebern brachte jedoch den Doppelcharakter ihres Vorgehens bei einigen Mitgliedern in die Kritik. In Bremen bildete sich in dieser Phase eine Außerparlamentarische Opposition (APO) aus Studenten der Pädagogischen Hochschule, Schülern und Berufsschülern, die sich im Protest gegen die Fahrpreiserhöhung bei öffentlichen Verkehrsmitteln und gegen die Notstandsgesetze als größere Bewegung verband. Sie erhielt sporadisch Unterstützung aus den Betrieben, vor allem der Klöckner-Hütte und der dort aktiven Gruppe Arbeiterpolitik.77 Die Bremer Gewerkschafter hatten Schwierigkeiten mit einer eindeutigen Positionierung zu dieser neuen Protestbewegung. Exemplarisch für diese Frage war ihre Haltung bei der Auseinandersetzung um die Notstandsgesetze.78 Zu Beginn folgten sie noch der Idee, die Proteste mithilfe von Streiks zu unterstützen, später untersagten sie aber lokale Arbeitsniederlegungen, um die errungene Position gegenüber der Regierung nicht in Gefahr zu bringen. Der DGB -Kreisvorsitzende hatte bei einer Protestkundgebung im Mai 1968 in der Pädagogischen Hochschule Bremen unter großem Beifall den Notstandsgesetzen eine Absage erteilt. Als ein Vertreter der Gruppe Arbeiterpolitik allerdings zu politischen Streiks aufrief, positionierte er sich nur halb77 Die Gruppe Arbeiterpolitik verstand sich »als Nachfolgeorganisation der ehemaligen KPD -Opposition (KPO) in der Weimarer Republik«, die sich schon 1945 als Gruppe mit diesem Namen unter August Thalheimer und Heinrich Brandler zusammenfand. Sie war in der antikommunistischen Phase der 1950er Jahre auseinandergefallen und betätigte sich wieder verstärkt auf der Klöckner-Hütte in Bremen unter Leitung von Bonno Schütter, der 1962 Betriebsratsmitglied wurde. Die Gruppe unterstützte 1968 auch die Schüler und Lehrlinge in ihren Protesten gegen die Fahrpreiserhöhung, siehe Eschenhagen, S. 33 ff. 78 Zusammenarbeit mit Gewerkschaftern und studentischen Initiativen gab es schon vor 1968. Ein Projekt der IG Metall unter dem Namen »Ford-Aktion« hatte in Köln versucht, die lokalen Proteste in die zentrale Tarifpolitik einzubinden und gleichzeitig aus der Arbeiterschaft heraus neue Impulse aufzunehmen. Das Projekt war nur zum Teil erfolgreich. Es erreichte, dass mehr Arbeiter der IG Metall beitraten und Ford 1963 in den Arbeitgeberverband eintrat. Der Vorschlag, einen Streik zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen durchzuführen – eine Forderung, die sich aus der Befragung der Arbeiter durch den Bildungssekretär der IG Metall, Hans Matthöfer, und Aktivisten des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) ergeben hatte  –, wurde vom Arbeitsgericht allerdings untersagt, womit das Projekt sein Ende fand und damit sein Hauptziel, andere Forderungen als Tarifdiskussionen in die gewerkschaftliche Debatte aufzunehmen, verfehlte, siehe Birke, Wilde Streiks, S. 163–168.

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herzig.79 Ähnlich war es bei der IG Metall, die trotz mehrerer Resolutionen von Orts- und Betriebsgruppen nicht auf die Streikforderungen einging.80 Das hielt dennoch einige Belegschaften nicht davon ab, an Kundgebungen teilzunehmen und sich an den Diskussionen zu beteiligen.81 Auch die Belegschaft des Bremer Vulkan ging in diesem Jahr in die Offensive und verweigerte im Kampf für außertarifliche Zulagen Überstunden. Die Proteste standen zwar nicht unmittelbar im Zusammenhang mit den Notstandsgesetzen, aber sie verdeutlichen das größere Selbstbewusstsein bei der Durchsetzung von Forderungen.82 Die Geschäftsleitung reagierte mit völligem Unverständnis und forderte den Betriebsrat auf, die mit der Bezirksleitung der IG Metall getroffenen Absprachen zu respektieren:83 Es entspräche guten demokratischen Spielregeln, daß man miteinander spreche und diskutiere und erst dann, wenn man keine Einigung erzielen könne, zu anderen Maßnahmen greife. Hier in diesem Falle seien Streikmaßnahmen ergriffen worden, ohne daß man miteinander gesprochen und verhandelt habe. Dieser Stil dürfe nicht einreißen. Er [die Geschäftsleitung] sei sicher, daß auch die Gewerkschaften es so nicht wollten.84 Der Verweis auf die demokratischen Spielregeln macht deutlich, wie stark die Frage um Demokratie und die Kritik an den Notstandsgesetzen Einzug in den zeitgenössischen Diskurs gehalten hatten. Mit dem Verweis auf die Gewerkschaften versuchte die Geschäftsleitung, die Arbeiter davon zu über79 Eschenhagen, S. 42 ff. 80 Birke, Wilde Streiks, S. 189. 81 Vor allem die Belegschaft der Klöckner-Hütte beteiligte sich an Kundgebungen, Eschenhagen, S. 42 f. 82 In den Verhandlungen ging es um Einiges, darunter die Lohnerhöhung (zwischen drei und vier Prozent), die nicht gegen außertarifliche Zulagen aufgerechnet werden sollte, kostenlose Sicherheitsschuhe, die Einrichtung von Zwischenlohngruppen und eine Betriebsvereinbarung über Erschwerniszulagen, Protokoll Nr. 5/68, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 5. Juli 1968, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Gemeinsame Sitzungen von Direktion und Betriebsrat, Bd. 1, 1962–1980, StAB 7,2121/1-646. 83 In der Unterredung zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat hieß es: »Inzwischen sei durch ein Telefongespräch mit Herrn von Steeg [Bezirksleitung IG Metall, Hamburg] klargestellt, daß er bei seinem Besuch am letzten Donnerstag keineswegs gesagt habe, es bestände eine Absprache zwischen den Tarifpartnern, die Lohnerhöhung vom 01.04.1968 gegen außertarifliche Zulagen nicht [unterstrichen] aufzurechnen […]«, Protokoll Nr. 4/68, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 3. Juli 1968, in: ebd. 84 Ebd.

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zeugen, dass betriebliche Streiks nicht in ihrem Interesse seien, wenn sie von ihren eigentlichen Interessenvertretern, den Gewerkschaften, nicht unterstützt würden. Wieso machte die Geschäftsleitung gerade jetzt darauf aufmerksam, wenn es in der Vergangenheit doch schon zu spontanen Arbeitsniederlegungen gekommen war? Der Grund lag sicherlich in der Sorge, dass durch die Häufung der spontanen Streiks die gut funktionierende Sozialpartnerschaft infrage gestellt werden könnte. Um den Streik nicht weiter hinauszuzögern und eine größere öffentliche Aufmerksamkeit zu vermeiden, ging die Geschäftsleitung relativ schnell auf die Forderungen des Betriebsrates ein und verzichtete auf juristische Maßnahmen gegen den illegalen Protest.85 Die wilden Streiks, die sich 1968 in vielen Betrieben der Bundesrepublik anbahnten und im September 1969 sogar in eine große Streikwelle mündeten, waren wegen ihres Anstiegs, vor allem aber wegen der größeren öffentlichen Wahrnehmung so bedeutsam.86 Im Zeitraum von etwas mehr als zwei Wochen streikten um die 140.000 Arbeiter in den Stahlwerken, der Metallverarbeitung, dem Bergbau, der Textilindustrie und im öffentlichen Dienst.87 Die Belegschaft der Howaldtswerke in Kiel zeigte mit zwölf Tagen das größte Durchhaltevermögen. Zur gleichen Zeit fand der Wahlkampf für die Bundestagswahl statt und die Politiker mussten auf öffentlichen Wahlveranstaltungen Position beziehen. Das war insofern schwierig, da der amtierende Wirtschaftsminister Karl Schiller die Idee der Konzertierten Aktion zu 85 Ein wilder oder spontaner Streik im Betrieb war nach deutscher Rechtsauffassung nicht legal. Das Ausrufen eines Streiks war an die Gewerkschaft gebunden, die nur im Fall von Tarifauseinandersetzungen zu Warnstreiks aufrufen durfte. Wenn es im Betrieb zur Arbeitsniederlegung kam, konnte der Streik – sofern er geplant oder durch den Betriebsrat initiiert war – zu Abmahnungen oder Kündigungen führen. Peter Birke hat in seiner Einführung über die Namensgebung dieser betrieblichen Arbeitsniederlegungen darauf hingewiesen, dass keines der Worte wie »wild« oder »spontan« eine adäquate Umschreibung dessen ist, was sich in den Betrieben ereignete, siehe Birke, Wilde Streiks, S. 13. 86 Wie Birke dargestellt hat, gab es bereits zuvor zahlreiche betriebliche Arbeitsniederlegungen, in denen sich das »Repertoire an Forderungen und Aktionsformen« herausgebildet hatte. In diesen Jahren verbanden sich nur diese »diskret« ablaufenden Proteste mit den öffentlich wahrgenommenen, Birke, Wilde Streiks, S. 214 f. Was die größere Aufmerksamkeit für die Streiks bestätigt, zeigt die Studie von Michael Schumann aus dem Jahr 1970: »Die Auseinandersetzungen durchstießen […] deutlich die Grenzen des einzelnen Betriebs und auch der einzelnen Branche. Die Streikwelle war überdies relativ lang: Sie begann am 2. September und lief erst nach 18 Tagen am 19. September aus.«, Schumann, S. 6. 87 Initiator war die Belegschaft der Hoesch AG . Es folgten ihr weitere Betriebe in der Stahl- und Metallindustrie, siehe Birke, Wilde Streiks, S. 228 f.

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verantworten hatte. Um ihre Wählerschaft nicht zu verstimmen, reagierten die meisten Politiker gemäßigt und waren vorsichtig mit der Verurteilung der Streiks.88 Das Verhältnis zwischen der IG Metall-Verwaltungsstelle in Bremen und den Bremer Arbeitern wurde erstmals in Auseinandersetzungen während der Septemberstreiks 1969 getrübt. Die Belegschaft der Klöckner-Hütte trat im besagten Monat in einen wilden Streik. Sie war durch die Gruppe Arbeiterpolitik und die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die in dieser Zeit eine Mehrheit im Betriebsrat hatte, beeinflusst und die Verwaltungsstelle der IG Metall distanzierte sich aus diesem Grund von den Ereignissen. Gleich zu Beginn ließ der Erste Bevollmächtigte Bremens, Arno Weinkauf, verkünden, dass ihn die Vorgänge bei Klöckner nichts angingen, um klarzumachen, dass es sich hier um eine nicht mit der Gewerkschaft abgesprochene Angelegenheit handelte.89 Heinz Scholz, der Bezirksleiter der IG Metall in Hamburg, war offensiver: Er griff durch Unterredungen mit dem Betriebsrat und dem Direktorium in die Verhandlungen ein und versuchte, auf die Belegschaft Druck auszuüben. Er teilte mit, für persönliche Opfer des Streiks – wie Arbeitsrechtskonflikte oder Verlust des Arbeitsplatzes – könne die IG Metall nicht aufkommen.90 Als sich die Ereignisse um den Streik zuspitzten und kein Ende abzusehen war, meldete sich auch der IG Metall-Vorsitzende Otto Brenner zu Wort und verurteilte den Betriebsrat dafür, dass er auf die anfänglichen Angebote des Klöckner-Direktoriums nicht eingegangen sei. Er kritisierte die »politisch extrem orientierten Kräfte«, die sich auf Kosten der Arbeiter würden profilieren wollen.91 Wie sich andeutet, fühlten sich die Gewerkschaftssekretäre vom Streik angegriffen und sahen ihre Organisationshoheit infrage gestellt.92 Plötzlich stand ihr bewährtes und zum Erfolg gebrachtes Konzept der Mitbestimmung in Gefahr. Und diese Sorge war nicht ganz unbegründet. Zwar verstanden die Arbeiter ihre Aktionen zu dieser Zeit nicht als direkten Angriff auf ihre 88 89 90 91

Ebd., S. 242. Eschenhagen, S. 75. Ebd., S. 78. Bremer Nachrichten vom 13.09.1969 nach Eschenhagen, S. 83 f. Letztlich gelang es den Streikenden, die Tarifverhandlungen der IG Metall um drei Monate nach vorn zu verlegen. Mit dem hier ausgehandelten Ergebnis von 16 Prozent Lohnerhöhung konnten die Arbeiter der Stahlindustrie zufrieden sein, denn es war im Vergleich zur Metallverarbeitung um das Doppelte höher und das seit 20 Jahren beste Ergebnis ihrer Streikgeschichte. 92 Birke, Wilde Streiks, S. 225 f.

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Interessenvertreter, sondern lediglich als eine angemessene Form, ihren Interessen im Betrieb Ausdruck zu verleihen.93 Doch es gab einige Akteure, die an den Stühlen der Gewerkschaftsspitzen zu rütteln versuchten. Zahlreiche Bewegungen der Neuen Linken versuchten, mit den Ansätzen der gewerkschaftlichen Erneuerung eine Verbindung zwischen ihren eigenen Themen und denen der Alten Linken zu knüpfen. Mit der Ausdifferenzierung der APO in unterschiedliche Gruppen, Verbände und Parteien fanden einige ihr neues Betätigungsfeld in den Betrieben und verfolgten die Idee einer Wiederbelebung der Arbeiterbewegung. In den Publikationen der Neuen Linken gab es zahlreiche Verweise auf die kommunistische Tradition Bremens, vor allem bei den Werftarbeitern, die sich in den 1950er Jahren in großen Streiks für ihre Rechte eingesetzt hatten.94 Dieser Kampf sollte ihrer Ansicht nach zu neuem Leben erweckt werden.

2.2.3 Die politische Mobilisierung der Vulkanesen Wie bereits deutlich wurde, war Bremen 1968/69 ein Ort für die Mobilisierung neuer Bewegungen. Ab 1970 schaltete sich der Kommunistische Bund Bremen (KBB)95 in die Ereignisse ein. Er erklärte, die »gewerkschaftliche und politische Aktionsfreiheit« im Betrieb erkämpfen zu wollen, forderte eine Aufhebung der Friedenspflicht und eine Beseitigung des Betriebsverfassungsgesetzes.96 Agitationsort sollte der Bremer Vulkan werden, wo der KBB fast wöchentlich, meist vor oder nach Betriebs- und Vertrauensleute­ 93 Schumann, S. 161, Birke, Wilde Streiks, S. 239. 94 Hinweise darauf finden sich in den Publikationen der Trikont-Gruppe, die auf die lange Tradition der kommunistischen Bewegung in Bremen und besonders auf den Werften verwiesen: »Diese Geschichte mag heute noch so verschüttet erscheinen: wir müssen sie zumindest in großen Zügen aufarbeiten […]. Führten die Werftaktionen nach 1945 tatsächlich nur zu einer Kette von Niederlagen? Oder existierte in ihnen schon die Keimform dessen, was der Motor auch der heutigen Kämpfe ist? Kann die Wiederaneignung der Werftarbeiterkämpfe nach 1945 also dazu dienen, die aktuelle Klassenkonfrontation zu klären?«, Proletarische Front, S. 13. 95 Bremen war eines der sechs bundesdeutschen Zentren der kommunistischen Bünde, darunter Hamburg, Westberlin, Württemberg und Regensburg. Er vertrat radikal­ demokratische und sozialpolitische Forderungen, befürwortete die Gewerkschaftseinheit und verfolgte ein bündnispolitisches Programm, Steffen, S. 25. Aus dem KBB ging 1973 der Kommunistische Bund Westdeutschlands (KBW) hervor, zu dessen wichtigem Betätigungsfeld ebenfalls die Gewerkschaften zählten, Koenen, S. 419 f. 96 KBB: Der Brenner, Nr. 3, Bremen Juli 1971, in: Schröder.

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versammlungen Flugblätter verteilte. Die Gruppe suchte vor allem den Kontakt zu den jungen Arbeitern, berichtete von den Missständen in der Lehrlingsausbildung und veröffentlichte deren Forderungen.97 1971 kam es zu Warnstreiks auf dem Bremer Vulkan, bei denen Lohnerhöhungen von elf Prozent und die Erhöhung des Weihnachtsgeldes diskutiert wurden.98 Der Geschäftsleitung des Bremer Vulkan war nicht entgangen, dass das Unternehmen zum Ort politischer Agitation geworden war und schrieb an seine Mitarbeiter: »Lassen Sie Ihre eigene Meinung nicht von radikalen Gruppen beeinflussen.«99 Der Arbeitgeberverband der Metallindustrie versuchte, seinen Mitgliedern unter die Arme zu greifen, indem er Informationsmaterial und Mustervorlagen für die Belegschaften zur »Bekämpfung unrechtmäßiger Arbeitsniederlegungen« an die Unternehmen verschickte und sie in der Eindämmung der betrieblichen Streiks unterstützte.100 Doch der KBB ließ sich davon nicht abbringen, gründete eine »Betriebszelle Bremer Vulkan« und ging mit der Zeitschrift Das Ruder im Dezember 1972 an die betriebliche Öffentlichkeit. Die Zeitschrift war umfangreicher als die Flugblätter, die Informationen waren detaillierter und die Argumente stichhaltiger. Dem KBB ging es darum, die Gewerkschaften durch eine Bewegung von unten zu verändern und den sozialdemokratischen Kompromiss mit der Regierung und den Arbeitgebern zu beseitigen. Der KBB griff einzelne Personen wie den sozialdemokratischen Betriebsratsvorsitzenden des Bremer Vulkan Dieter Kirchhoff oder Gewerkschafter der Verwaltungsstelle der IG Metall in Bremen an und unterstellte ihnen, sich durch ihre Politik nur einen Posten in Aufsichtsräten oder der Regierung sichern zu wollen.101 Um die Gewerkschaften zu unterlaufen, versuchte die Betriebszelle, eigene 97 Zur Lehrlingsbewegung Templin. 98 Die Aufbauzelle Vulkan des KB Bremen gab im November 1971 ein Flugblatt mit dem Titel »Einigkeit macht stark. Beharrlichkeit führt zum Ziel« heraus. Schon hier wird die Forderung nach mehr Lohn formuliert und nicht nach mehr Weihnachtsgeld. Darin: »Unsere Belegschaft hat sich als die kampfstärkste in Bremen erwiesen und soll nun durch diese Angebot von weiteren Aktionen abgehalten werden. Durch die Spaltung unseres Kampfes soll den gesamten Tarifauseinandersetzungen hier in Bremen die Spitze abgebrochen werden. […] Damit werden wir den Kampf aller Bremer Metaller verkaufen. Denn nur Einigkeit macht stark – Beharrlichkeit führt zum Ziel!«, in: Schröder. 99 Ein Wort an unsere Mitarbeiter, 25.10.1971, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Streiks 1971–1973, StAB 7,2121/1-666. 100 Mitteilung des Arbeitgeberverbandes der Metallindustrie im Unterwesergebiet, Betreff: Verhalten bei wilden Streiks und im Arbeitskampf, 18.10.1971, in: ebd. 101 Das Ruder: Den Lohnkampf konsequent fortsetzen!, Nr. 1, Dez. 1972, in: Schröder.

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Leute in Funktionen der betrieblichen Interessenvertretung zu bringen. Mit eigenen Vertrauensmännern könnten außerordentliche Betriebsversammlungen durchgeführt werden, Unterschriftensammlungen, Demonstrationen und sogar Streiks, hieß es.102 Statt einer Gewerkschaftsopposition, wie es andere kommunistische Gruppen vorschlugen, ging es dem KBB darum, sich innerhalb der IG Metall zu organisieren und von innen heraus einen Umsturz herbeizuführen.103 Ein weiterer Ansatzpunkt der Betriebszelle war, die Belegschaft langsam an Lohnkämpfe heranzuführen. Durch Berichte über Kämpfe in anderen Betrieben versuchte die Betriebszelle, die Kollegen auf Forderungen nach Lohnerhöhungen einzustimmen: Die finanzielle Lage des Vulkan sei gut, die vollen Auftragsbücher sprächen für günstige Kampfbedingungen. Der KBB war nicht die einzige Gruppe, die sich beim Bremer Vulkan betätigte. Aus dem Erbe der verbotenen KPD entstanden, war 1969 als erste der radikalen Bewegungen die DKP auf dem Bremer Vulkan aktiv und gab seitdem die Werftnachrichten heraus.104 In Bremen fand sie besonders bei der Jugend Beachtung, wie die Wahl zur Bremischen Bürgerschaft 1971 zeigte, wo sie von den 18- bis 21-Jährigen 9,8 Prozent erhielt.105 Ihre frühe Verortung in den Betrieben machte es möglich, dass sie bereits während der Streikwelle von 1969 aktiv sein konnte.106 102 Das Ruder: Vertrauensleutekörper – Kampforgan der Klasse! zu den Vertrauensleutewahlen, Nr. 2, Jan. 1973, in: ebd. 103 Spätestens seit März 1973 versuchte der KBB , kommunistische Akteure aktiv in Betriebsratskandidaturen zu unterstützen. So berichtete der KBB , dass sein Kandidat Heinz Scholz nur durch den massiven Widerstand aus den SPD -Reihen nicht genügend Stimmen für die Wahl als freigestellter Betriebsrat erhielt, wofür die kommunistische Betriebszelle den Vorsitzenden Kirchhoff verantwortlich machte, Das Ruder: Kirchhoff & Co: Konsequent gegen Arbeiterinteressen!, Nr. 3, März 1973, in: ebd. 104 Sie bildete sich im September 1968 mit ehemaligen Mitgliedern der illegalen KPD und wurde mit großzügiger finanzieller Unterstützung durch die DDR schnell zur mitgliederstärksten Organisation des linken Spektrums. Auf das Wort »Gründung« verzichtete man, um »die Kontinuität zur KPD nicht völlig abreißen zu lassen«, verstand sich aber auch nicht als unmittelbare Nachfolgeorganisation. Der Aufbau der DKP ging relativ schnell von statten. Die Mitgliederzahlen stiegen noch im Gründungsjahr auf 6.000 Personen bundesweit, drei Jahre später waren es schon 33.410, siehe Fülberth, S. 117 ff. 105 Ebd., S. 130. 106 Wobei der Einfluss in anderen Betrieben umstritten ist. Peter Birke meint, dass eine »Politisierung« von außen bei der Belegschaft meist nicht erwünscht war, Birke, Wilde Streiks, S. 248. Und Jan Ole Arps schreibt: »Doch trotz eines ansehnlichen Stamms von Aktiven, einer opulenten finanziellen Ausstattung, jahrelanger mühevoller Basisarbeit und namhaften intellektuellen und künstlerischen Unterstützern […] gelang es der DKP nie, nennenswerten öffentlichen Zuspruch zu erlangen.«, Arps, S. 28.

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Die Gruppen konkurrierten um die Aufmerksamkeit der Arbeiter und um die einzuschlagende Taktik bei der Mobilisierung des Proletariats. Der KBB kritisierte die Nähe der DKP zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und warf ihr eine stalinistische Linie vor. Lieber ging man auf Distanz zur Entwicklung im Ostblock und wollte eine neue Perspektive auf den Kommunismus. Darüber fanden in Bremen auch öffentliche Auseinandersetzungen statt, die nicht selten in gegenseitigen Anschuldigungen über falsche Taktiken mündeten. Neben dem KBB und der DKP gab es Kontakte zur Proletarischen Front,107 den Jungsozialisten der SPD und dem Kommunistischen Bund Hamburg (KB Hamburg)108. Die Gruppen verteilten Flugblätter oder Betriebszeitungen vor dem und im Betrieb. Da es dem KBB um eine gemeinsame Bewegung ging, zeigte er sich allgemein versöhnlich. Bei der Frage nach dem richtigen Weg positionierte er sich aber deutlich: Er kritisierte die Proletarische Front für ihre oppositionelle Haltung und Vorstellung, man müsse die bestehende Gewerkschaftsbewegung zerschlagen, um eine neue aufzubauen. Die Front sei zu weit weg von ihren Kollegen, um wissen zu können, was sie wirklich wollten.109 Noch distanzierter war der KBB gegenüber dem KB Hamburg. Er würde die kommunistische Arbeiterbewegung in Bremen spalten und hätte durch die räumliche Distanz wenige Einblicke in die Ereignisse vor Ort.110 Den Jusos111 warf der KBB vor, zwar die richtigen 107 Im Januar 1970 hatte sich in Hamburg die Gruppe Trikont gegründet, die sich etwa ein Jahr später in Proletarische Front umbenannte. Die Gruppe hatte mehrere Untergruppen, darunter die Proletarische Front  – Gruppe westdeutscher Kommunisten, zu denen Karl Heinz Roth gehörte. Sie gab eine eigene Zeitschrift unter dem gleichen Titel heraus, siehe auch Lange. 108 Der Kommunistische Bund Hamburg gründete sich zwischen Oktober und Dezember 1971. Er ging aus den Hamburger Gruppen Sozialistisches Arbeiter- und Lehrlingszentrum (SALZ) und dem Kommunistischen Arbeiterbund (KAB) hervor. Er verstand sich als eine praxisorientierte, programmatische und auf einer breiten Basis verankerte Organisation. Das hohe Maß an Pragmatismus habe ihn besonders handlungsfähig gemacht, schreibt Steffen. Die Systemüberwindung sollte in Form einer revolutionären Realpolitik erfolgen, Steffen, S. 73. 109 Das Ruder: Weniger gackern – mehr Eier legen! zur Betriebszeitung »Zündkerze« der Proletarischen Front – Gruppe Westdeutscher Kommunisten (PF / GWK), Nr. 2, Jan. 1973, in: Schröder. 110 Das Ruder: Polizeieinsatz gegen Verteiler vorm Vulkan!, Nr. 4, März 1973, in: ebd. Diese Abgrenzung war, wie Steffen beschreibt, nicht nur auf ideologische Fragen zurückzuführen, sondern vor allem auf die regionalen Hegemonien der jeweiligen Gruppe, Steffen, S. 72. 111 Laut Angaben aus dem Ruder gaben die Jusos, die Jugendorganisation der SPD, seit Oktober 1972 eine Betriebszeitung auf dem Bremer Vulkan heraus.

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Beschreibungen für die Ereignisse zu liefern, aber die falschen Schlüsse zu ziehen und forderte die Jungsozialisten auf, sich dem Kommunistischen Arbeiterjugendbund (KAJB) anzuschließen.112 Die Geschäftsleitung versuchte mehrmals, die verschiedenen Aktivitäten der linken Akteure einzudämmen. Als der KB Hamburg seine Flugblätter vor dem Tor des Bremer Vulkan verteilte, rief die Geschäftsleitung die Polizei, um Personalien aufnehmen und das Geschehen beobachten zu lassen.113 In anderen Betrieben hatten die Geschäftsleitungen schon mit Kündi­gun­ gen reagiert, wenn bekannt wurde, dass Personen im Betrieb politisch aktiv wurden. Die neuerliche politische Organisierung in den Betrieben blieb auch von den Gewerkschaftern nicht unbemerkt und sie begannen Personen auszuschließen, die in ihren Augen nicht im Sinne der Gewerkschaft handelten. Eine offizielle Reaktion folgte mit den Unvereinbarkeitsbeschlüssen 1973, als der IG Metall-Beirat einen Beschluss vorlegte, der die K-Gruppen und Gewerkschaftsoppositionen zu »gegnerischen Organisationen« erklärte und damit die Ausschlüsse legitimierte.114 Auf dem Bremer Vulkan entspann sich ein Disput zwischen dem sozialdemokratischen Betriebsratsvorsitzenden Dieter Kirchhoff und den kommunistischen Akteuren Heinz Scholz und Hartwig Elster. Kirchhoff informierte sich über die Aktivitäten des KBB, indem er Das Ruder las und versuchte, die Rädelsführer durch Nichtbeachtung und abschätzige Kom-

112 Das Ruder: Jusos  – Interessenvertretung der Arbeiterjugend?, Nr. 2, Jan. 1973, in: Schröder. Der KAJB war auf dem Vulkan seit Januar 1973 als Jugendaufbauzelle mit der Zeitung Kämpfende Jugend in Erscheinung getreten und beteiligte sich an der Organisierung der Jugend, forderte ein Streikrecht, die Lohnerhöhung für Lehrlinge und war in einigen Ansätzen radikaler als der ihm nahestehende KBB , Kämpfende Jugend, Nr. 4, Apr. 1973, S. 3, in: ebd. Über das Kräfteverhältnis der politischen Gruppen auf dem Bremer Vulkan lässt sich anhand des Quellenmaterials leider nichts sagen. Da der KBB / K BW und die DKP den längsten Atem hatten, was die Dauer ihrer Publikationen betraf und in den Quellenmaterialien im StAB zahlenmäßig am stärksten waren – ob nun durch die Vorsortierung in der Geschäftsleitung oder durch die Archivare beeinflusst, lässt sich leider nicht nachvollziehen –, könnte geschlussfolgert werden, dass sie auch die bedeutendste Rolle auf der Werft in dieser Zeit spielten. 113 Das Ruder: Polizeieinsatz gegen Verteiler vorm Vulkan!, Nr. 4, März 1973, in: ebd. 114 IG Metall, Betriebsbeschluss, 1973. Abgedruckt in »Metall – Zeitung der IG Metall für die Bundesrepublik Deutschland«, Nr. 9 vom 2. Mai 1973, S. 3, nach Arps, S. 154. Arps sagt auch, dass die DKP von diesen Ausschlüssen nicht betroffen war, da sie selbst Kritik an den neuen K-Gruppen betrieben.

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mentare zu diskreditieren.115 Auf einer Betriebsratssitzung nach dem 1. Mai 1973 sprach er sich erstmals für einen Ausschluss Elsters aufgrund gewerkschaftsfeindlichen Verhaltens aus.116 Kirchhoff argumentierte, Elster wolle eine revolutionäre Gewerkschaftsopposition aufbauen. Dies sei nicht mit dem Beschluss der IG Metall vereinbar.117 Selbstbewusst und konfrontativ erwiderte die Betriebszelle Bremer Vulkan: Das Ziel des Beiratsbeschlusses ist es, der wiedererstarkenden Arbeiterbewegung den Kopf abzuhacken. […] Und wenn jemand in den Gewerkschaften eine Politik gegen die Arbeiterinteressen macht, dann muß er sich nicht wundern, wenn er von den Kommunisten und vielen Arbeitern deshalb angegriffen wird. Aber mit Gewerkschaftsfeindlichkeit hat das nichts zu tun. Vielmehr dreht es sich dabei gerade um die Frage, welche Politik in den Gewerkschaften die Interessen der Arbeiter am besten vertritt und durchsetzt.118 Die Betriebszelle sah sich auf dem richtigen Weg und glaubte, durch die Wahl Elsters zum Vertrauensmann und Vorsitzenden der Jugendvertretung die Arbeiter hinter sich. Das schreckte Kirchhoff allerdings nicht ab, einen Antrag auf Ausschluss Elsters aus der Gewerkschaft beim DGB in Bremen einzureichen. Auch gegen drei weitere Kollegen, die Elster mit Solidaritätserklärungen unterstützten, richtete er Ausschlussforderungen.119 Das Problem wurde allerdings nicht weiter diskutiert, weil es auf dem Bremer Vulkan im Juni 1973 zum Streik kam.

115 Das Ruder: Extrablatt »Kirchhoff«: Weiter konsequent gegen Demokratie und Arbeiterinteressen!, in: Schröder. 116 Das Ruder: Die Ausschlußdrohungen gegen konsequente Gewerkschafter und Arbeitervertreter zurückweisen!, Nr. 6, Mai 1973, in: ebd. 117 Der konkrete Vorwurf Kirchhoffs auf der nächsten Betriebsratssitzung lautete, Elster hätte sich nicht vom Extrablatt des Ruders und der Denunziation seiner Person distanziert, woraus man das gewerkschaftsfeindliche Verhalten schließen könne, siehe Das Ruder: Die Ausschlußdrohungen gegen konsequente Gewerkschafter und Arbeitervertreter zurückweisen!, Nr. 6, Mai 1973, in: ebd. 118 Ebd. 119 Das Ruder, Nr. 7, Juni 1973, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Streiks 1971–1973, StAB 6,2121-666.

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2.2.4 Der wilde Streik 1973 Er kündigte sich am 8. Juni, am Freitag vor Pfingsten an, als einige Vulkanesen vorzeitig ihre Arbeit niederlegten. Sie waren unzufrieden mit der letzten Tariferhöhung von 8,5 Prozent120 und forderten eine Zulage, die den Preisanstieg für Dinge des täglichen Bedarfs kompensieren sollte. Im Rückblick erklärte ein Arbeiter: Wir waren damit nicht zufrieden, man hat uns gar nicht gefragt, denn unsere Gewerkschaftsführung hat uns damals aber ganz kräftig über’s Ohr gehauen. Denn der Bremer Vulkan hat 15 % gefordert […]. Sie kamen an, unsere Spitze, […] das sind doch die Funktionäre, […], sie kamen an mit 12 %, 8 ½ % haben wir gekriegt, das war doch nicht richtig.121 Die unerfüllten Lohnvorstellungen der Belegschaft wurden auf die Gewerkschafter projiziert, die sich bewusst über die Forderungen der Arbeiter hinweggesetzt hatten. Am Dienstag, 12. Juni, hielt der Betriebsrat eine Betriebsratssitzung ab und stimmte über die Forderungen ab: Es wurde eine Zulage von 70 DM und ein 13. Monatslohn gefordert. Die Geschäftsleitung ignorierte diese Forderungen zunächst. Um sich ein Bild über die Ereignisse auf dem Vulkan zu machen, lud Senator Karl-Heinz Jantzen, zuständig für Wirtschaft und Außenhandel in Bremen, fünf Tage nach Beginn des Protests Betriebsrat und Direktorium des Bremer Vulkan zu einem Gespräch. Nachdem der Betriebsratsvorsitzende Kirchhoff die Situation geschildert hatte, fragte der Senator, warum die Geschäftsleitung nicht bereit sei, eine Teuerungszulage zu zahlen. Der Vertreter der Geschäftsleitung gab in seinem später verfassten Bericht wieder: 120 Das hier erreichte Verhandlungsergebnis muss im Zusammenhang mit der Inflationsrate gesehen werden, die im Januar 1973 bei fast sieben Prozent lag. Die stetig steigende Inflationsrate kündigte einen Reallohnverlust für 1973 an, Birke, Wilde Streiks, S. 288. 121 Bericht über die Versammlung am 21. Juni 1973, 7.00 Uhr, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Wilder Streik 1973, Bd. 1, StAB 7,2121/1-667. Die ersten Forderungen nach einer Teuerungszulage gab es bereits auf der Betriebsversammlung im April 1973. Als die Vertreter der Belegschaft zwei Tage nach dem 1. Mai im Betriebsausschuss zusammenkamen, beschlossen sie, sich für eine monatliche Zulage von 100 DM einzusetzen. Die Geschäftsleitung kam möglichen Unruhen im Betrieb zuvor, indem sie anbot, die Gewinnbeteiligung, die erst 1975 zur Auszahlung kommen sollte, vorzeitig zum 31. Mai auszuschütten. Der Betrag belief sich für jeden Arbeiter auf etwa 200 DM .

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Ich machte Herrn Jantzen auf die von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gleichermaßen übernommene Stabilitätsverpflichtung122 aufmerksam und führte aus, daß es sich gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt, bei den […] unternommenen Bemühungen um eine langfristige Regelung auf dem Sektor Schiffbaufinanzierung und Werftstrukturhilfe im Bundes-Wirtschaftsministerium, Bonn, schlecht ausnehmen würde, wenn wir diesem durch eine gegen die Stabilitätsappelle gerichtete Zahlung in den Rücken fielen.123 Doch offenbar sah Jantzen kein Problem darin, der Vulkan-Belegschaft eine Zulage zuzugestehen. Er habe beim Bremer Vulkan aufgrund der Lohnstruktur schon Unruhen erwartet, entgegnete er. In der Bilanz des Bremer Vulkan seien noch ausreichend versteckte Gewinne, aus denen man einen Teuerungszuschlag zahlen könne. Bei einer innerbetrieblichen Regelung würde man das Wohlwollen von Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs nicht verlieren. Jantzen war vertraut mit den »zweiten Lohnrunden« der 1960er Jahre und gab der Belegschaft in ihren Forderungen Recht. Als ehemaliger Bevollmächtigter der IG Metall Bremen unterstützte er die Forderungen der Arbeiter.124 Die Geschäftsleitung des Bremer Vulkan war brüskiert und forderte den Senator auf, die Meinung des Arbeitgeberverbandes einzuholen. Jantzen griff zum Telefon und legte dem Arbeitgebervertreter die Situation dar. Der Vertreter erklärte sich für nicht zuständig, verwies aber ebenfalls auf die Stabilitätsappelle der Bundesregierung. Nach einer halben Stunde war das Gespräch bei Jantzen beendet. Die Geschäftsleitung hatte nicht die erhoffte Unterstützung aus der Politik erhalten.125 Auf der Betriebsversammlung am 14. Juni berichtete Kirchhoff vom Treffen beim Senator. Ein Redner aus der Belegschaft forderte die Arbeiter auf,

122 Ein Verweis auf das am 9. Mai 1973 von der Bundesregierung verabschiedete zweite Stabilitätsprogramm, das von der Bundesbank eine restriktive Geldpolitik verlangte und Investitionssteuern auf Anschaffungs- und Herstellungskosten erhob. Genauer Bökenkamp, S. 61. 123 Niederschrift: Gespräch beim Senator für Arbeit, Herrn Jantzen am 13. Juni 1973, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Wilder Streik 1973, Bd. 1, StAB 7,2121/1-667. 124 Angaben bei Eschenhagen, S. 30. 125 Niederschrift: Gespräch beim Senator für Arbeit, Herrn Jantzen am 13. Juni 1973, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Wilder Streik 1973, Bd. 1, StAB 7,2121/ 1-667.

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den Druck zu erhöhen und eine Demonstration durch Vegesack zu veranstalten, um sich »mal die Preise anzuschauen«. Etwa 2.000 Arbeiter marschierten daraufhin durch den Ort und beschlossen auf einer anschließenden Versammlung die vollständige Arbeitsniederlegung.126 Einen Tag später nahmen der Betriebsrat und das Direktorium die Gespräche auf. Die Geschäftsleitung forderte von den anwesenden Betriebsräten,127 den Betriebsfrieden sofort wiederherzustellen und die Belegschaft über die Unrechtmäßigkeit der Arbeitsniederlegung zu informieren. Betriebsrat Kirchhoff antwortete, er habe nicht zum Streik aufgerufen, sei aber als Vertreter der Belegschaft nun verpflichtet zu verhandeln. Direktor Huchzermeier erwiderte mit Nachdruck, die Arbeitsniederlegung würde gegen die Maßnahmen des Verbandes verstoßen, für die Aushandlung seien die Tarifpartner zuständig. Die Forderungen der Arbeiter bedeuteten für das Unternehmen zusammengerechnet eine Belastung von 18 Millionen DM.128 Huchzermeier meinte, das wäre ein Viertel des Aktienkapitals und für das Unternehmen nicht verkraftbar. Kirchhoff fragte zurück, was denn vertretbar sei. Doch Huchzermeier war nicht zu Verhandlungen bereit. Er schlug stattdessen vor, dass man eine Kommission bilden und sich die Löhne der anderen Werften im Vergleich zum Bremer Vulkan anschauen könne. Damit fand das Gespräch an diesem Tag kein befriedigendes Ende.129 Parallel zu den Verhandlungen mit dem Betriebsrat versuchte die Geschäftsleitung, den Streik zu unterlaufen und schrieb einen Brief an die Belegschaft, in dem sie die Streikenden aufforderte, ihre Haltung zu überdenken. 126 Bericht zum wilden Streik vom 8.6.–21.6.73, in: ebd. 127 Zu Beginn des Protokolls in der Auflistung der Anwesenden nicht namentlich erwähnt. Im Verlauf wird nur Kirchhoff zitiert, Niederschrift über eine außerordentliche Betriebsratssitzung am 15. Juni 1973, in: ebd. 128 Die Zahlen setzten sich wie folgt zusammen: Für den Angestelltenbereich waren es bei 979 Personen und 70 DM mehr pro Monat, 115.000 DM . (Das 13. Monatsgehalt wurde mit rund 1.952.000 DM extra gerechnet.) Für die gewerblichen Arbeitnehmer bedeutete die Erhöhung von 70  DM bei 4.259 Personen 505.000  DM . (Das 13. Monatsgehalt noch einmal 9.275.000 DM zusätzlich.) Ohne Verrechnung von Urlaubsvergütung und Weihnachtsgeld kam man insgesamt auf eine Jahresmehrbelastung von 18.977.000  DM . Vom Arbeitgeberverband konnte man pro Arbeitstag eine Unterstützung von siebzig Prozent des Lohnes erwarten – vorausgesetzt, es waren genügend Mittel im Unterstützungsfonds vorhanden. In: Aktennotiz, Betreff: Belastung durch den Streik, 18.06.73, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Streiks ­1971–1973, StAB 7,2121/1-666. 129 Niederschrift über eine außerordentliche Betriebsratssitzung am 15. Juni 1973, in: ebd.

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Möglichen Streikbrechern wurden Gehaltszulagen angeboten.130 Im Brief hieß es genauer: Sie verlieren pro Tag mehr Geld, als pro Monat an Erhöhung gefordert wurde. Sie wissen aus den Mitteilungen der Direktion, daß diese wegen der lebenswichtigen Stabilitätsmaßnahmen der Bundesregierung nicht in der Lage ist, einen allgemeinen Teuerungszuschlag zu bewilligen. Unser Unternehmen hat die Inflation nicht gemacht und kann deren Auswirkungen auch nicht auf seine Kunden abwälzen. […] Was es für unsere Werft bei unseren exportintensiven Aufträgen bedeutet, wenn unsere Kosten schneller steigen als die unserer ausländischen Wettbewerber, darüber mag jeder von Ihnen einmal nachdenken […].131 Die Geschäftsleitung begründete ihre ablehnende Haltung mit der notwendigen Wirtschaftlichkeit des Unternehmens auf dem globalen Markt. Dass die Forderungen der Arbeiter aber nicht aus der Luft gegriffen waren, zeigte sich in den Zugeständnissen Huchzermeiers, etwaige Unterschiede in Lohnzahlungen zu denen anderer Werften überprüfen lassen zu wollen.132 Wie Kirchhoff in den Gesprächen beteuerte, war er nicht an der Auslösung des Streiks beteiligt gewesen. Das musste er vor der Geschäftsleitung so darstellen, Gegenteiliges war angesichts seiner politischen Haltung im Vorfeld aber auch nicht zu vermuten. Dass der Jugendvertreter Elster, dem Kirchhoff mit einem Ausschlussantrag gedroht hatte, einen Anteil am Streik trug, war schon eher anzunehmen.133 Im Rückblick auf die erste Demonstration durch Vegesack sagte er:

130 Aus einem internen Schreiben der Geschäftsleitung geht hervor, dass die Bezahlung von Belegschaftsmitgliedern, die sich nicht am Streik beteiligten, für die Streiktage eine Vergütung für 20 Stunden bekommen sollten, was man ihnen »möglichst unauffällig« zukommen lassen wollte, siehe Notiz über Behandlung von »arbeitswilligen« Arbeitnehmerinnen – Auszahlung von Lohn, o. A., in: ebd. 131 Brief an die Mitarbeiter am 18.06.1973, in: ebd. 132 Direktor Huchzermeier ließ in den Verhandlungen anklingen, dass man bereit sei, bis zu 15 Mio. DM zu zahlen, siehe Niederschrift über eine außerordentliche Betriebsratssitzung am 15. Juni 1973, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Wilder Streik 1973, Bd. 1, StAB 7,2121/1-667. 133 Er blieb nicht der Einzige. Auch der Kranführer Heinz Scholz äußerte sich auf Versammlungen, berichtete von Solidaritätserklärungen von Arbeitern der KlöcknerHütte und machte sich häufig für die Fortsetzung des Streiks stark, siehe die Berichte über die Versammlung am 19. und 20. Juni 1973, in: Bd. 1 ebd.

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[…] es wurde ein Parole rausgegeben: »Geschäftsleute in Bremen-Nord und auch Bürger solidarisiert Euch! Senkt die Preise!« Kollegen, in dieser Parole ist ein dicker Widerspruch. Wir sind auf die Straße gegangen, um gegen die Unternehmer zu kämpfen für einen höheren Lohn. Dann können wir von den Unternehmern in Vegesack nicht erwarten, daß sie sich mit uns solidarisieren und die Preise senken. […] Die Solidarität brauchen wir nicht von den Geschäftsleuten, sondern von den anderen Kollegen, von den Arbeitern wie z. B. von Lürssen, AG Weser oder von Klöckner. […] Das müssen wir uns angewöhnen, falls wir wieder einen Demonstrationsmarsch machen sollten, daß solche Parolen nicht ausgegeben werden.134 Es schien, als hätten die Arbeiter nicht verstanden, worum es Elster bei diesem Streik ging. Und es zeigt, dass einige Arbeiter gar nicht das Ziel einer grundsätzlichen Kritik am Kapitalismus verfolgten, was eine weitere Äußerung Elsters deutlich macht: Ich hatte das Gefühl, daß die Besatzung des Wagens [Demonstrationswagen] sich mehr darauf konzentriert hat, gegen die Kommunisten zu hetzen, als unsere Forderung zu vertreten. Ich bin daraufhin dann zum Wagen gegangen, und hab versucht das klarzumachen. Für uns als Arbeiter, Kollegen, ist doch entscheidend, wer unsere Kampffront, bestehend aus Parteilosen, Sozialdemokraten und Kommunisten, wer diese Kampffront unterstützt, und ich bin der Meinung, Kollegen, die Kommunisten unterstützen diese Kampffront und von daher sollte man nicht gegen sie hetzen.135 Ein Beitrag der DKP in den Werftnachrichten enthüllte außerdem, dass die kommunistischen Gruppen, die über diesen Streik Anschluss zum Vulkan suchten, sich gegenseitig behinderten und den jeweiligen Gegner am liebsten des Platzes verwiesen hätten: […] von wildgewordenen, rotlackierten, kleinkarierten anarchistischen spießbürgerlichen Spinnern und Gewerkschaftsfeinden, die sogenannten »Freunde der KPD« (Leute, die noch nie Kommunisten waren, und es auch heute nicht sind, aber meistens im Hintergrund eine dicke Brieftasche 134 Bericht über die Versammlung am 21. Juni 1973, in: ebd. 135 Ebd.

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ihres reichen Herrn Papas am Arsch kleben haben). Ihr Auftrag besteht darin, die gewählten und in diesen Tagen des Kampfes verantwortungsvollen Gewerkschafter der Vulkan-Werft zu verunglimpfen, zu verleumden, wie es die Bildzeitung und Strauß nicht besser machen könnten.136 Ihr Übriges bekam die Bewegung von der Geschäftsleitung, die die Forderungen der Belegschaft durch die Diskreditierung der politischen Akteure zu verunglimpfen suchte. Dass es zum Streik gekommen war, hätte an den »kommunistischen Pamphleten« gelegen, die die Vulkanesen seit März zum konsequenten Lohnkampf aufgerufen hätten, hieß es im Bericht der Geschäftsleitung.137 Die Kritik, die dem Betriebsrat in einer Sitzung mit dem Direktorium entgegenschlug, war mehr als scharf: Maximalforderungen, die über das Vertretbare hinaus gestellt werden, würden letztlich nur denjenigen nützen, die sich die Veränderung des Systems zum Ziel gesetzt haben. Ob die Systemveränderung aber zum Nutzen der Arbeitnehmerschaft sei, darüber möge sich jeder selbst durch einen Blick auf die Verhältnisse in den Ostblockstaaten sein Urteil bilden. […] Es gehe darum, die jetzige Wirtschaftsordnung zu verteidigen, die dem deutschen Arbeitnehmer die Entwicklung zu besseren Lebensstandards gebracht habe.138 Mit diesen Aussagen versuchte die Geschäftsleitung, die Ansätze der politischen Agitatoren zu entlarven. Was sie forderten, könne nicht im Interesse der Arbeiter sein. Dass sie sich aber ernsthaft wegen des Einflusses linker Gruppen im Betrieb sorgte, zeigt ein Brief an die Mitarbeiter: Zwischenzeitlich haben sich neben einigen kommunistischen Organisationen auch studentische Organe der Bremer Universität angeboten, Ihnen bei den verschiedenen Problemen, die während des Streiks auftreten, zu 136 Werftnachrichten, 22.06.1973, in: ebd. Gemeint war damit ein Flugblatt der »Freunde der Kommunistischen Partei Deutschlands in Bremen«, das vor der Werft verteilt wurde und zur Sabotage des Streiks des »Arbeiterverräters« Kirchhoff und seiner »SPD -Mafia« aufrief, Flugblatt der Freunde der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in Bremen, 19.06.1973, in: ebd. 137 Bericht zum wilden Streik vom 08.06.–21.06.1973, in: ebd. 138 Protokoll zum Jahresabschluß am 17. Dezember 1973, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Gemeinsame Sitzungen zwischen Direktion und Betriebsrat [im Folgenden abgekürzt mit Gem. Sitzungen], Bd. 1, 1962–1980, StAB 7,2121/1-646.

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helfen. Wir haben uns alle häufig im Fernsehen informieren können, wie unsere Universitäten versuchen, ihre Probleme zu lösen. Der Vorstand und alle vernünftigen Vulkanesen werden es nicht zulassen wollen, daß diese Zustände bei uns einreißen. Die geistige Haltung dieser Kreise resultiert aus Ideologien, die sich schon vor 40–50 Jahren als unbrauchbar erwiesen haben.139 Dass die Geschäftsleitung bereit war, dagegen auch mit schärferen Mitteln vorzugehen, zeigt eine Mitteilung an die Polizei Bremen, in der sie um Unterstützung bat, falls sich Leute der Universität Bremen in die Geschehnisse auf dem Bremer Vulkan einschalten würden.140 Da sie beim Bremer Wirtschaftssenator nicht auf offene Ohren gestoßen war, schickte die Geschäftsleitung einen Brief an das Wirtschaftsministerium in Bonn und informierte den Ministerialrat über die Gefahr radikaler Bewegungen im Unternehmen und der unverständlichen Haltung des Bremer Senators.141 Die Geschäftsleitung machte deutlich, dass sie sich einer Bedrohung ausgesetzt sah, die die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens ernsthaft gefährden könne. Kompromisse seien durch die Radikalen nicht zu erzielen. Um den Ereignissen Gewicht zu verleihen, betonte man, dass die Entwicklungen auch in anderen Betrieben Lohnforderungen nach sich ziehen könnten.142 139 Brief an die Mitarbeiter am 18.06.1973, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Streiks 1971–1973, StAB 7,2121/1-666. 140 Aktennotiz, Betreff: Wilder Streik beim BV  – Unterrichtung des 21. Polizeireviers, 16.06.73, in: ebd. Die Sorge um universitäre Einflüsse war angesichts des tatsächlichen Kontaktes allerdings unbegründet. Am 20. Juni überreichte ein Delegierter der Universität ein Spendengeld von rund 300 DM und erklärte seine Solidarität mit den Arbeitern. Von weiteren Aktionen ist im Quellenmaterial nichts zu finden, Bericht über die Versammlung am 20. Juni 1973, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Wilder Streik 1973, Bd. 1, StAB 7,2121/1-667. 141 Brief an das Bundesministerium für Wirtschaft, z. Hd. Ministerialrat Pfeiffer, 18.06.1973, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Streiks 1971–1973, StAB 7,2121/ 1-666. 142 Um mögliche finanzielle Folgen des Konflikts abzufedern, traf sich die Geschäftsleitung mit Vertretern des Arbeitgeberverbandes und bat um Unterstützung. So hieß es in einem Schreiben an den Bremer Vulkan kurze Zeit später: »Bezüglich der Streikunterstützung fasste der Vorstand den Beschluss, dem Bremer Vulkan die gesamte Streikunterstützung des Unterstützungsfonds des Arbeitgeberverbandes für das gesamte Unterwesergebiet zukommen zu lassen.«, Hausmitteilung, Betreff: Sitzung des Vorstandes des Arbeitgeberverbandes der Metallindustrie im Unterwesergebiet e. V. am 19. Juni 1973, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Wilder Streik 1973, Bd. 1, StAB 7,2121/1-667.

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Die Lösung sollte ein Gespräch mit der IG Metall-Bezirksleitung bringen. Wie schon beim Klöckner-Konflikt vertraute man auf die gute Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft. Bezirksleiter Heinz Scholz, der 1969 Druck auf die Klöckner-Belegschaft ausgeübt hatte, sollte Auskunft geben, was der Bremer Vulkan tun müsse, »um das Problem mit Unterstützung der Gewerkschaft zu lösen«.143 Scholz meinte am Telefon, der Spuk müsse ein Ende haben. Er wolle sich mit dem Hauptvorstand abstimmen, ob er zu einem Gespräch nach Bremen kommen dürfe.144 Die Reise wurde vom Vorstand genehmigt und Scholz kam noch am selben Tag, um mit dem Vertreter des Arbeitgeberverbandes das Verfahren abzustimmen. Sie waren sich einig, dass man ein Zugeständnis an die Belegschaft des Bremer Vulkan machen müsse, sonst gebe es kein Ende des Konflikts. Es dürfe aber keine Lohnverhandlungen in anderen Betrieben nach sich ziehen oder auf die kommende Tarifverhandlung Einfluss haben.145 Dann gingen der Betriebsrat und die Geschäftsleitung unter Vermittlung von Heinz Scholz in die Verhandlungen. Nicht alle im Betrieb waren mit diesem Vorgehen einverstanden. Einige Belegschaftsmitglieder fühlten sich übergangen. Sie sprachen von einer »Beschneidung der Demokratie«, wenn die Belegschaft aus der Entscheidung über das Ergebnis herausgehalten werde.146 Elster gehörte zu denen, die den Eintritt der IG Metall in die Verhandlungen als Einmischung empfanden. Er machte sich dafür stark, dass die gesamte Belegschaft – unorganisierte Kollegen eingeschlossen – über das Ergebnis abstimmen dürfe und sprach sich für die Fortsetzung des Streiks aus, um die eigentlichen Forderungen der Belegschaft durchzusetzen.147 In der Diskussion ging es damit auf einmal um mehr als Lohnverhandlungen. Mit der Frage, ob die Entscheidungsgewalt in dieser Situation in die Hände der Vertrauensleute gelegt werden könne  – eine demokratisch gewählte, ehrenamtliche Gruppe, die eine Nähe zur Gewerkschaft hatte, aber im Sinne des Betriebes abstimmen sollte – stand nicht nur die Einmischung 143 Protokoll der Sitzung mit dem Vorstand des Arbeitgeberverbandes der Metallindustrie im Unterwesergebiet e. V. am 19. Juni 1973, in: ebd. 144 Ebd. 145 Scholz bat gleich zu Beginn, dass das an die IG Metall gerichtete Fernschreiben nicht an die Presse weitergegeben werden solle und erklärte, er würde sich für die Friedenspflicht auf der Werft einsetzen, Protokoll der Sitzung mit dem Vorstand des Arbeitgeberverbandes. 146 Bericht über die Versammlung am 21. Juni 1973, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Wilder Streik 1973, Bd. 1, StAB 7,2121/1-667. 147 Ebd.

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des IG Metall-Bezirksvorsitzenden Scholz, sondern auch die Rolle der Vertrauensleute zur Disposition. Befürworter der Vertrauensleute argumentierten, die Vertrauensleute hätten ein Mandat, das ihnen durch die Wahlen geschenkt worden sei: Und wenn man hier versucht, Vertrauensleute für unsinnig zu erklären, dann hättet ihr sie gar nicht wählen zu brauchen, und darum ist es auch wichtig für die Zukunft, daß ihr euch eure Kandidaten in den einzelnen Branchen genau anguckt, bevor ihr einen zum Vertrauensmann macht.148 Ein anderer meinte: Wir wollen unseren Vertrauensleuten doch so viel […] Verantwortung überlassen, daß sie in unserem Sinne, denn sie wissen, was wir wollen, in unserem Sinne so abstimmen, daß beide Seiten zufrieden sind, wir, die Geschäftsleitung, daß der Friede der Werft wiederhergestellt wird. Das ist doch wesentlich. Wir wollen doch hier nicht einen ganzen Sommer streiken.149 Auch die Frage, ob man Unorganisierte in die Entscheidungsprozesse einbeziehen solle, wurde von einigen kritisch gesehen. Es sei zwar anzuerkennen, dass sie sich am Streik beteiligten, dennoch solle man »auf diese paar Mann« jetzt keine Rücksicht nehmen, »denn wir sind in der Hauptsache hier doch Gewerkschaftler, wenn das auch kein gewerkschaftlicher Streik ist«.150 Mehrere machten also darauf aufmerksam, dass sie die traditionellen Strukturen und Verfahren der Gewerkschaft beibehalten wollten und waren erleichtert darüber, dass sich die Gewerkschaft in die Angelegenheit auf der Werft eingeschaltet hatte. Für sie war das Vertrauen in sie und ihr Verhandlungsgeschick beziehungsweise in die Vertrauensleute und deren richtige Entscheidung ungebrochen. Wie groß der Anteil derer war, die die Argumente Elsters unterstützten und sich für eine neue Basisdemokratie und damit gegen die Abgabe der Entscheidungsgewalt an die Gewerkschaft aussprachen, lässt sich nicht verifizieren. Elster bekam starken Beifall für seine Rede  – so steht es im Protokoll  –, doch als das von den Vertrauensleuten 148 Ebd. 149 Ebd. 150 Ebd.

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abgestimmte Ergebnis verkündet wurde, beharrte niemand auf die Fortsetzung des Streiks.151 Am 21. Juni kamen der Betriebsrat und die Geschäftsleitung unter Vermittlung von Scholz zu einem Ergebnis. Rückwirkend zahlte die Geschäftsleitung ab dem 1. Juni 25 Pfennig mehr pro Stunde. Das bedeutete für die Arbeiter um die 40 DM monatlich mehr, war also weit entfernt von den ursprünglich geforderten 70 DM. Zusätzlich gab es eine Treueprämie: ab einem halben Jahr Betriebszugehörigkeit 30 DM, für jedes weitere 15 DM bis zu 25 Jahren. Außerdem sollte eine Kommission gegründet werden, die die Löhne mit denen auf anderen Werften verglich.152 Am Tag darauf versammelte sich die Belegschaft um 6.45 Uhr im Betrieb. Als der Betriebsrats­ vorsitzende Kirchhoff ans Mikrofon trat, hörte man Buhrufe im Saal: Guten Morgen, Kolleginnen und Kollegen. Vielleicht, bevor ich auf dieses Ergebnis eingehe, einige Worte zu denen noch, die hier Pfui schreien und sogar schreien »weitermachen«. Wenn wir weitermachen sollten, […] dann muß man auch davon ausgehen, daß wir bei null wieder anfangen und nicht aufbauen können auf dieses Ergebnis. […] Wir haben zwei Tage verhandelt. Es ist zwar kein himmelhoch-jauchzendes Ergebnis dabei herausgekommen, aber wir dürfen feststellen, es ist doch ein befriedigendes Ergebnis zustande gekommen.153 Eine Diskussion über das Ergebnis wurde nicht zugelassen. Die Belegschaft wurde aufgefordert, ihre Arbeit wieder aufzunehmen.154

151 150 Vertrauensleute stimmten letztlich für die Annahme des Ergebnisses, drei enthielten sich der Stimme, drei stimmten dagegen. 152 Zunächst forderte die Geschäftsleitung, dass die durch den Streik ausgefallenen Arbeitsstunden nachgeholt werden müssten. Diese Forderung zog sie im Nachhinein zurück, da es nicht zu bewerkstelligen war, 3.000 Beschäftigte zusätzlich arbeiten zu lassen, Brief an Betriebsrat Scholz, Betreff: Ihre Vermittlung zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat des Bremer Vulkan im Juni 1973, 25.06.1973, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Wilder Streik 1973, Bd. 1, StAB 7,2121/1-667. 153 Außerdem erhöhte sich das Weihnachtsgeld um vierzig Prozent, Bericht über die Versammlung am 22. Juni 1973, in: ebd. 154 Am Streik hatten sich 3.100 Arbeiter und 120 Angestellte beteiligt. Auch ausländische Arbeiter waren darunter und Arbeiter von Fremdfirmen, wie es im Abschlussbericht hieß, in: ebd.

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2.2.5 Rücktritte, Ausschlüsse und eine Tarifverhandlung Der wilde Streik auf dem Bremer Vulkan wurde in den Medien der kommunistischen Gruppen lang und breit erörtert. Die DKP versuchte, trotz der nicht erfüllten Forderungen die Dinge in ein positives Licht zu rücken. Die Belegschaft habe sich kampfbereit gezeigt und der Funke der Mobilisierung habe sich auf andere Betriebe übertragen und den kommenden Tarifkampf in Gang gesetzt.155 Der KBB fand ebenfalls positive Worte: Der gemeinsame Kampf der Belegschaft aus Arbeitern, Angestellten und Lehrlingen habe die Belegschaft gegenüber der Geschäftsleitung starkgemacht. Warum es trotzdem nur zu einem Teilerfolg kommen konnte, lag für den KBB an den Sozialdemokraten. Für die Zukunft hieß es, eine noch aktivere Politik in der Gewerkschaft zu betreiben und den »Verrätern in den eigenen Reihen« den Kampf anzusagen.156 Am weitesten in seinen Interpretationen ging der KAJB. Er schätzte die Mobilisierung der Belegschaft als außerordentlich erfolgreich ein und beschrieb, wie es gelungen war, bei vielen Mitarbeitern eine Kehrtwende im Denken zu erreichen: »Wir Kommunisten wußten jedoch, daß die Belegschaft ihre Kraft erkannt hatte. Das zeigte sich auf jeder Streikversammlung. Immer waren ca. 4.000–5.000 Kollegen anwesend! Einen wichtigen Hebel für die weitere erfolgreiche Durchführung des Streiks hatten wir durchgesetzt […].«157 Die Kommunistische Arbeiterjugend interpretierte die Einbeziehung des IG Metall-Bezirksverantwortlichen Scholz als beginnenden Verrat Kirchhoffs, der darin mündete, dass das Ergebnis vor der Belegschaft verkündet und weitere Diskussionen unterbunden wurden: Nur widerwillig fügte sich ein Teil der Belegschaft. Auf der Wiese bildeten sich überall Diskussionsgruppen. Es herrschte eine gespannte Atmosphäre unter den Kollegen, sie waren empört über das Ergebnis und die Vorgehensweise einiger Sozialdemokraten. […] Durch diese sozialdemokratische Politik wurden die Vulkan Arbeiter um die Früchte ihres einheitlichen und geschlossen geführten Kampfes betrogen!158 155 Werftnachrichten, 25.06.1973, in: ebd. 156 Das Ruder, Extrablatt, 25.06.1973, in: ebd. In der Ausgabe vom 25. Juni teilte die Betriebszelle Bremer Vulkan seinen Lesern mit, dass die Gründung des Kommunistischen Bundes Westdeutschlands (KBW) stattgefunden hatte, unter dessen Namen nun auch die Betriebszelle arbeiten würde. 157 Kämpfende Jugend: Der Streik der Vulkanesen, Nr. 6–7, Juni / Juli 1973, in: Schröder. 158 Ebd.

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Der KJAB drohte, es sei das letzte Mal gewesen, dass die Gewerkschafter den Vertrauensleutekörper so gegen die Belegschaft hätten ausspielen können. Nun komme es auf die Kommunisten an, der Belegschaft über die »Verräterei sozialdemokratischer Klassenversöhnler« die Augen zu öffnen, die nur das Elend der Arbeiterklasse stabilisiere. Die Lösung sei eine eigene revolutionäre Partei.159 Auch bundesweit schenkten mehrere kommunistische Zeitungen den Ereignissen Aufmerksamkeit, wobei der Bremer Vulkan zu einem Unternehmen mit besonders streikfreudiger Belegschaft stilisiert wurde.160 Es war zu lesen, wie die sozialdemokratischen Interessenvertreter der »kampfbereiten Belegschaft« in den Rücken gefallen seien, dass es aber durch den gemeinsamen Kampf der Vulkan-Arbeiter gelungen sei, die Geschäftsleitung unter Druck zu setzen und zumindest einen Teilerfolg zu erringen.161 Auf diesen Erfolg wollten die politischen Akteure auf der Werft aufbauen und mobilisierten in der zweiten Jahreshälfte für den nächsten Tarifkampf. Ihnen kam ein weiteres Ereignis entgegen: In den Nachwehen des wilden Streiks kam es zum Rücktritt des Betriebsratsvorsitzenden Dieter Kirchhoff, der sich durch den Ausschlussantrag gegen Elster besonders bei KBB und KAJB unbeliebt gemacht hatte.162 An seine Stelle trat Fritz Bettelhäuser, der parteilos war und beim Ruder als fortschrittlich galt. 159 Ebd. 160 Bei der Kommunistischen Gruppe Hamburg hieß es: »Die große Bereitschaft für einen konsequenten Streik zeigte sich auch in der Frage der Streikposten. In Bremen brauchte man keine Streikposten, da gab es keine Streikbrecher unter den Kollegen! So einstimmig standen alle Kollegen hinter ihrem Streik!«, Kommunistische Gruppe Hamburg: Informationen für die Kollegen der Metallindustrie Hamburgs. Die Forderungen klären!, Hamburg 25. Juni 1973, in: Schröder. 161 Berichtet wird auch durch die KPD / M L im Roten Morgen, in der Zeitschrift Wir wollen alles in mehreren Ausgaben, in der Roten Fahne der KPD, Nr. 27, 04.07.1973 und in der Betriebszeitung bei Hoesch: Der Metallarbeiter, Nr. 1, Juni 1973, in: ebd. 162 Mittlerweile hatte die Kommission zur Angleichung der Löhne mit anderen Werften getagt. Es sollte je nach Lohngruppe 10 bis 25 Pfennig mehr geben, wobei Zwischenlohngruppen eingeführt wurden, die für einige Arbeiter eine Verbesserung bedeuteten. Die Redaktionsgruppe Das Ruder empfand das Ergebnis allerdings als nicht zufriedenstellend und forderte die Abschaffung der unteren Lohngruppen, Das Ruder: Zur Angleichung der Löhne an andere Werften!, Nr. 10, 28.10.1973, in: ebd. Im Kontext dieser Aushandlungen kam es noch einmal zu einem Aufbrechen der Konflikte zwischen SPD -Betriebsratsmitgliedern und ihren Kritikern. Bei der Verkündung des ersten Ergebnisses der Kommission war die Mehrheit nicht einverstanden, weshalb Dieter Kirchhoff von seinem Amt als Betriebsratsvorsitzender zurücktrat. Das Ruder stellte die Situation so dar, als ob es eine Schlussfolgerung der vorangegangenen Er-

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Im Herbst 1973 überschlugen sich die Ereignisse. Mit dem Anstieg des Ölpreises kam eine Diskussion zur Krise im Schiffbau auf. Das Ruder hatte seine eigene Interpretation der Situation: Die Ölkrise sei nur eine Krise, weil es Ölmonopole gebe, die die Preise in die Höhe trieben, und liege nicht an »den Arabern«.163 Das Ruder sah die Verzögerungstaktik der IG Metall in den Tarifverhandlungen als Strategie, zu einem späteren Zeitpunkt niedrigere Löhne fordern zu können, wenn die Krise für alle sichtbar würde. Dem wolle man entgegensteuern und die Verhandlungen beschleunigen.164 Ab März 1974 spitzten sich die Diskussionen auf dem Vulkan um die Tarifverhandlung zu. Die aus dem KBB hervorgegangene Gruppe Kommunistischer Bund Westdeutschlands (KBW) forderte über Das Ruder, jetzt endlich einen Streik zu führen und nicht länger die Hinhaltetaktik der Gewerkschafter zu akzeptieren. Am 6. März 1974 um 5 Uhr morgens begann schließlich der Tarifstreik im Unterwesergebiet. Das Ruder verkündete in einem Extrablatt, Otto vom Steeg, der neue Bezirksleiter der IG Metall, bereite schon wieder eine Niederlage vor.165 Dass er bereit sei, unter 14 Prozent zu gehen, dürfe nicht zugelassen werden. Es müsse um 18 Prozent gehen beziehungsweise um die Durchsetzung der Mindestforderung von 185 DM für alle. Der KBW setze sich für einen gemeinsamen Kampf ein, für zentrale Kundgebungen und Demonstrationen, um die Öffentlichkeit zu erreichen.166 Doch der entscheidende Funke wollte nicht überspringen. Es war für den KBW schwierig, größere Teile der Belegschaft aktiv in den Streik einzubeziehen. Die Vulkanesen versammelten sich nicht vor dem Werkstor, wie sie es im Sommer des letzten Jahres getan hatten. Der KBW räumte eigene Fehler ein: Die Ortsgruppe Bremen des KBW hat im Verlaufe des Streiks, aber auch schon während seiner Vorbereitung den Fehler gemacht, nicht entschieden

eignisse gewesen sei, die Kirchhoff schließlich zu dieser Entscheidung bewogen habe, da er nicht mehr die Mehrheit seiner Kollegen hinter sich wusste, Das Ruder: Kirchhoffs Rücktritt. Zusammenbruch der arbeiterfeindlichen SPD -Politik im Betriebsrat?, Extra­blatt, 06.11.1973, in: ebd. 163 Das Ruder: Ölkrise, Araberhetze und Notverordnungen: Geschäft der Monopole!, Extrablatt, 14.12.1973, in: ebd. 164 Das Ruder: Schleichender Ausverkauf unserer Interessen. Den Lohnraub verhindern!, Nr. 11, Januar 1974, in: ebd. 165 Das Ruder: Nehmen wir die Sache in die Hand!, Extrablatt, 06.03.1974, in: ebd. 166 Ebd.

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genug um dessen politische Führung zu kämpfen. Die meisten Genossen sind darin aufgegangen, die besten Organisatoren des Streiks zu sein, während die Versuche, politisch einen Schritt nach vorne zu tun, nur sehr zögernd und unentschlossen gemacht wurden.167 Am 27. März wurde schließlich das von den Tarifpartnern ausgehandelte Ergebnis bekanntgegeben, das sich nach einem Schlichtungsverfahren auf 12,25 Prozent belief – also hinter den ursprünglichen Forderungen lag. Wie schon 1973 begann nach dem Streik die Suche nach den Schuldigen. Der Betriebsratsvorsitzende Bettelhäuser berief eine außerordentliche Versammlung ein, auf der er das Ergebnis ablehnte. In der aufgeheizten Stimmung wurde eine Liste verteilt, in der der Ausschluss des Bezirksvorsitzenden Otto vom Steeg und des IG Metall-Vorsitzenden Eugen Loderer gefordert wurde.168 In einem Resümee suchte der KBW nach Erklärungen für die Niederlage im Streik. Es handle sich um die Ohnmacht der Arbeiter, »die sich nicht aus der Rolle von Statisten im Kapitulationskonzept der Gewerkschaftsführung befreien konnten. Es gelang den Arbeitern nicht, sich während des Streiks aus dem Schlepptau der Taktik der IGM-Führung zu lösen und ihre Selbständigkeit zu entwickeln.«169 Die angekündigte Weiterführung des Streiks setzte sich letztlich nicht durch. Die politische Mobilisierung wurde in die Zukunft verlegt. Was die Strategie für weitere Forderungen anbelangte, schien der KBW ratlos. Hilflos wirkten die Vorschläge, wie die Arbeiter wieder motiviert und die Gewerkschaftsstrukturen ausgehebelt werden könnten: Der Abkopplung der Gewerkschaftsspitze sei nur durch »starke Kampforgane« in der Belegschaft beizukommen, hieß es im Ruder.170 Deshalb fordere man die Aufhebung der Friedenspflicht im Betrieb und die Einbeziehung von Jugendvertretern in die Mitbestimmungsgremien. Dafür waren die meisten Arbeiter nicht zu begeistern. Der KBW war enttäuscht über den Fortgang der Ereignisse. Auch

167 Kommunistische Volkszeitung: IG -Metall-Führung will mit dem Bremer Streik eine Niederlage organisieren, Nr. 6, Mannheim 20.3.1974, in: Schröder. 168 Kommunistische Volkszeitung – Ortsbeilage Bremen Extra 16.000 mal NEIN für Loderer, von Steeg und Weinkauf!, 28.03.1974. In einer späteren Ausgabe berichtete die Rote Fahne, dass Heinz Scholz den Antrag zum Ausschluss gestellt hatte, siehe Rote Fahne, Nr. 15, Dortmund 10.04.1974, in: ebd. 169 Kommunistische Volkszeitung: Lehren aus dem Bremer Streik. Die Vulkan-Kollegen zeigen die Richtung, Nr. 7, Mannheim 03.04.1974, in: ebd. 170 Das Ruder: 1. Mai – Kampftag der Arbeiterklasse, Extrablatt, 25.04.1974, in: ebd.

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vom 1. Mai war nichts Gutes zu berichten: Viel zu wenige beteiligten sich an den Demonstrationen.171 Die Forderung nach Ausschluss der beiden hauptamtlichen Gewerkschafter, vom Steeg und Loderer, hatte ein böses Nachspiel. Die IG Metall ließ diese Drohungen nicht auf sich sitzen und leitete gegen vier Personen  – Heinz Scholz, Hartwig Elster, Dieter Bachmann und Heinz Koldehofe –, die an den Forderungen beteiligt gewesen waren, Ausschlussanträge ein.172 Im Ruder versuchte man sich zu wehren und verkündete: Die Reaktion der Ortsverwaltung zeigt, welche Angst sie vor dem organisierten Ausdruck des Mitgliederwillens hat. Sie hat Angst vor einer Änderung der Gewerkschaftspolitik, die bedeutet, daß es mit der Zeit des Herumschwätzens und Schönewortemachens vorbei ist. […] Sie hat Angst vor der organisierten Kraft der Kollegen, die auf Grundlage einer solchen Politik immer selbstständiger und ausschließlich für ihre Interessen, den Kampf gegen die Kapitalisten und gegen jeden, der sich diesem Kampf entgegenstellt, aufnehmen wird.173 Diese Äußerungen wirken wie ein Säbelrasseln in einer Arena ohne Publikum und Gegner. Zuvor hatten die politischen Akteure noch eingestanden, dass es ihnen nicht gelungen war, die Arbeiter für ihre Ansätze zu begeistern. Hier widersprachen sie ihren vorherigen Beobachtungen über sinkende Zah-

171 Das Ruder: Die Konsequenzen aus dem 1. Mai ziehen!, Nr. 12, 14.05.1974, in: ebd. 172 In dem Schreiben an Bachmann hieß es: »Es ist gegen Dich die Anschuldigung erhoben worden, Du habest schon seit beträchtlicher Zeit Dich dadurch in gewerkschaftsschädigender Weise betätigt, indem Du bei jeder sich bietenden Gelegenheit die antigewerkschaftlichen Parolen des KBW unterstützt und verbreitest. Es wird Dir vorgeworfen, daß Du damit auch gegen den Beschluß des Beirates der IG Metall vom 16.04.1973 verstößt, nach dem Mitglieder, die die Aktivtäten der unter den Bezeichnungen KPD / M L , KPD, KPD / AO und Kommunistischer Bund tätigen linksextremistischen Gruppen unterstützen oder sich an deren Aktivitäten beteiligen, gegen die Interessen unserer Gewerkschaft verstoßen und mit ihrem Ausschluß rechnen müssen. Die Zugehörigkeit zu einer dieser Vereinigung ist ohnehin mit der Mitgliedschaft in der IG Metall unvereinbar.«, Brief an Dieter Bachmann, Betreff: Verfahren nach § 30 unserer Satzung, von A. Weinkauf, Gerhard Klöver, 22. Mai 1974, in: ebd. Über ein Flugblatt des KBW wurde bekannt, wer hinter den Ausschlussanträge steckte. Wie zu erwarten war, gehörte zu den Antragstellern der zurückgetretene Dieter Kirchhoff und 16 Personen aus dem SPD -Kreis. 173 Das Ruder: Ausschluss schadet der Gewerkschaftsarbeit, Nr. 14, 27.05.74, in: ebd.

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len bei den Maikundgebungen und der fehlenden Protestbereitschaft während des Unterweserstreiks.174 Auf dem Bremer Vulkan wurde eine Unterschriftenaktion organisiert, die sich gegen die Ausschlüsse aussprach. Die Idee war, einen Beschluss der Vertrauensleute zu nutzen, um gegen die Ausschlüsse zu protestieren.175 Doch Das Ruder musste einräumen, dass die »Front gegen die Ausschlüsse« noch nicht so stark sei, dass man das Verfahren einstellen könne.176 Als Reaktion auf die Vorwürfe der IG Metall und um die Position des KBW im Betrieb zu stärken, veranstaltete die Vulkan-Betriebszelle ein Treffen, um über die »Arbeit des KBW in den Gewerkschaften« aufzuklären.177 Neben dem Versuch, sich wieder ein Standbein in der Belegschaft zu erarbeiten, kamen neue Akteure in den Betrieb, mit denen man sich auseinandersetzen musste. Aufmerksam geworden durch den Streik von 1973 und die Gewerkschaftsausschlüsse begann sich die KPD,178 für den Bremer Vulkan zu 174 Das Ruder: Die Ausschlussanträge müssen vom Tisch!, Extrablatt, 24.05.1974, in: ebd. 175 Bachmann, Elster und Koldehofe: Beschlussantrag, Bremen o. J. (1974), in: ebd. In einem Brief, der den Anschein machte, als sei es ein Beschlussantrag aller Vertrauensleute des Bremer Vulkan, hieß es, die damalige Streikversammlung sei eine offiziell gewerkschaftliche Angelegenheit gewesen und es müsse möglich sein, gewählte Funktionäre – damit waren Loderer und vom Steeg gemeint – kritisieren zu dürfen. Der Beschluss, den die Betroffenen hier vorlegten, war allerdings nur von ihnen selbst unterzeichnet, also kein Beschlussantrag. In einem Extrablatt des Ruders wurde deutlich, warum: Die Vertrauensleute hatten am Ende einer Vertrauensleuteversammlung die Ergebnisse nicht beschlussfähig festgehalten. 176 Schließlich formulierten die Betroffenen eigene Antwortschreiben auf die Ausschlussanträge der IG Metall-Ortsverwaltung. Heinz Scholz schrieb, zum einen sei die Ortsverwaltung nicht ermächtigt, sondern der Vorstand der IG Metall müsse sich damit befassen, zum anderen sei Arno Weinkauf, Ortsverwaltung Bremen, befangen, weil Scholz bereits einen Ausschlussantrag gegen ihn gestellt hatte, o. A.: Die Antwortschreiben der ausschlußbedrohten Kollegen an die IG Metall Ortsverwaltung, Bremen o. J. (1974), in: ebd. 177 Das Ruder, Extrablatt: Gestern Vertrauensleutesitzung: Ausschlußanträge finden keine Unterstützung, 28.05.1974, in: ebd. 178 Die Situation für die KPD in Bremen war bereits seit 1963 günstiger geworden. Bei den Ostermärschen durften sie offiziell mitlaufen, hatten allerdings keinen maßgeblichen Einfluss auf die Ausrichtung der Bewegung. 1964 begann die Bremer KPD, die Forderung nach Aufhebung des Verbots stärker in die Öffentlichkeit zu tragen. Nach einigen Jahren wagte die KPD 1968 einen Vorstoß und forderte in ihrem Programmentwurf die Zulassung der Partei. In Form einer Veranstaltung mit dem Aufruf »Links heißt die Parole! KPD zulassen!« lud man die Bremer Großbetriebe und Öffentlichkeit ein. Daraus entwickelte sich ein Arbeitskreis, der sich mit der Aufhebung des KPD -Verbots beschäftigte und von dem aus weitere Veranstaltungen und Aktionen in der Öffentlichkeit durchgeführt wurden, siehe Bunke, S. 347 ff.

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interessieren. Ein »Regionalkomitee Wasserkante« rief Ende Mai 1974 zu einer Veranstaltung auf, um über Resultate aus den Ausschlussanträgen zu debattieren und ein Aktionsprogramm zu formulieren.179 Im Juli 1974 führte die KPD ihre erste Mitgliederversammlung durch, wählte in Bremen eine Ortsleitung und versuchte, auf dem Bremer Vulkan durch eine Betriebszelle Fuß zu fassen.180 Kurz darauf erschien Der Vulkan als Betriebszeitung der KPD. Unter »Was will die KPD?« formulierte sie ihr politisches Programm: gegen Ausbeutung, Unterdrückung, Bourgeoisie, Sozialdemokratie, Reformen, Konzertierte Aktion – für eine sozialistische Revolution der Arbeiterklasse.181 Die KPD verstand sich als die einzig richtige politische Antwort auf die vorherrschende Situation und stellte sich gegen den KBW, der es in der Vergangenheit nicht geschafft habe, die Verhältnisse zu verändern. Auch dem Betriebsratsvorsitzenden Fritz Bettelhäuser war man nicht wohlgesonnen und bezeichnete seine Ausführungen auf Betriebsversammlungen als »nichtssagend«.182 Einige Kollegen wurden der Diskussionen und Auseinandersetzungen der Kommunisten auf dem Bremer Vulkan langsam überdrüssig. Manche wollten in ihrer Funktion als Vertrauensmann zurücktreten, andere forderten, die politischen Diskussionen aus den Gewerkschaften herauszuhalten. Das Ruder versuchte mit Argumenten wie es müsse Mitglieder geben, die Veränderungen herbeiführten, die Zweifler zum Bleiben und Weiterkämpfen zu überzeugen.183 Am 14. November 1974 begann schließlich die Verhandlung über die Gewerkschaftsausschlüsse, die mit dem Ausschluss aller vier Akteure endete. Daraufhin gab es vereinzelte Versuche, die für die Ausschlussanträge ver­ antwortlichen Personen von ihrer Position als Vertrauensmänner zu entbinden. So hatten die Dreher auf einer Branchenversammlung einen Misstrauensantrag gegen zwei Vertrauensleute der IG Metall gestellt.184 Auf der anderen Seite unterstützte die Belegschaft die Ausgeschlossenen. Die Kranführer gaben zu verstehen, dass sie Heinz Scholz und Heinz Koldehofe nach wie vor als ihre Vertrauensleute ansahen. Doch keine der Aktionen konnte gegen die Ausschlüsse etwas auszurichten. 179 Rote Fahne  – Regionalkomitee Wasserkante: Podiumsdiskussion zum ProgrammEntwurf mit KBW-Opportunisten, Nr. 23, Dortmund 05.06.1974, in: Schröder. 180 Rote Fahne  – Ortsleitung Bremen: Parteiaufbau geht voran!, Nr. 34, Dortmund 21.08.1974, in: ebd. 181 Der Vulkan: Was will die KPD, Nr. 1, 03.09.1974, in: ebd. 182 Ebd. 183 Das Ruder: Lehren aus den Ausschlussanträgen!, Jg. 3, 06.06.1974, in: Schröder. 184 Rote Fahne: Bremen: Solidaritätsfront für die ausgeschlossenen Metaller, Nr. 49, Dortmund, 04.12.1974, in: ebd.

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In den folgenden Jahren heizte sich die Stimmung noch einmal auf. Als Reaktion auf die Ausschlussanträge gründete sich auf dem Bremer Vulkan eine Gewerkschaftsoppositionelle Gruppe (GOG), die Flugblätter herausgab und der sich in der Folgezeit weitere Kollegen aus Nordbremer Betrieben anschlossen. Der KBW hatte sich lange Zeit gegen oppositionelle Gewerkschaftsgruppen ausgesprochen, weil er der Meinung war, das Gewerkschaftssystem von innen heraus verändern zu müssen. Mit den Einflüssen der KPD, die an die Traditionen der Revolutionären Gewerkschaftsopposition der Weimarer Zeit anknüpfte,185 und durch die Umsetzung der Gewerkschaftsausschlüsse änderte er nun seine Meinung. Im Zuge des Konflikts um die Ausschlüsse kam es Ende Januar 1975 zu einem tragischen Ereignis, das die politisch aufgeladene Stimmung im Betrieb verdeutlicht. In der Nacht zum 31. Januar wurde das Betriebsratsmitglied Heinz Scholz186 nach einer Sitzung der GOG auf dem Parkplatz vor dem Bremer Vulkan-Gelände mit einem Messer angegriffen.187 Scholz, der in den Vormonaten vom Gewerkschaftsausschluss betroffen und im Sommer 1973 in die KPD eingetreten war, gehörte zu den Mitbegründern und tragenden Personen der Gewerkschaftsopposition und wollte trotz seines Gewerkschaftsausschlusses als Betriebsrat kandidieren. Die Bremer Arbeiterschaft war über den Vorfall tief bestürzt und fand sich am Tag nach dem Anschlag zur Demonstration in Bremen-Nord ein. Es lag nahe, den Angriff mit einem politischen Hintergrund zu verbinden. Die Vermutungen verdichteten sich, als bekannt wurde, dass zur gleichen Zeit ein Opel-Arbeiter in Rüsselsheim niedergestochen wurde und an den Folgen des Anschlags verstarb. Scholz überlebte und meldete sich aus dem Krankenhaus zu Wort: »Jetzt erst recht! So kriegen sie uns nicht klein!«188 Die KPD sah die Diffamierungskampagne der Kontrahenten als Auslöser des Anschlags. Sie seien die Anstifter gewesen. Ihnen sei Scholz schon lange 185 Dazu etwas genauer Arps, S. 150 ff. 186 Nicht zu verwechseln mit Heinz Scholz aus Hamburg, dem Bezirksvorsitzenden der IG Metall, der die Verhandlungen im Streik 1973 geführt hatte. 187 Es wurde berichtet, dass er von hinten angegriffen und mit zwei Messerstichen – einer kurz unter dem Herzen – schwer verletzt worden sei. Der Angreifer habe die Flucht ergriffen und Scholz habe durch einen vorbeifahrenden Krankenwagen versorgt werden können, siehe z. B.: Rote Fahne: Mordanschlag auf KPD -Betriebsrat, Heinz Scholz, Bremer Vulkan-Werft, Nr. 5, Dortmund 5.2.1975, S. 3, in: Schröder. 188 Rote Fahne: Bourgeoisie bereitet die Betriebsratswahl vor: Mordanschlag auf KPD Betriebsrat Heinz Scholz, Bremer Vulkan-Werft und Rüsselsheimer Opelarbeiter!, Nr. 5, Dortmund, 05.02.1975, in: ebd.

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ein Dorn im Auge gewesen, da er »die Bastionen der arbeiterfeindlichen Sozialdemokratie auf dem Bremer Vulkan ins Wanken« gebracht habe.189 Auch andere K-Gruppen meldeten sich zu Wort und vereinnahmten die Ereignisse um Scholz für sich. Die KPD / Marxisten-Leninisten (KPD / M L) schrieben im Roten Morgen, Scholz sei Sympathisant der Gruppe Rote Fahne Dortmund. Der Angriff auf seine Person sei auch ein Angriff auf die KPD / M L , mit der die Verankerung in der Arbeiterklasse verhindert und die »Avantgarde des Proletariats« zerschlagen werden sollte.190 Das Ereignis entwickelte sich in den folgenden Wochen zu einem Politikum. Die politischen Gruppen überschlugen sich mit gegenseitigen Anschuldigungen. In einem Interview erklärte Scholz, es gebe Gerüchte, dass es sich nur um einen persönlichen Racheakt gehandelt habe. Wiederum andere hätten gemeint, die eigenen Genossen hätten ihn aus propagandistischen Gründen niedergestochen. Dies stimme nicht.191 Wie sich die Auseinandersetzung zwischen KPD, KBW, GOG und anderen K-Gruppen nach 1975 auf dem Bremer Vulkan entwickelten, muss an anderer Stelle weitererzählt werden.192 Festzustellen ist, dass der KBW seine Energie schon um das Jahr 1973 verlor. In den folgenden Jahren wurde Das Ruder immer seltener herausgegeben. Die Betriebszelle veröffentlichte nur noch vereinzelt Artikel über die Ortsbeilage der Kommunistischen Volkszeitung des KBW. Im Betriebsrat waren sie nach den Wahlen 1977 nicht mehr vertreten.

2.3

Interessenvertretung in Zeiten der Krise, 1976–1983

2.3.1 Die wirtschaftliche Entwicklung des Bremer Vulkan nach dem Boom Ab 1975 kündigte sich beim Bremer Vulkan der Rückgang der Nachfrage an. Auch wenn die Produktion noch auf vollen Touren lief, waren die Aufträge ab 1976 nicht mehr gesichert. Im Januar 1975 erklärte die Geschäftsleitung gegenüber dem Betriebsrat auf einer gemeinsamen Sitzung: 189 Ebd. 190 Roter Morgen: Bremer Vulkan. Mordanschlag auf Heinz Scholz, Nr. 6, Dortmund 08.02.1975, in: Schröder. 191 Rote Fahne: Trotz Mordanschlag – Genosse Scholz kandidiert als Betriebsrat!, Nr. 8, Köln, 26.02.1975, in: ebd. 192 Ob der Fall aufgeklärt wurde und ob es eine Verurteilung gab, konnte ich leider nicht herausfinden.

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Unsere Wirtschaft lebt vom Export, und gerade hier scheinen wir die Schallmauer durchbrochen zu haben. Ein Grund für diese Entwicklung ist sicherlich auch in den gestiegenen Lohnkosten zu sehen, die mittlerweile über denen der USA und Schweden liegen. Unsere Exportwirtschaft wird es deshalb in Zukunft sehr schwer haben.193 Mit dem Einbruch der Nachfrage für die Werft richtete der Betriebsrat im März 1976 erstmals eine Anfrage an die Geschäftsleitung über die zukünftige Beschäftigungslage. Die Unternehmensleitung sollte sich äußern, ob Entlassungen oder Kurzarbeit geplant seien und ob durch Investitionen Arbeitsplätze verloren gingen. Die Geschäftsleitung wies jegliche Bedenken zurück.194 Die Zukunft sei nicht so negativ zu bewerten. Es werde nach dem derzeitigen Stand zu keinen Entlassungen oder Kurzarbeit kommen, hieß es. Vorsichtiger war man, was die Folge der Rationalisierung anging: Sie seien wichtig, um auf dem Weltschiffbaumarkt konkurrenzfähig zu bleiben, wurde argumentiert.195 Die in diesem Fall notwendige Verlagerung von Arbeitsplätzen werde aber bei den Investitionen berücksichtigt, versuchte man den Betriebsrat zu beruhigen.196 Dass Rationalisierung letztlich doch eine Gefahr für den Arbeitsplatz bedeutete, wurde noch im selben Jahr deutlich (siehe auch Abb. 2). Als der Betriebsrat erneut die Folgen der Modernisierung mit einer Anfrage an die Geschäftsleitung zu eruieren versuchte, entgegnete diese, wenn ein Mitarbeiter durch Modernisierung der Fertigung an seinem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr benötigt werde, würde man natürlich versuchen, ihm eine in jeder

193 Protokoll Nr. 1/75, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 27. Januar 1975, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Gem. Sitzungen, Bd. 1, 1962–1980, StAB 7,2121-646. 194 Protokoll Nr. 1/76, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 15. März 1976, in: ebd. 195 Die Rationalisierungsprozesse bestanden aus vielfältigen technologischen Neuerungen, die die Produktion eines Schiffes den Anforderungen des Marktes entsprechend beschleunigen und automatisieren sollte. Es kam meist zur Zergliederung von einzelnen Arbeitsschritten, die sowohl Investitionen im Material als auch eine höhere Qualifizierung der Arbeiter nötig machte. Ausführlich beschrieben ist die betriebliche Rationalisierung im Schiffbau in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre bei Schumann, Baethge u. Schwenke, S. 114 ff. 196 Protokoll Nr. 1/76, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 15. März 1976, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Gem. Sitzungen, Bd. 1, 1962–1980, StAB , Signatur: 7,2121–646.

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Abb. 2: Beschäftigte des Bremer Vulkan (1959–1987) 7.000

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4.000

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19 59 19 60 19 61 19 62 19 64 19 65 19 67 19 68 19 69 19 70 19 71 19 72 19 73 19 74 19 75 19 76 19 77 19 78 19 79 19 80 19 81 19 82 19 83 19 84 19 85 19 86 19 87

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Quelle: Gemeinsame Sitzungen von Direktion und Betriebsrat, 1962–1987, StAB 7,2121646-648.

Beziehung gleichwertige Tätigkeit woanders zuzuweisen. Sei dies insbesondere bei Umstellung auf völlig neue Fertigungsverfahren oder neue Werkstoffe trotz bestem Willen nicht möglich, müsse sich die Geschäftsleitung das Recht vorbehalten, im Rahmen der hierfür vorhandenen, tarifvertraglichen Regelungen entsprechende andere Maßnahmen zu treffen.197 Entsprechend dieser Aussagen führte die Geschäftsleitung zu Beginn des Jahres 1976 Kurzarbeit auf der Werft ein. Gleichzeitig forderte sie den Betriebsrat auf, »un­nötige innerbetriebliche Querelen« zu vermeiden, da es das Ziel aller sei, neue Aufträge zu bekommen.198 Zu einer kurzfristigen Lösung für die wirtschaftlichen Engpässe des Unternehmens führte im Juni 1977 ein Auftrag der Bundesregierung. Die Bundesmarine benötigte sechs Fregatten, die auf dem Bremer Vulkan gebaut 197 Protokoll Nr. 4/76, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 6. Dezember 1976, in: Bd. 1 ebd. 198 Protokoll Nr. 2/76, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 21. Juni 1976, in: ebd. Hinzu kam, dass der Bremer Vulkan seinen Aktionären trotz der zunehmend schlechteren Situation im Jahr 1976 noch eine Dividende von 15 Prozent und eine Sonderzahlung auszahlte, Thiel, S. 138.

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werden sollten. Auch wenn die eigentlichen Arbeiten nicht umfangreich waren, trug der Auftrag zu rund einer Million Arbeitsstunden pro Fregatte bei.199 Doch der Bau der Fregatten half nicht über die schlechte Auftragslage hinweg. Die Geschäftsleitung berichtete, dass andere Aufträge an Werften in Japan und Südkorea gingen und bedauerte die Zurückhaltung der Bundesregierung bei der Subventionierung nationaler Bauvorhaben, wo doch Werften anderer Länder von ihren Regierungen großzügig unterstützt würden.200 Diese Kritik war nicht ganz gerechtfertigt. Die Bundesregierung wies ein umfassendes Werftenhilfeprogramm auf, von dem der Bremer Vulkan mehr als einmal profitiert hatte. Die Geschäftsleitung gab den Druck an seine Mitarbeiter weiter. Es hieß, da man in der Krisenzeit praktisch von der Hand in den Mund lebe, sei es erforderlich, dass die Mitarbeiter bereit seien, sich den jeweiligen Erfordernissen anzupassen.201 Um Entlassungen komme man nur herum, wenn die Mitarbeiter auch andersartige Arbeiten übernähmen und bei allgemein ermäßigter Beschäftigung zu gelegentlich erforderlicher Überstundenleistung bereit seien.202 Gleichzeitig stellte die Geschäftsleitung Arbeiter von sogenannten Fremdfirmen ein, um kurzfristige Aufträge fristgerecht abliefern zu können. Diese Form der Beschäftigung war ein immer wiederkehrender Kritikpunkt des Betriebsrates. Als es auch während der schwierigen wirtschaftlichen Situation um 1978 wieder zu Fremdarbeit – wie es damals hieß – kam, versuchte die Geschäftsleitung diese Maßnahme zu rechtfertigen: »Unter den gegenwärtigen Umständen seien bestimmte Qualifikationen […] nur durch Ausleihen von Mitarbeitern anderer Unter-

199 Protokoll Nr. 2/76, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 21. Juni 1976 und Protokoll Nr. 2/77, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 28. Juni 1977, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Gem. Sitzungen, Bd. 1, 1962–1980, StAB 7,2121-646. Auch moralisch versuchte die Regierung, den Bremer Vulkan zu unterstützen. Im gleichen Jahr ehrte man das Vorstandsmitglied Huchzermeier, der 25 Jahre beim Bremer Vulkan war, indem ihm das Große Verdienstkreuz für seine Leistungen im deutschen Schiffbau verliehen wurde, Thiel, S. 141. 200 Protokoll Nr. 4/78, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 11. Oktober 1978, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Gem. Sitzungen, Bd. 1, 1962–1980, StAB 7,2121-646. Laut Geschäftsleitung förderten sie die Aufträge bis zu zehn Prozent. Und trotzdem lagen die Weltmarktpreise bis zu fünfzig Prozent unter den Fertigungskosten des Bremer Vulkan, Protokoll Nr. 1/79, Niederschrift über die Betriebsrats­ sitzung am 2. März 1979, in: ebd. 201 Protokoll Nr. 3/78, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 21. Juni 1978, in: Bd. 1 ebd. 202 Ebd.

Interessenvertretung in Zeiten der Krise, 1976–1983

nehmen zu bekommen; darum könne nicht völlig auf die Beschäftigung von Mitarbeitern fremder Firmen verzichtet werden.«203 Im Jahr 1980 hieß es für den Bremer Vulkan, auf eine bessere wirtschaftliche Weltmarktsituation zu hoffen und bis dahin möglichst geringe Ausgaben zu haben. Der Auftrag für ein Kreuzfahrtschiff namens Europa und der Bau der Fregatten für die Bundesmarine hatten das Unternehmen in große finanzielle Schwierigkeiten gebracht. Die Aufträge generierten Verluste von etwa 300 Millionen DM. Um das Bauvorhaben der Fregatten nicht zu gefährden, gab die Bundesregierung aus dem Verteidigungsetat 43 Millionen DM zusätzlich.204 Zur Sicherung der Arbeitsplätze leistete das Land Bremen einen Gesamtzuschuss von 195 Millionen DM, der über mehrere Jahre an die Werft ausgezahlt werden sollte.205 Ohne die Länder- und Bundeshilfen hätte die Werft ein Konkursverfahren einleiten müssen. Die Geschäftsleitung sagte alle Feierlichkeiten zum 175. Bestehen des Unternehmens ab. In dieser äußerst prekären Situation bot der wichtigste Anteilseigner der Werft, die Gruppe Thyssen-Bornemisza, einen Großteil seiner Anteile zum Verkauf an.206 Damit ging eine drei Generationen andauernde Tradition zu Ende. Nachdem der Sohn August Thyssens, Heinrich Thyssen-Bornemisza, die Geschicke des Unternehmens von den Niederlanden aus geleitet hatte, war das Erbe 1952 wiederum an dessen Sohn Baron Hans Heinrich ThyssenBornemisza übergegangen. Der Baron führte die Geschäfte in einem weitverzweigten Mischkonzern, in dem der Bremer Vulkan nur eine von zahlreichen Schifffahrtsaktivitäten und Industriebeteiligungen darstellte. Durch diese vielen Wirtschaftszweige war es für lange Zeit gelungen, die Schwankungen des Bremer Vulkan durch andere Aktivitäten auszugleichen. Doch Anfang der 1980er Jahre schien dieses Konzept für Thyssen-Bornemisza nicht mehr aufzugehen: »Baron Heini«, wie Baron Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza auf der Werft genannt wurde, hatte wohl das Gespür, das den Thyssens stets nachgesagt wurde. Er erkannte früh die strukturellen Veränderungen auf dem 203 Protokoll Nr. 4/78, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 11. Oktober 1978, in: ebd. 204 Thiel, S. 163. 205 Ebd. 206 1982 legte Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza außerdem sein Aufsichtsratsmandat nieder, blieb aber Ehrenvorsitzender bis zum Konkurs des Unternehmens 1996. 1984 legte auch sein Sohn Georg Heinrich sein Aufsichtsratsmandat nieder, Rasch, S. 462.

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Weltschiffbaumarkt sowie Unvereinbarkeit von liberaleren Welthandelsbedingungen und einem rentierlichen deutschen Handelsschiffbau und zog sich in den siebziger Jahren nach und nach von seinem Vulkan-Engagement zurück.207 Einen Großteil der Thyssen-Bornemisza-Gruppe übernahm die Hansea­ tische Industriebeteiligungsgesellschaft des Landes Bremen, womit der Bremer Vulkan quasi zu einem staatlichen Unternehmen wurde.208 Wegen der immensen Schwierigkeiten auf der Werft richtete die Geschäftsleitung 1981 eine Arbeitsgruppe »Ablauforganisation« ein, die unter Gesichtspunkten wie Ausnutzung der Arbeitszeit, Fehlzeiten und Rationalisierungsmöglich­keiten die Abläufe des Betriebes untersuchen und möglichst effizient gestalten sollte. Im Betriebsrat war man wegen der möglichen Folgen für die Beschäftigten höchst besorgt und drängte in den Betriebsratssitzungen darauf, rechtzeitig in die Vorgänge einbezogen zu werden.209 Gleichzeitig wechselten im Vorstand des Unternehmens zahlreiche Positionen210 und man plante mithilfe von Unternehmensberatern die Restrukturierung der Werft.211 Auf der Aufsichtsratssitzung am 22. September 1982 erklärte die neue Geschäftsleitung die finanzielle Misere des Unternehmens: In der Jahresbilanz gebe es einen Fehlbetrag von rund 5 Millionen DM.212 207 Kiesel, S. 77. 208 Heseler, S. 219. 209 Protokoll Nr. 1/82, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 3. Februar 1982, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Gem. Sitzungen, Bd. 2, 1981–1984, StAB , 7,2121–647. Im Echolot ist zu lesen, dass der Betriebsrat sogar das Arbeitsgericht einschaltete, um Informationen aus dem Unternehmen zu erzwingen: »Kolleginnen und Kollegen wir alle müssen jetzt besonders aufpassen, sowohl die innerbetriebliche wie auch die außerbetriebliche Untersuchung ist eine Jagd auf unsere Arbeitsplätze! Denkt alle daran es kann jeden sogar ganze Abteilungen treffen, deshalb müssen und werden wir uns wehren. Wer sich nicht wehrt lebt verkehrt!«, Echolot: Innerbetriebliche Vorstandsuntersuchung, 24.03.1982. 210 Norbert Henke, der gerade erst die Leitung der Howaldtswerke-Deutsche Werft übernommen hatte, kam zum 1. August 1982 zum Bremer Vulkan. Für den ausgeschiedenen Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza kam der Bremer Senatsdirektor Friedrich Hennemann in den Aufsichtsrat, Thiel, S. 164. 211 Die Unternehmensberatungsfirmen Knienbaum und Treuarbeit sowie Knight Wegenstein sahen Einsparungen von 25 Millionen DM vor, die durch die Reduktion von Personalkosten erreicht werden sollten, siehe Entwurf des Vorstandstreffens, 22. September 1982, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Schriftgut zur Massenentlassung von rund 500 Beschäftigten im Jahr 1982, Bd. 1, 1982, StAB 7,2121-661. 212 Aus dem Entwurf für mündliche Ausführungen von Henke zu Pkt. 2 der TO für die Aufsichtsrat-Sitzung am 22.09.82, in: ebd.

Interessenvertretung in Zeiten der Krise, 1976–1983

Von den Banken seien keine Kredite mehr zu erwarten. Man brauche Neubauaufträge, sonst sei das Jahr 1983 von Unterbeschäftigung und hohen Verlusten gekennzeichnet. Eigenmächtig, ohne die Entscheidung des Aufsichtsrats abzuwarten, kündigte die Geschäftsleitung schon am 21. September 1982 die Entlassung von 500 Mitarbeitern in einem Brief an die Belegschaft an.213 Neben der geplanten Entlassung sollten Vorgabezeiten beim Akkord um zwanzig Prozent gesenkt214 und der Arbeitsausfall verringert werden. Darüber hinaus ging es um die Schließung der Gießerei.215 Während dieser schwierigen Lage des Unternehmens drängte die Bundesregierung gleichzeitig auf die Effizienzsteigerung der Bremer Schiffbauindustrie. Der Bremer Senat beauftragte mehrere Beratungsunternehmen, um ein Gutachten für die Region Bremen zu entwerfen. Als Ergebnis lag die Fusion der beiden Großwerften AG Weser und Bremer Vulkan auf dem Tisch, wozu beide Unternehmen eine Stellungnahme abgeben sollten. Die Geschäftsleitung des Bremer Vulkan zeigte sich kritisch gegenüber solchen Plänen. Auf einer Pressekonferenz erklärte Vorstandsmitglied Werner Schirmer: »Je größer, je besser« gelte im Schiffbau nicht. Eine derartige Fusion […] habe nur dann Sinn, wenn sich die Produktionsprogramme der Unternehmen ergänzten – was in diesem Fall nicht zutreffe – oder wenn Schiffbauplätze stillgelegt werden sollten. Falls der Bremer Senat, der die vor kurzem unterbrochenen Fusionsgespräche zwischen den beiden Werftvorständen initiiert hatte, aber Stillegungen anstrebe, dann solle er dies auch offen sagen.216 213 Brief an Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter des BV, Vorstand, 21.09.1982, in: ebd. 214 Akkorde waren beim Echolot schon vorher in die Kritik geraten: Zu viel Druck und zu hohes Arbeitsaufkommen führten zu einem hohen Krankenstand. Dass die Akkordzeiten noch verringert werden sollten, führte bei der Belegschaft und der IG Metall zu heftigem Protest. 215 Die Gießerei war schon seit 1976 ein Problemkind des Unternehmens. Damals sprach der Betriebsrat bereits die ausstehende Modernisierung der Gießerei an, siehe Protokoll Nr. 2/76, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 21. Juni 1976, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Gem. Sitzungen, Bd. 1, 1962–1980, StAB 7,2121-646. 216 Bremer Nachrichten vom 22. Mai 1980, nach Thiel, S. 155. Hinzu kam, dass die Werften beim Bau des Kreuzfahrtschiffes »Europa«, das in einer Kooperation zwischen beiden geplant war, bereits negative Erfahrungen miteinander gemacht hatten. Die AG Weser hatte die Preise der Bremer Vulkan als zu niedrig eingestuft und den Auftrag komplett an den Bremer Vulkan abgegeben, Thiel, S. 155.

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Anfang 1983 legten die Geschäftsleitungen beider Werften ihre Pläne zur Umstrukturierung vor. Die AG Weser sprach sich für die Fusion aus und argumentierte, es ließen sich durch die Zusammenlegung Synergieeffekte nutzen und somit die Bremer Werftindustrie wieder wettbewerbsfähig machen.217 Die Geschäftsleitung des Bremer Vulkan zeigte sich nach wie vor skeptisch. Das eigene Gutachten über die Situation der Werftindustrie Bremens spielte verschiedene Modelle von der Zusammenlegung bis zur Schließung eines Unternehmens durch.218 Der Vorstand sprach sich aber gegen eine Fusionierung und für den Erhalt des Bremer Vulkan aus.219 Der Bremer Vulkan überlebte diese kritische Phase.220 Die AG Weser musste Ende 1983 schließen. Der Aufforderung nach Umstrukturierung folgend arbeitete der Bremer Vulkan im Laufe der 1980er Jahre mit anderen mittelständischen Werften der Region zusammen, um Synergieeffekte zu nutzen und alternative Produktionsbereiche anzustoßen. Die Bundesregierung unterstützte die Werft auch in späteren Jahren mit einer Reihe von Subventionen.221 Das Unternehmen geriet nach Erweiterungen mit ostdeutschen Werften nach 1990222 allerdings immer wieder in finanzielle Schwierigkeiten

217 AG »Weser«: Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Bremer Großwerften, Februar 1983, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Vorstandssitzungen 04.10.1982–08.02.1983, StAB , 7,2121/1–563. 218 In den Vorstandsakten ist hierzu eine langwierige Diskussion dokumentiert, siehe Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Vorstandssitzungen 04.10.1982–08.02.1983, StAB 7,2121/1-563. 219 Siehe die Diskussionen im Mai 1983, darin u. a.: Votum des Vorstandes der Bremer Vulkan AG zur Frage der Werftenstruktur im Lande Bremen, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Vorstandssitzungen 07.03.1983–30.05.1983, StAB , 7,2121/ 1–564. 220 Zwischen den Zeilen wurde deutlich, dass es sich das Land Bremen nicht leisten konnte, ein in so hohem Maß subventioniertes Unternehmen zu schließen. Das Land war in großem Umfang an der Bremer Vulkan-Werft beteiligt. Anfang 1983 kamen nach der Annullierung zweier Aufträge finanzielle Hilfen der Landesregierung für den Bremer Vulkan hinzu, siehe Norbert Henke (Vorstand Bremer Vulkan AG): Brief an den Senator für Wirtschaft und Außenhandel Herrn Karl Willms, 23.02.1983, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Vorstandssitzungen 04.10.1982– 08.02.1983, StAB , 7,2121/1–563. 221 Das Land Bremen beschloss mit einem spezifischen Restrukturierungskonzept aber auch eine weitergehende Diversifizierung, die sich mehr und mehr vom Schiffbau wegbewegte, siehe Kappel, Bremer Schiffbau, S. 239. 222 Man kaufte mehrere ostdeutsche Maschinen- und Elektronikunternehmen sowie zwei ostdeutsche Werften auf, die Meerestechnik-Werft (MTW) in Wismar 1992 und die Volkswerft in Stralsund 1993.

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und musste, nachdem bekannt geworden war, dass es Beihilfen der Europäischen Union veruntreut hatte, 1996 schließen.223

2.3.2 Forderungen zum Erhalt der Arbeitsplätze Im Oktober 1978 gründete sich beim Bremer Vulkan eine – wie sie selbst von sich sagte – politisch unabhängige Redaktionsgruppe und brachte die Betriebszeitung Echolot heraus.224 Auch hier verhielt man sich kritisch gegenüber den Sozialdemokraten: Daß es auf dem Bremer Vulkan eine SPD -Betriebsgruppe gibt, […] ist eine alte und bekannte Sache. Nun scheint es bald so, als wenn die Kollegen dieser Gruppe es für selbstverständlich halten, daß sie das Alleinvertretungsrecht für gewerkschaftliche Interessen dadurch gepachtet haben. […] Wir sind der Meinung, daß alle Kollegen ein Recht darauf haben, informiert zu werden, was »da oben« eigentlich läuft.225 Neben zu wenig Informationsweitergabe warf die Echolot-Gruppe den SPD Betriebsräten vor, zu nah an der Geschäftsleitung zu sein und zeigte sich besorgt, angesichts von Gerüchten, dass Dieter Kirchhoff – der schon in die Konflikte Anfang der 1970er Jahre involviert gewesen war  – Verbindungen zum Verfassungsschutz habe.226 Hier zeigen sich ähnliche Kritikpunkte wie während der Phase der politischen Auseinandersetzung um 1973. Dabei unterschied sich die Sprache der Echolot-Gruppe aber wesentlich von der des KBW. Sie war weniger politisch aufgeladen und forderte sachlich, die

223 Die Bürgerschaft Bremens begann am 20. Mai 1996 einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den Ereignissen auf dem Bremer Vulkan. Der Ausschuss reichte seinen Bericht am 16. Oktober 1998 ein, siehe Bremische Bürgerschaft. 224 Im Staatsarchiv Bremen sind alle Ausgaben verfügbar. Die Redaktionsgruppe er­ läuterte zu ihrem Vorhaben, es sei eine Betriebszeitung von Kollegen für Kollegen. Die Zeitung erschien unregelmäßig circa alle zwei Monate mit bis zu 2000 Exemplaren und finanzierte sich aus Beiträgen der Redaktion sowie Spenden aus der Belegschaft. Themen waren tagespolitische Ereignisse sowie langfristige Probleme auf der Werft, darunter Alkoholkonsum, gefährliche Arbeitsstoffe und Gesundheitsbelastungen am Arbeitsplatz, siehe Echolot. 225 Echolot: Der Streit im Betriebsrat und Vertrauensleutekörper, 24.09.1980, in: Echolot. 226 Echolot: Flugblätter über die Polizei an den Verfassungsschutz?, 22.05.1980, in: ebd..

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Arbeiter des Betriebes an den Entscheidungen teilhaben zu lassen. Das fiel bei den Arbeitern auf fruchtbaren Boden. Die Echolot-Gruppe konnte sich bei der Betriebsratswahl mit 12 von 19 Kandidaten durchsetzen und war damit ab 1981 im Betriebsrat vertreten.227 Durch die immer schlechter werdende wirtschaftliche Situation des Unternehmens schienen politische Diskrepanzen zunehmend in den Hintergrund zu rücken. Es standen andere Themen als noch in der ersten Hälfte der 1970er Jahre auf der Tagesordnung: Überstunden und befristete Beschäftigung mussten bekämpft und die Sicherheit am und für den Arbeitsplatz gewährleistet werden.228 Um Massenentlassungen zu verhindern, setzten sich die hauptamtlichen Betriebsräte für einen Sozialplan ein und versuchten, den Personalabbau durch Vorruhestand, Abfindungen und Kurzarbeit zu regeln.229 Als Ende 1979 die Entlassung von 120 Schweißern drohte, forderte der Betriebsrat einen Interessenausgleich, Umschulungen und die Mobilisierung der Öffentlichkeit, um so viele Entlassungen wie möglich zu verhindern.230 Die Echolot-Gruppe machte sich in dieser Phase für die Solidarisierung innerhalb der Belegschaft stark. Als 1979 die Typistinnen des Betriebes für 14 Tage gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz streikten,231 forderte das Echolot die Unterstützung der gesamten Vulkan-Belegschaft.232 Besonders bei Entlassungen und Kurzarbeit war es der Redaktion wichtig, Solidarität

227 Extra-Echolot, 01.04.1981, in: ebd. 228 Im Februar 1977 forderte der Betriebsrat beispielsweise die Abschaffung von befristeten Arbeitsverträgen, siehe Protokoll Nr. 1/77, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 21. Februar 1977, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Gem. Sitzungen, Bd. 1, 1962–1980, StAB 7,2121/1-646. Eine nächste Initiative war die Forderung nach Ausgleichszahlungen bei Kurzarbeit, siehe Protokoll Nr. 3/77, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 14. November 1977, in: ebd. 229 Seit 1978 gab es etwa jeden Monat Betriebsvereinbarungen über Kurzarbeit, siehe Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Betriebsvereinbarungen zwischen Direk­ torium und Betriebsrat, Bd. 2, 1971–1980, StAB 7,2121/1-639. 230 Echolot: 120 Arbeitsplätze im Schweißerbereich sollen abgebaut werden, 24.10.1979, in: Echolot. 231 Sie kritisierten die strenge Kontrolle ihrer Arbeitstätigkeit, das Registrieren beim Betreten und Verlassen des Raumes, die Aufzeichnungen ihrer Anschläge und Fehler am Computer, das Verbot des Besuchs von Betriebsversammlungen und erniedrigende Äußerungen ihres Vorgesetzten, wie »Frauen gehören an den Kochtopf« oder »in 10 Jahren seid ihr sowieso über, dann macht der Computer eure Tätigkeit alleine«, Echolot: Arbeitsniederlegung im Angestelltenbereich, 24.10.1979, in: ebd. 232 Echolot: Das Ende der Arbeitsniederlegung der Datentypistinnen, 14.11.1979, in: ebd.

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zu zeigen und sie verlangte von den Kollegen, Überstunden müssten zurückgefahren werden, wenn andere in Kurzarbeit gingen.233 Der Kampf gegen Fremdfirmen führte zu kurzzeitigen aber intensiven Auseinandersetzungen mit der Geschäftsleitung. Wie schon erwähnt, war es keine Seltenheit, Aufträge an Fremdfirmen zu vergeben, da sie Ersparnisse oder Zusatzfertigungen ermöglichten. Da dieses Mittel aber auch eingesetzt wurde, um Arbeitsprozesse auszulagern und die Tätigkeit der Kernbelegschaft zu minimieren, war der Betriebsrat besorgt, wenn die Vergabe von Aufträgen an Fremdfirmen zunahm. Während der wirtschaftlichen Hochphase gab es einige Belegschaftsmitglieder, die für höhere Löhne freiwillig in Fremdfirmen gewechselt waren. Der Betriebsrat hatte die Geschäftsleitung damals dazu aufgefordert, die Arbeiter über die Folgen eines solchen Wechsels zu informieren. Die Belegschaftsmitglieder sollten mit einem Flugblatt darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Existenz dieser Firmen durch ein Urteil des Bundessozialgerichts gefährdet sei und dass ein Wechsel des Arbeitsplatzes den Verlust der Betriebszugehörigkeit mit sich bringen würde, was den Verzicht auf Gewinnbeteiligung, Jubiläumsgeld und Treueprämie bedeuten konnte.234 Schon Anfang der 1970er Jahre sah der Betriebsrat die Vergabe der Aufträge an Fremdfirmen als zunehmende Bedrohung für die Beschäftigten auf der Werft.235 Mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten Anfang der 1980er Jahre bekam das Thema eine neue Brisanz. Im April 1980 legten Gerüstbauer und Zimmerleute die Arbeit nieder. Sie waren drei Tage in Kurzarbeit gegangen, weil nicht genügend Arbeit vorhanden gewesen war, während die Geschäftsleitung gleichzeitig Gerüstbauarbeiten an eine Fremdfirma vergeben hatte. Die Arbeiter forderten den Abzug der Fremdfirma und die Aufhebung der Kurzarbeit. Die Geschäftsleitung ging nach zwei Stunden auf die Forderungen ein, wollte die Arbeiter aber nicht für die ausgefallene Arbeitszeit entlohnen.236 Als die Arbeiter ihren Protest fortsetzten, war die Geschäftsleitung zu einem 233 Echolot: Überstunden nur mit Abbummeln, 19.11.1982, in: ebd. 234 Protokoll Nr. 4/70, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 7. August 1970, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Gem. Sitzungen, Bd. 1, 1962–1980, StAB 7,2121/1-646. 235 Protokoll Nr. 3/71, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 1. Juni 1971, in: ebd. 236 Im Echolot war zu lesen: »Der BR fand die Forderung voll in Ordnung und setzte am Nachmittag eine Sondersitzung an. Auf dieser wurde festgestellt und beschlossen, daß sämtliche Überstunden für dieses Wochenende und die kommende Woche für alle Gewerke zurückgenommen werden, da es aus Sicherheitsgründen nicht zu verantworten ist.«, Echolot: Erneute Arbeitsniederlegung auf dem Bremer Vulkan, 16.04.1980, in: Echolot.

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Kompromiss bereit: Sie konnten für die ausgefallene Arbeitszeit bezahlten Urlaub einreichen.237 Neben Tätigkeiten von Fremdfirmen gab es auch Leiharbeit beim Bremer Vulkan.238 Das Echolot thematisierte auch dieses Problem: Nicht nur auf dem Bremer Vulkan, auch in der Bundesrepublik, ja sogar innerhalb Europas entwickelt sich die Verleihung von Arbeitnehmern durch sogenannte Verleihfirmen zu einem Problem. Auf dem Bremer Vulkan machten wir bisher mit diesen Firmen die seltsamsten Erfahrungen. Da kamen Leiharbeiter an, als wenn sie auf Urlaub wären, mit Turnschuhen, kurzer Hose, ohne Helm und wollten so an Bord arbeiten. […] Wir meinen, diese Entwicklung, daß nämlich solche Firmen wie Pilze aus dem Boden schießen, muß unbedingt aufgehalten werden; denn: […] Leiharbeiter sind auch als Konkurrenten der Kollegen im Betrieb anzusehen.239 Als die Geschäftsleitung des Bremer Vulkan im September 1982 die Entlassung von 500 Mitarbeitern ankündigte, schlug der Betriebsrat bezüglich der Leiharbeiter Alarm: Der Betriebsrat hat kein Verständnis dafür, daß Sie mit dem Ansinnen, 500 Bremer-Vulkan-Kolleginnen und -Kollegen zu kündigen, die Maßlosigkeit besitzen, Leiharbeitnehmer hier beschäftigen zu wollen. Der Betriebsrat fordert Sie auf, diese Leiharbeitnehmer zu entlassen und die Arbeiten durch Bremer-Vulkan-Beschäftigte ausführen zu lassen.240 237 Ebd. 238 Ich habe kein statistisches Material über die Anstellung von einzelnen Leiharbeitern gefunden, aber sogenannte Hilfsstunden wurden erfasst, die den Einsatz von Leiharbeit vermuten lassen. Der Anteil von Hilfsstunden während der hier besprochenen Phase lag noch um ein Vielfaches höher als derjenige der Fremdfirmen. Als Beispiel: Die Arbeitsstunden von Fremdfirmen betrugen laut Angabe der Geschäftsleitung im Jahr 1980 409.000, die der Hilfsstunden 1.852.000, siehe Zahlen zum Bremer Vulkan, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Gem. Sitzungen, Bd. 1–3, 1962–1987, StAB 7,2121-646-648. Ein Leiharbeiter war nach dem 1972 in Kraft getretenen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz dadurch definiert, dass er in einem Arbeitsverhältnis zum Verleihbetrieb stand, der ihn wiederum zur Arbeitsleistung an Dritte (also den Entleiher, in diesem Fall die Werft) »verleihen« konnte. 239 Echolot: Leiharbeiter auf dem Bremer Vulkan, 01.07.1981, in: Echolot. 240 Interne Informationen vom 23. September 1982, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Schriftgut zur Massenentlassung von rund 500 Beschäftigten im Jahr 1982, StAB 7,2121-661.

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Der Betriebsrat forderte im Zusammenhang mit der angekündigten Massen­ entlassung auch das Ende der Fremdfirmen auf der Werft. Um die angespannte Stimmung innerhalb des Betriebes zu beruhigen, gab das Management für einige Zeit nach und reduzierte die Vergabe von Aufträgen an Fremdfirmen.241

2.3.3 Forderungen nach Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz Das Thema Sicherheit am Arbeitsplatz und die Verringerung der hohen Unfallzahlen war ein wichtiges Thema in den Auseinandersetzungen mit der Geschäftsleitung des Bremer Vulkan. Auf der Werft ereigneten sich trotz der vorgeschriebenen hohen Sicherheitsvorkehrungen noch in den 1970er Jahren Unfälle, auch mit Todesfolge. Unter der Überschrift »Drei Tote! Bist du der nächste – Kollege?« kursierte im November 1972 ein Flugblatt, das über den Tod dreier Arbeiter einer Fremdfirma berichtete: Als die Kollegen so gegen 7.30 [Uhr] mit der Arbeit begannen, explodierte das dort entstandene Gasgemisch und verwandelte den Doppelboden im Nu in ein Flammenmeer. Ein weiterer Kollege kam mit Verbrennungen davon. Kollegen! Dies ist kein Einzelfall!! Jeder hat schon einen Betriebsunfall gehabt oder Kollegen verunglücken sehen. Täglich kann man den Krankenwagen übers Werftgelände rasen sehen. […] Was müssen wir tun? Kollegen! Verweigern wir arbeiten an solchen Orten, wo unser Leben durch die Profite der Kapitalisten aufs Spiel gesetzt wird! Fordern wir genaue Sicherheitsprüfungen, bevor wir an die Arbeit gehen!242 Die Autoren des Flugblattes warnten vor dem Arbeits- und Zeitdruck, der sich negativ auf die Unfallgefahren auswirken würde und forderten eine bessere Überprüfung der Sicherheit.

241 Im Jahr 1981 betrug die Arbeitszeit von Fremdfirmen noch 790.000 Stunden. Die Geschäftsleitung reduzierte diese Arbeitsstunden im Jahr 1982 drastisch auf 5.200. 1983 war offiziell keine Fremdfirma tätig. Aber im Jahr 1985 stiegen die Stunden wieder auf 188.000 und erreichten im Jahr 1986 wieder 233.000, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Gem. Sitzungen, Bd. 1–3, StAB , 7,2121/1–646–648. 242 KB Bremen-Betriebszelle Bremer Vulkan: Drei Tote! Bist du der nächste – Kollege?, 17.11.1972, in: Schröder.

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Im Oktober 1978 führten zwei weitere Todesfälle schließlich zu Protesten auf der Werft. Der Betriebsrat und die Belegschaft marschierten spontan vor das Verwaltungsgebäude, um ihre Trauer und Empörung über nicht eingehaltene Sicherheitsvorschriften auszudrücken. In der Folge forderte der Betriebsrat die Verbesserung der Sicherheit. Die Geschäftsleitung sollte sich darum kümmern, dass es keine versperrten Durchgänge mehr gebe, eine bessere Beleuchtung und eine funktionierende Luftzirkulation.243 Ein weiteres Thema für den Betriebsrat waren die gesundheitlichen Folgen der Asbestverarbeitung. Als unbrennbarer Stoff wurde zur Vorbeugung von Schiffsbränden Asbest im Schiffbau eingesetzt. Beim Zuschneiden von Asbestplatten waren vor allem Tischler dem Asbeststaub ausgesetzt. Aber auch die Arbeiter, die an anderen Stellen des Schiffes beschäftigt waren, atmeten den gesundheitsschädlichen Staub ein. Die krankheitsbedingten Folgen, vor allem Asbestose, stellte man bereits in den 1930er Jahren fest. Diese Zusammenhänge wurden in der Schiffbauindustrie aber lange ignoriert. Der Betriebsrat des Bremer Vulkan führte seit Mitte der 1970er Jahre bei der Belegschaft Aufklärungsarbeit über die gesundheitlichen Folgen durch.244 Durch die Initiative des Betriebsratsvorsitzenden Fritz Bettelhäuser konnte 1983 die Reparatur eines asbesthaltigen Schiffes verhindert werden. Bettelhäuser forderte die Belegschaft zum Boykott der Reparaturarbeiten auf, worauf er wegen »geschäftsschädigenden Verhaltens« entlassen wurde.245 Als er diese Entscheidung anzweifelte und es zu einer Gerichtsverhandlung kam, unterstützten ihn 300 Kollegen, die vor das Gerichtsgebäude kamen und ihre Solidarität ausdrückten.246 Ein Gericht entschied letztlich, dass er nur abgemahnt werden könne. Im Betrieb wurde das Thema anschließend totgeschwiegen, denn es barg angesichts der schlechten Auftragslage der Werft einiges Konfliktpotential. Mithilfe des Gewerbeaufsichtsamts konnte der Betriebsrat in 243 Echolot: Betriebsunfall: Was tun?, 23.10.1978, in: Echolot. Im Interview berichtete Fritz Bettelhäuser, dass es vor allem die Betriebsräte waren, die sich um die Sicherheit auf der Werft verdient machten: »Und dann so in den siebziger Jahren haben wir richtig den Kampf geführt dagegen. Wir standen als Betriebsräte vor der Gangway auf Schiff oben. Da stand nicht die Geschäftsleitung, da stand der Betriebsrat und hat gesagt: ›Du hast keinen Helm, ab, Helm holen!‹ Und wir haben tatsächlich nachher hingekriegt, dass […] die Unfallzahlen entschieden zurückgegangen sind.«, siehe Interview mit Fritz Bettelhäuser, 01.03.2013. 244 Zahlreiche Artikel im Echolot stellten detailliert Krankheitsverläufe dar und warnten vor dem Umgang mit Asbest. 245 Hien, S. 100. 246 Interview mit Fritz Bettelhäuser, 01.03.2013.

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den folgenden Jahren schließlich durchsetzen, dass Asbest auf dem Vulkan nicht mehr verarbeitet wurde.

2.3.4 Die Massenentlassungen im September 1982 Als die Geschäftsleitung am 22. September 1982 mit einem Brief an die Belegschaft des Bremer Vulkan die Entlassung von 500 Beschäftigten ankündigte, reagierte der Betriebsrat noch am selben Tag. Er rief die Belegschaft auf, sich mit den Vertrauensleuten zusammenzusetzen und die schwierige Lage zu diskutieren, »damit wir einen gemeinsamen Kampf gegen die Vernichtung unserer aller Arbeitsplätze führen können. […] Bremen-Nord darf nicht zum Armenhaus Deutschlands werden!«247 Der Betriebsrat erklärte den Brief der Geschäftsleitung an die Belegschaft für unrechtmäßig, da keine individuellen Kündigungsgründe aufgeführt wurden. Außerdem monierte er, dass er in das Kündigungsverfahren nicht einbezogen worden sei.248 Die Belegschaft unterstützte den Betriebsrat und legte ihre Arbeit nieder.249 Fünf Tage später kochten die Emotionen in einer Sitzung mit dem Direktorium hoch. Der Betriebsrat sprach erneut den Brief an die Belegschaft an und warf der Geschäftsleitung vor, die Arbeiter mutwillig spalten zu wollen. Die Geschäftsleitung wies jegliche Kritik von sich und erklärte, es sei ihr Recht und ihre Pflicht, Informationen an die Belegschaft und die Betroffenen weiterzugeben. Sie kritisierte scharf, dass in den letzten Tagen nicht gearbeitet worden sei.250 Geschäftsführer Norbert Henke griff Betriebsrat Fritz Bettel247 Der Betriebsrat informiert, Nr. 14/82, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Schriftgut zur Massenentlassung, Bd. 1, StAB 7,2121/1-661. 248 Protokoll vom 27. September 1982, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Gem. Sitzungen, Bd. 2, 1981–1984, StAB 7,2121/1-647. Das Betriebsverfassungsgesetz regelt, dass der Betriebsrat in das Kündigungsverfahren einbezogen werden muss, siehe Betriebsverfassungsgesetz § 1, nach Toews, S. 94. 249 Ganz sicher war sich die Belegschaft über einen Streik allerdings nicht. Wie aus einem Flugblatt der KPD hervorging, hatte sich die IG Metall von finanziellen Unterstützungen zurückgezogen. Angesichts der angeschlagenen Situation der Arbeiter vertrauten wenige auf Spenden von Arbeitern aus anderen Unternehmen, wie es die KPD hier vorschlug. Im Aufruf zum Streik zeigte auch sie sich vorsichtig, in: Jetzt Streik?, Flugblatt der KPD, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Schriftgut zur Massenentlassung, Bd. 1, StAB 7,2121/1-661. 250 Protokoll Nr. 3/83, Niederschrift über die Betriebsratssitzung am 27. September 1982, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Gem. Sitzungen, Bd. 2, 1981–1984, StAB 7,2121/1-647.

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häuser offensiv an und fragte ihn, ob er die Belegschaft aufgefordert habe, die Arbeit niederzulegen.251 Bettelhäuser meinte, Henke müsse ihn schon mit den entsprechenden Informanten zusammenbringen, damit er sich dazu äußere. Henke insistierte, doch Bettelhäuser wies die Anschuldigungen zurück: Es sei sein Auftrag, die Interessen der Belegschaft zu vertreten. Henke fragte forsch zurück, ob er tatsächlich die Interessen der Belegschaft vertrete, wenn dem Unternehmen Gefahr drohe, in einen »kollapsartigen Zustand« zu geraten. Henke war noch nicht lange beim Bremer Vulkan. Von einigen Seiten hieß es, er sei einbestellt worden, um auf dem Vulkan aufzuräumen und Umstrukturierungsmaßnahmen durchzusetzen. In einem Text schrieb der DKP-Kreisvorsitzende von Bremen-Nord: »Norbert heißt er, von Beruf Kopfgeldjäger, Arbeitsplatzkiller.«252 Im Gespräch zwischen Henke und dem Betriebsrat stellte sich heraus, dass die Geschäftsleitung einem enormen Druck der Banken ausgesetzt war, die die Kreditvergabe von kostengünstigen Produktionen abhängig machten. Der Betriebsrat bezweifelte, dass mit dem »Rausschmiss« von 500 Leuten die Kreditwürdigkeit des Unternehmens wiederhergestellt sei. Henke meinte, es gebe ein objektives Gutachten, das von mindestens 600 notwendigen Entlassungen spreche. Der Betriebsrat ergänzte, im Gutachten stehe aber auch, dass man erst die Stellungnahme der IG Metall abwarten solle. Der Vorstand der AG Weser habe das gemacht, warum würde das nicht beim Bremer Vulkan beachtet?253 Geriet in dieser Situation die Verhandlungsstrategie des Betriebsrates an seine Grenzen? Zählte die Meinung der kompromissbereiten Interessenvertreter auf einmal nicht mehr? Dabei bekam der Betriebsrat sogar Unterstützung aus der Politik. Die Bremische Bürgerschaft forderte das Unternehmen auf, einen Interessenausgleich auszuhandeln und auf die Forderungen nach sozialen Maßnahmen wie Kurzarbeit, Vorruhestand und Vermeidung von Fremdarbeit einzugehen. Doch der Vorstand des Bremer Vulkan zog seine Entscheidung nicht zurück und leitete die Entlassung von 500 Mitarbeitern ein. Er informierte das Landesarbeitsamt Niedersachsen / Bremen darüber und überging damit den Betriebsrat, der in einem solchen Verfah251 Ebd. Auch die folgenden Aussagen stammen aus diesem Protokoll. 252 Werftnachrichten: Henke(r) – Pläne verhindern!, Oktober 1982, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Schriftgut zur Massenentlassung, Bd. 1, StAB 7,2121/ 1-661. 253 Aus dem handschriftlichen Protokoll vom 27. September 1982, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Gem. Sitzungen, Bd. 2, 1981–1984, StAB 7,2121/1-647.

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ren seine Zustimmung hätte geben müssen.254 Auch das Arbeitsamt brachte seine Bedenken bezüglich der Kündigungen zum Ausdruck und machte die Geschäftsleitung auf die schlechte Beschäftigungssituation in Bremen aufmerksam.255 Eine Woche nach dem Schreiben an das Arbeitsamt kam auch die Stellungnahme der IG Metall. Doch die argumentierte schwach: Es gab keine Aussagen zu den geplanten Entlassungen, sondern nur zu den Kürzungen der Vorgabezeiten bei der Akkordarbeit, die gegen den Lohnrahmentarifvertrag verstoßen würden.256 Die Angestelltengewerkschaft war wesentlich fordernder, verlangte von der Geschäftsleitung, auf den Betriebsrat einzugehen und fragte kritisch nach, welche Bank Kreditzusagen mit der Forderung nach Massenentlassungen verknüpft habe und ob die Hauptanteilseigner grundsätzlich zu einer Kapitalaufstockung bereit seien, wenn die Kostensi254 Für die Ankündigung von Entlassungen in diesem Ausmaß war die Zustimmung des Betriebsrates notwendig. Da es dazu bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Einigung gab, schrieb die Geschäftsleitung: »Wir haben […] mit Hausmitteilung vom 27.9.1982 dem Betriebsrat unseren Entwurf einer Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich und Sozialplan vorgelegt. […] Da nicht abgesehen werden kann, wann die jetzt anstehenden Besprechungen mit unserem Betriebsrat zu einem vereinbarten Interessenausgleich und Sozialplan führen werden, gehen wir davon aus, daß die vorgesehenen Entlassungen und Versetzungen bei Einhaltung der unterschiedlichen gesetzlichen Kündigungsfristen spätestens bis zum 30.6.1983 durchzuführen sind.«, Brief an Präsidenten des Landesarbeitsamts Niedersachsen / Bremen, Betreff: Anzeige gemäß § 8 AFG , 29.09.1982, Vorstand Bremer Vulkan, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Schriftgut zur Massenentlassung, Bd. 1, StAB 7,2121/1-661. Der Betriebsrat reagierte prompt und schickte ebenfalls ein Schreiben an das Arbeitsamt: »Sehr geehrter Herr Präsident, wir nehmen hiermit Stellung zu der Anzeige unserer Fa. vom 29.09.1982. Interessenausgleichverhandlungen haben bis jetzt nicht stattgefunden. Der Betriebsrat ist der Überzeugung, daß durch andere betriebliche Maßnahmen Entlassungen völlig vermieden werden können […].«, Brief an den Präsidenten des Landesarbeitsamts Niedersachen / Bremen, Betreff: Anzeige gemäß § 8 AFG der Bremer Vulkan AG , 30.09.1982, Betriebsrat Bremer Vulkan, in: ebd. 255 Im Brief hieß es: »Die Arbeitslosenquote im Arbeitsamtbezirk Bremen lag bereits in den Vorjahren über dem Durchschnitt des Landesarbeitsamtes und hat Ende September 1982 mit 10,4 % eine bedenkliche Höhe erreicht. […] Hinzu kommt, daß die Lage im Schiffbau auch überregional sehr schwierig ist. Für die zur Entlassung anstehenden Arbeitnehmer werden sich daher voraussichtlich nur geringe Vermittlungsmöglichkeiten ergeben […].«, Brief an Bremer Vulkan, Betreff: Ihre Mitteilung nach § 8 Arbeitsförderungsgesetz, 07.10.1982, Präsident, Landesarbeitsamt NiedersachsenBremen, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Schriftgut zur Massen­ entlassung, Bd. 1, StAB 7,2121/1-661. 256 Brief an den Vorstand des Bremer Vulkan, z. H. Herrn Dr. Kuhn, 04.10.1982, IG Metall, Bezirksleitung Hamburg, Heinz Bracker, in: ebd.

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tuation verbessert werde beziehungsweise Massenentlassungen vorgenommen würden.257 Trotz des Drucks von außen kam die Geschäftsleitung des Bremer Vulkan den Forderungen des Betriebsrates nur wenig entgegen. Als der Betriebsrat sich weigerte, den angekündigten Maßnahmen zuzustimmen, wurde die Einigungsstelle in die Verhandlungen eingeschaltet.258 Letztlich wurde 290 Mitarbeitern gekündigt, 210 verließen über den Vorruhestand das Unternehmen.259 Anders als in den 1970er Jahren gingen nun keine Hasstiraden auf den Betriebsrat nieder.260 Die Zeiten hatten sich geändert, auch mit Arbeitsniederlegungen ließ sich in solchen Fällen nichts mehr ausrichten. Die Betriebsräte waren verwundert, dass ihre Trumpfkarte IG Metall, auf die sie viele Jahre hatten setzen können, in den Verhandlungen nun keine Funktion mehr erfüllte. Viel schlimmer aber war, dass die Errungenschaften der Mitbestimmung von der Geschäftsleitung nicht mehr ernst genommen und der Betriebsrat in wichtige Entscheidungsprozesse nicht mehr einbezogen wurde. In einem Flugblatt der KPD / M L war resignierend zu lesen, dass es sich hier um ein abgekartetes Spiel von Unternehmern, Banken und staatlicher Regierung handelte, die von langer Hand eine hochrationalisierte und profitable Werftindustrie geplant hätten.261

257 Brief an den Vorstandsvorsitzenden des Bremer Vulkan, Herrn Dr. Henke, 06.10.1982, Deutsche Angestellten Gewerkschaft, in: ebd. 258 Die Einigungsstelle ist für solche Fälle vorgesehen. Nach dem Betriebsverfassungsgesetz soll sie im Fall von Streit der Verhandlungspartner eine Einigung herbeiführen. 259 Thiel, S. 165. Auch während des Entlassungsverfahrens musste der Betriebsrat noch seine Rechte gegenüber der Geschäftsleitung erkämpfen und die Vorlage eines Sozialplans und einer Liste aller Mitarbeiter fordern, um die soziale Selektion im Voraus überprüfen zu können. Erst danach wurden die Vorschläge zur Umschulung, zur Umsetzung und zum Vorruhestand berücksichtigt, siehe Protokoll der Vorstandssitzung Bremer Vulkan, 1. November 1982, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Vorstandssitzungen 04.10.1982–08.02.1983, StAB 7,2121/1-563. 260 In einem Flugblatt der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO) war etwas von einem Demonstrationszug von 500 Mitarbeitern vor das Betriebsratsbüro zu lesen, die den Rücktritt von Fritz Bettelhäuser forderten. Aus den Aussagen des Flugblattes lässt sich schließen, dass sie nicht damit einverstanden waren, dass Bettelhäuser den 300 Entlassungen zustimmte, um das Unternehmen zu retten. Die RGO rief dazu auf, sich nicht spalten zu lassen, Bettelhäuser würde für die Belegschaft standhaft bleiben, in: Lassen wir uns nicht spalten! Unsere Stimme gilt Fritz Bettelhäuser, Flugblatt der RGO, 14.10.1982, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Schriftgut zur Massenentlassung, Bd. 1, StAB 7,2121/1-661. 261 Euer Kampf war nicht umsonst! Flugblatt der KPD / M L , 18.10.1982, in: ebd.

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2.3.5 Solidarische Aktionen während der Fusionsdiskussionen Da das hier verhandelte Problem kein Einzelfall war, sondern die gesamte Region Bremen betraf, begannen schon in den frühen 1980er Jahren Verhandlungen über die Zusammenlegung der Großwerften Bremens. Der Betriebsrat des Bremer Vulkan hatte sich aus Sorge um Arbeitsplatzabbau stets gegen die Pläne gestellt und die Solidarität der Belegschaft mit anderen Werftarbeitern gefordert. Diese Entwicklung wird  – wenn wir uns dabei nicht gemeinsam wehren – durch eine Fusion nicht gestoppt, sondern beschleunigt!!! […] Die Geschäftsleitung wird die Angst jedes einzelnen um seinen Arbeitsplatz auszunutzen suchen. Sie wird jeden von uns, ohne Rücksicht auf unsere Gesundheit, zu Höchstleistungen anstacheln, damit sie hinterher besser aussieben kann.262 Während der Verhandlungen zu einer möglichen Fusion 1980 hatte die IG Metall mit den Betriebsräten der AG Weser und des Bremer Vulkan einen Ausschuss gegründet, um sich miteinander abzustimmen. Dieser hatte sich allerdings aufgelöst, als es dem Bremer Vulkan wieder besser ging und Fusionsgespräche bei der Geschäftsleitung nicht mehr nötig schienen.263 Doch 1982 begannen die Diskussionen erneut. Das Land Bremen gab ein Gutachten über die Situation des Schiffbaus in Bremen in Auftrag und forderte die beiden Großwerften auf, eine firmenübergreifende Lösung zu finden. Daraufhin setzten sich beide Geschäftsleitungen mit möglichen Konzepten auseinander. Sie gründeten mit IG Metall-Vertretern und Betriebsräten einen Koordinierungsausschuss, um in eine gemeinsame Diskussion zum Thema einzusteigen. Doch diese Kooperation stieß bald an ihre Grenzen. Während die IG Metall Strategien besprechen wollte, wie neue Produktionen aufgenommen werden könnten, um die Arbeitsplätze zu sichern,

262 Echolot: Werften-Fusion! Und was kommt dabei für uns heraus?, 12.3.1980, in: Echolot. 263 Auf der Betriebsratssitzung am 12. Juni 1980 berichtete der Betriebsrat des BV, Schönberger, von der Auflösung des innergewerkschaftlichen Ausschusses mit Kirchhoff und ihm, Ziegenfuß und Schmidt von der AG Weser, IG Metall-Bezirksleiter Otto vom Steeg, Bevollmächtigter und Aufsichtsratsmitglied bei AG Weser Arno Weinkauf, Echolot: Warum die Fusionsgespräche gescheitert sind!, 09.07.1980, in: ebd.

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lehnten die Unternehmen solche Überlegungen grundlegend ab. So wurden nicht nur die Betriebsräte in ihren Vorstellungen von Mitbestimmung enttäuscht, sondern zunehmend auch die IG Metall-Gewerkschafter. Wir müssen uns doch jetzt fragen: »Was machen wir noch als Gewerkschafter bei solch einer Untersuchung?« Sollen wir vom Bremer Senat und dem Kapital einbezogen werden, um zu einem späteren Zeitpunkt kampfunfähig zu sein? Hier können wir nur sagen: Schluss damit! Wenn wir jetzt nicht handeln, dann wird uns diese ganze Untersucherei überrollen.264 In der IG Metall gab man dennoch so schnell nicht auf und nahm im Dezember 1982, als das Werftgutachten veröffentlicht worden war, Stellung zu den Plänen. In ihren Forderungen plädierte die Bezirksleitung – namentlich Otto vom Steeg – für die Verantwortung des Staates zum Erhalt der Schiffbauindustrie in Bremen: Die IG Metall sieht klar, in welche großen Schwierigkeiten die Werften vor Ort geraten, wenn weltweit konservative Sparpolitik um sich greift. Wir widersprechen daher mit allem Nachdruck der Feststellung der Gutachter, daß »eine Nationalstrategie, die auf Nachfragebelebung aufbaut, im absehbaren Zeitraum wirkungslos bleiben muß«. Eine solche Aussage basiert letztlich auf der Vorstellung, die Nationalstaaten hätten für sich genommen keinen Einfluß auf die weltwirtschaftliche Entwicklung. Das ist falsch. Zwar ist der Einfluß eines jeden Nationalstaats begrenzt, aber er existiert. Gerade einem Land wie der Bundesrepublik kommt dabei ein besonderes Gewicht zu.265 Otto vom Steeg war über die Entwicklungen außerhalb Westdeutschlands informiert. Er wusste über die Diskussionen auf europäischer und globaler Ebene Bescheid und ihm war klar, dass es Konkurrenten gab, die den westdeutschen Werften das Wasser abgruben. Er hatte viele Jahre die Strategie der IG Metall unterstützt und war der Meinung gewesen, dass es zum Abbau von staatlichen Subventionen kommen müsse. Doch nun hatte sich die Si264 Echolot: Werftgutachten des »Bremer Senats«, 24.03.1982, in: ebd. 265 IG Metall, Bezirksleitung Hamburg, Otto vom Steeg: IG Metall Stellungnahme vom November 1982, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Vorstandssitzungen 04.10.1982–08.02.1983, StAB 7,2121/1-563.

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tuation für die Küstenregion Westdeutschlands dramatisch verschlechtert. Der Sektor stand vor dem Aus und dementsprechend sah sich vom Steeg, wie viele seiner Kollegen, dazu gezwungen, Subventionen zu fordern und auf eine staatliche Politik zu pochen, die eine langfristige Strukturpolitik im Blick hatte. Auch die Betriebsräte der AG Weser und des Bremer Vulkan entwarfen Vorschläge zum Gutachten. Ihnen war bewusst, dass sie – wenn überhaupt – nur gemeinsam etwas ausrichten konnten. Sie drängten auf die Entwicklung von alternativen Industrien und entwarfen Ideen, die teilweise abenteuerlich, aber auch sehr konkret waren. Betriebsrat Bettelhäuser resümierte rückblickend: Da haben wir zum Beispiel herausbekommen durch Abgeordnete, dass in Afrika – so ein Staat, der kriegt als Entwicklungshilfe die alten Waggons, Personenwagen, und andere Wagen von der Bundesbahn […]. Und die mussten […] umgebaut werden. Und die standen jetzt irgendwo auf Güterbahnhöfen rum und keiner hatte Zeit und Lust, die umzubauen. Und dann haben wir den Antrag gestellt an die Geschäftsleitung. Und dann ist das auch auf dem Vulkan umgebaut worden.266 Die Betriebsräte schlugen den Bau von Meerwasserentsalzungsanlagen für die norddeutschen Küsten vor, von Absaugschiffen, die in der Lage waren, verschmutzte Flüsse zu reinigen, produktbezogene Entwicklungshilfe und Ausbildung von Facharbeitern aus Ländern des globalen Südens.267 Sie empfahlen ein alternatives Energiekonzept für den regionalen Bedarf sowie den Bau von Müllverbrennungsanlagen und die Weiterentwicklung der Windenergie. Dass diese Bereiche nicht umgesetzt wurden, lag nach Ansicht Bettel­häusers an der Unfähigkeit der Unternehmer: Aber jedes Mal, wenn wir aus der Krise raus waren – und das war ja die Kurzsichtigkeit dieser bescheuerten Geschäftsleitung –, da haben die sich sofort wieder auf Schiffbau gestürzt und alles andere sausen lassen. Und

266 Interview mit Fritz Bettelhäuser, 01.03.2013. 267 Aus Stellungnahme der Betriebsräte der AG »Weser« und Bremer Vulkan AG zur Lage der Großwerften im Lande Bremen vom November 1982, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Vorstandssitzungen 04.10.1982–08.02.1983, StAB 7,2121/1-563; Echolot: Forderung für den Erhalt der Schiffbauarbeitsplätze, 15.06.1983, in: Echolot.

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beim nächsten Mal fing die Suche dann wieder an. […] Der Fehler war, dass die Geschäftsleitungen der gesamten Werften zu blöde waren, zusammenzuarbeiten. Die haben sich nur als Konkurrenz gesehen.268 Ähnlich wie die IG Metall sahen die Betriebsräte die Verantwortung letztlich beim Staat, der angesichts des internationalen Subventionswettlaufs stärker unterstützen und sich international hätte einsetzen müssen, dass die »marktverzerrenden Subventionen« abgebaut würden.269 Um eine breitere Öffentlichkeit für ihre Situation zu erreichen, gründeten die Betriebsräte im Oktober 1982 unter der Schirmherrschaft der IG Metall eine Bürgerinitiative, die sich auch um die Ausgestaltung eines »Festes der Solidarität« kümmern sollte.270 Ausgerechnet in diese Zeit fiel der Wechsel der Bundesregierung im Oktober 1982, mit der sich die Schiffbaupolitik des Bundes schlagartig veränderte. Vehementer als zuvor forderte die neue Regierung die Umstrukturierung der norddeutschen Schiffbauindustrie und die umgehende Reduktion um 9.000 Arbeitsplätze, was sich mit Blick auf die Zulieferindustrien zu einer Welle an Entlassungen von bis zu 20.000 Arbeitern entwickeln konnte.271 Daraufhin organisierten die Betriebsräte der beiden Bremer Großwerften im März 1983 eine Protestreise nach Bonn, um auf ihre desolate Situation aufmerksam zu machen. Am 3. März reiste eine Delegation aus Bremen in 95 Bussen nach Bonn und demonstrierte auf dem Münsterplatz in der Bonner Innenstadt. An diesem Tag saßen nicht nur die betroffenen Werftarbeiter in den Bussen, sondern auch ihre Familien, Mitglieder der Bremer Bürgerinitiative, ausländische Arbeiter und Arbeiter von Fremdfirmen. In dieser Phase solidarisierten sich die Bürger der Stadt und wandten sich in ihrer Not an den Staat. Im Echolot wurden die Reiseeindrücke eines Arbeiters abgedruckt:

268 Interview mit Fritz Bettelhäuser, 01.03.2013. 269 Stellungnahme der Betriebsräte der AG »Weser« und Bremer Vulkan AG zur Lage der Großwerften im Lande Bremen vom November 1982, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Vorstandssitzungen 04.10.1982–08.02.1983, StAB 7,2121/1-563. 270 In der Bürgerinitiative gab es fünf Arbeitsgruppen zu den Themen Öffentlichkeitsarbeit, Dokumentation, Alternative Produktion, Frauengruppe, Gruppe für Organisation des Festes der Solidarität. Das Fest sollte am 27. November 1982 in Vegesack im Bürgerhaus stattfinden, siehe Echolot: Bürgerinitiative, 19.11.1982, in: Echolot. 271 Die Streichung von 9.000 Arbeitsplätzen ging auf ein Konzept des Verbands Deutscher Schiffbauer zurück, wie im Kapitel zur IG Metall noch genauer beleuchtet wird.

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Der Blüm hat uns ja dann auf dem Münsterplatz auch Hilfe zugesagt und der Ehmke von der SPD auch, […]. Wenn sich aber jetzt in Bonn nichts rührt, fahren wir im April wieder hin, […]. Und dann muß die Solidarität aller Werftarbeiter Norddeutschlands genauso groß sein, wie sie es diesmal bei den Bremern war. Ich fahre dann wieder mit, denn ich habe eingesehen, daß wir alle um unsere Arbeitsplätze kämpfen müssen und nicht länger die Betriebsräte allein lassen können. […] Und nun, wo die Bonnfahrt vorbei ist, habe ich den Eindruck, daß wir alle näher zusammengerückt sind und dieses Stück Gemeinsamkeit erhalten bleiben muß. Denn nur gemeinsam kann man was erreichen.272 Neben den Vorschlägen für eine alternative Industrie und der Fahrt nach Bonn entwickelte der Betriebsrat des Bremer Vulkan in den folgenden Monaten die Idee für gemeinsame Protestaktionen. Im August stellte der Betriebsrat einen Antrag bei den IG Metall-Vertrauensleuten auf dem ­Bremer Vulkan, dass alle Arbeiter der Schiffbauindustrie Westdeutschlands in einer gemeinsamen Aktion Überstunden verweigern sollten. So sei es nicht möglich, dass Reparaturen von einer Werft zur anderen geschoben würden, argumentierten sie. Die Aktion sollte den Forderungen nach sicheren Arbeitsplätzen in der Öffentlichkeit Nachdruck verleihen. Die Betriebsräte meinten, dass eine solche Aktion nur mit der Unterstützung der IG Metall durchführbar sei. Doch die Verwaltungsstelle der IG Metall in Bremen lehnte den Vorschlag ab. Der Betriebsrat gab so schnell nicht auf und wandte sich an die Bezirksleitung in Hamburg: »Wenn wir nicht handeln mit aller Entschiedenheit, dann stirbt jeder Betrieb für sich allein. Am Schluß die IG Metall, weil sie ihre kampfstärksten Betriebe in Norddeutschland verloren hat.«273 Die Betriebsräte schlugen eine Vollversammlung aller Vertrauensleute vor, auf der die Idee eines Überstundenboykotts als »solidarische Abwehrstrategie gegen die Vernichtung unserer Arbeitsplätze« besprochen werden sollte.274 Während dieser Phase gab es mehrere Unterredungen mit den Verantwortlichen in der Bundesregierung, in denen die Bremer Betriebsräte hingehalten wurden und zugleich versucht wurde, durch Zugeständnisse an den 272 Echolot: Bonnfahrt am 3.3.83 aus der Sicht eines Kollegen, 16.03.1983, in: Echolot. 273 Echolot: Überstundenboykott, 26.10.1983, in: ebd. 274 Echolot: Antrag des Vertrauenskörpers der IG Metall Bremer Vulkan AG an die Bezirksleitung Hamburg, 26.10.1983, in: ebd.

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Bremer Vulkan die gemeinsamen Aktionen zu unterlaufen.275 Doch davon ließen sich die Betriebsräte nicht entmutigen. In einem letzten Aufbegehren forderten sie die bundesweite Besetzung aller Werften. Die IG MetallVertrauensleute konnten sich zu einer gemeinsamen Aktion aber durchringen. Nach mehrstündigen Diskussionen auf einer Vertrauensleutesitzung am 16. September 1983 kamen sie zu keiner Entscheidung. Kurz darauf besetzte die Belegschaft der AG Weser ihre Werft allein.276 Das Echolot meinte, hätte die IG Metall zu einer gemeinsamen Besetzung aufgerufen, dann seien ihnen die Kolleginnen und Kollegen der anderen Werften gefolgt: »Wenn es nicht gelingt, die IG Metall in den Kampf mit einzubeziehen, werden in Zukunft Betriebsbesetzungen nur noch ein Ritual vor jeder Werksschließung sein.«277 Am 4. Oktober 1983 wurde die geplante Schließung der AG Weser öffentlich bekannt gemacht. Der Betriebsrat des Bremer Vulkan sorgte sich um die Entlassung der betroffenen Kollegen und fragte auf einer Sitzung mit der Geschäftsleitung, ob Arbeiter übernommen werden könnten oder ob es Umschulungen geben würde.278 Noch im November diskutierte die Verwaltungsstelle der IG Metall Bremen den Überstundenboykott. Es waren nur wenige Vertrauensleute anwesend. Die Mehrheit unterstützte die Aktion, doch für die rund 2.200 Arbeiter der AG Weser kam diese Entscheidung zu spät.279

275 In der Betriebsratssitzung vom 23. August berichtete der Betriebsrat des Bremer Vulkan von einem Treffen mit dem Bundeskanzler, bei der mögliche Förderhöhen der Bundesregierung besprochen worden seien. Eine Entscheidung über die Schließung einer der Werften oder eine Fusion stehe aber aus, Protokoll 2/83, 23. August 1983, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Gem. Sitzungen, Bd. 2, 1981–1984, StAB , 7,2121/1–647. 276 Wobei es in der offiziellen Darstellung der IG Metall Bremen heißt, es habe einige Solidaritätsaktionen gegeben wie den Umzug der Vertrauensleutevollversammlung vom Bürgerhaus zur AG Weser und zahlreiche Solidaritätserklärungen aus der Bremer Bevölkerung, siehe IG Metall Bremen, S. 62. 277 Echolot: Betriebsbesetzung als Kampfmittel, 26.10.1983. 278 Protokoll der außerordentlichen Sitzung zwischen Betriebsrat und Vorstand am 4. Oktober 1983, in: Bremer Vulkan, Akten und Geschäftsbücher, Gem. Sitzung, Bd. 2, 1981–1984, StAB 7,2121/1-647. 279 Echolot: 35 Std. Woche – es gibt keine Alternative, 02.12.1983. Ausführlich zu den Entwicklungen bei der AG Weser siehe Graber Majchrzak.

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2.3.6 Internationale Erfahrungen Im vorangegangenen Kapitel habe ich Passagen aus einem Interview mit dem langjährigen Betriebsrat des Bremer Vulkan, Fritz Bettelhäuser, zitiert. Ich will ihn an dieser Stelle als Akteur hervorheben, da er mir von seinen Beziehungen zu Werftarbeitern außerhalb Westdeutschlands erzählte, die in den Quellen nicht erwähnt werden. Bettelhäuser wurde 1942 in Braunschweig geboren und wuchs in Duisburg-Neuenkamp auf. Er arbeitete als Karosserieschlosser in zahlreichen Automobilunternehmen, bis er 1967 zum Bremer Vulkan kam. Auf der Werft war er 28 Jahre als Schiffsschlosser tätig und während dieser Zeit gewerkschaftlicher Vertrauensmann, Mitglied des Betriebsrates und Betriebsratsvorsitzender.280 Bettelhäuser war Zeitzeuge der politischen Aktivitäten zu Beginn der 1970er Jahre sowie in den schwierigen wirtschaftlichen Phasen des Unternehmens in den 1980er Jahren. Er wurde 1973 als Nachfolger des zurückgetretenen Dieter Kirchhoff zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt, galt zu dieser Zeit aber als parteiunabhängig. Im Unterweserstreik 1974 positionierte er sich erstmals kritisch zur Gewerkschaftspolitik, als er die von der IG Metall erkämpften Ergebnisse infrage stellte und zur außerordentlichen Betriebsversammlung aufrief, auf der es – von ihm gebilligt  – zu den Ausschlussforderungen gegenüber IG MetallBezirksvorsitzenden kam. Seine Zeit der politischen Sichtbarkeit begann mit der E ­ cholot-Gruppe 1977. Die Gruppe wandte sich nach der intensiven Phase linker Auseinandersetzungen wieder verstärkt der Arbeit innerhalb des Betriebes zu, mahnte die Arbeitsbedingungen auf der Werft an und setzte sich für Arbeitsplatzsicherheit ein. Bettelhäuser wurde spätestens mit seiner Verweigerung zur Bearbeitung des asbesthaltigen Schiffes »United States« 1983 über den Betrieb hinaus bekannt. Als ihm die Geschäftsleitung wegen Rufschädigung kündigte, konnte er sich in einem Gerichtsverfahren wieder einklagen. Die Beziehungen ins Ausland, die Bettelhäuser während seiner Tätigkeit auf dem Bremer Vulkan erlebte, waren sehr vielfältig. Es gab Verbindungen in die sozialistischen Nachbarstaaten, aber auch nach Japan. Die Koordination solcher Austauschprogramme lief über die IG Metall. Der Gewerkschaftsvorstand bekam die Anfragen oder stellte sie und suchte im Anschluss Kollegen auf Bezirksebene aus, die die Reise antreten oder die Gäste empfangen sollten. Bettelhäuser berichtete, dass 1977 einige Arbeiter der Vulkan-Werft nach Rostock reisten, um die Kollegen der Warnow- und Neptun-Werft zu besuchen: 280 Dinné, S. 187.

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Und das war natürlich für unsere KBW- und KPD -Leute ein gefundenes Fressen. Karl Marx eingepackt, das Kapital und Bände, die sie brauchten, und dann da hin. Und dann haben sie die gelöchert, wieso sie denn hier überhaupt noch Überstunden machen, wieso sie denn überhaupt noch Nachtschicht machen, bei Karl Marx und so weiter. Und die Jungs, die da saßen, die Betriebsräte, total überfordert. Und dann haben die erst mal nach Berlin ein Telegramm geschickt: »Wir brauchen Hilfe.« Und dann kamen Politfunktionäre, die das wirklich studiert hatten, und dann gab es da eine richtig tolle Diskussion über die Sachen.281 Bettelhäuser erinnerte sich, dass der Vorstand der IG Metall nicht erfreut war über eine solche Fahrt: Alle waren dagegen. Da haben wir gesagt: »Wieso? Habt ihr Angst um uns oder um euch? […] Was kann da passieren? Wir kommen doch nicht als Kommunisten wieder. Die Kommunisten die wir mitnehmen, die sind sowieso ganz andere Kommunisten als die, die wir da treffen.«282 Etwas anders verhielt es sich im Fall von Polen und der Solidarność-Bewegung. Durch ihre Anfänge auf der Stocznia Gdańska (im deutschen umgangssprachlich Lenin-Werft) fühlten sich die Bremer Werftarbeiter der Bewegung in besonderer Weise verbunden. Im Laufe der Ereignisse zeigten die Arbeiter des Bremer Vulkan und der AG Weser ihre Solidarität und unterstützten die Arbeiter der Werft mit Lebensmittel- und Medizintrans­ porten.283 Bettelhäuser erzählte, wie eine Solidarność-Delegation nach Bremen kam und durch die Verschärfung der Ereignisse in Polen für einige Zeit in der Stadt bleiben musste: Und dann ging ja die Revolution da hinten richtig los und die konnten nicht wieder zurück. Und dann hingen die hier in Bremen fest […] und hatten keine Unterkunft mehr […] und haben das Gewerkschaftshaus besetzt. […] Und dann haben die eine Unterkunft bekommen und konnten solange hier bleiben, bis das Theater dort vorbei war.284 281 Interview mit Fritz Bettelhäuser, 01.03.2013. 282 Ebd. 283 Echolot: Solidarität mit Solidarnosc, 10.02.1982, in: Echolot. 284 Interview mit Fritz Bettelhäuser, 01.03.2013.

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Damit machten sich die Werftarbeiter unter den Linken in Bremen nicht nur Freunde. Bettelhäuser erzählte, dass es zu Auseinandersetzungen kam: Die Linken waren alle dagegen, die haben Solidarność ja als Teufelszeug angesehen. […] Und ich hab da an so einer Veranstaltung teilgenommen in der Hochschule […]. Und da machten sie [uns] noch Vorwürfe, dass wir uns da so für einsetzen […]. Da hab ich mich nur hingestellt und gesagt: »Wenn ihr in Not seid, ihr Studenten, und euch pinkeln ’se an, dann ist Fritz da, dann hilft er euch. Und die haben sie angepinkelt, die können nicht wieder zurück und nix, dann helfe ich denen. Das ist mein Solidaritätsverständnis. Und wenn ihr das Solidaritätsverständnis nicht habt, dann tut ihr mir leid. Dann passt ihr nicht hier in unsere Welt.«285 Neben Werftbesuchen in die DDR gab es auch Kontakte nach Holland, Schweden und Japan. Die von der IG Metall organisierten Werftbesuche gingen laut Bettelhäuser meistens an die AG Weser, weil die Belegschaft des Bremer Vulkan als »rotes Tuch« galt. Als die Kollegen der AG Weser einmal nicht für einen Besuch bereit waren und auch die andere Großwerft Westdeutschlands, Blohm und Voss, sich weigerte, eine japanische Delegation zu empfangen, war der Bremer Vulkan an der Reihe. Und dann hat der Albert Schunk, der für Auslandssachen im Vorstand zuständig war, der IG Metall, der hat dann bei mir angerufen und hat gesagt: »Mensch, Fritz, Japaner, könntet ihr die nicht mal übernehmen?« Ich sag: »Du, wir können die übernehmen. Aber glaub nicht, dass unser Vorstand bezahlt, wenn wir hier Japaner rumführen. Wenn der das genehmigt, sind wir schon froh, aber bezahlen wird der das nicht.« »Nee«, sagt er, »alles klar, du kriegst ein Budget und dann könnt ihr machen.«286 Interessant ist, wie Bettelhäuser seine Aufgabe als Botschafter der deutschen Werften und Repräsentant deutscher (Gewerkschafts-)Kultur wahrnahm: Dann hab ich mich drum gekümmert: Wie ticken die Japaner? Und da hab ich mir Reiseführer und all so was bestellt und dann hab ich erst mal gelesen. Und dann hab ich festgestellt: Die lieben deutsche Volksmusik, 285 Ebd. 286 Ebd.

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Kammermusik, Bach und sie lieben die Lüneburger Heide und alles, was volkstümlich, typisch ist für Deutschland. Da sind sie ganz heiß drauf. Ja, da hab ich das vorbereitet. Bürgermeister […] angerufen und hab gesagt: »Wir wollen die Heide besichtigten.« […] Also, zuerst hab ich sie natürlich über die Werft gescheucht. […] Und war […] eine wirklich freundliche Sache und Schulterklopfen. […] Und der Höhepunkt war natürlich unser Ausflug in die Lüneburger Heide. Da kamen die Fotoapparate, wurde nur noch klick, klack [gemacht] […] Und dann sind wir mit dem Kutschwagen da durch, Heidekönigin saß vorne auf dem Kutschbock und da waren die happy. Und dann haben wir auch Heidefladen gegessen und dann war da einer mit so einer Zither. Der sang dann »Sah ein Knab ein Röslein stehn«.287 Das Erlebnis zeigt die eigentliche Bedeutung solcher Kontakte. Auf Betriebsebene ging es weniger theoretisch-analytisch zu. Hier fand eine Art Kulturaustausch statt, der den Gästen die eigene Kultur vermitteln und für Geselligkeit sorgen sollte. Nebenbei ging es um gewerkschaftliche Themen wie Produktionsabläufe und Arbeitssituationen oder Auseinandersetzungen um Löhne und Gehälter. Das wird in den Schilderungen Bettelhäusers zu einem Besuch in Japan deutlich. Er besuchte die Werft des japanischen Unternehmers Mitsubishi Heavy Industries in Nagasaki: »Da ging es um Löhne und so. Zum Beispiel hab ich rausgekriegt: Die japanischen Gewerkschaften haben Minimallöhne, damals schon, und die kriegten damals schon […] Prämien, und die kriegten die auf die hohle Kralle.«288 Für die Ursache der Prämien hatte Bettelhäuser eine ganz einfache Erklärung: Die japanischen Arbeiter hatten für Prämienleistungen gekämpft, um sich jenseits der Familie Unterhaltung und Müßiggang leisten zu können: Weil die Familienstruktur in Japan ist so: Draußen hat die Frau ja nix zu sagen, die läuft ja immer drei Schritte hinter dem Kerl her und muss dann auch noch den schweren Koffer schleppen und er nur die Aktentasche. […] Im Haus selber haben die Frauen das Sagen. […] Und oben, in dem kleinen Zimmer, […] da wohnt die älteste Frau der Familie und die hat das Sagen. Die kriegt das Geld, teilt das Geld ein und die bestimmt, wer wann was macht, was im Haus passiert. […] Und damit der Mann dann auch Geld 287 Ebd. 288 Ebd.

Zusammenfassung

zur Verfügung hat, sind die hingegangen und haben Prämientarifverträge gemacht. Seine Kaffeehausbesuche, mit der Geisha rumflirten, das hätte er sonst nicht gekonnt.289 Bettelhäusers Erkenntnisse speisten sich aus einem ähnlichen Kulturaustausch, wie die Erfahrungen der japanischen Kollegen in der Lüneburger Heide. Ähnlich wie die Delegierten des IMB, die ebenfalls nach Japan reisten, schilderte Bettelhäuser die Situation japanischer Werftarbeiter. Das Bild des Fremden blieb zwar erhalten, aber er konnte durch seine Erfahrungen berichten, dass es sehr wohl Lohnkämpfe in Japan gab und die Japaner nicht nur als Konkurrenten zu betrachten waren. Diese sehr episodenhaften Schilderungen Bettelhäusers lassen sich sicherlich nicht ohne weiteres verallgemeinern. Sie bieten aber einen Einblick in Interaktionen über den Betrieb hinaus. Auch wenn daraus keine Strategie oder ein kollektives Bewusstsein erwuchs, so dienten sie dazu, Konkurrenzdenken und Grenzen ab- und gemeinsame Interessen aufzubauen.

2.4 Zusammenfassung Der Exkurs in das frühe 20. Jahrhundert hat gezeigt, wie Bremen in wirtschaftlicher wie politischer Hinsicht über die Region hinaus an Bedeutung gewann. Bremen bot durch seine Handelstraditionen Zugang zum Weltmarkt und war für die wirtschaftliche Entwicklung des gesamten Landes bedeutsam. Durch den Anstieg des Handels stieg auch die Nachfrage nach Schiffen, was der Schiffbauindustrie eine erste Hochphase bescherte. Dass der Bremer Vulkan von diesem Aufstieg profitieren konnte, lag vor allem am Handelsgeschick des Unternehmers Thyssen, der es verstand, beim Bremer Vulkan technische Innovationskraft mit der Stimulierung der Nachfrage im Ausland zu verknüpfen. Die Vielfältigkeit seines Denkens ermöglichte den schnellen Aufstieg des Unternehmens. Thyssen zeigte Weitsicht, indem er Materialengpässe in Krisenzeiten vorausdachte und Produktionskooperationen als Fortschritt der Wirtschaftlichkeit erkannte. Interessant ist, dass man aufseiten der Unternehmer damals schon über Unternehmenskooperationen und die Vorteile von Synergieeffekten nachdachte, denn diese Vor-

289 Ebd.

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schläge tauchten in den 1960er und 1980er Jahren wieder auf. Für die späteren Entwicklungen ebenfalls bedeutsam war die ständige Orientierung am Ausland, sowohl was die Aufträge als auch die technischen Entwicklungen anbelangte. Schon während der ersten Expansionsphase des Unternehmens spielte der Export eine große Rolle, was die frühe Bedeutung des internationalen Marktes unterstreicht. Der Anstieg der Produktion erhöhte den Druck auf die Leistungsfähigkeit der Werftarbeiter. Entsprechend ihrer misslichen sozialen Lage begannen sie sich zu organisieren. Besonders auf den Werften gab es eine gut organisierte Arbeiterschaft, die – wenn es die politische Lage verlangte – auch ohne gewerkschaftliche Zustimmung streikte. So gelang 1919 durch revolutionäre Akteure die Gründung von Arbeiter- und Soldatenräten, die allerdings von sozialdemokratischen Reformern wieder aufgelöst wurden. Für viele Arbeiter bedeutete diese Entwicklung eine Niederlage. Sie interpretierten das Vorgehen der Sozialdemokraten als Verrat, der letztlich zur Spaltung der Arbeiterbewegung führen musste. Ein für die Bremer Werftarbeiter wegweisendes Ereignis war der Streik 1953. In der sechswöchigen Auseinandersetzung zeigte sich erneut das Auseinanderfallen von sozialdemokratischen und kommunistischen Zielen. Während sie unmittelbar nach Kriegsende noch gemeinsam für eine Einheitsgewerkschaft eingetreten waren, verschärften sich die Konflikte im Rahmen des Kalten Krieges. Die kommunistische Betriebsgruppe des Bremer Vulkan versuchte, den Lohnstreik in einen politischen zu verwandeln und die Arbeiter von einer Alternative zur Adenauer-Regierung und sozialdemokratischen Gewerkschaftern zu überzeugen. Das Tarifergebnis erlangte aber nicht die von der Arbeiterschaft geforderte Höhe, sondern schlug erneut den Weg eines sozialdemokratischen Kompromisses ein, womit sich die revolutionären Ambitionen der KPD zerschlugen. Die KPD wurde 1956 in Westdeutschland verboten und kommunistische Akteure verloren in den meisten Betrieben, wie auch beim Bremer Vulkan, an Bedeutung. Wie die Diskussionen auf nationaler Ebene noch zeigen werden, verlief der wirtschaftliche Aufschwung für die westdeutschen Werftunternehmer nach dem ersten Einbruch von 1959 in den folgenden Jahren nur schleppend. Diese späte Erholung zeigte sich besonders beim Bremer Vulkan, der erst mit dem Bau von Containerschiffen ab 1968 neuen Aufwind bekam. Das Unternehmen etablierte sich ab diesem Zeitpunkt wieder zu einem wichtigen Akteur auf dem globalen Markt und fuhr Anfang der 1970er Jahre zahlreiche Exportaufträge ein. Aus Arbeitnehmersicht war es nur verständlich,

Zusammenfassung

dass man davon profitieren wollte. In der Vergangenheit war die Teilhabe an Gewinnen durch bestimmte Zulagen im Betrieb geregelt worden. Mit der neuen Gewerkschaftspolitik sollten diese außertariflichen Leistungen wieder in die Verhandlungshoheit der IG Metall übergehen. Daraus entwickelte sich zwischen den Gewerkschaftssekretären und der Mitgliederbasis ein Spannungsverhältnis, das in den Streikwellen 1969 und 1973/74 zum Tragen kam. Aufmerksam geworden auf die Streikbereitschaft der Arbeiter entschlossen sich seit Beginn der 1970er Jahre verschiedene Akteure der Neuen Linken, in den Betrieben aktiv zu werden. Ihr Ziel war es, die Arbeiter in ihrem vermeintlichen Kampf gegen die Gewerkschaftspolitik zu unterstützen und aus den Betrieben heraus eine alternative Gewerkschaftsbewegung zu bilden. Dazu wurden auch historische Verweise auf die Traditionen der bremischen Arbeiterbewegung bemüht: Der Kampf gegen die Kapitalisten müsse wieder real werden, war in vielen Aufrufen zu hören. Das Ziel sei nicht der Klassenkompromiss, sondern eine von den Arbeitern geführte Bewegung zur Veränderung der Verhältnisse. Damit wurde auch die bisherige Politik der Gewerkschafter und SPD -Betriebsräte infrage gestellt. Während der Einfluss der Neuen Linken auf die Streiks 1969 noch relativ gering war und eher eine lernende denn lehrende Erfahrung darstellte, wurden sie 1973 zu einflussreichen Mitgestaltern.290 Nach dem erfolgreichen Streik von 1973 und dem Rücktritt des SPD -Betriebsratsvorsitzenden des Bremer Vulkan folgte 1974 die Tarifverhandlung im Unterwesergebiet, in denen die K-Gruppen erneut politisch aktiv wurden. Da die Streikbereitschaft erprobt worden war, schätzten sie das Potential zur Mobilisierung in der Arbeiterschaft als hoch ein. Doch Zerwürfnisse zwischen den verschiedenen kommunistischen Akteuren – bei denen es um die nicht unerhebliche Frage ging, ob die Revolution mit der Gewerkschaft oder ohne sie geführt werden sollte  – brachten die Bewegung ins Schlingern. Die meisten Werftarbeiter sahen in ihren Vertrauensleuten letztlich doch ein bewährtes Mittel zur Vertretung ihrer Interessen, auch wenn einige die Streikergebnisse als nicht befriedigend einschätzten. Der Aufruf der K-Gruppen zu Alternativen für sozialdemokratische Gewerkschaftsstrategien fand bei den Arbeitern keinen Widerhall. Infolge der politischen Ak290 Schon des Öfteren ist debattiert worden, wie hoch der Einfluss der Neuen Linken auf die Betriebe war, etwa Arps oder Birke, Wilde Streiks, S. 245. Gleichzeitig gab es Kontaktaufnahmen aus dem Betrieb nach außen, wie die Lehrlingsbewegung und die Solidarität mit den Schülerprotesten zur Fahrpreiserhöhung verdeutlichen, Andresen, K.

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tionen auf dem Bremer Vulkan wurden vier der Aktivisten 1974 aus der IG Metall ausgeschlossen. Die Entwicklung auf dem Bremer Vulkan ähnelte den bundesweiten Ereignissen. Jan Ole Arps beschreibt, wie die politischen Akteure die Betriebe ab 1977 wieder verließen und sich in neuen Bewegungen oder anderen individuellen Projekten engagierten.291 Lange Zeit schien es, als habe man beim Bremer Vulkan alles richtig gemacht. Das Unternehmen setzte auf internationale Aufträge, als westeuropäische Produkte durch hohe Qualität, schnelle Lieferung und annehmbare Produktionskosten auf dem Weltmarkt die Führungsrolle übernahmen. Als die Nachfrage nach Containerschiffen stieg, entschied sich das Unternehmen für den Bau dieser Schiffe. Das neue Dock für den Einstieg in die Serienproduktion kam allerdings zu spät. Die neuen Akteure des Weltschiffbaus waren ebenfalls in die Serienproduktion eingestiegen. Eine erneute Umstellung der Produktion in den Spezialschiffbau gelang nur den wenigsten Unternehmen. Da die neuen Konkurrenten auf die Strategien der niedrigeren Kosten setzten, blieb den bereits etablierten Firmen nur die Differenzierung oder die Umstrukturierung der Produktion. Mit dem Auftragsrückgang beim Bremer Vulkan wurde der Staat zunehmend wichtiger: Er forderte Gutachten zur Problemlösung an, investierte Subventionsmittel und versuchte, als Entscheidungsträger innerhalb der Unternehmen zu agieren. Während dieser schwierigen ökonomischen Situation entwickelte sich auf dem Bremer Vulkan aus einer gewerkschaftsoppositionellen Gruppe nochmals eine starke Bewegung unter den Werftarbeitern, die nun weniger die Gewerkschaft als vielmehr die Geschäftsleitung und den Staat als Angriffsfläche im Blick hatte. Mit der Herausgabe einer neuen Betriebszeitung versuchten die Akteure, die Ereignisse auf der Werft kritisch zu begleiten und argumentierten gegen Fremdfirmen, Leiharbeit, Überstunden und für sichere Arbeitsplätze. Während dieser Jahre war die Sorge um den Verbleib des Unternehmens auf dem internationalen Markt prägend. Aufträge blieben aus und das Unternehmen konnte nur durch staatliche Subventionen über Wasser gehalten werden. Der Höhepunkt der negativen Ereignisse auf dem Bremer Vulkan war die Entlassung von 290 Mitarbeitern im Jahr 1982. Der Betriebsrat fühlte sich bei der Entscheidung übergangen und forderte – gestärkt durch die Arbeits­ niederlegung der Belegschaft und eine breite Unterstützung aus der Bremer Politik und Öffentlichkeit – die Rücknahme der angekündigten Entlassungen 291 Arps, S. 159 ff.

Zusammenfassung

und die Einführung sozialverträglicher Maßnahmen. Doch der Betriebsrat war in dieser Sache nicht erfolgreich. Seine Mitbestimmungsmöglichkeiten waren enorm geschrumpft, wilde Streikaktionen, die zehn Jahre zuvor noch wirkungsvoll gewesen waren, verpufften. Die Geschäftsleitung sah durch die Expertise der Unternehmensberater und den Druck der Banken für zukünftige Kreditvergaben ihre Entscheidung als gerechtfertigt an. In dieser Situation entschlossen sich die Bremer Werftarbeiter, gemeinsam zu kämpfen. Die Betriebsräte bemühten sich, die betrieblichen Grenzen und gewerkschaftlichen Strukturen aufzuweichen. Und sie versuchten, alternative Produktionen zu entwerfen, die die Arbeitsplätze auf den Werften erhalten und ihre Existenz sichern sollten. Doch ihnen fehlte es an Durchsetzungskraft gegenüber den Gewerkschaftsvertretern, einer wirklichen Mobilisierungskraft in den Belegschaften und Initiativen aus den Unternehmensleitungen. Die historisch gewachsenen Strukturen in der Gewerkschafts-, in der Unternehmens- und Regierungspolitik standen diesen Bemühungen entgegen. Diese Strukturen waren auch handlungsweisend für die Strategien der Betriebsräte. Die Fahrt nach Bonn rief letztlich nach der Unterstützung des Staates, die der Region bereits in der Vergangenheit auf die Beine geholfen hatte.

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3.

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3.1.1 Die institutionelle Entwicklung der IG Metall nach 1949 In der unmittelbaren Nachkriegsphase war die IG Metall mit den Folgen des Krieges und der Neustrukturierung ihrer Organisation beschäftigt. Der soziale Missstand weiter Bevölkerungsteile rief große Proteste bei den Arbeitern hervor, die die IG Metall zu kanalisieren versuchte.1 Erst relativ spät, im Oktober 1949, fand der Gründungskongress der Metallgewerkschaften der westlichen Besatzungszonen in München statt.2 Der Entscheidung des Zusammenschlusses war eine fast zweijährige Debatte vorausgegangen, in der deutlich wurde, dass die bereits etablierten Verbände der jeweiligen Besatzungszonen nur ungern ihr organisatorisches Eigenleben aufgaben. Auch die Frage des Vorstandssitzes war nicht ohne Kontroversen verlaufen, noch weniger die Zusammensetzung des Vorstands, der möglichst alle regionalen und politischen Gruppierungen repräsentieren sollte. Man entschied sich für drei gleichberechtigte Vorsitzende, darunter Wilhelm Petersen, der in der Anfangszeit für die Schiffbauindustrie verantwortlich war, und eine möglichst breite Repräsentanz der politischen Lager: Der Vorsitz sowie die Stellvertreter gehörten der SPD an, bei den Sekretären waren vier aus der KPD.3 Auch der Hirsch-Dunckersche Gewerkverein war vertreten.4 Grundlage der Aktivitäten der IG Metall und ihrer Organisationsstruktur war die auf dem ersten Gewerkschaftstag 1950 festgelegte Satzung. Dieser entsprechend war das höchste Organ des Verbandes der Gewerkschaftstag,

1 Jens Becker und Harald Jentsch schreiben: »Tatsächlich haben 1947 circa eine Million und im Frühjahr 1948 circa 4 Millionen Menschen an den ›Hungerstreiks‹ teilgenommen, die teilweise auch zu ›wilden‹ Streiks eskalierten. Im Grunde agierten die Gewerkschaften als Ordnungsfaktor, waren sie doch auf das Wohlwollen der Alliierten bei der Linderung der Versorgungsnot angewiesen«, Becker u. Jentsch, S. 80. 2 Schönhoven, Einleitung, S. IX . 3 Diese wurden im Herbst 1950 allerdings nicht mehr in den Vorstand aufgenommen bzw. traten, wie Willi Bleicher, aus der KPD aus, ebd., S. XXXI. 4 Ebd., S. XVII.

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an dem 250 stimmberechtigte Delegierte teilnahmen. Die relativ strikten Vorgaben von Tagesordnung und Abstimmungsprozedere verhinderten allerdings intensive Diskussionen unter den Delegierten. Der Ablauf lag in den Händen des Vorstands, der die IG Metall nach außen repräsentierte und für die Umsetzung der auf den Tagungen beschlossenen Maßnahmen verantwortlich war.5 Der geschäftsführende Vorstand setzte sich aus neun, ab 1954 aus zehn hauptamtlichen Mitgliedern zusammen, die sich meist wöchentlich trafen und die Geschäfte der Gewerkschaft bearbeiteten. In den Gesamtvorstand, der vierzehntäglich zusammen kam, waren ehrenamtliche Mitglieder aus den Bezirken eingebunden. Regelmäßige Treffen gab es auch mit den Bezirksleitern und dem gewählten Beirat, der – falls notwendig – zwischen den aller zwei Jahre stattfindenden Gewerkschaftstagen die Nachwahl von einzelnen Vorstandsmitgliedern durchführen konnte, was in den Anfangsjahren relativ häufig vorkam.6 Während dieses Institutionalisierungsprozesses der IG Metall wurde die Beteiligung der KPD scharf diskutiert. Das zeigte sich im Jahr 1950, als die drei KPD -Mitglieder bei der Wahl des Vorstandes nicht berücksichtigt wurden. Die Situation eskalierte 1951 mit der »These 37«, in deren Folge alle in Verwaltungsstellen, Bezirksleitungen und Vorständen arbeitenden Kommunisten ihre Stellen – ausgenommen denjenigen, die die »Treueerklärung« unterschrieben – verloren, wovon 349 Personen betroffen waren.7 Ein während der 1950er Jahre ebenfalls heiß diskutiertes Thema war die Durchsetzung der Mitbestimmung in Großunternehmen. Die Alliierte Hohe Kommission erließ im Mai 1950 ein Gesetz, in dem die Mitbestimmungsrechte nicht geregelt waren. Deutsche Gesellschaften sollten unter deutsches Recht fallen, was aber keine paritätische Besetzung der Aufsichtsräte und keine Entsendung von Arbeitsdirektoren in Vorstände kannte.8 Der DGB reagierte mit einem umfassenden Gesetzesvorschlag, der die Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit forderte, was vor allem durch besagte Mitbestimmung in Aufsichtsräten von Großunternehmen umgesetzt werden sollte. Als der Gesetzentwurf im Sommer 1950 in der Bundesregierung diskutiert wurde, meldeten sich auch die neugegründeten Arbeitgeberverbände und der Bundesverband der Deutschen Industrie zu Wort. Sie wollten den 5 6 7 8

Ebd., S. XXVI. Ebd., S. XXVIII. Schönhoven, Kalter Krieg, S. 275. IG Metall, 100 Jahre Industriegewerkschaft, S. 378.

Eine politische Vorzeigegewerkschaft, 1949–1959

Arbeitnehmern nur ein Beratungsrecht zusprechen und ihnen höchstens ein Drittel der Sitze in Aufsichtsräten gewähren. Die Bundesregierung hatte einen ähnlichen Vorschlag. Angesichts der drohenden Niederlage begann die IG Metall, ihre Mitglieder zu mobilisieren und entschied sich im November 1950 für eine Urabstimmung. In dieser Abstimmung sprachen sich 95,5 Prozent für den Streik um paritätische Mitbestimmung aus.9 Bundeskanzler Konrad Adenauer reagierte prompt und sprach der IG Metall das Recht ab, für Gesetzgebungsverhandlungen die Arbeit niederzulegen. Der DGB -Vorsitzende Hans Böckler entgegnete, zur Verfassung eines demokratischen Staates gehöre die Freiheit eines Arbeitnehmers, die Arbeitsleistung unter einer Wirtschaftsordnung zu verweigern, die seiner Stellung als freiem Bürger eines demokratischen Staates nicht entspreche.10 Als die IG Metall den Streikbeginn für den 1. Februar 1951 ankündigte, schloss sich auch die IG Bergbau den Plänen zum Streik an. In einer langwierigen Verhandlung mit Arbeitgebern und Regierung konnten die Gewerkschaften letztlich die paritätische Mitbestimmung in der Montanindustrie durchsetzen, ohne dass es zu einem Streik kam.11 Als es allerdings ein Jahr später um die Ausweitung der Mitbestimmung auf die anderen Industriezweige ging und das Betriebsverfassungsgesetz zur Diskussion stand, konnten sich die Gewerkschaften nicht mehr durchsetzen. Zwar wurden während der Verhandlungen im Mai 1952 Kundgebungen und kurzfristige Arbeitsniederlegungen durchgeführt, als es Anfang Juni aber in die entscheidende Phase ging, stimmte der DGB den Forderungen des Bundeskanzlers zu und brach die Aktionen ab. Hierfür bekam er scharfe Kritik aus den eigenen Reihen. Auf dem zweiten Gewerkschaftstag der IG Metall im September 1952 hieß es, wenn man sich für einen Kampf entscheide, müsse dieser auch zu Ende geführt werden.12 Das Ergebnis im Betriebsverfassungsgesetz, das die Vorschläge der Arbeitgeber weitgehend übernahm, war für diejenigen, die sich am Protest beteiligt hatten, eine Niederlage.13 Doch der politische Wind hatte sich gedreht und der Wille zur Umgestaltung

9 10 11 12

Ebd., S. 379. Ebd., S. 380. Ebd., S. 382 f. So die Aussage von Willy Schmidt, nach IG Metall, 100 Jahre Industriegewerkschaft, S. 391. 13 Fritz Strothmann, nach ebd., S. 393. Über die Enttäuschung aufseiten der Streikenden, siehe auch Birke, Wilde Streiks, S. 47 f., Artus, S. 223.

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der Wirtschaft war in weiten Kreisen politischer Entscheidungsträger nicht mehr vorhanden.14

3.1.2 Verantwortlichkeiten, Informationsaustausch und Mitgliederwerbung Im Jahr 1950 bildete sich in der IG Metall ein Werft- und Schiffbauausschuss, der sich in regelmäßigen Abständen in der Bezirksleitung Hamburg traf und über die Lage im Schiffbau diskutierte.15 Anwesend waren neben dem Vorstandsvorsitzenden der IG Metall der Bezirksleiter, weitere Kollegen der Bezirkskommission und der Verwaltungsstellen der Küstenländer sowie Betriebsräte aus den Werften. Die Teilnehmerzahl belief sich bei den frühen Treffen um die 20 bis 30 Personen und wuchs bis 1959 auf fast 100 Personen an. Die Treffen fanden zu Beginn der 1950er Jahre in regelmäßigen Abständen statt. Als sich die Lage im Schiffbau stabilisierte, nahmen sie ab und gewannen erst wieder an Bedeutung, als der Sektor Ende des Jahrzehnts wirtschaftliche Probleme bekam. Im April 1959 fand eine über zwei Tage laufende Veranstaltung statt, die in Umfang und Dauer den Höhepunkt der Treffen der 1950er Jahre darstellte (siehe Tab. 2).16 Die Verantwortung für diese Treffen lag anfangs beim Bezirksleiter in Hamburg, der auch die Sitzungen mit einem Einstiegsreferat eröffnete. Schon bald ging die Leitung aber an den IG Metall-Vorstand über. Verantwortliche aus den Vorstandsabteilungen Organisation und Wirtschaft legten den Zeitpunkt der Treffen fest und bestimmten die Zusammensetzung der Redner 14 Während einige Gewerkschaftsvorsitzende in den neuen Kurs einschwenkten und das Godesberger Programm der SPD unterstützten, das auf Kooperation mit der Regierung ausgerichtet war, hielt die IG Metall und allen voran ihr Vorsitzender Otto Brenner in diesen Jahren aber noch an sozialistischen Themen fest. Zu ihren Grundüberzeugungen zählten die Sozialisierung der Großunternehmen und die Überwindung der Klassengegensätze in der Gesellschaft, Becker u. Jentsch, S. 212. 15 Das erste dokumentierte Treffen fand am 31. Januar 1950 statt. Im Protokoll wird allerdings erwähnt, dass es bereits am 20. Oktober 1949 zu einer Konferenz von Werftarbeiterdelegierten gekommen war, siehe Protokoll des Ausschusses für Werft und Schiffbau der IGM vom 31.01.50, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1950–1953, AdsD 5/IGMA07112. 16 Protokoll, 4. Arbeitstagung für die Seeschiffswerften, 6. und 7. April 1959, Hamburg, in gedruckter Form, in: IGM, Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109b.

Eine politische Vorzeigegewerkschaft, 1949–1959

Tab. 2: Übersicht der Treffen des Werft- und Schiffbauausschusses der IG Metall (1950–1959) Titel/Thema

Datum

Ort

Teilnehmerzahl*

Ausschuss für Werft und Schiffbau

31.01.1950

Hamburg

22

Konferenz des Werft- und Schiffbauausschusses

11.05.1950

Hamburg

31

Konferenz des Werft- und Schiffbauausschusses

07.12.1950

Hamburg

32

Konferenz des Werft- und Schiffbauausschusses

16.10.1951

Hamburg

46

Konferenz des Werft- und Schiffbauausschusses

25.02.1953

Hamburg

o. A.

Werftkonferenz

22.12.1953

Hamburg

31

Schiffbaukonferenz

09.04.1954

Hamburg

60

Seeschiffbaukonferenz

20.09.1955

Hamburg

58

Arbeitstagung für die Seeschiffswerften

06.–07.04.1959

Hamburg

92

* Eigene Kalkulation anhand von Teilnehmerlisten

und Delegierten, während die administrativen Abläufe beim Bezirk in Hamburg blieben. Da Informationen über die wirtschaftliche Lage die Grundlage jeglichen politischen und strategischen Handelns bedeuteten, legte die IG Metall in der Anfangszeit darauf ihr Hauptaugenmerk. Doch das Sammeln von Wissen war mit einigen Hürden verbunden. Dafür mussten Betriebsräte angeschrieben und zur Situation ihres Unternehmens befragt werden. Der dafür verantwortliche IG Metall-Bezirksleiter Heinrich Bohnsack beklagte 1950 die geringe Rücklaufquote dieser Befragungen. Um das Informationsdefizit zu beheben, sollten die vor Ort tätigen Verwaltungsstellen behilflich sein und monatlich einen Bericht an die Bezirksleitung schicken.17 Darüber hinaus lud die IG Metall Wirtschaftsexperten ein, um die Betriebsräte und Gewerkschafter über die wirtschaftliche Lage des Sektors insgesamt zu informieren. So nahm 1959 beispielsweise der Hamburger Wirtschaftssenator Professor 17 Protokoll des Ausschusses für Werft und Schiffbau der IGM vom 31.01.50, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109a.

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Karl Schiller, der Ende der 1960er Jahre mit seinem Wirtschaftsprogramm noch eine bedeutende Rolle für die Bundesrepublik spielen sollte, an einem Treffen teil.18 In den frühen 1950er Jahren ging es bei den Treffen vor allem darum, die Anwesenden auf ihre Aufgabe in den Wirtschaftsausschüssen vorzubereiten. Während einer Rede 1953 betonte Bezirksleiter Bohnsack, dass es wichtig sei, die Verantwortung zu übernehmen, sonst würden die Mitbestimmungsforderungen nichts nützen. Er bat die Kollegen deshalb um entsprechende Mitarbeit: »Wir müssen auch bereit sein, Mitverantwortung zu tragen. Wir müssen die Wirtschaft kennen, wenn wir sie beeinflussen wollen.«19 Diese Sätze standen im engen Zusammenhang mit dem gerade beschlossenen Betriebsverfassungsgesetz. Bohnsack war klar, dass die Betriebsräte in den entsprechenden Ausschüssen nur ernst genommen werden würden, wenn sie mit dem nötigen Wissen ausgestattet waren. Und nur so ließen sich auch Forderungen durchsetzen: Wir haben den Anteil zu fordern, den wir erarbeitet haben und diese Aufgabe, die wir als Gewerkschaften tagtäglich unter Beweis stellen müssen, nimmt uns keiner ab. Wenn wir in diesem Sinne unsere Tätigkeit betrachten, dann glaube ich, arbeiten wir nicht nur im Interesse unserer Arbeitskollegen, sondern im Interesse der gesamten Nation und darüber hinaus im Interesse der gesamten Völker.20 Als nach langer Pause 1959 wieder eine Konferenz stattfand, kritisierte ein Delegierter, dass die Treffen zu selten und wenn, dann nur in Krisenzeiten stattfinden würden.21 Ein anderer stimmte zu und schlug die Bildung eines Arbeitskreises vor: 18 Schiller wurde 1966 Bundeswirtschaftsminister und führte die Globalsteuerung und Konzertierte Aktion ein. 19 Protokoll der Konferenz des Werft- und Schiffbauausschusses der IG Metall, Bezirksleitung Hamburg am 25.02.1953, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1950–1953, AdsD 5/IGMA07112. 20 Protokoll der Konferenz des Werft- und Schiffbauausschusses der IG Metall, Bezirksleitung Hamburg am 25.02.1953, in: ebd. 21 Protokoll, 4. Arbeitstagung für die Seeschiffswerften, 6. und 7. April 1959, Hamburg, in gedruckter Form, in: IGM, Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109b.

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Ich glaube, es dürfte zweckmäßig sein, wenn endlich ein Gremium geschaffen würde, das uns die Möglichkeit gibt, Erfahrungen auszutauschen und zu koordinieren, festzustellen, was in anderen Ländern anliegt, um nicht darauf warten zu müssen […], daß vielleicht nach drei oder vier Jahren wieder einmal eine Konferenz der Seeschiffswerften stattfindet. Wir brauchen einen Ausschuß, […] der uns die Möglichkeit gibt, auch über die internationale Situation unterrichtet zu werden.22 Diese Forderungen schienen allen plausibel und so wurde am Ende der Tagung beschlossen, einen Antrag zur Einrichtung eines Arbeitsausschusses für Seeschiffswerften an den Vorstand zu stellen. Das anwesende Vorstandsmitglied Heinz Partikel machte gleich konkretere Vorschläge: Der Ausschuss sollte etwa elf Personen umfassen  – sechs ehrenamtliche, fünf hauptamtliche – und einen ständigen Kreis von Verantwortlichen bilden, die sich regelmäßig mit dem Schiffbau beschäftigten.23 Die IG Metall war zu Beginn der 1950er Jahre stark mit der Herausbildung und Konsolidierung ihrer Organisation beschäftigt. Zwar traten regelmäßig neue Mitglieder der Organisation bei, doch traten genauso viele auch wieder aus, sodass die Zahl einige Jahre bei etwa 1,4 Millionen Mitgliedern stagnierte.24 Das machte sich auch auf den Ausschusstreffen zur Schiffbauindustrie bemerkbar. Die hauptamtlichen Gewerkschaftssekretäre forderten ihre Kollegen aus den Betrieben auf, weitere Mitglieder zu werben und die bereits eingetretenen Mitglieder auf ihre Beitragsverpflichtungen aufmerksam zu machen. Auf dem Treffen im Januar 1950 äußerte der Bezirksleiter Heinrich Bohnsack: Es ist Aufgabe aller Funktionäre dafür zu sorgen, dass der Beitragswert gesteigert wird. Jeder soll selbst an sich arbeiten und versuchen, die Kol­ legen an ihre Pflicht zu erinnern, dadurch reihen wir Baustein an Baustein, damit wir unsere Organisation so gestalten können, wie wir es wünschen.25

22 Ebd. 23 Ebd. 24 Schönhoven, Einleitung, S. XIX . 25 Protokoll des Ausschusses für Werft und Schiffbau der IGM vom 31.01.50, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1950–1953, AdsD 5/ IGMA07112.

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Die Gewerkschafter erklärten sich die Ursache der fluktuierenden Mitgliederzahlen damit, dass die Arbeiter ihr Vertrauen eng an die Betriebsvertretung knüpften und eine Bindung an die übergeordnete Gewerkschaftsvertretung schwer fiel. Um das Mitgliederproblem zumindest kontrollieren zu können, wurden auf Tagungen die Gewerkschaftsbücher überprüft.26 Als besonders schwierig stellte sich die Besetzung von Ämtern heraus. Ein Redner monierte, bei Wahlen zu Vertreterversammlungen würden nicht genügend Kollegen kommen, um alle Funktionen besetzen zu können. Es sei immer noch schwierig, »Dumme zu finden«, die ein Amt in der Verwaltungsstelle übernehmen würden.27 Ein anderer meinte, dass das Ideal der gewerkschaftlichen Organisierung zwar die Solidarität sei – und damit meinte er vermutlich auch die Übernahme von Verantwortung –, für die Kollegen letztlich aber zähle, dass es materielle Fortschritte gebe.28 Ein weiterer ergänzte, die Mitglieder würden ein Optimum an Leistungen von den Gewerkschaften verlangen, aber nur ein Minimum an persönlichem Aufwand leisten wollen.29 Die enge Bindung der Arbeiter an die Betriebe und die relative Autonomie von betrieblichen Interessenvertretern zeigte sich auch an anderen Stellen. So hatte der Betriebsrat der Deutschen Werft in Hamburg in eigener Initiative gegen Aufträge ausländischer Reeder protestiert und über einen »Leipziger Sender« ein Protestschreiben verlesen lassen. Als Wilhelm Petersen, Vorstandsmitglied der IG Metall, dieses Ereignis auf einem Treffen schilderte, ließ er nicht unerwähnt, dass er es als problematisch empfinde, dass der Betriebsrat eigenverantwortlich und nicht über den Werftausschuss oder den Vorstand gehandelt habe. Noch viel weitreichender war für ihn die inhaltliche Frage, denn seiner Meinung nach könne man sich Auslandsaufträgen nicht widersetzen, da die Bevölkerung auf diese angewiesen sei.30 26 In der Vorbesprechung für eine Konferenz im Schiffbau gab Vorstandsmitglied Peter­ sen die Anweisung, dass die Teilnehmer bei Einlass zur Konferenz auf ihre Mitgliedschaft kontrolliert werden sollten. Nur wenn sie ein Einladungsschreiben und ein ordentliches Mitgliedsbuch vorweisen konnten, sollten die Fahrgelder und Spesen zur Konferenz ausgezahlt werden, siehe Wilhelm Petersen: Brief an die Bezirksleitung Hamburg der IG Metall, 11.08.55, in: IGM, Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109b. 27 Protokoll, 4. Arbeitstagung für die Seeschiffswerften, 6. und 7. April 1959, Hamburg, in gedruckter Form, in: ebd. 28 Helmut Jolks, ebd. 29 Willi Wiese, ebd. 30 Wilhelm Petersen: Aktennotiz: Zum Werft- und Schiffbau-Ausschuss, 31. Januar 1950, 03.02.50, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferen-

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Dass Petersen hier in besonderer Weise für die Verantwortung des Vorstandes plädierte, lag an der bereits geschilderten langwierigen Etablierung der IG Metall als Interessenvertreter auf überbetrieblicher Ebene, bei der man auch die Entscheidungshoheit über inhaltliche Fragen für sich zu beanspruchen versuchte. Die Gewerkschafter der IG Metall kämpften nicht nur um die Anerkennung innerhalb der eigenen Organisation, sondern auch um die Wahrnehmung bei den Regierungsverantwortlichen und politischen Entscheidungsträgern. Dafür gab es zwei Strategien: Erstens luden sie verantwortliche Regierungsvertreter ein, um das Thema Schiffbauindustrie mit ihnen zu diskutieren, was ihnen in Bezug auf die hohe Beteiligung auf den Ausschusstagungen auch gelang. Die Minister oder deren Referenten aus den Wirtschaftsministerien der Küstenländer und sozialdemokratische Politiker aus den Landtagen beteiligten sich mit Redebeiträgen und nahmen an der Diskussion teil. Zweitens versuchte die IG Metall, zu wichtigen Entscheidungen und Diskussionsrunden mit Arbeitgebern eingeladen zu werden. Diese Strategie hatte allerdings nur mäßigen Erfolg. Der Gewerkschafter Rudolf Saalfeld aus Hamburg kritisierte auf dem Ausschusstreffen im Mai 1950, dass bei der Etablierung eines Seeverkehrsbeirates im Bundesverkehrsministerium bisher nur der Verband der Reeder und Schiffswerften konsultiert worden sei und die Gewerkschafter außen vorgelassen würden. Saalfeld forderte – in Anwesenheit der Vertreter und Referenten der Landesregierungen –, in die Verhandlungen einbezogen zu werden, da es sich um den Umgang mit öffentlichen Mitteln handele und Gewerkschaften hier ein Mitspracherecht hätten.31 Seine Sorge war, dass der Einfluss von einigen Reedern zugunsten bestimmter Standorte ausfallen könne und damit mittlere und kleinere Werften nicht bedacht würden. Karl Schiller, Vertreter des Hamburger Senats, entgegnete Saalfeld: Ja, der Einfluss des Reeder-Verbandes sei groß, aber nicht dahingehend, dass sie entschieden, wo Schiffe gebaut würden. Der Hamburger Patriotismus der Reeder spiele keine Rolle.32 Da er nicht verstand, worum es den Gewerkschaftern in dieser Angelegenheit ging, brachte IG Metall-Vorstand Wilhelm Petersen die zen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1950–1953, AdsD 5/IGMA07112. 31 Protokoll der 3. Konferenz des Werft- und Schiffbauausschusses der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland, Bezirksleitung Hamburg, am 11.5.1950, in: ebd. 32 Ebd.

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Forderung von Saalfeld noch einmal auf den Punkt: Dem Wirtschaftsministerium müsse klargemacht werden, wie der Begriff Demokratie anzuwenden sei. Es gehe hierbei um die Mitsprache und Entscheidungsgewalt der Gewerkschaften auf Regierungsebene.33 Auf diese Diskussion aufbauend verabschiedeten die Metallgewerkschafter eine Resolution, in der festgehalten wurde, dass sie bei der Beratung der Verteilung von Schiffbauaufträgen über das Bundesverkehrsministerium als gleichberechtigte Partner hinzugezogen werden wollten und die Bildung eines Seeverkehrsbeirates im Bundesverkehrsministerium befürworteten, der sich mit Fragen des Wiederaufbaus der deutschen Handelsschifffahrt und deren Finanzierung beschäftigen sollte.34 Damit hatten sie Erfolg. Auf der nächsten Sitzung im Dezember 1950 konnte von zwei Sitzungen des Beirates berichtet werden, zu denen die Gewerkschafter eingeladen worden waren.35

3.1.3 Wiederaufbau des Schiffbausektors bis zur ersten Krise Der Schiffbau in der Bundesrepublik lief nach dem Zweiten Weltkrieg mit einiger Verzögerung an, da den Werften bis Anfang der 1950er Jahre der Neubau von Schiffen durch die Alliierten untersagt wurde. Die Gewerkschafter wurden angesichts der Beschäftigungsprobleme allerdings unruhig. Sie forderten auf dem Werftausschusstreffen im Januar 1950, die Beschränkungen aufzuheben, um auf die Wünsche ausländischer Reeder reagieren zu können.36 Als sich die Situation bis zum Ende des Jahres nicht wesentlich verbesserte, wiederholten sie ihre Forderungen und verlangten von den Alliierten, die Bundesrepublik als Verhandlungspartner mit eigenen Entscheidungen zu respektieren. Sie fanden darin Unterstützung von Regierungsvertretern, insbesondere wenn es sich – wie im Fall von Hamburg – um Sozialdemokraten handelte. Die Hamburger Behörde für Wirtschaft und Verkehr schickte regelmäßig Vertreter zu den Treffen in der Bezirksleitung der IG Metall. 33 Ebd. 34 Protokoll der 3. Konferenz des Werft- und Schiffbauausschusses der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland, Bezirksleitung Hamburg, am 11.5.1950, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, ­1950–1953, AdsD 5/IGMA07112. 35 Protokoll zur Konferenz des Werft- und Schiffbau-Ausschusses am 7. Dezember 1950, in: ebd. 36 Protokoll des Ausschusses für Werft und Schiffbau der IGM vom 31.01.50, in: ebd.

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SPD -Politiker wie Gewerkschafter waren sich einig, dass nur durch Aufhebung jeglicher Beschränkungen die Wirtschaft wieder einen Aufschwung erleben könne und die Bundesregierung die richtigen Worte finden müsse, um die Küstenländer und Hansestädte entsprechend zu vertreten.37 Die Beschäftigungssituation entspannte sich im Laufe des Jahres 1950, wobei vor allem die Großwerften von der steigenden Nachfrage profitierten, während mittlere und kleinere Unternehmen nach wie vor mit Auftragsproblemen zu kämpfen hatten. Als Bezirksleiter Bohnsack auf dem Ausschusstreffen im Mai 1950 von Fortschritten in der Beschäftigungssituation sprach, widersprach ihm ein Kollege aus Flensburg. Er berichtete von der desolaten Situation in seiner Stadt und beschwerte sich über die Konkurrenz der Howaldtswerke, die kurzfristige Termine setzen würden, bei denen andere Werften nicht mithalten könnten.38 Um dieser regionalen Konkurrenz entgegenzuwirken, schlug IG Metall-Vorstandsmitglied Emil Willumeit vor, diese Konflikte über den Seeverkehrsbeirat im Bundesverkehrsministerium zu regeln. Um die Konkurrenz zwischen westdeutschen Werftarbeitern verringern zu können, sei es wichtig, dass die Betriebsräte auf Werften mit hohen Aufträgen die Überstunden kontrollierten oder wenn möglich sogar vermieden.39 Der Ausbruch des Korea-Krieges 1950 erhöhte in der Bundesrepublik die ausländische Nachfrage nach Gütern und Rohstoffen, was sich positiv auf die Schiffbauindustrie auswirkte. Allerdings hielt der Aufschwung nur für kurze Zeit, denn durch stagnierende Steinkohleförderung kam es zu Produktionsengpässen in der Eisen- und Stahlindustrie. Das machte sich wiederum in der Schiffbauindustrie bemerkbar, die nicht in der erforderlichen Schnelligkeit auf Material zugreifen konnte. Beim Werftausschuss war aufgrund des Materialengpasses im Oktober 1951 sogar von einer »Katastrophe im Schiffbau« die Rede. Der Rückstand der Materialbestellungen sei immens und Werften müssten entscheiden, ob sie Arbeiter entließen, hieß es.40 Deshalb wandte 37 Protokoll zur Konferenz des Werft- und Schiffbau-Ausschusses am 7. Dezember 1950, in: ebd. 38 Protokoll der 3. Konferenz des Werft- und Schiffbauausschusses der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland, Bezirksleitung Hamburg, am 11.5.1950, in: ebd. 39 Ebd. 40 Protokoll der Konferenz des Werft- und Schiffbauausschusses der IGM am 16.10.51, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1950–1953, AdsD 5/IGMA07112.

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sich der Werftausschuss mit einer Resolution an die Bundesregierung: Die Verhältnisse auf den Werften hätten sich in einem gefährlichen Ausmaß verschlechtert, was die Folge einer völlig verfehlten Wirtschaftspolitik sei. Die katastrophale Materialversorgung erfordere nachhaltige wirtschaftspolitische Maßnahmen, Planung und Lenkung.41 Während der Diskussion zur Resolution hatten einige Gewerkschafter sogar verlangt, dass die Wirtschaftspolitik Adenauers noch direkter angegriffen werden müsse. Es sollte ein Telegramm an die Bundesregierung geschickt werden, in dem gedroht werde, dass es zu »schweren Erschütterungen« kommen könne.42 Tatsächlich änderte sich die Situation für die Schiffbauindustrie im darauffolgenden Jahr maßgeblich. Als die Delegierten im Februar 1953 wieder im Werftausschuss zusammenkamen, meldete ein Vertreter der CDU-regier­ ten Landesregierung Schleswig-Holsteins, dass 1952 ein »stolzes Jahr« des Schiffbaus gewesen sei. Durch die steigende Produktion sei die Beschäftigung auf den Werften gestiegen. Er pries den Anstieg des Exports auf 53 Prozent und hielt die Werften dazu an, sich für den ausländischen Markt durch Unterbietung und Rationalisierung attraktiver zu machen: Rationalisierung heißt eine Überprüfung der Organisation, heißt Modernisierung, heißt eine Verbesserung, eine Veränderung der Ausstattung oder auch Schaffung neuer, moderner Docks. Eine Rationalisierung muss schnellstens durchgeführt werden, um gegenüber den übrigen Ländern bestehen zu können und wettbewerbsfähig zu sein und um ausländische Aufträge für uns hereinnehmen zu können.43 Es bedürfe seiner Ansicht nach einer Finanzierung, die – ähnlich wie im Ausland – Steuervergünstigungen, direkte Zuschüsse und Kredite ermögliche. Das Wiederaufbaudarlehen sei in dieser Hinsicht eine richtige Entscheidung gewesen.44

41 Entschließung zur Konferenz des Werft- und Schiffbauausschusses der IGM am 16.10.51, in: ebd. 42 Protokoll der Konferenz des Werft- und Schiffbauausschusses der IGM am 16.10.51, in: ebd. 43 Protokoll der Konferenz des Werft- und Schiffbauausschusses der IG Metall, Bezirksleitung Hamburg am 25.02.1953, in: ebd. 44 Im September 1950 verabschiedete die Bundesregierung ein »Gesetz über Darlehen zum Bau und Erwerb von Handelsschiffen«, das die Reeder beim Neubau von Schiffen mit vierzig Prozent Darlehen unterstützte, siehe Albert, S. 82.

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Schon zu dieser Zeit kam das Gespräch über staatliche Hilfen auf, dem sich die Gewerkschafter zunächst nicht verschlossen. Gewerkschafter Karl Deibicht aus Hamburg meinte, dass man sich Gedanken machen müsse, ob man nicht noch einmal bezüglich staatlicher Hilfen an die Bundesregierung herantreten wolle und er fand einige Unterstützung. Ein Kollege meinte, gerade kleinere Werften seien bei der Kreditbewilligung und Materialbeschaffung nicht bedacht worden. Eine anderer sagte, die Bundesregierung habe die Gelder fehlgeleitet und die Grundstoffindustrien vernachlässigt. Es bräuchte eine Erneuerung der Küstenflotte und ein entsprechendes Finanzierungsprogramm.45 Ein Jahr später, 1954, war die Bedeutung des Exports im Schiffbau nicht mehr von der Hand zu weisen. Er lag laut IG Metall-Vorstandsmitglied Hans Ils bei sechzig Prozent. Die Situation für die Werftarbeiter hatte sich verbessert. Ils sprach von 74.000 Menschen, die auf westdeutschen Werften arbeiteten und Überstunden von vier bis fünf Stunden pro Woche leisteten.46 Hier setzte aber auch seine Kritik an: Da man nicht wisse, wie sich die ausländische Nachfrage entwickeln würde, sei es verantwortungslos, weiterhin auf Überstunden zu setzen. Mit einer Arbeitswoche von über 48 Stunden verhalte man sich antigewerkschaftlich: Die Gewerkschaft kämpft um die 40-Stundenwoche mit vollem Lohnausgleich […]. Wer heute länger als 48 Stunden wöchentlich arbeitet, der fällt den Gewerkschaften in den Rücken und liefert den Unternehmern billige Argumente. […] Wenn unser Zusammenschluß einen Sinn haben soll, müssen wir das, was wir für notwendig erachten, in die Praxis umsetzen. Wir sind organisiert, um nicht wie Arbeitstiere zu leben, sondern wie Menschen. Mensch sein heißt genügend Freizeit besitzen. […] Was er heute an 45 Protokoll der Konferenz des Werft- und Schiffbauausschusses der IG Metall, Bezirksleitung Hamburg am 25.02.1953, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1950–1953, AdsD 5/IGMA07112. 46 Protokoll der Schiffbau-Konferenz der IG Metall für die Bundesrepublik Deutschland in Hamburg, 9. April 1954, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109b. Die hier angegebene Zahl der Beschäftigten unterschied sich von der des Verbandes der Deutschen Schiffswerften. Hiernach gab es 1954 83.264 Beschäftigte in der deutschen Schiffbauindustrie. Ich kann allerdings nicht nachvollziehen, ob der Verband hier möglicherweise auch Beschäftige der Zulieferindustrie einbezog, siehe Verband Deutscher Schiffswerften nach Albert, S. 355, 372.

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Überstunden verdient, das setzt er totsicher später als Arbeitsloser wieder zu, denn der Bedarf an Schiffen ist nicht mehr so groß, daß man über Jahre hinweg täglich 10 Stunden arbeiten kann.47 Interessant ist, dass Ils den Vorschlag einer 40-Stunden-Woche bereits im April 1954 aufstellte und damit eine Forderung aussprach, die Otto Brenner erst im Laufe des selben Jahres zum neuen Aktionsprogramm der IG Metall erklärte. Das zeigt, dass Brenner diese Gedanken nicht allein entwickelte, sondern dass es eine vom Vorstand getragene Idee war, die an verschiedenen Stellen diskutiert und weiterentwickelt wurde.48 Die zweite Beobachtung aus dieser Aussage ist: Ils war der Meinung, dass ein Werftarbeiter, der Überstunden leiste, nicht im Interesse der Arbeiter handle. Er versuchte zu überzeugen, indem er sagte, dass sich diese Haltung langfristig auch gegen den Werftarbeiter mit Überstunden richten würde, denn zu viel geleistete Arbeit von wenigen führe letztlich zur Arbeitslosigkeit. Das war eine für diese Zeit sehr vorausschauende Überlegung. Ils erkannte auch, dass einer steigenden Produktivität bald keine Nachfrage mehr gegenüberstehen würde. Er zog daraus die Schlussfolgerung, dass man die Produktion auf einigen Werften zusammenfassen müsse. Er meinte, dass nicht etwas künstlich am Leben erhalten werden solle, was volkswirtschaftlich nicht erforderlich sei. Damit bezog er sich auch auf die staatlichen Hilfen, die sich seiner Ansicht nach nur auf die besten Werften zum Ausbau neuer technischer Methoden konzentrieren dürften. »Wenn man nämlich alles von der Hilfe des Staates erwartet, dann wird man eines Tages ohne die 47 Protokoll der Schiffbau-Konferenz der IG Metall für die Bundesrepublik Deutschland in Hamburg, 9. April 1954, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109b. 48 Ziele dieses Aktionsprogrammes waren neben der Vierzigstundenwoche, die eine Fünftagewoche bei vollem Lohnausgleich beinhaltete, eine aktive Lohnpolitik zum Anstieg des Lebensstandards und die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Otto Brenner spezifizierte diese Forderungen auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall im September 1954 in Hannover, die schließlich auch vom DGB übernommen und in einer Programmkommission weiterentwickelt wurden. Die IG Metall versuchte in den folgenden Jahren, das Programm in die Realität umzusetzen. Sie begann 1956 mit einer Initiative zur Arbeitszeitverkürzung mit Lohnerhöhung und Überstundenbezahlung und trat im Mai desselben Jahres in Verhandlungen mit dem Arbeitgeberverband. Nach einem recht kurzen Verhandlungszeitraum konnte im Juni 1956 in Bremen ein Kompromiss gefunden werden, der die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 45 Stunden bei vollem Lohnausgleich festlegte, Becker u. Jentsch, S. 137 ff.

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Hilfe des Staates nicht mehr lebensfähig sein und das bedeutet im Grunde nichts anderes, als daß man sich auf Kosten des Steuerzahlers bereichert.«49 Waren hier die Einflüsse der internationalen Kollegen aus dem IMB, die die westdeutschen Gewerkschafter in Hamburg 1951 besucht hatten, zu erkennen? IMB -Schiffbaupräsident Arne Geijer hatte davor gewarnt, die Industrie auf Subventionen aufzubauen und stattdessen die Produktion effizient und auf wenige Betriebe zu konzentrieren. Seit 1956 expandierte die westdeutsche Schiffbauindustrie durch die Schließung des Suez-Kanals und dem wachsenden Ölhandel. Davon konnten allerdings häufig nur die Großwerften profitieren. Viele kleinere Werften waren in ihrer Existenz bedroht. Die Gewerkschafter forderten auf einer Arbeitstagung im April 1959, dem spekulativen Markt der Reeder durch langfristige Programme zu entkommen. Karl Deibicht, der mittlerweile von Hamburg in den Vorstand der IG Metall gewechselt war, forderte, den Schwankungen des Welthandels, den Preisspekulationen und »Psychosen« eine Ende zu setzen.50 Er prognostizierte für die kommenden Jahrzehnte durch den Anstieg der Weltbevölkerung, der Ölverschiffung, dem wachsenden Warenaustausch und den Wirtschaftszusammenschlüssen zwar eine steigende Nachfrage, sie sei aber nur mit einem entsprechenden Aktionsprogramm zu bewältigen. Die Anhänger der freien Wirtschaft können gerade am Beispiel der Werftindustrie sehr klar erkennen, daß ein echtes organisches Zusammenspiel unserer gesamten nationalen Wirtschaft eben nicht über die Zufälligkeit unternehmerischer Initiative zu erreichen ist, sondern einer weit vorausschauenden Planung bedarf.51 Auch das Thema Rationalisierung wurde in dieser frühen Zeit von den Gewerkschaftern aufgegriffen und deren Bedeutung und Folgen für die Arbeiter eruiert. Den Gewerkschaftern war bewusst, dass durch die Modernisierung der Produktionsanlagen und der Umstellung auf neuere Technologien bald weniger Arbeitskräfte benötigt würden. Es hieß schon in den 1950er Jahren, 49 Protokoll der Schiffbau-Konferenz der IG Metall für die Bundesrepublik Deutschland in Hamburg, 9. April 1954, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109b. 50 Protokoll, 4. Arbeitstagung für die Seeschiffswerften, 6. und 7. April 1959, Hamburg, in gedruckter Form, in: ebd. 51 Ebd.

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auf diese Veränderungen könne momentan durch natürliche Abgänge reagiert werden, aber Massenentlassungen würden folgen.52 Nicht alle Anwesenden waren mit der Idee einverstanden, die Produktion auf wenige Großwerften zu konzentrieren. Ein Delegierter meinte, die Werftarbeiter kleinerer und mittlerer Betriebe würden es nicht begreifen, wenn die Gewerkschaften sich nicht für sie einsetzten.53 Deibicht entgegnete, der Vorstand würde selbstverständlich wissen, dass die Kollegen in kleineren und mittleren Schiffbaubetrieben nicht schlechter seien als Kollegen im Großschiffbau, aber die Probleme des Schiffbaus können nun einmal nicht aus der Perspektive des einzelnen Betriebs gesehen werden. Wenn wir hier Betrachtungen anstellen, um daraus Schlüsse zu ziehen, dann müssen wir uns von der Gesamtsituation leiten lassen, wenn wir ernstgenommen werden wollen. Wir können nicht daran vorbeigehen, daß in diesem Wettkampf um die modernste Form der Produktion ein ständiger Ausscheidungsprozeß vor sich geht. Uns ist es ja letztlich gleich, wo der Werftarbeiter tätig ist […]. Uns drücken die Sorgen um den Verlust des Arbeitsplatzes an sich. Deshalb fordern wir für die Menschen, die morgen vielleicht nicht mehr im Schiffbau ihre Existenzgrundlage finden, Möglichkeiten zu ihrer Überführung in andere Tätigkeiten, und deshalb sind wir der Ansicht, daß für jene Betriebe, die dem Konkurrenzkampf im Schiffbau nicht mehr standhalten können, andere Produktionsmöglichkeiten gefunden werden müssen.54 Diese Argumente waren – angesichts der Zeit, in der sie formuliert wurden – erstaunlich vorausschauend. Die Gewerkschaftssekretäre sahen es als ihre Aufgabe, die gesamte Entwicklung im Blick zu behalten und zu Kompromissen im Sinne aller bereit zu sein. Gleichzeitig ging es darum, von den anderen Verhandlungspartnern ernst genommen zu werden. Überzeugen konnten sie damit aber vor allem die betroffenen Mitglieder nicht. Der Delegierte einer kleineren Werft fragte kritisch: 52 Ebd. 53 Ebd. 54 Protokoll, 4. Arbeitstagung für die Seeschiffswerften, 6. und 7. April 1959, Hamburg, in gedruckter Form, in: IGM, Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109b.

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Dann möchte ich noch die Frage stellen, wie man die frei werdenden Arbeitskräfte unterbringen will. Wo sind die Arbeitsplätze für sie? Ich sehe wohl ein, daß wir die Entwicklung nicht aufhalten können, aber wie stellt man sich die Ansiedlung anderer Industrien vor, um die freigesetzten Arbeitskräfte wieder in Lohn und Brot zu bringen?55 Diese Frage hatte durchaus ihre Berechtigung und wies auf eine Problematik hin, die fast dreißig Jahre später eine ungeheure Brisanz bekommen sollte. Doch niemand ging darauf ein. Stattdessen bat man die Kollegen, Verständnis aufzubringen und in den Betrieben für die Bereitschaft zur Mithilfe der anstehenden Aufgaben zu sorgen. Man sei sich bewusst, dass zum Problem der Klein- und Mittelschiffswerften harte Worte gesprochen worden seien, aus denen ein Teil der Kollegen Fehlschlüsse ziehen könne. Deshalb habe jeder Funktionär die wichtige Aufgabe, Verständnis für die Haltung der Organisation in die Betriebe zu tragen.56 Die Delegierten gingen am Ende der Tagung mit einer Resolution an die Öffentlichkeit57 und leiteten die angesprochenen Punkte an die Landesregierungen weiter.58 Darin wurde die Forderung nach anpassungsfähigeren Finanzierungshilfen gestellt, um die Werften in »ungünstigeren Konjunkturzeiten in ihren Konkurrenzbedingungen nicht schlechter zu stellen«, wie es hieß.59 Sie forderten Kredite für Länder des globalen Südens  – die »wichtigste wirtschaftspolitische Aufgabe der Gegenwart«  –, um die Auftragslage westdeutscher Schiffbauer zu verbessern. Schließlich griffen sie auch die Problematik der kleineren und mittleren Werften auf und forderten von den Regierungen, sich mit betrieblichen Umstellungsmaßnahmen aus-

55 Ebd. 56 Karl Deibicht, ebd. 57 In der gedruckten Fassung des Protokolls zur Tagung gibt es einige Pressemitteilungen, darunter vom Westdeutschen Rundfunk, vom Hamburger Echo, von Die Welt, der Frankfurter Allgemeinen und dem Industriekurier, siehe 4. Arbeitstagung für die Seeschiffswerften, 6. und 7. April 1959, Hamburg, in gedruckter Form, in: ebd. 58 Wie in der gedruckten Fassung des Protokolls festgehalten, schickte man die Forderungen an die Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen und Schleswig-Holstein, den Senatspräsidenten der Freien und Hansestadt Bremen sowie den Senatspräsidenten der Freien Hansestadt Hamburg. 59 Erklärung zur 4. Arbeitstagung für die Seeschiffswerften, 6. und 7. April 1959, Hamburg, in gedruckter Form, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109b

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einanderzusetzen und Vorsorge zu betreiben, um Arbeitern die negativen sozialen Folgen zu ersparen.60 Die Resonanz aus den Landesregierungen war überwiegend positiv. Natürlich war das Thema an der Politik nicht vorbeigegangen. Der Hamburger Senatspräsident Max Brauer schrieb in einem Brief an Karl Deibicht im Juni 1959, er habe des Schreiben mit großen Interesse gelesen und würde den Argumenten und Maßnahmen vollkommen zustimmen. Die Landesregierung sei bereits seit einiger Zeit aktiv: Man habe beim Bundeswirtschaftsministerium beispielsweise die Verbesserung der staatlichen Ausfuhrgarantien gefordert. Bei einer Besprechung habe das Bundeswirtschaftsministerium eine »gewisse Bereitschaft« gezeigt, doch bei den Verhandlungen in den Bonner Ministerien sei es noch zu keiner Umsetzung gekommen.61

3.1.4 Politische Auseinandersetzungen Eine wesentliche Herausforderung zu Beginn der 1950er Jahre in der IG Metall war der Konflikt zwischen sozialdemokratischen und kommunistischen Gewerkschaftern. Kommunistische Gewerkschafter waren in den gewerkschaftlichen Leitungsgremien zwar von Anfang an unterrepräsentiert, hatten aber bis zu ihrem Verbot auf den Werften eine nicht unwesentliche Bedeutung. Die Auseinandersetzungen spiegelten sich auch im Werft- und Schiffbauausschuss wider. Der Ruf der Hamburger Werften, in engem Kontakt mit der KPD zu stehen, führte im Sommer 1951 zu der Diskussion, ob man sich der »KP-Leute« nicht entledigen könne. Da die Bezirksleitung in Hamburg der Auffassung war, dass die Schiffbaufragen mit »diesen Leuten« nicht mehr besprochen werden könnten, wurde die Verwaltungsstelle gebeten, neue Mitglieder zu benennen. Dem Bezirk war über die Hamburger Presse bekannt geworden, dass der bevollmächtigte Geschäftsführer der Verwaltungsstelle Hamburg, Rudolf Saalfeld, die Mitbestimmung auf den Großwerften gefordert hatte.62 Im Antwortschreiben des Vorstandsmitglieds Petersen an die 60 Ebd. 61 Max Brauer: An Karl Deibicht, Vorstand IGM , 8. Juni 1959, in: 4. Arbeitstagung für die Seeschiffswerften, 6. und 7. April 1959, Hamburg, in gedruckter Form, in: ebd. 62 Aus dem Schreiben wird allerdings nicht klar, warum man Saalfeld in diesem Kontext angriff, da er nicht der KPD angehörte, sondern vor seiner Position in der Gewerkschaft Kreis- und Landesdelegierter der SPD war und diese Nähe auch nach seiner Ernennung zum Bevollmächtigten für die IG Metall pflegte, siehe AvS.

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Bezirksleitung hieß es, der Vorstand wolle die Frage der Mitbestimmung in der Werftindustrie zwar energisch angehen, das Thema müsse aber mit Vorsicht angefasst werden und solle deshalb nicht in der Öffentlichkeit verhandelt werden.63 Der Ausschluss kommunistischer Gewerkschafter hatte noch bis in die späten 1950er Jahre Folgen für die gewerkschaftliche Organisierung. Laut der Aussage eines Delegierten aus Hamburg konnten die »geistig regen« und in der Geschichte der Arbeiterbewegung bewanderten Gewerkschafter der KPD nicht so leicht ersetzt werden, denn es sei schwer, neue Gewerkschafter zu finden und entsprechend auszubilden.64 Was mit keinem Wort auf den Werftausschusstreffen erwähnt wurde, waren die Streiks. Als im April 1953 der sechswöchige Streik auf dem Bremer Vulkan ausbrach, wurde kein Werftausschuss einberufen, um die Lage zu diskutieren und sich mit Betriebsräten, Vertrauensleuten und Bevollmächtigten abzustimmen. Das verdeutlicht, dass der Werftausschuss kein Gremium darstellte, das auf akute Situationen reagierte. Erstaunlich ist, dass der Streik auch auf dem nächsten Treffen im Dezember 1953 nicht zur Sprache kam.65 Erst auf der großen Arbeitstagung 1959 ging der Hamburger Bezirksleiter Heinz Ruhnau im Rückblick auf die Streiks in Bremen 1953 und 1956/57 in Schleswig-Holstein ein und rühmte sie als historische Kämpfe der Werftarbeiter. Die zunehmende Distanz gegenüber kommunistischen Gewerkschaftern hatte nicht zur Folge, dass man der Wirtschaftspolitik von Bundeskanzler Konrad Adenauer und Wirtschaftsminister Ludwig Erhard einhellig zustimmte.66 In den 1950er Jahren verhielten sich viele IG Metall-Gewerk63 Wilhelm Petersen: Brief an die Bezirksleitung Hamburg, 12.07.51, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätig­ keiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1950–1953, AdsD 5/IGMA 07112. 64 Protokoll, 4. Arbeitstagung für die Seeschiffswerften, 6. und 7. April 1959, Hamburg, in gedruckter Form, in: IGM, Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109b. 65 Die Tagesordnung war auf das Thema Akkordverrechnungen ausgerichtet. Das sehr kurz gehaltene Ergebnisprotokoll gibt keinen Einblick in darüber hinausreichenden Diskussionen, Protokoll der Werftkonferenz vom 22. Dezember 1953 in Hamburg, Thema: Akkordverrechnung auf den Werften, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1950–1953, AdsD 5/IGMA07112. 66 Sie stimmte darin mit dem DGB überein, der auf seinem Gründungskongress 1949 die Demokratisierung der Wirtschaft und ein Programm der ökonomischen Planung und Sicherung der Vollbeschäftigung verlangt hatte, das für einen gerechten Lastenausgleich und für die Sozialisierung der Großwirtschaft sorgen sollte, Roesler, S. 60.

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schafter noch kritisch gegenüber der eingeschlagenen Politik. Diskussionen darüber wurden auch auf den Schiffbautagungen geführt. Das System müsse als Ganzes verändert werden um die Probleme in den Griff zu kriegen, hieß es 1959. Ein Bevollmächtigter der Verwaltungsstelle Bremerhaven sagte: [Es] scheint […] mir, als ob wir versuchen an einem Kranken herumzu­ kurieren, und zwar an der kapitalistischen Wirtschaft, um sie am Leben zu erhalten, während wir doch nicht genau wissen, wie wir es machen sollen. Es dürfte wohl jedem klar sein, daß in dieser Gesellschaftsordnung, […] Krisen und Schwankungen immer unvermeidbar sein werden. Was wir aber nicht als unvermeidbar hinnehmen dürfen, ist, daß unsere Kollegen dabei auf der Straße bleiben. Und deswegen werden wir uns, ob wir wollen oder nicht, doch als Arzt betätigen müssen.67 Der neue Bezirksleiter Hamburgs, Heinz Ruhnau, zeigte sich auf der Tagung von 1959 besonders engagiert in der Frage, welche politische Aufgabe der Werftarbeiter in der Gesellschaft zu erfüllen habe. Seiner Meinung nach sei der Betrieb nur die Summe aller gesellschaftlichen Spannungsverhältnisse. Es gebe Menschen, so seine Worte, die behaupteten, es gebe keinen Klassenkampf und keine Klassengesellschaft mehr oder die Gegensätze würden sich von selbst aufheben, wenn man nicht mehr über sie spräche. Und wir haben festzustellen, daß große Teile der Öffentlichkeit, und manchmal auch einige unserer Freunde, sich bemühen, die Gegensätze zwischen den sozialen Schichten in der Gesellschaft zu vernebeln. Damit will man erreichen, daß die Menschen sich nicht mehr der Gegensätze bewußt sind, in denen sie leben; damit sie aus dem bewußten Erleben der Gegensätze nicht mehr die notwendigen Schlußfolgerungen ziehen, denn diese können nur darin bestehen, daß sich die arbeitenden Menschen zusammenschließen und in jeder Form dafür eintreten, bestehende Privilegien und Vorrechte abzubauen, damit die Gegensätze, wenn auch nicht ganz beseitigt, so zumindest doch gemildert werden.68

67 Protokoll, 4. Arbeitstagung für die Seeschiffswerften, 6. und 7. April 1959, Hamburg, in gedruckter Form, in: IGM, Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109b. 68 Ebd.

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Was die Werften zu einem besonderen Ort der Auseinandersetzung mache, fragte er weiter. Zunächst seien Werftarbeiter sehr gut gewerkschaftlich organisiert. Sie repräsentierten 35 Prozent der Arbeiter in der Metallindustrie. Auf den Werften finde eine Konzentration von Kapitalanhäufung statt, die Großwerften bestimmten die sozialen Bedingungen und seien Maßstab für alle anderen. Das habe sich in der Geschichte schon häufiger gezeigt, ob bei den Streiks vor oder nach 1945, wie beim Streik in Bremen 1953 und der Bewegung in Schleswig-Holstein 1956/57.69 Es sei wichtig, dass man hier die Führung übernehme, fügte er hinzu.70 Die Kommunisten würden Dank der Arbeit der sozialdemokratischen Betriebsgruppen zwar keine Rolle mehr spielen, man dürfe die Gefahr ihrer »Wühlarbeit« aber nicht unterschätzen: Es kommt darauf an, daß wir diese Auseinandersetzung nicht nur mit organisatorischen, mit Apparatmaßnahmen, sondern daß wir sie konstruktiv und offensiv führen. Wir müssen vor allem unser Möglichstes tun, um die sozialen Verhältnisse so zu gestalten, daß wir den Kommunisten keine Gelegenheit geben, eine große Rolle zu spielen. Denn sie haben doch immer nur dann eine Chance gehabt, wenn ihnen soziale Spannungen in den Betrieben Wind in die Segel gaben und wenn unsere Leute es nicht verstanden, selbst die Initiative zu ergreifen.71 Dieser Vortrag löste einige Kontroversen unter den Beteiligten aus. Ein Kollege der Howaldtswerke verstand die Beweggründe Ruhnaus, wieder von Proletariern zu sprechen, doch sei das Wort durch andere so stark in Misskredit gebracht worden, dass man seiner Meinung nach besser darauf verzichten sollte. Mit dem Verruf des Wortes durch gewisse »Cliquen« könne sich der vollkommen unvorbelastete Kollege degradiert fühlen, meinte er und schlug vor: Vielleicht würde es helfen, neue Begriffe zu finden, die dasselbe sagten, ohne die alten Schlagworte zu verwenden.72 69 Bei diesem Streik ging es um ein tariflich abgesichertes Urlaubsgeld und die Lohnfortzahlung der Arbeiter im Krankheitsfall. Er begann am 24. Oktober 1956 und endete am 15. Februar 1957 und gilt als einer der spektakulärsten Arbeitskonflikte der Bundesrepublik, siehe Becker u. Jentsch, S. 181 ff. 70 Protokoll, 4. Arbeitstagung für die Seeschiffswerften, 6. und 7. April 1959, Hamburg, in gedruckter Form, in: IGM, Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109b. 71 Ebd. 72 Ebd.

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Doch es gab auch Zustimmung. Ein Redner fand es erfreulich, dass ein jüngerer Kollege wie Ruhnau ganz offen wieder von Klassenkampf spreche. Solange dieser nicht beseitigt sei, sei es auch richtig, ihn beim Namen zu nennen, denn kein Mensch brauche sich zu schämen, Klassenkämpfer zu sein.73 Ruhnau reagierte am Ende der Tagung auf die Wortmeldungen. Er würde nicht davon ausgehen, dass die Menschen sich durch die Meinung anderer so leicht beeinflussen ließen und die Erkenntnisse der Geschichte nicht mehr begriffen. Es gehe darum, die Sprache der Menschen, mit denen man täglich zu tun habe, zu finden und sie so anzusprechen, dass sie es auch akzeptierten.74 Die Position Ruhnaus zum existierenden Wirtschaftssystem und seine Ansicht zur Rolle der Arbeiter ist angesichts der unter Sozialdemokraten und Gewerkschaften bereits damals geführten Diskussionen über eine Reform der eigenen Grundsätze hervorzuheben. Es zeigt, dass man in der IG Metall auch 1959 noch am Grundsatzprogramm festhielt und die Sozialisierung des Wirtschaftssystems und die Überführung der Industrie in Gemeineigentum immer noch befürwortete.75 Es verdeutlicht aber auch, dass man sich von den Kommunisten distanzieren und das Vokabular für sich beanspruchen wollte, mit dem Zweck, die Arbeiterschaft an sich zu binden. Dabei galt es, den Kontakt zur Belegschaft zu halten, ein Vorsatz, der in der weiteren Entwicklung allerdings an der praktischen Umsetzung scheiterte.

3.1.5 Die westdeutsche Schiffbauindustrie auf dem Weltmarkt Durch den Fokus auf die Exportgeschäfte war die westdeutsche Schiffbauindustrie von Anfang an abhängig vom Weltmarkt und der dort vorherrschenden Preise und Technologieinnovationen. Als Anfang der 1950er Jahre 73 Adolf Strade, Protokoll, 4. Arbeitstagung für die Seeschiffswerften, 6. und 7. April 1959, Hamburg, in gedruckter Form, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109b. 74 Ebd. 75 Der DGB hatte im Februar 1959 beschlossen, zwei Kommissionen einzuführen, die sich mit der Überprüfung des Grundsatzprogramms von 1949 beschäftigen sollten. Der erste Vorsitzende der IG Metall Otto Brenner reagierte auf diese Initiative relativ heftig und sah keinen Grund, die Prinzipien dieses Programms infrage zu stellen. Nach einer langen und intensiven Auseinandersetzung endete die Debatte in einer Art Kompromiss. Die von Brenner geforderte Neuordnung des wirtschaftlichen Systems der Bundesrepublik wurde verworfen, einige Elemente wie Mitbestimmung, Investitionslenkung und Planung blieben aber erhalten, Becker u. Jentsch, S. 206 ff.

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der westdeutsche Schiffbau noch im Aufbau und die Beschäftigungssituation noch nicht gesichert war, hielt sich die IG Metall mit Lohnforderungen zurück. Sie war sich aber der Kritik aus den eigenen Reihen sowie aus dem Ausland bewusst. Vorstandsmitglied Wilhelm Petersen sagte auf dem Ausschusstreffen im Mai 1950: »Das Ausland hält uns für Egoisten. Wir kümmerten uns nicht um die ausländischen arbeitslosen Metallarbeiter, sie vermissen bei uns die Solidarität […]. Aber wir müssen auch leben und zwar so, dass es auch wert ist zu leben.«76 Er sei sich im Klaren, dass die Lohnfrage wichtig sei und dass die Löhne verbessert werden müssten. Die Gewerkschaften sollten ihre Kraft aber derzeit darauf verwenden, die Preise zu senken. Diese Einstellung war auch im Sinne der eigenen Mitglieder nicht lange zu halten. Die Lohnkämpfe setzten auf den Werften schon zu Beginn der 1950er Jahre ein und errangen schnell Erfolge.77 Das Zitat macht aber deutlich, dass die westdeutschen Gewerkschafter zur damaligen Zeit bereit waren, die Lohnforderungen hinten anzustellen um der wirtschaftlichen Entwicklung nicht im Weg zu stehen. Die Aussage von Petersen sollte nicht überbewertet werden und die zügig eintretenden Lohnforderungen verdeutlichen, dass man bald von dieser Haltung abkam. Aber das erstaunliche ist, dass man nur kurze Zeit später, als Japan zum Weltmarktführer im Schiffbau aufstieg, die niedrigen Löhne der Japaner auf das Schärfste verurteilte und sich überhaupt nicht bereit zeigte, die eigenen Erfahrungen auf andere Situationen zu übertragen. Diese Einstellung sollte sich erst mit persönlichen Erlebnissen durch Reisen nach Japan und Aushandlungen mit japanischen Gewerkschaftern ändern. Trotz allem war sich die IG Metall bereits zu dieser Zeit der Bedeutung internationaler Zusammenarbeit bewusst. So hieß es, als es um die Planung der nächsten Sitzung des Werft- und Schiffbauausschusses im Juli 1951 ging, man wolle erst den Bericht der internationalen Schiffbaukonferenz in England abwarten, bevor man sich treffe.78

76 Protokoll der 3. Konferenz des Werft- und Schiffbauausschusses der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland, Bezirksleitung Hamburg, am 11.5.1950, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1950–1953, AdsD 5/IGMA07112. 77 Die Löhne stiegen zwischen 1957 und 1960 jährlich um 5,4 Prozent, siehe Albert, S. 108. 78 Bezirksleitung Hamburg: Brief an IGM Vorstand, 06.07.51, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1950–1953, AdsD 5/IGMA07112.

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Ausschlaggebend für die programmatische Ausrichtung der IG Metall im Schiffbausektor war auch ein Besuch des schwedischen Gewerkschafters und Präsidenten der Schiffbauabteilung des IMB, Arne Geijer, im Oktober 1951. Er berichtete von der internationalen Situation des Schiffbaus und ging auf die wesentlichen Themen des Industriezweiges ein. Dabei wurde er nicht müde zu betonen, dass es wichtig sei, auch die Entwicklungen außerhalb Europas zu betrachten.79 Er schätzte schon zu diesem Zeitpunkt die Entwicklungen in Japan als gefährlich ein und kritisierte, dass hier unter niedrigen Löhnen und schlechten Lebensstandards der Bevölkerung produziert werde. Im Gegensatz dazu rückte Geijer die schwedische Schiffbauindustrie ins positive Licht. Er lobte die Umstrukturierungen in der schwedischen Schiffbauindustrie, die Spezialisierung in Tankerschiffen und neuen Krananlagen und die Vorteile, die sich daraus für die Arbeiter ergäben, vor allem durch das Zusammenspiel mit der Sozialdemokratie. Dort wo Arbeiterregierungen vorhanden seien, wie in den skandinavischen Ländern, herrsche Vollbeschäftigung, lautete sein Argument. Sie würden sich für eine Sozialpolitik einsetzen und die Verbesserung der Lebensstandards der Bevölkerung durch höhere Löhne erreichen. Die nordischen Staaten, fuhr er fort, könnten in den übrigen europäischen Ländern in dieser Beziehung Vorbild sein und den Beweis dafür liefern, dass eine für die Arbeiterschaft Verständnis aufbringende Regierung im Einvernehmen mit den Gewerkschaften zur Lösung des Arbeitslosenproblems beitragen könne.80 Vorstandsmitglied Petersen dankte Geijer für die klare politische Haltung und meinte, auch in der Bundesrepublik müssten Gewerkschafter, trotz ihrer Verpflichtung zur Neutralität, Einfluss darauf nehmen, dass die Mitglieder »richtig« wählten.81 Hier offenbarte sich der Glaube an eine progressive Sozialdemokratie, die es ermöglichen würde, eine nachfrageorientierte Vollbeschäftigungspolitik mit institutionalisierten Mitspracherechten durchzusetzen – so wie es in Schweden seit 1932 praktiziert wurde. Geijer erwähnte auch die Rolle des IMB. Seiner Ansicht nach sei die Aufgabe des internationalen Zusammenschlusses, den Ländern mit niedrigen Lebensstandards zu helfen und sie zu stützen, um auch dort zu »gesunden Verhältnissen« für die Arbeiterschaft zu kommen.82 Die Rede Geijers war 79 Protokoll der Konferenz des Werft- und Schiffbauausschusses der IGM am 16.10.51, in: ebd. 80 Ebd. 81 Ebd. 82 Ebd.

Eine politische Vorzeigegewerkschaft, 1949–1959

nicht nur als Vorbild und Botschaft internationaler Zusammenarbeit entscheidend, sondern auch in einem inhaltlichen Punkt: dem Thema Subventionen. Geijer war der Auffassung, dass die Gewerkschaften die Verpflichtung hätten, sich gegen jede staatliche Subvention zu wenden, da sich eine gesunde Industrie ohne staatliche Zuschüsse selbst erhalten müsse.83 Damit war Geijer auf den IG Metall-Schiffbaukonferenzen der erste, der das Thema auf den Tisch brachte. Die westdeutschen Gewerkschafter hatten sich bis dahin eher für staatliche Unterstützungen stark gemacht und sahen sich nun gegenüber Geijer gezwungen, die eigene Position zu hinterfragen. So entgegnete Vorstandsmitglied Wilhelm Petersen: Die Frage der Subventionen ist auch auf der Konferenz in Newcastle84 aufgeworfen worden. Man legte uns dort die Frage vor, ob die Art der Kreditgewährung nicht eine andere Form der Subventionierung sei, wir mussten sagen »Nein«. Ein Teil des neuen Bauprogramms wird finanziert durch die Länder selbst. Das andere sind echte Darlehen, die verzinst und zurückgezahlt werden müssen. Darunter verbirgt sich nicht etwa eine versteckte Subventionierung.85 Trotz der Kritik, der sich die deutschen Kollegen ausgesetzt sahen, interpretierten sie den Besuch des internationalen Gastes im Ganzen als positiv. In seinen Abschlussworten zur Konferenz im Oktober 1951 sagte Bezirksleiter Bohnsack, es seien durch den Vortrag Geijers Fragen von internationaler Bedeutung geklärt worden. Man habe gezeigt, dass man durch eine sachliche Diskussion etwas erreichen könne.86 Karl Deibicht, der sich schon vor seiner Zeit als Vorstandsmitglied durch seine Position als Gewerkschaftssekretär in Hamburg mit dem Schiffbau beschäftigt hatte, behielt auf der Tagung 1959 die globale Entwicklung im Blick. 83 Protokoll der Konferenz des Werft- und Schiffbauausschusses der IGM am 16.10.51, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1950–1953, AdsD 5/IGMA07112. 84 Bezieht sich auf die IMB -Schiffbaukonferenz vom 4.–5. Juni 1951 in Newcastle upon Tyne, siehe Ausführungen zu den globalen Diskussionen. 85 Protokoll der Konferenz des Werft- und Schiffbauausschusses der IGM am 16.10.51, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1950–1953, AdsD 5/IGMA07112. 86 Ebd.

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Er erklärte die konjunkturellen Schwankungen des deutschen Schiffbaus mit den Entwicklungen auf dem Weltmarkt und war durch seine Kontakte zum IMB in der Lage, in seiner Argumentation Zahlen zur weltweiten Entwicklung einzelner Länder heranzuziehen. Dementsprechend argumentierte er auch, dass sich die Nachfrage nach Schiffen wieder erhöhen werde, wenn sich weitere Länder entwickelten und der Warenaustausch wachse. In seiner Prognose stellte er heraus, dass sich neue Länder auf dem Markt etablieren würden. Er nannte Indien, Ägypten und China, die den Schiffbau für sich entdecken würden, und meinte: Aber […] damit müssen wir uns irgendwie abfinden; wir müssen die Bestrebungen dieser Länder in unser gesamtes Denken einplanen. Wir können uns nicht der Illusion hingeben, daß wir Eroberungskriege wegen der Werften führen könnten, sondern wir müssen uns darüber im klaren sein, daß diese Bemühungen der Entwicklungsländer ganz normal und auch von unserer Seite aus – wenn man keine Kirchturmpolitik betreiben will – begrüßenswert sind; denn es handelt sich doch meistens um Völker, deren Ernährung bisher auf einer sehr schlechten Agrarbasis beruhte und die jetzt in den industriellen Raum vorstoßen, um den Lebensstandard ihrer Menschen zu erhöhen.87 Er erwähnte eine Reise nach Mexiko, auf der er diese Entwicklungen habe beobachten können und verwies auf Entschließungen des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften (IBFG), dessen Forderungen nach Vollbeschäftigung, Ausweitung des internationalen Handels und Wirtschaftshilfe für »unterentwickelte Länder« man berücksichtigen müsse.88 Deibicht war also über die internationalen Entwicklungen informiert und machte sich durch Auslandserfahrungen selbst ein Bild von der Situation. Ihm war bewusst, dass die Industrialisierung außereuropäischer Länder nicht zu verhindern war und aus Arbeiterbewegungssicht auch nicht verhindert werden durfte. Wie der Herausforderung neuer Konkurrenten auf dem globalen Markt begegnet werden könne, erläuterte 1959 der zur Tagung eingeladene Wirtschaftsexperte des IMB, Karl Casserini: »Es geht darum, daß wir den freien 87 Protokoll, 4. Arbeitstagung für die Seeschiffswerften, 6. und 7. April 1959, Hamburg, in gedruckter Form, in: IGM, Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109b. 88 Ebd.

Eine politische Vorzeigegewerkschaft, 1949–1959

Gewerkschaften in den Entwicklungsländern Impulse zur Selbsthilfe geben, daß wir ihnen beistehen mit praktischer Arbeitersolidarität und mit unseren jahrzehnte-, ja jahrhundertelangen Erfahrungen als Gewerkschafter.«89 Diese Länder bräuchten Unterstützung beim Aufbau einer organisierten Arbeiterschaft, fuhr er fort. Aus diesem Grund hätte man in Japan ein Zweigbüro errichtet, »wo wir den asiatischen Gewerkschaften alltäglich tatkräftige Unterstützung geben«.90 Und er war der Meinung, dass diese Länder einen größeren Anteil am Weltmarkt erhalten sollten: Wir können mit den Entwicklungsländern nicht einseitig Handel treiben, wir müssen auch bereit sein, ihre Produkte zu kaufen und sie in unsere Märkte hereinzulassen. Es gibt dabei natürlich Probleme, wie das Preisdumping, mit denen sich unsere Internationale eingehend beschäftigt. Wir sind aber überzeugt, daß Lösungen gefunden werden können zum Schutz der höheren Lohn- und Sozialbedingungen in den Industrieländern, ohne daß die Entwicklungsländer in ihren Absatzmöglichkeiten beschnitten werden.91 Der IMB könne helfen, so fuhr Casserini fort, Daten zu beschaffen, um Konkurrenzargumente der Unternehmer zu entkräften. In Ermangelung dieser Informationen würden sie allzu leicht nationalen Interessen verfallen und eine Subventionspolitik befürworten, die nur zur Verschärfung des Wirtschaftskrieges beitrage. »Kollegen, noch nie hat eine Subventionspolitik der Arbeiterschaft gedient; denn man wird uns in solchen subventionierten Industrien ewig sagen, daß diese Industrie ja nicht selbsttragend ist, und wir werden dann bei Lohnverhandlungen die Leidtragenden sein.«92 Doch seine Äußerung löste Kontroversen unter den Teilnehmenden aus. So meinte ein Delegierter: Wir wissen auch, daß ein Teil der Werften, auf lange Sicht gesehen, wahrscheinlich nicht zu retten ist. Wir meinen aber, daß wir unseren Werften die gleiche Chance geben müssen, wie sie die ausländischen Werften haben. Wir Deutschen sollten auch nicht immer in allem 110prozentig sein, weder im Nationalismus noch im Internationalismus. […] Ich rede hier 89 Ebd. 90 Ebd. 91 Ebd. 92 Ebd.

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keiner Subventionierung das Wort, fordere aber mindestens die gleiche Chance bei der Kreditgewährung.93 Da sich die deutschen Gewerkschafter sicher waren, dass andere Länder ihre Industrien mit Hilfen unterstützten, blieb die Forderung nach Subventionierung also erhalten: Gezielt und geplant sollte es ablaufen und möglichst nach gleichen Spielregeln und mit Transparenz, denn problematisch seien die »versteckten« Subventionen der ausländischen Werftindustrien.94 Casserini versuchte erneut deutlich zu machen, worum es ihm ging, wenn von einem international koordinierten Aktionsprogramm die Rede war. Es müssten die Errungenschaften einzelner Länder zusammengetragen werden, damit den Unternehmern entgegnet werden könne, dass die Verwirklichung der Forderungen keine neuen Soziallasten bedeuteten. Ziel des internationalen Programms seien Reallohnverbesserungen, Verkürzung der Arbeitszeit mit vollem Lohnausgleich, Garantien gegen Einkommensverluste im Fall von Arbeitslosigkeit, Krankheit und Unfall. Und er schloss damit, dass die Internationale die Mitglieder bei der Durchsetzung dieser Forderungen unterstützen wolle: »Um den Kampf unter den heutigen Wirtschaftsvoraussetzungen zu bestehen, müssen wir als freie Gewerkschaften international eng zusammenarbeiten.«95 Konnte er damit überzeugen? Sein deutscher Kollege Heinz Ruhnau versuchte, die Zuhörer mit emotionaleren Worten zu erreichen: Wir haben immer sehr viel Wert darauf gelegt, daß die internationalen Verbindungen gepflegt wurden, denn [uns] wurde […] sehr früh bewußt, daß die sozialen Probleme der Arbeitnehmerschaft in der Welt nicht national zu lösen sind. Wir sind uns klar darüber, daß wir einen kapitalistischen Nationalismus entschieden ablehnen müssen, weil wir zu genau wissen, daß eine Arbeiterbewegung, die in nationalistisches Fahrwasser gerät, nicht mehr in der Lage ist, die Probleme der Arbeitnehmerschaft […] in ihrem eigenen Lande zu lösen. Und ich halte es für gut, […] daß wir uns daran erinnern, daß die Arbeiterbewegung ja entstanden ist als eine Bewegung gegen die Ausbeutung und die Unterdrückung nicht nur einem Lande, sondern in der ganzen Welt.96 93 Ebd. 94 Ebd. 95 Ebd. 96 Ebd.

Der Wirtschaftsboom im Schiffbau, 1960–1973

Wie aus einem Mund sprachen hier die beiden Gewerkschafter, die weit voneinander entfernt arbeiteten und doch gemeinsam zur Entwicklung der Schiffbauindustrie im Sinne der Arbeiter beitragen wollten. Es verdeutlicht, dass Gewerkschaftssekretäre der IG Metall sehr frühzeitig die globalen Entwicklungen des Sektors im Blick hatten und sich über die Möglichkeiten transnationaler Strategien Gedanken machten.

3.2

Der Wirtschaftsboom im Schiffbau und seine Schönheitsfehler, 1960–1973

3.2.1 Subventionen werden zum Hauptthemenfeld der IG Metall Schneller als die Delegierten 1959 erwartet hatten, kam es zu wirtschaftlichen Verbesserungen in der Schiffbauindustrie. Im Mai 1961 konnte das Vorstandsmitglied Karl-Heinz Friedrichs von einer positiven Auftragslage berichten. Dennoch sei die Konkurrenz auf dem Weltmarkt unverändert scharf, meinte er. Um den Export erhalten zu können, müssten Aufträge zu Selbstkostenpreisen angenommen werden.97 Was sich Ende der 1950er Jahre bereits angedeutet hatte, war nun Wirklichkeit geworden und stellte für die deutschen Gewerkschafter eine enorme Herausforderung dar: Die japanische Schiffbauindustrie stand seit 1961 an der Spitze des Weltmarktes und konnte durch einen frühen Einstieg in die Serienproduktion, neue Schweißmethoden und die Sektionsbauweise effizienter als andere produzieren. Sie vergrößerte ihre Docks, stattete die Werften mit großen Bockkränen aus und arbeitete mit hohem Aufwand an der besseren Organisierung des Arbeitsablaufs. Zusätzlich wurden ausländische Reeder mit Exportkrediten der Export-Import-Bank angelockt.98 Diese außerordentliche Entwicklung Japans löste in der bundesdeutschen Schiffbauindustrie und dementsprechend bei den Metallgewerkschaftern Nervosität aus. Die Frage nach dem Einsatz von Subventionen für den deutschen Export stand immer häufiger zur Diskussion. Im Prinzip unterstützten die deutschen Metallgewerkschafter die internationalen Vereinbarungen, 97 Protokoll der Sitzung der Aufsichtsratsmitglieder und Betriebsratsvorsitzenden der exportintensiven Großwerften am 19. Mai 1961 in Hamburg, in: IGM, Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109b. 98 Albert, S. 167 f.

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wonach Subventionen abgebaut oder sogar vermieden werden sollten. Gerade die Sorge, dass die Subventionierung des japanischen Schiffbaus international Schule machen könnte, führte zu der Argumentation, dass es besser sei, wenn nirgendwo subventioniert würde. Im April 1962 argumentierte der Hamburger Bezirksleiter Heinz Ruhnau: In jedem Schiffbauland wird der Schiffbau heute auf irgendeine Art und Weise subventioniert. Wenn der letzte bei den Subventionen angekommen ist, dann ist die Sache im Grunde wieder ausgeglichen und alle Steuerzahler in Europa zahlen den Werftunternehmern eine kleine Rente. Das ist der einzige Erfolg dabei. Wirtschaftspolitisch hat das überhaupt keine Bedeutung. […] Aus einem Grunde lehnen wir außerdem die Subventionen ab. Bei jeder Lohnverhandlung wurde uns vorgehalten, wir forderten auf Kosten der Allgemeinheit. Damit würde sich die Regierung automatisch einmischen müssen. Das aber wollen wir nicht.99 Gleichzeitig waren einige aber unsicher, ob sich der Abbau von Subventionen international durchsetzen ließe. Als Vorstandsmitglied Friedrichs in seiner Eröffnungsrede auf der Sitzung 1961 die Ansätze zur internationalen Subventionsbeschränkung wiederholte, entgegnete ihm ein Kollege aus Hamburg: Und der Appell des Kollegen Friedrichs, eventuell international doch einen Einklang zu schaffen, ich glaube, dieser Appell ist etwas illusionär. Ich habe da wenig Hoffnung, dass wir da weiterkommen. Es sei denn, wir würden als IGM und dann als IMB so eine starke Macht sein können, dass wir wirklich forcierend auf die Kräfte der Wirtschaft aller Länder so wirken können, dass sie es müssen.100 Wie sich in den Debatten in den 1950er Jahren schon angedeutet hatte, versuchte die IG Metall den Standpunkt zu verteidigen, dass staatliche Hilfen innerhalb der Bundesrepublik nur dann eingesetzt werden sollten, wenn 99 Heinz Ruhnau: Entwicklung, Stand und Aussichten im Schiffbau 1962, Auszug aus einem Referat anläßlich der Bezirkskonferenz der IGM am 27.04.1962 in Bremen, in: IG Metall Bezirksleitung Hamburg. 100 Franz Heitgres, Protokoll der Sitzung der Aufsichtsratsmitglieder und Betriebsratsvorsitzenden der exportintensiven Großwerften am 19. Mai 1961 in Hamburg, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109b.

Der Wirtschaftsboom im Schiffbau, 1960–1973

sie an eine langfristig geplante Wirtschaftspolitik geknüpft waren und den Werften insgesamt ermöglichten, mit den modernen Technologien des Marktes Schritt zu halten. 1961 gab die Bundesregierung dem Druck des Werftverbandes und der allgemeinen Sorge um zu starke japanische Konkurrenz nach und förderte mit einem Werfthilfeprogramm den Export von Schiffen in Nicht-EWG Länder.101 Bei dem verabschiedeten Programm hatten die Gewerkschafter nun erst recht die Sorge, dass die kurzfristigen Subventionsprogramme nur ein Tropfen auf dem heißen Stein seien und niemand über langfristige Wirtschaftsplanungen nachdachte. Argumentative Unterstützung erhielten sie von IMB -Vertreter Karl Casse­ rini, der im Juni 1962 zu einer Schiffbaukonferenz der Ostseeländer kam und sagte: In den einleitenden Bemerkungen soll deutlich […] werden, daß ich mit der scharfen Kritik, die ich gegen staatliche Beihilfen anbringe, nicht gegen staatliche Interventionen in der Wirtschaft im allgemeinen Stellung nehme. Meinen späteren Schlußfolgerungen möchte ich bereits vorwegnehmen, daß die Gewerkschaften passive staatliche Beihilfen, die nur auf eine Konkurrenzverfälschung, nicht aber auf eine Änderung der für die Rentabilität entscheidenden Produktionsfaktoren abzielen, energisch ablehnen. Dagegen befürworten die Gewerkschaften eine staatliche Intervention, wo sie sich aus sozialen Gründen als notwendig erweist. Eine solche Intervention muß allerdings positiver Art sein und auf eine Änderung der strukturellen Verhältnisse und eine Förderung der Produktivität abzielen. Mehr als alle Arten öffentlicher Unterstützungen […] setzt dieses in erster Linie eine Wirtschaftsplanung des gesamten Industriesektors unter Berücksichtigung der realen internationalen Wettbewerbsverhältnisse einschließlich Mitspracherecht der Gewerkschaften voraus.102 101 Die Bundesregierung genehmigte mit ihrem ersten Werfthilfeprogramm Darlehen in Höhe von siebzig Prozent des Auftragswertes zu einem Zinssatz von fünf Prozent und einer Laufzeit von acht bis zehn Jahren. Die Darlehen wurden aus dem Fonds der Kreditanstalt für Wiederaufbau und dementsprechend aus dem Sondervermögen des European Recovery Programs finanziert, jährlich neu aufgelegt und ab 1966 sogar mit Zinszuschüssen versehen, die allerdings aus dem Bundeshaushalt kamen, Albert, S. 204 f. 102 Nationale Subventionspolitik und Wettbewerb im Schiffbau, Karl Casserini, Auszug aus einem Vortrag auf der internationalen Schiffbaukonferenz der freien Ostseeländer, 22. Juni 1962 in Kiel, in: IG Metall Bezirksleitung Hamburg.

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Casserini eröffnete damit eine Debatte über »gute« und »schlechte« Subventionen. Unter den guten Maßnahmen verstand er eine staatliche, langfristig geplante Finanzierung, die die Struktur der Werftindustrie beachten und dort investierten würde, wo sich der Schiffbau langfristig lohnen würde. Negativ seien kurzfristige Hilfen für Bauaufträge, die keinerlei Nachhaltigkeit für die Produktion bedeuteten. Nur war eine Unterscheidung der Subventionen gar nicht so einfach, da die finanziellen Hilfen sehr vielfältig ausfielen und an unterschiedlichen Stellen ansetzten. Wie sollte beurteilt werden, ob Investitionshilfen für eine Werft oder Auftragshilfen für einen Reeder gut oder schlecht sind? Casserini machte dazu keine genaueren Angaben und überließ diese Frage der Interpretation seiner Zuhörer. Die Bezirksleitung Hamburg ging der Überlegung nach, mehr Planung in die Schiffbauindustrie zu stecken und schickte im Juli 1962 einen Vorschlag an die Wirtschaftsministerien der vier Küstenländer, eine Forschungsstelle für schiffbauwirtschaftliche Fragen aufzubauen. Im Vorschlag hieß es, die zukünftigen Probleme könnten nur gemeistert werden, wenn es gelinge, die Schiffbauproduktion wirtschaftlicher zu gestalten und dabei die neuesten Erkenntnisse betriebstechnischer und -wirtschaftlicher Forschung anzuwenden. Da die Werften allein nicht in der Lage seien, diese Aufgabe zu be­werkstelligen, sei es notwendig, eine Forschungsanstalt zu schaffen, die sich mit dem Schiffbau beschäftige, die internationalen Erfahrungen dokumentiere und als Informationsquelle zur Verfügung stelle.103 Im Vorschlag hieß es weiter, die Werftbetriebe sollten zusammenarbeiten und es sollte Auslandsbüros geben, die für die Koordination von Exportaufträgen und die Investitionspolitik zuständig seien. Es ging um gemeinsame Konstruktions- und Entwicklungsbüros und die Gründung von Dockgemeinschaften in Hamburg und Bremen. Zur praktischen Umsetzung dieser Vorschläge sollte ein Schifffahrtsrat innerhalb der vier norddeutschen Küstenländer gebildet werden, der sich zu gleichen Teilen aus Vertretern der Küstenländer, des Werftverbandes und der Gewerkschaft zusammensetzen sollte.104 Die hier vorgeschlagenen Punkte entstammten einer zu dieser Zeit aufkommenden Idee der rationalen Planung von Wirtschafts- und Gesell-

103 Vorschlag zur Gründung einer Forschungsstelle für schiffbauwirtschaftliche Fragen, IG Metall, Bezirk Hamburg, Den Wirtschaftsministern der vier Küstenländer am 3. Juli 1962 unterbreitet, in: ebd. 104 Erklärung zur Situation im deutschen Schiffbau, IG Metall, Bezirk Hamburg, 11. September 1962, in: ebd.

Der Wirtschaftsboom im Schiffbau, 1960–1973

schaftsprozessen. Die diskutierten Konzepte wie die Überlegungen zur neuen politischen Ökonomie105 sollten eine neue Wirtschaftspolitik einleiten, die die bisherige Ludwig Erhards durch Fortschrittlichkeit und Partizipation der zivilgesellschaftlichen Akteure ersetzen sollte. Einige dieser Gedanken wurden durch den Sozialdemokraten Karl Schiller eingebracht, der an den Diskussionen der Gewerkschafter teilnahm. Seine Überzeugung war es, dass alle Parteien, die in den Prozess involviert waren, über wissenschaftliche Ergebnisse informiert und auf Grundlage dieses Wissens in Entscheidungsprozesse einbezogen würden. So könnten Konflikte vermieden und durch die Übertragung der Verantwortung auf alle ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht hergestellt werden.106

3.2.2 Fusionen und Rationalisierung Tatsächlich fand ab 1962 eine ganze Reihe von Werftzusammenschlüssen statt. Noch im selben Jahr übernahm die AG Weser die Adler-Werft in ­Bremen. 1966 wurden die Stülcken-Werft und Blohm und Voss in Hamburg zusammengelegt. Auch kleinere und mittlere Werften gingen in gemeinsame Unternehmen über.107 Die IG Metall unterstützte auf Grundlage ihrer Vorbilder aus Schweden und Japan das Zusammenlegen der Werften. Im Oktober hieß es in einer Stellungnahme zur Fusion der Stülcken-Werft mit Blohm und Voss: Es muß – auf längere Sicht gesehen – erreicht werden, den vorhandenen technischen Vorsprung Japans und Schwedens im internationalen Schiffbau aufzuholen. Die Konzentration und der Zusammenschluß von Seeschiffswerften stellt eine diesem Ziel dienende Maßnahme dar.108 Ihnen war natürlich bewusst, welche Gefahr eine solche Entwicklung beinhalten konnte. Sie betonten, wie wichtig der Einfluss des Staates bei die-

105 Rehling, S. 71. 106 Ebd., S. 71 f. 107 Albert, S. 87. 108 Stellungnahme der IGM zur Fusion von Werftunternehmen, IG Metall, Frankfurt am Main, 25.10.1966, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Die wirtschaftliche Situation im Schiffbau, 1966–1969, AdsD 5/IGMA071270.

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sen Prozessen sei und dass ihm die bedeutendste Rolle in der Kontrolle zukomme. Kurzfristige Eigentümerinteressen dürften nicht dazu führen, dass die Sicherheit der Arbeitnehmer gefährdet sei, hieß es.109 Ob es die Initiativen der IG Metall und die Unterstützung der Küstenländer waren, die wissenschaftlichen Ratgeber oder aber die Modelle aus dem Ausland, die Einfluss auf die wirtschaftspolitischen Entscheidungen der Bundesregierung hatten, konnte ich anhand des Quellenmaterials nicht nachverfolgen. Sicherlich waren es verschiedene Einflüsse, die die Bundesregierung veranlassten, sich über die Umstrukturierung der Werften Gedanken zu machen. Durch die Zusammenschlüsse war es jedenfalls möglich, größere Investitionen für die Rationalisierung der Produktionsabläufe zu tätigen. Wie in Schweden und Japan wurde der Sektionsbau und die Vorfertigung eingeführt. Dafür mussten neue Hallen, ein neues Transportsystem für die schweren Bauteile und entsprechende Bockkräne sowie Docks zur Erleichterung des Stapellaufs gebaut werden. Die Bundesregierung hatte in ihrem ersten Werftgutachten, das sie 1964 anfertigen ließ, festgestellt, dass die deutschen Großwerften zwar versucht hatten, auf den Sektionsbau umzusatteln, dieser Prozess sich allerdings langwieriger gestalte als gedacht.110 Auf der fünften Arbeitstagung für Seeschiffswerften 1966 (vgl. Tab. 3) war erneut Karl Casserini vom IMB anwesend. Er stellte fest, dass sich der wirtschaftliche Vorsprung von Schweden und Japan im Vergleich zu den übrigen europäischen Ländern im Laufe der 1960er Jahre vergrößert habe. Obwohl sich der weltweite Auftragsbestand seit 1962 mehr als verdoppelt habe, seien besonders diese beiden Länder Nutznießer gewesen.111 Casserini erklärte, dass sowohl die japanische wie auch die schwedische Regierung frühzeitig entschieden hatte, die Industrie umzustrukturieren und in Technologie zu investieren. Nun sei es auch in der Bundesrepublik dringend notwendig, die Industriestruktur zu überprüfen. Gewerkschaften müssten

109 Ebd. 110 Bundesminister für Wirtschaft nach Albert, S. 145. 111 Während Japan zwischen 1961 und 1965 einen Anstieg der Stapelläufe von 38,4 Prozent zu verzeichnen habe, sei in Europa, mit Ausnahme Schwedens mit zwölf Prozent Wachstum, die Entwicklung eher negativ: Großbritannien 2,4 Prozent rückläufig, die Bundesrepublik in den letzten drei Jahren stagnierend, siehe Karl Casserini, Bandabschrift der 5. Arbeitstagung der IGM für die Seeschiffswerften, 3.–4.11.1966, in Kiel, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109a.

Der Wirtschaftsboom im Schiffbau, 1960–1973

Tab. 3: Ereignisse in der IG Metall zur Schiffbauindustrie (1961–1975) Teilnehmerzahl

Titel / Thema

Datum

Ort

Sitzung der Aufsichtsratsmitglieder und Betriebsratsvorsitzenden der exportintensiven Großwerften

19.05.1961

Hamburg

49

5. Arbeitstagung der IGM für die Seeschiffswerften

3.–4.11.1966

Kiel

171

Treffen der Arbeitsgemeinschaft Schiffbau (AG Schiffbau)

17.05.1972

Hamburg

k. A.

Treffen der AG Schiffbau

12.07.1972

Hamburg

k. A.

Stellungnahme zum Werftgutachten der Bundesregierung

August 1972

6. Schiffbaukonferenz der IGM

20.–21.10.1972

Hamburg

110

Tagung der AG Schiffbau

8.–9.03.1973

Bremen

k. A.

Treffen der AG Schiffbau

23.05.1973

Hamburg

k. A.

Stellungnahme zum Werftgutachten und Strukturkonzept des VDS

Mai 1973

Treffen der AG Schiffbau

20.06.1975

Hamburg

k. A.

mit Gesamtkonzeptionen aufwarten und regionale Probleme objektiv und sorgfältig prüfen.112 In die gleiche Richtung argumentierte Günter Köpke, Gewerkschaftssekretär aus der Vorstandsabteilung der IG Metall: Es gehe darum, die Produktionskosten zu senken, auch höhere Erträge zu erreichen und damit höhere Löhne zu erzielen. Gerade von der Rationalisierung hinge die Sicherheit der Arbeitsplätze ab. Es sei schließlich nicht nur Japan, sondern auch England, Holland, Frankreich, Italien strukturierten um – also handle sich um eine internationale Entwicklung, wo man nicht zurückstehen dürfe. Bei uns in der Bundesrepublik herrschte ja und herrscht noch eine gewisse Verteufelung des Wortes »Planung« vor. Im internationalen Bereich sind wir jetzt Gott-sei-Dank über die Runden hinweg und Planung ist eine 112 Als Beispiel nennt er den sogenannten Geddes-Ausschuss der britischen Regierung und eine Regierungskommission in den Niederlanden, die sich mit der Umstrukturierung beschäftige, siehe ebd.

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Selbstverständlichkeit. Wir sollten ganz nüchtern alle Möglichkeiten der Vorausschau und der Planung als Instrument verstehen, die Sicherung der Arbeitsplätze auf lange Sicht zu fördern. Ganz nüchtern, nur als Instrument und nicht irgendwie als logischer [ideologischer113] Ballast […].114 Dass die Referenten bei den anwesenden Betriebsräten nicht nur auf offene Ohren stießen, lässt sich erahnen. Verärgert meldete sich Fritz Suhr, der Betriebsratsvorsitzende der Deutschen Werft Hamburg, zu Wort: Wir haben hier zu hören bekommen, Subventionen wollen wir als Gewerkschaftler nicht. Unsere Kollegen im Betrieb fragen uns aber, und dieses haben wir mit auf den Weg bekommen, einmal die bescheidene Frage […] in den Raum zu stellen: Wieso, warum [wir] hier unser Fell zu Markte tragen sollen, im Interesse unserer Bundesregierung, um einen Ausgleich zu bekommen, um die Rheinarmee und sonstiges zu finanzieren […].115 Auf den ersten Blick wird gar nicht klar, was Suhr eigentlich zum Ausdruck bringen wollte. Es ging ihm vermutlich darum, dass die Ablehnung von Subventionen bei den Werftarbeitern den Verlust von Arbeitsplätzen bedeuten könne. Da halfen auch keine Versprechen zu Umschulungen. Werftzusammenschluss hieß Arbeitsplatzverlust, das wusste man aus der Erfahrung der 1950er Jahre. Suhr entlud seinen Frust in Richtung Bundesregierung: »Und ich bin der Meinung, Kolleginnen und Kollegen, wir können nicht laut genug poltern und schreien: Bundesregierung weg, wir wollen eine neue haben, damit wir auch zu unserem Recht kommen.«116 Der drohende Arbeitsplatzverlust war nicht das einzige Thema, was den Teilnehmern Sorge bereitete. In Zusammenhang mit den Fusionen wurde angesprochen, dass man Gefahr laufe, bereits in einer Werft erkämpfte Lohngruppen bei Übernahme durch eine andere zu verlieren. Das sei besonders 113 In dem stenographischen, nicht überarbeiteten Protokoll steht an dieser Stelle »logischer«. Da es aber auch an anderen Stellen zu Fehlern kam, gehe ich davon aus, dass der Redner hier »ideologischer« meint oder gesagt hat. 114 Günter Köpke, 5. Arbeitstagung der IGM für die Seeschiffswerften, 3.–4.11.1966, in Kiel, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954– 1966, AdsD 5/IGMA071109a. 115 Fritz Suhr, Protokoll der Sitzung der Aufsichtsratsmitglieder und Betriebsratsvorsitzenden der exportintensiven Großwerften am 19. Mai 1961 in Hamburg, in: ebd. 116 Ebd.

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dann der Fall, argumentierte ein Betriebsrat, der gerade die Übernahme der Stülcken-Werft erlebt hatte, wenn außertarifliche vom Betriebsrat ausgehandelte Zulagen nicht übernommen würden. Diese Dinge seien im Betriebsverfassungsgesetz nicht geregelt und der Betriebsrat sei bei der Klärung auf die Hilfe der IG Metall angewiesen.117 Ein anderer Kollege war besorgt wegen der Folgen der Rationalisierung und Einführung der neuen Fertigungsmethoden. Er fragte, ob eine vollkommene Neubewertung der Tätigkeiten vorgenommen werden müsse und neue Aufgaben für Betriebsräte und Kollegen im Aufsichtsrat entstehen würden. Darüber müsse doch gesprochen werden.118 Aus diesen Einwänden lässt sich eine große Unsicherheit bei den Betriebsräten erkennen. Sie sahen sich durch die Neuerungen einer enormen Bedrohung ausgesetzt und als Leidtragende, die die Entscheidungen des IG MetallVorstands in den Betrieben umsetzen mussten. Die Betriebsräte waren mit den Problemen in den täglichen Auseinandersetzungen konfrontiert. Und genau darin bestand die Diskrepanz zu einem hauptamtlichen Gewerkschaftssekretär, der die langfristigen Perspektiven vom Schreibtisch aus entwickelte. Diese Differenz wurde allerdings nicht offen diskutiert. Der Bezirksleiter aus Hamburg, Heinz Scholz, stellte in dieser Auseinandersetzung eine Art Vermittler dar. Er erklärte sich mit der Politik des Vorstandes und des internationalen Referenten einverstanden. Als es aber um die Frage der Schiffbaufinanzierung ging, machte er einen Rückzieher und meinte, Auftragsfinanzierungen seien zur Zeit doch nötig.119 Das fiel insgesamt gesehen nicht auf, da er sonst mit seinen Kollegen übereinstimmte. Aber genau dieses eine Zugeständnis verdeutlicht, dass er die Betriebsräte bestärken und ihnen die Angst vor Arbeitsplatzverlust nehmen wollte.120 Der Bevollmächtigte der Verwaltungsstelle Bergedorf bei Hamburg fragte die Hauptamtlichen, ob sie genug getan hätten, um die Vertreter in Aufsichtsräten und Wirtschaftsausschüssen über eine vorausschauende und planmäßige Wirtschaftspolitik zu informieren. Ob es Zusammenkünfte gegeben habe, um diese Fragen regelmäßig zu besprechen, wollte er wissen.121 Er 117 Werner Ködler, 5. Arbeitstagung der IGM für die Seeschiffswerften, 03.–04.11.1966 in Kiel, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954– 1966, AdsD 5/IGMA071109a. 118 Otto Böhm, ebd. 119 Heinz Scholz, ebd. 120 Ebd. 121 Helmut Nack, ebd.

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bekam Unterstützung von einem Kollegen aus Bremen, der meinte, es müsse eine stärkere und schnellere Bildung von Arbeitsgemeinschaften geben, um mehr als bisher gemeinsame Konzeptionen zu erarbeiten. Es müsse für die Kollegen auf den Werften die Möglichkeit zur Diskussion und Auseinandersetzung geben.122 Bezirksleiter Heinz Scholz stimmte dem zu: Des Öfteren haben wir als IG Metall in der Vergangenheit gefordert, alle an den Problemen des Schiffbaus Beteiligten sollten sich an einen Tisch setzen. Was hat es für einen Sinn, wenn aus den verschiedensten Richtungen von den verschiedensten beteiligten Stellen her Erklärungen abgegeben werden, Vorschläge entwickelt werden, ohne daß es mal zu einem konkreten klaren Erfahrungs- und Gedankenaustausch kommt?123 Solche Gespräche müssten verstetigt werden und Resultate ergeben, auf die man aufbauen könne, meinte Scholz. Es sei auch notwendig, ergänzte ein weiterer Redner, dass es Fortbildungskurse für Betriebsräte und Vertrauensleute gebe.124 Und ein anderer schlug vor, zur Verstetigung der Diskussion einen Referenten einzusetzen, der die Forderungen verfolgen und zur Vollendung bringen könne. Für diese Position gab es bereits personelle Vorschläge: Heinz Scholzens Referat war ja von viel Sachkenntnis und ich kenne Heinz Scholz sehr gut und vor allen Dingen schon aus der Zeit, wo er seine allerersten Gehversuche in der Gewerkschaft machte, als hauptamtlicher Kollege und ich muß sagen, er hat sich eigentlich ganz gut gemausert in diesen Jahren und auch ihm scheint das Sprichwort »wem der liebe Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand« in irgendeiner Form doch recht gut zuzutreffen.125 Dieser Vorschlag bestätigte die Vermutung, dass sich die Betriebsräte den Bezirksgewerkschaftern verbundener fühlten als den Gewerkschaftssekretären in der Vorstandsverwaltung in Frankfurt. Bei ersteren wusste man, dass sie die Probleme der Betriebe kannten und im Interesse der Betriebe handelten. Und Scholz bestätigte genau dieses Vertrauen: »Der Betrieb, und das sollten 122 Karl-Heinz Jantzen, ebd. 123 Heinz Scholz, 5. Arbeitstagung der IGM für die Seeschiffswerften, 03.–04.11.1966 in Kiel, in: ebd. 124 Josef Kera, ebd. 125 Emil Meyer, ebd.

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wir dabei nie vergessen, ist für uns organisationspolitisch gesehen nach wie vor die Basis, auf der sich die Organisationsarbeit aufbaut.«126 Nur kurze Zeit später, im Juli 1967, kam ein Brief aus Genf.127 Adolphe Graedel, Generalsekretär des IMB, bat Otto Brenner in diesem Schreiben, die Erklärung des IMB von der letzten internationalen Schiffbaukonferenz in Newcastle im Mai 1967 zur Kenntnis zu nehmen. Dieser Brief war insofern nicht vollkommen überraschend, da Brenner zu dieser Zeit Präsident des IMB war und über wichtige Entscheidungen von Graedel informiert wurde. Aber inhaltlich musste er doch erstaunt gewesen sein, denn was hier festgelegt wurde, ging im Prinzip gegen die bisher beschlossenen Maßnahmen der IG Metall. In der Erklärung der IMB -Konferenz wurde zunächst festgestellt, dass sich die nationalen Regierungen über die Programme für die Schiffbauindustrie nicht abgestimmt hätten und es deshalb weltweit einen hohen Kapazitätsüberschuss gebe. Das dürfte für Brenner nicht neu gewesen sein. Dann aber folgte ein Abschnitt, in dem es hieß, die Staaten hätten mehr und mehr die finanzielle Verantwortung für die technische Entwicklung der Werftindustrie übernommen und das habe zu einer vollkommen unko­ ordinierten Rationalisierungs- und Konzentrationspolitik geführt. Leidtragende seien die Arbeitnehmer der Schiffswerften, denen nun Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit drohe.128 Doch genau das, die Konzentration und technische Erneuerung, hatte die IG Metall gerade erst propagiert. Adolphe Graedel bat Brenner am Ende seines Schreibens, an das Bundeswirtschaftsministerium heranzutreten und Vertreter zu einer Konferenz mit Finanz- und Industrieministern der sechs führenden Schiffbauländer im Herbst 1967 in Genf einzuladen, um dieses Thema zu diskutieren. Brenner wollte sich, bevor er eine Antwort verfasste, bei seinen Kollegen rückversichern und fragte Günter Köpke aus der Wirtschaftsabteilung, was sich auf der internationalen Konferenz ereignet habe.129 Der wiederum fragte 126 Heinz Scholz, ebd. 127 Adolphe Graedel: Brief an Otto Brenner, Betreff: Intervention bei den Regierungen der Schiffbauländer, 26.07.1967, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Die wirtschaftliche Situation im Schiffbau, 1966–1969, AdsD 5/ IGMA071270. 128 Ebd. 129 Der gesamte Verlauf geht aus einer Aktennotiz von Günter Köpke hervor, Günter Köpke: Aktennotiz an Otto Brenner, Betreff: Intervention bei den Regierungen der Schiffbauländer, 25.08.1967, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Die wirtschaftliche Situation im Schiffbau, 1966–1969, AdsD 5/IGMA 071270.

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Scholz, der als Vertreter der IG Metall die Diskussionen in Newcastle miterlebt hatte. Doch Scholz wusste den Brief nicht einzuordnen und schickte die Unterlagen des IMB mit der Bitte um eine Stellungnahme an den Werftverband. Gleichzeitig wandte er sich an die Vertreter der Küstenländer, die sich allerdings auch nicht äußern wollten, bevor die Unternehmensvertreter ihre Bewertung abgegeben hätten.130 Schließlich schrieb Brenner in Abstimmung mit Köpke und Scholz im September 1967 einen Brief an Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller und bat ihn, an dem geplanten Treffen in Genf teilzunehmen, da er glaubte, dass eine Strukturpolitik nach wie vor wichtig sei. Er drückte sich angesichts der positiven Lage der westdeutschen Schiffbauindustrie vorsichtig aus: Obwohl die gegenwärtige relativ günstige Auftragslage in der Werftindustrie der Bundesrepublik und in der Welt eine rasche Lösung dieser Frage nicht akut erscheinen läßt, glauben wir dennoch, daß dieses bedeutsame struktur- und regionalpolitische Problem in Angriff genommen werden muß, um weitere Schwierigkeiten dieses Industriezweiges zu vermeiden. Wir wären Ihnen für eine Stellungnahme zu diesem Projekt dankbar und erwarten Ihre geschätzte Antwort.131 Wie ging es nach diesem Schlagabtausch weiter? Das vom IMB vorgeschlagene Treffen fand im November 1967 statt, allerdings im Rahmen der Schiffbaugruppe der OECD.132 Wirtschaftsminister Schiller hatte eingewilligt, an diesem Treffen teilzunehmen. Die IG Metall blieb aber bei ihrer Forderung nach staatlichen Hilfen, da sie Sorge hatte, dass die erneute Aufwertung der D-Mark 1969 negative Folgen für die Schiffbauindustrie haben könnte.133 In einer vom Bezirk Hamburg ausgearbeiteten Resolution vom Dezember 130 Ebd. 131 Otto Brenner: Brief an Prof. Dr. Schiller, 08.09.1967, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Die wirtschaftliche Situation im Schiffbau, 1966–1969, AdsD 5/IGMA071270. 132 Die Regierungen hatten laut Adolphe Graedel dafür plädiert, das Treffen im Rahmen der OECD -Verhandlungen durchzuführen. 133 In einer Presseerklärung hieß es: »Die DM-Aufwertung und die Aufhebung des Absicherungsgesetzes hat die Wettbewerbsverzerrung auf dem Weltmarkt wieder voll wirksam werden lassen. Das bedeutet, daß für den ausländischen Kunden der Neubaupreis in der Bundesrepublik um 9,3 Prozent höher liegt als in konkurrierenden Schiffbauländern.«, Heinz Scholz: Presseinformation, 13.12.1969, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Die wirtschaftliche Situation im Schiffbau, 1966–1969, AdsD 5/IGMA071270.

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1969 hieß es, dass das siebte Werfthilfeprogramm so schnell wie möglich verabschiedet werden solle. Auch der zweite Punkt bezog sich auf staatliche Hilfen: Die von der EWG gebilligten zehnprozentigen Finanzierungshilfen sollten – zeitlich begrenzt – weiterhin genutzt werden.134

3.2.3 Sicherheit am Arbeitsplatz Neben diesen großen globalen Themen ging die IG Metall den alltäglichen Gewerkschaftsproblemen nach. Im Mai 1961 setzte sie auf der Sitzung von Aufsichtsratsmitgliedern und Betriebsratsvorsitzenden von Großwerften das Thema Arbeitssicherheit auf die Tagesordnung. Das Vorstandsmitglied Karl Heinz Laubrecht hatte die hohe Unfallrate auf den Werften zum Anlass genommen, sich mit den Sicherheitsvorkehrungen auseinanderzusetzen und Forderungen aufzustellen, wie Unfälle in Zukunft vermieden werden könnten. Seine Forderungsliste umfasste das Sammeln von Material über Unfallhäufigkeiten, die Einrichtung einer Arbeitsschutzstelle, eines Sicherheitsprogramms, die Ernennung von Unfallvertrauensleuten und Einweisung in den Arbeitsplatz von Lehrlingen. In diesem Kontext erwähnte er auch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Da der Arbeitgeber einen Zuschuss zahlen müsse, sei es schon zu Vorfällen gekommen, in denen die Ursachen von Unfällen im Dunkeln blieben, damit Vorgesetzte nicht belastet würden und sich aus der Verantwortung ziehen könnten. Er forderte die anwesenden Betriebsräte auf, die Tatbestände von Unfällen zu registrieren, um sie in Zukunft zu vermeiden.135 Die Umsetzung war langwierig. Auf der Tagung im November 1966 berichtete der dafür zuständige Gewerkschafter Heinz Partikel aus der Vorstandsverwaltung, es hätte in einigen Werften bereits Initiativen gegeben und die Zahl der Unfälle sei rapide gesunken, aber häufig gehe es über Plakate und »schöne Sprüche« auf Betriebsversammlungen nicht hinaus.136 Sicherheit am Arbeitsplatz und Arbeitsabläufe blieben ein wichtiges Thema für die IG Metall und die Diskussionen um Rationalisierung wurden zum 134 Bezirk Hamburg: Resolution zur Situation im Schiffbau nach der DM-Aufwertung, 11.12.1969, in: ebd. 135 Protokoll der Sitzung der Aufsichtsratsmitglieder und Betriebsratsvorsitzenden der exportintensiven Großwerften am 19. Mai 1961 in Hamburg, in: IGM, Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109a. 136 Heinz Partikel, 5. Arbeitstagung der IGM für die Seeschiffswerften, 3.–4.11.1966, in Kiel, in: ebd.

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Anlass genommen, auch die Arbeitsabläufe und Arbeitsorganisation genauer zu beleuchten. Otto vom Steeg aus dem Bezirk Hamburg beschrieb 1966, wie problematisch die Fertigungsmethoden auf den Werften seien: Arbeitern werde immer noch zugemutet, acht Stunden auf den Knien zu schweißen. Auf einer Werft habe es keine Werkzeugausgabe auf dem Schiff gegeben, sodass jeder Arbeiter erst vom Schiff musste, um sich ein neues Werkzeug zu holen. Auch die Arbeitsorganisation sei hochgradig ineffizient. Wir brauchen also nicht nur Unternehmer die gut verhandeln können mit Ausländern, um viele Aufträge zu bekommen, wir brauchen nicht nur gute Finanzierungsbasen, wir brauchen letztlich auch befähigte Unternehmer, die in der Lage sind, aus einer Werft mit handwerklicher Fertigung, eine Werftfabrik zu organisieren. Und da ist offensichtlich  – gemessen an schwedischen und an japanischen Werften – in Deutschland noch ein großer Mangel an befähigten Leuten, die das durchführen können.137 In den Ideen von Laubrecht und vom Steeg tauchte erneut der Verweis zur Rationalisierung auf – in diesem Fall allerdings verknüpft mit der Hoffnung auf verbesserte Arbeitsbedingungen. Die Forderungen griffen einer Debatte in den 1970er Jahren voraus, die nicht nur die Gewerkschaften sondern auch das Bundesministerium für Forschung und Technologie in großem Umfang beschäftigen sollte: die Humanisierung der Arbeitswelt.138 Es wird deutlich, dass sich die Gewerkschafter schon vor der Initiierung des Programms Gedanken über Arbeitssicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz machten und entsprechende Verbesserungen forderten.

3.2.4 Das Thema Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Auf der Tagung 1966 kam erstmals Richard Sahrholz vom Europäischen Metallausschuss zu Wort. Er war eingeladen worden, um über die Schiffbaupolitik in der EWG zu berichten. Er begann in seiner Rede mit den Schwierigkeiten europäischer Industriepolitik. Es fehle vor allem am politischen Willen der Regierungen, dass wirtschaftliche Integration vorangebracht 137 Otto vom Steeg, ebd. 138 Die Debatte entstand während der 1970er Jahre und fand ihre Institutionalisierung mit dem staatlich finanzierten Programm »Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens« (1974–1989), siehe Seibring.

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werde.139 Dahingehende Vorschläge der Gewerkschafter, beispielsweise für die Stahlindustrie, würden nicht aufgegriffen und die Resultate würde man im Ruhrgebiet sehen, wo Arbeitsplätze verloren gingen. Schuld daran seien die nationalen Entscheidungsträger. Bei Bundeskanzler Erhard könne man beobachten, dass er sich grundsätzlich gegen das Wort Planung sperre und deshalb keine gemeinsame Wirtschaftspolitik zustande komme. Sahrholz erläuterte im Anschluss die vom Metallausschuss vorgeschlagenen Punkte für den Schiffbau: Man habe 1964 eine drohende Schiffbaukrise für Europa erwartet und sei deshalb aktiv geworden. Die europäische Schiffbauindustrie brauche Kooperationen, Forschung und Rationalisierung. Die Kommission habe zwar ein paar Ansätze übernommen, die Vorschläge seien aber nicht umgesetzt worden. Sahrholz versuchte auch, auf die zuvor geäußerten Bedenken der Betriebsräte zur Rationalisierung einzugehen, indem er sagte, dass diese Form der Umstrukturierung natürlich Geburtswehen mit sich bringe, der Metallausschuss aber entsprechende soziale Abfederungen verlange. Als Appell an die Anwesenden beendete er seine Ansprache mit der Aussage, dass nationale Maßnahmen nur halbe Maßnahmen sein könnten. Sahrholz war seine Frustration über die europäischen Einflussmöglichkeiten der Gewerkschaften deutlich anzumerken. Doch ein solcher Einstieg für eine nationale Konferenz war unglücklich gewählt. Anstatt die Arbeit und Bedeutung des Metallausschusses auf europäischer Ebene zu beleuchten, begann er mit seinem Ärger über die europäische Wirtschaftspolitik. Er erläuterte weder, wie der Metallausschuss seinen Einfluss auf die Kommission und Regierungen zu erhöhen versuchte, noch wie die Anwesenden ihn darin unterstützen könnten. Dass es den Konferenzteilnehmern schwerfiel, den Worten Sahrholz’ zu folgen, zeigte sich in den verhaltenen Reaktionen der Zuhörer. Nur wenige meldeten sich zu Wort. Ein Redner meinte, er befürchte, die Bearbeitung ihrer Interessen komme auf dieser Ebene nur langsam voran. Er wolle Sahrholz keinen Vorwurf machen, aber der »Apparat ist, glaube ich, viel zu schwerfällig, um nun Dinge in Bewegung zu setzen, die schnell zur Wirkung kommen müssten«.140 Ein anderer Redner schlug vor, die gewerkschaftlichen Publikationen besser zu nutzen, um über die Arbeit in Brüssel zu berichten, 139 Richard Sahrholz, 5. Arbeitstagung der IGM für die Seeschiffswerften, 3.–4.11.1966, in Kiel, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109a. 140 Emil Meyer, ebd.

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»damit auch die Kollegen wissen, daß hier von Seiten der Gewerkschaften eine Kommission ständig am Werken und Wirken ist, um die Auffassung der Gewerkschaften in der EWG voranzutragen«.141 Sahrholz bejahte diesen Vorschlag und berichtete, dass eine Broschüre in Zusammenarbeit mit dem IMB bereits in Arbeit sei. Doch anstatt seine Arbeit an dieser Stelle genauer zu erläutern, machte er seinen Beitrag noch verwirrender, indem er auf die Problematik der Kooperation mit kommunistischen Gewerkschaften in Italien und Frankreich einging. Dabei wurde er ausschweifend, meinte, dass die jungen Kollegen nicht mehr wissen würden, wie die Richtungskämpfe vor 1933 geführt worden seien, und dass er auf die Zusammenarbeit mit den demokratischen Gewerkschaften in diesen Ländern hoffe. Vielleicht war Sahrholz zu weit von den Problemen der deutschen Metaller entfernt und deshalb nicht in der Lage, die Anwesenden auf ihrem Wissensstand abzuholen. Damit vergab er allerdings die Chance, die Kollegen von seiner Arbeit zu überzeugen und für Unterstützung zu sorgen. Am Ende der Tagung meldete er sich noch einmal zu Wort und appellierte an die Bedeutung der europäischen Politik: Es ist klar, daß man Ordnung im eigenen Hause schaffen muß und es ist auch klar, daß das Hemd näher ist, als der Rock. Aber ich möchte nicht verfehlen, einen Hinweis zu geben, daß die Gewerkschaftsbewegung und auch hier die Werftarbeiter, die Möglichkeit haben und darüber nachdenken sollten […], die traditionelle internationale Verbundenheit, die die Gewerkschaften haben, zu vertiefen und nicht zu sehr nur den nationalen Standpunkt zu berücksichtigen.142 Es wäre viel sinnvoller, setzte er fort, wenn die Schiffbauforschung auf die Erfahrungen von fünf europäischen Schiffbauländern aufbauen würde. Vielleicht würde es helfen, wenn man die Gewerkschafter enger zusammenbringen würde und sie sich über ihre Erfahrungen austauschen ließe. Er schlug deshalb einen Austausch zwischen Betriebsräten in Frankreich, Italien, Deutschland, Belgien und Holland mit der Unterstützung des Metallausschusses vor. Der Informations- und Pressedienst in Brüssel wäre bereit, Dolmetscher zu stellen, sodass die Kollegen vor den Belegschaften der anderen sprechen könnten. 141 Karl Richter, ebd. 142 Richard Sahrholz, ebd.

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Ich glaube, das würde allen guttun, von ihrem nationalen Pferd etwas herunterzusteigen und einmal zu sehen, wo sind die gleichartigen Interessen und wo können wir lernen, und wie können wir eine internationale Zusammenarbeit in den Werften unter den Arbeitnehmern, unter den Gewerkschaften beschleunigen, denn bis heute leben wir isoliert nebeneinander her und es sind nur die wenigen Berufseuropäer, die einmal da und dort hinkommen.143 Bezirksleiter Heinz Scholz reagierte unmittelbar auf die Worte von Sahrholz und versuchte die Zurückhaltung der Anwesenden zu entschuldigen. Da Schleswig-Holstein in der Randlage zur EWG liege und für einiges bezahlt habe, müsse er verstehen, dass der Enthusiasmus hier gedämpfter sei. Natürlich würde man sich bemühen, einen guten Kontakt nach Brüssel zu halten. Einen Gedankenaustausch zwischen Kollegen aus Nachbarländern befürworte er natürlich und er sei für diesen Vorschlag sehr dankbar.144

3.2.5 Wandel der Perspektiven Mit der zunehmenden Bedeutung des japanischen Schiffbaus auf dem Weltmarkt veränderte sich der Blick der Gewerkschafter auf das Land. In den 1950er Jahren noch als Entwicklungsland gesehen, wurde es mit seinem wirtschaftlichen Gewicht zunächst zum Konkurrenten und schließlich zum Vorbild für die deutschen Gewerkschafter. Dieser Perspektivwechsel hatte nicht nur mit dem objektiven Bedeutungszuwachs des Landes auf dem Weltmarkt zu tun, sondern auch mit einer veränderten Wahrnehmung. Günter Köpke beispielsweise, der in den 1960er Jahren Wirtschaftsreferent im Vorstand der IG Metall war, berichtete von den Eindrücken einer Reise nach Tokio, bei der er japanische Vertreter der Ministerien Transport und Arbeit und den Verband der Werftindustriellen getroffen hatte: Japan ist von Deutschland weit entfernt, viele tausend Kilometer trennen diese beiden Länder. […] Wir wissen von diesem Land im allgemeinen nur wenig und kennen bestenfalls Bruchstücke von der wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Situation. Erst anläßlich der Olympiade 143 Ebd. 144 Heinz Scholz, ebd.

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von 1964 in Tokio bemerkten wir […] die gewaltigen Leistungen dieses Volkes im Fernen Osten. Wir erfuhren von dem Bau des schnellsten Zuges der Welt, der mit einer Geschwindigkeit von 200 km in der Std. die beiden Industriezentren Tokio und Osaka verbindet. Wir sahen übers Fernsehen den fieberhaften Bau von kühnen Transportwegen durch die Riesenstadt Tokio. Diese neuen Eindrücke bekräftigen bei vielen von uns die Vorstellung, daß sich hier ein Industrieland entwickelt mit einem enormen Tempo […].145 In diesen Worten spiegelte sich Faszination für die schnelle Entwicklung des Landes wider, aber auch die Botschaft, sich vor diesen Entwicklungen nicht zu fürchten, sondern sie kennenzulernen. Schon längst, fuhr Köpke fort, habe sich das Land von der Rolle des Nachahmers, das Patente aus den USA und europäischen Ländern übernehme, verabschiedet und würde neue und bessere Produkte anfertigen als in den hochindustrialisierten Ländern: Es ist heute eine unbestreitbare Tatsache, daß nicht die Japaner von uns Deutschen, sondern wir von den Japanern in der Werftindustrie zu lernen haben und zu dieser Einsicht müssen sich die Werftunternehmer selbst durchringen, auch wenn das einige Überwindungen kostet und eventuell traditionelle Denkgewohnheiten sprengt.146 Er spielte dabei auf die Meinung an, die Japaner seien aufgrund ihrer niedrigen Arbeitslöhne und hohen Subventionen auf dem Weltmarkt erfolgreich. Dies sei eine völlig unsinnige Vorstellung, fuhr Köpke fort: Die primitive Formel »Der japanische Werftarbeiter lebe selbst genügsam nur von einer Hand voll Reis und falle dadurch den deutschen Werftarbeitern in den Rücken« ist einfach absurd und zeugt von einer völligen Fehleinschätzung der wirklichen Situation. Es gibt inzwischen ausreichende Beweise, daß sich dieses Argument als Scheinargument entpuppt hat.147 Solche Aussagen seien eine Strategie der Unternehmer, um für Deutschland Subventionen fordern zu können, versuchte er die Hintergründe dieser Aus145 Günter Köpke, ebd. 146 Ebd. 147 Ebd.

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sagen zu entlarven. Natürlich, es stimme, dass der japanischen Werftindustrie Subventionen gezahlt würden, aber das Ausmaß und die Bedeutung seien vollkommen übertrieben. Er begann, das Bündel an Einflüssen aufzuzählen, das die japanische Schiffbauindustrie erfolgreich machte, erläuterte den geographischen Standortvorteil und die Entscheidung der Regierung, den Schiffbau zur Schlüsselindustrie zu erklären. In diesem Zusammenhang erläuterte er auch, wie außerordentlich schwierig es sei, die sozialen Bedingungen der Werftarbeiter in den Vergleich zu den deutschen zu setzen. Das japanische Lohnsystem gründe sich auf eine vollkommen andere Struktur mit Stamm- und Gelegenheitsarbeitern, Grundlöhnen mit verschiedenen Prämien, die sich wesentlich von den Akkordlöhnen der Deutschen unterschieden. Er würdigte die japanische Regierung, der es durch die Neuordnung der Reedereien, die Konzentration von Werften in Konzerngruppen und die Umstellung auf neue Produktionsverfahren und die Investition in Forschung gelungen sei, die japanischen Werften erfolgreich zu machen. Aus diesen Worten war die Bewunderung für die japanische Wirtschaftspolitik nicht zu überhören. Den Japanern war es gelungen das umzusetzen, was schon seit über zehn Jahren als Thema in Deutschland diskutiert wurde. Und so schloss Köpke mit den Worten: Japan ist keine Gefahr für uns, sondern eher eine Herausforderung. Und das sollten die Werften, die Küstenländer und die Bundesregierung endlich zur Kenntnis nehmen. Es ist sinnlos, ständig Klagelieder zu singen und von der deutschen Werftenkrise zu reden. Was uns in Deutschland fehlt, ist das Konzept einer systematischen und langfristigen Schiffbaupolitik und die planmäßige Entwicklung einer gezielten Sektoren- und Regionalpolitik […].148 Nicht alle wollten dieser Einstellung folgen. Der Betriebsratsvorsitzende der Flender-Werft in Lübeck meinte, ihm würde es sauer aufstoßen, wenn es wie in Japan zu einer Machtkonzentration der Unternehmer komme. Er glaube, dass das japanische Volk eine gewisse Mentalität habe, die sich von der deutschen unterscheide. Es sei einer alten Tradition der Hörigkeit verhaftet. Darüber müssten erst ein paar Generationen hinwegsterben, bevor es eine Demokratie werde, so wie sie in Deutschland gedacht werde.149 Eine 148 Ebd. 149 Erich Petersen, ebd.

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krasse Äußerung nach der leidenschaftlichen Rede Köpkes. Aber sie verdeutlicht, ähnlich wie bei den Subventionsdiskussionen, dass die Gedanken und Überzeugungsversuche der hauptamtlichen Gewerkschafter weit von den Einstellungen der Betriebsräte entfernt sein konnten. Auf den Konferenzen ging es aber nicht nur um internationale Vorbilder, sondern auch um die Internationalität des Schiffbaus an sich. Häufig begannen die Schiffbaukonferenzen damit, dass die Sprecher die Bedeutung des Internationalen hervorhoben und nach internationalen Lösungen riefen. Dies tat auch der Vorstandsvorsitzende Eugen Loderer in seiner Begrüßung auf der Konferenz 1972, in der er klarstellte, dass es sich zwar um eine nationale Konferenz handle, die Probleme aber längst internationaler Natur seien. In den letzten zwei Jahrzehnten hätte man ein eindrückliches Beispiel der weltweiten Konzentration des Kapitals und ungeheure Fortschritte in der Internationalisierung der Produktion beobachten können: Die übernationale Konkurrenz hat längst dazu geführt, daß der größte Teil der Produktion in Westeuropa von wenigen großen Konzernen erbracht wird. Aber dieser Prozeß ist keineswegs zu Ende. Im Gegenteil. Es drängt sich der Eindruck auf, daß die entscheidende Runde in der weltweiten Neuordnung der Schiffbaumärkte gerade erst eingeläutet wird. Das sage ich im Hinblick auf die Vorgänge in der dritten Welt: Errichtung von Werften in Süd-Korea, Portugal, Latein-Amerika. Ich sage es aber auch und gerade bezüglich der Entwicklung in Japan.150 Letztlich ging es, wie sich hier zeigt, bei der Thematisierung des Internationalen immer wieder um die Weltmarktführer und den Grund ihres Aufstiegs. Loderer meinte, jegliche Form westeuropäischer Subventionierung hätte den Verlagerungsprozess nach Ostasien nicht verhindern können. Die Weltschiffbauproduktion wachse weiter, doch der Bedarf an Schiffen nicht, sodass eine gewaltige Überproduktion entstanden sei. Und anders als Köpke 1966 interpretierte Loderer 1972 die Konkurrenz der Japaner als ernsthaft und bedrohlich:

150 Eugen Loderer, 6. Schiffbau-Konferenz der IG Metall am 21.10.1972, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1972, AdsD 5/IGMA 071110.

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Es sieht ganz danach aus, als strebten die japanischen Werftunternehmer ein Weltmonopol für die Schiffproduktion an. […] Daß […] dieser Vormarsch des im Schiffbausektor tätigen japanischen Kapitals eine ganz ernsthafte Bedrohung von Tausenden von Arbeitsplätzen unserer Kollegen nicht nur in Deutschland, sondern in fast allen westeuropäischen Ländern darstellt, das möchte ich betonen. Eine rein nationale Antwort auf diese Bedrohung, so wichtig sie im einzelnen sein mag, würde zweifellos nicht ausreichen. Diese Probleme werden sich nur im europäischen Rahmen lösen lassen.151 Ähnlich, nur nicht ganz so drastisch, äußerte sich Bezirksleiter Heinz Scholz: Es gab eine Zeit  – und die ist noch gar nicht lange her  – da kamen Japaner zu uns, um zu sehen, wie in der Bundesrepublik Schiffe gebaut werden. Heute können deutsche Unternehmer, Vorstände und Techniker nach Japan reisen um zu sehen, wie dort moderne Schiffe gebaut werden. Aber nicht nur das, sondern insbesondere ist interessant, wie Japaner permanent neue Ideen für die Anlage moderner Werften entwickeln.152 Wer sich auf dem Weltmarkt halten könne, so Scholz weiter, hinge von technologischen Voraussetzungen und technologischer Leistungsfähigkeit ab. Wie lassen sich diese unterschiedlichen Einschätzungen zu Japan von 1966 und 1972 interpretieren? Zunächst lässt sich sagen, dass schon 1966 nicht alle der Meinung gewesen waren, Japan sei Vorbild und Kooperationspartner. Diesem Standpunkt hatten sich nur die angeschlossen, die selbst im Austausch mit japanischen Gewerkschaftern gestanden hatten, allen voran Karl Casserini und Günter Köpke. Doch allein damit war die veränderte Position gegenüber Japan nicht zu erklären. Loderer und Scholz, die sich 1972 kritisch zu Japan äußerten, hatten ebenfalls Auslandserfahrungen. Ihre ablehnende Haltung stand vielmehr im Zusammenhang mit den aktuellen Aushandlungen auf globaler Ebene. 1972 wagte die Europäische Kommission einen Vorstoß bei der OECD und verlangte die Kontrolle von Subventionen bei den Japanern.153 Scholz und Loderer unterstützten dieses Vorgehen: »Wir wissen, daß bei den gegenwärtigen Gegebenheiten die nationalen Belange mehr oder 151 Ebd. 152 Heinz Scholz: Das Gutachten über die Lage der deutschen Werftindustrie, betrachtet aus der Sicht der IG Metall, Bl. 4, in: ebd. 153 Siehe ausführlich die Diskussionen zu den OECD -Verhandlungen im Kapitel zum IMB.

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minder von untergeordneter Bedeutung sind. Es bedarf in Europa einer koordinierten europäischen Schiffbaupolitik im Verhältnis zu Japan.«154 Und es war sicher kein Zufall, dass die Gewerkschafter in dieser Angelegenheit die Meinung der Bundesregierung vertraten. Auch der damalige Bundeswirtschaftsminister Helmut Schmidt plädierte für die Kontrolle von Subventionen und die Umsetzung europäischer Forderungen bei der OECD.155

3.2.6 Das Werftgutachten der Bundesregierung Die Rufe der Gewerkschafter nach langfristiger Planung in der Schiffbauindustrie fanden im Jahr 1969 durch den Regierungswechsel Gehör. Die sozialliberale Koalition gab Ende 1970 ein Gutachten in Auftrag, das die Zukunft der deutschen Schiffbauindustrie bewerten sollte. Es ging um die grundsätzliche Frage, ob es sinnvoll sei, weiterhin in den Schiffbau zu investieren und wenn ja, an welcher Stelle der Sektor Lücken aufwies, in die besonders investiert werden müsste. Für die Erstellung dieses Gutachtens ging etwas mehr als ein Jahr ins Land.156 Drei Unternehmensberater157 wurden beauftragt, zwanzig der fünfzig existierenden Werften zu untersuchen. Ziel war es, zu bewerten, worin die zukünftigen Absatzmöglichkeiten deutscher Werften liegen könnten, wie die Struktur der Zulieferer aussah, wo es zu Kooperationen und Konzentration kommen könnte und schließlich, wie es um den technologischen Stand der Werften beschaffen war. Die Bundesregierung gab dafür eine halbe Million DM aus, die IG Metall beteiligte sich mit 5.000 DM.158

154 Heinz Scholz: Das Gutachten über die Lage der deutschen Werftindustrie, betrachtet aus der Sicht der IG Metall, Bl. 4, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1972, AdsD 5/IGMA 071110. 155 Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen Helmut Schmidt auf der 6. Schiffbau-Konferenz der IG Metall am 21.10.1972, Bl. 9, in: ebd. 156 In Auftrag gegeben wurde das Gutachten am 21. Dezember 1970, fertiggestellt wurde es am 1. März 1972, siehe Heinz Scholz: Das Gutachten über die Lage der deutschen Werftindustrie, betrachtet aus der Sicht der IG Metall, Bl. 4, in: ebd. 157 Das waren die Wegenstein GmbH, die Kienbaum-Beratungs-GmbH und die Deutsche Revisions- und Treuhand-AG . 158 Albert Räuber, IGM Vorstand: Situationsbericht über die deutschen Werften, 11.08.71, in: IGM, Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Die wirtschaftliche Situation im Schiffbau, 1970–1974, AdsD 5/IGMA071271.

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Als Reaktion auf die Herausgabe des Gutachtens veranstaltete die IG Metall im Oktober 1972 eine Konferenz. Sie sollte eine möglichst große Breitenwirkung haben. Bundeswirtschaftsminister Helmut Schmidt wurde eingeladen, als Vertreter der Bundesregierung Position zu beziehen.159 Schmidt willigte ein, was eine Besonderheit darstellte, denn bis dahin hatten nur Politiker der Landesregierungen an den Tagungen teilgenommen.160 Am Freitag, dem 21. Oktober 1972, versammelten sich um 9.00 Uhr einhundertzehn Gewerkschafter und fünfzig Pressevertreter. Hinter dem Rednerpult im Saal des Gewerkschaftshauses prangte das Motto der Tagung: »Arbeitsplätze im Schiffbau sichern.«161 Rechts und links neben dem Pult war außer der deutschen Fahne die der Norweger, Schweden, Dänen, Holländer, Belgier, Italiener, Franzosen und Briten zu sehen, was die Einigkeit der europäischen Gewerkschafter symbolisieren sollte.162 Bevor Schmidt ans Rednerpult trat, gab es Begrüßungsworte vom neu ins Amt gewählten Vorstandsvorsitzenden Eugen Loderer.163 Dann begann Schmidt mit seinen Ausführungen.164 Er wisse um die Bedeutung der Schiffbauindustrie und teile die Feststellungen des 159 Scholz wollte der Konferenz eine »politische Note« verleihen und schlug Vorstandsmitglied Karl-Heinz Friedrichs deshalb vor, den Beitrag von Karl Pitz durch einen Beitrag aus dem Wirtschaftsministerium zu ersetzen: »Dies insbesondere deshalb, weil gerade in den letzten Wochen CDU und Unternehmer sehr stark Gelegenheit genommen haben, dieser Bundesregierung eine quasi Schuld an der gegenwärtigen Situation im Schiffbau in die Schuhe zu schieben.«, Heinz Scholz: Brief an Karl-Heinz Friedrichs, Vorstand IGM Abteilung Wirtschaft, Betreff: Schiffbau-Arbeitstagung am 20. und 21. Oktober 1972 in Hamburg, 06.09.72, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1972, AdsD 5/IGMA 071110. 160 Allgemein betrachtet war es keine Besonderheit. SPD -Politiker hatten schon in den 1960er Jahren an Tagungen der Gewerkschaften teilgenommen und damit ihre Verbindung zur Gewerkschaftspolitik deutlich gemacht. In diesem Fall unterstrich die Teilnahme Schmidts die Bedeutung des Gutachtens und die Entscheidung der sozialdemokratischen Regierung, in die Industriepolitik des Schiffbaus einzugreifen. 161 Aktennotiz Betreff: 6. Schiffbaukonferenz der IG Metall in Hamburg, o. A., 22.08.72, in: ebd. 162 Bezirksleiter Heinz Scholz wollte damit in Vorbereitung auf die nächste internationale Schiffbaukonferenz in Tokio die Einigkeit der europäischen Gewerkschaften demonstrieren, siehe Heinz Scholz: Brief an Karl-Heinz Friedrichs, IGM Vorstand, Betreff: 6. Schiffbauarbeitstagung der IG Metall, 06.09.72, in: ebd. 163 Seine Nachfolge kam durch das plötzliche Ausscheiden Otto Brenners unverhofft. Seit Juni 1972 war Eugen Loderer in einer außerordentlichen Sitzung zum Vorsitzenden gewählt worden. 164 Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen Helmut Schmidt auf der 6. Schiffbau-Konferenz der IG Metall am 21.10.1972, in: ebd.

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Gutachtens, dass der Sektor eine gesamtwirtschaftliche, regionalwirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Bedeutung habe. Und er sei sich bewusst, dass es nun an der Bundesregierung liege, die Wettbewerbsfähigkeit der Werften zu stärken und ihre Anpassung an die Erfordernisse des Marktes zu ermöglichen. Die Enquete – gemeint war das Gutachten – habe deutlich gezeigt, dass der deutsche Schiffbau noch wettbewerbsfähig sei, allerdings nur, wenn rechtzeitig Strukturveränderungen vorgenommen und Investi­tionsund Anpassungslücken geschlossen würden. Die Bundesregierung wolle die Werften und arbeitenden Menschen in der Situation nicht allein lassen und habe deshalb am 17. Oktober 1972 beschlossen, das siebte Werfthilfeprogramm mit einem zusätzlichen Auftragsvolumen von bis zu 1,5 Milliarden DM für die Exportfinanzierung aufzustocken. Diese staatlichen Hilfen waren, so machte Schmidt deutlich, erstmals an Bedingungen geknüpft: Der Werftenverband der Unternehmer sollte ein Papier vorlegen, das den Einsatz der Mittel erläuterte und eine Einschätzung der eigenen Marktaussichten gab. Diese Maßnahme ließ erkennen, dass die Bundesregierung ernsthaft bemüht war, mehr Kontrolle über die Ausgaben zu bekommen.165 Es müsse entsprechend der Entwicklungen der internationalen Seefrachtraten abgewogen werden, setzte Schmidt fort, wie die künftige Schiffbaupolitik auszusehen habe. Und er versprach, dass er die Gewerkschafter an der Aushandlung beteiligen würde. Des Weiteren erläuterte er die ebenfalls beschlossenen Umstrukturierungshilfen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Es sollte Investitionszulagen und Haushaltszuschüsse bis zu 25 Prozent der Investitionskosten geben. Schmidt schloss seine Rede mit den Worten: Wenn ich Sie heute so ausführlich über die Entscheidung unterrichtet habe, die die Bundesregierung vor wenigen Tagen getroffen hat, so habe ich dies getan, um Ihnen die Gewißheit zu verschaffen, daß Sie die Bundesregierung bei der Lösung der Werftprobleme an Ihrer Seite finden.166 Auf eine solche Initiative der Regierung hatten die Gewerkschafter lange gewartet. Das Wort ergriff zunächst Heinz Scholz, der Hamburger Bezirks165 »Deshalb hat die Bundesregierung mit den Werften vereinbart, daß sie ihre autonomen Vorstellungen über die zukünftigen Investitionen, ihre Marktaussichten und Strukturanpassungen zusammenfassen und dem Ministerium zum 15.2.1973 vorlegen.«, Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen Helmut Schmidt auf der 6. Schiffbau-Konferenz der IG Metall am 21.10.1972, 21.10.72, Bl. 12, in: ebd. 166 Ebd., Bl. 20.

Der Wirtschaftsboom im Schiffbau, 1960–1973

leiter, der zur Hauptansprechperson für den Schiffbau geworden war. Bereits seit Jahren hätten sie von der konservativen Regierung ein Gutachten gefordert und seien dankbar, dass es durch den Regierungswechsel zustande gekommen sei. Es komme nun darauf an, die richtigen Schlussfolgerungen aus dem Gutachten zu ziehen: Erstens, die Wettbewerbssituation sei für deutsche Schiffbauunternehmen nicht besser geworden, der Konkurrenzkampf werde härter, die Kapazitäten stiegen. Zweitens, das Gutachten sage zwar sehr deutlich, welche Entwicklungstendenzen zu erwarten seien, es lasse aber offen, ob privatwirtschaftliche oder staatliche Gegensteuerungsmaßnahmen ergriffen werden müssten. Und damit appellierte er an die Bundesregierung, die notwendigen politischen Entscheidungen zu treffen.167 Für Scholz stand nicht infrage, ob der Schiffbau wirtschaftliche Bedeutung habe. Er sei für das gesamte Bundesgebiet verkehrs- und energieversorgungspolitisch wichtig: »Es kommt [auf die Frage] an, […] ob ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland es sich leisten kann, total und völlig abhängig von den [von] anderen Ländern zur Verfügung gestellten Frachträumen zu sein, um ihre transportierenden Güter verladen zu können.«168 Das war ein überzeugendes Argument, ein weiteres die Arbeitsplätze der 80.000 Werftarbeiter und 120.000 Beschäftigten der Zulieferer. Hauptproblem sei gewesen, so fuhr Scholz fort, dass die deutschen Schiffbauunternehmen viel zu spät erkannt hätten, welchem harten Wettbewerbsdruck sie auf dem Weltmarkt ausgesetzt seien. Man habe Entwicklungen außerhalb des Landes ignoriert und ein Eigenbrödlerdasein geführt: »Jahrelang Klagelieder zu singen, Mitleid an die Wand zu malen und den Untergang des deutschen Schiffbaus zu prophezeien, zieht nur am Anfang.«169 Die Schlussfolgerung könne aus Sicht von Scholz nur sein, der Bundesregierung eine stärkere Rolle zu geben. Und um die Macht der Gewerkschafter und Werftarbeiter zu unterstreichen, schloss Scholz mit folgenden Worten: Bisher hat es immer nur Aufmärsche von Bauern und Studenten gegeben. Es hat aber noch keinen Aufmarsch von Werftarbeitern gegeben, um Zuschüsse zu erlangen. Wenn es um die Sicherheit der Arbeitsplätze in der Werftindustrie geht, dann ist auch ein solches Vorgehen nicht aus167 Heinz Scholz: Das Gutachten über die Lage der deutschen Werftindustrie, betrachtet aus der Sicht der IG Metall, o. A., Bl. 3, in: ebd. 168 Ebd., Bl. 8. 169 Ebd., Bl. 10.

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geschlossen. Ganz gleich, welche Regierung zur Zeit […] in der Verantwor­ tung stehen mag.170 Doch diese Drohung konnte nur symbolisch gemeint sein. Scholz war bekannt, dass sich in den Betrieben andere Diskussionen abspielten und die Streikbereitschaft der Werftarbeiter für Ziele der IG Metall zu diesem Zeitpunkt relativ niedrig war.171

3.3

Anzeichen einer ernsthaften Krise, 1975–1983

3.3.1 Unmittelbare Reaktionen auf die Krise Die Veränderungen, die sich mit der Ölpreiskrise von 1973 für den Schiffbau einstellten, habe ich bereits beschrieben. Mit dem Jahr 1975 wurden die Folgen zunehmend auch bei der IG Metall diskutiert. Hier begann sich Karl Heinz Pitz ab 1975 verstärkt mit der Problematik auseinanderzusetzen. Der 1938 in Eisenach geborene Gewerkschafter hatte an der Universität Frankfurt am Main von 1959 bis 1964 Volkswirtschaft studiert. Nach dem Diplom hatte er eine Anstellung als wissenschaftliche Hilfskraft und eine Assistentenstelle am Seminar für Wirtschafts- und Sozialpolitik der Universität bis zu seiner Promotion im Jahr 1967. Durch Praktika mit AIESEC172 konnte er Auslandserfahrungen in Dublin, New York und Tokio sammeln.173 Seit 1970 war er in der Wirtschaftsabteilung des Vorstandes der IG Metall tätig. Im August 1975 entwarf Pitz eine Stellungnahme zur Situation in der westdeutschen Schiffbauindustrie. Aller Wahrscheinlichkeit nach ging diese Initiative auf ein Treffen der nationalen Berichterstatter im EMB zurück. Hier hatte Günter Köpke, der vom Vorstand der IG Metall als Generalsekretär zum EMB gewechselt war, die Delegierten gebeten, Rückmeldungen zur nationalen Situation im Schiffbau zu geben, um sich auf eine im Juni 1976

170 Ebd., Bl. 12. 171 Siehe die Ereignisse Anfang der 1970er Jahre beim Bremer Vulkan. 172 Ist heute ein Eigenname, ursprünglich die Abkürzung für Association Internationale des Etudiants en Sciences Economiques et Commerciales. AIESEC ist eine Organisation, die den Austausch von Studierenden in soziale oder unternehmerische Projekte koordiniert. Sie wurde 1948 in Stockholm gegründet. 173 Biographische Angaben aus Pitz, S. 234.

Anzeichen einer ernsthaften Krise, 1975–1983

stattfindende Konsultationstagung mit der Europäischen Kommission vorbereiten zu können.174 Während der Überarbeitung seiner Papiere hielt Pitz regelmäßig Rücksprache mit dem Vorstandsvorsitzenden Eugen Loderer und Otto vom Steeg, Bezirksleiter in Hamburg und Nachfolger von Heinz Scholz. Am 2. Dezember 1975 nahm Pitz an einem Treffen der Arbeitsgemeinschaft Schiffbau175 in Hamburg teil, um über die Entwicklungen im Schiffbau zu sprechen und die Fragen des EMB zu diskutieren. Pitz meinte, wenn die IG Metall auf die Entwicklungen im EMB Einfluss nehmen wolle, würde sie nicht umhin kommen, ihren Standpunkt zu präzisieren: »Wir werden uns also überlegen müssen, welche Art von staatlicher Krisenpolitik wir fordern sollen«,176 sagte er und begann, seinen Standpunkt zu erläutern: Durch den Rückgang der Tankernachfrage zeichne sich eine ernstzunehmende Beschäftigungskrise ab. Von den internationalen Verhandlungen sei so bald keine Einigung zu erwarten, weshalb man sich Alternativen überlegen müsse, um weitere Krisenerscheinungen zu verhindern. Es gebe Überkapazitäten auf dem Weltmarkt und eine »radikale Forcierung der Investitionen im Schiffbau in Japan«.177 In diesen Äußerungen wird deutlich, dass im Vorstand der IG Metall ein Umdenken stattfand: Statt sich, wie noch vor einigen Jahren propagiert, Japan anzunähern, hieß es jetzt auch vonseiten der Gewerkschaftsführung, man solle sich auf den eigenen Markt und die Sicherheit der Arbeitsplätze konzentrieren. Pitz zeigte sich ungeduldig, was die internationalen Absprachen anbelangte, und forderte schnelle Lösungen. Er spielte einige Möglichkeiten durch: Beim EMB hätten manche Delegierte erklärt, dass sie einer Verstaatlichung ihrer Werften nicht im Weg stehen würden. Wäre das für die Bundesrepublik denkbar? »Immerhin könnte die IG Metall eventuell andeu174 Pitz erwähnte in einem Schreiben an Eugen Loderer, dem er den Entwurf zu einem schiffbaupolitischen Programm für die IG Metall anhängte, dass man das Papier zur Vorbereitung der Mitte des Jahres stattfindenden Konsultationstagung beim EMB nutzen könne, siehe Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, 29.04.76, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Schiffbau, 1975–1977, AdsD 5/IGMA100135. 175 Während der 1970er Jahre hatte sich bei der Bezirksleitung eine Arbeitsgemeinschaft Schiffbau herausgebildet, die sich in regelmäßigen Abständen traf, um aktuelle Probleme des Sektors zu besprechen. Diesem Kreis gehörte eine relativ kleine Gruppe von Personen an, darunter der Bezirksleiter und Betriebsräte einiger Großwerften. 176 Karl Pitz: Papier für AG Schiffbau am 2. Dezember 1975, o. A., in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, EMB -Arbeitsgruppen und Tagungen zur Werftindustrie, 1972–1976, AdsD: IG Metall-Archiv, 5/IGMA100171. 177 Ebd.

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ten, daß wir die Forderung nach Übernahme bedeutender Werften durch den Staat zur Erhaltung der Arbeitsplätze nicht generell ausschließen.«178 Seine komplizierte Formulierung verdeutlicht, wie vorsichtig er war, was die Idee einer Verstaatlichung anging. Es würde sich, setzte er fort, in einem solchen Fall die Frage ergeben, wie lange die Arbeitsplätze der in den Werften beschäftigten Kollegen auf Kosten des Steuerzahlers erhalten werden könnten.179 Doch Bezirksleiter vom Steeg wollte im Gegensatz zu Pitz das Treffen nicht dazu nutzen, sich gegenüber dem EMB zu positionieren, sondern um die Probleme an der norddeutschen Küste zu lösen.180 So schrieb vom Steeg nach dem Treffen, die Delegierten hätten keine Ambitionen gezeigt, die Fragen des EMB zu beantworten. Mehrfach sei gefragt worden, was die Gewerkschaft für die deutsche Schiffbauindustrie tun könne und ob es nicht angebracht sei, seitens der IG Metall um Hilfe bei der Bundesregierung zu bitten. Vom Steeg habe, so ließ er Loderer in diesem Schreiben wissen, Kontakt zum Verband der Schiffbauindustrie und zur Bundesregierung aufgenommen. Man würde die Situation in einem kleinen Kreis von Spitzenfunktionären der Großwerften erörtern wollen und sich abstimmen, in welcher Form man den Länderregierungen und der Bundesregierung gegenübertreten wolle.181 Vom Steeg hatte diese Initiativen ohne vorherige Absprache mit dem IG Metall-Vorstand vorangebracht. Er fühlte sich verantwortlich und hatte in den Äußerungen seiner Kollegen einen gewissen Handlungsdruck verspürt. So wandte er sich auch an den Haushaltsausschuss des Bundeskabinetts und bat in einem Schreiben um schnellstmögliche Unterstützung. Überkapazitäten auf dem Markt wolle man natürlich nicht haben, so schrieb er in vorauseilendem Gehorsam, aber stärker zu schrumpfen als woanders wäre keine Lösung. Der deutsche Schiffbau müsse aus gesamt- wie regionalwirtschaftlichen Erwägungen in der gegenwärtigen Größenordnung erhalten bleiben, war seine Forderung. Internationale Bemühungen zur Reglementierung von staatlichen Hilfen seien bisher gescheitert und der deutsche Schiffbau erleide dadurch massive Nachteile. Es sei deshalb dringend notwendig, die Benachteiligung zu beseitigen, was in der Konsequenz bedeuten müsse, das achte 178 Ebd. 179 Ebd. 180 Otto vom Steeg, Telex an Eugen Loderer; Betr.: Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Schiffbau zu: 1. Arbeitszeit, 2. Pensionsalter, 3. Abschaffung von Leistungslöhnen, 05.12.75, in: ebd. 181 Er erwähnte, dass es schon Gesprächsangebote vom Bremer Bürgermeister Koschnick und dem CDU-Wirtschaftsminister aus Schleswig-Holstein Westphal gebe, in: ebd.

Anzeichen einer ernsthaften Krise, 1975–1983

Werfthilfeprogramm aufzustocken und weitere Reederhilfen zur Verfügung zu stellen.182 Um seine Forderungen zu erläutern, sprach vom Steeg im März 1976 vor dem Bundeshaushaltsausschuss. Das eigenmächtige Handeln von vom Steeg löste zwischen ihm und Karl Pitz eine Art Kompetenzkonflikt aus. Vom Steegs Brief an den Haushaltsausschuss kommentierte Pitz damit, dass die Zielsetzung des Papiers widersprüchlich formuliert sei. Was den Erhalt der Werftkapazitäten anbelangte, war Pitz vorsichtiger als vom Steeg: Wir sollten uns darauf einigen, ob wir den Schiffbau in seiner gegenwärtigen Größenordnung erhalten wollen, oder ob wir auch nach außen hin eine bestimmte Schrumpfung der Kapazitäten nicht ausschließen wollen. Die Grundformel müßte meines Erachtens nach lauten: Zwar sind Auswirkungen der internationalen Überkapazitätenkrise auf die bundesrepublikanischen Werften nicht auszuschließen, die IG Metall wird sich aber dafür einsetzen, daß diese Auswirkungen so geringfügig wie möglich bleiben und im beschäftigungspolitischen Bereich Entlassungen vermieden werden müssen.183 Pitz kritisierte weiter, dass vom Steeg in seiner Argumentation auf die Stellungnahme der IG Metall aus dem Jahr 1973 zurückgegriffen habe. Doch diese sei veraltet und müsse dringend überarbeitet werden. Wenn sie, so setzte er fort, die politische Entscheidung träfen, eine Erhöhung der Subventionen an die Werften zu fordern, dann müsste das im Papier stärker präzisiert werden. Und er ergänzte, dass wenn die IG Metall mit einem neuen schiffbaupolitischen Programm an die Öffentlichkeit trete, sie nicht nur Subventionen verlangen könne, sondern das Programm sehr viel breiter angelegt sein müsse.184 Das Problem lag auch darin, dass Pitz seit einem halben Jahr an dem Strategiepapier für die IG Metall arbeitete und es noch nicht als offizielles Papier 182 Aus: Brief an die Mitglieder des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages, Betreff: Finanzierungshilfen für den Deutschen Schiffbau und für die Deutsche Schiffahrt (Entwurf), o.  A., in: Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, Betrifft Schiffbaupolitik der Bezirksleitung Hamburg, 06.02.76, in: IGM , Abteilung Wirtschaft, IGM Bezirke, Arbeitsgemeinschaft Schiffbau, Bezirksleitung Hamburg, 1972–1978, AdsD 5/IGMA100181. 183 Ebd. 184 Ebd.

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an die Öffentlichkeit gegeben werden konnte. Im Nachgang des Termins beim Bundeshaushaltsausschuss wurde vom Steeg nochmals eigenmächtig aktiv und reichte seine Forderungen beim Ausschuss schriftlich ein. Pitz war nun sichtlich verärgert darüber, dass vom Steeg erneut einen Alleingang gewagt und das Papier als Programm der IG Metall ausgegeben hatte. Bei Loderer ließ er seinem Unmut freien Lauf: Otto vom Steeg weiß, daß sich gegenüber früher die Zuständigkeiten für die Schiffbaupolitik geändert haben. Die Schiffbaupolitik wird heute, wie alle anderen Branchenpolitiken vom Vorsitzenden der IG Metall in Abstimmung mit allen infrage kommenden Gremien festgelegt. Du hast das bei dem Gespräch mit den Spitzenfunktionären der norddeutschen Werften in Hamburg durchblicken lassen. Außerdem habe ich den Kollegen Otto vom Steeg sowohl im Anschluß an das Gespräch mit den Haushaltsausschußmitgliedern als zuletzt bei der Vorstandssitzung am 23. März im Hause darauf hingewiesen, daß er jede Forderung zur Schiffbaupolitik zuvor mit dem 1. Vorsitzenden absprechen sollte. Zwar habe ich durch­ blicken lassen, daß Du eventuell bereit sein würdest, bestimmte Forderungen zu genehmigen, aber nicht mehr.185 Pitz fühlte sich für die Schiffbauindustrie verantwortlich und wurde über die langsame Entwicklung seines Papiers zunehmend ungeduldig. Der Vorstand, der das Programm absegnen sollte, hatte zu diesem Thema immer noch nicht abschließend getagt. Inhaltlich hatte er kaum etwas zu den Vorstellungen von vom Steeg einzuwenden: Er unterstützte die Forderung eines Sofortprogramms für 1976 und die Erhöhung der Reederhilfen.186 Er widersprach auch der Forderung nach voller Ausschöpfung des Subventionsvolumens in den OECD -Regularien nicht. An dieser Stelle merkte Pitz allerdings an, dass es eine politische Frage sei, ob und wie weit man in dieser Richtung mitgehen wolle. Denn eigentlich vertrete man in der IG Metall den Standpunkt, dass die Subventionen international, also auch in der Bundesrepublik, zurückgefahren werden müssten. Die anderen von vom Steeg aufgestellten Forderungen, darunter nach einer verstärkten Vergabe öffentlicher Aufträge 185 Ebd. 186 Man würde 198 Millionen DM statt der bereits 110 Millionen DM genehmigten Stütze fordern. Finanzminister Apel habe schon signalisiert, dass er zu einer Aufstockung – wenn auch nicht in dieser Höhe – bereit wäre, siehe ebd.

Anzeichen einer ernsthaften Krise, 1975–1983

und der Intensivierung der Meeresforschung und -technik, interpretierte Pitz als unproblematisch.187 Zwei Tage nachdem Pitz seine Unzufriedenheit mitgeteilt hatte, schrieb auch vom Steeg einen Brief an den Vorstandsvorsitzenden. Er berichtete, dass nun fast alle Gespräche mit den Wirtschaftsministern und -senatoren abgeschlossen seien und er einen »nicht unerheblichen Einfluss« auf die Entschließungen der Küstenländer gehabt habe. Er sei erfolgreich darin gewesen, dass das Kumulationsverbot aufgehoben worden sei  – ein Gesetz, das untersagte, dass verschiedene staatliche Hilfen beim Bau eines Schiffes kombiniert werden durften. Auch der Forderung nach Erhöhung der Reederhilfen sei man bereits nachgekommen. Selbstbewusst schrieb vom Steeg: »Wir betrachten dies als einen Erfolg unseres Einwirkens und wir möchten Dich bitten, eine entsprechende Presseinformation des Vorstandes der IG Metall herauszugeben.«188 Dass die Kritik von Pitz angekommen war, verdeutlicht ein weiterer Satz, in dem stand, dass die von ihm vorgeschlagenen Punkte zunächst als Meinung der Bezirksleitung Hamburg veröffentlicht werden könnten. Dann könne der Vorstand zu gegebener Zeit immer noch zu den Fragen der Werftindustrie Stellung nehmen. Dieser leicht kritische Unterton macht deutlich, dass vom Steeg über die Langwierigkeit der Entscheidungsfindung im Vorstand verstimmt war.189 Und der Erfolg durch seine schnelle Reaktionsfähigkeit war nicht von der Hand zu weisen. Vom Steeg hatte mit einer Vielzahl an Gesprächen in kurzer Zeit Abhilfe für die desolate Situation in der Schiffbauindustrie geschaffen. Pitz waren durch die langwierigen Prozesse innerhalb des Vorstandes in dieser Situation die Hände gebunden. Die Subventionsforderungen mussten in einem größeren Kreis besprochen und entschieden werden. In den Fragen über mehr oder weniger Subventionen und Kapazitätserhalt oder -abbau war er selbst unentschieden. Das musste auf Vorstandsebene diskutiert werden. Und das schnelle Eingreifen von vom Steeg war diesbezüglich auch problematisch für die IG Metall. Bevor der Vorstand keine Grundsatzentscheidung getroffen hatte, war die Richtung, in die die IG Metall gehen wollte, nicht geklärt. Dementsprechend ist verständlich, dass

187 Ebd. 188 Otto vom Steeg: Brief an Eugen Loderer, Betr.: Situation auf den Werften, 31.03.76, in: IGM , Abteilung Wirtschaft, IGM Bezirke, Arbeitsgemeinschaft Schiffbau, Bezirksleitung Hamburg, 1972–1978, AdsD 5/IGMA100181. 189 Ebd.

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Tab. 4: Ereignisse in der IG Metall zur Schiffbauindustrie (1975–1983) Ort

Titel / Thema

Datum

Entwurf der IGM Stellungnahme von Karl Pitz

15.08.1975

Treffen der Arbeitsgemeinschaft (AG) Schiffbau

02.12.1975

Treffen IGM-Vorstand und Bundeswirtschaftsministerium

23.01.1976

Treffen IGM -Bezirk Hamburg und Minister Westphal, Wirtschafts- und Verkehrsministerium des Landes Schleswig-Holstein

28.01.1976

»Werften-Spitzen-Gespräch« mit IGM-Bezirk, IGM-Vorstand, Mitgliedern der AG Schiffbau, IGM-Verwaltungsstellen

12.02.1976

Treffen Otto vom Steeg und Karl Pitz mit Mitgliedern des Bundeshaushaltsausschusses (SPD -Fraktion)

17.03.1976

Treffen AG Schiffbau

12.05.1976

Hamburg

Treffen AG Schiffbau

25.05.1976

Hamburg

IGM-Vorstand verabschiedet Stellungnahme von Karl Pitz (mit Überarbeitungswünschen)

26.05.1976

Treffen IGM -Bezirk mit SPB -Bundestagsabgeordneten

29.11.1976

IGM -Vorstand verabschiedet erweiterte und ergänzte Stellungnahme als »Strukturkonzept«

30.11.1976

Treffen Arbeitskreis Schiffbau*

07.12.1976

Treffen AG Schiffbau

08.12.1976

Überarbeitung des »Strukturkonzepts«, neuer Titel »Die Lage der Werftindustrie in der Bundesrepublik Deutschland. Analyse und Politik

24.02.1977

Gespräch IGM -Vorstand und Bundeskanzler

04.03.1977

Verabschiedung »Strukturkonzept Werften« vom IG Metall-Vorstand

25.03.1977

Treffen AG Schiffbau

07.12.1977

Papier zu »Ursachen der Krise im Schiffbau« von Karl Pitz

20.12.1977

7. Nationale Schiffbaukonferenz

03.03.1978

Hamburg

Treffen Arbeitskreis Schiffbau

06.02.1978

Malente

Hamburg

Kiel

Hamburg

Hamburg

Anzeichen einer ernsthaften Krise, 1975–1983

*

Titel / Thema

Datum

Ort

Treffen Otto vom Steeg und Karl Pitz mit Mitgliedern des Bundeshaushaltsausschusses (SPD-Fraktion)

09.11.1978

Bonn

Treffen AG Schiffbau

20.02.1979

Hamburg

Treffen AG Schiffbau

16.06.1980

Hamburg

Stellungnahme der IG Metall zur weiteren Subventionierung des deutschen Schiffbaus

März 1981

Subventions-Hearing beim DGB

26.–27.04.1982

Papier »Die Schiffbaukrise überwinden. Forderungen der IG Metall zur Sicherung der Arbeitsplätze auf den Werften in den Krisenjahren 1983–1985«

29.11.1982

8. Nationale Schiffbaukonferenz

17.08.1983

Hamburg

Beim Arbeitskreis waren vermutlich Werftvertreter anwesend

Pitz – während er auf die Reaktionen zu seinem Papier wartete – über den Alleingang von vom Steeg verärgert war. Und es ging ja nicht nur, wie Pitz deutlich gemacht hatte, um eine nationale Position, sondern auch um eine europäische. Die Problematik zur schwierigen Entscheidungs- und Handlungskompetenz lag an der Struktur der Gewerkschaft. Otto vom Steeg agierte anhand eines gut funktionierenden Netzwerkes auf regionaler Ebene und klärte die Dinge entsprechend der auftretenden Probleme ad hoc. Karl Pitz war beauftragt, langfristige Konzepte zu entwickeln und konnte, da er von den unmittelbaren Auswirkungen der Probleme nicht betroffen war, unangenehme Entscheidungen wie Kapazitäts- oder Subventionsreduktionen im Hinblick auf eine gesamtgewerkschaftliche Perspektive treffen. Otto vom Steeg und Karl Pitz arbeiteten in den folgenden Jahren trotz dieser strukturellen Herausforderungen gut zusammen. Pitz fuhr regelmäßig nach Hamburg, um die Diskussionen in der Bezirksleitung mitverfolgen zu können, und wenn Stellungnahmen verfasst werden mussten, hielten beide Rücksprache. Wenn aber die Dinge brenzlig zu werden schienen, handelte vom Steeg schnell und meist eigenmächtig. Das passierte erneut im Jahr 1980, als Medienberichte in der Öffentlichkeit kursierten, in denen von der Kürzung der Hilfsprogramme die Rede war. Um dem Wirtschaftsministerium zuvorzukommen, schickte vom Steeg vor der öffentlichen Bekanntgabe die-

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ser Maßnahmen die gerade erarbeitete Stellungnahme der IG Metall an das Ministerium und bat um schnellstmögliche Kontaktaufnahme. Und erneut beschwerte sich Pitz über dieses voreilige Vorgehen von vom Steeg.190

3.3.2 Ein Strukturkonzept in Zeiten der Krise Das Papier, das Pitz im August 1975 begonnen hatte, wurde endgültig am 25. März 1977 vom Vorstand der IG Metall als »Strukturkonzept Werften« verabschiedet (vgl. Tab. 4). In den anderthalb Jahren waren Gedanken von vom Steeg eingeflossen sowie Anregungen von weiteren Kollegen der IG Metall.191 Im Text war nun von einer Krise die Rede, die auf die weltweiten Überkapazitäten zurückzuführen sei.192 Hauptverursacher sei die japanische Schiffbauindustrie: Japan allein ist es in rund 20 Jahren gelungen, seinen Weltmarktanteil zu verdoppeln. Die nächstgrößeren Schiffbauländer hingegen verloren gewaltig an Bedeutung. Während Japan heute also die Hälfte des Weltschiffbaus produziert, kommt keine andere Nation der Welt auch nur noch auf einen zweistelligen Anteil an den Gesamtkapazitäten.193 190 Im Brief an Eugen Loderer schrieb Karl Pitz: »Auf dem Titelblatt der Stellungnahme war verzeichnet, daß es sich um ein Papier des Vorstandes handelte. Ich sagte Otto vom Steeg klar, daß der Vorstand dieses Papier erst noch beraten und genehmigen müsse. […] Es stellt sich erneut die Frage, die wir Anfang der 70er Jahre bereits einmal diskutiert haben, wie zu gewährleisten ist, daß der 1. Vorsitzende der IG Metall für alle Industriepolitik also auch für die Schiffbaupolitik, zuständig ist.«, in: Karl Pitz: Aktennotiz: An den Kollegen Eugen Loderer, Betreff: Stellungnahme zum Struktur­bericht des VDS , 01.04.80, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Schiffbau, ­1977–1982, AdsD 5/IGMA100134. 191 Die Auseinandersetzung zwischen Otto vom Steeg und Karl Pitz habe ich bereits ausführlich besprochen. Im Prinzip funktionierte sie bei der Ausarbeitung des Papiers von Pitz gut. Vom Steeg kommentierte die Überarbeitung des Textes Anfang 1977 und machte Ergänzungen, die Pitz weitgehend übernahm, siehe die Anmerkungen von Otto vom Steeg, in: Brief an Eugen Loderer, Betrifft: Papier des Vorstandes zur Situation der Werftindustrie, 14.01.77, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Schiffbau, 1975–1977, AdsD 5/IGMA100135. Und die Erläuterungen von Pitz, was er davon in das Papier übernahm, siehe Eugen Loderer: Aktennotiz an Anke Fuchs und Kollegen, Betr. Schiffbaupolitik, 24.02.77, in: ebd. 192 IGM Vorstand: Die Lage der Werftindustrie in der Bundesrepublik Deutschland. Analyse und Politik, Frankfurt am Main, Februar 1977, in: ebd. 193 Ebd., Bl. 1.

Anzeichen einer ernsthaften Krise, 1975–1983

Der wichtigste Ansatzpunkt einer internationalen Politik, so setzte das Papier fort, müsse deshalb der Versuch einer weltweiten Abstimmung der Kapazitäten durch Verhandlungen bei der OECD sein. Die Bundesregierung müsse einen Gewerkschaftsvertreter mit vollen Rechten in die Schiffbauarbeitsgruppe des OECD -Rates entsenden und solle sich dafür einsetzen, dass alle protektionistischen Maßnahmen zurückgefahren werden. Das bezog sich auf die Subventionspolitik, zu der formuliert wurde: Die IG Metall »ist weiterhin der Überzeugung, daß es wirtschaftlicher wäre, wenn der Schiffbau in allen Ländern nicht mehr subventioniert würde. Ausgehend von diesem Grundsatz tritt die IG Metall weiterhin für eine Reduzierung der weltweiten Subventionstätigkeiten ein.«194 Dann folgte das »Aber«: »Solange international ein harmonisierter Abbau der Subventionen nicht erreicht ist, solange sieht sich die IG Metall gezwungen, sich auch weiterhin für die Subventionierung der Werften in der Bundesrepublik einzusetzen.«195 Pitz sah also keinen anderen Ausweg, als auf staatliche Hilfen zu bauen, solange auf globaler Ebene keine Einigung stattfand. Dementsprechend verlangte er ein Sofortprogramm, ähnlich wie vom Steeg, das die Schifffahrtsförderung nochmals aufstocken und die Reeder- und Werfthilfemaßnahmen an die Bestimmungen der OECD anpassen sollte, was ebenfalls die Erhöhung der Mittel bedeutete.196 Zusätzlich wurde ein Vorschlag an die Entwicklungspolitik gemacht, für Schwellenländer Gelder zur Verfügung zu stellen, damit diese für den Transport ihrer Güter Schiffe in Auftrag gaben. Diskutiert wurde sogar der Vorschlag, ob es möglich sei, die Hilfsgelder an Aufträge bei deutschen Werften zu binden.197 Zu den weiteren Vorschlägen für die Stimulierung der Nachfrage zählten die Technologie- und Forschungs­ 194 Ebd., Bl. 16. 195 Ebd. 196 Der Text erläuterte, dass seit 1. Juli 1974 Krediterleichterungen für Bestellungen von Schiffen laut OECD dann gewährt werden durften, wenn der Kredit folgende Bedingungen erfüllte: Laufzeit des Kredits sieben Jahre, Auszahlung von dreißig Prozent des Kaufpreises, Nettozinssatz acht Prozent. Es hieß weiter, dass in der Bundesrepublik nur bei sechzig Prozent der Aufträge Subventionen zur Verfügung gestellt würden. Eine Verbilligung des Schiffes durfte nur zwei Prozent betragen. »Das heißt, daß die von der OECD genehmigten 8 Prozent nur dann dem Besteller angeboten werden können, wenn der am Schiffsmarkt herrschende Kapitalmarktzins nicht über 10 Prozent hinausgeht, kann also nicht auf das erlaubte Zinsniveau der OECD von 8 Prozent heruntersubventioniert werden.«, in: ebd., Bl. 17 f. 197 Das Entwicklungsministerium hatte bereits auf diese Forderung reagiert und 172 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Diese Mittel sollten nun auch für kleinere und mittlere Werften möglich sein, siehe ebd., Bl. 23.

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förderung für zukunftsweisenden Schiffbau und Meerestechnik sowie Maßnahmen zum Umweltschutz, insbesondere der Einbau von separaten Tanks in Schiffen, um die Ölverschmutzung der Meere zu vermeiden.198 Zur Beschäftigungssituation hielt das Papier fest, dass die Krise bereits einen erheblichen Einfluss auf die Beschäftigtenzahlen gehabt habe. Der Wegfall der Arbeitsplätze sei bedrohlich und könne in Norddeutschland kaum kompensiert werden.199 Deshalb forderte Pitz strukturpolitische Maßnahmen, die gezielt eingesetzt werden müssten, um freiwerdende Arbeitskräfte wieder in Arbeit zu bringen. Diese Aussage verdeutlicht, dass man in der IG Metall spätestens zu diesem Zeitpunkt erkannte, dass die Arbeitsplätze im Schiffbausektor im bisherigen Umfang nicht mehr zu erhalten waren. Entsprechend dieser Einsicht entwickelte Pitz ein Konzept, das die Reduktion der Kapazitäten koordinieren und beschäftigungspolitische Schwierigkeiten vermeiden sollte. Die Werften hätten bisher kein überzeugendes Konzept zur Neuordnung der deutschen Werftenlandschaft vorgelegt und keine Kooperationen zur Überwindung der Krise verfolgt. Die staatliche Schiffbaupolitik habe kein integriertes Werftenkonzept entwickelt und Subventionen ohne strukturpolitische Perspektiven verteilt. Es sei aber, so forderte Pitz, eine länderübergreifende Planung nötig, um regionale und sektorale Politik zu koordinieren.200 Mit folgenden Punkten wollte er Abhilfe schaffen: Entsprechend der Vorgaben der Bundesregierung von 1972 sollten Werften einen Investitions- und Entwicklungsplan vorlegen und darin ihre mittelund langfristigen Vorstellungen zur Neuordnung der Werften konzipieren und ihre Ansichten bezüglich der Arbeitsteilung, Spezialisierung, Rationalisierung und Diversifizierung durch Fusion und Kooperation darlegen. Dadurch sollten Überschneidungen vermieden und Programme abgestimmt werden. Kooperiert werden sollte bei Einkauf, Vertrieb, Konstruktion, Arbeitsvorbereitung, Verwaltung und Forschung. Darüber hinaus schlug er die Bildung eines Werftenkontors für kleinere und mittlere Werften vor, der

198 Es handelte sich um ein in der Inter-Governmental Maritime Consultative Organization (IMCO) festgehaltenes Übereinkommen zur Verhinderung der Umweltverschmutzung durch separate Ballasttanks, das Karl Pitz hier aufgriff und als Forderung für die IG Metall und später auch im EMB und IMB aufstellte. Mehr dazu siehe unten. 199 IGM Vorstand: Die Lage der Werftindustrie in der Bundesrepublik Deutschland. Analyse und Politik, Frankfurt am Main, Februar 1977, Bl. 7, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Schiffbau, 1975–1977, AdsD 5/IGMA100135. 200 Ebd., Bl. 30 f.

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den Verkauf auf Exportmärkten erleichtern sollte.201 Als zweiter Schritt sollte eine Investitionsmeldestelle eingerichtet werden, in der alle Vorhaben der Werften registriert würden. Dazu sollte die Bundesregierung nach strukturund beschäftigungspolitischen Kriterien Stellung nehmen. Würde ein Projekt negativ begutachtet, würde es auch keine Mittel erhalten. Somit könnten Überkapazitäten kontrolliert und verwaltet werden.202 Mit diesem Überblick sei die Bundesregierung, so die Überlegung Pitz’, in der Lage, Prognosen für die Zukunft des Schiffbaus abzugeben und langfristig die Entwicklungschancen der Werften zu beurteilen. Voraussetzung einer solchen staatlichen Strukturpolitik sei zuerst die Sicherheit der Arbeitsplätze.203 Als Schlussfolgerung müsse als dritte Aufgabe ein mittelfristiges Strukturkonzept entstehen, das realistisch einschätzte, welche Werften die größten Entwicklungs- und Überlebenschancen hätten, und das bei Wegfall von Arbeitsplätzen eine Kompensation einplante, beispielsweise durch die Diversifizierung der Produktion oder die Ansiedlung von neuen Unter­ nehmen an der Küste.204 Im Mai 1976 wurde der erste Entwurf dieses Papiers mit einigen Überarbeitungswünschen vom Vorstand genehmigt.205 Anschließend setzte sich Pitz nochmals mit der Idee Otto vom Steegs zur Bildung eines Werften­ kontors auseinander. Um die Meinung anderer einfließen zu lassen, ver201 Diese Idee stammte ursprünglich von Otto vom Steeg, der sie für die Großwerften vorgesehen hatte. Pitz hatte dieses Konzept noch im Juni 1976 befürwortet und Eugen Loderer vorgeschlagen, diese Maßnahme im Vorstand zu diskutieren, siehe Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, Betreff: Schiffbaupolitik der Bezirksleitung Hamburg, Forderung nach einem Werften-Kontor, 04.06.76, in: IGM, Abteilung Wirtschaft, IGM Bezirke, Arbeitsgemeinschaft Schiffbau, Bezirksleitung Hamburg, 1972–1978, AdsD 5/IGMA100181. Nach mehreren Gesprächen in Bezirk und Vorstand mit weiteren Gewerkschaftskollegen und Betriebsräten wurde das Programm – zumindest für die Großwerften – als nicht realisierbar oder nutzbringend eingeschätzt. Karl Pitz schrieb im September 1976 an Loderer: »Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, daß das Hauptanliegen eines Kontors, nämlich die Aufträge zentral hereinzunehmen und auf alle Werften gleichmäßig zu verteilen, nicht realisierbar ist. Diese Funktion konnten die Stahlkontore nicht erfüllen, noch viel weniger könnte dies ein Werftenkontor.«, in: Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, Werftenkontor, 13.09.76, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Schiffbau, 1975–1977, AdsD 5/IGMA100135. 202 IGM Vorstand: Die Lage der Werftindustrie in der Bundesrepublik Deutschland. Analyse und Politik, Frankfurt am Main, Februar 1977, Bl. 33, in: ebd. 203 Ebd. 204 Ebd., Bl. 34 f. 205 Karl Pitz: Aus einem Brief an den Geschäftsführenden Vorstand, Schiffbaupolitik, 30.11.76, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Schiffbau, 1975–1977, AdsD 5/ IGMA100135.

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schickte er das Papier an weitere Kollegen im Vorstand. Wie sich der Text aus Perspektive eines Gewerkschafters las, der nicht unmittelbar mit dem Schiffbau befasst war, verdeutlichen die Worte von Albert Schunk aus der Vorstandsabteilung. Er begrüßte, dass die IG Metall sich gegen jeglichen »Vorwurf der Untätigkeit« absichere und Vorschläge zur Überwindung der momentanen Situation vortrug, allerdings solle man sich in institutioneller Hinsicht nicht so weit festlegen, dass man sich »ideologische Grundsatzdebatten« ins Haus hole, meinte er.206 Hinsichtlich einer klaren Position schrieb er: Da wir […] wahrscheinlich die erste der betroffenen Institutionen sind, die das Problem anpackt, reicht es zunächst, Unterlassungen und Verantwortung von Unternehmern und Politikern darzulegen, und die beschäftigungspolitische Problematik realistisch und in vollem Umfang aufzuzeigen.207 Eine Analyse und Prognose wäre doch, so meinte er weiter, zunächst von den Unternehmen und staatlichen Stellen zu erwarten. Die Aufgabe der Gewerkschaft sei es, die beschäftigungspolitischen Konsequenzen aufzuzeigen und zu begründen, warum eine koordinierte und geplante Auseinandersetzung darüber hinaus stattfinden solle: »Dabei sollten wir uns hüten, bei unseren Mitgliedern durch irgendeinen institutionellen Perfektionismus den Eindruck zu erwecken, wir wüßten sichere Mittel und Regelungen, alle Arbeitsplätze in der Schiffbauindustrie zu verteidigen.«208 Nachdem er seine grundsätzliche Haltung erläutert hatte, ging er auf die im Papier vorgeschlagenen Maßnahmen ein. Er mahnte, dass aus Perspektive des Vorstandes die gesamte Bundesrepublik und die Interessen aller Metallarbeiter im Auge behalten werden sollten. Die Belange der norddeutschen Küstenländer sollten Otto vom Steeg überlassen werden, der den regionalen Verantwortungsbereich vertrete. In eine ähnliche Richtung ging auch seine Einschätzung zum Strukturkonzept. Es wäre aus gesamtgewerkschaftlicher Sicht nicht vertretbar, dass man sich nur Gedanken über den Schiffbau mache. Seiner Ansicht nach müssten für das Konzept auch regional- und sek206 Albert Schunk: Aktennotiz an Eugen Loderer, Betrifft: Stellungnahme zum Papier Strukturkonzept Werften, 05.11.76, Bl. 2, in: ebd. 207 Ebd. 208 Ebd., Bl. 3.

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torenübergreifende Auswirkungen einbezogen werden. Zu den Vorschlägen der koordinierten Subventionspolitik sagte er: [Es ist] zwar richtig, daß man die diffuse Praxis der Subventionspolitik attackiert, doch frage ich mich, ob es im gegenwärtigen Zeitpunkt klug ist, nach länderübergreifenden neuen Planungsinstrumenten im Sinne neuer Institutionen zu rufen. Der Kern unseres Anliegens ist doch die bessere Koordinierung der Wirtschaftspolitik und der wirtschaftspolitischen Planung. Solche Verbesserungen sollten zunächst im bestehenden institutionellen Rahmen gesucht werden, bevor man neue Institutionen fordert und damit die gesamte Bürokratiedebatte erneut entfacht.209 Dementsprechend kritisierte er auch den Vorschlag zur Gründung eines Strukturrates, der alle in den Sektor involvierten Akteure zusammenbringen sollte – ein Gedanke, der in der endgültigen Fassung des Strategiepapiers nicht mehr enthalten war. Es bestehe hier die Gefahr, dass in Zukunft alle Problembranchen einen solchen Rat einrichteten. Damit entstünde ein »Wildwuchs isolierter Strukturräte«, die sich sogar in einem Konkurrenzverhältnis zueinander entwickeln könnten, wenn es um Forderungen an die Staatskasse gehe. Schunk plädierte stattdessen für die Gründung einer Arbeitsgruppe, die Vorschläge zur Neuordnung und Alternativplanung mache, deren Organisation in den Händen der Regierung liege und die ad hoc einberufen werden könne.210 Schunk warnte vor einer möglichen Bevorteilung Norddeutschlands und riet auch von der Ansiedlung alternativer Industrien ab, denn das könne sich negativ auf andere Regionen auswirken. Dadurch würde sich der Druck auf die Arbeitsplätze der Kollegen anderer Sektoren, die ebenfalls von Arbeitslosigkeit betroffen seien, erhöhen. Er lehnte sogar den Vorschlag einer Werftkonferenz ab, da Beschäftigungsabbau nicht zu vermeiden sei und es ungünstig wäre, wenn sich die IG Metall institutionell in eine Mitverantwortung begebe. Es wird deutlich, dass sich Schunk zurückhaltend bis abweisend gegenüber den Vorschlägen von Pitz verhielt und vor voreiligen Aktivitäten warnte, um die IG Metall bei ihren Mitgliedern vor falschen Hoffnungen zu schützen. Eine Antwort von Pitz war im Archivbestand nicht zu finden. Der Brief war aber mit zahlreichen Kommentaren versehen, die verdeutlichen, dass Pitz 209 Ebd., Bl. 4. 210 Ebd., Bl. 5.

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nicht mit allem einverstanden war, was Schunk zu kritisieren hatte. Zum Ende des Schreibens war fast jeder Absatz mit einem Fragezeichen versehen, beim Thema Ablehnung eines Strukturrates stand an der Seite: »nein« und »dünn«, womit vermutlich eine nicht überzeugende Argumentation gemeint war. Der Punkt, dass die IG Metall nicht nur aus Sicht der Werftarbeiter sprechen dürfe, wurde damit kommentiert, dass das gar nicht gemeint gewesen sei, und dem Vorwurf der »institutionellen Mitverantwortung« für Beschäftigungsabbau durch das Abhalten einer Konferenz wurde entgegengehalten: »steht doch nirgendwo«.211 Letztlich lehnte Pitz die Kritikpunkte Schunks weitestgehend ab und reichte das Papier in seiner ursprünglichen Variante – mit Ausnahme des Vorschlags zum Strukturrat – beim Vorstand ein.

3.3.3 Gespräche mit politischen Entscheidungsträgern Wie in den Darstellungen von Otto vom Steeg bereits deutlich wurde, war es Anfang 1976 zu zahlreichen Treffen zwischen Regierungsvertretern auf Länder- und Bundesebene gekommen. Otto vom Steeg hatte das Gespräch zu den Verantwortlichen gesucht, um schnelle Lösungen für die Schiffbauindustrie zu fordern. Ihm war bewusst, dass es zu gravierenden Einschnitten in der Beschäftigung kommen würde und er war deshalb darum bemüht, diesen Prozess aufzuhalten oder wenigstens zu entschleunigen.212 Um die Politiker von der Aufstockung der finanziellen Mittel zu überzeugen, denn das beinhalteten die Forderungen von vom Steeg zum größten Teil, nutzte er einige der bereits bekannten Argumente. Vom Steeg berichtete bei einem Treffen mit Landesvertretern Schleswig-Holsteins von den Entwicklungen außerhalb der Bundesrepublik, darunter die enormen Investitionen der japanischen Regierung in die Schiffbauindustrie. Mit dem Thema Japan traf er bei den

211 Kommentar zu Albert Schunk: o. A.: Aktennotiz an Eugen Loderer, Betrifft: Stellungnahme zum Papier Strukturkonzept Werften, 05.11.76, Bl. 6, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Schiffbau, 1975–1977, AdsD 5/IGMA100135. 212 Bei einem Treffen mit Regierungsverantwortlichen Schleswig-Holsteins sagte vom Steeg, wenn die Situation so bleibe, müsse man mit einem Rückgang von etwa 25.000 Arbeitnehmern rechnen, Werftschließungen würden folgen, siehe Gerhard Lilienfeld: Protokoll eines Gesprächs mit Minister Westphal am Mittwoch, 28.01.76, im Wirtschafts- und Verkehrs-Ministerium des Landes Schleswig-Holstein in Kiel, 28.0176, in: IGM, Abteilung Wirtschaft, IGM Bezirke, Arbeitsgemeinschaft Schiffbau, Bezirksleitung Hamburg, 1972–1978, AdsD 5/IGMA100181.

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Politikern einen Nerv. Schleswig-Holsteins Staatssekretär berichtete, dass er im August 1975 in Japan gewesen sei und dass die Japaner ihren derzeitigen Schiffbaustatus mit allen Mitteln zu verteidigen suchten. Obwohl die japanischen Werften wesentlich besser in der Lage wären, ihre Produktion umzustellen, werde es wohl zu keinem Umdenken kommen. Der Wirtschafts- und Verkehrsminister ergänzte, die Preisunterschiede seien mittlerweile so groß, dass auch deutsche Reeder in Japan Schiffe bestellten. Und Otto vom Steeg bekräftigte, dass sich die Japaner an der Reduzierung der internationalen Kapazitäten nicht beteiligen würden.213 In diesem Zusammenhang wurde auch wieder argumentiert, dass noch nicht genügend rationalisiert worden sei. Noch immer könnten deutsche Werften trotz gewährter Förderung mit den japanischen Unternehmen nicht mithalten. Es wurde hinterfragt, ob die Japaner leistungsfähiger seien und die Produktivität in der Bundesrepublik noch mehr erhöht werden müsste. Wo der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister glaubte, genügend Rationalisierungs- und Modernisierungsfortschritte im eigenen Land zu sehen, hakte vom Steeg ein und meinte, dass es in Personalplanung und Verwaltung noch Rationalisierungsbedarf gebe.214 Vom Steeg vertrat dabei das in den 1960er Jahren verfolgte Argument der IG Metall, dass man nur dort erhalten solle, wo es sich auch lohnen würde. Dabei erwähnte er jedoch nicht, dass aus Sicht der Gewerkschafter eine solche Maßnahme nur umgesetzt werden könne, wenn für alternative Arbeitsplätze gesorgt werde. Ob er es nur vergaß, davon ausging, dass die Anwesenden diese Forderung kannten oder ob er sie bewusst nicht erwähnte, lässt sich nicht sagen. Dass alternative Arbeitsplätze aber nach wie vor eine Forderung der IG Metall waren, verdeutlicht eine Aussage von Pitz ein paar Monate später im Gespräch mit dem Bürgermeister der Stadt Bremen: Der unvermeidliche Abbau von Arbeitsplätzen muß zeitlich gestreckt und allmählich stattfinden. Hierzu ist die Subventions- und Auflagenpolitik der Bundesregierung und der Landesregierungen koordiniert einzusetzen. Dort wo mit dem Abbau von Arbeitsplätzen zu rechnen ist, müssen

213 Gerhard Lilienfeld: Protokoll eines Gesprächs mit Minister Westphal am Mittwoch, 28.01.76, im Wirtschafts- und Verkehrs-Ministerium des Landes Schleswig-Holstein in Kiel, 28.0176, in: IGM , Abteilung Wirtschaft, IGM Bezirke, Arbeitsgemeinschaft Schiffbau, Bezirksleitung Hamburg, 1972–1978, AdsD 5/IGMA100181. 214 Ebd.

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die Anstrengungen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze wesentlich intensiviert werden.215 Im Januar 1976 waren Pitz und vom Steeg auch bei Ministerialdirektor Fritz Pfeiffer im Bundeswirtschaftsministerium. Interessant ist, wie der Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums auf die Forderungen der Gewerkschafter reagierte.216 Zunächst stellte er fest, dass schon 1975 prognostiziert worden sei, in naher Zukunft werde es einen erheblichen Kapazitätsüberhang geben. Das Problem sei schon vor Jahren auf internationaler Ebene angesprochen worden. Schlussfolgerungen seien gewesen, das Subventionsrennen zu verhindern und staatliche Hilfen nicht an die Auftragsvergabe von Schiffen zu koppeln. Pfeiffer berichtete, dass die EG -Kommission einige Kraft aufwende, mit den Japanern ins Gespräch zu kommen und er glaube, dass Japan sich bewegen ließe, seine Kapazitäten abzubauen. Pfeiffer war auch der Meinung, dass deutsche Werften in Bezug auf den Rationalisierungsgrad gut dastehen würden. Letztlich dienten seine Argumente dazu, die von vom Steeg geforderte Aufstockung des achten Werfthilfeprogramms zurückzuweisen. Es sei bisher immer aufgestockt worden, das müsse dieses Mal unterbleiben. Eine Mehrbelastung des Haushalts sei nicht möglich.217 Vom Steeg war wegen dieser abwehrenden Haltung Pfeiffers sichtlich besorgt. Er antwortete, dass es zwei Möglichkeiten gebe: Entweder man habe Glück und werde sich im Rahmen der OECD einigen oder man habe 20.000 bis 25.000 Arbeitnehmer weniger in der Schiffbauindustrie. Pfeiffer entgegnete, selbst mit Einigung würde es mindestens 10.000 Arbeiter weniger geben. Woraufhin vom Steeg erbost erwiderte, es seien immer sie, die Arbeiter, die »die Zeche zahlen« müssten.218

215 So formulierte es Karl Pitz zur Vorbereitung auf ein Gespräch zwischen Bremens Bürgermeister Hans Koschnick und dem IG Metall-Vorsitzenden Eugen Loderer am 22. Oktober 1976, in: Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, zum Gespräch ­Eugen Loderer / Hans Koschnik am 22.10.76, 21.10.76, Bl. 3, in: IGM, Vorstand, Abteilung Grundsatzfragen, Wirtschaftspolitik, Werftindustrie, 1976–1978, AdsD 5/IGMA090334. 216 Gerhard Lilienfeld: Protokoll zum Gespräch IG Metall – Bundeswirtschaftsministerium, 23.01.1976, Anlage zur Aktennotiz Karl Pitz an Eugen Loderer, Betrifft: Schiffbaupolitik, Protokoll der Sitzung im Bundeswirtschaftsministerium, in: ebd. 217 Ebd. 218 Gerhard Lilienfeld: Protokoll zum Gespräch IG Metall – Bundeswirtschaftsministerium, 23.01.1976, Anlage zur Aktennotiz Karl Pitz an Eugen Loderer, Betrifft: Schiffbaupolitik, Protokoll der Sitzung im Bundeswirtschaftsministerium, in: ebd.

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Es wird deutlich, dass die Gewerkschafter eine große Notwendigkeit sahen, in dieser angespannten Situation zu handeln und bei den politischen Entscheidungsträgern vorstellig zu werden. Strategische Entscheidungen darüber, wie die Schiffbauindustrie langfristig weitergeführt werden sollte, wurden zunächst verschoben, um die ersten Arbeitsplatzverluste durch kurzfristige Mittel abfedern zu können. Gegenüber den Regierungsverantwortlichen verhielten sie sich in den meisten Fällen kompromissbereit. Vom Steeg gestand zu, dass man die Reduktion von Arbeitsplätzen akzeptieren werde und versuchte, mit dem Argument des internationalen Drucks zu bewirken, den Sektor kurzfristig vor dem Aussterben zu retten. Bei der Bundesregierung stieß er hier aber an seine Grenzen. Pitz unterstützte das Vorgehen seines Kollegen, wollte gleichzeitig aber eine langfristige Debatte mit dem Vorstand, was sich in der Auseinandersetzung um sein Struktur­konzept zeigte. Schon bevor das Strukturkonzept in seiner endgültigen Form verabschiedet wurde, hatte die IG Metall im Dezember 1976 eine Pressemitteilung herausgegeben, in der sie die Bundesregierung aufforderte, möglichst schnell Maßnahmen für den Schiffbau zu ergreifen.219 Im März 1977 war das Thema so bedeutsam, dass Helmut Schmidt, nun im Amt des Bundeskanzlers, sich bereit erklärte, mit Gewerkschaftern und verantwortlichen Politikern zu einem Gespräch zusammenzukommen.220 Es ging zunächst um die Erhöhung der Reederhilfen um zwanzig Prozent und die Bewilligung von Fregattenaufträgen aus dem Verteidigungsministerium. Unterstützung bekamen die Gewerkschafter vom Bürgermeister Bremens, Hans Koschnick, der einräumte, die Spielräume seien gering, neben den bereits genannten Maßnahmen gebe es nur noch die Möglichkeit der Lieferantenbindung in der Entwicklungshilfe.221 Nachdem sich der Kanzler die Punkte angehört hatte, schlug er vor, die Themen einzeln durchzugehen. Er befragte die Anwesenden, was sie von der Bindung der Entwicklungshilfe hielten. Hierbei ging es um die Frage, ob man das Land, das Hilfe von der Bundesrepublik erhielt, verpflichten könne, die Schiffe auf deutschen Werften bauen zu lassen. Der SPD -Politiker Hans Apel, damals amtierender Finanzminister, meldete sich zu Wort und meinte, die 219 Metall Pressedienst: IG Metall fordert nationales Schiffbau-Konzept, 20.12.76, in: ebd. 220 Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, Protokoll des Werften Gesprächs beim Bundeskanzler, 23.03.77, in: IGM , Vorstand, Abteilung Grundsatzfragen, Wirtschaftspolitik, Werftindustrie, 1976–1978, AdsD 5/IGMA090334. 221 Ebd.

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Lieferantenbindung sei ein großes Problem in der SPD. Klaus Matthiesen, SPD -Politiker des Landtags Schleswig-Holstein, stimmte ihm zu und meinte, man müsse bedenken, dass die Auftragsbindung an die Geberländer schwerwiegende Probleme für die Empfängerländer bringen würde. Auch der IG Metall-Vorsitzende Eugen Loderer war vorsichtig und meinte, er müsse erst Rücksprache im Vorstand halten, bevor er sich dazu äußern könne. Bremens Bürgermeister Koschnick und einige Betriebsräte stimmten dem Vorschlag zur Auftragsbindung aber zu. Der Bundeskanzler versuchte, einen Kom­promiss auszuhandeln und meinte, man könne mit jedem Land einzeln verhandeln und müsse das Thema nicht nach außen tragen.222 Es war klar, dass ein solch protektionistisches Unterfangen bei einer sozialdemokratischen Regierung scharfer Kritik ausgesetzt wäre. Nächster Punkt war der Druck auf große Konzerne und die Frage, ob Unternehmen gezwungen werden könnten, Investitionen mit eigenen Geldern zu tätigen. Gleichzeitig wurde die Frage verhandelt, ob und wie man langfristig eine Konzentration der Werften umsetzen könne. Schmidt unterstützte den Gedanken der IG Metall, dass bevor neue Subventionen gewährt würden, die Gesellschaften erst offenlegen sollten, welche Investitionen sie planten. Zur Aufstockung der Reederhilfen sagte er, dass man bei der FDP im Parlament auf Widerstand stoße. Matthiesen rechnete vor, dass man bei der Erhöhung der Subventionen um nochmals 180 Millionen DM ausgehen müsse, um auf die benötigten 360 Millionen DM zu kommen.223 Schließlich kam man in der Runde auf die Forcierung der Nachfrage durch staatliche Aufträge zu sprechen. Dafür war seit Längerem ein groß angelegtes Programm zum Bau von sechs Fregatten mit der Finanzierung des Verteidigungsministeriums die Rede. Es wurde deutlich, dass das Programm bereits kurz vor der Durchführung stand. Der Vertreter des Verteidigungsministeriums berichtete, dass die Werften Blohm und Voss und Bremer Vulkan Generalunternehmer sein würden. Ende des Jahres sollten dafür 2,4 Milliarden DM zur Verfügung gestellt werden. Bundeskanzler Schmidt regte an, den Bau der Fregatten auf mehrere Standorte zu verteilen, um möglichst vielen Werften eine Unterstützung zu ermöglichen. Dass die Sozialdemokraten mit der Planung von Marinefahrzeugen auch hier in die öffentliche Kritik geraten könnten, war ihm bewusst. Er machte darauf aufmerksam, dass Kriegsschiffe nur innerhalb der NATO -Länder verkauft werden dürften. Man habe 222 Ebd. 223 Ebd.

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gerade die Verhandlung zweier U-Boot-Lieferungen nach Indonesien durchgestanden, Marine sei ein sehr sensibles Thema.224 Die von der IG Metall geforderten kurzfristigen Maßnahmen wurden weitgehend umgesetzt. Im Juni 1977 besprach das Bundeskabinett das Fregattenprogramm und empfahl dem Bundesverteidigungsministerium, die Aufträge auf mehrere Werften zu verteilen.225 Die Erhöhung der Reederhilfen wurde genehmigt. Darüber hinaus sollte das Bundesministerium für Forschung und Technologie die Meeresforschung unterstützen. Doch keine der langfristigen Maßnahmen wurde angegangen. Zwar unterstützte Schmidt den Gedanken der Investitionslenkung und der stärkeren Kontrolle von Unternehmen, doch eine übergeordnete Koordination wollte er nicht übernehmen und ebenso wenig die Frage behandeln, wo die Bundesregierung in die Planung des Sektors eingreifen könne. Dementsprechend unzufrieden waren die an der Diskussion beteiligten Gewerkschafter. Das wurde in einigen Wortbeiträgen auf der siebten Schiffbaukonferenz im März 1978 deutlich. Der Vorstandsvorsitzende Eugen Loderer mahnte, die Maßnahmen seien nicht ausreichend genug, um die Küstenregion vor einer weitreichenden Strukturkrise zu bewahren: Wollt Ihr einen ganzen Industriezweig unter die Räder kommen lassen? Wollt Ihr der Auszehrung einer ganzen Landschaft und der Auszehrung traditionsreicher Städte tatenlos zusehen? Wollt Ihr zehntausende Arbeitnehmer mit ihren Familien in wirtschaftliche Not und soziales Elend stürzen?226 Er verwies auf die im Strukturkonzept erarbeiteten Forderungen der IG Metall. Und er machte auf die Möglichkeiten der Einflussnahme auf europäischer Ebene aufmerksam. Noch immer war der Vorschlag der Europäischen Kommission zum Abbau der Schiffbaukapazitäten ein stark diskutiertes

224 Ebd. 225 Neben dem Bremer Vulkan in Bremen und Blohm+Voss in Hamburg sollte eine Fregatte bei der AG Weser in Bremen und jeweils eine in Emden und eine in Kiel gebaut werden, siehe Dr. Leister, Leiter des Kanzlerbüros: An den Bezirksleiter der Industriegewerkschaft Metall Hamburg, Otto vom Steeg, Juni 1977, in: Otto vom Steeg: An die Mitglieder Arbeitsgemeinschaft Schiffbau, Betr.: Schiffahrtsforderungs­programm 1977, 13.07.77, in: IGM, Abteilung Wirtschaft, IGM Bezirke, Arbeitsgemeinschaft Schiffbau, Bezirksleitung Hamburg, 1976–1980, AdsD 5/IGMA100351. 226 IG Metall, Protokoll, S. 23.

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Thema.227 Loderer appellierte an die Regierung, hier aktiv zu werden und im Ministerrat dagegenzustimmen. Zum Vorschlag der Kommission sagte er: Wir haben über den Europäischen Metallgewerkschaftsbund dieses Dokument sofort abgelehnt und gegen dieses Ansinnen protestiert. […] Wenn die Kommission die Schaffung neuer Arbeitsplätze in den Vordergrund ihres gesamten Sanierungskonzeptes stellt, ohne einen einzigen konkreten Hinweis zu geben, welcher Art diese Arbeitsplätze sein könnten, dann setzt sie sich dem Verdacht aus, pure Schaumschlägerei zu betreiben. Denn mit Sicherheit kann die Kommission in diesem Wirtschaftssystem nicht garantieren, daß nach dem Wegfall von Arbeitsplätzen an den europäischen Küsten tatsächlich andere Arbeitsplätze dort neu geschaffen werden können.228 Er forderte deshalb von der Bundesregierung, dass dem Abbau der Kapazitäten auch ein entsprechendes Ankurbelungskonzept gegenübergestellt werden müsse. Für die entfallenen Arbeitsplätze brauche es neue und gleichwertige Beschäftigungsmöglichkeiten. Der anwesende Regierungsvertreter, Finanzminister Hans Matthöfer, stellte unmissverständlich klar, dass der Schiffbau, wie er bisher funktionierte, keine Zukunft habe. Der Sektor bilde das Schlusslicht aller westdeutschen Industriezweige und eine Besserung sei nicht in Sicht. Deshalb stehe er Subventionen äußerst kritisch gegenüber.229 Viele der bisher geförderten Maßnahmen würden die Probleme nicht lösen, auch die Ideen separater Ballasttanks und der Sicherheit im Schiffbau nicht.230 Einige Programme würden die Regierung sogar an ihre politischen Grenzen bringen: »Bei der Übernahme von Bürgschaften für U-Bootlieferungen an Indonesien und Argentinien sind wir im Interesse der Werftbeschäftigung bis an die Grenze unserer Ausfuhrgrundsätze, auch unserer risikopolitischen Grundsätze gegangen.«231

227 Im Mai 1976 hatte die Europäische Kommission dem Ministerrat ein Papier vorgelegt, das zum Inhalt hatte, dass die immer weiter steigenden Überkapazitäten auf dem Schiffbaumarkt die europäischen Werften in große Bedrängnis brächten und deshalb die Produktionskapazitäten in Europa eingedämmt werden müssten. Siehe dazu die Erläuterungen im Teil zum EMB. 228 IG Metall, Protokoll, S. 24 f. 229 Ebd., S. 38 f. 230 Zu diesem Punkt siehe die Erläuterungen im nächsten Abschnitt. 231 IG Metall, Protokoll, S. 42 f.

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Er zeigte auf, worin er die Zukunft für die Küsten sehe: in den alternativen Industrien wie der Offshore-Technik und der technologischen Weiterentwicklung des Spezialschiffbaus: »Ich möchte plädieren, auf die Zukunft zu setzen und die im Strukturwandel liegenden Chancen zu ergreifen […]. Die deutsche Schiffbauindustrie braucht nicht Opfer einer technologisch bedingten Strukturveränderung zu sein, sie kann ihr Träger und Motor werden.«232 Damit war nun bekannt, wohin die Bundesregierung in den kommenden Jahren steuern würde und die Ideen dürften für die IG Metall nicht abwegig gewesen sein. Matthöfer bot die geforderten Alternativen und versprach regierungs- und finanzpolitische Unterstützung. Doch war er möglicherweise zu schnell, was seine Pläne für die Küste betraf? Waren seine Alternativen erfolgversprechend? Otto vom Steeg stimmte Matthöfer zwar zu, dass man nicht weiter sinnlos investieren solle und er war dankbar für den Vorschlag neuer Technologien. Aber in einem war er nicht einer Meinung mit Matthöfer: Man brauche Subventionen, wenn man gegenüber den anderen nicht ins Hintertreffen geraten wolle. Was die Alternativen betraf, meinte er: Es gibt doch zur Zeit kaum eine Möglichkeit, im Norden andere Industrie anzusiedeln, ohne andere Gebiete empfindlich zu verletzen. Da sollten wir doch Realisten sein. […] Was soll denn hierhin verlagert werden, wie soll das verlagert werden, welche Investitionen sind dafür nötig und wer soll es letztlich machen?233 Schließlich trug der Ruf nach mehr Konzeption und Planung in der deutschen Wirtschaftspolitik Früchte. Einen Monat nach der nationalen Konferenz verfasste Pitz im April 1978 eine Pressemitteilung, in der es hieß, dass der Bundeswirtschaftsminister den Werftunternehmen ein Programm auferlegt habe, das die Geschäftsleitungen auffordere, ihre mittel- bis langfristigen Vorstellungen zur Neuordnung der Werften vorzulegen.234 Dabei gehe es darum, die Produkte abzustimmen und Überschneidungen zu beseitigen. Das Konzept sah außerdem vor, Möglichkeiten von Kooperationen zu untersuchen. Die IG Metall wertete diese Maßnahme als ersten Baustein einer Strukturpolitik. 232 Ebd., S. 46. 233 Ebd., S. 54. 234 Karl Pitz: Entwurf eines Pressedienstes, 14.04.78, in: ebd.

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3.3.4 Sicherheit und Umwelt als letztmögliche Strategie Neben den konzeptionellen Aspekten gab es sehr praktische Ideen, wie auf den Nachfragerückgang in der Schiffbauindustrie reagiert werden könne. Dazu gehörte der Gedanke zu Auflagen für sichere Schiffe. Der Ausgangspunkt dafür war folgender: Im Jahr 1978 war in der Bretagne ein Großtanker auf Grund gelaufen und hatte vor der französischen Küste eine Ölkatastrophe ausgelöst. Die IG Metall versuchte in diesem Kontext, ein von Karl Heinz ­Laubrecht, einem Gewerkschaftssekretär des IG Metall-Vorstandes, einige Jahre zuvor entwickeltes Programm für sichere Schiffe wiederzubeleben. Die Idee war, dass die Schiffe sicherer gemacht würden, indem sie zusätzliche Außenwände und separate Ballasttanks bekämen. Die Gewerkschafter erhofften sich, dass die dafür nötigen Umbauarbeiten, für einige Zeit die Beschäftigung auf den Werften sichern würde. Um ihrem Programm Durchschlagskraft zu verleihen, rief die IG Metall zum Widerstand gegen alle Schiffe auf, die nicht den Sicherheitsmindestnormen entsprachen.235 Sie gab eine Pressemitteilung heraus, forderte eine Konferenz zur Sicherheit der Meere, kam mit der Bundesregierung ins Gespräch, stellte das Programm beim EMB vor und informierte den IMB über ihr Vorhaben.236 Im Februar 1978 wandte sich Eugen Loderer an den Bundeskanzler sowie an das Bundesministerium für Verkehr, um die Politiker um ihre politische Einflussnahme auf internationaler Ebene zu bitten. Er berichtete, dass der verpflichtende Einbau separater Ballasttanks auf einer internationalen

235 Metall Pressedienst: Eugen Loderer: Umgehend nationale Konferenz über die Sicherheit der Meere einberufen, 23.03.78, in: ebd. 236 In einem Schreiben an Herman Rebhan, Generalsekretär des IMB , schrieb Eugen ­Loderer: »Ich möchte Deine Aufmerksamkeit […] auf den Punkt ›Maßnahmen des Umweltschutzes‹ auf Seite 23 ff. richten. Die beiden dort erhobenen Forderungen nach – separaten Ballasttanks und – Unterteilung der Laderäume bei Tankern sind neu von uns an das Bundesverkehrsministerium gestellt worden. Die Durchsetzungschancen dieser Forderungen würden sich verbessern, wenn der IMB und seine Mitgliedsorganisationen diese Forderungen unterstützen würden, da sie nur dann realisiert werden können, wenn sie weltweit durchgesetzt werden. Das zuständige Gremium ist – wie in der Studie ausgeführt – das MEPC (Marine Environment Protection Committee) innerhalb der IMCO (Inter-Governmental Maritime Consultative Organization).«, siehe Eugen Loderer: Brief an Herman Rebhan, Betreff: Schiffbaupolitik, 01.03.77, in: IGM , Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, IMB -Arbeitsgruppe Schiffbau, 1972–1982, AdsD 5/IGMA100139.

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Konferenz in London verhandelt werde, auf der die Bundesregierung zugegen sei und sich für den Abschluss einer internationalen Richtlinie aussprechen könne. Zur Argumentation hieß es: Wir sind der Auffassung, daß durch ein solches Gebot ein Auftragsvolumen geschaffen werden kann, das neue Beschäftigungsmöglichkeiten auf den Werften bedeuten würde. Da diese zusätzliche Beschäftigung zugleich den Schutz der Meere vor einer weiteren Verschmutzung mit Öl verbessern würde, sehen wir im Einbau von separaten Ballasttanks in mehrfacher Hinsicht eine Lösung der anstehenden Probleme.237 Doch im Juli 1978 musste Eugen Loderer an den ersten Vorsitzenden der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), mit der man in dieser Angelegenheit zusammenarbeitete, verkünden: Ich möchte Dir mitteilen, daß der Bundeskanzler auf unsere Intervention eher negativ reagiert hat. Seine Antwort ist so zu interpretieren, daß die Bundesregierung nicht gewillt ist, ihre eher bremsende Rolle in der internationalen Schiffbaupolitik aufzugeben. In Bezug auf den von uns vorgeschlagenen Meinungsaustausch über Fragen der Tankersicherheit hat er uns auf den Seeverkehrsbeirat verwiesen.238 Was bedeutete das? Nicht alle waren der Meinung, dass eine solche Maßnahme die Beschäftigung sichern würde. Da die IG Metall diesen Ansatz aber als den einzigen ansah, überhaupt eine Nachfrage zu stimulieren, verfolgte sie das Thema weiter. Im Herbst 1978 erhöhte sie nochmals den Druck. Eugen Loderer trat in den Medien auf und zeichnete die Entwicklung für die nächsten Jahre vor: Es werde zu Massenentlassungen an der Küste kommen. Die IG Metall habe Vorschläge zu einer alternativen Industrie gemacht, die jetzt umgesetzt werden müssten.239 Einen Monat später schrieb Karl Pitz nach einem Treffen mit der SPD -Fraktion an Loderer:

237 Eugen Loderer: Brief an Bundeskanzler Helmut Schmidt, 03.02.78, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Schiffbau, 1977–1982, AdsD 5/IGMA100134. 238 Eugen Loderer: Brief an Heinz Kluncker, 1. Vorsitzender ÖTV, Betreff: Schiffahrt- und Schiffbaupolitik, 13.07.78, in: ebd. 239 Interviewmitschrift im NDR II, Pressestelle IG Metall-Vorstand, Thema: Werftindustrie, Gespräch mit E. Loderer, Dauer 6 Min, 24.10.78, in: ebd.

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Ich schätze, daß die IGM-ÖTV-Vorschläge auf sehr positive Resonanz stoßen, weil die Maßnahmen nunmehr genau konkretisiert sind und die Argumentation umfassend und abgerundet ist. Der Maßnahmenkatalog wird für die weiteren Gespräche mit der SPD -Fraktion eine nützliche Grundlage bieten.240 Auch vom Steeg war überzeugt, dass die Debatte am Leben erhalten werden sollte, und forderte Loderer auf, sich erneut in die Gespräche einzumischen: Wir sollten die Gelegenheit nutzen, mit Hans Matthöfer ein Gespräch zu führen, mit dem Ziel, mit unserem Einfluß Umstrukturierungsmaßnahmen mit Bund- und Länderhilfen zu beschleunigen. Nach allen Erklärungen von Hans Matthöfer werden wir für unser Anliegen bei ihm ein offenes Ohr haben. Darüber hinaus ist auch ein Gespräch mit dem Minister für Forschung und Technologie, Volker Hauff, notwendig. Da wir zur Zeit nur über die Arbeitgeber bzw. über den VDS erfahren, welche Forschungs­projekte in der Werftindustrie laufen.241 Vom Steeg schlug Loderer vor, dass er mit Pitz gemeinsam die Initiative ergreifen und auf ein Gespräch mit den genannten Personen hinwirken könne. Pitz fuhr 1979 zur Seerechtskonferenz nach New York und suchte den Kontakt zu Vertretern der meerestechnischen Industrie. Er entwickelte später ein Papier, in dem er sich Gedanken über Entwicklungen jenseits des Schiffbaus machte.242 Pitz sah es als dringend notwendig an, in neue Technologien zu investieren, um den Rückstand in der Entwicklung aufzuholen.243

240 Karl Pitz: Aktennotiz an den Kollegen Eugen Loderer, Betreff: Gespräch mit der SPD Fraktion Schiffbaupolitik, 10.11.78, in: ebd. 241 Otto vom Steeg: Brief: Eugen Loderer; Betreff: Werftsituation, 27.11.78, in: ebd. 242 Meerestechnik könne im Meeresbergbau zur Hebung von Mangan und Erzschlämmen eingesetzt werden, hieß es. Man könne Produktionsanlagen für Erdöl und Erdgas in tieferem Wasser entwickeln, Technik für die Inspektion und Instandhaltung von Offshore- und schwimmenden Produktionsanlagen, Karl Pitz: Aktennotiz an Kollegen Eugen Loderer im Hause, Betreff: Stellungnahme der IG Metall zum neuesten Strukturbericht des VDS , 19.03.80, in: ebd. 243 IG Metall Bezirksleitung Hamburg: Stellungnahme der IG Metall zum Bericht über Struktur und Entwicklung des deutschen Seeschiffbaus Fortschreibung 1980 des Verbands der deutschen Schiffbauindustrie, März 1980, Bl. 5, in: ebd.

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3.3.5 Die Reaktion der Werfteigner Selbstverständlich traf sich die IG Metall auch mit den Unternehmern. Wie sich im Programm Anfang der 1970er Jahre gezeigt hatte, forderte die Gewerkschaft vor allem mehr Mitverantwortung von den Werftunternehmern, sowohl was die Investitionen, als auch was das Mitdenken für die gesamte Branche betraf.244 Die Idee war, dass die Werften an die Bundesregierung den Einsatz der gewährten Mittel rechtfertigen und entsprechende Nachweise über die Wirtschaftlichkeit ihrer Investitionen vorweisen sollten. In der Folgezeit verlangten die Gewerkschafter immer wieder, dass die Unternehmer der mittlerweile von der Regierung beschlossenen Nachweispflicht für Subventionen nachkamen. Nach den negativen Auswirkungen der Ölpreiskrise wurde es wichtiger denn je, die Einschätzung der Werftunternehmer zur Entwicklung in der Schiffbauindustrie zu hören. Immer wieder suchten Otto vom Steeg und Karl Pitz Kontakt zu den Industriellen. Und sie wurden nicht müde, die Stellungnahmen des Verbands der Deutschen Schiffbauer (VDS), die auf Bitte der Regierung herausgegeben wurden, zu kommentieren. Als sich die IG Metall-Vertreter im Jahr 1976 mit den verschiedenen Instanzen der Politik zusammensetzten, um Strategien zu entwickeln und finanzielle Mittel zu fordern, traf man sich auch mit den Werftindustriellen. Um ins Gespräch zu kommen, wurde zur siebten Schiffbautagung im März 1978 ein Werftvertreter eingeladen. Im selben Jahr gab der VDS eine Stellungnahme zur Situation im Schiffbau heraus und machte Vorschläge, wie man in der angespannten Situation reagieren könne.245 Auch wenn die IG Metall in vielen der beschriebenen Punkte mit der Arbeitgeberseite einer Meinung war, fehlte es nicht an Kritik. Der Vorschlag des VDS würde sich noch viel zu sehr auf Subventionen stützen. Die IG Metall beanstandete, dass die Werftunternehmer staatliche Hilfen forderten, aber noch immer keine branchenweite Konzeption lieferten. Diese lange Phase der Subventionierung habe

244 Siehe Protokoll der Sitzung vom 8. November 1976 in Bremen. VDS – Wirtschaftssenat Bremen  – IGM , in: IGM , Abteilung Wirtschaft, IGM Bezirke, Arbeitsgemeinschaft Schiffbau, Bezirksleitung Hamburg, 1976–1980, AdsD 5/IGMA100351. 245 Stellungnahme der IG Metall zum Bericht über Struktur und Entwicklung des deutschen Schiffbaus, vorgelegt vom Verband der deutschen Schiffbauindustrie im September 1978, in: IGM, Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Schiffbau, 1977–1982, AdsD 5/ IGMA100134.

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bei den Werften zu »Passivierungserscheinungen« geführt.246 Und sie wehrten sich gegen den Vorwurf der Unternehmer, die geringere Wettbewerbsfähigkeit der westdeutschen Industrie sei auf die Höhe der Lohnkosten zurückzuführen. Es sei offensichtlich, dass für die Krise nicht die Arbeitskosten die ausschlaggebenden Komponenten seien. Der Vertreter des VDS , Michael Budczies, versuchte, sich auf der siebten Schiffbaukonferenz den Gewerkschaftern argumentativ zu nähern. Er sei sich mit dem IG Metall-Vorsitzenden Loderer einig, dass die Krise der deutschen Werftindustrie nicht durch die Löhne verursacht worden sei, sondern durch die Überkapazitäten, die Ölpreiskrise und den Subventionswettlauf. Doch genau aus diesem Grund seien weitere Schiffbaufinanzierungsprogramme dringend notwendig. Ob eine Investitionsmeldestelle, wie sie die IG Metall vorschlage, tatsächlich zur Verbesserung der Situation beitrage, bezweifle er: »Schließlich glaube ich auch nicht, daß von einem Branchenausschuß Wunderdinge zu erwarten sind, zumal die Kommunikation zwischen dem Werftenverband und den Gewerkschaften sowie allen Beteiligten gut ist.«247 Er lehnte auch ein Strukturkonzept ab: Man habe in Deutschland eine vernünftige Struktur von Groß- bis kleineren Werften, daran müsse sich nichts ändern. Die Reaktion aus dem Kreis der Teilnehmer war verhalten. Ein Betriebsrat meinte, man hoffe nur, dass das Versprechen zu gemeinsamem Vorgehen auch für die Zukunft gelte, wenn es dem Schiffbau wieder besser gehe.248 Otto vom Steeg war schon deutlicher in seiner Kritik: Er wolle hier keine Tarifauseinandersetzung führen, aber die Arbeitgeberseite dürfe nicht vergessen, dass man vor vier Jahren noch 18 Prozent gefordert habe, dieses Jahr nur acht. Er wolle also darauf hinweisen, wie stark man die Forderungen reduziert habe. Das war das alte Gebaren des Tarifpartners, das hier aus vom Steeg sprach. Es war aber auch seine Verärgerung darüber, dass der VDS -Vertreter auf einer Gewerkschaftstagung von Zusammenarbeit sprach, wo im Prinzip keine vorhanden war und eine dringend notwendige Handlungsbereitschaft vermissen ließ.

246 Ebd., Bl. 2. 247 Michael Budczies, IG Metall, Protokoll, S. 61 ff. 248 Walter Gehlfuss, ebd., S. 65.

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3.3.6 Ein Strukturprogramm für den Norden Zu dem von Otto vom Steeg vorgeschlagenen Gesprächen mit den Ministern Matthöfer und Hauff kam es nicht, denn die Bundesregierung entschloss sich, nach der Jahreswende ein Strukturprogramm für die Küstenländer vorzulegen.249 In der IG Metall war man erfreut und erhoffte sich die Umsetzung einer geplanten Zusammenarbeit zwischen den Länderregierungen und der Bundesregierung sowie die Diversifizierung der Produktion in der Küstenregion.250 Im Strukturprogramm waren umfangreiche Subventionen vorgesehen. Doch mit der neuformulierten Politik in der EG waren Subventionszahlungen nur noch begrenzt möglich. Die Europäische Kommission hatte das von der Bundesregierung geplante Programm begutachtet und vermutete, dass die geplanten Hilfen diesen Rahmen überschritten. Sie schlug deshalb eine genauere Prüfung vor, was den Vorgang allerdings in die Länge zog. Die Bundesregierung wollte die Mittel so schnell wie möglich freigeben und um weitere Finanzierungsengpässe zu verhindern, versprach der Bundeskanzler, umgehend nach Brüssel zu reisen und die Entscheidungsfindung zu beschleunigen.251 In den Werften wurde man ungeduldig. Durch die angekündigten Subventionen hatte es bereits einige Schiffbauanfragen gegeben, die allerdings nur begonnen werden konnten, wenn die finanziellen Mittel flossen. Otto vom Steeg berichtete Eugen Loderer von der zunehmenden Verärgerung der Kollegen und teilte ihm mit, dass er das Handeln der Europäischen Kommission kritisch sehe: 249 Pitz bat in Loderers Auftrag vom Steeg, von diesem Vorgehen abzusehen, da sich dieser Vorschlag mit den politischen Ereignissen überkreuzen würde. Jetzt gelte es, die federführenden Stellen anzusprechen, um über das Programm der Bundesregierung im Einzelnen informiert zu werden, siehe Eugen Loderer: Brief an Otto vom Steeg, 11.01.79. Der Brief stammte eigentlich von Pitz, der ihn für Loderer vorformulierte, siehe Karl Pitz: Aktennotiz: Eugen Loderer, Betreff: Schiffbauinitiative von Otto vom Steeg, 10.01.79, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Schiffbau, 1977–1982, AdsD 5/IGMA100134. 250 Metall Pressedienst: IG Metall begrüßt Werftenpolitik der Bundesregierung, 02.01.79, in: ebd.; Otto vom Steeg: Abschrift Presseerklärung: Die Industriegewerkschaft Metall, Bezirksleitung Hamburg, begrüßt den Kabinettsbeschluß zu den Hilfsmaßnahmen für die Werften, 19.01.79, in: ebd. 251 Karl Pitz: Aktennotiz: Kollegen Eugen Loderer, Betreff: Subventionierung der Werften, 15.03.79, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Schiffbau, 1975–1977, AdsD 5/IGMA100135.

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Wenn die Beamten der Europäischen Gemeinschaft der deutschen Bundesregierung ständig neue Schwierigkeiten bereiten, insbesondere die Beamten des hohen Kommissars Davignon, wird mir Angst und Bange um die Beschäftigungssituation. […] Für uns ist das alles unverständlich, da die anderen Länder auf ähnlicher Grundlage wie die Bundesregierung schon Genehmigungen seit Jahren von der Europäischen Gemeinschaft erhalten haben.252 Vom Steeg schlug vor, dass man über die eigenen Kontakte – in diesem Fall die Beziehung zwischen Eugen Loderer und Wilhelm Haferkamp, dem Vize­ präsidenten der Kommission der EG – Einfluss ausüben solle. Er empfahl außerdem an die Öffentlichkeit zu gehen.253 Loderer ging dem ersten Vorschlag nach und bat den Vizepräsidenten im Juni 1979, positiv auf die Entscheidungsprozesse einzuwirken.254 Haferkamp antwortete zehn Tag später und gab grünes Licht für das Beihilfeprogramm der Bundesregierung, allerdings nicht ohne einige Einschränkungen zu nennen.255 In dieser Entwicklung lag eine gewisse Tragik. In der Bundesrepublik hatte man jahrelang den Abbau der Subventionen gefordert – gerade von Gewerkschaftsseite. Als die Situation für den westdeutschen Schiffbau immer kritischer wurde, blieb letztlich nur noch die Lösung, die Subventionen wieder hochzufahren. In diesem Moment wurde man von der früheren Einstellung eingeholt, denn im europäischen Raum hatte man sich entschieden, die Subventionen für den Schiffbau massiv zurückzufahren. Da die EG im Laufe der Zeit größere Entscheidungsbefugnisse erhalten hatte, war sie nun in der Lage, 252 Otto vom Steeg: Brief: An IG Metall Vorstand, 1. Vorsitzender, Betreff: Antrag der Bundesregierung an die EG -Behörde wegen der Genehmigung der Schiffbausubven­ tionen, 11.05.79, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Schiffbau, 1977–1982, AdsD 5/IGMA100134. 253 Auch Pitz wusste um die Problematik bei der Kommission und berichtete, dass es Kommissar Davignon sei, der die Freigabe der Subventionen blockiere: »Laut Auskunft des Wirtschaftsministeriums wird die Genehmigung gegenwärtig hauptsächlich von der Direktion Industriepolitik (Davignon) blockiert. Die Direktion Wettbewerb hingegen hat bereits ihre Genehmigung erteilt. Gestern hat abermals ein Gespräch zwischen Lambsdorff [Bundeswirtschaftsministerium] und Davignon stattgefunden, vorläufig ohne Ergebnis.«, siehe Karl Pitz: Aktennotiz: An den Kollegen Eugen Loderer, Betreff: Schiffbaupolitik, 16.05.79, in: ebd. 254 Eugen Loderer: Brief: Herrn Wilhelm Haferkamp, Vizepräsident der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Brüssel, Belgien, 01.06.79, in: ebd. 255 Wilhelm Haferkamp: Brief: An Eugen Loderer, 1. Vorsitzender der IG Metall, 11.06.79, in: ebd.

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die Subventionspolitik der Bundesrepublik zu beeinflussen. Die Kontrolle der EG wurde unter den Gewerkschaftern heiß diskutiert. Dabei gerieten die inhaltlichen Punkte des Strukturprogramms aus dem Blickfeld. Der VDS legte Anfang des Jahres 1980 erneut einen Bericht zur Situation der Werftindustrie vor. Die IG Metall bewertete diesen Bericht als Erfolg ihrer Forderungen zu engerer Verzahnung zwischen Werftplanung und politischer Einflussnahme des Staates in die Entwicklung der Schiffbauindustrie. Ansonsten verhieß der Bericht nichts Gutes. Die Fertigungsstunden im Handelsschiffbau waren von 54,71 Millionen Stunden im Jahr 1975 auf 22,46 Millionen Stunden im Jahr 1979 gesunken. Das entsprach einem Rückgang um 59 Prozent.256 Nicht ganz so hoch, aber ebenso einschneidend, war der Rückgang der Beschäftigtenzahlen: Laut VDS waren 1975 noch 46.839 Arbeitnehmer in der westdeutschen Schiffbauindustrie beschäftigt, 1979 nur noch 27.369. Das war ein Rückgang um 42 Prozent.257 Das Feld schien endgültig verloren, als im März 1980 die Kollegen im Bezirk Hamburg die Nachricht vom Ministerialrat des Bundeswirtschaftsministeriums, Pfeiffer, ereilte, dass in den verschiedenen Hilfsprogrammen Kürzungen geplant seien. Das Auftragshilfeprogramm sollte von 109 Millionen DM um 15,5 Millionen DM gesenkt werden und die Finanzierungsdarlehen von 67 Millionen auf 64,5 Millionen. Pfeiffer versicherte zwar, dass alle Beiträge die laufenden Geschäfte der Werften abdecken würden, aber gerade die Einschränkung in den Auftragshilfen verdeutlichte, dass man in der Regierung nun einen anderen Weg einschlug.258 In der IG Metall wollte man nicht aufgeben. Man schickte eine Stellungnahme an verschiedene Stellen im Bundeswirtschaftsministerium und hoffte, mit den alternativen Vorschlägen im Bereich der Meerestechnologie auf offene Ohren zu stoßen.259 Das schien auf den ersten Blick zu funktionieren. 256 IGM Bezirksleitung Hamburg: Stellungnahme der IG Metall zum Bericht über Struktur und Entwicklung des deutschen Seeschiffbaus Fortschreibung 1980 des Verbands der deutschen Schiffbauindustrie, März 1980, Bl. 1, in: ebd. 257 Ebd., Bl. 2. 258 Otto vom Steeg: Brief: An die Mitglieder des Arbeitskreises Schiffbau, Betreff: 1) Stellungnahme der IG Metall zum Strukturbericht des VDS , 2) Mitteilung aus Bonn zu Pressemeldungen, 28.03.80, in: ebd. 259 Otto vom Steeg: Brief an Herrn Ministerialrat Fritz Pfeiffer, Bundesministerium für Wirtschaft, 24.03.80, in: ebd.; Karl Pitz: Aktennotiz: An den Kollegen Eugen Loderer, Betreff: Stellungnahme zum Strukturbericht des VDS mit der Anlage: VDS: Stellungnahme verschickt an Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Otto Graf von Lambsdorff, 08.04.80, in: ebd.

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Bundeswirtschaftsminister Otto Graf von Lambsdorff schrieb im Mai 1980 an Eugen Loderer: Ich sehe in dieser Stellungnahme eine Unterstützung der Bemühungen der Bundesregierung zur Bewältigung der schwierigen Situation im Schiffbau. […] Mit großem Interesse entnehme ich Ihrer Stellungnahme, daß auch Sie in einer verstärkten Diversifizierung, besonders auch auf dem Gebiet der Meerestechnik, Chancen zur Lösung etwa auftretender ernster Beschäftigungsprobleme sehen.260 Da diese Ideen im Laufe des Jahres nicht in dem Maß umgesetzt wurden, dass man wirklich von einer Alternative sprechen konnte, verlor sich die Forderung für Meerestechnik bei der IG Metall zunehmend. Die Gewerkschafter gingen nun voll und ganz dazu über, für den Erhalt der Subventionen zu kämpfen. Offiziell hieß es zwar immer noch, man setze sich für den Abbau der Subventionen weltweit ein, aber gegen die Einschränkung für die Bundesrepublik wurde nun wesentlich lauter protestiert als noch ein paar Jahre zuvor: Die IG Metall verkennt […] nicht, daß eine auf Abbau der weltweiten Subventionen gerichtete Politik auf immense Schwierigkeiten stößt. […] Vor diesem real existierenden Hintergrund führt kein Weg daran vorbei, daß die deutsche Werftenhilfe als legitimer Bestandteil einer umfassenden Strukturpolitik gesehen werden muß.261 Da die Diversifizierung in den Augen der IG Metall viel zu langsam vor sich ging, drängte sie nun stärker auf den Erhalt der Arbeitsplätze in der Schiffbauindustrie.262 »Auf keinen Fall darf die Politik der Diversifizierung als eine Zukunftskonzeption mißverstanden werden, bei der abstrakte Vorstellungen über Wünschbares als Vorwand genommen werden, konkrete Arbeitsplätze im Schiffbau ersatzlos wegfallen zu lassen.«263 Und so überrascht es nicht, dass die IG Metall als einzige konkrete Maßnahme in ihren Schluss260 Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Otto Graf von Lambsdorff: Brief: An den 1. Vorsitzenden des Vorstandes der IG Metall, Herrn Eugen Loderer, 16.05.80, in: ebd. 261 IG Metall Vorstand: Stellungnahme der IG Metall zur weiteren Subventionierung des deutschen Schiffbaus, März 1981, Bl. 1 f., in: ebd. 262 Ebd., Bl. 2. 263 Ebd., Bl. 3.

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folgerungen der Stellungnahme von 1981 die Verlängerung der Auftragshilfen, beziehungsweise ein Übergangsprogramm in der Größenordnung von 180 Millionen DM forderte.264 Die IG Metall drehte sich im Kreis. Nichts, aber auch gar nichts passierte, was der Küstenregion wirklich helfen konnte. Fasst schon resigniert hieß es in einem Brief aus dem Vorstand an den Bezirksleiter Otto vom Steeg: Lieber Otto, durch die jetzt auf Bundesebene neu beschlossenen Zins­ subventionen für die Werften sowie insbesondere durch den gerade bewilligten riesigen Subventionsbetrag für den Bremer Vulkan ist noch einmal ganz klar geworden, daß die Werftenpolitik in der Bundesrepublik schwerpunktmäßig leider aus nichts anderem als Beschaffung von Subventionen für die Werften besteht. Zwar wird sich die IG Metall wieder für Werftensubventionen einsetzen müssen, weil dieser Industriezweig in allen Ländern stark subventioniert wird. Es kann aber auf Dauer gesehen nicht vernünftig sein, wenn BMWi und Schiffbauverband (VDS) ihre ganze Arbeit auf die Subventionierung der Werften konzentrieren, und darüber hinausgehende Anstrengungen kaum sichtbar werden.265 Die Wende in der Subventionspolitik der IG Metall war in den Gewerkschaftsreihen umstritten. Im Mai 1982 mussten sich die Metaller vor dem DGB rechtfertigen. Karl Pitz schrieb zur Vorbereitung für ein »SubventionsHearing« beim DGB, dass sich die IG Metall seit Jahren schon für den Abbau der Subventionen auf OECD - und EG -Ebene eingesetzt habe.266 Solange das internationale Niveau aber noch oberhalb desjenigen der Bundesrepublik liege, befinde man sich in einem Zugzwang und befürworte deshalb, dass Subventionen Bestandteil der Strukturpolitik seien. In Klammern hieß es hierzu: […] (für das Hintergrundverständnis wichtig, sollte jedoch auf keinen Fall in der Öffentlichkeit angesprochen werden. Durch administrative Praxis 264 Karl Pitz: Protokoll: Gespräch zwischen Eugen Loderer und Bundestagsabgeordneten der IG Metall, Teil: Schiffbaupolitik, Frühjahr 1981, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Schiffbau, 1977–1982, AdsD 5/IGMA100134. 265 Eugen Loderer: Brief an IG Metall, Bezirksleitung Hamburg, z. Hd. Herrn Otto vom Steeg, Betreff: Werftenpolitik, 21.12.81, in: ebd. 266 Anlage: Karl Pitz: Subventionen im Schiffbau (und Schiffahrt), 08.04.82, in: Karl Pitz: Mitteilung an den DGB , Wirtschaftsabteilung, z. Hd. Herrn Wilfried Höhnen, 27.05.82, in: ebd.

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wird sichergestellt, daß diese Hilfen praktisch nur an Reeder fließen, die bei deutschen Werften ordern. Importierte Schiffe sind also faktisch ausgeschlossen) […].267 Zur gleichen Zeit gab die Bezirksleitung Hamburg eine Presseinformation heraus, in der es hieß: »Fünf Jahre hatte der deutsche Schiffbau Zeit, sich den geänderten Bedingungen des Schiffbaumarktes anzupassen. Wir können feststellen, daß bis auf Ausnahmen, diese Zeit nicht genutzt wurde!«268 In der Pressemitteilung wurde darüber informiert, dass die Länder Hamburg und Bremen im Bundesrat den Vorschlag der Bindung der Investitionszulage für die Schiffbauneuaufträge an die deutschen Werften eingebracht hatten  – also eine offizielle Regelung der bereits praktizierten Maßnahme erringen wollten. Die CDU-regierten Länder Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz hatten sich der Stimme enthalten, Niedersachsen sogar dagegen gestimmt. In der Pressemitteilung wurde diese Haltung verurteilt: »Damit trägt die niedersächsische Landesregierung die Verantwortung dafür, wenn Schiffbauaufträge deutscher Reeder mit einer 10prozentigen Investitionszulage subventioniert werden, obwohl der Auftrag z. B. auch an die Billiganbieter im ostasiatischen Raum vergeben wird.«269 Um dieser Aussage Gewicht zu verleihen, wurde sogar argumentiert, damit würde man Aufträge für das Ausland subventionieren und die Gefahr für deutsche Werften noch weiter erhöhen. Es sei nicht allein das »internationale Subventionswirrwarr«, dass Schuld an der Misere trage: Die Verantwortlichen für diese Situation sitzen in den Chefetagen. Ihre Unfähigkeit zu gemeinsamen Lösungen, ihre Unfähigkeit zur Veränderung und die mangelnde Bereitschaft der Eigentümer zu Investitionen in die Zukunft gefährden die Arbeitsplätze an der Küste. Die IG Metall wird ihre Mitglieder zur offensiven Auseinandersetzung mit der Politik des Todes auf Raten aufrufen.270

267 Ebd. 268 IGM , Bezirksleitung Hamburg: Presseinformation, Betreff: Der Schiffbau ist noch nicht aus der Krise, Niedersachsens Stimme im Bundesrat geführte deutsche Werftindustrie, 01.04.82, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Schiffbau, 1977–1982, AdsD 5/IGMA100134. 269 Ebd. 270 Ebd.

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Die Sprache in der IG Metall hatte sich verändert: »Tod auf Raten«, »Unfähigkeit«, »mangelnde Bereitschaft«. Alles wies daraufhin, dass die Gewerkschafter in ihrem Kampf um eine alternative Strukturpolitik mehr und mehr resignierten. Während sie in der Vergangenheit mit kühlem Kopf argumentiert hatten, internationale Subventionen regulieren und alternative Industrien aufbauen wollten, griffen sie jetzt nach jedem Strohhalm.

3.3.7 Ende der sozialdemokratischen Regierung Da Ende 1982 der nächste Bundeshaushalt beschlossen werden sollte, nahm man in der IG Metall noch einmal alle Kraft zusammen und versuchte, in den politischen Arenen aktiv zu werden: Man traf sich mit SPD -Bundestagsabgeordneten, mit Vertretern des Bundeswirtschaftsministeriums, mit den Betriebsräten in der Arbeitsgemeinschaft Schiffbau in Hamburg und schrieb dem Vorsitzenden des VDS271 und dem neuen Bundeskanzler Helmut Kohl.272 Die Zeit drängte, da der IG Metall nur noch knapp zwei Wochen bis zur Sitzung des Haushaltsausschusses blieben.273 Als Arbeitsgrundlage hatte Karl Pitz nochmals ein Papier mit allen Forderungen der IG Metall zusammengestellt. Hierin wurde die Sorge deutlich, dass sich mit dem Regierungswechsel der politische Wind drehen und damit auch die bisherige Wirtschaftspolitik verändern könne. In den USA und Großbritannien grassiere bereits eine Sparideologie, die das Sozialprodukt im dritten Jahr in Folge stagnieren und den Welthandel zum ersten Mal seit 20 Jahren sinken lasse, hieß es.274 271 Der Brief sollte in erster Linie den VDS über die Forderungen der IG Metall informieren. Eugen Loderer ließ aber die Möglichkeit nicht ungenutzt, die Werftunternehmer zu mehr Aktivität aufzufordern, denn auch wenn man wisse, dass jetzt die staatliche Hand notwendig sei, könnten diese die Maßnahmen der Werften zur Überwindung der Situation nur flankieren, in: Eugen Loderer: Brief: An den Verband der Deutschen Schiffbauindustrie e. V., z. Hd. Herrn Dr. Michael Budczies, 24.11.82, in: ebd. 272 Siehe Karl Pitz: An den Kollegen Eugen Loderer; Schiffbaupolitik 1983, 19.11.82, in: ebd. 273 Karl Pitz forderte Eugen Loderer deshalb auf, seine Stellungnahme dieses Mal schnell durch den Vorstand zu bringen. Er schrieb am Freitag, 19. November 1982 und wollte die Entscheidung des geschäftsführenden Vorstandes schon am Montag darauf, in: ebd. 274 IG Metall Vorstand: Die Schiffbaukrise überwinden. Forderungen der IG Metall zur Sicherung der Arbeitsplätze auf den Werften in den Krisenjahren 1983–1985, 29.11.82, Bl. 1, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Schiffbau, 1977–1982, AdsD 5/IGMA100134.

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Pitz forderte, dass diese »verzahnte und sich immer mehr ausbreitende Abwärtsspirale« beendet werden müsse.275 Die Bundesrepublik solle eine aktive Konjunktur- und Wachstumspolitik durch ein Beschäftigungsprogramm der öffentlichen Hand und Zinssenkungen der deutschen Bundesbank betreiben. Wichtig sei auch, dass sich die Bundesregierung in die weltweiten Beratungen einbringe und sich global für eine Wachstumspolitik einsetze.276 Wieder suchte die IG Metall die Öffentlichkeit, gab Presseinformationen heraus und beteiligte sich im Dezember 1982 an der Tagung »Werften-Schiffahrt-Fischerei« in Bremen.277 Doch dann mischte sich der VDS in die Diskussionen ein und verkündete im April 1983 auf einer Werftenkonferenz der Küstenländer, dass man 9.000 Arbeitnehmer in der Schiffbauindustrie entlassen und wenn nötig Unternehmen schließen werde. Diese Maßnahme sei aufgrund des rückläufigen Marktes notwendig, hieß es zur Begründung. In der IG Metall war man entsetzt und bezeichnete den Vorschlag als »Großangriff auf die Beschäftigten«.278 Eilig berief der IG Metall-Vorstand eine eigene Schiffbaukonferenz ein. Sie fand im August 1983 in Hamburg statt und war, zumindest was die Prominenz und Zusammensetzung der Redner anbelangte, kleiner als die Tagungen zuvor. Statt eines Vertreters der Bundesregierung sprach der Wirtschaftssenator Hamburgs, es war kein Vertreter des Werftenverbandes anwesend – was angesichts der Erklärung des VDS aber nicht verwunderlich war – und Karl Casserini, der Wirtschaftsexperte des IMB, ließ sich krankheitsbedingt entschuldigen. Doch die hohe Teilnehmerzahl verdeutlicht, dass die Konferenz für die Betroffenen eine große Bedeutung hatte.279 Erstmals sandte eine Gruppe von Vertrauensleuten einen Appell an die Tagenden, sich 275 Ebd. 276 Ebd. 277 IGM, Bezirksleitung Hamburg: IG Metall Presseinformation: Die Schiffbaukrise überwinden, Hamburg, Nr. 55/82, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Schiffbau, 1977–1982, AdsD 5/IGMA100134. 278 IGM Vorstand: 8. Nationale Schiffbaukonferenz am 17. August 1983 in Hamburg, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1978–1983, AdsD 5/IGMA071111. 279 Rund 150 Betriebsräte und Vertrauensleute waren auf der Konferenz anwesend. Dieser Bedeutung für die Mitglieder war sich der Vorstand bewusst und richtete die Konferenz trotz der hohen Kosten und der wenig aussichtsreichen Ergebnisse aus. Die Gesamtkosten beliefen sich einschließlich der Spesen, der Verdienstausfälle und des Mittagessens auf etwa 28.000 DM , wie man zuvor berechnet hatte, Eugen Loderer: Vorlage zur Sitzung der geschäftsführenden Vorstandsmitglieder, 27.06.83, in: ebd.

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für sofortige Hilfen der Bundesregierung einzusetzen. In diesem Schreiben, das von Vertrauensleuten des Bremer Vulkan stammte, hieß es: Der Vorstand der IG -Metall wird […] aufgefordert, umgehend der Bundesregierung deutlich zu machen, daß ohne Exporthilfe der deutsche Schiffbau nicht überleben kann. Weiter muß der Öffentlichkeit klar gemacht werden, daß die Wirtschaftspolitik des Grafen Lambsdorff auf den norddeutschen Werften zur Katastrophe führt. Deshalb fordert der Vertrauensleutekörper der IG Metall der Bremer Vulkan AG, daß der Vorstand der IG Metall zu einer großen Demonstration in Bonn aufruft, um zu zeigen, daß die IG -Metall nicht gewillt ist, kampflos zehntausende von Arbeitsplätzen auf den Weften aufzugeben und eine ganze Region wirtschaftlich verarmen zu lassen.280 In der Stellungnahme der IG Metall waren ähnlich verzweifelte Worte zu lesen. Die Kapazitätsschnitte hätten in der Vergangenheit bereits einen Stand erreicht, der in keinem Fall weiter unterschritten werden dürfe, hieß es hier.281 Bereits 20.000 Arbeitsplätze seien vernichtet worden. Die dramatische Arbeitslage in Norddeutschland würde durch nochmalige Kürzungen gefährlich verschärft werden. Deshalb fordere die IG Metall den VDS auf, diese Zielsetzung fallen zu lassen. Das Überleben der jetzigen Standorte müsse sichergestellt sein.282 Neben dem Vorschlag der Reduktion von Arbeitsplätzen gab es einige Punkte mehr, die die IG Metall beanstandete. Der VDS hatte verlangt, die Sozialpläne zu ändern und Abstriche in den Abfindungsbeträgen zu machen. Im Papier der IG Metall hieß es, es könne nicht sein, dass ausgerechnet dort das Messer angesetzt werde, wo die Not am größten sei. Die betroffenen Arbeitnehmer seien schon durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes bestraft.283 Die IG Metall forderte: keine Kündigungen 280 Bremer Vulkan, Vertrauensleutekörperleitung der IG -Metall: Resolution des Vertrauensleutekörpers der IG -Metall Bremer Vulkan AG zur 8. Nationalen Schiffbaukonferenz der IG -Metall in Hamburg, z. Hd. des 1. Vors. der IGM , Koll. Eugen Loderer, 17.08.83, in: IGM Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Veranstaltungen, 8. Nationale IGMSchiffbaukonferenz, 1982, AdsD 5/IGMA100147. 281 IGM Vorstand: 8. Nationale Schiffbaukonferenz am 17. August 1983 in Hamburg, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1978–1983, AdsD 5/IGMA071111. 282 Ebd. 283 Ebd.

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bei Umstrukturierung, Umbesetzung nur bei gleichwertiger Tätigkeit, langfristige Personalpläne und Aus- und Weiterbildungen sowie Umschulungen. Als der Vorstandsvorsitzende Eugen Loderer seine Rede zur Bewältigung der Krise in der Schiffbauindustrie hielt, wählte er ungewöhnlich politische Worte. Er zeigte sich enttäuscht über die Entwicklung in der Bundespolitik: Hören und lesen wir nicht dauernd von »Wende« und Aufschwung? Hat nicht die Bonner Rechtskoalition die Wahl vom 6. März mit der Parole gewonnen: »Den Aufschwung wählen«? Und zwar mit den Stimmen vieler Arbeitnehmer, die auf den Umschwung hofften, und die bereit waren, dafür finanzielle Opfer zu bringen. […] Und der Erfolg? Das Aufschwunggerede hat sich zu neun Zehnteln in blauen Dunst aufgelöst. […] Es wird einige Zeit brauchen, ehe die Wähler allenthalben die Illusion verlieren, eine konservative Wirtschaftspolitik könne die Welt aus der Krise führen.284 Die Zeit der Sozialdemokraten war vorbei. Wirtschaftsminister Graf von Lambsdorff übernahm den Vorschlag des VDS und stimmte dem Abbau der Arbeitsplätze zu. Gleichzeitig kündigte er die Streichung der Auftragshilfen für den Exportschiffbau an. Loderer war empört: Sollen etwa die Werftarbeitsplätze dem Fetisch der staatlichen Ausgabenkürzung geopfert werden, während an die Unternehmer der Bundesrepublik insgesamt Steuergeschenke in Milliardenhöhe verteilt werden? Oder wird hier nur gepokert um einen höheren Finanzierungsbeitrag der Küstenländer? Wir protestieren dagegen, daß mit der Existenz der Werftarbeiter ein finanzpolitisches Spiel getrieben wird!285 Loderers Hauptforderung war nun, die noch existierende Beschäftigung in den Werftbetrieben zu sichern und die tägliche Existenzangst unter den Werftarbeitern zu minimieren und er beendete seine Rede mit dem Satz: »Unser Prinzip ist Solidarität, nicht gegenseitige Konkurrenz!«286

284 Eugen Loderer, ebd., Bl. 6 ff. 285 Ebd., Bl. 32. 286 Ebd., Bl. 65.

Zusammenfassung

3.4 Zusammenfassung Die Vertreter der westdeutschen Werftarbeiter standen in der unmittelbaren Nachkriegszeit unter Druck, dem Industriezweig zum Aufschwung zu verhelfen und die hohe Arbeitslosigkeit in den Küstenregionen zu beseitigen. Deshalb unterstützten sie den Gedanken von Exporten und staatlichen Hilfen. Ihr offensiver Einsatz für staatliche Subventionen änderte sich in den späteren Diskussionen, auch durch den Einfluss internationaler Kollegen wie IMB -Schiffbaupräsident Arne Geijer und IMB -Wirtschaftsexperte Karl Casserini. Die Erfahrungen mit den ausländischen Kollegen führten bei den IG Metall-Gewerkschaftern zu der Überzeugung, dass einzelne Auftragshilfen abgebaut und der Sektor mithilfe langfristiger Strukturgelder umgestaltet werden müsste. Die hauptamtlichen Gewerkschaftssekretäre waren während der 1950er Jahre vor allem damit beschäftigt, nationale Gewerkschaftsstrukturen zu etablieren und ein eigenes Wirtschaftsprogramm zu entwickeln. Ersteres stellte insofern eine Herausforderung dar, da die gewerkschaftliche Organisierung zu Beginn stark auf lokale und regionale Netzwerke fußte. Durch die späte Gründung des DGB fehlte in den Westzonen ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Es hatten sich regionale Eigenheiten herausgebildet, die für eine einheitliche Bewegung hinderlich waren. Die IG Metall tat sich außerdem mit der Mitgliederrekrutierung schwer und musste die Beitragszahlungen sicherstellen. Eine institutionelle Herausforderung stellte auch der Konflikt zwischen sozialdemokratischen und kommunistischen Gewerkschaftern dar. Das spiegelte sich in den vielfältigen Debatten zum Wirtschaftsprogramm wider. In der IG Metall zeigte sich während der 1950er Jahre ein außerordentlicher Mitgestaltungswillen, der durchaus mit wirtschaftlichen Alternativen zum Kapitalismus aufwartete, sich gleichzeitig aber von kommunistischen Konzepten abzugrenzen versuchte. Die Errungenschaften des Betriebsverfassungsgesetzes wurden sehr ernst genommen. Wissen sollte generiert und an die Verantwortlichen in den Wirtschaftsausschüssen und Betriebsvertretungen weitergegeben werden. Nach den anfänglichen Überlegungen, wie ein Wirtschaftsprogramm im Großen und Ganzen auszusehen habe, orientierten sich die Gewerkschafter der IG Metall am Konzept der Wirtschaftsdemokratie, das die Wirtschaftspolitik zentral planen und weitgehende Mitbestimmung gewährleisten sollte. Für die Schiffbauindustrie sollte das bedeuten, effektive und moderne Großwerften über eine zentral geregelte Planwirtschaft einzurichten und die In-

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Die IG Metall 

teressen kleinerer und mittlerer Werften zurückzustellen. Im Sinne dieser geplanten Strukturpolitik stimmten die Gewerkschafter auch Rationalisierungsprozessen zu, unter der Prämisse, dass für die freiwerdenden Arbeitskräfte alternative Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt würden. Diese Ansätze legten den Grundstein für alle späteren Ausrichtungen und Strategien in der IG Metall. Während in den 1950er Jahren die Schiffbauindustrie vor allem von der Bezirksleitung in Hamburg aus organisiert wurde, übernahm diese Rolle in den 1960er Jahren der IG Metall-Vorstand. Verantwortliche der Wirtschaftsund Organisationsabteilung legten in Absprache mit dem Vorstandsvorsitzenden den Zeitpunkt der Treffen fest und bestimmten die Zusammensetzung der Redner und Delegierten. Damit vollzog sich allmählich eine Professionalisierung der Organisationsabläufe. Allerdings bestand darin auch die Gefahr, dass sich der hauptberufliche Vorstand von der Basis löste, was bei den Auseinandersetzungen um das Wirtschaftsprogramm zutage trat. Die IG Metall war in den 1960er Jahren um Wirtschaftsdemokratie und Sozialpartnerschaft bemüht und forderte Mitsprache auf Regierungsebene ein. Die Überlegung dazu war, eine regelmäßig tagende dreigliedrige Kommission zu etablieren, in der das Wirtschaftsministerium, die Landesvertreter, der Verband der Werften und die IG Metall zusammenkommen sollten, um die Industriepolitik durch Reflexion aller am Sektor beteiligten Parteien zu planen. Diese Form der dreigliedrigen Zusammenkünfte wäre angesichts der programmatischen Vorstellungen, die die IG Metall hatte, eine sehr gute Möglichkeit gewesen, den Sektor übergreifend zu strukturieren. Anhand von Analysen über die Wirtschaftlichkeit der Werften wäre es möglich gewesen, den Sektor umzustrukturieren und in größeren Einheiten zu denken. Doch dazu kam es nicht. Die IG Metall blieb auf ihren bisherigen Aktionsradius beschränkt. Zur Kontaktaufnahme mit politischen Akteuren gab es nur die Möglichkeit, Regierungs- und Unternehmensvertreter auf Schiffbaukonfe­ renzen einzuladen. In Anlehnung an ihre wirtschaftlichen Vorbilder, Schweden und Japan, unterstützte die IG Metall in den 1960er Jahren die Umstrukturierung der Werftenlandschaft, bejahte die umfassende Rationalisierung für technologischen Fortschritt und zeigte sich offen gegenüber Fusionen, wenn sie der Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens dienten. Auch was die Diskussionen zu staatlichen Hilfen anbelangte, orientierten sich die westdeutschen Gewerkschafter an außernationalen Beispielen. Als die Bundesregierung im Zuge des schnellen Aufstiegs japanischer Werften 1961 zum ersten Mal ein

Zusammenfassung

Subventionsprogramm verabschiedete, reagierten die Metallgewerkschafter verhalten. Laut der Analysen des IMB -Wirtschaftsexperten Karl Casserini verhießen diese Hilfen nichts Gutes, da sie nur kurzzeitig der Belebung des Marktes dienten. Casserini eröffnete bei den westdeutschen Gewerkschaftern eine Debatte über gute und schlechte Subventionen und überzeugte sie davon, dass sich nur langfristig angelegte Hilfen für den Schiffbau auszahlen würden. Die Gewerkschafter des IG Metall-Vorstandes vertrauten der Expertise des globalen Akteurs und versuchten, diese Strategie gegenüber ihren Mitgliedern zu vertreten. Damit entspann sich eine interne Diskussion, wie erfolgversprechend die internationalen Vereinbarungen zur Kontrolle von Subventionen seien und ob die Bundesrepublik einen Nachteil hätte, wenn sie sich von staatlichen Hilfen verabschiede. Die Kritiker kamen vor allem aus den Reihen der Betriebsräte und Vertrauensleute der Verwaltungsstellen, die sich Sorgen machten, wie diese Art der Politik gegenüber ihren Mitgliedern kommuniziert werden könne. Von ihnen kam auch Kritik in Bezug auf die Rationalisierungs- und Fusionspläne. Einige der Betriebsräte glaubten nicht, dass es gelingen würde, die freiwerdenden Arbeitskräfte in andere Sektoren zu verlagern. Es war nicht nur ihr fehlendes Vertrauen in die wirtschaftspolitischen Ansätze des Vorstandes, sondern auch die Unsicherheit darüber, welche neuen Aufgaben an sie gerichtet und ob sie den Herausforderungen genügen würden. Dabei stellte sich auch die Frage, inwiefern die hauptamtlichen Gewerkschaftssekretäre den Wünschen der Vertrauensleute und Betriebsräte nachgekommen waren und sie mit dem notwendigen Wissen für die Umsetzung der Programme ausgestattet hatten. In wirtschaftlich instabilen Zeiten wurde es für die IG Metall immer schwieriger, diese Strategie gegenüber den Mitgliedern zu verteidigen. Die fehlende Kommunikation zeigte sich auch bei der missglückten Darstellung der europäischen Politik. Richard Sahrholz, dem zuständigen Gewerkschafter im Europäischen Metallausschuss, gelang es nicht, den Anwesenden verständlich zu machen, worin die Vorteile einer europäischen Wirtschaftspolitik für die Gewerkschafter bestehen könnten. Er verlor sich in seinem Ärger über die Hürden in den europäischen Institutionen und war nicht in der Lage, die westdeutschen Gewerkschafter für grenzübergreifende Strategien zu begeistern. Eine ähnliche Diskrepanz offenbarte sich in der Perspektive auf den Hauptkonkurrenten Japan. Durch Auslandserfahrungen hatten die Gewerk­ schaftssekretäre in den Führungspositionen eine andere Seite von Japan

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Die IG Metall 

kennengelernt und erkannt, dass es für die Gewerkschaftsbewegung wenig hilfreich war, Feindbilder aufzubauen. Auf den Konferenzen teilten sie ihre Erlebnisse, die sie auf japanischen Werften gemacht hatten, mit den Anwesenden und versuchten, ihnen ein anderes Bild von Japan zu vermitteln. Diese Strategie hatte einen Hintergrund. Wie Karl Casserini schon Jahre zuvor argumentiert hatte, sei es nicht sinnvoll, sich gegen die Entwicklung der außereuropäischen Länder zur Wehr zu setzen, sondern sie stattdessen von den europäischen Gewerkschaftsmodellen zu überzeugen und sie in ihrem Kampf um bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen zu unterstützen. Ganz davon abgesehen, dass diese Haltung auch eine Problematik in sich barg, auf die ich im Abschnitt zum IMB zu sprechen kommen werde, waren die westdeutschen Gewerkschaftssekretäre nicht ganz so offenherzig und solidarisch, wie Casserini es sich erhoffte. Den nationalen Gewerkschaftsvertretern diente der Vergleich vielmehr dazu, die wirtschaftspolitischen Strukturen des Landes als Vorbild für eigene Konzepte zu nutzen. Der Erfolg der japanischen Unternehmen in Technologie und Planung wurde von der IG Metall als Argument für die Umstrukturierung des Sektors im eigenen Land genutzt. Das erklärt, warum sich das Bild zu Japan erneut veränderte, als sich die wirtschaftliche Situation in der Schiffbauindustrie für die Bundesrepublik Anfang der 1970er Jahre verschlechterte. Als es darum ging, die Europäische Kommission in der Forderung nach weltweiten Subventionsregeln zur Einschränkung des japanischen Exports zu unterstützen, waren die Worte zu Japan weit weniger positiv als noch in den Jahren zuvor. Mit der Regierungsverantwortung der Sozialdemokraten war die Hoffnung der Metallgewerkschafter groß, dass ihre Pläne für die Schiffbauindustrie in die Tat umgesetzt würden. Als die Bundesregierung im Jahr 1972 ein Werftgutachten herausgab, schienen sich diese Hoffnungen zu bestätigen. Die Regierung forderte hierin erstmals, dass die Werfteigner über die eingesetzten Subventionen Bericht zu erstatteten hatten. Daraus sollten langfristige Pläne für den gesamten Sektor abgleitet werden. Ziel des Programms sollte sein, kurzfristige Subventionen abzuschaffen, um den Sektor langfristig konkurrenzfähig zu machen. Im Nachhinein betrachtet kamen die Maßnahmen allerdings zu spät. Der Sektor schwächelte bereits. Im Jahr 1973 stieg der Ölpreis, was einen Einbruch der Tankernachfrage nach sich zog. Während dieser Jahre passierte bei der IG Metall in Bezug auf die Probleme im Schiffbau erstaunlich wenig. Die Gewerkschafter waren mit den wilden Streiks 1973 und dem Unterweserstreik 1974 beschäftigt. In beiden

Zusammenfassung

Fällen handelte es sich um Lohnforderungen, nicht um die Umstrukturierungspläne des Sektors. Da während dieses Zeitraums keine nationalen Konferenzen einberufen wurden, lässt sich über die Einordnung der Ereignisse aus nationaler Perspektive wenig sagen. Die Diskussion begann erst wieder im Jahr 1975, als die negativen Folgen sichtbar wurden. Die IG Metall reagierte auf den Einbruch der Schiffbaunachfrage, indem sie Karl Pitz zum Schiffbaureferenten der IG Metall ernannte. Dieser machte sich umgehend ein Bild von den bisherigen Diskussionen, suchte Kontakt zu Akteuren auf allen Ebenen – vom Bezirk bis zum IMB – und entwarf ein Strategiepapier. Da mit der sinkenden Nachfrage Entlassungen anstanden, fühlten sich die Gewerkschafter in besonderer Verantwortung. Vor allem der Bezirksleiter Otto vom Steeg sah es als seine Aufgabe an, die Landes- und Bundesregierung auf den prekären Zustand der Werftarbeiter aufmerksam zu machen und sie vom Einlenken zur Aufstockung der bisherigen staatlichen Hilfen zu überzeugen. Dabei verwarf er die vorherigen Absprachen der IG Metall, in denen man sich für Subventionsabbau entschieden hatte, und forderte alle erdenklichen Mittel, um möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten. Während vom Steeg über seine Erfolge bei den Gesprächen mit den Regierungsverantwortlichen berichtete, wurde Pitz immer nervöser, was die Verabschiedung einer langfristigen Strategie der IG Metall anbelangte. Kurzfristig waren die Maßnahmen von Otto vom Steeg erfolgreich, doch was bedeuteten sie für den Sektor in langfristiger Perspektive? Die Gespräche mit Regierungsvertretern verdeutlichten, wie vielfältig die Antworten aus der Politik waren. Je nach Verantwortungsbereich und politischer Haltung reagierten die Politiker von Ablehnung bis Unterstützung. Da waren die Unterredungen mit einem Vertreter des Wirtschaftsministeriums, der schon 1976 eine massive Reduktion der Kapazitäten vorschlug. Es gab ein Gespräch mit Bundeskanzler Schmidt, der zwar die Notwendigkeit des Erhalts des Sektors erkannte, sich aber angesichts der sozialdemokratischen Grundsätze nur wenig begeistert über Subventionen zeigte, die den Kriegsschiffbau unterstützten oder Länder des globalen Südens in Abhängigkeit zur Bundesrepublik brachte. Und Finanzminister Matthöfer sah, auch durch seine Erfahrungen als Forschungsminister, die konsequente Umstrukturierung der Küstenregion vor und forderte neue Technologien jenseits des Schiffbaus. Die Metallgewerkschafter wurden immer mutloser, was ihre Pläne für den Schiffbausektor anbelangte. Der Schiffbaureferent Pitz hatte in langwieriger Auseinandersetzung mit den Kollegen der IG Metall ein Papier erarbeitet, das

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einige Punkte für die Planung des Sektors vorsah. Er gab der Regierung sogar eine Anleitung an die Hand, wie eine Strukturpolitik von der Koordination der Werftkapazitäten bis zur Umsetzung einer unternehmensübergreifenden Konzeption aussehen könnte. Dafür hatte sich Pitz sogar in Auseinandersetzung mit den eigenen Kollegen begeben. Der Bezirksleiter Otto vom Steeg war mittlerweile dazu übergangen, nur noch um den Erhalt der Subventionen zu kämpfen, denn an eine geplante Umstrukturierung der Küstenregion, die die Beschäftigung durch alternative Industrien sichern würde, glaubte er nicht mehr. Neben Pitz war er der Einzige der erkannte, wie vielfältig die Ansprechpartner in der Politik waren, wie divers die Geldgeber und wie bedeutsam dementsprechend ein Treffen zwischen den verschiedenen Ebenen und Entscheidungsträgern war. Trotz aller Versuche der IG Metall, die Probleme abzuwenden, stieg die Arbeitslosigkeit in den Küstenregionen. Keine der beiden Strategien, die die IG Metall verfolgte, ging im Endeffekt auf: Sie setzte auf Subventionen, um die kurzfristigen Folgen der Krise aufzufangen und forderte zur Wiederbelebung des Sektors den Umbau der Schiffe für eine umweltbewusste Schifffahrt. Die Subventionserhöhung wurde durch die Europäische Kommission gestoppt und der Bau der separaten Ballasttanks stellte sich  – wie es von einigen vorausgesagt wurde – nicht als Stimulierung der Nachfrage heraus. Auch wenn der VDS nach Aufforderung der Gewerkschafter und Bundesregierung jährlich einen Bericht zur Situation der Industrie vorlegen musste, zog er daraus keine Schlussfolgerungen für eine unternehmensübergreifende Industriepolitik. Im April 1983 regte der VDS eine massive Stellenkürzung im Schiffbau an. Als ob die Bundesregierung nur auf diesen Vorstoß gewartet hätte, schloss sie sich dieser Position an und leitete ein umfassendes Programm zum Abbau der Werftkapazitäten ein. Durch den konservativen Regierungswechsel war auch ein Ende der Sozialpartnerschaft abzusehen. Die aufgrund der Notsituation einberufene nationale Konferenz der IG Metall schloss nur noch einen kleinen Kreis von Betroffenen ein und konnte keine Wende in der bundesdeutschen Schiffbaupolitik mehr einleiten.

4.

Der Europäische Metallausschuss und Metallgewerkschaftsbund

4.1

Die Initiativen während der Zeit des Metallausschusses, 1964–1971

4.1.1 Institutionelle Entwicklung des Metallausschusses Im Februar 1963 gründeten sieben Metallgewerkschaften die Vertretung der Metallarbeiter auf europäischer Ebene. Dazu gehörten die Niederländer, Belgier, Franzosen, Luxemburger, Italiener und Deutschen.1 Die Organisation hatte eine Exekutive, den sogenannten Metallausschuss, der sich viermal im Jahr traf, ein Sekretariat und eine Rechnungsprüfungskommission. Eine Mitgliedsgewerkschaft konnte zwischen einem und drei Sitzen im Metallausschuss besetzen, je nach Anzahl der eigenen Mitglieder, wobei die Sitzverteilung nur die ungefähre Größe der jeweiligen Organisation wiedergab.2 Der Ausschuss hatte einen gewählten Präsidenten, in den Anfangsjahren war das der Niederländer Isaac Baart, der zur selben Zeit auch Präsident der Schiffbauabteilung des IMB war. Die Gewerkschafter trafen sich in Brüssel, am Sitz des Sekretariats, wo Richard Sahrholz, Sekretär des Metallausschusses, sein Amt ausübte. Als er 1967 vom DGB als Sozialattaché der Bundesregierung in die bundesdeutsche Botschaft nach Paris entsandt wurde, kam Günter Köpke, ebenfalls aus der IG Metall, nach Brüssel. Der Metallausschuss finanzierte sich durch die Beiträge seiner Mitglieder, deren Höhe sich ungefähr an der Größe der Mitgliedsorganisation orientierte.3 1 Die nationalen Gewerkschaften waren Algemene Nederlandse Metaalbedrijfsbond (ANMB , Niederlande), Centrale des Métallurgistes de Belgique – Fédération Générale du Travial de Belgique (CMB – FGTB , Belgien), Fédération Force Ouvrière de la Métallurgie (FOM , Frankreich), Fédération Nationale des Ouvriers du Luxembourg (FNOL , Luxemburg), zwei Gewerkschaften aus Italien, Federazione Italiana Metalmeccanici– Confederazione Italiana Sindacati dei Lavoratori (FIM– CISL) und Unione Italiana Lavoratori Metallurgici–Unione Italiana del Lavoro (UICLM–UIL) und die IG Metall (Deutschland), Clairmont, S. 101. 2 Deutschland bekam drei Sitze ebenso wie Frankreich, obwohl die deutsche IG Metall weit mehr Mitglieder hatte als die französische FOM , siehe ebd., S. 102. 3 Nicht immer verlief die Zahlung der Beiträge reibungslos. Konnte ein Mitglied seine Beiträge nicht entrichten, wurde ihm ein Darlehen gewährt, das es ermöglichte, den Beitrag in kleineren Schritten zu begleichen. Wofür diese Beiträge genutzt wurden und

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Der Europäische Metallausschuss und Metallgewerkschaftsbund 

Als der Metallausschuss seine Arbeit aufnahm, ging es zunächst darum, Informationen über Löhne und Tarife der Mitglieder zu sammeln und diese als Vergleich an die Mitglieder weiterzugeben. Zum Austausch gab es neben den Ausschusssitzungen Konferenzen, Treffen der Unterausschüsse sowie wechselseitige Besuche in den Mitgliedsländern, deren Ergebnisse seit 1969 über das Bulletin Europäischer Metallausschuss Informationen an die Mitglieder verschickt wurden.4 Mehrere Themen sorgten während der Institutionalisierung des Metallausschusses für Konfliktpotential. Dazu zählte die Beziehung zum IMB. Der Metallausschuss verstand sich von Anfang an als eigenständig, obwohl es natürlich Überschneidungen im Arbeitsbereich und personelle Verbindungen gab, beispielsweise war der stellvertretende Metallausschussvorsitzende Otto Brenner seit 1961 auch IMB -Präsident. Die europäischen Vertreter betonten, dass sie nicht eine Regionalorganisation des IMB darstellen, sondern eigenständig handeln und die Interessen europäischer Arbeiter vertreten wollten.5 Der IMB wiederum hatte während der Diskussionen um die Bildung des EMB 1971 einige Bedenken, dass er seine Bedeutung in der internationalen Gewerkschaftsarbeit verliere, wenn es auf europäischer Ebene eine eigene Organisation gebe. Trotz dieser Disparitäten ergaben sich für beide Metallverbände gemeinsame Aufgaben, die miteinander abgesprochen und koordiniert wurden, etwa Untersuchungen, Konferenzen oder die Erarbeitung von Strukturprogrammen, wie sich am Beispiel der Schiffbauindustrie noch zeigen wird. Zweiter Anlass für Konflikt bot die Frage der Kooperation mit kommunistischen Gewerkschaften innerhalb der EWG. Was die politische Ausrichtung anbelangte, war die Stoßrichtung des Metallausschusses im Prinzip klar: Durch die enge Beziehung zum IBFG und IMB verortete man sich bei den freigewerkschaftlichen, sozialdemokratischen Verbänden, zeigte sich ob es Diskussionen über die Verwendung der Gelder gab, wird bei Clairmont nicht angesprochen. Es wäre interessant zu wissen, ob es hier auch zu Kontroversen kam. Der hohe finanzielle Beitrag der IG Metall und ihr Gewicht aufgrund ihrer Größe waren vermutlich auch die Ursache dafür, dass ein deutscher Sekretär für den Metallausschuss verantwortlich zeichnete. Wie es zur Wahl von Sahrholz kam, bleibt ebenfalls unbeantwortet, siehe ebd., S. 105. 4 Ebd., S. 108, 112. 5 Clairmont berichtet von einigen Äußerungen Brenners, in denen er betonte, dass sich die Notwendigkeit des Metallausschusses aus den Beziehungen zur EWG ergebe und er dadurch eine ganz andere Aufgabe habe als der IMB und deshalb auch keine Unterorganisation darstelle, siehe ebd., S. 117.

Die Initiativen während der Zeit des Metallausschusses, 1964–1971

gegenüber christlichen Organisationen offen, lehnte aber die Zusammenarbeit mit kommunistischen Gewerkschaften ausdrücklich ab.6 Auf Länderebene sah das allerdings anders aus: Einige nationale Gewerkschaften waren während der 1960er Jahre Kooperationen mit kommunistischen Gewerkschaften eingegangen.7 Diese Zusammenarbeit löste Debatten über die Kontaktaufnahme zu den Kommunisten aus. Es zeigten sich vor allem diejenigen als Befürworter für eine Annäherung, die in ihren jeweiligen nationalen Kontexten Erfahrungen mit kommunistischen Gewerkschaften gemacht hatten.8 Als es im Dezember 1968 allerdings im Metallausschuss um eine tatsächliche Zusammenarbeit mit den Kommunisten ging, rückten die meisten von einer solchen Idee ab9 – außer den bereits genannten10 und dem Generalsekretär Günter Köpke, der nur in der Überwindung von Ideologien eine europäische Zukunft für die Arbeiterbewegung sah.11 Dritte Herausforderung für den Metallausschuss war die Kontaktaufnahme mit den eigentlichen Entscheidungsträgern innerhalb der EWG. Die Europäische Kommission stellte den wichtigsten Ansprechpartner dar, denn sie war für Stellungnahmen zuständig, auf dessen Grundlage der Ministerrat tätig wurde.12 Da der Metallausschuss in Koordinations- und Verwaltungsausschüssen der Kommission kaum vertreten war, versuchte er seinen Einfluss durch Stellungnahmen, Pressearbeit und Studien geltend zu machen.13 Wie sich am Beispiel des Schiffbaus noch zeigen wird, war dieses Vorgehen ein sehr langwieriges und zähes Unterfangen, bei dem die Gewerkschafter 6 Ebd., S. 127. 7 Ebd., S. 130 f. 8 Das waren in Italien die italienische christdemokratische Confederazione Italiana Sindacati Lavoratori (CISL) und die sozialistische Unione Italiana del Lavoro (UIL) mit der kommunistischen Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL) und in Frankreich die Zusammenarbeit mit der kommunistischen Confédération Générale du Travail (CGT). 9 Siehe dazu ausführlich: Clairmont, S. 138 ff. Seinen Schilderungen nach war es vor allem die IG Metall, die sich vehement gegen eine Zusammenarbeit mit italienischen und französischen kommunistischen Gewerkschaften sperrte. 10 Die Argumente der Italiener und Franzosen waren pragmatischer Art: Wenn es um eine gemeinsame europäische Interessenvertretung gehe, müssten auch die Kommunisten einbezogen werden. In einer Gemeinschaft mit neokapitalistischem Ansatz dürfe es keine Zersplitterung der Gewerkschaftsbewegung geben, so ein französischer Gewerkschafter der CFDT–FGM , siehe ebd., S. 137. 11 Protokoll der Sitzung des Europäischen Metallausschusses, 18./18.12.1968, nach Clairmont, S. 138. 12 Stöckl, S. 44. 13 Clairmont, S. 148 f.

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Der Europäische Metallausschuss und Metallgewerkschaftsbund 

ein großes Durchhaltevermögen und Unnachgiebigkeit unter Beweis stellen mussten.

4.1.2 Erste Überlegungen zu einer Beihilfen- und Strukturpolitik Als sich die europäischen Metallgewerkschaften 1963 zusammenschlossen, spielte die Schiffbauindustrie bereits eine wichtige Rolle. Die Gewerkschafter waren besorgt darüber, dass die europäischen Werften nicht im erhofften Umfang am weltweiten Aufschwung des Marktes beteiligt waren. Otto Brenner schlug auf der konstituierenden Sitzung des Metallausschusses 1963 vor, Unterausschüsse und Arbeitsgruppen zu bilden, um dieser Problematik nachzugehen.14 Doch anders als beim IMB gab es daraufhin keine Initiative, die die Bildung einer solchen Gruppe nach sich gezogen hätte. Es dauerte ein Jahr, bis das Thema wieder auf den Tisch kam und tatsächlich eine Gruppe von Gewerkschaftern zusammentrat (vgl. Tab. 5). Grund dafür war, dass die Europäische Kommission eine Untersuchung über den Sektor herausgegeben hatte, zu der sich der Metallausschuss verhalten musste, wenn er sich als Akteur in die Entscheidungsprozesse einbringen wollte. Die Arbeitsgruppe diskutierte auf dieser Sitzung Möglichkeiten einer »koordinierten Industriepolitik« und stellte fest, dass es dringend notwendig sei, die nationalen Subventionen zur Unterstützung des Sektors neu zu justieren und sich für Strukturkonzepte in den Küstenregionen einzusetzen.15 Das Anliegen war dringend, weil sich Japan als ernstzunehmender Schiffbaukonkurrent auf dem Weltmarkt etabliert hatte und die westeuropäischen Werften nur mühsam mit der Entwicklung Schritt halten konnten. In der Arbeitsgruppe diskutierten sie diese Situation und stellten fest, dass technologische Anpassungen der Produkte und Produktionsweisen in der europäischen Industrie dringend notwendig seien. Ihnen waren aber auch die Folgen der Konzentrationsprozesse für die Werftarbeiter bewusst und sie stellten bereits zu diesem Zeitpunkt Überlegungen an, wie mögliche Arbeitsplatzverluste mit europäischen Mitteln aufgefangen werden könnten, etwa aus dem Europäischen Sozialfonds.16 14 Protokoll der konstituierenden Sitzung des Europäischen Metallausschusses, 29.03.1963 nach ebd., S. 154. 15 Ebd. 16 Ebd.

Die Initiativen während der Zeit des Metallausschusses, 1964–1971

Tab. 5: Übersicht der Treffen zur Schiffbauindustrie des Metallausschusses (1964–1970)17

*

Titel*/Thema

Datum

Zusammensetzung

Thema

Arbeitsgruppe

März 1964**

Metallausschuss­ mitglieder

Stellungnahme des Metallausschusses zur Untersuchung der Kommission über den Schiffbau

Treffen mit Kommissar für Wettbewerb, Hans von der Groeben

11.01.1965

Gewerkschaftsdelegierte, Kommissar Hans von der Groeben

Diskussion der Strukturprobleme im Schiffbau

Sitzung der EWG-Kommission Innerer Markt

14.01.1965

Gewerkschaftsdelegierte, Vertreter Kommission Innerer Markt

Austausch von Sichtweisen zur Schiffbaufrage

Informationskonferenz über den Schiffbau

16.11.1967

Gewerkschaftsdelegierte, Kommissar Guido Colonna di Paliano

Lage im Schiffbau und Perspektiven einer Gemeinschaftspolitik

Gespräch zw. Kommissar Colonna und Arbeitgebern der Werftindustrie

Juli 1968**

Arbeitgebervertreter, Kommissar Guido Colonna di Paliano

Bericht über Werftindustrie

Gespräch zw. Kommissar Colonna und Metallausschuss

November 1968**

Sekretär Metallausschuss Günter Köpke, Kommissar Guido Colonna di Paliano

Mandatserteilung für einen Bericht über die sozialen Probleme und Maßnahmen in der Werftindustrie der EWG

Konsultationstagung

19.11.1969

Metallausschuss, zuständige Vertreter der Europäischen Kommission

Beratung zum Bericht des Metallausschusses »Beschäftigungs- und Sozialpolitik hinsichtlich der Werftindustrie der EWG «

Erstes Treffen zwischen Vertretern des Metallausschusses und den Arbeitgebern der Werftindustrie

23.02.1970

Gewerkschaftsdelegierte, Arbeitgebervertreter, eventuell Kommissionsmitglieder

Mittel- und langfristige wirtschaftliche Aussichten der Werftindustrie und Beschäftigungsprobleme

Keine offiziellen Titel, ** Keine genaue Datumsangabe

17 Die hier dargestellten Treffen wurden aus dem Material des Metallausschusses gezogen. Sie umfassen nicht die Initiativen, die die Kommission möglicherweise unternahm – gerade in Beziehung zu den Werftunternehmern.

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Der Europäische Metallausschuss und Metallgewerkschaftsbund 

Im Zuge dieser ersten Besprechung forderte der Metallausschuss mit einem Schreiben an den damaligen Kommissionspräsidenten Walter Hallstein und die zuständigen Kommissare für Sozial- und Wettbewerbspolitik, eine Schiffbaukonferenz einzuberufen, an der Gewerkschafter, Arbeitgeber und Kommissionsmitglieder teilnehmen sollten, um sich über Maßnahmen für die Schiffbauindustrie abzustimmen.18 Doch eine Reaktion der Kommission erfolgte erst nach einer nochmaligen Nachfrage durch den Sekretär des Metallausschusses und dem Insistieren des Vorsitzenden Otto Brenner.19 Statt zu einer Konferenz lud der Kommissar für Wettbewerb Hans von der Groeben20 zu einem Gespräch, um die aufgeworfenen Fragen zu diskutieren. Anders als erhofft, sprach er sich weder für eine kontinuierliche dreigliedrige Arbeitsgruppe aus, die den Fragen zur Schiffbauindustrie hätte nachgehen können, noch setzte er sich für die vorgeschlagenen Punkte zur Umstrukturierung des Sektors ein. Eine »gemeinsame Industriepolitik« sei im Programm der EWG nicht vorgesehen, war sein Argument. Einzige Möglichkeit sehe er in der Zusage von Beihilfen für den Schiffbau, über die man von »Fall zu Fall« verhandeln könne.21 Am 14. Januar 1965 nahm eine Gewerkschaftsdelegation an einer Sitzung der Generaldirektion Innerer Markt teil und diskutierte die Punkte zum Schiffbau erneut. Die Delegierten des Metallausschusses stellten klar, dass die Regelung von Subventionen nicht ausreichend sei, um den europäischen Markt wiederzubeleben. Sie würde die Überkapazitäten im Schiffbau aufrechterhalten und keine langfristigen Lösungen bieten.22 Da die Regulierung und Kontrolle von Subventionen aber die bis dahin einzige Möglichkeit waren, etwas auf europäischer Ebene auszurichten, entwickelte die Kommission im Laufe des Jahres eine Richtlinie, bei der es um die Verringerung wettbewerbsverzerrender Beihilfen ging. Das Europäische Parlament unterstützte diesen Vorschlag in einer Stellungnahme vom November 1965.23 Bis 18 Protokoll der Sitzung des Europäischen Metallausschusses, 22.09.1964 nach ebd., S. 155. 19 Ebd., S. 156. 20 Hans von der Groeben war das zweite deutsche Kommissionsmitglied zu Beginn der Kommission unter Präsident Walter Hallstein. In seinen Zuständigkeitsbereich fiel die Kontrolle von Kartellen und Monopolen, aber auch der Beihilfen und Steuerharmonisierung, siehe Bussière, S. 337. 21 Protokoll der Sitzung des Europäischen Metallausschusses, 03.02.1965 nach Clairmont, S. 156. 22 Ebd., S. 157. 23 Bericht von Sahrholz auf der 5. Arbeitstagung der IG Metall für die Seeschiffswerften am 3.–4. November 1966 in Kiel, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger

Die Initiativen während der Zeit des Metallausschusses, 1964–1971

sie allerdings vom Rat als Richtlinie angenommen wurde, gingen vier weitere Jahre ins Land.24 Der Generalsekretär des Metallausschusses Richard Sahrholz war enttäuscht, dass die Kommission zu diesem Zeitpunkt nur über Beihilfen verhandelte, aber nicht über strukturelle Maßnahmen nachdachte. Er bedauerte, dass es an Schlussfolgerungen und Umsetzungen fehle, obwohl von verschiedenen Kommissaren die gewerkschaftlichen Vorschläge der Arbeitsgruppensitzung vom März 1964 begrüßt worden waren.25 Selbst das Europäische Parlament habe »in seiner Stellungnahme eingesehen, dass der Rationalisierungsvorsprung der japanischen Werften eine Struktur- und Regionalpolitik sowie eine systematische Anpassungspolitik in der EWG notwendig mache«.26 Auch die nationalen Gewerkschafter waren über die Zurückhaltung der Kommission verärgert. Auf der Sitzung des Europäischen Metallausschusses im Februar 1966 meinte der deutsche Vertreter der IG Metall Günter Köpke, die Kommission leide an Schizophrenie, wenn sie einerseits den Vorschlägen zustimme und andererseits die Maßnahmen nicht aufgreife.27 Um mehr Gehör zu finden, gab es von einem italienischen Kollegen sogar den Vorschlag, eine gemeinsame Protestkundgebung zu veranstalten, was sich in der Runde allerdings nicht durchsetzen konnte.28 Dennoch waren die Interventionen bei der Generaldirektion Innerer Markt nicht ganz vergeblich. Im Laufe des Jahres 1965 nahm Kommissar Guido Colonna di Paliano das Thema Strukturprobleme im Schiffbau auf und entwickelte daraus ein Papier für eine aktivere Politik im Schiffbau.29 Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109a. 24 Bussière, S. 490. 25 Aus den Protokollen der Sitzungen des Europäischen Metallausschusses, 06.07.1965 und 03.11.1965 nach Clairmont, S. 158. 26 Bericht von Sahrholz auf der 5. Arbeitstagung der IG Metall für die Seeschiffswerften am 3.–4. November 1966 in Kiel, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109a. 27 Protokoll der Sitzung, 08.02.1966 nach Clairmont, S. 160. 28 Ebd., S. 161. 29 Colonna war italienischer Aristokrat, Diplomat und vor und während des Zweiten Weltkriegs als italienischer Vizekonsul in New York und Toronto tätig. Auf internationalem Parkett war er beteiligt bei den Marshallplan-Verhandlungen und 1948 bis 1956 stellvertretender Generalsekretär der OEEC , siehe Schmelzer, S. 24. Sein Papier zur Schiffbauindustrie lautete: Probleme einer Strukturpolitik für den Sektor Schiffbau. Mitteilung von Guido Colonna di Paliano, SEK(65) 2880, 13. Oktober 1965 nach Bussière, S. 491.

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Ähnlich wie die Gewerkschafter stellte er fest, dass die technologische Anpassung an die Nachfrage im europäischen Schiffbau verpasst worden sei, es eine große Zersplitterung in der Produktionsstruktur gebe und zahlreiche Vorteile für japanische Werften wie Rohstoffpreise, Forschungsbeihilfen und Krediterleichterungen existierten. Er mahnte, dass eine weitere passive Haltung innerhalb Europas zur Verdrängung der europäischen Schiffbauer führen werde und entwarf Ideen, wie man reagieren könne. Es sollte Arbeitsgemeinschaften geben, die die Weiterentwicklung von Schiffstypen in Anlehnung an die technologischen Entwicklungen Japans und Schwedens umsetzten.30 Entsprechend der Erkenntnisse aus der japanischen Industrie sollte es zur Rationalisierung des Arbeitseinsatzes und der Produktionsanlagen kommen. Er empfahl die Zusammenarbeit in fusionierten Produktionsanlagen, Modernisierungsinvestitionen, Forschung und den Aufbau größerer Konzerne mit schiffbaufremder Industrie. Für die Umsetzung des Programms riet er, Gelder aus dem Europäischen Sozialfonds zu nutzen.31 Colonna di Paliano schickte nur wenige Monate später das Papier an den Metallausschuss, wo es angeregt diskutiert wurde.32 Doch ein Programm zu haben, hieß noch lange nicht, dass es auch zu einer Umsetzung kommen würde. Als Generalsekretär Sahrholz Ende November 1966 auf eine Werftkonferenz der IG Metall nach Kiel fuhr, berichtete er: Der Ministerrat hat sich bis heute weder mit dem Beihilfenvorschlag noch mit den Rationalisierungs-Vorschlägen befasst. In der Krise der Euro­ päischen Gemeinschaft33 und in der vorsichtigen Politik, die sie seit Beilegung der Krise betreibt, hat die EWG -Kommission geglaubt, dass sie vor30 Bericht von Sahrholz auf der 5. Arbeitstagung der IG Metall für die Seeschiffswerften am 3.–4. November 1966 in Kiel, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109a. 31 Protokoll der Sitzung des Europäischen Metallausschusses, 24.06.1966 nach Clairmont, S. 161. 32 Bericht von Sahrholz auf der 5. Arbeitstagung der IG Metall für die Seeschiffswerften am 3.–4. November 1966 in Kiel, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109a. 33 Gemeint sind die Folgen des Fusionsvertrags zur Europäischen Gemeinschaft (EGKS , EURATOM und EWG) im Jahr 1965, bei denen sich die französische Regierung für kurze Zeit aus der europäischen Politik zurückzog, weil sie sich gegen eine Ausweitung europäischer Kompetenzen auf supranationaler Ebene aussprach, siehe genauer Clairmont, S. 158 f.

Die Initiativen während der Zeit des Metallausschusses, 1964–1971

läufig zu multi-lateralen Verhandlungen wegen ihrer Aussichtslosigkeit nicht vorstossen könne.34 Er berichtete weiter, dass es zwar bilaterale Verhandlungen gegeben habe, multilaterale Gespräche mit den fünf EWG -Ländern allerdings noch nicht stattgefunden hätten, da die Regierungen wenig Interesse hätten, eine Gemeinschaftspolitik zu unterstützen oder eine europäische Schiffbauforschung einzurichten. Sahrholz sah darin eine ernstzunehmende Gefahr: Wenn es der europäischen Werftindustrie nicht gelingt, ihren Anteil an der Produktion des Weltschiffbaumarktes zu erhalten  – und die Aussichten sind trübe, da bereits der japanische Schiffbau die 50 % Marke als Anteil am Weltschiffbau überschritten hat  – so werden schliesslich alle halben Massnahmen – und im nationalen Rahmen können nur halbe Massnahmen getroffen werden – nicht verhindern, dass die europäische Werftindustrie Verlierer bleiben wird.35 Auch die Delegierten im Europäischen Metallausschuss waren vom nur schleppenden Fortgang enttäuscht. Im Februar 1966 äußerte ein französischer Vertreter auf einer Metallausschusssitzung: Der Metallausschuss versucht nun schon seit zwei Jahren, die EWG -Kommission davon zu überzeugen, dass durchgreifende Massnahmen in der Schiffbauindustrie getroffen werden müssen. Wenn die Kommission weiterhin zögert, dann wird sie die Rolle der Feuerwehr spielen, die kommt, wenn das Haus bereits abgebrannt ist.36

34 Bericht von Sahrholz auf der 5. Arbeitstagung der IG Metall für die Seeschiffswerften am 3.–4. November 1966 in Kiel, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA071109a. 35 Ebd. 36 Protokoll der Sitzung des Europäischen Metallausschusses, 08.02.02.1966 nach Clairmont, S. 160.

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4.1.3 Die Hoffnung auf eine europäische Industriepolitik Neben Kommissar Colonna di Paliano gab es auch andere Kommissionsmitglieder, denen bewusst wurde, dass mehr als nur eine Zollunion und die Aufhebung von Handelshindernissen notwendig waren, um die Probleme in der Wirtschaftsgemeinschaft zu lösen.37 Der Generaldirektor für den Inneren Markt, Alain Prate, stellte fest, dass es Strukturanpassungsprobleme gebe, auf die die Mitgliedsstaaten zwar einzeln reagierten, die durch fehlende Koordination aber zu widersprüchlichen Ergebnissen führen könnten.38 Colonna di Paliano entwickelte daraus im Juli 1967 ein »Memorandum zur Industriepolitik der Gemeinschaft« und wurde schließlich zum Kommissar der neu eingerichteten Generaldirektion Industrie ernannt.39 Im Zuge dieser Neuerungen veranstaltete die Europäische Kommission am 16. November 1967 eine Konferenz zum Schiffbau. Günter Köpke, der IG Metall-Vertreter, der Sahrholz als Sekretär des Metallausschusses 1967 abgelöst hatte, versprach sich davon, dass mit Colonna di Paliano ein Verantwortlicher gefunden war, der die gemeinschaftliche Politik voranbringen würde.40 Doch immer noch blieben die Diskussionen auf die Subventionspolitik beschränkt. Ansätze für die Umgestaltung des Industriezweiges, wie sie der Metallausschuss gefordert und Colonna di Paliano in seinem Papier von 1965 formuliert hatte, kamen nicht zur Sprache. Colonna di Paliano betonte, dass die Möglichkeiten für eine Schiffbaupolitik in der Gemeinschaft begrenzt seien. Die Kommission habe noch keine wirksamen Mittel zur Durchsetzung einer bestimmten Politik gefunden und könne nur durch Analysen und Empfehlungen Einfluss ausüben.41 Da der Kommissar aber an der Weiterentwicklung der Schiffbaupolitik interessiert war, lud er im Juli 1968 die Werftindustriellen zu einem Gespräch. 37 Das ging aus einem Papier von Alain Prate, dem Generaldirektor der Direktion Innerer Markt, im September 1966 hervor, siehe AHCE , BDT 118/83 807, Politique industrielle et marché commun, Vermerk von Alain Prate, 12. September 1966 nach Bussière, S. 492. 38 Ebd. 39 Aus dem ersten Memorandum entstand bis 1970 ein zweites, das die Punkte gemeinsamer Industriepolitik im EWG -Raum weiterentwickelte, darunter die Möglichkeit, öffentliche Forschungsmittel für die Entwicklung europäischer Unternehmen einzusetzen, was von den Mitgliedern aber lange zur Disposition stand, siehe Bussière, S. 498 f. 40 Protokoll der Sitzung des Europäischen Metallausschusses, 30.01.1968 nach Clairmont, S. 162. 41 Ebd.

Die Initiativen während der Zeit des Metallausschusses, 1964–1971

Bei diesem wurde vereinbart, dass die Unternehmer Berichte zum Stand der Industrie vorlegen sollten. Eine ähnliche Bitte erging an den Metallausschuss, der ein Papier zu den sozialen Problemen in der Werftindustrie verfassen sollte.42 Anschließend sollten die Ergebnisse der beiden Parteien zusammengetragen und auf einem gemeinsamen Treffen diskutiert werden. Der angefragte Bericht des Metallausschusses sollte sich mit Fragen zur sozialen Situation in der Schiffbauindustrie beschäftigen, mit den Lohnverhältnissen, Arbeitsbedingungen und der Berufsausbildung.43 Köpke war froh, dass er als Gesprächspartner ernst genommen wurde: »Obwohl die Kommission nicht gezwungen ist, unseren Bericht vollständig zu übernehmen, ist doch der Eindruck gewonnen worden, dass sie grossen Wert auf unsere Mitarbeit legt.«44 Und er hoffte, dass ein Zusammentreffen mit den Arbeitgebern zustande kommen würde.45 Im Oktober 1969 beendete der Metallausschuss den Bericht und stellte ihn im November auf einer Konsultationstagung mit der Europäischen Kommission vor.46 Hierin forderte er unter anderem eine gezielte Lehrlings- und Arbeitskräftepolitik für den erhöhten Bedarf an gut ausgebildeten Arbeitskräften, Fortbildungen und Umschulungen sowie den sozialen Schutz der Arbeitnehmer bei betrieblichen Rationalisierungen und wirtschaftlichen Konzentrationen.47 Erwähnt wurde auch der Gesundheitsschutz, Arbeitssicherheit und Unfallverhütung, ein Thema, das bereits zu Beginn der 1960er Jahre bei der IG Metall wichtig wurde, was sich vermutlich durch den Einfluss der deutschen Delegierten hier niederschlug.

42 Protokoll der Sitzung des Europäischen Metallausschusses, 26.09.1968 nach ebd., S. 165. 43 Ebd. 44 Protokoll der Sitzung des Europäischen Metallausschusses, 18./19. Dezember 1968, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Exekutivausschuss, Protokolle der Sitzungen des Metallausschusses, 1963–1970, AdsD 5/EMBA030001. 45 So meinte Köpke auf der Metallausschusssitzung im Juni 1969: »Es ist unser gewerkschaftspolitisches Anliegen, eine Konfrontierung mit Vertretern der Werftindustrie herbeizuführen.« Und Köpke konnte berichten, dass man ein Treffen im November 1969 im Auge habe, Protokoll der Sitzung des Europäischen Metallausschusses, 4. Juni 1969, in: ebd. 46 Günter Köpke: Brief an die Mitglieder des Europäischen Metallausschusses, an den IMB , an den Europäischen Bund der Freien Gewerkschaften, Betreff: Gespräche zwischen dem Europäischen Metallausschuss und Vertretern der Werftindustrie auf Gemeinschaftsebene, 27.11.1969, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/ EMBA080204. 47 Ebd.

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4.1.4 Zusammentreffen mit dem Verbindungsausschuss der Werftunternehmer Zu dem geplanten Treffen zwischen Vertretern des Metallausschusses und den Arbeitgebern der Werftindustrie kam es schließlich am 23. Februar 1970.48 Es stellte lediglich eine erste Annäherung dar, bei der sich die Gesprächsteilnehmer ihre Ergebnisse und Meinungen gegenseitig vorstellten und die mittel- und langfristigen Aussichten in der Schiffbauindustrie besprachen. Die Arbeitgeber schlugen Rationalisierung und Produktivitätssteigerung vor.49 Köpke war zufrieden, dass es überhaupt zu einem gemeinsamen Treffen gekommen war: Da der EWG -Vertrag keine Rechtsgrundlage für die Zusammenarbeit von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern liefere, sei das ein erster Schritt in die richtige Richtung. Es sei in dieser Phase von besonderer Bedeutung, die Gespräche so zu lenken, dass spätere Absprachen möglich seien.50 Bei der Nachbesprechung des Treffens im Metallausschuss zeigten sich einige Mitglieder enttäuscht. Ein französischer Gewerkschafter bedauerte, dass die Absprachen so wenig konkret seien. Ein deutscher Delegierter fragte, ob auch Themen der Rentabilität und Umstrukturierung der Industrie diskutiert worden seien. Köpke musste verneinen und versuchte, die Delegierten zu beruhigen: Die wichtigsten Punkte für uns sind soziale Fragen und die Sicherung der Beschäftigung. Wir konnten nicht alle Fragen, die uns interessieren, auf die Tagesordnung setzen und mussten daher versuchen, diese in wenigen Punkten zusammenzufassen. Jetzt liegt es an uns, die Auswahl der Themen zu treffen und damit den Rahmen für zukünftige Gespräche konkret abzustecken.51 Die Enttäuschung der Gewerkschafter war angesichts der Problematik im europäischen Schiffbau und der bereits formulierten Ansätze für eine europäische Industriepolitik verständlich. Hatte sich Köpke während des Treffens 48 Das Protokoll der Sitzung habe ich im Quellenbestand nicht gefunden, weshalb ich auf die Zusammenfassung aus dem Bericht im Metallausschuss zurückgreifen musste. 49 Protokoll der Sitzung des Europäischen Metallausschusses, 27. Februar 1970, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Protokolle der Sitzungen des Metallausschusses, ­1963–1970, AdsD 5/EMBA030001. 50 Ebd. 51 Ebd.

Institutionalisierung mit Hindernissen, 1972–1976

zu stark zurückgenommen und sich auf seine angestammte Rolle als Sozialpartner zurückgezogen? Oder war angesichts der sich erst etablierenden Industriepolitik in der Europäischen Kommission einfach nicht mehr zu erwarten gewesen? Die Gewerkschafter reagierten mit einer relativen Hilflosigkeit. Ihnen fehlte es nicht nur an Mitteln, sich über einen größeren Personenkreis hinaus Gehör zu verschaffen, sondern sie hatten auch innerhalb ihres eigenen Kreises keine Strukturen, um sich ernsthafter mit den Vorschlägen auseinandersetzen zu können. Ad-hoc-Aktionen wie der Vorschlag des Italieners, durch Proteste auf die Problematik aufmerksam zu machen, wurden als nicht passend bewertet, was deutlich macht, dass sich der Metallausschuss nicht als Kampforgan der europäischen Metallarbeiter verstand, sondern als diplomatischen Akteur, der die Spielregeln der Kommission befolgte, in der Hoffnung, irgendwann ernst genommen zu werden. Die Phase zwischen 1963 und 1971 kann dementsprechend als eine Findungs- und Orientierungsphase interpretiert werden, in der sich der Metallausschuss seine Rolle bei den europäischen Institutionen erst erarbeiten, aber auch die Europäische Kommission um mehr Gestaltungsrecht kämpfen musste.

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Institutionalisierung mit Hindernissen, 1972–1976

4.2.1 Die Gründung des EMB Schließlich führten die Institutionalisierungsprozesse innerhalb der EWG auch beim Metallausschuss dazu, über stabilere Strukturen, wie eine Generalversammlung und ein Statut nachzudenken. Im Kontext dieser Entwicklungen entspannen sich Diskussionen über die grundsätzliche Zusammen­setzung eines europäischen Metallgewerkschaftsverbandes.52 Nach langwierigen Debatten entschied man sich im Dezember 1970 für einen »Europäischen Metallgewerkschaftsbund in der Gemeinschaft«, zunächst nur mit Mitgliedern, deren Länder der Gemeinschaft beigetreten waren.53 Damit ging man möglichen »kommunistischen Interessenten« aus dem Weg und ordnete sich endgültig in die Struktur der freien, internationalen Gewerkschaftsbewegung 52 Clairmont, S. 201 ff. 53 Das bezog sich auf Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland, Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg, siehe Protokoll der Sitzung des Europäischen Metall­ ausschusses, 15.–16.12.1970 nach Clairmont, S. 203.

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ein.54 Am 10. Februar 1971 beschloss der Metallausschuss das Statut, das der ersten Generalversammlung des EMB vorgelegt werden sollte. Darin wurde die Beziehung zu den anderen internationalen Gewerkschaftsstrukturen festgelegt, die Durchführung einer Generalversammlung aller drei Jahre, die Einführung eines Exekutivausschusses, eines EMB -Präsidenten und Sekretärs.55 Zum ersten Präsidenten wurde der Belgier Gust Wallaert gewählt. Die auf die Generalversammlung entsandten Delegierten repräsentierten in etwa die Stärke der nationalen Gewerkschaften.56 Im Exekutivausschuss, der dreimal jährlich tagte, waren weitaus weniger Delegierte anwesend: zwei bis drei Repräsentanten der nationalen Gewerkschaften sowie Vertreter des IMB, des Nordischen Metallarbeitersekretariats und des EGB mit beratender Funktion.57 Man traf sich im Gebäude des Wirtschafts- und Sozialausschusses in Brüssel und konnte für die Übersetzungen den Sprachendienst der EWG nutzen.58 Dreh- und Angelpunkt für die Umsetzung der auf den Versammlungen beschlossenen Aktivitäten war das EMB -Sekretariat mit Günter Köpke als Generalsekretär. Ihm zur Seite wurde eine Mitarbeiterin gestellt und mit der Erweiterung des EMB ab 1973 ein stellvertretender Sekretär, der Brite David Fowler. Ihm folgte schon nach wenigen Monaten der Belgier Hubert Thierron, der 1979 die Position Köpkes übernahm und bis 1995 Generalsekretär des EMB blieb.

54 In den Folgejahren traten weitere Mitglieder dem EMB bei, die nicht alle Mitglied der EWG waren: Schweden, Dänemark, Norwegen und Irland (im April 1973 beschlossen), Griechenland, Spanien (im Juni 1975 als assoziierte Mitglieder). 55 Arbeitsprogramm abgedruckt in: Europäischer Ausschuss der Metallgewerkschaften 1971: Tätigkeitsbericht 1968–1971. Vorlage zur 1. Generalversammlung des EMB am 29.–30. Juni 1971 in Brüssel nach Clairmont, S. 205 f. 56 Jede schickte mindestens vier Gewerkschafter, bei einer Mitgliederstärke von über 100.000 zwei weitere, bei 200.000 nochmals zwei mehr und so weiter. Da 1971 die IG Metall etwa 2,3 Millionen Mitglieder umfasste, stellte sie die Gewerkschaft mit den meisten Delegierten dar. Durch die Kleingliedrigkeit der britischen Gewerkschaftsstruktur wurde der Delegiertenschlüssel allerdings in den Folgejahren infrage gestellt und mehrmals umgeworfen. Schließlich einigte man sich auf »Grundmandate nach Ländern« statt nach Organisationen, die sich nach den Gewerkschaftsmitgliedern innerhalb des Landes errechnen sollten. Da man sich aber auch damit nicht zufrieden zeigte, gab es Zusatzmandate, die die Gewerkschaftsgrößen berücksichtigen sollten. Die Rechenspiele der jeweiligen Generalversammlungen stellt Clairmont ausführlich dar, siehe Clairmont, S. 231 ff. 57 Ebd., S. 338. 58 Ebd., S. 233, Fußnote 700.

Institutionalisierung mit Hindernissen, 1972–1976

Während der Gründungsphase des EMB erarbeiteten sich die Metallgewerkschaften ein Statut, das dieses Mal über die zweckrationale Rolle innerhalb der EWG hinausreichen sollte. Diskutiert wurde ein Programm, das sowohl über Vorstellungen eines zukünftigen europäischen Wirtschaftssystems als auch über gemeinsame Strategien Aussagen treffen sollte.59 Wie sich herausstellte, verstand jeder Delegierte etwas anderes unter einer koordinierten Aktionspolitik. Vor allem die Franzosen und Italiener sprachen sich für konkrete Maßnahmen aus, die den EMB mit entsprechenden Kampfmitteln und Initiativmöglichkeiten ausstatten sollten.60 Die Niederländer betonten das supranationale Element des Verbandes, dem es gelingen müsse, eine europäische Annäherung zu finden, um dem internationalen Kapital etwas entgegensetzen zu können. Doch wo es dem einen Delegierten nicht schnell genug mit gemeinsamen Aktionen gehen konnte, war dem anderen ein solches Vorhaben zu weit gegriffen. Eugen Loderer, der IG Metall-Vorsitzende, zeigte Unbehagen bezüglich eines »demokratischen Sozialismus«, der seiner Meinung nach nicht in ein Aktionsprogramm gehörte, und wollte die deutsche Geschichte und Kultur der gewerkschaftlichen Mitbestimmung nicht unter den Tisch fallen lassen.61 Von Sozialismus war im verabschiedeten Programm von 1974 schließlich auch nichts zu lesen. Hier hieß es nun, man wolle den »Geist der Solidarität der Arbeitnehmer über die nationalen Grenzen hinweg« stärken. In Bezug auf gemeinsame Aktionen blieb das Programm vage.62 Das Beispiel der Werftengruppe wird zeigen, dass bei der praktischen Umsetzung die Kontroversen wieder aufflammten.

59 Statut abgedruckt in: Europäischer Metallgewerkschaftsbund in der Gemeinschaft (EMB) 1974: Tätigkeitsbericht 1971–1974 des Sekretariats vorgelegt zur 2. General­ versammlung des EMB 30.–31. Oktober 1974, nach ebd., S. 311 f. 60 Protokoll EMB -Exekutivausschuss, 13.–14. März 1974, Anhang I, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Protokolle der Sitzungen des Metallausschusses und EMB , ­1971–1974, AdsD 5/EMBA030002. 61 Ebd. 62 Abgedruckt in: Europäischer Metallgewerkschaftsbund (EMB) 1974: 2. Generalsversammlung 30.–31. Oktober 1974, Zusammenfassung und Beschlüsse, nach Clairmont, S. 317 f.

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4.2.2 Das Bild von Japan wandelt sich Die Jahre zwischen 1970 und 1972 waren von den Umstrukturierungen innerhalb der Organisation und den personellen Veränderungen bei den Vertretern der Werftindustriellen geprägt,63 weshalb in dieser Phase Treffen zum Thema Schiffbau ausblieben. Erst im März 1972 traf sich der Industriekommissar der Europäischen Kommission Altiero Spinelli erneut mit Vertretern der Großwerften.64 Anlass war wieder einmal die japanische Konkurrenz.65 Spinelli berichtete, dass trotz tiefgreifender Reorganisation und Umstrukturierung in der europäischen Werftenlandschaft keine Wettbewerbsfähigkeit hergestellt werden konnte. Zur Erklärung hieß es: Allem Anschein nach geht die japanische Politik dahin, nicht nur am Seeverkehrsmarkt ein Überangebot an Frachtraum, sondern auch am Neubaumarkt eine Überkapazität zu schaffen, um jedes Wiederanziehen der Frachtraten zu verhindern und damit die Seeverkehrskosten möglichst niedrig zu halten. […] Diese Politik […] hat seit vielen Jahren die normale Entwicklung des Weltmarktes für Neubauten gestört und zu den finanziellen Schwierigkeiten der meisten westeuropäischen Schiffswerften beigetragen.66 63 Köpke berichtete auf der Sitzung des Metallausschusses im Oktober: »Der im Frühjahr dieses Jahres erstmalig stattgefundene direkte Kontakt zwischen den Werftunternehmern der 6 Länder mit den Gewerkschaften wurde vorübergehend unterbrochen, weil einige führende Leute der deutschen Großwerften abgesetzt und ersetzt wurden von neuen Managern, die aus der Stahlindustrie kommen. Dadurch hat sich die Struktur des deutschen Werftverbandes wesentlich geändert. Und wir wollten abwarten, bis sie sich konsolidiert hat. Die Gespräche sollten Anfang nächsten Jahres in der eingeschlagenen Richtung fortgesetzt werden.«, Protokoll der Sitzung des Europäischen Metallausschusses, 6.–7. Oktober 1970, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Protokolle der Sitzungen des Metallausschusses, 1963–1970, AdsD 5/EMBA030001. 64 Dem Rat der EWG -Großwerften gehörten an: Blohm+Voss AG , Howaldtswerke-Deutsche Werft AG , AG Weser, Bremer Vulkan AG , Rheinstahl Nordseewerke GmbH, Chantiers de l’Atlantique, St. Nazaire, Chantiers Navals de la Ciotat, Chantiers de FranceDunkerque, Chambre Syndicale des Constructeurs de Navires, Paris, Ficantieri, Rom, Rijn-Schelde-Verolme, Rotterdam, siehe Der Spiegel. 65 Bericht der gemischten Ad-hoc-Gruppe, die Herr Spinelli am 20.03.1972 zur Untersuchung der Probleme im Schiffbau eingesetzt hat, Original in Französisch, Protokoll vermutlich von der Europäischen Kommission, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, EMB -Arbeitsgruppen und Tagungen zur Werftindustrie, 1972–1976, AdsD 5/IGMA100171. 66 Ebd.

Institutionalisierung mit Hindernissen, 1972–1976

Der Bericht prognostizierte, dass sich diese Tendenzen durch weitere umfangreiche Investitionsprogramme in Japan, aber auch anderen Ländern, etwa in Südeuropa, den sozialistischen Staaten und in Ländern des globalen Südens intensivieren würden. Mit dieser Form der »Aufrüstung« gebe es eine regelrechte »Beihilfeneskalation«. Die bisherigen Strategien westeuropäischer Länder dürften gefährdet sein, wenn Japan jetzt vorhabe, eine »Quasimonopolstellung auf dem Weltschiffsmarkt« zu errichten, hieß es weiter. Deshalb brauche es eine koordinierte europäische Politik, die die Schiffbautätigkeit in der Gemeinschaft sichere. Und wie sollte das Rezept aussehen? Die Kommission vertrat den Gedanken, dass der Wettbewerb gestärkt werden müsse, um veraltete Industriestrukturen zu überwinden. Staatliche Beihilfen sollten dabei nicht stören. Einzige Lösung schien, die staatlichen Subventionen auf Gemeinschafts- und OECD -Ebene zurückzufahren. Ziel war es, mit den Japanern ein Abkommen zu treffen, das die Produktionskapazitäten regelte und auf die weltweite Nachfrage abgestimmt werde. Die Kommission wollte so schnell wie möglich einen Entwurf für die Absprache mit Japan vorlegen.67 Dieser Gedanke war, wie sich in den Diskussionen beim IMB noch zeigen wird, nicht vollkommen neu. Die OECD hatte eine Arbeitsgruppe, die sich mit dem Schiffbau beschäftigte und sich vor allem mit der Regelung von Subventionen auseinandersetzte. Sie war bislang allerdings noch zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. Der Entschluss, hier mit europäischer Kraft voranzugehen, war ein erneuter Versuch, die Verhandlungen voranzutreiben. Erst nach diesem Treffen mit dem Werftenverband diskutierte der Industriekommissar das Papier mit den Gewerkschaftern. Im September 1972 veranstaltete er eine Konsultationstagung, zu der der EMB eingeladen wurde. 67 Im Bericht wird davon gesprochen, dass bereits der Council of EEC Bilders of Large Ships (also die europäischen Großwerftenunternehmer) Kontakt zu japanischen Werften aufgenommen hatte, um zu einem Abkommen der Selbstbeschränkung zu kommen. Solche Beschränkungen des internationalen Handels würden aber rechtlich nur auf den Regierungsebenen bzw. zwischen Gemeinschaft und der japanischen Regierung verhandelbar sein. Deshalb wird verständlich, warum die Unternehmer bereit waren, mit der Kommission zusammenzuarbeiten. Ansonsten ähnelten die Vorschläge denen von Colonna ein paar Jahre zuvor. Es ging weiterhin um Rationalisierung, technologische Neuerungen und eine gemeinsame Forschungspolitik. Auch Spinelli war dafür, eine gemeinschaftliche Industriepolitik voranzutreiben und schlug dafür die Gründung einer Arbeitsgruppe vor. Dass das Thema für die Kommission wie auch die Werftunternehmer dringender wurde, zeigen die Treffen, die in kurzer Abfolge stattfanden: Es gab weitere Treffen am 28. März und 19. April 1972, von denen allerdings keine Protokolle im EMB -Archiv überliefert sind.

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Die Gewerkschafter waren verärgert, dass man sich zuvor ohne sie getroffen hatte68 und zeigten sich mit den Absprachen zwischen den Werftunternehmern und der Kommission überhaupt nicht einverstanden. Es sei ein unannehmbares Konzept, auf dessen Grundlage man nicht diskutieren wolle.69 Ihrer Meinung nach fehle es im Papier an sozialen Themen. Besonders kritisch sei das Auftreten gegenüber Japan: Die Absprachen würden Krieg gegen das Land und Protektionismus der Europäischen Gemeinschaft bedeuten. So etwas könne die Gewerkschaftsbewegung nicht unterstützen. Der EMB beschloss, als Reaktion auf das Papier ein Programm für die Beschäftigungsund Sozialpolitik in der europäischen Werftindustrie zu entwickeln und plante im November 1972 ein Treffen, auf dem weitere Argumente gesammelt werden sollten.70

68 Auch bei der IG Metall war Verärgerung zu spüren. Eugen Loderer sagte dazu auf der Schiffbaukonferenz der IG Metall: »Wir empfinden es empörend, wenn sich Beamte der EWG -Kommission mit Schiffbauunternehmern der Länder des Gemeinsamen Marktes an einen Tisch setzen und ein Dokument entwickeln, das die Schiffbaupolitik der Kommission darstellen soll.«, in: Eugen Loderer, 6. Schiffbau-Konferenz der IG Metall am 21.10.1972, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1972, AdsD 5/IGMA 071110. Der Bezirksleiter Heinz Scholz war ähnlicher Ansicht: »Obwohl vor zwei Jahren in Übereinstimmung zwischen Werftverbänden, Metallgewerkschaften und Kommission ein Rütlischwur dahingehend geleistet wurde, daß künftig alle Fragen, die für die Schiffbauindustrie von Bedeutung sind, in der EWG gemeinsam beraten werden, sollte dieser Alleingang dann offiziell sanktioniert werden. […] Dies macht nur deutlich, wie schwer es ist, auf dem Weg zu einem geeinten Europa weiterzukommen, wenn es um die einzelnen Wirtschaftszweige und nationalen Interessen geht.«, Heinz Scholz: Das Gutachten über die Lage der deutschen Werftindustrie, betrachtet aus der Sicht der IG Metall, Bl. 13, in: ebd. 69 Wie aus einem handschriftlichen Protokoll eines IGM-Gewerkschafters deutlich wird, wurde das Papier heftig diskutiert. Einige Kollegen waren gegen die OECD -Beschlüsse, aber auch gegen eine Schiffbaupolitik, in der die Beihilfen Japan den Krieg erklären würden. Handschriftliche Aufzeichnungen der Konsultationstagung EMB -EWG Schiffbau, 26.09.1972, vermutlich von Karl Pitz, in: IGM, Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, EMB -Arbeitsgruppen und Tagungen zur Werftindustrie, 1972–1976, AdsD 5/IGMA100171. 70 Wird bekannt durch einen Brief, den Heinz Scholz, IG Metall Bezirksleiter Hamburg, mit seiner Rede von der Konsultationstagung des EMB am 24.11.1972 an den Vorstand der IG Metall schickt. Im EMB -Archiv ist das Treffen nicht dokumentiert, siehe Heinz Scholz: Brief an Karl-Heinz Friedrichs, IG Metall Vorstand, 19.12.1972, in: ebd.

Institutionalisierung mit Hindernissen, 1972–1976

4.2.3 Die Etablierung regelmäßig tagender Arbeitsgruppen EMB -Generalsekretär Köpke drängte nach diesem Alleingang der Kommission mehr als zuvor, ein Treffen zwischen EMB, Kommission und Werftunter-

nehmern zu initiieren. Er traf sich mit dem Generalsekretär des Verbindungsausschusses der Werftunternehmer und konnte ihn von der Notwendigkeit dieser dreigliedrigen Treffen überzeugen.71 Es war mittlerweile Februar 1974, als es endlich zu einem Treffen kam (siehe Tab. 6). Köpke war sehr gut vorbereitet. In einem dreiseitigen Brief an die Gewerkschaftsmitglieder stellte er die Tagesordnung und die von den Gewerkschaften aufgestellten Ziele vor. Bereits einen Tag zuvor sollten sich die Delegierten der Gewerkschaften zu einer Vorbesprechung treffen, um die Punkte zu diskutieren und gemeinsame Forderungen abzustimmen. Köpke sah nun seine Chance gekommen, die schon lange geplante Industriepolitik in Angriff zu nehmen und gegenüber den Werftunternehmern die Umsetzung eines Investitions- und Umstrukturierungsprogramms zu fordern. Sehr allgemein gehalten begann das Schreiben mit einem Appell für »größere Effizienz auf dem Weltmarkt« und »Investition in wirtschaftliche Modernisierung«.72 Schon konkreter wurden bestimmte Bedingungen zur Umsetzung der Ziele, darunter die Kontrolle und Koordination finanzieller Hilfen. Köpke schlug auch Schritte für eine praktische Umsetzung vor: Er wollte mit einer Bestandsaufnahme zur Situation der europäischen Werften, den Produktions-, Reparatur- und Zulieferbetrieben beginnen. Darüber hinaus verlangte er den Ausbau von Forschung, eine »genaue Auswahl und Prüfung der Investitionsprojekte im Rahmen regionaler Entwicklungsprogramme« und eine »permanente Konsultation« aller Verantwortlichen, die Gewerkschaften eingeschlossen.73 Im zweiten Abschnitt ging das Papier auf die spezifischen Forderungen für die Arbeitnehmer ein, an deren oberster Stelle die Sicherung der Beschäftigung stand: Es müssten Voraussagen zur Entwicklung der Beschäftigung 71 Protokoll der 7. Sitzung des EMB -Exekutivausschusses, 19.04.1973, in: Protokolle MA und EMB 1971–1974, AdsD: EMB -Archiv, 5/EMBA030002, siehe Clairmont, S. 384. 72 Gewerkschaftliche Vorschläge zur Tagesordnung der dreigliedrigen Konferenz über die europäische Werftindustriepolitik (Kommission, Metallgewerkschaften, Schiffbauunternehmer) am 22. Februar 1974 in Brüssel, EMB -Sekretariat, 13.02.1974, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204. 73 Ebd.

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im Werftensektor getroffen und eine Sozialpolitik entwickelt werden, die die Arbeitsplätze sichere. Dafür bräuchte man Umschulungsprogramme und die Sicherstellung von Einkommen bei Arbeitsplatzverlust.74 Selbstbewusst verlangte Köpke im Namen des EMB -Sekretariats, seine Expertise einbringen zu können und schlug für die Bearbeitung der Punkte vor, die dreigliedrigen Treffen zweimal jährlich einzuberufen.75 Und tatsächlich zeigte das konsequente Vorgehen Köpkes seine Wirkung. Im März und April 1974 legten die drei Parteien fest, ein Arbeitsprogramm für die kommenden drei Jahre zu erarbeiten und verständigten sich auf konkrete Punkte.76 Wie vom EMB vorgeschlagen, wollte man zunächst die Situation auf den Werften untersuchen und dafür einen Fragebogen entwickeln. Er sollte Auskunft über die Produktionen, Investitionen, den Personalbestand und die Zulieferbetriebe der jeweiligen Werft geben.77 Schließlich wurde festgelegt, dass man sich mit allen drei Parteien über die Ziele der Investitions- und Umstrukturierungspolitik abstimmen wolle, »insbesondere im Hinblick auf deren Auswirkungen im Bereich der Modernisierung auf wirtschaftlicher Ebene, der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und der Entwicklung der Produktionskapazitäten«.78 Am 24. Juni 1975 fand eine Tagung zur Beschäftigungslage und den Arbeitsbedingungen in der europäischen Werftindustrie in Brüssel statt. Anwesend waren neben den europäischen Gewerkschaftern Karl Casserini vom IMB und die Generaldirektoren für Soziale Angelegenheiten und Gewerbliche Wirtschaft und Technologie aus der Europäischen Kommission. Im Mittelpunkt standen die einzelnen Länderberichte und der von Köpke vorlegte Bericht zu den Arbeitsbedingungen in der Werftindustrie.79

74 Ebd. 75 Ebd. 76 Protokoll der 10. Sitzung des EMB -Exekutivausschusses, 13.–14.03.1974, in: EMB , Protokolle der Sitzungen des EMB , 1971–1974, AdsD 5/EMBA 030002. 77 Anlage: Entwurf eines Fragebogens, in: C. Fritz, Direktor Europäische Kommission: Brief an Günter Köpke von, 19.04.1974, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204. 78 Ebd. 79 Günter Köpke: Brief »Ergebnisse der Informationstagung über die Beschäftigungslage und die Arbeitsbedingungen in der europäischen Werftindustrie«, Brüssel, 24. Juni 1975, 30.06.1975, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204.

Institutionalisierung mit Hindernissen, 1972–1976

Tab. 6: Übersicht der Treffen zur Schiffbauindustrie im EMB (1972–1975)80 Titel*/Thema

Datum

Zusammensetzung

Thema / Tagesordnung

Treffen zw. Vertretern des Verbindungsausschusses der Schiffswerften

20.03.1972, weitere Treffen am 28.03., 19.04.1972

Arbeitgebervertreter, Kommissar für Industrie und Forschung Altiero Spinelli, Vertreter der Kommission – GD III, IV, XI***

Gemeinschaftliche Schiffbaupolitik und koordinierte Politik gegenüber Japan

Konsultationstagung EMB–EWG Schiffbau

26.09.1972

Gewerkschaftsdelegierte des EMB

Diskussion des Papiers zur gemeinschaftlichen Schiffbaupolitik der Arbeitgebervertreter

Gewerkschaftstagung zur europäischen Schiffbaupolitik

November 1972**

Gewerkschaftsdelegierte des EMB

Zur Vorbereitung eines Programms für die Beschäftigungs- und Sozialpolitik in der europäischen Werftindustrie

Informelles Treffen zw. Sekretär des EMB und Generalsekretär des Verbindungsausschusses der Werftunternehmer

Anfang 1973**

Sekretär des EMB, Günter Köpke, Vertreter der Arbeitgeber

Vorbereitung dreigliedriger Treffen

Dreigliedrige Tagung zur europäischen Werftindustriepolitik

22.02.1974

Gewerkschaftsdelegierte des EMB, Vertreter der Arbeitgeber, Kommission

Arbeitsprogramm zur Schiffbauindustrie für die folgenden drei Jahre

Dreigliedriges Arbeitstreffen

18.03.1974, weiteres Arbeitstreffen im April 1974**

Gewerkschaftsdelegierte des EMB, Vertreter der Arbeitgeber, Vertreter der Kommission

Detaillierte Besprechung zum Arbeitsprogramm Schiffbauindustrie für die folgenden drei Jahre

Tagung zur Beschäfti­ gungslage und den Arbeits­ bedingungen in der europäischen Werftindustrie

24.06.1975

Gewerkschaftsdelegierte des EMB, IMB, Vertreter der Kommission – GD III, V

Beschäftigungslage und Arbeitsbedingungen in der europäischen Werftindustrie

Teilweise keine offiziellen Titel, ** Keine genaue Datumsangabe, *** GD III: Generaldirektion Gewerbliche Wirtschaft und Technologie (ab 1976 Industriepolitik, 1979: Binnenmarkt und gewerbliche Wirtschaft), GD IV: Generaldirektion Wettbewerb, GD V: General­ direktion Soziale Angelegenheiten (ab 1977 Beschäftigung und Soziale Angelegenheiten), GD VII: Generaldirektion Verkehr *

80 Die Darstellung der Treffen im Kontext des EMB sind nicht umfassend in Bezug auf europäische Initiativen, die möglicherweise von der Kommission oder den Werftunternehmern ausgingen. Die Zusammenfassung beruht ausschließlich auf dem Material des EMB.

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Der Europäische Metallausschuss und Metallgewerkschaftsbund 

In der anschließenden Diskussion unterstrich der Kommissionsvertreter, dass die Generaldirektion Soziale Angelegenheiten grundsätzlich bereit sei, die von Köpke vorgeschlagene Arbeitsgruppe finanziell und technisch zu unterstützen, unter der Bedingung allerdings, dass die Zahl der Delegierten auf eine Person pro Land begrenzt und eine Einigung über die Arbeitssprachen gefunden werde. Von den Delegierten wurde gefordert, den Fragebogen und die Diskussionspunkte inhaltlich zu erweitern: Es sollte auch um den Vergleich von Arbeitszeiten, die Zukunft der Werftindustrie in Europa, koordinierte Maßnahmen zum Gesundheits- und Sicherheitsschutz, Kapazitätsentwicklung und Berufsausbildung gehen.81 Der IMB -Gewerkschafter machte deutlich, man müsse sich auch mit der Verlagerung der Werften in die »Billiglohnländer«82 beschäftigen. Die Verlagerung finde vor allem nach Asien statt, besonders nach Korea, wo fünf bis sechs Schiffe von 500.000 Tonnen pro Jahr gebaut würden. Taiwan komme ins Geschäft, Hongkong für die Schiffsreparatur. Es gebe einen gewaltigen Kapazitätsanstieg durch den Bau im Mittleren Osten und eine Multinationalisierung bestimmter Unternehmen. Er kritisierte, dass die Kommission die Probleme zu sporadisch behandle. Man müsse Forschungsarbeiten für die Arbeitskräftestruktur und für neue ölsparende Betriebswerke und Schiffe fördern. Dafür brauche es auch eine Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern. Es müsse soziale Unterstützung geben, nicht nur Subventionssysteme. Vor allem müsse man den Gewerkschaften Mitspracherecht sichern.83

4.2.4 Die Rolle des IMB und Karl Casserinis Wie sich zeigte, waren die europäischen Diskutanten auf die Rolle Japans als Hauptkonkurrenten fokussiert. Es bedurfte der Hinweise des IMB -Wirt81 Kurzprotokoll der EMB -Informationstagung über die Beschäftigungssituation und die Arbeitsbedingungen in der europäischen Werftindustrie am 24. Juni 1975 in Brüssel, 30.06.1975, in: ebd. 82 Im Protokoll des EMB ist von »Billiglohnländern« die Rede, in den handschriftlichen Aufzeichnungen von Karl Pitz von »Entwicklungsländern«, siehe Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, Betrifft: Informationstagung über die Beschäftigungssituation und die Arbeitsbedingungen in der europäischen Werftindustrie am 24.6.75 in Brüssel, 26.06.1975, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, EMB -Arbeitsgruppen und Tagungen zur Werftindustrie, 1972–1976, AdsD 5/IGMA100171. 83 Ebd.

Institutionalisierung mit Hindernissen, 1972–1976

schaftsexperten Karl Casserini, um sich auch der neueren Entwicklung auf dem Weltmarkt bewusst zu werden. Da der EMB über keine eigene wissenschaftliche Abteilung verfügte, griff man auf die Analysen des IMB zurück – gerade in der Anfangszeit, da Berichte oder Reaktionen vom EMB von der Kommission verlangt wurden und noch keine regelmäßige Arbeitsgruppe existierte. Die Wissensweitergabe lief allerdings nicht immer reibungslos ab, wie ein Brief Casserinis kurz vor einer Tagung des EMB 1975 zeigt. In seinem Schreiben wandte sich Casserini an den Vorsitzenden des EMB Eugen Loderer und beklagte sich über die geringe Sorgfalt des EMB -Generalsekretärs bei der Verwendung seiner Analysen: Lieber Eugen, Nach meiner Rückkehr vom 1. Schiffbauseminar in Singapur und zwei weiteren Seminaren in Malaysia habe ich ein Schreiben von Günter Köpke vorgefunden mit dem Bericht, den er über die Arbeitsbedingungen in der Werftindustrie der Europäischen Gemeinschaft im Dezember 1974 der Generaldirektion Soziale Angelegenheiten vorgelegt hat. In diesem Brief weist er auf die Informationstagung des EMB hin, die am 24. Juni zu diesem Bericht Stellung nehmen soll. Gleichzeitig wurde ich von meinen Kollegen in unserem Sekretariat, die das Dokument von Günter Köpke während meiner Abwesenheit schon gesehen hatten, darauf aufmerksam gemacht, dass dieses grösstenteils dem Bericht des IMB über die »Sozialen Probleme der Strukturveränderungen im Schiffbau« entnommen ist, der der 7. IMB -Schiffbaukonferenz im Frühjahr 1973 in Tokio vorgelegt worden war. […] Was mich anbelangt so möchte ich zunächst eindeutig feststellen, dass ich das Vorgehen des Kollegen Günter Köpke für unverständlich, rücksichtslos und voreilig halte. Wir sind nun mit einem offiziellen Dokument konfrontiert, das von der Europäischen Kommission verbreitet wird mit zum Teil veraltetem Unterlagenmaterial des IMB, ohne dass wir davon wussten. Seitenweise Auszüge aus offiziellen Berichten des IMB können doch nicht einfach ohne Quellenangabe in ein Dokument übernommen werden, das dann in persönlicher Eigenschaft einer so wichtigen internationalen Organisation wie der Europäischen Gemeinschaft vorgelegt wird.84

84 Karl Casserini, IMB: Brief an Eugen Loderer, IG Metall, 20. Juni 1975, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, EMB -Arbeitsgruppen und Tagungen zur Werftindustrie, 1972–1976, AdsD 5/IGMA100171.

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Wie aus dem Brief weiter hervorgeht, hatte Köpke Casserini zwar auf einer anderen Veranstaltung darüber informiert, dass er einen Bericht schreiben und sich dabei auf Unterlagen des IMB beziehen werde, aber Casserini war davon ausgegangen, dass dieser zunächst innerhalb des Gewerkschaftskreises besprochen werde und nicht an die Kommission gehen würde: Nicht nur wird also der IMB in den Hintergrund gestellt, sondern sein Beitrag […] kann nicht in wirksamer Weise die gewerkschaftlichen Besorgnisse und Forderungen zu den Arbeitsbedingungen in der heutigen Situation darstellen, wie dies durch die volle Anerkennung und Mitarbeit des IMB möglich gewesen wäre.85 Die Daten seien veraltet, denn der Bericht des IMB liege zwei, zum Teil sogar acht Jahre zurück. Die soziale Situation im Schiffbau habe sich stark verändert und es sei dringend notwendig, neue sozialpolitische Prioritäten zu setzen, an denen der IMB gerade arbeite. Casserini meinte, dass Köpke ihn auch schon beim ersten Sozialbericht als Hauptverantwortlichen unterschlagen hätte, wobei allen bekannt gewesen sei, dass der IMB und die IMB -Schiffbauabteilung hinter diesen Berichten stecke. Überhaupt seien die Sozialberichte zu einzelnen Wirtschaftszweigen an die Europäische Kommission die Idee des IMB gewesen. Je länger der Brief wurde, desto aufgebrachter wurde Casserini: Ich habe mich immer für die vom IMB allgemein vertretene Ansicht eingesetzt, dass Doppelspurigkeit in der Arbeit von EMB und IMB vermieden werden soll, besonders was die mir zustehenden Aufgaben auf dem Gebiet von Industriesektoren und die Tätigkeit der Wirtschaftsabteilung anbelangt. Wir haben auch danach gehandelt indem wir dem EMB die Dienste der Schiffbau- und der Wirtschaftsabteilung zur Verfügung stellten, in der Erwartung, dass der IMB als Weltorganisation der Metallarbeitnehmer ihre volle Anerkennung findet. Es ging dabei nie um die Herausstellung einer Person, da sämtliche IMB -Dokumente als Gemeinschaftsarbeit des Sekretariates und seiner Wirtschaftsabteilung veröffentlicht werden. Gewerkschaftliche Studien des IMB sollten deshalb auch unter solcher Quellenangabe benutzt werden.86 85 Ebd. 86 Ebd.

Institutionalisierung mit Hindernissen, 1972–1976

Casserini schloss seinen Brief damit, dass er auf die Berücksichtigung dieser Punkte hoffe, wenn man in Zukunft zusammenarbeite. Er hoffe auf eine Diskussion beim EMB. In Kopie ging der Brief auch an Günter Köpke, Albert Schunk und Otmar Günther, die beiden letztgenannten waren im Vorstand der IG Metall tätig. Vielleicht fühlte Casserini sich in seiner Arbeit nicht wertgeschätzt – deshalb womöglich der außerordentlich lange und persönliche Brief  –, aber seine Entrüstung hatte auch professionelle Motive, denn es ging darum, die inhaltlichen Positionen der Gewerkschaften mit mühsam erarbeitetem und aktuellem Material zu untermauern. Darüber hinaus steckte hinter diesem Brief noch ein weiterer Aspekt: die problematische Beziehung zwischen IMB und EMB. Es war für die Mitarbeiter des IMB nicht einfach, dass sich die Gewerkschafter im EMB als eigene und autonom agierende Institution etablieren wollten und nicht als Regionalorganisation der Internationale fungierten. Schon die Gründung des EMB war für den IMB nicht ganz unproblematisch gewesen: »So meinten manche, der EMB könnte zu einem Keim regionaler Aufsplitterung – und damit zur Schwächung – des in seinem ganzen Bestreben und in seiner ganzen Tätigkeit universal ausgerichteten IMB werden.«87 Das Problem wurde daraufhin im Exekutivausschuss des IMB 1972 diskutiert. Es wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die eine grundsätzliche Regelung mit Regionalgruppen ausarbeiten sollte. Hier wurde festgehalten, dass der EMB autonom sei und eine regionale Gruppierung innerhalb der Metallgewerkschaften mit eigenem Statut und Beschlussfassungsorganen darstelle. Der IMB und der EMB sollten sich aber gegenseitig zur Kenntnis nehmen und informieren sowie an den jeweiligen Sitzungen mit beratender Stimme teilnehmen. Der Vorfall mit Köpke schien die Sorge zu bestätigen, die der IMB bezüglich eigenmächtigen Handelns im EMB hatte.88

87 Casserini, S. 55. 88 Auf die jahrelang anhaltende Spannung zwischen IMB und EMB , die sich aus mehreren Ursachen speiste, ist Clairmont ausführlicher eingegangen, siehe Clairmont, S. 331–339.

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Der Europäische Metallausschuss und Metallgewerkschaftsbund 

4.2.5 Sitzungen der nationalen Berichterstatter Im September 1975 fand das erste offizielle Arbeitsgruppentreffen des EMB zur Schiffbauindustrie statt (siehe Tab. 7). Die Arbeitsgruppe verstand sich als eine Untergruppe der geplanten dreigliedrigen Treffen und nannte sich »Sitzung der nationalen Berichterstatter des EMB für die europäische Werftindustrie«. Neben 17 nationalen Gewerkschaftsdelegierten waren Günter Köpke und Hubert Thierron vom EMB sowie drei Mitarbeiter aus der Generaldirektion Soziale Angelegenheiten und einer aus der Generaldirektion Gewerbliche Wirtschaft und Technologie der Europäischen Kommission anwesend.89 Der erste Punkt der Tagesordnung war die Besprechung eines von allen Mitgliedern auszufüllenden Fragebogens zur Erfassung von Löhnen, Arbeitszeiten und Sozialleistungen in den jeweiligen Ländern.90 Er sollte den Zweck erfüllen, sich ein Bild von der sozialen Situation der Werftarbeiter in den Mitgliedsländern zu machen und auf mögliche Unterschiede hinzuweisen, um gegebenenfalls Forderungen stellen zu können. Die Arbeitsgruppe war sich ihrer Funktion als Sozialpartner bewusst. Es ging weniger um Forderungen für eine neue Industriepolitik, sondern vielmehr um soziale Maßnahmen für die Beschäftigten des Sektors. Ziel einer koordinierten Gewerkschaftsarbeit sei die Beschäftigungssicherung und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, hieß es. Die nationalen Grenzen der gewerkschaftlichen Maßnahmen müssten durchbrochen werden – wie, wurde nicht erläutert – und es wurde debattiert, welchen Einfluss die öffentliche Hand auf Umstrukturierungen und Investitionen haben könnte. Man orientierte sich an den vom IMB geforderten Maßnahmen zur Sicherung von Gesundheit und Arbeitsschutz. Es sollte einen gemeinschaftlichen Forschungsauftrag über typische Berufskrankheiten geben und Rahmen­ vorschriften zur Verhütung von Arbeitsunfällen, zum Verbot von Arbei89 Protokoll der Sitzung der nationalen Berichterstatter des EMB für die europäische Werftindustrie, Brüssel, 19. September 1975, 10.10.1975, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204. Die Protokolle sind als Ergebnisprotokolle verfasst, die Diskussion wird (leider) nicht wiedergegeben. Deshalb ist auch die Perspektive und Haltung jedes einzelnen nicht erkennbar. Karl Pitz von der IG Metall fertigte für Eugen Loderer zusätzlich eigene Protokolle an, die im Wesentlichen aber mit denen des EMB übereinstimmen. Falls Pitz eine eigene Position zu den Sitzungen vertrat, finden sie im Folgenden Erwähnung. 90 Protokoll der Sitzung der nationalen Berichterstatter des EMB für die europäische Werftindustrie, Brüssel, 19. September 1975.

Institutionalisierung mit Hindernissen, 1972–1976

ten mit gesundheitsschädlichen- und lebensschädigenden Substanzen (insbesondere Asbest) und zur Schaffung von gewerkschaftlichen Hygiene- und Sicherheitsausschüssen. Auch das Thema Leiharbeit wurde angesprochen und die Möglichkeiten der Kontrolle und des Verbots.91 Das Zusammentreffen endete mit einem Arbeitsauftrag für alle beteiligten Gruppen: Das EMB -Sekretariat sollte mit der Generaldirektion Gewerbliche Wirtschaft und Technologie das Arbeitsprogramm weiterentwickeln und die Punkte Gesundheits- und Arbeitsschutz mit den Mustervorschriften der ILO abgleichen. Und die nationalen Gewerkschaftsdelegierten bekamen den Auftrag, für das kommende Treffen Informationen über die rechtlichen Regelungen der Arbeitszeit in ihren Ländern zusammenzutragen: die Anwendung der Vierzigstundenwoche, Schichtregelungen, Verbot von Nacht- und Sonntagsarbeit und die Kontrolle der Überstunden.92 Die Gespräche zur europäischen Schiffbauindustrie hatten nach mehr als zehn Jahren nun endlich eine Institutionalisierung erreicht. Durch die Festlegung einer konstanten Arbeitsgruppe konnten die Punkte, die für die Gewerkschafter entscheidend waren, gesammelt und diskutiert werden. Wie im Titel der Arbeitsgruppe sichtbar, war es ein Zusammentreffen nationaler Delegierter, die auch als Repräsentanten nationaler Perspektiven auftraten. Übergreifende und kooperierende Ansätze blieben zunächst zweitrangig. In den nächsten Monaten waren die Gewerkschaftsvertreter damit beschäftigt, sich mit ihren Vorständen über die eigene (nationale) Haltung zu verständigen und mit den verantwortlichen Gewerkschaftssekretären zu treffen, um den Fragebogen zur Beschäftigungs- und Arbeitssituation zu vervollständigen. Der bei der IG Metall für die internationale Arbeit zuständige Karl Pitz berichtete an den Vorstand der IG Metall93 und an die Arbeitsgemeinschaft bei der Bezirksleitung Hamburg.94 91 Ebd. 92 Ebd. 93 Zwei Briefe gingen an Eugen Loderer, in denen Pitz die Unterredungen in Brüssel dokumentierte und mögliche Antworten aus Perspektive der IG Metall formulierte, siehe Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, Betrifft: Sitzung der nationalen Berichterstatter des EMB für die europäische Werftindustrie am 19.9.1975 in Brüssel, 23.09.1975, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, EMB Arbeitsgruppen und Tagungen zur Werftindustrie, 1972–1976, AdsD 5/IGMA100171. 94 Für die Auseinandersetzung auf lokaler Ebene wurde am 2. Dezember 1975 ein Treffen der AG Schiffbau beim Bezirk Hamburg organisiert, auf dem Pitz die europäischen Besprechungen wiedergab, siehe Otto vom Steeg, Bezirk Hamburg: Brief an Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Schiffbau, 21.11.1975 sowie Papier für AG Schiffbau am 2. Dezember 1975 von Karl Pitz, in: ebd.

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Tab. 7: Übersicht der Sitzungen der nationalen Berichterstatter des EMB (1975/76) Titel

Datum

Zusammensetzung

Thema / Tagesordnung

Sitzung der nationalen Berichterstatter des EMB für die europäische Werftindustrie

19.09.1975

Gewerkschaftsdelegierte des EMB, EMB Sekretariat, Vertreter der Kommission – GD III, V

Bericht über Arbeitsbedingungen in der Werftindustrie der Europäischen Gemeinschaft, Prüfung eines Fragebogens (Löhne, Arbeitsbedingungen, zusätzliche Sozialleistungen), gewerkschaftliche Forderungen zur Koordinierung von Arbeitsbedingungen, Bildung spezieller Arbeitsgruppen (Arbeits- und Gesundheitsschutz)

Sitzung der nationalen Berichterstatter des EMB für die europäische Werftindustrie

29.–30.01.1976

Gewerkschaftsdelegierte des EMB, EMB-Sekretariat, IMB, Vertreter Kommission GD III, V

Überprüfung der Gewerkschaftsforderungen (Verkürzung der Arbeitszeit, Herabsetzung des Pensionsalters, Abschaffung der Leistungslöhne), Überprüfung der Berufslisten, Auswertung des EMB -Fragebogens, Gewerkschaftsforderungen auf Ebene der Europäischen Gemeinschaft

Sitzung der nationalen Berichterstatter des EMB für die europäische Werftindustrie

21.05.1976

Gewerkschaftsdelegierte des EMB, EMB -Sekretariat, IMB, Vertreter Kommission GD V

Prüfung der Anwendung des Regelbuches des IAA für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz beim Schiffbau und Schiffsinstandsetzung auf europäischer Ebene, Prüfung der Länderberichte über Lage und Aussichten der Werftindustrie zur Vorbereitung der Konsultationstagung zw. EMB und Kommission

Sitzung der nationalen Berichterstatter des EMB

27.09.1976

Gewerkschaftsdelegierte des EMB, EMB -Sekretariat, IMB, Vertreter Kommission GD III, V

Prüfung der Ergebnisse der Untersuchung des EMB (Löhne, Arbeitszeit, soziale Sicherheit), Analyse des Entwurfs eines Memorandums des EMB zur europäischen Werftindustrie, Anwendung des Regelbuchs der ILO für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz im Schiffbau und Schiffsreparatur auf europäischer Ebene

Institutionalisierung mit Hindernissen, 1972–1976

Pitz soll hier als Beispiel der nationalen Delegierten aufgeführt werden. Anhand seiner Protokolle und Briefe kann gezeigt werden, dass es eine Zusammenarbeit zwischen den nationalen Verantwortlichen und dem EMB -Sekretariat gab und dass der EMB von der Expertise der nationalen Gewerkschafter profitieren konnte. Ihr Einfluss auf die Ausrichtung und Vorschläge des EMB nahm in den kommenden Jahren zu, als sich die Lage für die Schiffbauindustrie in Europa zuspitzte und gewerkschaftliche Strategien dringender wurden. So kommentierte Pitz beispielsweise den vom EMB verfassten Bericht über die Arbeitsbedingungen auf den europäischen Werften. Seiner Meinung nach seien für die Fluktuation der Arbeitskräfte auf den Werften, die im Bericht hervorgehoben wurde, nicht die Überstunden, sondern die Arbeitsbedingungen und die unsicheren Arbeitsplätze verantwortlich.95 Pitz insistierte, dass man im Papier darauf aufmerksam machen müsse, dass die Belastungen von Werftarbeitnehmern außergewöhnlich hoch seien im Vergleich zu anderen Industriezweigen. Man könne die Belastung mit der Stahlindustrie vergleichen, wo die Arbeitnehmer aber Kompensation durch höhere Löhne erhielten. Das müsse auch für die Werftindustrie durchgesetzt werden, allerdings nicht in Form eines monetären Ausgleichs, sondern durch die Abschaffung der Unfallgefahren. Er verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Empfehlungen der ILO und forderte, die dort geschaffenen Instrumente in die Praxis umzusetzen.96 Im Januar 1976 trafen die Delegierten wieder zusammen. Die meiste Zeit des Treffens wurde darauf verwendet, die Angaben der nationalen Gewerkschaften zu vergleichen, für Überlegungen zu national übergreifenden Strategien war nur wenig Raum. So konnten die Delegierten nur in einer Sache eine gemeinsame Schlussfolgerung treffen: Sie wollten gegen Überstunden kämpfen und sich in ihren nationalen Organisationen dafür stark machen.97

95 Karl Pitz: Brief an Bert Thierron, Betrifft: Euer Brief vom 02.10.75, Bericht über die Arbeitsbedingungen, 24.10.1975, in: ebd. 96 Ebd. 97 Protokoll der zweiten Sitzung der nationalen Berichterstatter des EMB für die europäische Werftindustrie, am 29. und 30. Januar 1976 in Brüssel, 01.03.1976, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204.

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Der Europäische Metallausschuss und Metallgewerkschaftsbund 

4.3

Kehrtwende in der europäischen Schiffbaupolitik, 1976–1988

4.3.1 Die Etablierung einer Arbeitsgruppe zur Schiffbauindustrie Die Treffen der Arbeitsgruppe zur Schiffbauindustrie etablierten sich ab 1975 als feste Institution. Die Gruppe legte ihre Ergebnisse zum Beschluss dem Exekutivkomitee des EMB vor, das nach kurzen Erläuterungen und Diskussionen die Vorarbeiten absegnete. Die Verantwortung der Koordination lag in den Händen des Generalsekretärs, der die Einladungen und Tagesordnungen sowie die Protokolle der Treffen verfasste. Der Kreis, der sich mit dem Thema Schiffbau auf europäischer Ebene beschäftigte, war überschaubar. Meist war es ein von der nationalen Gewerkschaft berufener Delegierter, der sich auch innerhalb des Landes mit dem Schiffbau auseinandersetzte. In der Zeit der Etablierung der Arbeitsgruppe kamen jeweils ein bis zwei Delegierte aus Deutschland, Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Norwegen, den Niederlanden und Schweden. Obwohl einige Länder nicht der EWG angehörten, schlossen sich die Gewerkschaften dem EMB an und waren dementsprechend auf den Sitzungen präsent, was für Länder wie Schweden und Norwegen, die eine große Schiffbauindustrie hatten, von Bedeutung war. Die Skandinavier waren manchmal auch durch einen Zusammenschluss nordischer Metallgewerkschaften vertreten, der Nordiska Metallarbetarefederation, die ihren Sitz in Stockholm hatte. Mit der Erweiterung des EMB kamen in den Folgejahren weitere Gewerkschafter aus Spanien (1976), Finnland (1977) und Griechenland (1980) hinzu. Die Zahl der Teilnehmer auf Arbeitsgruppentreffen belief sich zu Beginn auf 13 bis 16 Gewerkschaftsdelegierte und wuchs später bis auf 37 Personen an. Bei Konsultationstagungen oder den dreigliedrigen Konferenzen wurden zusätzliche Gewerkschafter wie Bezirksvorsitzende oder Vertrauensmänner eingeladen. Die größte Teilnehmerzahl des Untersuchungszeitraums hatte die dreigliedrige Konferenz 1978, als insgesamt 58 Vertreter der Gewerkschaften, der Werftunternehmer und der Kommission zusammenkamen (vgl. Tab. 8). Neben den Gewerkschaftsdelegierten kamen zu den Arbeitsgruppentreffen meist zwei bis vier Kommissionsmitglieder je nach Thema aus den Generaldirektionen Gewerbliche Wirtschaft und Technologie (Generaldirektion III), Wettbewerb (GD IV), Soziale Angelegenheiten (GD V) oder Verkehr (GD VII). Aus Perspektive der Kommission boten diese Treffen die Möglichkeit, Themenbereiche auszuloten, Informationen von den entsprechenden Interessengruppen einzuholen und sie zur Vorbereitung für Entschei­dungen

Kehrtwende in der europäischen Schiffbaupolitik, 1976–1988

Tab. 8: Übersicht der Teilnehmerzusammensetzung auf den Treffen zur Schiffbauindustrie nach der Gründung der Arbeitsgruppe im EMB (1975–1982)

*

Insgesamt

Gewerkschafter

Kommission Unternehmer

Titel*

Datum

Sitzung nationale Berichterstatter

19.09.1975

17

13

4

 

Sitzung nationale Berichterstatter

29.–30.01.1976

20

16

4

 

Sitzung nationale Berichterstatter

21.05.1976

17

15

2

 

Konsultationstagung

11.06.1976

27

23

4

 

Sitzung nationale Berichterstatter

27.09.1976

19

16

3

 

Vorb. dreigliedrige Konferenz

18.–19.10.1977

49

27

8

14

Dreigliedrige Konferenz

01.–02.03.1978

58

30

14

14

Konsultationstagung

18.–19.10.1978

42

32

10

 

EMB -Arbeitsgruppe

31.10.1978

26

24

2

 

EMB -Arbeitsgruppe

22.–23.02.1979

37

30

7

 

Kleine Arbeitsgruppe

07.06.1979

19

14

5

 

EMB -Arbeitsgruppe

03.–04.10.1979

31

29

2

 

EMB -Arbeitsgruppe

29.–30.04.1980

29

26

3

 

EMB -Arbeitsgruppe

12.–13.11.1980

34

29

5

 

EMB -Arbeitsgruppe

14.04.1981

33

30

3

 

EMB -Arbeitsgruppe

27.–28.10.1981

36

33

3

 

EMB -Arbeitsgruppe

27.–28.09.1982

29

25

4

 

Abkürzungen, Quelle: Aus den Protokollen der Treffen, eigene Berechnung

auszuwerten. Dabei kam es nicht nur zu Treffen mit Gewerkschaftern, sondern auch mit politischen Verantwortlichen und Experten. Dieser Orientierungsphase schloss sich eine Konsultationsphase an, zu der ein Bericht oder Vorschlag vom verantwortlichen Kommissar oder Generaldirektor vorgelegt

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Der Europäische Metallausschuss und Metallgewerkschaftsbund 

wurde, der von den Interessengruppen, dem Wirtschafts- und Sozialausschuss und dem Europäischen Parlament kommentiert wurde. Auch in dieser Phase befragte die Kommission die Gewerkschafter und lud sie zu den sogenannten Konsultationstagungen ein. Nach dieser Phase kam es zur Entscheidung, in der der Rat über den Kommissionsentwurf abstimmte.98 Gemeinsame Treffen mit dem Verbindungsausschuss der Werftindustriel­ len waren äußerst selten. Ansprechpartner auf Unternehmensseite war der Verband Westeuropäischer Schiffswerften (Association of West European Shipbuilders, AWES).99 Daneben gab es eine Interessengemeinschaft von Großschiffswerften in der EWG unter dem Namen Rat der EWG -Großwerften (Council of EEC-Builders of Large Ships).100

4.3.2 Die Konsultationstagung im Juni 1976 Am 11. Juni 1976 fand eine Konsultationstagung mit Mitgliedern des EMB und der Europäischen Kommission in Brüssel statt. Anlass war das Papier »Mitteilung der Kommission an den Ministerrat über die Werftindustrie«, das die Kommission am 26. Mai 1976 übergeben hatte und nun mit den Gewerkschaftern diskutiert werden sollte. Die Grundaussage des Papiers war, dass die immer weiter steigenden Überkapazitäten auf dem Schiffbaumarkt die europäischen Werften in große Bedrängnis brächten. Die Kommission schlug deshalb vor, die Produktionskapazitäten in Europa einzudämmen.101

98 Stöckl, S. 39. 99 Bereits 1937 hatten sich Werftunternehmer auf der International Shipbuilding Conference zusammengefunden und bis 1965 den Namen »West European Shipbuilders Informal Contacts« geführt. Im Zuge der Europäisierungsprozesse bildete sich 1968 der Verbindungsausschuss AWES als industrieller Gesprächspartner der Kommission heraus, der in den 1980er Jahren schließlich in einer separaten Organisation unter dem Namen »Gemeinschaft der Europäischen Werftvereinigungen« (Community of European Shipyards’ Association, CESA) aufging, siehe CESA. Zur Entwicklung der Schiffbauunternehmer und deren europäische Interessenvertretung gibt es bisher keine Forschung. 100 Aus dem Bericht der gemischten Ad-hoc-Gruppe, die Herr Spinelli am 20. März 1972 zur Untersuchung der Probleme im Schiffbau eingesetzt hat, in: IGM, Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, EMB -Arbeitsgruppen und Tagungen zur Werftindustrie, 1972–1976, AdsD 5/IGMA100171. 101 Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, Betrifft: EMB -Sitzung der nationalen Berichterstatter für die Werftindustrie, Brüssel 29.–30.01.1976, 06.02.1976, in: ebd.

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Auf der Tagung erläuterte der Kommissar für Gewerbliche Wirtschaft und Technologie mit aller Ernsthaftigkeit die Situation: Augenblicklich ist ein struktureller, ja definitiver und nicht etwa konjunktureller bzw. vorübergehender Kapazitätsüberhang zu verzeichnen. Angesichts der auf dem Spiele stehenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen wünscht die Kommission, dass Mittel zur Umschulung und Umstrukturierung eingesetzt werden, deren Koordinierung auf gemeinschaftlicher Ebene sichergestellt werden sollte.102 Er berichtete, dass die Gruppe Nr. 6 der OECD, die für die Schiffbauindustrie verantwortlich zeichnete, im März 1976 zwar allgemeine Richtlinien zum Abbau von Kapazitäten erarbeitet habe, diese allerdings nicht verbindenden Charakter hätten und mehrere Länder schon ankündigt hätten, den Abbau abzulehnen. Deshalb müsse es jetzt auch Vorkehrungen auf gemeinschaftlicher Ebene geben. Auf der einen Seite brauche es Kriterien für nötige Umstrukturierungen auf europäischer Ebene, auf der anderen Seite ein bilaterales Abkommen mit Japan, wenn die Angelegenheit über die OECD nicht geregelt werden könne. Die Gewerkschaftsdelegierten waren über den drohenden Rückbau des Sektors schockiert. Die britischen Delegierten kritisierten die »drakonischen Maßnahmen«, die keine Zukunftsperspektiven für den Schiffbau zuließen. In großer Hoffnung auf einen bald wieder eintretenden Aufschwung sprachen sie von der Erneuerung der Flotten und dem Bedarf an Spezialschiffen. Als Lösung boten sie an, die Reeder zu verpflichten, einen bestimmten Prozentsatz des Schiffneubaus aus der Gemeinschaft zu beziehen. Und zum wiederholten Male hieß es, dafür brauche es endlich eine gemeinsame Industrie- und Verkehrspolitik. Die französischen und belgischen Gewerkschafter stimmten zu und forderten außerdem von der Kommission, den Ausbau des europäischen Schiffbaus zu planen.103 Wenn es keine Absprachen auf weltweiter Ebene gebe, müsste eben eine europäische Zusammenarbeit gefördert werden. Die Italiener bliesen in das gleiche Horn: Der Abbau der Produktionskapazitäten sei unannehmbar und sozialpolitisch wie wirtschaftlich ein 102 Protokoll der Konsultationstagung zwischen dem EMB und der Europäischen Kommission über die europäische Werftindustrie, Brüssel, 11. Juni 1976, 17.08.1976, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204. 103 Ebd.

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schlechtes Signal. Der Beschäftigungsstand müsse aufrechterhalten werden. Sichtlich aufgebracht richteten sie sich auch gegen den Hauptkonkurrenten: Europa dürfe gegenüber Japan nicht nachgeben und müsse im Bereich des Schiffbaus »die ihm zukommende Rolle spielen«.104 Nur die schwedische Delegation enthielt sich der hitzigen Debatten. Sie stimmte dem Abbau von europäischen Schiffbaukapazitäten im Grund zu und war auch weniger kritisch, was das Abkommen mit den Japanern betraf.105 Da die Kommission in Bezug auf die fehlende Industriepolitik scharf kri­ tisiert wurde, suchte sie nach Erklärungen. Die Kommission könne nicht konkreter werden, weil der Vertrag der EWG nur wenig Möglichkeiten biete.106 Das liege vor allem an den Mitgliedsstaaten und den Entscheidungen in der Industrie. Die EWG verstehe sich als Motor, um Aktionen zwischen allen Beteiligten anzustoßen, mehr könne sie im Moment nicht tun. Trotz aller Einsicht blieb der Kommissionsvertreter bei seinem Standpunkt, dass der Abbau der Produktionskapazitäten in jedem Fall vorgenommen werden müsse und dass das Abkommen mit Japan unerlässlich sei.107 Doch musste er zugeben, dass die Verhandlungen noch einige Schwierigkeiten in sich bargen.108 Der stellvertretende Sekretär des EMB Hubert Thierron unterbrach den Kommissar. Er wiederholte, dass die Maßnahmen zum Schutz der Werftarbeiter zu unbestimmt seien und fragte kritisch, wo die Kommission Kapazitäten beschneiden wolle, wie und mit welcher Absicht. Er zeigte sich überrascht über die plötzliche Entscheidung der Kapazitätsreduktion und sagte, es müsse vorher ein Konsens zwischen den Sozialpartnern erarbeitet werden. Er wollte wissen, welches Druckmittel die Kommission gegenüber dem Rat habe.109 Der Kommissar antwortete, in der Vergangenheit hätten die Diskussionen im Ministerrat sehr viel Zeit in Anspruch genommen, da man sich an Einzelheiten verbissen hätte. Die Kommission wünsche sich, dass der Rat schnell zu einem Entschluss kommen würde, damit anschließend Aktionen

104 Ebd. 105 Ebd. 106 Ebd. 107 Ergänzung zum offiziellen Protokoll durch die handschriftlichen Aufzeichnungen von Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, Betrifft: EMB -Schiffbaupolitik, Konsultationstagung am 11.06.76, 24.06.1976, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, EMB -Arbeitsgruppen und Tagungen zur Werftindustrie, 1972–1976, AdsD 5/IGMA100171. 108 Ebd. 109 Ebd.

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erarbeitet werden könnten.110 Wenn der Rat tatsächlich eine gemeinsame Politik beschließe, müssten alle Mitgliedsländer diese Politik ausführen.111 Nach der Konsultationstagung brachte der EMB -Sekretär Günter Köpke noch einmal eine Einschätzung zu dem Gesagten. Er schrieb, dass er es außerordentlich zu schätzen wisse, dass sich die Kommission für eine Diskussion über den Schiffbau im Ministerrat einsetze und ihr daran gelegen sei, eine gemeinschaftliche Industriepolitik einzuleiten. Es sei auch verständlich, dass sich die Argumentation der Kommission auf das Phänomen des Produktionsüberhangs stütze. Aber bedauerlich sei, dass man sich zu den möglichen Auswirkungen auf die Beschäftigten ausschweige.112 Deshalb fasste er den Standpunkt des EMB noch einmal klar zusammen: Die Gewerkschafter forderten die Aufrechterhaltung der mehr als 400.000 Arbeitsplätze in der Werftindustrie der EWG sowie der rund einer Million Arbeitsplätze, die in der Zulieferindustrie mit der Werftindustrie verbunden seien. Der EMB fordere die Kommission des Weiteren dazu auf, unabhängig vom Ausgang der Beratungen innerhalb der OECD unverzüglich ein Gesamtprogramm von gemeinschaftlichen Maßnahmen auszuarbeiten, mit dem Ziel, die Zukunft der Werftindustrie der EWG zu sichern. Ein Abbau von Überkapazitäten dürfe nur schrittweise und nach vorherigen Verhandlungen zwischen den Gewerkschaftern und Unternehmern stattfinden.113 Als Reaktion auf die Konsultation mit der Kommission verfasste das EMB Sekretariat ein Memorandum, das die von Köpke aufgestellten Forderungen zur Beschäftigungspolitik zum Inhalt hatte. Der erste Entwurf dazu wurde auf einer Sitzung der gewerkschaftlichen Arbeitsgruppe im September 1976 110 Protokoll der Konsultationstagung zwischen dem EMB und der Europäischen Kommission über die europäische Werftindustrie, Brüssel, 11. Juni 1976, 17.08.1976, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204. 111 Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, Betrifft: EMB -Schiffbaupolitik, Konsulta­ tionstagung am 11.06.76, 24.06.1976, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, EMB -Arbeitsgruppen und Tagungen zur Werftindustrie, 1972–1976, AdsD 5/IGMA100171. 112 Die nun dringender werdende Studie zur Beschäftigungssituation in der Werftindustrie, die nach der Bearbeitung der Gewerkschafter von der Kommission zu Ende gebracht werden sollte, war noch nicht auf einem diskussionsfähigen Stand, siehe Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, Betrifft: EMB -Sitzung der nationalen Berichterstatter für die Werftindustrie, Brüssel 29.–30.01.1976, 06.02.1976, in: ebd. 113 Protokoll der Konsultationstagung zwischen dem EMB und der Europäischen Kommission über die europäische Werftindustrie, Brüssel, 11. Juni 1976, 17.08.1976, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204.

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besprochen und im November vom Exekutivausschuss des EMB verabschiedet.114 Doch dann passierte ein Jahr lang nichts. Da ein dreigliedriges Treffen mit den Arbeitgebern und der Kommission nicht zustande kam, traf sich auch die Arbeitsgruppe nicht, denn sowohl die Analyse der Situation als auch die entsprechenden Forderungen waren formuliert und an die verantwortlichen Adressaten verschickt worden. Die Kommission kämpfte zur gleichen Zeit an anderer Front: Der Kommissar hatte auf der Konsultationstagung erwähnt, wie schwierig eine Entscheidungsfindung auf Ministerratsebene war. Durch folgenden Briefwechsel zwischen Eugen Loderer, dem Vorsitzenden der IG Metall, und Günter Köpke vom EMB wird deutlich, vor welchen Herausforderungen man dort stand. Köpke berichtete über das eine Woche nach der Konsultationstagung einberufene Treffen zwischen Regierungsvertretern und der Kommission, auf dem es um die Mitteilung zur Werftindustrie ging. Er schrieb, dass sich Ministerialrat Pfeiffer aus dem deutschen Bundeswirtschaftsministerium geweigert habe, an der Veranstaltung teilzunehmen, weil das Kommissionsdokument »dirigistisch« sei und nach seiner Auffassung die Probleme der Strukturveränderungen »über den Markt« zu lösen seien. […] Es ist bekannt, dass Herr Pfeiffer ein ausgesprochen Liberaler ist und ich möchte Dich daher bitten, wenn Du Gelegenheit hast, mit dem Bundeswirtschaftsminister, Herrn Friderichs, zu sprechen, darauf hinzuweisen, dass eine solche Auffassung nicht als die Auffassung der Bundesregierung betrachtet werden kann. Falls die Bundesregierung in den weiteren Beratungen auf EG -Ebene eine solche Haltung einnimmt, könnte dies dazu führen, dass einige Vorschläge der Kommission von vornherein blockiert werden und die Strukturfragen in der Werftindustrie nicht angemessen angefasst werden können.115 Loderer bat Karl Pitz aus der Wirtschaftsabteilung der IG Metall um eine Stellungnahme zur Einordnung dieses Vorfalls. Dieser antwortete: 114 Kurzprotokoll der Sitzung der nationalen Berichterstatter des EMB für die europäische Werftindustrie, Brüssel, 27. September 1976, 29.09.1976, in: ebd. Das Protokoll der Exekutivausschusssitzung lag mir leider nicht vor, weshalb ich nicht sagen kann, wie man das Memorandum dort diskutierte. 115 Günter Köpke: Brief an Eugen Loderer, Betrifft: Schiffbau, 07.07.1976, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, EMB -Arbeitsgruppen und Tagungen zur Werftindustrie, 1972–1976, AdsD 5/IGMA100171.

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Lieber Eugen, ich könnte mir vorstellen, daß das, was Kollege Köpke über das Verhalten von Herrn Pfeiffer schreibt, den Tatsachen entspricht. Ich selbst schätze Herrn Pfeiffer als Liberalen ein. Ich glaube allerdings nicht, daß es möglich ist, daß der erste Vorsitzende der IG Metall mit dem Wirtschaftsminister spricht, um diesem gegenüber die Auffassung der Bundesregierung zum Ausdruck zu bringen. Wir können selbstverständlich nur die Auffassung der IG Metall vertreten. Wahrscheinlich empfiehlt es sich eher, bei Gelegenheit diese Dinge einmal mit dem Bundeskanzler zu besprechen. Eine spezielle Initiative würde ich im vorliegenden Fall nicht für angemessen halten.116 Die Antwort von Pitz spricht Bände über die Einschätzung des Gewerkschafters zur Einflussmöglichkeit auf politische Verantwortliche im Zusammenhang mit europäischen Themen. Nicht weiter auf der europäischen Verständigung zu insistieren verdeutlicht, dass Pitz sich vom Verhandlungsergebnis nicht sonderlich viel versprach. Die Argumente für eine europäische Industriepolitik waren ihm bekannt, da er an den Diskussionen im EMB beteiligt gewesen war. Doch er zeigte sich keineswegs bereit, die Regierung zu einem aktiven Vorgehen auf europäischer Ebene zu drängen. Damit wird deutlich, wie die ambitionierten Vorschläge im EMB im Kontext nationaler Diskussionen relativiert wurden.

4.3.3 Die dreigliedrigen Konferenzen 1977/78 Auf mehrmaliges Drängen der Gewerkschafter hin kam es endlich zu einem größeren Treffen zwischen dem EMB, der Kommission und den Arbeitgebern. Sie trafen sich am 19. Oktober 1977 zur »Vorbereitenden dreigliedrigen Konferenz Werftindustrie« in Brüssel. Die Konferenz trug »vorbereitend« im Titel, da es der Kommission bis dahin nicht gelungen war, abschließende Vorschläge für die Schiffbauindustrie vorzulegen und die Arbeitgeber zögerten, ohne das Papier Entscheidungen zu treffen. Dennoch waren alle gekommen und so konnte ein Probedurchlauf unternommen werden. Das erste Wort hatte der stellvertretende Generaldirektor der Direktion Gewerbliche Wirtschaft und Technologie Paolo Cecchini. Er bestätigte die 116 Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, Betrifft: Schiffbaupolitik des EMB , Schreiben von Kollegen Günter Köpke vom 7. Juli 1976, 23.08.1976, in: ebd.

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Aussagen der Konsultationstagung, dass sich die Probleme in der Schiffbauindustrie mit der Ölkrise verschärft hätten. Cecchini berichtete, dass es hierdurch zu einem Preiskrieg zwischen Europa und Japan, aber auch mit neuen Herstellerländern wie Südkorea und Singapur gekommen sei. Erstmals bestätigte die Kommission die Konkurrenz jenseits Japans, die die Gewerkschaften schon mehrfach angesprochen hatten. Dennoch ging es für die Kommission in erster Linie um eine Absprache mit Japan.117 Günter Köpke brachte als Vertreter der EMB -Delegation erneut seinen Unmut über die Situation zum Ausdruck. Die Gewerkschafter hätten kein Verständnis, dass sich die Vorlage für die Maßnahmen in der Beschäftigungs- und Industriepolitik, die die Kommission erarbeiten sollte, verzögern sollte. Die Kommission habe Anfang des Jahres mitgeteilt, dass sie dem Rat im Mai eine Schiffbaupolitik vorschlagen würde. Später sei das auf Oktober verschoben worden und nun sei die Vorlage erst für Dezember angekündigt. Er forderte eine schnelle Erarbeitung von gemeinschaftlichen Strategien und politischen Mut der Kommission.118 Die Vertreter der Werftunternehmer waren auch der Meinung, dass Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise ergriffen werden müssten. Doch brauche man dafür langfristige Planungen, nichts dürfe übereilt sein. Das war angesichts der jahrelangen Interventionsversuche des EMB bei der Kommission und immer wieder geforderten dreigliedrigen Treffen mit den Werftunternehmern mehr als zynisch. Zu keiner der gewerkschaftlichen Forderungen bezog der Verband der Werftunternehmer Stellung. Stattdessen begannen sie, die Langwierigkeit der Entscheidungsprozesse auf die Kommission zu

117 Kurzprotokoll der vorbereitenden dreigliedrigen Konferenz »Werftindustrie«, Brüssel, 18./19. Oktober 1977, 28.10.1977, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204. Karl Pitz schrieb in seinem Protokoll: »Die Verhandlungen mit Japan über eine Aufteilung der Marktanteile seien deswegen mager ausgefallen, weil die EG von Japan wegen des mangelnden Durchsetzungsvermögens nicht ausreichend respektiert würde.«, Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, Betreff: Vorbereitende dreigliedrige Konferenz »Werftindustrie«, Brüssel, 18./19. Oktober 1977, 21.10.1977, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, EMB -Arbeitsgruppen und Tagungen zur Werftindustrie, 1976–1977, AdsD 5/IGMA 100170. 118 Kurzprotokoll, vorbereitende dreigliedrige Konferenz »Werftindustrie«, Brüssel, 18./19. Oktober 1977. Ergänzungen dazu im Protokoll von Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, Betreff: Vorbereitende dreigliedrige Konferenz »Werftindustrie«, Brüssel, 18./19. Oktober 1977, 21.10.1977, in: ebd.

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schieben und forderten schnellstens eine Absprache mit der japanischen Regierung über die Marktaufteilung.119 Wie sich schon andeutete, war man auch im EMB mittlerweile weniger skeptisch gegenüber Verhandlungen mit Japan. Die Gewerkschafter forderten aber, auch mit anderen Ländern wie Brasilien, Südkorea, Taiwan und Singapur Kontakt aufzunehmen. Gleichzeitig befürworteten sie – stärker als zuvor –, Beihilfen für den europäischen Schiffbau zu bewilligen, um sich der außereuropäischen Konkurrenz gegenüber behaupten zu können. Das lief ihrer ursprünglichen Strategie, die Beihilfen abbauen zu wollen, entgegen: Im Prinzip haben die Gewerkschaften immer protektionistische Massnahmen, die in der Formel »buy European« zusammengefasst werden können, abgelehnt. Wir haben jedoch den Eindruck, dass andere Länder wie Japan und die USA die Aufträge für den Bau ihrer Flotten an die eigenen Werften vergeben. Wenn dies der Fall ist, sollten die Europäer nicht zu viel Skrupel haben, um eine Politik zu prüfen und zu fördern, die die Reeder dazu verpflichtet, eine gewisse »gemeinschaftliche Präferenz« zu beachten.120 Der Kommissionsvertreter Cecchini fiel in seiner Antwort zur Kritik der Gewerkschafter und Arbeitgeber wieder in die Rhetorik aus den Anfangsjahren der Verhandlungen zurück. Als hätte es die Vorschläge der Kommissare Colonna di Paliano und Spinelli zu einer europäischen Schiffbaupolitik nie gegeben, erinnerte er an die geringen Möglichkeiten zur Durchsetzung gemeinsamer Strategien: Die EWG könne aufgrund des Vertrags von Rom keine Industriepolitik betreiben, meinte er. Solange man nicht über ein Budget wie einen Werftfonds verfüge, könne auch keine Politik in die Wege geleitet werden. Und zu seiner Verteidigung sagte er in Bezug auf das fehlende Sozialprogramm, dass es Widerspruch im Ministerrat gegeben habe, weshalb die Arbeit daran noch nicht hätte beendet werden können. Eine positive Nachricht hatte er zu vermelden: Es gebe ab 1978 einen Sozialfonds in Höhe von 30 Millionen Europäischen Rechnungseinheiten (ERE),121 bei dem es wahr119 Ebd. 120 Ebd. 121 Die Europäische Rechnungseinheit (ERE) war die gemeinsame Bezugsgröße der europäischen Währungen. Sie wurde nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems Anfang der 1970er Jahre eingeführt. Die ERE setzte sich aus den Währungen der damals neun EWG -Mitgliedstaaten zusammen und wurde als Verrechnungswährung der Gemeinschaft verwendet.

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scheinlich sei, dass der größte Teil in die Werftindustrie fließe, Genaueres wisse er aber noch nicht.122 Die Kommission legte schließlich im November 1977 dem Rat einen Vorschlag für die europäische Schiffbauindustrie vor. Doch keiner der von den Gewerkschaften angemahnten Punkte fand darin Eingang: Die Kommission blieb bei der Frage des Kapazitätsabbaus konsequent und schlug auch keine Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung vor. Die Gewerkschafter des EMB waren angesichts dieser Unbeweglichkeit mehr als enttäuscht. Um sich Gehör zu verschaffen, suchte Günter Köpke Kontakt zum Wirtschaftsund Sozialausschuss sowie zur sozialistischen Fraktion im Europaparlament und gab eine Presseerklärung heraus. Gleichzeitig forderte er eine Aussprache mit den Kommissaren für Beschäftigungs- und Industriepolitik Henk V ­ redeling und Étienne Davignon und machte ihnen nochmals deutlich, dass die europäischen Gewerkschaften mit dem Abbau der Produktionskapazitäten nicht einverstanden seien. Er warf ihnen erneut vor, dass sie sich keinerlei Gedanken über neue Arbeitsplätze in den Regionen des Schiffbaus machten. Die Kommissare versuchten zu beschwichtigen und bekräftigten, dass es eine dreigliedrige Konferenz geben werde, auf der man die Punkte besprechen wolle. Und Vredeling versprach, dass er unter Mitarbeit des EMB ein Paket für mögliche Sozialmaßnahmen zusammenstellen werde.123 Tatsächlich fand Anfang März 1978 die offizielle dreigliedrige Konferenz zur Werftindustrie statt.124 Nach den einführenden Referaten der Kommissare Vredeling und Davignon eröffnete Günter Köpke sein Plädoyer für den Erhalt der europäischen Schiffbauindustrie und insbesondere die Sicherung der Beschäftigung, indem er seine Forderungen des letzten Jahres wiederholte. Deutlich wurde, dass er auf die Wiederbelebung des Sektors hoffte und sich viel von möglichen Investitionen der Unternehmen und von Förderungen aus den europäischen Fonds versprach.125 122 Ebd. 123 Ebd. 124 Kurzprotokoll der Dreierkonferenz über die europäische Werftindustrie (Kommission – Verbindungsausschuss der Werftunternehmer – EMB) am 1. und 2. März 1978 in Brüssel, 10.03.1978, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204. 125 Köpke hatte als Vorbereitung eine Diskussionsgrundlage erarbeitet, in dem auch die Frage auftauchte: »Sollte nicht jeder unvermeidbare Kapazitätsabbau und jede Umstrukturierung nur geordnet und mittelfristig unter sozialen Gesichtspunkten bei Vermeidung von Betriebsschliessungen erfolgen?«, Günter Köpke: Brief an die Vorsitzenden bzw. Generalsekretäre der angeschlossenen Organisationen des EMB , 20.02.1978, in: EMB , EMB -Rundschreiben, Oktober 1977–Februar 1978, AdsD 5/EMBA130014.

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Doch dieses Mal sprach er nicht im Namen aller Gewerkschaftsmitglieder. Die Gewerkschaftsdelegierten hatten sich einen Tag zuvor getroffen, um über ihre Positionen abzustimmen. Hierbei war es zu Meinungsverschiedenheiten gekommen. Im Protokoll, das im Anschluss an die vorbereitende Konferenz verschickt wurde, war zu lesen: An dieser Stelle möchten wir lediglich auf eine Meinungsverschiedenheit zwischen den EMB -Mitgliedsverbänden hinweisen, die, wenn möglich, anlässlich der nächsten Sitzungen ausgeräumt werden sollte. Zwar unterstützen die Metallgewerkschaften einstimmig die Forderung nach einem Gemeinschaftsplan zur Überwindung der Krise, jedoch bestehen unterschiedliche Auffassungen über die zu erreichenden Ziele und die einzusetzenden Mittel. Grossbritannien, Irland und die Länder des Kontinents lehnen jede Entlassung ab und schlagen Massnahmen zur Wiederbelebung der Wirtschaft vor (und zwar sowohl allgemeine als auch spezifisch auf die Werftindustrie bezogene Massnahmen). Die skandinavischen Länder dagegen vertreten die Auffassung, dass zur Überwindung der Krise die Produktionskapazitäten und parallel dazu die Beschäftigung reduziert werden müssen, unter gleichzeitiger Schaffung neuer Arbeitsplätze.126 Diese Meinungsverschiedenheit war keine Lappalie. Es ging auch um politische Überzeugungen. Es zeigte sich, dass die Gewerkschaftsmitglieder ihre nationalen Haltungen in die europäischen Diskussionen mitnahmen und den national eingeschlagenen Weg auf europäischer Ebene zu verteidigen suchten. Die Ausrichtung der schwedischen Schiffbaupolitik sah dementsprechend schon frühzeitig einen Rückbau der Werften vor und die Versetzung der Arbeitskräfte in andere Industriezweige. Die schwedischen Gewerkschafter waren schon seit Längerem nicht mehr von einem Wiederaufleben des Sektors überzeugt und unterstützten den Abbau des Industriezweigs. Köpke dagegen vertrat die Meinung der »Länder des Kontinents« und überging die Position der Schweden auf der Konferenz.127 Es sah nicht gut aus für den EMB. Die Gewerkschafter waren sich untereinander nicht (mehr) einig. Die Kommission nahm sie als Verhandlungs126 Kurzprotokoll der Dreierkonferenz über die europäische Werftindustrie (Kommission – Verbindungsausschuss der Werftunternehmer – EMB) am 1. und 2. März 1978 in Brüssel, 10.03.1978, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204. 127 Ebd.

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partner zwar ernst, hatte aber eigene Vorstellungen und wenig Zugkraft bei der Umsetzung der Forderungen. Zumindest die Werftunternehmer konnten davon überzeugt werden, dass es sinnvoll war, eine dreigliedrige Arbeitsgruppe zur Besprechung von industrie- und beschäftigungspolitischen Vorschlägen zu bilden.

4.3.4 Initiativen zur Umsetzung einer europäischen Schiffbaupolitik Die dreigliedrige Arbeitsgruppe traf sich 1978 gleich fünf Mal.128 Die Aufgabe der Gruppe sollte sein, auf Grundlage der zusammengetragenen Daten die Schiffbauindustrie und ihre Krise zu analysieren, Prognosen für die kommenden Jahre zu erstellen und die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Krise abzuschätzen. Die Teilnehmer diskutierten, ob man in der Gemeinschaft über eine Kapazitätsreduktion nachdenken sollte. Der Verbindungsausschuss der Unternehmer sprach sich nun doch eher dafür aus, während die Gewerkschaftsdelegierten solche Erwägungen ablehnten. Es gab verschiedene Vorschläge zur Wiederbelebung des Sektors. Erwähnt wurden öffentliche Aufträge, auch aus dem Militär, und ein Abwrackprogramm, das die Nachfrage nach neuen Schiffen beleben könne. Zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs sprachen sie von internationalen Übereinkommen für sichere Schiffe und sozialen Normen gegen billige Konkurrenz. Offen blieb, ob es gelingen würde, auf europäischer Ebene in der Techno­ logieentwicklung zu kooperieren. Auf Drängen der Gewerkschafter wurde auch über die Beschäftigten und Strukturhilfen für Regionen gesprochen, in denen Arbeitsplätze verloren gingen. Nach Berechnungen der Kommission komme es bis 1982 zu mindestens 15.000 natürlichen Abgängen und 60.0000 Entlassungen.129 Die Kom128 Wie aus dem EMB -Exekutivprotokoll hervorgeht, traf sich die Gruppe am 31. März, 13. April, 3., 12., und 25. Mai 1978, siehe Zur Sitzung des EMB -Exekutivausschusses, Rom, 4./5. Juli 1978, TO 5c: Kurzprotokolle der vom EMB von April bis Juni 1978 durchgeführten Sitzungen, in: EMB , EMB -Rundschreiben, Juni–Oktober 1978, AdsD 5/EMBA130016. Bericht der Dreier-Arbeitsgruppe im engeren Rahmen, Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Generaldirektion für Binnenmarkt und Gewerbliche Wirtschaft, 29.05.2015, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/ EMBA080204. Der EMB fertigte selbst keine Protokolle an. 129 Der EMB wie auch der Verbindungsausschuss der Werftunternehmer bestritten diese Schätzung.

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missionsvertreter erklärten, Hilfen für den Schiffbau hätten sie bereits 1973 angefordert, der Vorschlag liege allerdings noch immer zur Prüfung beim Rat. Die Gewerkschafter forderten nochmals die Umsetzung konkreter Maßnahmen, wie vorzeitigen Ruhestand, Umschulungsmöglichkeiten, die Abschaffung von Mehrarbeit und die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit. Doch der Verbindungsausschuss der Werftunternehmer unterbrach die Diskussion. Solche Themen würden die Zuständigkeit der Arbeitsgruppe übersteigen und sollten zwischen den Sozialpartnern auf Ebene des Unternehmens ausgehandelt werden. Damit war das Treffen beendet.130 Kommissar Vredeling begann in den folgenden Monaten mit der Erarbeitung konkreter Maßnahmen, die er dem Rat vorlegen wollte, darunter Lösungen für die soziale Frage der Entlassenen. Er nahm die vom EMB vorgeschlagenen Schritte zur Arbeitszeitreduktion auf und forderte die Begrenzung von Überstunden, die Anpassung der Schichtarbeit und Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Mit den Beihilfen aus dem Europäischen Sozialfonds wollte er andere Wirtschaftszweige fördern, Einstellungsprämien einrichten und Zuschüsse zu Lohnkosten ermöglichen.131 Die Punkte, die die Arbeitsgruppe im Jahr 1978 erarbeitet hatte, wurden im September 1978 auf einer Konsultationstagung in größerer Runde vorgestellt.132 Der stellvertretende Sekretär des EMB, Hubert Thierron, war über die Vorschläge Vredelings zwar erfreut, doch sorgte er sich noch immer um den Kapazitätsabbau. Es müsse unbedingt wirtschaftliche Schritte geben, um die Arbeitsplätze zu erhalten: Wir haben den Eindruck, dass die von uns vorgeschlagenen wirtschaftlichen Massnahmen zur Verbesserung der Lage […] von der Kommission nicht genügend ernst genommen werden und letztere uns nunmehr einen »sozialen Teil« vorschlägt, der dazu bestimmt ist, den Beschäftigungsabbau zu lenken.133

130 Bericht über die Sitzung der dreigliedrigen Arbeitsgruppe »Schiffbau« vom 12. Mai 1978, Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 12.05.1978, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204. 131 Zusammenfassung der Vorschläge von Herrn Vredeling zum sozialen Teil der Sanierung des Schiffbaus in der Gemeinschaft, 25.08.1978, in: ebd. 132 Kurzprotokoll der Konsultationstagung über die Sozialmaßnahmen in der Werftindustrie – Brüssel, 18. und 19. September 1978, 13.10.1978, in: ebd. 133 Ebd.

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Thierron griff noch einmal die Ideen der Arbeitsgruppe auf, beispielsweise zu sicherer und umweltbewussterer Schifffahrt oder die Überlegungen zur Wiederankurbelung der Nachfrage durch das Abwracken alter Schiffe. Doch Kommissar Vredeling blieb unnachgiebig: Arbeitsplatzverlust werde man nicht ausschließen können. Dass Thierron gegenüber Vredeling auch wirtschaftspolitische Maßnahmen ansprach, war eine Initiative des deutschen Delegierten Pitz. Er gab bei der IG Metall zu Protokoll, er habe in der Vorbesprechung dafür plädiert, die wirtschaftspolitischen Themen in den Vordergrund zu rücken. Thierron und eine Reihe von Kollegen hätten diese Auffassung übernommen und Vredeling von deren Bedeutung überzeugt.134 Es lässt sich anhand des Quellenmaterials nicht rekonstruieren, wer wie viel Mitsprache und Entscheidungsgewalt innerhalb des EMB hatte. Angesichts der inhaltlichen Richtung, die Thierron in der Diskussion vorgab, zeigt sich aber, dass die Skandinavier mit ihren Ansätzen auf europäischer Ebene kein Gehör fanden, die Meinung der deutschen Delegation aber eine nicht unwesentliche Rolle spielte. Eine Erklärung könnte die Bedeutung der IG Metall als einer der größten gewerkschaftlichen Vertreter von Metallarbeitern Europas bieten, eine andere die personelle Verflechtung von IG Metall-Gewerkschaftern mit der europäischen Institution, wie EMB -Generalsekretär Köpke, der vorher IG MetallGewerkschafter gewesen war. Als die Kommissare gegangen waren, überlegte der Gewerkschaftskreis, wie sich die Entscheidungsfindung der Kommission und des Rates beschleunigen ließen. Thierron merkte an, dass mit dem bisherigen Vorgehen nicht genügend Druck auf die Kommission ausgeübt worden sei. Es sei nicht hilfreich gewesen, dass sich der EMB auf seine soziale Rolle bei den Verhandlungen habe beschränken lassen. Er schlug eine gemeinsame öffentliche Aktion wie die Verteilung eines Flugblattes auf allen europäischen Werften und einen noch konkreteren Maßnahmenkatalog für die Kommission vor. Um auf die Dringlichkeit hinzuweisen, sollte jedes Gewerkschaftsmitglied außerdem einen eigenen Brief an die verantwortlichen Kommissare verfassen. Die Anwesenden waren mit dem Vorgehen einverstanden. Nur was den Brief anbelangte, hatte Pitz Bedenken. Ähnlich wie schon bei der Frage, ob die IG Metall auf ihren Wirtschaftsminister Einfluss ausüben könne, 134 Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, Betreff: EMB -Schiffbaupolitik, 20.09.1978, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, EMB Arbeitsgruppen und Tagungen zur Werftindustrie, 1977–1978, AdsD 5/IGMA100169.

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kritisierte der deutsche Gewerkschaftsdelegierte die Vermischung von nationaler und europäischer Ebene und sagte: »Der EMB ist dafür zuständig, politische Willensäußerungen gegenüber den EG -Institutionen zu formulieren. Es erscheint mir richtiger, daß der EMB solche Stellungnahmen gemeinsam für alle angeschlossenen Verbände abgibt.«135 War das ein Plädoyer für die Stärkung europäischer Gewerkschaftspolitik, indem Pitz nationale Zurückhaltung empfahl, oder eigentlich ein Rückzug, weil er sich nicht all zu viel von den europäischen Initiativen versprach? Von der IG Metall sollte es jedenfalls keinen Brief geben. Am 19. September 1978, also noch am selben Tag, an dem die Konsulta­ tionstagung stattfand, beschloss der Rat auf Grundlage der bereits vorgestellten Vorschläge der Kommission ein Sanierungsprogramm für die Schiffbauindustrie. Allerdings steckte darin nicht, wie der Titel suggerierte, die Erneuerung des Sektors, sondern die Empfehlung zur »strukturellen Anpassung« und Reduktion der Produktion.136 An die Mitgliedsstaaten ging die Empfehlung, die Arbeitsplätze im Schiffbau schrittweise abzubauen. Sie sollten sich darum bemühen, neue Arbeitsplätze zu etablieren und die sozialen Folgen in Grenzen zu halten. Wie genau aber die sozialen Maßnahmen aussehen sollten, wurde nicht festgelegt und sollte von der Kommission nachgereicht werden. Auch wenn es im Papier hieß, die Industrie sei angehalten, Umstrukturierungen und Diversifizierung zu verstärken und die Wettbewerbsfähigkeit durch Forschung zu erhöhen, war diese Nachricht niederschmetternd für die Gewerkschafter, die sich zur gleichen Zeit um ein Umschwenken in der europäischen Politik bemühten. Der Entschluss des Rates war unverbindlich, stellte aber unmissverständlich klar, wie sich dieser in der Angelegenheit positionierte und welchen Stellenwert man den Gewerkschaften in der Entscheidungsfindung zusprach. Vielleicht war das von Thierron vorgeschlagene Vorgehen mit detailliertem Maßnahmenkatalog und europäischem Aktionstag vergebliche Liebesmüh, aber dennoch gab er nicht auf.

135 Ebd. 136 Entschließung des Rates vom 19. September 1978 zur Sanierung des Schiffbaus. API. C 229 vom 27.09.1978, nach Clairmont, S. 389 f.

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4.3.5 Aktionsprogramme für die europäische Schiffbauindustrie a)

Ein europäischer Aktionstag

Mit der Entscheidung des Rates für den Abbau der Schiffbaukapazitäten fühlte man sich im EMB mehr denn je dazu aufgefordert, an die Öffentlichkeit zu treten und über die akuten Probleme der Schiffbauindustrie zu sprechen. Im Oktober 1978 setzte Hubert Thierron deshalb das Thema Aktionstag auf die Tagesordnung der Arbeitsgruppe. Um in der Öffentlichkeit endlich die nötige Aufmerksamkeit zu bekommen, sollte am 15. Dezember 1978 auf allen Werften der europäischen Mitglieder ein Flugblatt verteilt werden, das auf die Problematik der europäischen Schiffbauindustrie hinwies. Der stellvertretende Generalsekretär hatte dafür einen Entwurf erarbeitet. Die Forderungen sollten sich aus nationalen und europäischen Vorschlägen zusammensetzen und von beiden Ebenen, der nationalen Gewerkschaft und dem EMB, unterzeichnet werden. Für die Herstellung war jede Organisation selbst verantwortlich. Die Flugblätter sollten an die Presse verteilt und im Nachhinein an den EMB verschickt werden, der sie anschließend der Kommission vorlegte.137 Zwei Tage vor dem Aktionstag schickte Generalsekretär Köpke eine Pressemitteilung an die europäische Öffentlichkeit und forderte mehr Mut und politischen Willen bei der Europäischen Kommission und dem Ministerrat, um die Krise in der Werftindustrie zu überwinden.138 Es gehe um den Erhalt von Arbeitsplätzen tausender Arbeitnehmer, hieß es. Der EMB wehre sich entschieden gegen den Plan, die Produktionskapazitäten abzubauen und fordere eine gemeinschaftliche Strategie. Weit über 130.000 Flugblätter wurden an diesem Tag in Belgien, den Niederlanden, Westdeutschland, Großbritannien, Dänemark, Frankreich, Irland, 137 Bert Thierron: Europäischer Aktionstag der Metallgewerkschaften zur Erhaltung der Beschäftigung im Schiffsneubau und in der Schiffsreparatur, am 15. Dezember 1978, an die angeschlossenen Organisationen des EMB , an die ordentlichen und stellvertretenden Mitglieder des EMB – Exekutivausschusses, an den IMB , Genf, an Nordiska Metallarbeitarefederationen, Stockholm, an die Teilnehmer der Tagungen »Werftindustrie« am 18./19. September und 31. Oktober 1978, 20.11.1978 und ein weiteres Schreiben am 05.12.1978, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204. 138 Aufruf, Am 15. Dezember, Europäischer Aktionstag der Metallgewerkschaften für die Erhaltung der Arbeitsplätze im Schiffbau und in der Schiffsreparatur, EMB , 13.12.1978, in: ebd.

Kehrtwende in der europäischen Schiffbaupolitik, 1976–1988

Italien und Finnland verteilt.139 Die Gewerkschaften machten mit Artikeln in der Presse auf die Aktion aufmerksam und erhöhten den Druck mit Schreiben an Regierungsverantwortliche. Auf einigen Werften kam es zu Arbeitsniederlegungen.140 Viele Metallgewerkschaften veranstalteten zur gleichen Zeit nationale Schiffbaukonferenzen oder traten in Verhandlung mit ihren Regierungen.141 Nur Schweden und Norwegen beteiligten sich nicht an der Aktion. Ein schwedischer Kollege hatte die Zurückhaltung zuvor im EMB -Exekutivausschuss angekündigt, da in Schweden ein Gesetzentwurf zur Diskussion stehe, der bis zum 15. Dezember nicht entschieden sei und man die Verhandlungen nicht stören wolle.142 Doch die Distanz der Skandinavier war vermutlich auch auf ihre kritische Haltung gegenüber den übrigen EMB -Mitgliedern zurückzuführen, die eine Wiederbelebung der europäischen Schiffbauindustrie forderten. Wie vereinbart schickten die übrigen Gewerkschaftsmitglieder ihre Flugblätter an die Kommissare Jenkins, Davignon und Vredeling, um sie über die gemeinschaftliche Aktion zu informieren. Doch im Antwortschreiben von Roy Jenkins an Hubert Thierron wurde klar, dass der Abbau von Kapazitäten auch durch einen europaweiten Protest nicht aufzuhalten war.143 Die Kommission rückte nicht davon ab, den Sektor umstrukturieren und Arbeitsplätze abbauen zu wollen. Jenkins versicherte zwar, dass man die Arbeitgeber drängen wolle, ihre Produktionsangebote zu diversifizieren und die »öffentlichen Instanzen« auffordern wolle, Umschulungen zu ermöglichen. Dieses Angebot war aber weit von wirklichen Maßnahmen zur Unterstützung des Industriezweiges entfernt. Jenkins schloss damit, dass man auf weitere Zusammenarbeit hoffe und die Aktionsvorschläge der Gewerkschafter  – denen man völlig offen gegenüberstehe – prüfen wolle.144 139 Eine genaue Zahl kann nicht angegeben werden, weil nicht alle Mitglieder konkrete Angaben machten, siehe Auswertung des Europäischen Aktionstages der Metallgewerkschaften für die Erhaltung der Arbeitsplätze im Schiffsneubau und in der Schiffsreparatur – 15. Dezember 1978, Zusammenstellung vom 12.02.1979, in: ebd. 140 Die britischen Boilermakers forderten eine halbtägige Arbeitsniederlegung – ein Appell, der positiv aufgenommen wurde, an der Arbeitsniederlegungen in Frankreich beteiligten sich Arbeiter von 15 Werften. 141 So etwa in Belgien, den Niederlanden, in der Bundesrepublik Deutschland, Groß­ britannien, Dänemark, Frankreich. 142 Protokoll der 26.  EMB -Exekutivausschuss-Sitzung am 14./15. November 1978, 11.12.1978, in: EMB , EMB -Rundschreiben, Oktober 1978–März 1979, AdsD 5/EMBA130017. 143 Antwort von Roy Jenkins an Bert Thierron, 09.01.1979, in: Europäischer Metall­ ausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204. 144 Ebd.

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Nach dieser ernüchternden Erfahrung folgten keine weiteren Proteste oder Aktionen. Thierron hatte sich zwar begeistert über die rege Teilnahme der Mitglieder und die große Resonanz des Tages in der Öffentlichkeit gezeigt und vorgeschlagen, darauf mit weiteren Aktionen zu reagieren. Um den Druck zu erhöhen, sollte es seiner Meinung nach neue Aktionen geben, zum Beispiel die Weigerung, alte Schiffe zu reparieren oder eine Kundgebung oder Konferenz in Brüssel abzuhalten. Doch es gab einige Delegierte, die zur Vorsicht rieten und die Ideen nicht unterstützten. Bevor es zu weiteren Aktionen komme, sollte vorerst mit den Regierungen verhandelt werden.145

b)

Das Abwrack- und Neubauprogramm

Ein dringendes Problem war die Stimulierung der Nachfrage. Für das Arbeitstreffen der Gewerkschaften Ende Oktober 1978 appellierte der EMB an seine Mitglieder, sich darüber Gedanken zu machen.146 Unter dem Titel »Scrap and Build« legten die Briten zu diesem Treffen ein fünfseitiges Konzept vor, in dem es darum ging, alte Schiffe, die nicht mehr den Normen entsprachen, abzuwracken und durch neue zu ersetzen.147 Der Gedanke war ihnen nicht ganz allein gekommen. Berechnungen des International Maritime Industries Forum hatten ergeben, dass durch das Abwracken von dreißig Millionen Tonnen über einen Zeitraum von drei Jahren das Überangebot an Schiffen um rund fünfundzwanzig Prozent reduziert werden könnte. Ein gleichzeitiger Bau von drei Millionen Bruttoregistertonnen pro Jahr würde das minimale Level der weltweiten Schiffbauindustrie erhalten. Diese Idee hatte schon auf den kleineren dreigliedrigen Arbeitstreffen ein paar Monate zuvor eine Rolle gespielt. Die Briten griffen sie nun auf. Nach ihrer Vorstellung könnte das Programm die Produktion anregen, die momentane Flaute überbrücken und wertvolle Arbeitskräfte und Produktionsanlagen erhalten. 145 Kurzprotokoll der Sitzung der EMB -Arbeitsgruppe »Werftindustrie«, Brüssel, 22. und 23. Februar 1979, 07.03.1979, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204. 146 Kurzprotokoll der Sitzung der EMB -Arbeitsgruppe für die Aktualisierung der Untersuchung über die Löhne / Gehälter und die Arbeitsbedingungen in der europäischen Werftindustrie, Brüssel, 31. Oktober 1978, 10.11.1978, in: ebd. 147 Anlage »Scrap and Build«, Kurzprotokoll der Sitzung der EMB -Arbeitsgruppe für die Aktualisierung der Untersuchung über die Löhne / Gehälter und die Arbeitsbedingungen in der europäischen Werftindustrie, Brüssel, 31. Oktober 1978, in: ebd.

Kehrtwende in der europäischen Schiffbaupolitik, 1976–1988

Die anwesenden Gewerkschafter reagierten interessiert aber zurückhaltend. Sie wollten Rücksprache mit ihren Vorständen halten und die Diskussion auf der nächsten Sitzung fortführen. Der deutsche Delegierte Pitz, der wieder als Beispiel für die nationalen Reaktionen dienen soll, setzte sich mit dem IG Metall-Vorsitzenden Loderer in Verbindung und erläuterte ihm den Vorschlag.148 Als problematisch sah er an, das Abwrackprogramm mit dem Alter der Schiffe zu begründen, denn es sei sehr unterschiedlich, wie lang ein Schiff durchhalte, bis es nicht mehr funktionsfähig sei. Stattdessen schlug er vor: Das […] Kriterium des Umweltschutzes wäre demgegenüber in der deutschen Öffentlichkeit wesentlich besser darstellbar. Beim heute erreichten Problembewußtsein hinsichtlich des Standes der Umweltschäden muß in diesem Zusammenhang mit positiver Resonanz gerechnet werden. In diesem Fall nämlich steht nicht die Zielsetzung im Vordergrund, noch brauchbare Schiffe abzuwracken, um zusätzliche Beschäftigung auf die Werften zu bekommen. Ziel sind vielmehr Umbauten und Einbauten sowie Abwracken ganzer Schiffe, um ein wichtiges gesellschaftspolitisches Anliegen zu erfüllen: Die Meere sauber zu halten. Diese Zielsetzung interessiert die gesamte Bevölkerung und nicht nur die Arbeitnehmer auf den Werften.149 Pitz gab sich hinsichtlich einer gesamtdeutschen Solidarität mit den Werftarbeitern keinen falschen Hoffnungen hin. Umweltthemen schienen auf die Bevölkerung einen größeren Einfluss auszuüben als die Interessen einer kleinen Gruppe von Arbeitern. Für das weitere Vorgehen unterbreitete er die folgenden Vorschläge: Der EMB müsste konkrete Umweltauflagen in die Schiffbaupolitik einspeisen. Sollten Schiffe die Anforderungen nicht erfüllen, müssten sie umgebaut werden. Erst wenn das aus technischen und wirtschaftlichen Gründen nicht mehr möglich sei, müssten sie abgewrackt werden.150

148 Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, Betr.: Schiffbaupolitik im EMB , 13.11.1978, in der Anlage eine Stellungnahme zum Scrap and Build Programm, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, EMB -Arbeitsgruppen und Tagungen zur Werftindustrie, 1979–1980, AdsD 5/IGMA100145. 149 Ebd. 150 Ebd.

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Der Europäische Metallausschuss und Metallgewerkschaftsbund 

Im März 1979 unterbreitete Thierron im EMB -Exekutivausschuss das vorgeschlagene Programm.151 Die Anwesenden begrüßten die Initiative und diskutierten die Umsetzung. Der Kollege des IMB meinte, das Abwrackund Neubauprogramm sei gut, müsse aber im weltweiten Rahmen durchgeführt werden. Die japanischen Werften würden ein solches Programm sicher unterstützen. Thierron machte auf die desolate Situation der europäischen Werftindustrie aufmerksam und drängte, das Programm erst einmal für die EWG umzusetzen.152 Die Delegierten des EMB -Exekutivausschusses erklärten sich mit den Empfehlungen einverstanden. Thierron bereitete im Anschluss eine Pressemitteilung vor und bat die EMB -Mitglieder, die Initiative zu streuen und sie mit den entscheidenden Akteuren – den Arbeit­ nehmern, den Transportgewerkschaften, den zuständigen Ministerien, den Herstellern und Reedern – zu diskutieren.153 Die Kommissionsdienststellen beschäftigten sich im Laufe des Jahres 1979 mit dem Abwrack- und Neubauprogramm und prüften dessen Ziele sowie die finanziellen und administrativen Rahmenbedingungen. Ihrer Meinung nach konnte ein solches Programm für die nächsten drei Jahre aufgelegt werden.154 Natürlich blieben sie bei ihrem Standpunkt, dass keine neuen Produktionskapazitäten entstehen dürften. Es müsse vor allem darum gehen, die alten Schiffe aus dem Betrieb zu nehmen. Ihr Vorschlag war, für jeweils zwei abgewrackte Schiffe ein neues zu bauen. Für die Reeder sollte es eine doppelte Prämie geben: eine Abwrackausgleichsprämie, die die Differenz zwischen dem Secondhandpreis und dem für das Abwracken angebotenen Preis abdeckte, und eine Anreizprämie für den Bau neuer Schiffe von maximal 105 US -Dollar pro Bruttoregistertonne. Die Kommission hatte errech-

151 Auszug aus dem Protokoll der EMB -Exekutivsitzung, März 1979, in Brüssel, an Pitz, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, EMB Arbeitsgruppen und Tagungen zur Werftindustrie, 1979–1980, AdsD 5/IGMA100145. 152 Kurzprotokoll der Sitzung der EMB -Arbeitsgruppe »Werftindustrie«, Brüssel, 22. und 23. Februar 1979, 07.03.1979, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204. 153 Bert Thierron: Aktion der Metallgewerkschaften im Bereich des Schiffbaus, an die angeschlossenen Organisationen des EMB , an den IMB , Genf, an Nordiska Metallarbeitarefederationen, Stockholm, an die Teilnehmer der EMB -Tagung »Werftindustrie« vom 22./23. Februar 1979, 06.03.1979; Mitteilung an die Presse, Betreff: Der Schiffbau und der Schutz gegen die Verschmutzung der Meere, Bert Thierron, 21.03.1979, in: ebd. 154 Kurzprotokoll der Sitzung der kleinen Arbeitsgruppe »Schiffbau«: Abwrack- und Neubauprogramm – Brüssel, 5. Juni 1979, 11.06.1979, in: ebd.

Kehrtwende in der europäischen Schiffbaupolitik, 1976–1988

net, dass sich die Kosten für das Programm pro Jahr auf etwa 191 Millionen US -Dollar belaufen würden. Ein Hinweis der Kommission hätte allerdings stutzig machen müssen: In ihren Erläuterungen hieß es, dass die europäische Flotte relativ jung sei und es deshalb problematisch werden könne, die zwei Millionen abzu­wrackender Bruttoregistertonnen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu bekommen. Dafür müsse man auf den Weltmarkt zurückgreifen oder mindestens auf weitere europäische Länder. Das bedeutete also, wenn es in Europa genügend Schiffe gab, die auf dem neuesten technologischen Stand waren, stellte das Programm nur eine künstlich geschaffene Nachfrage dar, die auf dem Rücken außereuropäischer Länder ausgetragen werden sollte. Dass dieser Hinweis bei den Gewerkschaftern keine weiteren Nachfragen hervorrief, zeugt von ihrer blinden Not, europäische Arbeitsplätze sichern zu müssen. Auf einem Treffen über das Für und Wider eines Abwrack- und Neu­ bauprogramms im Juni 1979 fragten die Gewerkschafter, wie wahrscheinlich es sei, dass das Programm in die Tat umgesetzt würde. Die Kommission meinte, die Hersteller würden es begrüßen, die Reeder seien nur im begrenztem Umfang einverstanden und die Regierungen unentschlossen: Gerade Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland und die Niederlande hätten große Vorbehalte. Es würden derzeit mit Vertretern der Mitgliedsstaaten weitere Gespräche geführt. Erst danach werde Kommissar Davignon entscheiden, ob das Programm der Europäischen Kommission und dem Rat vorgelegt werde.155 Die Gewerkschafter drängten auf eine schnelle Entscheidungsfindung. Auch die IG Metall-Vertreter hatten sich mittlerweile mit dem Vorschlag arrangiert.156 Die Kommission legte im September 1979 zwar einen Plan zum Abwrackund Neubauprogramm vor, doch die Sitzungen des Ministerrates und des Europäischen Parlamentes, auf denen das Papier diskutiert werden sollte, standen noch aus. Bei der Diskussion sollte es sich auch nur um eine »Orientierungsdebatte« handeln.157 Noch immer war sich die Kommission unsicher, 155 Ebd. 156 Im Vorfeld des Exekutivkomiteetreffens im März hatte Albert Schunk, ebenfalls ein deutscher Delegierter, das Gespräch mit den Briten gesucht und sich einverstanden erklärt, den Kompromissvorschlag von Thierron und die Grundlinien des Programms zu akzeptieren, siehe Aktennotiz an Karl Pitz, von Albert Schunk, 02.04.1979, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, EMB Arbeitsgruppen und Tagungen zur Werftindustrie, 1979–1980, AdsD 5/IGMA100145. 157 Kurzprotokoll der Sitzung der EMB -Arbeitsgruppe »Werftindustrie«, Brüssel, 22. und 23. Februar 1979, 07.03.1979, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepoli-

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ob ein Finanzierungsprogramm auf gemeinschaftlicher Ebene durchgeführt werden sollte oder es lediglich um die Harmonisierung nationaler Maßnahmen ging. Um den Entscheidungsprozess zu beschleunigen, schlug der EMB -Sekretär Thierron vor, dass die nationalen Mitglieder Kontakt zu ihren Regierungen aufnahmen. Das EMB -Sekretariat wollte bei den ständigen Vertretungen der Mitgliedsstaaten in Brüssel und beim Europäischen Parlament aktiv werden.158 Als die Sitzung des Ministerrates der Europäischen Gemeinschaften näherrückte, forderte Thierron die EMB -Mitglieder nochmals auf, um Unterstützung für das Abwrack- und Neubauprogramm bei den zuständigen Ministern zu werben, da Kommissar Davignon angedeutet hatte, dass die Mitgliedsstaaten relativ gleichgültig reagierten.159 Trotz aller Bemühungen scheiterte die Idee des Abwrack- und Neubau­ programms am Ministerrat. Der Rat konnte sich auf seiner Sitzung am 20. November 1979 nicht einigen, wie die Finanzierungslasten aufzuteilen seien und die Minister plädierten für nationale Lösungen. Sie beauftragten die Kommission, einen Plan für nationale Finanzierungsmöglichkeiten zu erarbeiten.160 Beim Arbeitsgruppentreffen des EMB erwähnte der Kommissionsvertreter die gescheiterten Verhandlungen auf Ministerratsebene mit keinem Wort.161 Für die Gewerkschafter stellte dieses Ergebnis einen ersten Rückschlag in Bezug auf ihre Bemühungen um konstruktive und übergreifende Ideen dar. Letztlich saßen die Regierungen am längeren Hebel und sträubten sich, über den nationalen Tellerrand zu schauen. Im Vergleich zu 1975 hatten die Produktionskapazitäten auf europäischen Werften im Jahr 1980 um fünfzig Prozent abgenommen, ihr Anteil am Weltmarkt lag bei 18 Prozent.162 Es war zu einem hohen Beschäftigungsrückgang gekommen. Einige Länder hatten sich bereits mit den sozialen Folgen auseinandergesetzt. Am weitesten war hier Schweden, wo die nationale Werftgesellschaft Svenska Varv mit Zutik  II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204 158 Ebd. 159 Bert Thierron: Erklärung des EMB zum Schiffbau und zur Schiffsreparatur in Europa, an die Mitgliedsverbände des EMB , an den IMB , Genf, an Nordiska Metallarbetarefederationen, Stockholm, an die Mitglieder der EMB -Arbeitsgruppe »Werftindustrie«, 19.11.1979, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204. 160 Nach Clairmont, S. 396. 161 Kurzprotokoll der Sitzung der EMB -Arbeitsgruppe »Werftindustrie«, Brüssel, 29./30. April 1980, 09.05.1980, in: EMB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1980–1982, Schiffbau, AdsD 5/EMBA080206. 162 Ebd.

Kehrtwende in der europäischen Schiffbaupolitik, 1976–1988

stimmung der Gewerkschaft im Januar 1980 einen Fünfjahresreformplan verabschiedete, in dem die Produktion auf drei Werften konzentriert wurde und die übrigen geschlossen werden sollten.163

c)

Das Programm zum Schutz der Meere

Die Verschmutzung der Meere war schon länger ein Thema für die Schiffbauindustrie. Es bekam eine noch größere Brisanz, als im März 1978 ein Tanker vor der französischen Küste Havarie erlitt und sich das geladene Öl an den Stränden verteilte.164 Die Mitgliedsstaaten waren infolge dieses Ereignisses aufgefordert, sich stärker für die Sicherheit der Schiffe zu engagieren und die IMCO -Konventionen165 sowie die ILO -Konventionen für Seeleute166 zu unterzeichnen.167 163 Mitteilung an die Presse: Sitzung des Europäischen Metallgewerkschaftsbundes (EMB) Arbeitsgruppe »Europäische Werftindustrie«, Brüssel, 29.30. April 1980, 07.05.1980, in: ebd. 164 Kurz darauf hatte der EMB mit einer Pressemitteilung reagiert und auf die unhaltbaren Zustände mancher Öltanker hingewiesen. In der Mitteilung hieß es, es sei nicht sinnvoll, kurzfristig durch psychologische Beruhigungsmaßnahmen zu reagieren, sondern man brauche die Sicherheit der Tanker und die strafrechtliche Verfolgung von Betreibern, die ihre Tanker auf offenem Meer von Ölresten befreiten, und von »Billigflaggen« aus Liberia, Panama und Griechenland, die sich nicht an die Sicherheitsmaßnahmen hielten, siehe Erklärung des EMB zur Tanker-Katastrophe vor der französischen Küste, 20.04.1978, in: ebd. 165 Die damalige Zwischenstaatliche Beratende Seeschiffahrts-Organisation (InterGovern­mental Maritime Consultative Organization, IMCO) stellte eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen dar. Sie hatte 1973 und 1974 zwei Vereinbarungen beschlossen, die sogenannten SOLAS - und MARPOL -Konventionen, die 1978 noch verschärft wurden. Hierbei ging es unter anderem um die Verpflichtung, separate Ballasttanks in Tanker einzubauen und die Ladetanks in ihrer Größe zu beschränken, siehe Forderungskatalog des EMB »Gegen die Verschmutzung der Meere – Maßnahmen im Schiffbau zur Verbesserung der Sicherheit von Tankern«, 01.03.1979, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204. 166 Dieser Verweis bezieht sich vermutlich auf das Übereinkommen 147 zu Mindestnormen auf Handelsschiffen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von 1976. Darin waren Maßnahmen zur Sicherheit der Seeleute an Bord festgehalten, Normen zur Arbeitszeit, Besatzungsstärke und Sicherheit des Lebens, siehe Internationale Arbeitsorganisation. 167 Kurzprotokoll der Sitzung der EMB -Arbeitsgruppe »Werftindustrie«, Brüssel, 22. und 23. Februar 1979, 07.03.1979, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/ EMBA080204.

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Das Thema ging auch an den Gewerkschaftern nicht spurlos vorbei. Zur Vorbereitung einer gemeinsamen Strategie hatte sich die IG Metall mit der ÖTV, die die Interessen der Seeleute vertrat, zusammengesetzt und im November 1978 der EMB -Arbeitsgruppe ein Konzept für die Sicherheit von Schiffen vorgelegt.168 Das Papier mit dem Titel »Gegen die Verschmutzung der Meere« stellte dar, wie Tankerkatastrophen aber auch tägliche Entleerungen von Tankern auf See die Meere mit Öl und Fetten verunreinigten.169 Dieser Vorgang sei durch wirksame Verfahren der Reinigung von Ladetanks nicht mehr nötig, werde aber aus profitwirtschaftlichen Gründen immer noch betrieben, hieß es im Text. Aus Sicht der Gewerkschafter seien bisher nur wenige internationale Schritte unternommen worden, um das Problem zu lösen. Die IMCO -Regeln seien für die Mitgliedsstaaten bislang nicht verbindlich. Da es schwierig sei, in den Küstenregionen alternative Industrien aufzubauen, verspreche ein solches Programm Abhilfe, zumal es einen geringen finanziellen Aufwand bedeute: Die Kosten dieser Massnahmen sind […] gering, weil […] die Kapazitäten für die Produktion dieser Umweltschutzanalagen bereits vorhanden sind. Weltweit sind Werftkapazitäten unausgelastet. Weltweit stehen Arbeitnehmer auf den Werften bereit, dieses zusätzliche Arbeitsvolumen zu bewältigen. […] Nimmt man den Arbeitnehmern auf den Werften ihre Arbeit, so entstehen mit grosser Wahrscheinlichkeit Dauerarbeitslose. Diese müssen von der Gesellschaft finanziert werden. Sorgt man durch internationale Auflagen für zusätzliche Arbeit, so können die Werftarbeiter ihr eigenes Einkommen verdienen. Die Ersparnisse aus der dann überflüssig werdenden Arbeitslosenunterstützung sind den Investitionsaufwendungen gegenüberzustellen, die von den Reedern durchzuführen sind […].170

168 In einem Schreiben an Bert Thierron machte Loderer deutlich, dass das Programm sich sowohl für die europäische als auch die internationale Diskussion eigne und an das Scrap-and-Build-Programm gut anknüpfe, siehe Brief an Bert Thierron, Generalsekretär EMB , Eugen Loderer, 20.11.1978, in: EMB , Industriepolitik II, Schiffbau, Thematischer Handapparat, 1978–1990, AdsD 5/EMBA080260. 169 Forderungskatalog des EMB »Gegen die Verschmutzung der Meere – Maßnahmen im Schiffbau zur Verbesserung der Sicherheit von Tankern«,01.03.1979, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204. 170 Ebd.

Kehrtwende in der europäischen Schiffbaupolitik, 1976–1988

Die EMB -Delegierten erklärten das Papier für ausgezeichnet. Wie schon beim europaweiten Aktionstag wollte man für das Programm ordentlich die Werbetrommel rühren und Ansprechpartner auf nationaler bis globaler Ebene aufmerksam machen.171 Doch ähnlich wie beim Abwrack- und Neubauprogramm stellte sich heraus, dass die Schiffe des europäischen Seeverkehrs bereits nach IMCO -Normen gebaut wurden und es keiner zusätzlichen Regelungen bedurfte. Auch hier richtete sich der Blick auf die Situation außerhalb Europas, denn das Problem stellten laut Papier die sogenannten Billigflaggen in Ländern des globalen Südens dar. Die Idee war, deren Zugang zum europäischen Markt durch die IMCO -Regeln zu beschränken, indem ihnen verboten werden sollte, die europäischen Häfen anzulaufen.172 So war sowohl das Abwrack- und Neubauprogramm als auch das Programm zum Schutz der Meere eine Art Mogelpackung, die die globale Konkurrenz durch Regeln in ihre Schranken weisen sollte, um den europäischen Markt zu stärken. Auch für diesen Vorschlag hatte der EMB Unterstützer in der Kommission.173 Im Laufe des Jahres 1980 entwarfen die Kommissionsmitglieder einen Plan, der am Ende dem Rat vorgelegt werden sollte.174 Sie schlugen ein ma171 Kurzprotokoll der Sitzung der EMB -Arbeitsgruppe »Werftindustrie«, Brüssel, 22. und 23. Februar 1979, 07.03.1979, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/ EMBA080204. 172 Bert Thierron: Anlage Kurzprotokoll der Sitzung der EMB -Arbeitsgruppe »Werftindustrie«, Brüssel, 3. und 4. Oktober 1979, im Brief, Betreff: Schiffbau, an die angeschlossenen Organisationen des EMB , an den IMB , Genf, an Nordiska Metallarbeitarefederationen, Stockholm, Zur Information an die Mitglieder der EMB -Arbeitsgruppe »Werftindustrie«, 19.10.1979, in: ebd. 173 Das war nicht verwunderlich. Bereits 1969 hatte Kommissar Spinelli seinem Generaldirektor Robert Toulemon den Bereich Umwelt übergeben und wollte neben der wirtschaftlichen Ausrichtung Umweltaspekte in der EWG stärken. Das Engagement kann auf Initiativen dieser Zeit zurückgeführt werden, in der Veröffentlichungen wie des Club of Rome in der Gesellschaft für Aufmerksamkeit sorgten, siehe Bussière, S. 501 f. Spinelli war ein Vertreter der Idee vom »supranationalen Europa« und befürwortete den Ausbau der Befugnisse des europäischen Parlaments. Er hatte kurz nach Übernahme seines Amtes im Juni 1970 eine Analyse über die Handlungsfelder der Kommission unternommen und bis 1972 angeregt, sich konkreter Gedanken über eine gemeinschaftliche Industriepolitik zu machen. Auf einer Konferenz unter dem Titel »Industrie und Gesellschaft in der Europäischen Gemeinschaft« im April 1972 hieß es: »Eine solche Konzipierung erfordert eine Debatte, einen Konsens sowie eine umfassendere politische Mobilisierung.«, Bussière, S. 501. 174 Bert Thierron: Gemeinschaftliche Initiativen im Bereich des Schiffbaus, an die EMB Mitgliedsverbände, an den IMB , Genf, an Nordiska Metallarbetarefederationen Stock-

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ritimes Informationssystem vor mit einem Verzeichnis der Mittel zur Bekämpfung der Ölverschmutzung und einem Register der Tankschiffe mit den begangenen Übertretungen. Dieses Mal fand der Vorschlag auch bei der IG Metall Unterstützung. Das war angesichts der Rolle, die die IG Metall bei der Entstehung des Vorschlags gespielt hatte, auch nicht verwunderlich. Als Thierron die Mitglieder aufrief, bei den nationalen Regierungen vorstellig zu werden und sie positiv zu be­einflussen, weigerte sich Pitz nicht und bereitete für Eugen Loderer einen Brief an den Verkehrsminister vor: Sehr geehrter Herr Minister, […] Angesichts der ungelösten Probleme der Meeresverschmutzung halten wir die neuen Initiativen der Europäischen Kommission für außerordentlich wichtig. Wir verhehlen dabei nicht, daß wir als positiven Nebenaspekt solcher Sicherheitsvorschläge die damit zusammenhängenden Beschäftigungswirkungen sehen. […] Wegen dieser optimalen Kombination von Umweltschutz und zusätzlichem Beschäftigungsvolumen gestatte ich mir, Ihre Aufmerksamkeit noch einmal auf unsere Forderungen zu lenken. Die jetzt von der Europäischen Kommission unterbreiteten Vorschläge […] bleiben zwar beträchtlich hinter unseren Forderungen zurück, stellen jedoch trotzdem einen Schritt nach vorne dar. Daher wären wir Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, wenn Sie sich entschließen könnten, dieses Vorgehen der Europäischen Kommission zu unterstützen. Wir würden es darüber hinaus begrüßen, wenn die Bundesregierung in Zukunft einen noch aufgeschlosseneren Standpunkt in den internationalen Verhandlungen zu dieser Materie einnehmen könnte.175 Den letzten Satz strich Loderer aus dem Schreiben. Die Bundesregierung zu mehr internationalem Engagement zu ermutigen, ging ihm dann doch einen

holm, an den Montanausschuss, Luxemburg, Zur Information an die Mitglieder der EMB -Arbeitsgruppe »Werftindustrie«, 19.09.1980, in: EMB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1980–1982, Schiffbau, AdsD 5/ EMBA080206. 175 Entwurf von Karl Pitz: Brief an Bundesminister für Verkehr, Dr. Volker Hauff, Betreff: Rat der Verkehrsminister, Sicherheit im Sehverkehr und Verhütung von Meeres­ verschmutzung, 28.11.1980, in: IG Metall Vorstand, Abteilung Wirtschaft, EMB Arbeitsgruppe Schiffbau und Schiffsreparatur, 1980–1982, AdsD: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, EMB -Arbeitsgruppen und Tagungen zur Werftindustrie, 1980–1982, AdsD 5/IGMA100144.

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Schritt zu weit. Und auch vom Vorgehen war er nicht restlos überzeugt. An den Rand des Entwurfes schrieb er »das kommt doch zu spät«,176 übergab das Papier aber trotzdem bei einem Treffen an den Verkehrsminister.177 Am 12. Mai 1981 versandte Hubert Thierron einen alarmierenden Brief an die EMB -Mitglieder, den IMB und die skandinavischen Gewerkschafter, in dem er berichtete, dass das Unterfangen zur Bekämpfung der Verschmutzung der Meere in Gefahr sei.178 Er schrieb, dass der Rat der Verkehrsminister, der am 18. Juni 1981 tagen werde, den Vorschlag der Richtlinie nicht annehmen würde, wie dies vor einigen Monaten geplant war. Er werde stattdessen eine Absichtserklärung abgeben und die Probleme, die die Sicherheit und die Normen betreffen, zur Prüfung an die Konferenz von Den Haag zurückweisen.179 Thierron lobte zwar, dass der Vorschlag eine Erweiterung des Anwendungsbereiches auf die EFTA-Länder180 erfuhr, sorgte sich aber, dass das Verfahren damit verschoben sei und nur auf eine Empfehlung hinauslaufen könne und nicht auf eine bindende Richtlinie. Mit Sorge schrieb er an die Kollegen: »Wir erinnern daran, dass von den vier Vorschlägen im Bereich des Schiffbaus, die von den EMB -Mitgliedsverbänden bei der Kommission und dem Rat vertreten wurden, dieser Vorschlag der einzige war, der kurz

176 Ebd. 177 Wie aus einer Aktennotiz von Pitz hervorgeht, siehe Karl Pitz: Aktennotiz an E ­ ugen Loderer, Europäische Schiffbaupolitik, 20.03.1981 sowie einem Schreiben an Bert Thierron (das ursprünglich auch von Pitz stammte), Eugen Loderer: Brief an Bert Thierron, EMB , Betreff: Rat der Verkehrsminister zu Fragen der Sicherheit der Schiffe und Meeresverschmutzung, Brief des EMB vom 20. November 1980, 20.03.1981, in: ebd. 178 Bert Thierron: Vorschlag einer Richtlinie des Rates betreffend die Durchsetzung von internationalen Normen für die Sicherheit im Seeverkehr und die Verhütung von Meeresverschmutzung in Bezug auf den Schiffsverkehr in den Häfen der Gemeinschaft, an die EMB -Mitgliedsverbände, an den IMB , Genf, an Nordiska Metallarbetarefederationen Stockholm, an den Montanausschuss, Luxemburg, an die Mitglieder der EMB -Arbeitsgruppe »Schiffbau und Schiffsreparatur«, 12.05.1981, in: EMB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1980–1982, Schiffbau, AdsD 5/EMBA080206. 179 »Die Konferenz von Den Haag wurde Ende 1980 auf Veranlassung der französischen Regierung, sehr wahrscheinlich aus wahlpolitischen Gründen, eingesetzt. Diese Konferenz umfasst neben den EG -Mitgliedsländern auch die skandinavischen Länder.«, in: ebd. 180 Die Abkürzung steht für European Free Trade Association (Europäische Freihandelszone). Der 1960 gegründeten Organisation gehörten zum Zeitpunkt ihrer Gründung Dänemark, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, die Schweiz und das Groß­ britannien an.

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vor der Realisierung stand.«181 Demzufolge bat er die Mitglieder, bei den nationalen Ministerien vorstellig zu werden und um Unterstützung zu bitten. In einer Erklärung stellte er die Notwendigkeit einer schnellen Umsetzung für Umweltschutz und Arbeitsplätze im Schiffbau heraus und forderte den Rat auf, den Vorschlag der Kommission anzunehmen.182 Kurz darauf traf erneut ein Brief von Thierron bei den Gewerkschaftsmitgliedern ein, in dem er vermeldete: […] die Europäische Konferenz über die Sicherheit im Seeverkehr, die am 26. Januar 1982 in Paris zusammentrat, stimmt einem Übereinkommen über die wichtigsten Aspekte der Sicherheit der Schiffe zu: die Kontrolle über die effektive Anwendung der geltenden internationalen Regelungen und Normen durch den jeweiligen Staat des angelaufenen Hafens.183 Das Programm zum Schutz der Meere war also erstmals ein Erfolg für den EMB und die europäische Schiffbauindustrie, wenn auch nur in Teilen: Man hatte sich für ein Memorandum entschieden. Wie Thierron befürchtet hatte, war das kein bindendes Instrument, sondern lediglich eine Schlusserklärung mit »moralischer Verpflichtung« und empfehlendem Charakter. Die Regelung galt für die Mitgliedsstaaten der EG und zusätzlich für Finnland, Schweden, Norwegen, Spanien und Portugal. Es wurde ein Überwachungsausschuss geschaffen, der ab dem zweiten Halbjahr 1982 die Anwendung des Memorandums kontrollieren sollte, das am 1. Juli 1982 in Kraft trat. Darin war festgehalten, dass ein Viertel aller einlaufenden ausländischen Schiffe durch die Hafenbehörden auf ihre Sicherheit überprüft werden sollte. Die Kontrolle beinhaltete die Anwendung der internationalen IMCO -Maß181 Bert Thierron: Vorschlag einer Richtlinie des Rates betreffend die Durchsetzung von internationalen Normen für die Sicherheit im Seeverkehr und die Verhütung von Meeresverschmutzung in Bezug auf den Schiffsverkehr in den Häfen der Gemeinschaft, an die EMB -Mitgliedsverbände, an den IMB , Genf, an Nordiska Metallarbetarefederationen Stockholm, an den Montanausschuss, Luxemburg, an die Mitglieder der EMB -Arbeitsgruppe »Schiffbau und Schiffsreparatur«, 12.05.1981, in: EMB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1980–1982, Schiffbau, AdsD 5/EMBA080206. 182 Mitteilung an die Presse, 05.06.1981, in: ebd. 183 Bert Thierron: Ergebnisse der regionalen Ministerkonferenz über die Sicherheit im Seeverkehr vom 26. Januar 1982 in Paris (Haager Konferenz) an die EMB -Mitgliedsverbände, an den IMB , Genf, an Nordiska Metallarbetarefederationen Stockholm, an den Montanausschuss, Luxemburg, an die Mitglieder der EMB -Arbeitsgruppe »Schiffbau und Schiffsreparatur«, 02.02.1982, in: ebd.

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nahmen (die Sicherheit der Schiffe und Maßnahmen gegen die Meeres­ verschmutzung) und der ILO -Maßnahmen (dem Schutz der Seeleute), auch der Schiffe, deren Heimatstaat diese Konventionen nicht ratifiziert hatte. Wie vorgeschlagen sollte es ein Informationsaustauschsystem geben, das die überprüften Schiffe registrierte. Als Konsequenz konnte das Schiff, das den vorgeschrieben Normen nicht entsprach, im Hafen festgehalten werden, bis die Fehler beseitigt waren. Thierron zeigte sich mit dem Teilerfolg zufrieden und meinte, man wolle die erste Sitzung des Überwachungsausschusses abwarten, bevor man sich für weitere Maßnahmen entschied. Sichtlich erleichtert schloss er sein Schreiben mit den Worten: Wir danken an dieser Stelle allen unseren Mitgliedsverbänden, sowie den Mitgliedern der EMB -Arbeitsgruppe »Schiffbau und Schiffsreparatur« für ihre Interventionen, die sie in den letzten drei Jahren bei ihren jeweiligen Regierungen vorgenommen haben, um unseren Forderungen im Bereich der Sicherheit im Seeverkehr zu einem Durchbruch zu verhelfen.184 Die Umsetzung war eine recht langwierige Angelegenheit. Auf dem Arbeitsgruppentreffen im September 1982, über ein halbes Jahr später, war weder der Kommission noch dem EMB etwas zum Erfolg der Kontrollen bekannt.185 Man konnte sich nur damit trösten, dass im Oktober ein Verkehrsausschuss tagen würde, auf dem auch zur Umsetzung des Memorandums Stellung genommen werden sollte. Würde sich herausstellen, dass es keinerlei Fortschritte in der Angelegenheit gebe, warnte Thierron, wolle man mit den Transportgewerkschaften zusammenarbeiten und sich für eine gemeinschaftliche Richtlinie einsetzen.186 Kurz nach dem Treffen des Verkehrsausschusses informierte Leif Jensen, der stellvertretende Generalsekretär des EMB, die Mitglieder der Schiff­ baugruppe über die Umsetzung des Programms. Er berichtete, dass der Überwachungsausschuss die ersten Monate unter widrigen Umständen hatte arbeiten müssen. Das Memorandum war während der Ferienzeit in Kraft ge184 Ebd. 185 Kurzprotokoll der Sitzung der EMB -Arbeitsgruppe »Schiffbau und Schiffsreparatur«, Brüssel, 27. und 28. September 1982, 22. Oktober 192, in: EMB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB, 1980–1982, Schiffbau, AdsD 5/EMBA080206. 186 Ebd.

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treten und viele Inspektoren seien im Urlaub gewesen oder das für die Kontrolle erforderliche zusätzliche Personal sei noch nicht eingestellt worden. Dennoch konnte er berichten, dass während der drei Monate 1.642 ausländische Schiffe kontrolliert worden seien. Bei 63 Schiffen seien schwere Mängel festgestellt worden, weshalb man sie festhielt.187 So konnte der EMB doch noch einen Erfolg vermelden: Es war ihm gelungen, ein Programm auf die Agenda der Kommission zu bringen, das sogar über die EWG -Ebene hinaus Anwendung fand. Wenn auch nicht mit verpflichtendem Charakter, so waren doch Instrumentarien geschaffen worden, die die Einhaltung kontrollierten.

d) Soziale Begleitmaßnahmen aus dem Europäischen Sozialfonds

Angesichts der steigenden Arbeitslosenzahlen in den Küstenregionen war es dem EMB zunehmend wichtig, dass eine Entscheidung zum Europäischen Sozialfonds getroffen wurde. Eine der größeren Herausforderungen war deshalb, die dafür zuständige Generaldirektion Beschäftigung und soziale Angelegenheiten für sich gewinnen zu können. Im April 1980 hatte es noch geheißen, dass der Europäische Sozialfonds für Maßnahmen der sozialen Sicherheit nicht gedacht sei.188 Nun hatte die Direktion ein Dokument erarbeitet, das als Vorschlag einer Verordnung an den Rat gehen sollte. Konkret hieß es, dass Beihilfen des Europäischen Sozialfonds zur Sicherung des Einkommens älterer Arbeitnehmer im Schiffbau, die vorzeitig in den Ruhestand gingen, zur Verfügung gestellt werden sollten. Wie ein Mitarbeiter der Direktion auf einem Arbeitsgruppentreffen mit dem EMB erläuterte, waren etwa 2.000 bis 3.000 Personen betroffen und es ging um eine Fördersumme von elf Millionen ERE .189 Doch wie schon fast zu erwarten war, stieß der EMB auch hier auf Widerstände. In einem Brief unterrichtete der stellvertretende Generalsekretär des EMB Hans Fluger die Mitgliedsverbände über die Entwicklung der Verhandlungen:

187 Leif Jensen: Staatliche Hafenkontrollen durch die integrale Anwendung der internationalen Regeln und Normen, an die Teilnehmer an der Sitzung der EMB -Arbeitsgruppe »Schiffbau und Schiffsreparatur«, Brüssel, 27./28.9.1982, 22.10.1982, in: ebd. 188 Kurzprotokoll der Sitzung der EMB -Arbeitsgruppe »Werftindustrie«, Brüssel, 29./30. April 1980, 09.05.1980, in: ebd. 189 Kurzprotokoll der Sitzung der EMB -Arbeitsgruppe »Werftindustrie«, Brüssel, 12. und 13. November 1980, 20.11.1980, in: ebd.

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Herr Vredeling teilte uns nunmehr mit, dass seine Initiative […] auf den Widerstand anderer Kommissare stösst, die den gewerkschaftlichen Interessen alles andere als aufgeschlossen gegenüberstehen. Darüber hinaus stösst jede Anregung für eine Änderung der Ausgabenpolitik in der Regel auf taube Ohren.190 Das Projekt fand also nicht einmal Unterstützung innerhalb der Kommission. Um den Druck zu erhöhen, schlug Vredeling vor, dass die jeweiligen nationalen Gewerkschaften Kontakt mit den Kommissaren ihrer Staaten aufnahmen: »Da viel von der internen Reaktion der Kommissare abhängt, die diese Massnahme am 23. Juli 1980 beraten werden, schlagen wir vor, dass die nachstehend angeführten Mitgliedsorganisationen in diesem Sinn direkt bei dem jeweiligen Kommissar ihres Landes intervenieren.«191 Die Idee war, dass ein nationaler Delegierter einen Kommissar derselben Nationalität auf europäischer Ebene ansprechen sollte. So sollten die Briten Präsident Roy Jenkins kontaktieren, die Deutschen Vizepräsident Wilhelm Haferkamp (Auswärtige Beziehungen), die Dänen den Vizepräsidenten Finn Olav ­Gundelach (Landwirtschaft), die Franzosen Kommissar Claude Cheysson (Entwicklung) und die Italiener Kommissar Antonio Giolitti (Koordinierung des Gemeinschaftsfonds und Regionalpolitik). Wie wurde dieses Vorgehen aus Perspektive der Mitglieder interpretiert? Noch immer war Karl Pitz für die IG Metall Berichterstatter über die Ereignisse in Brüssel. Er war zwar nicht mehr bei allen EMB -Arbeitsgruppen zum Schiffbau dabei, gab aber seine Einschätzung an Eugen Loderer weiter, bevor dieser zum EMB -Exekutivausschuss nach Brüssel fuhr und über die Schiffbauprogramme abstimmen musste. Pitz beschwerte sich über die vom EMB erarbeiteten Vorlagen. Sie böten keine gute Diskussionsgrundlage, und er wunderte sich, dass im Vorfeld der Exekutivkomiteesitzung kein Arbeitsgruppentreffen anberaumt worden war.192 Dann kam Pitz auf den umstrittenen Punkt des Europäischen Sozialfonds zu sprechen:

190 Hans Fluger: Intervention bei der EG -Kommission im Zusammenhang mit der Öffnung des Europäischen Sozialfonds für den Schiffbau-Sektor, 15.07.1980, in: ebd. 191 Ebd. 192 Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, Betreff: EMB -Exekutivausschß am 21./22. Oktober 1980 Tagesordnungspunkt: Schiffbau, 10.10.1980, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, EMB -Arbeitsgruppen und Tagungen zur Werftindustrie, 1980–1982, AdsD 5/IGMA100144.

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Im Arbeitsministerium in Bonn wird eine skeptische Haltung gegenüber diesem Vorschlag eingenommen. Das Argument lautet, daß bei angespannter Finanzlage alle Mittel auf eine Verbesserung des Arbeitsmarktes gerichtet werden müssen. Es sei nicht die Aufgabe des Sozialfonds, Leistungen anstelle der Arbeitsverwaltung zu erbringen. Würde man dieser Regelung im Schiffbau zustimmen, würde dieses Beispiel vermutlich Schule machen.193 Mehr sagte Pitz dazu nicht. Er überließ es Loderer, wie er in diesem Punkt beim EMB abstimmen sollte, stellte aber klar, dass die deutsche Regierung kein Fürsprecher dieser Initiative war. Deshalb lehnte er es auch ab, beim deutschen Vizepräsidenten vorstellig zu werden. Ähnlich wie schon ein paar Jahre zuvor schrieb er: Abgesehen davon, daß dieses Instrument der direkten Intervention auf nationaler Ebene m. E. nur in besonders wichtigen Fällen genutzt werden sollte, da für diese Aufgabe der EMB gegründet wurde, würde ich im vorliegenden Fall vorschlagen, die Diskussion im Exekutivausschuß abzuwarten. Vielleicht wird dann genauer sichtbar, ob Interventionen überhaupt ratsam sind.194 Während sich Thierron um eine möglichst große Aufmerksamkeit bemühte, war die Reaktion einiger nationaler Gewerkschaftsdelegierter also eher verhalten. Ob diese Differenzen offen im EMB ausgetragen wurden, kann ich nicht beurteilen. Aber Thierron wusste sicherlich um solche Meinungen unter den Mitgliedsverbänden, wenn die Antworten ausblieben. Dennoch versuchte er, die Initiativen im Rahmen seiner Möglichkeiten voranzutreiben. Es bleibt aber zu fragen, ob er seinem eigenen Einfluss und dem des EMB nicht genug zutraute, wenn er sich von der Vernetzung nationaler Kollegen mehr Erfolg erhoffte. Vielleicht versprach er sich von einer zweigleisigen Strategie einen doppelten Effekt, denn er hörte auch nicht auf, bei den europäischen Institutionen vorstellig zu werden. So schrieb er im Vorfeld der Abstimmung über den Europäischen Sozialfonds im Rat einen Brief an den Wirtschaftsund Sozialausschuss, in dem er sich für die Notwendigkeit einer solchen Ini­ tiative aussprach: 193 Ebd. 194 Ebd.

Kehrtwende in der europäischen Schiffbaupolitik, 1976–1988

[Wir] vertreten […] die Auffassung, dass die Gemeinschaft ihre Verantwortung bei der Korrektur der negativen sozialen Auswirkungen […] übernehmen muß; die vorgezogenen bzw. flexible Versetzung in den Ruhestand trägt zu einer Entlastung des Arbeitsmarktes bei; eine derartige Beihilfe trägt dazu bei, die Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer allgemein zu fördern. […] Um diesem Vorschlag der Verordnung […] eine Chance auf der Ebene des Rates zu geben, ist es äußerst wichtig, dass die diesbezüglichen Stellungnahmen des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Europäischen Parlaments positiv ausfallen. Ich bitte Euch daher im Namen des EMB, die Vorschläge Eures Berichterstatters, Kollegen Antoine Laval, insgesamt zu unterstützen.195 Beim Wirtschafts- und Sozialausschuss stieß Thierron auf offene Ohren. Doch wie sich schon bei den Gesprächen auf dem EMB -Arbeitstreffen Anfang November abgezeichnet hatte, war der Vorschlag beim Rat nicht durchzubringen. Die in den Mitgliedsstaaten eingeführten Haushaltssparprogramme erschwerten eine positive Entscheidung zur Erweiterung des Europäischen Sozialfonds. Im Jahr 1980 waren fünf Millionen ERE vorgesehen, die nicht übertragbar waren, für 1981 wurde der Gemeinschaftshaushalt gestrichen. Der EMB verlangte, dass man die Verantwortung für die negativen Auswirkungen der Umstrukturierungsmaßnahmen übernehmen müsse und wollte nach der Arbeitsgruppensitzung noch einmal Druck auf die nationalen Regierungen ausüben. Viel versprach man sich nicht mehr davon, aber man wollte wenigstens ein Zeichen setzen: Wenn auch kaum Chancen dafür bestehen, dass dieser Vorschlag einer Verordnung vom Rat gebilligt wird, ist es doch sehr wichtig aufzuzeigen, dass wir eine gemeinschaftliche Sozialpolitik für die Sektoren fordern […]. Es geht hier um einen Grundsatz und es müssen Präzedenzfälle geschaffen werden.196 195 Bert Thierron: Vorschlag für die Verordnung (EWG) des Rates zur Einführung einer Beihilfe des Europäischen Sozialfonds zur Sicherung des Einkommens der Arbeitnehmer im Schiffbau, an die Mitglieder der Gruppe II der Fachgruppe »Soziale Angelegenheiten« des Wirtschafts- und Sozialausschusses, an Kollegen F. Staedelin, EGB , 06.11.1980, in: EMB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1980–1982, Schiffbau, AdsD 5/EMBA080206. 196 Kurzprotokoll der Sitzung der EMB -Arbeitsgruppe »Werftindustrie«, Brüssel, 12. und 13. November 1980, 20.11.1980, in: EMB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1980–1982, Schiffbau, AdsD 5/EMBA080206.

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Tab. 9: Übersicht der Treffen zur Schiffbauindustrie im EMB (1978–1982) Titel

Datum

Zusammensetzung

Thema / Tagesordnung

EMB -Arbeits­

31.10.1978

Gewerkschaftsdelegierte des EMB, EMB -Sekretariat, IMB, Vertreter Kommission GD V

Aktualisierung der Untersuchung der Löhne / Gehälter, Arbeits­ bedingungen in der europäischen Werftindustrie, Untersuchung des Baus von Schiffsmotoren in Europa, Meinungsaustausch über Abwrack- und Neubauprogramm, Beratung der konkreten Möglichkeiten für eine gemeinsame Aktion in den verschiedenen europäischen Werften

EMB-Arbeits­ gruppe Werftindustrie

22.–23.02.1979

Gewerkschaftsdelegierte des EMB, EMB -Sekretariat, IMB, Vertreter Kommission GD III, V, VII, Büro der Sozialpartner

Beratung mit den Vertretern der Europäischen Kommission über gemeinschaftliche Schiffbaupolitik, Bilanz des Aktions- und Informationstages Werftindustrie vom 15.12.1978, Beratung des von der IG Metall vorgelegten Forderungskatalogs »Gegen die Verschmutzung der Meere«, Beratung des von den britischen Gewerkschaften vorgelegten Dokuments »Abwracken und Neubau«

Kleine Arbeitsgruppe Schiffbau: Abwrackund Neubau­ programm

05.06.1979

Gewerkschaftsdelegierte des EMB, EMB -Sekretariat, IMB, Vertreter Kommission GD III, V, VII, Gewerkschaftlicher Verkehrsausschuss

Interne Sitzung der kleinen Arbeitsgruppe EMB u. Gewerkschaftlicher Verkehrsausschuss der EG (Seeleute), Diskussion des Vorschlags »Abwracken und Neubau«

EMB-Arbeits­ gruppe Werftindustrie

3.–4.10.1979

Gewerkschaftsdelegierte des EMB, EMB -Sekretariat, Vertreter Kommission GD III, V, Gewerkschaftlicher Verkehrsausschuss

Bilanz zur Lage im Schiffbau, Prüfung der wirtschaftlichen und industriellen Maßnahmen auf nationaler Ebene, Prüfung der vorgeschlagenen Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene (Sicherheit der Schiffe, Abwrack- und Neubauprogramm, Diversifizierung der Werften)

gruppe für die Aktualisierung der Untersuchung der Löhne / Gehälter u. die Arbeits­ bedingungen in der europäischen Werftindustrie

Kehrtwende in der europäischen Schiffbaupolitik, 1976–1988

Titel

Datum

Zusammensetzung

Thema / Tagesordnung

EMB-Arbeits­ gruppe Werftindustrie

29.–30.04.1980

Gewerkschaftsdelegierte des EMB, EMB -Sekretariat, Vertreter Kommission GD III, V

Bericht über die Lage im Schiffbau und Schiffsreparatur, Bericht der Vertreter der Kommission über Abwrack- und Neubauprogramm und über Ausarbeitung gemeinschaftlicher sozialer Begleitmaßnahmen, Prüfung der gemeinsamen Schritte und Forderungen, die auf nationaler und gemeinschaftlicher Ebene vertreten werden sollen

EMB-Arbeits­ gruppe Werftindustrie

12.–13.11.1980

Gewerkschaftsdelegierte des EMB, EMB -Sekretariat, Vertreter Kommission GD III, IV, V

Bericht der angeschlossenen Organisationen über kurz- und mittelfristige Produktionsund Beschäftigungslagen im Schiffbau und Schiffsreparatur, Beratung über Beschlussvorlagen, Entwürfe, Richtlinien und Verordnungen, die die Kommission gebilligt hat (Bekämpfung der Ölverschmutzung der Meere, Beihilfe des Europäischen Sozialfonds zur Sicherung des Einkommens der Arbeitnehmer bei vorzeitigem Ruhestand, fünfte Richtlinie der Beihilfen für Schiffbau)

EMB-Arbeits­ gruppe Schiffbau und Schiffsreparatur

14.04.1981

Gewerkschaftsdelegierte des EMB, EMB -Sekretariat, Vertreter Kommission GD III, IV, V

Bestandsaufnahme kurz- und mittelfristige Beschäftigungssituation, Stand der gemeinschaftlichen Projekte im Schiffbau, Arbeitsbedingungen auf den treibenden Bohrinseln in der Nordsee (Antrag von Norsk Jern-og Metallarbeiderforbund), Gewerkschaftliche Analyse der Angriffe der Arbeitgeber auf den sozialen Status der Arbeitnehmer (Leiharbeit, Zulieferbetriebe, Teilzeitarbeit) für eine gewerkschaftliche Stellungnahme

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Titel

Datum

Zusammensetzung

Thema / Tagesordnung

EMB-Arbeits­ gruppe Schiffbau und Schiffsreparatur

27.–28.10.1981

Gewerkschaftsdelegierte des EMB, EMB -Sekretariat, Vertreter Kommission GD III, V

Prüfung der Lage und Aussichten im Schiffbau und Reparatur sowie die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Politik, Fortsetzung der Beratung über den sozialen Status der Arbeitnehmer auf den Werften und Bohrinseln für gemeinsame gewerkschaftliche Stellungnahme, Meinungsaustausch über Erfahrungen im Bereich Arbeitsorganisation, Produktionsdiversifizierung, Forschung und Entwicklung

EMB-Arbeits­ gruppe Schiffbau und Schiffsreparatur

27.–28.09.1982

Gewerkschaftsdelegierte des EMB, EMB -Sekretariat, Vertreter Kommission GD III, IV, V

Prüfung der Lage und Aussichten im Schiffbau und Reparatur, Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit im Seeverkehr, Finanzielle Probleme des Sektors, staatliche Beihilfen, 6. Richtlinie über Beihilfen, Künftige Politik und Vorhaben der EG im Schiffbaubereich, Fortsetzung der Diskussion über Arbeits­ organisation, Diversifizierung usw.

Trotz der Lobbyarbeit lehnte der Rat am 27. November 1980 die Vorschläge zur Ausweitung des Sozialfonds auf die Frühverrentung von Arbeitnehmern im Schiffbau ab und blieb bei der Haltung, dass der Fonds nicht zur Finanzierung sozialer Sicherungssysteme genutzt werden dürfe.197 Die meisten Länder beklagten ab 1981 massiven Stellenabbau und Entlas­ sungen. In ihrer Not begannen die Arbeiter zu streiken, gemeinsame und solidarische Aktionen gab es allerdings nicht. Es wurden auch keine anderen Möglichkeiten der gegenseitigen Unterstützung diskutiert oder vorgeschlagen.198 197 Clairmont, S. 399. 198 Kurzprotokoll der Sitzung der EMB -Arbeitsgruppe »Schiffbau und Schiffsreparatur«, Brüssel, 27. und 28. September 1982, 22. Oktober 192, in: EMB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1980–1982, Schiffbau, AdsD 5/EMBA080206.

Kehrtwende in der europäischen Schiffbaupolitik, 1976–1988

Als Notanker blieben nur die Beihilfen, die nun wieder aufgestockt wurden.199 Am 26. Oktober 1982 beschloss die Kommission, dem Rat eine Empfehlung für die dreijährige Verlängerung der fünften Richtlinie über Beihilfen auszusprechen.200 Auch die Gewerkschafter standen diesen Maßnahmen angesichts der desolaten Situation in den Schiffbauregionen nicht mehr kritisch gegenüber. Die EMB -Delegierten stimmten zu, dass in der Vielfalt eine gewisse Unübersichtlichkeit und Intransparenz vorherrsche, warnten aber davor, die Beihilfen generell zu beschränken, denn der Schiffbau sei ohne Subventionen verloren.201 Auch die Einstellung zu Japan hatte sich im Vergleich zum Anfang der Auseinandersetzungen verändert.202 So hieß es auf einem Arbeitsgruppentreffen des EMB:

199 Der Kommissar für Gewerbliche Wirtschaft und Technologie schlug beispielsweise vor, neue Beihilfen an die Reeder zu bewilligen. Zu den weiteren Subventionsformen zählten: Schutz der einzelstaatlichen Märkte (Zollgebühren, Importbeschränkungen, öffentliche Aufträge), Steuervergünstigungen, direkte Beihilfen, Investitionsfinanzierungen, Forschung und an­dere Werftaktivitäten für staatliche Übernahmen, staatliche Beteiligung und Ausfuhrkrediterleichterungen bis zu Reederbeihilfen, siehe Kurzprotokoll der Sitzung der EMB -Arbeitsgruppe »Schiffbau und Schiffsreparatur«, Brüssel, 27./28. Oktober 1981, in: EMB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1980–1982, Schiffbau, AdsD 5/EMBA080206. 200 Leif Jensen: Berichte der Kommission und weitere Informationen zum SchiffbauSektor an die EMB -Mitgliedsverbände, an den IMB , Genf, an Nordiska Metallar­ betarefederationen Stockholm, an den Montanausschuss, Luxemburg, Zur Information: an die Mitglieder der EMB -Arbeitsgruppe »Schiffbau und Schiffsreparatur«, 15.11.1982, in: ebd. 201 Pitz wagte 1982 noch einmal einen Vorstoß, eine Übersicht über alle Subventionen in der EWG zu erfassen, um sie besser kontrollieren zu können. Ein halbes Jahr später stimmten die Delegierten Pitz zu: Es sei gut einen Überblick über die Subventionen zu haben. Aber wer solle die Daten erfassen? Es sei sowohl für die Mitgliedsverbände als auch das EMB -Sekretariat unmöglich, eine derartige Untersuchung umzusetzen, da die Informationen nicht zugänglich oder nicht zuverlässig seien. Sie zogen die Europäische Kommission in Betracht, die die  – oft vertraulichen  – Informationen von den Regierungen beziehen könnte. Doch auch das Kommissionsmitglied Reuter, aus der Generaldirektion »Wettbewerb«, war da skeptisch. Die Subventionen seien eine Art Dschungel, in dem eine Übersicht extrem schwierig sei, siehe Kurzprotokoll der Sitzung der EMB -Arbeitsgruppe »Schiffbau und Schiffsreparatur«, Brüssel, 27. und 28. September 1982, in: ebd. 202 Ab 1982 wurde auch über die Konkurrenz koreanischer und brasilianischer Werften diskutiert. Auf Grund dieser neuindustrialisierenden Länder, hieß es im Protokoll eines Arbeitsgruppentreffens, sei der Weltmarktanteil der westeuropäischen Werften von 37,5 Prozent im Jahr 1976 auf 32,2 Prozent 1981 gesunken. Hier sei ein Vorgehen über die OECD allerdings zwecklos, da Korea nicht Mitglied sei, siehe ebd.

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Da die EG -Länder die Ergreifung von drakonischen Massnahmen […] ablehnen […], muss ein psychologischer Druck auf die Japaner ausgeübt werden […], um sie dazu zu bringen, die OECD -Absprachen einzuhalten (eine ausgeglichene Auftragsverteilung ist für die europäischen Hersteller lebenswichtig).203 Im Jahr 1988 wurden endlich auch die Forderungen nach einem Sozial­ programm für die Küstenregionen umgesetzt. Mit der sechsten Richtlinie verabschiedete der Rat im Juli 1988 erstmals Beihilfen für »freigesetzte Arbeitnehmer«, Umschulungen und Strukturverbesserungen.204

4.4 Zusammenfassung Die europäischen Gewerkschafter erkannten die Probleme der Schiffbauindustrie von Anfang an. Schon Mitte der 1960er Jahre erklärten sie, dass Japan technologischen Vorsprung habe, der nur mit tiefgreifenden Umstrukturierungen im europäischen Schiffbau aufzuholen sei. Ihnen war bewusst, dass Rationalisierung mit Beschäftigungsreduktion verbunden war, weshalb sie forderten, die strukturschwachen Küstenregionen mit europäischen Strukturmitteln zu unterstützen. Das war angesichts der Entwicklungen, die in den nächsten zwanzig Jahren folgen sollten, sehr vorausschauend. Doch den Gewerkschaftern fehlte es an Mitsprachemöglichkeiten, aber auch an einer europäischen Industriepolitik, wie sie von der EWG hätte betrieben werden müssen. Den Sekretären des Metallausschusses war von Anfang an bewusst, dass es großen Handlungsbedarf gab. Richard Sahrholz wie auch sein Nachfolger Günter Köpke wurden nicht müde, Kontakt zur Kommission zu suchen und auf nötige Aktionen im Bereich Schiffbau hinzuweisen. Erst Kommissar Colonna di Paliano, der die Anfänge der europäischen Industriepolitik gestaltete, unterstützte die Überlegungen der Gewerkschafter. Mit ihm hatte der Metallausschuss ein Gegenüber, das sich auf Diskussionen einließ und die Initiativen für den europäischen Schiffbau voranbringen wollte. 203 Kurzprotokoll der Sitzung der EMB -Arbeitsgruppe »Werftindustrie«, Brüssel, 12. und 13. November 1980, in: EMB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1980–1982, Schiffbau, AdsD 5/EMBA080206. 204 Verordnung (EWG) Nr. 2506/88 des Rates vom 26. Juni 1988 zur Einführung eines Gemeinschaftsprogramms zugunsten der Umstellung von Schiffbaugebieten (Programm Renaval), nach Clairmont, S. 401.

Zusammenfassung

Dennoch blieben die Verhandlungen mühsam. Das zeigten auch die niedrigschwelligen Ansätze der Gewerkschaftssekretäre, die über jede Anerkennung und Gesprächsbereitschaft der Kommission dankbar waren. Grund dafür war, dass es dem Metallausschuss wichtig war, sich eine Position inner­ halb der europäischen Institutionen zu sichern, wobei das System als solches nicht infrage gestellt wurde. Der Metallausschuss hatte sich nicht aus einer ideologischen Debatte und Notwendigkeit heraus entwickelt, sondern war eine Antwort auf die europäischen Institutionalisierungsprozesse dieser Zeit. Dementsprechend war es vordergründig auch gar kein Anliegen, gemeinsame Aktionen und die Herausbildung einer europäischen Interessenlage zu forcieren. Wichtiger war das Element der Mitbestimmung, das in diesem Sinne bedeutete, mit den Entscheidungsträgern an einem Tisch zu sitzen und Einfluss auf die Industriepolitik der EWG zu haben. Ungeduldiger, aber deswegen nicht erfolgreicher waren die nationalen Gewerkschaftsdelegierten auf den europäischen Treffen, die eine stärkere Einmischung in die Prozesse forderten, es aber auch nicht vermochten, andere Aktionsformen zu etablieren. Der langen Phase des Metallausschusses schloss sich ab 1972 eine Institutionalisierungsphase des EMB an. Die Gewerkschafter gründeten eine Arbeitsgruppe für den Schiffbau, entwickelten Pläne für ein Arbeitsprogramm und erarbeiteten soziale Maßnahmen für die bereits sichtbar werdenden negativen Entwicklungen in der Schiffbauindustrie. Während die Kommissare auf ein Abkommen mit Japan zur Beschränkung ihrer Produktionen setzten, verhielten sich die Gewerkschafter in dieser Angelegenheit lange zurück­ haltend und kritisierten die Ansätze eines europäischen Protektionismus. Das Argument, dass Beihilfen so lange legitim seien, wie das Ungleichgewicht gegenüber den Preisen der Drittländer ausgeglichen sei, schien den Gewerkschaftern fragwürdig. Diese Vorschläge waren von den Einflüssen des IMB geprägt, vor allem der Expertise des Gewerkschafters Karl Casserini, der den Kollegen des EMB auch ein Sozialprogramm in die Feder diktierte. Doch wie schon die westdeutschen Metaller änderten auch die europäischen Gewerkschaftsvertreter ihre Meinung mit den zunehmenden Problemen auf dem westeuropäischen Schiffbaumarkt. Der Sommer 1976 stellte die Wende für die Entwicklung der europäischen Schiffbaupolitik dar: Die Kommission hatte eine Mitteilung formuliert, in der sie die Empfehlung aussprach, die Produktionskapazitäten innerhalb des EWG -Raumes abbauen zu wollen. Die Gewerkschafter waren wegen der Entscheidung mehr als aufgebracht, da sie angesichts eines noch nicht be-

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Der Europäische Metallausschuss und Metallgewerkschaftsbund 

schlossenen Sozialprogramms den Erhalt der Arbeitsplätze in Gefahr sahen. Diese neue Situation veränderte auch die Einstellung zu Japan. Die Gewerkschafter des EMB waren nun weniger ablehnend, was die Einschränkungen des japanischen Exports anbelangte. Sie begrüßten alles, was dem Erhalt von europäischen Arbeitsplätzen diente. Generalsekretär Günter Köpke formulierte ein Memorandum, das auf einen dringenden Handlungsbedarf für die Beschäftigten der europäischen Schiffbauindustrie hinwies. All das spielte sich allerdings in einem sehr überschaubaren Personenkreis ab. Was einzelne Kommissare mit dem Generalsekretär und wenigen Gewerkschaftsdelegierten diskutierten, fand im Ministerrat aber auch bei den nationalen Gewerkschaftsverbänden kaum Resonanz. Der Rat konnte sich bestenfalls auf Richtlinien zu nationalen Beihilfen einigen, an eine euro­ päische Strukturpolitik war nicht zu denken. Und wie zahlreiche Bemerkungen des nationalen IG Metall-Delegierten Karl Pitz verdeutlichten, glaubte man auch in den nationalen Gewerkschaften nicht so recht an die Durch­ setzungskraft einer europäischen Industriepolitik. Die Situation änderte sich auch nicht, als sich die Werftunternehmer kurzzeitig in die Diskussionen einschalteten und im März 1978 einer dreigliedrigen Konferenz zum Schiffbau zustimmten. Im Prinzip hatten sie nur wenig zum Thema beizusteuern. Dem Generalsekretär des EMB war anzumerken, dass ihm in Anbetracht der Langsamkeit in den Entscheidungsprozessen der europäischen Institutionen die Geduld ausging. Ein Programm für die Sicherheit der Beschäftigten in der Schiffbauindustrie wurde durch die neue Kommissionspolitik dringender denn je, kam über den Entwurfscharakter aber nicht hinaus. Erschwerend kam hinzu, dass sich die Gewerkschaftsdelegierten innerhalb des eigenen Kreises nicht mehr einig waren. Viele rückten von ihrer ursprünglichen Haltung ab, einen Wirtschaftskrieg gegenüber Japan vermeiden zu wollen und stimmten weiteren Beihilfen zur Aufrechterhaltung des Sektors zu. Die Frage des Kapazitätsabbaus wurde kontrovers diskutiert. Während die »Länder des Kontinents« und der EMB -General­ sekretär gegen den Abbau waren, stimmten die Skandinavier den Plänen der Kommission zu. Die gewerkschaftlichen Interventionen zum Kapazitätsabbau liefen ins Leere. Im September 1978 beschloss der Rat das von der Kommission vorgeschlagene Programm und empfahl seinen Mitgliedern eine umfassende Reduktion der Werftanlagen. Dieser Beschluss offenbarte die geringen Einflussmöglichkeiten der Gewerkschafter bei den europäischen Institutionen. Über den Abbau des Sektors wurde entschieden, ohne dass es ein fertiges

Zusammenfassung

Sozialprogramm für die betroffenen Beschäftigten gab. Der EMB rief seine Gewerkschaftsmitglieder auf, aktiv zu werden und die Öffentlichkeit über die Verhandlungen zu informieren. Erst unter diesem Zugzwang wurden die nationalen Gewerkschaftsmitglieder beweglich. Nach der sehr langen Phase der Institutionalisierung schloss sich zwischen 1978 und 1982 eine Phase konkreter Konzepte an. Der von Generalsekretär Köpke initiierte Aktionstag im Dezember 1978 spielte für die Kommissare in Brüssel allerdings keine Rolle. Sie blieben bei ihrem Vorschlag des Produktionsabbaus. Das war wohl der Hauptgrund, weshalb sich die nationalen Gewerkschaftsvertreter nicht für weitere Aktionen engagierten. Dennoch bleibt die Frage, wieso die Delegierten auf europäischer Ebene keine direkten Initiativen ergriffen. Wieso wurden keine grenzübergreifenden Formen des Protestes wie Boykotte diskutiert? Eine Erklärung ist, dass die nationalen Delegierten der europäischen Interessenvertretung keine große Bedeutung beimaßen, was angesichts der Entscheidungen im Ministerrat und der Position ihrer nationalen Regierungen verständlich war. Solange die nationalen Subventionen eine so große Rolle spielten, war der Kampf nur auf nationalem Territorium zu gewinnen. Es lag vermutlich aber auch am politischen Verständnis des EMB selbst, der sich als Sozialpartner auf EWG -Ebene etablieren wollte. Politische Streiks waren in diesem Ansatz nicht vorgesehen. Abgesehen von der politischen Stoßrichtung fehlte es dem EMB -Generalsekretär an Ressourcen, um fundierte grenzübergreifende Strategien zu entwickeln. So war er auf die Angebote der nationalen Delegierten angewiesen. Die Idee der Briten zu einem Abwrack- und Neubauprogramm blieb unausgereift. Der deutsche Gewerkschaftsdelegierte Pitz äußerte seine Bedenken und ergänzte das Papier mit Fragen des Umweltschutzes. Als sich die Kommission mit dem Vorschlag beschäftigte, wurde offensichtlich, dass es ein aus der Not geborenes Konzept war, das keine Relevanz für den europäischen Schiffbaumarkt hatte, denn die europäische Flotte war relativ jung und bedurfte keiner neuen Schiffe. Zum Abwracken hätte man auf den Weltmarkt zurückgreifen müssen und damit die künstlich geschaffene Nachfrage auf dem Rücken der außereuropäischen Länder ausgetragen. Unsolidarischer hätten sich die europäischen Gewerkschafter gegenüber Nicht-EWG -Ländern nicht verhalten können. Im November 1979 scheiterte der Vorschlag im Ministerrat. Der EMB war auch in der Forderung eines Sozialplans nicht erfolgreich. Als Ausgleich zu den Kapazitätsgrenzen verlangte er Subventionen aus dem

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Europäischen Sozialfonds. Als dafür keine Unterstützer gefunden werden konnten, versuchten es die Gewerkschafter mit einem konkreteren Programm, das die Frühverrentung auf den Werften unterstützen sollte. Doch trotz zahlreicher Interventionen bei den europäischen Instanzen, lehnte der Rat im November 1980 auch diese Forderung ab. So blieb dem EMB nur noch ein Programm, das letztlich auch erfolgreich war: die Forderung nach sicheren Schiffen gegen die Verschmutzung der Meere. Hier stellte sich ähnlich wie beim Abwrack- und Neubauprogramm heraus, dass die Schiffe innerhalb des europäischen Seeverkehrs bereits nach den Normen gebaut wurden und es keiner zusätzlichen Regelung bedurfte. Deshalb wurde der Vorschlag erneut auf die außereuropäische Konkurrenz angewendet. Damit erhofften sich die Gewerkschafter eine Wiederbelebung des europäischen Marktes. Der ursprünglich formulierte Gedanke – Schutz der Meere zur Sicherheit aller (!) Arbeitsplätze – ging damit verloren und die europäischen Metallgewerkschafter entwickelten sich angesichts ihrer Misere doch zu Vertretern des europäischen Protektionismus. Die Zusammenschau aller Initiativen verdeutlicht, wie ideenreich und unermüdlich die Gewerkschafter in den Jahren zwischen 1978 und 1982 waren. Nach der sehr langen Phase der Institutionalisierung und des Kampfes um Anerkennung bei der Europäischen Kommission schloss sich eine Etappe konkreter Strategien an. Dabei spielten die nationalen Gewerkschaftsmit­ glieder eine entscheidende Rolle: Sie brachten Papiere ein, die von den Beteiligten der Arbeitsgruppe kommentiert, diskutiert und nach eingehender Analyse und Bearbeitung an die Kommission weitergeleitet wurden. Dass sich letztlich nur ein Konzept durchsetzen konnte, lag im Wesentlichen an der immer schlechter werdenden Marktlage der europäischen Schiffbauindustrie und der grundsätzlichen Entscheidung der Kommission sowie der nationalen Regierungen, nicht mehr in diesen Sektor investieren zu wollen.

5.

Der Internationale Metallgewerkschaftsbund

5.1

Die institutionelle Entwicklung des IMB

5.1.1 Die historische Entwicklung des IMB Die erste Annäherung zwischen Metallgewerkschaftern ergab sich auf dem Internationalen Arbeiterkongress in Brüssel 1891, auf dem man beschloss, sich zum Informationsaustausch in regelmäßigen Abständen zu treffen. Diesem Vorsatz folgte zwei Jahre später der Erste Metallarbeiterkongress in Zürich. Im Rahmen des Internationalen Sozialistenkongresses setzten sich 18 Schweizer, vier Delegierte aus Österreich-Ungarn, drei Deutsche, zwei Belgier und jeweils ein Delegierter aus Frankreich, Großbritannien und den USA zusammen, um ein Informationsbüro für die Angelegenheiten der Metallindustrie zu gründen. Doch die mit einer Institutionalisierung verbundenen Schwierigkeiten zeigten sich schnell: Am Zweiten Kongress 1896 in London nahmen nur 24 Delegierte teil. Einige Gewerkschafter, die drei Jahre zuvor noch ihr Interesse bekundet hatten, erschienen nicht mehr oder zahlten ihre Mitgliedsbeiträge nicht. Trotz allem oder gerade deshalb stellte der Deutsche Metallarbeiter-Verband (DMV) 1904 einen Antrag zur Gründung des Internationalen Metallarbeiter-Bundes. Die Frage nach Aufbau und Ausrichtung der Organisation führte zu einigen Diskussionen: Gewerkschafter mitteleuropäischer und skandinavischer Länder bevorzugten zentralisierte Organisationsstrukturen und die Errichtung industrieweiter Gewerkschaftsverbände sowie eine Verbindung zu sozialdemokratischen Parteien. Diese parteiliche Inanspruchnahme war für die britischen Gewerkschaften undenkbar, die eine unabhängige gewerkschaftliche Organisation verlangten. Südeuropäische Gewerkschaften sprachen sich ebenfalls gegen zentralisierte Organisationen aus und forderten direkte gewerkschaftliche Aktionen ohne parlamentarische Bindung.1 Durchsetzen konnte sich letztlich der erste Vorschlag mit einem Zusammenschluss nationaler Branchenverbände und

1 Casserini, S. 11. Die Diskussionen verliefen Parallel zu denen im Internationalen Gewerkschaftsbund, Leich u. Kruse.

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einem zentralen Sekretariat, das die Aktionen koordinieren und den Kommunikationsknotenpunkt bilden sollte. Auseinandersetzungen zeigten sich nicht nur auf politischer Ebene. Auch die Frage, wer die wichtigen Ämter bekleiden und wo die Organisation ihren Sitz haben sollte, war Ausgangspunkt von Kontroversen. Als sich der DMV mit dem Vorschlag durchsetzte, nach Stuttgart zu gehen, kam es zu Kritik an der deutschen Dominanz. Der Brite Charles Hobson, der sich um den Anschluss zahlreicher britischer Metallgewerkschaften verdient gemacht hatte, bedauerte, dass Deutschland als Hauptsitz gewählt wurde. Andere monierten, dass der DMV nur durch seine hohe Mitgliederzahl einen so großen Einfluss im IMB gewinnen konnte.2 Das Hauptthema des IMB war in den Anfangsjahren die Einführung des Achtstundentages und die gegenseitige Unterstützung bei Streiks durch Solidaritätsaktionen.3 Zu erneuten Auseinandersetzungen um den Standort der Organisation kam es mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Die Briten forderten, den Sitz nach Großbritannien zu verlegen, was der deutsche Gewerkschaftssekretär, aber auch andere Mitglieder ablehnten. Daraufhin stellte die britische Ab­ teilung ihre Teilnahme an weiteren Kongressen zurück und blieb noch bis nach dem Krieg weiteren Treffen fern.4 Ein noch tiefergreifendes Problem für die internationale Arbeiterbewegung insgesamt, aber auch für den IMB im Besonderen war, dass keiner der internationalen Verbände in der Lage war, gemeinsame Aktionen gegen den Krieg zu organisieren und sich in Form von Arbeitsniederlegungen gegen Kriegskredite zu engagieren.5 Zur Verlagerung des Hauptsitzes kam es schließlich doch noch. Im Rahmen einer größeren Umstrukturierung der Organisation ging das Sekretariat nach dem Ersten Weltkrieg nach Bern und richtete ein Exekutivkomitee mit vier Delegierten ein, um den Sekretär in seiner Arbeit zu unterstützen. Auch in dieser Phase spielte die Frage des politischen Weges der Organisation eine wesentliche Rolle. Während der Russischen Revolution versuchten Delegierte, auf der Zentralkomiteesitzung 1921 eine Position des IMB zu den russischen Ereignissen zu erzwingen. Gemäß der Resolution sollte die Russische 2 Der Kongress setzte sich aus den Vertretern der Länder zusammen und jedes Mitglied konnte pro 5.000 Mitglieder einen Delegierten entsenden. Da der DMV mehrere Industrieverbände unter sich vereinte, war er in kurzer Zeit zu einem Verband mit 30.000 Mitgliedern angewachsen und dementsprechend gut beim IMB repräsentiert, Kugler, S. 108. 3 Ebd., S. 109. 4 Casserini, S. 19 f. 5 Kugler, S. 110.

Die institutionelle Entwicklung des IMB

Revolution unterstützt werden, aber eine Zusammenarbeit mit der russischen Gewerkschaft hielten die Delegierten mehrheitlich für nicht vertretbar.6 Der Historiker Denis McShane argumentiert, dass die Resolution des Zentral­ komitees des IMB 1921 den Grundstein für die Beziehung zwischen westeuropäischen und russischen Gewerkschaftern legte. Es sollte zwar immer wieder Annäherungen geben, die tiefe Spaltung zwischen kommunistischen und antikommunistischen Gewerkschaftern blieb aber erhalten.7 Diese Diskrepanz ist sogar in den späteren Darstellungen des IMB, die von Zeitgenossen der Organisation verfasst wurden, erkennbar. Fritz Opel schrieb 1968: Im Grunde scheiterte eine Verständigung an der politischen Haltung der Russen, die den IMB und die Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale als für den revolutionären Klassenkampf ungeeignete und schädliche Organisationen beseitigen wollten. Die Gründung der kommunistischen Roten Gewerkschaftsinternationale im Jahre 1921 und der Versuch, die nichtkommunistische Gewerkschaftsbewegung auf diese Weise zu spalten, entschied aber auch über den Versuch der Russen, Eingang in den IMB zu finden.8 Laut Karl Casserini, der ebenfalls einen Jubiläumsband über den IMB verfasste, hätten die russischen Gewerkschaften die Einheit der europäischen Gewerkschaften auseinanderbringen wollen und die Abschaffung des Internationalen Gewerkschaftsbundes forciert, den sie nicht als revolutionär genug erachteten.9 Zu dieser Zeit bestand der IMB aus ausschließlich (west-)europäischen Mitgliedern. Die hauptamtlichen Sekretäre hatten schon vor geraumer Zeit Kontakt zu den US -Amerikanern aufgenommen, die sich dem IMB 1921 zwar 6 Casserini, S. 24 f. Im Zentralkomitee des IMB hieß es 1921: »This incomprehensible course cannot be the will of the Russian proletariat but is […] the work of despotic leaders, who favour the principle of concealing the truth even toward the Russian working classes.«, Proceedings IMF Central Committee, 17 Mar. 1921 (IMF, Geneva), nach MacShane, S. 35. 7 MacShane, S. 37. Angestoßen von einigen Akteuren gab es mehrmals den Versuch der Annäherung. Der Generalsekretär der International Transport Workers’ Federation (ITF) Edo Fimmen beispielsweise setzte sich im Sinn einer vereinten Gewerkschaftsinternationale für die Überwindung der Differenzen ein und versuchte, seine Position in den Diskussionen stark zu machen. 8 Opel, S. 73. 9 Casserini, S. 25.

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anschlossen, aber zwei Jahre später wieder austraten. Verschiedene Delegierte versuchten, aufgrund ihrer politischen und wirtschaftlichen Bedeutung Kontakt mit den USA aufzunehmen, bis eine Reise im Herbst 1926 schließlich von Erfolg gekrönt war.10 Der IMB war auch als der Zweite Weltkrieg ausbrach nicht in der Lage, die Arbeiterbewegung global für einen Widerstand zu mobilisieren. Man sicherte den unterdrückten Gewerkschaftern zwar Unterstützung zu, hatte angesichts sinkender Mitgliederzahlen und geringerer Einnahmen aber kaum finanzielle Möglichkeiten, diese Versprechen in die Tat umzusetzen. Auch dieses Mal wurde die Verlagerung des Hauptsitzes nach Großbritannien vorgeschlagen, was aber aufgrund eines nicht einberufenen Kongresses, der als einziges Instrument in der Lage gewesen wäre, über den Vorschlag zu entscheiden, nicht weiter verfolgt wurde. Mit Ende des Krieges nahmen europäische und russische Gewerkschafter erneut Kontakt zueinander auf. Die von den britischen Gewerkschaftern ausgehende Initiative wurde von den Dachverbänden der Sowjetunion, Frankreichs und dem US -amerikanischen Congress of Industrial Organiza­ tions (CIO) unterstützt.11 Kritiker waren die kleineren europäischen Verbände, die geringe Partizipationsmöglichkeiten befürchteten,12 und die US amerikanische Gewerkschaft American Federation of Labor (AFL), die sich wegen ihrer Konkurrenz zum CIO und einer grundlegenden antikommunistischen Haltung von vornherein einer Annäherung verschloss.13 Im Oktober 1945 gründete sich auf diese Verhandlungen aufbauend der Weltgewerkschaftsbund (WGB), der zum ersten Mal Gewerkschafter der sozialdemokratischen und kommunistischen Richtungen vereinte.14 Die Historikerin Sigrid Koch-Baumgarten schreibt: »Er stellte damit ein Novum dar, das gegen tiefverwurzelte politische Frontlinien und Organisationstraditionen verstieß, und bedeutete den Versuch, eine Regimebildung zwischen Gewerkschaften verschiedener Gesellschaftssysteme zu ermöglichen.«15 Ziel war es, keine 10 Ebd., S. 31. 11 Sigrid Koch-Baumgarten erwähnt, dass die Zusammenarbeit mit sowjetischen Gewerkschaften gar nicht so abwegig schien, da in den Dachverbänden kommunistische Minderheiten »relevante innerorganisatorische Einflußgrößen darstellten«, KochBaumgarten, S. 135. 12 Ebd., S. 135. 13 Carew, S. 168. Zur Einstellung der AFL gegenüber kommunistischen Gewerkschaften ausführlicher und zur Auseinandersetzung mit der CIO MacShane, S. 84 ff. 14 MacShane, S. 49 f. Zur Geschichte des WGB siehe auch Lademacher. 15 Koch-Baumgarten, S. 134.

Die institutionelle Entwicklung des IMB

politische Strömung dominant werden zu lassen, sondern für die Etablierung demokratischer Rechte, für die Vollbeschäftigung, bessere Löhne und verbesserte Arbeits- und soziale Bedingungen einzutreten.16 Durch den Fokus auf die industriellen Interessen war es wichtig, die Internationalen Berufssekretariate (IBS) in die Diskussionen einzuschließen.17 Die beiden größten Sekretariate, die Internationale Transportarbeiterföderation (ITF)18 und der IMB, verweigerten allerdings eine Mitgliedschaft. Der IMB -Generalsekretär Konrad Ilg sah die Autonomie des IMB in Gefahr und so heißt es in der Chronik über den Verbund, Ilg hätte befürchtet, der WGB wolle sich den IMB als »Berufsabteilungen einverleiben« und »ihrer finanziellen und organisatorischen Selbständigkeit berauben«.19 Ein weiterer Punkt sei Ilgs politische Überzeugung gewesen, die mit den Ansätzen des WGB nicht übereinstimmte, weshalb er sich mit höchstem Engagement gegen eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten eingesetzt hätte.20 Den großen Einfluss führender Persönlichkeiten hat Koch-Baumgarten in ihrer Darstellung der ITF allerdings relativiert. Das Scheitern des WGB sei nicht auf die Verweigerungshaltung einzelner Verantwortlicher zurückzuführen gewesen, sondern auf die Tradition der Organisationsautonomie 16 Carew, S. 169. 17 In der internationalen Gewerkschaftsbewegung existierte im Prinzip eine Art Doppelstruktur. Die Arbeiter waren durch Internationale Berufssekretariate (IBS) vertreten – die Metaller über den IMB , die Bergarbeiter über den Internationalen Bergarbeiterverband usw. – und gleichzeitig über den nationalen Dachverband, der Mitglied im Zusammenschluss der Internationalen Dachverbände war, dem Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB). Diese duale Struktur der internationalen Gewerkschaftsbewegung war nicht nur innerhalb der Bewegung ein häufig diskutiertes Thema, sondern beschäftigte auch die Forschung, in der etwa über die Möglichkeiten einer übergreifenden Organisation und deren Effektivität nachgedacht wurde. Die Beziehung beider internationaler Gewerkschaftsebenen war oft von Koordinationsproblemen geprägt, denen man mit verschiedenen Bemühungen begegnen wollte. Edo Fimmen beispielsweise, Sekretär des IGB zwischen 1919 und 1923 sowie Generalsekretär der ITF von 1919 bis 1942, wollte schon nach dem Ersten Weltkrieg eine gewerkschaftliche wie politische Internationale als »Gesamtheit des internationalen Proletariats« gründen, scheiterte aber an der Ablehnung einiger Akteure innerhalb der Bewegung, siehe ­Buschak, S. 47 f. 18 Die ITF gehört wohl durch seinen besonders internationalen Charakter, der sich aus der Beschaffenheit seiner Mitglieder, besonders der Seemänner, ergibt, zu den bisher am besten erforschten IBS . Zur historischen Entwicklung der Föderation ist bereits zu unterschiedlichen Perioden als auch Fragestellungen geforscht worden, Simon; Reinalda, The International Transportworkers Federation; Nelle; Koch-Baumgarten. 19 Casserini, S. 40. 20 MacShane, S. 58 f.

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der Gewerkschaften im Allgemeinen. Sie meint, dass die ITF zum »Kristal­ lisationspunkt der Integrationsgegner« werden konnte, lag daran, dass es in allen Internationalen Berufssekretariaten Autonomiebestrebungen gab, denen es fern lag, sich als abhängige Berufsabteilungen in den WGB zu integrieren.21 Doch ohne die Integration der IBS sahen die meisten das Projekt als gescheitert an.22 In dieser Vielfalt an Interessen wurde im Oktober 1947 über den Marshall­ plan verhandelt. Im Rahmen der Auseinandersetzungen darüber kam es schließlich zur Auflösung des WGB. Die Verhandlungen waren allerdings nicht Ursache für die Spaltung. MacShane argumentiert, dass nicht der Marshallplan für die Spaltung des WGB ausschlaggebend war, sondern die in ihren jeweiligen politischen Strukturen verhafteten Gewerkschaften.23 In den Erläuterungen des Zeitgenossen Karl Casserini zeigt sich die ideologische Spaltung, die die Gewerkschaftsbewegung immer noch oder wieder prägte: Die Länder Osteuropas waren zur Teilnahme am Marshallplan eingeladen, was dem Kreml aber gegen den Strich ging, denn Moskaus Ziele waren nicht Wiederaufbau und soziale Prosperität. Man ging dort davon aus, dass ein auf längere Zeit ruiniertes Europa der Massenarbeitslosigkeit und Verzweiflung einen ausgezeichneten Nährboden für die kommunistische Ideologie abgeben würde.24 Für den IMB folgten nach diesen Jahren der Aushandlung interne Veränderungen, Umstrukturierungen und schließlich die Konsolidierung der Strukturen. Die Arbeit des IMB wurde auf vier Bereiche aufgeteilt: den Kongress, das Zentralkomitee, das Exekutiv- und das Finanzkomitee. Wichtigster Entscheidungsträger war der Kongress, der sich alle vier Jahre traf und die Aktivitäten des IMB anhand von Berichten und Resolutionen des Exekutivkomitees

21 Koch-Baumgarten, S. 137, Fußnote 42. In den Ausführungen Koch-Baumgartens wird auch deutlich, dass die ITF selbst zahlreichen Auseinandersetzungen mit seinem Mitgliedsgewerkschaften ausgesetzt war und dass es sowohl Befürworter und Ablehner der Integration in den WGB gab als auch Zwischenpositionen, die einer Integration unter bestimmten Bedingungen zustimmten. Das führte sogar so weit, dass Gewerkschaften ihre Mitgliedschaft in der ITF aufgrund der Diskrepanzen zurückzogen, etwa die Franzosen. 22 Carew, S. 170. 23 MacShane, S. 141. 24 Casserini, S. 42.

Die institutionelle Entwicklung des IMB

entschied.25 Der Alltag des IMB wurde im Sekretariat unter der Leitung des Generalsekretärs geregelt. Der Sitz wechselte von Bern nach Genf, um Kontakt zu anderen Internationalen Organisationen aufnehmen zu können. Ab 1951 etablierten sich einzelne Abteilungen entlang von Industriezweigen und politische wie übergreifende Arbeitsgebiete zu spezifischen Themen wie Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz oder Entwicklungsstrategien.

5.1.2 Die Schiffbauabteilung und internationalen Konferenzen, 1951–1987 Die Metallgewerkschafter entschieden auf der Zentralkomiteesitzung des IMB 1951, eine Abteilung für die Schiffbauindustrie zu eröffnen. Die Einführung solcher Sektorenabteilungen war keine Besonderheit des IMB. Auch die ITF richtete in dieser Zeit Abteilungen dieser Art mit eigenen Konferenzen ein.26 Die Schiffbauabteilung hatte einen Präsidenten, der bei den Konferenzen und Sitzungen des Exekutiv- und Zentralkomitees anwesend war und für den IMB als Repräsentant auf Reisen ging. Offiziell wurde er vom Zentralkomitee gewählt, mögliche Favoriten wurden aber schon auf den Schiffbaukonferenzen besprochen. Es lässt sich vermuten, dass die Präsidenten aufgrund von Empfehlungen, Bekanntschaften oder Kontakten zu ihrem Amt kamen. So verwundert es beispielsweise, dass auf der dritten Konferenz der Schwede Åke Nilsson als Präsident vorgeschlagen wurde, dieser aber gar nicht zugegen war, sondern per Telefon kontaktiert werden musste  – und das, obwohl sich der Anwesende Niederländer Isaac Baart als Kandidat zur Verfügung stellte.27 Der erste Präsident war der Schwede Arne Geijer.28 Geijer wurde in Söderala, Schweden geboren und verließ die Schule mit 13 Jahren, um in der Landwirtschaft zu arbeiten. 16-jährig trat er als Werkzeugmacher in die schwedische Metallgewerkschaft (Metallindustriarbetareförbundet) ein und wurde mit 28 Jahren Mitarbeiter in der Gewerkschaft als Director of Educa25 Platzer u. Müller. 26 Koch-Baumgarten, S. 339 f. 27 Protokoll, 3.  IMB -Schiffbaukonferenz, in Rotterdam, 10.–11. September 1957, in: IMB , AdsD 5/IMB 1702. 28 Durch seine spätere Funktion als Präsident beim IBFG ist etwas mehr über ihn bekannt, siehe die biografische Zusammenfassung im Anhang von Carew, Dreyfus, van Gothem, Gumbrell-McCormick u. van der Linden, S. 554–555.

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tion. 1945 wurde er zum Generalsekretär gewählt, 1948 zum Präsidenten und hatte dieses Amt bis 1956 inne. Bereits zu dieser Zeit verfolgte er die internationalen Debatten und war aktives Mitglied des Zentralkomitees im IMB. Er wurde 1951 Präsident der Schiffbauabteilung und bekleidete dieses Amt für sieben Jahre. Gleichzeitig war er als Sozialdemokrat im schwedischen Parlament und seit 1956 Präsident des Dachverbandes der schwedischen Landesorganisationen (Landsorganisationen i Sverige). Schließlich folgte 1957 seine Wahl zum Präsidenten des IBFG, womit er auch seine Arbeit in der Schiffbauabteilung niederlegte. 1965 gab er das Amt des Präsidenten des IBFG ab, blieb aber noch bis 1972 im Exekutivvorstand der Organisation, bis er sich schließlich 1973 aus der Politik zurückzog.29 Niemand der folgenden Schiffbaupräsidenten blieb so lang im Amt wie Geijer. Die Präsidentschaft wechselte ab diesem Zeitpunkt mit jeder Konferenz.30 Die Vorbereitung der Konferenzen lag vor allem in den Händen der hauptamtlichen IMB -Mitarbeiter, die Fragebögen zur Situation der Schiffbauindustrie an die Mitglieder verschickte und die Ergebnisse als Material für die Konferenzen in verschiedenen Sprachen31 zur Verfügung stellte. Die Schiffbaukonferenzen liefen relativ unabhängig vom Rest des Geschehens im IMB ab. Der Generalsekretär und sein Stellvertreter waren auf allen Konferenzen anwesend und somit über Diskussionsverläufe und Entscheidungen informiert. Auf den Exekutivkomiteetreffen wurde nur noch über Ergebnisse und Beschlüsse der Schiffbaukonferenzen berichtet beziehungsweise über Probleme, die für den IMB insgesamt von Bedeutung waren. Die erste Schiffbaukonferenz fand noch im Gründungsjahr der Abteilung 1951 in Newcastle upon Tyne statt. Dafür kamen 18 Delegierte aus Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Norwegen, Schweden und den USA zusammen.32 Oberstes Ziel der Treffen war die Darstellung der Situationen der Mitgliedsländer und Vergleiche der jeweiligen nationalen Strategien. Dieses Vorhaben zog sich bis zum Ende des Untersuchungszeitraums durch alle Konferenzen und war der zeitlich und inhaltlich umfangreichste Punkt des Programms. Die Konferenzen be29 Ebd., S. 555. 30 Nach Geijer wurde es Åke Nilsson, 1964 Isaac Baart, 1967 der Schwede Hans Hagnell und 1978/79 der Norweger Lars Skytøen. Nur 1973 hatte ein Brite, Daniel McGarvey, das Präsidentenamt inne. McGarvey gehörte der britischen United Society of Boilermakers and Iron and Steel Shipbuilders an, siehe Mortimer, S. 163. 31 Meist Englisch, Deutsch, Französisch, Schwedisch und Spanisch. 32 Protokoll, 1. IMB -Schiffbaukonferenz, in Newcastle upon Tyne, 4.–5. Juni 1951, in: IMB , AdsD 5/IMB 1707.

Die institutionelle Entwicklung des IMB

gannen mit Worten des Präsidenten der Schiffbauabteilung und weiteren Persönlichkeiten, darunter des Generalsekretärs des IMB, des Bürgermeisters des Austragungsortes und nationaler Gewerkschaftsvertreter. Die Zahl dieser Redner nahm im Laufe der Zeit zu. Dabei waren immer häufiger hochrangige Nationalvertreter anwesend, wie der Arbeitsminister oder Generalsekretäre der nationalen Gewerkschaften, was darauf hindeutet, dass die internationalen Konferenzen eine zunehmende Bedeutung bekamen. Nach den Grußworten folgte die Darstellung der Situation der Schiffbauindustrie aus globaler sowie nationaler Perspektive der Mitgliedsländer, der Arbeitsbedingungen und Lohnverhältnisse auf den Werften. Diese Ausführungen wurden von einigen Diskussionen der Delegierten begleitet, in denen das Beschriebene verglichen und gegeneinander abgewogen wurde. Am Ende der Konferenz fasste der jeweilige Präsident der Schiffbauabteilung die Ergebnisse und Schlussfolgerungen für eine gemeinsame Politik zusammen, die in einer Resolution festgehalten und an alle Mitglieder sowie die Öffentlichkeit weitergegeben wurde. Der Aufbau der Tagesordnungen blieb in seiner Grundstruktur über die Jahre erhalten. Auch der Programmablauf außerhalb der Sitzungen folgte häufig ähnlichen Mustern: Zu jeder Konferenz gehörte ein Werftbesuch und ein Empfang bei der Metallgewerkschaft des Austragungsortes. Zu Beginn der Konferenzen lagen die Austragungsorte vor allem in Nordeuropa. Nach Newcastle upon Tyne fand die zweite Konferenz 1955 in Stockholm33 statt und die dritte 1957 in Rotterdam (siehe Tab. 10).34 Mit der zunehmenden Institutionalisierung der Schiffbaukonferenzen stieg die Teilnehmerzahl. In Rotterdam hatte sich die Zahl mit 32 im Vergleich zur ersten fast verdoppelt. Zur Institutionalisierung trug bei, dass sich das Treffen zu einem bestimmten Kreis von Gewerkschaftern etablierte. Einige der Delegierten nahmen mehr als einmal an einer Schiffbaukonferenz teil, was vor allem auf deren Verantwortungsbereich in den nationalen Organisationen zurückzuführen war.35 Sie konnten in den Diskussionen auf Wissen aus den vorherigen Konferenzen zurückgreifen und an die bereits geführten Gespräche anknüpfen. 33 Zur 2. IMB -Schiffbaukonferenz, 1955 in Stockholm sind im IMB -Bestand des AdsD keine Protokolle enthalten, siehe IMB , AdsD 5/IMB 1704. 34 Protokoll, 3.  IMB -Schiffbaukonferenz, in Rotterdam, 10.–11. September 1957, in: IMB , AdsD 5/IMB 1702. 35 Für die IG Metall fuhr beispielsweise immer der Bezirksleiter aus Hamburg. Darüber hinaus waren Vorstandsmitglieder anwesend, meist aus der Abteilung Wirtschaft.

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Tab. 10: Übersicht der IMB -Schiffbaukonferenzen (1951–1987) Titel*

Zeitraum

Ort

1.

Schiffbaukonferenz

4.–5. Juni 1951

Newcastle upon Tyne

2.

Konferenz der Schiffbauindustrie

1955**

Stockholm

3.

Schiffbaukonferenz

10.–11. September 1957

Rotterdam

4.

Konferenz der Schiffbauarbeiter

24.–26. März 1960

Hamburg

5.

IMB -Schiffbaukonferenz

1.–3. April 1964

Genua

6.

IMB -Schiffbaukonferenz. Die sozialen Probleme der Strukturveränderungen im Schiffbau

22.–25. Mai 1967

Newcastle upon Tyne

7.

IMB -Schiffbaukonferenz. Die sozialen Probleme der Strukturveränderungen im Schiffbau

27. März–5. April 1973

Tokio

8.

IMB -Weltschiffbaukonferenz. IMB Arbeit für Schiffbauarbeitnehmer in einem ungünstigen Wirtschaftsklima

27.–29. November 1979

Kopenhagen

9.

IMB -Weltschiffbaukonferenz. Weltschiffbau vom Konflikt zur Zusammenarbeit

1.–3. September 1987

Helsinki

Untertitel von den Broschüren, die zu den Konferenzen ausgegeben wurden, ** Keine genauen Angaben über den Zeitraum

*

Die vierte Konferenz der Schiffbauabteilung fand 1960 in Westdeutschland statt, in der größten und bedeutendsten Schiffbau- und Hafenstadt der Bundesrepublik, Hamburg.36 Die Teilnehmerzahl war auch hier im Vergleich zum letzten Mal gewachsen. Mit vierzig aktiven Gewerkschaftsdelegierten, erstmals zwei Gästen aus Japan, 15 deutschen Gästen aus der IG Metall und Regierungsverantwortlichen sowie den drei hauptamtlichen IMB -Mitarbeitern war die Zahl auf 59 gestiegen. Ihr folgte 1964 eine Schiffbaukonferenz im Süden Europas, der italienischen Hafenstadt Genua. Die Teilnehmerzahl stagnierte dieses Mal mit 52 Personen, obwohl es neue Mitglieder aus Finnland und Malta gab (vgl. Tab. 11).37 Erstmals war Richard Sahrholz vom Euro36 Protokoll, 4.  IMB -Schiffbaukonferenz, in Hamburg, 24.–26. März 1960, in: IMB , AdsD 5/IMB 1701; IISH IMF Collection, Folder 41. 37 Die Anwesenheit zweier maltesischer Gewerkschafter war insofern bemerkenswert, da Malta zum Zeitpunkt der Konferenz noch unter Kolonialregierung stand und erst im

Die institutionelle Entwicklung des IMB

päischen Metallausschuss anwesend. Mit der Gründung des EMB im Jahr 1971 wurde dessen Anwesenheit auch konsolidiert. Erneut ungewöhnlich gut repräsentiert war die deutsche Delegation mit elf Gewerkschaftern. Die auffällig hohe Teilnehmerzahl der Bundesrepublik Deutschland wurde durch ihre Zusammensetzung in der Bedeutung noch unterstrichen. Neben dem Vorsitzenden der IG Metall Otto Brenner – hier in Funktion des Präsidenten des Exekutivausschusses des IMB – war dessen Stellvertreter Alois Wöhrle angereist sowie Delegierte der Bezirks aus Hamburg.38 Nach der sechsten Schiffbaukonferenz in Newcastle upon Tyne39 folgte 1973 die siebte Schiffbaukonferenz in Tokio.40 Es war das einzige Mal bis 1987, dass sich die Delegierten außerhalb Europas trafen. Diese Konferenz unterschied sich in vielerlei Hinsicht von den vorherigen: Die Teilnehmerzahl war mit 122 Personen immens angewachsen. Die neuen Delegierten kamen aus Japan, Südafrika, Indien, China, Südkorea, Singapur, Hong Kong, Bangladesch, Pakistan, Australien, Argentinien, Brasilien, Mexiko, von den Philippinen und aus der Türkei. Der Konferenz in Tokio schloss sich eine mehrtägige Reise zu anderen Städten Japans an.41 Außerdem war die Besichtigung zweier Werften geplant. Die nach Tokio folgenden Konferenzen fanden wieder im Norden Europas statt, in Kopenhagen und Helsinki. Mit 147 Teilnehmern erreichte die

38

39 40 41

Laufe des Jahres die Unabhängigkeit erlangte. Die beiden Gewerkschafter meldeten sich mit ausführlichen Berichten zur Situation der Industrie und der Arbeitsbedingungen zu Wort und baten um besondere Beachtung der außerordentlichen Situation ihres Landes. Ebenfalls die Vorstandsmitglieder Werner Thönnessen, Heinz Partikel und Fritz Opel sowie Gewerkschafter aus dem Bezirk Hamburg beziehungsweise den Verwaltungsstellen der Küstenländer, darunter Karl Deibicht, Heinz Ruhnau, John Rappeport, Walter Gehlfuss und Gustav Böhrnsen. Für die 6. IMB -Schiffbaukonferenz war keine Teilnehmerliste im Archiv auffindbar, siehe IMB , AdsD 5/IMB 1696. Protokoll, 7.  IMB -Schiffbaukonferenz, in Tokio 27. März–5. April 1973, in: IMB , AdsD 5/IMB 1694–1695. Das Schreiben an die »mitteleuropäische Reisegruppe« glich eher der Ankündigung einer touristischen Reise als der einer Konferenz. Die Teilnehmer wurden darin informiert, dass sie den Preis der Reise in Höhe von 3.740 SFr. zu zahlen hatten, der Regenmantel nicht fehlen sollte und eine Pockenschutzimpfung vorgeschrieben sei. Im Programm für Tokio hieß es, es gebe eine dreistündige Stadtrundfahrt mit Besuch des Kaiserpalast-Platzes, des Asakusa-Kannon-Tempels mit dem Nakamise-Weg und der Möglichkeit »Andenkenläden« zu besuchen sowie die Ginza, die Prachtstraße Tokios, siehe Karl Casserini: An die der mitteleuropäischen Reisegruppe angehörenden Teilnehmer an der IMB -Schiffbaukonferenz, Tokio, 5. März 1973, in: ebd.

307

3

2

2

2

2

2

1

2

1

 

 

 

 

Dänemark

Deutschland (West)

Frankreich

Großbritannien / Britische Sektion

Niederlande

Norwegen

Schweden

USA

Italien

Finnland

Malta

Südafrika

18

Newcastle

1951

1.

Belgien

Nationale Gewerkschaftsvertreter

Teilnehmer insgesamt*

Austragungsort

Jahr

IMB-Schiffbaukonferenz

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

k. A.

Stockholm

1955

2.

 

 

 

1

1

2

2

10

2

2

3

2

2

32

Rotterdam

1957

3.

 

 

 

2

4

3

3

2

2

16

2

4

59

Hamburg

1960

4.

Tab. 11: Teilnehmerzahlen bei IMB -Schiffbaukonferenzen (1951–1987)

 

2

2

11

1

3

3

3

2

3

11

3

1

52

Genua

1964

5.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

k. A.

Newcastle

1967

6.

2

2

2

1

2

8

5

2

7

2

3

3

3

122

Tokio

1973

7.

1

2

5

 

1

11

7

2

14

6

6

36

3

147

Kopenhagen

1979

8.

 

1

21

8

6

11

1

1

1

2

3

9

2

112

Helsinki

1987

9.

308 Der Internationale Metallgewerkschaftsbund 

 

 

 

 

 

Griechenland

Malaysia

Neuseeland

 

Türkei

Kolumbien

 

Philippinen

Japan / IMB Japan Council

 

Mexiko

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Brasilien / IMB Büro Brasilien

 

Pakistan

 

Argentinien

 

Bangladesch

 

 

 

Hongkong / IMB Repräsentanz

 

 

 

 

Singapur / IMB Singapur Council

 

 

Südkorea

 

 

 

China / IMB China Komitee

 

Stockholm

1955

2.

Australien

 

Newcastle

1951

1.

Indien

Austragungsort

Jahr

IMB-Schiffbaukonferenz

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rotterdam

1957

3.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hamburg

1960

4.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Genua

1964

5.

1 1 1

     

 

 

 

1 1

   

1

13

 

6

 

  1

1

 

 

 

 

 

2

1

 

 

7

1

1

 

Kopenhagen

1979

8.

 

1

 

 

1

 

1

1

 

 

1

3

2

 

 

 

2

2

   

Tokio

1973

7.

Newcastle

1967

6.

 

 

1

 

10

 

 

 

2

1

1

 

 

 

2

4

1

1

Helsinki

1987

9.

Die institutionelle Entwicklung des IMB

309

 

 

 

Spanien

Kanada

Island

1

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ITF

Metallausschuss / EMB

Amerikanische Gäste

Japanische Gäste

Dänische Gäste

Japan als Gast**

Italien als Gast

Wiederholte Teilnahme***

6****

 

13

 

14

 

1

 

 

 

1

 

4

 

 

 

 

Genua

1964

5.

 

 

8

1

   

 

2  

   

 

 

49

 

 

1

1

3

 

11

17

 

 

 

 

 

1

 

 

1

5

1

1

   

 

1

Helsinki

1987

9.

3

1

Kopenhagen

1979

8.

2

 

 

 

 

5

 

 

 

 

Tokio

1973

7.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Newcastle

1967

6.

Eigene Kalkulation anhand von Teilnehmerlisten, * Ohne Übersetzer; ** Nichtoffizielles Mitglied des IMB; *** Zahl der Delegierten, die auf vorheriger Konferenz bereits anwesend waren; **** Aus der ersten Konferenz

 

  2

 

 

 

 

1

 

3

 

 

 

 

Hamburg

1960

4.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  1

 

Experten / Gastsprecher

 

 

 

Fed. Siderometalurgica

3

 

 

 

 

Rotterdam

1957

3.

1  

 

 

 

 

Stockholm

1955

2.

IMB -Sekretariat

Internationale Vertreter / Gäste

 

Newcastle

1951

1.

Portugal

Austragungsort

Jahr

IMB-Schiffbaukonferenz

310 Der Internationale Metallgewerkschaftsbund 

Die institutionelle Entwicklung des IMB

Konferenz in Kopenhagen 1979 ihren Höhepunkt.42 Dieses Mal blieben allerdings die neuen Mitglieder des vorherigen Treffens – Vertreter Indiens, Bangladeschs, Argentiniens, Brasiliens, Mexikos, der Philippinen und der Türkei – der Veranstaltung fern, dafür kamen abermals neue aus Kolumbien, Griechenland, Malaysia, Neuseeland, Portugal und Spanien. Die Schiffbaukonferenz 1987 in Helsinki ging in der Teilnehmerzahl wieder zurück.43 Das lag unter anderem daran, dass die Teilnahme von Mitgliedern aus Schwellenländern meist eine einmalige Sache blieb und dass es übergreifende Regionalvertretungen wie im Fall von Südamerika gab, die eine größere regionale Interessengruppe vertraten. Manche Veränderungen lassen sich allerdings nicht strukturell erklären. Warum Norwegen 1979 noch sieben Delegierte schickte und 1987 nur noch einen oder die Briten 1979 mit 14 Gewerkschaftern vertreten waren, 1987 aber ebenfalls nur noch durch eine Person, ist sicherlich auf Entscheidungen der jeweiligen nationalen Gewerkschaftsvertretungen zurückzuführen, auf deren Interesse an internationalen Debatten, der Entwicklung der nationalen Industrie oder den finanziellen Möglichkeiten der Gewerkschaften, Delegierte auf eine Auslandsreise zu schicken. Während der 36 Jahre entwickelten sich die Treffen von einem Austausch zwischen Vertretern Nordeuropas zu einem Ort internationaler Vernetzung – ausgenommen blieben bis 1987 die Gewerkschaften des Ostblocks, was auf die bereits dargestellten Diskrepanzen zwischen den westlichen Gewerkschaftsverbänden und denen des kommunistischen Weltgewerkschaftsbundes (WGB) und seiner staatssozialistischen Mitglieder zurückzuführen war, sowie Delegierte aus Nord- und zentralafrikanischen Ländern. Die Abstände zwischen den Konferenzen vergrößerten sich: Zu Beginn traf man sich alle zwei bis vier, später alle sechs Jahre, bis am Ende acht Jahre zwischen den Konferenzen lagen. Eine besondere Konferenz, die in der Länge und durch die Wahl des Austragungsortes hervorstach war Tokio 1973.

42 Protokoll, 8. IMB -Schiffbaukonferenz, 27.–29. November 1979, Kopenhagen, in: IMB , AdsD 5/IMB 1540–1541; IISH IMF Collection, Folder 43. 43 9. IMB -Schiffbaukonferenz, 1.–3. September 1987, Helsinki, in: IMB.

311

312

Der Internationale Metallgewerkschaftsbund 

5.1.3 Aufbau wissenschaftlicher Expertise Anlass für die Gründung einer Schiffbauabteilung war die Beobachtung der wirtschaftlichen Entwicklung der Schiffbauindustrie aus globaler Perspektive. Der damalige Generalsekretär Konrad Ilg erklärte auf der ersten Schiffbaukonferenz des IMB, dass die Ergebnisse der Analysen für Rückschlüsse der gewerkschaftlichen Arbeit genutzt werden könnten.44 Um sich einen Überblick zu verschaffen, hatten die Mitarbeiter des IMB Fragebögen an die Mitglieder versandt und um Antworten zur Situation der Schiffbauindustrie gebeten. Dieser Fragebogen war Hauptthema der Konferenz. Einige Delegierte machten auf Mängel der Schiffbauerhebung aufmerksam, korrigierten die angegebenen Zahlen und forderten den Rückgriff auf offizielle Daten, um die unvollständigen Angaben der Gewerkschaftsmitglieder auszugleichen. Durch die Darstellung der nationalen Entwicklungen kam es auf den Konferenzen zwangsläufig zu Vergleichen, Diskussionen und Auseinandersetzungen. In den Fokus gerieten die Länder, in denen sich die Werften zu Marktführern entwickelten. Der Delegierte Edward James Hill aus England äußerte sich beispielsweise kritisch zu den Entwicklungen Westdeutschlands: Wir in England sind wegen dieser großen Konkurrenz ernstlich besorgt und falls die ganze Differenz auf zu niedrige Löhne in Deutschland zurückzuführen wäre, sind wir bereit, den deutschen Kollegen zu besseren Löhnen zu verhelfen […]. Offensichtlich ist jedoch, dass etwas nicht mit richtigen Dingen zugeht.45 Der deutsche Delegierte Wilhelm Petersen wies die Kritik entschieden zurück: Wir haben unsern Kollegen im Ausland mehr als einmal schriftlich erklärt, dass weder durch die Gemeinde noch durch die Bundesregierung Subventionen für Schiffsreparaturen bezahlt worden seien. […] Wenn eine englische Reederei einen Auftrag nach Deutschland vergibt, können doch die englischen Kollegen selber nachprüfen, welche Bedingungen die eng44 Protokoll, 1. IMB -Schiffbaukonferenz, in Newcastle upon Tyne, 4.–5. Juni 1951, in: IMB , AdsD 5/IMB 1707. 45 Hill, Protokoll, 1. IMB -Schiffbaukonferenz, in Newcastle upon Tyne, 4.–5. Juni 1951, S. 10, in: ebd.

Die institutionelle Entwicklung des IMB

lische Reederei gestellt hat und welches Angebot Deutschland oder die andern Länder gemacht haben.46 Die westdeutsche Schiffbauindustrie hatte seit Beginn der 1950er Jahre auf dem Weltschiffbaumarkt an Bedeutung gewonnen. Neben den westdeutschen galten aber auch schon die japanischen Werften als zukünftige Marktführer. Vor allem in Bezug auf Japan suchte man nach möglichen Erklärungen für den Aufstieg. Der Schiffbaupräsident des IMB Arne Geijer betonte, dass das Problem an den niedrigen Löhnen festzumachen sei, auf die man keinen Einfluss habe, da sich die Gewerkschaften in Japan nicht etablieren könnten. Das Argument der fehlenden gewerkschaftlichen Macht wurde in den Anfangsjahren häufig als Grund für die niedrigen Löhne herangezogen, hinter dem die Angst vor Marktvorteilen stand. Im IMB etablierte sich daraufhin die Forderung, dass mit verbesserter gewerkschaftlicher Organisierung auch höhere Löhne erkämpft werden könnten und damit eine verbesserte Ausgangslage für die wirtschaftliche Entwicklung des gesamten Marktes entstehe. Im IMB zog man aus der fehlenden Expertise für die Bewertung der wirtschaftlichen Situation die Schlussfolgerung, dass es sinnvoll sei, einen Experten einzuladen. So wurde für die dritte Schiffbaukonferenz Duff, Mitarbeiter der Wirtschaftsabteilung Economist Intelligence Unit aus London,47 gebeten, etwas zur Entwicklung des Schiffbaus zu sagen. Der Schiffbaumarkt hatte während dieser Zeit eine positive Entwicklung genommen. Wegen der Nachfrage nach Tankern im Öltransport gab es zahlreiche Tankerbauprogramme, die den Werften zu Aufträgen verhalfen. Duff sollte berichten, ob es in den folgenden Jahren so erfolgreich weitergehen würde. Doch er verkündete Vorsicht und prognostizierte einen Rückgang der Nachfrage. Darüber entspann sich eine lebhafte Diskussion unter den Delegierten. Der Brite Hill wollte der Voraussage keinen Glauben schenken und wies darauf hin, dass der zukünftige Markt der »rückständigen Gebiete der Welt« berücksichtigt werden müsse. Auch der IMB -Sekretär Waldemar Jucker glaubte nicht an den Rück46 Petersen, ebd., S. 10 f. 47 Die Economist Intelligence Unit wurde 1946 von der Zeitung The Economist als ergänzender, nicht-journalistischer Service gegründet, um Informationen über internationale Wirtschaftsbedingungen an private Klienten zu liefern. Sie agierte bald als unabhängige Institution, die ihre Informationen von Mitarbeitern aus Regionalbüros weltweit bezog. Die Institution hatte ihren Schwerpunkt in Transport- und Schifffahrtsstudien, siehe Burley, S. 65.

313

314

Der Internationale Metallgewerkschaftsbund 

gang der Nachfrage angesichts eines steigenden Rohölbedarfs für die wachsende Automobilindustrie. Andere sahen wie Duff die Entwicklung skeptisch. Der Niederländer J. Pieters fragte, wie man diesem Problem begegnen könne: Ob ein besonderes Programm für den Schiffbau ausgearbeitet werden oder ob man sich lieber anderen Industrien zuwenden sollte und wenn ja, welchen. Auf die Fragen reagierte Duff zurückhaltend: Man wisse weder, ob sich ein »Handel zwischen Ost und West« ausbreiten werde, noch wie der Markt auf die Spekulationen der Tankernachfrage reagieren werde. Auf die Frage der strategischen Ausrichtung wusste Duff nichts zu antworten: Ich glaube nicht, dass es möglich ist, über einen bestimmten Punkt hinaus Pläne zu machen, weil der Bau eines Schiffes vor allen Dingen heute eine lange Zeit braucht. Zwischen der Erteilung des Auftrages und der Fertigstellung des Schiffes vergeht viel Zeit, und während dieser Zeit können viele unvorhergesehene Ereignisse eintreten. […] Und dann ist natürlich die zweite Frage: Wer soll die Planung machen?48 Auf diese wenig aufschlussreiche Antwort reagierte Hill mit nochmaliger Nachfrage: Die Antwort Herrn Duffs auf meine Frage über die Lage des gesamten Schiffbaus im Verhältnis zu den veralteten Schiffen, die ersetzt werden müssen, befriedigt mich nicht ganz. […] Ist Herr Duff ernstlich der Ansicht, dass ab 1962 die Weltflotte nicht mehr erweitert wird, und dass dann überall nur noch Schiffe gebaut werden, die veraltete Typen ersetzen? […] Das scheint mir sehr unwahrscheinlich […]. Wenn wir diese Zuwachsrate beibehalten, dann ist die Beschäftigung in den Werften auf viele Jahre hinaus gesichert […]. Diese Erhebung über die Schiffahrtslage wurde gemacht, damit eine ständige Produktivitätssteigerung, eine Kapazitätsausweitung und gleichzeitig Vollbeschäftigung für alle Arbeiter in diesem Industriezweig gesichert werden kann.49 Duff reagierte darauf noch zurückhaltender und erklärte, seine Überlegungen seien natürlich rein theoretischer Art. Es sei durchaus möglich, dass bis 48 Duff, Protokoll, 3. IMB -Schiffbaukonferenz, in Rotterdam, 10.–11. September 1957, S. 6, in: IMB , AdsD 5/IMB 1702. 49 Hill, ebd., S. 8 f.

Die institutionelle Entwicklung des IMB

1970 die Notwendigkeit zur Expansion vorliege und größere Bedeutung haben werde als der Ersatz veralteter Schiffe. Mit dieser Aussage beendete der Schiffbaupräsident Isaac Baart die Diskussion. Die Gewerkschafter hatten sich von der wissenschaftlichen Expertise viel erhofft und blieben angesichts der negativen Vorhersage und der ausbleibenden Ratschläge enttäuscht. So war eine möglichst genaue Prognose der Entwicklungen auch Thema der vierten Konferenz 1960. Der Schiffbaupräsident Åke Nilsson forderte aussagekräftige Analysen und der IMB -Sekretär Adolphe Graedel betonte die notwendige Objektivität der Daten: I think it is important for the shipbuilding department of the IMF to form its own opinion on the basis of an objective expert’s report. It will thus arrive at better conclusions about the future evolution than if it were guided by theories presented, often with hidden political intentions, by shipping interests and shipbuilding circles.50 Der IMB erkannte also relativ früh, dass für zuverlässige Wirtschaftsaussagen eine Expertise im eigenen Haus vonnöten war. Diese sollte durch einen eigenen Experten gemacht werden. Dafür kam 1957 Karl Casserini. Der in Zürich geborene Casserini hatte enge Beziehungen zur Gewerkschafts­bewegung.51 Seine Schul- und Studienzeit verbrachte er in Zürich. Er war Sprecher bei Versammlungen der Sozialistischen Partei und Schweizer Gewerkschaften sowie Gewerkschaftsjournalist bei den sozialdemokratischen Zeitungen Volksrecht und Berner Tagwacht. Später wurde er Assistent bei der Internationalen der öffentlichen Dienste in London und ging 1948 nach Paris, wo er Assistent Secretary bei der Europäischen Regionalorganisation des IBFG war, beim gewerkschaftlichen Beratungsausschuss der OEEC (später OECD) und dem Europäischen Produktivitätsamt.52 Während seiner 34-jährigen Tätigkeit beim IMB entwickelte sich Casserini zum Hauptprotagonisten übergreifender Ideen, auf die ich noch genauer eingehen werde.

50 Graedel, Protokoll, 4. IMB -Schiffbaukonferenz, in Hamburg, 24.–26. März 1960, S. 6, in: IMB , IISH IMF Collection, Folder 41. 51 Casserini, S. 183. 52 Biographisches zu Karl Casserini in FES .

315

316

Der Internationale Metallgewerkschaftsbund 

5.1.4 Regionale Ausdehnung a)

Kontakt zu US-amerikanischen Gewerkschaften

US -amerikanische Gewerkschaften bekamen in der europäisch konzen-

trierten internationalen Gewerkschaftspolitik nach Kriegsende eine größere Rolle, was sich in der Darstellung der Auseinandersetzung um den WGB bereits zeigte. Auch bezüglich der Schiffbauindustrie war es wichtig, Kontakte zu US -amerikanischen Gewerkschaften aufzunehmen. Nachdem während der ersten Schiffbaukonferenz 1951 beschlossen worden war, die Amerikaner zu den Konferenzen einzuladen, machte sich der Präsident der Schiffbauabteilung Arne Geijer ein Jahr später auf den Weg nach Kansas City, um die Abteilung bei der International Association of Machinists53 vorzustellen. Geijer erläuterte vor zwanzig Delegierten seine Wirtschaftsstatistik zur Situation des europäischen Schiffbaus. Doch der US -amerikanische Gewerkschafter Rudi Faupl ging darauf kaum ein. Stattdessen sprach er davon, die freie demokratische europäische Gewerkschaftsbewegung stärken zu wollen – wenn nötig auch finanziell –, um sich den kommunistischen Bewegungen entgegenzustellen. Dazu sprach er über ein Erlebnis, das sein Vorhaben argumentativ untermauern sollte: Als ich mich seinerzeit in Deutschland aufhielt, musste ich erleben, dass an einem Ort die Kommunisten noch 70 % der Stimmenzahlen auf sich vereinigten. Dank der großen Hilfe Amerikas und der Zusammenarbeit zwischen den freien Gewerkschaften unseres Landes und Deutschlands ist an dem bestimmten Ort die Stimmenzahl der Kommunisten heute auf 5 % gefallen. Also dank unserer Unterstützung erfolgte die wirtschaftliche Besserung in Europa und hat der Kommunismus an Boden verloren.54 Während Geijer auf eine Zusammenarbeit mit Informationsaustausch und jährlichen Treffen der Delegierten hoffte, sah die US -amerikanische Gewerk53 Wie diese Kontakte zustande kamen, wird nicht erwähnt. Vermutlich hatten sich bereits im Vorfeld Beziehungen zwischen der US -amerikanischen Gewerkschaft und dem IMB angebahnt. In den 1950er Jahren erlebte die IAM eine Phase des Mitgliederwachstums. Sie vertrat 1958 mehr als 900.000 Mitglieder in der Metallindustrie, von Eisenbahn- bis Flugzeugbau, vgl. den Wikipedia-Eintrag »International Association of Machinists and Aerospace Workers« (zuletzt 12.06.2015). 54 Faupl, Protokoll, (Außerordentliche) Schiffbaukonferenz, 1952, in Kansas-City, USA , S. 4, in: IMB , AdsD 5/IMB 1540–1707.

Die institutionelle Entwicklung des IMB

schaft die Zusammenkunft eher als politische Aufgabe. Dieses Auftreten ließ sich auch in anderen Gewerkschaftsinternationalen finden.55

b)

Gewerkschaftliche Strategien für Länder des globalen Südens am Beispiel Asiens

Aus diesen US -amerikanischen Initiativen entwickelten sich in den 1950er Jahren mehrere Programme, die auf die gewerkschaftliche Organisierung in den Schwellenländern ausgerichtet waren und zum Ziel hatten, kommunistische Einflüsse möglichst kleinzuhalten. Der Historiker Anthony Carew konstatiert: More than anything else, anti-communism was the dominant theme in most of the Confederation’s early programmes. Its joint work with the ITSs was developed against the background of the need to counter the activities of the Trade Departments established by the WFTU since the split. The urgency of the proposed regional work, especially in Asia, was very much a product of the Cominform directive of January 1950 calling for stepped up communist activity in villages and urban areas in that part of the world.56 Die außereuropäischen Initiativen wurden 1954 vom IBFG in ein offizielles Programm gegossen. Eines der Ergebnisse war ein Fonds für regionale Aktivitäten, der Entwicklungsprojekte anstoßen sollte. Inhaltlich war das Programm darauf ausgerichtet, demokratische Strukturen durch Bildungs- und Trainingsangebote aufzubauen.57 Diese programmatische Ausrichtung hatte auch Auswirkungen auf die Entwicklung des IMB. Auf dem Kongress in Lugano 1957 entschied sich der IMB für eine Neuorientierung und wollte die Kontaktaufnahme in außereuropäische Länder verstärken. Im Zuge dessen gingen Mitarbeiter des IMB in außereuropäische Länder, »um eine grundlegende Dokumentation zu55 Die ITF startete 1949 beispielsweise ein eigenes gewerkschaftliches Programm gegen kommunistische Gewerkschaften in Europa, das maßgeblich von der US -amerikanischen AFL unterstützt wurde. Darin waren spezielle Schulungsmaßnahmen vorgesehen, Publikationen, die auch im sowjetischen Raum verteilt werden sollten, um Kontakt zu gewerkschaftlichen Oppositionen zu bekommen, und finanzielle Unterstützung für Gewerkschaftsarbeit, Koch-Baumgarten, S. 254 ff. 56 Carew, S. 201 f. 57 Ebd., S. 213.

317

318

Der Internationale Metallgewerkschaftsbund 

sammenzutragen und Kontakte mit den dortigen Metallgewerkschaften und ihren Organisationen anzuknüpfen«.58 Im Ergebnis hieß es: Noch gibt es keinen durchgehenden Plan der westlichen Länder, der einigermaßen darauf Anspruch erheben kann, dass er es wert ist, eine wirkliche Hilfe für die unterentwickelten Länder genannt zu werden. Es ist unsere Verpflichtung, auch als Gewerkschafter in internationalem Rahmen unseren Regierungen, den Unternehmern wie überhaupt der gesamten Öffentlichkeit in unseren Ländern zu sagen, dass da etwas an sozialer Not vorhanden ist, was eigentlich nicht mehr in diese Welt gehört. Es ist unsere Verpflichtung zu helfen, und wir im IMB haben eine Arbeit begonnen, die sehr schwierig und mit finanziellen Opfern verbunden sein wird.59 Für die Schiffbauabteilung des IMB spielte im Untersuchungszeitraum Asien die bedeutendste Rolle bei der Anbahnung außereuropäischer Kooperatio­ nen. Ausgangspunkt war die steigende Konkurrenz Asiens auf dem globalen Schiffbaumarkt. Japan war das erste asiatische Land, das eine ernstzunehmende Konkurrenz darstellte,60 weshalb der IMB ein starkes Interesse hatte, Kontakt zu japanischen Gewerkschaftern aufzunehmen. Die Kontaktaufnahme ging von beiden Seiten aus: Anfang der 1950er Jahre äußerten japanische Gewerkschafter, sie würden an internationalen Kongressen teilnehmen, ein Hindernis seien aber die Entfernung der Tagungsorte und die fehlenden finanziellen Mittel zur Anreise.61 Ende der 1950er Jahre ging der stellvertretende Generalsekretär Alfred Dannenberg für mehrere Monate nach Japan, um Kontakt zu den japanischen Gewerkschaften aufzubauen. Die Annäherung gestaltete sich schwierig. Die Spaltung japanischer Gewerkschaften in linke, christliche, sozialdemokratische und unabhängige Gruppieren, aber vor allem die strukturelle Organisation als Betriebsgewerkschaften war von außen nicht leicht zu durchschauen. Die Aufsplitterung der Einzelgewerkschaften auf Betriebsebene war undurchsichtig und

58 Casserini, S. 52. 59 Nach ebd. 60 Dieser bis in die 1990er Jahre stetige Wachstum Japans war Gegenstand zahlreicher Publikationen siehe Maull; Garby. Japan war in der Nachkriegszeit die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft, der es durch flexible ökonomische und technologische Strukturen gelang, auf neue Anforderungen schnell zu reagieren. 61 Casserini, S. 61.

Die institutionelle Entwicklung des IMB

es war unklar, mit welchen Gewerkschaften Verhandlungen aufgenommen werden sollten.62 Als 1950 der Koreakrieg ausbrach, befand sich Japan zwischen den Fronten des Kalten Kriegs. Mit einem Friedens- und Sicherheitsabkommen 1952 versuchten auch die USA, in Japan Fuß zu fassen, was in der japanischen Bevölkerung Unsicherheit und Unentschiedenheit auslöste: In particular the fear of being involved in another war spread those who had endured terrible experiences just until five years earlier. The longing for peace was connected with anti-establishment and anti-colonial feelings which were strong among the youth, women, and intellectuals.63 Diese Zerrissenheit spiegelte sich in der japanischen Gewerkschaftsbewegung wider. Vor allem junge Gewerkschafter verurteilten eine Mitgliedschaft im IBFG, dessen anti-kommunistische Haltung in Japan kein Geheimnis war. Sie forderten Neutralität, Opposition gegen ausländische Stützpunkte in Japan, einen Friedensvertrag, der auch den kommunistischen Block einbeziehen würde und die Opposition gegen Wiederaufrüstung.64 In den 1950er Jahren folgten zahlreiche interne Auseinandersetzungen in der japanischen Gewerkschaftsbewegung, die diese Punkte immer wieder zum Thema hatten und die grundsätzliche Haltung japanischer Gewerkschaften diskutierten. Im April 1957 beschloss der IMB, ein Verbindungsbüro in Tokio aufzubauen. Casserini erklärte im Rückblick, es sollte »dem Informationsaustausch dienen und japanischen Gewerkschaften helfen […], ihr Verständnis für die internationale Gewerkschaftsbewegung und den Solidaritätsgedanken unter Metallarbeitnehmern zu vertiefen«.65 Es ging jedoch auch darum, die Lohnsituation in Japan zu verbessern, um eine mögliche Preiskonkurrenz zwischen Japan und Europa zu verringern. So sagte der Präsident der Schiffbauabteilung auf der dritten Schiffbaukonferenz, dass man auch aus Eigeninteresse darum bemüht sei, den Japanern zu helfen, bessere Bedingungen durchzusetzen.66 Durch den wirtschaftlichen Aufstieg Japans veränderte sich die Position der japanischen Gewerkschafter innerhalb des IMB allerdings. Lange schon 62 Zum Aufbau der japanischen Gewerkschaften siehe einführend Shinoda. 63 Ebd., S. 135. 64 Ebd. 65 Casserini, S. 61. 66 Geijer, Protokoll, 3. IMB -Schiffbaukonferenz, in Rotterdam, 10.–11. September 1957, S. 23, in: IMB , AdsD 5/IMB 1702.

319

320

Der Internationale Metallgewerkschaftsbund 

stand es nicht mehr in einer Reihe mit »Entwicklungsländern«, sondern war »zu einer mächtigen Herausforderung für die traditionellen Industrien in den USA und Europa«67 geworden. Auf den Konferenzen kam es dadurch zu Meinungsverschiedenheiten.68 1960, als zwei japanische Gäste erstmals an einer internationalen Konferenz zur Schiffbauindustrie des IMB teilnahmen, war die Entwicklung Japans ein zentrales Thema. Im Mittelpunkt der Diskussionen standen die niedrigen Löhne sowie die staatlichen Subventionen zur Exporthilfe, die sich auf die Konkurrenz- und Exportfähigkeit der japanischen Schiffbauindustrie positiv auswirkten, für die europäischen Schiffbauländer infolge der sinkenden Nachfrage aber ein Problem darstellten.69 Auf die niedrigen Löhne Japans angesprochen antwortete Shinichiro N ­ ishikata, Mitglied der japanischen Werftarbeitergewerkschaft Zen Zosen: Die niedrigen Löhne als einzigen Grund für den wirtschaftlichen Aufschwung Japans zu nennen, sei nicht umfassend genug. Die Profitabilität der japanischen Schiffbauindustrie ergebe sich aus der Diversifikation, Rationalisierung und Modernisierung der Produktion.70 Gegen niedrige Löhne würden sich derzeit zahlreiche Kollegen in Japan einsetzen – und nicht nur bei den Löhnen, sondern auch in Bezug auf Rationalisierung.71

67 Casserini, S. 62. 68 Ob es zu ernsthaften Auseinandersetzungen kam, kann anhand des Protokolls nicht bestätigt werden. Verwiesen werden kann nur auf Auseinandersetzungen bei der ITF, wo japanische Mitglieder noch in der Nachkriegszeit aus Protest gegen die AFL - und ITF -Unterstützung in ihrer Region aus der ITF zeitweilig austraten, Koch-Baumgarten, S. 390, Fußnote 355. 69 Japan hatte tatsächlich ab den 1960er Jahren massiv auf Exportwirtschaft gesetzt: »Japans Exportwirtschaft war von Beginn der sechziger bis Mitte der achtziger Jahre der mit Abstand wichtigste Wachstumsträger: Während das reale Sozialprodukt […] zwischen 1965 und 1985 um 220 Prozent wuchs, expandierten die Exporte […] um 750 Prozent. Begünstigt auch durch einen über längere Zeiträume hinweg  – an der Kaufkraft gemessen, stark unterbewerteten Yen […] konnte Japan zwischen Mitte der sechziger und Mitte der achtziger Jahre seine Stellung am Weltmarkt kontinuierlich ausbauen.«, Ernst, Hilpert u. Laumer, S. 54. 70 Es wurde beispielsweise eine sogenannte Qualitätskontrolle in Unternehmen eingeführt, die die Qualität der Produkte erhöhen und die Kosten reduzieren sollte. Als das Programm 1950 von den USA übernommen wurde, waren dafür vor allem Experten verantwortlich. Es entwickelte sich während der 1960er und 1970er Jahre zu einem unternehmensweiten Projekt, in das verschiedene Gruppen von Arbeitern involviert waren und die die Effizienzsteigerung am Arbeitsplatz analysierten, Shinoda, S. 142. 71 Nishikata, Protokoll, 4. IMB -Schiffbaukonferenz, in Hamburg, 24.–26. März 1960, S. 37, in: IMB , IISH IMF Collection, Folder 41.

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Mit der wirtschaftlichen Entwicklung japanischer Unternehmen entwickelte sich in großen Firmen eine Form der Kooperation zwischen Gewerkschaftern und Managern. Sie identifizierten die Steigerung der Produktivität als gemeinsames Interesse, an dem alle verdienen konnten – durch höheren Profit, höhere Löhne und bessere Lebensstandards. Im Rahmen dieser kooperativen Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung bauten die Unternehmen ihre Wohlfahrtsprogramme aus und stärkten damit die Loyalität der Arbeiter zum Unternehmen.72 Gleichzeitig wurde ein Subcontracting-System etabliert, das die Kosten reduzieren sollte, vor allem aber zur Folge hatte, dass die über dieses System atypisch beschäftigten Arbeiter von der gewerkschaftlichen Organisation des Unternehmens und den sozialen Programmen ausgeschlossen blieben.73 Die besondere Form der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Kooperation blieb in den Diskussionen beim IMB allerdings unberücksichtigt. Auch die soziale Problematik, die sich hinter dem SubcontractingSystem verbarg, wurde in den Konferenzen nicht aufgegriffen, obwohl der japanische Gewerkschafter darauf aufmerksam machte. Im Zusammenhang mit der Vereinigung der Arbeiter sei es wichtig, auch das Problem der zeitlich begrenzten Beschäftigung (temporary engagement) und der Tagelöhner zu lösen, führte er an. Dafür würde er gern auf die Hilfe und Unterstützung der Delegierten zählen.74 Reaktionen vonseiten der anderen Gewerkschaftsdelegierten blieben allerdings aus. Auch die Industrialisierung anderer außereuropäischer Länder war Thema der Konferenz. Casserini verheimlichte seine prinzipielle Einstellung dazu nicht. Er begrüße zwar, dass »Entwicklungsländer« neue Produktionsbranchen eröffneten, auch unterstütze er den freien Zugang zum Weltmarkt für diese Produkte, allerdings knüpfte er daran auch Bedenken: Is it not too great  a burden for the developing countries to try to save foreign currency by creating an industry which they can hardly hope to compete with other countries without having recourse to massive state subsidies which are sorely needed to help other national industries gain a foothold? In shipping and shipbuilding there is a great element of ­prestige. 72 Shinoda, S. 141. 73 Ebd. Wonchul Shin hat in einer Analyse des Leiharbeitsystems in der südostasiatischen Schiffbauindustrie die Tradition der Auslagerung von Arbeitsabläufen nachgewiesen, Shin. 74 Nishikata, Protokoll, 4. IMB -Schiffbaukonferenz, in Hamburg, 24.–26. März 1960, S. 37, in: IMB , IISH IMF Collection, Folder 41.

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We do not wish to prevent any country from developing its prestige or creating an industry. If that leads to the apparition of new competitors in shipbuilding, I do not think that we should fear too much. The production capacity will, of course, be increased but the new shipyards will be occupied for many years building ships for the national fleet and will hardly play a role in international competition.75 Die Einschätzung zur Entwicklung neuer Industrien blieb 1960 also noch weit hinter dem, was sich ab den 1970er Jahren tatsächlich ereignete. Dennoch ahnten die Gewerkschafter damals schon, was den Markt durch die Industrialisierung von außereuropäischen Ländern erwarten würde. Zunächst blieb aber der wirtschaftliche Aufstieg Japans zentrales Thema der Konferenzen. Auf der fünften Konferenz 1964 stand der Vorwurf unlauterer Subventionen im Raum, dem die japanische Seite immer wieder zu entgegnen versuchte. Der japanische Delegierte argumentierte, man sei sich in Japan der Kritik an der Expansion bewusst: But you must understand one thing: Japan is […] surrounded by the seas and the Japanese industry and economy as a whole cannot develop without sea transportation and shipbuilding. […] But we do not consider this situa­ tion only from the viewpoint of Japanese interest: We are always thinking on international basis. So we request your further understanding and cooperation on our situation.76 Er meinte weiter, Japan würde sich von einem »unterentwickelten Land« zu einem modernen und demokratischen entwickeln. Die Einstiegslöhne stiegen jedes Jahr um zwanzig Prozent, was sich auch auf die anderen Löhne auswirke. Der IMB -Sekretär Alfred Dannenberg pflichtete dem japanischen Kollegen bei und schilderte seine Eindrücke von einer Japanreise: [Man] kann […] sagen, dass in der Annäherung an den letzten Europäer doch gewaltige Fortschritte gemacht wurden, und die japanischen Gewerkschaften haben auch das Schlachtwort gegenüber ihren Unter­ nehmern erhoben, europäische Lebensstandards zu schaffen. Sie wollen 75 Casserini, ebd., S. 25. 76 Koga, Protokoll, 5. IMB -Schiffbaukonferenz, in Genua, 1.–3. April 1964, Redebeitrag 57, in: IMB , AdsD 5/IMB 1697–1699.

Die institutionelle Entwicklung des IMB

europäische Löhne und unter diesem Motto werden die Arbeitskämpfe auch dieses Frühjahr in Japan durchgeführt.77 Zur selben Zeit, im Mai 1964, gründete sich in Japan der IMB -Japanausschuss aus fünf nationalen Metallverbänden und zehn großen Betriebsgewerk­ schaften. Mit der Gründung sollte die Legitimität als spezifische Interessengruppe gestützt und gleichzeitig die enge Kooperation zwischen Gewerkschaft und Management gestärkt werden. Wichtig war es dem Ausschuss, national wie international als gleichwertige Gewerkschaftsorganisation anerkannt zu werden.78 Inwiefern hier externe Einflüsse durch die enge Verbindung zum IMB und die zeitgleich stattfindende Konferenz eine Rolle spielten, bleibt allerdings offen. Schließlich waren die Verbindungen zwischen dem IMB und Japan so weit gediehen, dass Japan nicht nur offizielles Mitglied des IMB wurde, sondern sogar die siebte Schiffbaukonferenz des IMB 1973 in Tokio ausrichtete. Diese Konferenz war nicht nur in ihrem Umfang und in der Programm­ gestaltung besonders, sie sorgte auch innerhalb der japanischen Gewerkschaftsbewegung für großes Aufsehen. Neben 49 japanischen Gewerkschafts­ delegierten und den Mitarbeitern des japanischen IMB -Büros kamen der japanische Arbeitsminister, der Vizepräsident der japanischen Gewerkschaft Domei sowie der Präsident des japanischen Verbandes der Schiffbau- und Maschinenbaugewerkschaften. Noch bis Ende der 1970er Jahre blieb die Haltung der westeuropäischen Delegierten gegenüber den japanischen ambivalent. Da Japan in den Folge­ jahren zwar ebenfalls an den steigenden Überkapazitäten in der Schiffbauindustrie zu leiden hatte, durch Umstrukturierungen und technologische Neuerungen trotz der Ölkrise 1973 aber seine führende Position halten konnte, geriet das Land immer wieder in den Fokus. In der Argumentation war es aber zum angesehenen Industrieland aufgestiegen.79 Der Fokus richtete sich nun zunehmend auf die Entwicklungen in den umliegenden asiatischen Ländern wie Südkorea, China, Taiwan, Indonesien 77 Dannenberg, ebd. 78 Ebd, S. 143. 79 Erst durch den Tiefstand der japanischen Währung 1985 erlebte Japan in den darauf­ folgenden Jahren einen Einbruch des Exports, der zur wirtschaftlichen Rezession führte. Allerdings gelang es auch hier, die unternehmerischen Strategien in andere Richtungen zu lenken. Japan begann in den 1980er Jahren mit Direktinvestitionen im Ausland, was wiederrum den Beginn der Industrialisierung anderer asiatischer Länder nach sich zog.

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und auf den Philippinen, denen durch Technologie- und Wissenstransfer von multinationalen Firmen ein rascher Aufstieg im maritimen Sektor gelang. Wie schon bei Japan ertönte der lauteste Vorwurf in Richtung der niedrigen Löhne und der staatlichen Subventionen. Das Büro in Japan wurde ab 1972 umstrukturiert und hatte nun auch Verantwortung für Korea, Taiwan, die Philippinen, Hongkong, Thailand, Malaysia und Indonesien. Der koreanische Metallgewerkschaftsbund wurde 1967  – nach einer Reise des japanischen Büroleiters Ichiro Seto – in den IMB aufgenommen. Und wie in Japan unterstützte der IMB in Ländern mit stark ausdifferenzierter Gewerkschaftslandschaft die Bildung nationaler Ausschüsse.80 Etwa zur gleichen Zeit begann der IMB, regionale Seminare zu organisieren. Die Angst vor der geographischen Verlagerung der Schiffbauindustrie in asiatische Länder verstärkte sich in diesen Jahren.81 Der IMB hatte bereits im Mai 1975 das erste asiatische Schiffbauseminar in Singapur veranstaltet.82 Vom 30. Mai bis 1. Juni 1978 folgte das zweite Seminar in Tokio, das vom IMB -Japanausschuss83 organisiert wurde. Als Grundlage der Diskussion hatte Karl Casserini einen Bericht mit dem Titel »Social and economic problems of shipbuilding and ship repairing, Asia and worldwide, in the present crisis« vorgelegt. Doch Casserini ging nicht – wie der Titel vermuten lässt – auf die Entwicklung der Industrie in der asiatischen Region ein, sondern erläuterte zunächst die problematische Situation der alten Industrieländer, die einen starken Rückgang der Tankernachfrage infolge der Ölkrise von 1973 zu spüren bekämen und mit steigender Arbeitslosigkeit zu kämpfen hätten. Er formulierte, dass das erklärte Hauptziel des IMB die Beschäftigungssicherheit sein müsse. Und er drückte seine Sorge darüber aus, dass die bereits bestehende Überkapazität an modernen Werften in Entwicklungs80 Casserini, S. 65 f. 81 Auszug aus dem Bericht an das Zentralkomitee in Tokio, 8.–9. Oktober 1975, in: 8. Schiffbaukonferenz, 27.–29. November 1979, Kopenhagen, in: IMB , AdsD 5/IMB 1540–1541. 82 Zu diesem Seminar sind im IMB -Bestand keine Quellen vorhanden. In einem Auszug aus dem Bericht an das Zentralkomitee in Tokio vom Oktober 1975 heißt es aber: »125 Gewerkschaftsvertreter aus IMB -Verbänden in Asien und Australien nahmen an diesem Treffen teil. Sie kamen aus Australien, der Republik China, Hongkong, Indonesien, Japan, Südkorea, Malaysia, Neuseeland, den Philippinen und Singapur.« Am Ende sei eine Erklärung angenommen worden, die festhielt, dass sich der IMB um Wege der Unterstützung von Kollektivverhandlungen kümmern würde, um den Aufbau von starken Gewerkschaften und die Förderung des sozialen Fortschritts, siehe ebd. 83 In der Quelle heißt es in der deutschen Übersetzung »japanischer Rat des IMB«. Es ist davon auszugehen, dass hiermit der IMB -Japanausschuss gemeint war.

Die institutionelle Entwicklung des IMB

ländern derzeit ausgebaut würde  – trotz begrenzter Marktaussichten. Das habe zur Folge, dass der Anteil der industrialisierten OECD -Länder an der Schiffbauproduktion, der in der ersten Hälfte der 1970er Jahre bei 94 Prozent lag, sich bis Mitte der 1980er Jahre auf sechzig bis achtzig Prozent verschlechtern werde, wenn man die geplanten Investitionen in der »Dritten Welt« betrachte.84 Entsprechend der Probleme der westeuropäischen Länder stellte Casserini einen Maßnahmenkatalog auf, der fast ausschließlich die Beschäftigungs­ problematik Westeuropas zum Thema hatte. Für die asiatischen Länder blieb das Programm hingegen vage. Wie die Teilnehmer des Seminars darauf reagierten, ist im Quellenmaterial nicht überliefert. Die vorgestellten Maßnahmen müssen ihnen aber unverständlich, wenn nicht gar grotesk vorgekommen sein, da sie auf die Problematik ihrer Länder kaum bis gar nicht eingingen. Zum großen Problem der Etablierung von Multinationals, die in vielen Ländern des globalen Südens der Grund für die rasche Expansion aber auch für die niedrigen Löhne waren, sagte der Bericht nichts. In der abschließenden Erklärung hieß es, man wolle einen regionalen Aktionsplan entwerfen, »welcher auf den Gebieten der gewerkschaftlichen Organisation, der Gewerkschaftsrechte und -verhandlungen sowie gewerkschaftlichen Vermittlung durch den IMB zur Erlangung einer gesunden Entwicklung der Schiffbauindustrie wegweisend sein wird.«85 Das dritte asiatische Schiffbauseminar folgte 1981 und fand in Taipei statt.86 Die Teilnehmer – fasst ausnahmslos aus asiatischen Ländern87 – waren mit 109 Personen ähnlich zahlreich wie auf den Schiffbaukonferenzen des IMB. Dieses Mal ging der Bericht gleich zu Beginn auf die Besonderheit 84 Karl Casserini: Social and economic problems of shipbuilding and ship repairing, Asia and worldwide, in the present crisis, S. 17 f., in: Second IMF Asian Shipbuilding Seminar, 30. Mai-1. Juni 1978, Tokio, in: IMB , IISH IMF Collection, Folder 42. 85 Auszug aus dem Bericht an das Zentralkomitee in Helsinki, 29.–30. September 1978, in: 8. Schiffbaukonferenz, 27.–29. November 1979, Kopenhagen, in: IMB , AdsD 5/IMB 1540–1541. 86 Siehe die Broschüre: IMF: The Asian Shipbuilding Industry in the context of the worldwide situation, in: 3rd IMF Asian Shipbuilding Seminar, 2–4 July 1981, Taipei, Republic of China, in: IMB , AdsD, 5/IMB ohne Signatur (o. S.). 87 Es nahmen Gewerkschaften aus Australien (zählte wie schon beim Ersten Asiatischen Schiffbauseminar zu Asien), Bangladesch, der Republik China, Hongkong, Indien, Indonesien, Japan, Korea, Pakistan und Singapur teil. Die japanischen Metall- und Werftarbeiter waren immer noch durch verschiedene Gewerkschaften repräsentiert. Für Japan kamen 14 verschiedene Interessengruppen. Ähnlich war es in China, die acht Gewerkschaftsvertretungen schickten.

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der Region ein, analysierte die Situation vor Ort und formulierte spezifische Maßnahmen für die neuen Industrieländer: The shift of the shipbuilding activities to developing countries must be accompanied by the promotion of substantial social progress in the new industrial centre […]. Wages of shipyard workers in Asian developing countries are extremely low for arduous and dangerous work in an industry which provides essential means of transport to the world economy.88 Konkreter hieß es, asiatische Werftarbeiter sollten auf Werftebene organisiert werden und es bedürfe Verbindungen zwischen nationalen und internationalen Gewerkschaftern.89 Dafür sollten spezifische Programme entwickelt werden. Gewerkschaftsrechte sollten von Management und Regierungen anerkannt, eingeführt und durch eine IMB -Kampagne publik gemacht werden. Jede Verletzung der 25 Menschen- und Gewerkschaftsrechte der I­ MB -Charta würde denunziert werden. Tarifverhandlungen müssten beobachtet und daraus Rückschlüsse gezogen werden, welche Strategien innerhalb der asiatischen Gewerkschaftsbewegung effektiv seien. Man brauche ein regelmäßiges Training für maximale Expertise zur Argumentationsstärkung und einen Ausbau der Expertise in Verhandlungen.90 Diese konkreten Vorschläge zeugten erstmals von einer tatsächlichen Auseinandersetzung mit den Bedingungen der Region und stellten einen Ansatz für die regionale Politik dar. Ein Umdenken im Sinne einer Common Policy, die auch die Gegebenheiten der asiatischen Entwicklungen berücksichtigte, zeigte sich in den Reden der beiden IMB -Sekretäre, Karl Casserini und Herman Rebhan. Casserini erklärte, die Beschäftigungssicherheit solle auch aus Perspektive der »Entwicklungsländer« gedacht werden, besonders in Asien, das mittlerweile ein Drittel der gesamten Arbeitskräfte weltweit stelle: »This imposes a big responsibility on IMF unions in Asia to undertake maximum efforts for job security and social progress of such a large segment of workers who have made shipbuilding in their region a leading world producer.«91 Und er erklärte, dass bereits indus88 IMF: The Asian Shipbuilding Industry in the context of the worldwide situation, 3rd IMF Asian Shipbuilding Seminar, 2–4 July 1981, Taipei, Republic of China, S. 1f, in: IMB , AdsD, 5/IMB o. S. 89 Ebd., S. 2. 90 Ebd. 91 Karl Casserini: The Shipbuilding Industry and Trade Union Policy – Current Situation and Prospect and IMF action, in: 3rd IMF Asian Shipbuilding Seminar, 2–4 July 1981, Taipei, S. 8, in: IMB , AdsD, 5/IMB o. S.

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trialisierte Länder das Recht der ökonomischen Entwicklung und Schiffbauaktivitäten in anderen Teilen der Welt anerkennen würden, aber nur, wenn sie sich auch um sozialen Fortschritt bemühten: »This will prepare the ground for common international action to gain the necessary union strength and skill throughout Asia so that our policies become reality.«92 Wie sich an diesen Entwicklungen zeigt, veränderte sich die Rolle Japans in den Diskussionen. Welchen Einfluss die japanischen Gewerkschafter selbst darauf hatten, kann ich anhand des wenigen mir vorliegenden Materials nicht zeigen. Es wäre aber lohnenswert, die Argumentationsstrukturen der an den Verhandlungen beteiligten Gewerkschafter mithilfe ergänzenden Quellenmaterials unter diesem Blickwinkel noch einmal zu beleuchten.

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5.2.1 Überkapazität, Subventionen und Beschäftigungsprobleme In der Analyse von Karl Casserini auf der vierten Konferenz 1960 zeigte sich die Unterschiedlichkeit der nationalen Entwicklungen: Japan, die USA, Westdeutschland, Schweden und etwas weniger Großbritannien, Belgien und die Niederlande hatten in diesen Jahren die größten Werften und dominierten den Markt. Dahinter befanden sich Italien und Frankreich, es folgten Norwegen und Dänemark mit kleineren und mittleren Unternehmen. Die negativen Prognosen Duffs hatten sich in diesen Jahren insofern bewahrheitet, als dass die Nachfrage nach Schiffen gesunken war, die Werften aber weiterhin Schiffe produzierten und damit zur Überkapazität beitrugen, was den Gewerkschaftern große Sorgen bereitete. In einer langen Rede des Generalsekretärs Adolphe Graedel war erkennbar, dass die positive Entwicklung der Weltwirtschaft sich nicht in der Nachfrage der Schiffbauindustrie widerspiegelte. Und in diesem Zusammenhang tauchte ein Problem auf, das in den folgenden Jahren die Schiffbauindustrie überschatten würde: die Unsicherheit in der Beschäftigung. Hierfür, meinte Graedel, brauche es eine langfristige Policy, die sich allerdings nicht auf staatliche Subventionierung stützen dürfe: »The shipyard workers must at no cost be the victims of a sudden change in direction of a state economic policy or […] become the planning object of government technocrats who decide the fate of an industry with no knowledge 92 Ebd., S. 22.

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of its basic characteristics.«93 Das Problem der Subventionierung war – neben höheren Löhnen und Beschäftigungssicherheit  – ein Argument, dass der IMB in den folgenden Jahren mit Vehemenz verfolgte. Auf der vierten Konferenz wurden dafür die grundlegenden Gedanken formuliert. Casserini schätzte die Situation und Bedeutung staatlicher Unterstützung 1960 wie folgt ein: In speaking of state aid. I have taken the great liberty of defending a point of view which I consider to be the only one possible from a trade union angle and which must therefore be discussed at this shipbuilding conference of the IMF. The trade unions, deeply concerned with the employment situation in their national industry, may succumb to the temptation of ­favouring a policy of subsidies which could only lead to an intensification of a real economic war waged with subsidies, pre-financing and encouragement of exports and other government measures. Such state aid has never served the workers.94 Zur Sicherung der Vollbeschäftigung würde er Subventionen nicht per se ablehnen, aber für Exporthilfen brauche es spezifische Regeln. Die Länder sollten ihre Politik international abstimmen und auf keinen Fall sollten große Schiffseigner von den Kredithilfen profitieren. Der Vortrag Casserinis löste bei den Anwesenden einige Kritik aus. Der italienische Delegierte Luigi Zanzi fühlte sich herausgefordert, die Subventionspolitik Italiens zu verteidigen. Durch zu hohe Stahlpreise sei die italienische Schiffbauindustrie in Schwierigkeiten geraten. Die Gewerkschaften hätten sich auf den Schutz von Arbeitsplätzen konzentrieren müssen und es sei deshalb nicht möglich gewesen, die Löhne auf ein internationales Niveau zu bringen. Der Delegierte Jos. Mage aus Belgien kam auf das Problem der Beschäftigung zu sprechen: It is said that we should try to ensure the employment of our comrades in the shipyards. But one wonders whether it is wise to ensure employment at any cost and at any wage. The wage differentials existing in Europe lead me to ask whether the IMF should not ask the member federations to strive after approximately the same standards. The IMF proclaimed the aim of 93 Graedel, Protokoll, 4.  IMB -Schiffbaukonferenz, in Hamburg, 24.–26. März 1960, S. 10, in: IMB , IISH IMF Collection, Folder 41. 94 Casserini, ebd., S. 23 f.

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the 40 hour week. But it is open to question whether such an objective would not create unfavourable working conditions in some countries. In countries where working conditions are better, such action could lead to unemployment.95 Der Franzose Fernand Gouaux pflichtete Casserini in Bezug auf die Subventionen und die enge Verbindung zur Beschäftigung bei: In Frankreich hätten die Regierungsinterventionen in gewisser Hinsicht schon Züge der Verstaatlichung angenommen. Als man die Reduktion von staatlichen Hilfen beschloss, seien 12.000 Personen entlassen worden – ein Drittel der im Schiffbau beschäftigten Menschen. Deutlich wird, dass jeder die Situation seines Landes zu verteidigen suchte und auf Probleme aufmerksam machte, die die nationale Entwicklung betraf. Was Casserini mit der Reduktion von Exportsubventionen meinte, die er von den Subventionen zur nationalen Strukturentwicklung trennte, konnte er nicht jedem begreiflich machen. Auch europäisch einheitliche Löhne und Arbeitsstunden konnten die Delegierten nicht vollkommen überzeugen, zu stark waren die Ängste, eine europäische Vereinheitlichung führe zu Nachteilen in der eigenen Industrie.

5.2.2 Unterschiedliche Entwicklungen durch Technologie und Umstrukturierung Die wirtschaftliche Situation der Schiffbauindustrie spitzte sich in den folgenden Jahren zu. Obwohl eine steigende Nachfrage nach Öl zu großen Aufträgen in der Tankerproduktion führte, befanden sich einige westeuropäische Werften bereits in den 1960er Jahren in einer Strukturkrise, wie es Casserini auf der sechsten Schiffbaukonferenz 1967 ausdrückte. Durch frühzeitige Einführung hochwertiger Technologien für den Großschiffbau war es einigen Werften in Schweden und Japan gelungen, enorme Marktvorteile zu erlangen und sich mit Abstand an die Spitze der Weltrangliste zu setzen. In krassem Gegensatz zu den relativ günstigen Marktvoraussetzungen sind die Produktionsverhältnisse überaus komplex, was die meisten Werftindustrien vor äußerst schwerwiegende Probleme stellt. Sie kommen durch

95 Mage, ebd., S. 29.

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eine immer stärker werdende Unausgeglichenheit in der geographischen Verteilung der Aufträge und entsprechenden Produktionsverschiebungen zum Ausdruck.96 Großbritannien und die USA waren hinten abgefallen, Italien und Frankreich zeigten Probleme, was Casserini einer verpassten Regierungspolitik zuschrieb, die sich rechtzeitig um technologischen Fortschritt hätte kümmern müssen. Doch im gleichen Atemzug machte er auf die Problematik der Technologisierung aufmerksam, die mit Rationalisierung und Serienproduktion verbunden sei: Die Preise würden durch das große Angebot stark sinken, Investitionen würden damit kaum ausgeglichen werden und den Beschäftigten drohe durch automatisierte Arbeitsprozesse und den sinkenden Arbeitskräftebedarf Arbeitslosigkeit.97 Daher sei es, so Casserini weiter, dringend notwendig, langfristige Pläne für die Schiffbauindustrie zu entwickeln. In seinem Bericht schlug er deshalb folgende Punkte für die Mitglieder vor: In jedem Land müsste eine nationale Planung etabliert werden, die regelt, wie und wo investiert, moder­ nisiert und rationalisiert werde. Darüber hinaus müssten Programme für die Diversifizierung des Sektors erarbeitet werden. Man brauche konstruktive Maßnahmen statt Beihilfen sowie eine aktive Arbeitsmarktpolitik mit rechtzeitiger Versetzung der Arbeitnehmer in andere Arbeitsbereiche. Oberstes Gebot sei, dass die Gewerkschafter an allen wirtschaftlichen und sozialen Entscheidungen beteiligt seien.98 Im IMB erkannte man also schon vor dem großen Einbruch der westeuropäischen Schiffbauproduktion in den 1970er und 1980er Jahren, dass ein Schiffbaumarkt in Europa nur wenig Aussichten auf Wachstum habe. Deshalb riet man den Mitgliedern, sich frühzeitig um alternative Arbeitsplätze zu kümmern und eine Umstrukturierung ihrer Werftindustrie zu anderen Industrieproduktionen zu fordern. Diese Weitsicht zeigt, wie außerordentlich hilfreich der Vergleich auf übernationaler Ebene sein konnte. Inwiefern diese Hinweise tatsächlich Einfluss auf die Politik der nationalen Gewerkschaften hatte, verdeutlichte bereits das Beispiel der IG Metall.

96 Casserini, Protokoll, 6.  IMB -Schiffbaukonferenz, in Newcastle upon Tyne, 22.–25. Mai 1967, S. 3 f., in: IMB , AdsD 5/IMB 1696. 97 Casserini, ebd., S. 20 f. 98 Casserini, ebd., S. 95.

Hauptthemenfelder und Strategien

5.2.3 Ölpreiskrise und neue Herausforderungen für gewerkschaftliche Strategien Mit der Ölpreiskrise im Herbst 1973 war auch die Hoffnung auf die steigende Nachfrage im Tankerbau vorbei. Mit den Veränderungen kam es auf den folgenden IMB -Konferenzen zu verzweifelten Versuchen, angesichts der seit 1975 stark steigenden Arbeitslosigkeit in westeuropäischen Küstenregionen Lösungen zu finden. Noch vor der Krise hatte Casserini im April 1973 auf der siebten Schiffbaukonferenz auf die stärkere Internationalisierung des Marktes hingewiesen und vor der »wachsenden Beherrschung durch internationale Kapitalgruppierungen« gewarnt.99 Flotten in Ländern mit »Billigflaggen«, wo es keine gewerkschaftliche Organisierung, nur niedrige Löhne und hohe Unfallraten gebe, würden die höchste Wachstumsrate aufzeigen. Casserinis Forderungen nach »Ansätze[n] für geordnete wirtschaftliche Verhältnisse« mit internationaler Ausrichtung blieben allerdings weitgehend ungehört.100 Auf der achten Schiffbaukonferenz 1979 betonte auch der Generalsekretär Herman Rebhan die Verflechtung des Marktes und verwies auf die Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise für den Schiffbau: »No man is an island, alone unto himself,« wrote the English poet, John Donne, 400 years ago. Never has the inter-dependence of man with man, of nation with nation, of industry with industry, and, above all, of worker with worker been more visible than it is today. The man who tried to trace back the inter-connecting links in the chain of causes leading to the current shipbuilding crisis would end up contemplating infinity. I don’t propose to embark on that exercise. But I do believe it is important to stress the fact that the shipbuilding problem we are discussing this week is i­ nextricably linked to the world economic crisis.101 Und beinahe poetisch beschrieb er die Beschäftigungssituation in den Küstenregionen mit den folgenden Worten:

99 Casserini, in: Nachrichten, 7. IMB -Schiffbaukonferenz, in Tokio 27. März–5. April 1973, S. 2, in: IMB , AdsD 5/IMB 1694–1695. 100 Casserini, ebd. 101 Remarks by Herman Rebhan to the Eight IMF World Shipbuilding Conference, Copenhagen, 27–29 November 1979, in: Protokoll, 8. IMB -Schiffbaukonferenz, 27.–29. November 1979, Kopenhagen, S. 4, in: IMB , IISH IMF Collection, Folder 43.

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There are tens of thousands of workers whose lives have been invested in the shipyards of the world and who are now being told that they are now no longer needed. Like the bottles of champagne smashed after being used to launch a ship, they are thrown onto the scrapheap as useless.102 Ein neuer Vorschlag des IMB war, die Nachfrage durch die Erneuerung der alten Handelsflotte anzukurbeln. Mit dem Abwrack- und Neubauprogramm sollten alte Schiffe aussortiert und damit die Produktion neuer Schiffe angeschoben werden. Diese Vorschläge gingen auf die Initiativen auf europäischer Ebene zurück.103 Um der Beschäftigungsproblematik zu begegnen, schlug der IMB außerdem die Reduktion von Arbeitszeiten vor. Es bedürfe kürzerer Arbeitswochen, längerer Urlaubszeiten, Frühpensionierung und der Abschaffung von Überstunden. Wie in den asiatischen Schiffbauseminaren zeigte sich auf den internationalen Schiffbaukonferenzen eine Veränderung in der programmatischen Ausrichtung. Die IMB -Sekretäre forderten konkrete Lösungen für die Situation in den neuen Schiffbauländern. Rebhan machte auf der Konferenz 1979 darauf aufmerksam, dass es der IMB nicht akzeptieren könne, dass Werften Lateinamerikas, arabischer und asiatischer Staaten Aufträge auf Kosten von hohen Unfallraten, einem hohen Level an Berufskrankheiten und jämmerlich niedrigen Löhnen – von denen der Arbeiter und seine Familie kaum leben könne – annehmen würden. Es sei eine Verpflichtung des IMB, alles in seiner Macht Stehende zu tun, die Aufbauarbeit von starken und effektiven Gewerkschaften für Werftarbeiter zu unterstützen.104 An die Teilnehmer der achten Schiffbaukonferenz richtete er deshalb die Schlussworte: The world of hunger and want is also anxiously listening: too long and too often they have been exploited by private corporations and betrayed by politicians. Our message from this conference must be: we, the shipbuilding workers of the world, will not let you down.105

102 Ebd., S. 7. 103 Siehe die Diskussionen im EMB. 104 Remarks by Herman Rebhan to the Eight IMF World Shipbuilding Conference, Copenhagen, 27–29 November 1979, in: Protokoll, 8. IMB -Schiffbaukonferenz, 27.–29. November 1979, Kopenhagen, S. 18, in: IMB , IISH IMF Collection, Folder 43. 105 Ebd., S. 23.

Hauptthemenfelder und Strategien

Mit der Globalisierung des Marktes und der Ausdehnung der Schiffbauproduktion in weitere Länder sah sich die Gewerkschaftsbewegung mit der Parallelentwicklung konfrontiert, die eine steigende Arbeitslosigkeit in alten und eine schlechte Arbeitnehmersituation in den neuen Industrieregionen ergab. Es wurden Programme initiiert, die die Nachfrage für westeuropäische Werften erhöhen sollten. Gleichzeitig forderte man Konzepte für die soziale Besserstellung der Arbeiter in Ländern des globalen Südens. Um dem wachsenden Marktungleichgewicht international zu begegnen, entwarf Casserini ein Programm zur Kontrolle von Subventionen auf globaler Ebene, auf das noch genauer eingegangen wird.

5.2.4 Globale Antworten auf einen globalisierten Markt Zwischen der achten und neunten internationalen Schiffbaukonferenz lag eine Zeitspanne von acht Jahren. Die grundlegende Problematik der Schiffbauindustrie und die Abhängigkeit von weltwirtschaftlichen Krisen und der Internationalisierung des Kapitals hatten sich verschärft. Die in den 1970er Jahren angesprochenen Punkte des IMB waren angegangen worden und hatten bereits Früchte getragen. In seiner Eröffnungsrede betonte Rebhan die positive Entwicklung der gewerkschaftlichen Organisierung in den Ländern des globalen Südens: Als er 1974 als Generalsekretär des IMB begann, habe es in Südafrika etwa 20.000 schwarze Gewerkschafter gegeben, heute seien es allein in den Metallgewerkschaften 150.000. Auch Asien zeige eine Bewegung für politische Freiheit und ökonomische Gerechtigkeit. In Süd­ korea hätten Arbeiter in verschiedenen Sektoren der Metallindustrie begonnen, sich in Gewerkschaften zu organisieren. Es habe große Streiks auf den Hyundai-Werften gegeben, an denen 24.000 Arbeiter beteiligt gewesen seien. Eine ihrer Forderungen sei der Achtstundentag, eine wichtige Forderung angesichts der unglaublich vielen Stunden, die die Werftarbeiter Koreas arbeiten würden.106 Dass Korea im Fokus der Erläuterungen Rebhans stand, lag an der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes seit den 1980er Jahren. Südkorea hatte Japan in der Spitzenposition abgelöst. Rebhan ergänzte, dass bereits weitere Länder mit niedrigeren Löhnen bereit seien, Koreas Platz einzunehmen: »The time span in which countries could exercise a comparative advantage 106 Ebd., S. 3 f.

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through low wages is being steadily reduced.«107 Mehr als in den Jahrzehnten davor, erklärte ein Generalsekretär des IMB, müssten die Probleme global angegangen werden: I want to stress simply that in my view the shipbuilding industry has to be examined within a global context and that international solutions have to be found. No single nation-state can solve the problem of shipbuilding, whether through low wages, protectionist trade policies, subsidies, or whatever. Some have tried, but the result is plain for all to see. […] We need to be saying the same things, at the same time, with the same force, in all the countries, which have a shipbuilding industry. The crisis is international, and the response of the workers must be a global one, and I hope this conference contributes to that process.108 Auch Casserini sprach sich dafür aus, die Dinge übergreifender zu betrachten und die Polarisierung zwischen Arbeitern der alten und neuen Industrie­ länder zu überwinden. Er meinte, es gebe einen allgemeinen Glauben, dass sich die Schiffbauindustrie in einem Teil der Welt quäle und in einem anderen gedeihe. Das sei eine grobe Vereinfachung einer sehr komplexen Situation. Wenn man sich die Beschäftigung ansehe, bekomme man ein anderes Bild: It is true that the traditional shipbuilding regions are the most seriously hit  – far more than certain countries in the Third World which have emerged within  a fairly short period of time as powerful or important shipbuilding nations. But, to  a varying degree, thousands of shipyard workers, whatever country they work in, are experiencing distress and despair.109 Zudem habe es in den frühen 1980er Jahren Arbeitsplatzverluste in der »entwickelten Welt« aufgrund neuer Arbeitsplätze in den »Entwicklungsländern« gegeben. Das sei heute aber nicht mehr der Fall, weil es überhaupt keine Aufträge mehr gebe und Wellen der Restrukturierung auch die »Entwicklungs107 Ebd., S. 8. 108 Ebd., S. 9, 11. 109 Karl Casserini: Employment levels, working and social conditions and health and safety, in: IMB , S. 1.

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länder« träfen. Und mit seinem Appell an die Delegierten schlug er in die gleiche Kerbe wie Rebhan: The trend is clear: the loss of jobs in shipbuilding is a worldwide phenomenon, and we are all in the same boat. We must all pull together if we are to revive our ailing industry. We should not shelter behind excessive, and often counter-productive, nationalism.110 Die Strategie, die nun für alle formuliert wurde, blieb allerdings die gleiche wie schon in den Jahrzehnten zuvor: gewerkschaftliche Organisierung für den Kampf um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen nach europäischem Modell und im Sinne europäischer Arbeiter.

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5.3.1 Boykott versus politischer Streik Die auf der achten Schiffbaukonferenz angesprochenen Reaktionen auf die wirtschaftliche Globalisierung hatten ihren Vorlauf. Immer und immer wieder forderte der Generalsekretär des IMB Kooperationen zwischen den Mitgliedsgewerkschaften. Als sich die Delegierten 1951 zum ersten Mal auf einer Schiffbaukonferenz trafen, erläuterte der Generalsekretär Konrad Ilg, dass es auf der Konferenz nicht nur um die Berichterstattung von nationalen Initiativen gehen könne: Dazu kommt noch das Gefühl der internationalen Solidarität. Ganz ohne dieses geht es nicht. […] Aber wir als Gewerkschafter dürfen auch in internationaler Beziehung das geistige und das solidarische Denken und Fühlen nicht vergessen. Es gehört dies unbedingt dazu, wollen wir einen Erfolg zeitigen.111 Dementsprechend hieß es in der am Ende beschlossenen Resolution, man wolle das Verständnis für die Probleme der verschiedenen Länder und die 110 Ebd., S. 3. 111 Ilg, Protokoll, 1. IMB -Schiffbaukonferenz, in Newcastle upon Tyne, 4.–5. Juni 1951, S. 4 f., in: IMB , AdsD 5/IMB 1707.

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Gefühle der Solidarität fördern. Mehr gab es zum Thema Solidarität 1951 nicht zu sagen. Auf der dritten Schiffbaukonferenz ging es erstmals um die praktische Umsetzung gemeinsamer Initiativen. Schiffbaupräsident Arne Geijer leitete in den Tagesordnungspunkt »Gegenseitige Hilfe bei Streiks« ein. In der Vergangenheit hatten Reedereien bei Streiks die zu reparierenden Schiffe an andere Werften Europas geschickt, um die Reparatur fristgerecht fertigstellen zu können. Der IMB wollte diese Strategie unterlaufen, indem er die Mitgliedsgewerkschaften über den Streik informierte und die Arbeiter der angefragten Werft zum Boykott aufforderte, ein gängiges Mittel der internationalen Gewerkschaftsbewegung.112 Die Problematik in der Umsetzung bestand allerdings darin, dass die meisten Gewerkschaften an nationale, rechtliche Vorgaben gebunden waren. Kollektivvertragliche Friedenspflicht verhinderte beispielsweise, anderen im Streik zu Hilfe zu kommen, weshalb die Unterstützung häufig moralischer Art blieb und nur durch Protesttelegramme und Unterstützungsschreiben ausgedrückt werden konnte. Geijer erläuterte, dass es während der letzten Streiks zu Verwirrungen gekommen sei, welche Schiffe von der bestreikten Werft kamen. Deshalb hatte die Schiffbauabteilung einen Ablaufplan erstellt, wie sich die Mitglieder im Fall von Streiks verhalten sollten. Daraufhin ergriff der britische Kollege J. Matthews das Wort. Aus den Erfahrungen der letzten Streiks in Großbritannien habe sich gezeigt, dass es besonders wichtig sei zu regeln, was mit den Schiffen geschehe, die schon vor Ausbruch des Streiks die Werft verlassen hätten. Seiner Meinung nach sollten alle Schiffe der bestreikten Werft boykottiert werden. Dem entgegnete der Schwede Ivar Norén, es sei schwierig, über Schiffe zu sprechen, die schon auf See seien und nicht auf der bestreikten Werft, da die Reparaturen schon vorher an verschiedenen Werften hätten angemeldet sein können. Der britische Delegierte Edward Hill äußerte: Ich glaube wir sollten eine allgemeine Erklärung herausgeben, in der wir zum Ausdruck bringen, dass wir zusammenhalten und zusammen kämpfen werden; wenn in einem Land ein Streik ausbricht, wird er in einem anderen Land aufgegriffen und die Schiffe dementsprechend boykottiert. Wir sollten eine interne Regelung treffen, um dieses Problem zu lösen. Sie 112 Auch die ITF nutzte mehrmals den Boykott zur Unterstützung von Streiks ihrer Mitgliedsgewerkschaften. Bei Koch-Baumgarten wird ein internationaler Boykott 1973 beschrieben, bei dem es um das Ausscheiden von deutschen Reedern aus der Tarifgemeinschaft ging, Koch-Baumgarten, S. 368, Fußnote 266.

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darf jedoch nicht auf dem Papier festgehalten werden, weil dann ein zukünftiger Streik in Großbritannien wirkungslos bleiben wird, weil diese schriftliche Regelung dann bekannt würde. Die Reeder werden sich für einige Wochen etwas zurückhalten und dann ungestraft ihre Schiffe abziehen und umleiten. […] Wir müssen hierbei sehr vorsichtig sein, denn die Arbeitgeber sind auf internationaler Ebene viel enger miteinander verbunden, als wir es je sein werden.113 Entgegen dieses Vorschlags stellte der Vorsitzende Geijer klar: Wir sprechen hier über ganz verschiedene Dinge. Unsere britischen Kollegen sprechen hier eigentlich über die Ausbreitung eines Streiks […] auf andere Länder. Die hier aufgestellten Richtlinien beziehen sich nur darauf, dass andere Länder, die nicht streiken, den Streik respektieren sollen, denn die Gewerkschaften werden dafür sorgen, dass bereits in Angriff genommene Arbeit nicht in ein anderes Land verlegt wird. […] Es ist jedoch unmöglich von hier aus noch weiter zu gehen.114 Zustimmung vom niederländischen Kollegen Isaac Baart ließen die Diskussionen verstummen und die zu Beginn angesprochenen Richtlinien Geijers wurden verabschiedet. Damit war eine erste weitergehende Strategie vom Tisch, bevor sie ausführlich diskutiert werden konnte. Der IMB sollte nun als Koordinator fungieren, indem er die bestreikten Schiffe als Liste in Empfang nahm und an die Mitglieder weiterleitete. Diese würden die bestreikten Schiffe boykottieren. Dass es auch in den darauffolgenden Jahren zu Problemen kam, verdeutlicht die Diskussion auf der vierten Schiffbaukonferenz. Der Belgier Jos. Mage berichtete von einem 17-wöchigen Streik und kritisierte die fehlende solidarische Unterstützung der Mitglieder: At that moment we had the bitter experience of seeing that international solidarity melts away when  a country is on strike, despite the fact that we have our International and meet here in conferences to exchange ­assurances of friendship. Ships disabled because of the strike were simply rerouted to other countries and repaired there. I think international soli113 Hill, Protokoll, 3. IMB -Schiffbaukonferenz, in Rotterdam, 10.–11. September 1957, S. 18 f., in: IMB , AdsD 5/IMB 1702. 114 Geijer, ebd., S. 19.

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darity should find a better expression than that, not only because Belgium was affected but to protect our common interests. Employers are the same everywhere; they will always try to break strikes by having work done elsewhere. Therefore we must strive after genuine solidarity.115 Auf diese harten Worte wusste sich Generalsekretär Graedel nur mit Ausreden zu verteidigen: To avoid any misunderstanding, I would like to say that our secretariat did everything in its power. At the beginning of the strike the Belgian federation furnished us with the names of the ships being repaired in Belgian ports at that time. We telegraphed these names to all member federations and asked them to observe the rules which all had adopted. Brother Mage transmitted to us a list of the ships withdrawn from Belgian ports. We will contact the colleagues interested in this affair in order to find out what happened.116 Zu Diskussionen über das Vorgehen kam es auf den folgenden Konferenzen nicht mehr und das Thema der Streikunterstützung wurde allgemein nicht mehr angesprochen. Es kam aber in den folgenden Jahren immer wieder zu solidarischen Unterstützungen, wie beispielsweise während der Proteste von spanischen Werftarbeitern von El Ferrol gegen die Franco-Regierung.117

5.3.2 Internationale Kontrolle von Subventionen und die Kontakte zur OECD Wie deutlich wurde, war eines der Hauptprobleme des Schiffbaumarktes die ungleiche Entwicklung von staatlichen Subventionen. Erste Rufe nach internationaler Kontrolle der staatlichen Hilfen kamen auf der vierten Konferenz 1960 in Hamburg auf. Allen voran der Wirtschaftsexperte des IMB Karl Casserini kritisierte die aus seiner Sicht unverhältnismäßigen staatlichen Unterstützungen. Für die Konferenz 1964 entwickelte er einen spezifischen 115 Mage, Protokoll, 4. IMB -Schiffbaukonferenz, in Hamburg, 24.–26. März 1960, S. 29, in: IMB , IISH IMF Collection, Folder 41. 116 Graedel, ebd., S. 32 f. 117 Karl Casserini: Die sozialen Probleme der Strukturveränderungen im Schiffbau, S. 92, 7. IMB -Schiffbaukonferenz, in Tokio 27. März–5. April 1973, in: IMB , AdsD 5/IMB 1694–1695.

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Vorschlag, wie das Problem angegangen werden könnte: Er schlug die OECD als Kontrollgremium vor, die in Zusammenarbeit mit dem IMB einen internationalen Kodex aufstellen und seine Anwendung kontrollieren könne. Dass Casserini die OECD ins Spiel brachte, hatte verschiedene Gründe: Der IMB konnte seine Rolle auf internationaler Ebene stärken, indem er mit anderen internationalen Akteuren zusammenarbeitete. Gleichzeitig galt die OECD als anerkanntes Wirtschaftsgremium und die Zusammenarbeit bedeutete, einen Verbündeten zu haben, um die eigenen Ideen durchsetzen zu können. Darüber hinaus hatte Casserini im gewerkschaftlichen Ausschuss der OECD gearbeitet und kannte die Verfahrensweisen dieser Institution. Im Vorschlag Casserinis hieß es genauer: Ein solcher Kodex könnte in der OECD, in der die Schiffbauländer der Welt zu 90 % vertreten sind, aufgestellt und durch Ausübung von beständigem moralischen Druck auf die Regierungen zur Anwendung gebracht werden, wobei die gewerkschaftliche Mitwirkung gesichert werden muss. Der IMB hat konkrete Vorschläge in dieser Richtung als das Resultat einer Arbeitsgruppe in Paris bereits durch ein Memorandum an die OECD unterbreitet. Heute ist mehr denn je eine internationale Koordinierung der Schiffbaupolitik unerlässlich geworden.118 Unterstützung bekam Casserini von Schiffbaupräsident Isaac Baart: Wir sollten auf Grundlage unserer Erklärung und unserer Berichte die Kontakte des IMB weiter zur OECD aufbauen, um über die Beihilfen der Schiffbauindustrie in verschiedenen Ländern Besprechungen zu führen. Mit der Erklärung haben wir jetzt auch eine Handlungsgrundlage für den IMB und den Präsidenten der Konferenz die Besprechungen in Paris mit der OECD fortzusetzen.119 Bereits vor der Schiffbautagung im April 1964 hatten einige Delegierte über den IMB Kontakt zur Schiffbauarbeitsgruppe beim OECD -Rat120 aufgenom118 Casserini, Protokoll, 5. IMB -Schiffbaukonferenz, in Genua, 1.–3. April 1964, S. 41 f., in: IMB , AdsD 5/IMB 1699. 119 Baart, ebd., S. 66. 120 Die offizielle Bezeichnung lautete »OECD Council Working Party on Shipbuilding (WP6)«. Zur Tätigkeitsbeschreibung der auch heute noch aktiven Arbeitsgruppe ist auf der Internetseite der OECD zu lesen: »The OECD Council Working Party on Ship-

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men. Im Bericht darüber hieß es, Vertreter der dem IMB angeschlossenen Verbände – darunter die IG -Metall, die französische Force Ouvrière und die schwedische Svenksa Metall – hatten auf Anregung des Präsidenten der IMB Schiffbauabteilung eine Stellungnahme verfasst, die dem »Arbeitsausschuss für die Schiffbauindustrie der OECD« am 26. November 1963 vorgelegt wurde. Darin forderten sie die »größtmögliche Beschäftigungssicherung« und eine international abgestimmte Politik wirtschaftlicher Expansion.121 Zur Subventionierung hieß es konkret: So ist denn die Regierungsbeihilfe dort vertretbar und sogar dringend notwendig, wo eine unter normalen Verhältnissen wirtschaftlich unhaltbar gewordene Branche umgestellt werden muss. Sie kann aber nicht befürwortet werden, wenn ein an und für sich bewerbungsunfähiger Industriezweig künstlich am Leben erhalten werden soll.122 Ganz ähnlich wie es lange Zeit bei der IG Metall praktiziert wurde, unterteilte man auch hier die staatlichen Hilfen in gute und schlechte Subventionen. Staatliche Hilfen, die nur zur Belebung des Sektors dienten, der eventuell schon vor dem Ruin stand, sollten vermieden werden, hingegen waren Hilfen, die zur Umstrukturierung für neue Arbeitsplätze eingesetzt wurden, erlaubt. Das war aus gewerkschaftlicher Perspektive sehr fortschrittlich gedacht, denn das bedeutete, dass man keinen Sektor allein um seines Bestandes willen erhalten wollte, sondern wenn es Alternativen gab, durchaus über den Abbau von Wirtschaftszweigen nachdachte. So wurde es zumindest auf

building (WP6) seeks to progressively establish normal competitive conditions in the industry. It encourages transparency through data collection and analysis, and seeks to expand policy dialogue with non-OECD economies that have significant ship­building industries. The Working Party on Shipbuilding is the only international body that can influence and guide government policies by identifying and, where possible, eliminating factors that distort the shipbuilding market. The bringing about of normal competitive conditions in the shipbuilding industry remains the WP ’s principal priority. It also encourages transparency, through monitoring and peer review, in order to discourage subsidies and other non-commercial practices. The WP6 is also a forum for information exchange, and is expanding its policy dialogue with nonOECD economies with significant shipbuilding industries.«, siehe The OECD. 121 Aus der Stellungnahme des IMB zu den wirtschaftlichen und sozialen Problemen im Schiffbau, vorgelegt auf der 5. IMB -Schiffbaukonferenz, S. 68, in: 5. IMB -Schiffbaukonferenz, in Genua, 1.–3. April 1964, in: IMB , AdsD 5/IMB 1699. 122 Ebd., S. 69.

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dem Papier und weit weg von den nationalen Diskussionen formuliert. Im Konzept hieß es weiter: Ein lauterer Wettbewerb ist erst dann möglich, wenn anstatt wettbewerbsverzerrender Preisstützungsmassnahmen und einer Politik des Protektionismus die Lösung der sozialen Probleme eines Wirtschaftszweiges mit der notwendigen finanziellen Hilfe zur Umstellung der Betriebe und der Umschulung der Arbeitskräfte auf neu geschaffene Arbeitsplätze sorgfältig geplant wird. Allein eine solche international respektierte Politik kann den Arbeitnehmern im Schiffbau die Gewähr geben, dass man sie nicht von Land zu Land gegeneinander ausspielt […].123 Doch die Versuche einer Kooperation und die Durchsetzung von internationalen Richtlinien schienen schwieriger als gedacht. In der Arbeitsgruppe des OECD -Rates konnte keine Einigung über eine Höchstgrenze der Subventionierung erzielt werden.124 Als Reaktion darauf entwarf die Europäische Kommission in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im April 1965 eine eigene Strategie und nahm die Einschränkung von staatlichen Beihilfen an seine europäischen Mitgliedsländer zurück. Für Rationalisierung und Umstrukturierung in andere Fertigungsbereiche sollte nun eine zehnprozentige Beihilfe erlaubt sein. Der IMB reagierte vorsichtig auf die europäischen Maßnahmen und warnte vor »EWG -Protektionismus«.125 So leicht wollte man im IMB nicht aufgeben und schlug eine Konferenz vor, die alle an der Diskussion beteiligten Akteure zusammenbringen sollte, um das Problem der Subventionen zu besprechen und Lösungen zu eruieren. So lud man Regierungen, Arbeitgeber der Werften und Reedereien sowie Gewerkschaftsmitglieder zur »Weltkonferenz für die Abrüstung der staatlichen Beihilfen« ein.126 Doch dem IMB wurde mitgeteilt, dass nur der OECD -Rat eine solche Konferenz einberufen dürfe, woraufhin der Generalsekretär des

123 Ebd. 124 Karl Casserini: Die sozialen Probleme der Strukturveränderungen im Schiffbau, S. 67, in: 6. IMB -Schiffbaukonferenz, in Newcastle upon Tyne, 22.–25. Mai 1967, in: IMB , AdsD 5/IMB 1696. 125 Ebd., S. 69. 126 Karl Casserini: Economic Situation and Problems of Subsidies, S. 36 f., in: 6.  IMB -Schiff­ baukonferenz, in Newcastle upon Tyne, 22.–25. Mai 1967, in: IMB , AdsD 5/IMB 1696.

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IMB Adolphe Graedel im Oktober 1967 an den Generalsekretär der OECD

einen Brief schrieb, in dem er ihm mitteilte, wie wichtig es sei, international zusammenzuarbeiten, um eine Entscheidung in der Frage der Senkung staatlicher Hilfen herbeizuführen. Der IMB habe eine Resolution verfasst und Graedel bat ihn, den Brief sowie die Resolution bei der nächsten Sitzung der Arbeitsgruppe Schiffbau vorzutragen und sich für die Konferenz einzusetzen.127 Gleichzeitig schrieb er an Otto Brenner, dass es gut wäre, wenn die Regierungsvertreter bei dem Treffen der OECD -Arbeitsgruppe nochmals für diese Konferenz plädieren würde. »Natürlich hängt es von der Haltung der Regierungsdelegation in der Sitzung dieser Arbeitsgruppe ab, ob die OECD beschliesst, eine solche Konferenz zu unterstützen«,128 schrieb er an Brenner und forderte ihn auf, bei den Regierungsinstanzen aktiv zu werden, was dieser auch tat, indem er sich an Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller wandte.129 Was dann passierte, ob es zu dieser Konferenz kam oder wie die weiteren Diskussionen Ende der 1960er Jahre verliefen, ist weder in den IMB -Quellen noch beim Bestand der IG Metall dokumentiert. Die Diskussion setzte erst wieder 1972 ein. Es war dieses Mal die Europäische Kommission unter der Leitung des Industriekommissars Spinelli, die einen Vorstoß bei der OECD wagte. Es ist nicht ganz klar, ob aufgrund dieser Initiative Ergebnisse erzielt werden konnten oder durch andere Einflussfaktoren, aber im Oktober 1972 konnte schließlich ein OECD -Globalabkommen über Schiffbauhilfen verabschiedet werden, das den Abbau von Wettbewerbsverfälschungen auf dem Weltschiffbaumarkt vorsah. Diese Neuigkeit verbreitete sich schnell. In der Bundesrepublik informierte der Bezirksleiter der IG Metall Heinz Scholz die Betriebsräte und Vertrauensleute. In der Mitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums, das dem Bezirksleiter vorlag, hieß es, dass diesem Abkommen elf Länder beigetreten seien, die rund 82 Prozent Anteil an der Weltschiffbauproduktion hätten. Es sei der Abbau von direkten Bausubventionen, Einfuhrhemmnissen und spezifischen Investitionshilfen für die Werftindustrie für die kommenden 127 Adolphe Graedel: Brief an Thorkil Kristensen, Generalsekretär OECD, 31.10.67, aus der Anlage: Adolphe Graedel: Brief an Otto Brenner, 31.10.67, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Die wirtschaftliche Situation im Schiffbau, 1966–1969, AdsD 5/IGMA071270. 128 Ebd. 129 Otto Brenner: An das Bundeswirtschaftsministerium, Prof. Dr. Schiller, 02.011.67, in: ebd.

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drei Jahre festgelegt worden. Doch das Abkommen beinhaltete eine Exitstrategie: In Notfällen, in denen vom Abkommen abgewichen werde, solle es eine Konsultations- beziehungsweise Rechtfertigungspflicht geben.130 Das schloss ein, dass Abweichungen möglich waren, wenn man die entsprechende Begründung dafür fand. Im Jahr 1975 wurde Karl Pitz, der Schiffbaureferent der IG Metall, auf globaler Ebene aktiv. Zum selben Zeitpunkt verfasste er für die IG Metall ein Papier zur Position der IG Metall, in das auch Anregungen aus den globalen Diskussionen einflossen. In einem Brief an Casserini bat er darum, über die Ereignisse in den OECD -Verhandlungen der letzten zwei Jahre informiert zu werden, um sich ein umfassendes Bild vom Fortschritt der Bemühungen machen zu können.131 Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten seit 1975 verschärften die Diskussionen in den internationalen Verhandlungen um den Subventionsabbau. Der Fokus richtete sich – wie schon oft – auf Japan. Die europäischen Werftindustriellen wurden aktiv und versuchten, den Japanern Dumpingmethoden nachzuweisen. Wie aus einem Schreiben des EMB Sekretärs Hubert Thierron an den IG Metall-Vorsitzenden Eugen Loderer hervorging, hatten die Großwerften an die Europäische Kommission geschrieben und warfen Japan unzulässige Maßnahmen in der Schiffbauindustrie vor. Thierron hielt aber fest, dass die Kommission diese Vorwürfe mit Vorsicht zur Kenntnis genommen habe und sich nicht sicher sei, ob ein solches Schreiben bei den OECD -Verhandlungen Gewicht haben würde.132 Karl Pitz schrieb, dass eine Delegation der EG -Kommission im Juni 1976 in Japan gewesen war, um mit den Japanern zu verhandeln: »Zunächst habe Japan guten Willen gezeigt. Bei der Konkretisierung der Fragen jetzt in Tokio und Ende Juni 1976 in Paris würden allerdings die Schwierigkeiten erst noch kommen.«133 Im selben Jahr hatte die Europäische Kommission den Vorschlag zum Abbau der Schiffbaukapazitäten gemacht.134 Die europäischen 130 Heinz Scholz: Brief an alle Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Schiffbau, IGM Bezirk Hamburg, 02.11.72, in: IGM , Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, IMB -Arbeitsgruppe Schiffbau, 1972–1982, AdsD 5/IGMA100139. 131 Karl Pitz: Brief an Karl Casserini, 23.09.75, in: ebd. 132 Bert Thierron, stellv. Generalsekretär EMB , Brief an Eugen Loderer, Betrifft: E. G.Dokument über die Dumping-Praxis der Japaner, 05.03.76, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, EMB -Arbeitsgruppen und Tagungen zur Werftindustrie, 1972–1976, AdsD 5/IGMA100171. 133 Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, Betrifft: EMB -Schiffbaupolitik, Konsulta­ tionstagung am 11.06.76, 24.06.76, in: ebd. 134 Siehe dazu die Ausführungen im Kapitel zum EMB.

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Gewerkschafter waren im Zuge dessen besonders aktiv geworden, da man mit der Umsetzung dieser Maßnahmen einen enormen Anstieg der Arbeitslosigkeit erwartete. Daraufhin war es zu Protestaktionen gekommen und man hatte sich Gedanken über die Wiederbelebung des Sektors gemacht. Karl Pitz vermutete hinter den Entscheidungen der Kommission auch Einflüsse auf globaler Verhandlungsebene. Wie ihn der Vorsitzende des Vorstandes der Deutschen Schiffbauer wissen ließ, habe es ähnliche Richtlinien in der Arbeitsgruppe Schiffbau beim OECD -Rat gegeben. Pitz wandte sich im Namen von Eugen Loderer nun an Karl Casserini und fragte ihn, ob es möglich sei, diese Vereinbarungen einzusehen: Lieber Karl, vor einiger Zeit hat die Working Party Six der OECD General Guidelines entwickelt, die eine Anpassung der übersetzten Schiffbaukapazitäten an die Marktentwicklung zum Ziel haben. Im einzelnen wird den Regierungen nahegelegt, den Kapazitätsabbau zu unterstützen, auf Schiffbauhilfen zu verzichten, die den notwendigen Anpassungsprozeß stören, ein faires Marktverhalten der Werften überwachen und alles zu unter­ lassen, was eine Expansion der Schiffbaukapazitäten zur Folge hätte und das bestehende Ungleichgewicht auf dem Markt noch vergrößern würde. Da diese Richtlinien für unsere eigene Werftenpolitik von außerordentlicher Bedeutung sind, wäre ich Dir sehr dankbar, falls es sich ermöglichen läßt, wenn Du uns dieses Dokument übersenden würdest.135 Aufgerüttelt von den Plänen der OECD zur weltweiten Kapazitätsreduktion im Schiffbau traten die IMB -Delegierten im November 1976 erneut an die Arbeitsgruppe Schiffbau im OECD -Rat heran. Ähnlich wie bei den Verhandlungen zwischen Europäischer Kommission und EMB ging es dem IMB darum, der geplanten Kapazitätsreduktion ein Arbeitsplatzprogramm gegenüberzustellen, das die freiwerdenden Arbeitsplätze auffangen würde.136 Um sich über die aktuelle Situation in den Ländern zu informieren und eine gemeinsame Position abzustimmen, trafen sich die IMB -Delegierten einen 135 Eugen Loderer: Brief an Karl Casserini, 24.08.76, in: IGM, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, IMB -Arbeitsgruppe Schiffbau, 1972–1982, AdsD 5/IGMA100139. 136 Der Generalsekretär Rebhan forderte eine »realistische Beschäftigungspolitik« von der OECD, siehe Herman Rebhan: Brief an IMB -Schiffbaugewerkschaften, Betreff: Beabsichtigte Einberufung der Tagung einer Arbeitsgruppe für die Schiffbauindustrie später in diesem Jahr, 26.08.76, in: ebd.

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Tag vor der geplanten Zusammenkunft bei der OECD.137 Am 24. November fand schließlich das Treffen zwischen der IMB -Delegation und der Arbeitsgruppe Schiffbau des OECD -Rates mit ungefähr dreißig Teilnehmern aus Japan, Australien, den USA und verschiedenen europäischen Ländern statt. Ähnlich wie auf europäischer Ebene hieß es hier: In Antwort auf die im Frühjahr 1976 von der OECD -Arbeitsgruppe Nr. 6 […] an die Regierungen ergangene Empfehlung, die bestehenden Überkapazitäten abzubauen, wiedersetzte sich die IMB -Delegation kategorisch jeglichen Entlassungsmassnahmen, die den Lebensunterhalt der Schiffbauarbeitnehmer in der Welt bedrohen würden.138 Wie schon angedeutet ging es also darum, keine weiteren Arbeiter zu entlassen, sondern den Sektor aufrechtzuerhalten und die Vollbeschäftigung zu sichern. Als sozialpolitische Aktionen schlug Karl Casserini das Einsatz­ verbot für gefährliche Schiffe, die Entwicklung neuer Schifftypen, größere Sicherheit, Schutz der Umwelt und viele weitere bereits erläuterte Ideen vor. Der Präsident der OECD -Arbeitsgruppe Schiffbau reagierte freundlich-distanziert und antwortete den IMB -Delegierten, er werde die Stellungnahme des IMB der Arbeitsgruppe vorlegen und zu gegebener Zeit mit dem IMB zusammenkommen, um weitere Aktionen zu besprechen.139 Was nicht im Pressedienst des IMB festgehalten wurde, waren die Absprachen über die Verteilung des Marktes zwischen Europa und Japan. Wie Karl Pitz Anfang Dezember 1976 an Eugen Loderer berichtete, sollte es beim darauffolgenden Treffen am 6. und 7. Dezember nicht nur um den Erhalt der Werftkapazitäten, sondern vor allem um die Einschränkung des japanischen Exports gehen: Die EG wird in diesen OECD -Verhandlungen ein Modell einbringen, das eine Aufteilung des Weltmarktes zum Ziele hat. Das gesamte, auf die OECD entfallende Volumen ( = 100 Prozent) soll auf zwei Regionen aufgeteilt werden: Japan und Westeuropa – im Verhältnis 50 : 50. Die Aufträge 1977/78 sollen diesen Marktanteil entsprechen. Die Aufträge werden 137 IGM Bezirksleitung Hamburg: Bericht über die IMB -Tagung mit der Arbeitsgruppe 6 der OECD, 23./24. November 1976, Paris, in: ebd. 138 IMB Pressedienst: Betreff: IMB fordert OECD Richtlinien für sozialpolitische Maßnahmen zur Sicherung der Beschäftigung in Schiffswerften, 01.12.76, in: ebd. 139 Ebd.

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monatlich an die OECD gemeldet. Alle drei Monate erfolgt eine Kontrolle, ob die Aufträge den Marktanteilen entsprechen. Falls das nicht der Fall ist, werden Korrekturen vorgenommen.140 Kurz nach dem Treffen, an dem der IMB offensichtlich nicht beteiligt war, rief Ministerialrat Pfeiffer aus dem Bundeswirtschaftsministerium bei Pitz an und berichtete, wie das Treffen verlaufen war. Tatsächlich wurde die Aufteilung des Marktes vorgeschlagen. Die Europäische Gemeinschaft habe eine starke Geschlossenheit in dieser Sitzung gezeigt, besonders die Franzosen seien gegenüber den Japanern hart aufgetreten. Die Japaner seien wenig informiert gewesen, hätten jedoch zugesagt, dass sie die Vorschläge prüfen wollten. Zu Entscheidungen sei es nicht gekommen. Man habe einen neuen Termin für den 11. und 12. Januar 1977 vereinbart.141 Der Bericht von IMB Generalsekretär Herman Rebhan klang nicht ganz so japankritisch. Rebhan schrieb, dass die Japaner die Europäer darüber informiert hätten, dass es durch die Maßnahmen der Regierung in den folgenden Jahren ohnehin zu Arbeitszeitverkürzungen und Produktionseinschränkungen kommen werde. Worauf die EG gemeint habe, dass diese Schritte unzureichend seien.142 Was in der Reflexion der Europäer nicht auftauchte, war die Stellungnahme der japanischen Gewerkschafter, die allen bekannt war, da Rebhan sie an die Mitglieder im IMB verschickt hatte. In einem ausführlichen Schreiben nahmen sie zu einzelnen Punkten des IMB Stellung und zeichneten die Situation aus ihrer Perspektive nach. So machten sie zunächst darauf aufmerksam, dass Zosen Juki Roren (Verband Japanischer Schiffbau- und Ingenieur-Gewerkschaften) 1973 zwar der allgemeinen Erklärung des IMB zugestimmt habe, sich die Situation seitdem aber gravierend verändert habe und eine gemeinsame Politik ohne Wissen darum, wie sich die Dinge entwickeln würden, nur schwer möglich sei.143 Und in Bezug auf das Vorhaben 140 Karl Pitz: Aktennotiz: OECD -Verhandlungen am 6./7. Dezember 1976, 03.12.76, in: IGM , Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, IMB -Arbeitsgruppe Schiffbau, 1972–1982, AdsD 5/IGMA100139. 141 Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, Betrifft: Schiffbaupolitik der OECD, Anruf von Ministerialrat Pfeiffer, 10.12.1976, in: ebd. 142 Herman Rebhan: An alle IMB -Schiffbauverbände und die Delegierten an der Sitzung der IMB -Arbeitsgruppe über Schiffbau, 23.–24. November 1976, Paris, 16.12.76, in: ebd. 143 Aus der Anlage der Japan Delegation: Proposal for IMB Action and preparation of an IMF position to be presented to OECD in the framework of established IMF policy on Shipbuilding, 26.11.76, in: ebd.

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der Europäischen Gemeinschaft, ein Abkommen zwischen Europa und Japan zur Aufteilung des Marktes zu vereinbaren, hielten sie es für höchst problematisch, nur diese beiden Parteien in die Verhandlungen einzubeziehen, da die Länder der »Dritten Welt« schon längst einen nicht unerheblichen Anteil an der weltweiten Produktion hätten: »would it be possible to find a good solution for the Third Countries – which hold a share of 30 % in the world – only through cooperation between Europe and Japan?«144 Die japanischen Gewerkschafter kritisierten auch den mittlerweile stärker befürworteten Protektionismus der Europäer: National or transnational (regional) protectionism is not a proper policy in order to cope with the internationalisation of shipbuilding production and an excess profit making. Although protectionism as such may temporarily safeguard the employment of shipbuilding workers, it will not give any basic solution. It will cause a delay in the necessary structural revisions. It will strengthen the dependence on the state assistance, thus causing a worldwide ›economic war‹ in the shipbuilding and ship repairing industries. And it will create more difficult conditions for the workers to promote their social progress.145 Die japanische Delegation appellierte deshalb an die IMB -Mitglieder, den bestmöglichen Weg für die internationale Solidarität zu finden, den Arbeitsplatz eines jeden Arbeiters zu sichern und sich gegen jede Form politischen Drucks hin zum Nationalismus, der in der OECD auftrete, in den Weg zu stellen. Auch auf die konkrete Situation in Japan ging der Bericht ein. Gemäß der Schiffbaupolitik der OECD werde die Schiffbauindustrie im Jahr 1977 um 25 Prozent und 1978 um dreißig Prozent gesenkt.146 Mit spezifischen Maßnahmen der Regierung, die schon mehrmals von japanischen Delegierten beschrieben worden seien, sei es gelungen, den Output der Produktion so stark zu erhöhen, dass die Kosten in Japan dreißig Prozent niedriger liegen würden als die im europäischen Schiffbau – das aber habe nichts mit Dumping zu tun. Auch zur geplanten Regelung der EG positionierten sie sich eindeutig: Sie forderten, sich nicht auf ein Quotensystem einzulassen, denn es sei gegen die Regeln des freien Marktes, gegen die Freiheit des Reeders, seine Aufträge 144 Ebd., Bl. 1. 145 Ebd., Bl. 2. 146 Ebd., Bl. 3.

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zu vergeben und würde letztlich zum Rückgang der Bestellungen führen: »In the long run, it will hurt the sound development of the shipbuilding industry, because the production set-up will be frozen and the rationalization and conversation or closure of the plant will be delayed.«147 Die Japaner berichteten, dass sie der Rationalisierung der Regierung in einem Vier-Punkte-Programm zugestimmt hätten. Entsprechend der prognostizierten Erwartungen für den Schiffbau gehe es nun darum, hochtechnologische Schiffe zu entwickeln, alte Schiffe zu verschrotten und alternative Industriebereiche zu entwickeln, um den Schock der Schiffbauindustrie zu überwinden.148 Was die internationalen Verhandlungen betraf, wiederholten sie ihre Forderung, auch die Entwicklungen der Länder des globalen Südens einzubeziehen und dafür eine gemeinsame Konferenz abzuhalten. Vom 21. bis 22. März 1977 folgte erneut ein Treffen mit der OECD -Arbeits­ gruppe. Wie vorsichtig der IMB an die OECD herantrat, wird aus einem Schreiben des Generalsekretärs Herman Rebhan deutlich: Wir möchten vermeiden, dass unsere Gegenwart bei der OECD zu einer einseitigen Verteidigung der gewerkschaftlichen Sache wird. Hingegen ist es unser Wunsch, Ihre Einschätzung der Lage und Ihre wirtschaftspolitischen Betrachtungen besser kennenzulernen, damit unser Meinungsaustausch dazu beiträgt, soziale Fragen zu einem wesentlichen Bestandteil Ihrer Anstrengungen zu gestalten.149 In seiner Stellungnahme wurde Rebhan nicht müde, den Erhalt der Arbeitsplätze gegenüber der OECD zu fordern und sich für die Formulierung gemeinsamer Strategien zur Verfolgung dieses Ziels auszusprechen. Etwas selbstbewusster argumentierte er, dass er nicht an die negativen Voraussagen der OECD bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung der Schiffbauindustrie glaube. Wenn die mittelfristige Krise überstanden sei, gehe es darum, die Industrie umzustrukturieren, um eine neue Nachfrage zu generieren. Rebhan machte vier konkrete Vorschläge: erstens die Verteilung der Aufträge auf internationaler Ebene, um einen Ausgleich zu schaffen. Es sollten Richtlinien entworfen werden im Einklang mit nationalen und internationalen Inter147 Ebd., Bl. 4. 148 Ebd., Bl. 6. 149 Erklärung von Herman Rebhan, Generalsekretär des IMB , im Namen der IMB -Arbeitsgruppe für Schiffbau, OECD -Arbeitsgruppe Nr. 6 für Schiffbau, 2. März 1977, S. 2, in: IMB , AdsD 5/IMB 1693.

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essen. Die zweite Strategie bezog sich auf die Etablierung neuer technologischer Schifftypen und die Beseitigung alter, funktionsuntüchtiger Schiffe. Im dritten Punkt sprach Rebhan alternative Produktionsmöglichkeiten an, um die Werften langfristig in andere Industriezweige einzubeziehen und dafür müsse es Umschulungsprogramme geben. Der vierte Punkt beinhaltete die Kontrolle der Marktpreise, damit keine Konkurrenzvorteile entstünden. Solange das nicht gewährleistet sei, bedürfe es staatlicher Subventionen zum Erhalt der Arbeitsplätze. Die Rezepte blieben also dieselben. Ein Jahr später, am 11. Juli 1978, gab es ein erneutes Treffen zwischen IMB und OECD. Die sich hier wiederholenden Argumente für eine internationale Absprache, Umstrukturierung der Industrie und so weiter, zeugen davon, wie schwierig sich die Umsetzung auf globaler Ebene gestaltete. Im Bericht an das Zentralkomitee des IMB hieß es: Die Tatsache, dass der IMB am 11. Juli 1978 zum dritten Mal in weniger als zwei Jahren mit der Arbeitsgruppe des Rats der OECD für das Schiffbauwesen zusammentraf, zeigt, wie sehr die Mitglieder des IMB um diesen Industriezweig besorgt sind. […] Sie weist aber auch auf die Überzeugung des IMB hin, dass Aktionen auf internationaler Ebene notwendig und unerlässlich sind, wenn dieser Industriezweig mit den Strukturproblemen sowie den Auswirkungen eines ungenügenden Wirtschaftswachstum und einer schwankenden Marktlage, die ihm zusetzen, fertig werden will.150 Was der IMB verhindern wollte, stellte er unmissverständlich klar: Strukturelle Anpassungen dürften keinesfalls zu Lasten der Beschäftigung gehen, weshalb dringend ein Beschäftigungsprogramm erarbeitet werden müsse. Konkret wurde der IMB mit einem Vorschlag für ein Abwrack- und Neubauprogramm, das bereits beim EMB zur Diskussion gestanden hatte. Nun sollte es auf globaler Ebene mithilfe der OECD umgesetzt werden. Im Bericht ist von verschiedenen Dringlichkeitssitzungen die Rede, die der IMB während der Verhandlungen einberufen musste, als Regierungen sich dem Konzept verwehrten.151 Mit Unterstützung verschiedener Anlaufstellen versuchte der IMB, das Programm auf globaler Ebene publik zu machen, nahm Kontakt 150 Auszug aus dem Bericht an das Zentralkomitee in Helsinki, 29.–30. September 1978, aus den Unterlagen zur 8. IMB -Schiffbaukonferenz, in Kopenhagen, 27.–29. November 1979, in: IMB , AdsD 5/IMB 1690–1691. 151 Ebd.

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zum Internationalen Schiffbau- und Schifffahrtsforum IMIF152 und der zwischenstaatlich beratenden UNO -Organisation für Schiffbau und Schifffahrt IMCO153 auf. Mit der IMCO vereinbarte die IMB -Delegation, dass es zukünftig Sicherheitskontrollen von Schiffen über technische Mindeststandards beim Einlaufen in Häfen geben sollte. Und an den Generalsekretär der OECD und den Präsidenten der EWG appellierte man, »sich entschlossen dafür einzusetzen, die Diskussionen über ein Verschrottungs- und Neubauprogramm und andere Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigungssicherheit in der Schiffbauindustrie zu einem positiven Abschluss zu bringen«.154 Doch die Initiative wurde abgelehnt. Dennoch hielt der IMB an den Forderungen in den folgenden Jahren fest. Immer wieder verlangte er eine Richtlinie für Subventionen und ein Abkommen zur Einhaltung. Dass es aber noch nicht einmal ein Informationssystem über alle staatlichen Programme gab, wurde durch eine Äußerung Casserinis deutlich, der auf der neunten Schiffbaukonferenz meinte, dass Staatshilfen transparent gemacht werden müssten und dass es ein Berichtssystem geben müsse, das die verschiedenen Kategorien von Staatshilfen quantifizieren und vergleichen würde.155 Doch der IMB hatte auch Erfolge zu verkünden: Man habe mehrfach energische Schritte unternommen, dass die OECD ihre Konsultationen auf Länder des globalen Südens ausweite und man habe erreicht, dass es regelmäßige Kontakte mit Korea gebe und koreanische Gewerkschaftsdelegierte an den IMB -Treffen mit der OECD -Arbeitsgruppe teilnehmen würden.156 Das zeigt, dass man sich auch hier mit der Entwicklung des globalen Marktes und dem Einfluss neuer Industrieländer beschäftigte und die neuen Akteure in die Diskussion einzubeziehen versuchte. Es macht aber auch deutlich, dass zur 152 Das damalige Forum der Schiffbauunternehmer. 153 Heißt heute Internationale Seeschifffahrts-Organisation (International Maritime Organization). Ihre Gründung wurde schon 1948 beschlossen, die mehrfach geänderte Satzung trat jedoch erst 1958 in Kraft, am 13. Januar 1959 nahm sie ihre Tätigkeit auf. Bis 1982 führte sie die Bezeichnung Zwischenstaatliche Beratende Seeschif­ fahrts-Organisation (Inter-Governmental Maritime Consultative Organization, IMCO), siehe den Wikipedia-Eintrag »Internationale Seeschifffahrts-Organisation« (zuletzt 18.11.2016). 154 Auszug aus dem Bericht an das Zentralkomitee in Wien, 18.–19. Oktober 1979, aus den Unterlagen zur 8. IMB -Schiffbaukonferenz, in Kopenhagen, 27.–29. November 1979, in: IMB , AdsD 5/IMB 1690–1691. 155 Karl Casserini: Social aid versus market-disrupting subsidies, fair labour standards, in: IMB , S. 5. 156 Karl Casserini: IMF activities for shipyard workers, in: ebd., S. 1 f.

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Übersicht von Staatshilfen ein immer größerer Pool an Akteuren erfasst werden musste – und gerade neue Schiffbauländer agierten ungern transparent. Es wurde an mehreren Stellen vermerkt, dass man über die Entwicklung des Schiffbaus in Südkorea und China keine genauen Zahlen habe. Da das vorgeschlagene Abwrackprogramm bei den europäischen Entscheidungsträgern keinen Anklang finden konnte  – nur Japan führte ein solches Programm durch –, begann man im IMB, eine etwas abgewandelte Form für Länder des globalen Südens vorzuschlagen. So hieß es, dem IMB sei es gelungen, die OECD -Arbeitsgruppe von einem Programm für das Abwracken von unsicheren, umweltverschmutzenden und unökonomischen Schiffen in Ländern Asiens zu überzeugen.157 Wie heutige Entwicklungen zeigen, wurde dieser Vorschlag in einigen Ländern umgesetzt, entwickelte sich allerdings in den folgenden Jahren zu einem auf informelle Arbeit beruhenden System mit hohen Unfallraten und niedrigen Arbeitsstandards.158 Es bleibt offen, ob sich der IMB dieser Gefahr wirklich bewusst war. Aber es ist auffällig, dass an anderer Stelle im Bericht von gesundheitsschädlichen Folgen des Abwrackens berichtet wurde, der Freisetzung von Asbest und der Explosionsgefahr,159 diese Probleme hier aber keine Erwähnung fanden. Was die Entwicklung der OECD -Verhandlungen betraf, schien der IMB mindestens die Position eines Gesprächspartners erreicht zu haben. Der Delegation schenkte man Gehör und ging auf kleine Forderungen wie die Integration neuer Mitglieder ein. Bei der Umsetzung weiterreichender Forderungen wie der globalen Kontrolle staatlicher Beihilfen waren der OECD die Hände gebunden, die nicht einmal an die für eine Vergleichsbasis nötigen Zahlen kam. Somit etablierten sich die Treffen mit der OECD -Arbeitsgruppe zu einer Kommunikationsplattform, auf der man sich über die jeweiligen Programme und Ansichten informierte. Als Instrument für eine grenzübergreifende Strategie blieben sie allerdings wirkungslos.

157 Ebd., S. 3. 158 Hier nur ein kurzer Verweis auf die heutigen Diskussionen dieses Industriezweiges, siehe Kühne. 159 Karl Casserini: Employment levels, working and social conditions and health and safety, in: IMB , S. 15.

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5.3.3 Sicherheit auf den Werften und die Verhandlungen bei der ILO Aber nicht alle Forderungen der IMB -Schiffbauabteilung blieben ergebnislos. Zum Schluss sollen die Regelungen von Sicherheitsstandards auf Werften betrachtet werden, die für alle Arbeiter weltweit Relevanz haben sollten und sich in Zusammenarbeit mit der ILO zu einer gemeinsamen Strategie entwickelten. Der Beginn dieser Initiative lag wie viele Ideen des IMB in den Anfangsjahren der Abteilung. Auf der vierten Schiffbaukonferenz in Hamburg 1960 stand auf der Agenda des letzten Tages der »Schutz vor Explosionen während der Reparatur auf Tankerschiffen«. Die schwedischen Delegierten hatten diesen Punkt auf die Tagesordnung gebracht und der Schiffbaupräsident Åke N ­ ilsson begann seine Rede damit, dass man eine Frage diskutieren wolle, die von großer Bedeutung für Werftarbeiter der ganzen Welt sei, eine Frage von Tod oder Leben. Er stellte klar, dass Wettbewerb niemals auf Kosten der Sicherheit von Arbeitern gehen dürfe und wenn es dazu komme, dass Reedereien ihre Schiffe in Ländern reparieren ließen, wo es keine Sicherheitsregeln gebe, dann sei es für Gewerkschaftsorganisationen an der Zeit, sich dem Problem ernsthaft zu stellen. So forderte er, dass es verpflichtende internationale Regeln geben müsse. Nilsson berichtete, dass die schwedischen Gewerkschaften nach einigen Katastrophen auf schwedischen Werften bis Ende der 1940er Jahre strengere Regeln gefordert hätten, doch bis heute nur einen Entwurf dazu bei der verantwortlichen Arbeitsschutzstelle erreichen konnten. Die anwesenden Delegierten begrüßten den Vorstoß. Der deutsche Kollege Karl Deibicht meldete sich zu Wort und meinte, er sei froh, dass die Frage der Arbeitssicherheit ein Mal auf der Agenda stehe. Auch bei der IG Metall war das Thema der Arbeitssicherheit seit Anfang der 1960er Jahre präsent. Hier hatten sich die Kollegen Karl Heinz Laubrecht und Heinz Partikel aufgrund der hohen Unfallraten auf den Werften mit den Möglichkeiten von Sicherheitsvorkehrungen beschäftigt und beklagten die Langwierigkeit der Umsetzung ihrer Ideen.160 Der Brite Edward Hill schlug die Bildung einer Kommission vor, die sich eingehender mit dieser Thematik beschäftigen solle. Generalsekretär Adolphe Graedel griff diesen Gedanken auf: 160 Protokoll der Sitzung der Aufsichtsratsmitglieder und Betriebsratsvorsitzenden der exportintensiven Großwerften am 19. Mai 1961 in Hamburg, in: IGM , Vorstand, Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand 1–2, Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie, 1954–1966, AdsD 5/IGMA 071109a; Heinz Partikel, 5. Arbeitstagung der IGM für die Seeschiffswerften, 3.–4. 11.1966, in Kiel, in: ebd.

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First of all we should gather all possible information on the point; we have already received some material from the different countries. When we have received the best methods and regulations from each country, we can ask the International Labour Office to include the question on the agenda of a conference for the purpose of reaching an agreement or a recommendation. We think this is the best and shortest way of bringing about an international agreement which would be useful for all countries and be applied also in countries not represented in the IMF.161 Der IMB verschaffte sich also einen Überblick über die Sicherheitslage auf den Werften und stellte fest, dass es überall andere Vorschriften gab. Doch Ziel sollte sein, internationale Richtlinien und Mindestnormen für alle einzuführen. Dafür suchte man die Unterstützung bei der ILO. Der erste Schritt wurde 1962 getan, als Delegierte des IMB im Metallausschuss der ILO einen Antrag zur Behandlung des Themas stellten. Der deutsche Gewerkschafter Heinz Partikel, der 1964 zu den Verhandlungen bei der ILO gereist war, berichtete von den Diskussionen. Er meinte, der IMB müsse jetzt erreichen, dass das Thema in den Sitzungen des Verwaltungsrates der ILO behandelt werde und es zu einer internationalen Übereinkunft kommen könne. Doch nicht alle waren von der Initiative überzeugt. Ein britischer Kollege argumentierte: So, although I quite agree with the need for an international code or international regulation, we should not let that diminish our effort on the national front. […] While doing all we can in establishing international codes and regulations, it is up to each national centre to drive home this question of safety.162 Das war nicht abwehrend gemeint, sondern sollte nur verdeutlichen, dass es zwar sinnvoll war, internationale Vereinbarungen zu schließen, dass es aber auch darauf ankam, diese auf nationaler Ebene umzusetzen. Im Anschluss an die Unterredung schlossen sich einige Mitglieder des IMB zusammen, um das Thema voranzubringen. Sie nahmen Kontakt zum Verwaltungsrat der ILO auf und schlugen die Erarbeitung von Mustersicher161 Graedel, Protokoll, 4.  IMB -Schiffbaukonferenz, in Hamburg, 24.–26. März 1960, S. 45, in: IMB , IISH IMF Collection, Folder 41. 162 Hollingsworth, Protokoll, 5. IMB -Schiffbaukonferenz, in Genua, 1.–3. April 1964, Redebeitrag 51, in: IMB , AdsD 5/IMB 1697–1699.

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heitsvorschriften vor. Sie trugen ihr Anliegen beim Metallausschuss der ILO vor. Doch so richtig ging es nicht voran. Auf der nächsten Schiffbaukonferenz des IMB hieß es, dass es einiger Proteste der IMB -Delegierten bedurft habe, bis die ILO sich des Themas angenommen hätte.163 Als sie das Projekt aufgriff, schloss sie die Gewerkschafter aus den Verhandlungen aus und traf sich nur mit juristischen Sachverständigen, Regierungs- und Arbeitgeberexperten, obwohl die IMB -Mitglieder mehrere Unterlagen erarbeitet hatten. Daraufhin initiierte der IMB eine eigene Expertensitzung, auf der bereits entstandene ILO -Texte geprüft und eine Reaktion der Gewerkschafter formuliert werden sollte. Ihr folgte ein Symposium zum Thema »Sicherheit auf Werften« in Helsinki, an der skandinavische, britische und deutsche IMB -Gewerkschafter teilnahmen. Wieder forderte der IMB die ILO auf, das Projekt zu bearbeiten. Zwei Expertengruppen der ILO entwarfen daraufhin einen 300-seitigen Text, der allerdings aufgrund finanzieller Engpässe nur auf Englisch vorlag. Der IMB organisierte schwedische und deutsche Übersetzungen und diskutierte die Vorlage mit seinen Mitgliedern und Experten für Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit 1972 in Göteborg. Das Ergebnis – nun ein überarbeitetes 80-SeitenPapier – wurde kurz darauf an die ILO übergeben und im Juni 1973 tatsächlich vom Verwaltungsrat der ILO als Code of Practice angenommen. In dem Konzept stand unter anderem, dass die Hauptverantwortung in Fragen der Sicherheit beim Arbeitgeber liegen müsse. Man forderte Sicherheitsschulungen, Sicherheitsausschüsse und gewerkschaftliche Sicherheitsleute. Der Kodex war jedoch weder verbindlich, noch sollte er die nationalen Gesetze und Regulierungen ersetzen. Er stellte vielmehr eine praktische Richtlinie dar, die sich an Regierungen, Arbeitgeber und Arbeiter richtete. Trotzdem hatte der IMB am Ende dieses 13-jährigen Aushandlungsprozesses die Durchsetzung seiner Forderungen nach internationalen Richtlinien erreicht. Allerdings wurde in Diskussionen beim EMB deutlich, dass die Richtlinien für europäische Werften zu spät oder vielmehr nicht weitreichend genug waren. Auf einer Sitzung des EMB 1975 wurde über den Code of Practice gesprochen und man stellte fest, dass die Richtlinien auf den Werften längst berücksichtigt und umgesetzt seien. Laut den Delegierten ging der Kodex nicht auf die neuen Probleme wie Asbest und andere gesundheitsschädigende 163 IMB: Erfolgreiche Anstrengungen des IMB für Gesundheit und Sicherheit. Wichtige Punkte für zukünftige Aktionen, in: 7. IMB -Schiffbaukonferenz, in Tokio 27. März– 5. April 1973, S. 2, in: IMB , AdsD 5/IMB 1694–1695.

Ansätze des Transnationalen

Stoffe im Schiffbau ein.164 Ähnlich verlief die Diskussion in der IG Metall. Der Schiffbaureferent Karl Pitz meinte, dass die Vorschläge in der Bundesrepublik bereits zu neunzig Prozent umgesetzt seien. Dennoch habe sich Karl Heinz Laubrecht darum bemüht, den Kodex ins Deutsche übersetzen zu lassen und auf den deutschen Werften zu verteilen.165 Dass ausgerechnet die Initiatoren des Kodex nicht von seiner Umsetzung profitierten, war angesichts des langen Kampfes und der umfangreichen Investitionen auch finanzieller Art tragisch. Der IMB versuchte, die vom EMB formulierten neuen Aspekte wie das Asbestverbot in die Agenda aufzunehmen. Generalsekretär Herman Rebhan machte 1979 auf der achten Schiffbaukonferenz darauf aufmerksam, dass in der Zukunft 1.600.000 Werftarbeiter aufgrund von Asbestose an Krebs sterben könnten und versprach, ein internationales Aktionsprogramm zur Beseitigung von asbesthaltigem Material im Schiffbau zu beginnen.166 Wenn schon nicht für Europa, so sollten sich die bei der ILO erkämpften Richtlinien wenigstens für die neuen Schiffbauländer als hilfreich erweisen. Die IMB -Abteilung für Gesundheit und Sicherheit setzte sich seit Ende der 1970er Jahre für die Umsetzung der Maßnahmen in Ländern des globalen Südens ein. Die Mitarbeiter hatten erkannt, dass die Reedereien die zum Teil niedrigen Sicherheitsstandards und die geringe gewerkschaftliche Organisierung nutzten, um ihre Schiffe billiger zu produzieren: The Transfer of such dangerous work processes from one country to another is now posing a major threat to world health and safety. As ­countries, particularly those with advanced industries, become more conscious of health hazards and environmental dangers from industrial processes, there is increased pressure from trade unions and the community to close down a process or render it safe by costly precautions. Instead of meeting the financial cost of their social obligations, private companies and multina164 Protokoll der Sitzung der nationalen Berichterstatter des EMB für die europäische Werftindustrie, Brüssel, 19. September 1975. Brüssel, 10.10.1975, in: Europäischer Metallausschuss / E MB , Industriepolitik II, Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB , 1969–1979, AdsD 5/EMBA080204. 165 Karl Pitz: Aktennotiz an Eugen Loderer, Betrifft: Internationale Arbeitsorganisation in Genf Sicherheit und Gesundheit im Schiffbau und in der Schiffsreparatur, 19.08.75, in: IGM, Abteilung Wirtschaft, Internationale Gewerkschaftsbewegung, IMB -Arbeitsgruppe Schiffbau, 1972–1982, AdsD 5/IGMA100139. 166 Remarks by Herman Rebhan, Protokoll, 8.  IMB -Schiffbaukonferenz, in Kopenhagen, 27.–29. November 1979, S. 12 f., in: IMB , IISH IMF Collection, Folder 43.

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tional corporations prefer to search the world for places where trade unions are weak and safety regulations are non-existent.167 Diese Entwicklung wollte der IMB durch regionale Arbeit unterbinden. Generalsekretär Rebhan berichtete, dass der IMB drei Jahre lang ein 700.000 US Dollar teures Projekt zur Ausbildung von 15.000 Gewerkschaftern finanziert habe. Es gebe nun ein 200-seitiges Handbuch, das mit einfacher Sprache, zahlreichen Bildern und Diagrammen über industrielle Gesundheitsrisiken aufkläre und aufzeige, wie man mit ihnen umgehe und das Unternehmen auffordere, diese Risiken zu vermeiden.168 Mitarbeiter der Abteilung Gesundheit und Sicherheit fuhren im Januar 1980 für zwanzig Tage nach Malaysia und Singapur, um lokale Gewerkschaftsrepräsentanten über die Gefährlichkeit industrieller Prozesse und ihre Möglichkeiten bei der Forderung von Basisschutz gegenüber dem Management zu unterrichten. Dabei verfolgte der IMB einen Streuungseffekt, indem er Gewerkschafter zu Multiplikatoren ausbildete. Karl Casserini stellte auf der neunten Schiffbaukonferenz fest: We must all step up our efforts to bring about the strict enforcement of all existing health and safety laws and insist on the rigorous application of the ILO Code of Practice for Safety and Health in Shipbuilding and Ship Repairing. I am proud to say that the IMF was the instigator of this worldwide legal instrument as far back as 1960. And we must be the main driving force in making sure that it is implemented.169 Was die Vermeidung von Explosionen betraf, die in den frühen Jahren der Schiffbauabteilung Anlass der Initiative war, konnte der IMB keinen Erfolg vermelden. Auch nach fast dreißig Jahren kam es noch zu Explosionen auf Werften aufgrund unzureichender Sicherheitsmaßnahmen.

5.4 Zusammenfassung Die internationalen Konferenzen der IMB -Schiffbauabteilung wuchsen während des Untersuchungszeitraums von einer kleinen Gruppe west- und nord167 Ebd., S. 15. 168 Ebd., S. 16 f. 169 Karl Casserini: Employment levels, working and social conditions and health and safety, in: IMB , S. 15.

Zusammenfassung

europäischer Gewerkschafter zu einem Treffen mit globaler Reichweite. Das Hauptinteresse der Teilnehmer lag darin, sich über die Entwicklung des globalen Marktes und die Situation der anderen Schiffbauländer zu informieren, um Vergleichsdaten für die Argumentation auf nationaler Ebene zu erhalten. Da die Gewerkschaftsangaben als unvollständig oder für den Vergleich nicht verwendbar eingestuft wurden, ging man schnell dazu über, professionelle Expertise einzuholen. So wurde für die Konferenzen 1957 und 1960 ein Wirtschaftsexperte eingeladen, der die weltweiten Entwicklungen vorstellte und Prognosen abgab. Gleichzeitig erkannte der IMB die Notwendigkeit, sich auf diesem Gebiet selbst professionalisieren zu müssen. Man richtete eine Wirtschaftsabteilung ein, an deren Spitze Karl Casserini stand. Er erwies sich in der Folgezeit als ausgezeichneter Analyst und war für die zahlreichen Studien verantwortlich, die sehr präzise Voraussagen zur Entwicklung der Schiffbauindustrie lieferten. Diese Studien zeigten, dass der IMB von Beginn an die Entwicklung des globalen Marktes im Blick hatte, Globalisierungsprozesse frühzeitig erkannte und darauf zu reagieren versuchte. Im Untersuchungszeitraum stellte die Region Asien eine besondere Herausforderung dar, da einige asiatische Länder eine rasche Industrialisierung durchlebten, die den ursprünglichen Schiffbauländern Konkurrenz machten. Japan war das erste asiatische Land, das in der Lage war, die Produktion auf einen konkurrenzfähigen Stand zu heben. Der IMB reagierte darauf mit verschiedenen Maßnahmen. Frühzeitig nahm er Kontakt zu japanischen Gewerkschaftern auf und integrierte sie in die Diskussionen. Die Kontaktaufnahme fiel in eine Zeit, als internationale Gewerkschaftsbewegungen nach Standbeinen in außereuropäischen Ländern suchten und aufgrund der Systemkonkurrenz bestrebt waren, Missionierungsarbeit zu leisten. Am Beispiel der Schiffbauindustrie zeigte sich aber, dass vor allem das wirtschaftliche Entwicklungspotential dieser Regionen eine Rolle bei der Anbahnung von Kontakten spielte. Die »kommunistische Gefahr«, die in den Diskussionen bei den US -Amerikanern heraufbeschworen wurde, spielte für die Delegierten der Schiffbaukonferenzen eine untergeordnete Rolle. Im gesamten Untersuchungszeitraum wurden allerdings Gewerkschaften kommunistischer Länder nicht zu den Konferenzen eingeladen, obwohl diese einen nicht unerheblichen Anteil am Schiffbaumarkt trugen.170 170 Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass diese Diskussionen nicht hier, da es um wirtschaftliche Aspekte ging, geführt wurden, sondern eher Gegenstand der Zentral­ komiteesitzungen des IMB waren.

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Mit dem Aufstieg Japans zum führenden Produktionsland und den Erfolgen der Gewerkschaften bei Lohnforderungen veränderte sich die Rolle Japans in den Diskussionen und die Aufmerksamkeit des IMB übertrug sich auf andere asiatische Länder. Auch hier reagierte der IMB, indem er die neuen Akteure zu den Konferenzen einlud und regionalspezifische Seminare einrichtete, die der Kontaktaufnahme dienen sollten. Mit der Etablierung dieser Seminare entwickelte der IMB im Laufe der Jahre ein auf die Situation der Länder zugeschnittenes Programm, das auf die Bedingungen vor Ort einzugehen versuchte. Die Vorschläge des IMB blieben in all den Jahren auf ein Ziel konzentriert: die Vollbeschäftigung. Mit den wachsenden Problemen der westeuropäischen Werften und den Folgen für die Arbeiter entwickelte Casserini für den IMB Empfehlungen für nationale Strategien: Es sollte Prognosen und Pläne geben, wie und wo investiert, modernisiert und rationalisiert werden müsste. Hilfen des Staates sollten konstruktiv und mit langfristiger Planung eingesetzt werden und er empfahl eine Arbeitsmarktpolitik, die sich um alternative Arbeitsplätze kümmerte.171 Damit sah Casserini frühzeitig die Notwendigkeit zur tiefgreifenden Umstrukturierung des Industriezweiges. Dies zeigt, dass der IMB durchaus in der Lage war, die Folgen der Globalisierung zu erkennen – und zwar bereits vor der Krise der 1970er Jahre – und er daraus adäquate Programme zu entwickeln versuchte. Diese objektive Perspektive konnte allerdings nur von denen eingenommen werden, die nicht im Interesse einer nationalen Gewerkschaft handelten, also den Mitarbeitern des IMB, insbesondere dem Generalsekretär und dem Leiter der Wirtschaftsabteilung. Doch auch sie waren für lange Zeit nicht frei von bestimmten Meinungen. Ihre Perspektive war zwar keine nationale, aber eine regionale, die in ihren Aktivitäten und Programmen den europäischen Standort verteidigte. Die Politik des IMB war darauf ausgerichtet, die Werte einer europäischen Arbeitsgesellschaft auf die neueren Produktionsländer zu übertragen – mit Gewerkschaften, die für demokratische Mitbestimmung 171 Vergleicht man diese Ansätze mit denen bei der ILO, fällt die thematische Überschneidung ins Auge. Daniel Maul hat dargestellt, wie die ILO infolge der Krise in den 1970er Jahren ein Beschäftigungsprogramm entwickelte. Als die europäischen Staaten in den 1970er Jahren in eine Krise gerieten, hatte das Programm darauf allerdings keine Antworten, da es von einer andauernden Vollbeschäftigung in den industrialisierten Ländern ausging, Maul, S. 363. Die Erforschung der Vernetzung und thematischen Überschneidung der einzelnen internationalen Organisationen lässt Raum für vergleichende und sich überschneidende Prozesse. Ein Beispiel dazu lieferte Tosstorff.

Zusammenfassung

im Betrieb, angemessene Löhne und Arbeitsverträge sorgten. Diese Überlegung implizierte die Überzeugung, dass die nachgeholte Entwicklung für ein globales Gleichgewicht und für die Sicherheit der Arbeitsplätze sorgen würde. Erst mit der Integration der neuen Akteure in die Diskussionen zeigte sich in den 1980er Jahren ein Umdenken. Die IMB -Mitarbeiter forderten die Delegierten auf, die Polarisierung der Arbeiter der alten und neuen Industrieländer zu überwinden, indem sie aufzeigten, dass die sinkende Nachfrage auch die Arbeiter der außereuropäischen Länder treffe. Bei der Erarbeitung gemeinsamer Strategien blieb eine kritische Auseinandersetzung mit dem Solidaritätsbegriff im IMB aus. Auf den Konferenzen fehlte die Zeit, sich über die inhaltliche Gestaltung dieses Begriffs Gedanken zu machen. Erst mit der Initiative Karl Casserinis kamen Diskussionen über transnationale Strategien in Gang. Von Anfang an war jedoch klar, dass der IMB in diesen Ansätzen der westeuropäischen Arbeiterbewegung folgen und den Fortschritt nur durch sozialpartnerschaftliche Strategien angehen würde. Man war nicht bereit, radikale Gedanken aufzugreifen und damit möglicherweise die Verhandlungsposition mit anderen globalen Institutionen in Gefahr zu bringen. Diese Haltung zeigte sich vor allem während der Diskussionen zum Boykott von Schiffen. Der IMB ergriff im Untersuchungszeitraum zwei Initiativen, die die Probleme der Schiffbauindustrie auf globaler Ebene angehen und gleichzeitig den IMB als Akteur der Global Governance-Ebene etablieren sollten. Bei der Schiffbauarbeitsgruppe des OECD -Rates konnte sich der IMB Gehör verschaffen und kleine Maßnahmen wie die Integration neuer Mitglieder durchsetzen. Die Umsetzung der eigentlichen Forderungen, der globalen Kontrolle von staatlichen Beihilfen, war allerdings nicht erfolgreich. Als Instrument für eine transnationale Strategie blieben die Treffen wirkungslos. Die Forderung nach einem Code of Practice für internationale Sicherheitsstandards auf Werften konnte dagegen zum Abschluss gebracht werden. Die Richtlinien wurden von einem internationalen Gremium erarbeitet und gemeinsam unterzeichnet. Es bedurfte allerdings mehrmaliger Anläufe bei der ILO, um das Thema auf die Tagesordnung zu bringen. Nur durch die Entschlossenheit einiger Mitglieder im IMB konnten die Maßnahmen realisiert werden. Die Langwierigkeit des Verfahrens führte dazu, dass die Vorschläge bei denjenigen, die sie initiiert hatten, bereits umgesetzt waren und kein geeignetes Mittel mehr für politische Forderungen darstellten. Für die neuen Schiffbauländer sollten sie sich in den 1980er Jahren aber als hilfreich im Kampf um sichere Arbeitsbedingungen erweisen.

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Dieser Abriss der mehr als 35 Jahre dauernden Entwicklung verdeutlicht eine Problematik, wie sie sicherlich auch auf andere Industriezweige übertragbar wäre. Durch seinen langfristigen Produktionsprozess und seine Krisenanfälligkeit stellt der Schiffbau zwar eine Besonderheit dar, aber die Globalisierung des Marktes zeigte sich auch in anderen Sektoren. Zunächst kann festgehalten werden, dass sofern die neuen Konkurrenten an den Konferenzen teilnahmen, sie zum Hauptthema der Diskussionen wurden. Angegriffen wurden niedrige Löhne und Exportsubventionen, denen man eine starke Gewerkschaftsmacht vor Ort und Subventionsregeln auf globaler Ebene gegenüberstellen wollte. Mit der frühen Erkenntnis, dass es eine geographische Verlagerung hin zu Spitzenproduzenten gab, denen nur schwerlich Konkurrenz zu machen war, war das Thema Beschäftigung in den Diskussionen frühzeitig präsent. Doch statt Umstrukturierung in den Küstenregionen, wie es der IMB -Wirtschaftsexperte schon in den 1960er Jahren vorgeschlagen hatte, folgten die Gewerkschaftsdelegierten dem nationalen Interesse, ihre Industriezweige zu erhalten, was sich langfristig gesehen nicht als erfolgreich herausstellte.

6.

Vergleich und Verflechtungen

6.1

Wahrnehmung der Krise und der globalen Zusammenhänge

In der Schiffbauindustrie lagen zwischen dem Auftrag eines Schiffes und seiner Fertigstellung einige Jahre. Während dieser langwierigen Produktion konnte sich, ausgelöst durch weltpolitische und wirtschaftliche Ereignisse, die Nachfrage nach Transportmitteln verändern. Dies brachte die Werften nicht selten in wirtschaftliche Schwierigkeiten. In der Bundesrepublik ereignete sich eine erste kritische Phase Ende der 1950er bis Anfang der 1960er Jahre, eine zweite nach 1973 bis Anfang der 1980er Jahre. Nach der ersten Krisenphase gelang es der westdeutschen Schiffbauindustrie, durch Investitionen in größere Schiffe und technologische Innovationen auf dem globalen Markt wieder konkurrenzfähig zu werden. Für die meisten Werften war das nach 1973 allerdings nicht mehr möglich. Dafür gab es verschiedene Ursachen: Hohe Überkapazitäten hatten zu einer weitgehenden Sättigung des Marktes geführt, auf den neue Konkurrenten mit weiteren Schiffstonnagen drängten. Der Anstieg des Ölpreises brachte den Einbruch der Tankernachfrage, einem Schiffstyp, in den viele Werften während der 1960er Jahre investiert hatten. Darüber hinaus gab es im westdeutschen Kontext fehlende Investitionstätigkeiten von Unternehmern sowie eine fehlende Kontrolle des Staates über die Vergabe von Subventionen. Dem Staat war es außerdem misslungen, eine langfristig angelegte Strukturpolitik für die Küstenregionen zu etablieren. Aufgrund der einschneidenden Folgen für die Beschäftigten ist die Frage, ob die Gewerkschaften die wirtschaftlichen Entwicklungen und die Krisenphänomene wahrnahmen, fast schon rhetorisch. Natürlich war man sowohl auf lokaler als auch nationaler Ebene um die Entwicklung der in Mitleidenschaft gezogenen Küstenstädte besorgt. Die Analyse ergab sogar, dass die Gewerkschafter die Probleme des Sektors deutlich vor den 1970er Jahren erkannten und entsprechend ihrer Sorge um Arbeitsplätze Ideen entwickelten, wie einer Krise vorgebeugt werden könnte. So warnten sie beispielsweise frühzeitig vor der Übersättigung des Marktes und dem hohen Anteil an staatlichen Subventionen. Sie sahen den Ölpreisanstieg nur als Auslöser für den Zusammenbruch des Marktes, nicht aber als seine Ursache. Auch

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Vergleich und Verflechtungen 

auf europäischer Ebene nahmen die Gewerkschaftssekretäre die wirtschaftlichen Probleme frühzeitig wahr und forderten bereits in den 1960er Jahren konkrete Maßnahmen für die europäischen Werften. Allerdings waren sie durch institutionelle Hürden und eine fehlende Industriepolitik in der EWG in ihren Handlungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Nach dem Einbruch des Tankermarktes wurden die Gewerkschafter in ihren Forderungen nach Veränderung ungehaltener. Sie suchten stärker als zuvor das Gespräch mit Politikern und Werftindustriellen, erhöhten den Druck auf die politischen Entscheidungsträger und vergrößerten ihre Präsenz in der Öffentlichkeit. Diese Dramatisierung war spätestens ab 1976 auf allen Analyseebenen zu beobachten. Entsprechend der Analyse kann also schlussfolgert werden, dass den Gewerkschaftern die Problematik ihres Industriezweiges zu jeder Zeit gegenwärtig war. Der Begriff »Krise« fand immer häufiger Verwendung und das vorgeschobene Adjektiv »konjunkturell« wurde zunehmend durch das Wort »strukturell« ersetzt und manifestierte damit die Endgültigkeit für den Schiffbau. Insofern teile ich die Beobachtungen der Zeithistoriker Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael zu den 1970er Jahren als Krisenjahre.1 Dem ist aber hinzuzufügen, dass die Wahrnehmung der Schwierigkeiten schon wesentlich eher einsetzte. Damit ist auch den Beobachtungen Eckart Conzes und anderen Autoren zuzustimmen, die die Besonderheit des wirtschaftlichen Aufschwungs der 1960er Jahre relativieren.2 Der Industriesektor unterlag einem langfristigen Transformationsprozess, in dem es immer wieder zu Schwankungen und Problemen kam. Der Niedergang der Schiffbauindustrie in westeuropäischen Ländern kann also nicht allein dem globalen Konjunktureinbruch der 1970er Jahre zugeschrieben werden. Die Abhängigkeit von den Entwicklungen auf dem globalen Schiffbaumarkt war den Gewerkschaftern ebenfalls von Anfang an bewusst. Auf jeder Konferenz und jedem Zusammentreffen – ob auf Bezirks-, nationaler, europäischer oder globaler Ebene – fand die Internationalität der Branche Erwähnung, wenn sie nicht sogar im Mittelpunkt der Gespräche stand. Wie auf lokaler Ebene dargestellt, war es für die Geschäftsleitung des Bremer Vulkan bedeutsam, eine große Zahl an Aufträgen aus dem Ausland zu akquirieren. Die Exportzahlen des Unternehmens lagen schon zeitig bei über fünfzig Prozent, worüber die Betriebsräte durch die Direktoriumssitzungen 1 Doering-Manteuffel u. Raphael. 2 Conze, S. 550.

Wahrnehmung der Krise und der globalen Zusammenhänge

informiert waren. Erstaunlicherweise war die lokale Ebene der einzige Ort, an dem die gewerkschaftlichen Vertreter keine inter- oder transnationalen Themen verhandelten. Hier offenbarte sich eine Problematik, die für die Gewerkschaftsbewegung insgesamt eine Herausforderung darstellte. Die globale Entwicklung war auch auf nationaler Ebene omnipräsent. Das bedeutete allerdings nicht, dass die Metallgewerkschafter daraus transnationale Strategien entwickelten. Die Analyse des globalen Kontextes half zunächst nur, Lösungsansätze für die eigenen Probleme zu finden. Grenzübergreifende Forderungen wie die internationale Kontrolle von Subventionen blieben reine Absichtserklärung, wie sich nach Sichtbarwerden der Kri­ senerscheinungen herausstellen sollte. Der wirtschaftlichen Globalisierung wurde mit zunehmender Nationalisierung begegnet. Die Ursachen hierfür können nur aus der Organisationslogik der IG Metall heraus erklärt werden. Für die europäische und globale Ebene erübrigt sich die Frage der Wahrnehmung von Internationalität im Prinzip. Ohne ein Problembewusstsein für globale Zusammenhänge hätte es die Bildung von Arbeitsgruppen und Konferenzen zum Thema sicherlich nicht gegeben. Die Antworten darauf waren aber stark geprägt von der Perspektive und dem Aktionsradius der jeweiligen Ebene, auf der sich die Akteure bewegten. Beim EMB war man vor allem um Lösungen für den (west-)europäischen Markt bemüht. Die nach 1976 vorgeschlagenen Punkte waren im weitesten Sinne protektionistisch und hatten die Wiederbelebung des westeuropäischen Schiffbaumarktes zum Ziel. Beim IMB spielte diese Strategie keine Rolle. Es ging vielmehr darum, ein Gleichgewicht zwischen den schiffbauenden Ländern zu erzeugen und dieses über unabhängige Gremien zu regeln. Die Frage nach der Wahrnehmung von Internationalität konnte verdeutlichen, dass die Verflechtung des Marktes wesentlich eher für die Gewerkschaftssekretäre präsent war, als es einige Historiker im Zusammenhang mit Globalisierungsprozessen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts annehmen.3 Es ist der Beobachtung Anthony Hopkins’ zuzustimmen, dass der Beginn verstärkter Verflechtungsprozesse mit der Erholung in der Nachkriegszeit und dem strukturellen Wandel in der Weltwirtschaft anzusetzen ist.4 Durch die globale Verknüpfung des Schiffbaumarktes waren nationale Entwicklungen von denen anderer abhängig und die Unternehmen standen unter Druck, auf weltweite Innovationen in der Technologie und globale 3 Cox. 4 Hopkins, S. 34.

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Preise zu reagieren. Der Markt war nur insofern noch national strukturiert, als dass diese Entwicklungen von staatlichen Subventionen gesteuert wurden und sich die gewerkschaftlichen Akteure meistens auf die räumlichen Verhandlungsebenen beriefen, auf denen sie sich etabliert hatten.

6.2

Herausforderungen und Strategien

6.2.1 Information und Wissen Das Sammeln von Informationen und die Anhäufung von Wissen hatte für die Gewerkschaftsbewegung eine große Bedeutung und war auf allen Ebenen präsent. Wissen bedeutete Einfluss, denn nur bei entsprechender Information konnten Argumente aufgebaut und die eigene Position gegenüber den Verhandlungspartnern gestärkt werden. Doch das Zusammentragen von Informationen war schwieriger als gedacht. Die Gewerkschafter waren auf die Rückmeldungen aus den Betrieben angewiesen, die die Fragebögen verspätet oder nur unvollständig an die Gewerkschaftssekretäre zurückschickten. Es stellte sich heraus, dass eine Professionalisierung notwendig wurde, um Informationen unabhängig von den Betriebsräten oder Verwaltungsstellen generieren zu können. In den Anfangsjahren nutzten die gewerkschaftlichen Institutionen dafür vor allem externe Berater. Der IMB entschied allerdings schon relativ früh, sich selbst zu professionalisieren. Ende der 1950er Jahre wurde Karl Casserini als Wirtschaftsexperte im IMB eingestellt, der wirtschaftliche Analysen und Strategien erarbeitete. Eine ähnliche Funktion erfüllte ab Mitte der 1970er Jahre bei der IG Metall Karl Pitz. Nach den ersten sichtbaren Auswirkungen der Ölpreiskrise auf die Schiffbauindustrie begann Pitz im Jahr 1975, für die IG Metall Strategiepapiere zu entwerfen. Er verschaffte sich Wissen über den jeweiligen Diskussionsstand der Gremien, in denen die IG Metall vertreten war. Er fuhr als Delegierter zum EMB nach Brüssel und berichtete akribisch von den dortigen Verhandlungen an den IG Metall-Vorstand. Er hielt engen Kontakt zur Bezirksleitung in Hamburg und nahm an den Treffen der Arbeitsgemeinschaft Schiffbau teil. Die Vorschläge von Pitz und Casserini gaben den Gewerkschaftern Argumente an die Hand und führten zu Forderungen, die in der Auseinandersetzung mit Regierung und Unternehmern bedeutsam waren. Auf europäischer Ebene blieb diese Expertise aus. Günter Köpke, der Generalsekretär des EMB,

Herausforderungen und Strategien

hatte keinen Wirtschaftswissenschaftler an seiner Seite, der ihn hätte unterstützen können. Hubert Thierron, sein Stellvertreter, tauchte zwar in den Diskussionen auf, doch auch er konnte die notwendige Rolle nicht ausüben. Deshalb war Köpke nicht in der Lage, eine starke Position zu etablieren und entsprechende Forderungen gegenüber der Europäischen Kommission zu formulieren. Er griff auf Statistiken Casserinis zurück und war in schwierigen Situationen auf Vorschläge der nationalen Gewerkschaftsmitglieder angewiesen. Warum man im EMB keinen Experten einsetzte, bleibt offen. Aber es ist zu vermuten, dass die begrenzten finanziellen Mittel ausschlaggebend dafür waren.

6.2.2 Mitbestimmung und Korporatismus In der Analyse wurde deutlich, dass es für die Gewerkschafter wichtig war, sich in politische Gremien sowie Auseinandersetzungen mit Arbeitgebern zu integrieren. Hiermit suchten sie den sozialpartnerschaftlichen Weg wie viele Sozialdemokraten Westeuropas nach 1945. Das Konzept lautete, wie Karl Schiller es 1952 formulierte, eine Synthese zwischen Liberalismus und Sozialismus, Marktwirtschaft und Zentralverwaltungswirtschaft zu bilden.5 Durch Integration aller Gesprächspartner sollte auf Grundlage rationaler Kommunikation und Informationsaustausch ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht aufgebaut werden. Kommunistische Alternativen spielten für die Gewerkschafter keine Rolle und sorgten, wie sich in allen Kapiteln zeigte, in den 1950er Jahren eher für Konfliktpotential. Auf Bezirksebene sprach man von »Wühlarbeit« der Kommunisten, der man etwas entgegensetzen müsse. Der »KP-Leute« müsse man sich entledigen, hieß es auf nationaler Ebene. Beim EMB tat man sich in der Zusammenarbeit mit kommunistischen Gewerkschaften Italiens und Frankreichs schwer. Und auch die Gewerkschaftssekretäre des IMB verweigerten vehement eine Zusammenarbeit mit Gewerkschaftern des Ostblocks. Die Richtung hieß also: Wandel der Verhältnisse innerhalb des bestehenden Systems, ohne dieses grundsätzlich infrage zu stellen. Die praktische Umsetzung dieser sozialdemokratischen Ansätze zeigte sich vor allem in der Forderung nach Mitbestimmung. Die Gewerkschafter sahen dreigliedrige Räte oder Gesprächsrunden in der Schiffbauindustrie als das am besten 5 Schiller nach Rehling, S. 70.

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geeignete Mittel, sich in die Diskussionen und Entscheidungen einzubringen. Die Bildung eines solchen Gremiums wurde von der IG Metall schon in den 1950er Jahren gefordert, aber nicht umgesetzt. Deshalb lud man Vertreter der Landes- oder Bundesregierung zu den Gewerkschaftskonferenzen ein, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Die IG Metall wurde dennoch nicht müde, die Gründung eines Beirates zu fordern, in dem Vertreter der verschiedenen Parteien, darunter das Bundesverkehrsministerium, der Verband der Schiffswerften und die Gewerkschaftsvertreter, zusammenkommen sollten. Besonders stark war die Forderung nach Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen im Europäischen Metallausschuss beziehungsweise EMB. Den europäischen Gewerkschaftssekretären war es wichtig, sich eine Position innerhalb der europäischen Institutionen zu erarbeiten, mit den Entscheidungsträgern an einem Tisch zu sitzen und Einfluss auf die Industriepolitik der EWG zu haben. Während der EMB von der Europäischen Kommission größtenteils als Gesprächspartner ernst genommen wurde, hielten sich die Arbeitgebervertreter allerdings weitgehend bedeckt. Sie gingen zwar auf Forderungen ein, gemeinsame Arbeitssitzungen abzuhalten und beteiligten sich 1977/78 an zwei größeren Konferenzen, danach verebbte die Zusammenarbeit aber wieder. Eine ähnliche Situation ergab sich bei den Verhandlungen des IMB mit der Schiffbaugruppe des OECD -Rates. Der Wirtschaftsexperte des IMB Karl Casserini schlug in zahlreichen Papieren eine Politik für den globalen Schiffbau vor und versuchte, die Arbeitsgruppe der OECD dahingehend zu be­ einflussen. Die Mitbestimmungsmöglichkeiten blieben aber marginal. Das vorsichtige Herantasten der Gewerkschafter an die Verhandlungspartner hatte letztlich zur Folge, dass die Interessenvertreter in den meisten Fällen nur einen kleinen Part in den Entscheidungsprozessen spielten. Warum die Gewerkschafter nicht eine offensivere Haltung einnahmen, lässt sich nur anhand ihrer ideologischen Vorstellungen erklären. Sie hatten keine Umstrukturierung oder gar Revolutionierung der wirtschaftlichen Verhältnisse zum Ziel. Konfliktreichere Positionen oder politische Kämpfe waren aufgrund des Gegenmodells in den autoritär-sozialistischen Ostblockstaaten undenkbar. Die Westeuropäer hatten sich entschlossen, den sozialdemokratischen Weg zu gehen und die hierfür vorgesehenen Methoden der Mitbestimmung in die Praxis umzusetzen. Die Zurückhaltung der Gewerkschafter ging so weit, dass ihre Analysen und Strategien in den Verhandlungen mit den Sozialpartnern meistens keine

Herausforderungen und Strategien

große Rolle spielten. Die Gewerkschafter zogen sich in diesen Auseinandersetzungen auf ihre Bestimmung als Vertreter der Beschäftigten zurück. Das zeigte sich bei den EMB -Diskussionen,6 aber auch auf nationaler Ebene. Obwohl sie ihre wirtschaftliche Expertise ausgebaut und Konzepte für alternative Programme entworfen hatten, wurden sie lediglich als Vertreter für soziale Belange wahrgenommen. Somit konnten sie auch meist nur weiche Themen durchsetzen wie Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz. Diese Beobachtung offenbarte die Schattenseiten korporatistischer Ansätze. Momente einer Alternative gab es nur auf lokaler Ebene. Beim Bremer Vulkan wurde die sozialdemokratische Taktik für einige Zeit hinterfragt. Während die westdeutsche Gewerkschaftsführung mit der Konzertierten Aktion ihr Ziel politischer Mitsprache erreicht zu haben schien, protestierte die Basis entsprechend der wachsenden Überzeugung, ihre Interessen würden durch die Gewerkschaftssekretäre nicht mehr vertreten. Im Zuge der neuen linken Bewegungen forderte sie eine Neujustierung der politischen Ausrichtung. Als sich die Ereignisse in den Jahren 1973/74 zuspitzten, fielen die politischen Akteure aber in ihre bewährten Ordnungen zurück und gaben die Verantwortung wieder in die Hände der IG Metall. Es ist insofern der Interpretation von Peter Birke zuzustimmen, dass die wilden Streiks den alten Anspruch der Demokratisierung der Arbeitsbeziehungen neu formulierten und damit ein Auseinanderfallen von gewerkschaftlicher Politik und lokal artikulierten Bedürfnissen deutlich wurde.7 Diese Alternative war jedoch nur für einen kurzen Zeitpunkt präsent und zeigte kaum abseitige Lösungswege auf. Dennoch sehe ich diese Auseinandersetzungen als Teil ähnlich gelagerter Proteste in Europa zu dieser Zeit.8 Fraglich ist aber, ob diese Bewegung, wenn sie in einer eigenen Organisationsform aufgegangen wäre, tatsächlich in der Lage gewesen wäre, eine adäquate Antwort auf die globalen 6 Auch Yves Clairmont äußerte sich bezüglich des Potentials einer europäischen Gewerkschaftsbewegung und der tatsächlichen Umsetzung kritisch: »Man hätte eine andere Gewerkschaftsstrategie entwickeln müssen und eine machtvolle, aktions- und kampagnenfähige europäische Gewerkschaftsbewegung gebraucht, die hätte personell, materiell und ideell deutlich ausgebaut werden müssen, […] um einen solchen Druck zu entfalten, die ungünstigen Grundlagen der EWG selbst zu überwinden. […] Dies war jedoch nicht gewollt, so kam die gewerkschaftliche Kavallerie organisationeller Schlagkraft europapolitisch nicht zum Einsatz; diese lieferte sich stattdessen weiterhin nationale Gefechte.«, Clairmont, S. 210. 7 Birke, Der Eigensinn der Arbeitskämpfe, S. 72 f. 8 Gerd-Rainer Horn hat beispielsweise die Streiks der Bundesrepublik in die Streikwelle der europäischen Arbeiter zwischen 1962 und 1976 einbezogen, Horn, S. 43.

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Herausforderungen zu finden. Die Artikel und Flugblätter der Aktivisten waren so stark auf die Abrechnung mit den Gewerkschaftseliten konzentriert, dass nur wenig Platz für inhaltliche Überlegungen und Alternativkonzepte blieb.

6.2.3 Das Handlungsspektrum der Akteure Die Akteure waren stark von den räumlichen Kontexten bestimmt, in denen sie aktiv waren. So offenbarte sich eine Diskrepanz zwischen der aus nationaler Perspektive agierenden IG Metall und den lokal aktiven Betriebsräten, die den Belangen der Werftarbeiter wesentlich näher waren. Die Aufteilung der Interessenvertretung ergab sich aus der historischen Entwicklung der deutschen Gewerkschaftsbewegung. Durch die duale Struktur der industriellen Beziehungen lief die Interessenvertretung innerhalb der Betriebe relativ unabhängig von der nationalen Ebene ab. Die Einbeziehung der Betriebsräte in die gewerkschaftlichen Debatten war während der Aushandlung um das Betriebsverfassungsgesetz in den 1950er Jahren zwar noch gegeben, aber schon damals verlangten sie häufigere Treffen, um ihr Informationsdefizit jenseits des Betriebes auszugleichen. Daraufhin wurde eine Arbeitsgemeinschaft gebildet, die sich regelmäßig mit der Bezirksleitung in Hamburg traf. Doch diese Gruppe entwickelte sich bald zu einem engen Kreis dem nur wenige Personen angehörten. Das Unvermögen der Gewerkschaftsführung, die übergeordneten Ziele der IG Metall der lokalen Ebene zu vermitteln, verdeutlichte sich in zahlreichen Situationen während der nationalen Konferenzen. Bei den Rationalisierungsdiskussionen fühlten sich die Betriebsräte als die Leidtragenden einer nicht von ihnen beschlossenen Politik. Sie waren mit den Folgen im Betrieb konfrontiert und brachten ihre Sorge zum Ausdruck, dass sie den Ausein­ andersetzungen mit der Belegschaft allein standhalten müssten. Auch was die Vorträge der internationalen Redner betraf, zeigten sie häufig nur wenig Verständnis. Der IG Metall-Vorstand verpasste den Zeitpunkt, die Gewerkschaftsmitglieder über seine Vorstellungen aufzuklären, sowohl was die Perspektiven für die Entwicklung des Industriezweiges anbelangte, als auch was ihre transnationalen Strategien betraf. Dass sie jemanden vom IMB oder EMB einluden, bedeutete noch lange nicht, dass sich für die Betriebsräte daraus Schlussfolgerungen für das eigene Handeln ergaben oder gar ein globales Bewusstsein erwuchs.

Herausforderungen und Strategien

Als eine Art Vermittler tat sich für einige Zeit die Bezirksleitung in Hamburg hervor, die auf allen Aushandlungsebenen präsent war, die übergreifenden Themen im Blick hatte und diese auf die lokale Ebene zu vermitteln suchte. Diese Rolle war mit einigen Herausforderungen verbunden, wie sich bei Heinz Scholz als auch seinem Nachfolger Otto vom Steeg zeigte. Beide verhielten sich in Bezug auf die beschlossene Subventionspolitik der IG Metall ambivalent. Sie begrüßten im Allgemeinen die internationalen Vereinbarungen zum Abbau von Subventionen, forderten im spezifischen Fall aber doch immer wieder staatliche Hilfen, um den Betriebsräten und Werftarbeitern die Ängste vor dem Arbeitsplatzverlust zu nehmen. Vom Steegs Verantwortungsbewusstsein für die Arbeitsplätze erklärt, warum er ohne Abstimmung mit Karl Pitz und Eugen Loderer 1976 politisch aktiv wurde und sich eigenmächtig mit Werftindustriellen und Regierungsvertretern traf. Die Betriebsräte fühlten sich dem Bezirksleiter näher als den in Frankfurt sitzenden Gewerkschaftssekretären der Vorstandsabteilung. Sie machten darauf aufmerksam, dass ein Informationsdefizit bei der Basis zu Problemen führen könnte. Für eine gemeinschaftliche Wirtschaftspolitik sei wichtig, die Hauptamtlichen in den Aufsichtsräten und Wirtschaftsausschüssen aufzuklären. Im Jahr 1966 – also noch vor der ersten großen Welle wilder Streiks  – warnten die Betriebsräte, die Kollegen auf den Werften müssten die Möglichkeit zur Diskussion und Auseinandersetzung bekommen. Und genau dafür brauche es einen Verantwortlichen wie den Bezirksleiter, der diese Entwicklungen im Blick habe, die Forderungen verfolge und zum Abschluss bringe. Während der Phase der wilden Streiks drohte allerdings auch diese Zusammenarbeit auseinanderzubrechen. Wie das Beispiel des Bremer Vulkan 1973 zeigte, gab es nach der Vermittlung im wilden Streik, in der der Bezirksleiter Heinz Scholz eine wesentliche Rolle spielte, Rücktrittsforderungen gegen ihn. Die Spaltung zwischen den Ebenen der gewerkschaftlichen Interessenvertretung löste sich erst mit den Folgen der Krise Ende der 1970er Jahre auf. Das Verantwortungsbewusstsein den eigenen Mitgliedern gegenüber war ein Grund dafür, dass die Frankfurter Gewerkschafter von den Forderungen nach einem Abbau staatlicher Hilfen Abstand nahmen und sich für den Erhalt der Arbeitsplätze einsetzten. Ihnen wurde bewusst, dass alle bisherigen Pläne zur Umstrukturierung des Sektors und Diversifizierung der Produktion in den Küstenländern nicht mehr umsetzbar waren. Gleichzeitig näherten sich die Betriebsräte den Ansätzen der nationalen Gewerkschaftsvertreter an. Die Bremer Betriebsräte der AG Weser und des Bremer Vulkan stimmten

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den Fusionsplänen der beiden Großwerften Anfang der 1980er Jahre zu. Dabei standen diese Pläne unter einem anderen Stern als noch während der 1960er Jahre, als die IG Metall Rationalisierung und Fusionen gefordert hatte. Was damals als Vorzeichen einer innovativen und fortschrittlichen Industrie gedacht war, bedeutete jetzt eine Art Kompromiss in Zeiten der Krise. Diskrepanzen blieben dennoch bestehen: Während die Bremer Betriebsräte mit der drohenden Schließung der AG Weser über Betriebsbesetzungen nachdachten, waren mit den IG Metall-Gewerkschaftern solche Dinge nicht zu machen. Sie blieben ihrer tarifpartnerschaftlichen Verpflichtung treu und glaubten nicht an die Möglichkeiten eines politischen Streiks. Auf europäischer Ebene versuchten die hauptamtlichen Gewerkschaftssekretäre im Metallausschuss und EMB, eine übergreifende Strategie zu entwickeln, die sich in den Anfangsjahren stark an den Ideen des IMB orientierte. Dementsprechend warnten die europäischen Verantwortlichen vor unnötigem Protektionismus gegenüber den außereuropäischen Ländern und setzten sich für den Abbau der Subventionen ein. Ziel war es vor allem, ein Sozialprogramm für europäische Arbeitnehmer durchzusetzen, wie es der Wirtschaftsexperte des IMB Karl Casserini empfohlen hatte. Als die Europäische Kommission aber 1976 ihr Abbauprogramm verkündete, wich man von dieser Strategie ab. Immer häufiger forderten die Gewerkschafter den Schutz des europäischen Marktes gegenüber dem Export der Japaner und setzten sich für Hilfen zur Sicherheit europäischer Arbeitsplätze ein. Die von den Mitgliedern des EMB entwickelten Programme sollten vor allem der Stimulierung der Schiffbaunachfrage dienen und den europäischen Markt stärken. Der Einfuhrstopp unsicherer Schiffe sollte außereuropäische Wettbewerber fernhalten. Das Abwrackprogramm war dafür gedacht, die europäische Nachfrage zu stimulieren. Die nationenübergreifenden Strategien machten also an den europäischen Außengrenzen halt und glichen letztlich doch einem europäischen Protektionismus. Die nationalen Delegierten standen in der Anfangszeit hinter den Forderungen des Metallausschusses und unterstützten die Idee einer europäisch koordinierten Schiffbaupolitik. Doch als die Kommission in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre den Abbau der europäischen Schiffbaukapazitäten verkündete, fiel der Zusammenhalt der europäischen Mitglieder nach und nach auseinander. Die Schweden beteiligten sich beispielsweise nicht am europäischen Aktionstag. In den Auseinandersetzungen zwischen den Gewerkschaftern wurde deutlich, dass sie auf nationaler Ebene dem Vorschlag der Kommission bereits gefolgt waren. Gleichzeitig hatte die IG Metall in den

Herausforderungen und Strategien

europäischen Diskussionen einen nicht unerheblichen Einfluss. Die westdeutschen Gewerkschafter spielten im EMB finanziell und personell eine wichtige Rolle und es ging sicherlich auch darum, deutsche Ideen und Modelle an dieser Stelle umzusetzen. Diese machtpolitischen Interessen wurden nie offen diskutiert, aber sie lassen sich aus den Schilderungen Pitz’ an den IG Metall-Vorsitzenden Loderer herauslesen. Karl Pitz hatte ab Mitte der 1970er Jahre eine ähnliche Vermittlerrolle wie die Bezirksleiter Hamburgs, nur war diese auf die internationalen Beziehungen gerichtet. In zahlreichen Briefen berichtete Pitz von den Treffen des EMB und IMB an den Vorstandsvorsitzenden der IG Metall. Er ordnete die Ergebnisse in ihrer Bedeutung für die deutschen Metaller ein und gab Empfehlungen, wie man sich bezüglich der eingeschlagenen Richtungen verhalten sollte. Mitunter versuchte er, die Entscheidungsprozesse auf europäischer und globaler Ebene zu beeinflussen. Was seine Mobilität anbelangte, könnte er als transnationaler Akteur interpretiert werden. Doch war seine Haltung häufig an die Position der IG Metall gebunden, die er in den Gremien auf den transnationalen Ebenen zu vertreten versuchte. An seiner Rolle zeigt sich, dass das Wissen um Globalisierung des Marktes nicht unbedingt zur Transnationalisierung der Strategien führte. Der IMB war lange Zeit von europäischen Gedanken und Gewerkschaftsmodellen geprägt. Das ist auf den Gründungsort der Bewegung zurückzuführen sowie auf die Zusammensetzung seiner Mitglieder. Mit zunehmender Auslandserfahrung wurden sich die hauptamtlichen IMB -Gewerkschafter allerdings ihrer eurozentrischen Perspektiven bewusst. In der Auseinandersetzung mit den Japanern über deren wirtschaftlichen Aufstieg begann man, tradierte Vorstellungen über das Land zu hinterfragen und sich mit den dortigen Gegebenheiten auseinanderzusetzen. Es half, dass die Japaner auf den Konferenzen anwesend waren, die europäischen Vorstellungen infrage stellten und als es um die Aushandlung zur Regelung von Subventionen ging dem IMB den eurozentrischen Spiegel vorhielten. Dieser ersten Phase des Reflektierens folgte ein zweite, in der der IMB begann, sich die Entwicklungen außerhalb der industriell erfolgreichen Länder anzusehen, sich von der Überzeugung, europäische Modelle in außereuropäischen Ländern umsetzen zu wollen, verabschiedete und mehr und mehr als Vertreter der Interessen aller Schiffbauländer verstand. Was man damit auf der einen Seite gewann, verlor man aber ein Stück weit auf der anderen. Im EMB kämpfte man zur gleichen Zeit für die Sicherheit der europäischen Arbeitsplätze. Casserini war sicher bewusst, dass die Europäer in der Krise nur schwerlich zu überzeugen waren,

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auch für die Sicherheit der außereuropäischen Arbeitsplätze einzustehen. Jedenfalls war er in dieser Zeit weitaus seltener auf den Konferenzen des EMB anzutreffen.

6.2.4 Der Herausforderer Japan Das Beispiel Japan ist für den Schiffbau insofern relevant, da sich die japanische Schiffbauindustrie früh zum Hauptkonkurrenten des westeuropä­ ischen Marktes entwickelte. Die Gewerkschafter versuchten, sich über Reisen nach Japan dem Land zu nähern. So führte ein Besuch des stellvertretenden Generalsekretärs des IMB in Japan zur Gründung eines Verbindungsbüros in Tokio und zur Vertretung japanischer Gewerkschafter auf den Schiffbaukonferenzen des IMB. Der ursprüngliche Gedanke dieser Initiativen war, die japanischen Gewerkschaften in ihrer Organisierung und ihrem Arbeitskampf zu unterstützen. Wenn es gelinge, so war man anfangs überzeugt, europäische Gewerkschaftsmodelle zu etablieren, sei ein wesentlicher Schritt für alle getan. Mit der Anwesenheit der japanischen Delegierten auf den Konferenzen wurde den europäischen Gewerkschaftern allerdings zunehmend deutlich, dass geringe Organisierung und niedrige Löhne nicht die Hauptgründe für die außerordentliche Entwicklung Japans waren. Die japanischen Delegierten betonten, dass sich die Profitabilität aus der Diversifikation, Rationalisierung und Modernisierung in der eigenen Produktion ergaben. Mit den Auseinandersetzungen veränderte sich innerhalb der westeuropäischen Gewerkschaftsbewegung die Sicht auf die Japaner. Viele Delegierte, die bei den IMB -Diskussionen anwesend waren, fingen an, das Konzept Japans mit Rationalisierung und staatlicher Planung als Erfolg zu propagieren und es auf nationaler Ebene als mögliche Lösung für die eigenen Probleme anzusehen. Damit änderte sich auch die Rhetorik über Japan. Sie bewegte sich von der Anerkennung der Industrialisierung des Landes bis hin zur Bewunderung des schnellen Aufstiegs. Die Perspektive auf das Land veränderte sich auch durch die Zugeständnisse der Japaner in Bezug auf die Subventionen. Als sie ihre Strategie infolge des Tankereinbruchs in den 1970ern allerdings erneut änderten, breitete sich unter den europäischen Gewerkschaftern wieder zunehmend Skepsis aus. Japan war nicht nur eine Herausforderung für den Schiffbau, denn ähnliche Konkurrenzängste gab es auch in der Automobilindustrie. Während japanische Konkurrenten lange Zeit einen vergleichsweise geringen Anteil an

Herausforderungen und Strategien

Zulassungen von Autos in Westdeutschland hatten, änderte sich das während der Ölpreiskrise, besonders im Bereich der Kleinwagen, bei denen deutsche Hersteller eine Lücke in der Produktion aufwiesen. In der Automobilindustrie wusste man allerdings zu reagieren, indem die deutschen Hersteller eine »Modellpolitik« entwarfen und eine gezielte Kommunikationsstrategie verfolgten, um ihre Produkte zu verkaufen.9 Diese Strategie schien allerdings nur kurzzeitig aufzugehen. Mit steigendem Marktanteil der japanischen Hersteller wurde die deutsche Automobilindustrie lauter. Man sprach von »Eroberungsstrategien«, »Autokrieg« und »japanischer Herausforderung«.10 Kommunikation und Produktionsumstellung schienen nicht mehr zu helfen. Man fürchtete nicht nur die Konkurrenz auf dem heimischen Markt, sondern auch auf den ausländischen Märkten. Dass Deutschland dennoch als Autohersteller gegenüber Japan im eigenen Land triumphieren konnte, lag laut einer Studie von Christian Kleinschmidt an der »überdurchschnittlichen Qualität deutscher Autos«, aber auch an der negativen Berichterstattung der deutschen Autopresse zu japanischen Produkten.11 Warum war eine solche Strategie nicht im Schiffbau möglich? Zunächst hatte dieser Sektor ganz andere Dimensionen. Die Kunden eines Schiffes waren nicht Individuen, die durch Bewerbung eines entsprechenden Konsumverhaltens beeinflusst werden konnten, sondern Unternehmen, die ebenfalls global vernetzt waren. Tatsächlich ließ sich das Kaufverhalten der Reedereien nur durch staatliche Politik beeinflussen, durch Kaufanreize oder Handelsschranken. Durch den weltweiten Austausch von Technologien gehörten technische Innovationen vermutlich nicht zu den Hauptanreizen eines R ­ eeders, bei einer bestimmten Werft zu kaufen. Es ist deshalb umso erstaunlicher, dass man kaum Kontakt zu Interessenvertretern von Reedern suchte und keine sektorenübergreifende Zusammenarbeit organisierte. Allein im Fall der sicheren und umweltschonenden Schiffe suchte man den Kontakt zur ÖTV beziehungsweise der Internationalen Transportarbeiterföderation.

9 Kleinschmidt, Internationalisierung, S. 129 f. 10 Ders., Der produktive Blick, S. 366 ff. 11 Ders., Internationalisierung, S. 137. Siehe auch Tilly u. Triebel.

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6.2.5 Rationalisierung Rationalisierung war ab den 1950er Jahren ein bedeutendes Thema im Schiffbau. Interessanterweise zeigten sich die Gewerkschafter trotz der daraus folgenden Reduktion von Arbeitsplätzen sehr aufgeschlossen und schlugen selbst Rationalisierungsmaßnahmen vor.12 So war die IG Metall Mitte der 1950er Jahre offen gegenüber der Zusammenlegung von Betrieben, wenn sich dadurch Kooperationen und Synergieeffekte ergaben. Auf Tagungen und Konferenzen machte man sich Gedanken über die Ideen der Rationalisierung und Automation.13 Diese frühen Ideen der Rationalisierung entnahm die IG Metall nicht nur westdeutschen Diskursen, sondern auch Empfehlungen ausländischer Kollegen, vor allem aus Schweden und Japan. Im Zusammenhang mit Rationalisierung stand die Überzeugung von der Überlegenheit staatlicher Planung, die es ermöglichen sollte, die Industrie langfristig zu strukturieren. Das bedeutete aber auch, dass die individuellen Interessen eines Arbeiters hinter dem großen Ganzen zurückzustehen hatten. Die Idee war, den Verlust von Arbeitsplätzen durch alternative Industrien zu kompensieren oder durch soziale Abfederung zu dämpfen.14 Durch ihre Nähe zum Betrieb und von den sichtbaren Folgen für die Werftarbeiter beeinflusst, stellten sich die meisten Betriebsräte allerdings gegen solche Vorschläge. In den 1950er und 1960er Jahren war die Kritik der betrieblichen Interessenvertreter noch überwiegend struktureller Natur. Mussten die Tätigkeiten durch neue Fertigungsmethoden neu bewertet werden? Wie sollte sich der zuvor gewählte Betriebsrat im Fall von Fusionen verhalten? Wen vertrat er dann? Das waren die Sorgen, die die Betriebsräte beschäftigten. Später standen die verlorenen Arbeitsplätze im Fokus. Hier zeigte sich erneut, wo übergreifende Ideen bei der gewerkschaftlichen Interessenvertretung an ihre Grenzen stießen. Mit der Gründung des EMB sollte die Idee kooperierender Planung von Kapazität und Rationalisierung auch auf europäischer Ebene greifen. 12 Rüdiger Hachtmann hat darauf hingewiesen, dass diese überwiegend positiven Einstellungen zur Rationalisierung noch aus der Zeit der Weimarer Republik und dem sich damals etablierenden Fordismus stammten, als Rationalisierung die Sicherheit am Arbeitsplatz, die Erleichterung von Produktion und die Erhöhung von Löhnen bedeutete, Hachtmann, S. 192 f. 13 Ebd., S. 194. 14 Seit Mitte der 1960er Jahre gab es dafür sogenannte Rationalisierungsschutzabkommen, die bei Verlust des Arbeitsplatzes und niedrigerer Lohneinstufung Ausgleichszahlungen vorsahen, ebd., S. 200.

Herausforderungen und Strategien

Die europäischen Gewerkschaftsakteure plädierten schon sehr zeitig für ein gesamteuropäisches Konzept. Auch hier trat man dem Gedanken von Zusammenschlüssen von Werften, Rationalisierung und Kooperation von Unternehmen aufgeschlossen gegenüber. Ähnlich wie auf nationaler Ebene argumentierten sie für ein soziales Begleitprogramm, das für den Schutz der Arbeitnehmer sorgen sollte. Da aber gerade der Punkt der sozialen Abfederung beim Verlust des Arbeitsplatzes beziehungsweise der Aufbau alternativer Industrien immer unwahrscheinlicher zu werden schien, nahmen auch die Gewerkschafter gegenüber der Rationalisierung eine zunehmend kritische Haltung ein.

6.2.6 Subventionen Die Diskussion um Subventionen begann auf nationaler Ebene im Jahr 1961, als Japan führendes Schiffbauland auf dem Weltmarkt wurde und die Bundesregierung erstmals mit Hilfen zum Ausgleich der japanischen Konkurrenz reagierte. Die Haltung der Gewerkschafter gegenüber diesen staatlichen Hilfen war sehr ambivalent. Den Empfehlungen des IMB -Wirtschaftsexperten Karl Casserini folgend, wollte man Subventionen eigentlich vermeiden, es sei denn, sie würden einer langfristigen Strukturierung des Sektors dienen. Casserini war es, der damit eine Debatte über gute (aktive)  und schlechte (passive) Subventionen eröffnete. Unter den aktiven Maßnahmen verstand er staatliche, langfristig geplante Gelder, die die Struktur der Werftindustrie bedachten und nur dort zum Einsatz kommen sollten, wo sich der Schiffbau langfristig lohnen würde. Passive Subventionen waren kurzfristige Auftragshilfen, die seiner Ansicht nach zur Verzerrung des Marktes führten. Subventionen konnten auf sehr vielfältige Art und Weise geleistet werden und eine klare Unterscheidung, was gut oder schlecht sei, vollzogen die Gewerkschafter nicht. Obwohl sie den internationalen Vereinbarungen zustimmten, war man von Anfang an skeptisch, ob diese internationalen Regelungen in den anderen Ländern auch umgesetzt werden. Solange es darüber keine Gewissheit gebe, so wurde häufig geschlussfolgert, müsse man auf eigene Subventionen zurückgreifen. Die IG Metall forderte gegenüber der Bundesregierung in keinem Moment ernsthaft, die Subventionen zu unterbinden. Mit den negativen Folgen des Ölpreisanstiegs nahm die IG Metall auch in ihrer Rhetorik immer mehr Abstand von dem ursprünglichen Ziel, die nationalen Subventionen abbauen zu wollen.

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Auf globaler Ebene machte Casserini 1964 erstmals den Vorschlag, wie das Subventionsproblem angegangen werden könne: Er schlug die OECD als Kontrollgremium vor, das in Zusammenarbeit mit dem IMB einen internationalen Kodex aufstellen und dessen Anwendung beaufsichtigen sollte. Bei der OECD war man sich dieser Probleme bereits bewusst, doch die Durchsetzung von internationalen Richtlinien schien schwieriger als gedacht. Die Arbeitsgruppe der OECD konnte bei den Verhandlungen keine Einigung über eine Höchstgrenze der Subventionen erreichen. Als Reaktion auf diese gescheiterte Initiative entwarf man in der EG eine eigene Strategie, nahm die vorherige Einschränkung von staatlichen Beihilfen an seine europäischen Mitgliedsländer 1965 zurück und erlaubte staatliche Zuschüsse, wenn sie für Rationalisierung und Umstrukturierung in anderen Fertigungsbereichen gedacht waren. Im Jahr 1972 startete die Europäische Kommission einen erneuten Versuch zur Einschränkung von Subventionen und konnte die Durchsetzung eines Globalabkommens erreichen, das den Abbau von direkten Bausubventionen, Einfuhrhemmnissen und spezifischen Investitionshilfen für die Werftindustrie für die kommenden drei Jahre festlegte. Doch auch dieses Abkommen hatte eine Exitstrategie, denn die Länder durften in Notfällen und mit entsprechender Rechtfertigung Ausnahmen machen.

6.3 Verflechtungen 6.3.1 Umweltschutz Als im Jahr 1978 die Havarie eines Öltankers vor der bretonischen Küste für öffentliche Aufmerksamkeit sorgte, versuchten die Gewerkschafter dieses Thema für die Belebung des europäischen Schiffbaumarktes zu nutzen. Im Kontext der europäischen Diskussionen um mögliche Strategien für den Abbau der Schiffbaukapazitäten kam die IG Metall mit dem Vorschlag, bereits existierende Schiffe mit separaten Ballasttanks und kleineren Laderäumen auszustatten, um damit wieder für mehr Aufträge für europäische Werften zu sorgen und gleichzeitig dem verstärkten Interesse der Bevölkerung für Umweltschutz nachzugehen. Als der deutsche Gewerkschafter Karl Pitz merkte, dass er mit diesem Vorstoß bei der Bundesregierung nicht viel erreichen konnte, versuchte er die Initiative auf europäischer Ebene voranzutreiben. Die EMB -Delegierten erklärten das deutsche Papier für ausgezeichnet

Verflechtungen

und glaubten, ein solches Programm verspreche Alternativen für den Abbau von Arbeitsplätzen in den europäischen Küstenregionen. Doch schnell musste man feststellen, dass die meisten Schiffe des europäischen Seeverkehrs bereits nach den internationalen Sicherheitsnormen gebaut wurden. Also konzentrierte man sich auf Schiffe, die diese Regelungen noch nicht einhielten. Die Idee war, deren Zugang zum europäischen Markt zu beschränken, indem ihnen nicht erlaubt wurde, die europäischen Häfen anzulaufen. Diese Strategie wurde von der Europäischen Kommission aufgegriffen und Anfang der 1980er Jahre umgesetzt, wenn auch nur als Schlusserklärung mit empfehlendem Charakter. Am Thema Umweltschutz lässt sich zeigen, wie Karl Pitz als nationaler Gewerkschafter die Verbindungen zum EMB nutze, um seine Ideen für die Wiederbelebung des Sektors zu verwirklichen. Als er erkannte, dass sich die Umsetzung des Programms nur auf transnationaler Ebene durchsetzen ließ, versuchte er die Kollegen auf europäischer Ebene von diesem Programm zu überzeugen und sie zu einer transnationalen Strategie auszubauen, was Dank der Fürsprecher in der Europäischen Kommission und im internationalen Seeverkehrsbeirat von Erfolg gekrönt war.

6.3.2 Gesundheit am Arbeitsplatz Die Themen Gesundheit und sichere Arbeitsbedingungen am Arbeitsplatz waren schon früh in der Schiffbauindustrie präsent. Gefahren waren in einer Werft überall vorhanden: beim Schweißen in engen und kleinen Räumen, durch die Schiffshöhen, die bei einem Sturz zu schwerwiegenden Schäden führen konnten, oder bei Explosionen durch Rückstände von Öl. Die hohen Unfallraten waren vermutlich der Grund dafür, dass das Thema Sicherheit auf allen Analyseebenen frühzeitig Gegenstand der Diskussionen war. Die IG Metall begann sich in den 1960er Jahren damit auseinanderzusetzen. Der dafür zuständige Gewerkschaftssekretär erarbeitete ein Papier, das die Probleme und Forderungen zusammenfasste und ging damit auch auf europäische und globale Ebene. Gemeinsam mit den schwedischen Kollegen begannen sie Anfang der 1960er Jahre darüber nachzudenken, wie aus den Sicherheitsmaßnahmen internationale Verpflichtungen werden könnten. Doch der Langwierigkeit der Entscheidungsprozesse bei der ILO geschuldet dauerte es 13 Jahre, bis die Forderungen in einem Code of Practice zuammengestellt wurden. Viele der darin festgehaltenen Punkte waren zu

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diesem Zeitpunkt schon umgesetzt. Der Fokus hatte sich auf die Probleme der Asbestverarbeitung verschoben, wie sich am Beispiel der Bremer VulkanWerft zeigte. Der Betriebsratsvorsitzende Fritz Bettelhäuser und seine Kollegen hatten sich seit Mitte der 1970er Jahre gegen die Verarbeitung von Asbest im Betrieb eingesetzt. Der Kampf kulminierte 1983, als ein asbestverseuchtes Schiff auf dem Bremer Vulkan repariert werden sollte und Bettelhäuser sich aufgrund der gesundheitlichen Probleme öffentlich gegen diese Reparatur aussprach. Auf globaler Ebene passten sich die Diskussionen diesem Wandel an. Auch IMB -Generalsekretär Herman Rebhan thematisierte auf der internationalen Schiffbaukonferenz 1979 die Gesundheitsprognose für 1.600.000 Werftarbeiter durch die Verarbeitung von Asbest und versprach ein internationales Aktionsprogramm des IMB zur Beseitigung von asbesthaltigem Material im Schiffbau.

6.4

Transnationale Akteure

Mit einer kurzen Anekdote zu Edo Fimmen, dem Generalsekretär der ITF, will ich einen Blick in die Welt der transnationalen Akteure ermöglichen, die eine größere Rolle für die Etablierung gewerkschaftlicher Strategien spielten. Hintergrund ist der Streit um eine Resolution der Deutschen auf dem ersten Kongress des IGB nach dem Ersten Weltkrieg: Fimmen versuchte vergeblich zu vermitteln und rechnete schon damit, dass die Plenarsitzung am nächsten Morgen um 10 Uhr mit einen Riesenkrach beginnen würde, bis ihm der rettende Gedanke kam: »Ich lud Gompers samt seinem Sekretär und Ben Tillett […] zum Abendessen ein und führte sie dann, nachdem sie angekommen waren, abends um 8 Uhr ins Krasnapolsky, wo ich ein […] Abendessen […] bestellte, dazu die nötigen Getränke, Schnäpse, Weißwein, Rotwein, Champagner, Liköre. Die Stimmung wurde eine recht animierte. […] Ich selber sorgte dafür, dass den Getränken dauernd tüchtig zugesprochen wurde, und ließ, wenn die Flaschen leer waren, neue auffahren, mich dabei selber in Acht nehmend, nicht zu viel zu trinken und nüchtern zu bleiben.«15

15 Nach Buschak, S. 38.

Transnationale Akteure

Das Ergebnis war, dass die Besagten am nächsten Morgen verschliefen, die Besprechung der Resolution um eine Stunde verpassten und die Resolution ohne sie verabschiedet werden konnte. Willy Buschak schreibt, dass Fimmen auf diesem Kongress als Verbindungsmann und Netzwerker auffiel: »Seine Sprachkenntnisse, seine diplomatischen Fähigkeiten, seine Kunst, die widerstreitenden Lager zu versöhnen, waren für den Erfolg des Kongresses unverzichtbar.«16 Die Anekdote verdeutlicht, dass Aushandlungen meist außerhalb des Protokolls stattfanden, wo sich die Gewerkschafter als geschickte Taktierer und Verbindungspersonen erwiesen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich ähnliche Ereignisse bei den Metallgewerkschaftern abspielten. In der Arbeit tauchten mehrere Personen auf, die eine herausragende Rolle als Vermittler von Wissen und Ideen spielten und darüber hinaus eigene transnationale Überlegungen anstellten. Beim Metallausschuss beziehungsweise EMB waren es zu Beginn zwei deutsche Gewerkschafter, die das Amt des Generalsekretärs übernahmen. Ihre Kontakte zu Westdeutschland blieben eng. Dennoch versuchten sie, eine europäische Perspektive einzunehmen. Das wurde schon in den 1960er Jahren bei Richard Sahrholz deutlich. Er schlug die Kooperation europäischer Schiffbauunternehmen vor und war daran interessiert, dass sich die europäischen Betriebsräte untereinander kannten und Erfahrungen austauschten. Es fiel ihm allerdings schwer, seine Erfahrungen im Metallausschuss auf nationaler Ebene zu vermitteln und sich den Kollegen bei der IG Metall verständlich zu machen. Der zweite deutsche Generalsekretär des EMB war Günter Köpke. Er war zuvor in der Wirtschaftsabteilung der IG Metall aktiv und hatte schon in dieser Funktion Auslandserfahrungen gemacht, was ihm Erkenntnisse zu Japan und dessen Vorteilen in der Schiffbauproduktion einbrachte. Die beiden Akteure versuchten, als Generalsekretäre des Metallausschusses und EMB, die Belange aller Mitglieder im Blick zu behalten. Köpke war in der Krise bereit, einen europaweiten Protesttag zu organisieren und Maßnahmen, die von nationalen Mitgliedern entwickelt wurden, für alle EWG -Mitgliedsländer durchzusetzen. In ihren politischen Ansichten waren sie allerdings stark von westdeutschen Ansätzen geprägt, was sich in den Diskussionen um den Beitritt kommunistischer Gewerkschaften zeigte sowie in der Auseinandersetzung um die Reaktion auf den Abbau der Schiffbaukapazitäten, wo sie sich nicht der skandinavischen Haltung anschlossen. 16 Ebd., S. 40.

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Beim IMB stellte sich die Situation etwas anders dar. Die positive Entwicklung des Schiffbaus in Skandinavien Anfang der 1950er Jahre führte hier zu einer Art Vorbildfunktion der skandinavischen Gewerkschafter.17 Das war ein Grund dafür, dass die Position des Präsidenten für den Schiffbau häufig mit einem Skandinavier besetzt wurde. Der erste Schiffbaupräsident Arne Geijer kam aus Schweden. In der Dankesrede für Geijer auf der dritten Schiffbaukonferenz des IMB hieß es über ihn: Diejenigen unter uns, die ihn schon seit mehreren Jahren kennen, wissen, dass er dazu bestimmt war, eine Schlüsselstellung in der internationalen Arbeiterbewegung einzunehmen. Sie alle werden mir zustimmen, dass es sich nicht um einen Zufall handelte, dass er zum Präsidenten des IBFG gewählt wurde. […] Aber wir wissen auch, dass er in einer höheren Stellung dieselbe führende Rolle spielen wird, die er im IMB gespielt hat.18 In den biographischen Schilderungen über Geijer wird deutlich, dass er früh zu arbeiten begonnen hatte, in der Industrie groß geworden und zeitig in Kontakt mit der lokalen Gewerkschaftsbewegung gekommen war. Er strahlte – folgt man den Darstellungen – eine machtvolle Aura aus, die ihn als Führungspersönlichkeit auszeichnete. Der wohl wichtigste transnationale Akteur war Karl Casserini, der 1957 als Wirtschaftsexperte zum IMB kam. Er war seit der dritten internationalen Schiffbaukonferenz auf jeder Konferenz anwesend und erarbeitete die meisten transnationalen Strategien. Seine Überlegungen zur Kontrolle von Subventionen bei der OECD, die Erkenntnisse zu den nicht enden wollenden Überkapazitäten in der Schiffbauindustrie, die Folgen des Großschiffbaus und der transnationalen Kapitalbewegungen, die sich seiner Meinung nach nur durch übergreifende Koordination der Industrieentwicklung würden klären lassen, zeugen davon, dass Casserini nicht aus nationaler Perspektive

17 Rebecca Gumbrell-McCormick hat in einem Vortrag die Rolle skandinavischer Gewerkschafter in der internationalen Gewerkschaftsbewegung vorgestellt. Deren Einfluss war bis in die 1970er und 1980er Jahre durch individuelle Persönlichkeiten besonders stark. Sie zeigt, dass die Kampagne der weltweiten Demokratisierung der Wirtschaft in dieser Zeit vor allem durch Skandinavier im IBFG unterstützt und vorangetrieben wurde, Gumbrell-McCormick, S. 5. 18 Faupl, Protokoll, 3. IMB -Schiffbaukonferenz, in Rotterdam, 10.–11. September 1957, S. 22, in: IMB , AdsD 5/IMB 1702.

Transnationale Akteure

dachte, sondern transnationale Lösungen verfolgte.19 Unermüdlich versuchte er seinen Standpunkt auch auf den anderen Ebenen zu Gehör zu bringen. Er fuhr schon 1959 auf Konferenzen der IG Metall, wo er über die Bedeutung der Länder des globalen Südens sprach und den westdeutschen Gewerkschaftern verständlich zu machen versuchte, dass auch Produkte dieser Länder in absehbarer Zeit auf dem globalen Markt eine Rolle spielen würden und dass es dann darauf ankomme, die Errungenschaften der Arbeiterbewegung global zu verteidigen. Bei diesen Akteuren bestand die Gefahr, dass sie sich durch ihren Informationsvorsprung und vielleicht auch durch das Bedürfnis, ihren Führungsanspruch nicht zu verlieren, von ihrer Basis lösten.20 Das Unvermögen des Sekretärs des Metallausschusses Richard Sahrholz, auf der nationalen Konferenz die richtigen Worte zu finden, um die westdeutschen Metallgewerkschafter zu erreichen, deutet in diese Richtung. Auch Karl Casserini gelang es selten, die Betriebsräte und Vertrauensleute von seiner Strategie zu überzeugen. Und das Beispiel von Arne Geijer zeigt, dass ein auf globaler Ebene aktiver Gewerkschafter häufig auf dieser Ebene verblieb und der Kontakt zur Basis nur schwer zu halten war. Im Sinne der transnationalen Arbeitsgeschichte kann die Studie zeigen, dass es transnationale Interaktionsprozesse zwischen Gewerkschaftern gab und es durchaus sinnvoll ist, sich die Verflechtungen dieser Akteure anzuschauen, wie Jürgen Mittag und Berthold Unfried vorschlugen.21 Entgegen der verbreiteten Meinung, sie seien nationale Organisationen, konnten Gewerkschaften durchaus transnationale Vorstellungen entwickeln. Ihre Diskussionen zeigten, dass sie Argumente aus transnationaler Perspektive aufwarfen und dementsprechende Ziele formulierten.22 19 Zu Casserini gibt es bisher keine biographische Forschung, was sich aber angesichts seiner Rolle in der internationalen Gewerkschaftsbewegung anbieten würde. 20 Dörre, Gewerkschaftseliten nach 1945, S. 12. 21 Mittag u. Unfried, S. 14. 22 Bisher ist wenig über die Kontakte, Reisen und Vernetzungen von Gewerkschaftsakteuren jenseits der nationalen Grenzen bekannt. Fast in jeder Gewerkschafterbiographie gibt es ein Kapitel über das internationale Engagement der jeweiligen Person – immer mit dem Hinweis, hier bedürfe es noch weiterer Forschung. So heißt es etwa bei Becker u. Jentsch, S. 236: »Brenners IMB -Präsidentschaft herauszuarbeiten sprengt den Rahmen dieser Biografie und setzt weitere, umfangreiche Forschungsarbeit voraus.« In der Forschung ist auf deren besondere Rolle als transnationale Akteure bereits hingewiesen worden. Rodríguez García bezeichnete sie als »transnational non-state actors in the international arena«, Rodríguez García, S. 9.

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Diese Ziele konnten allerdings in so gut wie keinem Fall durchgesetzt werden. Dies wirft die Frage auf, ob es aus der Perspektive der Arbeiter und ihrer Gewerkschaften ausreicht, bereits die bloße Existenz von transnationalen Verbindungen als Erfolg zu werten. Es sollte auch das Ergebnis und die Tragweite dieser Beziehungen bemessen werden. Dafür ist hilfreich, noch einmal die Debatten um das Wort »transnational« aufzugreifen und zu fragen, wie es im Fall der Gewerkschaftsbewegung anzuwenden ist. Es war bei diesem Forschungsgegenstand nicht zielführend, mit Margrit Pernau die Nation aus der Analyse ganz herauszuhalten, weil »trans« das Transzendieren der Nation meine.23 Bei der Gewerkschaftsbewegung wären mit diesem Ansatz wichtige Erkenntnisse ausgeblieben, da sich eben doch noch sehr viel um das Nationale drehte. Sinnvoll sind Vorschläge wie die von Ulrike Freitag, die Vorsilbe »trans« mit der jeweilige Ebene zu verbinden, auf die sich die Analyse bezieht, also translokal und transregional.24 Doch wie ließe sich die Komplexität auf globaler Ebene beschreiben? Hier bedarf es noch einiger Begriffs- und Theoriedebatten, bis adäquate Umschreibungen gefunden sind. Es hängt vermutlich auch davon ab, welche Bedeutung Globalisierungsprozessen und den Reaktionen darauf in Zukunft beigemessen wird. Der Ansatz der transnationalen Geschichte war für die vorliegende Arbeit insofern ertragreich, da er aufzeigen konnte, woher Ideen kamen, wo es Verflechtungen und Verbindungen gab und wie diese Kontakte auf die Strategien der Akteure zurückwirkten. Das Beispiel der Schiffbauindustrie verdeutlicht, dass die Globalisierungsprozesse des Marktes den Gewerkschaftern bewusst waren und dass sie darauf zu reagieren versuchten. Der Referenzrahmen der gewerkschaftlichen Akteure war in den meisten Fällen ein Nationaler. Doch die nationalen Kontexte wurden auf andere räumliche Ebenen transferiert und veränderten sich anhand dortiger Erfahrungen. So zeigt das Beispiel Japan, wie stark das Land im Fokus der Aufmerksamkeit stand und dass die europäischen Gewerkschafter zunächst von der Idee geleitet waren, die positiven Aspekte dieser Entwicklung aufzugreifen. Die Krise der Schiffbauindustrie in Westeuropa brachte allerdings einen Rückschritt in der Suche nach transnationalen Strategien. Viele Akteure verfielen angesichts ihrer Ratlosigkeit wieder in nationale Handlungsmuster – eine bis heute häufig auftretende Reaktion von Arbeiterbewegungen auf wirtschaftliche Globalisierungsprozesse. 23 Pernau, S. 18. 24 Freitag.

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abb. 1: Beschäftigte in der westdeutschen Schiffbauindustrie (1959–1987) . . . . 29 Abb. 2: Beschäftigte des Bremer Vulkan (1959–1987) . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Tab. 1: Anteile am Weltexportmarkt Schiffbau in Prozent . . . . . . . . . . . . . . 16 Tab. 2: Übersicht der Treffen des Werft- und Schiffbauausschusses der IG Metall (1950–1959) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Tab. 3: Ereignisse in der IG Metall zur Schiffbauindustrie (1961–1975) . . . . . . 163 Tab. 4: Ereignisse in der IG Metall zur Schiffbauindustrie (1975–1983) . . . . . . 188 Tab. 5: Übersicht der Treffen zur Schiffbauindustrie des Metallausschusses (1964–1970) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Tab. 6: Übersicht der Treffen zur Schiffbauindustrie im EMB (1972–1975) . . . . 245 Tab. 7: Übersicht der Sitzungen der nationalen Berichterstatter des EMB (1975/76) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Tab. 8: Übersicht der Teilnehmerzusammensetzung auf den Treffen zur Schiffbauindustrie nach der Gründung der Arbeitsgruppe im EMB (1975–1982) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Tab. 9: Übersicht der Treffen zur Schiffbauindustrie im EMB (1978–1982) . . . . 288 Tab. 10: Übersicht der IMB-Schiffbaukonferenzen (1951–1987) . . . . . . . . . . . 306 Tab. 11: Teilnehmerzahlen bei IMB-Schiffbaukonferenzen (1951–1987) . . . . . . . 308

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Industriegewerkschaft Metall – Vorstand, Archiv der sozialen Demokratie, Bonn Abteilung Wirtschaft, ehemaliger Bestand – Konferenzen, Tagungen und Tätigkeiten des Ausschusses zur Werft- und Schiffbauindustrie 1950–1983, (AdsD 5/IGMA071109-5/IGMA071112). – Die wirtschaftliche Situation im Schiffbau 1966–1974 (AdsD 5/IGMA071270-5/IGMA 071271). Abteilung Wirtschaft – Industriezweige, Schiffbau 1972–1982 (AdsD 5/IGMA100134-5/IGMA100135). – Veranstaltungen, 8. Nationale IGM-Schiffbaukonferenz, 1982 (AdsD 5/IGMA100147).

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Quellen- und Literaturverzeichnis 

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Europäischer Metallgewerkschaftsbund, Archiv der sozialen Demokratie, Bonn Europäischer Metallausschuss / Metallgewerkschaftsbund – Exekutivausschuss – Protokolle der Sitzungen des Metallausschusses 1963–1970 (AdsD 5/EMBA030001). – Protokolle der Sitzungen des EMB 1971–1974 (AdsD 5/EMBA030002). Industriepolitik II – Branchen, Sektoren – Schiffbau, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen des EMB 1969–1982 (AdsD 5/EMBA 080204, AdsD 5/EMBA080206). – Schiffbau, Thematischer Handapparat 1978–1990, (AdsD 5/EMBA080260-5/EMBA 080261). EMB-Rundschreiben – Oktober 1977–Februar 1978 (AdsD 5/EMBA130014). – Juni–Oktober 1978 (AdsD 5/EMBA130016). – Oktober 1978–März 1979 (AdsD 5/EMBA130017).

Internationaler Metallgewerkschaftsbund, Archiv der sozialen Demokratie, Bonn; International Institute of Social History, Amsterdam – 1. IMB -Schiffbaukonferenz, in Newcastle-upon-Tyne, 4.–5. Juni 1951 (AdsD 5/IMB 1707). – 2. IMB -Schiffbaukonferenz, in Stockholm, 1955 (AdsD 5/IMB 1704). – 3. IMB -Schiffbaukonferenz, in Rotterdam, 10.–11. September 1957 (AdsD 5/IMB 1702). – 4. IMB -Schiffbaukonferenz, in Hamburg, 24.–26. März 1960 (AdsD 5/IMB 1701; IISH IMF Collection Folder 41). – 5. IMB -Schiffbaukonferenz, in Genua, 1.–3. April 1964, (AdsD 5/IMB 1697–1699). – 6. IMB -Schiffbaukonferenz, in Newcastle-Upon-Tyne, 22.–25. Mai 1967 (AdsD 5/IMB 1696). – 7. IMB -Schiffbaukonferenz, in Tokio 27. März–5. April 1973 (AdsD 5/IMB 1694–1695). – 8. IMB -Schiffbaukonferenz, in Kopenhagen, 27.–29. November 1979 (AdsD 5/IMB 1540–1541, AdsD 5/IMB 1690–1691; IISH IMF Collection Folder 43). – Reise nach Kansas-City von 1952 dokumentiert (AdsD 5/IMB 1540–1707). – Second IMF Asian Shipbuilding Seminar, 30. Mai–1. Juni 1978, Tokio (IISH IMF Collection Folder 42), 3rd IMF Asian Shipbuilding Seminar, 2.–4. Juli 1981, Taipei, Republic of China (Publikation, AdsD 5/IMB , ohne Signatur). – Sitzung der IMB -Arbeitsgruppe über Schiffbau mit der Arbeitsgruppe Nr. 6 des OECD Rates für die Schiffbauindustrie, 10., 11. Juli 1978 (AdsD 5/IMB 1692); 21., 22. März 1977 (AdsD 5/IMB 1693).

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Abkürzungsverzeichnis

AAU AdsD AFL AFL-CIO

Allgemeine Arbeiter-Union Archiv der sozialen Demokratie American Federation of Labor American Federation of Labor-Congress of Industrial Organiza­ tions AG Aktiengesellschaft AIESEC Association Internationale des Etudiants en Sciences Economiques et Commerciales APO Außerparlamentarische Opposition AWES Association of West European Shipbuilders BDV Bremer Demokratische Volkspartei BV Bremer Vulkan CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands CESA Community of European Shipyards’ Association CIO Congress of Industrial Organizations DDP Deutsche Demokratische Partei DGB Deutscher Gewerkschaftsbund DKP Deutsche Kommunistische Partei DMV Deutscher Metallarbeiter-Verband DVP Deutsche Volkspartei EG / EC Europäische Gemeinschaften / European Communities ­(EURATOM, EGKS, EWG) EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl EGS Europäisches Gewerkschaftssekretariat EMB / EMF Europäischer Metallgewerkschaftsbund / European Metalworkers’ Federation ERE Europäische Rechnungseinheit ERO Europäische Regionalorganisation EURATOM Europäische Atomgemeinschaft EWG / EEC Europäische Wirtschaftsgemeinschaft / European Economic Community FDP Freie Demokratische Partei GOG Gewerkschaftsoppositionelle Gruppe IBS / ITS Internationales Berufssekretariat / International Trade Secretariat IBV Internationaler Bergarbeiterverband IGB / ITUC / ICFTU/ Internationaler Gewerkschaftsbund / International Trade Union IBFG / IFTU Confederation / International Confederation of Free Trade Unions /  Internationaler Bund Freier Gewerkschaften / International Federation of Trade Unions IG Metall / IGM Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland IAO / ILO Internationale Arbeitsorganisation / International Labour Organization IISH / IISG International Institute of Social History / Internationales Institut für Sozialgeschichte

400

Abkürzungsverzeichnis 

IMB / IMF IMCO IO ITF KAJB KBB KBW KPD KPD / ML MSPD NATO OECD / OEEC OPEC ÖTV SED StAB SPD TUAC USA USPD VDS WGB / WFTU

Internationaler Metallarbeiterbund / Internationaler Metallgewerk­ schaftsbund / International Metalworkers’ Federation Inter-Governmental Maritime Consultative Organization Internationale Organisation(en) Internationale Transportarbeiterföderation / International Transport Workers’ Federation Kommunistischer Arbeiterjugendbund Kommunistischer Bund Bremen Kommunistischer Bund Westdeutschlands Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei Deutschlands / Marxisten-Leninisten Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands North Atlantic Treaty Organization Organization for Economic Co-operation and Development / Organisation for European Economic Co-operation Organization of the Petroleum Exporting Countries Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Staatsarchiv Bremen Sozialdemokratische Partei Deutschlands Trade Union Advisory Committee United States of America Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands Verband der Deutschen Schiffbauer Weltgewerkschaftsbund / World Federation of Trade Unions

Register

Organisationsregister Adler-Werft 161 AG Weser  45, 49, 81, 101 f., 110, 113, 115, 118, 120 f., 161, 201, 240, 369 f. Algemene Nederlandse Metaalbedrijfsbond (ANMB) 225 Allgemeine Arbeiter-Union (AAU) 59 Alliierte Hohe Kommission  130 American Federation of Labor (AFL)  300 Arbeitsausschuss für die Schiffbauindustrie der OECD siehe OECD Council Working Party on Shipbuilding (WP 6) Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)  46, 48 Association Internationale des Etudiants en Sciences Economiques et Commerciales (AIESEC) 182 Atlas-Werke 53 Betriebsgruppe des Bremer Vulkan  62, 124 Betriebszelle siehe Betriebszelle Bremer Vulkan  Betriebszelle Bremer Vulkan  72 f., 76, 87, 92 f., 95 Blohm und Voss  121, 161, 200 f., 240 Bremen-Besigheimer Ölfabriken  53 Bremer Demokratische Volkspartei (BDV)  61 Bremer Senat  61, 63, 101, 114 Bremer Vulkan  12, 14, 32, 39, 42–44, 49, 53–56, 58–62, 64–66, 68, 71–79, 83 f., 87 f., 92–95, 97–103, 106–110, 112 f., 115, 117–121, 123–126, 147, 200 f., 213, 217, 240, 362, 367, 369, 378 Bremer Werftarbeiterverband  56 Bremische Bürgerschaft  110 Bretton-Woods  20 f., 263 Bundesverband der Deutschen Industrie  130

Centrale des Métallurgistes de Belgique – Fédération Générale du Travail de Belgique (CMB -FGTB) 225 Chambre Syndicale des Constructeurs de Navires, Paris  240 Chantiers de France-Dunkerque  240 Chantiers de l’Atlantique  240 Chantiers Navals de la Ciotat  240 Chocoladenfabrik Hachez  53 Club of Rome  279 Congress of Industrial Organizations (CIO)  300 Deutsche Demokratische Partei (DDP) 58 Deutsche Kommunistische Partei (DKP)  70, 73–75, 81, 87, 110 Deutsche Volkspartei (DVP) 58 Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)  23 f., 26–28, 76, 130 f., 142, 147, 150, 189, 213, 219, 225 Deutscher Metallarbeiter-Verband (DMV)  56 f., 59, 297 f. Echolot-Gruppe  103 f., 119 Economist Intelligence Unit  313 Europäische Gemeinschaften (EG)  ­209–211, 213, 262, 282, 346, 290, ­345–347, 376 Europäische Kommission  50, 177, 202, 209, 222, 224, 227 f., 234, 237, 248, 291, 341, 342 f., 370, 376 Europäische Regionalorganisation (ERO)  315 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) / European Economic Community (EEC)  21, 169 f., 172 f., 226 f., 229, 230 f., 237–239, 242, 254, 256, 258 f., 263, 274, 279, 291–293, 341, 350, 362, 366, 367 Europäischer Gewerkschaftsbund (EGB)  37, 238

402

Register 

Europäischer Metallausschuss siehe Europäischer Metallgewerkschaftsbund (EMB) (Vorgängerinstitution) Europäischer Metallgewerkschaftsbund (EMB)  14, 40, 47, 50, 170–172, 182–184, 192, 202, 204, 221, 225–279, 282–296, 307, 310, 344, 349, 354 f., 363–368, ­370–372, 374, 377, 379 Europäisches Parlament  230 f. European Free Trade Association (EFTA) /  Europäische Freihandelszone  281 European Labour History Network  38 Fédération Force Ouvrière de la Métallurgie (FOM)  225, 340 Fédération Nationale des Ouvriers du Luxembourg (FNOL) 225 Federazione Italiana Metalmeccanici – Confederazione Italiana Sindacati dei Lavoratori (FIM– CISL)  225 Ficantieri, Rom  240 Flender-Werft 175 Flensburger Schiffsbau-Gesellschaft  55 Freie Demokratische Partei (FDP)  26 f., 200 Gemeinschaft der Europäischen Werft­ vereinigungen / Community of European Shipyards’ Association (CESA)  256 German Labour History Association  38 Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV)  205 f., 278, 373 Gewerkschaftsoppositionelle Gruppe (GOG)  94 f., 126 Global Labour History Network  38 Gruppe Arbeiterpolitik  67, 70 Gruppe Rote Fahne Dortmund  95 Hans-Böckler-Stiftung  47 Hanseatische Industriebeteiligungsgesellschaft  100 Hirsch-Dunckersche Gewerkverein  129 Hoesch AG  69 Howaldtswerke-Deutsche Werft AG 100, 240 Hyundai-Werft  18, 333 IG Bergbau  131

IG Metall  12, 14, 36, 39, 45–47, 49 f., 62,

64, 66–68, 70, 72 f., 76, 84, 89, 91–93, 101,109–114, 116–121, 125 f., 129–138, 142 f., 146, 150–152, 157 f., 161–163, 165, 166, 167–169, 173, 178 f., 182–187, 188 f., 190–192, 194–197, 199–201, ­203–205, 207–217, 219–224, 225–227, 231 f., 235, 238, 242, 249–251, 260 f., 268 f., 278, 280, 285, 305 f., 330, 340, 342 f., 352, 355, 363 f., 366–371, ­374–377, 379, 381 IG Metall-Bezirksleitung  46, 84 IG Metall Bremen siehe IG Metall-Verwaltungsstelle Bremen  IG Metall-Verwaltungsstelle Bremen  70, 72, 78, 117 f., 146 IG Metall-Vorstand  12, 47, 132, 165, 184, 204, 216, 220, 221, 364, 368 IMB -Japanausschuss  323 f. Inter-Governmental Maritime Consultative Organization (IMCO) / Zwischenstaatliche Beratende SeeschiffahrtsOrganisation  192, 204, 277–279, 282, 350 International Association of Machinists and Aerospace Workers  316 International Institute of Social History (IISH) 8 International Labour Organization (ILO) /  Internationale Arbeitsorganisation  50, 251, 252, 253, 277, 283, 252–259, 377 International Maritime Industries Forum  272 Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung  20 Internationale Berufssekretariate (IBS)  48, 301 f. Internationale Kommunisten Deutschlands  57 Internationaler Bergarbeiterverband (IBV)  301 Internationaler Bund Freier Gewerkschaften (IBFG)  37, 154, 226, 301, 303 f., 315, 317, 319, 378, 380 Internationaler Gewerkschaftsbund (IGB) siehe Internationaler Bund Freier Gewerkschaften (Vorgängerinstitution) Internationale Transportarbeiterföderation / International Transport Workers’

Organisationsregister

Federation (ITF)  37, 299, 301–303, 310, 317, 320, 336, 378 Internationaler Metallarbeiterbund siehe Internationaler Metallgewerkschaftsbund (Vorgängerinstitution) Internationaler Metallgewerkschaftsbund (IMB)  11, 13 f., 40 f., 48, 50, 123, 143, 152, 154 f., 158, 162, 167 f., 172, 192, 204, 223, 225 f., 228, 238, 241, 244, 245, 246–249, 250, 252, 274, 281, 288, 293, 297–310, 312 f., 315–326, 328, 330–342, 344–360, 363–366, 368, 370–372, 375 f., 378, 380 Industri ALL , siehe Internationaler Metallgewerkschaftsbund (Nachfolgeinstitution) 48 Internationaler Währungsfonds  20, 22 Internationales Schiffbau- und Schifffahrtsforum 350 Jugendorganisation der SPD (Jusos)  74 f. Kaffee- und Handelsgesellschaft (HAG)  53 Kaiserbrauerei Beck  53 Klöckner-Hütte  53, 63, 67 f., 70, 80, 81, 84 Kommunistische Betriebsgruppe siehe Betriebsgruppe Bremer Vulkan  Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)  23 f., 58, 61–63, 67, 73, 81, 88, 91–95, 109, 120, 124, 129 f., 146 f. Kommunistische Partei-Opposition (KPO)  67 Kommunistische Partei / MarxistenLeninisten (KPD / M L)  95, 112 Kommunistischer Arbeiterbund (KAB) siehe Kommunistischer Bund Hamburg (Vorgängerinstitution)  74 Kommunistischer Arbeiterjugendbund (KAJB)  75, 87 f. Kommunistischer Bund Bremen (KBB)  71–75, 87–89 Kommunistischer Bund Hamburg (KB Hamburg)  74 f. Kommunistischer Bund Westdeutschlands (KBW)  71, 75, 87, 89–95, 103, 120 Kreditanstalt für Wiederaufbau  159 Landsorganisationen i Sverige  304

Meerestechnik-Werft  43, 102 Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands (MSPD) 58 Metallindustriarbetareförbundet 303 Mitsubishi Heavy Industries  122 Neptun-Werft 119 Norddeutsche Automobil- und Motoren AG  53 Norddeutsche Hütte  53 Norddeutsche Maschinen- und Arma­ turenfabrik 53 Norddeutscher Lloyd  54 f., 60, 65 Nordisches Metallarbeitersekretariat /  Nordiska Metallarbetarefederationen  238 OECD -Arbeitsgruppe siehe OECD

Council Working Party on Shipbuilding (WP 6)  OECD Council Working Party on Shipbuilding (WP 6)  191, 339, 340, 342, 345, 348, 350 f., 359 Organization for Economic Co-operation and Development (OECD)  49 f., 177 f., 186, 191, 198, 213, 231, 241, 257, 259, 291, 315, 338–359, 376, 380 Organization for European Economic Co-operation (OEEC) siehe Organization for Economic Co-operation and Development (Vorgängerinstitution) Organization of the Petroleum Exporting Countries (OPEC)  12 Pädagogische Hochschule Bremen  67 Proletarische Front  74 Rat der EWG -Großwerften / Council of EEC Builders of Large Ships  240, 256 Revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO)  94, 112 Rheinstahl Nordseewerke GmbH  240 Rijn-Schelde-Verolme, Rotterdam  240 Schiffbauarbeitsgruppe beim OECD -Rat siehe OECD Council Working Party on Shipbuilding (WP 6)  191, 339, 359 Solidarność  120, 121 Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)  23–28, 57 f., 61, 63 f., 73 f., 82, 88,

403

404

Register 

91, 117, 129, 132, 139, 146, 179, 188 f., 200, 205 f. Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED)  74 Sozialistischer Deutscher Studentenbund (SDS)  67 Sozialistisches Arbeiter- und Lehrlingszentrum (SALZ)  74 St. Nazaire  240 Staatsarchiv Bremen (StAB)  44, 103 Stocznia Gdańska 120 Stülcken-Werft  161, 165 Svenska Varv  276 Thyssen-Bornemisza-Gruppe  54 f., 100 Thyssen-Konzern siehe Thyssen-Bornemisza-Gruppe  Trade Union Advisory Committee (TUAC)  49 Trikont-Gruppe  71, 74 Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) 57–59 Unione Italiana Lavoratori Metallurgici – Unione Italiana del Lavoro ­(UICLM– UIL) 225

United Society of Boilermakers and Iron and Steel Shipbuilders  304 Verband der Deutschen Schiffsbauer (VDS)  163, 206, 207 f., 211, 213, ­215–218, 224 Verband der Reeder und Schiffswerften siehe Verband der Deutschen Schiffsbauer 137 Verband Westeuropäischer Schiffswerften / Association of West European Shipbuilders (AWES) 256 Verwaltungsstelle der IG Metall Bremen siehe IG Metall-Verwaltungsstelle Bremen Volkswerft 102 Warnow-Werft 119 Weltgewerkschaftsbund (WGB) 300–302, 311, 316 Zen Zosen / Japanische Werftarbeiter­ gewerkschaft 320 Zosen Juki Roren / Verband Japanischer Schiffbau- und Ingenieur-Gewerkschaften 346

Personenregister Adenauer, Konrad  22, 63, 124, 131, 140, 147 Ahuja, Ravi  39 Ambrosius, Gerold  32 Apel, Hans  186, 199 Arps, Jan Ole  73, 75, 126

Brandt, Willy  26 f. Brauer, Max  146 Brenner, Otto  45, 70, 132, 142, 150, 167 f., 179, 226, 228, 230, 307, 342, 381 Budczies, Michael  208 Buschak, Willy  379

Baart, Isaac  13, 255, 303 f., 315, 337, 339 Bachmann, Dieter  91 Bell, Daniel  31 Bettelhäuser, Fritz  43, 88, 90, 93, 108, 110, 112, 115, 119–123 Birke, Peter  69, 73, 367 Bleicher, Willi  129 Böckler, Hans  131 Bohnsack, Heinrich  133–135, 139, 153 Böhrnsen, Gustav  307 Brandler, Heinrich  67

Carew, Anthony  317 Casserini, Karl  154–156, 159 f., 162, 177, 216, 219, 221 f., 244, 246–249, 293, 299, 302, 315, 319, 321, 324–331, 333 f., 338 f., 343–345, 350, 356–359, 364–366, 370 f., 375 f., 380 f. Cecchini, Paolo  261–263 Cheysson, Claude  285 Clairmont, Yves  47, 226, 238, 249, 367 Colonna di Paliano, Guido  229, 231 f., 234, 241, 263, 292

Personenregister

Conrad, Sebastian  35, 42 Conze, Eckart  31, 362

Ilg, Konrad  301, 312, 335 Ils, Hans  141 f.

Dannenberg, Alfred  318, 322 Davignon, Étienne  210, 264, 271, 275 f. Deibicht, Karl  141, 143 f., 146, 153 f., 307, 352 Doering-Manteuffel, Anselm  31, 33, 362 Duff, (Vorname unbekannt)  313 f., 327

Jantzen, Karl-Heinz  77 f. Jenkins, Roy  271, 285 Jensen, Leif  283 Jucker, Waldemar  313

Elster, Hartwig  75 f., 80 f., 84 f., 88, 91 Engel, Ulf  34 f. Faupl, Rudi  316 Ferguson, Niall  33 Fimmen, Edo  299, 301, 378 f. Fluger, Hans  284 Fowler, David  238 Freitag, Ulrike  282 Friderichs, Hans  78, 260 Friedrichs, Karl-Heinz  157 f., 179 Gehlfuss, Walter  307 Geijer, Arne  143, 152 f., 219, 303 f., 313, 316, 336 f., 380 f.  Giolitti, Antonio  285 Gouaux, Fernand  329 Graedel, Adolphe  167 f., 315, 327, 338, 342, 352, Graf von Lambsdorff, Otto  212, 217 f. Groeben, Hans von der  229 f. Gumbrell-McCormick, Rebecca  380 Gundelach, Finn Olav  285 Günther, Otmar  249 Hachtmann, Rüdiger  374 Haferkamp, Wilhelm  210, 285 Hagnell, Hans  304 Hallstein, Walter  230 Hauff, Volker  206, 209 Henke, Alfred  57 Henke, Norbert  100, 109 f. Hennemann, Friedrich  100 Henning, Klaus  47 Hill, Edward James  312–314, 336, 352 Hobson, Charles  298 Hopkins, Anthony  363 Horn, Gerd-Rainer  367 Huchzermeier, Hans-Martin  64 f., 79 f., 98

Kabelac, Robert  60, 65 Kempter, Klaus  27 f. Kiesel, Wolfgang  43 Kirchhoff, Dieter  72 f., 75–80, 82, 86–89, 91, 103, 113, 119 Kleinschmidt, Christian  373 Koch-Baumgarten, Sigrid  300–302, 336 Kohl, Helmut  215 Koldehofe, Heinz  91, 93 Köpke, Günter  163, 167 f., 173–177, 182, 225, 227, 229, 231, 234–236, 238, 240, 243–250, 259–262, 264 f., 268, 270, 292, 294 f., 364 f., 379 Koschnick, Hans  184, 198–200 Laubrecht, Karl Heinz  169 f., 204, 352, 355 Liebknecht, Karl  57 Linden, Marcel van der  36, 39 Loderer, Eugen  45, 90–92, 176 f., 179, 183 f., 186, 190, 193, 200–202, ­204–206, 208–210, 212, 215, 218, 239, 242, 247, 250 f., 260, 273, 278, 280, 285 f., ­343–345, 369, 371 Mage, Jos. (vollständiger Vorname un­ bekannt)  328, 337, 338 Maier, Charles  33 Matthews, J. (vollständiger Vorname unbekannt) 336 Matthiesen, Klaus  200 Matthöfer, Hans  67, 202 f., 206, 209, 223 Maul, Daniel  358 McGarvey, Daniel  304 McShane, Denis  299 Middell, Matthias  34 f. Mittag, Jürgen  39, 381 Nawatzki, Victor  55, 65 Nilsson, Åke  303 f., 315, 352 Nishikata, Shinichiro  320 Norén, Ivar  336

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Register 

Noske, Gustav  58 Opel, Fritz  299, 307 Osterhammel, Jürgen  42 Partikel, Heinz  135, 169, 307, 352 f. Patel, Klaus Kiran  39 Pernau, Margrit  382 Petersen, Wilhelm  129, 136 f., 146, ­151–153, 312 Pfeiffer, Fritz  198, 211, 260, 261, 346 Pieters, J. (vollständiger Vorname unbekannt) 314 Pitz, Karl Heinz  179, 182–193, 195–199, 203, 205–207, 209 f., 213, 215 f., 223 f., 250 f., 253, 260–262, 268 f., 273, 280 f., 285 f., 291, 294 f., 343–346, 355, 364, 369, 371, 376 f. Prate, Alain  234 Randeria, Shalini  42 Raphael, Lutz  31, 33, 362 Rappeport, John  307 Rebhan, Herman  204, 326, 331–333, 335, 344, 346, 348 f., 355 f., 378 Robertson, Roland  40 Roth, Karl Heinz  74 Ruhnau, Heinz  13, 147–150, 156, 158, 307 Saalfeld, Rudolf  137 f., 146 Sahrholz, Richard  170–173, 221, 225 f., 231–234, 291, 306, 379, 381 Schildt, Axel  32 Schiller, Karl  69, 134, 137, 161, 168, 342, 365 Schirmer, Werner  101 Schmidt, Helmut  27, 178–180, 199–201, 223

Scholz, Heinz (Betriebsratsmitglied Bremer Vulkan)  73, 75, 80, 90–95 Scholz, Heinz (IG Metall-Bezirksleiter)  11 f., 70, 84–87, 165 f., 168, 173, 177, 179–183, 242, 342, 369 Schröder, Jürgen  43 Schunk, Albert  121, 194–196, 249, 275 Schütter, Bonno  67 Skytøen, Lars  304 Spinelli, Altiero  240 f., 245, 263, 279, 342 Steeg, Otto vom  68, 89–92, 113–115, 170, 183–191, 193 f., 196–199, 203, 206–210, 213, 223 f., 369 Suhr, Fritz  164 Thalheimer, August  67 Thierron, Hubert  238, 250, 258, 267–272, 274–276, 278, 280–283, 286 f., 343, 365 Thompson, Edward P.  38 Thönnessen, Werner  307 Thyssen-Bornemisza (de Kászon), Georg Heinrich 99 Thyssen-Bornemisza (de Kászon), Hans Heinrich  99 f. Thyssen, August  54 f., 99, 123 Toulemon, Robert  279 Unfried, Berthold  39, 381 Vredeling, Henk  264, 267 f., 271, 285 Wallaert, Gust  238 Weinkauf, Arno  70, 92 Willumeit, Emil  139 Wöhrle, Alois  307 Zanzi, Luigi  328 Zimmermann, Susan  38