Stabile Gemeinschaften: Transnationale Familien in der Weltgesellschaft [1. Aufl.] 9783839406700

Hinter Schlagworten wie Globalität, Globalisierung und Weltgesellschaft verbergen sich mitunter wohlfeile theoretische K

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Stabile Gemeinschaften: Transnationale Familien in der Weltgesellschaft [1. Aufl.]
 9783839406700

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Weltgesellschaft als Resultat von Globalisierung und Transnationalisierung
Grundannahmen über den gegenwärtigen Zustand der Welt
Machtverlust der Nationalstaaten – Eintritt in ein neues Zeitalter?
Das Individuum im kulturellen Machtcontainer Nationalstaat
Zur Revision nationalstaatlicher Konzepte in der flüchtigen Moderne
Familien – die multilokale Mehrgenerationsfamilie
Ortsgebundenheit versus Ortsungebundenheit
Die Transformation des ethnologischen Kulturbegriffs
Perspektiven kultureller Globalisierung
Kulturelle Globalisierung als Homogenisierung
Kulturelle Globalisierung als das Wachstum des Konfliktpotenzials
Kulturelle Globalisierung als Glokalisierung
Transnationalisierung der sozialen Welt von Individuen
Identität als Prozess
Kulturelle Hybride in der entgrenzten Welt
Übersetzung als eine Form des Sinnbastelns zwischen zwei Kulturkreisen
Die Konzeption der Weltgesellschaft – eine begriffliche Annäherung
Die Weltgesellschaft bei Niklas Luhmann
Weltgesellschaft als Netzwerkgesellschaft
Transnationale Familien in Deutschland als Forschungsgegenstand
Erkenntnisse über transnationale Familien
Migration in Deutschland
Transnationale Soziale Räume im Kleinen – Herleitung der Hypothesen
Familiäre Transnationale Soziale Räume – 1. Hypothese
Kulturelle Hybridität stärkt das Zugehörigkeitsgefühl zur Familie – 2. Hypothese
Transnationale Familien sind ein Symptom der Weltgesellschaft – 3. Hypothese
Methodik der explorativen Untersuchung
Leitfadeninterviews als Mittel der Datenerhebung
Auswahl der Interviewpartner/binationale Paare
Zugang zum Feld
Dokumentation der Daten
Einblicke in das Leben von transnationalen Familien
Fall A – Zinovia W
Fall B – Aurelia T
Fall C – Shirin N
Fall D – Vito P
Fall E – Brian O
Transnationale Familien als neuer Lebensentwurf in der Weltgesellschaft
Familiäre Transnationale Soziale Räume
Familie ist Heimat
Analytische Dimensionen von Familiären Transnationalen Sozialen Räumen
Erste Dimension
Zweite Dimension
Dritte Dimension
Vierte Dimension
Transnationale Familien als Symptom und Weltgesellschaft im Kleinen
Fazit
Literatur
Abbildung

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Katharina Zoll Stabile Gemeinschaften

Katharina Zoll (Mag.) studierte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main Soziologie, Amerikanistik und Psychologie. Ihre Forschungsthemen sind Globalisierung und Weltgesellschaft.

Katharina Zoll

Stabile Gemeinschaften Transnationale Familien in der Weltgesellschaft

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Katharina Zoll Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-670-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Dr. Jens Becker Vorwort

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Einleitung

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Weltgesellschaft als Resultat von Globalisierung und Transnationalisierung Grundannahmen über den gegenwärtigen Zustand der Welt Machtverlust der Nationalstaaten – Eintritt in ein neues Zeitalter? Das Individuum im kulturellen Machtcontainer Nationalstaat Zur Revision nationalstaatlicher Konzepte in der flüchtigen Moderne Familien – die multilokale Mehrgenerationsfamilie Ortsgebundenheit versus Ortsungebundenheit Die Transformation des ethnologischen Kulturbegriffs Perspektiven kultureller Globalisierung Kulturelle Globalisierung als Homogenisierung Kulturelle Globalisierung als das Wachstum des Konfliktpotenzials Kulturelle Globalisierung als Glokalisierung Transnationalisierung der sozialen Welt von Individuen Identität als Prozess Kulturelle Hybride in der entgrenzten Welt Übersetzung als eine Form des Sinnbastelns zwischen zwei Kulturkreisen Die Konzeption der Weltgesellschaft – eine begriffliche Annäherung Die Weltgesellschaft bei Niklas Luhmann Weltgesellschaft als Netzwerkgesellschaft

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Transnationale Familien in Deutschland als Forschungsgegenstand Erkenntnisse über transnationale Familien Migration in Deutschland Transnationale Soziale Räume im Kleinen – Herleitung der Hypothesen Familiäre Transnationale Soziale Räume – 1. Hypothese Kulturelle Hybridität stärkt das Zugehörigkeitsgefühl zur Familie – 2. Hypothese Transnationale Familien sind ein Symptom der Weltgesellschaft – 3. Hypothese Methodik der explorativen Untersuchung Leitfadeninterviews als Mittel der Datenerhebung Auswahl der Interviewpartner/binationale Paare Zugang zum Feld Dokumentation der Daten

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Einblicke in das Leben von transnationalen Familien Fall A – Zinovia W. Fall B – Aurelia T. Fall C – Shirin N Fall D – Vito P. Fall E – Brian O.

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Transnationale Familien als neuer Lebensentwurf in der Weltgesellschaft Familiäre Transnationale Soziale Räume Familie ist Heimat Analytische Dimensionen von Familiären Transnationalen Sozialen Räumen Erste Dimension Zweite Dimension Dritte Dimension Vierte Dimension Transnationale Familien als Symptom und Weltgesellschaft im Kleinen

185 185 200 210 210 211 212 213 215

Fazit

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Literatur Abbildung

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Vorw ort

Familie ist für den Soziologen René König (1946: 112) eine Gruppe eigner Art. Hill/Kopp (2006: 13) definieren ihren Wesenskern als „eine auf Dauer angelegte Verbindung von Mann und Frau mit gemeinsamer Haushaltsführung und mindestens einem eignen (oder adoptierten) Kind.“ Dieses Familienmodell prägte bis in die 1980er Jahre die modernen kapitalistischen oder staatssozialistischen Industriegesellschaften. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sieht die Lage anders aus. Das System Familie vollzieht einen Strukturwandel, der das klassische Familienbild ins Wanken bringt. Gesellschaftliche Individualisierung und Pluralisierung, das heißt neue Lebensentwürfe, differenzierte Lebensstile und Lebenslagen, prägen die postmodernen Dienstleistungs-, Freizeit-, Informations-, Klassen- und Netzwerkgesellschaften. Die damit verbundenen Folgen (hohe Scheidungs- und niedrige Geburtenraten, mehr und mehr Singlehaushalte und nichteheliche Gemeinschaften, Eineltern-, Homo-, Patchwork- und Stieffamilien etc.) stellen das herkömmliche, ehe-, erwerbs- und kinderzentrierte Familienmodell in Frage, das durch die Umstrukturierung des traditionellen nationalstaatlichen Industriekapitalismus hin zu einem globalisierten Finanz- und Dienstleistungskapitalismus einem weiteren grundlegenden Veränderungsdruck ausgesetzt ist. Hinzu kommen auf nationaler Ebene Verwerfungen im Schulbereich, wo überforderte Pädagogen – teilweise zu Recht – über unmotivierte und verrohte Kinder aus „kaputten“ Familien klagen. Vielfach wird daher eine Krise des Systems Familie diagnostiziert, das oftmals nicht mehr in der Lage sei, seine Funktionen, etwa im Bereich der Reproduktion oder Erziehung, zu erfüllen. Geht es in der familienpolitischen Debatte im Wesentlichen darum, reale oder potenzielle Familien institutionell oder finanziell zu entlasten, erfährt man über die – oben aufgezählten – vielfältigen Familienformen, die in den letzten Jahren entstanden sind, wenig. Tatsächlich kann von einem Auslaufmodell oder einer Krise der Familie keine Rede sein. Vermeintlichen Auflösungserscheinungen stehen Stabilisierungstendenzen gegenüber, die der Frankfurter Soziologe Karl Otto Hondrich (2001: 50) folgendermaßen umriss:

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„Weit davon entfernt davon zu zerreißen, werden die Familien- und Verwandtschaftsbindungen zwischen den Generationen immer länger und enger, wie ja auch die Menschen immer länger leben und mehr zu vererben haben. Auch Scheidungen als Auflösung von Wahlbindungen verweisen die Menschen zurück auf ihre nicht gewählten Herkunftsbindungen. Man sucht Unterstützung und Halt bei Eltern, alten Freunden, klammert sich an die eigenen Kinder [...] Freundschaften werden nicht weniger, sondern mehr.“

Hondrichs Befund deutet auf eine solide Reproduktions- und Regenerierungsfähigkeit des Systems Familie hin: „Die Familie stabilisiert sich selbst“; die Zahl der klassischen Kernfamilien mag abnehmen, gleichzeitig finde aber eine Verbreiterung und Vertiefung familiärer Bindungen statt (Hondrich 2007: 157). Dazu zählen auch so genannte transnationale Familien, die sich im Zeitalter der Globalisierung als stabile Gemeinschaften erweisen können. Es handelt sich um Familien, die, obgleich – kurz- oder langfristig – voneinander getrennt lebend, den familiären Zusammenhalt und die familiäre Solidarität über nationalstaatliche Grenzen hinweg aufrechterhalten. Mit ihrer empirischen und theoretischfundierten Studie gehört Katharina Zoll zu den Pionieren, die diesem – von der Globalisierungssoziologie bisher vernachlässigten – Phänomen nachgehen. Sie kennzeichnet den „neuen Zustand der Globalität“ dadurch, dass „Globalisierung von oben“ und „Transnationalisierung von unten“ zu gravierenden Veränderungen auf der gesellschaftlichen Makrobzw. Mikroebene geführt haben. Nationalstaatliche Grenzen würden durch die von der Globalisierung induzierten Freisetzungs- und Entwurzelungsprozesse bei gleichzeitiger Rückbindung und Vernetzung der – familiären – Lebenswelten brüchig. Der Rekurs auf Pries (These 1: Transnationale Soziale Räume) und auf Erkenntnisse der kulturellen Globalisierung (These 2: hybride Identitäten, globales Referenzsystem, Glokalisierung etc.) erweist sich als äußerst innovativ, um sich dem bislang relativ unerforschten Phänomen „transnationale Familien“ zu nähern. Mehr über Lebensentwürfe und Interaktionen solcher Familienmitglieder zu erfahren, ist das Erkenntnisziel dieser Arbeit. Transnationale Migrationsprozesse führen zu neuen transnationalen sozialen Räumen, die auch von transnationalen Familien genutzt würden. Kommunikation ohne Grenzen beachten zu müssen, ist eine neue weltgesellschaftliche Realität. Das Konzept Weltgesellschaft, auf das Katharina Zoll zurückgreift, kann auch als globaler Interaktionszusammenhang oder globaler Kommunikationsraum gedeutet werden (Leggewie 2003: 18). In welcher Weise werden die befragten Familienmitglieder durch zunehmend entgrenzte Sozialräume geprägt? Wie erhalten sie Bindungen mit dem Familienverband oder einzelnen Familienmitgliedern aufrecht? Welche Auswirkungen auf die Identitätsbildungsprozesse der einzelnen Subjekte und welche Folgen lassen sich für die einzelnen Familien erkennen? Konstituieren diese Interaktionen einen weltgesellschaftlichen (Sinn-) Zusammenhang? Ortsungebundenheit bzw. Entterritorialisierung prägen das „Schick-

VORWORT | 9

sal“ transnationaler Familien, welche die klassische ortgebundene Familie nicht ersetzen, aber zunehmend ergänzen. Die inhaltsanalytisch ausgewerteten Interviews deuten an, dass mit Luhmanns Hypothese der permanent anschlussfähigen Kommunikation als Signum der Weltgesellschaft, von der Autorin handlungstheoretisch gewendet, ein tragfähiger Anknüpfungspunkt gefunden worden ist, um das Interaktionsfeld transnationale Familie neben den Prämissen der kulturellen Globalisierungssoziologie theoretisch zu verorten. Bei Katharina Zoll steht der Erhalt der gleichsam hybriden familiären Einheit im Vordergrund. Stabile Gemeinschaften reproduzieren sich durch die Möglichkeiten, die das World Wide Web und andere Kommunikationsmittel bieten. Damit lassen sich – zunächst – fremde Orte und fremde Kulturen (kulturelle Grenzen) besser bewältigen, die Integration des nomadisierten Individuums in die neue Wahlbindung wird durch den Rekurs auf bisherige Herkunftsbindungen mitunter erleichtert. Ihren jeweiligen Aufenthaltsort nutzen die befragten Familienmitglieder als Operationsplattform, um den Kontakt zur Familie oder zu einzelnen Familienmitgliedern aufrechtzuerhalten. Dabei nutzen die Mitglieder einer transnationalen Familie in unterschiedlicher Art und Weise die heute vorherrschende Flexibilität aus, um bestehende soziale Beziehungen (im Besonderen Herkunftsbindungen) aus dem ehemals lokalen Interaktionsfeld des Herkunftslandes über die Distanz hinweg zu restrukturieren bzw. neu zu organisieren. Transnationale Familien seien ein Phänomen der Weltgesellschaft Letztere erweist sich in der vorliegenden Arbeit als globaler Interaktionszusammenhang (Globalität) mit intendierten und nichtintendierten Folgen, die durch Globalisierungsprozesse vorangetrieben werden. Deutlich wird bei der Autorin, die insbesondere an Konzepte von Albrow, Appadurai und Pries auf der einen und Hall und Hondrich auf der anderen Seite anknüpft, dass Weltgesellschaft (Globalität) als Forschungskonzept tragfähig ist, um menschliches Handeln zu objektivieren, ohne das die Folgen der Interaktion von Mensch und „Welt“ auf das Ganze, auf die gesamte Menschheit, bezogen werden können. Von daher erscheint die von Katharina Zoll gewählte Formulierung in ihrem Schlusskapitel, „Transnationale Familien als Symptom der Weltgesellschaft“, plausibel. Es kann gezeigt werden, dass Familien fähig sind, transnationale soziale Räume zu bilden, die nationalstaatliche Grenzen überwinden und konstitutiv für weltgesellschaftliche Vergesellschaftungskontexte sein können. Weitere zentrale Begriffe wie Kommunikation (Luhmann), Imagination (Appadurai), oder (plurilokale) Soziosphären (Albrow) erlangen Bedeutung, um den familiären transnationalen sozialen Raum „als Artikulationsraum für den Austausch von Informationen“ zu vermessen. Gleichwohl kann dieser reale „Face-to-face“-Kontakte nicht ersetzen, die sich die Befragten nach wie vor wünschen. Familie erweist sich für die Befragten weiterhin als identitätsstiftende Gemeinschaft, Modifikationen und Hybridisierungen der kulturellen Wurzeln sind jedoch möglich und finden statt. „Familie ist Heimat“ heißt treffend ein Unterkapitel, das Kreolisierungs- bzw. Hybridisierungstendenzen freilegt, die auch von der neueren Forschung wahrge-

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nommen worden sind und die auch bei den Probanden unverkennbar sind: Multiple Identitäten, die auf Herkunftsbindungen und Wahlbindungen basieren, stabilisieren die familiäre Gemeinschaft. Weitere Forschungen sind nötig, um dem Phänomen transnationaler Familien als stabilen oder instabilen Gemeinschaften nachzugehen. Vielleicht finden sich neben den transnationalen Eliten und Wanderarbeiter/innen hier weitere Vergesellschaftungsformen, die eine enger zusammenrückende Welt zur „Weltgesellschaft“ formen. Frankfurt am Main, 1. Juni 2007 Jens Becker

Einleitung

Globalisierung zu Beginn des 21. Jahrhunderts kennzeichnet eine nie da gewesene Mobilität von Waren, Kapital, Informationen und Menschen; ihre weltweit wirkenden Kräfte haben nicht nur ökonomische wie politische Auswirkungen, sondern nehmen auch Einfluss auf die alltagsweltliche Lebenspraxis von Individuen, lassen neue Lebensentwürfe sowie Sozialräume entstehen, die grenzüberschreitend sind. In der vorliegenden Arbeit „Stabile Gemeinschaften – Transnationale Familien in der Weltgesellschaft“ wird auf die alltagsweltliche Lebenspraxis von Individuen bzw. ihre Lebensentwürfe als Mitglied einer Familie, die räumlich disloziert ist, eingegangen. Das Erkenntnisinteresse besteht darin, mehr darüber zu erfahren, ob und wie diese Familienmitglieder den neuen Zustand der Welt für sich instrumentalisieren, d. h. auf die vernetzende Infrastruktur (Transport- und Kommunikationsmedien) zurückgreifen, um als Familie über die Distanz wieder näher zusammenrücken zu können. Die grenzüberschreitende Ausrichtung des familiären Sozialraums, so eine Leithypothese, kennzeichnet den neuen Zustand der Globalität und verweist auf eine veränderte soziale Realität. Mit anderen Worten, die Proliferation grenzüberschreitender bzw. transnationaler Bezüge scheint ein Charakteristikum unseres heutigen Zeitalters oder von Globalität zu sein, in der Grenzen zunehmend ihre strategische Bedeutung verlieren, da diese mit den zur Verfügung stehenden Mitteln, realer und virtueller Natur, einfacher zu überwinden sind. Herbeigeführt wurde dieser qualitativ neue Zustand, in einer Welt als singulärer Struktur zu leben, durch die sogenannte „Globalisierung ‚von oben‘ und die Transnationalisierung ‚von unten‘“ (Pries 2002: 11-13). Globalisierung „von oben“ meint die Veränderung der Makrostruktur durch die entstandenen weltumspannenden Triebkräfte während Transnationalisierung „von unten“ sich auf die gesellschaftliche Mikroebene, die Transformation der Lebenswelt von Individuen, bezieht. Ein Resultat dieses mehrdimensionalen Prozesses könnte die Konstituierung einer Weltgesellschaft sein, deren Kennzeichen möglicherweise die gegenwärtige Dynamik, Mobilität, Flexibilität, Reflexivität sowie die strukturelle Entwurzelung von Individuen, durch die Vernetzung von Lebenswelten, ist. Implizit verweist der Diskurs Weltgesellschaft darauf, dass soziale Beziehungen von Individuen über den Tellerrand des Nationalstaats Hinausreichen und damit

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ihre territoriale Fixiertheit aufgeben können (vgl. Albrow 1998). Dies schafft einen globalen Artikulationsraum unterschiedlicher Lebensstile, Werthaltungen usw., die von jedem Individuum unterschiedlich interpretiert oder rezipiert werden und demnach mannigfaltige Reaktionen erzeugen, die die Welt interaktiver erscheinen lässt als je zu vor. Im Allgemeinen soll bei dieser Arbeit auf fragmentierte kulturelle Identitäten im Zeitalter der Globalisierung eingegangen werden, um zu zeigen, dass sozialer Wandel als heterogener nicht homogener Entwicklungsprozess verstanden werden kann. Im Besonderen wird im Rahmen einer explorativen Untersuchung auf Lebensentwürfe transnationaler Familien eingegangen werden. Ein Teil der untersuchten Familien hat Deutschland als ihren Lebensmittelpunkt gewählt. Demnach weisen wahrscheinlich ihre sozialen Beziehungen über die deutsche Landesgrenze hinaus. Mit Hilfe von fünf Leitfadeninterviews sollen Einblicke in das grenzüberschreitende Familienleben gewonnen werden. Sie sollen Hinweise darauf geben, ob die familiäre Gemeinschaft, von Deutschland ausgehend, grenzüberschreitend erhalten werden kann, in dem Familien sich einen so genannten familiären transnationalen sozialen Raum aufbauen. Des Weiteren soll überprüft werden, ob Familien mit Migrationshintergrund, deren Nachkommen bereits in dem Ankunftsland Deutschland geboren wurden oder aufgewachsen sind, ihre Familie durch den Verlust der kulturellen Zugehörigkeiten bzw. Zuordnung als eindeutigen Bezugspunkt sehen. Abschließend wird auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse unter Bezugnahme auf die theoretischen Konzepte erörtert, ob transnationale Familien ein Symptom oder Agenten von Weltgesellschaft sind und diese bis zu einem gewissen Grad verkörpern können. Diese Untersuchung ist in zwei Hauptkapitel eingeteilt. Der erste Block liefert einerseits die theoretische Grundlage für die im zweiten Block anschließende explorative Untersuchung und zeichnet andererseits die Veränderung der sozialen Realität nach, die Entstehungsvoraussetzung für transnationale Formationen (beispielsweise transnationaler Familien) sind. Das erste Hauptkapitel „Weltgesellschaft als Resultat von Globalisierung und Transnationalisierung“ setzt sich als theoretische Grundlage mit gegenwärtigen makro- und mikrostrukturellen Veränderungen auseinander, auf deren Basis abschließend eine Annäherung an den Begriff Weltgesellschaft erfolgt. Dieser Teil ist wie folgt gegliedert: Einführend werden Beispiele bzw. Ereignisse angeführt, die einen Verweis auf die Interaktivität der Welt enthalten und als kleiner Auszug verdeutlichen, welche unterschiedlichen Interessen bzw. emanzipierte Identitäten in dem globalen Artikulationsraum aufeinander treffen. Um den qualitativ neuen Zustand der Welt, der sich um das Thema der Entgrenzung zentriert, ausarbeiten zu können, wird zuerst die Funktion des Nationalstaats vorgestellt. Dabei wird zum einen deutlich, weshalb die Annahme heute von territorial gekoppelten Vergesellschaftungsformen heute willkürlich erscheint. Zum anderen kann die Entwicklung, die zum gegenwärtigen Zustand der Welt führte, nachgezeichnet werden. Des Weiteren wird im Zusammenhang mit

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dem Nationalstaat auf die Bildung von nationaler Identität eingegangen; diese bleibt trotz struktureller Entwurzelung ein integraler Bestandteil kultureller Identität eines jeden Individuums und steht im Kontrast zu dem heute gültigen Konzept von prozessualer Identität als kulturelle Identität. Unter der Überschrift „Zur Revision nationalstaatlicher Konzepte in der flüchtigen Moderne“, wird zuerst im Allgemeinen der Übergang zwischen Moderne und Globalem Zeitalter thematisiert. Im Besonderen werden die für das vorliegende Erkenntnisinteresse relevanten Transformationen nationalstaatlicher Konzepte und ihre Gestalt im neuen Zeitalter vorgestellt. Hierzu gehören u. a. die Ortsungebundenheit und die Kultur. Im Anschluss werden Theorien kultureller Globalisierung vorgestellt, die eine unter-schiedliche Interpretation der gegenwärtigen Globalität sind und exemplarisch für Mechanismen sowie die sich herauskristallisierende kulturelle Dynamik in dem heutigen singulären Wirkungsgefüge stehen. Hier zeigt sich, dass Globalisierung nicht als unidirektionaler homogenisierender Prozess verstanden werden kann, sondern als ein Prozess, der widersprüchliche Dynamiken in Gang setzt, die zur Heterogenisierung, Fragmentierung und Pluralisierung unserer Lebenswelt beitragen. Der Abschnitt „Transnationalisierung der sozialen Welt von Individuen“ verlässt die Makroebene, um auf der Mikroebene auf diese Transformation der Lebenswelt von Individuen einzugehen, die Konsequenz der veränderten Makrostruktur sind und kulturelle Identitäten mit grenzüberschreitenden Bezügen bzw. Lebensentwürfen hervorbringt. Durch den neuen globalen Möglichkeitshorizont bzw. Bezugsrahmen werden kulturelle Identitäten mit einem Übermaß an Lebensskripten konfrontiert, die sie in ihren Lebensentwurf integrieren bzw. mit diesem abgleichen können. Des Weiteren lässt die Mobilität von Menschen neben der Vermischung von Kulturen Identitätsentwürfe entstehen, die durch ihr Leben bzw. Aufwachsen in einem fremden Kulturkreis zu so genannten kulturellen Hybriden werden. Sie passen nicht mehr in den Rahmen binärer Gegensätze und leben in einer Zwischenwelt. Dies wird zum einen in dem Abschnitt „Kulturelle Hybride in der entgrenzten Welt“ thematisiert und zum anderen wird im Anschluss auf die Problematik (Notwendigkeit) des so genannten Übersetzens zwischen einzelnen kulturellen Bedeutungen eingegangen, welches essenziell für die Produktion einer subjektiven kohärenten Identität sind. Des Weiteren wird eine Abgrenzung zu dem Lebensentwurf eines so genannten Kosmopoliten vorgenommen, da diese verstärkt bei transnationalen Familien auftreten können. Der Abschluss des theoretischen Teils bildet die Annäherung an den Begriff der Weltgesellschaft, die sich in grenzüberschreitenden sozialen Bindungen manifestiert – hervorgegangen aus den gesteigerten Verflechtungszusammenhängen; zum einen zwischen Lokalitäten, zum anderen zwischen Systemen, die auch zur Verlängerung des sozialen Umfeldes von Individuen beitrugen, da dies zunehmend von Kommunikationsstrukturen durchdrungen wurde. Diese Verlängerungsoptionen des sozialen Interaktionsumfeldes bildet möglicherweise die Basis für die Ausrichtung des Familienlebens über nationalstaatliche Grenzen hinweg.

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Im zweiten Hauptkapitel „Transnationale Familien in Deutschland als Forschungsgegenstand“ werden Erkenntnisse über transnationale Familien, die überwiegend aus dem Ausland stammen, da es nahezu keine Erkenntnisse aus Deutschland vorliegen, vorgestellt. Der darauf folgende Exkurs über Migration in Deutschland wird zum einen im Hinblick auf die Auswahl der Interviewpartner geführt und soll verdeutlichen, dass Deutschland zu einem Einwanderungsland bzw. zu einer multikulturellen Gesellschaft geworden ist, in der es unter den heute gegebenen Umständen realitätsnäher erscheint, dass Migranten den Kontakt zu der Verwandtschaft im Ausland beibehalten bzw. sich transnationale Familien auch hier formieren können – eine Tatsache, die in der Migrationsforschung künftig bedacht werden muss, die bisher an den nationalstaatlichen Grenzen abbrechen zu scheint. Anschließend erfolgt die Herleitung der Hypothesen bezüglich transnationaler Familien, die Beschreibung der Vorgehensweise sowie die Methodik der Untersuchung und die Begründung für die Auswahl der Interviewpartner. Interviewpartner hierfür waren Menschen mit Migrationshintergrund, die über einen gewissen Zeitraum in Deutschland leben und eine binationale Partnerschaft führen, da unter anderem überprüft werden soll, ob sich von Deutschland ausgehend familiäre transnationale Sozialräume entwickeln. Das vierte Kapitel „Einblicke in das Leben von transnationalen Familien“ präsentiert die Ergebnisse der fünf Leitfadeninterviews im Rahmen von so genannten Einzelfallanalysen. Im fünften Kapitel erfolgt die fallübergreifende Überprüfung der Hypothesen, die im Groȕen und Ganzen zutreffend sind. Aus der Verifizierung der Hypothesen lassen sich hier zusätzlich vier analytischen Dimensionen von familiären transnationalen sozialen Räumen ableiten, die Tendenzen bezüglich der Entstehungsvoraussetzungen, Beständigkeit sowie die Modalitäten des transnationalen Familienlebens enthalten und skizziert werden. Abschließend wird auf Basis der Erkenntnisse sowie den theoretischen Konzepten diskutiert, ob transnationale Familien ein Symptom von Weltgesellschaft sind.

Weltgesellschaft als Resultat von Globalisierung und Transnationalisierung

Globalisierung scheint das Modewort des heutigen Zeitalters zu sein, dessen Gebrauch in unterschiedlicher Art und Weise für die Erklärung von Vorkommnissen in unserer Zeit herangezogen wird – kurzum: Globalisierung ist allgegenwärtig und dient zur Rechtfertigung nahezu jedes Problems. Dies ist teilweise auf die divergierenden Dimensionen von Globalisierung zurückzuführen, die nicht eindeutig voneinander abgegrenzt werden können, sich überschneiden oder beeinflussen. So setzt sich die aus dem Prozess der Globalisierung resultierende Einheit der Welt aus den disjunktiven Bereichen von Kultur, Politik und Wirtschaft zusammen, d. h. die sowohl voneinander getrennten als auch zueinander in Beziehung stehenden Bereiche bzw. Landschaften (die fünf Sphären kultureller Zirkulation: Ethnoscape, Mediascape, Technoscape, Financescape, Ideoscape) bewirken die Komposition einer Welt (Appadurai 2003: 33) – beziehungsweise symbolisieren diese den Globalisierungsprozess in seiner Gesamtheit. Nach Ulrich Beck setzt Globalisierung sich aus den folgenden sechs Dimensionen zusammen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit besitzen: Ökonomie, Ökologie, Ideologie, Kommunikation, Politik und Kultur (Beck 1997: 42). Im Hinblick auf die vorliegende Arbeit sowie der entstandenen Diskussion um Weltgesellschaft sollte ergänzend über eine siebte Dimension, die Gesellschaft, nachgedacht werden. Den einzigen gemeinsamen Nenner, auf den die einzelnen Dimensionen von Globalisierung gebracht werden können, ist die Umwandlung der zentralen These der Ersten Moderne der territorialen Gebundenheit oder anders formuliert: „in geschlossenen und gegeneinander abgrenzbaren Räumen von Nationalstaaten und ihnen entsprechenden Nationalgesellschaften zu leben und zu handeln“ (ebd.: 44). Die Herabsetzung des nationalstaatlichen Regulationsvermögens wird von vielen Globalisierungstheoretikern zum Anlass genommen, den Eintritt in ein neues Zeitalter sowie die Formierung einer Weltgesellschaft zu vermuten – dieser Formierungsprozess trägt je nach Perspektive der Wissenschaftler unterschiedliche Bezeichnungen wie beispielsweise Zweite Moderne (Ulrich Beck). Wie anhand der aufgeführten Globalisierungsdimensionen zu erkennen ist, ist Globalisierung ein weit gefasster Begriff, für den es bis jetzt keine einheitliche

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Definition gibt und der mindestens so kontrovers diskutiert wird wie die aus der Globalisierung resultierenden Folgen für die Welt. Um darzulegen, wie vielfältig Globalisierung verstanden werden kann, werden hier beispielhaft zwei unterschiedliche Definitionen angeführt: „Globalisierung: Schlagwortartige benutzte Bezeichnung für die weltweite Durchdringung der Märkte, vor allem bewirkt durch die wachsende Bedeutung der internationalen Finanzmärkte, den Welthandel und die intensive internationale Ausrichtung von (multinationalen) Unternehmen („Global Players“) und begünstigt durch neue Telekommunikationstechniken sowie Finanzinnovationen. Diskutiert wird unter anderem, inwieweit die Einflussmöglichkeiten einer nationalen (Wirtschafts-)Politik durch die Globalisierung eingeschränkt werden und welche Beschäftigungseffekte daraus erwachsen.“1

Im Kontrast zu der vom Brockhaus verwendeten Globalisierungsdefinition versteht Albrow unter Globalisierung folgendes: „All jene Prozesse, durch die die Völker der Welt in eine einzige Weltgesellschaft, die globale Gesellschaft, eingegliedert werden“ (zitiert nach Nederveen-Pieterse 1998: 87). Diese Arbeit fokussiert die so genannte kulturelle Globalisierung, die Resultat der Wechselwirkungen aller Dimensionen von Globalisierung ist. Selbst bezüglich der kulturellen Dimension konnte in der Wissenschaft bisher kein Konsens im Hinblick auf ihre Definition, ihre Wirkungsweise als homogener oder heterogener Prozess gefunden werden, sodass ihr letztendlich unter-schiedliche Einflussnahmen auf die Zukunft der Welt attestiert werden. Beck erstellte folgende Definition von kultureller Globalisierung, die er neutral im Hinblick auf die Wirkungsweise hält, indem er die Veränderungen anspricht ohne eine Zukunftsprognose abzugeben: „Kulturelle Globalisierung durchkreuzt die Gleichsetzung von Nationalstaat mit Nationalgesellschaften, indem transkulturelle Kommunikations- und Lebensformen, Zurechnungen, Verantwortlichkeiten, Selbst- und Fremdbilder von Gruppen und Individuen hergestellt werden bzw. aufeinander treffen“ (Beck 1997: 88-89).

Dieser veränderte Zustand bzw. die auf der Welt vorherrschende Mobilität bildet unter anderem die Basis für die Formation bzw. Lebensentwürfe so genannter transnationaler Familien. Hier zeigt sich, dass die weltumspannenden Triebkräfte der Globalisierung nicht nur ökonomische, ökologische wie politische Auswirkungen haben, sondern Einfluss nehmen auf die alltagsweltliche Lebenspraxis von Individuen. In dem Maȕe, wie Globalisierung voranschreitet und die Freisetzung von Individuen aus den althergebrachten Strukturen der Moderne bzw. aus denen des Nationalstaats bewirkt, beginnen Subjekte sich grenzüberschreitend zu orientieren, sodass gewissermaßen von der Globalisierung ‚von 1

www.lernen.bildung.hessen.de/glob_einf/gbei_01, „Was ist Globalisierung? – Versuch einer Definition“, Brockhaus Leipzig-Mannheim 1997, (19. Februar 2004).

WELTGESELLSCHAFT ALS RESULTAT VON GLOBALISIERUNG UND TRANSNATIONALISIERUNG | 17

oben‘ und der Transnationalisierung ‚von unten‘ gesprochen werden kann (Pries 2002: 11-13) bzw. von einem dialektischen Verhältnis zwischen Globalisierung und Transnationalisierung auszugehen ist.

Grundannahmen über den gegenwärtigen Zustand der Welt In diesem Abschnitt werden die Charakteristika der heutigen Welt, deren Zustand unter anderem durch das Schlagwort „globales Dorf“2 (Marshall McLuhan) veranschaulicht werden kann, beschrieben. „Sicherlich haben die elektromagnetischen Entdeckungen das simultane ‚Feld‘ in allen menschlichen Bereichen wieder entstehen lassen, sodass die Menschenfamilie jetzt unter den Bedingungen eines ‚globalen Dorfes‘ lebt. Wir leben in einem einzigen komprimierten Raum, der von Urwaldtrommeln widerhallt“ (McLuhan 1962: 39).

Die jeweiligen spezifischen Eigenschaften der Welt als singulärem Raum bilden den Ausgangspunkt für die Theorien bzw. Prozesse der (kulturellen) Globalisierung, die zusammengenommen die unterschiedliche Wahrnehmung, Interpretation sowie mögliche Erklärungsansätze dieses Zustandes (daraus resultierend auch die variierende Verortung in der Geschichte) einzelner Autoren widerspiegeln, die sich teilweise überschneiden. Das Bewusstsein der Menschen heute in einer einzigen Welt zu leben legt die Vermutung nahe, dass sich in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung und die Einflussnahme der Nationalstaaten auf die alltägliche Lebenswelt von Individuen, Transformationsprozessen unterliegen, sodass eine Theorie von überwiegend im Nationalstaat stattfindenden Vergesellschaftungsprozessen nicht mehr gültig zu sein scheint. Die in Bewegung geratene Welt verweist auf eine neue Bedeutung von beispielsweise der Örtlichkeit bzw. zeigt die Wandlung des Verhältnisses von Gesellschaft und Gemeinschaft an, in dem Gemeinschaft nicht zwingendermaȕen auf ein spezifisches Territorium fixiert sein muss. Dies erfordert ein Umdenken in der Forschung, da diese meistens an der klassischen Soziologie und dem Nationalstaat haftet. Sie erfasst nicht die transnationalen Räume, Lebensentwürfe oder Gemeinschaften, die quer zu den nationalstaatlichen Grenzen verlaufen, d.h. ihre territoriale Gebundenheit aufgegeben haben.

2

„Die digitalen Medien, die auf den Rechner-, Satelliten- und Kabelnetzwerken entstehen, werden genau wie ihre elektronischen Vorläufer den drei McLuhan’schen Kernsätzen unterworfen sein: Sie erweitern das sinnliche Wahrnehmungsvermögen, sie werden als Medien zu ihrer eigenen Botschaft, und sie definieren eine globale Gesellschaft, die sich von dem Ideal der Metropolen abwendet und virtuelle globale Dorfplätze schaffen mag – oder globale Slums“ (Coy 1995: XVIII).

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„Zum ersten Male dienen alle fünf Weltteile zugleich als Theater“ – (Luhmann 1975: 52-53) – im gegenwärtigen Zeitalter durchbricht der Interaktionsfluss von Waren, Menschen, Wissen, Kapital usw. trotz sprachlicher, politischer oder wirtschaftlicher Barrieren, unter Mithilfe der heutigen Technologie sämtliche Gesellschaftsgrenzen (ebd.: 52-53). Menschen haben heute eine gesteigerte Kenntnis vom Leben anderer und können sich aufgrund der durchgehenden ‚Verkehrszivilisation‘ (ebd.: 54) mit einer gewissen Eigeninitiative (Dazulernen) in fremden Ländern zurechtfinden. Gleichzeitig finden sie in fremden Ländern vertraute standardisierte Einrichtungen vor, sowie Produkte der globalen Kultur wieder, da diese überall auf der Welt angesiedelt sind und konsumiert werden können: McDonalds, Burger King, CNN, Hilton-Hotels, Coca Cola, Marlboro, Mickey Maus etc. – sie haben den Globus bis in die letzte Nische erobert. Mittlerweile ist der Konzern McDonalds Inhaber von 30.000 Filialen auf sechs Kontinenten und verköstigt täglich 46 Millionen Menschen (Spurlock 2005: 2). Die Tatsache, dass Produkte als kulturelle Waren überall auf der Welt erhältlich sind, sehen die Befürworter der homogenisierenden Wirkungsweise von Globalisierung als Indiz für das Verschmelzen aller Kulturen in eine einzige globale Kulturform. Dabei wird der Aspekt vernachlässigt, dass selbst Konzerne wie McDonalds aufgrund höherer Absatzzahlen sich an den Geschmacksvorlieben lokaler Kulturen orientieren. Die Produktpalette variiert nach landesspezifischen Unterschieden. Beispielsweise werden aufgrund von Glaubensvorschriften in Israel koschere Hamburger serviert und in Indien steht der Hammel-Maharaja-Mac auf der Menukarte (Breidenbach/Zukrigl 1999: 20). Globalisierung im 21. Jahrhundert kennzeichnet auch eine bisher nicht gekannte Mobilität, sodass sich heute neben Produkten, Informationen, Kapital und Wissen, Menschen aus diversen Motiven, sei es virtuell oder physisch, rund um den Globus bewegen können. Mit den technischen Möglichkeiten können nahezu mühelos Distanzen im Raum bzw. Grenzen überwunden werden (je nach den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen). Manager transnationaler Konzerne, die mittlerweile die einzelnen Produktionsschritte zur Fertigung von Produkten nach Kosten-Nutzen-Rechnungen und Effizienzkriterien in den ganzen Globus ausgelagert haben, jetten um die Welt. Im heutigen Zeitalter reisen Menschen nicht mehr ausschließlich des Berufes wegen, sondern wird zu einer ihrer Freizeitbeschäftigungen. Der Tourismus ist derzeit der größte Industriesektor der Welt mit einem Anteil von 11,7 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (der Welt)3, von acht Prozent des Weltexporteinkommens und acht Prozent der Beschäftigung. Nach Angaben der Welttourismusorganisation (UNWTO), die jährlich Tourismusstatistiken mit Daten aus über 180 Ländern veröffentlicht, gibt es zur Zeit jährlich 700 Millionen Auslandsreisende4 (täglich 4 Millionen), die bis zum Jahre 2010 auf 1 Milliarde ansteigen wird (Urry/Sheller 2004: 3). Dies ist nur ein 3 4

Gross Domestic Product (BIP/GPD). Im Jahre 1950 gab es nur 25 Millionen Auslandsreisende.

WELTGESELLSCHAFT ALS RESULTAT VON GLOBALISIERUNG UND TRANSNATIONALISIERUNG | 19

Beispiel für Begegnungen bzw. das Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen an einem Ort. Anzumerken ist, dass sich fremde Kulturen wechselseitig beeinflussen, wenn sie aufeinander treffen; dies gilt auch für Menschen, die Träger von spezifischen Kulturen sind, in den Ankunfts- wie Herkunftsländern. Lebensstile und kulturelle Produkte unterschiedlicher Menschengruppen (Kulturkreise), die sich aus diversen Gründen in fremden Ländern aufhalten, werden importiert sowie exportiert, sodass diese beispielsweise für die einen das Leben an einem Ort angenehmer gestalten, weil sie es ihrer Kultur entsprechend ausrichten können oder für die anderen exotischer gestalten, welches als Bereicherung empfunden oder als Bedrohung angesehen wird, da sie auf ihnen fremde Kulturgüter und Weltanschauungen stoßen. Hierdurch können eigenartige Vermischungen entstehen wie beispielsweise die Inszenierung von Shakespeares Henry IV. im Kabuki-Stil von Ariane Mounchine (Nederveen-Pieterse 1998: 113) oder es werden Abwehrhaltungen seitens der indigenen Bevölkerung provoziert. Während sich beispielsweise der Trend in Europa zu Tätowierungen und Piercings herauskristallisierte, funktionierten nigerianische Stammesoberhäupter im Gegenzug Ölsardinenbüchsen zu Haarschmuck um.5 Bei den Phänomenen der Vermischung können Widersprüchlichkeiten nicht ausgeschlossen werden. Die Bandbreite an Phänomenen, welche die kulturellen Austauschprozesse hervorbringen, ist nicht zu überschauen; sie erstrecken sich über den gesamten Globus bis zur letzten Nische. Es sollte nicht vergessen werden, dass Reisen in fremde Länder überwiegend ein westliches Privileg ist und dass selbst denjenigen, die nicht dieses Privileg besitzen, die Bilder und Warenbotschaften von Coca Cola, Marlboro, Bluejeans oder Mickey Maus aus der ganzen Welt via Fernsehen oder Internet empfangen – die Verkaufszahlen der Empfangsgeräte hat in den letzten Jahren jeweils die eine Milliarden-Marke überschritten (Urry/Sheller 2004: 3). Viele Menschen, die am Rande des Wohlstandsgefälles, das vom Süden nach Norden verläuft, ihr Leben fristen und die schillernden Botschaften von einem besseren Leben empfangen, kommen als Kriegsflüchtlinge, legale und illegale Einwanderer in den Westen (Norden) auf der Suche nach einer gesicherten Zukunft. Die Richtungsänderung der Routen von Migranten, vormals die Abwanderung in den schwach entwickelten Süden, heute die Abwanderung in den industrialisierten Norden, ist ein Indiz dafür, dass die Globalisierung das Auseinanderklaffen der Schere von Arm und Reich weiter vorantreibt. Im Jahre 1965 lebten 75 Millionen Menschen außerhalb ihres Herkunftslandes, 1990 belief sich die Zahl dieser Menschen auf 120 Millionen und erreichte im Jahre 2000 die 150 Millionen Grenze, nach Angaben des UN-Bevölkerungsfonds (Bauer et al 2003: 54). Im Verhältnis zum Anstieg der Weltbevölkerung pendelt sich die Zahl der Migranten nach dem Zwei5

Barley, Nigel: „Die Welt als Laufsteg – Mode und Identität“, in: Zeitschrift für Kulturaustausch (ifa) 4/02, http://www.ifa.de/zfk/themen/02_04_mode/dbarely/htm, vom 13. Februar 2004.

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ten Weltkrieg, trotz Richtungswechsel, um die zwei Prozent ein (ebd.: 54). Festzuhalten ist, dass die Routen der Migranten durch den technischen Fortschritt komplizierter geworden sind; das Schiff wurde für den Personentransport um das interkontinentale Transportmittel Flugzeug ergänzt (Pries 1998: 55-56). Der technische Fortschritt in Form von Telekommunikationsmedien garantiert den schnellen Informationsaustausch, ermöglicht eine höhere Kontaktintensität zu den ‚Daheimgebliebenen‘ über große Entfernungen und erleichtert den Migranten den Transfer ihrer Ersparnisse in die Herkunftsländer, welches ihnen im Heimatland einen hohen ökonomischen Stellenwert einräumt. Für ihre Herkunftsländer ist dieser Geldtransfer eine wichtige Einnahmequelle in Form von Devisen und sichert Emigranten dort gleichzeitig zum Teil ein ‚politisches Mitspracherecht‘; zu Beginn der neunziger Jahre wurde dieser Betrag auf 70 Milliarden US-Dollar geschätzt und wird sich laut Hochrechnungen innerhalb von zehn Jahren verdoppeln (ebd.: 54-55). Eine große Rolle für die qualitativ neue Situation spielen auch der Zusammenbruch der Sowjetunion sowie die Konflikte (vor allem kriegerische Auseinandersetzungen) in der Golfregion, die zusätzlich eine Ost-West-Wanderung indizieren. Globalisierung bringt neben den wirtschaftlichen Veränderungen in Verbindung mit dem technischen Fortschritt und der Verbreitung von Informationen für die Menschen und Gesellschaften neue Facetten hervor. Die enge Verbindung bzw. Verflechtung der Finanz- und Warenmärkte lässt neben neuen Zusammenhängen und Abhängigkeiten auch eine neue Mobilität der Menschen entstehen. Ob die in Bewegung geratene Welt bzw. das globale Dorf zu einem friedlicheren Ort geworden ist, liegt ganz im Auge des Betrachters. Die neuen globalen kulturellen Systeme gestalten die Welt interaktiver denn je (Appadurai 2003: 27). Die Interaktivität der fünf Weltteile sowie unterschiedlichen Interessen, die in ihr aufeinander treffen, der Grad technischer Möglichkeiten und dessen Ausmaß, lässt sich eindrucksvoll anhand des 20. Jubiläums der „Live 8-Konzerte“ skizzieren. Die Welt konnte am 2. Juli 2005 Zeuge des bisher größten globalen „OnlineLivemusik-Ereignis“ werden; initiiert von Bob Geldof und gesponsert von Medienkonzernen, traten über 100 namhafte Musiker unentgeltlich auf 10 Konzertbühnen in Tokio, Johannesburg, Berlin, Philadelphia, Paris, Rom, London, Moskau, Cornwall und Barrie zeitgleich auf.6 Ziel der Veranstaltung war es, mit internationalen Popikonen als Sprachrohr der Menschheit bzw. der „Global Community“ die Missstände in Afrika mit Kurzfilmen und Informationen während der Bühnenauftritte vor Augen zu führen, um die Menschheit mit dem Slogan „We don’t want your money – We only need your vote“ zu mobilisieren, sich für Afrikas Schuldenerlass einzusetzen. Des Weiteren gab es Appelle an das Publikum nach Edinburgh (Schottland) zu reisen, um an der Massendemonstration

6

www.aol.de/index.jsp?cid=1682650880&sg=Musik_special_Live8 (12. Juli 2005).

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während des G 8-Gipfels und dem Abschlusskonzert teilzunehmen.7 Das globale Medienspektakel sollte Druck auf die am G 8-Gipfel teilnehmenden Politiker der führenden Industrienationen in Schottland (Gleneagles) ausüben, auf deren Tagesordnung neben dem Klimaschutz der Schuldenerlass für Afrika stand. „Live 8“ als global-initiiertes Event ermöglicht durch den gezielten Einsatz der Vernetzung heutiger Kommunikations- wie Übertragungsmöglichkeiten und die Kooperationsbereitschaft renommierter Medienkonzerne, ließ die Welt ihre Einigkeit erfahren und ihr kollektives grenzüberschreitendes Wir-Gefühl bekunden. Die Bilanz des „Live 8-Ereignisses“ im Bezug auf die technischen Möglichkeiten sowie die Publikumszahlen sollen hier kurz stichpunktartig aufgelistet werden: Ɣ

Die Teilnehmerzahlen an den weltweiten Konzerten, deren Tickets zum Teil (in London) per Mobiltelefon über SMS-Kurznachrichten (Short Message Service) zum Preis von 2,25 ¼ je zwei Konzertkarten erworben werden konnten und als Spendengelder an die Welthungerhilfe überreicht wurden, beliefen sich auf 8: Berlin: 200.000, London: 200.000, Tokio: 20.0009, Barrie: 35.000, Moskau: 20.000, Philadelphia: 1.000.000, Rom: 50.00010, Paris: 100.00011 (www.faz.net 12. Juli 2005).

Die Konzerte wurden insgesamt von 140 Fernseh- und Rundfunkanstalten in die ganze Welt übertragen, sodass bei der bisher größten globalen Sendung 80 Prozent der Weltbevölkerung (5 Milliarden Menschen) die Chance hatte via Fernsehen, Radio, Internet oder Handy diesem Ereignis beizuwohnen.12 Der deutsche öffentlich-rechtliche Sender Phoenix beispielsweise erreichte an diesem Tag mit seiner elfstündigen Live-Übertragung einen Marktanteil von 2,5 Prozent (5 Millionen Zuschauer).13 Des Weiteren wurden folgende Rekorde durch und mit Unterstützung von multimedialer Technologie gebrochen: Ɣ

Auf der eigens für dieses Event eingerichteten Homepage live8live.com mit mehreren Sprachoptionen, die neben den Informationen über Afrika auch Daten zum „Line-Up“ der jeweiligen Konzerte zur Verfügung stellte und Handlungsaufforderungen enthielt, wurden mehr als 24 Millionen digitale Stimmen für die Petition an die G 8-Führer abgegeben.14

7

Kurzzeitig erwarteten Geldof und seine Mitstreiter die Teilnahme von über 1 Million Menschen; die tatsächliche Teilnehmerzahl an dem Protest belief sich auf 120.000 Menschen. www.faz.net (12. Juli 2005). www.dw-world.de/dw/article/0,1564,1606593,00.html, (12. Juli 2005). www.blick.ch/showbiz/artikel22640, (27. Juli 2005). ww.nachrichten.ch/detail/215762.htm, (27. Juli 2005). www.nachrichten.ch/detail/215762.htm, (27. Juli 2005). www.fraktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/aus_aller_welt/ (12. Juli 2005). www.presseportal.de/story.htx?nr=697911&search=live8, (12. Juli 2005). www.aol.com, (12. Juli 2005).

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Ɣ Das Medienkonglomerat AOL (America Online) stellte im Internet fünf kostenlose Live-Streams zur Verfügung, bei dem die Zuschauer via Internet selbst per Mausklick entscheiden konnten, welchen Auftritt, von welchem Star auf der Welt sie live verfolgen wollten. Während des globalen Konzerts klickten sich gleichzeitig 175.000 Benutzer durch den globalen Live-Stream, der am Ende des Tages von insgesamt 5 Millionen Menschen beansprucht wurde.15 Ɣ Für die Sammlung von Spendengeldern spielten U2-Frontmann Bono Vox zusammen mit Paul McCartney und einer Orchesterbegleitung, dirigiert von Sir George Martin, das Lied der Beatles „Sgt. Pepper’s Lonely Heart Club Band“ als Eröffnungssong im Londoner Hyde Park, welches binnen vierzig Minuten, nach der Aufzeichnung überbearbeitet wurde und bei mehr als 200 Online-Musikshops in 30 Ländern den Fans und Unterstützern der Aktion „Live 8“ zum Download bereitgestellt wurde. Der Erlös aus den Verkäufen wurde von Universal Music und den teilnehmenden Download-Shops an „Live 8“ übergeben.16 Wie das gesamte Technikaufgebot erahnen lässt, war die Teilnahme an dem globalen Event, mit Ausnahme von Johannesburg, sowie der Stimmabgabe mit multimedialer Technologie Menschen der westlichen Zivilisation vorbehalten. Die Menschen, denen ihre Wohltätigkeit galt, wurden nicht gehört, bis auf einige in der Presse kaum bemerkten kritischen Stimmen, wie beispielsweise von Nicky Oppenheimer, Chairman des südafrikanischen Diamantenkonzerns De Beers, der sich selbst als Afrikaner der dritten Generation bezeichnet. Er ist der Auffassung, dass die Entwicklungshilfe für Afrika die Abhängigkeit erhöhe, die Korruption fördere und er bezeichnete diese Maßnahmen als Gewissensberuhigung der westlichen Nationen. „Oppenheimer sagt, man könne den Eindruck gewinnen, die westlichen Regierungen seien nicht ernsthaft an einer Lösung für Afrika interessiert: Entwicklungshilfe kostet nur Geld. Aber wirkliche Lösungen, wie die Kürzung heimischer Agrarsubventionen, die Afrikas Bauern verarmen lassen, oder eine Senkung der Zölle und Handelsbarrieren, die Afrikas Unternehmen bestrafen, kosteten die westlichen Regierungen Wählerstimmen.“17 Der in Schottland durchgeführte G 8-Gipfel wurde von einem Terroranschlag islamistischer Fundamentalisten in der Londoner U-Bahn sowie einem Bus überschattet, sodass die Welt ihren Fokus auf diese Ereignisse verschob. Am Vormittag des 07. Juli 2005 detonierten in der Londoner U-Bahn und der Buslinie 30 am Travistock Square vier Rohrbomben.18 Die Opferzahlen belaufen sich mittlerweile auf 56 Tote und 700 Verletzte. Kurze Zeit nach den Anschlägen tauchte ein 15 www.nytimes.com/reuters/arts/entertainement-music.html?, (12. Juli 2005). 16 www.presseportal.de/story.htx?nr=697353&search=live8, (12. Juli 2005). www.ny times.com/reuters/arts/entertainement-music.html?, (12. Juli 2005). 17 FAZ „De Beers kritisiert Geldofs Medienspektakel“ 05.07.2005, Nr. 153, Seite 12. 18 „Terrorfahndung- wie die Spurensucher auf Hasib Hussain stießen“, (26. Juli 2005).

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Bekennerschreiben einer Al-Qaida nahen Terrororganisation „Brigaden des Abu Hafs al Masri“ in einem islamistischen Internetforum auf, mit der Androhung von weiteren Anschlägen, die am 21. Juli 2005 folgen sollten und ähnliche Opferzahlen gefordert hätten; glücklicherweise explodierte der verwendete Sprengstoff nicht.19 Die befürchtniserregende Erkenntnis kam nach der Identifizierung der Attentäter vom 7. Juli 2005, drei der vier Attentäter im Alter von 18 bis 30 Jahren, waren Briten mit pakistanischer Abstammung und lebten seit ihrer Geburt unter den 1,7 Millionen Muslimen im Großraum London bzw. im Norden Englands in der sozial schwachen Stadt Leeds.20 Der vierte Attentäter war jamaikanischer Herkunft. Keiner von ihnen war polizeilich bekannt; sie lebten ein der Stadt entsprechendes durchschnittliches Leben – das einzige auffällige Detail war, dass die Männer in den Jahren zuvor Reisen in das Heimatland ihrer Eltern unternommen hatten, an und für sich nichts Verwerfliches.21 Die Analyse des Sprengstoffs vom 7. Juli 2005 bewies, dass dieser kein selbst gebastelter aus einer Internetanleitung war, sondern professionell hergestellter, den die Al-Qaida verwendet – in der ägyptischen Hauptstadt Kairo wurde der 33-jährige Magdi Naschar, der zuvor aus Leeds geflohene Chemiedozent, festgenommen.22 Die seit dem 11. September 2001 durchgeführten Anschläge islamischer Terrororganisation, sind die Weiterführung des von Osama Bin Laden ausgerufenen Heiligen Krieges, der im Grunde genommen in seiner Undurchsichtigkeit und Organisation sich dieselben Technologien und Kommunikationsmöglichkeiten zunutze macht, Netzwerkstrukturen ausgebildet und die heute auf der Welt gegebenen Möglichkeiten für seine Zwecke instrumentalisiert. Dies ist ein Beispiel für das von Benjamin Barber entwickelte Konzept „Jihad versus McWorld“23, dem Aufbegehren der islamistischen Welt gegen die vereinheitlichenden Wirkungsmuster des McWorlds bzw. des Westens. Festzuhalten bleibt, dass nahezu jeder, dem die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen, sich diesen neuen Zustand der Welt zunutze machen kann, egal zu welchem persönlichen Zweck – beispielsweise kommt eine Kompression von Raum und Zeit auch Familien entgegen, deren Mitglieder über verschiedenen Kontinenten verteilt leben. Sie könnten die Distanzen im Raum mittels Transport- und Kommunikationstechnologien überbrücken, näher zusammenrücken bzw. ihre familiäre Einheit aufrechterhalten. Der beschriebene Zustand der Welt, deutet darauf hin, dass Menschen nicht mehr fest in ihrem Nationalstaat verwurzelt sind, sondern sich Bezugspunkte auf 19 www.sueddeutsche.de/ausland/artikel/307/56251/print.html „Attacke auf London Polizei: Mindestens 33 Tote bei Anschlägen“, www.faz.net „Terror in London – Identifizierte Terroristen sollen Somalier sein“, ( 26. Juli 2005). 20 ww.diezeit.de „Die Macher der Hassschulen – 30/2005“, (26. Juli 2005). 21 ww.diezeit.de „Die Macht der Hassschulen- 30/2005“, (26. Juli 2005). 22 ww.sueddeutsche.de/ausland/artikel/852/56796/print.html „Kairo Bombenbauer von London offenbar gefasst“, (26. Juli 2005). 23 Originaltitel der deutschen Übersetzung ‚Coca Cola und der Heilige Krieg‘.

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der gesamten Welt suchen. Andere Phänomene, die für den gegenwärtigen Zustand als charakteristisch bezeichnet werden können, sind zum einen das Auftauchen von neuen Lebensentwürfen, die hybride oder kreolisierte Identitäten bzw. kulturelle Produkte, die Kennzeichen verschiedener Kulturen tragen oder zum anderen die Wiederentdeckung von Sprachen und Kulturen, von denen man dachte sie seien ausgestorben.

Der Machtverlust der Nationalstaaten – Eintritt in ein neues Zeitalter? Die modernen Nationalstaaten entstanden aus den Folgen der Französischen Revolution; die Macht von Gottesgnaden (Könige) wurde an einen souveränen Staat übertragen, der sich zum einen der Sicherung der Freiheit und zum anderen der Durchsetzung der bürgerlichen Rechte und Pflichten widmen sollte. Während der Moderne stellten die Nationalstaaten für ihre Bürger die höchste territoriale Einheit, die sich aus dem feudalistischen Herrschaftssystem entwickelten, dar (Leibfried/Zürn 2006a: 20). Der gegenwärtige Bezugsrahmen für Individuen, egal in welchem Land sie leben, ist, wie bereits an dem vorherigen Abschnitt zu erkennen, die ganze Welt bzw. die Globalität – sie wissen, „dass Identität sich nicht in einem nationalen Rahmen definiert und dass das Schicksal jedes Einzelnen an globale Bedingungen geknüpft ist“ (Albrow 1998: 251). Die wachsende Komplexität der unterschiedlichen Bereiche wie beispielsweise Wirtschaft, Wissenschaft, Religion, Kultur usw. wirken auch auf menschliche Interaktionsformen. Dies stellt den Nationalstaat derzeitig vor eine neue Herausforderung (Leibfried/Zürn 2006a: 36). „Um in einer solchen Umwelt erfolgreich zu sein, muss der Staat seine hierarchische und patriarchalische Struktur transformieren und politische Verantwortung mit privaten und zivilgesellschaftlichen Akteuren teilen. Mag der Staat auch noch immer einen großen regulatorischen Schatten auf viele solcher Aktivitäten werfen, mag er seine Reichweite in manchen Bereichen sogar ausdehnen, so braucht er heute hierfür die Unterstützung privater Akteure (Leibfried/Zürn 2006a: 36).

Aus historischer Perspektive betrachtet, erfolgte diese Entwicklung schrittweise mit der Verbreitung des Nationalstaats als institutionalisierte Vergesellschaftungsform und der aufgrund des technischen Fortschritts intensivierten wechselseitigen Abhängigkeiten mit anderen Nationalstaaten in Form von Militärbündnissen, Handelsbeziehungen, politischen Absprachen usw., die verstärkt in standardisierte Bahnen gelenkt wurden. Die Intensivierung dieser Abhängigkeiten zeigte sich in der Vergangenheit in der so genannten Internationalisierung hin bis zum heutigen Ausmaß: der Globalisierung. Der Nationalstaat verliert seine Stärke als kultureller Machtcontainer in dem Maȕe, in dem er sich zwecks Selbsterhaltung und „Versorgung“ seiner Bevölkerung in wechselseitige Abhän-

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gigkeitsverhältnisse begibt. Mit Voranschreiten der Zeit entwickelte sich ein komplexes globales System, das nicht aus bilateralen Beziehungsgefügen besteht, sondern multilateral und transnational ist. Regierungen werden aufgrund gegenseitiger Abhängigkeiten in den unterschiedlichen Bereichen in eine Halbautonomie gepresst (Albrow 1998a: 420). Heute durchbrechen die Kräfte der Globalisierung die Mauern des „kulturellen Machtcontainers“ Nationalstaat, der einen Drahtseilakt zwischen der Offenhaltung und Geschlossenheit seiner Grenzen vollführen muss. „Territorial begrenzte politische Einheiten müssen andere, gleichartige Einheiten als souveräne Staaten anerkennen wie von diesen selbst anerkannt sein“ (Leibfried/ Zürn: 2006a: 34). Dies entscheidet über den Wohlstand seiner Gesellschaft, da dieser eng gekoppelt ist an die Anschlussfähigkeit des Nationalstaats an globale Kreisläufe bei der gleichzeitigen Notwendigkeit, seine innere Homogenität, die seine Souveränität sowie Stabilität sichert, aufrechtzuerhalten (Appadurai 2003: 41-42).

Das Individuum im kulturellen Machtcontainer Nationalstaat Eine zentrale Funktion des Nationalstaats ist unter anderem, im Inneren eine homogene nationale Kultur und damit seine Staatsbürger zu „produzieren“ sowie eindeutige Abgrenzungen zu anderen Nationalstaaten und deren Kultur vorzunehmen. Innerhalb des Mechanismus für die Schaffung der Nationalkultur liegt die Basis für das Aufkommen des Nationalismus, resultierend aus den „neuen“ Vergleichsmöglichkeiten mit anderen territorial abgegrenzten Kulturformen. Anzumerken ist, dass im folgenden Abschnitt der Nationalstaat im Bezug auf die Nationalkultur fokussiert und als idealtypisches Konstrukt behandelt wird. „In soziologischer Weise lässt sich sagen, dass der Raum, innerhalb dessen sich gesellschaftliche Transaktionen und Interaktionen vollziehen, mit dem Raum identisch sein muss, den die jeweilige Gesellschaft politisch reguliert. Solange Post und Telekommunikation, Umweltverschmutzung oder die kulturellen Erzeugnisse innerhalb nationaler Grenzen verblieben – Nationalstaaten also in sich geschlossene Machtsphären bzw. in den Worten von John A. Hall ‚complete power containers’ (2003: 15) darstellten – so lange konnten sie allein und unilateral durch nationale Maßnahmen gesteuert werden (Leibfried/Zürn 2006a: 35).

Bedingung für die Anwendung der so genannten „Containertheorie“24, in deren Kern sich eine homogene Kultur befindet, ist die Herrschaft des Staates über den Raum. Moderne Gesellschaften, die in dem territorial abgrenzbaren Raum, dem Staat, leben, waren diesem untergeordnet. Die Ausübung der Politik liegt in staatlicher Hand, da moderne Gesellschaften „ihrem Begriff nach Unpolitische 24 Eingrenzung menschlicher Vergesellschaftung auf ein spezifisches national-staatliches Territorium.

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sind“ (Beck 1997: 50). Das Politische ist mit dem Staat verbunden, denen die Gesellschaft durch die ordnende Funktion des Staates Untertan ist (ebd.: 50) – „Gesellschaftsordnung meint Staatsordnung“ (ebd.: 49). Die Mitglieder einer Nationalgesellschaft leben in der vom Staat konstruierten Hülle bzw. einem Container, dessen Teilbereiche durch die nationale Kultur zusammengehalten werden (Albrow 1998: 82). Der Innenraum von Nationalstaaten ist unterteilbar nach kollektiven Identitäten (Klassen, Stände, religiöse und ethnische Gruppen, abgrenzbare Lebensformen von Männern und Frauen) sowie nach Systemen (Wirtschaft, Politik, Recht, Wissenschaft, Familie usw.). Die innere Homogenität der Nationalstaaten wird durch die Regelung aller sozialer Praktiken (Produktion, Kultur, Sprache, Arbeitsmarkt, Kapital, Ausbildung) erzeugt (Beck 1997: 48-52). „In jener Gesellschaft unterlagen soziale Beziehungen einer funktionalen Definition, die das Soziale ausklammerte. Solche Beziehungen wurden durch Geschäfte, Verträge, politische Macht, Vollmachten, Ehen und so weiter geregelt. Sie beruhten auf institutionellen und vor allem rechtlichen Definitionen, während ihre übrigen Bestandteile als zufällige individuelle Beigaben galten, die einen begrenzten Freiraum für Vorlieben und Emotionen zuließen“ (Albrow 1998: 254).25

Der Begriff der Nation wird wie folgt definiert: Eine Nation ist eine große Bevölkerungsgruppe, die sich durch gemeinsame Sprache, Herkunft, Wohngebiet, Religion, territoriale Grenzen, ethnische Zugehörigkeit und gemeinsame Wertvorstellungen definiert (Reinhold et al 2000: 459). „Sie ist eine vorgestellte politische Gemeinschaft – vorgestellt als begrenzt und souverän. Vorgestellt ist sie deswegen, weil die Mitglieder selbst der kleinsten Nation die meisten anderen niemals kennen, ihnen begegnen oder auch nur von ihnen hören werden, aber im Kopf eines jeden die Vorstellung ihrer Gemeinschaft existiert“ (Anderson 1993: 15). Kurzum der Staat bzw. die Nation wurde als geschlossenes Handlungssystem konzipiert, dessen dynamische Entwicklung sich zum einen aus dem expansionistischen Bestreben der Moderne, der vorherrschenden Überzeugung endloser Ressourcen sowie der permanent steigenden Rationalität, speiste und zum anderen die Fähigkeit besaß, die Alltagswelt seiner Staatsbürger zu kolonisieren (Albrow 1998: 60, 85). Die „Ordnung“ des Alltags steht in engem Zusammenhang mit der Produktion der homogen konzipierten Nationalkultur. Menschen, die in eine Nation hineingeboren wurden, sind nicht nur deren Bürger, sondern sie werden automatisch Teil ihrer Idee, da die nationale Kultur Hauptquelle ihrer kulturellen Identität ist. Aus dieser Betrachtungsweise ergibt sich, dass Nationen ein System ‚kultureller 25 „Aber die Moderne brach unter dem Widerstreit der Extreme nicht zusammen. Ihr zentrales Organ, der Nationalstaat, schaffte es, gleichartige und entgegengesetzte Tendenzen zu fördern und miteinander zu kombinieren“ (Albrow 1998: 67).

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Repräsentationen‘ sind und nicht nur rein politisch definiert werden können. Sie sind ein Phänomen der Moderne, auf die die Identifikation sowie Untertanentreue mit dem Stamm, dem Volk, der Region oder Religion der vormodernen Zeit übertragen wurde. Mit der Herausbildung der Nation wurden neue Standards bezüglich des Lesens, des Schreibens und der Sprache gesetzt, die ein einheitliches Kommunikationsmedium entstehen ließen – treibende Kraft waren unter anderem kapitalistische Wirtschaftssysteme, auf der Suche nach größeren Absatzmärkten beispielsweise für die zuvor auf Latein verfassten Bücher, die nur die Eliten lesen konnten. Für diesen Zweck wurden verwandte Umgangssprachen in mechanisch reproduzierbare Schriftsprachen zusammengefasst, die auf drei verschiedene Weisen das Nationalbewusstsein prägen konnten: Erstens die Schaffung einer einheitlichen Verständigungsbasis; zweitens: „verlieh der Buchmarkt der Sprache eine neue Fixierung, die auf lange Sicht jenes Bild vergangener Zeiten zu errichten verhalf, das für die subjektive Vorstellung der Nation von zentraler Bedeutung ist [...] und drittens schuf der Buchmarkt neue ‚Machtsprachen‘, die sich von den Verwaltungssprachen grundlegend unterschieden“ (Anderson 1993: 51-52). „Gerade weil der Kapitalismus keine politische, sondern eine ökonomische Ordnung bildet, hat er als derart grundlegender Globalisierungseinfluss gewirkt. Es ist ihm gelungen, in weit entfernte Gebiete der Welt einzudringen, die von den jeweiligen Herkunftsstaaten nicht ganz unter ihren politischen Einfluss gebracht werden konnten“ (Giddens 1996: 91).

Die Herausbildung der Nationalkultur ebnete den Weg in die Industrialisierung bis hin zur Moderne (Hall 2002: 199-201). Obwohl kulturelle bzw. nationale Identitäten keine genetische Verankerung haben, verhalten sie sich als Teil der Natur, also als wären sie von Geburt an vorhanden, da Menschen in dieses spezielle kulturelle Repräsentationssystem (ihrer Nation) hineingeboren werden, es sich mit ihnen entwickelt und von ihnen durch die Sozialisation internalisiert wird. Das interaktiv aufgefasste soziologische Subjekt ist in Gruppenprozesse eingebunden, die es durch ihre Projektionen bzw. Kommunikation (mit anderen Staatsbürgern) prägen. In dieser Konzeption besitzt das Subjekt zwar einen inneren Kern, aber im Gegensatz zu dem Subjekt der Aufklärung26 ist dieser nicht 26 Eingeleitet wurde diese Wahrnehmung des souveränen Individuums, von der modernen Philosophie zwischen dem Renaissance-Humanismus (16. Jahrhundert) und der Aufklärung (18. Jahrhundert), als deren Begründer René Descartes (1596-1650) bezeichnet wurde. Bevor die Betrachtungsweise als souveränes, rationales Subjekt zu-stande kam, wurden die Identität und ihre Einheitlichkeit als gottgegeben betrachtet, deren Veränderung somit außer Frage stand. Die Veränderung dieser Sichtweise stellte einen Bruch mit der Vergangenheit dar, der den Weg für die Moderne ebnete und das Individuum aus seiner stabilen Verankerung befreite. René Descartes differ-enzierte zwischen zwei Substanzen, der „räumlichen Substanz der Materie“ und der Substanz des Denkens bzw. des Geistes, in deren Konzeption das

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autonom, sondern wird durch Werte, Symbole sowie Bedeutungen „der Anderen“ (Bürger) beeinflusst. Daraus resultiert, dass die Identität eines Individuums bei der Interaktion zwischen dem „wirklichen Ich“ und der Gesellschaft gebildet wird. Die Identität des Individuums dient als eine Art Brückenfunktion zwischen der öffentlichen und der persönlichen Welt, d. h. die Identität „verklammert das Subjekt mit der Struktur“ (ebd.: 182). Dadurch, dass sich das Individuum durch die Augen der „Anderen“ wahrnahm (H. G. Mead – „Me and I“ und C. H. Cooley „Looking-Glass-Self“) und seine kulturelle/nationale Identität aus dem Projiziertem gebildet wurde, fand eine Internalisierung der äußeren bzw. öffentlichen Welt statt, welches zu seiner Stabilität d. h. kohärenten Identität beitrug (ebd.: 181-183). „Je mehr sich die Welt zu Weltgesellschaft öffnet, das Fernliegende zum Nahen, das Unverbundene zum Verbundenen wird, desto mehr kommt das Verdrängte wieder zu seinem Recht, und zwar nicht nur – wie man gelegentlich meint – als wiedererscheinende Vergangenheit, sondern als Fortschritt eigener Art: Weltoffenheit schafft erst und bestärkt ethnische und nationale Identitäten, universalistische Moral bringt partikulare Kulturen hervor“ (Hondrich 2001: 114). Stuart Hall spricht von fünf grundlegenden Elementen, die zu einer Vorstellung von Nationalkultur beitragen, die nationale Identität mitprägen und dahingehend relevant sind, dass diese territorial verankerte Identität als ein integraler Bestandteil der heutigen kulturellen Identität bis zu einem gewissen Grad erhalten bleibt. Abbildung 1: Fünf konstitutive Elemente der Nationalkultur nach Stuart Hall Nationalkultur Erzählung der Nation Geschichte der Nation Erfindung von Tradition Gründungsmythos Reines Volk

Das ERSTE ELEMENT, welches von Hall lokalisiert wird, ist die Erzählung der Nation. Sie ist in der Alltagswirklichkeit in Form von Nationalgeschichten verankert, die von der Literatur, den Medien und der Alltagskultur überliefert werden. Diese stellen eine Beziehung zwischen den Individuen her, die in einem NaSubjekt mit Ver-nunft und Handlungsfähigkeit ausgestattet war (Hall 2002: 188189) – gemäß René Descartes Parole: „Cogito, ergum sum – Ich denke, also bin ich“ (ebd.:189).

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tionalstaat leben und deren geschichtlichen Ereignissen sowie Erfahrungen eine gemeinschaftliche Basis bilden. Geschichtliche Ereignisse in diesem Sinne können Siege oder Niederlagen aber auch Vorstellungen, Symbole, Rituale, Bedeutungen, Landschaften und Szenarien sein, denen eine Bedeutung für die Nation zugeschrieben wird. Die Mitglieder der Nation, als vorgestellte Gemeinschaft, nehmen aktiv an der Erzählung der Nation teil, was ihnen Sicherheit und Bedeutung bietet, sowie gleichzeitig eine Verbundenheit suggeriert. Das ZWEITE ELEMENT, das die Konzeption einer Nationalkultur unterstützt, ist die Geschichte der Nation, die zeitlos zu sein scheint und die bei Bedarf wieder auflebt. Der Wesensgehalt des Nationalcharakters bleibt derselbe, auch wenn die Geschichte voranschreitet. Das DRITTE ELEMENT bildet die Tradition, die manchmal erfunden ist und den Umgang der Individuen mit der Vergangenheit sowie einen gewissen Zusammenhalt fördert. Als VIERTEN PUNKT weist Hall den Gründungsmythos an. Dieser erweist sich oft als mystisch, da ihm keine eindeutige Entstehungsgeschichte und kein fixer Zeitpunkt zugeordnet werden kann. Einen weiteren Punkt bei Hall (das FÜNFTE ELEMENT) stellt die Rückbesinnung auf das ‚reine ursprüngliche Volk‘ dar, vor allem in Zeiten einer Krise, um teilweise das Volk zu mobilisieren oder um Ausgrenzungsmechanismen für andere Identitäten zu schaffen (ebd.: 201-204). Fraglich ist, ob nationale Identitäten immer so homogen waren, wie sie gedacht wurden. Nationale Identitäten sind die Verbindung zwischen dem politischen Nationalstaat und der Identifikation mit dem kulturellen Bedeutungssystem einer Nation, die unter einem einzigen politischen Mantel vereinigt wurden; demnach eine Ausrichtung nach innen hatte. Die Identität und die Bezugspunkte für ein Subjekt befinden sich innerhalb des ‚Systems Nationalstaat‘, d. h. die Subjekte hatten eine starke Bindung zu ihrer Herkunft bzw. stellt heutzutage die Kultur neben der Familie eine an dem Individuum haftende Herkunftsbindung dar (vgl. Hondrich 1996). Im Allgemeinen strebt Nationalkultur, die deckungsgleich mit ihrem Territorium ist, nach einer Vereinheitlichung der mannigfaltigen kulturellen Identitäten, die innerhalb des staatlichen Territoriums leben, um die Funktionsweise seiner Gesellschaft zu stabilisieren und möglichen Spannungen auszuweichen (vgl. zusammenfassend Hall 2002). Ein Rückblick auf die Geschichte verdeutlicht, dass einer einheitlichen Kultur meistens eine gewaltsame Eroberung sowie Unterdrückung kultureller Unterschiede (ethnische Minderheiten) vorausgegangen ist. Die Subsumtion kultureller Identitäten unter eine einzige nationale Kultur wurde durch das damals vorherrschende bzw. universalistische Kulturverständnis legitimiert. Vertreter dieser Erscheinungsform wiesen der Kultur einer menschlichen Gruppe einen Platz auf der Leiter des Fortschritts zu, sodass Kulturen hierarchisierbar wurden. Die Skala reichte von dem Zustand der Wildheit über die Barbarei bis hin zur Zivilisation. Diese Auffassung von Kultur als Kategorisierungssystem diente als Rechtfertigung für die Kolonisierung/Imperialismus und den Rassismus; (Kultur verstanden in diesem Sinne, wird zum Teil der Überlebensstrategie) (Wieviorka 2003:

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23). Die Rechfertigung der Ausbeutung der untergeordneten „minderwertigen“ Kulturen basierte auf der Überzeugung, dass diese einerseits nur von unten zur Stufe der Moderne dazu stoßen konnten und andererseits, weil die Herrschenden ihnen eine bessere Kultur boten, die sie selbst nicht hatten (ebd.: 23). Kontrast zu dieser universalistischen Perspektive bildet die relativistische Auffassung, die vor allem von Edward Sapir, Ruth Benedict, Margret Mead und Ralph Linton vertreten wurde. Der kulturelle Relativismus erkennt an, dass Kultur aus einem Pool unvergleichbarer Elemente besteht und schreibt ihr keinen Absoluts- sowie Richtigkeitsanspruch zu. Diese Theorie von Kultur bezieht die Möglichkeit ein, dass Sachverhalte des Lebens unterschiedlich geregelt werden können, weil sie beispielsweise eine andere Funktion oder einen anderen Stellenwert in diesem Kreis haben. Die Vertreter des relativistischen Kulturbegriffs demonstrieren gegen den universellen Charakter der Kultur, welcher immer nur die Absichten der Herrschenden widerspiegeln, die weiß, männlich und westlich sind (ebd.: 24). Folglich impliziert das lange Zeit vorherrschende universalistische Kulturverständnis im Zusammenhang mit der territorialen Expansion der modernen Nationalstaaten, dass alle modernen Nationen kulturell hybrid sein müssen – nationale Kulturen erscheinen homogen, sind von inneren Spannungen und kulturellen Differenzen geprägt, weil sie durch Machtausübung der dominierenden Nationalkultur angeglichen werden. Erst wenn die „unterdrückten Minderheiten“ ihre Vergangenheit, d. h. ihre eigene Kultur bzw. Geschichte vergessen, wäre eine Einheitlichkeit gegeben (Hall 2002: 207-208). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Modernisierung wie Globalisierung verstanden als Prozesse gesellschaftlichen Wandels, mit dem Zusammenwirken verschiedener Komponenten, unter anderem der technischen Revolution und der damit einhergehenden Raum-Zeit-Verdichtung, das aus der Moderne stammende Konzept des Nationalstaats als institutionalisierte Form der Vergesellschaftung herausfordern. Da diese das Bewusstsein der Menschen förderten in einer einzigen Welt zu leben und den Bewegungsradius von Menschen ausweiten. „Der begriffliche Rahmen, der Ideen wie Volk, Nation, Gesellschaft, Staat und Regierung auf ein zufälliges Territorium eingrenzten, entsprach einer spezifischen geschichtlichen Periode“: der Moderne (Albrow 1998: 260). Aus heutiger Sicht wirken die althergebrachten Begriffe, mit denen der moderne Nationalstaat sein Volk an sich kettete und auf sein Territorium begrenzte, willkürlich. In diesem Zusammenhang spricht Michael Zürn von der sogenannten Denationalisierung. Bezogen auf die Gesellschaft bedeutet dies die Aufhebung der Kongruenz von sozialem und politischem Raum (Zürn 1998: 10). De-nationalisierung kann angenommen werden, wenn Handlungszusammenhänge (wirtschaftlich, gesellschaftlich) über das vom Staat definierte Territorium hinausreichen. „Genauso wie die Ausdehnung sozialer Räume im 19. Jahrhundert zur Auflösung dörflicher Gemeinschaften (gleichsam zur Nationalisierung) geführt hat, überschreiten die verdichteten Handlungszusammenhänge spätestens seit den

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siebziger Jahren dieses Jahrhunderts in beschleunigter Form die nationalen Grenzen“ (Zürn 1998: 13-14)27.

Zur Revision nationalstaatlicher Konzepte in der flüchtigen Moderne Globalisierung als Konzept verweist auf einen langwierigen Entwicklungsprozess, welcher zur Kompression der Welt, der relativ „neuen“ Idee von der Strukturiertheit der Welt als EINE Welt bzw. die Intensivierung des Bewusstseins in der Welt als globalem Ganzen zu leben – im Konkreten das Bewusstsein von globalen Abhängigkeiten im 20. Jahrhundert (Robertson 1992: 8). Dies impliziert das die höchste territoriale Einheit für Individuen, nicht wie in der ersten Moderne der Nationalstaat ist, sondern die Welt, in der folglich andere Bezugspunkte gelten, da sie (die Welt) nicht als ein Mosaik von Nationalstaaten wahrgenommen wird, sondern als Verflechtungszusammenhang zwischen Wirtschaft, Politik, Märkten, Militär usw. Ein multidimensionales bzw. multikausales Bild einer flüchtigen Moderne, in dem der Nationalstaat als Teilsystem des globalen Wirkungsgefüges agieren muss, entwerfen zum einen Anthony Giddens, der seinen Fokus auf das Verhältnis zwischen Menschen und Systemen richtet und zum anderen Roland Robertson, dessen Perspektive sich an der Position von Individuen orientiert. Beide sollen hier verkürzt dargestellt werden, um darlegen zu können, aus welchem Grund die nationalstaatlichen Konzepte der Ortsgebundenheit und damit die Fesselung der Kultur an das Territorium, nicht mehr zutreffen und ihre Konfiguration Anzeichen für den Eintritt in ein neues Zeitalter liefern. Anhand der beiden Entwürfe wird sichtbar, dass der Nationalstaat durch den Strudel globaler Kräfte als Teilsystem in der globalen Ordnung fungiert. Des Weiteren wird Scott Lash angeführt, da er die Reflexivität, die Giddens und Robertson annehmen weiter spezifiziert. Vorgreifend und ergänzend wird die Terminologie der beiden Phasen der Moderne von Baumann rekurriert, um den Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart nachzeichnen zu können. Ausgangspunkt für das Zusammenschrumpfen der Welt ist die europäische Zivilisation, die ersten Kontakte verschiedener Völker und den stetig gestiegenen Austauschbeziehungen, deren Intensität an den technischen Fortschritt gekoppelt war (Robertson 1992: 58-60), welcher auch zur Transformation von Raum-ZeitStrukturen beitrug. Da bis zu einem gewissen Grad die Kultur einer Gesellschaft Korrelat ihrer Interaktionen mit anderen Gesellschaften ist, müsste der Prozess der Globalisierung älter sein als die Modernisierung und der Kapitalismus, wobei

27 Zürn regt an den Begriff der Denationalisierung dem der Globalisierung vorzuziehen, da „sich viele grenzüberschreitende Austausch- und Produktionsprozesse sowohl territorial hinsichtlich der Reichweite als auch hinsichtlich der beteiligten Akteure in den letzten zwei Jahrzehnten signifikant ausgeweitet haben, sind die meisten weit von der Globalität entfernt“ (Zürn 1998: 16).

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die Modernisierung im Allgemeinen als Beschleunigungsprozess von Globalisierung angesehen werden kann (ebd.: 58-60). „Ideen von Globalität, Globalismus und weltgesellschaftlicher Vernetzung können relativ leicht z. B. bis in Immanuel Kants ‚Idee zu einer allgemeinen Geschichte weltbürgerlicher Absicht‘ (1784/1981), Georg Wilhelm Friedrich Hegels Rede von der Weltgeschichte als sich realisierende Entfaltung eines ‚Weltgeistes‘ (1837/1980) oder Edmund Husserls Begriff der ‚Lebenswelt‘ als ein allumfassender ‚Horizont‘ und zugleich ‚Boden‘ menschlichen Handels und Erfahrens zurückverfolgt werden (1911/1993)“ (Dürrschmidt 2002: 25-26).

Aufgrund dieser Tatsache soll an dieser Stelle darauf verwiesen werden, dass diesbezüglich divergierende Ansichten vertreten werden, die auf die schwammige Begriffsbeschreibung sowie die unterschiedlichen, nicht klar abgrenzbare, Dimensionen von Globalisierung zurückzuführen sind. Diese Problematik sollte der Vollständigkeit halber angesprochen und ergänzend ein Überblick von Jan Nederveen-Pieterse angeführt werden. Danach ist festzuhalten, dass die Anfänge des Globalisierungsprozesses sich im 15. Jahrhundert abzeichneten, das zu erkennende Ausmaß ihrer Weiterentwicklung gegen Ende des 19. Jahrhunderts deutlich sichtbar wird (Nederveen-Pieterse 1998: 89). Entstehung von Globalisierung nach JAN NEDERVEEN-PIETERSE: Ɣ Marx: 15. Jahrhundert (Moderner Kapitalismus, Weltmarkt) Ɣ Wallerstein: 15. Jahrhundert (kapitalistisches Weltsystem) Ɣ Robertson: 1870-1920 (multidimensional) Ɣ Giddens: 18. Jahrhundert (Modernisierung) Ɣ Perlmutter: Ende des Ost-West-Konflikts (globale Zivilisation) Aufgrund der Langwierigkeit der Entwicklungsphase, die heute durch die Enterritorialisierungstendenzen, die Mobilität, die Enträumlichung sowie der Dezentralisierung das Endstadium erreicht bzw. den Höhepunkt überschritten hat, müssen, wenn von Globalität und Lokalität gesprochen wird, diese Begriffe in Relation zu Raum und Zeit gesetzt werden – d. h. historische wie geografische Koordinaten zugewiesen bekommen, um Aufschluss über das vorherrschende Raum- und Zeitverständnis der Menschen in bestimmten Epochen zu bekommen.28 Das Raum-Zeit-Verständnis steht in engem Zusammenhang mit dem technischen Fortschritt, der neben der Effektivität von Arbeitsprozessen, Steigerung der Rationalität und Produktion auch die Überwindung von Distanzen im Raum vereinfachte und damit zur Erweiterung von Absatzmärkten sowie zur Horizonterweiterung der Menschen führte. Die Globalisierung der Moderne basierte auf den expansionistischen Bestrebungen des Nationalstaats, sich neue Territorien 28 Denn was beispielsweise in der Moderne als global betitelt wurde, könnte im heutigen Zustand der Welt bereits unter das Attribut lokal fallen (Robertson 1998: 202).

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einzuverleiben und ihm die einheitlichen, kapitalistischen Muster überzustülpen, bis dieses Projekt zwangsläufig an die Grenzen dieses Globus stieß, d. h. die Globalität erreicht war (Albrow 1998: 212). Im Großen und Ganzen wird die Moderne in der Literatur zur Globalisierung in zwei Stadien unterteilt, die je nach theoretischer Perspektive der Autoren unterschiedliche Bezeichnungen erhalten wie beispielsweise: „Erste und Zweite Moderne“ (Ulrich Beck), „Einfache Moderne und Reflexive Moderne“ (Scott Lash), „Moderne und Globales Zeitalter“ (Martin Albrow), „Schwere Moderne und Flüchtige Moderne“ (Zygmunt Baumann). In Begleitung zur Unterteilung der Moderne in zwei Phasen entsteht die Debatte, ob die Transformationsprozesse der zweiten Phase Resultat, unausweichliche Konsequenz oder ein Bruch mit der ersten Phase sind, was den Eintritt in ein neues Zeitalter symbolisieren würde. Die Abgrenzung zwischen diesen beiden Phasen wird anhand der Ausdifferenziertheit der Gesellschaft, welche einhergeht mit dem technischen Fortschritt, der neben der Veränderung des Raum-Zeit-Verständnisses der Menschen, die Komplexität von diversen Systemen erhöht, vorgenommen. Das gegenwärtige Raum-Zeitverständnis der Menschheit wird zutreffend durch David Harveys Konzept der so genannten Raum-Zeit-Verdichtung charakterisiert: „I mean to signal by that term (time-space compression) processes that so revolutionize the objective qualities of space and time that we are forced to alter, sometimes in quite radical ways, how we represent the world to ourselves. I use the term »compression« because a strong case can be made that the history of capitalism has been characterized by speed-up in the pace of life, while so overcoming spatial barriers that the world sometimes seems to collapse inwards upon us” (Harvey 1990: 240).

Anzumerken ist, dass aufgrund des stetigen technologischen Fortschritts bereits über eine neue Stufe, die Unmittelbarkeit29, welche Geschwindigkeit überflüssig macht, diskutiert wird. „Vielleicht hat die Zeit, nach dem der Raum ermordet wurde, Selbstmord begangen? Der Raum war schließlich das erste Opfer im Amoklauf der Zeit auf ihrem Weg zur Selbstauslöschung“ (Baumann 2003: 142). BAUMANN arbeitet bei seiner Differenzierung der Modernisierungsphasen mit plastischer Terminologie, der Schweren Moderne als Hardware und der 29 „Der Eindruck, den wir beim Gebrauch der neuen Kommunikationstechnologien gewinnen (aber natürlich auch nur, wenn sie reibungslos funktionieren), ist der einer allgemeinen Mühelosigkeit und Allgegenwart. Die Dinge, die besonders die Menschen, scheinen so gut wie immer verfügbar zu sein – jederzeit, sofort und unmittelbar [...] Die stumme, unsichtbare ‚weiche’ Technologie hat dies anscheinend bereits für uns erledigt; sie hat die Lücke zwischen Hier und Überall, Jetzt und Später geschlossen. Und wenn wir die Verwendung von Kommunikationstechnologien unter dem Aspekt des Konsums betrachten, liegt sogar die Versuchung nahe zu sagen, dass sie die für die kapitalistische Moderne bedeutsamste Lücke geschlossen hat: nämlich die zwischen menschlichen Wünschen und deren Erfüllung“ (Tomlinson 2003: 79).

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Flüchtigen Moderne als Software (ebd.: 136, 141), die auf die gesellschaftliche Dynamik bzw. Mobilität verweisen: Die Hardware enthält die Konnotation schwerfällig, unbeweglich und ist das Symbol für das Zeitalter mechanischer Geschwindigkeit, in dem die Expansion des Raumes (Volumen) gleichbedeutend mit Macht und Erfolg war (ebd.: 137). „Die routinisierte Zeit verband sich mit hohen Ziegelmauern, gekrönt mit Stacheldraht oder Glassplittern, unterbrochen von streng bewachten Eingängen zum Schutz gegen Eindringlinge. Auch diejenigen die im Inneren waren, konnten nicht nach Belieben nach draußen. Die ‚fordistische Fabrik‘, das zur Zeit der schweren Moderne bei weitem beliebteste und verbreitetste Modell fabrizierter Rationalität, war nicht nur ein Ort, an dem Menschen sich face-to-face begegneten, hier wurde das Eheversprechen von Kapital und Arbeit gegebenen – bis dass der Tod uns scheidet. Es war eine Vernunftehe, keine Liebesheirat – aber sie war auf Dauer angelegt (was in Bezug auf ein individuelles Leben bedeuten mochte), und Beziehung hielt in den meisten Fällen. Es war eine – für beide Partner – monogame Ehe. An Scheidung war nicht zu denken. Ob sie wollten oder nicht, beide Partner mussten zusammenbleiben, keiner konnte ohne den anderen leben. Die routinisierten Zeitrhythmen hielten die Arbeit fest auf dem Boden, und die immobilen Fabrikanlagen mit ihrem schwergewichtigen Maschinen und natürlich auch die fest verwurzelte Arbeitskraft banden das Kapital an den Ort“ (Baumann 2003: 138-139).

Kurzum, die Schwere Moderne verkörperte den Höhepunkt des Nationalstaats. Dieser verfügte über ausreichend Macht, widersprüchliche Tendenzen zu glätten, die inneren Kräfte zu zähmen und an sein Territorium zu binden. Die aus den vormodernen, traditionalen, gemeinschaftlichen Strukturen herausgelösten Subjekte wurden den individualisierteren, kollektiven, gesellschaftlichen Strukturen des Nationalstaats untergeordnet und durch Kontrolle sowie instrumenteller Rationalität (Bürokratisierung) gefügig gemacht (Lash 1994: 200). Der Kapitalismus führte die Trennung zwischen privaten und öffentlichen Leben ein, d. h. die Arbeit wird nicht mehr wie in der vormodernen Subsistenzwirtschaft zu Hause verrichtet, sondern in der Fabrik, hier zeichnen sich erste Enträumlichungs- wie Individualisierungstendenzen ab. Je ausgeprägter die Modernisierung der Gesellschaft wurde, desto weiter konnte sich der Bewegungsradius von Individuen ausdehnen. Der Ort (Repräsentationssystem: Familie, soziales Umfeld, Klassenmilieu, soziale Aktivitäten) und der Raum, sind nicht mehr wie in der Vormoderne deckungsgleich (Hall 2000: 211); diese beiden Kreise drängen in der Moderne auseinander. Hierin manifestiert sich einer der Moderne innewohnenden widersprüchlichen Mechanismen, der konsequenterweise die Integrität des Nationalstaats gefährdet und im Hinblick auf den Expansionismus der Moderne zur Globalität und letztendlich vielleicht zu einer „Weltgesellschaft“ führen musste – durch die erlangte Fähigkeit der Individuen, basierend auf den heutigen technologischen Möglichkeiten, den Bewegungsraum virtuell oder real auf den gesamten Globus auszudehnen. „Wenn der Modernisierungsprozess zunehmende Individualisierung voraussetzt, dann werden diese Individuen – weniger Tradition

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und Konvention unterworfen – in zunehmenden Maȕe frei sein, sich den Folgen der Modernisierung zu widersetzen“ (Lash 1994: 199). Die zweite Phase der Moderne, die so genannte flüchtige Moderne symbolisiert das Zeitalter des Softwarekapitalismus, in dem Individuen aus nationalstaatlichen Strukturen entwurzelt werden, in dem der Raum kein Hindernis mehr darstellt, seine strategische Bedeutung verliert und Wertschätzungen anders gewichtet werden. „Die Wertschätzungen von Festlegungen, Permanenz und Ortsgebundenheit – im Alltagsleben, bei inneren Einstellungen und Werten – weicht einer Wertschätzung von Mobilität, Flexibilität und Offenheit für Veränderungen. Das Bauen und Konstruieren, das Planen und Regulieren treten zurück gegenüber der Fähigkeit, mit Ungewissheiten fertig zu werden und ‚mit dem Strom zu schwimmen‘, Dauerhaftigkeit weicht vorübergehenden Lösungen, das Langfristige dem Kurzfristigen“ (zitiert nach Tomlinson 2003: 75-76) – dies ist im Übrigen nicht nur für das gegenwärtige Alltagsleben zutref-

fend, sondern auch beliebte Vorgehensweise beim Management in der Wirtschaft, welches folglich auf die Individuen rückwirkt. „Der eigentliche Punkt, um den es hier geht, ist, dass die ‚Einfache‘ Moderne nicht etwas halbwegs modern, sondern halbwegs modern ist und sogar ihre Zusammenschlüsse auf Atomisierung und Individuation beruhen. Dies bedeutet, dass die weitergehende Individualisierung in der zweiten, reflexiven Phase der Moderne die Individuen selbst aus diesen kollektiven, abstrakten Strukturen wie Klasse, Kernfamilie und uneingeschränkten Glauben an die Gültigkeit der Wissenschaft freigesetzt hat“ (Lash 1994: 203).

Nach GIDDENS wird die Infrastruktur zur Globalisierung der Moderne, die vom Westen ausgeht, vom Zusammenspiel vier institutioneller Rahmen bereitgestellt – Kapitalismus, Industrialismus, Überwachung, militärische Macht – als Ressource für die ökonomische Expansion (Giddens 1996: 75-84). Diese institutionellen Rahmen der einzelnen Nationalstaaten wurden durch wachsende Interdependenzen zwischen einzelnen Staaten und deren unterschiedlichen Entwicklungsniveaus, einander angeglichen und später in einen globalen Kontext übersetzt (ebd.: 89). So kristallisieren sich schrittweise Giddens‘ vier Globalisierungsdimensionen, die kapitalistische Weltwirtschaft, das System der Nationalstaaten, die militärische Weltordnung sowie der Industrialismus heraus (ebd.: 93-101); deren treibender Motor im Hintergrund die kulturelle Globalisierung als die Mechanisierung der Kommunikationsmittel ist (ebd.: 100).30 30 „Während die Nationalstaaten als wichtigste ‚Aktoren’ innerhalb der politischen Globalordnung darstellen, sind Unternehmen die vorherrschenden Handlungsinstanzen im Rahmen der Weltwirtschaft. Was die Handlungsbeziehungen betrifft, welche die Unternehmen (Hersteller, Finanzierungsgesellschaften und Banken) miteinander sowie mit Staaten und Konsumenten pflegen, sind sie letztlich auf die Produktion

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Abbildung 2: Dimensionen der Globalisierung von Anthony Giddens Dimensionen der Globalisierung

Internationale Arbeitsteilung

Kapitalistische Weltwirtschaft

Militärische Weltordnung

System der Nationalstaaten

Anzumerken ist, dass der Industrialismus31 bezüglich des Bewusstseins bzw. des Gefühls der Menschen, in einer einzigen Welt zu leben, eine Schlüsselrolle hat. Sie besteht aus positiven wie negativen Aspekten: Zum einen verdanken wir dem Industrialismus die weltweiten vernetzenden Kommunikationsmittel/Strukturen, zum anderen ist er ursächlich für die bedrohlichen ökologischen Veränderungen (Giddens 1996: 100). Ihren gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang thematisiert Beck in seinem Entwurf der Risikogesellschaft. D. h. die Ausweitung der Moderne und die Industrieproduktion potenzierten das Risiko durch von Menschen geschaffene Technologien, die die Umwelt gestalten, gerechtfertigt durch den menschlichen Herrschaftsanspruch über die Natur – die Tragweite dieser Vorgehensweise wird heute sichtbar wie beispielsweise in Form irreversibler Umweltzerstörung. Im Zeitalter der Globalität und den Erkenntnissen der Wissenschaft leben Menschen mit der Gewissheit, dass Umweltkatastrophen, Reaktorunglücke, usw. keine Landesgrenzen kennen und die Menschheit auslöschen könnten – ihre Lebenswelt ist durchzogen von Ungewissheit bei gleichzeitigem Vertrauen, das nichts passiert (Beck 1986: 48-51). Förderlich für die Entwicklung hin zu einer Welt wirkten sich laut Giddens die grundlegenden Eigenschaften moderner Institutionen aus: die raumzeitliche angewiesen, um Gewinn zu erzielen. Daher zieht die Verbreitung ihres Einflusses eine globale Ausdehnung der Warenmärkte einschließlich der Geldmärkte nach sich. Doch selbst in ihren ersten Anfängen war die kapitalistische Welt niemals bloß ein Markt für den Handel mit Gütern und Diensten. Sie beinhaltete – und beinhaltet auch heute noch – die Ammonifizierung der Arbeitskraft unter Klassenverhältnissen, die die Arbeiter von der Kontrolle über ihre Produktionsmittel fern halten. Dieser Prozess steckt natürlich voller Implikationen im Hinblick auf globale Ungleichheiten“ (Giddens 1996: 94). 31 „Das Hauptmerkmal des Industrialismus ist der Einsatz unbelebter Quellen materieller Energie zur Güterfertigung zusammen mit der zentralen Rolle der Maschinen im Produktionsprozess“ (Giddens 1996: 75). Durch die Industrialisierung, die sich aus den Komponenten von Wissenschaft und Technik zusammensetzt, erfolgt auch Gestaltung der Umwelt (Giddens 1996: 81).

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Abstandsvergrößerung, die Entbettung/Rückbettung und die Reflexivität (Giddens 1996: 84). Die raumzeitliche Abstandsvergrößerung entstand durch die Entleerung von Raum und Zeit, d. h., die Auflösung lokalspezifischer Zeitmessung zwecks der Standardisierung von Zeit im Raum führte zur Entbettungs- und Rückbettungsmechanismen (ebd.: 308), die Vorbedingung für Globalisierung sind – „das Herauslösen sozialer Beziehungen aus lokalen Interaktionskontexten und ihrer Restrukturierung über raumzeitliche Distanzen hinweg“ (Dürrschmidt 2002: 49). Wenn heute Telefonate die Distanz im Raum überbrücken und sich beide Gesprächsteilnehmer einander näher sind, als Personen, die sich mit ihnen in demselben Zimmer befinden, muss sich die Raumerfahrung der Individuen dahingehend verändern, dass das alte Konzept von Örtlichkeit kein Bestand mehr hat und durch die so genannte Ortsungebundenheit32 ersetzt wird. Zum einen werden Menschen an vollkommen fremde Orte geleitet und genau diese Medien, die sie dorthin transportiert haben, bieten ihnen die Möglichkeit die Distanz im Raum zu überbrücken. Zum anderen finden sie an den entfernten Orten ihnen vertraute Elemente oder Umstände wie beispielsweise „die Repräsentation des globalen Kultursystems“, da Globalisierung und Lokalisierung sich wechselseitig bedingen. Dies impliziert, dass die Ausdehnung des Raumes auch Synonym für steigende Mobilität sein muss und gleichzeitig die Inanspruchnahme von Wissensakkumulation in unpersönlichen abstrakten Systemen, denen die aus traditionellen Lebensmuster befreiten Individuen vertrauen müssen (Giddens 1996: 142). Abstrakte Systeme, bestehend aus symbolischen Zeichen und Expertensystemen, bilden die Schnittstelle zwischen Vertrauen und Entfremdung/Risiko (ebd.: 103), dem Kennzeichen moderner Gesellschaften. Die Vertrautheit, die die Menschen in vormodernen Zeiten zu ihrer spezifischen Umgebung, d. h. der Natur und der Beschaffenheit des Ortes hatten, wird heute auf abstrakte Systeme übertragen, die ihr alltägliches Leben durch routinierten Umgang mit ihnen prägen (ebd.: 177). „Unter Modernitätsbedingungen leben immer mehr Menschen in Verhältnissen, in denen entbettete Institutionen durch lokale Praktiken mit globalisierten sozialen Beziehungen verbunden werden, die Organisationen bedeutender Aspekte des tagtäglichen Lebens leisten“ (ebd.: 102). Je höher dabei die Abstandsvergrößerung wird, desto mehr Vertrauen, müssen Individuen abstrakten Systemen bzw. Expertensystemen entgegenbringen, die immer höhere Risiken in sich tragen – d. h., es formieren sich abstrakte Systeme in Gestalt von Expertensystemen, die über das normale lokale Wissen hinausgehen. Die Entwicklung der Menschheit bis hin zum heutigen Stadium vollzog sich in drei Phasen: in der ersten Phase herrschte die Natur über die Gesellschaft bzw. menschliche Existenz, in der zweiten Phase, im modernen Zeitalter die Herrschaft der Kultur über die Natur und im neuen Stadium „bezieht sich die Kultur auf Kultur, nach32 Allerdings muss bei dem Konzept der Ortsungebundenheit bezüglich der Migration eine Einschränkung vorgenommen werden, denn hier ist die Ortsungebundenheit gekoppelt an die Einwanderungsgesetze bzw. die Zuwanderungsbeschränkungen der jeweiligen Länder.

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dem die Natur bis zu einem Punkt verdrängt worden ist, dass die Natur künstlich als kulturelle Form wieder belebt („wiederbewahrt“) wird“ (Castells 2001: 536, vgl. Albrow 1998: 212). Als Beispiel kann die ökologische Bewegung angeführt werden, die sich heute für den Schutz der Umwelt (Natur) stark macht. Die Ungewissheit und das Risiko resultieren aus der permanenten Erhöhung der Komplexität und Abstraktheit von Expertensystemen, deren Steuerung von Menschen (Experten) übernommen wird, die zum einen den Zugangspunkt zu einem spezifischen System sind, aber bezüglich seiner Gesamtheit über keine Kontrolle verfügen – zum anderen wissen sowohl der Experte als auch der Anwender, dass Menschen fehlbar sind und eine fehlerhafte Bedienung eine Katastrophe auslösen könnte. (Giddens 1996: 107). Doch es ist genau diesen unpersönlichen Systemen zu verdanken, dass intime Beziehungen über den gesamten Globus aufrechterhalten werden können (ebd.: 178). Das Wissen um das Risiko führt zu einer Steigerung der Reflexivität, die der Moderne inhärent ist und auf Individuen wie Institutionen zutrifft. „Reflexivität in der globalisierten Moderne heißt für Giddens vielmehr, dass mehr oder weniger alle sozialen Praktiken fortlaufend im Lichte neuer Informationen reexaminiert und transformiert werden“ (Dürrschmidt 2002: 50). LASH, der sich mit der Reflexivität der Modernisierung ebenfalls auseinander setzt, vertritt die Ansicht, dass wir heute zwischen zwei Arten von Reflexivität differenzieren müssen. „Kurz gesagt, während die einfache Moderne Unterordnung bedeutete, so ist die reflexive Moderne die Ermächtigung der Subjekte“ (Lash 1994: 200), die ihnen zugleich Spezialisierung, die Intensivierung von Wissen (informiertes Handeln), abverlangt und sie gleichzeitig größerer Unsicherheiten aussetzt, dadurch dass der Bereich für ihr soziales Handeln ausgedehnt wird. „Reflexivität bedeutet per definitionem die Freisetzung der Akteure von der Struktur“ (ebd.: 211) und lässt auf der Akteursebene zwei verschiedene Arten von Reflexivität entstehen: Die strukturelle Reflexivität als die Reflexion über die sozialen Existenzbedingungen und die Selbstreflexivität als Selbstbestimmung. Die Formation von Expertensystemen dient der Überwindung der Unsicherheit und vermittelt dem Individuum Stabilität (ebd.: 204). Da die Gesellschaft sowie das öffentliche Leben zunehmend auf den miteinander verwobenen globalen und lokalen Netzen von Informations- und Kommunikationsstrukturen basieren, entscheiden die Partizipationsmöglichkeiten sowie die Position eines Individuums innerhalb dieser Strukturen letztendlich über seine Inkludiertheit oder Exkludiertheit, die Entfaltung des Individuums, innerhalb der Gesellschaft (ebd.: 226). Gleichzeitig transportieren diese Strukturen mimetische Symbole, die Güter der Kulturindustrie, die als Identifikationsmöglichkeit dienen und für Lash die ästhetische Dimension von Reflexivität sind. Die ästhetische Dimension von Reflexivität steht im Zusammenhang mit Lebensprojekten, Identitäten und der For-mation von Lebensstilenklaven, die Skripte für mögliche Leben aus dem globalen Bezugsrahmen ableiten. Da die reflexive Moderne für die gesamte Gesellschaft („Weltgesellschaft“) herbeigeführt wurde, die gekennzeichnet ist

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von expressivem Individualismus, muss sich auch der Begriff der Gemeinschaft in anderen Bahnen bewegen (ebd.: 197) – da Individuen heute überall auf der Welt „Anknüpfungspunkte“ finden, wie sich bei Robertsons Konzept zeigt. ROBERTSON konzipiert die Welt als globales Feld, welches als Entwurf einer Weltgesellschaft betrachtet werden kann. Er arbeitet ebenfalls mit der Komponente der Reflexivität bzw. der Relativität, um die Komplexität und das Bewusstsein einer Welt im 20. Jahrhundert beschreiben zu können. Im Gegensatz zu Giddens steht die kulturelle Globalisierung bei Robertson nicht hinter den institutionellen Rahmen, sondern als treibende Kraft, die zur Institutionalisierung von diversen Einrichtungen und zur Welt als Ganzheit führt, im Vordergrund. Kulturelle Globalisierung bei Robertson bedeutet, dass sich das Lokale durch außerhalb stehende translokale oder superlokale Faktoren bzw. die wechselseitige Durchdringung von Lokalem und Globalen, ausbildet (Robertson 1998: 193). Dies begründet Robertson damit, dass die Kultur einer Gesellschaft immer auch Korrelat ihrer Interaktion mit anderen Gesellschaften ist, die im Verlauf der Geschichte intensiviert wurde. Dies illustriert er anhand der Entstehung von Nationalstaaten und die aufkommenden Vergleichsmöglichkeiten zwischen ihnen. Aufgrund der Tatsache, dass das Globale nicht das Lokale ersetzt, sondern zum konstitutiven Element des Globalen wird, fordert Robertson, Globalisierung nicht nur als makrosoziologisches Phänomen zu betrachten, sondern mikrosoziologische Perspektiven mit einzubeziehen, damit die Ganzheit des Prozesses erfasst werden kann (Robertson 1991: 79). Hier wird zum einen deutlich, wie verschiedene Akteure Globalität wahrnehmen und zum anderen, wie Globalisierung als Folge von vergleichenden Interaktionen d. h. Wechselwirkung zwischen verschiedenen Lebensformen gesehen werden kann. Der Prozess der Globalisierung wurde in der Moderne durch die Verbreitung der Idee von Nationalgesellschaften beschleunigt und führte zur Ausbildung von zwei partikularistischen Elementen in der heutigen Gesellschaft: Ɣ das Individuum und Ɣ der Nationalgesellschaft. Heute ist die einzig mögliche Form der Vergesellschaftung der moderne Nationalstaat, wobei sich das Individuum eher der Menschheit im Allgemeinen zuordnet, anstelle sich irgendeiner Lokalität unterzuordnen, weil die Internationalisierung als Intensivierung oder Multiplikation von gegenseitigen staatlichen Abhängigkeiten die zwei universalistischen Hauptelemente hervorbrachte: Ɣ Das internationale System von Gesellschaften und Ɣ die Menschheit im Allgemeinen – als weltweite Übereinkunft, dass zwischen Menschen nicht anhand von Rassen-, Klassen- oder Geschlechtszugehörigkeiten differenziert werden darf (Humanisierung) (Robertson 1992: 25-31).

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„Die heutige Welt als Ganze hat sich aus den wechselnden Beziehungen zwischen unterschiedlichen Betonungen auf und oft widerstreitender Interpretationen von diesen Aspekte menschlichen Daseins, entwickelt“ (Robertson 1998: 208). Dies transformiert die Welt nicht in einen harmonischeren Ort, sondern lediglich zu einem systematischeren Schauplatz (Waters 1995: 45-46). Aus den ehemals bipolaren Beziehungen zwischen Nationalstaaten und dem Individuum bei denen der Nationalstaat ein abgrenzbarer Raum war, sind mit dem Schrumpfen der Welt multipolare Beziehungen entstanden, sodass der Nationalstaat nicht die einzige Quelle der Identifikation für Individuen ist, basierend auf der Potenzierung von Wahl- und Vergleichsmöglichkeiten durch den Ausbau des internationalen Systems und die nahezu uneingeschränkte Zirkulation von Waren, Ideen, Informationen usw. über den gesamten Globus. Heute werden unsere Angelegenheiten anhand von universellen Referenzen relativiert und in globalen Begriffen reformuliert, sodass beispielsweise die Menschenrechte in jeder Kultur ihre Gültigkeit haben, aber auf die unterschiedliche Weise in Form von Staatsbürgerrechten umgesetzt werden. Werden diese verletzt, würden die Betroffenen ihre Angelegenheiten wiederum in Bezug auf die allgemeinen Menschenrechte artikulieren. „Das, was wir heute als das ganzheitliche Bewusstsein wahrnehmen, ist die Ausrichtung bzw. Relativierung nationaler bzw. individueller Bezugspunkte an den Universalen und Supranationalen. Globalisierung bezieht sich somit auf die Einrichtung von kulturellen, sozialen und phänomenologischen Systemen zwischen diesen vier Elementen“ (Waters 1995: 42), die anhand von Überprüfungen oder Neudefinitionen gewonnen werden. Die Analyse von Globalisierung, wie bereits oben erwähnt, muss diese vier Grundbausteine d. h. zwei Elemente der Makro- sowie der Mikroebene mit einbeziehen, da Interaktionen prozessartige Entwicklungen an jedem der vier Referenzpunkte auslösen, die ihrer eigenen Logik folgen. Diese Dynamik entsteht im heutigen Zeitalter unabhängig von den gesellschaftsinternen Dynamiken; damit folgt die Globalisierung unaufhaltsam ihrer eigenen Logik und beeinflusst unweigerlich die Dynamik innerhalb Nationalgesellschaften (ebd.: 43-45).

Familien – die multilokale Mehrgenerationsfamilie Der Nationalstaat ist heute dem Strudel globaler Kräfte ausgesetzt, wie unter anderem Giddens und Robertson darlegen. Er tritt Teile seiner Macht an transnationale Organisationen (sowie der globalen Ideologie) ab und widmet sich verstärkt den internationalen Angelegenheiten, um sich als territorial ökonomische Einheit behaupten zu können. Gleichzeitig zieht sich der Nationalstaat im Inneren aus der Reglementierung seiner Subsysteme zurück (Friedman 2004: 76). „Der Staat selbst als Institution pflegt eine Philosophie und Politik des Rückzugs aus der Politik – und damit der Selbstauflösung. Er sieht sich immer weniger als Garant und Schutzherr von Institutionen, immer mehr als Supervisor, der gespannt zuschaut, was

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die Institutionen ohne ihn anfangen, und der eventuell ihre geordnete Selbstauflösung überwacht“ (Hondrich 2001: 38).

Ein Subsystem, auf dem der Staat aufbaut und dem prophezeit wird ein Opfer der Individualisierungstendenzen zu werden ist die Familie. Im Folgenden wird die Entwicklung und die Bedeutung von Familie in verschiedenen Epochen dargestellt. Über das, was im Allgemeinen als Familie bezeichnet wird, gibt es weder in der Wissenschaft noch im Alltagsgebrauch eine einheitliche Auffassung, obwohl das Wort bereits im 16. Jahrhundert in die deutsche Sprache aufgenommen wurde (Nave-Herz 2000: 167). „Was man unter Familie versteht, glaubt jeder zu wissen“ (Allert 1998: 2), dennoch „reicht die Vertrautheit der Personen mit ihrer eigenen Praxis nicht aus, um die Familien als einen sozialen Funktionszusammenhang zu bestimmen“ (Allert 1998: 1). Es existieren kulturspezifische Unterschiede und Familientypen in Abhängigkeit zu den vorherrschenden Gesellschaftsformen, sodass der Verweis auf die Struktur von Familien sinnvoll erscheint: „Familienstruktur, das Beziehungsgefüge, dass durch Interaktionen zwischen den Mitgliedern der Familie entsteht, relativ dauerhaft und regelmäßig wiederkehrend ist und sich aus den allgemein definierten Rollen der Familienmitglieder und den Erwartungen ergibt“ (Reinhold et al 2000: 170). Die Familie ist somit eine Gruppe besonderer Art, deren Charakteristikum (bei westeuropäischen Familien) der Familiensinn, als die „Emotionalisierung, Intimisierung und Exklusivität der innerfamilialen Binnenstruktur“ ist (Nave-Herz 2003: 11). Familien erfüllten in der Vergangenheit (und werden dies auch zukünftig) vielseitige Funktionen für die gesamte Gesellschaft und sind eine grundlegende Einrichtung (Hill/Kopp 2004: 23-24). Betrachtet man die Konstellation, Idee und Struktur von Familien aus ihrer Entwicklungsgeschichte, so zeigt sich, dass der Strukturwandel von Familien eng mit externen Umweltfaktoren bzw. der Veränderung von ökonomischen Randbedingungen einherging und die Familienstrukturen diesen, wenn auch langsam, angepasst wurde (ebd.: 41)33. In den vorindustriellen Gesellschaften war die Familie gleichbedeutend mit einer Produktionsstätte. Das Ausscheiden eines Familienmitglieds bedeutet die Vakanz einer Stelle im Produktionsprozess, die neu besetzt werden musste, um den organisatorischen Ablauf und damit die ökonomische Absicherung einer Familie nicht zu gefährden. – „Dieser Zwang zur Rollenergänzung und die Wiederverheiratung ist seit dem 19. Jahrhundert rückläufig, da die familienwirtschaftlich bedingte Kop33 „Wie die skizzierten historischen Entwicklungen zeigten, sind familiale Lebensformen eine Folge von sich an wandelnde äußere, ökonomische und ökologische Umstände anpassenden individuellen Entscheidungen. Insofern ist der Hinweis auf oder die Suche nach zu gewissen Zeiten vorherrschenden Familienformen, eigentlich nur die Suche nach zu jenen Zeiten bedeutsamen äußeren Umständen, die die dann dominante Familienform als Folge der Handlungen einzelner verständlich macht“ (Hill/ Kopp 2004: 47-48).

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pelung von familialen und ökonomischen Rollen durch die zunehmende Lohnarbeit aufgelöst wird“ (ebd.: 40). Die außerhäusliche Erwerbsfähigkeit eröffnete für Familien d. h. deren Mitglieder die Möglichkeit bisherigen Beschränkungen auszuweichen und ihr Leben individueller durch Wahlmöglichkeiten wie beispielsweise die Partnerwahl aus persönlichen Präferenzen anstelle von ökonomischen Determinanten zu gestalten (Hill/Kopp 2004: 40, 44). In diesem Zusammenhang wird makrosoziologisch: „zuweilen ein Funktionsverlust der modernen Familie im Vergleich zu vorindustriellen konstatiert, da sie bestimmte Funktionen an den Staat oder andere gesellschaftliche Gruppierungen abgetreten hat. So verlor die Familie z. B. als erstes die Kult- und Gerichtsfunktion; später durch die Etablierung des Militärs, die Einrichtung von Krankenhäusern u. a. m. – reduzierte sich ihre Schutz- und Fürsorgefunktion – für ihre Mitglieder. Dagegen hat sie die Reproduktions- und Sozialisationsfunktion immer innegehabt, wobei die Pflege und Erziehung während der Säuglings – und Kleinkinderzeit erst im 20. Jahrhundert in einem derartigen Umfang von ihnen allein wahrgenommen wird. Andere Funktionen sind neu dazugekommen, nämlich die Freizeitfunktion und die ‚Spannungsausgleichsfunktion‘, d. h. der Familie wir die Aufgabe zugeschrieben einen psychischen Ausgleich zur gesteigerten Anonymität und Zweckrationalität sowie der hoch spezialisierten Arbeitswelt zu gewährleisten. Insofern ist es angemessener, nicht von Funktionsverlust, sondern von Funktionswandel zu sprechen“ (Nave-Herz 2003: 10-11).

Wie sich aus dem obigen Abschnitt ableiten lässt, verändern sich die Strukturen von Familien mit gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozessen, sodass diese folglich auch bei dem Übergang von der Ersten zur Zweiten Moderne einem Funktionswandel unterliegen müssten. Gegenwärtig wird in diesem Zusammenhang von der Desorganisation und dem Niedergang der Familie gesprochen. Familiensoziologen, die diese Auffassung vertreten, fordern diesem Aspekt einen zentralen Stellenwert in der Familiensoziologie einzuräumen. Dies begründen sie auf der biologisch sozialen Doppelnatur, die sich im Vergleich zur Ökonomie langsamer wandelt. Familienzusammenschlüsse basieren nicht mehr auf äußeren Zwängen, sondern auf Liebe und Zuneigung, welches sie „instabil“ werden lässt. Indizien hiefür lokalisieren die Befürworter beispielsweise in den gestiegenen Scheidungsraten (Betram 2002: 517). „Diesem Konzept von Familie setzt Talcott Parsons das Modell der arbeitsteiligen Familienorganisation entgegen, dessen Stabilität nicht auf den Gefühlen aufbaut, sondern durch die Funktionserfüllung der Familienmitglieder reguliert wird“ (ebd.: 517), welches die interne Spezialisierung der Familie in den Vordergrund rückte und von keinesfalls von Desorganisation zeugte, sondern „vielmehr sind es Funktionen für die Personen oder die Persönlichkeit der Individuen in dieser Gesellschaft“ (Parsons zitiert nach Betram 2002: 518). Das von Parsons postulierte fordistisch organisierte

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Modell34 der neolokalen Gattenfamilie bzw. der neolokalen Kernfamilie35 wird heute laut Betram abgelöst von dem so genannten multilokalen Mehrgenerationenmodell36. Bei der Umgestaltung des Familienmodells spielt die Emanzipation der Frau ein nicht unerheblichen Faktor, auf die aber nicht weiter eingegangen werden soll – er bringt die klare Rollenzuweisung ins Wanken und steht in einem Konkurrenzverhältnis mit der Rolle des Familienvaters. In der postindustriellen Gesellschaft findet eine Vertikalisierung familialer Beziehungen aufgrund demografischer Veränderungen in der Alterspyramide statt; der Lebensabschnitt, den Generationen miteinander verbringen dehnt sich weiter aus, sodass die intergenerationale Solidarität steigt (Bertram 2002: 525, Hondrich 2001: 50). Das heißt, dass im heutigen Zeitalter zwar die auf Wahlbindungen beruhenden Familiezusammenschlüsse gefährdet sind auseinander zu brechen, was durch steigende Scheidungsraten belegt wird, jedoch können die Betroffenen in das Verwandtschaftssystem der Herkunftsfamilie zurückkehren und Unterstützung finden (Bertram 2002: 525). „Herkunftsbindungen haben, im Vergleich zu Wahlbindungen, die größere produktive Kraft. Sie enthalten immer schon ein geteiltes Vorverständnis, ein Kapital an Gemeinsamkeit, das für Problemlösungen mobilisiert werden kann“ (Hondrich 2001: 56). Eine ähnliche Feststellung macht auch Niklas Luhmann, der die Familie aus der systemtheoretischen Perspektive durchleuchtet. Er stellt einen radikalen Wandel im Zuge der gesellschaftlichen Differenzierung fest. „Die wichtigsten Teilsysteme werden heute durch die Orientierung an spezifischen gesellschaftlichen Funktionen gebildet, und keines dieser Funktionssysteme ist für seine interne Differenzierung auf familiale Segmentierung angewiesen wie einst die ‚peasant societies‘, wie einst der Adel, wie einst sogar die Gilden und Zünfte“ (Luhmann 1990: 199). Aufgrund der funktionalen Differenzierung ist die Familie nicht mehr die Inklusionsinstanz für die Gesellschaft, d. h. Menschen müssen nicht mehr zu einer Familie gehören, um Bürger sein zu können – dennoch bestehen Familien weiterhin (Luhmann 1990: 207). Bei dem Sozialsystem der Familie „handelt es sich um ein exklusiv soziales Phänomen, das seine Realität in der Kommunikation und nur in der Kommunikation 34 „Parsons/Bales (1955) sehen die ökonomische Basis der Familie in modernen urbanen Gesellschaften auf das Einkommen einzelner Familienmitglieder gegründet, das diese unabhängig von der Familie in einem Beruf erwirtschaften, der wiederum unabhängig vom Verwandtschaftssystem nur auf der Basis von Leistung ausgeübt werden kann und zugleich den sozialen Status der Familie bestimmt“ (Bertram 2002: 519-520, Z. 94-3). 35 „Die neolokale Kernfamilie hat eine duale Führungsstruktur und klare Machtverhältnisse zwischen Eltern und Kind und hat in der Familienforschung eine solche Bedeutung gewonnen“, dass diese Konstellation damals wie heute als die „Normalfamilie“ bezeichnet wird (Bertram 2002: 522). 36 „In der multilokalen Mehrgenerationenfamilie müssen Macht und Aufgaben ausgehandelt werden. Neben die Sozialisation der kindlichen Persönlichkeit und die Stabilisierung der Persönlichkeit der Erwachsenen tritt zudem eine weitere Funktion der Familie, nämlich die Solidarität mit der älteren Generation und die Bereitschaft auch Fürsorge zu übernehmen“ (Betram 2002: 519, Z. 80-87).

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hat“ – diese ist personenorientiert (Luhmann 1990: 202-203). Hier wird Verhalten auch bereits zur Kommunikation (Luhmann 1990: 215). Das externe Verhalten und Beobachtungen der Mitglieder kann intern in der Familie relevant werden d.h. außerhalb des Systems stattfindende Beeinflussung in der externen Umwelt, kann zum Thema in der Familie werden (Luhmann 1990: 202). „Jedenfalls ist modernen Familien diese Kommunikationsverdichtung mitsamt ihren Konstruktionen, die sich wie ein Netz über die Familie legt, eine allgemeine Erfahrung (Familiengedächtnis). Die Familie übertreibt Gesellschaft“ (Luhmann 1990: 215). „Die Familie etabliert sich als Ort, an dem das Gesamtverhalten, das als Person Bezugspunkt für Kommunikation werden kann, behandelt, sichtbar gemacht, überwacht, betreut, gestützt werden kann. Insofern bildet die Familie das Modell einer Gesellschaft, die nicht mehr existiert. Sie reflektiert, so könnte man sagen, das Problem der gesellschaftlichen Inklusion in der Familie. Die Familie löst es, statt es für die Gesellschaft zu lösen, für sich selber – aber dies durchaus in der Gesellschaft und nicht außerhalb der Gesellschaft, also unter den Bedingungen einer anders strukturierten Umwelt“ (Luhmann 1990: 208).

Der Rückgriff auf das Verwandtschaftssystem als Solidargemeinschaft ist nicht nur im Falle einer Scheidung relevant, sondern auch im Zusammenhang mit Problemen jeglicher Art, wie beispielsweise der höheren Gefahr der Arbeitslosigkeit oder der geforderten Flexibilität, die durch die Globalisierung verstärkt wird und transnationale Strategien erforderlich macht. Wenn früher davon ausgegangen wurde, dass die wohnräumliche Trennung, d. h. der Multilokalität von Familien, der Herkunftsfamilie und der neu gegründeten Kernfamilie, einhergeht mit dem Intimitätsverlust, so muss diese Annahme heute revidiert werden. Das vorherrschende Konzept von Familie scheint heute dem multilokalen Mehrgenerationsmodell mit „einer klaren vertikalen Beziehungsstruktur“ zu entsprechen, kann aber nicht mehr wie in der Vergangenheit über die Haushaltszusammengehörigkeit erfasst werden (Bertram 2002: 526). – Denn die Familie ist in der Lage mithilfe heutiger Kommunikations- und Transporttechnologie über die Distanz näher zusammenzurücken, d.h. eine Gemeinschaft zu erzeugen, die nicht auf eine spezifische Lokalität beschränkt ist und trotzdem eine soziale Einheit darstellt. Die Kommunikationsmöglichkeiten werden mit Fortschritt der Technik stetig erhöht. Als Beispiel sei das Mobiltelefon angeführt, welches im Gegensatz zu dem Festnetztelefon unter anderem familiale Kommunikation zu jeder Zeit und nahe zu an jedem Ort ermöglicht; dies ist in der Geschichte eine bisher nie da gewesene Option (Feldhaus 2004: 181). Ergänzend soll darauf verwiesen werden, dass Michael Feldhaus in seiner in Deutschland durchgeführten Studie „Mobile Kommunikation im Familiensystem“ aufzeigen konnte, dass das „Mobiltelefon eine derart breite Akzeptanz gefunden hat,

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weil es trotz der Variabilität familialer Strukturen in genereller Hinsicht die klassischen Funktionen von Familien zu unterstützen hilft“ (Feldhaus 2004: 181). Die Semipermeabilität (Halbdurchlässigkeit) nationalstaatlicher Grenzen führt bei dem heutigen Ausmaß von Globalisierung nicht nur zu einer verstärkten Individualisierung, sondern erzeugt auch eine höhere Mobilität von Menschen, die zum Teil auf der Suche nach einem besseren Leben auswandern und die kulturelle Vermischung bzw. Vielfalt an einem Ort vorantreiben und ihre Familien (Teil der Familie) im Heimatland zurücklassen müssen. Fraglich ist, welche Auswirkungen dies auf den familialen Zusammenhalt hat, wenn dieser über nationalstaatliche Grenzen hinweg mit Hilfe von Kommunikationstechnologien organisiert werden muss. Die Emigranten d. h. Familienmitglieder werden zusätzlich von einem fremden kulturellen Bedeutungssystem geprägt oder zumindest konfrontiert, welches Aushandlungsprozesse indiziert – beispielsweise auch zwischen Eltern und ihren im Ankunftsland geborenen Kindern. In diesem Zusammenhang kann vielleicht richtungsweisend das Ergebnis der Studie ‚Viele Welten leben‘ von Ursula Boos-Nünning und Yasemin Karakaúo÷lu angeführt werden. Sie haben gezeigt, dass die zweite Generation von Immigranten es problematisch findet, die Kultur ihrer Eltern aufzugeben, sich von ihnen nicht unterdrückt fühlt und gerne im Ankunftsland lebt (Boos-Nünning/Karakaúo÷lu 2004: 14, 34, 37). Dies impliziert, dass sich die Familie irgendwie im Ankunftsland arrangiert haben muss und zwischen den Kulturen übersetzt bzw. eine Brücke zwischen den Kulturkreisen gebildet hat. Funktioniert die multilokale Solidargemeinschaft noch, wenn Mitglieder verteilt in fremden Ländern leben, d. h. transnational wird? „Es ist ökonomischer, mit Leuten zusammenzuarbeiten, mit denen man Sprache, Wertvorstellungen und vieles andere teilt, als mit solchen, mit denen solche Gemeinsamkeiten erst herausgefunden oder hergestellt werden müssen“ (Hondrich 2001: 56). Die entstandene Ortsungebundenheit ist beispielsweise ein möglicher Faktor, der zur Entstehung transnationaler Familien beiträgt, da diese zum einen die Lebenswelt der Individuen so transformiert, dass andere Prioritäten gesetzt werden müssen. Zum anderen bildet die entstandene Ortsungebundenheit umgekehrt die Existenzgrundlage von transnationalen Familien, weil sie diese für ihre Zwecke (Erhalt der grenzüberschreitenden familiären Einheit) ausnutzen müssten. Dies steht im Gegensatz zur Grundannahme von Ortsgebundenheit bzw. den territorial gekoppelten, abgrenzbaren Vergesellschaftungsformen im Konzept des Nationalstaats. Im Großem und Ganzen ist die zunehmende Ortsungebundenheit jeglicher Form und Gestalt ursächlich für die heute vorherrschende Dynamik (Mobilität, Flexibilität) auf unserer Welt.

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Ortsgebundenheit versus Ortsungebundenheit Grenzüberschreitende Bindungen, die in den so genannten Weltstädten am ausgeprägtesten sind, legen die Vermutung nahe, dass gegenwärtig menschliche Vergesellschaftungsformen nicht ausschließlich innerhalb „nationalstaatlicher Kategorien“ bzw. sich innerhalb seiner Grenzen abspielen. „Weltstädte als eigenständige Orte sind Knoten von Netzwerken; ihre kulturelle Organisation umfasst lokale wie auch transnationale Beziehungen“ (Hannerz 1996: 128). Sie sind Kontrollzentrum und zugleich durch den Anschluss an den internationalen Kommunikationskreislauf Umschlagsplatz für Informationen usw. Diese beherbergen neben der indigenen Bevölkerung vier soziale Kategorien von Menschen, die über externe Verbindungen verfügen, die kulturelle Vielfalt vorantreiben und voneinander profitieren können: die weltweite Führungselite, Menschen der Dritten Welt, Spezialisten und Künstler sowie Touristen (ebd.: 129-132). In der „Global City“ Frankfurt am Main beispielsweise leben neben den 488.592 Deutschen 166.913 Ausländer, die aus 180 Nationen stammen, sodass nicht mehr von einer homogenen Bevölkerung ausgegangen werden kann.37 Menschen unterschiedlicher Herkunft tragen zu kulturellen Transformationsprozessen innerhalb der Weltstädte bei, die aus lokalen wie transnationalen Facetten, dem Zusammenspiel zwischen verschiedenen kulturellen Prägungen entsteht, basierend auf eingerichteten Netzwerkstrukturen zwischen Zentrum (bspw. Weltstadt) und Peripherie (bspw. Herkunftsland) (ebd.: 133) und bei jedem einzelnen Bewohner verschiedene Verbundenheitsgefühle auslöst. Die Globalität, die einhergeht mit einem neuen Maßstab von Mobilität und Vermischung unterschiedlicher Lebensstile sowie der Formation von transnationalen Unternehmen und transnationalen Organisationen, hat, wie bereits aus Robertsons „Modell des globalen Feldes“ oder am Beispiel des „Live 8-Konzertes“ ersichtlich wurde, einen neuen Bezugrahmen, d. h. eine neue Vorstellung von Raum und Ort erzeugt. Es spielt keine Rolle mehr, an welchem Ort in der Welt Menschen und Unternehmen oder vielleicht auch Familienmitglieder sich niederlassen – jeder Ort verfügt über die notwendige Infrastruktur für Verbindungen in die Welt, sodass er zur Basis für jeden Einzelnen wird, in Abhängigkeit zu den zur Disposition stehenden Ressourcen. „Weltweite institutionelle Arrangements erlauben Menschen heute, über nationale Grenzen hinweg mobil zu sein, im Vertrauen darauf, dass sie ihre Lebensstile und -weisen überall beibehalten können (Entwurzelung: Giddens 1991)“ (Albrow 1997: 298). Globalisierung wird deshalb zu einer Herausforderung, da „sie den festen räumlichen Bezug der sozialen Ordnung auflöst“ (Albrow 1998a: 426) und sich soziale Beziehungen nicht mehr auf den Wohnort beschränken müssen und Gemeinschaften nicht zwingend ortsgebunden sind und sich nicht-ortsgebundene Entitäten bilden können (ebd.: 426). 37 www.frankfurt.de/sixcms/media.php/1977/26_Einwohner2005Quartal1.pdf (19. August 2005) und www.frankfurt.de/sis/ (19. August 2005).

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Dies zeigt Albrow in seiner Studie über den Londoner Vorort Tootingen (der einen hohen Anteil asiatischer Einwanderer hat) und verweist auf die neuen Implikationen eines Ortes unter den Bedingungen der Globalisierung. Er entwirft in Anlehnung an Appadurai den Begriff der sozialen Landschaft, die durch Kreuzung von Soziosphären entstehen. Um die Implikationen der sozialen Landschaft von Albrow zu verdeutlichen, wird zuerst auf Appadurais Landschaftsbegriff rekurriert. Der Landschaftsbegriff stellt einerseits die Mobilität von Menschen in den Vordergrund und hebt andererseits die Dynamik kultureller Systeme hervor. Des Weiteren thematisiert Appadurai im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Landschaften die neue Rolle der Imagination, deren Nährboden überwiegend von Massenmedien erzeugt wird und zu einer neuen Form des sozialen Handelns führt. Die Imagination ist die Schlüsselkomponente in der neuen globalen Ordnung im Hinblick auf die Auseinandersetzung der einzelnen Akteure mit den für sie zur Debatte stehenden vermittelten Möglichkeiten des globalen Feldes (Appadurai 2003: 31). Ein entscheidenden Faktor dabei spielt der Prozess der Enträumlichung (Entwurzelung), der Menschen aus ihren festen Verankerungen hebt, Wanderprozesse indiziert, zur Zirkulation von Geld, Waren, Informationen, Ideen, Menschen, Bildern usw. rund um den Globus führt und somit eine neue kulturelle Dynamik erzeugt, die die soziale Realität verändert (Appadurai 1998: 15). „Gehörte die Imagination in Form von spezifischen Mythen, Bildern, Träumen, Liedern und Fantasien zum kulturellen Gut abgegrenzter Gesellschaften, die ihnen (der Nation) innerhalb des ‚Containers‘ eine begrenzte Anzahl ‚möglicher Leben‘ vermittelte, so wachsen diese in der entgrenzten Welt durch die Funktion der Massenmedien ins Unermessliche“ (ebd.: 20). Da die Einheit der globalen Kulturökonomie bzw. der Welt nach Auffassung von Appadurai sich aus den getrennten Bereichen von Kultur, Politik und Wirtschaft zusammensetzt, die teilweise in Beziehung zueinander stehen, gliedert er diese in fünf Dimensionen kultureller Zirkulation. Jede einzelne Dimension stellt eine Landschaft dar, mit dem Ziel, den Fluss wie die Unregelmäßigkeiten der jeweiligen Form in den Vordergrund zu rücken, mit dem gleichzeitigen Verweis auf die Perspektive des Betrachters bzw. deren unterschiedlichen Wahrnehmungen (Appadurai 2003: 33).38 Die Landschaft ist kein objektives Konstrukt, sondern subjektives Produkt, basierend auf der Tatsache, dass ihre Wahrnehmung und individuellen Zuschreibungen abhängig sind von der historischen, linguistischen, geografischen wie politischen Perspektive des Betrachters – das letzte Glied in der Kette verschiedener Beobachter ist das Individuum selbst. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt leben Menschen eher in vorgestellten Welten als in vorgestellten Gemeinschaften in Form des Nationalstaats und sind somit in der Lage, die Logik des Nationalstaats herauszufordern. Die fünf Dimensionen bzw. Landschaften bestehend aus Ethnoscapes, Mediascapes, Technoscapes und Ideoscapes bilden das Gerüst für vorgestellte Welten, 38 Der Begriff der Landschaft wird durch das Suffix ‚-Scape’ symbolisiert.

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die konstituiert werden aus Imaginationen von Individuen und Gruppen, die unterschiedliche Positionen (geografisch, Lebensumstände) im „System“ der Welt innehaben (Appadurai 2003: 33): Abbildung 3: Die fünf Landschaften bei Arjun Appadurai Landschaften Ethnoscape Technoscape Financescape Mediascape Ideoscape

ETHNOSCAPES als Landschaften entstehen durch die Mobilität und umfassen alle Personen, die sich physisch oder virtuell um den Globus bewegen, weil selbst Menschen, die Orte nicht wechseln, Fantasien darüber haben (Appadurai 2003: 33-34). TECHNOSCAPES werden konfiguriert durch mechanische wie informelle Technologien, die in hoher Geschwindigkeit Distanzen in Raum überwinden lassen (ebd.: 34). FINANCESCAPES sind die globalen Kapitalflüsse, die schwer zu kontrollieren sind und nur ihrer eigenen Logik folgen. MEDIASCAPES liefern zum einen das Repertoire an Bildern und Informationen, die in der Welt zirkulieren und stellen Menschen Skripte für vorgestellte Leben zur Verfügung und zum anderen entwickeln diese die elektronischen, digitalen und technischen Grundlagen für deren Produktion sowie Distribution (ebd.: 35). „IDEOSCAPES sind Verkettungen von Images (Vorstellungen, Bilder), stehen überwiegend im direkten Zusammenhang mit politischen, staatlichen Ideologien sowie Kontraideologien von Bewegungen, die darauf abzielen, die Staatsgewalt zu übernehmen oder diese herauszufordern, um Zugeständnisse durchzusetzen“ (ebd.: 36). Die Flüsse von Kultur durch diese fünf disjunktiven Landschaften existierten bereits in der Vergangenheit. Die gegenwärtigen Flüsse unterscheiden sich von ihnen durch ihre Reichweite, dem Volumen und der Schnelligkeit, was den derzeitigen Zustand globaler Kulturflüsse manifestiert (Appadurai 2003: 37) – beispielsweise durch die Möglichkeit von Echtzeitkommunikation rund um den Globus. Die Zirkulation von Kultur im globalen System treibt die Enterritorialisierungstendenzen, die einhergeht mit der Entstehung neuer Märkte und einer Vielzahl von Fundamentalismen voran und ist ursächlich für die Verschiebung der Kräfteverhältnisse, wie beispielsweise zwischen Staat und Nation (ebd.: 38), sowie der Transformation von Gemeinschaft, die Albrow anhand der sozialen Landschaften innerhalb der Stadt beschreibt. Diese machen die Veränderung der

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Bedeutung von Orten sichtbar und verweisen auf die variierenden Funktionen, die ein spezifischer Ort für einzelne Bewohner hat. Unter Berücksichtigung der zeitlichen wie räumlichen Ausdehnung sozialer Netzwerke untersucht Albrow gesellschaftliche Beziehungen innerhalb einer Ortschaft und leitet vier neue Implikationen von Örtlichkeit ab: „ERSTENS kann der Ort so viele globale Empfindungen vermitteln, wie es Informationsquellen und Partner für das Verständnis weltweiter Ereignisse gibt“ (Albrow 1997: 308); ZWEITENS können Ereignisse an einem Ort Auswirkungen auf andere Orte und kulturelle Identitäten haben, auch wenn diese am anderen Ende des Erdballs stattfinden (ebd.: 308); „DRITTENS können die Netzwerke von Individuen in einem Ort sich so weit ausdehnen, wie sie ihre Mittel und ihren Willen, darauf verwenden, die ihnen zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel zu benutzen“ (ebd.: 308) d. h., die Raum-Zeit-Verdichtung ermöglicht auch die Aufrechterhaltung von verwandtschaftlichen Beziehungen. „VIERTENS können die Ressourcen und Einrichtungen an einem Ort, Verbindungen zwischen ihm und globalen Institutionen und deren Tätigkeiten herstellen“ (ebd.: 308), welches den Ort zu einer Art Serviceeinrichtung werden lässt, da er einerseits den Zugang zu Produkten globaler Kultur vereinfacht und andererseits zum Ausgangspunkt von Reisen wird. Miteinander verknüpft verweisen die neuen Implikationen auf einen globalisierten Raum, in dem verschiedene Lebensstile bzw. soziale Beziehungen in getrennten Welten koexistieren. Die Beziehungsnetzwerke einzelner Individuen, ihre Soziosphären, sind unterschiedlicher Intensität sowie Reichweite und müssen nicht wie bisher an ein- und demselben Ort miteinander in Berührung treten, sondern können sich im Raum kreuzen, welches zur Verknüpfung ihrer getrennten Lebenswelt führt. Die Verknüpfung von Lebenswelten müsste in Anlehnung an Georg Simmel über die Kreuzung von sozialen Kreisen durch gleiche oder ähnliche Interessen von Individuen verlaufen. Das Vorhandensein gleicher oder ähnlicher Interessen kann zumindest der Herkunftsfamilie unterstellt werden, welches aus dem geteilten Lebensabschnitt bzw. der Familiengeschichte resultiert. Das Individuum wird in den sozialen Kreis der Familie, dem engsten Assoziationskreis, hineingeboren und erweitert diesen im Verlauf seines Lebens aufgrund von Interessen, Neigungen etc. und dem Eingehen von sozialen Bindungen, um zahlreiche weitere soziale Kreise, die nicht zwingend widerspruchsfrei sein müssen. Dadurch, dass ein Mensch durch vielschichtige Interessen an unterschiedlichen sozialen Kreisen partizipiert, generiert die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Kreise, die er in sich vereint, seine Individualität (Simmel 1992: 457). Die sozialen Kreise von Individuen, die ebenfalls als Soziosphäre oder individuelles Beziehungsnetzwerk bezeichnet werden können, müssten unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Implikationen von Örtlichkeit ebenfalls die Fähigkeit haben sich in Raum und Zeit auszudehnen. Fraglich ist, welche Folgen für den ursprünglich engsten Assoziationskreis eines Individuums entstehen, wenn dieser, d. h. die Familie eines

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Individuums, sich über mehrere Nationalstaaten erstreckt und wie groß dabei die Schnittmenge bei Kreuzungen ihrer Kreise ist – oder wie Individuen den Mangel an Bezugspunkten wegen den räumlich getrennten Lebenswelten (da sie in unterschiedlichen Lokalitäten leben) kompensieren. Die Lebenswelt einzelner Individuen, die die gleichen Interessen teilen oder in Beziehung zueinander stehen, kann heute grenzüberschreitend ausgerichtet werden, sodass ihre Bindungen nicht mehr lokal vermittelt sind, sondern pluri-lokal werden. Das heißt, sie konzentrieren sich nicht mehr nur an einem Ort. Oder in anderen Worten: Sie sind dezentriert. Je weiter sich das Beziehungsnetzwerk des Einzelnen in den Raum erstreckt, desto mehr Zeit und Ressourcen müssen von den jeweiligen Mitgliedern aufgebracht werden (Albrow 1997: 312). „Für jede Person stellt ihr Ort einen Punkt dar, an dem ihre Soziosphäre die Erde buchstäblich berührt“ (ebd.: 309); Außenstehende haben nur begrenzt Einblick und ihnen bleibt die konkrete Bedeutung des Ortes für den Einzelnen verborgen (ähnlich wie die Interessenlagen einzelner Individuen bei der Kreuzung ihrer sozialen Kreise), da die Soziosphäre nicht mehr auf dem traditionellen Gemeinschaftskonzept, das auf einer gemeinsamen lokalen Kultur basiert, beruht (ebd.: 309). In diesem Zusammenhang kann auch auf die globale Produktion von Lokalität verwiesen werden. Sie verläuft in anderen Bahnen als die Reproduktion von Lokalität zwecks Abgrenzung und Kontrolle von Staatsbürgern; es ist die Lokalitätsreproduktion von Menschen aus fremden Ländern in ihrem neuen Heimatland, die hier ihre kulturellen Währungen und Werthaltungen einbringen und eine andere Loyalität gegenüber dem Ankunftsland haben – dabei ist nicht ausgeschlossen, dass auch Konflikte von dem Herkunfts- zum Ankunftsort transferiert werden (Appadurai 2003: 189, 192).39 Dies bedeutet auch, dass Menschen, die an einem spezifischen Ort leben unterschiedliche Verbundenheitsgefühle zu diesem hegen oder in anderen Worten: “Others are in the nation but not of it – they may be real cosmopolitans, or they are people whose nations are actually elsewhere” (Hannerz 1996: 90). Wenn sich die Soziosphären von Individuen wegen ähnlich gewichteten Interessen kreuzen, entstehen soziale Landschaften, welche in Ausdehnung des Raumes und Zeit variieren. Folglich ist der Ort Basis ihrer sozialen Aktivitäten und wird von Netzwerken sozialer Beziehungen durchkreuzt (Albrow 1997: 311). Dadurch, dass der Ort zur Operationsbasis Einzelner für die Ausdehnung ihrer Soziosphäre und Ausbildung sozialer Landschaften im Raum verwendet wird, 39 „Der vom modernen Staat kolonisierte Staatsbürger, der sich innerhalb der Globalität bewegt, nutzt die Offenheit globaler Institutionen aus, verleiht dem neu entdeckten Globalismus Ausdruck und bezieht seine Stärke aus einer durch gefühlsmäßige Gemeinsamkeiten entstehenden Gemeinschaften, die der Nationalstaat weder kontrollieren noch auch nur definieren kann. Auf diese Weise entsteht die Globalität mit einer Wiederbelebung ungehinderter Vergesellschaftung in Zusammenhang mit der Bekundung einer globalen öffentlichen Meinung und dem Erstarken globaler Be-wegungen“ (Albrow 1998: 194).

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entstehen in der heutigen Gesellschaft Fragen bezüglich der An- und Abwesenheit, dem Verhältnis abstrakter wie konkreter Beziehungen sowie die nach der sozialen Schichtung. Die Vorstellung, wir würden in einer abstrakten Gesellschaft leben, basiert auf der Annahme, dass Beziehungen über die Distanz weniger bedeuten, weniger Wert für den Einzelnen haben, als wenn sie aus direkter Interaktion (der Anwesenheit in demselben Raum) resultieren. Doch drängt sich hier die Frage auf, ob die Bindung zur Familie, wenn deren einzelne Mitglieder räumlich disloziert sind, wirklich weniger Wert ist oder ob ihre Bedeutung gerade über die Distanz an Relevanz gewinnt? Wenn sich konkrete Beziehungen demnach aus der Anwesenheit zweier Personen in dem gleichen Raum ergeben, dann ist es möglich, ebenfalls die Behauptung aufzustellen, wir würden in einer konkreten Gesellschaft leben, da alltägliche Begegnungen zwischen Menschen zahlenmäßig zunehmen, die sich mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit in ihrem Leben erneut treffen (Albrow 1998: 217; vgl. Giddens 1996: 103 ff.). „Der These von der abstrakten Gesellschaft liegt die Einstellung zugrunde, dass Abstraktion gleichbedeutend mit Entfernung sei und daher einen Verlust darstelle. Auch wenn wir dem bezüglich der Moderne zustimmen, müssen wir feststellen, dass die Globalität mit einer Wiederherstellung von Nähe einhergeht“ (Albrow 1998: 217-218). Die Wiederherstellung von Nähe über Distanzen hinweg ist abhängig von der sozialen Schichtung d. h. den zur Verfügung stehenden Ressourcen, gleichbedeutend mit der Möglichkeit den individuellen Bewegungsradius auszugestalten, welches auch Auswirkungen auf die gegebenen Lebenschancen hat – dies betrifft letztendlich auch Familien, deren Mitglieder räumlich disloziert sind. Menschen können heute an einem Ort leben und getrennte Existenzen führen, welches per se nicht bedeutet, dass das „alte Konzept der Gemeinschaft“ ausgedient hat und an seine Stelle kulturelle und soziale Vielfalt tritt (Albrow 1997: 310). In der Mehrfachnutzung von globalisierten Räumen seitens lokal Verwurzelten und Kosmopoliten werden die sozialen Ungleichheiten sichtbar, in dem sie den Ort als Konsumgut unterschiedlich instrumentalisieren (ebd.: 311, 312). Die Ausdehnung der Soziosphären einzelner Individuen und die Ausbildung von sozialen Landschaften durch deren Kreuzung implizieren, dass neue Gemeinschaften beispielsweise in Form von Lebensstilenklaven entstehen können oder familiäre Gemeinschaften über Landesgrenzen beibehalten werden können, sodass diese quer zu den nationalstaatlichen Grenzen verlaufen; ähnlich wie „Transnationale Soziale Räume“ (Pries 1998: 62-63) oder „Transstaatliche Räume“ (Faist 2000: 20) (TRS), die basierend auf Netzwerken spezifischer Gruppen von Migranten, eine Infrastruktur für intensive Austauschbeziehungen zwischen An- und Herkunftsregion ausbilden. Wenn Gemeinschaften heute nur noch als eine Art soziale Einheit gemeinsamer Interessen verstanden werden können, dann können diese durch eine entsprechende Instrumentalisierung des Ortes seitens der Mitglieder über die Lokalität hinausreichen. Aufgrund dieser Tatsache sind Ge-

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sellschaft und Gemeinschaft heute weder deckungsgleich noch müssen diese sich innerhalb des nationalstaatlichen Territoriums zusammenfinden, denn die Anknüpfungspunkte befinden sich überall auf dem Globus. Im Kontext der sich herausbildenden supranationalen Strukturen scheint der Nationalstaat als exklusive Identifikationsquelle ausgedient zu haben, welches gleichzeitig zur Schwächung des Bildes vom Nationalstaat als vorgestellter Gemeinschaft führt (Hannerz 1996: 81). Heute stammen viele Erlebnisse nicht mehr unmittelbar aus dem gesellschaftlichen Umgang im Nationalstaat, sondern es gibt eine Vielzahl von transnationalen Erfahrungen, welche beispielsweise aus dem Arbeitsalltag bestimmter Berufssparten resultieren, die direkt mit globalen Netzwerken verbunden sind und mit einer Vielzahl von kulturellen Bedeutungen konfrontiert werden (ebd.: 85-86). Während in der Vergangenheit persönliche Beziehungen charakterisiert waren durch direkte Interaktion innerhalb des nationalstaatlichen Territoriums, überschreiten heute viele Bindungen zu Personen und Orten nationalstaatliche Grenzen, sodass diese nach dem Gefühl der Involvierten nicht zur bestehenden Idee der Nation passen. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass heute individuelle Erfahrungen über das lokale Wissen hinausweisen. Das Eingehen von transnationalen Beziehungen führt bei vielen zur Rückläufigkeit der Verwicklung in die Idee der Nation, welches die Trennung von Staat und Nation auslöst (ebd.: 89, Appadurai 2003: 169). Zusammenfassend erscheint die angenommene Tendenz der Ortsgebundenheit ein Relikt aus dem nationalstaatlichen Denken zu sein, welches in dieser Form im globalen Zeitalter nicht mehr gültig ist, sondern durch die so genannte Ortsungebundenheit komplementiert werden muss. Die menschliche Gesellschaft wird dahingehend transformiert, dass sie nicht mehr ausschließlich auf territorial gebundenen Einheiten basiert, sondern ebenfalls auf nicht-ortsgebundenen Entitäten, was verdeutlicht, dass sie die Organisationsformen der sozialen Beziehungen von Menschen sind. Die konkreten sozialen Beziehungen, auf denen Gesellschaft aufbaut, sind nicht mehr abhängig von Zeiten und Orten, sondern Handlungen (Albrow 1998a: 427) – d. h. dem Willen die individuelle Soziosphäre auszudehnen. Dies zeigt sich unter anderem in der Mehrfachnutzung von globalisierten Räumen (Albrow 1997: 311, 312). Im Allgemeinen wurde Ortsungebundenheit überwiegend aus ökonomischem Antrieb erzeugt, in dem Versuch Absatzgebiete zu erweitern und ist heute soweit fortgeschritten, dass Menschen diese ebenfalls ausnutzen können. Dies impliziert, dass die territoriale Entkopplung auch von Systemen bzw. Unternehmen ausgenutzt wird, die zu ihrer Entstehung beitrugen. Im Besonderen müsste die Ortsungebundenheit auch für das Konzept der Kultur gültig sein, zum einen im Hinblick darauf, dass spezifische kulturelle Güter auf dem gesamten Globus vertrieben werden und zum anderen Menschen als Boten (Träger) spezifischer Kulturen bezeichnet werden (Hannerz 1996: 70).

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Die Transformation des ethnologischen Kulturbegriffs Die neue Ortsungebundenheit und die Mobilität von Menschen verändert Kultur als Bestandteil des im nationalen Territorium Verwurzelten. bhnlich wie Baumann, der bei seiner Darstellung der Phasen der Moderne mit den Begriffen Software und Hardware als Mobilitätsverweis arbeitet, verwendet Hannerz diese Konnotationen im Hinblick auf Kultur: Diese wird heute in einem singulären Schauplatz konzipiert, in dem nicht nur Räume, sondern auch „Eigenschaften, Dinge oder Gegebenheiten gleichzeitig voneinander getrennt sind und doch in Beziehung zueinander stehen“ (Hannerz 1995: 66). Heute werden zwei der drei Aspekte des ethnologischen Kulturbegriffs revidiert: zum einen Kultur als „kohärentes, einheitliches Ganzes“ und zum anderen „Abgrenzbarkeit bzw. Isoliertheit von Kultur durch ein Territorium“, sodass in der Postmoderne, wegen der globalen Vernetzung und der entstandenen Mobilität, nur der dritte Aspekt dieses Begriffes, „Kultur als Software“ bzw.‚ „dass Kultur erlernt wird und die Kultur durch die Teilnahme am sozialen Leben erworben wird“, Bestand haben kann (ebd.: 67, 68). Kulturelle Bedeutungen werden im heutigen Zeitalter vermehrt in Symbolen ausgedrückt, die sich zur Globalkultur formieren und einen lokalen Ursprung haben; sie zirkulieren über den gesamten Globus und treffen auf andere lokale Kulturen, die diese auf unterschiedliche Weise in ihren Kontext einbetten; demnach ist Kultur nicht mehr auf einen spezifischen geografischen Raum reduzierbar. Für die modifizierte Integration kultureller Güter in einen spezifischen lokalen Kontext kann hierzu analog der von Robertson beschriebene Mechanismus der Glokalisierung gesehen werden. Auf diesen wird im Unterpunkt „Kulturelle Globalisierung als Glokalisierung“ eingegangen werden. Wenn heute globale Kultur im Sinne der Kultur eines Nationalstaats, die homogen und integrationsfördernd ist, konzipiert würde, dann wäre die notwendige Voraussetzung die Existenz eines Weltstaates. Gegenwärtig gibt es keinen Weltstaat, welcher in der Lage wäre eine globale Kulturform, in ähnliche Bahnen zu lenken wie der Nationalstaat seine Nationalkultur. Um die globale Kultur wahrzunehmen, muss davon Abstand genommen werden, sie als etwas Statisches und dem Nationalstaat zugehörig zu betrachten und als Prozess konzipiert werden, der keine Homogenität herbeiführt, sondern pluralistisch und heterogen ist (Featherstone 1990: 1). Wird Kultur als ein Prozess aufgefasst, entstanden aus der Vernetzung der Welt sowie den erhöhten Austauschprozessen (multilateral) zwischen verschiedenen nationalen Akteuren, dann reicht sie über den Nationalstaat hinaus. Sie (Globalkultur) erscheint auf transnationaler bzw. globaler Ebene und nimmt im Fluss von Menschen, Waren, Informationen, Wissen und Darstellungen unterschiedlich modifizierte Gestalt an (ebd.: 7-8). Dies wird ermöglicht durch die Kommunikation, die gleichzeitig zu einer gewissen Autonomie dieser Prozesse auf globaler Ebene beiträgt, da der Kommunikationsfluss bzw. Infor-

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mationen nicht kontrollierbar sind und der staatlichen Kontrolle entglitten sind (ebd.: 1-2). Moderne Technologien, am stärksten der Luftverkehr und die Medien, tragen nach McLuhan zur „Erweiterung der Sinne“ bei (Hannerz 1995: 69); dennoch erwerben Menschen ihr kulturelles Repertoire in alltäglichen Routinehandlungen bzw. der lokalgebundenen Sozialisation, in der ‚total lokalen Erfahrung‘ (ebd.: 77), auch wenn diese vermehrt von Fremdeinflüssen durchdrungen wird. „Der Alltag ist offen gegenüber kulturellen Materialien, die von außen kommen, auch wenn diese vor Ort angepasst, überarbeitet und neu kommentiert werden“ (ebd.: 71). Logische Konsequenz der Vernetzung von Kultur, die eine inhärente Machtdimension besitzt, ist, dass unterschiedliche Reaktionen auf dem Globus erzeugt werden, kulturelle Hybride (dritte Kulturen) (Featherstone 1990: 6) entstehen können und Ungleichheiten bezüglich der Vormachtstellung einiger Kulturen, d. h. deren Repräsentationssystem existieren (Hannerz 1995: 81). Dies bedeutet nicht das Ende von Nationalkultur, die durch diese Prozesse vollständig in diese höhere Ebene integriert oder von ihr absorbiert wird, sondern die Entstehung einer weiteren Kulturform (deren integraler Bestandteil nationale Kulturen sind). Gegenwärtig können wir die Vermischung und das Aufeinandertreffen von Kulturen nicht nur auf der globalen Ebene beobachten, sondern zusätzlich innerhalb der Nationalstaaten, sodass die Uniformität bzw. Homogenität nationaler Kultur zum Mythos wird (Featherstone/Lash 1999: 1). Der Postmodernismus deutet auf eine schwer kontrollierbare Überproduktion von Kulturgütern hin, die die symbolische Hierarchie des Nationalstaats sowie seine ordnungsstiftende Funktionsweise ins Wanken bringen (Featherstone 2000: 89). Ursache hierfür ist unter anderem die Veränderung der Konsumkultur, die ihren Ursprung in der Entstehung von Märkten hat und durch die neuen Kommunikationstechnologien umgestellt und erweitert wurde und zwar von dem Konsum materieller Güter auf zunehmend immaterielle Güter in Form von Bildern, Zeichen und Erfahrungen, sodass der Vorrat an kulturellen Gütern ins Unermessliche wächst (ebd.: 80). Heute stellt sich die Konzeption von Kultur dar, als wäre sie aus den Ankern des Nationalstaats, der Gleichsetzung von Gesellschaft, Territorium und Kultur gelöst worden; das Bewusstsein einer Welt führt zu einer anderen Sichtweise von Kultur, in welcher, in einem singulären Raum, Diversität stattfinden kann (Featherstone 1990: 2). In der Welt als singulärem Raum (globale Ökumene/globales Dorf) wird Kultur zu einem „Pool von Kultur“ (globaler Sinnpool), der zur Subsumtion der individuellen und kollektiven Kultur und der gleichzeitig Skripte, Bezugspunkte oder Entwürfe für die Ausbildung ihres spezifischen kulturellen Repertoires bereitstellt (Hannerz 1996: 49). Hannerz plädiert dafür den Begriff des globalen Dorfes durch den Begriff der globalen Ökumene zu ersetzen. Der Begriff des globalen Dorfs ist für ihn eine fragwürdige Metapher, da dieser Begriff zum einen die Konnotation idyllisch enthält und zum anderen die gesamte Menschheit nur durch Vermittlung (Globalisierung des Bewusstseins) und

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Übermittlung in unmittelbarer Nachbarschaft liegt, aber nicht buchstäblich (Hannerz 1996: 112). Er empfiehlt den aus der griechischen Tradition stammenden Begriff der Ökumene, der einst in der Makroanthropologie zur Beschreibung der Konzeption von Zivilisation diente, zu verwenden. Die so genannte globale Ökumene, die den Zustand der gegenwärtigen Welt charakterisiert, „spielt ebenfalls auf die Vernetztheit durch Interaktionen, wechselseitigen Austausch und den damit verbundenen Entwicklungen an, die sich unter anderem auf die Organisation von Kultur auswirken“ (ebd.: 7).

Zwischenfazit Die im Allgemeinen von der Globalisierung der Moderne und im Besonderen der kulturellen Globalisierung herbeigeführte Zusammenschrumpfen der Welt erfordert heute das Überdenken nationalstaatlicher Grundannahmen über die territoriale Gebundenheit seiner Vergesellschaftungsformen. An dessen Stelle tritt gegenwärtig die Ortsungebundenheit, die beispielsweise in der territorialen Entkopplung von Kultur sichtbar wird. Dieses begünstigt möglicherweise auch die Veränderung von Familienstrukturen, die sich ökonomischen Rahmenbedingungen anpassen und damit ebenfalls als vielleicht ortsungebundene gesellschaftliche Institution in Erscheinung treten. Erste Hinweise darauf lassen sich in dem Abschnitt „Familien – die multilokale Mehrgenerationenfamilie“ finden. Des Weiteren deutet sich dies in der Literatur aus dem Ausland zu transnationalen Familien an (siehe auch „Erkenntnisse über transnationale Familien“). Die Welt als singulärer vernetzter Raum stellt heute die Bezugs- und Rahmenbedingungen dar und verweist auf eine veränderte Makrostruktur. Konsequenz der strukturellen bnderungen ist, dass die einstige Makrostruktur aus der Perspektive der Individuen, der Nationalstaat heute die Welt in ihrer Gesamtheit ist. Der Nationalstaat ist durch die einsetzenden grenzüberschreitenden Bindungen nicht mehr der einzige Puppenspieler in der Lebenswelt seiner ehemals nationalen Subjekte, sondern wird zunehmend von Fremdeinflüssen durchdrungen, sodass seine Subjekte vielleicht weniger mit seiner Ideologie verwurzelt sind. Dies wird anhand der Entstehung einer globalen Kulturform sowie der Ausdehnung des Bewegungsraums/Soziosphäre, virtuell oder physisch, von Individuen verdeutlicht, die sich dadurch auch Identifikationspunkte außerhalb des nationalstaatlichen Territoriums suchen können. Die entstanden neuen globalen bzw. grenzüberschreitenden Formationen bedeuten nicht per se den Niedergang des Nationalstaats, sondern sind als Indikatoren für einen gesellschaftlichen Umbruch und den Eintritt in ein neues Zeitalter zu deuten. Zweifelsohne löst dies eine Destabilisierung des Nationalstaats aus, weil sich die Säulen, auf denen er aufbaut, verändert haben. Er ist jedoch in der Lage, wenn ihm seine Nation langsam „entrinnt“, neue Wege für die Legitimation seiner Existenz zu finden (Hannerz 1996: 81-82) oder /und ein Gleichgewicht wiederherzustellen.

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Perspektiven kultureller Globalisierung Die Welt als „eine Welt“ stellt verschiedenen Theorieangeboten zur Folge den Bezugsrahmen dar, der das Bewusstsein vieler Menschen prägt und Auswirkungen auf die Identitätsbildung haben kann. – Je nach dem, welchen Blickwinkel und welche Mechanismen die Konzepte der kulturellen Globalisierung einnehmen. Theorien kultureller Globalisierung sind zum einen die unterschiedlichen Interpretationen des neuen Zustandes der Globalität, in dem die Mobilität, die Vermischung, die transnationalen Formationen von Unternehmen über Entitäten und Interessengruppen, bis hin zu Lebensentwürfen nicht mehr geleugnet werden können. Zum anderen verdeutlichen ihre Wirkungsweisen die Spielarten von Globalkultur. Wie bereits einleitend skizziert wurde, gibt es für kulturelle Globalisierung keine einheitliche Definition. Das Spektrum von Theorien bzw. Definitionen bewegt sich zwischen den beiden Polen der Homogenisierung und der Heterogenisierung; deshalb sollen exemplarisch die bekanntesten Perspektiven vorgestellt werden, um aufzuzeigen, in welche Richtungen sich die im Umbruch befindende Welt bewegen könnte. Anhand der folgenden theoretischen Perspektiven wird deutlich, dass kulturelle Globalisierung kein unidirektionaler Prozess ist, sondern verschiedenartige Mechanismen in Gang setzt. Als homogenisierender Mechanismus führt kulturelle Globalisierung zur Verbreitung gleicher (ähnlicher) institutionalisierten Organisationsformen, Strukturen, Einrichtungen und Identitäten auf dem Globus. Als Beispiel hierfür wird exemplarisch die McDonaldisierung der Gesellschaft angeführt, die simultan durch ihre vereinheitlichende Wirkungsweise fragmentierende Mechanismen erzeugt, die sich unter anderem in Abwehrhaltungen manifestieren. Heterogenisierend bzw. pluralisierend wirkt sich die verschiedenartige Integration oder Instrumentalisierung der einheitlichen Strukturen, im lokalen Kontext aus und entspricht dem von Robertson entwickelten Prozess der Glokalisierung.

Kulturelle Globalisierung als Homogenisierung RITZER geht davon aus, dass überall auf der Welt Einrichtungen auf der Basis gleicher Organisationsprinzipien entstehen bzw. die Organisationskriterien weiter angeglichen werden (Ritzer 1997: 9 ff.). Die „McDonaldisierung der Gesellschaft“ erscheint bei ihm als Synonym für die vorherrschende Standardisierung und Rationalisierung, die nahezu alle Lebensbereiche durchdringt und bis zu einem gewissen Grad zur Gleichschaltung wirtschaftlicher und sozialer Praktiken, d. h. des Alltags führt. Die Vorgehensweise von dem Konzern McDonalds dient als Anschauungsobjekt von Unternehmensstrategien, die soziale Transformationsprozesse auslösen.

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Nach der Auffassung von Ritzer hat sich das gegenwärtige Ausmaß der Standardisierung aus der Zusammenführung bzw. der Optimierung von Fordismus, Taylorismus und betriebswissenschaftlichen Elementen entwickelt. Demnach impliziert er, dass die McDonaldisierung der Gesellschaft, die Nachwirkungen wirtschaftlicher Motive und der angestrebten Profitsteigerung sein müssten. „Eigentlich ist das heutige Phänomen, das hier als McDonaldisierung bezeichnet wird, eine Erweiterung von Max Webers Theorie der Rationalisierung“ (Ritzer 1997: 42) – welche er anhand des Beispiels der formal rationalisierten Bürokratisierung veranschaulichte. Die formal rationale Struktur der Bürokratie sowie die der heutigen McDonaldisierung bestehen aus folgenden Grundbausteinen: Abbildung 4: Die Grundbausteine der McDonaldisierung nach Georg Ritzer McDonaldisierung Effizienz Berechenbarkeit Vorhersagbarkeit Kontrolle

Die vier Grundbausteine sprechen nahezu für sich selbst, dennoch sollen hier kurz die Implikationen angesprochen werden: Ɣ EFFIZIENZ steht für den optimalen Weg zum Ziel (Ritzer 1997: 67); Ɣ BERECHENBARKEIT bedeutet, dass die Qualität zurücktreten muss zwecks leichterer Erfassbarkeit bzw. Quantifizierung (ebd.: 109); Ɣ VORHERSAGBARKEIT soll die Erwartbarkeit in den Vordergrund rücken und Überraschungen ausschließen (ebd.: 143); die Ɣ KONTROLLE wird gesteigert durch den Einsatz nicht menschlicher Technologie anstelle von menschlicher Arbeitskraft (ebd.: 171). Das Konzept der McDonaldisierung (bzw. der Konzern McDonalds) ist kein neues Phänomen, sondern der Gipfel des Rationalitätsniveaus der Gesellschaft des 20. Jahrhunderts, das durch oben benannte Organisationsweise von Einrichtungen erreicht werden konnte. Irrationale Momente sind trotz des erlangten Rationalitätsniveaus nicht auszuschließen, da Menschen in diesen Systemen arbeiten (Ritzer 1997: 62 f.). „Genauer gesagt, bedeutet Irrationalität, dass rationale Systeme vernunftwidrig sind: Sie dienen dazu, dass grundlegende Menschliche zu leugnen, die Vermutung der Menschen, die in ihnen arbeiten oder ihre Leistungen in Anspruch nehmen“ (ebd.: 206). Irrational ist, dass Menschen einerseits bei der Verrichtung ihrer Arbeit, besonders in niedrigeren Positionen, das Den-

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ken verlernen sollen, welches dem Konzern eine schnelle Austauschbarkeit der Arbeiter garantiert, ihnen aber andererseits als Kunden des Systems diese Eigenleistung abverlangt (ebd.: 206). Das Unternehmen McDonalds kalkuliert beispielsweise mit der Selbstrationalität seiner Kunden, aufgrund derer diese sich für ein Essen bei McDonalds entscheiden und ordnungsgemäß nach den Vorgaben des Systems handeln, in dem sie die ihnen vom Unternehmen zugeteilten und in den standardisierten Ablauf eingeplanten Arbeitsschritte selbst verrichten, wie beispielsweise nach dem Essen den Müll wegzuräumen (Ritzer 1997: 206, Ritzer 1998: 33). Durch das Einspannen der Kunden in den Ablauf wird eine zweite Belegschaft geschaffen, die Aufgaben übernimmt, die normalerweise ein bezahlter Arbeiter erledigen würde, so wird durch Kosteneinsparung die Gewinnspanne erhöht (Ritzer 1998: 65). Die Steigerung der Rationalität bzw. der Standardisierung, die exemplarisch an dem Konzern McDonalds mit dem Einsatz der vier Grundelemente aufzeigt wurden, durchzieht in unterschiedlicher Intensität nahezu alle Bereiche der Gesellschaft; in diesem Zusammenhang spricht Ritzer von der „McDonaldisierung der Wissenschaft“, „McJob“, „McDisneyzation des Tourismus“, „McUniversity“ (ebd.: 10-11, 49, 60-62), auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Ritzer vertritt die Auffassung, dass die meisten Konzepte, die in die Welt exportiert werden, zwar an lokale Gegebenheiten angepasst werden, dennoch ihren amerikanischen oder westlichen Ursprung nicht leugnen können und die globale Diversität Momente amerikanischer Kultur enthält und diese wegen der Vormachtstellung zur „zweiten Kultur“ eines jeden wird (ebd.: 89). Hier zeichnen sich erste Homogenisierungstendenzen ab, die in den veränderten Konsumgewohnheiten deutlich sichtbar werden. Ausgelöst werden sie von der McDonaldisierung der Darlehensvergabe (Kreditkartensystem), Fastfoodketten sowie die Koppelung des Konsums an das Entertainment (ebd.: 91). Im Hinblick auf den Konsum und die Strategien der Unternehmer zur Absatzsteigerung spricht Ritzer von der Globalisierung des „Nichts“. „Nichts“ sind Produkte ohne individuelle Qualität, während „Etwas“ Produkte mit individuellen Eigenschaften sind. Globalisierung bietet für das so genannte „Nichts“ einen besseren Nährboden als für das „Etwas“, da seine Form leer an Bedeutung ist d. h. ihm wurden die individuellen Eigenschaften aufgrund von Kosten-Nutzen-Rechnungen entzogen (Ritzer 2003: 95). Je bedeutungsärmer ein Produkt, desto einfacher ist der Produktionsprozess und die Erweiterung des Absatzgebietes. Das Anreichern der leeren Substanz des „Nichts“ mit Bedeutung erfolgt durch die Art der Nutzung seitens des Konsumenten und wird dadurch zu „Etwas“, aber nur aus der Perspektive der jeweiligen Personen, durch ihre individuelle Bedeutungszuschreibung (ebd.: 94-100). Letztendlich ist kulturelle Globalisierung als homogenisierender Prozess die Verbreitung rationalisierter und standardisierter Institutionen, denen so viel Bedeutung entzogen worden ist, dass diese über den gesamten Erdball verteilt werden können. Dieser homogenisierende Wirkungsweise führt zu dem, was Niklas Luhmann mit der durchgehenden Verkehrszivilisation bezeichnet, durch die sich

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Menschen in fremden Ländern mit der Eigenleistung des Dazulernens zurechtfinden können (Luhmann 1975: 54). Ursächlich hierfür ist, dass diese Institutionen weltweit nach den gleichen Prinzipien organisiert werden und in den Routineablauf des Alltags integriert wurden. Die Schematisierung bzw. Standardisierung hat mittlerweile von der Kulturindustrie auf viele andere Bereiche der Gesellschaft übergegriffen, wie Ritzer anhand der McDonaldisierung gezeigt hat, die über den gesamten Globus verteilt wurde. Diese globalen Institutionen bieten Menschen einerseits überall auf der Welt das Immergleiche und andererseits können sie darauf vertrauen, ihre Lebensgewohnheiten in fremden Ländern beizubehalten. Durch den Produktkonsum bzw. der Nutzung von Institutionen versprechen sich Menschen Individualität, die eindeutig eine Pseudoindividualität ist, was allein auf Basis der Produktionsweise bestehend aus Standardisierung und Reproduktion ersichtlich wird. Vielleicht können heute die Aussagen von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, die in der „Dialektik der Aufklärung“ den Begriff der Kulturindustrie prägten, auf den Bereich der Gesellschaft ausgeweitet werden. Sie zeigten, wie die Kunst in Konsumentenwelten platziert wurde zur Ware mutierte und damit ihr eigentlicher Charakter verloren ging. Die Massenkultur folgt den Regeln des Kapitals, das über dem Werk steht und das gleiche Wesen hat; Standardisierung und Reproduktion begründet auf den Bedürfnissen ihrer zahlreichen in Kategorien gepressten Konsumenten, um ihr Profitstreben nicht zu offenbaren sondern zu verschleiern (Adorno/Horkheimer 2003: 143). Die schematische Verfahrensweise bringt gleiche Produkte hervor, die nur noch mechanisch anhand der Investition von Kapital differenziert werden können. Dennoch wird der Anschein von Unterschiedlichkeit aufgrund von Konkurrenzfähigkeit und Auswahlmöglichkeiten gewahrt. „Für jeden Konsumenten gibt es nichts mehr zu klassifizieren, was nicht selbst im Schematismus der Produktion vorweggenommen wäre“ (ebd.: 146). Das durchkalkulierte Gerüst mit den Kategorisierungen nimmt dem Konsumenten das Denken ab; es nimmt ihm jegliche Spontanität und Vorstellungskraft d. h. das denkende Subjekt wird zum Objekt degradiert (ebd.: 147).

Kulturelle Globalisierung als das Wachstum des Konfliktpotenzials BARBER und HUNTINGTON entwerfen ein Bild der kulturellen Globalisierung, in dem Kulturen aufeinander treffen und ihre Vormachtstellung bzw. Weltanschauung behaupten wollen. Dabei ist anzumerken, dass Huntington selbst seinen Entwurf nicht als sozialwissenschaftliche Arbeit bezeichnet, sondern als eine Interpretation der globalen Politik nach Beendigung des Kalten Krieges betrachtet (Huntington 2002: 12). Beide sehen in dem heutigen Zustand der Welt eine Bedrohung für die Demokratie und den Nationalstaat, basierend auf der Veränderung der Identität, der entstandenen Gleichwertigkeit von Völkern, deren Ressourcen und Zugang zum globalen Feld dennoch asymmetrisch verteilt sind, sie

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sich aber auf diesem Schauplatz entgegentreten (Huntington 2002: 18, vgl. Barber 2001: 10). Barber beschreibt die beiden Gegenpole, McWorld und Jihad, als paradox und voneinander abhängig zu gleich (Barber 2001: 10). Während McWorld zielstrebig die Homogenisierung der Märkte, der Kultur und des Kommerzes vorantreibt, besinnt sich der Jihad zurück auf alte Werte und übt sich im Kampf um Selbstbestimmung in Ausgrenzung, damit ortsbezogene Identitäten wiederhergestellt werden können bzw. die in der entgrenzten Welt abhanden gekommene Stabilität (ebd.: 13). Obwohl ihre Interessen und Ansichten konträr sind, haben sie einen gemeinsamen Nenner: das nicht vorhandene Interesse an der Demokratie und ihren Tugenden wie beispielsweise die Freiheit der Staatsbürger (Barber 2001: 10). Die Demokratie wird untergraben zum einen durch das Agieren transnationaler Konzerne, die die Freiheit der Bürger in Bezug auf Konsum definiert und zum anderen durch die innerhalb wie außerhalb wirkenden Kräfte des Jihads, da nicht nur Länder/Völker exkludiert sind, sondern auch Individuen, die inmitten von McWorld leben. Die vier Imperative, die die Dynamik der McWorld steuern und verantwortlich sind für das Zusammenschrumpfen der Welt, treiben die Vereinheitlichung mit Erhöhung der wechselseitigen Abhängigkeiten voran und provozieren simultan die Entstehung des Jihads, als Aufbegehren gegen die Homogenisierung (Subsumtion unter das vereinheitlichte System) einerseits und die Ungleichbehandlung andererseits. Die Homogenisierung ermöglicht den ungleich Behandelten, diese Ungerechtigkeit wahrzunehmen und gleichzeitig für Gerechtigkeit in ihrer individuellen Version der Weltanschauung zu kämpfen. Provoziert wird dies von der Ideologie und Vorgehensweise, die die Länder bzw. transnationalen Konzerne mit Hauptsitz in der McWorld vertreten: Es ist eine Ideologie des freien Marktes und der Gewinnmaximierung ohne Rücksicht auf Individuen, die Umwelt etc. Dazu wird der ‚harte Bereich‘ der Produktion in so genannte Billiglohnländer ausgelagert während sich McWorld die Produktion von ‚weichen Waren‘, d. h. die Entwicklung und Vermarktung von Konsumgütern (der globalen Kulturindustrie) vorbehält, die sie via Informations- und Kommunikationstechnologie über den gesamten Globus vertreiben (Barber 2001: 77). Abbildung 5:Vier Steuerungselemente der McWorld nach Benjamin R. Barber McWorld Markt Ressourcen Informationen undund Informationen Ökologie Ökologie

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Das Zusammenspiel der vier Imperative des McWorlds indizieren die Herabsetzung nationalstaatlicher Souveränität und fördern die Ungleichheiten, in dem erstens der: Ɣ MARKT zielstrebig darum bemüht ist mit entsprechenden Vermarktungsstrategien, ähnliche oder gleiche kulturelle Werthaltungen zu erzeugen, die zum einen den Nährboden für größere Absatzgebiete versprechen und zum anderen für materiellen Konsum notwendig sind (Barber 2001: 119); zweitens der immense Rohstoffverbrauch zur Knappheit von Ɣ RESSOURCEN führt, demnach die Abhängigkeiten steigert, da vermehrt globale Kooperationen im Hinblick auf den Rohstoffaustausch erzwungen werden (ebd.: 50); drittens ist ein Tauziehen um das Herzstück des McWorlds, die Ɣ INFORMATIONEN UND TECHNIK, welche die Vernetzung ermöglichen, entfacht, da das Verhältnis der Besitzanteile, zwischen Konzernen und Staaten, die Weichen für die Zukunft stellt – jeder möchte diesen Sektor für seine Zwecke instrumentalisieren, der Staat für die Prägung seiner Staatsbürger, die Konzerne für das Schmieden ihrer kategorisierten Konsumenten – momentan sind die transnationalen Konzerne, die über vertikale und horizontale Produktionspalette verfügen klar im Vorteil (ebd.: 150). Viertens demonstriert der Ɣ ÖKOLOGISCHE IMPERATIV in einer anderen Weise, dass Nationen heute nur scheinautark sind. „Für saueren Regen, Ölpest, Überfischung, Grundwasserverseuchung, Ozonloch durch Chlorwasserstoffe, Radioaktivität oder geschlechtlich übertragbare Krankheiten sind nationale Grenzen irrelevant. Giftwolken kennen keine Verzollung, und Mikroben sind mit Passkontrollen nicht aufzuhalten“ (Barber 2001: 17, vgl. Beck 1986). McWorld ist zum Selbstläufer geworden (Barber 2001: 162), weil die monopolartigen Konzerne heute nahezu bedeutendere Akteure als der Staat sind (ebd.: 29), da Nationalstaaten einerseits den Markt nicht mehr regulieren können, geschweige denn die Konzerne kontrollieren und andererseits durch das Agieren eben diese Konzerne, die Identifikation der Bürger mit der Gemeinschaft der Nation herabgesetzt wird (ebd.: 163). „McWorld erkennt Myriaden von Ichs an, die impulsiv auf einen anonymen Markt einwirken, gibt aber nicht den geringsten Hinweis auf eine gemeinsame Identität oder darauf, wo das Gemeinwesen auf dem Markt seinen Ort haben soll. Kein Wunder, dass die den Nationalstaat bekriegenden neuen Stämme nur die Zerstörung all dessen sehen, was ihre gemeinsame Identität ausmacht“ (ebd.: 163). Transnationale Konzerne träumen von einem globalen Vertrieb ihrer Waren und Homogenisierung ihrer Konsumenten. Dies scheint sich oberflächlich auf den ersten Blick zu bewahrheiten – überall auf der Welt rauchen Menschen Marlboro, Essen bei McDonalds und tragen Jeans etc. – nach Barber sind diese Waren, die überwiegend aus dem Infotainment-Telesektor stammen, amerikanischen Ursprungs und werden mithilfe spezifischer Lebensstile vermarktet, sodass

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diese Art globaler Popkultur in die ganze Welt exportiert wird, ihr ein einheitliches Muster überstülpt (ebd.: 77) und versucht, Menschen hinsichtlich des persönlichen Konsums zu erziehen (ebd.: 127). In dieser Argumentation wird deutlich, dass Barber die Auffassung vertritt, dass kulturelle Globalisierung vom Westen ausgeht und das Globale den Platz des Lokalen einnimmt. Der Zugang zu McWorld, der bunten Welt der Waren, ist abhängig von Ressourcen. Er instrumentalisiert die soziale Ungerechtigkeit/Ungleichheit für seine Zwecke und treibt die Verarmung fortwährend auf ein neues Niveau, sodass sich Kräfte einigen (bzw. Fundamentalismen entstehen), die sich gegen die Verbreitung der mcworldschen Werte, Waren, Kommerz und dessen Vorherrschaft aussprechen. Damit entsteht der so genannte Jihad unter Berufung auf imaginierte ethnische, religiöse oder rassische Identität (ebd.: 176), der je nach Ort, Land oder Religion unterschiedliche Intensität bezüglich der Gewaltbereitschaft annimmt (ebd.: 167). „Der Jihad ist nicht nur der Gegner, sondern auch das Kind von McWorld. Die beiden umklammern sich also in einer Art freudschem Schlüsselmoment des derzeitigen Kulturkampfes, wobei keiner mit dem anderen leben kann, aber auch nicht ohne ihn“ (ebd.: 169). Da die meisten internationalen Institutionen des McWorlds aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stammen, wurden sie mit westlichen Interessen und Werten in dem Maȕe ausgestaltet, wie heute nach Beendigung des Kalten Krieges die Macht des Westens im Verhältnis zu anderen Kulturen verringert wird, werden Pressionen entstehen (Huntington 2002: 523). Wie Barber skizziert, müsste McWorld auf dem Höhepunkt der Macht angekommen sein, nach dem laut Huntington das entwicklungsgeschichtliche Muster des Verfalls folgen müsste (ebd.: 496). Der Jihad, der McWorlds Logik herausfordert, zeigt sich zum einen im inneren Verfall der Kultur, d. h. „die religiöse, geistige, soziale, politische Ebene der Gesellschaft verliert die Gefolgschaft der Massen des Volkes im großen Umfang“ (ebd.: 498), das auf der Suche nach Stabilität zu den Wurzeln zurückkehren will. Zum anderen wird dadurch die Widerstandsfähigkeit der Festung Nationalstaat gegen potenzielle Gefahren äußerer Einflüsse herabgesetzt, was beispielsweise zu dem Erstarken anderer Kulturen führt (ebd.: 496, 498). Huntington vertritt die Auffassung, dass neben wirtschaftlichen und demo-grafischen Gesichtspunkten, die Probleme des moralischen Verfalls eine nicht unerhebliche Rolle spielen, da die Moral bisher als Rechtfertigungsgrundlage des Überlegenheitsanspruchs diente (ebd.: 501). Nicht nur Kultur und Macht sind aneinander gekoppelt, sondern auch Universalismus und Imperialismus, da der Einfluss des Westens bezüglich seiner kulturellen, wirtschaftlichen und demografischen Dynamik durch den Aufstieg sowie die Proklamation globaler Relevanz anderer Zivilisationen eingeschränkt wird. Dabei müsste die Verwestlichung nicht westlicher Gesellschaften mit Nachdruck herbeigeführt werden, was zu Auseinandersetzungen zwischen den Kernstaaten einerseits und den Kulturkreisen andererseits füh-

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ren würde (ebd.: 511-512) oder aber so genannten Bruchlinienkriegen (muslimisch/nicht-muslimisch) auf lokaler Ebene bewirken würde (ebd.: 19). Dies führt unter anderem zur Ausbildung von so genannten „trojanischen Nationalismen“, die zum Teil mit Unterstützung von Solidargemeinschaften im Ausland, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen, für Gerechtigkeit bzw. Gleichbehandlung einzelner Gruppen in bestimmten Ländern stark machen und an Macht gewinnen können (Appadurai 2003: 165). „Der moderne Nationalstaat, aus dessen Blickwinkel betrachtet, wächst immer weniger aus den natürlichen Fakten wie Sprache, Blut, Boden und Rasse, sondern mehr aus essenziellen kulturellen Produkten, ein Produkt der gemeinsamen Imagination“ (ebd.: 161). Heute müssen wir die Form des „Monopatriotismus“ neu überdenken: Patriotismus, der ausschließlich auf den Bindestrich zwischen Staat und Nation ausgerichtet ist und denjenigen mit einbeziehen, die aufgrund der in der Welt vorherrschenden Probleme wie Defizite, Umwelt, Arbeit, Drogen, Abtreibung zu neuen Formationen sozialer Gruppen führt, die sich auch dieser Problembewältigung verschrieben haben und für diese Ideale leben oder sterben (ebd.: 176).

Kulturelle Globalisierung als Glokalisierung ROBERTSON (1998) grenzt sich von jenen Theoretikern ab, die in kultureller Globalisierung ausschließlich einen homogenisierenden Mechanismus, wie beispielsweise BARBER sehen. Er postuliert, dass die homogenisierende Wirkungsweise simultan Heterogenität erzeugen kann; das Globale tritt bei Robertson nicht per se an die Stelle des Lokalen. Im Allgemeinen hat Globalisierung für Robertson einen kulturellen wie reflexiven Charakter, der durch die wechselseitige Durchdringung von Globalem und Lokalem entsteht und zur vermeintlich einheitlichen Globalkultur führt – da wir im gegenwärtigen Zeitalter gelernt haben, Unterschiede auf dieselbe Art und Weise, institutionalisiert oder standardisiert, zu kommunizieren. Die Kompression der Welt, die zur Konzeption der Welt als singulärer Raum führte, erscheint bei oberflächlicher Betrachtung homogen, doch bei genauerer Analyse wird sichtbar, dass das Globale immer Aspekte des Lokalen enthält. Würde das Globale das Lokale ersetzen, dann müsste das Globale frei von örtlichen Bestimmungen sein (Robertson 1998: 206). Um die Prozesse, die sich hinter der kulturellen Globalisierung verbergen, zu verdeutlichen, verwendet Robertson den Begriff der Glokalisierung. Ursprünglich stammt dieser aus dem Japanischen und war Ausdruck für eine bestimmte Geschäftsstrategie, die Anpassung der landwirtschaftlichen Techniken an lokale Umstände oder später die globale Lokalisierung. Die Verwendung des Begriffes Glokalisierung im Bezug auf die kulturelle Globalisierung soll zum einen Fehleinschätzungen vermeiden und zum anderen betonen, dass sie ein zweigeteilter Prozess ist (ebd.: 197). Diesem Prozess ist die dialektische Wirkungsweise von Globalen und Lokalem inhärent, d. h. der Mechanismus, der treibende Kraft für die kulturelle Globalisierung ist, besteht aus dem Ineinanderblenden von Loka-

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lem und Globalem.40 Am Beispiel der Nationalgesellschaften, die sich eine eigene Identität durch Abgrenzung von anderen nationalen Gesellschaften zuschrieben, wird deutlich, dass sich das so genannte Lokale durch außerhalb stehende trans- oder supralokale Faktoren ausbildet (ebd.: 193). Dies geschah, in dem Nationalstaaten entweder Aspekte von anderen Nationalgesellschaften in ihre integrierten oder sich von diesen distanzierten – diese Verfahrensweise ist heute zutreffend für sämtliche Institutionen sowie Individuen, die in dieser Welt agieren. Diese Vorgehensweise (Handlungsmodus) kann bereits als eine Form von Globalkultur bezeichnet werden (Robertson 1991: 87-88). Die heute weltweiten kulturellen Verflechtungen entstehen aus der zunehmenden Verwobenheit, Institutionalisierung und Interpenetration von Globalem und Lokalem sowie des Universalen und des Partikularen. Sie werden hervorgerufen von wachsenden Austauschbeziehungen wie Abhängigkeiten. Die Thematik rund um die wechselseitige Durchdringung von Universalismus und Partikularismus hat zu dem beigetragen, was heute Ursache für die Strukturierung der Welt als eine Einheit ist. Robertson geht davon aus, dass in der heutigen Welt in einer zunehmend standardisierten Weise d. h. in globalen Begriffen kommuniziert wird, hervorgerufen durch die Verdichtung von Raum und Zeit, der Verknüpfung von Lokalitäten und dem Bewusstsein einer Welt. Die einzelnen Kulturen bzw. unterschiedliche Lokalitäten haben demnach eine gemeinsame Kommunikationsbasis gefunden. Das Partikulare (Besondere, Lokale) wird zwecks Verständigung oder des Mitteilungsbedürfnisses auf ein universal gültiges Niveau angehoben, wodurch das Lokale zu einem konstitutiven Element des Globalen wird (Robertson 1998: 201-202). „In dieser Hinsicht beinhaltet die im Allgemeinen als Verdichtung der Welt als ganzer definierte Globalisierung die Verknüpfung von Lokalitäten. Aber sie beinhaltet auch die ‚Erfindung‘ von Lokalität und, in einem vergleichbar allgemeinen Sinn, die Idee einer Erfindung von Tradition und ihrer Imagination“ (ebd.: 208). Selbst der Widerstand gegen die Auswirkungen von Globalisierung seitens unterschiedlicher Gruppen richtet sich nicht gegen die Strukturierung der Welt als Ganzer, als homogenisiertes System, sondern gegen die Konzeption der Welt als eine Reihe von kulturell äquivalenten Einheiten und Lebensarten (Robertson 1991: 77). Zur Verdeutlichung dieses Mechanismus führt Robertson Argumente pro wechselseitige Beeinflussung von Kulturen an, die nur aus der makrosoziologischen Perspektive die Homogenisierungsthese zu stützen scheinen. Aber aus der mikrosoziologischen Perspektive die unterschiedliche Einpflanzung globaler Aspekte in die lokale Kultur verdeutlichen (vgl. Berking 1998: 381) – demnach müssten der kulturellen Globalisierung als homogenisierender Mechanismus simultan heterogenisierende und pluralisierende Tendenzen innewohnen.

40 Die Kultur einer Gesellschaft ist auch immer Korrelat ihrer Interaktionen mit anderen Gesellschaften.

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bhnlich, aber unabhängig von der Betrachtungsperspektive, differenziert JONATHAN FRIEDMAN zwischen Momenten schwacher und starker Globalisierung. Bei Globalisierung in schwacher Ausprägung werden die Produkte, Darstellungen oder Eigenschaften aus dem globalen Bezugsrahmen in das Lokale integriert und angepasst, sodass die Elemente aus dem globalen Bezugsrahmen eine Bedeutung, konform mit den lokalen Umständen ist, zugeschrieben bekommen. Bei starker Globalisierung hingegen werden Elemente aus dem Globalen ohne Abänderung der Bedeutung in lokale Kontexte übernommen, welches voraussetzt, dass das lokale Verständnis bezüglich dieser Bedeutungszuschreibung homogenisiert wurde. Diese Art der Integration funktioniert, weil jeder Akteur unter einem spezifischen globalen Objekt dasselbe versteht (Friedman 1994a: 202-205). Für ROBERTSON führt die kulturelle Globalisierung zur Ausbildung einer Globalkultur, die ihre Gestalt in der Verknüpfung von Lokalitäten annimmt. Sie stellt einen globalen Bezugsrahmen, aus dem andere Lokalitäten schöpfen können, d. h., sie entnehmen diesem Skripte (Aspekte, Artefakte, Entwürfe) und integrieren sie modifiziert (gemäß ihrem jeweiligen kulturellen Verständnis) in den lokalen Kontext. Diesen Aspekt, dass kommunizierte Botschaften je nach Ort (Lokalität) unterschiedlich rezipiert werden können, blenden die Befürworter der Homogenisierung aus. Sie übersehen, dass die Strategie zur Anpassung an lokale Umstände selbst von Konzernen praktiziert wird, die das Sinnbild der Homogenisierung verkörpern. Beispielsweise richtet sich der Konzern McDonalds, wie bereits einleitend erwähnt, nach den Geschmacksvorlieben seiner Kunden in den jeweiligen Ländern und bezeichnet sich selbst als multilokale Firma (Breidenbach/Zukrigl 1999: 20). Da im Allgemeinen bei der Distribution von Ideen, Konzepten und Symbolen die westlichen Zivilisationen, insbesondere die USA, eine Vormachtstellung haben und die Homogenisierungsthese vorgibt, anderen Kulturen diese Muster unreflektiert überstülpen zu können, werden in diesem Zusammenhang Homogenisierung, Verwestlichung oder Amerikanisierung als bquivalente verwendet. Auch wenn die Kommunikation aufgrund der Machtkonstellation asymmetrisch verläuft, sollte der Einfluss von kulturellen Botschaften aus der Peripherie (bspw. Dritte Welt), die die dominierenden Kulturen prägen können, nicht unterschätzt werden. Dies wird, wie bereits erwähnt in den Weltstädten beispielsweise an den unterschiedlichen nationalen Küchen, deutlich. „Der ausschlaggebende Punkt ist, dass die USA nicht mehr länger der Puppenspieler im Weltsystem der Images und Vorstellungen ist, sondern nur ein Knotenpunkt innerhalb einer komplexen transnationalen Bilderlandschaft“ (Appadurai 2003: 31). Die globale Massenkultur leitet sich aus den verschiedensten Vorstellungen ab, die sich u.a. auf Religion, Musik, Kunst, Kochen beziehen. Hier wird deutlich, dass in der heutigen Welt die Produktion und Reproduktion von Vielfalt immer noch präsent ist, welche in standardisierter Form verbreitet wird. Ein weiterer Aspekt, der nach Robertson gegen die Homogenisierungstendenz von Globalisierung spricht, ist, dass selbst auf der lokalen Ebene verschie-

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dene Kulturen sowie Interpretationen koexistieren – das Globale als Mikrokosmos, welches gleichzeitig verdeutlicht, dass die Konzeption des Nationalstaats als kulturell-homogene Einheit gegenwärtig keinen Bestand hat (Robertson 1998: 215-217).

Zwischenfazit Zusammengenommen verweisen die unterschiedlichen Konzepte kultureller Globalisierung darauf, dass die Wirkungsweise von kultureller Globalisierung nicht als Entweder-Oder-Gleichung betrachtet werden darf, sondern auf einen Prozess hindeuten, der auf unserer Welt unterschiedliche Wirkungsreihen anstößt. Prozesse kultureller Globalisierung manifestieren sich in dem heute vernetzten singulären Weltraum als Auslöser widersprüchlicher Dynamiken, bestehend aus homogenisierenden, fragmentierenden und heterogenisierenden Momenten zugleich. Beispielsweise werden diese Momente unter anderem in den unterschiedlich bezogenen Positionen von kulturellen Identitäten zum Ausdruck gebracht. Die verschiedenen Momente, die eine Komponente von kultureller Globalisierung sind, resultieren zum einen aus den zwischen Zentrum und Peripherie eingerichteten homogenen (kompatiblen) Strukturen. Gleichzeitig verlaufen die Prozesse kultureller Globalisierung zwischen Zentrum und Peripherie asynchron, wegen den unterschiedlichen Entwicklungsstadien einzelner Gesellschaften. Zum anderen wird die Machtasymmetrie aufrechterhalten, aber die Lebenswelten (und -bedingungen) von Menschen und Nationen miteinander verknüpft, die sie durch ihre unterschiedliche Integration, d. h. ihre jeweiligen Positionen in dem gesamten Wirkungsgefüge der Welt zu ‚Globalisierungsgewinnern oder Globalisierungsverlierern‘ (Beck 1997: 21) macht. Folglich werden, je nach Position im „System“ mannigfaltige Reaktionen ausgelöst, die sich letztlich auch in Identitäten ausdrücken oder sie beeinflussen. D. h., dass das Ausmaß kultureller Globalisierung durch die Identitätsrepräsentation sichtbar wird. Abschließend bleibt festzuhalten, dass die unterschiedlichen theoretische Perspektiven hier jeweils ein Mechanismus bzw. die Facetten kultureller Globalisierung darstellen, die zusammengenommen das Ergebnis kultureller Globalisierung sind, z. T. ineinander greifen und keine einzelne Zukunftsprognose abgeben.

Transnationalisierung der sozialen Welt von Individuen Die Prozesse der Globalisierung nehmen Einfluss auf nationale bzw. kulturelle Identitäten, da sie einerseits Individuen aus Strukturen freisetzen und ihnen ande-

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rerseits durch die Ausweitung ihres Bewegungsraumes neue Identitätsangebote41 liefern, sodass sich Globalisierung und Transnationalisierung wechselseitig bedingen. „Transnationalisierung fokussiert in einer handlungs- und akteurszentrierten Perspektive auf soziale Prozesse und auf das Entstehen transnationaler sozialer Formationen und transnationaler Sozialräume und weniger auf das makrostrukturelle subjektlose Wirken von weltumspannenden Triebkräften“ (Pries 2002: 11). Im weiten Sinne könnte die Transnationalisierung als die Globalisierung des Alltags von Individuen verstanden werden, in dem ihre „Zugehörigkeitsgefühle, kulturelle Gemeinsamkeiten, Kommunikationsverflechtungen, Arbeitszusammenhänge und alltägliche Lebenspraxis sowie die hierauf bezogenen gesellschaftlichen Ordnungen und Regulierungen, die Grenzen von Nationalstaaten überschreiten“ (ebd.: 3). Da die kulturelle Globalisierung, die Vernetzung der Welt und damit die Entbettung von Individuen sowie das weltweite Referenzsystem generiert und die dialektische Wirkung, die Transnationalisierung hervorruft, lenkt sie auch die Identifikation von Individuen/nationalen Subjekten – in dem sie „spannungsreiche und widersprüchliche Dynamiken in Gang setzen, die innerhalb und zwischen Gesellschaften massive Diskrepanzen schafft und Lebenswelten gleichzeitig homogenisiert, kreolisiert, kulturalisiert und transnationalisiert“ (und politisiert) (Breidenbach 2003: 162). Die Beschleunigung der kulturellen Austauschprozesse und die Entstehung des globalen Referenzsystems als unendlicher Möglichkeitshorizont, wie sich aus den vorausgegangenen Kapiteln ableiten lässt, scheint sich eine kulturelle Homogenisierung als die Gleichschaltung des Geschmacks nicht zu bewahrheiten (vgl. Hall 2002: 213). Menschen werden mit einer Vielzahl von Identitäten konfrontiert, die ihnen helfen, mehr wie sie selbst zu sein (Breidenbach/Zukrigl 1999: 18) oder sie überfordern. Genauso komplex wie die Prozesse der Globalisierung sind ihre Auswirkungen auf den Alltag der Menschen und ihre Kulturen, somit auch auf ihre Identitäten. Sie erzeugen eine Bandbreite von Reaktionen, die sich auf einer Skala von der reflexionslosen Übernahme (starke Globalisierung) über die Aneignung von Fremdeinflüssen (schwache Globalisierung) bis hin zum Widerstand erstreckt, da Menschen Fremdeinflüssen unterschiedlich begegnen und heute verstärkt auf Fremdeinflüsse treffen. Die exponentielle Zunahme der kulturellen Austauschprozesse bringt eine Vielzahl von neuen Phänomenen und neuartigen Lebensentwürfen hervor, basierend auf der „neuen“ räumlichen Vorstellung von Individuen und die Komplementierung des nationalstaatlichen Bezugssystems durch das globale Referenzsystem der Selbst- und Fremdwahrnehmung – sprich die Identität. Die homogeni41 Dies generiert auch die ästhetische Dimension von Reflexivität, da sich die Identitäten teilweise von Konsumgewohnheiten ableiten lassen, dadurch das Menschen immer mehr Markenprodukte konsumieren, die symbolisch für einen bestimmten Lebensstil stehen sollen.

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sierenden, heterogenisierenden und fragmentierenden Prozesse kultureller Globalisierungen wirken sich durch die Formation des globalen Systems bestehend aus der Zirkulation und dem Austausch von Symbolen, Bildern und Ideen auf die Identitätskonstruktion von Menschen aus, da sie zum einen Identitätsschablonen liefern (Eickelpasch/Rademacher 2004: 8) und zum anderen, weil sie die alltägliche Erfahrungswelt von Individuen und demnach auch die Basis ihrer Identität transformieren (Keupp et al 2002: 46). In diesem Zusammenhang wird von der Dezentrierung des Subjekts (vgl. Hall 2002: 181) gesprochen, das Identitätsarbeit vermehrt aus eigenem Antrieb leisten muss, da alte soziologische und politische Bezugspunkte wie beispielsweise die Identitätsfindung durch Arbeit wegbrechen – auf diese wird in dem Abschnitt Identität als Prozess eingegangen. bhnlich wie die unterschiedlichen Mechanismen kultureller Globalisierung, die die Welt in einen singulären Raum verwandelten, dient dieser jetzt nicht nur als Artikulationsraum für kollektive und kulturelle Identitäten, sondern provoziert unweigerlich auch unterschiedliche Reaktionen und Identitätsentwürfe: Diese rangieren irgendwo zwischen den beiden Polen Friedfertigkeit und Gewalttätigkeit sowie auf der Skala von indigen bis hybrid. Die asynchronverlaufende kulturelle Globalisierung und die damit unterschiedlichen Chancen bzw. Zugang einzelner Gruppen/Individuen zum Wohlstand sowie die Vorherrschaft westlicher Repräsentationen innerhalb der Globalkultur (des globalen Sinnpools) verweisen auf die vorherrschenden Macht- und Hegemonieverhältnisse. Dies führt dazu, dass in der ganzen Welt Identitäten und Differenzen ausgehandelt bzw. verteidigt werden müssen. „Mit einem Wort: Identitätskonstruktion ist in der Welt der globalen Moderne immer und unumgänglich Identitätspolitik“ (Eickelpasch/Rademacher 2004: 64). Die Identifikation42 von Individuen sowie die Repräsentation von Identität ist ähnlich wie bei der Wahrnehmung der Landschaften bei Appadurai abhängig von der sozialen und geografischen Position des Individuums (oder von Gruppen) im globalen System. Teilweise wird darüber spekuliert, ob die Klassenzugehörigkeit später durch die Zugangsmöglichkeiten zu Waren, Medien etc. ersetzt wird. Je nachdem wie das Individuum seine Positionierung erfährt oder wahrnimmt, beeinflusst dies die Repräsentation von Identität (Friedman 1990: 314-315, 318/vgl. Hall 2002: 185-187); dies impliziert auch, dass die Repräsentationen durch die Imagination und die Funktion der Massenmedien als die Erweiterung der Sinne ins Unermessliche wachsen können. Gegenwärtig beschränken sich kulturspezifische Angebote nicht mehr nur auf ihren Herkunftsort, sondern können nahezu auf der ganzen Welt in Anspruch genommen werden. Zum Beispiel werden die westlichen Werte, Waren und Lebensstile auch zu denjenigen exportiert, die nicht auf der Sonnenseite leben. Dies 42 „In der Alltagssprache bedeutet Identifikation, seine Abstammung, Herkunft kenntlich zu machen; oder sie verweist auf Eigenschaften, Merkmale, die man mit einer anderen Person oder mit Gruppen teilt, oder auf die Übereinstimmung mit einem Ideal und der natürlichen Schlussfolgerung, Solidarität und Bindung auf dieser Grundlage zu etablieren” (Hall 2004: 168-169).

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treibt einige mit der Hoffnung auf ein besseres Leben in die westlichen Länder, die nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Rückzug der Kolonialmächte ihrem Schicksal überlassen wurden. In den westlichen Nationalstaaten führt dies zur Niederlassung von ethnischen Minderheiten, die eine pluralisierende Wirkung auf nationale Identitäten bzw. Kulturen haben (Hall 2002: 214-215), in dem sie beispielsweise kulturspezifische Lebensstile und Waren in die Ankunftsländer importieren und sich dort mit anderen kulturellen Repräsentationen vermischen. Durch die Förderung kultureller Austauschprozesse bringt Globalisierung durch die Transnationalisierung von unten eine neue kulturelle Vielfalt hervor, die einerseits indigene Lebensformen und Denkweisen verschwinden und andererseits neue entstehen lassen. Das Globale im Mikrokosmos von Individuen, die Ablösung ihrer Ortsgebundenheit durch Ortsungebundenheit sowie die Formation einer globalen Kulturform, die lokale Momente enthält und die von den Triebkräften der Globalisierung ausgelöste Befreiung nationaler Identitäten aus den althergebrachten Strukturen, bewirkt eine Transformation zu offeneren, variableren kulturellen Identitäten (hybride, kreolisierte oder kosmopolitische Identitäten) der provozieren den Rückzug in kulturellen Rassismus (fundamentalistische Identitäten)43. Das heutige Schicksal von nationalen Identitäten ist es, „um Sartres Worte zu wählen, frei zu sein“ (zitiert nach Robertson 1998: 214). Der Staat tritt zunehmend von der Regulierung und der Herbeiführung von Homogenität in seinem beherrschten Raum zurück und schreibt jedem Individuum mehr Selbstverantwortung zu und setzt es gleichzeitig höheren Risiken in einer komplexeren Struktur aus. Es erfolgt, teilweise durch die Individuen eigens herausgefordert eine Umstellung von Herkunftsbindungen auf Wahlbindungen, somit eine Entbindung von der Tradition. Keupp knüpft diesbezüglich folgendermaßen an Adorno (1967: 275, 273 und 1980: 114) an – „Hier würden sich Chancen für ‚das Ende des Identitätszwanges‘ eröffnen: ‚Das befreite Ich, nicht länger eingesperrt in seine Identität, wäre auch nicht länger zu Rollen verdammt‘, es wäre nicht mehr Erfüllungsgehilfe gesellschaftlicher Konventionen und Standardisierungen. In den Ruinen des modernen Identitätsideals entsteht die Chance, ‚ohne Angst verschieden sein zu können‘“ (zitiert nach Keupp et al 2002: 17). Das Individuum, welches nun eigenverantwortlich handelt, muss neue soziale Bindungen im Raum suchen und aus eigener Kraft als Problemlöser agieren. Es muss sein Leben selbst gestalten und neue kollektive Identifikationspunkte suchen (Hondrich 2001: 38-40). Menschen können sich ihre Identitäten zusammensetzen, welche je nach Interessenlage der Einzelnen nicht widerspruchsfrei sein müssen. Dabei werden Bezugspunkte nicht mehr nur innerhalb nationalstaatlicher Grenzen ge43 Zum Schutz der vorherrschenden Kultur gegen die Präsenz ethnischer Minderheiten beruft diese sich auf ihren Ursprung, beispielsweise auf kulturelle Traditionen, um frühere Einheitlichkeit und Sicherheit wiederherzustellen. Das Wiederaufleben des kulturellen Rassismus und die Entstehung von religiösem Fundamentalismus verstärken sich mit Voranschreiten der Globalisierung (Hall 2002: 216-221).

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funden, sodass überall auf der Welt Schnittmengen von Identitäten (geteilte Identitäten) entstehen können, die nicht mehr exakt zur Idee der nationalen Identitäten passen. Dies kann beispielsweise zur Formation grenzüberschreitender Gemeinschaften (real und virtuell) führen, die die Transnationalisierung von unten sichtbar macht. „Migranten, Jugendliche, Internetbenutzer, Künstler oder Wissenschaftler bilden transnationale Gemeinschaften, die durch soziale, berufliche und ideelle Gemeinsamkeiten miteinander verbunden sind“ (Breidenbach/Zukrigl 1999: 23). In dem weltweiten Referenzsystem, welches durch die Vernetzung übermittelt wird, werden Gemeinsamkeiten gefunden, die zwischen bisher unverbundenen Lebenswelten eine Verbindung knüpfen.

Identität als Prozess Die Transnationalisierung von unten manifestiert sich in der Fähigkeit von Individuen zwischen bisher unverbundenen Lebenswelten eine Verbindung herstellen zu können. Unter dem heutigen Ausmaß der Globalisierung verwandelt sich die Erfahrungswelt von Individuen, in dem die Welt buchstäblich in ihr implodiert, welches sich nachhaltig auf ihre Identitätskonstruktion auswirkt. Aufgrund der Tatsache, dass die Lebenswelt von Individuen nicht mehr allein von dem Nationalstaat kolonisiert wird, sondern sie einer komplexeren Umwelt ausgesetzt sind, in der ihre Existenz an globale Bedingungen gekoppelt ist, verändert sich die Basis ihrer Identität. Identität in ihrer elementarsten Form beantwortet die Frage: „Wer bin ich?“ „Es geht bei der Identität immer um die Herstellung einer Passung zwischen dem subjektiven ‚Inneren‘ und dem gesellschaftlichen ‚Außen‘, also um die Produktion einer individuellen sozialen Verortung“ (Keupp et al 2002: 28). Unter den heutigen Umständen könnte das gesellschaftliche „Außen“ für ein Individuum die ganze Welt bedeuten, welches auf einen Umbruch verweist. In den Phasen gesellschaftlichen Umbruchs wird diese Passungsarbeit erschwert, da die Bedeutung von althergebrachten Passungen schwindet. Wie bereits im Abschnitt zur Revision nationalstaatlicher Konzepte angesprochen wurde, vollzieht sich bei dem Übergang zwischen der harten und der weichen Moderne eine bnderung der Werthaltungen und transformiert durch das kapitalistische Postulat, die Umstellung von Langfristigkeit auf Kurzfristigkeit, die Erfahrungswelt, in dem sie zur Erosion der gesellschaftlich vorgegebenen sozialen Verortung beiträgt. An dieser Stelle soll das Konzept der Lebenschancen (Ligaturen und Optionen) von Ralph Dahrendorf zur Verdeutlichung angeführt werden. Lebenschancen geben Aufschluss über den Status einer Gesellschaft bzw. ermöglichen sie „Gelegenheiten für individuelles Handeln, die sich aus der Wechselbeziehung von Optionen und Ligaturen ergeben“ (Dahrendorf 1979: 55). Der Begriff der Lebenschance darf nicht äquivalent mit Möglichkeiten verwendet werden, da er sonst trügerisch wäre (Dahrendorf 1979: 50). Lebenschancen, wie Dahrendorf sie verwendet, sind die Funktion zweier voneinander unabhängiger

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Elemente: die Optionen und Ligaturen als Dimensionen einer Sozialstruktur, die in ihrer jeweiligen Gewichtung zueinander, die Chancen der Menschen innerhalb einer spezifischen Gesellschaft konstituieren (Dahrendorf 1979: 50, 55). „Optionen sind in sozialen Strukturen gegebene Wahlmöglichkeiten, Alternativen des Handelns“ (Dahrendorf 1979: 50). „Ligaturen sind Zugehörigkeiten; man könnte sie auch Bindungen nennen. Wiederum geht es um strukturelle vorgezeichnete Felder menschlichen Handelns. Der Einzelne wird kraft seiner sozialen Positionen und Rollen in Bindungen oder Ligaturen gestellt – diese sind für ihn oft mit emotionalem Gewicht geladen [...]“ (Dahrendorf 1979: 51). Dieses Verhältnis der beiden sozialen Dimensionen rekurriert auf die Entfaltungsmöglichkeiten von Individuen/Identitäten in spezifischen Zeitepochen und verweist auf die Transformation der Basis für Identität im heutigen Zeitalter. Heute können wir die Entstehung eines neuen Ligaturtyps beobachten. „Ligaturen bezeichnen gesicherte Bezüge, Verankerungen, Einbindungen und Bindungen. Sie benennen Sinn-, Sozial- und Ortsbezüge einer Person. Sie stellten die fixen Handlungskoordinaten dar, während die Optionen die Entscheidungsmöglichen und -notwendigen offenen Situationen thematisieren“ (zitiert nach Keupp et al. 2002: 37). In der Vormoderne, in der die Gesellschaft segmentär differenziert wurde, gab es für das Individuum keinerlei Optionsspielraum d. h. „die Ordnung der Dinge bestand in einem Korsett von Ligaturen“ (Keupp et al 2002: 37), sodass der innere Kern des Subjekts, seine Identität, auf Lebenszeit dieselbe bliebt durch seine starre Einbindungen in die Tradition und (lokale) Struktur (Hall 2002: 188). „Da diese Verankerungen für gottgegeben gehalten wurden, glaubte niemand, dass sie einer grundlegenden Veränderung unterworfen sein könnten“ (Hall 2002: 188). Dies vermittelte dem Subjekt Kohärenz, da Identität und Alterität im Einklang standen bzw. die Produktion der Kohärenz von der Gesellschaft übernommen wurde. Mit dem Einsetzen der Modernisierungsprozesse wurde die segmentäre Differenzierung, durch den Primat des Kapitalismus umgestellt auf eine funktionale Differenzierung. Das Individuum wird Teil verschiedener Funktionssysteme, die gepaart mit technischen, ökonomischen und ökologischen Umbrüchen, auch Konsequenzen für die Werthaltungen hat (Keupp et al 2002: 35) und sich in seinen Handlungen ausdrückt – „Der einzelne Bürger wurde in die Netze der bürokratisch administrativen Maschinerien des modernen Staats eingebunden“ (Hall 2002: 190). „Funktionale Differenzierung führt mithin, gesamtgesellschaftlich gesehen, zu einer strukturell bedingten (und damit im System unvermeidlichen) Überproduktion von Möglichkeiten“ (Luhmann 1975: 60). Daraus resultiert eine Erhöhung der Chancen, welches gleichzeitig stärkere Selektion erfordert; bei der Fokussierung einer bestimmten Möglichkeit wird ein unbestimmbares Risiko eingegangen, da es mit steigender Anzahl der Möglichkeiten unwahrscheinlicher wird die angestrebte Form jemals zu erreichen – demnach besteht die Zukunft für jedes Individuum aus einem Raum unendlicher Möglichkeiten. „In der industriegesellschaftlichen Modernisierungsgeschichte war es die

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nackte Not, die eine ins Absurde laufende Mehrung von Optionen verhinderte. Es haben sich neue Ligaturen in Gestalt von Solidargemeinschaften des Proletariats herausgebildet, die zur Überwindung der gemeinsam erfahrenen Lebensnot genutzt werden konnten und als zentrale Pfeiler, auf denen der moderne Nationalstaat aufbaute“, dienten (Keupp et al 2002: 38). Diese Ligaturen wiesen dem Subjekt seine Verortung in der Gesellschaft zu, die sich zunehmend individualisierte und ausdifferenzierte, in dem die gesellschaftliche Struktur anstelle der traditionalen Struktur trat (Lash 1994: 200-201) „nämlich die Gewerkschaften, der Sozialstaat, die Regierungsbürokratie, die formalisierten tayloristischen Produktionsmethoden, die Klasse selbst als Struktur“ (ebd.: 201). Während vormoderne traditionelle Gesellschaften auf gemeinschaftlichen Strukturen bzw. Bedeutungen basierten, schafften moderne Gesellschaften kollektive Strukturen, die die atomisierten Individuen durch ihre gemeinsamen Interessen, den abstrakten Strukturen unterordneten, zu denen neben der Klasse auch die Nation bzw. der Nationalismus zählte (ebd.: 201-202). Das moderne Subjekt wird zwar als ein Autonomes und Souveränes aufgefasst, unterliegt aber dennoch gesellschaftlichen Zwängen, die ihnen gleichzeitig ein Gehäuse bzw. Identitätsschablonen, d. h. eine soziale Verortung lieferten – „Identität bildet ein selbstreflexives Scharnier zwischen der inneren und der äußeren Welt. Genau in dieser Funktion wird der Doppelcharakter von Identität sichtbar. Sie soll das unverwechselbar Individuelle, aber auch das sozial Akzeptable darstellbar machen“ (Keupp et al 2002: 28). So erhielten die Subjekte einen gewissen Optionsspielraum, in dem sie bei ihrer Passungsarbeit rangieren mussten zwischen dem, was sie sich vorstellen konnten und dem, was die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zuließen, damit sie ihre Zugehörigkeit nicht verloren (ebd.: 2002: 28) – Adorno, der sich mit dem Verhältnis von Subjekt und Gesellschaft auseinander setzte, zeigte auf, dass dieses auch Auswirkungen auf die Identitätsbildung der Subjekte hatte, da sie den vorherrschenden Machtverhältnissen unterliegen – die Gesellschaft bildet sich aus den Funktionen seiner Mitglieder, der gegenseitigen Abhängigkeit, um Überleben bzw. Existieren zu können. Soziale Situationen sind gesellschaftlich bestimmt, da Gesellschaft sich in diesen konstituiert (Adorno 1979: 10). Durch die geforderte Unterordnung ist Gesellschaft für jedes Individuum ein Zwangsmechanismus, welches sie auf Rollen bzw. Funktionen vereidigt. „Rollen haben die Menschen in einen Strukturzusammenhang der Gesellschaft, der sie sowohl zur puren Selbsterhaltung dressiert wie auch die Erhaltung ihres Selbst verweigert. Das allherrschende Identitätsprinzip, die abstrakte Vergleichbarkeit ihrer gesellschaftlichen Arbeit treibt sie bis zur Auflösung ihrer Identität“ (ebd.: 13). Das gegenwärtige Zeitalter wird mit den Schlagworten wie Individualisierung, Pluralisierung, Globalisierung, Virtualisierung und Flexibilisierung charakterisiert (Keupp et al 2002: 35). Die Globalisierung, die die Freisetzungsprozesse der Individuen aus den künstlich geschaffenen Ligaturen der Moderne anstößt, verschiebt das Verhältnis von Optionen und Ligaturen zugunsten der Optionen. Das Individuum, welches verstärkt in translokale Netzwerke und Funktionssys-

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teme eingebunden ist, wird mit Optionen und dem Risiko des Scheiterns, durch die „Auflösung des wohlfahrtsstaatlichen Niveaus“ (ebd.: 38) überrollt.44 „Es ist vor allem die vollständige Überwindung raum-zeitlicher Fixpunkte der Produktion und Zirkulation von Waren, und damit verlieren sie auch ihre kulturelle Orientierungsfunktion. An ihre Stelle treten Bilder und symbolische Referenzpunkte, die in einer globalisierten Medienwelt und Kulturindustrie nicht mehr ohne weiteres an eigene lebensweltliche Erfahrungskomplexe geknüpft sind“ (ebd.: 36). Die Identitätsgehäuse, in die sich die Individuen während der Moderne einpassen mussten, zerbrechen unter dem Druck der Globalisierung oder verlieren zumindest durch diese an Relevanz – da unter anderem auch grenzüberschreitende kollektive Strukturen entstehen können. Die Alltagserfahrungen der Individuen lassen sich nicht mehr mit der Auffassung des Subjekts in der Moderne vereinbaren. Die Globalität bzw. die weltweit verknüpften Netzwerkstrukturen stellen einen unendlichen Möglichkeitsraum mit schnell wechselnden Trends und Sinnsystemen zur Verfügung (Optionen). Dies führt zur Pluralisierung von Lebenswelten und verlangt von den entbetteten Subjekten eine verstärkte Individualisierung, höhere Flexibilität wie Mobilität und setzt sie gleichzeitig höheren Risiken aus. „Zehn Erfahrungskomplexe45 verdichten sich zu einer verallgemeinbaren Grunderfahrung der Subjekte in den fortgeschrittenen Industrieländern: in einer ‚ontologischen Bodenlosigkeit‘, einer radikalen Enttraditionalisierung, dem Verlust von unstrittig akzeptierten Lebenskonzepten, übernehmbaren Identitätsmustern und normativen Koordinaten. Subjekte erleben sich als Darsteller auf einer gesellschaftlichen Bühne, ohne dass ihnen fertige Drehbücher geliefert würden“ (Keupp et al 2002: 53/ vgl. Hall 2002: 217). Globalisierung wirkt pluralisierend auf Identitäten, erzeugt Vielfalt durch „neue Positionen der Identifikation und gestaltet Identitäten positionell, politischer, pluraler und vielfältiger sowie weniger fixiert, einheitlich und transhistorisch“ (Hall 2002: 217). Im Hinblick auf das vorliegende Erkenntnisziel dieser Arbeit soll hier Folgendes angefügt werden: Auch wenn im heutigen Zeitalter verstärkt von der schwindenden Bedeutung von Familie gesprochen wird, könnte es sein, dass gerade die Familie an Relevanz gewinnt, da diese als Netzwerk von Geburt an vorhanden ist, dasselbe Vorverständnis durch einen gemeinsamen Lebensabschnitt 44 „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen“ (MEW 118, 55) – zitiert nach Stuart Hall (Hall 2002: 193). 45 „1. Subjekte fühlen sich „entbettet“, 2. Entgrenzung individueller und kollektiver Lebensmuster, 3. Erwerbsarbeit wird als Basis für Identität brüchig, 4. „Multiphrene Situation“ wird zur Normalerfahrung, 5. „Virtuelle Welten“ als neue Realitäten, 6. Zeitgefühl erfährt „Gegenwartsschrumpfung“, 7. Pluralisierung von Lebensformen, 8. Dramatische Veränderung der Geschlechterrollen, 9. Individualisierung verändert das Verhältnis vom Einzelnen zur Gemeinschaft, 10. Individualisierte Formen der Sinnsuche“ (Keupp et al 2002: 46).

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teilt und in der aus den Fugen geratenen Welt vielleicht eher ein Rückzugsgebiet ist und Unterstützung bietet – Individuen, die diese Funktion übernehmen, müssten ansonsten erst noch durch eigenständige Suche gefunden werden – in einer Zeit, in der die schwachen Bindungen überwiegen kein einfaches Unterfangen! Die schwindende Relevanz der kollektiven Strukturen fordert dem Individuum eine gewisse Aktivität bzw. Eigenleistung ab – es muss sich in dem Raum von unendlichen Optionen, seine individuellen Ligaturen (neuer Ligaturtyp) und Identitätsgehäuse suchen, zwischen unterschiedlichen Sinnangeboten abwägen und sein Leben eigenständig planen. Es muss sich bis zu einem gewissen Grad seine Beziehungsnetzwerke basteln bzw. sich in diese einbinden (Keupp et al 2002: 38) und damit sein Identitätsgerüst konstruieren. Bei der Konstruktion des Identitätsgerüsts kann es weniger auf etablierte Denkmuster zurückgreifen. Dies führt dazu, dass es ungewisse (riskante) Entscheidungen treffen muss. „Sein Leben wird zu einem Projekt – genauer zu einer Serie von Projekten – wie seine Weltanschauung und seine Identität“ (ebd.: 50) d. h., es wird immer mehr Wahlbindungen eingehen und muss in Eigenleistung seine soziale Verortung in der Gesellschaft aus eigenem Antrieb finden. Folglich wird Identität veränderbar. Das Individuum heute wird mit der Pluralität der „äußeren Welt“ (unendliche Identifikationsmöglichkeiten) konfrontiert, die auch durch seine Einbindung in unterschiedliche Funktionen bzw. Teilsystem während seiner Passungsarbeit zur Pluralisierung seiner „inneren Welt“ führt. Das postmoderne Subjekt wird dahingehend fragmentiert, dass es durch seine alltägliche Lebens- und Erfahrungswelt, die über das lokale Wissen hinausreicht „in eine Vielzahl von disparaten Beziehungen, Orientierungen und Einstellungen verstrickt ist, dass es mit ungemein heterogenen Situationen, Begegnungen, Gruppierungen, Milieus und Teilkulturen konfrontiert ist, und dass es folglich (sozusagen ständig) mit mannigfaltigen, nicht aufeinander abgestimmten Deutungsmustern und Handlungsschemata umgehen muss“ (Hitzler 1994: 82-83/vgl. Hall 2002: 186-187). Der Versuch des Subjekts, seine eigene Verortung in der Gesellschaft zu finden, d. h. ein Gehäuse für seine Identität zu bauen, bezeichnet oder vielmehr vergleicht Roland Hitzler mit einem so genannten Sinnbastler (Hitzler 1994: 84). Der Einzelne wird die „Selektionsinstanz“ für soziale Sinnangebote (ebd.: 79), die in der heutigen Welt meistens ästhetischer Natur sind und dem Individuum als Optionen für die Ausgestaltung seines Lebensstils46 offen stehen (ebd.: 80). Das Subjekt nimmt im Verlauf seiner Biografie (Lebensgeschichte) in verschiedenen Lebensabschnitten unterschiedliche Identitäten an, d. h. die Identität wechselt und bleibt nicht mehr kontinuierlich die Gleiche. Die vermeintliche Einheitlichkeit der Identitäten bleibt nur aus der Ich-Erzählperspektive erhalten und suggeriert nur aus dieser Perspektive eine Kontinuität. In Wirklichkeit bzw. aus der Beobachterperspektive 46 „Stil erwächst aus der Absicht (und der Möglichkeit), etwas (sozusagen „material Gegebenes“) ästhetisch, d.h. nach Kriterien des „Gefallens“, zu gestalten, zu strukturieren“ (Hitzler 1994: 80).

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wirken viele verschiedene Identitäten in einem Subjekt, die richtungsweisend sind und ständig wechseln; sie wachsen mit den unterschiedlichen Angeboten von kulturellen Systemen sowie Bedeutungen (Hall 2002: 193-194). „Er (Sinnbastler) ‚stückelt‘, subjektiv (mehr oder weniger) hinlänglich, aus heterogenen symbolischen bußerungsformen sein Leben zusammen. D. h. er bewältigt die undurchschaubar komplexe gesellschaftliche Wirklichkeit dadurch, dass er dieser Wirklichkeit Elemente entnimmt und daraus eine kleine subjektive Wirklichkeit, seine individuelle Lebenswelt zusammenbaut. Er gestaltet sie wie ein ‚Patchwork‘ oder ‚Puzzle‘ aus Partizipationen an verschiedenen sozialen Teilzeit-Aktivitäten“ (Hitzler 1994: 85). Die persönliche Identität des Subjekts und die darauf basierende individuelle Lebenswelt, die sich durch seine unterschiedlichen Interessen und heterogenen Orientierungen ergibt und einer permanenten Umorientierung unterliegen können, ist nach Hitzler eine Sinnprovinz (Hitzler 1994: 83). Letztere korrelieren mit dem Landschaftsbegriff von Appadurai. Demnach verweisen sie zum einen auf die soziale Selbstverortung des Individuums in der Gesellschaft (Weltgesellschaft) und sind zum anderen der persönliche Aushandlungsraum, „in dem die einzelnen Teilidentitäten und -orientierungen nach Priorität bzw. Relevanz geordnet werden, welches den subjektiven Lebenssinn generiert“ (ebd.: 83). Im Gegensatz zu der klassischen Vorstellung aus der Moderne, nach welcher Identität abschließbar ist, wird Identität heute als Prozess betrachtet. Es ist die kontinuierliche Arbeit des Subjekts seiner persönlichen Passung zwischen der inneren und äußeren Welt (Eickelpasch/Rademacher 2004: 27), welches das allgemeine Identitätsziel des Individuums darstellt (Keupp et al 2002: 86). In anderen Worten: die Identität wurde früher als das „Sein“ deklariert, sie müsste heute die Bezeichnung „Werden“ tragen. Das bedeutet, dass die Identität eines Menschen heute einen Zustand beschreibt, da er sich zu einem bestimmten Zeitpunkt nur in einem Entwicklungs- und Entfaltungsstadium befinden kann (vgl. Hall 2004: 169). „Sie ist [...] geprägt von komplexen sozialen Prozessen der Entwurzelung und Wiederverwurzelung, des Herauslösens der Subjekte aus sozialen Praxen und Zusammenhängen sowie ihrer Einbindung in neu entstehende“ (Keupp et al 2002: 72). Die Frage nach der Identität muss im heutigen Zeitalter etwas modifiziert gestellt werden und folgendermaßen lauten: Wer bin ich im Augenblick? (ebd.: 32). Der Begriff der kulturellen Identität hat in unserem Zeitalter Hochkonjunktur. Es ist der Überbegriff, unter dem alle Identitätstypen oder vielmehr Identitätsentwürfe subsumiert werden können. Wie bereits in dem Abschnitt herausgestellt wurde, werden Subjekte bzw. nationale Identitäten mit Sinnangeboten und den unterschiedlichsten Erfahrungen überhäuft, sodass diese nicht alle wie ein Schwamm aufsaugt werden können, sondern von jedem Individuum selektiert werden müssen. Die nationalen Subjekte müssen aus dem Übermaß selektieren, wobei anzumerken ist, dass dies in Abhängigkeit zu den Erfahrungen des Individuums und den zur Verfügung stehenden Ressourcen geschieht. Je nachdem wie

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kulturelle Identitäten ihre spezifische Auswahl des Bedeutungs- und Sinnangebotes, damit einhergehend auch ihre Werthaltung wie die Identitätsstrategie gewichtet ist, können sie den Konzepten spezifischer Identitätstypen zugeordnet werden wie beispielsweise fundamentalistischen, transnationalen, kosmopolitischen etc. Identitäten. Die nationale Identität des Individuums bleibt dabei die Quelle bzw. der Ausgangspunkt ihrer kulturellen Identität (Hall 2002: 199). Die Strategien, welche im Bezug auf das Individuum und der Identifikation zum Tragen kommen, sind denen ähnlich, die im Rahmen der theoretischen Perspektive kultureller Globalisierung angesprochen wurden. Die Homogenisierung von Identitäten führt nicht zur Gleichschaltung aller, sondern zu einer gemeinsamen, vernetzten Kommunikationsbasis, sodass sich die kulturellen Identitäten im globalen Feld gegenüberstehen können, Gemeinsamkeiten finden oder innerhalb der kulturellen Diversität ihre Position aushandeln müssen. Die Aushandlung der eigenen Identität verläuft über außenstehende Faktoren d. h. der Passungsarbeit zwischen innerer und äußerer Welt über dieselben Mechanismen mit denen Nationalstaaten sich ihre nationale Kultur kreierten. Sie erkennen ihre Unterschiede in dem Moment, in dem sie durch die Verknüpfung ihrer Lokalitäten aufeinander treffen. Kulturelle Globalisierung führt nicht zur Einebnung nationaler Identitäten in homogene kulturelle Identitäten, sondern zu widersprüchlichen, komplexeren, selbstbewussteren Identitäten und dem Interesse an der kulturellen Diversität, dem Anderssein (Hall 2002: 213). Ihre Selbstdefinition wird gebildet durch die Relation zu den Anderen bzw. aufgrund der Spiegelfunktion – d. h. sie finden Gemeinsamkeiten und schaffen Differenzen. Diese Differenzen lassen sich in den Kategorien binärer Gegensätze fassen wie beispielsweise schwarz/weiß. Im heutigen Zeitalter entstehen durch die Vermischung unterschiedlicher Lebenswelten vermehrt Lebensentwürfe, die sich nicht mithilfe dieser binären Logik beschreiben lassen. Im Zusammenhang mit Differenzen wird allgemein erkannt, dass Lebensentwürfe existieren, so genannte Bindestrich-Identitäten, die nicht im Rahmen der gegensätzlichen Pole beschrieben werden können, sondern hybrid (d. h. sowohl das eine als auch das andere) sind. Im Speziellen treffen diese Identitätsentwürfe auf im Ausland geborene Nachkommen von Migranten zu. Derartige Identitätsentwürfe könnten bei transnationalen Familienkonstellationen von Relevanz sein. Zum einen im Hinblick auf die explorative Untersuchung von transnationalen Familien und deren möglichen Identitätsentwürfen und zum anderen vor dem Hintergrund, dass dieses Identitätskonzept in dem heutigen Zeitalter proliferiert.

Kulturelle Hybride in der entgrenzten Welt Identifikation sowie Identitätsrepräsentationen und kulturelle Praktiken kreisen immer um das Spiel mit den Differenzen (kulturelle), zur Sicherung von Machtpositionen durch symbolische Grenzziehungen. Somit sind Identität, Macht und

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Differenzen unweigerlich aneinander gekoppelt (Hall 2004: 169). Erst anhand von Differenzen, verstanden als binäre Gegensätze, lässt sich die Entstehung und die Proliferation kultureller Hybride im gegenwärtigen Zeitalter erläutern. Deshalb wird im folgenden Abschnitt auf allgemeine Implikationen von Differenzen, deren Ansätze aus der Linguistik, der Anthropologie sowie der Psychoanalyse stammen, eingegangen, um anschließend auf die Bedeutung von kultureller Hybridität, einem Leben im Zwischenraum der Kategorien, rekurrieren zu können. Im Allgemeinen ist die Differenz essenziell für die Herstellung von Bedeutungen, im Besonderen für die Kultur, da sie ihre Ordnungsfunktion darstellt (ebd.: 119) und das ‚klassifikatorische System‘ generiert. Sie entsteht erst im Dialog mit den „Anderen“ und ist ambivalent, d. h., sie hat positive wie negative Aspekte. Zum einen wird Differenz für die Ausbildung von Bedeutung, Sprache, Kultur und somit auch zur Formierung der sozialen Identität benötigt, zum anderen „ist sie bedrohlich, eine Quelle von Gefahr, von negativen Gefühlen, Spaltungen, Feindseligkeiten und Aggressionen gegenüber dem ‚Anderen‘“ (ebd.: 122). Ambivalent wird Differenz aufgrund ihrer inhärenten Machtdimension, bei der der Pol, der als natürlich definiert wird, dominiert und „das Andere“ in sein „Operationsfeld“ integriert – somit ist die Kennzeichnung von Differenz, Basis der kulturellen Ordnung sowie für Identität. Die Ordnung stabiler Kulturen wird gestört, wenn sich die vorherrschende Vielfalt oder Artefakte nicht mehr auf „Entweder-Oder-Kategorien“ reduzieren lassen und der Kategorisierung entrinnen (ebd.: 119). „Symbolische Grenzen sorgen für die ‚Reinheit‘ der Kategorien und geben Kulturen so ihre einmalige Bedeutung und Identität. Ein deplatzierter Gegenstand stellt einen Angriff auf diese ungeschriebenen Regeln und kulturellen Kodes dar“ (ebd.: 119), da er nicht mit der Logik der Gegensätze erfasst werden kann und irgendwo in der Mitte dieser beiden Pole angesiedelt werden muss, wie beispielsweise kulturelle Hybride47, die zur „Instabilität dieses Systems beitragen“. Hybridbildung als Prozess bezeichnet die Vermischung, „einen kategorienüberschreitenden Prozess“ (Nederveen-Pieterse 1998: 105), d. h., dass sich kulturelle Sitten und Gebräuche von existierenden Praktiken lösen, um sich mit neuen Sitten und Praktiken zu binden (ebd.: 94). Da die binäre Logik in der Moderne vorherrschend war und Hybride einen Störfaktor darstellten, ist es nicht verwunderlich, dass Lebensentwürfe der Hybridität marginalisiert wurden und negative, minderwertige Konnotationen erhiel47 Die Bezeichnung hybrid ist keine Wortschöpfung aus der Moderne, sondern ist etymologisch verwandt mit der griechischen Bezeichnung hybris (Ha 2005: 17). „Da die Hybris eine Form der Regel- und Grenzüberschreitung beschreibt, welche die bestehende Ordnung transzendiert, werden Mischlinge und Halbgötter und Mischlingswesen als Hybride vorgestellt. Entsprechend leitet sich die lateinische Bezeichnung ‚hybrida’ (Mischling zweierlei Herkunft) aus der griechischen „hybris“ ab. Sowohl die Hybris, verstanden als religiöses Delikt (Beleidigung der Götter), das durch die Nemesis (gerechter Unwille) bestraft, als auch der Mischling, der oft in der Form von Missgestalten (Sphinx, Chimären, Gorgonen) auftritt, sind in ihren Bedeutungen oft Angst und Bedrohung konnotiert“ (ebd.: 18, Z. 15-25).

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ten. In der Postmoderne erfährt die Hybridisierung, besonders durch die Verwendung der Hybridisierung im technischen Bereich, positive Assoziationen – sie wird durch ihre Produktivkraft zum Inbegriff von Flexibilität, Innovation und Wandlung (Ha 2005: 61), da die Vermischung von Differenzen ökonomische, kulturelle und ästhetische Anreize schafft (ebd.: 62). Es scheint als ob das Konzept der Hybridität genau in den Wertekanon der Postmoderne bzw. den Spätkapitalismus passt. Die Vermischung von Lebensstilen oder die verschiedener Kulturen, aus der Perspektive der Verwertbarkeit stellen eine kreative Quelle für die Ökonomie dar, während sie für Menschen, die zwischen zwei Kulturen leben, ambivalente Zugehörigkeitsgefühle oder teilweise innere Zerrissenheit bedeuten. „Während Identitätsspiele für Mitglieder der Dominanzgesellschaft eher den Charakter lustgewinnender Experimente annehmen, werden sie von den Marginalisierten erheblich ambivalenter und riskanter erlebt. Kulturelle Identitätsentwicklung kann auch eine schmerzliche Erfahrung sein, die aus der Notwendigkeit entstanden ist, in deklassierten Gesellschaftspositionen zu überleben und Strategien im Umgang mit Ausgrenzungen zu entwickeln“ (Ha 2004: 161). Heute leben viele Menschen aufgrund variierender Motive außerhalb ihres Herkunftslandes, bilden beispielsweise Diaspora-Gemeinschaften oder Expatriate Communities im Ausland. Alois Moosmüller vertritt die Auffassung, dass Diaspora-Gemeinschaften besonders gut in das heutige Zeitalter passen, da sie selbst als ein glokales Phänomen, die Spannung zwischen Lokalem und Globalem darstellen (Moosmüller 2002: 16). Im Allgemeinen kann angenommen werden, dass Identitätsmuster komplexer werden, da sie sich zusammensetzen aus lokaler Verbundenheit bei gleichzeitiger Bezugnahme auf globale Werte und Lebensstile (Nederveen-Pieterse 1998: 94-95). „Die Diaspora-Gemeinde ist in der Lage, sowohl die lokalen Bedürfnisse nach Identität, nach Heimat und Geborgenheit in der kulturellen Gruppe zu erfüllen, als auch jene Bedürfnisse und Ansprüche, die sich aus der Globalität ergeben, nämlich flexibel, mobil und kulturell anpassungsfähig zu sein und mit der Welt sozusagen online in Verbindung stehen“ (Moosmüller 2002: 16). In diesem Zusammenhang thematisiert Appadurai die Entstehung von so genannten Trans-Nationen (Diaspora) als weit gestreute globale Stämme, die nicht länger ihr Heimatland hinter sich lassen müssen, sondern auf die ursprüngliche Vertrautheit mit ihrem Stamm und Hightech-Strategien bauen (Appadurai 1998: 172). Diese Menschen können sich ihre Identitäten nicht nach Belieben basteln, sondern werden durch ambivalente Verbundenheitsgefühle zu so genannten Bindestrich-Identitäten, kulturellen Hybriden (ebd.: 176). Diese ambivalente Verbundenheit wird meistens sichtbar bei politischen Auseinandersetzungen: hier werden „kalte“ Identitäten in „heiße“ transformiert und die Implosion eines Ortes führt zur Explosion in anderen, dadurch dass beispielsweise translokale Identitäten zu einem Gegenspieler für Nationalstaaten werden (Appadurai 1998: 165). Menschen, die sich im Ausland niedergelassen haben, werden dort überwiegend als die „Anderen“ stereotypisiert, da sie immer noch mit der Imagination ihres

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Heimatlandes verwurzelt sind. Aus der Perspektive ihrer Landsleute haben sie sich durch das Leben im anderen Kulturkreis zu sehr von der Herkunftskultur entfremdet, sodass ihre Identität irgendwo zwischen Ankunfts- und Herkunftskultur zu verorten ist. Beispielsweise ist dieses Phänomen der Verortung im Zwischenraum oftmals bei den Kindern von Migranten besonders ausgeprägt (Nederveen-Pieterse 1998: 106). „Überall entstehen kulturelle Identitäten, die nicht fixiert sind, sondern im Übergang zwischen verschiedenen Positionen schweben, die zur gleichen Zeit auf verschiedene kulturelle Traditionen zurückgreifen und die das Resultat komplizierter Kreuzungen und kultureller Verbindungen sind, die im wachsenden Maße in einer globalisierten Welt üblich werden“ (Hall 2002: 218).

Menschen, die durch verschiedene Kulturkreise beeinflusst werden, besitzen eine „multikulturelle Persönlichkeit“ und „sitzen“ zwischen den Kulturen (Breidenbach/Zukrigl 2000: 83). Diese Identitätsentwürfe, die aus der Vermischung verschiedener Traditionen, d. h. zwischen den beiden Polen (auch Zentrum und Peripherie), entstehen, werden mit unterschiedlichen Begriffen wie „Kreolisierung“ (Ulf Hannerz), „Bastardisierung“ (Salman Rushdie), „Melange“ (Jan NederveenPieterse) und „Hybridität“ (Homi K. Bhabha) bezeichnet. Das Konzept der Kreolisierung, welches Hannerz aus der Linguistik metaphorisch auf die Kultur überträgt, soll hier kurz skizziert werden. Es stellt nicht nur die kulturelle Diversität in den Vordergrund, sondern auch das kreative Potenzial kultureller Hybride in dem Versuch mit einem Leben im Dazwischen zurechtzukommen. Der Terminus Kreolisierung aus der Linguistik bezeichnete neue Sprachen, die in Westafrika und der Karibik durch die Mischung der jeweiligen Sprache der Kolonialherren und der afrikanischen Sprache entstanden (Breidenbach/Zukrigl 2000: 85). Nach Auffassung von Hannerz ist kreolisierte Kultur und damit auch Identität im Kern eine Kombination aus der in der globalen Ökumene verherrschenden Vielfalt und ihrer Vernetztheit, die im Kontext der Zentrum-Peripherie-Strukturen Veränderungen auslöst (Hannerz 1996: 67). Kreolisierte Kulturen und hybride Identitäten entstehen laut Hannerz entlang des so genannten Zentrum-Peripherie-Kontiuums, welches von der politischen Ökonomie initiiert wurde und durch Ungleichheit charakterisiert ist (innerhalb von vier Organisationsrahmen der kulturellen Flüsse: Lebensart, Staat, Markt, Bewegung). Das Zentrum-Peripherie-Kontinuum (und die Ungleichheit) resultiert aus der Definition der kulturellen Formen des Zentrums als Standard, das einen Pol des kreolischen Kontinuums stellt und denjenigen der entferntesten Peripherie, sozusagen als gegenüberliegender Pol.

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Abbildung 6: Das Zentrum-Peripherie-Kontiuum nach Ulf Hannerz Nationalkultur im Zentrum

Kulturelle Mischformen aus Zentrum und Peripherie

Nationalkultur in der Peripherie

In dem Zwischenraum dieser beiden Pole, der von kulturellen Mischformen ausgefüllt wird, manifestiert sich der Prozess der Kreolisierung als Form kreativer Wechselwirkung zwischen Zentrum und Peripherie, d. h. nicht als Resultat von Machtausübung (Hannerz 1996: 67-68). Die vier Organisationsrahmen (Lebensart, Staat, Markt, Bewegung), in denen Kultur fließt, basieren auf folgender Annahme: Menschen unterschiedlicher sozialer Positionierungen mit verschiedenen Zielen sind Träger von Kultur und prägen diese (ebd.: 69). Der erst genannte Organisationsrahmen, die Lebensart, ist für die Ausbildung hybrider Identitäten der Bedeutendste. Sie manifestiert sich in den sozialen Handlungen des Alltags und umfasst neben persönlichen Bindungen, Begegnungen mit Fremden; hier wird die Zirkulation von kulturellen Bedeutungen für den Menschen am deutlichsten spürbar (ebd.: 70). Wir können uns den gesamten kulturellen Prozess und damit auch die Entstehung hybrider Identitäten als Wechselwirkung zwischen den vier Organisationsrahmen vorstellen, in dem die einzelnen Agenten, Bedeutungen sowie deren Produktion aufgrund ihrer variierenden Motive und Intentionen unterschiedlich handhaben. Werden beispielsweise Weltstädte, in denen lokale und transnationale Facetten zusammenspielen, betrachtet, wird sichtbar, dass zum einen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Schichtungen aufeinander treffen und zum anderen Menschen ihren Fokus auf diese Städte richten, da sie Quelle von neuer Kultur sind (ebd.: 128). In dem Versuch „Fremder“, mit ihrer Kultur und den neuen kulturellen Bedeutungen, durch die sie unweigerlich geprägt werden, zurechtzukommen, entstehen zum Teil kreative Lösungen bzw. hybride Formen. Teilweise werden kulturelle Bedeutungen innerhalb der Lebensart, in den Marktrahmen platziert (Umwandelung einer Kulturform in einer Ware), d. h. kulturelle Gepflogenheiten innerhalb einer Matrix persönlicher Beziehungen werden einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wie zum Beispiel durch subkulturelle Küchen (ebd.: 136-137). Besonders Weltstädte verzeichnen ein enormes Anwachsen von wechselnden Bedeutungen, durch die Reziprozität der Lebensweisen, die hier auf komprimiertem Raum aufeinander treffen. Hannerz verweist in diesem Zusammenhang auf die Paradoxie des kulturellen Prozesses der Weltstädte: „während diejenigen in der Peripherie oder Semiperipherie immer wieder den kulturellen Fluss des Zentrums verspüren, den Fluss vom Zentrum in die Peripherie, ist im Zentrum selbst, was auch immer als ‚native‘ Kultur durchzugehen scheint, durchdrungen oder belagert von der lokalen Repräsentation der Peripherie“ (ebd.: 134).

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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sogenannte kulturelle Hybride und ihr Leben gekennzeichnet sind von unterschiedlich stark ausgeprägten kulturellen Bedeutungen, meistens von Zentrum und Peripherie und dass sie versuchen müssen, zwischen den beiden Polen zu übersetzen, damit sie ihre soziale Verortung finden und ihr Identitätsgerüst bauen können.

Übersetzung als eine Form des Sinnbastelns zwischen Kulturkreisen Die kulturellen Identitäten der Hybridität sind nicht fest in einem kulturellen Bedeutungssystem verortet sondern nehmen eine Art Zwischenposition ein. Sie haben die Möglichkeit, auf beide Kulturen und ihr Repertoire an Sprache, Tradition und Geschichten zurückzugreifen, da sie eine Prägung durch beide erfahren haben (Hall 2002: 218). Sie halten Verbindungen zu ihrer Herkunft und arrangieren sich in der Ankunftskultur, sodass sie die alte Identität nicht aufgeben müssen. Daher müssen sie lernen, zwischen ihnen zu vermitteln und zu übersetzen, d. h. sie sind in der Lage, ihre Identität an die jeweiligen Bedingungen anzupassen, da sie mit beiden Kulturen und zwischen ihnen leben. „Sie tragen die Spuren besonderer Kulturen, Traditionen, Sprachen und Geschichten, durch die sie geprägt wurden, mit sich. Der Unterschied ist, dass sie nicht mehr einheitlich sind und sich auch nie im alten Sinne vereinheitlichen lassen wollen, weil sie unwiderruflich das Produkt mehrerer ineinander greifender Geschichten und Kulturen sind und zu ein- und derselben Zeit mehreren ‚Heimaten‘ und nicht nur einer besonderen Heimat angehören“ (ebd.: 19-25). Einerseits muss, wie oben bereits erwähnt, berücksichtigt werden, dass diese Menschen oft inhärente Probleme mit der Zugehörigkeit haben, da sie in beiden Kulturen leben. Andererseits haben sie die Chance, das Beste für sich aus beiden Kulturen zu übernehmen. Die Problematik ist, dass Menschen, die ihr Heimatland verlassen haben und sich mit einem neuen Kulturkreis arrangieren wollen, gezwungenermaßen zwischen beiden übersetzen müssen. Aufgrund der Tatsache, dass hier in der Sinnprovinz der Betroffenen zwei kulturelle Bedeutungssysteme wirken, die diese für seine persönliche soziale Verortung in der Gesellschaft berücksichtigen muss. Die Herausforderung von kulturellen Hybriden müsste demnach bei dem so genannten Sinnbasteln darin bestehen, die beiden unterschiedlichen Repräsentationssysteme (Herkunftsund Wahlkultur), d. h. die bestehenden Differenzen zwischen ihnen aus seiner subjektiven Perspektive zu versöhnen – in dem sie eine Brücken bauen und Elemente aus beiden Kulturkreisen übernehmen (Becker/Huth 2002: 37). Es könnte auch sein, dass erst die Versöhnung der beiden kulturellen Bedeutungssysteme, bei der vermutlicherweise eines der beiden für den Übersetzer die relevante Position einnimmt, seine Hybridität zum Ausdruck bringt. Emigranten sind, um sich in fremden Ländern zurechtzufinden, bis zu einem gewissen Grad gezwungen zwischen den Kulturen zu übersetzen daher besitzt ihr „Handeln“ eine bestimmte Notwendigkeit.

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Hierin manifestiert sich der Unterschied zwischen kulturellen Hybriden und so genannten Kosmopoliten, in der Notwendigkeit der Brückenbildung. An dieser Stelle soll der Lebensentwurf von kosmopolitischen Identitäten angeführt werden, zum einen weil dieses ebenfalls zunehmend praktizierte Lebensentwürfe in der heutigen Zeit sind und zum anderen, um die Trennlinie zwischen Hybriden und Kosmopoliten zu verdeutlichen. Des Weiteren könnten diese Unterschiede bei den Identitätsentwürfen von Mitgliedern einer transnationalen Familie Hinweise über das „Zurechtkommen“ mit mehren Kulturen innerhalb einer Familie liefern. Anzumerken ist, dass es ohne die Kategorie des lokal Verwurzelten keinen Kosmopoliten geben würde. Das Vokabular und die Differenzierung zwischen Kosmopoliten und lokal Verwurzelten hat seinen Ursprung in einer soziologischen Studie, die während des Zweiten Weltkriegs von Robert Merton in den USA durchgeführt wurde; hierbei waren Kosmopoliten diejenigen, die anstelle sich in den Strukturen einer Lokalität zu bewegen eher innerhalb nationalstaatlicher Strukturen lebten (Hannerz 1990: 237). Im Gegensatz zur Vergangenheit werden heute Kosmopoliten im alltäglichen Sprachgebrauch mit Menschen assoziiert, die von Berufswegen in der Welt umherziehen. Hannerz argumentiert, dass angesichts der heutigen Mobilität Kosmopolitanimus eher als eine persönliche Eigenschaft (ebd.: 245) von Menschen angesehen werden sollte, unterschiedliche (kulturelle) Bedeutungen zu handhaben (ebd.: 238). Er grenzt sie von Menschen ab, die sich in der Welt bewegen ohne sich mit Fremdeinflüssen auseinander setzen zu wollen, d. h. fest in ihrer lokalen Kultur verwurzelt bleiben. Hierzu zählt Hannerz Menschen, die zwar in fremde Länder reisen, aber nicht in die ortsansässige Kultur eintauchen, sondern an ihren eigenen Bedeutungszuweisungen festhalten und „Tourismus als eine Art Zuschauersport“ (ebd.: 242) betreiben. Ein weiteres Beispiel hierfür sind Manager transnationaler Konzerne. Einzelne befinden sich zwar über einen relativ kurzen Zeitraum in vielen verschiedenen Ländern und Kulturen, erhalten aber, wenn überhaupt, einen oberflächlichen Eindruck in deren Lebensweisen sowie Wertvorstellungen. Sie haben nahezu dieselbe Perspektive wie Touristen. Erst nach einem längeren Aufenthalt in einem Land findet ein wirklicher Zugang zur Kultur und den Menschen sowie ihren Identitäten statt. Ein weiterer Punkt, der gegen diese Menschen als Agenten spricht, ist, dass sie einer Klasse angehören, die sich von dem „üblichen Volk“ abhebt. Haben sie erst einen gewissen Lebensstandard erreicht, bekommen sie fast überall auf der Welt denselben Standard vermittelt, unabhängig davon, wo sie sich gerade befinden. Sie verkehren in den Kreisen ihresgleichen, in dem die Zugehörigkeit zu Kulturen fast keine Rolle mehr spielt, es geht vornehmlich nur noch um gewisse Etikette, die nahezu internationalen Standard erreicht hat. bhnlich verhält sich dies mit der kosmopolitischen Orientiertheit von Exilanten, die ihr Heimatland verlassen müssen und sich nur aus dem Zwang heraus mit einer anderen Kultur sowie deren Bedeutungen auseinander setzen (ebd.: 243).

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Kosmopoliten unterhalten Beziehungen zu einer Vielzahl von Kulturen, die sie als unverwechselbar begreifen, wobei mindestens eine territorialer Art ist (ebd.: 240). „Im engeren Sinne ist Kosmopolitanismus der Schritt zur kulturellen Vielfalt, die Koexistenz von Kulturen in persönlichen Erfahrungen“ (ebd.: 239), (die häufig durch Auslandsaufenthalte erworben wird (ebd.: 241)) und damit auch der Erwerb von kultureller Kompetenz in den jeweiligen Bedeutungssystemen, die unterschiedlich ausgeprägt ist (ebd.: 240). Kurz gesagt: Kosmopolitanimus ist die Bereitschaft, sich mit anderen kulturellen Bedeutungssystemen auseinander zusetzen, demnach fremde Kulturen aufzugreifen, diese aber nicht für sich als bindend wahrzunehmen; vielmehr kann der Kosmopolit sie jederzeit wieder ablegen (ebd.: 240) – da die kulturellen Bedeutungen, die sie in ihren Lebensentwurf integrieren den Charakter einer Wahlbindung haben. Das heutige Anwachsen von transnationalen Beziehungsnetzwerken, die unterschiedlich stark von lokalen Kulturen geprägt sind (ebd.: 244), lässt mehr kosmopolitische Lebensentwürfe entstehen als je zuvor (ebd.: 241). Aufgrund der Tatsache, dass das Leben von Menschen so genannte Expatriates, deren Tätigkeit innerhalb dieser transnationalen Kulturen (Unternehmen) liegt, gekennzeichnet ist von zahlreichen Auslandsaufenthalten in diversen Ländern, wird dieser Lebensentwurf am ehesten mit dem eines Kosmopoliten assoziiert (ebd.: 244). Auch wenn das Leben von Kosmopoliten durch häufige Auslandsaufenthalte charakterisiert ist, verbringen sie Zeit zu Hause, werden aber selten so stark in ihrem Ursprungsland verwurzelt sein, wie diejenigen, die sie als Lokale/ Ortsansässige identifizieren, da ihre Sichtweise irreversibel von ihren Erfahrungen in anderen Ländern beeinflusst wird (ebd.: 248). Da wir in der heutigen Zeit mit mehr Fremdeinflüssen konfrontiert werden als je zuvor, sei es durch die Medien, durch direkte Kontakte mit Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft oder durch Erzählungen von „Kosmopoliten“ stellt sich die Frage, ob nicht Menschen auch kosmopolitisch sein können, ohne jemals ihr Heimatland verlassen zu haben (ebd.: 249). Wenn Kosmopolitanismus die Summe verschiedener kultureller Bedeutungssysteme unterschiedlicher Lokalitäten ist, die in einem Menschen wirken (und nicht widerspruchsfrei sein müssen) und dessen Positionierung er eigenständig aushandeln muss, dann könnte es keine Kosmopoliten ohne Lokal-Verwurzelte geben (ebd.: 249-250). In dieser Diskussion wird das Spiel mit den Differenzen ebenfalls sichtbar zum einen bei der Unterscheidung zwischen Kosmopoliten und Lokal-Verwurzelten und zum anderen beim Kosmopoliten selbst, durch die spielerische Natur der Aushandlungsprozesse.

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Die Konzeption der Weltgesellschaft – e i n e b e g r i f f l i c h e An n ä h e r u n g Einleitend soll hier angemerkt werden, dass das Thema bzw. der Begriff Weltgesellschaft um die Implikationen, die Konzepte und Lebensentwürfe, kreist, die im Zusammenhang mit der zweiten Moderne eruiert wurden: der Entgrenzung (von Lebensentwürfen, Kultur, Ökonomie, Politik) und der Emanzipation kultureller Identitäten. Allen angeführten Konzepten ist der Verweis auf Weltgesellschaft implizit, auch wenn dieser Begriff nicht explizit verwendetet wird. Der Diskurs um Weltgesellschaft bezieht sich im Allgemeinen auf das entstandene Bewusstsein, in einer einzigen Welt als singulärer Struktur, zu leben mit der Erkenntnis, dass sich menschliche Vergesellschaftungsformen sowie -praktiken nicht mehr im Rahmen von klar abgrenzbaren nationalstaatlichen Kategorien gedacht werden können, sondern grenzüberschreitend werden. Im Besonderen manifestiert sich Weltgesellschaft in dem Bewusstsein jedes einzelnen Individuums im Hinblick auf die Erfahrungen, die „Welterfahrung“, die tagtäglich gemacht werden wie beispielsweise durch die Funktion der Massenmedien als Erweiterung der Sinne; die Anbindung lokaler Netzwerke an Globale, sodass die Existenzgrundlage einzelner Individuen und Orte in die Hände von globalen Bedingungen gelegt wird. Durch die entstandene Mobilität finden Ortsansässige das Globale als Mikrokosmos vor ihrer Haustür in Form von kultureller Vielfalt, kulturspezifische Repräsentationen von Lebensstilen und kulturspezifischen Waren, wieder. Zusammenfassend betrachtet manifestiert sich Weltgesellschaft in der Formation der Weltwirtschaft, der Weltpolitik, dem Weltrecht (Menschenrechte) und der Weltkultur (globaler Sinnpool), ohne dass ein dementsprechender Weltstaat zu deren Steuerung existiert. Dadurch wird die Lebenswelt der Individuen dahingehend transformiert, dass ihre Lebenswelt an translokale Netzwerke angebunden ist, ihre Existenzbedingungen an dieses globale Beziehungsgefüge gekoppelt wird und dass sie die Welt als Artikulationsraum für ihre Bedürfnisse nutzen können. Demnach müsste die Globalisierung, im Besonderen die kulturelle Globalisierung, die nach Robertson treibender Motor für die Verbreitung von Nationalgesellschaften war, auch die Antriebskraft für die Entstehung der so genannten Weltgesellschaft sein. Da die kulturelle Globalisierung zum einen durch die Verknüpfung der Lokalitäten zu ihrer einheitlichen Kommunikationsbasis führte und zum anderen die Möglichkeiten für die Formation einer Weltgesellschaft d. h. die abstrakten Systeme zur Zeit-Raum-Verdichtung, Rationalisierung, Homogenisierung, Heterogenisierung implementierte. Dies verweist auch darauf, dass der Höhepunkt des Nationalstaats in der Moderne, der seine Gesellschaft an sein Territorium fesselte und dieses als ihren Bewegungsraum definierte, durch die Proliferation transnationaler Verbindungen und Beziehungen sowie dem Erzeugen wechselseitiger multilateraler Abhängigkeiten überschritten worden ist.

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Weltgesellschaft geht aus den Nationalgesellschaften hervor und symbolisiert die Entstehung einer Gesellschaftsform, die nationalstaatliche Grenzen für sich nicht als bindend anerkennt, sondern ihren Horizont und damit auch den Bewegungsraum (real und virtuell) auf den kompletten Globus oder den Weltraum ausgeweitet hat. Vielleicht sollte Weltgesellschaft ebenfalls, in Anlehnung an Benedict Anderson, als eine vorgestellte Gemeinschaft gedacht werden. Sie ist vorgestellt, da sich die meisten Mitglieder dieser Gemeinschaft weder kennen noch begegnen oder auch „nur von ihnen hören werden“ (Anderson 1993: 15). Diese neuen Rahmenbedingungen liefern den nationalen Identitäten neue Bezugspunkte, Vergleichsmöglichkeiten wie Lebensskripte und bietet ihnen die Möglichkeit, sich grenzüberschreitend mit anderen kulturellen Identitäten zusammenzuschließen, um ihre Ziele durchzusetzen, in dem sie die Welt als Artikulationsraum (oder die Weltöffentlichkeit) ausnutzen und somit zu einem „Gegenspieler“ des Nationalstaates werden können. Albrow vertritt die Auffassung, dass diese Gegenspieler später bei Erreichen ausreichender Stärke, die Funktion eines Weltstaates übernehmen könnten (Albrow 1998: 268). Durch das entstandene Bewusstsein in einer Welt zu leben erhöht sich das Potenzial für Zusammenschlüsse zwecks gleicher oder ähnlicher Interessen, die nahezu überall auf der Welt vorhanden sind und führt gleichzeitig zu einer Neuausrichtung der Werte, dem Globalismus, der sich in dem Interesse an der Zukunft der Menschheit ausdrückt (vielleicht manifestiert sich hierin die neue kollektive Struktur der Welt). „Der Globalismus, die Gesamtheit der Werte, die auf den Zustand des Erdballs und das damit zusammenhängende Wohlergehen der Menschen abstellen, eröffnet den universellen Werten, die in der Neuzeit mit abstrakten Begriffen wie Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit ausgedrückt wurden, eine signifikant neue Dimension“ (ebd.: 258). Dies resultiert daraus, dass sich nationale Identitäten eher der Menschheit im Allgemeinen zuordnen als dem Nationalstaat und ihre individuellen Bezugspunkte anhand der universellgültigen (globalen) Werte relativieren, d.h. sie werden weniger in die Idee der Nation verwickelt sein und können bei Zuwiderhandlung gegen die universellen Werte so genannte Pressure Groups bilden. „Der Bezug auf das Globale krönt und bekräftigt die Ablösung von staatlichen Definitionen“ (Albrow 1998: 255). Dies führt nicht zum Verschwinden des Nationalstaats an sich, sondern zur Rückläufigkeit im Glauben an seine Ideologie und der Entstehung von Gegenspielern (Albrow 1998: 259, vgl. Nederveen-Pieterse 1998: 119). Die so entstehende Entkopplung der Gesellschaft von dem nationalstaatlichen Territorium führt zu einem tief greifenden gesellschaftlichen Wandel, sodass dieser Bruch mit/und Konsequenz aus der Moderne zugleich ist und wir an der Schwelle eines neuen Zeitalters stehen, in dem grenzüberschreitende Vergesellschaftungsprozesse und transnationale Beziehungsgefüge verstärkt auftauchen. Anzumerken ist, dass die Wortwahl „Moderne“ trügerisch ist, da die Konnotation dieser Bezeichnung immer auf etwas Neues und den Fortschritt verweist. In dem Konstrukt der Moderne, dem Nationalstaat, wurde nicht bedacht, dass die innerhalb

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des Containers abspielenden soziokulturellen Prozesse irgendwann aufgrund der expansionistischen Bestrebungen des Nationalstaats ebenfalls grenzüberschreitend werden könnten. Deshalb enthält das Konzept einer Weltgesellschaft den Verweis auf eine Veränderung der sozialen Realität, die anhand von neuen Kategorien beschrieben werden muss, die für die klassische „nationalstaatliche“ Soziologie nicht mehr zu fassen sind. „Der Aufstieg der Soziologie begann mit der Herausbildung des Nationalstaats und des Nationalismus“ (Nederveen-Pieterse 1998: 11), d. h. mit der Trennung des Politischen und des Sozialen wurde die auf das Territorium begrenzte Nationalgesellschaft zum Untersuchungsobjekt der Soziologen (Robertson 1991: 82). Soziologie beschäftigte sich mit der Funktionsweise von national konstituierten Gesellschaften, der Schaffung einer homogenen Nationalkultur bzw. kollektiver Identität und zogen Vergleiche mit anderen Nationalgesellschaften, um klare Abgrenzungen vorzunehmen. Mit anderen Worten, sie hatten wenig Verständnis oder verbauten sich den Blick dafür, was heute als pluralistische Gesellschaft (ebd.: 82) bzw. Weltgesellschaft bezeichnet wird, da das Potenzial grenzüberschreitender Bindungen unterschätzt wurde (Albrow 1998: 258). „In der Tat ist das Wissen um das Potenzial grenzüberschreitender Bindungen eine Voraussetzung für die Anerkennung dieser Idee. Obwohl die Idee einer Weltgesellschaft so alt ist wie die politische Theorie, wurde sie doch nie ernsthaft als reale Aufgabe, sondern immer nur als immanente Tendenz politischen Handelns betrachtet. Wenn man sich die menschliche Gesellschaft als in Nationalgesellschaften verfallen vorstellt, wird die Weltgesellschaft zum Objekt politischer Entscheidungen und politischen Handelns“ (ebd.: 258-259). Die Wiederkehr des Sozialen, das von der funktionalistischen Staatstheorie ausgeklammert wurde und das Potenzial Grenzen zu überschreiten entstand nach der Auffassung von Lash „durch die zunehmende Überlagerung des Sozialen mit Informations- und Kommunikationsstrukturen“ (Lash 1996: 284) und bildet demnach die Grundlage für das Knüpfen von weltweiten Beziehungsgefügen. Demnach beruht „die Weltgesellschaft nicht auf einem Pakt zwischen den Nationalstaaten, sondern auf grenzüberschreitenden Bindungen“ (Albrow 1998: 259). Die neue soziale Realität zeigt sich nicht nur in der Kopplung der individuellen Existenzbedingungen an globale Umstände, die unterschiedliche Gefühle und Reaktionen entstehen lassen, sondern auch in der Formation von Trans-Nationen (Appadurai), transnationalen Interessengemeinschaften, globalen Bewegungen, transnationalen Organisationen bspw. Nichtregierungsorganisationen (NGO). Nach der Auffassung von Nederveen-Pieterse sollten diese transnationalen Organisationsformen als strukturelle Hybride bezeichnet werden (Nederveen-Pieterse 1998: 118), da sie nicht mehr auf ein Territorium reduzierbar sind und quer zu nationalstaatlichen Grenzen verlaufen und sich damit nicht mehr adäquat kontrollieren lassen. Für die klassische Soziologie, „die ihren Höhepunkt im Strukturfunktionalismus und der Modernisierungstheorie hatte“, bedeutet, dass sie heute mit dem Aufkommen der Weltgesellschaft in Frage gestellt werden muss. „Eine

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neue, globale Soziologie nimmt Formen an, die sich nicht mehr an ‚Gesellschaft‘ sondern an sozialen Netzwerken, Grenzgebieten, Grenzüberschreitungen und Weltgesellschaft orientieren. Anders formuliert: Die Soziologie einer nationalstaatlich eingeschränkten Gesellschaft weicht einer postintern/nationalen Soziologie hybrider Formen, Zeiten und Räume“ (ebd.: 118). Kurzum, Weltgesellschaft als Konzept enthält den Verweis und die Aufforderung, Gesellschaft in neuen kategorieübergreifenden Prozessen zu verstehen.

Die Weltgesellschaft bei Niklas Luhmann Luhmann entwirft einen systemtheoretischen Ansatz für die Konzeption einer Weltgesellschaft und die Mechanismen (Systeme), die in ihr wirken. Dieser Ansatz soll skizziert werden, um eine Sichtweise aufzuzeigen, wie das auf der Welt gegenwärtige Beziehungsgefüge im Gesamtzusammenhang als Weltgesellschaft aufgefasst werden kann. Hierbei soll an dieser Stelle kurz darauf verwiesen werden, was Luhmann an und für sich unter Gesellschaft versteht: „Gesellschaft besteht nicht aus Menschen oder/und Beziehungen zwischen ihnen, sie ist keine in einem ersten Zugriff territorial oder regional abgrenzbare Einheit; sie wird nicht konsensuell oder wertmäȕige-moralisch zusammengehalten“ (Krause 2001: 52). Gesellschaft ist ein autopoietisches soziales System, deren konstitutives Element die Kommunikation ist (ebd.: 32). Zur Verdeutlichung sowie Herleitung seiner Theorie beschreibt Luhmann das alteuropäische Gesellschaftsmodell, analysiert die heutigen Gegebenheiten und verweist auf die Transformation essenzieller Komponenten, sodass Weltgesellschaft nicht wahrgenommen wird, da sie sich in anderen Kategorien manifestiert. Derzeitig, wie sich auch schon aus dem obigen Abschnitt ableiten lässt, steht der Zusammenhang der Angelegenheiten aller Menschen außer Frage; debattiert wird die Beschreibung dieser Zusammenhänge aufgrund der hohen Komplexität. Die gegenwärtige Gesellschaft, die nur noch in der Form einer Weltgesellschaft gedacht werden kann, ist gekennzeichnet von einer gesteigerten Kenntnis über das Leben anderer sowie Interaktionsmöglichkeiten zwischen ihnen; ermöglicht wird dies durch das spinnennetzartige Kommunikationsnetz, das sich über den Globus gelegt hat. Menschen wissen um ihre Zugangsmöglichkeiten, auch wenn sie diese nicht beanspruchen – „Was als Weltgesellschaft erscheint, ist dann das Korrelat der beobachteten Erreichbarkeit von Kommunikation füreinander“ (ebd.: 232). Die Verwobenheit von unterschiedlichen Systemen (Sektoren) wie beispielsweise politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen oder gesellschaftlichen, ist Normalität geworden. Es entwickelt sich eine durchgehende ‚Verkehrszivilisation‘ (Luhmann 1975: 54), d. h., jeder Mensch ist in der Lage, mit Eigeninitiative und Dazulernen sich in fremden Ländern zurechtzufinden. Der vereinheitlichte Welthorizont einhergehend mit dem „weltweiten Möglichkeitshorizont“ (ebd.: 54) prägt die „intersubjektive Erwartungsbildung“ (ebd.:

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54) und beeinflusst das Handeln sowie Erleben von Individuen – deren Tragweite und Einfluss heute nicht absehbar ist. „Die Weltgesellschaft ist dadurch entstanden, dass die Welt durch die Prämissen des weltweiten Verkehrs vereinheitlicht worden ist“ (ebd.: 55) – dies bedeutet: Weltgesellschaft ist das Resultat eines evolutionären Prozesses bzw. die zunehmende Ausdifferenzierung von Gesellschaft und die Steigerung ihrer Komplexität. Den Transformationsprozess der Gesellschaft, den Luhmann lokalisiert, verweist auf eine Verschiebung von der segmentären Differenzierung der Gesellschaft zu der funktionalen Differenzierung sowie die Umstellung normativer Erwartungsstrukturen auf kognitive Erwartungsstrukturen (Problemlösung).48 Hierbei muss angemerkt werden, dass die segmentäre Differenzierung sowie normative Erwartungsstrukturen nicht verschwinden, sondern der Primat bei der funktionalen Differenzierung und den kognitiven Erwartungsstrukturen liegt, d. h. Koexistieren (ebd.: 60). Dies deutet nach Luhmann auf eine Strukturveränderung hin, in der die Gesellschaft nicht mehr als Ganzes und seinen Teilen aufgefasst werden kann, die qua Politik und gemeinsamen Normen wie Werten integriert werden, sondern aufgrund der funktionalen Differenzierung als System-UmweltBeziehung gedacht werden muss (ebd.: 59). Demnach ist die funktionale Differenzierung relevant für die soziale Struktur der Gesellschaft, die sich durch die Einordnung der Teilsysteme nach ihren Funktionen verändert. „Luhmann entwickelt einen Gesellschaftsbegriff, der nicht über die Individuen, deren Wechselbeziehungen oder Rollen bestimmt ist, sondern über Kommunikation. Dies hat Folgen für die Grenzen der Gesellschaft, die nicht über territoriale Unterscheidungen, sondern über Kommunikation gezogen werden“ (Wobbe 2000: 54-55). Die heute entstandenen funktionalen Systeme49 in Form von Weltwissenschaft, 48 Der Unterschied beider Komponenten (normative, kognitive Erwartungsstrukturen) manifestiert sich im Verhalten bei Enttäuschungsfällen, wobei beide dieselbe Funktion innehaben: die Bereitstellung einer Problemlösung. Wird mit einer normativen Erwartungsstruktur gearbeitet, wird im Enttäuschungsfall basierend auf innerer Überzeugung, Sanktionen sowie vorherrschendem Konsens an der Erwartung fest-gehalten. In kognitiven Erwartungsstrukturen spiegelt sich eine gewisse Lernbereitschaft wieder d.h. Enttäuschungen werden korrigiert – diese adaptive Methode hilft assimilative Lösungen zu finden und lassen Erwartungsänderungen zu (Luhmann 1975: 55). „Kognitives Erwarten sucht sich selbst, normatives Erwarten sucht sein Objekt zu ändern“ (ebd.: 55). Aus der Perspektive der Enttäuschungen betrachtet sind beide Varianten konträr, das Sein und das Sollen. Dies Lösungsvariante lässt keine willkürliche Auswahl zu, sondern muss im Zusammenhang mit der Systemstruktur, der Umwelt und den Risiken und möglichen Folgen abgewogen werden (ebd.: 56). Jedoch haben normative Erwartungsstrukturen auf der Ebene der Gesellschaft vorrang, da sie einfacher institutionalisierbar sind und einen Handlungsspielraum festsetzen, der Handlungen erwartbar werden lässt. Während bei normativen Erwartungsstilen an dem erstellten Regelwerk und somit am allgemeinen Konsens festgehalten werden kann, müsste bei der kognitiven Variante pauschalisierte Konsens für eine noch nicht absehbare bnderung erteilt werden. 49 Eine Systemdifferenzierung bietet die Möglichkeit die Komplexität der Umwelt zu reduzieren und lässt somit Teilsysteme entstehen, deren „Innenleben“ geringere

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Weltpolitik, Weltwirtschaft usw. halten sich durch ihr Leistungsstreben (Funktionserfüllung) nicht mehr an die Institutionen aus dem alteuropäischen Gesellschaftsmodell, sondern sind autopoietisch. Sie beziehen sich auf sich selbst, schaffen ihre eigenen Abgrenzungsmechanismen in der komplexen Umwelt und reproduzieren sich mittels eigener Elemente. „Damit ist die Einheit einer alle Funktionen umfassenden Gesellschaft nur noch in Form einer Weltgesellschaft möglich“ (Luhmann 1975: 60). Anzumerken ist, dass allein die Übertragung der Konzeption von Regionalgesellschaften auf ein „internationales System“ scheitert, da sie immer noch die Vorherrschaft der Politik (verbunden mit der Gesellschaft) voraussetzen würde (ebd.: 57). Das Konzept von Recht und Politik als Risikoträger setzt die Ebene eines Nationalstaates voraus, in dem wirtschaftliche, politische sowie private Interessen in seiner Hülle artikuliert werden konnten. In den Zeiten der Globalisierung können die Probleme sowie Interessen nicht mehr auf nationalstaatlicher Ebene zum Ausdruck gebracht werden, da sie längst seine territorialen Grenzen überschritten haben: „Heute definieren Wirtschaft, Wissenschaft und Technik die in der Gesellschaft zu lösenden Probleme mitsamt den Bedingungen und Grenzen ihrer Lösungsmöglichkeit, und dem Rang der Politik bestimmt sich nicht aus ihr selbst oder aus eigenen normativen Vorstellungen heraus, sondern aus dem Abstraktionsniveau und dem Weitblick, mit dem sie sich ändernde Lagen in Pläne fassen“ (ebd.: 58). Technik, Wissenschaft und Wirtschaft (als funktionale Systeme) arbeiten mit kognitiven Erwartungsstilen und haben kein Interesse am normativen Durchhalten von Enttäuschungsrisiken – da ihnen bei der Strukturierung von kognitiven Erwartungsstrukturen ein Schema für Reaktionen auf Veränderungen zur Verfügung steht (ebd.: 58). Luhmann stellt vor dem Hintergrund der heute vorherrschenden kognitiven Erwartungsstrukturen und Verknüpfung mit Komplexität aufweisen. Die Selektivität des Systems erhöht sich durch die Wiederholung der Systembildung in ihm selbst. Selektionsprozesse definieren zum einen das Systeminnere, welches aus weiteren Teilsystemen besteht und zum anderen eine Abgrenzung nach außen. Daraus resultieren strukturierte Teilsysteme, die zwar in einem Raum nicht existieren können, aber es ermöglichen das Gesamtsystem zu stabilisieren, indem sie ihm erleichtern sich an Umweltveränderungen anzupassen. Durch die Differenzierung erhöht sich die Komplexität der einzelnen Systeme bei gleichzeitiger Reduktion der Umweltkomplexität. Die Aufgabe des Gesamtsystems besteht darin seinen Teilsystemen eine geordnete Umwelt zu geben, wodurch Teilsysteme, die auf eine weniger komplexe Umwelt angewiesen sind, integriert werden können. Für die verschiedenen Teilsysteme lassen sich verschieden Integrationsmechanismen ausmachen, die funktional gleichwertig sind d.h. trotz ihrer Differenziertheit sind allen Teilsystemen Gemeinsamkeiten (bspw. Akzeptanz der Normordnung) innewohnend, die ihre Integration in das Gesamtsystem ermöglichen (Luhmann 1975: 59). „Funktionale Differenzierung besagt, dass Teilsysteme ihre Identität aus spezifischen Funktionen für das Gesamtsystem gewinnen – und nicht etwa als verkleinerte, unter sich gleiche Kopien des Gesamtsystems“ (ebd.: 60). Durch die Einseitigkeit der Motivationsgründe der Teilsysteme ihre Funktion zu erfüllen, werden die Möglichkeitshorizonte um ein Maß erweitert, sodass sie untereinander inkompatibel werden.

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der Evolutionstheorie eine Hypothese auf, die er selbst spekulativ nennt, da es hierzu keinerlei wissenschaftliche Erkenntnisse gibt. Er ist der Meinung, dass bei der herauskristallisierenden Weltgesellschaft die Selektion (aus unendlich vielen Möglichkeiten im Raum) nicht mehr durch normative Komponenten (d. h. in Gestalt von Zwecken, Werten und Vorschriften) gesteuert wird, sondern durch kognitive sich anpassende Mechanismen, die in den einzelnen Teilsystemen normativ verankert werden. „Damit ließe man sich auf die Voraussetzung ein, dass auf sehr hohe und funktionsspezifisch strukturierte Komplexität besser durch Lernprozesse als durch kontrafaktisches Festhaltenwollen vorgegebener Erwartungen reagiert wird“ (ebd.: 63). Hier wird deutlich, dass die althergebrachten begrifflichen Konzepte von Gesellschaft den Blick auf die heutige Weltgesellschaft verschleiern und Alternativen für die Beschreibung sowie Erfassung des „neuen Gesellschaftssystems“ gefunden werden müssen (ebd.: 63). Wir sehen das Resultat als die hohe interne Mobilität, die Veränderlichkeit und die Zeitknappheit in unserer heutigen Gesellschaft, die jeweils andere Teilsysteme unvorhersehbar erscheinen lassen (Ungewissheit) und damit eine strukturelle Dynamik entstehen lassen (ebd.: 62). Die Folgen werden bei der Betrachtung der Teilsysteme sichtbar, sie erhöhen ihre Adaptivität, um mit effizienteren Selektionsmechanismen und/oder Unabhängigkeit in der heutigen verworrenen gesellschaftlichen Umwelt überleben zu können. Evolutionsmechanismen wirken demnach in zweifacher Hinsicht (doppelte Kontingenz): Zum einen als Ausbau innewohnender Qualitäten und zum anderen erfordern sie auch das Eingehen auf die Veränderung zwischen System und Umwelt, sodass je nach Perspektive (das System selbst oder die Umwelt anderer Systeme) unterschiedliche Wirkungsreihen angestoßen werden können. Der Kausalzusammenhang zwischen den Wirkungsreihen kann nicht genau erörtert werden, sondern lediglich auf das Komplexitätsgefälle von System/Umwelt zurückverfolgt werden. Jede Veränderung struktureller Komponenten weckt bei dem System selbst und anderen Systemen in der Umwelt Assimilationsprozesse, die meistens in der Form der Erhöhung des Komplexitätsgefälles zum Tragen kommen (ebd.: 62). Demnach „stellt die Weltgesellschaft das Feld weltweiter Kommunikation dar“ (Wobbe 2000: 40), das aus dem vereinheitlichten Welthorizont hervorgegangen ist, in dem der Möglichkeits-, Erlebnis- und Handlungshorizont von Individuen/Systemen zusammengelegt worden ist, auf die ganze Welt (grenze) als Letzthorizont. Denn Weltgesellschaft manifestiert sich darin, „dass in jeder Interaktion ein ‚Und so weiter‘ anderer Kontakte der Partner konstituiert wird mit Möglichkeiten, die auf weltweite Verflechtungszusammenhänge hinauslaufen und sie in die Interaktionssteuerung einbeziehen“ (Luhmann 1997: 54 – zitiert nach Wobbe 2000: 41). Das höchste Abstraktionsniveau ist demnach die Weltgesellschaft, in deren Kommunikationsfeld, Kommunikationen anschlussfähig werden“, in dem eine Kommunikation (bspw. Veränderung eines Systems) Reaktionen in anderen Systemen oder in sich selbst auslöst und damit Veränderungen herbeiführen, die sozial relevant sein

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können, indem sie den Möglichkeits-, Erwartungs- und Handlungshorizont verschieben bzw. erweitern oder einschränken.

Weltgesellschaft als Netzwerkgesellschaft Einen anderen Zugang als Luhmann, der das gesamte System der Gesellschaft unter systemtheoretischen Gesichtspunkten beschreibt, wählt Manuel Castells die Beschreibung der Weltgesellschaft unter netzwerktheoretischen Gesichtspunkten, um den Gesamtzusammenhang darstellen zu können. Die gesellschaftlichen Bedingungen bzw. Lebensumstände von Menschen werden bei Castells durch die Herrschaft einzelner Netzwerke determiniert. Castells kommt zu dem Schluss, dass die Gesellschaft sich in dem heutigen Informationszeitalter zu einer so genannten Netzwerkgesellschaft transformiert hat. Dies basiert auf der Tatsache, dass die soziale Organisation sowie die gesellschaftlichen Prozesse von Netzwerken geprägt werden und die Informationstechnologie die Grundlage für deren Ausbreitung über die gesamte Gesellschaft liefert (Castells 2001: 527). Die Logik der Netzwerke, die das Soziale determinieren, steht über partikularen Interessen, die in ihnen zum Ausdruck gebracht werden; neben der Exklusion aus und Inklusion in ein Netzwerk, entscheidet die Dynamik jedes einzelnen Netzwerkes in Relation zu anderen über die Herrschaftsverhältnisse sowie den Wandel in der Gesellschaft. „Einer Gesellschaft, die wir daher zutreffend Netzwerkgesellschaft nennen können, und die geprägt ist durch die Dominanz der Bedeutung der sozialen Morphologie gegenüber dem sozialen Handeln“ (ebd.: 527). Nach Castells besteht „ein Netzwerk aus mehreren untereinander verbundenen Knoten“ (ebd.: 528), der Schnittpunkt einer Kurve, der je nach Art des Netzwerkes eine konkrete Funktion zugewiesen bekommt (ebd.: 528). „Die von den Netzwerken definierte Topologie bringt es mit sich, dass die Distanz (oder die Intensität und Häufigkeit der Interaktionen) zwischen zwei Punkten (oder einer sozialen Position) geringer (oder häufiger oder intensiver) ist, wenn beide Punkte Knoten in einem Netzwerk sind, als wenn sie nicht zum selben Netzwerk gehören“ (ebd.: 528), demnach der Raum und die Zeit lediglich strukturelle Bedingungen sind und an Relevanz verlieren. Netzwerke sind offene wie dynamische Strukturen d. h. sie können sich um beliebig viel Knoten erweitern, vorausgesetzt diese verfügen über einen Konsens bezüglich ihrer Kommunikationscodes und eignen sich aufgrund ihrer Elastizität für die Verwirklichung der Ziele kapitalistischer Wirtschaft (Innovation, Globalisierung, dezentralisierte Konzentration). Eine Gesellschaft, die auf solchen Strukturen basiert, übernimmt folglich dieselben Eigenschaften – sie wird schnelllebig und die herrschenden sozialen Prozesse abhängig von Netzwerken (ebd.: 529).

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Da globale Netzwerke Einfluss auf verschiedene Machtkonstellationen innerhalb der Gesellschaft nehmen können und ihre Macht abhängig ist von Kapital, Management und Information (neue Wirtschaftsform), stehen diese in einem permanenten Konkurrenzkampf, um ihre Vormachtstellung zu sichern, die nahezu gleichbedeutend mit Profit ist (ebd.: 529). „Der Arbeitsprozess wird entsprechend zunehmend individualisiert, die Arbeit in ihrer Ausführung in ihre Bestandteile zerlegt und am Ende durch eine Vielzahl zusammenhängender Aufgaben an verschiedenen Standorten neu integriert“ (ebd.: 529). Die neue Form der kapitalistischen Produktionsweise sowie die der Vergesellschaftung wird erstmals in der Geschichte über den gesamten Globus ausgeweitet, resultierend aus der Vernetztheit. Sie hat zwei Unterscheidungsmerkmale bezüglich ihrer vorherigen Form; zum einen ist sie global, zum anderen „weitgehend um ein Netzwerk globaler Finanzströme strukturiert“ (ebd.: 530), die Kapitalanhäufung wird auf den globalen Finanzmärkten betrieben, die aufgrund ihrer Unwirklichkeit einem „elektronisch betriebenen globalen Spielkasino“ (ebd.: 530) gleichen, gekoppelt an strategische Planung, Wissen, Technologie und Informationen. „Das ist die konkrete Bedeutung der Verbindung zwischen der kapitalistischen Produktionsweise und der informellen Entwicklung“ (ebd.: 530). Wer Gewinner oder Verlierer ist, kann sich von jetzt auf gleich ändern und wirkt sich direkt auf die so genannte reale Wirtschaftssituation Einzelner aus. Das neu entstandene kapitalistische Netzwerk (der Finanzströme) basiert demnach auf einer Art elektronischer Informationsverarbeitung und der Profit innerhalb der Finanzsphäre ist nicht mehr an die gesellschaftlichen Produktionsbeziehungen geknüpft, sondern ist diesen übergeordnet (ebd.: 534), was die Transformation der Beziehung zwischen Kapital und Arbeit zur Folge hat (ebd.: 532). „Unter den Bedingungen der Netzwerkgesellschaft ist das Kapital global koordiniert, die Arbeit individualisiert“ (ebd.: 534). Castells stellt diesbezüglich folgende Hypothese auf: „Die herrschenden Funktionen werden in Netzwerken organisiert, die dem Raum der Ströme angehören, der sie über die ganze Welt hinweg miteinander verknüpft und zugleich die untergeordneten Funktionen und Menschen in vielfältige Räume von Orten fragmentiert, die aus immer stärker segregierten und abgekoppelten Örtlichkeiten bestehen“ (ebd.: 535). Die sich neu formierende Ordnung erscheint der so genannten Netzwerkgesellschaft als eine soziale Unordnung, da die Zeit im Raum ausgelöscht wird und die Angebundenheit bzw. ihre Funktion innerhalb eines bestimmtes Netzwerk über ihre Rolle bzw. ihr Schicksal entscheidet, das sich durch „eine automatisierte, zufällige Abfolge von Ereignissen, die sich aus der unkontrollierbaren Logik von Märkten, Technologie, geopolitischer Ordnung oder biologischer Determination ergeben“ (ebd.: 535), ändern kann. Die Entwicklung der Menschheit bis hin zu dem heutigen Stadium vollzog sich in drei Phasen: in der ersten Phase herrschte die Natur über die Gesellschaft bzw. menschliche Existenz, in der zweiten Phase, im modernen Zeitalter die Herrschaft der Kultur über die Natur und im neuen Stadium „bezieht sich die Kultur auf Kultur, nachdem die Natur bis zu einem Punkt verdrängt worden ist, dass die

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Natur künstlich als kulturelle Form wieder belebt („wiederbewahrt“) wird“ (ebd.: 536).

Zwischenfazit Den genauen Entstehungszeitpunkt der Weltgesellschaft in der Form, wie wir sie gegenwärtig wahrnehmen, kann nicht lokalisiert werden, sondern nur die Entwicklungsprozesse, die zu ihrer Konstitution beigetragen haben: die Globalisierung, die simultan die Transnationalisierung von Individuen förderte, in dem sie Entbettungsmechanismen in Gang setzte und zur Strukturierung der Welt als Einheit führte, d. h. die Wechselwirkung von Globalisierung und Transnationalisierung. Eine Weltgesellschaft verweist auf Grenzüberschreitung jeglicher Formen, an denen Individuen direkt oder indirekt beteiligt werden oder können, insofern dass ein komplexes Beziehungsgefüge entstanden ist, das den Zustand der Welt determiniert und ihr individuelles Schicksal gekoppelt ist an die Position im Netzwerk/sozialen System. Im Grunde genommen verweist Weltgesellschaft darauf, dass der Handlungsraum bzw. Bewegungsraum, der Horizont von Individuen und damit einhergehend ihre persönlichen Beziehungsgefüge gekoppelt sind an ihre persönliche Fähigkeit, Distanzen zu überwinden. Sie waren lange Zeit an eine Lokalität gebunden, bis sie durch die Verlängerung ihres sozialen Umfeldes durch Kommunikationsmedien und Transporttechnologien in die Lage versetzt wurden, ihr persönliches Beziehungsnetzwerk global auszugestalten. Die Fähigkeit das Beziehungsnetzwerk usw. auszudehnen, korreliert mit dem technischen Fortschritt, der Individuen immer mehr Möglichkeiten zur Ausdehnung ihre Beziehungsgefüge lieferte, ihre soziale Umwelt gleichzeitig komplexer werden ließ und ihnen die Fähigkeit gab, dieses grenzüberschreitend auszurichten.

Transnationale Familien in Deutschland als Forschungsgegenstand

Für das Leben von Familien, deren Netz von verwandtschaftlichen Beziehungen über zwei oder mehrere Nationalstaaten hinausreicht, demnach deren einzelnen Familienmitglieder räumlich disloziert sind, konstatieren die gegebenen Möglichkeiten im gegenwärtigen Zeitalter einen entscheidenden qualitativen Wendepunkt. Ein Beispiel, welches im Hinblick auf die neue Qualität angeführt werden kann, ist die Möglichkeit der Ausgewanderten, sich nicht nur über die Geschehnisse in ihrem Herkunftsland via Medien oder durch die Berichte ihrer Verwandten nahezu ohne Zeitverzögerung zu informieren, sondern sich aktiv in die Politik des Landes durch die Formierung von Solidargemeinschaften im Ausland, die der Unterstützung ihrer Verwandten sowie Landsleute dienen sollen, einzumischen. Heute können enge Kontakte (Bindungen) zu entfernt lebenden Verwandten durch Nutzung moderner Kommunikationstechnologie sowie Transportmedien unterhalten werden, wohingegen sich früher die Kommunikation zu Verwandten, die in einem fremden Land lebten auf die Kommunikation via Brief beschränkte. Das heiȕt, die Familie kann in dem heutigen Zeitalter mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln über die Distanz wieder „näher zusammenrücken“. Sie wird dynamischer, da heute nahezu jeder Ort wie beispielsweise Deutschland als Basis für die Verbindung in die restliche Welt dienen kann, ohne dabei vor Ort eine Art Gemeinschaft erzeugen zu müssen (Albrow 1997: 307). Demnach können ihre Identitäten nicht mehr nur in Bezug zu „besonderen Zeiten, Orten, Vergangenheit und Tradition gesetzt werden“ (Hall 1975: 212), sondern schweben über den gesamten Globus, sodass hier die Schnittmengen entstehen, beispielsweise in Form von gemeinsamen Interessen. Migranten im Ausland (in Deutschland) und ihre daheimgebliebenen Familienmitglieder sind durch soziale wie kulturelle Gemeinsamkeiten miteinander verbunden und können transnationale Gemeinschaften bilden, da die Identität einzelner Mitglieder eine Schnittmenge aufweist, resultierend aus der Tatsache, dass die Familie (Kernfamilie) Ort der primären Sozialisation eines jeden Individuums ist, in dem es Urvertrauen, Sprache, Werte, Normen und Verhaltensschemata bzw. seine Identität erwirbt (Reinhold et al 2000: 604).

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Deshalb müssten die gemeinsamen Bezugspunkte innerhalb einer Familie größer sein als bei Interessengemeinschaften, da sie eine gemeinsame Familiengeschichte und normalerweise dasselbe kulturelle Repräsentationssystem (Hall 2002: 199) teilen. Dies besitzt zwar keine genetische Verankerung, verhält sich aber als Teil der Natur, da die primäre Sozialisation maßgeblich alle nachfolgenden Phasen der Identitätsbildung beeinflusst (Dietzel-Papahyriakon 2004: 32). Somit stellen Familie und Kultur eine an dem Individuum haftende Herkunftsbindung dar, die es nicht ablegen, sondern die es nur durch neue Wahlbindungen ergänzen kann (Hondrich 1996: 36). Das Verlassen des Heimatlandes und damit auch das Einlassen auf eine neue Wahlbindung erfolgt aus vielerlei Beweggründen und bedeutet simultan Diskontinuität in der Identität (Lebensgeschichte/Biografie) eines jeden Individuums, welches gezwungenermaßen diese neu ordnen, umgestalten und interpretieren muss, um sich der neuen fremden Kultur zu öffnen und seine Identität aus der Ich-Erzählperspektive wieder einheitlich zu gestalten (Chamberlain/Leydesdorff 2004: 228). Dies entspricht der Konzeption des so genannten postmodernen Subjekts, in dem durch die Vielzahl unterschiedlicher Angebote von kulturellen Systemen sowie Bedeutungen verschiedene Identitäten wirken, die richtungweisend sind und ständig wechseln. Das Subjekt nimmt im Verlauf seiner Biografie (Lebensgeschichte) in verschiedenen Lebensabschnitten unterschiedliche Identitäten an. Die Identität wechselt und bleibt nicht mehr kontinuierlich die Gleiche. Die vermeintliche Einheitlichkeit der Identitäten bleibt nur aus der Ich-Erzählperspektive erhalten und suggeriert nur aus dieser eine Kontinuität, basierend auf der permanenten Neuordnung (Hall 2002: 183-184). Die Identität steht somit in Abhängigkeit zu dem Phänomen der Globalisierung, was durch schnell wechselnde Trends und reflexive Form des Lebens gekennzeichnet ist – Diskontinuität. Für eine komplette Integration in das Ankunftsland wäre es notwendig, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, was sich für Migranten schwierig gestaltet, da sie sich im ständigen Dialog zwischen Vergangenheit im Herkunftsland und Gegenwart im Ankunftsland befinden. Migranten verfügen über sehr starke Erinnerungen an ihr Heimatland und an die Daheimgebliebenen, die sie eigentlich vergessen müssten, aber gerade die Familie ist es, die die „vergangenen kulturellen Werte und Muster“ sowie die Erinnerungen am Leben erhält, was durch eine hohe Kontaktintensität zusätzlich gefördert werden würde (Chamberlain/ Leydesdorff 2004: 229). Die Erfahrungen, die ein Mensch als Migrant macht, enden nicht mit seiner Ankunft, sondern ziehen sich durch sein weiteres Leben, welches ihm neben der Anpassung auch die permanente Vermittlung zwischen Generationen, Kontinenten und Kulturen abverlangt – somit befinden sich die Erinnerungen und das Selbst (Identität) in einem ständigen dialektischen Prozess. Der Herkunftsort und die verwandtschaftlichen Bindungen bleiben somit ein Fixpunkt bzw. Bezugspunkt in ihrem Leben. Die Familie steht symbolisch für Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit und versucht durch diese beiden Faktoren die Identität ihrer

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Mitglieder sowie auch ihre eigene (kollektive) Identität zu definieren, d. h. sie muss die räumliche Zerstreuung einzelner Mitglieder bzw. ihre Transnationalität darin mit einbeziehen (Chamberlain/Leydesdorff 2004: 232-233). Durch diese Transnationalität und dadurch dass die einzelnen Mitglieder nicht mehr an dem gleichen Ort leben sowie mit neuen kulturellen Repräsentationssystemen konfrontiert werden, können neue Formen, dynamische Prozesse und Rollenverteilungen (Geschlechterverhältnis) innerhalb der Familie entstehen, sowie neue Interaktionsformen der Familienmitglieder untereinander auftreten.

Erkenntnisse über transnationale Familien Insgesamt gibt es nur sehr wenig wissenschaftliche Literatur, die sich mit transnationalen Familien ihren Interaktionsstrukturen, ihren Dynamiken sowie den Einflüssen ihrer Transnationalität auseinander setzt. (Im Großen und Ganzen erstreckt sie sich auf den Raum der Karibik.) Eine neuere Fallstudie beispielsweise beschäftigt sich mit dem aufkommenden Phänomen der so genannten „Family Reunion Rituals“ transnationaler Familien im karibischen Raum. Hier werden exemplarisch drei Familien mit unterschiedlichem sozialen Status untersucht, die ein solches Ritual zelebrierten. Bei den angeführten Familien variiert zwar die Häufigkeit, die Dauer sowie die Teilnehmerzahl, aber allen gemein ist, dass ihre Mitglieder, die mittlerweile über den gesamten Globus verstreut leben, sich zur gleichen Zeit am Ursprungsort der Familie einfinden und gemeinsam Zeit mit den dort lebenden Verwandten verbringen. Einige der Mitglieder begegnen sich zum ersten Mal und besuchen erstmalig ihre Heimat. Durch gemeinsame Aktivitäten wie beispielsweise die Besichtigung des Dorfes, das Besuchen von Gräbern ihrer Ahnen und die Teilnahme an eigens initiierten Familienveranstaltungen verschiedener Art, wird das Bewusstsein derselben Herkunft sowie einer geteilten Familiengeschichte in der Face-to-face Interaktion wieder belebt. Im Allgemeinen dient dies zur Intensivierung abgeschwächter Kontakte oder zur Knüpfung neuer, die nach Beendigung des Rituals auch über die Distanz beibehalten werden. Für alle Beteiligten bzw. zumindest der Interviewten scheint diese Familienzusammenkunft ein einschneidendes Erlebnis darzustellen, aus dem sie unterschiedliche Rückschlüsse bezüglich ihrer Identität ziehen, wobei die bußerung eines Teilnehmers treffend das formuliert, was alle Interviews in ihren Aussagen transportieren: „Knowing your family is knowing yourself“ (Sutton 2004: 243). Bei der bisherigen Forschung zum Transnationalismus und dessen Auswirkung auf Menschen stehen kulturelle Veränderungen sowie die Herauskristallisierung neuer Kulturformen, die Hybridisierung, im Mittelpunkt. Studien zur Migration und über Diaspora-Gemeinschaften liefern zwar Einblicke in transnationale Familien, jedoch wird die Familie hier überwiegend im Diskurs über Minderheiten oder im Zusammenhang mit nationalstaatlichen Grenzen, wie beispiels-

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weise im Aufsatz von Aihwa Ong „Flexible Citizenship among Chinese Cosmopolitans“ thematisiert. Wobei angemerkt werden muss, dass die Thematik bezüglich der Staatsbürgerschaft nur auf die so genannten Kosmopoliten zutrifft, die am oberen Ende des sozialen Spektrums positioniert sind, denn Menschen aus den unteren Schichten, sind meistens gezwungen illegal in ein Land einzureisen, leben in Ungewissheit und können die Annehmlichkeiten, die Kosmopoliten zugestanden bekommen nicht für sich in Anspruch nehmen. In der Studie von Ong wird die Geschäftstaktik wohlhabender Chinesen beschrieben, ihre Familie je nach Erfordernissen des Familienunternehmens anzupassen. Sie siedeln ihre Söhne, so genannte Astronauten, für die Leitung einer Geschäftsdependance im Ausland an, erwerben dort Residenzrechte und nutzen Vorteile der jeweiligen Staatsbürgerschaft aus und umgehen Nachteile. Sie sind in der Lage die „flexible Staatsbürgerschaft“ zu praktizieren, da ihre Astronauten keine Loyalität bezüglich eines bestimmten Landes besitzen, sondern nur gegenüber ihrer Familie, was in der Philosophie von der Organisation einer chinesischen Familie (guanxi) verankert ist (Ong 2002: 338-355). Nach dieser Darstellung kann eine solche Art der Familienkonstellation auch unter das Attribut transnational fallen. Die Bezeichnung transnationale Familie verwendete Ludger Pries in seinem Aufsatz über die Arbeitswanderung zwischen Mexiko und den USA, ohne dabei näher auf diese Familien einzugehen und eine Definition dieser zu erstellen. In seiner später durchgeführten ergänzenden Studie zu diesem transnationalen sozialen Raum untersucht er transnationale Familien, deren Mitglieder sich auf den Großraum New York (USA) sowie dem angrenzenden New Jersey und den nördlichen und südlichen Regionen von Puebla (Mexiko) aufteilen, im Hinblick auf das Prinzip der kumulativen Verursachung1, um Aussagen über das Phänomen der transnationalen Migration und über die Dauerhaftigkeit des transnationalen sozialen Raums treffen zu können. Pries kommt zu der Erkenntnis, dass transnationale Migration kein vorübergehendes Phänomen ist, sondern zu einer Strategie im heutigen Zeitalter zu werden scheint, wobei er eine Abgrenzung zwischen den so genannten Kosmopoliten und Transmigranten vornimmt, da Transmigranten, die Bedingungen in denen sie agieren nicht selbst definieren können. Im Gegensatz zu den Kosmopoliten2, die freiwillig und problemlos nationalstaatliche Grenzen überwinden können, müssen Transmigranten, zumindest in der vorliegenden Untersuchung des transnationalen sozialen Raums zwischen Mexiko und den USA, meistens illegal Grenzen übertreten, leben in Unsicherheit, müssen sich den Gegebenheiten vor Ort anpassen sowie auf entstandene Netzwerke, überwie1

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„Das Prinzip der kumulativen Verursachung besagt, dass einmal initiierte Wanderungen in den Herkunfts- und Ankunftsräumen bewirken, die eine Stabilisierung und Ausweitung von Migration wahrscheinlich machen. Jeder Migrationsakt verändert den Rahmen, in dem weitere Migrationsentscheidungen getroffen werden“ (Pries 2001: 40-41). Pries verwendet das Wort „Kosmopoliten“ nicht im Hinblick auf kosmopolitische Einstellungen von Individuen, sondern als Konnotation für Eliten.

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gend Regionenbezogene oder Familiäre, vertrauen, welches beispielsweise bei der Suche nach einem Job oder Unterkunft in der Ankunftsregion behilflich ist. Transmigranten3 treffen ihre Entscheidung für einen Jobwechsel, der meistens mit einem Landwechsel verbunden ist, innerhalb der Familie oder des Haushaltes; diese Strategie steht meistens in Abhängigkeit zum Erfordernis sich an eine neue Situation anzupassen. Auffällig ist, dass der illegale Grenzübertritt kaum Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung und das Pendeln zwischen den Nationen nimmt (Pries 2004: 24). Die Einwanderung in die USA erfolgt überwiegend aus ökonomischen Beweggründen, die Motivation der Rückreise resultiert aus familiären Gründen. Im Allgemeinen scheint der erste initiierte Migrationsakt eines Familienmitglieds, zu unterschiedlichen Resultaten innerhalb einer Familie sowie bei einzelnen Mitgliedern zu führen; im vorliegenden Fall, von einer erfolgreichen Immigration in die USA einiger, zur Rückkehrmigration anderer oder auch zur Transmigration weiterer Familienmitglieder. Die Studie von Pries deutet darauf hin, dass die untersuchten Familien etwas wie eine familiäre Einheit (kollektive Identität) über nationalstaatliche Grenzen aufbauen, ohne explizit darauf einzugehen. Thomas Faist wählt in der Einleitung in dem von ihm herausgegebenem Buch „Transstaatliche Räume – Politik, Wirtschaft und Kultur in und zwischen Deutschland und der Türkei“ anstelle des Begriffs transnationale Familie, die Bezeichnung transstaatliche Familie und bescheinigt dieser Kurzlebigkeit, aufgrund mangelnder Bezüge der zweiten Generation, jedoch stellt er keine weiteren Bezüge zur Lebenswelt der Familie über nationalstaatliche Grenzen her (Faist 2000: 20). Seine Aussage scheint sich zumindest bezogen auf die Ergebnisse von Pries nicht zu bewahrheiten, denn hier wurden transnationalen Verflechtungen von Familien über vier Generationen untersucht. Dieser Widerspruch in den Aussagen über die Beständigkeit einer transnationalen bzw. transstaatlichen Familie soll in der vorliegenden Arbeit geklärt werden. Mary Chamberlain und Selma Leydesdorff, die einen Aufsatz über „Transnational Families: Memories and Narratives“ verfassten, dehnen ihre Definition nicht über das vorherrschende Verständnis von Familie als ein verwandtschaftliches Netzwerk, welches sich die gleich Abstammung teilt, aus (Chamberlain/Leydesdorff 2004: 233). Hierbei muss allerdings angemerkt werden, dass der Fokus ihres Aufsatzes auf der Erforschung solcher Familienkonstellationen liegt. In dem von Deborah Bryceson und Ulla Vuorela herausgegebenen Buch wird einleitend folgende Definition vorgestellt: „Transnationale Familien werden hier als Familien definiert, die einige oder die meiste Zeit getrennt von einander le3

„Nach dem Übergang von der nomadischen zur sesshaften Lebensweise entsteht mit der Transmigration eine neue ‚gebunden-nomadische’ Lebensweise. Sie ist nomadisch, insofern sie dauerhaft nicht auf einen Platz fixiert ist“ (Pries 2001: 53). Bei sogenannten Transmigranten wird „das Verhältnis zwischen Herkunfts- und Ankunftsregion durch die Herausbildung von auf Dauer angelegten transnationalen sozialen Räumen gestaltet“ (ebd.: 41-42).

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ben, dennoch zusammenhalten und etwas erschaffen, das als Gefühl kollektiver Fürsorge und der Einheit gesehen werden kann, nämlich familiäre Zusammengehörigkeit über nationalstaatliche Grenzen hinweg“ (Bryceson/Vuorela 2002: 3). Das Buch rückt transnationale Familien in Europa und deren soziales Leben zwischen den Kulturen in den Mittelpunkt und enthält neben zahlreichen Aufsätzen über ethnische Gruppen, die in die Niederlande, nach Frankreich oder Großbritannien immigriert sind, eine Fallstudie über türkische Familien in Deutschland, verfasst von Umut Erle (ebd.: 127-147). Elisabeth Beck-Gernsheim thematisiert die Problematik des Forschungsstands bezüglich transnationaler Familien in ihrem Buch „Wir und die Anderen“ und verdeutlicht, dass in Deutschland die Forschungen über Migranten bzw. sogenannte „Gastarbeiter“ zwar zahlreich sind, aber nicht über den nationalen Tellerrand hinausgehen, da „immer noch ein nationalstaatlicher Blick dominiert“ (Beck-Gernsheim 2004: 48). In der heutigen Welt treffen die klassischen Charakteristika der Familie als eine Gemeinschaft, die räumlich zusammenlebt und täglich direkt interagieren, nicht mehr auf alle Familien zu, heute sind die Prämissen anders gewichtet. „Galt früher als Liebesbeweis, dass man zusammenbleibt, was auch immer kommt, so finden wir in der globalisierten Welt zunehmend das Gegenteil als Gebot: Wer seine Familie liebt, der verlässt sie oder teilt sie auf in wechselnde Formen, um anderswo die Grundlagen für eine bessere Zukunft zu schaffen“ (ebd.: 46).

Migration in Deutschland An dieser Stelle soll die Migration in Deutschland thematisiert werden, da es hier keine Studien über das Leben von transnationalen Familien zu geben scheint. Das derartige Familienkonstellationen ebenfalls in Deutschland existieren, ist zu vermuten. Vor allem vor dem Hintergrund, dass Deutschland als Ort Familien dieselbe Infrastruktur (den Zugang zum Rest der Welt) zur Verfügung stellt wie jeder andere Ort auf dieser Welt. Die entstandene Infrastruktur wirkt sich förderlich auf die Formation von transnationalen Familien aus, wenn die einzelnen Familienmitglieder diese für ihre Zwecke, den Erhalt der familiären Einheit, instrumentalisieren. Im Gegensatz zu den entstandenen Familienkonstellationen im karibischen Raum ist anzunehmen, dass Deutschland sogar aufgrund seines Entwicklungsstandes über eine weitaus ausgereiftere Infrastruktur verfügt und der hier im Allgemeinen vorherrschende hohe Lebensstandard Deutschland zu einem möglichen Zielland von Migranten macht, die den Standort Deutschland zur Sicherung des Lebensunterhalts der Familie wählt.

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Des Weiteren soll der Abschnitt über die Migration4 in Deutschland einen kurzen Überblick nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges geben und wird dementsprechend nicht bis ins kleinste Detail erörtert. Ziel ist es in diesem Abschnitt, die allgemeinen Tendenzen von Migration, wie sie aus deutscher Perspektive betrachtet werden, aufzuzeigen. Um hervorzuheben, dass Deutschland zu einer multikulturellen Gesellschaft geworden ist und um anschließend darlegen zu können, aus welchem Grund heute auch die Zwischenräume bzw. die transnationalen Verbindungen zwischen Familien betrachtet werden sollten. Pries verwies im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen des transnationalen sozialen Raumes zwischen Mexiko und den USA auf die Entstehung eines neuen Migrationstypus5, den Transmigranten – bei der internationalen Migration. „Dieser Typus der Transmigranten ist nicht völlig neu, gewinnt aber – so das Argument – im Zusammenhang und Wechselspiel von Globalisierung und neuen Kommunikations- und Transporttechnologien gerade in der Arbeitsmigration an Bedeutung“ (Pries 2001: 40). Transmigranten schaffen sich einen auf Dauer angelegten transnationalen sozialen Raum d. h. ihr Raumbezug wird pluri-lokal, bestehend aus „identifikativen und soziokulturellen Elementen“ sowohl von der Ankunfts- als auch Herkunftsregion (ebd.: 40). In ähnlicher Weise könnte dies heute auch auf die nach Deutschland eingewanderten Familien zutreffen, die den Kontakt in das Herkunftsland aufrechterhalten. Grenzüberschreitende Wanderungen im deutschsprachigen Raum gab es seit der Frühen Neuzeit in den verschiedensten Formen, was an der Verwendung der Begriffe wie „Aus-, Ein- und Transitwanderung, Arbeitswanderung, Flucht- und Zwangswanderung“ deutlich wird (Bade/Oltmer 2004: 5). Im Grunde genommen „ist Migration so alt wie die Menschheit“ (Pries 2001: 5). Seit der weltweiten Durchsetzung des Nationalstaats als Vergesellschaftungsform wird zwischen interner (Land-Stadt-) Migration und externer/internationaler Migration, d. h. Wechsel zwischen kulturellen Containern, differenziert (ebd.: 5). Die Auswanderungsmöglichkeiten für Deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg waren zum einen von der alliierten Besatzungsmacht stark reglementiert, zum anderen erklärte sich kaum ein Land bereit, deutsche Einwanderer aufzunehmen; Ausnahmen stellten diejenigen dar, die „anerkannte Verfolgte des nationalsozialistischen Regimes“ waren oder „Ehepartner und Kinder ausländischer Staatsangehöriger“ (Bade/ Oltmer 2004: 69). Erst die Gründung der Bundesrepublik Deutschland ermöglichte es Deutschen auszuwandern. Es gab zahlreiche Anwerbekommissionen, „die gezielt entsprechend den Wünschen der jeweiligen Arbeitgebern ange-

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Der Begriff Migration bedeutet Wanderung und wird als Oberbegriff für Zu- und Abwanderung sowie für Ein- und Auswanderung verwendet. Er bezeichnet demnach Wanderbewegungen von Menschen, die Wohnortswechsel bzw. Landeswechsel vor-nehmen, dabei ist er unerheblich, ob diese längerfristig sind oder ob sie wieder in ihr Heimatland zurückkehren (Meier-Braun 2002: 9). Emigrant/Immigrant/Remigranten/Diaspora-Migrant.

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worben wurden“ (ebd.: 70), um den Arbeitskräftemangel in den jeweiligen Ländern entgegenwirken zu können. Aufgrund der Arbeitskräfteknappheit in Deutschland durch den Zweiten Weltkrieg sowie der einsetzenden „Auswanderungswelle“, erfolgten ebenfalls im Interesse der Wirtschaft amtliche Anwerbungen von ausländischen Gastarbeitern (beider Geschlechter) d. h. die internationale Migration wurde gefördert, ohne vorausschauend die soziokulturellen Folgen zu betrachten. Die Bezeichnung Gastarbeiter wurde zwar nicht in der Amtssprache verwendet, bürgerte sich aber in den 60-er Jahren im öffentlichen Sprachgebrauch ein: „Der Name war die Botschaft; denn ‚Gast‘ ist nur, wer nicht auf Dauer bleibt“ (ebd.: 72). Das erste Anwerbeübereinkommen schloss Nachkriegsdeutschland mit der italienischen Regierung am 20. Dezember 1955, nach dem eine Arbeitserlaubnis für maximal ein Jahr erteilt wurde (Meier-Braun 2002: 39). Wegen der hohen Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften seitens der Landwirtschaft sowie der Industrie folgten weitere Vereinbarungen, in denen die Arbeitserlaubnis auf zwei Jahre ausgeweitet wurde, bevor diese Klausel im Jahre 1964 entfiel, mit folgenden Ländern: Spanien (1960), Griechenland (1960), Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965), Jugoslawien (1968) (Bade/Oltmer 2004: 72/vgl. MeierBraun 2002: 36, 40). Der Zustrom der Gastarbeiter ließ zum einen das so genannte Wirtschaftswunder in Deutschland anhalten und wirkte sich zum anderen förderlich auf den Aufbau der Sozialsysteme, durch die Steuerabgaben der ausländischen Arbeitnehmer ohne dass diese öffentlichen Leistungen im vollem Umfang ausnutzten (Meier-Braun 2002: 35). Auf der Basis der Beschäftigung vieler ausländischer Arbeiter, die sich zum Teil auch so genannte ‚ethnic businesses6‘ aufbauten, schafften es zwischen den Jahren 1960 und 1970 rund 2,3 Millionen Deutsche den beruflichen Aufstieg, von der Position des Arbeiters in ein Angestelltenverhältnis (ebd.: 35). Die soziale wie berufliche Unterschichtung von Einheimischen durch ausländische Arbeitnehmer stellt im Fall von Krisen eine „konjunkturelle Pufferfunktion“ (Bade/Oltmer 2004: 72). „Das zeigt sich bei der ersten Rezession 1966/67 ebenso wie beim ‚Ölpreisschock‘ von 1973, der das Ende des Wachstums erkennbar werden ließ und Anlass war für den Anwerbestopp“ (ebd.: 72). Die Beschäftigungsrate von ausländischen Arbeitern verzeichnete einen Rückgang von 30 Prozent im Jahre 1968 und in den Jahren zwischen 1973 und 1977 erneut um 29 Prozent; dies begründet sich auf der überwiegenden Beschäftigung von Ausländern in Branchen, die stark von der Konjunktur abhängig sind, wie beispielsweise dem Baugewerbe (ebd.: 73). Der Anwerbestopp, der am 23. November 1973 in Kraft trat, veränderte die Strategien der Migranten; die alte Strategie, eine freiwillige Rückkehr in das Anwerbeland für längere Familienbesuche mit dem Ziel anschließend erneut nach Deutschland zum Arbeiten einzureisen, ging durch den Anwerbestopp nicht mehr auf. Der Anwerbestopp blockierte die 6

Kleingewerbe und Kleinhandelskaufleute.

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transnationale Fluktuation der Gastarbeiter, sodass sich diese jetzt eher für die Strategie des Daueraufenthalts und den Familiennachzug (Kettenmigration) entschieden (Bade/Oltmer 2004: 73). „Insgesamt stieg die Zahl der ausländischen Wohnbevölkerung von rund 686.000 im Jahre 1960 auf 4,4 Millionen im Jahre 1980 an“ (Meier-Braun 2002: 42). Anhand dieser Zahlen wird deutlich, dass die Beschäftigung von Ausländern, nicht mehr als vorübergehendes Phänomen betrachtet werden konnte. Der Aufenthaltsstatus konnte durch die Dauer des Aufenthalts gefestigt werden, er wandelte sich von der befristeten in die unbefristete Erlaubnis bis zur Aufenthaltsberechtigung, d. h. zum Daueraufenthalt bzw. zu einer Einwanderungssituation (Bade/Oltmer 2004: 73). „Bis vor kurzem hat Deutschland bestritten ein Einwanderungsland zu sein, obwohl es seit Jahren weltweit an der Spitze der Zuwanderungsstatistik liegt und sich mittlerweile rund 7 Millionen Einwohner ohne deutschen Pass im Land befinden“ (Meier-Braun 2002: 11-12). Dieses Bekenntnis Deutschlands zum Einwanderungsland oder vielmehr das Umdenken hätte demnach in der Zeit kurz nach dem Anwerbestopp aufgrund der Auslösung eines Bumerang-Effekts stattfinden müssen. Diese echte Einwanderungssituation wurde von zahlreichen wissenschaftlichen Studien bescheinigt, aber von der Politik vorerst nicht anerkannt. An dieser Stelle sollen stichpunktartig Hinweise bezüglich der Einwanderungssituation aufgeführt werden: Angleichen des Konsumniveaus durch die Verlagerung des Lebensmittelpunktes nach Deutschland (Bade/Oltmer 2004: 78); familiäre Übergangskrisen durch die Spannung zwischen der ersten, von dem Herkunftsland geprägten Generation und der in Deutschland aufgewachsenen zweiten Generation (ebd.: 78); Entstehung von Siedlungskolonien bestehend aus Wohnungen mit milieuspezifischen Standards und Auflösung der Massenunterkünfte für Gastarbeiter aus den Jahren 50-er Jahren (ebd.: 81); Herausbildung von so genannten „ethnic communities“7, die aus klassischen Einwanderungsprozessen wie beispielsweise den USA bekannt sind (ebd.: 81). Des Weiteren verwies die Statistik eindeutig auf die Absicht des Bleibens – am 31. Dezember 1987 verweilten bereits 45,8 Prozent der hier lebenden Ausländer zwischen 10 und 20 Jahre in Deutschland (ebd.: 82). Folglich wirkte die ausländische Bevölkerung nicht mehr als Puffer am Arbeitsmarkt im Falle von Konjunkturkrisen; die Strategie der Regierung „Export der Arbeitslosigkeit“ ging trotz Anreizen, wie beispielsweise eine Rückkehrprämie in Höhe von 10.000 DM für die ausländische Bevölkerung, nicht mehr auf (ebd.: 84). Bereits 1982 formulierte der damalige Ministerpräsident von Nord7

„Sie war und ist also nicht Zeichen bewusster Abkapselung, sondern gerade Indiz für das Vorliegen eines echten Einwanderungsprozesses, anders gesagt: Starke soziokulturelle, ethnische und mentalitätsbedingte Unterschiede zwischen Aus- und Einwanderungsland können dazu führen, dass sich Einwanderer zunächst in die „Einwanderergesellschaft“ und erst von dort aus, durch schrittweise Ausgliederung aus diesen Einwandererenklaven, in die umschließende Aufnahmegesellschaft eingliedern“ (Bade/ Oltmer 2004: 81 -82).

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rhein-Westfalen eine These, die erst Jahre später in Deutschland Praxis wurde: „Die Ausländer, die legal gekommen sind, werden wir nicht administrativ zurückschicken können, also müssen wir sie integrieren“ (ebd.: 83)8. Die häufiger von der Arbeitslosigkeit betroffenen Einwanderer blieben in Deutschland und bezogen die Leistungen, die ihnen durch die Beitragszahlungen als Erwerbstätige zustanden, genauso wie der einheimischen Bevölkerung – ihr Anspruch darauf wuchs mit der Aufenthaltsdauer (ebd.: 83). „Die defensive Selbstbeschreibung der Bundesrepublik als „Nichteinwanderungsland“ wurde also seit Beginn der 80-er Jahre als Abwehrformel zunehmend funktionslos angesichts einer pragmatischen Umstellung der administrativen Praxis auf Integration nach Recht und Gesetz“ (ebd.: 83- 84). Bis zur Wende in der Ausländerpolitik Deutschlands war die Integration ausländischer Mitbürger ein selbstläufiger, nicht von der Politik gesteuerter, fortschreitender Prozess, welches sich beispielsweise anhand von binationale Ehen verdeutlichen lässt (ebd.: 84). „Integration ist vielmehr ein vielgestaltiger und in sich differenzierter Prozess, in dem Individuen die Teilnahme an den für ihre Lebensführung bedeutsamen Bereichen der Gesellschaft – Ökonomie, Recht, Erziehung, Familie, Gesundheit, Religion – mehr oder weniger gelingt“9 (Bade/Bommes 2004: 25). Im Allgemeinen kann die Ausländerpolitik bis 1990 in vier Phasen eingeteilt werden, in denen die Rolle Deutschlands als Einwanderungsland negiert wurde (Sechster Familienbericht 2000: 37). Mit der Reform des Ausländerrechts sowie dem Vereinigungsprozess 1990/91 setzte die fünfte Phase ein. Das Ausländergesetz von 1991, schränkte den Ermessensspielraum der Behörden ein; die rechtmäßig in Deutschland lebenden Migranten wurden in vielen Bereichen dieselben Rechte und Pflichten wie den Deutschen zugesprochen; dies war sozusagen die gesetzlich abgesicherte Grundlage für ihre künftige Lebensplanung (Sechster Familienbericht 2000: XIV). Eine sechste Phase, die in der Ausländerpolitik eingeleitet wurde, vollzog sich mit dem Regierungswechsel 1998; in der „rot-grünen“ Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 wurde Folgendes festgeschrieben: „Wir erkennen an, dass ein unumkehrbarer Zuwanderungsprozess in der Vergangenheit stattgefunden hat und setzen auf Integration der auf Dauer bei uns lebenden Zuwanderer, die sich zu unseren Verfassungswerten bekennen“ (Sechster Familienbericht 2000: XIV/vgl. Sechster Familienbericht 2000: 37)10. Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts wurde am 1. Januar 2000 rechtskräftig und war zugleich die Anpassung an die europäischen Standards (Bade/Oltmer 2004: 8

Aus dem Interview mit Heinz Seidel, bis 2001 Leiter des Ausländerreferats der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg. 9 „Dieses Gelingen hängt einerseits von den individuellen Ausstattungen mit Ressourcen wie Wissen und Bildung, materiellen Mitteln und sozialen Beziehungen ab und andererseits von den sozialen Bedingungen, die in den verschiedenen Bereichen gelten, zu denen Migranten Zugang suchen und die diese Versuche ggf. erleichtern oder erschweren“ (Bade/Bommes 2004: 25). 10 www.bmfsfj.de/Kategorien/Publikationen/Publikationen, (16. Oktober 2005).

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129) sowie eine Anpassung an die Lebenswirklichkeit in Deutschland (Sechster Familienbericht 2000: XV). Die Erhöhung der kulturellen Vielfalt in Deutschland, die den Kurs der deutschen Ausländerpolitik maßgeblich beeinflusste, wurde nicht ausschließlich von den Gastarbeitern vorangetrieben, sondern auch durch den Anstieg der Zuwanderung von Asylbewerbern seit Ende der 70-er Jahre sowie von den Massenzuwanderungen der Aussiedler11/Spätaussiedlern seit Ende der 80-er Jahren. Einen weiteren Beitrag hierzu leisteten seit Anfang der 90-er Jahre, Werk- und Saisonarbeiter sowie Ost-West-Pendelmigranten12 (Bade/Bommes 2004: 25), des Weiteren sind auch illegale Zuwanderer in den Fokus der Politik geraten – die Zahlen über die illegale Zuwanderung, die anhand von Aufgriffen im Inland und an den Grenzen gewonnen werden, schwanken von 150.000 bis zu 1 Million (Sechster Familienbericht 2000: 62). Bis zu den 70-er Jahren wurden Asylanträge überwiegend von Flüchtlingen aus dem Ostblock gestellt (Bade/Oltmer 2004: 86); seit dem letzten Drittel der 70-er Jahre stammten die Antragsteller hingegen überwiegend aus der „Dritten Welt“. Im Jahre 1980 beispielsweise wurden 92.918 Anträge für 107.818 Personen gestellt, welches ungefähr zwei Drittel aller Asylgesuche in Europa entsprach; in den folgenden Jahren wurde versucht der Artikel 16 GG13 im Rahmen von der Asylrechtsreform, d. h. Verschärfung der Zugangsberechtigung – Eingrenzung des Begriffs „politische Verfolgung“ – die Asylmigration einzudämmen sowie ein Arbeitsverbot für Asylsuchende seit 1987 (ebd.: 86-88). Aussiedler hatten gegenüber Asylsuchenden bis zum Ende der 80-er Jahre Anspruch auf Eingliederungshilfen sowie die deutsche Staatsbürgerschaft. Von den ca. 4 Millionen Menschen, deutscher Abstammung, die im asiatischen Teil der (damaligen) Sowjetunion, Ost, Ostmittel- und Südosteuropa lebten, kamen aufgrund des Kriegsfolgerechts14 ca. 1,4 Millionen von ihnen zwischen 1950 und 1987 nach Deutschland (Bade/Oltmer 2004: 88). „Grundlagen für die Anerkennung als Aussiedler bzw. Spätaussiedler sind heute Artikel 116 GG, das Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz und das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz von 1993“ (ebd.: 89). Um als Aussiedler nach Deutschland immigrieren zu dürfen, mussten die folgenden drei Voraussetzungen erfüllt werden: „deutsche Herkunft, ein lebensgeschichtliches Bekenntnis dazu und ein angenommenes oder nachzuweisendes ‚Kriegsfolgenschicksal‘“ (ebd.: 89) – wobei seit 1993 nur noch Personen antragsberechtigt sind, die vor dem 31. Dezember 1992 geboren wurden. 11 Als Aussiedler werden Zuwanderer deutscher Herkunft aus dem östlichen Ausland verstanden. Spätaussiedler, diejenigen die ab 1993 einreisten (Bade/Oltmer 2004: 88). 12 Im Jahr 2000 belief sich die Zahl dieser Arbeitsmigranten auf 342.000 (MeierBraun 2002: 17). 13 „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ (zitiert nach Bade/Oltmer 2004: 86). 14 Das Kriegsfolgerecht stellte Aussiedler den deutschen Flüchtlingen und Vertriebenen der Nachkriegszeit gleich.

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Im Gegensatz zu den Gastarbeitern wurde die echte Einwanderungssituation bei Aussiedlern anerkannt, welches an den bereitgestellten Eingliederungshilfen ersichtlich wurde; aber auf der Seite der Aussiedler kein einfaches Unterfangen darstellte, als die Öffentlichkeit über die finanziellen Gegenleistungen bei den bilateralen Abkommen der Ausreisegenehmigungen erfuhr (ebd.: 90). „In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind die rund 31 Millionen Menschen – Deutsche und Ausländer – in der Bundesrepublik Deutschland zugezogen, ca. 22 Millionen zogen im gleichen Zeitraum fort. Der Wanderungsgewinn betrug mithin insgesamt 9 Millionen Menschen“ (Bade/Oltmer 2004: 97/vgl. Meier-Braun 2001: 16). Im Jahr 2000 lebten rund 7,3 Millionen Menschen mit einer ausländischen Staatsbürgerschaft in Deutschland und stellen 8,9 Prozent der Wohnbevölkerung in Deutschland. Die am häufigsten vertretenen Nationalitäten sind: Türken (2 Millionen), Bundesrepublik Jugoslawien (662.000), Italien (620.000), Griechenland (365.000), Polen (301.000), Kroatien (217.000), Bosnien-Herzegowina (156.000) (Meier-Braun 2002: 21). Der kurze Abschnitt thematisierte die Einwanderungsgeschichte, die in vollem Umfang im Rahmen dieser Arbeit, aufgrund der Komplexität sowie der verschiedenen Tendenzen im politischen Diskurs über den Status Deutschlands als Einwanderungsland, nicht dargestellt werden konnte. Vornehmlich sollte mit diesem kurzen Abriss die Zuwanderung von Menschen verschiedener ethnischer Herkunft dargestellt werden, die einerseits die deutsche Kultur bereichern und andererseits fehlt die formelle Bekenntnis Deutschlands als ein Einwanderungsland in Form eines Zuwanderungsgesetzes, um Einwanderern wie der deutschen Bevölkerung Sicherheit zu verschaffen. Anzumerken ist hier, dass der uneinheitliche Kurs der Politik und die entsprechende Polarisierung durch die Medien bei der deutschen Bevölkerung Angst vor Überfremdung auslöste, die sich in Übergriffen gegen Ausländer und dem Stimmengewinn rechter Parteien äußerte. Deutschland ist geprägt, ähnlich wie alle europäischen Staaten, von der demografischen Alterung und wird „auf mittlere Sicht quantitativ und qualitativ immer weniger den Herausforderungen der Informationsgesellschaft im Globalisierungsprozess entsprechen“ (Bade/Oltmer 2004: 133), was Zukunftsprobleme nicht nur im wirtschaftlichen, sondern auch im gesellschaftlichen Bereich aufwerfen wird. „Deutschland braucht deshalb im Rahmen des Möglichen geregelte – und das heißt bei Zuwanderungsdruck immer auch begrenzte – Zuwanderung“ (ebd.: 133). Heute gibt es keine Zweifel mehr, dass Globalisierung die internationale Migration maßgeblich beeinflusst, da sie zur Ausweitung des internationalen Personenverkehrs führt. Potenzielle Migranten können einerseits durch die Informationstechnologie die weltweiten Wandermöglichkeiten beobachten und andererseits durch die hohen Kapazitäten der Verkehrstechnologien ihre Möglichkeit ergreifen. Migration im Kontext der gegebenen Möglichkeiten bedeutet keinen Bruch mit oder Abschied von der Herkunftskultur und seinem sozialen Umfeld, sondern eher ein Leben in der Zwischenwelt geprägt von Herkunfts- und Ankunftskultur, da der Kontakt bestehen bleibt. „Es handelt sich nicht einfach

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um einen ‚Diaspora-Lebensstil‘, der getreu die sozialen Muster der Herkunftsgesellschaft reproduziert, und es handelt sich auch nicht einfach um die schrittweise Annäherung an den [...] dominanten Lebensstil der Ankunftsgesellschaft“ (Pries zitiert nach Beck-Gernsheim 2004: 44). Des Weiteren führen die Verkehrstechnologien zur Erleichterung bei der Umsetzung von Revisionen der Migrationsentscheidung oder zum Entschluss neuer (Sechster Familienbericht 2000: 21).

Transnationale Soziale Räume im Kleinen – H e r l e i t u n g d e r H yp o t h e s e n In unserem Zeitalter sollte ein Blick auf die Verbindungen sowie die bestehenden Kontakte der Zugewanderten in ihr Heimatland geworfen werden, da hier wahrscheinlich Familienangehörige oder Bezugspersonen leben. Diese Tatsache, dass pluri-lokale Verbindungen anstelle des Kontaktabbruchs treten, scheint realitätsnäher und lässt sich aus der bisherigen Forschung in anderen Ländern ableiten (siehe „Erkenntnisse über transnationale Familien“). Migration hat es immer gegeben manifestiert sich aber in der Erfahrung als Migrant durch die Implikationen unseres Zeitalters wegen der Aufrechterhaltungsmöglichkeiten ihrer familiären Bindungen in einer neuen Qualität. Das Aufrechterhalten von konkreten Bindungen im Raum verschafft Migranten aller Wahrscheinlichkeit nicht nur Vorteile, sondern lösen simultan durch die ambivalente Verwurzelung Zugehörigkeitsprobleme aus. Mithilfe der nachfolgenden explorativen Untersuchung sollen Familien mit Migrationshintergrund, deren Verbindungen in das Herkunftsland sowie ihre Lebensentwürfe durchleuchtet werden, um Aufschluss über ihre möglichen transnationalen Strategien zu erlangen. Im Folgenden werden Arbeitshypothesen hergeleitet, die anhand der vorliegenden Interviews überprüft werden sollen. Im Allgemeinen richtet sich der Fokus auf die Lebensentwürfe von Familien mit Migrationshintergrund, von denen ein Familienteil in Deutschland lebt. Im Speziellen soll auf die Identitätskonstruktionen bzw. Zugehörigkeitsgefühle einzelner Mitglieder von sogenannten transnationalen Familien.

Familiäre Transnationale Soziale Räume – 1 . H yp o t h e s e Zur Herleitung der ersten Hypothese werden zuerst die allgemeinen Implikationen der grenzüberschreitenden Verbindungen und der geschaffenen Infrastruktur von Migrantengruppen über das Konzept von Pries zu transnationalen sozialen Räumen vorgestellt, um im Anschluss mit diesem Konzept als theoretischem Unterbau eine Arbeitshypothese bezüglich der Familien aufstellen zu können.

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Migration im Kontext von Globalisierung und den geschaffenen technologischen Möglichkeiten kann zur Entstehung von neuen Realitäten für Migranten führen, die sowohl das Ankunfts- wie Herkunftsland beeinflussen. Pries thematisiert in diesem Zusammenhang die Formation von transnationalen sozialen Räumen – ein neues Phänomen internationaler Migration, welches mit der Globalisierung einhergeht und zukunftsweisend sein könnte. Die Entstehung von transnationalen sozialen Räumen skizziert Pries anhand der Arbeitswanderung zwischen Mexiko und den USA, im Speziellen der Region Mixteca Poblana (Mexiko) und New York/New Jersey (USA), aus dem er im Anschluss vier analytische Dimensionen ableitet. Schätzungen zufolge arbeiteten Mitte der 90-er Jahre bereits zwei Drittel der Bevölkerung aus dem 3.300 Kilometer entfernten Mixteca Poblana im Großraum New York (ca. 300.000 Menschen). Sie verdingen sich überwiegend nicht formalisiert in dem saisonal geprägten landwirtschaftlichen Sektor am Rande von New York/New Jersey, in der Textilbranche oder der Dienstleistungsbranche, da diese verstärkt illegale Einwanderer beschäftigen. Ausgangspunkt für die Herausbildung des heutigen Netzwerkes war das Bacero-Programm (1942 – 1964), das wegen des Arbeitskräftemangels aufgrund des Zweiten Weltkrieges, ähnlich wie in Deutschland, ins Leben gerufen wurde. Nach dessen Beendigung reagierten die Einwanderer weder auf politische Erlasse noch auf Einwanderungsbeschränkungen. Die saisonalgeprägte Beschäftigung scheint ursächlich für häufige Ortswechsel der Migranten zwischen Ankunfts- und Herkunftsland. Die erweiterte Studie zu diesem transnationalen sozialen Raum zielte auf das Phänomen der so genannten Transmigration. Die interviewten Personen wechselten bisher im Durchschnitt 2,4-mal in ihrem Leben den Aufenthaltsort (Pries 2004: 8). Auffällig ist, dass die Einreise in die USA überwiegend aus wirtschaftlichen Erwägungen erfolgt und die Rückreise häufig aus familiären Motiven. Dabei scheint der in den meisten Fällen illegale Grenzübertritt keinen Einfluss auf diese Entscheidungen zu nehmen (ebd.: 24). In diesem Sinne kann nicht mehr von einem idealtypischen, unidirektionalen Wanderungsprozess, der einmalige Wechsel zwischen kulturellen Machtcontainern, gesprochen werden. Im Falle der Mixtecos muss eher von kumulativen Migrationsprozessen und Transmigration ausgegangen werden: da sich Zirkulationssphären (zwischen den Herkunfts- und Ankunftsgesellschaften) von Menschen (Pendelwanderarbeiter und Transmigranten), Gütern, Informationen herausbildeten, die basierend auf familiären und nicht-familiären Netzwerken, die wirtschaftlichen Aktivitäten und Lebensumstände in beiden Ländern prägen. Die daraus resultierenden Verflechtungszusammenhänge würden, bei einem Fokus, der sich jeweils entweder auf die Herkunfts- oder Ankunftsgesellschaft konzentriert, verdeckt werden. Werden die Verflechtungszusammenhänge zwischen den beiden Ländern betrachtet, zeigt sich, dass sie sich auf die Dynamik der Wanderungsprozesse auswirken und zu einer neuen sozialen Wirklichkeit führen (Pries 1998: 58-75). Des Weiteren eröffnen sich innerhalb der entstandenen Infrastruktur zwischen beiden Ländern neue Erwerbsmöglichkeiten für Migranten. Diese

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beziehen sich ausschließlich auf den „Raum der Austauschbeziehungen zwischen New York und Mixteca Poblana“ und lassen neben traditionellen Bindungen, ökonomische Verflechtungszusammenhänge von Produktion und Vermarktung entstehen. Es wird eine funktionierende Infrastruktur herausgebildet bestehend aus: GÜTERN (bspw. Tortillaimport von Mexiko in die USA), DIENSTLEISTUNGEN (bspw. Schlepperorganisationen, Hilfskomitees, Anwaltbüros etc.), KULTURBEZOGENEN EINRICHTUNGEN (bspw. Restaurants, Lebensmittel, Kirchen), MEDIEN (bspw. Kontakt zu mexikanischen Massenkommunikationsmedien wie Fernsehen, Radio, aber auch eigene Videoproduktion), POLITISCHE ORGANISATIONEN UND GRUPPIERUNGEN (bspw. kämpfen Migranten in New York für die besseren Lebensumstände der „Daheimgebliebenen“, spenden für den Ausbau von Trinkwasserleitungen, Restauration von Kirchen, Dorfplätzen, die meistens den öffentlichen Etat des Dorfs überbieten). Die Alltagswirklichkeit in Mixteca richtet sich zunehmend nach New York aus; es entwickeln sich neue soziale Wirklichkeiten auf beiden Seiten in Form von Handlungsnormen, Kulturmilieus, Lokalökonomien sowie soziale Netzwerke, welche die Referenzsysteme transformieren bzw. verschieben. „Transnationale soziale Räume werden als neue soziale Verflechtungszusammenhänge verstanden, die geografisch-räumlich diffus bzw. delokalisiert sind und gleichzeitig einen nicht nur transnationalen sozialen Raum konstruieren, der sowohl eine wichtige Referenzstruktur sozialer Positionen und Positionierungen ist, als auch die alltagsweltliche Lebenspraxis, (Erwerbs-) biografische Projekte und Identitäten der Menschen bestimmt und gleichzeitig über den sozialen Zusammenhang hinausweist“ (Pries 1998: 75).

Diese Definition des transnationalen sozialen Raumes entsteht im Kontext von internationaler Migration und wird durch die Massenkommunikation sowie die internationale Massenkultur mitgeprägt. Anhand des soeben vorgestellten Raumes für die Austauschbeziehungen bzw. des transnationalen sozialen Raumes zwischen den USA und Mexiko entwickelte Pries vier analytische Dimensionen. Diese werden im Folgenden verkürzt skizziert: Ɣ 1. Dimension: Politisch-Legaler-Rahmen Ɣ 2. Dimension: Materiale Infrastruktur Ɣ 3. Dimension: Soziale Strukturen und Institutionen Ɣ 4. Dimension: Identitäten und Lebensprojekte Der POLITISCH-LEGALE RAHMEN ist das erste analytische Element, welches durch die Migrationspolitik im Ankunfts- sowie Herkunftsland gebildet wird, sowohl in Form von gemeinsamen Abkommen zwischen den beiden Ländern als auch durch einseitige Erlasse. Gemäß der zunehmenden Deregulationspolitik von Staaten im Zeitalter der Globalisierung tritt die formale Reglementierung von „Migrantensystemen“ oftmals in den Hintergrund. Im Allgemeinen erkennen die

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Herkunftsländer den hohen Stellenwert der Emigranten an, da sie beispielsweise das Bruttosozialprodukt eines Landes fördern, d. h. dem Staat eine weitere Einkommensquelle in Form von Devisen konstatieren, Einfluss auf die Landespolitik nehmen können, da sie eine einflussreiche Wählerschaft darstellen, Oppositionen zu Landesregierungen oder so genannte Pressure Groups für die Außenpolitik bilden können. Charakteristisch für transnationale soziale Räume ist die Nutzung der neuen Kommunikationsmedien (Fernsehen, Rundfunk, Fax, sowie für besser situierte Migranten das Internet) – die zweite analytische Dimension – die einen schnellen Informationsaustausch zwischen Ankunfts- und Herkunftsstaat ermöglichen. Eine wichtige Rolle für die MATERIELLE INFRASTRUKTUR spielen auch technische Neuerungen im Transportwesen, die einen Ortswechsel von Gütern, Personen, Geld erleichtern, beschleunigen sowie gewährleisten; gleichzeitig ermöglichen sie, Kulturgewohnheiten beizubehalten. Beispielsweise kann ein Familienmitglied seine Familie im Herkunftsland finanziell unterstützen in Form von Geldüberweisungen, weiterhin erlaubt es ihm eine schnelle Rückkehr ins Herkunftsland zu traditionellen sowie familiären Festen und kann spezielle Nahrungsmittel sowie deren Zubereitungsmethoden in das Ankunftsland importieren. Die dritte Dimension von Pries sind SOZIALE STRUKTUREN UND INSTITUTIONEN. Im Allgemeinen haben transnationale soziale Räume ein „eigenständiges System von sozialen Positionierungen“. Migranten ordnen sich in dem Ankunftsland den ethnischen Minderheiten zu und erfahren meistens in ihren Herkunftsländern eine höhere Positionierung. „Transnationale Migranten verorten sich selbst gleichzeitig im System sozialer Ungleichheiten ihrer Herkunftsgemeinde und in der Sozialstruktur ihrer Ankunftsgemeinde“ (Pries 1998: 78), teilweise findet eine Reproduktion der Konflikte und Ungleichheiten in der Alltagswirklichkeit der Migranten in der Ankunftsgesellschaft statt. Viele Migranten entwickeln einen hybriden Lebenswandel, der sich zwischen den beiden Kulturen bewegt bzw. verortet ist, sich aber von dem Diaspora-Lebensstil15 abgrenzt (ebd.: 78). Dementsprechend bilden sich in den transnationalen sozialen Räumen neue soziale Institutionen heraus, die gewissermaßen einen Platz zwischen den Stühlen haben, d. h. sie enthalten Handlungsnormen sowie Praktiken aus beiden Lebenswelten. Es kristallisiert sich eine neue Ortsungebundenheit heraus, die Familien sowie Interessengemeinschaften entscheidend mitprägt. Transnationale soziale Räume bzw. Gemeinschaften bilden ihre eigene Reglementierung bezüglich „Zugangs-, Zuweisungs- und Mobilitätsmöglichkeiten“ aus, die diese individuellen Identitäten prägen, besonders deren Erwerbsläufe und das Zugehörigkeitsgefühl. Die vierte und bedeutendste Dimension für die vorliegende Arbeit sind die IDENTITbTS- UND LEBENSPROJEKTE, die sich in hybriden Lebens- und Arbeitsorientierungen äußern. Die gespaltenen bzw. fragmentierten Identitäten 15 „Der Diaspora-Migrant richtet sich physisch-räumlich und vielleicht wirtschaftlich, aber nur bis zu einem gewissen Grade sozial und mental in der Ankunftsgesellschaft ein“ (Pries 2001: 39).

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von der zweiten und dritten Migrationsgeneration wurden von der Migrantenforschung bewiesen. Migranten bilden kollektive Identitäten aus Elementen von lokalen, ethnischen, nationalen sowie kosmopolitischen Identitäten. „Solche transnationalen Lebens- und Erwerbsprojekte zeichnen sich dadurch aus, dass ihr geografisch-räumlicher und ihr soziokulturell-räumlicher Relevanzrahmen jenseits bzw. quer zu Nationalstaaten und nationalgesellschaftlichen Grenzen verläuft“ (ebd.: 80).16 Zusammenfassend verweist Pries’ Konzept des transnationalen sozialen Raums auf eine entstandene ausgereifte Infrastruktur für den Raum von Austauschbeziehungen mindestens zweier Länder (An- und Herkunftsländer von Migrantengruppen), die Verflechtungszusammenhänge zwischen diesen Ländern generieren und die Lebenswelt von Individuen transformiert. Integraler Bestandteil oder die Basis dieser transnationalen sozialen Räume sind familiäre sowie nicht-familiäre Netzwerke, doch muss internationale Migration nicht zwangsläufig in der Formation von ausgereiften transnationalen sozialen Räumen münden. Es könnte sein, dass der Migrationsakt eines Familienmitglieds, d. h. die ausgelöste Transnationalität der Familie zur Ausbildung einer eigenständigen Infrastruktur für familiäre Bedürfnisse zwischen den einzelnen Mitgliedern bzw. einen Raum für Austauschbeziehungen zwischen Familienmitgliedern schafft – damit wäre der Landeswechsel eines Familienmitgliedes nicht mehr gleichbedeutend mit Verlust oder dem Auseinanderbrechen der Familie. Die Schaffung eines solchen grenzüberschreitenden Raumes, der ausschließlich der Familie dient, wird durch die Ausnutzung der technischen Innovationen möglich und muss nicht zwangsläufig an einen von Migranten aufgebauten erweiterten transnationalen sozialen Raum angeschlossen sein. Wie bereits in dem Abschnitt „Familien – die multilokale Mehrgenerationsfamilie“ erörtert wurde, lassen sich Familien heute nicht mehr anhand eines gemeinsamen Haushalts erfassen, was nicht gleichzusetzen ist mit dem Verlust von Intimität (Betram 2002: 526). Fraglich ist, was mit dem Intimitätsverhältnis geschieht, wenn Familienmitglieder zusätzlich von dem Einfluss eines fremden Kulturkreises geprägt werden. Kulturelle Globalisierung, die zur Strukturierung der Welt als singulären Raum führte, stellt heute hohe Mobilitätsanforderungen an Menschen und treibt sie beispielsweise aus wirtschaftlichen, beruflichen oder imaginären Gründen in fremde Länder. Diese abstrakten Systeme bzw. die Entbettungs-/Rückbettungsmechanismen, die Menschen an fremde Orte geleiten d. h. aus ihren sozialenlokalen Interaktionskontexten herauslösen, bieten ihnen gleichzeitig die Möglichkeit, eben diese sozialen Beziehungen über raum-zeitliche Distanzen hinweg zu restrukturieren. Für Migranten und deren Familien im Heimatland bedeutet 16 Ein weiterer transnationaler sozialer Raum entsteht zwischen den karibischen Inseln und New York bzw. den USA. Auf Grenada leben beispielsweise nur 32.000 grenadische Staatsbürger und die restlichen 60.000 verteilen sich über den gesamten USA, wo wiederum 15.000 davon in New York leben (Breidenbach/Zukrigl 2000: 145).

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dies, Verbindungen nicht mehr abbrechen zu müssen, sondern die Chance zu bekommen, vorhandene Beziehungen mit der Unterstützung von abstrakten Systemen aufrechtzuerhalten. Dabei wirken sich die von Albrow beschriebenen neuen Implikationen eines Ortes, die Ortsungebundenheit, förderlich aus. Jeder Ort kann einem Individuum die Basis für den Zugang zu dem Rest der Welt liefern; diese Instrumentalisierung oder Verwendung obliegt dem Individuum und ist gekoppelt an seine vorhandenen Ressourcen, d. h. die Ausdehnung der Soziosphäre im Raum. Die Familie stellt, wie es Simmel formulierte, den engsten Assoziationskreis des Individuums dar, in den es hineingeboren wird. Dieser wird im Lebensverlauf um zahlreiche weitere soziale Kreise, Wahlbindungen, je nach Interessenlage erweitert und kreuzt sich mit den Kreisen anderer, die ähnliche Interessenlagen haben (Simmel 1992: 457). Die Summe der sozialen Kreise eines Individuums müssten demnach seine Soziosphäre generieren (Beziehungsnetzwerk einzelner Individuen), d. h. die sozialen Kreise können heute auch in Zeit und Raum variieren. Gleichzeitig bedeutet dies, dass Familien ihren Ort bzw. jedes einzelne Familienmitglied seinen Aufenthaltsort so bestimmen kann, dass sich seine Soziosphäre im Raum mit denen anderer Familienmitglieder kreuzt, was zur Ausbildung einer sozialen Landschaft führt. Herkunftsbindungen bzw. familiäre Bindungen sind bereits von Geburt an vorhanden und im Allgemeinen stärker als Wahlbindungen (Hondrich 1996: 36). Durch die Tatsache, dass heute die Zeit den Raum vernichtet, können demnach einzelne Familienmitglieder in fremden Ländern auf die Herkunftsbindung Familie zurückgreifen. Prinzipiell müssten sie sich nicht auf kurzlebige Wahlbindungen in der individualisierten Gesellschaft verlassen (vgl. Hondrich 2001: 44), die im Ankunftsland erst gesucht werden müssen, d. h. die Option im Problemfall die Familie zu konsultieren oder die Unterstützung der Familie zu suchen würde bestehen bleiben. Ihre Beziehungen in den Raum wären nicht abstrakter Natur, sondern konkreter, die mit Hilfe von abstrakten Systemen bspw. Kommunikationstechnologien aufrechterhalten werden. Das bedeutet, dass die Familie in der Lage ist durch die Ausdehnung der Soziosphären ihrer Mitglieder, bei entsprechendem Handlungseinsatz und Investition von Mitteln seitens jedes einzelnen Mitglieds, transnationale Lebensstrategien zu verfolgen bzw. sich einen familiären transnationalen sozialen Raum aufzubauen. Ein mögliches Indiz für die Aufrechterhaltung von Beziehungen im Raum könnte der Boom von so genannten Callshops sein, die Auslandstelefonate zu günstigen Preisen anbieten. Vor diesem Hintergrund lässt sich folgende Hypothese aufstellen: Ɣ Familien, deren Mitglieder in verschiedenen Nationalstaaten leben, schaffen sich mit Hilfe der heutigen Technologie einen kleinen transnationalen sozialen Raum, um den ausbleibenden Kontakt von Angesicht zu Angesicht (und damit auch eine Verringerung der Emotionalität) zu kompensieren und um Kreuzungen ihrer sozialen Kreise zu generieren.

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Des Weiteren soll in diesem Zusammenhang auf transnationale Familien und ihr Leben zwischen den Kulturen eingegangen werden, von denen ein Teil der Mitglieder sich in Deutschland niedergelassen hat und dieses Land als Ausgangsbasis für die Verbindung zum „Rest der Welt“ gewählt hat, um einen Beitrag zu der von Beck-Gernsheim angesprochenen Forschungslücke in Deutschland zu leisten (Beck-Gernsheim 2004: 48). Wie bereits in dem Abschnitt über Migration in Deutschland thematisiert wurde, ist Deutschland zu einer multikulturellen Gesellschaft und zu einem Einwanderungsland geworden, in dem das Verfolgen von transnationalen Strategien Einzelner wahrscheinlich auf der Tagesordnung steht. Hier soll dargestellt werden, wie und ob Migranten von diesem Ort aus ihren individuellen Raum schaffen, sich Überschneidungen bilden, um so etwas wie eine familiäre Einheit über nationalstaatliche Grenzen hinweg beibehalten zu können. Dabei sollen die beiden von Bryceson und Vuorela vorgeschlagenen Begriffe im Bezug auf transnationale Familien – das so genannte „Frontiering“17 und das „Relativizing“, die aus dem amerikanischen Sprachraum stammen – Beachtung finden. Frontiering als Begriff soll die Art und Weise hervorheben, wie sich einzelne Mitglieder einer transnationalen Familie einen familiären Raum in Form eines Kommunikationsraumes sowie ein entsprechendes Netzwerk schaffen, zur Kompensation der ausbleibenden täglichen Kontakte von Angesicht zu Angesicht, die durch die geografische Trennung ausbleiben. Gleichzeitig impliziert Frontiering als Begriff, Begegnungen von Menschen mit deren unterschiedlichen Reaktionen, die von Friedfertigkeit bis hin zur Konfliktgetragenheit reichen können (Bryceson/Vuorela 2002: 11-13). Im Allgemeinen „bezeichnet Frontiering die Schnittstelle von zwei oder mehreren gegensätzlichen Lebensstilen“ (Bryceson/Vuorela 2002: 12). Als weiteren Begriff führen die beiden Autorinnen das „Relativizing“ an, d. h. verwandtschaftliche Beziehung zu einzelnen Mitgliedern werden bei einer räumlichen Trennung neu ausgehandelt beziehungsweise gestärkt oder geschwächt, dabei können auch Menschen, die keine Blutsverwandten sind mit in die Familiendefinition eingeschlossen werden (ebd.: 14). Das so genannte „Relativizing“ betrifft den selektiven Aufbau von familiäremotionalen und materiellen Zugeständnissen auf der Basis von zeitlichen und räumlichen Betrachtungen sowie aus Perspektive der Bedürftigkeit (ebd.: 14). Dies kann zum einen dazu führen, dass die Bindung zur Familie schwächer wird, je mehr sich das Familienmitglied in der neuen Wahlheimat integriert oder zum anderen der Bezug zur Familie gestärkt wird, da sich Mitglieder ihr eindeutig zugehörig fühlen und ein Ort der Erinnerung ist, der durch die Reflexion aus der Distanz positiver dargestellt bzw. empfunden wird. 17 Der Begriff Frontiering hat seine Wurzeln im Lateinischen: Frons, frontis und bedeutete den Vorstoß der römischen Zivilisation in barbarisches Gebiet. Hierbei wurde das mobile Subjekt als zivilisiert definiert, die „Eroberten“ als barbarisch und ungesittet. Demnach symbolisiert Frontiering den Vorstoß in abgelegene Gebiete. Wird dieses Wort im Zusammenhang mit Wissen verwendet kann es auch Neuland bedeuten. (Bryceson/Vuorela 2002: 12).

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K u l t u r e l l e H yb r i d i t ä t s t ä r k t d a s Z u g e h ö r i g k e i t s g e f ü h l z u r F a m i l i e – 2 . H yp o t h e s e Deutschland ist, wie sich aus dem Abschnitt über Migration ableiten lässt, zu einem Einwanderungsland und damit zu einer multikulturellen Gesellschaft geworden, in der unterschiedliche kulturelle Lebensstile und Ansichten koexistieren. Wenn Deutschland ebenfalls als Ausgangsbasis für die Aufrechterhaltung familiärer Bindungen im Raum genutzt wird, dann können innerhalb dieser Familienkonstellation hybride Identitäten, bei den im Ausland aufwachsenden Nachkommen vorkommen, die Probleme haben ihre eindeutige Zugehörigkeit zu einem Land zu lokalisieren – dann könnten auch in der Familie unterschiedliche Lebensstile koexistieren. Genauso verschieden wie die Beweggründe zur Migration sind die Strategien von Migranten, die entweder die Remigration oder Pendelmigration anstreben oder die Absicht verfolgen dauerhaft zu bleiben bzw. einzuwandern. Gemäß ihrer anfänglich verfolgten Strategie, die sich im Verlauf des Aufenthaltes beispielsweise in Deutschland ändern kann, zeigen Migranten eine unterschiedliche Bereitschaft, sich in das neue Ankunftsland und damit in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren (Hämmig 2000: 14). Der Wechsel des Wohnorts, der mehr oder minder auf einem Wahlakt basiert, stellt nicht das Ende des Migrationsakts dar, sondern ihm folgt die ‚innere psychosoziale Migration‘ d. h. die „Eingliederung“ in die Ankunftsgesellschaft (Schöpe-Kahlen 2005: 17-18). Der Landeswechsel ist verbunden mit einem Wechsel von „Symbolwelten“18. Der Wechsel von der Herkunftskultur, in die das Individuum hineinsozialisiert wurde, zu der Symbolwelt der Ankunftskultur, die nicht mehr mit ihrer ursprünglichen Symbolwelt übereinstimmt und erst „neu erlernt“ werden muss (auf der Basis des vorher erlernten Wissens). Dabei bleibt der Ort der primären Sozialisation (der in der Regel bei Migranten in einem anderen Kulturkreis stattfand), die Kernfamilie des Individuums, in der es Urvertrauen, Sprache, Werte, Normen und Verhaltensschemata lernt (Reinhold et al 2000: 604) ein Leben lang von Bedeutung, da hier sogenannte „mental maps“ angelegt werden (können nicht wieder neu erlernt werden), mit denen das künftige Wissen strukturiert wird.19 Das bedeutet: Migranten nehmen die neue Wahlkultur durch die Augen ihrer Herkunftskultur wahr. Dies verläuft bei den Migranten ähnlich wie bei dem Prozess der so genannten Glokalisierung. Sie können kulturelle Praktiken aus dem Ankunftsland übernehmen und diese gemäß ihrem kulturellen Verständnis in ihre persönlichen kulturellen Praktiken, die von der Herkunftskultur geprägt sind, integrieren. (Die sekundäre Sozialisation wird von gesellschaftlichen Institutionen wie beispielsweise dem Kindergarten vermittelt.) Somit stellt die Kultur sowie die Familie, eine an dem 18 „Kulturwelten sind Symbolwelten“ (Dietzel-Papahyriakon 2004: 34). 19 Dies bedeutet auch, dass bei „der Aufnahme (Perzeption), als auch bei der Verarbeitung und Interpretation der Sinnesreize (Repräsentation) Kultur interveniert“ (Dietzel-Papakyriakon 2004: 35).

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Individuum haftende Herkunftsbindung dar, die es nicht wieder ablegen kann. Das Eingehen einer neuen Wahlbindung, d. h. im Falle der Migranten ein Landeswechsel, stellt das Erfordernis an die Migranten sich zu akkulturieren, zu integrieren bzw. zu assimilieren20, damit sie sich in der neuen Mehrheitsgesellschaft (Symbolwelt) zurechtfinden um Partizipationsmöglichkeiten in der Gesellschaft zu erhalten. Es gibt unterschiedliche Formen von Akkulturation, im Allgemeinen findet sie durch die Konfrontation mit anderen Kulturen statt. Zum einen bedeutet Akkulturation die individuelle Übernahme von Kulturelementen aus Kulturkreisen, denen man nicht zugehörig ist und zum anderen „auf der Aggregatebene die Anpassung einer Kultur an andere Kulturen oder die Übernahme von Kulturelementen anderer Kulturen“ (Reinhold et al 2000: 10). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Integration, Assimilation, Akkulturation oder Enkulturation einhergeht mit dem Versuch der Migranten durch die aktive Teilnahme an ihrem neuen kulturellen Umfeld auf Basis ihres Wissens ihre neue Umwelt so zu strukturieren, dass sie sich in der Kultur des Ankunftslandes zurechtfinden bzw. nach idealtypischen Vorstellungen zu internalisieren. Kurzum es handelt sich um Annäherungs- und Lernprozesse. Während der Migrationsakt der ersten Generation sozusagen ein Wahlakt war bzw. „freiwillig“ stattfand, haben ihre im Ausland geborenen Nachkommen, die zweite Generation, selten eine Entscheidungsmöglichkeit. Fraglich ist, ob in diesem Falle überhaupt von der zweiten Generation gesprochen werden kann, sondern treffender vielleicht als Menschen mit Migrationshintergrund bezeichnet werden sollten. „Während die Migrantinnen und Migranten der ersten Generation erst allmählich mit dem Leben in der deutschen Gesellschaft vertraut werden, wachsen ihre Kinder und Enkelkinder in die deutsche Gesellschaft hinein. Manche besuchen in Deutschland den Kindergarten, viele verbringen ihre gesamte Schulzeit in deutschen Schulen. Das Herkunftsland ihrer Eltern kennen viele junge Migrantinnen und Migranten kaum, Deutschland ist ihr Lebensmittelpunkt“ (Keim 2003: 2). In anderen Worten: Die Wahlbindung ihrer Eltern, das neue Ankunftsland wird für ihre Nachkommen zu einer weiteren Herkunftsbindung (Hondrich 1996: 36), da Familie der Ort der primären Sozialisation ist und die gesellschaftlichen Institutionen der Ort der Sekundären. Sie werden zu sogenannten Bindestrich-Identitäten, da sie meistens im Herkunftsland ihrer Eltern als „Deutsche“ gelten und im Ankunftsland als Fremde betrachtet werden und „zwei Heimaten“ haben, da sie sich nicht eindeutig einer Nationalität zuordnen können. Dieses zwischen oder in zwei Welten Leben der zweiten Generation wird in der Migrationsforschung positiv wie negativ dargestellt, wobei negative Konno20 „Für den Prozess der Annäherung zwischen Angehörigen einer Minderheit einerseits und der aufnehmenden Gesellschaft andererseits werden Begriffe wie Integration, Assimilation, Akkulturation, Enkulturation etc. selten klar unterschieden und oftmals synonym gebraucht und je nach Sichtweise unterschiedlich betrachtet und bewertet (Schöpe-Kahlen 2005:33).

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tationen der klassischen Bilder vorherrschend waren und sich erst in den letzten Jahren eine Tendenz zu positiven Assoziationen abzeichnet. Die klassischen Bilder stereotypisierten die zweite Generation überwiegend als Randexistenzen, die im Kulturkonflikt gefangen und von innerer Zerrissenheit gezeichnet sind (BeckGernsheim 2004: 78, 81-82). Positive Gegenentwürfe verweisen darauf, dass die „Heimatlosigkeit“ als persönliche Bereicherung empfunden wird, durch die Tatsache, sich seine eigenen Wurzeln bzw. Identität basteln zu können und sich nicht auf eine bestimmte Kultur reduzieren lassen zu müssen. „Der Bastard ist der neue Held, ja der Träger der Zukunft, er ist es, der im 21. Jahrhundert für Nationen wie Unternehmen die entscheidenden ‚Wettbewerbsvorteile‘ bringt“ (ebd.: 87). Die zweite Generation ist überwiegend das, was Bhabha als kulturelle Hybride beschreibt, geprägt von mehreren Kulturen und lassen sich daher nicht mehr in Form der binären Gegensätze beschreiben lassen. Sie sind weder Deutsche noch Ausländer, sondern bewegen sich in dem Zwischenraum dieser beiden Pole. „Dieser zwischenräumliche Übergang zwischen festen Identifikationen eröffnet die Möglichkeit einer kulturellen Hybridität, in der es einen Platz für Differenz ohne eine übernommene oder verordnete Hierarchie gibt“ (Bhabha 2000: 5). In dem sogenannten „dritten Raum“, den sich hybride Identitäten schaffen, verhandeln sie für sich die einzelnen kulturellen Bedeutungssysteme bzw. übersetzen zwischen ihnen. „Sie (‚kulturelle Grenz-Arbeit‘) erzeugt ein Verständnis des Neuen als einen aufrührerischen Akt kultureller Übersetzung“ (ebd.: 10). Sven Sauter, der adoleszente Ablösungsprozess bei türkischen Jugendlichen (zweite Generation in Frankfurt) untersuchte, versteht Hybridität als einen Aushandlungsprozess, „der nicht endgültig und definitiv in eine bestimmte Richtung verweist, eine Position eindeutig belegt“ (Sauter 2000: 300). Dabei steht bei den Jugendlichen bei dem „Spiel mit den Differenzen“ bzw. der Auseinandersetzung mit beiden „Herkunftskulturen“ nicht das Entweder-Oder im Mittelpunkt ihres individuellen Aushandlungsprozesses, sondern das Sowohl-Als-Auch (ebd.: 301). Für kulturelle Hybride d. h. Menschen, die demnach über zwei Heimaten verfügen, ist es schwer, sich einer spezifischen Kultur zuzuordnen, sie können sich aber möglicherweise eindeutig ihrer Familie zuordnen, da dies in der Regel auch der Ort sein kann, wo sich Praktiken aus Herkunfts- und Ankunftskultur vermischt und koexistieren (je nach Fortgeschrittenheit des Akkulturationsprozesses). Deshalb soll folgende Hypothese überprüft werden: Ɣ Menschen, deren Leben von kultureller Hybridität gekennzeichnet ist, verfügen über eine starke emotionale Verbindung zu ihrer Familie, da diese selbst bei dem Verlust kultureller Zugehörigkeiten einen eindeutigen Bezugspunkt darstellt.

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T r a n s n a t i o n a l e F a m i l i e n s i n d e i n S ym p t o m d e r W e l t g e s e l l s c h a f t – 3 . H yp o t h e s e Wie sich aus dem vorausgehenden Theorieteil ableiten lässt, hat Globalisierung im Allgemeinen und kulturelle Globalisierung im Besonderen zur Transformation gesellschaftlicher Rahmenbedingungen geführt, die unter anderem in neuen Identitätsentwürfen und Lebensstrategien zum Ausdruck gebracht werden, deren Kopplung an spezifische Territorien rückläufig ist. Dies manifestiert sich in unserem heutigen Zeitalter in Form des Anstiegs von transnationalen Strategien, die politischer, ökonomischer, ökologischer, sozialer oder individueller, wissenschaftlicher, kultureller usw. Natur sein können. Die Strukturen, auf denen der Nationalstaat aufbaute, in dem seine Staatsbürger aus heutiger Perspektive willkürlich an sein Territorium koppelte, verflüssigen sich dadurch, dass Grenzen durchlässiger geworden sind. Dies verweist auch auf eine Veränderung der gesellschaftlichen Struktur, in der Abgrenzbarkeit zur Illusion wird und Entgrenzung zur Realität wird. Die weltumspannenden Triebkräfte der Globalisierung beeinflussen die alltagsweltliche Lebenspraxis, in dem diese die Anforderungen an die Menschen in Bezug auf ihre Mobilität, Flexibilität, Vergänglichkeit (wechselnde Trends, Schnelllebigkeit, Zeitmangel) und Individualisierung usw. permanent auf ein neues Niveau heben, in dem sie zur Erosion traditioneller Bezugspunkte führen bzw. die nationalen Identitäten aus althergebrachten Strukturen freisetzen. In diesem Zusammenhang wird heute über die Vereinzelung des Subjekts, den Niedergang der Familie als Institution sowie schwindender Moral diskutiert. Wie aus dem Kapitel „Grundannahmen über den gegenwärtigen Zustand der Welt“ hervorgeht, haben die Bedingungen des heutigen Zeitalters, der Globalität (oder Weltgesellschaft) zur Modifikation nationalstaatlicher Konzepte geführt, die überwiegend aus der Veränderung der äußeren Rahmenbedingungen hervorgingen, sodass sie auf globaler Ebene durch ihre Reichweite wieder erscheinen. Im Verlauf der Geschichte unterlagen die Strukturen von Familien, die eine konstitutive Komponente des Nationalstaats sind, ebenfalls Transformationsprozessen, dadurch dass sie sich an die äußeren Rahmenbedingungen, die in der Gesellschaft vorherrschend waren, anpassen mussten. Aufgrund dessen könnte es sein, dass diese Strukturen heute ebenfalls transnational werden. Deshalb soll die unten aufgestellte Hypothese anhand der Erkenntnisse aus den Interviews unter Bezugnahme auf die theoretischen Konzepte überprüft werden, da zum einen nach Albrow die Globalität einhergeht mit der Wiederherstellung von Nähe und zum anderen Migration in der heutigen Zeit kein Einzelphänomen darstellt, sondern immer mehr Menschen diese Möglichkeit in Erwägung ziehen und somit die Formation von transnationalen Familien eine Adaption an die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wäre. Ɣ Im gegenwärtigen Zustand der Welt, der von Mobilität geprägt ist und Menschen zunehmend Flexibilität abverlangt, arbeiten Menschen vermehrt im

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Ausland, deshalb könnte es sein, dass der Lebensentwurf „transnationale Familie“ ein Symptom der Weltgesellschaft ist oder sie sogar bis zu einem gewissen Grad verkörpert.

Methodik der explorativen Untersuchung In diesem Abschnitt wird die Vorgehensweise und Methodik für die Untersuchung von transnationalen Familien, von denen ein Teil der Mitglieder Deutschland als Lebensmittelpunkt gewählt hat, beschrieben. Bevor im nächsten Kapitel die Ergebnisse der Einzelfallanalysen vorgestellt werden, wird hier zunächst die Methode begründet sowie die Operationalisierung der Hypothesen dargestellt. Anschlieȕend wird die Auswahl der Interviewpartner bzw. die Auswahlkriterien skizziert sowie der Zugang zum Feld und die Dokumentation der gewonnen Daten über transnationale Familien beschrieben.

Leitfadeninterviews als Mittel der Datenerhebung Im Hinblick auf das vorliegende Erkenntnisinteresse soll mit Leitfadeninterviews gearbeitet werden, da im Allgemeinen die Perspektive der Befragten durch die offene Fragestellung besser herausgestellt werden kann als bei einem standardisierten Erhebungsverfahren, in denen Gegenstände in einzelne Variablen zerlegt werden, d. h., in der vorliegenden Arbeit wird die qualitative Methode quantitativen vorgezogen (Flick 2002: 117). Anzumerken ist, dass es unterschiedliche qualitative Erhebungsverfahren gibt wie beispielsweise problemzentrierte Interviews, narrative Interviews, Gruppendiskussionen oder teilnehmende Beobachtungen (Feldforschung) (Mayring 2002: 5). Narrative Interviews sind gegenüber problemzentrierten weniger strukturiert, sollen nach Einführung in die Thematik einen Erzählimpuls beim zu Interviewenden auslösen, in diesen Impuls darf der Interviewer nur bei Verlust des roten Fadens eingreifen (ebd.: 72-73). Die Strukturierung des Gesprächs erfolgt durch die Erzählung des Befragten. Neben den eben benannten Einzelerhebungen besteht die Möglichkeit eine Gruppendiskussion durchzuführen (ebd.: 77). Da Einstellungen sowie Meinungen stark an soziale Zusammenhänge gekoppelt sind und Familienkonstellationen sowie die Vorstellung von Familie variieren (auch kulturspezifisch), scheint diese Methode, um erste Einblicke in das Leben von transnationalen Familien in Deutschland zu erhalten, wenig geeignet. Hier könnte es sein, dass die Diskussion aus dem Ruder läuft, da gerade das Thema Familie, ein Emotionales ist und jeder seine spezifischen Vorstellungen von Familie hat. Eine Gruppendiskussion könnte allerdings einen fruchtbaren Anknüpfungspunkt für weitere Forschungen liefern, wenn beispielsweise die Gruppendiskussion innerhalb einer transnationalen Familie geführt wird, bei der Mitglieder aus den

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verschiedenen Ländern anwesend sind, welches schwer realisierbar ist. Aufgrund der Tatsache, dass das der Fokus der vorliegenden Arbeit erste Hinweise über transnationale Familien in Deutschland liefern soll, scheint das problemzentrierte Interview geeignet, da hier auf einen bestimmten (Lebens-) Bereich der Interviewpartner rekurriert werden kann. Leitfadeninterviews (als problemzentrierte Interviews) ermöglichen es, wegen des größeren Gestaltungsspielraums während der Interviewdurchführung auf das Subjekt einzugehen. Sie können durch den verbalen Zugang alltägliche Gegenstände in ihrer Komplexität und Ganzheit erfassen. In problemzentrierten (Leitfaden-)Interviews wird ein Fragenkatalog aus sogenannten offenen Fragen zusammengestellt. Die Fragen können von dem Probanden weder mit Ja oder Nein beantwortet werden noch sind ihm Antwortkategorien vorgegeben. Dadurch, dass „Subjekte selbst zur Sprache kommen, sind sie zunächst Experten für ihre eigenen Bedeutungsgehalte“ (Mayring 2002: 66) und müssen in der Interviewsituation Zusammenhänge herstellen und in kognitive Strukturen einbetten, basierend auf dem Fehlen vorgegebener Antwortkategorien (ebd.: 67). Des Weiteren ist der Interviewer nicht an eine bestimmte Reihenfolge der Fragen gebunden, ein weiterer Aspekt, der es ermöglicht auf den Interviewten einzugehen sowie einen Vorteil für den Interviewer schafft, ad hoc auf für das Erkenntnisinteresse relevante, zur Sprache gebrachte Themen, mit weiteren Fragen, zu reagieren. Anzufügen ist an dieser Stelle, dass der Forschungsprozess bei qualitativen Untersuchungen nicht als statisch aufgefasst werden darf, sondern als ein Interaktionsprozess betrachtet werden muss, „in dem sich Forscher und Gegenstand verändern“ (ebd.: 32). Daten, die im Rahmen von kommunikativen Prozessen erhoben werden, sind subjektiver Natur, da sie erst während des Interaktionsprozesses entstehen und die „Datenlieferanten“ „auf Forschung reagierende, sich verändernde Subjekte sind“ (ebd.: 32). Hier werden ähnliche Prozesse ausgelöst, die auch bei der Ausbildung der Identität zum Tragen kommen (siehe das soziologische Subjekt und Identität als Prozess) und im Allgemeinen unter dem Begriff ‚symbolischer Interaktionismus‘21 subsumiert werden können. Durch die Verwendung eines Interviewleitfadens ist die Vergleichbarkeit der Daten, die aus den einzelnen Interviews gewonnen wurden, gewährleistet, weil die Fragestellungen eine hinleitende Funktion auf die relevanten Kontexte einnehmen soll. Gerade im Hinblick auf das vorliegende Erkenntnisinteresse könnte sich diese Methode als positiv bewähren, da zum einen der Befragte ihm persönlich wichtige Themenaspekte ansprechen kann und zum anderen die verwendete 21 „Die erste Prämisse besagt, dass Menschen ‚Dingen’ gegenüber auf der Grundlage der Bedeutungen handeln, die diese für sie besitzen [...]. Die zweite Prämisse besagt, dass die Bedeutungen solcher Dinge aus der sozialen Interaktion, die man mit Mitmenschen eingeht, abgeleitet ist oder aus ihr entsteht. Die dritte Prämisse besagt, dass diese Bedeutungen in einem interaktiven Prozess, den die Personen in ihrer Aus-einandersetzung mit den ihr begegnenden Dingen benutzt, gehandhabt und geändert werden“ (Blumer 1973: 81, zitiert nach Mayring 2002: 32).

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Erzählstruktur ein Indikator für den Grad der Vermittlung sein könnte (Chamberlain/Leydesdorff 2004: 231). Symbolische Strukturen, die in der Kultur eingebettet sind, sind in unserer Sprache verankert und werden durch sie reflektiert. Demnach sind Erinnerungen zum einen persönlich und zum anderen kollektiv, da Erinnerungen durch Erzählungen wieder zum Teil anderer Erinnerungen werden, welche in der Familie eine große Rolle spielen (ebd.: 229-233). Die durchzuführenden Interviews sollen auf die Dynamik, die Interaktionsformen sowie eventuelle Strukturveränderungen eingehen, die durch die geografische Distanz ausgelöst worden sind und vor allem Hinweise auf die Identität von transnationalen Familien bzw. einzelnen Mitgliedern geben. Der für das vorliegende Erkenntnisinteresse konzipierte Fragebogen ist halb strukturiert, d. h. er besteht aus einer vorgeschalteten soziodemografischen Erhebung aus geschlossenen sowie halboffenen Fragen mit dem darauffolgenden Interviewleitfaden. In dem nachfolgenden Interviewleitfaden wurden die Hypothesen mit Hilfe von offenen Fragen operationalisiert. Die Bezeichnung der Strukturierung richtet sich nach den Freiheitsgraden, die der Interviewte im Rahmen der Datenerhebung hat (Mayring 2002: 66-67). Wie sich aus der hier folgenden Beschreibung des Aufbaus der qualitativen Datenerhebung bzw. dem konzipierten Fragebogen ergibt, variieren die Freiheitsgrade im ersten und zweiten Teil der Untersuchung. Im ersten Teil des Fragebogens werden Angaben zur Person erhoben: Staatsangehörigkeit, Religionszugehörigkeit, Geburtsort, Herkunft der Eltern, bisheriger Aufenthaltszeitraum der Eltern in Deutschland, Schulbildung, Beruf, NettoEinkommen, Familienstand, Nationalität des Lebenspartners, Angaben zu Kindern, Sprachkenntnisse, Geschwister, Personenanzahl des Haushalts, Erst- und Zweitwohnsitz sowie nach dem permanenten Aufenthalt in Deutschland gefragt. Im Anschluss an die soziodemografische Erhebung folgt das Interview mit Hilfe des entwickelten Interviewleitfaden. Der Interviewleitfaden wurde im Hinblick auf das erkenntnisleitende Interesse der vorliegenden Arbeit konzipiert und enthält offene Fragen, in denen die Hypothesen operationalisiert wurden. Die Hypothesen wurden wie folgt operationalisiert: Zur Überprüfung der ersten Hypothese „Familiäre Transnationale Soziale Räume – 1. Hypothese“ wurden Fragen ausgewählt, die auf die Verbindung sowie die Verbundenheit zur Familie im Ausland, die Kontaktfrequenz, Kontaktqualität, den Einsatz von Kommunikationsmittel sowie die Problematik der geografischen Dislozierung und den Familienalltag abzielen. Für die Implementierung der zweiten Hypothese „Kulturelle Hybridität stärkt das Zugehörigkeitsgefühl zur Familie – 2. Hypothese“ wurden Fragen ausgewählt, die zum einen Vergleiche zwischen den kulturellen Wertvorstellungen zwischen Eltern und Kind, Familienmitgliedern im Ankunfts- wie Herkunftsland zum Fokus haben; des Weiteren Fragen zur Traditionspflege, zum Sprachgebrauch, persönliche Identifikation mit spezifischen Kulturmerkmalen, der Verortung von Heimat, der Vorstellbarkeit von der Verlagerung des Lebensmittelpunktes in das Herkunftsland der Eltern sowie nach dem sozialen Umfeld

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in Deutschland. Für die Überprüfung der dritten Hypothese „Transnationale Familien sind ein Symptom der Weltgesellschaft – 3. Hypothese“ wurden keine spezifischen Fragen generiert, da ihre Überprüfung nur im Gesamtzusammenhang des Interviews bzw. den erlangten Erkenntnissen, im Besonderen auf Basis der ersten Hypothese in Kopplung mit den theoretischen Konzepten, erörtert werden kann. Bevor mit dem erstellten Fragebogen bzw. Leitfaden, die Interviews für die vorliegende Erhebung durchgeführt wurden, wurde der Leitfaden im Vorfeld getestet (Pretest), um gegebenenfalls bnderungen vornehmen zu können. Der konzipierte Fragebogen wurde in der ursprünglichen Form beibehalten.

Au s w a h l d e r I n t e r v i e w p a r t n e r / b i n a t i o n a l e P a a r e Im Folgenden werden die Kriterien für die Auswahl der Interviewteilnehmer beschrieben. An dieser Stelle soll darauf verwiesen werden, dass wegen dem zeitlich vorgegebenen Rahmen dieser Arbeit, die Untersuchung auf fünf Probanden begrenzt werden musste. Aufgrund der geringen Teilnehmerzahl ist es nur möglich, Tendenzen bezüglich transnationaler Familien aufzuzeigen, die als Anreiz für die weitere Erforschung dienen können. Die explorative Untersuchung setzt sich aus Interviewpartnern zusammen, die eine binationale Ehe oder eheähnliche Partnerschaft in Deutschland führen, bzw. von denen mindestens ein Partner zeitweilig in Deutschland lebt. Dabei wurde der Anspruch gestellt, dass keiner der beiden Partner, auch wenn diese mittlerweile vielleicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, seitens der Eltern über die deutsche Kultur als Herkunftskultur verfügen. Binationale Paare scheinen für das vorliegende Erkenntnisinteresse geeignet, da ihnen eine gewisse Aufgeschlossenheit gegenüber fremden Kulturen unterstellt werden kann. Des Weiteren müssen sie sich einerseits in ihrer „Kernfamilie“ mit mindestens zwei Kulturen auseinander setzen und haben möglicherweise eine gewisse Distanz zu ihrer Herkunftskultur. Andererseits sind Sprachbarrieren mit Mitgliedern der weiteren Familie des Partners ausgeprägter sein (Bryceson/Vuorela 2002: 67). Des Weiteren können die Vorstellungen über Familie variieren, d. h., es ist für sie erforderlich, eine Brücke zwischen den beiden Kulturen zu bilden bzw. zwischen ihnen zu übersetzen. Zusätzlich wird durch diese Auswahl an Interviewpartnern berücksichtigt, dass sich zunehmend mehr Menschen mit unterschiedlicher Herkunft in einem dritten Kulturkreis zusammenfinden können, zum einen kann dadurch die Vermischung von Kulturen mit einbezogen werden und zum anderen könnte es sein, dass der ‚dritte Kulturkreis‘ in der Beziehung, den gemeinsamen Konsens darstellt. In diesem Bezug könnte das Verhältnis von Manifestation und Latenz, eine Dimension sozialer Beziehungen von gesondertem Interesse sein; dies ist eine Dimension sozialer Beziehungen, neben denen der Rationalisierung und Emotio-

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nalität, Individualisierung versus Kollektivität, Eligibilität (Wählbarkeit) und Non-Eligibilität (Hondrich 1996: 30-32). Der Akt einer sozialen Handlung, die sich dem außenstehenden Beobachter offenbart, ist das Manifeste in sozialen Beziehungen, welches prozentual gesehen, den kleinsten Teil sozialer Handlungen darstellt. Der größere Anteil liegt im Verborgenen bzw. ist latent, wie beispielsweise Komponenten der Herkunftskultur, die das Individuum geprägt haben (ebd.: 30)22. Wie bereits oben kurz thematisiert, stellt die Familie sowie der Kulturkreis eines Individuums eine nicht-abwählbare Herkunftsbindung, die heute in der modernen Gesellschaft durch neue Wahlbindungen wie beispielsweise der Partnerwahl oder die Wahl eines neuen Kulturkreises ergänzt wird. Umso mehr die Globalisierung oder vielmehr die von der Globalisierung initiierten Prozesse die Vermischung von Kulturen vorantreibt, desto wahrscheinlicher werden Partnerschaften zwischen unterschiedlichen Kulturkreisen geschlossen und Verwandten zum Teil noch in ihrem jeweiligen Ursprungsland leben. Je nach Andauern und Intensität der neuen Wahlbindung wird diese möglicherweise zu einem Bestandteil ihrer Identität. Allerdings bleibt die Herkunftsbindung in unterschiedlich starker Ausprägung, erhalten und agiert aus der Latenz, d. h. sie ist präsent, aber nicht offensichtlich. „Es zeigt sich, dass in ein und demselben Nukleus, der modernen individualisierten Familie, der Konflikt zwischen Wahl- und Herkunftsbindungen oft zugunsten der Letzteren entschieden wird, ja dass diese gestärkt aus dem Konflikt hervorgehen“ (ebd.: 36). Menschen, die über dieselben Herkunftsbindungen verfügen, haben potenziell einen höheren Konsens bezüglich Wertvorstellungen usw., da sie ein gemeinsames Vorverständnis haben, das bei Familien besonders stark ausgeprägt sein dürfte, während bei Wahlbindungen Gemeinsamkeiten gefunden werden müssen (Hondrich 2001: 56). Die Wahl eines Partners ist eine Wahlbindung, die bei binationalen Paaren zusätzlich durch einen fremden Kulturkreis erweitert wird, welches diesen eine Vermittlung zwischen den beiden Kulturkreisen abverlangt. Fraglich ist, wieweit die Herkunftsbindungen der Partner manifest bzw. latent sind, wann eine stärkere Rückbesinnung auf die Herkunft erfolgt und welche Rolle dabei die Familie spielt. Vielleicht ist die Transnationalität einzelner Individuen die Lösung des Konflikts, weder die Kultur des Herkunftslandes aufgeben zu wollen, noch sich vor der neuen Ankunftskultur zu verschließen bzw. auf andere Kulturkreise (im Falle der Interviewpartner) einzulassen. In diesem Zusammenhang hat die Studie „Viele Welten leben“ von Boos-Nünning und Karakaúo÷lu gezeigt, dass es die zweite Generation von Immigranten problematisch findet, die Kultur ihrer Eltern aufzugeben, sich von ihnen nicht unterdrückt fühlt und gerne im Ankunftsland lebt (Boos-Nünning/Karakaúo÷lu 2004: 14, 34, 37); dies impliziert, dass sich die Familie irgendwie im Ankunftsland arrangiert haben muss und zwischen den Kulturen übersetzt. Die Übersetzung verweist aber auch auf unterschiedliche Beeinflussung der im Ausland lebenden Familienmitglieder durch die Ankunftskul22 Und wirkt zumindest beeinflussend auf die Handlung im Hintergrund.

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tur. Dies hat zur Folge, dass diese Fremdeinflüsse ebenfalls in die transnationale Familie hineingetragen werden können, in Form von unterschiedlich gewichteten Wertvorstellungen. Diese sind wahrscheinlich zwischen den im Ausland lebenden Familienmitgliedern und deren im neuen Ankunftsland der Eltern aufwachsenden Nachkommen ausgeprägter. Dies basiert auf der Tatsache, dass diese Nachkommen, wie die Migrationsforschung gezeigt hat, das Herkunftsland ihrer Eltern nur aus dem Urlaub kennen und das Ankunftsland, hier Deutschland, in der Regel das normale Lebensumfeld stellt. Wie bereits erwähnt, lässt das Führen einer binationalen Partnerschaft bei den Probanden auf eine gewisse Offenheit und damit auch auf die schrittweise Entfremdung von der Herkunftskultur schließen. Die zusätzliche Komponente, dass keiner der beiden Partner (auch wenn nicht zwangsläufig beide interviewt werden) über die deutsche Kultur seitens der Eltern verfügt, haben die Partner zum einen das gleiche Schicksal. Zum anderen müssen sie, wenn sie ihren Konsens nicht über die deutsche Kultur finden, zwischen ihren unterschiedlichen Herkunftsbindungen verhandeln – demnach kommen in dieser Konstellation auf jeden Fall Aushandlungsprozesse zum Tragen, die vielleicht durch die Rückbesinnung auf die Familie (wegen dem höheren Konsens) im Problemfall in die jeweilige Herkunftsfamilie hineingetragen werden können. Dass binationale Paare in interkulturelle Probleme verstrickt sein können, die zu familiären Krisen führen, zeigt sich an der Tätigkeit und den Aufgabenfeldern sowie Zielen des Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften e. V. (ifa), deren Ziele ebenfalls transnationalen Familien zugute kommen können. Dieser Verband setzt sich zusammen aus hauptamtlichen wie ehrenamtlichen Fachkräften (Ifa 2004: 9), die sich für das interkulturelle Miteinander, „für Integration und Akzeptanz in einer pluralen Gesellschaft“, „für die kulturelle Öffnung der Gesellschaft und ihrer Institutionen“, „für ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Einwanderern und Deutschen“, „für die rechtliche Gleichstellung binationaler Familien und Partnerschaften“, „für die Vereinfachung binationaler Eheschließungen“ und „für die ungehinderte Einreise von Familienangehörigen“, einsetzen. „Das Spektrum (der Beratungen) reicht von Fragen zu Eheschließung, zu Einreise und Aufenthaltsgenehmigungen, zu Staatsangehörigkeit und arbeitsrechtlichen Regelungen. Kulturell geprägte Vorstellungen von Ehe und Familie, Fragen zum interreligiösen Zusammenleben oder zu interkultureller Erziehung und Mehrsprachigkeit sind weitere Beispiele für die Besonderheiten in den Beratungsanliegen von Binationalen und auch Migrant/innen“ (ebd.: 9). Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden waren von den insgesamt 395.992 geschlossenen Ehen im Jahre 2004 16,5 Prozent (65.457)23 aller Eheschließungen, von oder mit Ausländern. Darunter wurden insgesamt 3.986 23 Die Eheschließungen von oder mit Ausländern setzt sich aus folgenden Gruppierungen zusammen: beide Ehepartner Ausländer (9.219), Frau Deutsche und Mann Ausländer (23.474), Mann Deutscher und Frau Ausländerin (32.764).

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Ehen geschlossen, bei denen beide Ehepartner ausländisch und unterschiedlicher Nationalität waren (Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden/2004 – Eheschließungen nach der Staatsangehörigkeit der Ehepartner). Anzumerken ist, dass die Zahl der binationalen Ehen weitaus höher liegen müsste, da der Migrationshintergrund von Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft statistisch nicht erfasst wird. Des Weiteren gibt es viele binationale Partnerschaften, die ebenfalls nicht erfasst werden können. In der Stadt Frankfurt am Main besitzen beispielsweise 25,9 Prozent aller Bürger und Bürgerinnen keinen deutschen Pass. „Rechnen wir Menschen, die eingebürgert wurden, die Aussiedler und binationale Familien hinzu, so ist schätzungsweise in 40 Prozent der Familien in Frankfurt ein Migrationshintergrund gegeben“ (Ifa 2004: 6). Bei rund einem Drittel (31,9 Prozent) der geschlossenen Ehen in Frankfurt am Main im Jahre 2003 ist einer der Ehepartner nicht deutsch und bei 9,9 Prozent der Eheversprechungen haben beide Partner nicht die deutsche Staatsbürgerschaft (ebd.: 6). Schätzungsweise werden die Zahlen der binationalen Eheschließungen sowie von binationalen Paaren, besonders in den Ballungszentren bzw. in den Weltstädten ansteigen, da diese, wie Hannerz schildert, Anziehungspunkt für Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft sind. D. h., hier findet auch eine stärkere Vermischung der Kulturen statt. Wie die Zahlen über die Stadt Frankfurt belegen, haben mindestens 40 Prozent der Familien einen Migrationshintergrund und das Schließen von binationalen Ehen ist höher als der Bundesdurchschnitt. Aufgrund des vorliegenden Erkenntnisinteresses, Einblicke in das Leben transnationaler Familien zu erlangen, wurden die Auswahlkriterien für Probanden wie folgt festgesetzt: Der Interviewpartner soll eine binationale Partnerschaft oder Ehe führen, in der keiner über die deutsche Kultur als Herkunftskultur verfügt. Dabei soll der zu Interviewende im Großraum des Rhein-Main-Gebiets bzw. in Deutschland leben, zumindest zeitweilig, um sehen zu können, wie sie oder er diesen Ort als Ausgangsbasis für die Verbindungen in die Welt instrumentalisiert. Von Interesse könnte auch die Strategie des Paares im Bezug auf ihre Zukunft sein, wenn sich beispielsweise beide, aus fremden Kulturkreisen stammend, in einem dritten Kulturkreis, hier in Deutschland treffen. Das Alter der Probanden wurde auf 20 bis 30 Jahre festgelegt im Hinblick die Tatsache, dass für die Aufrechterhaltung von Bindungen über große Distanzen hinweg zum Teil technisches Know-how, wie beispielsweise die Kommunikation über das Internet, benötigt wird und Menschen in diesem Alter eine Affinität zu Onlinemedien nachgesagt wird. Ein Beispiel, welches in Bezug auf die Technik angeführt werden kann, ist beispielsweise die ausgeprägte Handykultur bei jungen Menschen, das Postulat überall und immer erreichbar zu sein, d. h. die neue Unmittelbarkeit. Anzumerken ist, dass bei dem ausgewählten Alter wahrscheinlich unter den Interviewpartnern Mitglieder der so genannten 2. Generation sind, sodass bei der Analyse die unterschiedlich gewichteten Identitätsstrategien und Lebensentwürfe zum Vorschein kommen könnten – da in der Regel die 2. Generation eine andere Affinität zum Ankunftsland ihrer Eltern hat als diese selbst.

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Die auszuwählenden Probanden sollen möglichst unterschiedlicher Nationalität sein, da im Hinblick auf die Definition der Familie zum einen zwar kulturspezifische Unterschiede existieren, aber es zum anderen sein könnte, dass bezüglich der geografischen Distanz ähnliche Strategien und Gefühle zum Tragen kommen.

Zugang zum Feld Die Probanden wurden in dem Großraum des Rhein-Main-Gebiets rekrutiert durch Mund-zu-Mund-Propaganda bzw. dem Schneeballprinzip (mit Unterstützung des Bekanntenkreises) oder vom Interviewer direkt angesprochen. Dieser Zugang zum Feld impliziert, dass binationale Partnerschaften an und für sich, zumindest in Ballungsgebieten nichts Exotisches mehr sein müssen, da viele Interviewpartner aus dem näheren Umfeld des Bekanntenkreises stammten. Im Vorfeld der Interviews wurden die zur Auswahl stehenden Probanden nach Alter, ihrer Nationalität sowie die ihres Partners gefragt, um sicherstellen zu können, dass sie die aufgestellten Auswahlkriterien erfüllen (siehe auch Kapitel „Auswahl der Interviewpartner/binationale Paare“). Ob Familienangehörige im Ausland leben und wie die Kontaktintensität zu diesen ist, wurde im Vorfeld des Interviews nicht angesprochen, um eine Verfälschung des Untersuchungsgegenstands ausschließen zu können. Die Teilnahme an den Interviews war freiwillig. Sie fanden nach Terminabsprache überwiegend in der Wohnung der Interviewpartner statt. Anzumerken ist, dass zwei Interviews am Arbeitsplatz der Probanden durchgeführt wurden und ein Interview in englischer Sprache aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse geführt wurde.

Dokumentation der Daten Die durchführten Interviews, die zwischen 30 und 60 Minuten dauerten und wurden mit einem digitalen Diktiergerät aufgezeichnet. Vor dem Interview wurden die Probanden über die Gewährleistung des Datenschutzes aufgeklärt und ihnen die Abänderung ihrer Namen zugesichert d. h. die Namen, die im Rahmen der Auswertung verwendet werden, sind frei erfunden. Des Weiteren wurde ihnen versichert, dass die Aufzeichnung der Interviews im Anschluss an die Verschriftlichung der Daten gelöscht werden. Dies geschah vor dem Hintergrund, den Interviewpartnern eine Sicherheit zu geben und ihre Empfindungen gegenüber bestimmter Sachverhalte ohne Vorbehalt frei äußern zu können. Des Weiteren wurde einführend kurz der Gegenstand der Untersuchung erläutert, welches auf großes Interesse seitens der Befragten stieß. Im Anschluss wurden die Aufzeichnungen des Interviews wörtlich nach den Regeln von Drew transkribiert (Flick 2002: 254), um eventuell zusätzliche Infor-

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mationen über das Wortprotokoll hinaus festhalten zu können wie beispielsweise Pausen, Betonungen oder Sprachbesonderheiten. Abschließend wurde das Interview zweimal zur Korrektur des Transkripts gehört und die Diktiergerätaufzeichnungen nach Beendigung der Korrektur gelöscht. In den vorliegenden Transkripten wurden die Zeilen in den verschrift lichten Interviews fortlaufend nummeriert.

Einblicke in das Le be n von transnationalen Familien

Die vorliegenden Transkripte der durchgeführten Interviews werden hier anhand der unten aufgeführten einzelnen Fälle vorgestellt. An dem Transkriptionsmaterial wurde eine zusammenfassende Inhaltsanalyse durchgeführt. „In der zusammenfassenden Inhaltsanalyse wird das Material paraphrasiert, wobei weniger relevante Passagen und bedeutungsgleiche Paraphrasen gestrichen (erste Reduktion) und ähnliche Paraphrasen gebündelt und zusammengefasst werden (zweite Reduktion)“ (Flick 2002: 280). Hierbei wurden die Verbindungen der Probanden zu ihren Familien und vor allem die Kontakte zu den Familienangehörigen im Ausland und die damit verbundenen Emotionen in den Vordergrund gestellt. Die einzelnen Analyseeinheiten orientieren sich an der Strukturierung des Leitfadens, d. h. die Antworten auf die im Interview gestellten Fragen werden paraphrasiert und generalisiert; hierbei wurden Paraphrasen zusammengefasst, die sich aufeinander beziehen. Die Kodiereinheit, die den minimalen Textbestandteil definiert (Mayring 2003: 53), der unter eine Kategorie fallen darf, ist in der vorliegenden Analyse eine Sequenz. Die Kontexteinheit ist der maximale Textbestandteil (ebd.: 53), der einer Kategorie zugeordnet werden darf. Die Kontexteinheit wird hier als eine Antwort definiert. Die Auswertungseinheit richtet sich ebenfalls nach der Strukturierung des Leitfadens. Ziel ist es, durch die Analyse das Material einer Reduktion zu unterziehen, bei der aber das Abbild der Grundstruktur erhalten bleibt (ebd.: 58), d. h. das Material wird in einer strukturierteren Form aufbereitet. Im Allgemeinen richtet sich die hier vorgenommene Datenreduktion nach dem von Philipp Mayring entwickelten Ablaufmodell der zusammenfassenden Inhaltsanalyse (siehe Mayring 2003: 59-63).

Fall A – Zinovia W. Frau W. ist die 23-jährige Tochter griechischer Einwanderer und in Deutschland geboren. Sie zählt deshalb zu der 2. Generation, besitzt die griechische Staatsbürgerschaft und lebt permanent in Deutschland. Frau W. absolvierte eine Ausbil-

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dung zur Fremdsprachensekretärin, arbeitet heute als Nageldesignerin und Kontur-Make-up-Artist. Sie führt eine eheähnliche Partnerschaft mit einem Italiener, der ebenfalls der 2. Generation der Immigranten Deutschlands angehört. Im Allgemeinen nimmt die Familie einen zentralen Stellenwert in ihrem Leben ein, d. h. sie hat oberste Priorität und bedeutet für sie Sicherheit wie Zusammenhalt. „bhm (1 Sek.), ja eigentlich ist das das Wichtigste, ja, das Wichtigste eigentlich, ja, so kommt alles an erster Stelle und dann kommt eine Weile gar nichts und dann kommt der ganze Rest“ (Fall A: Zeile 09-11). Nach ihrer persönlichen Definition setzt sich Familie zusammen aus allen Blutsverwandten, ohne dass dabei die Kontaktintensität eine Rolle spielt aufgrund der Tatsache, dass ihrer Ansicht nach: „... Familie bindet einfach, das ist halt dasselbe Blut und wenn man sich Jahre nicht sieht, das ändert sich nie“ (Fall A: Zeile 97-98). Diesen Familienbegriff erweitert sie auf enge ausgewählte Freunde, den Lebenspartner und einen Teil seiner Verwandten (Onkel) obwohl sie nicht verheiratet sind. „Ja alle mit denen ich blutsverwandt bin, egal wie viel Kontakt ich mit denen habe oder nicht“ (Fall A: Zeile 18-19). „bhm ja also, mein Freund zähle ich zu meiner Familie schon dazu, ähm teilweise auch ein paar von seinen ähm seinen Onkels und so sind schon irgendwie schon auch meine Onkels. Also die sehe ich auch schon also Familie, obwohl wir nicht verheiratet sind. Und ähm (1 Sek.) so zwei drei Freunde“ (Fall A: Zeile 22-26).

Es macht den Anschein, dass hier nicht das von Bryceson und Vuorela thematisierte Prinzip des ‚Relativizing‘ (Bryceson/Vuorela 2002: 14) zur vollen Ausprägung kommt. Die räumliche Dislozierung der Familiemitglieder, die auch im vorliegenden Fall gegeben ist, führt nicht zu einer neuen Aushandlung der verwandtschaftlichen Beziehungen, sondern nur zu einer Erweiterung der Familiendefinition, um Menschen, die ihr (Frau W.) emotional nahe stehen, jedoch keine Blutsverwandten sind. In anderen Worten: Die familiale Herkunftsbindung wurde in dem vorliegenden Fall von Frau W. mit neuen Wahlbindungen im Ankunftsland der Eltern angereichert. Die heutige „Transnationalität der Familie“ von Frau W. bzw. das Leben einzelner Mitglieder in unterschiedlichen Ländern wurde von dem ersten Migrationsakt der Tante väterlicherseits ausgelöst, die zum Arbeiten nach Deutschland immigrierte. Diese eröffnete in Deutschland ein griechisches Restaurant (machte sich in Deutschland mit der Eröffnung eines griechischen Restaurants selbstständig), d.h. ein Kleingewerbe, welches unter den Oberbegriff ‚Ethnic Business‘ fällt. Das Restaurant florierte und lastete die Tante so aus, dass der Vater von Frau W. nach Deutschland kam, um sie in ihrem Geschäft zu unterstützen. Die Mutter von Frau W., die ihren Mann in Griechenland kennen lernte, immigrierte ebenfalls nach Deutschland. Beide eröffneten gemeinsam ein weiteres Restau-

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rant, weitere Familienmitglieder immigrierten nach Deutschland. Hierbei wird auch die gegenseitige Unterstützung innerhalb der Familie sichtbar, die wahrscheinlich zusätzlich für einige Familienmitglieder von den finanziellen Anreizen geprägt war. Im Allgemeinen kann bei der Familie des vorliegenden Falles von der so genannten Kettenmigration gesprochen werden, bei der Familienmitglieder in das Ankunftsland nachziehen und in vorbereitete familiäre Netzwerke eingeflochten werden; hier die Arbeit in dem Restaurant, einem Familienbetrieb. „bhm, meine Tante damals (1 Sek.), ist als Gastarbeiterin nach Deutschland gebeten oder gerufen worden und dann hat sie dort gearbeitet und hat sich dann selbstständig gemacht, hat sich selbst ein Restaurant dann, ähm ja aufgebaut, halt selber aufgemacht und hat dann aber Hilfe gebraucht, weil sie das alleine nicht geschafft hätte und hat dann meinen Vater nach Deutschland rübergeholt. Der hat dann in Griechenland meine Mutter, ähm (1 Sek.) im Sommer kennen gelernt und dann kam sie auch nach Deutschland nach. Und dann hat mein Papa sein eigenes Restaurant so schräg gegenüber aufgemacht, dann so kamen sie alle nach und nach. Der hat wiederum Hilfe gebraucht, weil das so gut gelaufen ist und dann hat er seine Schwester rübergeholt und die hat dann halt ihren Mann rübergeholt, ähm und so weiter. (Lacht.) Kettenreaktion“ (Fall A: Zeile 105-116).

Laut Bericht von Frau W. lebte die Familie eine Zeit lang zusammen in Frankfurt, bevor einige Mitglieder der Familie nach Griechenland zurückkehrten. Ihr Vater, der sich von der Mutter trennte, kehrte ebenfalls nach Griechenland zurück. Heute leben von ihrer Herkunftsfamilie lediglich ihre Mutter, ihre Schwestern sowie zwei Tanten, ein Onkel und ein Cousin in Deutschland. „bhm ja, wir haben alle erst zusammen in Frankfurt gewohnt, alle und dann sind nach und nach wieder nach Griechenland gezogen ... .“ (Fall A: Zeile 85-86). „Also in Deutschland habe ich nur noch einen Cousin und zwei Tanten und einen Onkel, das war es und der ganze Rest ist in Griechenland“ (Fall A: Zeile 60-61).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Familie, nach der persönlichen Definition von Frau W. auf die beiden Länder Deutschland und Griechenland verteilt ist. Die Frage welche Auswirkung die räumliche Dislozierung der Familienmitglieder auf den Zusammenhalt der Familie hat, beantwortet sie folgendermaßen: Sie vertritt die Auffassung, dass die wohnräumliche Trennung der Familie in zwei verschiedenen Kulturkreisen keinen Einfluss auf die Verbundenheit sowie den Zusammenhalt innerhalb der Familie nimmt. Die geografische Trennung wird nicht als solche wahrgenommen, es entsteht kein Unterschied, da das Verbundenheitsgefühl weiterhin besteht und der Vater bzw. die Familie im Notfall immer präsent sein kann. „bhm (1 Sek.). Irgendwie nehme ich die diese Trennung so gar nicht richtig wahr. Also ich hab’ immer das Gefühl, das die eigentlich immer bei mir sind. Weil mein Papa, wir haben, ähm also meine Eltern haben sich früh scheiden lassen und dann ist er auch nach

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Griechenland und ähm trotzdem hatte ich immer das Gefühl, dass er immer für mich da ist und wenn ich ihn brauche, dass er sofort bei mir sein kann. Ich hab’ nie so gedacht, oje die sind soweit weg und wann ich die wieder sehe“ (Fall A: Zeile 31-37). „... seit dieser Trennung kommt es mir vor, als ob, also wären, die eigentlich nie weg gewesen. Das macht gar keinen Unterschied also, die sind nicht weniger für mich da wie vorher“ (Fall A: Zeile 87-89).

Als ein weiteres Indiz für die anhaltende Unterstützung innerhalb der Familie und dem Zusammenhalt kann eine angesprochene Handlung der Mutter angeführt werden, die ihren Brüdern Geld als Startkapital überwies. In diesem Zusammenhang thematisiert die Probandin, dass die Unterstützungsleistung der Familie nicht als „Freifahrtschein“ gesehen werden darf. Jeder in der Familie versucht einen Beitrag zum Wohlergehen der übrigen Familienmitglieder zu leisten innerhalb eines gewissen Rahmens, der nicht überschritten werden darf. „Das war bei meiner Mutter so der Fall, dass ihre zwei Brüder in Griechenland Geldprobleme hatten und da hat meine Mutter denen auch Geld runtergeschickt, weil die sich damit was aufbauen wollten, haben die aber nicht gemacht und haben das Geld einfach so verprasselt. Ja und seitdem ähm (1 Sek.) hat sich meine Mutter ganz schön eingeschränkt dann, in Sachen Geld“ (Fall A: Zeile 478-483).

Diese Argumentationslinie, dass die Unterstützung über nationalstaatliche Grenzen erhalten bleibt, resultiert zum einen auf der postulierten Bindewirkung von Blutsverwandtschaft und zum anderen daraus, dass die früher in Frankfurt stattfindende Face-to-face Interaktion umgestellt wurde auf die Nutzung von Kommunikationsmittel, da die Interviewte regelmäßigen Kontakt mit Familienmitgliedern im Herkunftsland hat, d. h. sie verfolgt konkrete Verbindungen in den Raum bzw. nach Griechenland. Dabei wird die Interaktion zwischen den einzelnen Mitgliedern nicht ersatzlos auf den Einsatz von Kommunikationsmittel umgestellt, sondern die Interaktion zwischen den Familienmitgliedern findet verstärkt über Kommunikationsmedien statt und wird durch direkte Kontakte, im Rahmen von gegenseitigen Besuchen, ergänzt. Aus der Perspektive der Befragten sind die Kontakte bzw. Telefonate mit Familienmitgliedern, die im Herkunftsland leben, „recht selten“ (Fall A: Zeile 80), finden aber zwei- bis dreimal monatlich statt. Gründe für die geführten Telefonate sind zum einen Geburtstage von Familienmitgliedern, zum anderen sind sie spontaner Art. Die Telefonate werden aufgrund von aufkommenden Erinnerungen geführt oder beim Vermissen einer bestimmten Person. Die Verbindung zwischen dem in Griechenland lebenden Vater und seiner Tochter in Deutschland ist besonderer Natur; Frau W. bezeichnet sie als Telepathie. „Nee, je nach dem, wenn ich die gerade so schon so ein bisschen vermisse, oder wenn mir irgendwas von damals äh in die Erinnerung kommt ähm und dann muss ich einfach mal da anrufen wegen den alten Zeiten so“ (Fall A: Zeile 71-74).

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„bhm, Telefon, ähm SMS (1 Sek.) und mit meinem Papa habe ich schon so was wie Telepathie irgendwie (lacht)“ (Fall A: Zeile 66-67).

Neben den indirekten Interaktionen innerhalb der Familie via Telefon und SMS, finden direkte Interaktionen im Rahmen von gegenseitigen Besuchen in den jeweiligen Ländern statt. Durch die gegenseitigen Besuche sieht sie ihren Vater zwischen zwei- und dreimal im Jahr, die übrige Familie aus Griechenland einbis zweimal jährlich. Frau W. verbindet regelmäßig Familienbesuche mit einem Sommerurlaub in Griechenland, bei dem sie auch Freunde besucht. Besuche im Herkunftsland der Eltern zu Feiertagen wie beispielsweise an Weihnachten, ist durch die gegenwärtige Familienkonstellation wegen der Trennung von Mutter und Vater nicht zu vereinbaren; hier liegt ihre Priorität bei dem Teil der Familie, der mit ihr in Deutschland wohnt – dies könnte vielleicht unter den Begriff des Relativizing fallen d. h. Neuaushandlungen von verwandtschaftlichen Beziehungen, ausgelöst von der geografischen Trennung. „... Nee] weil meine Mutter dann ähm (1 Sek.) und mein Stiefvater und meine Schwestern, ja alle hier sind, da kann ich nicht gerade die die Köpfe, sage ich mal meine Familie hier lassen und mit Oma und Tante da jetzt in Griechenland feiern. Das ist auch nicht so“ (Fall A: Zeile 164-167). Der Sprachgebrauch von Frau W. ist abhängig von dem Kommunikationspartner und der Situation. Innerhalb ihrer „Kernfamilie“ in Deutschland werden im Gespräch deutsch und griechisch vermischt; persönlich flucht sie aber ausschließlich auf Griechisch, da sich ihrer Ansicht nach die Sprache schneller sprechen lässt. Mit der Familie in Griechenland wird ausschließlich Griechisch gesprochen, obwohl viele Mitglieder aufgrund ihres Aufenthalts in Deutschland die deutsche Sprache verstehen, aber Sprachdefizite haben. Des Weiteren führt sie die Einstellung ihres Vaters an, der es ablehnt, mit seiner „griechischen Tochter“ Deutsch zu sprechen. Das einzige „Familienmitglied“ mit dem die Griechin ausschließlich Deutsch spricht, ist ihr italienischer Freund. Bei der Frage zur Medienrezeption wird deutlich, dass bei ihr bezüglich der griechischen Sprache Defizite bestehen, weil sie beispielsweise Nachrichten auf Griechisch oft nicht versteht; deshalb liest Frau W. selbst in Griechenland eine deutsche Zeitung. „..., mit meiner Schwester und meiner Mutter, einen Satz in beiden Sprachen spreche. Also halb Deutsch und halb Griechisch den Satz oder mitten drinnen, dann halt noch mal einen deutschen Satz und dann wieder ein Griechischer, dann wieder ein Deutscher“ (Fall A: Zeile 340-344). „Griechisch immer, weil mein Vater kann das nicht so gut wie meine Mutter. (1 Sek.) Außerdem versteht er auch vieles nicht. Der sieht das auch nicht ein bei einer griechischen Tochter eigentlich dann Deutsch zureden“ (Fall A: Zeile 352-354). „Also hier gucke ich mehr deutsche Nachrichten, weil ähm ich besser verstehe, besser dann. Weil dieses Nachrichten-Griechisch, das verstehe ich irgendwie oft nicht“ (Fall A: Zeile 380-382).

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„Dann kaufe ich auch eine deutsche Zeitung“ (Fall A: Zeile 387).

Die kulturellen Traditionen des Herkunftslandes der Eltern sind durch das lange Leben in Deutschland verblasst. Frau W. beschreibt die Umgebung, in der ihre Eltern aufgewachsen sind oder vielmehr das Leben von Griechen allgemein als religiös und streng. Das Praktizieren des Glaubens und die Religiosität, die den Griechen pauschaliert seitens der Interviewten nachgesagt wird, wurden in Deutschland von den Eltern abgelegt. „, also eigentlich sind die Griechen so richtig religiös gehen auch immer fromm sonntags in die Kirche, ähm ja machen jedes Mal ihr Kreuz, beten vorm Essen und ähm meine Eltern haben es, mir das auch gar nicht so beigebracht, weil wir in Deutschland so lange waren und (1 Sek.) ähm, ich bin auch eigentlich froh. Also, meine Mutter und mein Vater glauben beide nicht an Gott, was ziemlich außergewöhnlich ist, es gibt eigentlich kaum Griechen, die nicht an Gott glauben, ich glaube auch nicht an so was“ (Fall A: Zeile 179-185). „Ja schon, da die in einem LAND gelebt haben, waren die dann ein bisschen strenger, religiöser und so was ja und seit die halt in Deutschland sind, das hat ganz schön nachgelassen, ... . “ (Fall A: Zeile 213-215).

Aus diesem Grund wurde die „herkömmliche griechische Kultur“, die einige Familienmitglieder noch in Griechenland leben, in Deutschland nicht auf Frau W. projiziert. Durch die Assimilation der Eltern war die Erziehung griechischdeutsch geprägt. Dieser Grundsatz wird beispielsweise während des Griechenlandaufenthalts beibehalten; in dem die Mutter sie bei „Regelverstößen“ in den Augen der in Griechenland lebenden Familie verteidigt. „Genau, also, wenn jetzt meine Oma mal gemeckert hat, wenn ich in Griechenland war, weil ich mit einem Jungen geredet hab’, hat sie gleich Angst gehabt, was sagen die Nachbarn. Und da, da hat meine Mutter auch immer gemeint, sollen sie doch denken, was sie wollen ... . Ja, da hat die sich auch richtig dafür eingesetzt“ (Fall A: Zeile 287-292).

Die Mutter von Frau W. hat sich über die kulturellen Wertvorstellungen ihrer griechischen Herkunftsfamilie hinweggesetzt, da sich ihre persönliche Wertvorstellung durch das Leben im deutschen Kulturkreis verändert hat und steht diesbezüglich auch für ihre Kinder ein. Dies wird beispielsweise an der Scheidung von ihrem Ehemann, die sie gegen den Willen ihrer Eltern durchsetzte, sichtbar. „... Und meine Mutter zum Beispiel, die wollte sich von meinem Vater trennen und dann hieß es auch gleich in Griechenland und von ihren Eltern, wehe du machst das, was sagen die Nachbarn und so’ n Kram halt“ (Fall A: Zeile 276-279). Im Großen und Ganzen scheinen innerhalb der Familie unterschiedliche kulturelle Wertvorstellungen, besonders durch das Leben in unterschiedlichen Län-

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dern, zu existieren. Die Distanzierung der Mutter von der herkömmlichen griechischen Wertvorstellung führt zur Öffnung der strikten Vorstellungen innerhalb der Familie bzw. bei ihrer Mutter. Unterschiedliche Ansichten in der Familie lösen allerdings keinen Eklat aus, sondern führen zu Anpassungsmechanismen bzw. gegenseitiger Akzeptanz1 (in der die Frauen im Allgemeinen eine starke Position zugesprochen bekommen, denn früher war das Familieoberhaupt der Mann, der auch das „Sagen“ hatte). „Nee, wegen so was nicht. Da hat sich schon immer jemand dem anderen angepasst oder meine Mutter hat es auch geschafft, dass sie ihre Mutter gelockert hat, (1 Sek.) obwohl sie halt schon fest äh im Kopf mit ihrer Meinung war, trotzdem hat sie es gepackt halt, eine Frau mit paarundsechzig bisschen zu lockern“ (Fall A: Zeile 312-316).

Ihren Lebensmittelpunkt nach Griechenland zu ihrer Familie zu verlegen, ist für Frau W. während ihrer Jugend bzw. in der Erwerbstätigkeit unvorstellbar, da sie erstens mit der südländischen Mentalität sowie Arbeitsmoral und zweitens mit ihren griechischen Landsleuten nicht zurechtkommt, weil ihre Vorstellungen durch den Einfluss der deutschen Kultur anders gewichtet sind. Sie beschreibt die südländische Mentalität und das Leben in Griechenland mit den Attributen Unzuverlässigkeit, Unpünktlichkeit und chaotische Arbeitsatmosphäre. Diese stellt sie auch in dem Vergleich zwischen ihr und Familienmitgliedern im Herkunftsland fest, deren Leben weniger geregelt und abgesichert ist. „Also, ich mag an den Südländern die Unpünktlichkeit nicht, obwohl ich halt so immer mal so fünf Minuten zu spät komme, aber komme ich heute nicht komme ich morgen, ist immer so das Motto, dass sich da keiner an die ähm, ähm Autoschilder und irgendwie hält, ähm (1 Sek.) ja und dass es halt von der Arbeitsweise nicht so, ja alles so Drunter und Drüber geht und daher kann ich mir eher vorstellen nach Griechenland zu ziehen in meiner Rente oder nur im Sommer halt kann ich da leben, aber so richtig halt, kann ich da nicht. Das geht nicht“ (Fall A: Zeile 121-128). „bhm, ja zum Beispiel meine ganzen Cousins haben irgendwie gar kein geregeltes Leben, haben keinen festen richtigen Job, und ja dass ist ein riesen Unterschied. (1 Sek.) Haben nie lange denselben Partner gehabt so was halt“ (Fall A: Zeile 268-271).

Ein Leben in Griechenland hält sie sich als Option in der Rente offen, wobei Frau W. betont, dass sie durchaus auch mit ihrem Lebenspartner nach Italien ziehen würde. „... wenn ich halt irgendwann äh nicht mehr arbeiten müsste und dann halt nur noch meine Ruhe brauche, dann würde ich glaube ich, dann ist es egal, ob ich nach Griechenland oder mit meinem Freund nach Italien ziehe. Das ist mir eigentlich egal“ (Fall A: Zeile 531-534). Ihre Meinung über das Leben in Griechenland sowie die über die südländische Mentalität deckt sich im Folgenden mit den von ihr thematisierten Vorteilen 1

Dies könnte unter Vorbehalt auch unter das Konzept des Frontiering fallen.

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in Deutschland aufgewachsen zu sein und den nicht existenten Nachteilen. Das Aufwachsen in Deutschland brachte Frau W. bessere Ausbildungsmöglichkeiten und führte durch die Lebensgrundlage, welche die Eltern in Deutschland aufbauten, zu ihrer Absicherung. Für das von Frau W. angesprochene Problem mit der südländischen Mentalität bzw. griechischen Landsleuten lassen sich in dem geführten Interview mehrere Indizien finden; auffällig ist hierbei, dass dieses Thema nie im Zusammenhang mit ihrer Familie zum Vorschein kommt. Aufgrund der Tatsache, dass sie mit „reinen Südländern“ nicht auskommt, ist es für Frau W. unvorstellbar, mit einem Griechen oder Südländer eine Partnerschaft zu führen. Dies betont sie in der Begründung für die Wahl ihres Lebenspartners, den sie als eingedeutscht bezeichnet. Für sie definiert sich „eingedeutscht sein“ folgendermaßen: Südländisches Temperament gepaart mit Ernsthaftigkeit und Disziplin, d. h. beide fallen unter die Kategorie, die allgemein als kulturelle Hybride bzw. hybride Identitäten bezeichnet wird. „bhm, also ich kann mir auch keinen griechischen Partner vorstellen, obwohl ich Griechin bin“ (Fall A: Zeile 134-135). „, dass er auch hier aufgewachsen ist, das ist anders, wäre er jetzt sage ich mal frisch aus Italien gekommen, dann hätte er ungefähr dieselbe Mentalität wie die Griechen in Griechenland. Das ist einfach, ähm (1 Sek.) das südländische Temperament ähm, ja einfach eingedeutscht. Das bisschen eingedeutschte, das gefällt mir halt. Dass man halt Sachen ernst nimmt, und mit der Arbeit halt, dass man disziplinierter ist und so was halt. Das ist in Griechenland halt nicht so oder im Süden generell“ (Fall A: Zeile 139-145).

Das soziale Umfeld in Deutschland liefert ebenfalls Indizien für diese Haltung; es ist multikulturell und setzt sich überwiegend aus „Ausländern“ oder „Mischlingen“ zusammen, die ihre engsten Freunde sind. Wegen den Schwierigkeiten mit den eigenen Landsleuten ist sie nur mit einer Griechin befreundet, auffällig hierbei ist, dass sich dies bei den zwei deutschen Freunden ähnlich zu verhalten scheint. „Eigentlich muss ich mal überlegen (1 Sek.), ob da überhaupt irgendein Deutscher dabei ist. (3 Sek.). bh, (1 Sek.) also jetzt ich sag’ mal, Freunde äh habe ich jetzt zwei Deutsche, aber richtig gute, enge Freunde, sind alles Ausländer oder sie sind Mischlinge. Halb-Deutsche und halb Thailänder oder halb Deutsch und halb Italienisch oder Kroaten so halt ... . Mhm, hab’ ich auch zwei, also die eine ist halb Griechin halb bgypterin und die andere ist auch richtig Griechin. Also aber wie gesagt, ich komme mit meinen eigenen Landsleuten nicht so klar. Deswegen habe ich eigentlich auch nur eine griechische Freundin“ (Fall A: Zeile 322-331).

Dieses Thema, mit der griechischen Kultur nicht klarzukommen, kommt unterschwellig in der Frage was sie an Deutschland vermissen würde zum Tragen. Würde Frau W. dauerhaft in Griechenland leben, würde sie die kulturelle Vielfalt

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in Deutschland vermissen, da in Griechenland ihrer Aussage nach überwiegend „Landsleute“ leben. „Nee, generell, einfach dieses Multikulti, dass ich halt so viele verschiedene Nationen auch draußen auf der Straße sieht, dass das meine ich. Da gibts nur Griechen!“ (Fall A: Zeile 400-402). Frau W. persönlich verortet sich zwischen der griechischen und der deutschen Kultur und kann eine eindeutige Zugehörigkeit zu einer spezifischen Kultur nicht lokalisieren. Dies führt sie darauf zurück, dass sie mit ihren griechischen Eltern in Deutschland aufgewachsen ist und die Erziehung deutsch-griechisch geprägt war, dadurch dass sich ihre Eltern, insbesondere die Mutter, der deutschen Kultur geöffnet haben. Aller Wahrscheinlichkeit basieren ihre Probleme mit der griechischen Mentalität, obwohl sie sich teilweise selbst als Griechin bezeichnet, auf ihrem Aufwachsen in beiden Kulturen, das sie als positiv bewertet. „Genau gemischt aufgewachsen. Ja also ich ja einfach so gemischt, einfach so. Ich bin genau die Mischung, also ich komme mir eher vor als würde auf der Grenze zwischen Griechenland und Deutschland leben ... . Nein, eigentlich genau mitten drauf, also genau mitten drauf, so komme ich mir vor“ (Fall A: Zeile 221-229). „... wobei ich auch froh bin, weil ich komme mit der Kultur auch gar nicht so richtig zurecht (1 Sek.) in Griechenland“ (Fall A: Zeile 215-217). „... Das ist ja heute nicht mehr so, mein Glück“ (Fall A: Zeile 279-280).

Ihr soziales Umfeld bzw. ihre Freundinnen in Deutschland bestätigen diese Vermischung der beiden Kulturen, die beide ihre so genannte Herkunftskultur darstellen während Frau W.’s Vater sie als Deutsch bezeichnet. „bhm, . Also auch meine Freundinnen finden, dass ich genau halb bin. Also die Sachen oder also einige Sachen sind an mir typisch griechisch und mein Papa wiederum, der zum Beispiel nach Griechenland zurückgekehrt ist, wenn der mich jetzt öfters mal jetzt wieder sieht, da meint er immer ich bin typisch deutsch“ (Fall A: Zeile 231-235)

Die Charakterisierung der Freundinnen deckt sich mit dem was Frau W. als eingedeutscht bezeichnet, wobei in der Sichtweise der Freundinnen das Deutsche zu überwiegen scheint. In dem Fall, den die Freundinnen beschreiben, ist das südländische Temperament erhalten geblieben und gepaart mit der direkten Art, die als deutsche Eigenschaft gilt. „bhm (2 Sek.), meine Freundinnen sagen immer das Temperament ... . , also ich schlucke auch nicht viel, also ich drehe gleich durch oder ich sage auch immer jedem die Meinung, egal wie man es aufnimmt, das ist mir halt egal, ich bin halt offen und ehrlich und direkt, ja“ (Fall A: Zeile 246-250).

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Die Betitelung der eigenen Tochter als Deutsch basiert auf den unterschiedlichen Ansichten zwischen ihnen, die sich in den Kleinigkeiten des Alltags manifestieren, während beide Zeit miteinander verbringen. – Dies scheint allerdings keinen Einfluss auf das Verbundenheitsgefühl zwischen ihnen zu nehmen. „Ja also, wenn er da zum Beispiel fährt wie eine gesenkte Sau und sich auch nicht jetzt irgendwie an den Straßenverkehr irgendwie so, ja, ein bisschen vielleicht zu schnell fährt oder in den Kurven überholt, was die Griechen alle halt so machen, so da kriege ich schon meine Ausraster, weil ich halt an das deutsche Fahren und den deutschen Fahrstil halt gewöhnt bin. Das ist nur so’ne Kleinigkeit, aber es sind soviel tausend Sachen, die immer wieder vorkommen“ (Fall A: Zeile 238-244).

Auffällig ist, dass Frau W. ihrem Gefühl nach keine „typische Griechin“ ist, sondern sich als Mischung zwischen der griechischen und deutschen Kultur verortet, sich aber trotz allem selbst als Griechin bezeichnet. Gegenwärtig betrachtet sie Deutschland als ihr Heimatland, selbst wenn sie gerade aus Griechenland zurückkehrt. Die Auffassung, die Frau W. bezüglich ihrer Nationalität bzw. Zugehörigkeit vertritt wird deutlich an der Antwort auf die Frage, woher ihre Familie kommt. Sie identifiziert ihre Familie vorbehaltlos als griechisch und betont, dass der Geburtsort nichts an der Nationalität ändert, da die Familienzugehörigkeit die Nationalität bestimmt. „Aus Griechenland, also, wenn die mich auch schon fragen, woher ich herkomme, sage ich auch immer aus Griechenland und wenn die dann sagen, aber du bist doch hier geboren, was weiß ich, für mich bin ich Griechin, das ändert sich nicht, auch wenn ich hundert Jahre hier bleiben würde“ (Fall A: Zeile 540-544). „bhm, beides. Weil ähm mein HERZ gehört meiner Familie und da meine Familie für mich Griechen sind, bin ich im Herzen auch Griechin“ (Fall A: Zeile 550-551).

F a l l B – Au r e l i a T . Frau Aurelia T. wurde in Irland geboren und ist dort bei ihren Eltern aufgewachsen. Ihr Vater stammt aus Irland, ihre Mutter aus den USA. Zum Zeitpunkt des Interviews ist Frau T. 21 Jahre alt und lebt aus beruflichen Gründen abwechselnd in den USA und Deutschland. Sie graduierte an einer High School (weiterführende Schule) und arbeitet seit dem als Berufsreiterin in den USA und trainiert mehrere Monate im Jahr in Deutschland. Die USA bezeichnet sie als ihren ersten Wohnsitz, Deutschland als ihren Zweiten. In Amerika ist sie liiert mit einem Amerikaner polnischer Herkunft. Sie hat eine ältere Schwester, die derzeitig in Australien lebt. Familie stellt für Frau. T das höchste Gut in ihrem Leben dar und bedeutet für sie persönlich ein Unterstützungssystem, welches sich durch Nächstenliebe, Fürsorge und gemeinsame Aktivitäten auszeichnet.

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„What do I associate with family (1 Sek.)? I don’t know. Helping each other out, loving each other and ähm doing things together (1 Sek.), being there for each other (1 Sek.), support system, definitely“ (Fall B: Zeile 07-09). „Look, ähm, family is being number one. bhm“ (Fall B: Zeile 135).

In diesem Sinne gehören zu ihrer Familie nur ausgewählte Personen, die unter das fallen, was im Allgemeinen als Kernfamilie bezeichnet wird, zusammengesetzt aus Mutter, Vater und Schwester. Ihre eng ausgelegte Definition von Familie erweitert sie um enge ausgewählte Freunde, die sie in allen drei Ländern bzw. Deutschland, Irland und den USA hat. “bhm, the term family, mother, father, sister and” (Fall B: Zeile 05). “(1 Sek.) bhm. Mother, father, sister of course, close friends as well” (Fall B: Zeile 12). Auf die Frage, was ihr spontan zu dem Stichwort Familie und geografische Distanz einfällt, die bei ihr durch das Leben im Ausland permanent gegeben ist, antwortet sie, dass moderne Technologie die Überbrückung von großen Entfernungen einfacher gestaltet, jederzeit möglich ist, aber gleichzeitig für sie persönlich paradox ist. Zum einen können Kommunikationsmittel dazu beitragen, insbesondere das Telefon, Nähe zu erhalten und zum anderen führen sie zum Bewusstwerden der bestehenden Distanz zwischen den Gesprächsteilnehmern, da die körperlichen Kontakte ausbleiben. Kurzum: Kommunikationsmittel vermitteln in ihren Augen nur Nähe, können direkte Kontakte aber nicht ersetzen. „With modern technology, I think it’s easier (1 Sek.) than it would have been in recent years, because you can always use a telephone or an email or stuff like that and you can still stay close, even though you’re, there is a greater distance between you alike and (3 Sek.) getting a lot easier, than in recent times…. No, there is always a distance, it is always the the feeling that, you know, that your family is like thousands of miles away from you. bh, äh but you can always call them up, and hear their voice, but then again you can’t see them and touch them and and, you know, that kind of ...“ (Fall B: Zeile 30-41).

Das Verwandtschaftssystem von Frau T. verteilt sich über mehrere Länder, das aber allem Anschein nach von ihrer persönlichen Definition von Familie ausgeschlossen wird. Es könnte sein, dass Frau T. die Beziehungen zu einigen Familienmitgliedern durch die Entfernung für sich individuell ausgehandelt hat, Freunde in den jeweiligen Ländern dazuzählt und Verwandten, zu denen keine enge Beziehung besteht ausgrenzt. Die Mitglieder ihrer eigentlichen Familie leben in unterschiedlichen Ländern. Die Schwester lebt derzeitig für die Zeitspanne von einem Jahr in Australien und die Eltern in Irland. Die erweiterte Familie der Interviewten ist über mehrere Nationalstaaten verteilt. Die Verwandten des Vaters leben überwiegend in Irland und einige Cousins ebenfalls in Australien. Die Familie mütterlicherseits lebt in den USA. Eine Tante von Frau T. lebt wie Frau T. selbst, wenn sie sich in den USA aufhält, in Chicago. Der Kontakt zwischen Frau T. und ihrer Tante besteht nur in dem Zeitraum, den sie in Chicago ver-

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bringt. Beispielsweise verbringt Frau T. den typisch amerikanischen Feiertag Thanksgiving bei ihrer Tante. In dem Interview wird der Kontakt zur Tante nur im Zusammenhang mit dem USA-Aufenthalt erwähnt, von Telefonaten mit dieser Tante während ihres Deutschlandaufenthalt wird nicht berichtet. „bhm. Most of my father’s family are in Ireland, my cousins are in Australia as well, on my father’s side, and on my mother’s side, most of her (1 Sek.) family are in America“ (Fall B: Zeile 50-52). „, I live in Chicago and one of my mothers sisters lives there, so I visit her and stuff like that“ (Fall B: Zeile 55-56). “Yeah, ähm, in America, I’ve the two years, I’ve been there two times during Thanksgiving and I have celebrated it with my aunt. But it’s not such a holiday in Ireland, they don’t, we don’t celebrate it there, much“ (Fall B: Zeile 157-159).

Die Kontaktfrequenz bzw. Kontaktintensität zwischen den Mitgliedern der Kernfamilie ist hoch und basiert auf dem fast täglichen Gebrauch von folgenden Kommunikationsmedien: Telefon, SMS und E-Mails. “bhm, telephone (2 Sek.), e-mail technically, and (1 Sek.) ähm sometimes a few cards, we write cards, and stuff like that” (Fall B: Zeile 59-60). “I nearly talk to them every day” (Fall B: Zeile 379). Neben dieser Art des Informationsaustausches schreibt sich die Familie Karten aus den jeweiligen Ländern. Die Interviewte verwendet zur Kommunikation mit ihrer Familie überwiegend das Telefon oder schreibt Kurznachrichten per Mobiltelefon, da sie selbst keinen Computer besitzt und demnach nur E-Mails versenden kann, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt. Ihre Schwester hingegen schreibt häufiger E-Mails und versendet damit auch Fotos an ihre Familie. Frau T. selbst weiß nicht, wie via E-Mail Bilder verschickt werden. Des Weiteren berichtet Frau T. von einem Video (einmalig), welches ihr Vater in die USA schickte, in dem das Elternhaus und die Schwester zu sehen waren, welches Frau T. sehr erfreut hat. „bhm, not really, more writing writing messages. I don’t, really know how to send pictures (Laughing) over the internet…. But my sister does that though, from Australia. She would send picture over the internet to my family“ (Fall B: Zeile 410-414). „I don’t do it, because I don’t know to do it with the pictures, and I don’t also have very regular access to the internet, ähm, I have to borrow someone else’s computer, I don’t have my own so“ (Fall B: Zeile 417-419). „…there was one time my dad took a video of the house, where I grow up and with my sister in it; it was very cool actually just to see the house. I said, oh, that’s where I live, you know“ (Fall B: Zeile 430-432).

Im Allgemeinen ist die Kontaktfrequenz seitens Frau T. höher zu ihren Eltern als zu ihrer Schwester, welches sie mit den Kosten wegen der Entfernung begründet; trotzdem schreiben die Schwestern sich fast täglich Kurznachrichten über das

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Mobiltelefon und telefonieren jeden zweiten Tag, auch wenn es nur zu einem kurzen Hallo reicht. “Sister, is a little bit harder, because she’s further away, that’ll cost me more, so. I normally like write text messages almost every day too. Or every second day or something like that, even if it’s just a quick hello or whatever” (Fall B: Zeile 383-386). Telefonate zwischen den einzelnen Familienmitgliedern werden je nach Bedürfnis der einzelnen Mitglieder geführt, an besonderen Tagen wie beispielsweise Geburtstage oder wenn sich Frau T. nicht gut fühlt und sie mentale Unterstützung benötigt oder jemanden, der sie beruhigt. In diesem Falle kann sie auch, wenn sie in Chicago lebt, auf die Unterstützung ihrer Tante zurückgreifen. Festzuhalten ist, dass die Anrufhäufigkeit sich nach dem Mitteilungsbedürfnis und den anfallenden Kosten richtet. „Yeah, I mean of course, if it is a birthday or some special day on my fathers day, I’ve called him, especially, but like normally, it’s whenever, ( 1 Sek.) whenever they wanna talk to me, whenever I wanna talk to them“ (Fall B: Zeile 375-376). „Well, I mean (1 Sek.), I know, that when when I lived in Chicago, if I felt bad or something like that and if I needed to see somebody my aunt was always there my mother’s sister, she doesn’t live so far away. But, ähm (1 Sek.), I always, you know, always if I feel really bad I always call my parents whatever and I know they calm me down or whatever, so that it’ll be o.k.“ (Fall B: Zeile 86-90).

Nach den Beschreibungen von Frau T. war der Familienalltag während des Zusammenlebens in Irland geprägt von allabendlichen Gesprächen am Esstisch im Elternhaus. Dieser Familienalltag, der charakterisiert wurde durch die gemeinsamen Gespräche, scheint heute durch die geografische Distanz verlagert zu sein auf den Einsatz von Kommunikationsmitteln und wird in modifizierter Form aufrechterhalten. „bhm, obviously (1 Sek.) they, we’d always had dinner when I was growing up in Ireland to sit down at the dinner table in the evening or always sit down at the dining table and that’s when we talk to each other and you know found out about each other’s day. And ähm I (1. Sek.) really (1 Sek.), I mean, I don’t think that I’ve kept on our family traditions, because I live alone now, and I can’t normally, because we would share it altogether and its hard to do when you’re alone, so“ (Fall B: Zeile 359-365).

Direkte Interaktionen zwischen Frau T. und ihren Eltern sowie teilweise der Schwester finden im Rahmen von gegenseitigen Besuchen statt. Im Allgemeinen ist die Besuchsfrequenz und die Aufenthaltsdauer bei der Familie in Irland abhängig von dem Anreiseland und die damit verbundenen Reisekosten. Reist die Interviewte aus den USA an, bleibt sie in der Regel länger in Irland und besucht ihre Familie weniger, ist Deutschland, dass Land in dem sie gerade lebt, sind die Besuche kürzer, dafür aber häufiger.

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„bhm, no, ähm (2 Sek.). It depends on which part of the world I am coming from, if I am coming from America I’d stayed two weeks, because it’s a long (1 Sek.) journey and if I coming from Germany am I only stay one week or five days something like that“ (Fall B: Zeile 146-150). „Yes, I will do, ‘cause it is easier to get and it’s cheaper and it’s easier and not so long and“ (Fall B: Zeile 152-153).

Wenn es die Arbeit von Frau T. zulässt, versucht sie an St. Patricksday (irischer Feiertag) oder Geburtstagen von Familienmitgliedern nach Irland zurückzukehren. „ and also gone home my sisters birthday for her twenty first birthdays and I’m going home for my father’s birthday and stuff like that“ (Fall B: Zeile 142-143). „, I was I actually went home one year of St. Patrick’s Day to celebrate it with my family and my friends, as well. And, I actually stayed in America the next one after that. And it wasn’t so big in America, I mean, I didn’t get to go see any of the festivals and stuff like that, because I was working, but it was acknowledged in my place of work“ (Fall B: Zeile 163-167).

Ein feststehender Termin für die Heimkehr nach Irland ist das Weihnachtsfest, da dies in der Familie von Frau T. ein traditionelles Fest ist, dass die Familie zusammen verbringt. “I go home for Christmas normally, because I think Christmas in our house in Ireland is very family orientated so I always gonna home for Christmas” (Fall B: Zeile 140-142). Neben den Besuchen von Frau T. stehen ebenfalls Besuche ihrer Verwandten in ihren jeweiligen Aufenthaltsländern an, sodass sich die Familie zirka vier- bis fünfmal pro Jahr sieht. „bhm, no, I mean (1 Sek.) sometimes my relatives come visit me, sometimes I go home to Ireland, if I have holidays or they come visit me, but we see each other about ( 1 Sek.) four or five times a year” (Fall B: Zeile 64-66). Bei den gegenseitigen Besuchen werden Mitbringsel, landestypische Waren überwiegend aus den USA und Irland ausgetauscht oder zum Teil verschickt, die im Aufenthaltsland der einzelnen Familiemitglieder nicht erhältlich sind. Dass Frau T. ihrer Familie überwiegend Güter aus den USA im Gegensatz zu Deutschland mitbringt, führt sie darauf zurück, dass ihre Mutter in den USA aufwuchs und ihre Familie aufgrund mangelnder Kenntnis von Deutschland nicht das Verlangen nach landestypischen Gegenständen aus Deutschland hat. „Yeah, they would sent it to me or else, if they come to visit me they bring over special food that I can’t get in America or Germany from Ireland“ (Fall B: Zeile 389-391). „Like, when I went home for Christmas, I had to bring her back all the cipher candies that you can’t get in Ireland and you can only get in America and so, although for my sister“ (Fall B: Zeile 395-397).

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„No, its everything, I mean, I had to bring her back magazines and books and stuff like that you know special hand crèmes that you can only get in America not in Ireland so which she needs“ (Fall B: Zeile 399-401). „, sometimes, but not very often, sometimes, more from the States, because that’s where she grow up, so she knows, she is not really from Germany, but sometimes, yeah“ (Fall B: Zeile 404-406).

Die Sprache, die bei der Kommunikation zwischen den Familiemitgliedern als Kernfamilie verwendet wird, ist irisches Englisch, obwohl die Mutter von Frau T. selbst gebürtige Amerikanerin ist. Auffällig bei diesem geführten Interview war, dass Frau T. des Öfteren bei den Berichten von ihrem Heimatland von dem amerikanischen Englisch automatisch in den irischen Akzent zurückfällt. Das Wechseln zwischen den unterschiedlichen Akzenten thematisiert die Probandin im Zusammenhang mit den Landeswechseln. „…Well [I] mean some words are different, and the slang is different as well, but it’s always Irish English (1 Sek.), but I speak to, with them never any American“ (Fall B: Zeile 262-264). „…I mean, o.k., when I go to America, I pick up an accent, like pick up the American accent, but then I go home, I drop it immediately and I have my Irish accent back again and…“ (Fall B: Zeile 181-184).

Die Frage, ob die geografische Distanz zwischen den Familienmitgliedern den Zusammenhalt innerhalb der Familie beeinträchtigt, verneint Frau T. Die Unterstützung und der Zusammenhalt bleibt erhalten und kommt entweder seitens Familienmitgliedern, die vor Ort leben wie beispielsweise der Tante aus Chicago oder via Telefon von den geografisch ‚entfernteren’ Familienmitgliedern. In diesem Zusammenhang beschreibt die Interviewte, dass der Auszug des Kindes der normale Lebensverlauf ist, um Unabhängigkeit und Freiheit zu erlangen sowie Konflikte zu vermeiden. „No, it’s more like, what happened to your family to the unity of your family? B: O.k., (2 Sek.) ähm, I think it stayed the same“ (Fall B: Zeile 77-79). „I think, that is when lets say when the get older I think that’s better when they move out by their own, because when you live with your parents for so long, ähm (1 Sek.), you start to get into more fights and stuff like that, because the older the child gets (coughing) excuse me, they more freedom and independence they want, but they still live under their parents’ house so they need to keep the rules and stuff like that and they don’t wanna does this any more. So, I think that’s better when the child moves out“ (Fall B: Zeile 99-106).

Die Eltern der Interviewten lernten sich in den USA kennen, als ihr aus Irland stammender Vater in den USA arbeitete. Nach dem Ablauf seines Arbeitsvisums musste Herr T. nach Irland zurückkehren; Frau T.’s Mutter immigrierte ebenfalls

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nach Irland. Die Frage, ob ihre Mutter eines Tages in die USA zurückkehren möchte, verneint Frau T., da ihre Mutter an Irland hängt und eher irisch als amerikanisch ist, da sie bereits seit Langem mit ihrem Mann in Irland lebt. „…I mean, she is been living for about thirty-five years or something like that, but she is really Irish and has an Irish accent, she is. A: So, does your mum wants to go back to the United States? B: No, she doesn’t. She likes the Irish to much” (Fall B: Zeile 474-476). Frau T. fasste den Entschluss, Irland zu verlassen vor dem Hintergrund beruflicher Perspektiven und kann sich nicht vorstellen, in den nächsten Jahren nach Irland zurückzukehren. “Not for another few year anyway, I mean, I am quite happy living abroad for the moment, so” (Fall B: Zeile 131-132). Im Groȕen und Ganzen hat Frau T. gegenüber einem erneuten Leben in Irland ambivalente Gefühle, zum einen ist es ihr Heimatland, mit dem sie vertraut ist und ihr soziales Umfeld hat, und zum anderen ist es aufgrund beruflicher Perspektiven unvorstellbar. „Yes, because I mean it’s my country, I know what; I have a lot of friends there you know and know what happens. No, because I don’t think there is opportunity for my job there, as there is in other parts of the world. bhm, I think (1 Sek.), Ireland is, it’s a small country, but it’s a nice country. I I could live there again and then maybe no, sometimes I couldn’t, I don’t know“ (Fall B: Zeile 122-127).

Im Allgemeinen betrachtet die Interviewte das Leben bzw. das Aufwachsen in unterschiedlichen Kulturen als Vorteil, da dies den persönlichen Reifungsprozess fördert sowie eine Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Kulturen mit sich bringt. Die Offenheit gegenüber fremden Kulturen ist notwendig, um sich auf diese einlassen zu können; diese anfänglich fremden Kulturen werden dann nach der Auffassung von Frau T. verständlicher und vertraut. bhnliche Implikationen lassen sich bei dem Vergleich zwischen Freunden im Herkunftsland feststellen, in dem sie laut ihrer Selbstbeschreibung aufgeschlossener und reifer ist als Freunde, die die bisherige Zeit ihres Lebens ausschließlich in Irland verbrachten. „I think, I have, ähm (1 Sek.), because, I think, I have more of an open mind. Because when I go to different countries, I participated in their cultures and their traditions. And, ähm, (1 Sek.) you know, they might seem strange to me at first, but like you have to have an open mind to do them, and and, to see what is it about and you know, I think, in in that way. I’ve matured more, than let’s say, some of my friends in Ireland, who have stayed in Ireland would they permeated, so I think I have a more of an open mind to it“ (Fall B: Zeile 215-222).

Als klaren Nachteil empfindet Frau T. die Trennung von der Familie. Der telefonische Kontakt zur Familie ist zwar zu jeder Zeit an jedem Ort möglich, stellt für sie aber keine Kompensation für die emotionale Lücke dar, welche die Abwesenheit der Familie auslöst, d. h. Das Ausbleiben von Face-to-face Interakti-

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onen mit körperlichem Kontakt. Alleine im Ausland zu leben, kann deshalb Einsamkeit und Heimweh erzeugen, der gravierendste Nachteil. „Yeah, I mean, of course, been away from your FAMILY. You don’t have that, the (2 Sek.), like I said before, that that there is an emotional gap. I mean, you can always ring them wherever you are, but you still can’t see them, and touch them, and stuff like that. And that’s sometimes hard and it is sometimes lonely, when you live abroad, especially, when you live on your own, like I do and you do get lonely and sometimes you do wish that you were at home like that. I think, loneliness would be the the most of the disadvantages“ (Fall B: Zeile 227-234).

Des Weiteren vermisst die Interviewte aus ihrem Heimatland neben der Familie und den Freunden, das soziale Leben in Irland, da die Menschen dort im Allgemeinen freundlich und großzügig sind, Eigenschaften, die sie der Kultur zuschreibt und im Kontrast zu der amerikanischen „Oberflächlichkeit“ steht. Diesen Vergleich zeigt sie an den Gründen und Situationsbeschreibung eines Barbesuchs in den USA und in Irland. Das für Irland typische Regenwetter vermisst sie zum Teil ebenfalls sowie irisches Essen. „bhm family, friends of course, I miss the the social life in Ireland, because I don’t think, you can get that anywhere else in the world … (It’s very honest). I miss the friendliness of the in Ireland, they’re very genuine people … and although the culture, as well, it’s probably included in the social life and the food in Ireland, as well. Sometimes I miss that, ähm just even the weather sometimes, you know, it rains all the time (laughing), but I miss that, too” (Fall B: Zeile 317-323). „Because, the social life in Ireland, it’s NOT about, I mean, you go to the pub obliviously, but it’s not about drinking, it’s about meeting your friends and the atmosphere and, you know, just having a talk or a chat or whatever, were as in America, I think that young people they go out to drink and I think that’s wrong, because you know drinking is meant to be social and you meant to make friends and have fun and stuff like that. (1 Sek.) You can’t (1 Sek.) I don’t know. Its like in Ireland, it’s it’s just about the fun and the atmosphere, just meeting your friends“ (Fall B: Zeile 330-337).

In ihren beiden neuen Ankunftsländern bzw. Wahlheimaten fehlen ihr, neben ihrem Lebenspartner in den USA und ihrem Freundeskreis in Deutschland, der überwiegend aus Deutschen und einer irischen Arbeitskollegin besteht, folgende Dinge (beim Aufenthalt in dem jeweils anderen Land): In Deutschland die Straßenfeste und in beruflicher Hinsicht die Qualität des Trainings. An den USA die Bequemlichkeit beim Einkaufen, da dort alles an einem Ort konzentriert ist. Einen weiteren Punkt, den Frau T. anspricht, sind die landestypischen Küchen; ihre Gerichte gibt es nur in diesem spezifischen Land und sind in den anderen Ländern nur in abgewandelter Form erhältlich; was sie vermisst.

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„My friends of course (1 Sek.), I miss my job, because I train horses and I miss the training here, because it’s really good in Germany. I also miss parts of the culture, as well. Something like the street festivals that you have here, they are really good. And, you know, the food, as well, because sometimes, you don’t get things on a food in anywhere else“ (Fall B: Zeile 297-301). „When I am in Ireland, what do I miss from Germany and America, ähm, same things from Germany, from America I would miss how easy it is to get things… . Like, ( 1 Sek.) you can get anything in America, if you wanted it, you know, there is a shop for this, there is a shop for that and there is a shop for the other thing. bhm and you always get what you want, everything is very convenient, it’s all in one place kind of. And, (1 Sek.) I also miss my boyfriend in America (laughing). And I think that’s it“ (Fall B: Zeile 307-315).

Nach der Meinung von Frau T. unterscheiden sich ihre Wertvorstellungen durch das Leben in fremden Kulturen kaum von denen ihrer Eltern, da fremde Kulturen ihre Persönlichkeit nicht verändern und Frau T. ihre irischen Wurzeln beibehält, bzw. weiß, wo ihre Wurzeln sind. Dies vergleicht sie mit dem Wechseln des Akzents, d. h. bei dem Wechsel zu dem irischen Akzent könnte sie auch das „Zurückswitchen“ in die irische Kultur und Lebensweise meinen. Den einzigen Unterschied, den Frau T. zu ihren Eltern lokalisieren kann, besteht in der Arbeitsweise. Ihre Arbeitsweise ist eingedeutscht, welches auch ein Thema ist, wenn sie sich in den USA aufhält, da außenstehende Aussagen diesbezüglich machen. Die typische Arbeitsweise, die sie in Deutschland erlernt hat bzw. übernommen hat ist das zügige, pünktliche und korrekte Arbeiten, welches im Kontrast zu der entspannteren Arbeitsatmosphäre in Irland bzw. der Eltern steht. „bhm, no ähm I] I still have my Irish culture, but well I also adapted into the American and the German culture, as well“ (Fall B: Zeile 172-173). „American? bhm. No, I mean they don’t. I don’t think that the culture has particularly changed me as a person. I still know where my roots are and where my culture is and stuff like that. I mean, o.k., when I go to America, I pick up an accent, like pick up the American accent, but then I go home, I drop it immediately and I have my Irish accent back again and (1 Sek). But, I think also like, the way I work with horses that I I’ve picked up the discipline, that I had learned in Germany, the way they do it in Germany and that’s how I think have picked up the German culture a little bit. They do things right and stuff like that“ (Fall B: Zeile 179-187). „bhm, (3 Sek) like I’D say in in my parents’ personality and attitude, they’re a little bit more laid back, well, I mean, not laid back but relaxed about things, they don’t tend to rush like Germans or Americans. Americans are always rushing and Germans is always like getting things done on time, were is in Ireland you’re a little bit o.k. we’ll get it done eventually and that’s fine, but, ähm, and it’s you know it has to be done right and correctly you know“ (Fall B: Zeile 192-198).

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Außenstehende identifizieren typische Merkmale der verschiedenen Kulturkreise, in denen sie lebt, wie bereits oben erwähnt, im Bezug auf ihre Arbeitsweise. Ihre Arbeitsweise wird als typisch Deutsch betrachtet, während der Mut, den sie bei der Arbeit mit den Pferden zeigt, auf ihre irische Kultur zurückgeführt wird. „Oh, oh I think, I do, because I I’m work with horses and I am not really afraid of them and I do anything, you know, so I think, that’s the Irish blood in me. (1 Sek.) Coming out and I think that the way I work, because I work fast and on time and good and I do it properly. I think, that’s the German part that I’ve picked up when I was living in Germany“ (Fall B: Zeile 448-452).

Amerikanische Eigenschaften kommen hierbei nicht zur Sprache. Frau T. selbst meint, dass Dritte keine spezifischen amerikanischen Eigenschaften finden, aber ihr persönlich aufgefallen ist, dass sie in den USA amerikanische Gepflogenheiten annimmt, wie beispielsweise zur Massage zu gehen bzw. mehr auf sich zu achten. Im Allgemeinen scheint Frau T. die Strategie zu verfolgen, sich den Lebensstilen in einem bestimmten Land anzupassen und diesen in einem anderen Land wieder abzulegen bzw. umzustellen. „American] part being lazy (lacht). bhm, I don’t know, I’d have, I’m not sure, if I’ve picked up any of the American part. bhm, (1 Sek.) yeah ähm, like a lot of Americans, they like to take care of themselves and I know that I’ll go for a massage, like you would not do that in Germany and you would not do that in Ireland, because is more expensive over here and it’s cheaper in America. You wouldn’t really do it anyway, its not part of what they do, but in America they do it a lot, so it’s normal for them, so I picked up that as well“ (Fall B: Zeile 454-461).

Dabei bleibt ihr Heimatland eindeutig Irland, zu dem sie durch die enge Verbindung zu ihrer Familie eine tiefe Verbundenheit hat. Aufgrund der geringen Karrierechance in ihrem Berufsfeld in Irland würde sie ein Leben in Deutschland vorziehen; allerdings aus beruflichen Gründen. Könnte sie ihren Lebensmittelpunkt bzw. das Land, in dem sie lebt, unabhängig von beruflichen Perspektiven wählen, würde ihre erste Wahl auf das Heimatland Irland fallen – obwohl sie diesbezüglich bei der Antwort zögert. „Yeah, I could see myself living in Germany, there are opportunities in Germany for my career…No, for both] I’d like Germany as a country and for the culture; I’d like living here“ (Fall B: Zeile 482-487). „If I would take away my profession? ... . bhm, (3. Sek.) I don’t know, (1 Sek.) Ireland“ (Fall B: Zeile 490-493).

Frau T. verortet ihre Familie eindeutig in Irland, obwohl sie als Zusatzinformation anführt, dass ihre Mutter gebürtige Amerikanerin ist, trotz ihrer persönlichen Feststellung, dass ihre Mutter über eher irische Eigenschaften als Amerika-

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nische verfügt. Somit scheinen Herkunftsbindungen für die Interviewte eine nicht unerhebliche Rolle zu spielen, sodass vermutet werden kann, dass ihre Selbstbeschreibung auch nach längerem Aufenthalt im Ausland sich ebenfalls über ihre irischen Wurzeln definiert, die sie mit neuen Wahlbindungen anreichert, die sie wieder ablegen kann. „Well, ähm o.k. (1 Sek.), I mean, I would say, o.k. my family lives in Ireland, but my mother is American, that’s what I would say“ (Fall B: Zeile 468-469). „No, I know, I don’t say that, because my mother is finely American (coughing), excuse me, ähm, she has an American passport, so she. I mean, she is been living for about thirty-five years or something like that, but she is really Irish and has an Irish accent, she is“ (Fall B: Zeile 471-474).

Fall C – Shirin N. Shirin N. wurde in Deutschland geboren und ist hier aufgewachsen. Ihre verstorbene Mutter immigrierte aus Tschechien nach Deutschland, ihr Vater ist gebürtiger Iraner, immigrierte ebenfalls nach Deutschland und besitzt neben der iranischen Staatsbürgerschaft mittlerweile auch die Deutsche. Das Ehepaar lebte bis zu dem Tod der Mutter gemeinsam mit seinen Kindern in Deutschland. Frau N. ist zum Zeitpunkt des Interviews 28 Jahre alt und arbeitet als Physiotherapeutin, hat zwei Brüder, führt eine eheähnliche Partnerschaft mit einem Italiener. Familie nimmt bei Shirin N., wie bei den anderen Interviewpartnern ebenfalls, einen zentralen Stellenwert in ihrem Leben ein. Sie bezeichnet Familie als unabdingbar und assoziiert den Begriff Familie mit Kraft und Geborgenheit. Für Shirin N. hat Familie bzw. die Herkunftsfamilie oberste Priorität und steht selbst über ihren eigenen Bedürfnissen, was zeigt, dass ihre Familie im Sinne der Herkunftsfamilie die höchste Bedeutung in ihrem Leben hat. Die Bindung zur Herkunftsfamilie steht über den „hinzugewählten“ Familiemitgliedern bzw. Lebenspartnern. „(Räuspern). Zusammengehörigkeit, Kraft, Geborgenheit, Stärke (1 Sek.) mhm unabdingbar im Leben eigentlich“ (Fall C: Zeile 04-05). „Also würde ich jetzt vor die Wahl gestellt werden, ähm Freund oder Familie (2 Sek.), würde ich wirklich ins Schwanken kommen, aber ich mich letzten Endes doch für Familie entscheiden, also hätten, wären meine Eltern jetzt mit meinem Freund nicht zurechtgekommen, was Gott sei Dank nicht der Fall ist, hätte ich mich wirklich für meine Familie entschieden, weil ähm, man weiß nie, wie man, wie lange man mit so `nem Lebensabschnittsgefährten zusammen ist, und Familie ist wirklich Familie und das hat halt oberste Priorität“ (Fall C: Zeile 142-150).

Nach der persönlichen Definition der Interviewten setzt sich ihre Familie zusammen aus der Kernfamilie (Mutter, Vater, Brüder), dem Lebenspartner sowie eng-

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en langjährigen Freunden. Im Verlauf des Interviews wird deutlich, dass sie ebenfalls die Verwandten ihrer Eltern mit zur Familie zählt, aber nur diejenigen, zu denen sie eine Bindung aufbauen konnte. „Also mein Vater, meine Mutter natürlich trotz das sie verstorben ist, meine Brüder, mein Freund, (husten) und sehr enge Freunde sind auch Familie für mich ... . Also sprich Freunde, wo die Freundschaft schon seit 5, 7 bis 8 Jahren besteht“ (Fall C: Zeile 10-15). Die erweiterte Familie von Frau N. bzw. das Verwandtschaftssystem verteilt sich über mehrere Nationen, im Besonderen die Herkunftsfamilie des Vaters. Verwandte väterlicherseits leben im Iran, in Australien, den USA und Kanada. Die Herkunftsfamilie der verstorbenen Mutter lebt in Tschechien, zu denen Frau N. versucht, den Kontakt aufrechtzuerhalten. „Also einmal väterlicherseits im Iran, mein Onkel, dann väterlicherseits äh in äh Amerika mein Onkel, viele Vetter und Verwandte meines Vaters, zu dem wir auch regen Kontakt noch haben. Dann in Tschechien meine Oma, meine Tante, mein Onkel, meine Cousine und auch Bekannte meiner Mutter noch, zu denen wir jetzt nach ihrem Tod jetzt nicht mehr so viel Kontakt haben aber zur tschechischen Familie schon mal ... . Also Iran, Tschechien, Amerika. Kanada ist noch jemand, auch noch ein Verwandter von uns aber (Räuspern) aber das ist jetzt nicht sodass wir täglich telefonieren oder so“ (Fall C: Zeile 23-33).

Der Kontakt zur erweiterten Familie wird seitens der Eltern überwiegend durch ausführliche Telefonate und selten mit Hilfe von E-Mails aufrechterhalten. Die Eltern von Frau. N. telefonieren zweimal wöchentlich zu festgelegten Zeiten mit ihrer ‚Kernfamilie‘, im Allgemeinen mittwochs und sonntags. Nach Angaben der Interviewten dauern diese Telefonate zwischen 30 und 45 Minuten, in denen sich über alle möglichen Ereignisse ausgetauscht wird. „Ja, auf jeden Fall.] Auf jeden Fall. Deswegen das sind auch immer relativ Telefonate, also, es ist bestimmt ne halbe, dreiviertel Stunde, jedes Mal. Also es sind, es ist jetzt kein Telefonat: Ja, grüß dich, wie geht’s dir, mir geht’s gut, hier ist alles O.K., wir telefonieren dann am Sonntag, sondern es sind wirklich ausführliche Telefonate, in denen man sich über alles austauscht“ (Fall C: Zeile 716-721).

Nach dem Tod ihrer Mutter, versucht die Interviewte die regelmäßigen Telefonate mit der Herkunftsfamilie ihrer Mutter weiterzuführen, welches sie aber zum Teil vergisst. Persönlich telefonierte Frau N. bis dato mit der erweiterten Familie nur zu besonderen Anlässen auf Grund mangelndem Verständnis und dem daraus resultierenden fehlenden Bezug. Sie differenziert hier zwischen sich und ihren Eltern, die einen engen Bezug mit den räumlich dislozierten Familienmitgliedern haben, da sie wegen einer gemeinsamen Vergangenheit/ „Familiengeschichte“ und wegen Schicksalsschlägen näher zusammenrückten. Das einzige Familienmitglied der Herkunftsfamilie seitens der Eltern zu dem Frau N. regelmäßig telefonischen Kontakt hat ist ein Onkel, der in den USA lebt; hier wurde

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eine intensive Beziehung durch direkte Interaktionen bei regelmäßigen Besuchen aufgebaut. „, ich persönlich habe jetzt nun zur Familie meiner Mutter nicht so viel Bezug ähm, sprich also man telefoniert jetzt an Geburtstagen oder mal Feiertagen ähm zu meinem Onkel in Iran dasselbe, aber zu meinem Onkel in Amerika und intensive Beziehung. Sprich also wir telefonieren jede Woche eigentlich ... und das kommt auch daher, weil ich äh als Kind schon oft dort war ihn besucht habe und äh einfach eine engere Beziehung somit aufbauen konnte ... . Nee, es ist von meinem Vater und meinen Brüdern ähm dasselbe eigentlich. Nur mein Vater hat mehr natürlich mit seinen Brüdern im Iran engeren Kontakt. Natürlich ähm weil, weil die sich einfach besser verstehen, ja“ (Fall C: Zeile 43-59). „bhm, (2 Sek.) ja es man wird zusammengeschweißter, mein Papa sein Bruder ist vor 2 Jahren verstorben ist und äh die Beiden eigentlich schon immer, so alle vier Brüder sich sehr gut verstanden haben, wobei der eine der jetzt in Australien ist, eher ähm so ein Einzelgänger ist, ist immer noch und die anderen Brüder jetzt auch. Also die anderen Beiden, sprich mein Vater und sein anderer Bruder im Iran sehr regen Kontakt haben, das heißt, sie telefonieren wirklich zweimal die Woche. Kontinuierlich, also da sind auch die Tage festgelegt mittwochs und sonntags, so war es zum Beispiel bei meiner Mutter auch die mit ihrer Mutter auch immer mittwochs und sonntags ähm telefoniert hat. Also sind praktisch feste Tage vorgelegt, dass man sich auch wirklich zweimal in der Woche hört“ (Fall C: Zeile 61-72). „... ich führe das jetzt weiter, was meine Mutter jetzt praktisch damals angefangen hat, dass ich wirklich die Oma jetzt mittwochs und sonntags anrufe. Wobei ich`s auch ab und an vergesse, also geb’ ich ganz ehrlich zu ja, und ähm. (2 Sek.) “ (Fall C: Zeile 872-875).

Die Besuchsfrequenz der erweiterten Familie ist abhängig von dem Land, in dem die Mitglieder der Herkunftsfamilie leben und den Reglementierungen des jeweiligen Landes bezüglich der Ein- und Ausreise. Besuche im Iran waren seit der Ausreise des Vaters nach Deutschland nicht möglich aufgrund der politischen Situation und seines Berufes. Gemäȕ der iranischen Gesetze gilt die iranische Staatsbürgerschaft auf Lebenszeit und ist gekoppelt an die Verpflichtung, für das eigene Land zu arbeiten. Da brzte im Iran gebraucht werden, stellte die Einreise in den Iran ein zu hohes Risiko dar, da die Ausreise nicht gesichert war. Erschwerend hinzu kam die Tatsache, dass der Familienname im Iran bekannt ist, da der Vater der iranischen Oberschicht angehörte. „A das] und B weil er äh immer noch einen iranischen Nachnamen hat, und ähm die politische Situation war damals wie heute ja auch so, dass, war man einmal ist man immer Iraner, egal ob man auch die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Also mein Papa hat beide, meine Mutter hatte auch beide Staatsangehörigkeiten, und die Gefahr war einfach zu groß, dass sie ihn als Arzt dort behalten, weil sie sagen, er ist gebürtiger Iraner und ähm er hat in seinem Land zu arbeiten, und ... .“ (Fall C: Zeile 314-320).

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Die Familie väterlicherseits (Mutter, Bruder, Vater ist früh verstorben), die noch im Iran lebt, besuchte ihn bzw. seine Familie früher jedes Jahr (in der Kindheit Frau N.) für ein bis zwei Monate in Deutschland und lebte für diesen Zeitraum in deren Haushalt. Die Mutter des Vaters ist ebenfalls verstorben, sein Bruder kann aufgrund seines Alters die Strapazen der Reisen sowie die bei der Beantragung eines Visums nicht mehr nach Deutschland reisen. Für nächstes Jahr plant der Vater, erstmalig in den Iran zu reisen. „ gut, im Iran,] im Iran ist es schwer momentan, weil äh mein Onkel ist jetzt auch schon Anfang, nee (1 Sek.) 79 ist er ähm, um ein Visum zu kriegen, müsste er sich halt den ganz, die ganze Nacht vors Konsulat legen, ja, da hat er halt auch nicht mehr die Muse dazu. Und ähm, ansonsten würde er’s definitiv machen, aber ich weiß auch, dass mein Vater nächstes oder übernächstes Jahr auf jeden Fall hinfliegen wird, ja“ (Fall C: Zeile 210-215). „Ja, gut der ... . Ja genau, genau.] Gut, der andere Onkel aus dem Iran würde halt auch kommen, aber da sind einfach die Möglichkeiten nicht da, wie gesagt, dem Alter jetzt entsprechend. (1 Sek.) Und ähm ... .“ (Fall C: Zeile 305-307). „Ja mein Vater kommt da aus der „Bourgeoisie“, das heißt sind viele Straßen nach uns benannt, vor allem nach meinem Opa und ähm ja die Familie gehörte schon zu den oberen Zehntausend ... .“ (Fall C: Zeile 78-81).

Im Gegensatz zu den Reglementierungen, die gegenseitige Besuche zwischen den Familienmitgliedern im Iran schwierig gestalten, reist Frau N.’s Onkel aus den USA regelmäßig nach Deutschland. Hier verbindet er berufliche Reisen mit Familienbesuchen, sodass er regelmäßig bei der Familie sein kann. „bhm, ja nach Amerika auf jeden Fall, weil mein Onkel, der da lebt ist, der ist ähm Modedesigner, das heißt der hat rein beruflich auch sehr viel hier zu tun, ja, was er ... . Genau, was er auch verbindet, dass er dann bei uns wohnt, was auch sehr schön ist, das heißt, wir sehen uns stetig, praktisch alle zwei drei Monate, wenn’s auch nur fürs Wochenende ist“ (Fall C: Zeile 219-225). „... aber zu meinem Onkel in Amerika und intensive Beziehung. Sprich also wir telefonieren jede Woche eigentlich ... und das kommt auch daher, weil ich äh als Kind schon oft dort war ihn besucht habe und äh einfach eine engere Beziehung somit aufbauen konnte“ (Fall C: Zeile 45-49).

Die Mutter von Frau N. besuchte bis zu ihrem Tod ihre Familie regelmäßig in Tschechien, beispielsweise an Geburtstagen ihrer Mutter, machte Wochenendausflüge oder Ferien mit ihren Kindern. Überwiegend reiste die Mutter von Frau N. alleine nach Tschechien wegen der beruflichen Eingebundenheit ihres Mannes. Seitens der Interviewten wird immer wieder angegeben, dass die Chemie zwischen ihr und der Herkunftsfamilie der Mutter nicht wirklich stimmt und sie keine Beziehung zu ihnen aufbauen konnte. Eine mögliche Erklärung könnten die anfänglich gegebenen Sprachbarrieren innerhalb der Familie sein. Im Großen

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und Ganzen lässt sich bezüglich der gegenseitigen Besuche festhalten, dass die Herkunftsfamilie der Mutter überwiegend in Tschechien zusammentrifft, während sich die Herkunftsfamilie des Vaters in dem Haushalt in Deutschland zusammenfindet wegen den bestehenden Reglementierungen mit Ein- und Ausreise. „Ja, auf jeden , also zu jedem Geburtstag der, der, ihrer Mutter. Mein Vater konnte halt nicht aus beruflichen Gründen, weil er halt die Praxis hat, der ist Allgemeinmediziner, und ähm, meine Brüder sowie ich halt auch, nur in der, wenn Semesterferien waren, beziehungsweise Sommerferien, ja, also dass wir mal so übers Wochenenden gefahren sind, , wenn dann wirklich ähm für ein paar Tage, für `ne Woche oder für zwei, wobei die Mama öfters mit dem Zug alleine hin ist, und dann auch nur mal fürs Wochenende“ (Fall C: Zeile 239-246). „Und äh, ja. Und nach Tschechien halt wie gesagt, ähm, sehr selten, also wirklich selten. Weil einfach, natürlich ist es jetzt auch nicht besonders ähm, keine Besondere, na ja, wie soll ich das sagen, (überlegt) also es ist nicht besonders schwer, sich jetzt ins Auto zu setzen und nach Prag zu fahren, aber mal übers Wochenende, aber da fehlt mir einfach die Muse und einfach der Kontakt auch zu den Leuten, also ... .“ (Fall C: Zeile 225-231).

Innerhalb der Kernfamilie wird ausschließlich Deutsch gesprochen, da dies die gemeinsame Kommunikationsbasis der Eltern ist/war. Zu dem Zeitpunkt als die Eltern aus ihren jeweiligen Herkunftsländern nach Deutschland immigrierten, beherrschten sie die deutsche Sprache nicht und mussten Deutschkurse besuchen. Die Mutter immigrierte wegen der besseren beruflichen Perspektiven und vorhandenem sozialen Netz bestehend aus Freunden, der Vater hingegen wegen des angestrebten Medizinstudiums. Aufgrund der Tatsache, dass das die Eheleute die jeweilige Muttersprache des Partners nicht verstehen, stellte deutsch die Kommunikationsgrundlage dar. Mit ihren gemeinsamen Kindern wurde ausschließlich Deutsch gesprochen. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass die Kinder keine Möglichkeit bekommen sollten, die Eltern gegeneinander auszuspielen. Auffällig ist, dass die Eltern auf der jeweiligen Muttersprache fluchten. Die Cousine von Frau N. beispielsweise wächst in den USA zweisprachig auf, d. h. lernt sowohl Englisch als auch Iranisch. Frau N. eignete sich die Muttersprache der Eltern über deren jeweiligen Konversationen mit Verwandten aus eigenem Antrieb an – es bestehen dennoch Defizite in den beiden Sprachen. „Nein,] kein Wort. Also sie haben beide, mein Vater hat am Goethe-Institut studiert, Deutsch, und ähm meine Mutter hat auch, also hat auch die Sprache studiert, dann noch mal richtig, ja, weil halt auch halt beide gesagt haben, wenn sie in dem Land dann leben müssen sie sich auch, ähm richtig können, ja“ (Fall C: Zeile 555-559). „Was auch, er spricht mit seinem Kind iranisch, was meine Eltern zum Beispiel mit uns nicht gemacht haben, weder tschechisch noch iranisch, weil meine Mutter nicht iranisch konnte, mein Vater nicht tschechisch, haben sie gesagt O.K. bei uns wird nur deutsch

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gesprochen. Allein wenn’s mal Streit gibt, das die Kinder nicht gegen die Eltern hetzen können, ja. Und ich hab praktisch iranisch gelernt, über, also ich bin ein Mensch mir fallen Sprachen relativ leicht ja und ich hab halt iranisch gelernt über die Kommunikation meines Vaters mit den Brüdern und mit seiner Mutter und tschechisch selber, also die Kommunikation von meiner Mutter mit der Schwester oder mit ihrer Mutter“ (Fall C: Zeile 539-549).

Die bestehenden Sprachdefizite in den Muttersprachen ihrer Eltern thematisiert die Interviewte ebenfalls bei der Medienrezeption. Bei dem Interesse für besondere Ereignisse im Iran wie beispielsweise die Wahlen verfolgt sie überwiegend auf Deutsch und teilweise auf Englisch, um eine zweite Perspektive zu erhalten. Frau N. persönlich hat keinen Zugang zu Sendern auf der Landessprache ihrer Eltern, da sie diese wegen der mangelnden Sprachkompetenz nicht versteht. Tschechische Nachrichten werden nicht erwähnt, nur allgemein die Medienrezeption in tschechischer Sprache angesprochen, dies könnte zum Teil damit zusammenhängen, dass die Satellitenschüssel für die Übertragung der Landessender aus den Herkunftsländern der Eltern erst nach dem Tod der Mutter angeschafft wurde, als Frau N.’s Vater die pflegebedürftige iranische Schwägerin zu Hause aufnahm. Frau N.’s Vater schaut seitdem iranische Programme bzw. Nachrichten, um die Berichtserstattung aus seinem Heimatland verfolgen zu können und eine andere Betrachtungsweise der Ereignisse zu erhalten. Vor dem Tod seiner Frau wurden ebenfalls gemäß der gemeinsamen Kommunikationsbasis und dem nicht vorhandenen Zugang zu den Medien auf der jeweiligen Landessprache, die Tagesthemen oder deutsche politische Diskussionen verfolgt. Heute mit dem Zugang zu iranischen Sendern werden diese vom Vater ergänzend rezipiert. „Ja, ich mein, klar,] wenn irgendwas äh im passiert, wie jetzt die Wahl, dass man schon also die Nachrichten verfolgt. Die Nachrichten verfolge ich auf Deutsch, ganz klar. Manchmal auch CNN oder BBC, ähm aber, einfach auch wie ich kein iranisches oder tschechisches Programm hab’, ganz einfach. Und wenn, dann wäre ich jetzt auch der Sprache nicht so mächtig, dass ich da die Medien verfolgen könnte, ja ... . . (2 Sek.). Deutsch definitiv und äh nach dem Tod meiner Mutter, hat äh hat der Papa auch sich ne Satellitenschüssel gekauft, ja. Auch gerade, weil seine Schwägerin bei uns noch wohnt jetzt, die ein Pflegefall ist, die auch Iranerin ist. (1 Sek.) bhm da wird überwiegend auch iranisch geguckt, aber wirklich so die Tagesthemen oder so auch auf Deutsch oder wenn politische Diskussionen laufen, auf Deutsch, ja. Gerade jetzt zum Beispiel wie die Wahlen im Iran, da wird natürlich, da werden natürlich die iranischen Sender bevorzugt, weil da mein Vater sagt, O.K. da kriegt er noch mal’ nen anderen ’nen anderen einen ganz anderen Fokus“ (Fall C: Zeile 680-696).

Bei der Frage, welche Auswirkungen die geografische Trennung auf den Zusammenhalt der Familie hat rekurriert Frau N. auf die gegenseitigen Besuche, die nicht spontaner Natur sein können, sondern geplant werden müssen sowie auf

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fehlende Nähe zwischen den Familienmitgliedern. Diese wird einerseits durch Kommunikationsmittel suggeriert, andererseits lässt sie die bestehende geografische Distanz der einzelnen Familienmitglieder bewusst werden. „Ja, es ist schade, weil ähm, man hat zwar heute im Zeitalter der Kommunikation, Möglichkeiten wie gesagt per E-Mail, per Telefon, ähm (2 Sek.), sich nahe zu fühlen, aber es ist trotzdem tausende von Kilometern weg und man kann halt nicht mal schnell rübergehen wie oder mal rüberfahren, wenn Geburtstag ist, wie wenn er jetzt hier in wohnen würden oder sonst wo, ja“ (Fall C: Zeile 196-201).

Sie stellt die These auf, dass je geringer die Distanz, desto intensiver ist der Kontakt zwischen den einzelnen Familienmitgliedern und vergleicht dies mit dem „Familienleben“ ihres Freundes. „Und ich sehe das jetzt auch zum Beispiel an der Familie meines Freundes. , da ist die Bindung jetzt auch nicht ähm so intensiv sage ich jetzt mal, zu den Geschwistern, die jetzt in Italien leben. Natürlich ist die da, und man telefoniert immer, ja, aber die ist nicht so intensiv wie jetzt die Familienangehörigen, die in der Stadt selber wohnen, also sprich in Gelnhausen, die Familie meines Freund kommt aus Gelnhausen. Da wird abends vorbeigegangen, da wird sich am Wochenenden getroffen, da wird zusammen gegrillt, da wird halt viel mehr unternommen. [Ja... . “ (Fall C: Zeile 258-266).

In dieser Argumentationslinie koppelt sie den Zusammenhalt innerhalb der Familie mit Face-to-face Interaktionen im Kreise der Familie. Würden alle Familienmitglieder an einem Ort leben, würde dies Auswirkungen auf die Kontaktqualität haben, da gemeinsame Aktivitäten anstelle des Gebrauchs von Kommunikationsmedien treten würden. „Ich finde schon], weil ich finde, wenn alle Mitglieder vor Ort leben würden, wäre der Kontakt enger, weil man viel mehr miteinander macht und viel mehr miteinander erlebt, ja“ (Fall C: Zeile 254-256). Der Interviewten selbst war es nicht möglich, eine intensive Bindung zu dem überwiegenden Teil der Verwandten aufzubauen, da erstens Sprachdefizite zum Tragen kommen, zweitens eine geringe Frequenz von Face-to-face Interaktionen besteht und der ausschließliche Gebrauch von Kommunikation keine Nähe nach Meinung der Interviewten aufbauen kann, sondern bestenfalls aufrechterhalten werden kann. Demnach besteht durch den Mangel an Bezugspunkten oder Verbundenheitsgefühl wenig Motivation zur Überbrückung der Distanz. Trotz den ausbleibenden Face-to-face Interaktionen für eine lange Zeitspanne, die für die Interviewte persönlich eine grundlegende Komponente für den Aufbau einer intensiven Bindung ist, bleibt der Zusammenhalt innerhalb der Familie von Frau N. erhalten, da in Notsituationen die Überbrückung der bestehenden geografischen Distanz erfolgt. „... Weil einfach, natürlich ist es jetzt auch nicht besonders ähm, keine Besondere, na ja, wie soll ich das sagen, (1 Sek.) also es ist nicht besonders schwer, sich jetzt ins Auto zu

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setzen und nach Prag zu fahren, aber mal übers Wochenende, aber da fehlt mir einfach die Muse und einfach der Kontakt auch zu den Leuten, also ... .“ (Fall C: Zeile 226231). „Also, grundsätzlich lässt sich sagen, egal wo im Ausland, wenn irgendjemand Probleme hätte, väterlicher sowie mütterlicherseits der Verwandtschaft, wären wir füreinander da. Ja, das heißt ein Anruf genügt und man fliegt rüber, oder man fährt rüber, oder ja, also das ähm steht außer Frage, auf jeden Fall“ (Fall C: Zeile 273-277).

Die Frage, ob sich der Familienalltag durch die geografische Distanz verändert hat, kann Frau N. nicht beurteilen, da diese Familienkonstellation besteht, seit sie denken kann. Aus Erzählungen der Eltern kann sie ebenfalls nichts berichten. Der Familienalltag des Vaters hat sich durch seine Einreise nach Deutschland in Bezug auf seinen Lebensstandard und Lebensstil verändert. In seiner Heimat durch die Angehörigkeit zu der „Bourgeoisie“ standen im Bedienstete zur Verfügung, die es in Deutschland nicht gibt und ihm die Selbstständigkeit abverlangte bzw. Arbeiten selber zu erledigen. Im Allgemeinen scheint der Familienalltag der Familie N. überwiegend von den kulturellen Wertvorstellungen der väterlichen Herkunftskultur/Mentalität dominiert zu sein und die Herkunftskultur der Mutter eine Nebenrolle einzunehmen, da die Interviewte verstärkt von der Kultur väterlicherseits berichtet. Die Interviewte berichtet, dass sich ihre Mutter erstmal an die iranische Kultur bzw. Mentalität gewöhnen musste und sich im Großem und Ganzen der Kultur ihres Mannes angepasst hat. „... mein Vater hat immer noch diese Ansichten, was heißt Ansichten, aber diese Traditionen oder diese Kulturen, die er aus dem Iran noch mitbekommen hat, von seinen Eltern, sprich diese Gastfreundschaft oder dieses Herzliche, dieses Offene, genau sowie meine Mutter. Meine Mutter hat, hat sich das dann halt von ihm praktisch dann abgeguckt, ja. Also ich weiß halt auch aus Erzählungen, dass es meiner Mutter am Anfang sehr schwer fiel, einfach das sonntags einfach mal so spontan 10 Leute zum Essen kamen, ja. Was im Iran normal ist, da kommen nicht nur 10, da kommen 30 Leute, ja. (Räuspert sich.) Andererseits ähm die Familie wie gesagt meines Vaters, die waren sehr reich das heißt die hatten Diener, die hatten Bedienstete, da ist es nicht schlimm, wenn 30 Leute kommen. Aber ich kann halt, ich konnte halt oder kann meine Mutter jetzt auch verstehen, wenn man sich als Frau jetzt hinstellen muss und für 30 Leute kochen muss, ist das ein Haufen Arbeit“ (Fall C: Zeile 364-378).

Die iranische Mentalität wird nach Angaben der Interviewten in Form der Herzlichkeit, Offenheit und Gastfreundschaft aufrechterhalten, ansonsten erfolgt aber keine strikte Einhaltung der iranischen Kultur wie beispielsweise das Tragen eines Kopftuchs. Die Familie öffnet sich der deutschen bzw. westlichen Kultur, die der tschechischen Kultur näher ist als die Iranische – vielleicht wird sie deshalb nicht stark thematisiert oder in Zusammenhang mit der deutschen Kultur abgehandelt. Dies zeigt sich beispielsweise an der Frage nach der Beibehaltung der kulturellen Traditionen und Wertvorstellung, die anscheinend nur in der Form

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der iranischen Mentalität bestehen. Frau N. hat keine fundierten Kenntnisse bzw. Vertrautheit mit den Herkunftsländern ihrer Eltern. Sie thematisiert in diesem Zusammenhang, dass sie mit der tschechischen Kultur nicht warm wird, dies könnte zum Teil daraus resultieren, dass die Familienphilosophie im Bezug auf die Gastfreundschaft bzw. der Herzlichkeit eher Iranisch gepolt ist und dies im Kontrast zu der mütterlichen Herkunftskultur steht, an anderer Stelle wird ebenfalls angegeben mit der deutschen Kultur nicht richtig ‚warm werden‘ zu können, was sich auch im Zusammenhang mit ihrem sozialen Umfeld in Deutschland zeigt. „Nee, ja, nee. Kann auch am Charakter meiner Mutter ihrer Familie liegen, aber da stimmt halt die Chemie nicht zwischen uns. Ja, sprich ich bin jemand, ich gebe gerne und äh die nehmen halt gerne, geben halt nicht so gerne da kommen wir kriegen wir keinen ... . Ja, da ist], ähm, zum Beispiel das ist, ähm, bei vielen sag ich jetzt mal typisch ist oder Osteuropäern typisch ist, ähm, das man `ne bestimmte Uhrzeit hat in dem man, wo man zum Kaffeetrinken kommt, man spricht sich ab, O.K., ich komme um 3, und bei den Iranern ist das so, wenn ihr kommt, freut man sich und du kannst jederzeit kommen, und du kannst auch jederzeit anrufen, also es gibt im , im Iran jetzt auch nicht so was, das man sagt, O.K., es ist schon elf, ich ruf nicht mehr an. Ja, also es ist wirklich so, mein, mein Haus ist dein Haus und, äh, fühlt dich wie zu Hause, ja. (1 Sek.) Ohne irgendwelche Einschränkungen von Zeit oder sonstigem“ (Fall C: Zeile 96-110).

Die Öffnung gegenüber der deutschen Kultur wird in der Erziehung der Kinder deutlich, die eher deutsch geprägt ist bzw. ohne Einschränkungen, die die Kultur des Vaters insbesondere auf die Freizügigkeit im Bezug auf Frauen vorgibt. Es wurde darauf geachtet, dass die Kinder der Familie N. genauso aufwachsen wie die Kinder deutschstämmiger Eltern, um sie nicht auszugrenzen, kurzum im Großen und Ganzen westlich. „Ja, das hat sich, das hat sich verm ... ] Ja, um Gotteswillen, also da, da, mein Vater war auch nie so richtig äh Moslem, das heißt ich musste hier nie um, , durfte nichts mit Jungs anfangen oder Sonstiges. Also, ich konnt’, also meine Eltern haben es uns ermöglicht, so deutsch wie, wie möglich aufzuwachsen, ja. Also wir durften auf Kindergeburtstage, wir durften, ich durfte auch mit Jungs weggehen, ähm, gerad’ auch als Mädchen, da hatte mein Vater kein Problem, weil er, weil er halt mir einfach vertraut hat, ja, was halt in seinem Land überhaupt nicht üblich ist” (Fall C: Zeile 395-403).

Dies findet die Interviewte nicht selbstverständlich, sie beschreibt die Probleme, die für die Tochter einer befreundeten Familie entstehen, wenn kulturelle Werte in dem Leben der Eltern weiterhin eine große Rolle spielen bzw. in einem fremden Land auf die Kinder projiziert werden. Die Freiheit, die sie durch das Leben in Deutschland gewonnen hat im Gegensatz zu den Einschränkungen von Frauen im Iran, bewertet sie als Vorteil, den sie durch das Aufwachsen in Deutschland

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hat. Ansonsten kann sie keine Vergleiche aufstellen, da sie bisher noch nie im Iran war und Urlaube in Tschechien nicht ausreichen, um ein Urteil zu fällen. „Beispiel, ist auch zum Beispiel mein bester Freund, der ist halb Pakistani halb Franzose, sprich sein Vater ist Pakistani, die Mutter Französin. Er hat auch noch ne Schwester und der Vater ist Diplom Ingenieur, also hat auch nen akademischen Beruf gelernt, ist aber, tut sich sehr schwer loszulassen, sprich ähm seine Tochter durfte auch zum Beispiel mit 17, 18 noch nicht auf Partys gehen, ja und wurde sehr sag ich jetzt mal eng gehalten (1 Sek.) und daraus resultierte dann auch halt, dass sie mit 19 ausgezogen ist, ja. Weil einfach ähm, sie gesagt hat, O.K. sie lebt in Deutschland und sie möchte so leben wie ihre Freunde und nicht immer ausgegliedert sein, ja. Also, wenn sie auf Kindergeburtstage wollte, äh sollte, dann äh musste der Vater vorher gefragt werden und da wurde auch festgelegt, wann sie zurück sein soll, ja. (1 Sek.) Auf Partys das Gleiche, wenn sie überhaupt gehen durfte, da musste sie immer ne Ausrede erfinden und das war halt bei mir gar nicht. Also ich konnte halt sagen: Papa ich geh heute oder Mama, ich geh heute auf ne Party, und dann war das in Ordnung, ja“ (Fall C: Zeile 403-418). „Einfach mehr Freiheit, würde ich jetzt sagen, ganz spontan ... . (Räuspert sich.) Auf das Leben allgemein. Das ich wirklich machen, tun und lassen konnte, was ich wollte ohne Anmeldung, ohne alles. Natürlich, klar, habe ich immer gesagt, O.K. ich gehe da und da hin und komme dann und dann, aber nicht, dass mein Vater jetzt mir mal verboten hätte, irgendwo hinzugehen, ja. Sprich auch so ins Freibad gehen, das war nie ein Problem bei uns“ (Fall C: Zeile 470-477).

Dass die Erziehung der Kinder eher westlich geprägt ist, wird beispielsweise auch bei der Frage nach der Beibehaltung der kulturellen Traditionen deutlich. Hier zeigt sich, dass iranische Feiertage nur in Verbindung mit Dritten zelebriert werden. Als Beispiel hierfür nennt die Frau N. das iranische Neujahrsfest Nourus, welches zusammen mit dem Onkel (Bruder des Vaters) gefeiert wurde. Die Kinder der Familie N. nahmen zwar an diesem Feiertag teil, das westliche Sylvester wurde aber nochmals gesondert gefeiert, da es für die Kinder das eigentliche Neujahr ist. Im Allgemeinen ist Frau N. weniger mit den kulturellen Traditionen der Herkunftskultur ihres Vater vertraut und vergleicht dies mit ihrer Cousine, deren Leben ohne muslimische Restriktionen, in den USA etwas iranisch gefärbt ist im Hinblick auf das Familienleben. Dies führt Frau N. darauf zurück, dass in dem Viertel (West-Berverly-Hills) in dem ihr Onkel und ihre Cousine leben, eine Vielzahl von Iranern heimisch sind. „Also mütterlicherseits gar nicht, väterlicherseits, mein Onkel, der jetzt verstorben ist, der hat halt immer Nourus gefeiert, das ist praktisch Neujahr, ja, äh (1 Sek.), weil er orthodox war, und das ist am 6. Januar, also haben wir praktisch immer zweimal, ähm, Sylvester praktisch gefeiert, ja. Wobei für uns Kinder, da kann ich auch im Namen meiner Brüder sprechen, immer unser Sylvester, sprich von 31. Dezember auf den 1. Januar, das Sylvester praktisch war. Bei dem anderen ist man halt mitgegangen, weil’s

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halt auch so ist, aber gut da kannte, da kennt man sich auch mit der Kultur nicht aus, und ... .“ (Fall C: Zeile 345-353). „Mhm. . (1 Sek.) Ja, ja, aber ... mhm ... ] Er hat viele iranische Freunde auch ja, in dem, also er wohnt in West-Beverly-Hills, ähm da gibt`s viele Iraner, man ist relativ unter sich auch ja und natürlich hat er auch amerikanische Freunde und alles, klar aber ähm ... . Er zum Beispiel seine Kultur unheimlich in Amerika, das heißt, die feiern Feste, da kommt die ganze Familie, da wird auch nicht gefragt, wann man kommt ... (2 Sek.) , er zelebriert diese Feste. Wie gesagt und ähm, ja. Er erzieht sein Kind sehr iranisch, ja seine Tochter. Jetzt nicht, dass sie jetzt hier diese muslimischen Einschränkungen hat, wie mit Kopftuch rumlaufen oder Sonstiges, aber er versucht schon viel weiterzugeben. Was auch, er spricht mit seinem Kind iranisch, ... .“ (Fall C: Zeile 529-539).

Im Großen und Ganzen zeichnet sich ab, dass innerhalb der Familie die iranische Mentalität die Familienphilosophie bestimmt und gleichzeitig die Anpassung bzw. Vermischung mit der Ankunftskultur bzw. der Herkunftskultur der Mutter erfolgt. Dementsprechend kann Frau N. kaum Unterschiede in den Wertvorstellungen zwischen sich und den Eltern lokalisieren. Sie empfindet die Wertvorstellungen ihrer Eltern positiv, aufgrund des Erziehungsstils, den sie als kosmopolitisch beschreibt und ihr ermöglicht Einblicke in unterschiedliche Kulturen zu bekommen. In dieser Form möchte sie dies später einmal an ihre Kinder weitergeben, bei denen aller Wahrscheinlichkeit eine italienische Komponente hinzukommt, aber nicht den Ton in der Erziehung angibt. „Hhm. Ich würde noch nicht mal sagen, dass es da große Abweichungen gibt, also ich wie gesagt, weil ich sehr kosmopolitisch erzogen worden bin und viel mitbekommen hab von beiden Kulturen, ähm was ich auch sehr finde. Weil man einfach so auch nen unheimlich großen Einblick hat, ähm werd’ ich das so auch an meine Kinder weitergeben, also wie meine wie meine Eltern es bei mir gemacht haben, ja. (2 Sek.) Sprich dass ich halt auch gucke, ich meine O.K. mein Freund ist jetzt wie gesagt auch Italiener, dieses ähm Italienische wird bei uns nie vorkommen, sprich, dass die Frau jetzt am Herd steht, dass man früh heiratet, dass man möglichst mit 19 schon zwei Kinder auf die Welt bringt, ja sowie’s halt früher war und so, woran sich so seine Eltern auch so ein bisschen festhalten, ja ... .“ (Fall C: Zeile 422-433).

Ein Leben in den Herkunftsländern ist für Frau N. nicht vorstellbar, da nach ihrer Auffassung ihre Wurzeln in Deutschland liegen. Dennoch würde sie gerne in den Iran reisen, trotz der zu befolgenden Kleidungsvorschriften, um die Wurzeln des Vaters kennen zu lernen, in die sie nur einen kleinen Einblick hat. Dass sie die Wurzeln ihres Vaters nicht kennen gelernt bzw. in ihrer Ursprungsform erfahren hat, empfindet Frau N. als nachteilig. Sie kennt den Iran nur aus Erzählungen sowie Dokumentarfilmen.

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„(Räuspern). (1 Sek.) bhm ja das ist halt eine andere Mentalität also ich habe halt eh Iran so mitbekommen. Also, ich war ja noch nicht da ich habe viel auf Fotos, Dokumentarfilmen gesehen ... .“ (Fall C: Zeile 76-78). „Würde ich aber sehr gerne hin, werde ich auch noch mal machen, definitiv, auch wenn ich da mit Tschador rumlaufen muss, aber allein um zu wissen, woher mein Vater kommt und ähm (1 Sek.), wirklich mal in dem Land selber zu sein. Tschechien nicht, nein. Und Iran, also leben könnte ich auch nicht. Ich würd`s besuchen, wie`s genauso wie Tschechien, ähm würd`s mir gern angucken, aber (1 Sek.) ähm, meine Wurzeln sind hier, ich bin hier geboren, und äh, das könnte ich nicht, “ (Fall C: Zeile 335341).

Frau N. verortet ihre Heimat eindeutig in Deutschland, da sie hier ihr soziales Umfeld hat und hier aufgewachsen ist, was zum Teil darauf basiert, dass sie den Iran nicht kennt und sie keinen Konsens mit der tschechischen Mentalität findet. bhnlich verhält sich dies bei ihrer Einstellung zu der deutschen Kultur, bei der sie die Engstirnigkeit und das Geplante nicht versteht, da dies im Kontrast zu ihrem Haushalt bzw. der gelebten Familienphilosophie steht. Das soziale Umfeld von Frau N. ist multikulturell bzw. setzt sich eher aus Südländern zusammen, die im Allgemeinen dem Ruf nach ähnliche Attribute haben, wie die von ihr skizzierte iranische Mentalität. Des Weiteren hat Frau N. zwei gute deutsche Freundinnen, die sie nicht als typisch Deutsch einordnet. „, also ich hab’ nen sehr großen Freundeskreis. (4 Sek.) bhm, viele Kulturen, Spanier, Italiener, Pakistaner, Franzosen, Holländer. (Räuspert sich.) Griechen, zwei sehr gute Freundinnen, deutsch, wobei ich sagen würde nicht typisch deutsch. Das heißt für mich, sehr gastfreundlich, sehr man kann auch immer auf sie zählen, ähm. Aber dass ich jetzt sage, dieses Reine, Typische deutsch, was für mich jetzt wäre, ich muss dich anrufen, bevor ich komme, ähm die, die, dieses Unspontane, gar nicht. Also die Freundin meines besten Freundes, der wie gesagt halb Pakistani, halb Franzose ist, ist rein Deutsch, ja ähm mit ihr komme ich gar nicht klar, ja. Weil es ist, ich ruf an, habt ihr Lust ’nen zu trinken zugehen, dann wird mir gesagt, ja ruf in ’ner halben Stunde an, ich muss mal drüber nachdenken. Und das finde ich halt lächerlich entweder man sagt O.K. klar ich hab’ Zeit, ich hab’ Lust oder man sagt nein, ich hab jetzt keine Lust oder keine Zeit, ja. (1 Sek.) ... . “ (Fall C: Zeile 595-610).

Auf die Frage, welche Eigenschaften Außenstehende als typisches Kulturmerkmal einer ihrer „Herkunftskulturen“ deklarieren, zählt sie Charaktereigenschaften (Hilfsbereitschaft, Spontanität, Gastfreundschaft) auf, die Personen an ihr schätzen und vertritt die Auffassung, dass das ihrer Meinung nach schwer einzuschätzen ist, da alle Kulturen ineinander übergreifen und eine klare Trennlinie nicht gezogen werden kann. Ihrer Auffassung nach besteht die Bezeichnung Deutsch nur auf dem Pass. Im Allgemeinen orientiert die Interviewte sich nicht an bestimmten Nationalitäten, sondern bei ihr sind verschiedene Kulturen wie ein Puzzle zusammengesetzt, aus den verschiedenen Nationalitäten sucht sie sich

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persönlich das Beste heraus und integriert dies in ihr Lebensmotto bzw. Ansichten. Dabei wird der deutsche Anteil nicht gänzlich abgelehnt, für sich hat sie die Zuverlässigkeit und die Pünktlichkeit übernommen. „. Auf] jeden Fall. Also wenn ich jetzt von mir ausgehe, kann ich wirklich aus ganzem Herzen sagen, ich bin in meinem Pass nur deutsch, aber ich hab’ wirklich diese kosmopolitische Erziehung genossen und diese verschiedenen Kulturen und nach den ich auch lebe. Also bei mir ist das auch sowie`s auch bei meinen Eltern war, es muss sich keiner anmelden, wenn er vorbei kommt, wenn meine Wohnung dreckig ist, ist meine Wohnung dreckig, ja zum Beispiel. Ich bin für meine Freunde da, dass wissen die auch genau das erwarte ich auch von ihnen. Spontan, hilfsbereit, auf jeden Fall, ja“ (Fall C: Zeile 618-626).

Fall D – Vito P. Der Proband ist Sohn italienischer Einwanderer und wurde in Gelnhausen geboren. Sein Vater immigrierte im Alter von 28 Jahren, um in Deutschland zu arbeiten. Seine Mutter reiste als Kind mit ihrer Mutter nach Deutschland ein. Die Eltern des Interviewten haben sich erst in Deutschland kennen gelernt. Zu dem Interviewzeitpunkt ist Herr P. 24 Jahre alt, hat in Deutschland seine Schulausbildung absolviert und ist heute ausgelernter Physiotherapeut. Als er die Bedeutung der Familie beschreiben soll, skizziert er sie mit den Attributen Zusammenhalt, Rückgrat und schreibt ihr eine Vorbereitungsrolle auf das Leben zu, die demonstriert wie das Leben gelebt wird. Die leben einem auch das Leben vor und geben einem auch Wegweiser fürs Leben mit. (Fall D: Zeile 3-4) Wobei er den Lebensentwurf seiner Eltern nicht fraglos übernimmt, sondern sich von diesem distanziert, ihn für sich abwandelt. „Ja, weil ich mich einfach nicht an diesen italienischen Traditionen oder Sachen, weil die mir selber nicht passen, die so (1 Sek.) beschreiben und vorleben wollen, das passt mir auch nicht so.“ (Fall D: Zeile 732-734) Alle Attribute, mit denen er die Bedeutung seiner Familie beschreibt, implizieren, dass die Familie in seinem Leben eine zentrale Rolle einnimmt. Seiner Definition nach umfasst die nähere Familie, seine Eltern, seine Brüder, Tanten und Onkel, an die er die Bedingung des zusammen aufgewachsen seins bzw. ständig in Kontakt seins knüpft, sodass er hier seinen Freunden, die er von Kind auf hat, einen Platz in seiner Familiendefinition einräumt. – Eine etwas abgewandelte Form einer Definition der so genannten Kernfamilie: „Die Familie umfasst mindestens zwei Generationen (Eltern bzw. Vater/Mutter und Kinder, auch ‚Kernfamilie‘ genannt) oder drei und mehr“ (Reinold et al 2000: 167-168). Damit verfolgt der Interviewte eine eher individualistische Auffassung von Familie, die dem westeuropäischen Vorbild entspricht, anstelle des eigentlich in

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Italien vorherrschenden kollektivistischen Begriffs von Familie. Weiterhin geht er auf die Verwandten ein, die er nicht wirklich kennt, sondern nur einmal im Jahr sieht, die seine Definition der näheren Familie nicht mit einschließt. In einer späteren Aussage setzt er diese mit Bekanntschaften gleich, aufgrund mangelnder Bezüge. „... aber ansonsten habe ich jetzt zu meinen Cousins und Cousinen dort, auch zu meinen Tanten eher ’ne weit also gut ähm na ja vielleicht eher gleichzustellen wie wenn man hier irgendwo eine Bekanntschaft macht. Also es wurd’ kam nie zu ’ner richtigen Beziehung. Wenn man zwar da ist, versteht man sich gut, man unterhält sich, man trifft sich, besucht die auch, aber das wird jetzt net so’ ne Beziehung.“(Fall D: Zeile 73-79). „... ich denk’ schon, wenn die anderen auch hier wären, dass der Kontakt dann viel anders wäre. Hätten wir als Kinder, die zweite Generation, sage ich mal haben ‚ne ganz andere Beziehung zu denen. Weil ich muss ehrlich sagen, das sind zwar meine Tanten, aber ähm, wenn man mit jemand nie etwas zu tun hat oder die nie wirklich mit denen gelebt hat oder aufgewachsen, dann hat man auch net so ne Beziehung zu einem, ne“ (Fall D: Zeile 113-119).

Diese Aussagen bzw. Vorstellungen von Familie decken sich auch mit den Antworten auf die Frage nach Familie und geografischer Trennung. Er kann zwar aufzählen, in welchen Ländern bzw. Teilen von Italien seine Verwandtschaft lebt (Norditalien, Rom, Sardinien, Kalabrien und eine Tante in Amerika), betont an anderer Stelle, dass er die Familie seiner Mutter in Italien gar nicht kennt. Hierbei ist davon auszugehen, dass er die Mitglieder der Familie mütterlicherseits, die in Italien lebt, wirklich nie getroffen hat. Einerseits, weil die Familie ihren Italienaufenthalt immer in das Dorf des Vaters verlegt, da die Familie dort ein Haus besitzt und andererseits, der Interviewte auch Kontakte angibt, die er einmal im Jahr mit Verwandten hat. „... ich muss auch dazu sagen, die Familie von meiner Mutter, die noch in Italien lebt, die kenne ich eigentlich überhaupt nicht“ (Fall D: Zeile 92-94). Aus seiner eigenen Definition von Familie resultierend und seinen Angaben nach, hat er persönlich keine direkten Erfahrungen mit Familie und geografischer Trennung gemacht, da die Verwandten, die in Italien leben, von dieser ausgeschlossen werden. „ ... Also ich persönlich hab’ damit jetzt nicht direkt Erfahrungen gemacht, weil meine Eltern und ähm meine Brüder wir sind alle zusammen hier in Deutschland groß geworden, meine Eltern haben eigentlich auch immer hier zusammengelebt“ (Fall D: Zeile 24-27). Aus Erzählungen des Vaters berichtet er aber über dessen Probleme, die aus dieser Konstellation entstehen können, dass der Vater beispielsweise Heimweh hatte, da seine Familie weiter in Italien gelebt hat und seine sozialen Kontakte in Deutschland nur aus Bekanntschaften bestanden haben. „... aber ich hab’ aus Erzählungen mitbekommen. Zum Beispiel mein Vater ist ja dann irgendwann mal nach Deutschland gekommen aufgrund von Arbeit, und ähm der hatte

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schon Heimweh auch zu seiner Familie und zu seinen Eltern, weil der war dann praktisch alleine hier und hat zwar Bekanntschaften hier gemacht ähm, aber hat doch immer Heimweh gehabt, so wie er das erzählt hat“ (Fall D: Zeile 27-33).

Dementsprechend besteht im Gegensatz zu seinen Eltern auch keinerlei geplanter, sondern nur zufälliger Kontakt mit den Verwandten in Italien, welcher entweder aus ankommenden Telefongesprächen besteht, die er zu Hause entgegennimmt oder aus Urlauben mit der Familie in Italien. „... also ich selber, ähm pflege eigentlich überhaupt keinen Kontakt zu meinen Verwandten in Italien“ (Fall D: Zeile 59-60). „Nee, außer wenn ich zufällig mal daheim bin und ans Telefon gehe ... .“(Fall D: Zeile 72-73) Bei seinen Eltern sieht die Kontaktintensität wie folgt aus: Die Eltern haben telefonischen Kontakt zu den Tanten in Genua und Sardinien, um Verwaltungsangelegenheiten für das Haus in Italien, das diese für die Familie verwalten zu klären. Eine höhere Kontaktintensität besteht zu der Tante in Genua. „Meine Eltern mhm, die ha’ m, die pflegen dann telefonischen Kontakt mit meiner Tante aus Genua besonders, aus Sardinien haben die auch na ja da haben se auch mal telefonisch Kontakt aber nicht sehr oft, höchstens zweimal im Jahr, weil die äh verwalten paar Sachen für unser Haus dort, da wird dann nur so was abgeklärt. Und mit der Tante aus Genua da bestehen also äh telefonieren zu Weihnachten, Ostern, zwischendrin mal zu Geburtstagen ja“ (Fall D: Zeile 64-70).

Aber des Weiteren scheint seine Familie keine intensiven Bindungen nach Italien zu führen, was an anderer Stelle nochmals betont wird. „Ja aber trotz allem sie jetzt so überhaupt keinen Kontakt, kein Schriftkontakt, kein Telefonat, aber wenn er dort ist und er trifft sich mit den Leuten, ..., aber net dass sie sich jetzt ständig telefonieren oder Briefkontakt halten, das ist nicht so“ (Fall D: Zeile 83-87). Eine mögliche Erklärung für den Probanden wird nach der Frage über den Familienzusammenhalt über nationalstaatliche Grenzen hinweg sichtbar; seiner Meinung nach ist die Kontaktintensität aufgrund der geografischen Distanz geringer geworden, welches auch Auswirkungen auf den Familienzusammenhalt seiner Eltern hat. „Eh, aber für meinen Vater denk’ ich mal schon dass da dann doch das der Abstand eher abgenommen hat (aus dem Text heraus expliziert müsste es an dieser Stelle zugenommen heißen), dass der Zusammenhalt, den sie vielleicht früher unter den Geschwistern hatten, dass der einfach verloren ist, weil die Geschwister von meinem Vater sind doch sehr verteilt, einmal in Genua viele sind aber jetzt schon verstorben, ja dass es bei dene dann doch eher auch der Zusammenhalt nicht mehr so ist, aber wenn’s drauf ankommt würde, glaub’ ich mit der einen Tante aus Genua, dass die sich da schon helfen“(Fall D: Zeile 94-101).

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Allerdings wird deutlich, dass der Zusammenhalt, in schwierigen Situationen zwischen den einzelnen Mitgliedern in der „Kernfamilie“ seines Vaters wieder gegeben ist, in Form von finanzieller Unterstützung beispielsweise. „... ja oder wenn jemand finanziell unterstützt werden müsste, dass die sich da gegenseitig helfen“ (Fall D: Zeile 103-104). Eine weitere Aussage die diese These stützt lässt sich bei der Aufzählung der Gründe für eine Rückreise der Familie nach Italien finden. Hier ist die Rede von Schicksalsschlägen, die auch eine Situation darstellen können, bei denen es auf den Zusammenhalt der Familie ankommt. „Also ähm, ja also Ereignisse waren ja zum Beispiel auch der Tod von meinem Opa, ja solche Ereignisse, Schicksalsschläge, wo die dann halt sofort hin mussten ... .“(Fall D: Zeile 156-158). Eine Beschreibung wie das Familienleben in Deutschland aussieht, stellt einen guten Kontrast bzw. einen Vergleich, zu dem Familieleben über nationalstaatliche Grenzen hinweg dar, einen qualitativen Unterschied. Zum einen muss hier nochmals hervorgehoben werden, dass sich das Familienleben des Probanden ausschließlich auf Gelnhausen und die nähere Umgebung bezieht. Hier wird mit der Familie zusammen Weihnachten gefeiert, er berichtet von Tanten und Onkel, die permanent im Kontakt zueinander stehen. „Die Geschwister also meine Tanten und Onkel, die jetzt hier zusammenleben, die sehen sich ja schon oft hier, also ich meine in Gelnhausen, da wohnen ja viele von meinen Tanten und die besuchen sich ja ständig, die wohnen nicht weit auseinander ... .“ (Fall D: Zeile 110-113).

Der Kontakt mit Verwandten in Italien, wenn die Familie in Deutschland ist, ist gering. Allerdings ändert sich die Kontaktintensität, wenn die Familie in Italien ist, um Urlaub zu machen, hier scheinen die Eltern ad hoc in das Sozialleben integriert auch außerhalb des Familienkreises zu sein, wobei sie am sozialen Leben in Deutschland kaum teilnehmen. „... aber wenn er dort ist und er trifft sich mit den Leuten, dann kennen die sich, sprechen, gehen was trinken, geh'n abends weg, ja das auf jeden Fall- ... .“(Fall D: Zeile 8486). „... ist ständig unterwegs, besucht alte Freunde, sucht die auf, weil der kennt da halt auch viel, weil das en kleines Dorf ist und viele, die in seinem Alter sind leben da auch noch und der halt da, der ist da halt groß geworden ... .“ (Fall D: Zeile 403-406).

Dass die Eltern am Sozialleben in Deutschland kaum teilhaben, führt der Interviewte einmal darauf zurück, dass seine Eltern sich in Deutschland unsicher fühlen, insbesondere weil sie die deutsche Sprache nicht so gut beherrschen. „Ja der Unterschied ist halt, wenn sie hier sind machen sie wenig ja, die ha'm auch weniger Lebensfreude oder wissen, überhaupt nicht wo sie hingehen können, ja, die würden nie von sich aus abends mal weggehen hier. Weil, die sich einfach ein bisschen, ob-

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wohl sie schon so lange hier leben, einfach hier sich unsicher fühlen. Einmal, weil sie die Sprache net gut können, ja nicht so gut ... .“(Fall D: Zeile 557-562).

Ein weiterer Aspekt, der für das Unwohlfühlen der Eltern in Deutschland, im Besonderen des Vaters, spricht, ist die komplette Wandlung der Eltern, wenn die Familie in ihrem Haus in Italien Urlaub macht. Zum anderen muss bei dieser Argumentation berücksichtigt werden, dass der Vater in Deutschland einer geregelten Arbeit nachgeht und mit der Schichtarbeit einen anderen Rhythmus (Tagesablauf) hat, wie wenn er in Italien seinen Urlaub verbringt; aber dennoch beeinflusst der Italienaufenthalt seinen Gemütszustand im Positiven. Folgende Belege in dem Interview decken sich mit dieser Annahme: „Ja auf jeden Fall ganz anders ganz anders“ (Fall D: Zeile 398). „Also ja zum Beispiel in Italien ist er immer extrem gut drauf ja, der ist viel aktiver, der äh auch überhaupt der hat halt hier oft Rückenschmerzen und mal hier Wehwehchen da, da hat er nie was, ja. Da ist der so richtig wie so’n junger frischer Fisch, ja ... .“ (Fall D: Zeile 400-403). „Aber einfach dieses positivere Denken auch wenn die dort sind, ja, einfach leichter leben in den Tag, das ha' m die hier halt nicht’ ansonsten an Gewohnheiten, o. k. die geh’n hier halt selten weg, aber die besuchen halt ihre Freunde, ihre Familien, Bekannte, die sie hier haben“ (Fall D: Zeile 550-554). „Die haben immer noch Heimweh sag ich mal, ja ähm, die freuen sich dann jedes Jahr, wenn s ‘e runterfahren können ja und die sind dann da auch die glücklichsten Menschen der Welt, die leben da auch erstmal, die gehen so aus sich raus aus“ (Fall D: Zeile 383386).

Ein weiterer Aspekt, der aus dem Interview herangezogen werden kann, für die Stützung des Unwohlseins der Eltern ist, dass sie in Deutschland auch überwiegend oder fast ausschließlich Kontakte mit Italienern pflegen und sich trotzdem erst in Italien um 180 Grad wenden. Feststellbar ist, dass die Heimat der Eltern eindeutig in Italien liegt. Dies deckt sich zum einen mit der Strategie des Vaters, in Deutschland zu arbeiten, um sich später in Italien eine bessere Zukunft aufbauen zu können. Des Weiteren wird in dem Interview berichtet, dass dies heute immer noch der Traum der Eltern, im Besonderen des Vaters ist, nach Italien zurückzukehren. Allerdings ist diese Strategie heute für die Familie aufgrund der Kinder, die in Deutschland geboren wurden und aufgewachsen sind, schwer einzulösen. Der Interviewte spricht bei diesem Bericht in der Wir-Form und schließt somit in seine Bekundung, dass die Zukunft in Deutschland liegt, dadurch, dass sie in Deutschland aufgewachsen sind, seine Brüder mit ein. Zum anderen würden die Eltern heute nicht mehr nach Italien remigrieren, da sie zu sehr an ihre Kinder in Deutschland gebunden sind, somit der Abstand durch die geografische Trennung zu groß würde und zum anderen, da ein kleinerer Bruder noch seinen Schulabschluss in Deutschland absolvieren soll. Die Eltern haben ihre Strategie abgewandelt und

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planen im Rentenalter zwischen Deutschland und Italien zu pendeln und scheinen einen Kompromiss einzugehen. „Ja also sein Traum, der ist also pfh schon so, dass er gerne wieder zurückgehen würde, aber dadurch, dass er ja hier uns hat, ähm (1 Sek.) und von uns keiner zurückgehen will, weil wir einfach hier groß geworden sind und unsere Zukunft hier aufbau’n, werden die nie alleine da zurückgehen, weil die dann einfach an uns gebunden sind. Und dann wär’ der Abstand zu groß zu uns und das machen die net“ (Fall D: Zeile 138-144). „Also ich könnt’ mir schon vorstellen, das die dann, dass sagen die auch, wenn mein Vater in Rente ist, dass sie dann dort mehrere Monate am Stück leben würden und dann immer mal so hin und her pendeln. Aber komplett dort, aber auch, weil ich ja noch ein’, kleinen Bruder hab, der erst elf ist und der ja noch komplett die Schule fertig machen muss, das ist ha auch schon mal en Grund, wo die weil die hier bleiben noch mehr“ (Fall D: Zeile 147-153).

Im Gegensatz zu den Eltern wie oben bereits angedeutet sieht der Interviewte seine Zukunft eindeutig in Deutschland, da dies sein Heimatland ist und der Bezug zu Italien komplett fehlt, weil er in Deutschland aufgewachsen ist und Italien nur aus dem Urlaub kennt. „Nee, überhaupt net, ich hab’ ja auch nicht so den Bezug zu Italien, muss ich ehrlich sagen, ja. Ich war da immer nur im Urlaub jedes Jahr in den Sommerferien, das war auch ganz schön, ich hab’ jetzt net so den Bezug dazu, ich fühle mich eigentlich hier in Deutschland zu Hause, deswegen fehlt mir da auch nichts ... .“(Fall D: Zeile 373-377).

Ein weiteres Indiz, dass er Italien nur als Urlaubsziel betrachtet, ist, dass er persönlich seit vier Jahren nicht mehr in der Heimat seiner Eltern war und das einzig Schöne, was er an Italien finden kann, ist, dass es dort länger warm ist. „... das Einzigste, was da schön ist, dass es länger warm ist (lacht), aber sonst, mir würd’ ich war ja die letzten vier Jahre auch nicht mehr dort“ (Fall D: Zeile 506-507). „... ja einfach äh (1 Sek.) also ich vermiss dann hier schon die Umgebung, meine Freunde, die hier sind, ähm meine Hobbys- da sich das alles hier bei mir abspielt. Einfach auch die Umgebung, ja, einfach zu wissen Deutschland (lacht) einfach das einfach man hat das, wie wenn jemand anderes Heimweh in sein Land hat, aufgrund der Tatsache, weil da die Freunde, die Geschwister, ja und das fehlt mir dann – also ich muss jetzt auch sagen ich war nie lange in Italien, also das allerhöchsten waren am sechs Wochen am Stück“ (Fall D: 516-523).

Weitere Aussagen, die indizieren, dass Deutschland seine Heimat ist, sind die Vergleiche, die er mit Verwandten in Italien und sich ziehen soll. Seine Ausführungen implizieren, dass er Deutschland positiver betrachtet als Italien sowie das Leben dort. Wobei er an anderer Stelle die Lebensfreude der Italiener anhand eines Beispiels im Supermarkt mit der freundlichen Atmosphäre skizziert. „... oder

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das da halt in den Einkaufsmärkten, geht viel freundlicher zu wie hier und viel lockerer, ja. Da wird man schon mal begrüßt, Hallo-Wie geht’s, wie kann ich dir helfen- und so ja. Net so dieses auf Abstand, das ist da dann schon lockerer mit den Kunden“ (Fall D: Zeile 582-586). Die Familie verfolgt ihre familiären Traditionen in Deutschland weiter, zum einen wird überwiegend italienisch gekocht, zum anderen wird versucht, so weit es geht anstehende Familienfeste traditionell zu feiern, heute scheint es allerdings für die Eltern schwieriger geworden zu sein, Feste traditionell zu gestalten. Dies wird zum einen dadurch deutlich, dass der Interviewte immer, wenn er von familiären Traditionen spricht das Wort früher verwendet – somit kann hier ein Wandel der familiären Traditionen lokalisiert werden. Zum anderen kann dies daran liegen, dass einige Familienmitglieder nicht mehr zu Hause bei den Eltern wohnen, zum anderen kann eine Begründung in der zunehmenden Selbstständigkeit und eigenen Lebensvorstellungen ihrer Kinder liegen. „... bei uns daheim wird schon viel italienisch gekocht und ähm (1 Sek.) wird auch so war eigentlich doch so, wo wir alle noch zu Hause waren, dass mir dann um 12 Uhr Mittag zu Hause gegessen ha’ m. Wie viele Italiener das auch in Italien machen, also um 12 Uhr, man sagt dann „Amezzo Journo“ zum Mittag nach Hause zum Pasta-Essen kommen ... .“ (Fall D: Zeile 169-174).

Die einzige Familientradition, die bis heute beibehalten wurde und an den Glauben gekoppelt ist, ist Fisch an Heiligabend zu essen. Den Berichten nach wurde das Weihnachtsfest früher in der Kindheit nach dem traditionellen italienischen Verständnis in Deutschland gefeiert. „Also ganz früher war das so, dass wir uns dann in Gelnhausen, da wo jetzt viele von uns wohnen, dass wir uns da zusammengesetzt haben, bei einem, ha’ m dann, alle zusammengefeiert, das hat sich dann auch mit den Jahren ein bisschen verloren, das jeder, jede Familie praktisch für sich und vielleicht dann erst am ersten Feiertag oder Zweiten, das man sich dann bei jemanden trifft zum Mittag- und Abendessen. Aber das war früher auch viel intensiver alles, da hat man sich dann wirklich an Heiligabend bei der Oma getroffen und dann kamen alle Tanten, Onkel mit Kindern, da wurd’ wirklich richtig zusammengefeiert. Und des ging dann auch über den ersten und zweiten Feiertag, dann war man bei verschiedenen Leuten zu Hause. Das ist so das Italienische. Das hat sich aber auch verloren ja, ja dann sind halt die Kinder alle größer geworden, ... .“ (Fall D: Zeile 186-198). „Ja, ja, ja jeder eigentlich mit seinen Eltern und das war’s, da gibt es nicht mehr die riesen Familienfeiern wie früher“ (Fall D: Zeile 202-203).

Schon bei der Erzählung über die Hochzeiten seiner beiden Brüder wird deutlich, dass sich die Familie auf Kompromisse bezüglich ihrer Traditionen einlassen muss. Die Hochzeit des jüngeren Bruders, der eine Italienerin geheiratet hat, wurde im italienischen Stil gestaltet, die Herr P. mit den Attributen pompös, viel

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Essen und viele Hochzeitsgäste beschreibt – groß eben und von den Eltern des Brautpaares mitgeplant sowie mitfinanziert. „... und da] war das auch schon zum Beispiel bei der Hochzeit, bei meinem jüngeren Bruder, da war die Hochzeit so, dass die Eltern viel mitgemischt haben, beiderseits meine Eltern und auch die Eltern von ihrer Familie ... .Und dies ist zum Beispiel auch das typische Italienische- das beispielsweise, wenn eine Hochzeit ansteht, dass beide Familienteile die Hochzeit mitplanen, teilweise so gut es geht mitfinanzieren, ja, was eigentlich hier in Deutschland nicht üblich ist“ (Fall D: Zeile 314-321).

Bei der Hochzeit seines älteren Bruders mit einer deutschen Frau wurde das Hochzeitsfest eher im deutschen Stil ausgerichtet. „Bei meinem anderen Bruder war das halt so, dass die die Hochzeit selber organisiert haben ja. ... Hier heiratet man und man finanziert sich die Hochzeit selber, und plant die, macht hier eigentlich alles selber und in Italien, ist es eigentlich schon so, dass die Familien mehr Einfluss auf die Hochzeit haben“ (Fall D: Zeile 317-324). Den Aussagen nach gab es bei der Vorstellung über die Hochzeitsplanung seines älteren Bruders keine Probleme mit den Eltern, da das Paar schon lange zusammen war, aber in seinen Ausführungen betont Herr P., dass es im Vorfeld, zu Anfangszeiten der Beziehung einige Probleme mit der Mutter gab, da sie persönliche Probleme mit der Liierung hatte. „... das sind da halt zwei Mentalitäten, die aufeinander treffen. Sie war so die Deutsche ruhige zurückhaltende, bei uns ist es doch eher so diese (1 Sek.) laute ähm offene, damit kann auch nicht jeder und deswegen gab es dann so, ja so Kleinigkeiten dann auch einfach (1 Sek.) Streit kam zustande – dann aber auch von der Einstellung einfach, ja“ (Fall D: Zeile 333-338).

Diese Probleme richteten sich nicht persönlich gegen die Freundin, sondern allgemein gegen die Vorstellungen und Ansichten einer modernen Frau, da dies nicht den Vorstellungen der Mutter entsprach. „Und dann war das ja auch sodass die von Anfang an Probleme hatten untereinander, Konflikte, weil einfach, ähm (1Sek.) vieles von vorneherein net so gelaufen ist, wie meine Mutter sich das so vorstellt. Die war schon mal älter ja, dann ähm kommt sie auch net so mit der Einstellung der modernen Frau so zurecht allgemein bezogen, egal jetzt welche ... .“ (Fall D: Zeile 288-292).

Im Umkehrschluss war es für die Freundin des Bruders auch nicht einfach mit der Einstellung der Mutter zurechtzukommen. „... aber umgekehrt genauso für die Susanne, die kommt aus ner, ja ich sag mal, die hat nur mit Deutschen zu tun und net so viele Ausländer als Freunde, für die war das genauso schwer, jetzt muss sie, sie nimmt praktisch meiner Mutter den Sohn weg. Ja, und

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damit muss sie auch erst mal zu Recht kommen. Das ist sodass die italienischen Mütter sehr an ihren Söhnen hängen und kleben“ (Fall D: Zeile 300-305).

Wobei sie hingegen keine Probleme mit dem jüngeren Bruder und dessen italienischer Freundin bestanden, da sie den klassischen italienischen „Weg“ wählten und dies konform mit der Einstellung der Mutter war. „... der hat einfach dieses Klischee dieses Klassische einfach gemacht, der hat sich ne Italienerin, der ist mit einer Italienerin zusammengekommen und dann klassisch, verliebt, verlobt, verheiratet, leben jetzt erst zusammen und haben jetzt erst auch ihr eigenes Leben, ja, die konnten nicht bevor die geheiratet sind, nicht allein’ weg, da musste immer ein Bruder mit, von ihrerseits aus ja ... . “ (Fall D: Zeile 271-276).

Der Mutter fällt es schwer sich auf etwas Neues einzustellen, da sie immer noch an ihren Wertvorstellungen festhält, dies zeigt sich zum einen an der Argumentation, warum es mit der italienischen Freundin keine Konfrontationen gab. Nach Angaben des Interviewten wurde sowieso früher nur unter Landsleuten geheiratet. „, also ich sach’ mal so, früher war das ja schon so, dass die Italiener eigentlich nur unter Italienern geheiratet haben. Ja, da hat sich ein Mann, ’ne italienischer Mann ne’ italienische Frau, weil er dann genauso wusste er hat so’ n Hausmütterchen ... . “(Fall D: Zeile 254-256). „... und bei meinem Bruder beispielsweise der Italienerin, da kannte meine Mutter schon die Familien (1Sek.) und äh und > (2 Sek.) ja da kommt man aus einer italienischen Familie, da kannte man sich, weil die Italiener, ich sag’ mal kennen sich in Gelnhausen untereinander. Das war das schon Mal, die wusste, auf was sie sich einlässt, ob, wer da auf sie zukommt ... . Weil man sich ja mehr oder weniger kennt und das war dann für meine Mutter doch schwer, dass sie sich auf einmal auf jemand anderes einstellen musst“ (Fall D: Zeile 292-300).

Zum anderen zeigt sich dies an den Vergleichen, welche die Mutter zieht. Wenn die Söhne Mädchen geworden wären, hätten sie die gleiche Erziehung wie die Mutter zu ihrer Kindheit bekommen, mit dem Schema verlieben, verloben, heiraten, zusammenziehen, Kinder kriegen. „Also, wenn wir Mädchen gewesen wären, dann hätten wir ne viel strengere Erziehung gehabt wie als Jungs. Das ist ja so dieses Klischee das so bei Italienerinnen, die aus dem Süden kommen, so eigentlich eher zu ’ner Hausfrau erzogen werden, dass sie nicht alleine weggehen dürfen, so war’s’ ganz streng bei meiner Mutter, das ist heut’ auch nicht mehr so, aber die so ist zum Beispiel großgezogen“ (Fall D: Zeile 213-219). „Ja, auf jeden Fall, die zieht auch immer noch Vergleiche“ (Fall D: Zeile 224).

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Obwohl dieses typische Klischee in Italien auch nicht mehr gilt und die Eltern das aus dem Fernsehen mitbekommen haben, hat sich ihre Einstellung nicht gewandelt, resultierend aus der italienischen Erziehung der Eltern, einer Grundeinstellung, die sie mit auf den Weg bekommen haben, sowie aus dem Zusammenleben mit Italienern in Deutschland stammt. „Weil meine Eltern, die sind ja äh italienisch aufgewachsen, mein Vater war das erste Mal mit 28 hier, meine Mutter die ähm war dann zwar zehn, aber die haben trotzdem mit vielen Italienern zusammengelebt“ (Fall D: Zeile 210-213). „Ja also] ich würde mal sagen meine Eltern haben da so eine Grundeinstellung dazu und die ist geblieben. Auch wenn jetzt, die haben ja auch italienisches Fernsehen, die sehen ja auch wie die Leute dort leben und kriegen das mit, aber des is’ bei denen, ich sag mal die kommen beide aus einer sehr altmodischen katholischen Familie und da war das halt so, da haben die so’ne Grundstein gesetzt bekommen, der ist halt geblieben, ja, wobei die natürlich auch mal rechts und links mal geguckt haben, aber für sie bleibt das Altmodische“ (Fall D: Zeile 239-246).

Schlussfolgernd ist in diesem Abschnitt festzustellen, dass die Eltern gerne an ihren Wertvorstellungen festhalten, es aber bezüglich ihrer Söhne nicht schaffen, sie konsequent durchzuhalten, was sich einerseits an dem Bruder mit der deutschen Frau zeigt und andererseits an dem Interviewten, der die Einstellungen seiner Eltern auch nicht teilt. Einen weiteren Hinweis darauf, dass sich der traditionelle Lebensentwurf nicht automatisch auf die Kinder überträgt, demonstriert die Zukunftsplanung des Interviewten, dass das klassische Klischee, das sein jüngerer Brüder verfolgt hat, für ihn auf keinen Fall in Frage kommt. „... und ähm ich würde mit für mich persönlich gilt diese italienische Tradition in keiner Hinsicht, also für mich ist das unvorstellbar, dass ich mich mit einer Italienerin zu verloben, dann zu heiraten so schnell wie möglich und dann eine Familie aufbauen, ja, des (1 Sek.) ne überhaupt net“ (Fall D: Zeile 260-264).

Begründet wird die von den Eltern abweichende Einstellung, dadurch, dass er in Deutschland aufgewachsen ist, vor allem mit Deutschen, dass er eine andere Sichtweise resultierend aus Einblicken wie auch ein anderes Lebensgefühl bekommen hat, und dies schon von der Kindheit an, sodass die familiären Traditionen sowie die Nationalität in den Hintergrund treten. Letztlich hat er zwei Welten kennengelernt, einmal das traditionelle innerhalb seiner Kindheit, in der die Familienfeste traditionell ausgerichtet wurden und durch die Kontakte mit NichtItalienern seit Kindesbeinen an andere Einblicke in seinem Leben außerhalb der Familie. Eine Erfahrung, die seine Eltern nicht teilen können, da sie sich in Deutschland fast ausschließlich im Kreis von Italienern bewegen und kaum an anderen sozialen Aktivitäten außerhalb dieses Kreises partizipieren. Das macht ihn im Gegensatz zu seinen Eltern weltoffener.

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„Das Einzigste ich mein’ was ich sagen würde, dass ich im Gegensatz zu meinen Eltern viel weltoffener bin, früher war das so da waren die Italiener hier und die ganzen Italiener, die sich kannte, die haben sich auch praktisch unter sich gehalten. Die hatten wenig deutsche Freunde, was ja bei mir anders ist, ich bin ja eher mit Deutschen aufgewachsen“ (Fall D: Zeile 354-359). „Ich mein’ wir sind ja hier in Deutschland groß geworden und auch mit vielen Deutschen zusammengewachsen, groß gewachsen, im Kindergarten, da kriegt man schon mal andere Einblicke mit und einfach auch ‚'en anderes Lifestyle“ (Fall D: Zeile 256-259). „Und ähm bei mir ähm, ich bin da ganz anders, ich bin da viel offener, lockerer, bei mir muss es auch keine Italienerin sein, ich mach das keine Nationalitäten irgendwie“ (Fall D: Zeile 276-278).

Mit dieser Aussage zieht er auch noch mal eine Abgrenzung zu seinem Bruder, der das klassische italienische Klischee verfolgt hat und weist an anderer Stelle darauf hin, dass alle Brüder verschiedene Einstellungen verfolgen. Demnach kann Ursache für die Verschiedenheit der Brüder nicht die Erziehung der Eltern gewesen sein. „Ja, also ich meine wir sind schon alle sehr unterschiedlich ... .“ (Fall D: Zeile 268). In dem ganzen Interviewabschnitt wird deutlich, dass die Eltern größtenteils andere Wertvorstellungen teilen, aber es macht den Anschein, dass ihre Kinder dennoch Verständnis dafür aufbringen, da immer wieder unterschwellig argumentiert wird, dass es die Eltern nicht leicht haben, es nicht anders kennen und sie auf ihre Eltern somit auch einen Schritt zugehen, sich mit ihnen arrangieren. Dies lässt sich zum Beispiel anhand der Sprache demonstrieren. Der Gebrauch der Sprache ist situationsabhängig, jedoch wird mit den Eltern aufgrund der besseren Verständigung italienisch gesprochen, während die Brüder untereinander eine Mischung aus Deutsch und Italienisch sprechen. Ansonsten ist der Gebrauch der Sprache abhängig von den Gästen, die sich im Haus der Familie aufhalten, allerdings wird oft in die italienische Sprache zurückgefallen. „Also wirklich situationsabhängig, aber so mit meinen Eltern überwiegend schon italienisch, weil die beide nicht unbedingt so gut die Sprache können“ (Fall D: Zeile 456-458). Ein weiteres Indiz zeigt sich bei der Auswahl des Fernsehprogramms, die zu Hause wegen des besseren Verständnisses auf das italienische Programm fällt, obwohl Herr P. selbst Defizite bezüglich der italienischen Sprache festgestellt hat und deshalb außer Haus eher die deutschen Programme sowie Nachrichten verfolgt. „Also ich hab’ auch nicht so mit den italienischen Tageszeitungen oder italienischen News, jetzt überhaupt nichts zu tun, ich würd’ jetzt nie freiwillig ’ne oder was heißt freiwillig nie ne italienische Zeitung kaufen. Ich muss aber auch dazu sagen ähm, dass ich halt die deutsche Sprache und Schrift und Artikel besser auf Deutsch versteh’ als auf Italienisch. Das hab’ ich bei mir selber gemerkt, dass ich da Defizite hab’ einfach deswegen (1 Sek.) nee hab’ das auch noch nie gemacht, das war bei uns irgendwie nicht

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üblich, dass meine Eltern italienische Zeitung gelesen haben zu Hause“ (Fall D: Zeile 471-479).

Im folgenden Interviewabschnitt wird deutlich, dass er die italienischen Eigenschaften, die er von der Kultur seiner Eltern mitbekommen hat, nicht vollkommen abgelegt hat. „... dieses typische Italienische was ich halt auch noch hab’ ist vielleicht, das halt mit den Händen reden ja, LAUT reden, schnelles reden, laut sein, das ist schon das typische Italienische“ (Fall D: Zeile 598-600). „Ja, was auch typisch italienisch ist, die Gastfreundlichkeit, immer wenn jemand zu uns nach Hause kommt, der kriegt dann erst mal alles auf den Tisch gestellt, ’en Kaffee, in Italien ist das ja ganz typisch, wenn man Gäste hat, dass man denen Espresso anbietet, bevor man denen überhaupt Wasser anbietet und das ist so wie hier, wenn man jemand ein Glas Wasser oder Limo anbietet, bietet man in Italien immer Espresso an, dass haben die hier alle noch, dass man das so weiter leben und dann äh Plätzchen und Sonstiges hinstellen und ähm dieses tausend Mal nachfragen, willst du noch was, fehlt dir noch was, hast du noch Hunger, des ist so typisch italienisch“ (Fall D: Zeile 609-618).

Er hat einige kulturspezifischen Merkmale beibehalten, wobei hier noch mal eine Abgrenzung zu seinen Brüdern vorgenommen wird, die er als italienischer einstuft. Dies macht er zum einen an dem Umgang seiner Brüder mit ihren Frauen fest und zum anderen daran, dass sie Goldkettchen tragen, welches er als typisches italienisches Merkmal identifiziert. „Ne, also was ich überhaupt was typisch italienisch wäre für Italiener, wenn ich Goldkettchen tragen würde und so Goldarmbändchen, ja das ist diese typische italienische Merkmale“ (Fall D: Zeile 601-604). „Meine Brüder sind auch schon typischer italienisch, das fängt schon damit an, meine Brüder tragen diese Goldkettchen, ja und die haben auch schon ein bisschen gegenüber ihren Frauen immer so den bestimmenden Ton, den italienische Männer an sich haben ... . Ja auch, wenn man manchmal, die reden halt von ihren Einstellungen, dann entspricht das doch eher diesen italienischen Einstellungen. Man sag’ zum Beispiel Frau Kind daheim und das sind schon so“ (Fall D: Zeile 718-725).

Interessant dabei ist, dass er die typischen italienischen Eigenschaften gemäß dem italienischen Stereotypen in Deutschland beschreibt und gleichzeitig aber auch seine deutschen Eigenschaften nach dem Stereotyp eines Deutschen konstruiert, die bei ihm aus der Pünktlichkeit besteht. „Ja Pünktlichkeit ist bei mir ganz typisch, das ha’m meine Brüder jetzt beispielsweise nicht so“ (Fall D: Zeile 624-625). „Ja dass ich einfach vor der Zeit, zehn Minuten schon da bin (lacht) zum Beispiel, wenn ich irgendwo mit jemand verabredet bin oder auf die Arbeit ... .“ (Fall D: Zeile 627-629).

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Andererseits muss hierbei beachtet werden, dass er das nicht so genau definieren kann, da er eher mit Deutschen befreundet ist und Italiener ihm eher sagen könnten, was typisch deutsch ist. In Italien werden er und seine Brüder im Gegensatz zu den Eltern als Deutsche bezeichnet, sozusagen als Ausländer betrachtet. „Nee, das wird dann schon eher als Deutscher. Das ha’m die auch früher immer gesagt, wenn wir mit den Kindern dort gespielt haben, ah die Deutschen sind wieder da ... . Da werden wir schon als Deutscher abgestempelt, als ob man was besseres is’ und mehr Geld hat, weil man aus Deutschland kommt, das denken die Leute ... .“ (Fall D: Zeile 646-652). „Und bei ihren Eltern? Das ist das eher nicht so (1 Sek.), nee, aber bei uns war, das war immer die (il tedesca) die Deutschen kommen“ (Fall D: Zeile 655-657).

Im Gegensatz zu den Problemen in Italien wurde er in Deutschland nie als Ausländer eingestuft, was ihm die Zuordnung zu Deutschland durch den mangelnden Bezug zu Italien einfacher macht. „Wie gesagt, ich bin halt hier groß geworden, ich fühl mich hier wohl, ich wurd’ hier nie ähm diskriminiert oder als Ausländer gesehen oder mit dem Finger auf mir gezeigt. Da war eigentlich immer da, wo ich war, war ich immer auch integriert in den Gruppen oder bei den Leuten. Hab’ viele deutsche Freunde und fühl’ mich einfach hier, weil ich hier geboren worden bin, hier groß geworden bin, einfach hier dazugehöre“ (Fall D: Zeile 670-676).

Mit der Erfahrung, die er in Deutschland und Italien als Kind gemacht hat, fällt es ihm leichter, Deutschland eindeutig als seine Heimat zu betrachten, wobei die Heimat seiner Eltern immer Italien zu bleiben scheint. Die Frage, welcher Nationalität er sich zuordnet oder wie er sich selbst beschreiben würde, gestaltet sich schwierig. Er beschreibt sich selbst als Mischung, sagt aber, dass er laut Pass Italiener ist. „>, also ich mein ja, wenn ich so jetzt mal überlegen würde. Also ich bin halt ein Italiener, der in Deutschland lebt, dass ich auch viele deutsche Eigenschaften angenommen hab’, trotzdem leb’ ich schon, ja ne Deutsch, also ich bin auch nicht typisch deutsch ja (1 Sek.) dazu habe ich auch zu viele italienische Eigenschaften in mir“ (Fall D: Zeile 683-687). „Ich bin einfach ’ne Mischung aus beidem, wobei ich mich hier wohl fühle ... ja ’ne gute Mischung wahrscheinlich ... .“ (Fall D: Zeile 705-709).

Nach der Frage, wie ihn seine Brüder sehen, kommt er zu demselben Schluss, obwohl sie ihn wohl eher ein bisschen mehr in Richtung Deutsch einstufen würden, da er sich weiter als sie von der italienischen Kultur entfremdet hat. Interessant ist, dass er seine Familie im Gesamten eindeutig und ziemlich spontan als

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italienisch bezeichnet, begründet mit der Herkunft der Eltern und den damit zusammenhängenden Einstellungen. „Ja meine Familie, würd’ ich dann schon sagen aus Italien“ (Fall D: Zeile 712). „Ja, weil meine Familie wie eben bereits gesagt schon doch sehr fest eingefahren italienisch sind“ (Fall D: Zeile 714-715). Somit kann aufgrund der spontanen Antwort die vage Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Familie einen Pol der zweifelsfreien Zugehörigkeit bildet. Denn er persönlich hat, wie sich im Verlauf der Analyse gezeigt hat, nur sehr wenig Bezug zu dem Heimatland seiner Eltern sowie zu den dort lebenden Verwandten. Auch wenn in der Familie verschiedene Weltanschauungen oder Einstellungen existieren, wird Verständnis dafür aufgebracht und sich ein eigener Weg gesucht, was nicht unbedingt zu Konflikten führt. Aufgrund dieser Tatsache kann gefolgert werden, dass er zwischen den beiden Kulturen übersetzt. Einerseits, da er es schafft, sich in die Lage seiner Eltern hineinzuversetzen und andererseits in Deutschland ein völlig normales Leben als „Nicht-Ausländer“ führt, der er nach seinen Kindheitserfahrungen in Italien eindeutig ist. Die Eltern scheinen zwar mit den Jahren ihre Traditionen etwas gelockert zu haben, fühlen sich aber dennoch in Deutschland unwohl und sehnen sich nach Italien zurück; ein Lebensentwurf, der vollkommen gegen den des Befragten verläuft.

Fall E – Brian O. Brian O. ist zu dem Zeitpunkt des Interviews 29 Jahre alt, kam im Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland. Er besitzt die britische Staatsbürgerschaft und ist mit einer gebürtigen Tschechin verheiratet. Beide haben zusammen eine sechs Monate alte Tochter. Nach dem Realschulabschluss machte Herr O. sich als Gastronom selbstständig und führt zusammen mit seinem Schwiegervater ein böhmisches Restaurant. Sein Haushalt besteht aus drei Personen, die permanent in Deutschland leben. Bei der Bedeutung von Familie differenziert Herr O. anhand der Kontakthäufigkeit und der Kontaktqualität. Für Herr O. persönlich gibt es zum einen die erweiterte Familie bestehend aus entfernten Verwandten und Großeltern, die weiterhin in England leben mit denen keine regelmäßigen Face-to-face Interaktionen zustande kommen. „Familie. . Familie hat für mich eigentlich zwei Bedeutungen. Es gibt äh meine, meine Familie, die ich in England habe, dass heißt äh entfernte Verwandte oder Großeltern all so was, die ich nicht regelmäßig zu Gesicht bekomme. Dann gibt’s die Familie für mich, die hier in Deutschland wohnt, die ich permanent um mich habe, also wie jetzt meine Frau, mein meine Tochter, meine Eltern, die Eltern von meiner Frau. Das ist für mich ein Unterschied“ (Fall E: Zeile 04-11).

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Durch die mangelnde Präsenz sind die Familienmitglieder der erweiterten Familie vergleichbar mit sehr guten Bekannten, obwohl Familie ein Verbundenheitsgefühl generiert. Zum anderen seine engere Familie, die sich durch die ihm nahe stehenden Personen konstituiert wird und permanent gegenwärtig bzw. anwesend ist, dadurch, dass sie vor Ort lebt. Diesen engeren Kreis der Familie assoziiert Herr O. mit einem Geborgenheitsgefühl, welches durch das „aufeinander gegenseitig verlassen können“ erzeugt wird und diese Personen wissen, wie es um sein Gefühlsleben steht. Eine zentrale Bedeutung in seinem Leben hat die engere Familie, in den Augen von Herrn O., seine Kernfamilie (Frau, Tochter) sowie die Herkunftsfamilie (Eltern), inklusive die Herkunftsfamilie seiner Frau (Schwiegereltern). „Genau, also engere Beziehung wie jetzt zu der Familie, die jetzt nicht hier wohnt, also das ist es halt eher ähm so das sind, das sind ähm vergleichbar vielleicht mit n’em Gefühl, wie man’s bei sehr guten Bekannten hat, nur dass die halt schon bisschen enger miteinander verbunden sind, weil halt auch ja Familie is’“ (Fall E: Zeile 18-22). „Äh, ja bei der engeren Familie ist einfach nen Geborgenheitsgefühl sag’ ich mal, wo man weiß, da sind Leute auf die man sich verlassen kann. Ähm, da sind Leute, die immer für einen da sind, da sind Leute die äh (1 Sek.) zum Teil auch wissen was in mir vorgeht ... .“ (Fall E: Zeile 12-16).

Durch diese Differenzierung zwischen erweiterter und engerer Familie verfolgt der Interviewte eine eher individualistische Auffassung von Familie, die in westlich geprägten Ländern vorherrschend ist. Die engere Familie nimmt für den Interviewten einen zentralen Stellenwert in seinem Leben ein, während die Kontakte zu der so genannten erweiterten Familie mit der Zeit verblassen und der Kontakt zu ihnen über Dritte, d. h. den Eltern aufrechterhalten wird. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die persönliche Definition von Familie differenziert zwischen engerer und erweiterter Familie, d. h. sie relativiert wird anhand der Anwesenheit und Abwesenheit der Familienmitglieder. Dementsprechend führt die geografische Dislozierung zur Differenzierung innerhalb der Familie, da die Verstreuung der einzelnen Familienmitglieder das Familienleben im herkömmlichen Sinne komplizierter gestaltet. „Nee, im Gegenteil im Gegenteil, ich find’s ich find’s schwieriger, wenn die Familie über mehrere Länder verstreut ist, ich mein klar, wenn man jetzt jemanden hat, mit dem man nicht so gut auskommt ist das vielleicht ein Vorteil. Aber so prinzipiell hat man doch zu der Familie doch ein engeres Verhältnis wie jetzt zu irgendwelchen anderen Leuten. Wenn man dann von der von der Familie getrennt ist, ist das ein bisschen komplizierter. Meiner Meinung nach, (1 Sek.) also manche Leute, die man vielleicht lieber mal öfter wiedersehen würde, wie es einem möglich ist“ (Fall E: Zeile 52-60).

Die erweiterte Familie von Herrn O. wohnt bis auf eine Cousine, die in den USA lebt, in England; die erweiterte Familie seiner Frau in der Tschechischen Repu-

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blik während lediglich die Kernfamilie (Eltern) der Eheleute jeweils Deutschland zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht haben.2 Das bestehende Verbundenheitsgefühl zur Familie seinerseits ist verantwortlich für die auftretenden Komplikationen, die aus Faktoren resultieren, die durch die geografische Trennung bzw. der Distanz zwischen den Wohnorten zum Tragen kommen. Ein entscheidender Faktor, der Einfluss nimmt auf die Bindung bzw. das Familienleben zwischen engerer und erweiterter Familie, ist die nicht vorhandene Option spontaner Besuche. Aufenthalte im Herkunftsland erfordern nach Ansicht von Herrn O. ausreichend finanzielle Ressourcen, die derzeitig durch das gemeinsame Kind nicht gegeben sind. „Teilweise gar nicht mehr, also es ist wirklich dass das ziemlich abgeschnitten ist leider Gottes. Äh, wir waren jetzt auch aufgrund dessen dass wir meine Tochter, relativ frisch geboren ist und dass wir keine finanziellen Möglichkeiten hatten, sehr in England ...“ (Fall E: Zeile 72-75). „An deren finanziellen Mitteln, an der Zeiteinteilung von denen, ich weiß nicht also eine Ahnung, bei uns ist es halt so, wir sind von da aus weggezogen und nicht die die wohnen schon ewig da und äh sind immer am gleichen Fleck in Grunde genommen... .“ (Fall E: Zeile 117-120).

Des Weiteren erfordern die Familienbesuche einen Planungsaufwand, durch die Eingebundenheit in den Beruf und variiert je nach Länge des Aufenthalts. Nach Angaben des Herrn O. werden Kurztrips zur Familie nicht in Betracht gezogen, da es sein persönlicher Anspruch ist, während der Englandbesuche die komplette Familie zu sehen. Direkte Interaktionen zwischen dem Interviewten mit seiner erweiterten Familie werden dahingehend erschwert, dass in der Familie die Meinung vorherrscht, dass diejenigen, die das Land verlassen haben für Besuche zurückkehren müssen und nicht die „Daheimgebliebenen“ nach Deutschland reisen müssen. „Ja, auf jeden Fall, (1 Sek.) auf jeden Fall, weil allein von der her es würde dann erheblich einfacher man kann jetzt zum Beispiel ja einfach mal am Wochenende sagen O.K. ich fahr mal Tante und Onkel besuchen, funktioniert halt wenn die im Ausland leben nicht so, weil man erst mal gucken muss O.K. Äh ich bin so und so lange da, ja weil ich will ja wenn dann auch die ganze Familie besuchen und nicht nur mal nen Tag rüber und wieder zurück dann muss man halt schon gucken und entsprechend ist es wäre es dann auch viel interessanter einfach mal zu sagen O.K. wir gehen mal Tante und Onkel und gerade jetzt mit der Kleinen“ (Fall E: Zeile 126-135). 2

„Äh, also meine Cousine wohnen jetzt zum Beispiel in Amerika und äh wohnen Teile von meiner Frau ihrer Familie in Prag in der Tschechisch, in der Tschechischen Republik, meine Großmutter wohnt in Dorbishire England und Ähm ja der Rest der Familie oder der erweiterten Familie in in England größtenteils meinerseits, in der Tschechischen Republik von meiner Frau auch und hier sind es nur meine meine Eltern, die hier wohnen also in Deutschland“ (Fall E: Zeile 63-69).

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Im Großen und Ganzen ist der persönliche Kontakt des Interviewten aus diesen benannten Gründen zu seiner erweiterten Familie abgebrochen bzw. eingeschlafen, da seiner Auffassung nach Briefkontakte (E-Mails usw.) diese direkten Interaktionen nicht kompensieren können und dementsprechend wenig Motivation für den Einsatz von Kommunikationsmedien zwecks Kontaktaufrechterhaltung besteht. „... dass man da versucht die auch mal zu besuchen, weil ein reiner Schriftverkehr taugt meiner Meinung nach auch nicht so wirklich viel ... . “ (Fall E: Zeile 105-107).

Die einzige Person in England, zu der gelegentlich telefonischer Kontakt besteht, ist seine Großmutter, die derzeitig gesundheitliche Probleme hat. „Ab und zu mit der Oma, weil der Oma geht’s jetzt inzwischen auch nicht mehr so gut und äh da telefonieren, da telefonieren wir, also mein Bruder, mein Vater meine Mutter“ (Fall E: Zeile 89-91).

Überwiegend erfolgt von der Seite des Herrn O. kaum ein Mitteleinsatz zur Überbrückung der Distanz, dies wird von seinen Eltern übernommen; im Besonderen sein Vater, da er eine intensivere Bindung zur Familie hat, weil er einen ausgedehnteren Lebensabschnitt in England verbrachte. Informationen über das Wohlergehen seiner erweiterten Familie in England bezieht Herr O. genauso wie seine Frau über Dritte bzw. seinen Vater. „Also, die Verbindungen in beide Länder sowohl England als auch äh die der Tschechischen Republik sind von den Schwiegereltern oder von meinen Eltern gegeben. Also jetzt nicht von uns persönlich“ (Fall E: Zeile 138-140). „Ja, das kriegt man dann über die Eltern oder Schwiegereltern mit, weil die sind, da viel schneller und haben eher nen Draht zu sag ich mal, wie jetzt wir. Aber das kriegt man dann relativ zügig mit ... .“ (Fall E: Zeile 469-471).

Die Kontaktintensität der Eltern mit England ist höher als bei dem Interviewten selbst. Die Eltern des Interviewten, wie auch seine Schwiegereltern übernehmen die Kontaktpflege mit den Familienmitgliedern im Heimatland; diese findet in Form von regelmäßigen Besuchen im Herkunftsland, Telefonaten und via E-Mail statt. „Mein Vater hat halt’ ne größere Beziehung zu England, weil er viel länger in England gewohnt hat von in seinem Leben, wie jetzt äh ich. Auf der anderen Seite telefonieren jetzt zum Beispiel auch die Schwiegereltern sehr viel mehr mit der Tschechei wie jetzt meine Frau also daher ist dann schon ... .“ (Fall E: Zeile 91-96). „... Ähm dann wird halt gefragt wie geht’s ihr ist alles in Ordnung und na und auf der anderen Seite der der Schwiegervater telefoniert auch relativ häufig. Mein Vater ist eher mit seiner Familie über E-Mail in Kontakt ja und mein Schwiegervater eher über Tele-

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fon, weil er auch die neuen Medien nicht so gut beherrscht wie mein Vater ... .“ (Fall E: Zeile 477-482).

Im Allgemeinen zeichnet sich ab, dass die Kontakte zur Familie während der Kindheit durch gemeinsame Besuche in England ausgeprägter waren, dort wurde beispielsweise das Familienfest Weihnachten in England gefeiert und heute durch sein eigenständiges Leben verblasst sind. „Äh, wenn wir besuchen gehen, dann ist es meistens äh aufgrund dessen wie es früher war in den Schulferien, also wenn wir früher immer in den Schulferien rübergefahren sind und entsprechend wir das so weiterbehalten haben mehr so Herbst oder äh Frühling (hustet) (1 Sek.) ab und zu auch mal Sommer“ (Fall E: Zeile 193-198). „Ja das ist es ja, man muss halt praktisch sehen, dass man vielleicht einmal im Jahr oder so zur Familie kommt. Ansonsten verläuft das praktisch so’n bisschen, dass man dass man ÄH mit der erweiterten Familie, also so nenne ich das was jetzt halt alles im Ausland lebt einfach mal, da muss man halt gucken, dass man da versucht die auch mal zu besuchen ... .“ (Fall E: Zeile 101-106).

Im Großen und Ganzen scheint der Zusammenhalt innerhalb der Familie über die geografische Distanz seitens der Eltern im Notfall gegeben zu sein bzw. wird das Unterstützungssystem „Familie“ aktiviert, wie anhand des Kümmerns um die in England lebende Großmutter deutlich wird. Dieses Handeln führt der Interviewte auf die intensive Bindung zwischen den Involvierten zurück, bei dem dann die räumliche Distanz keine Rolle mehr spielt. Dies wäre für ihn so in Bezug auf seine Eltern ebenfalls gültig. „Nee, einmal im Jahr, einmal im Jahr. Bei meinem Eltern gut aufgrund meiner Oma ein bisschen öfter bisschen sequenzieller aber ansonsten auch einmal alle 2 Jahre oder. Ach ja versuchen schon jedes Jahr rüberzugehen zumindest so lange die Oma wohnt danach weiß ich nicht die Oma lebt. Was danach ist, weiß ich nicht, weil sie die letzte der letzte Teil der Großeltern ist im Grunde genommen und wenn die mal nicht da ist dann weiß ich nicht, wie oft wir da noch rüberfahren werden, weil dann fehlt ja auch der direkte Bezug, also der der Bezug zwischen Eltern und Kindern ist viel enger viel äh intensiver wie jetzt zwischen Großeltern und Enkeln zum Beispiel äh Cousinen und Cousins oder Onkel und Tanten und Nichten, Nichten oder Neffen (1 Sek.), wenn es den Vater man hat ja die meiste Zeit seines Lebens mit Vater und Mutter verbracht oder nicht die meiste Zeit seines Lebens eine gewisse Zeit seines eigenen Lebens. Das ist der Bezug dann viel eher gegeben ... .“ (Fall E: Zeile 503-517). „In der engeren Familie ja, also dass heißt wie gesagt wenn ja jetzt Eltern, Großeltern diese Beziehung, weil was ja Kinder und Eltern sind im Grunde genommen, aber was jetzt wenn’s jetzt um ja Schwestern oder Brüder von den Eltern geht, dann ist es oder Schwiegereltern das ist eher ein bisschen , ja klar da wird ein bisschen unterstützt, wird geguckt ob man nicht irgendetwas machen kann aber jetzt nicht so in der Form,

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dass man da gleich hineilen würde. Zwischen Eltern und Kindern oder Eltern und Großeltern ist die Bindung eben viel enger als ... .“ (Fall E: Zeile 523-531). „Und, wie ist es zum Beispiel irgendetwas Schlimmes passieren würde und sich gleich in den Flieger setzt und... . B: Ja, bei beiden. Bei sowohl Schwiegereltern als auch Eltern aber jetzt nicht bei uns bei uns eher nicht so. Ja, weil wir auch nicht mehr den engen Bezug haben zur Familie, wie die Schwiegereltern oder Eltern ... .“ (Fall E: Zeile 483-488).

Der letzte persönliche Kontakt des Interviewten mit der erweiterten Familie fand bei seiner Hochzeit in Prag statt, für die sowohl seine erweiterte Herkunftsfamilie als auch seine Kernfamilie und die neue „Wahlfamilie“ nach Prag reiste. Demnach scheint die Familie durchaus zu besonderen Anlässen zusammenzutreffen. „Das letzte Mal wo ich die gesehen habe, das war zur Hochzeit 2002“ (Fall E: Zeile 7778). „Wir waren alle in Prag, also wir haben in Prag geheiratet und da kamen auch sehr viele der englischen Familie eben rüber. Da haben wir uns halt getroffen. A: Und die Familie von Ihrer Frau dann noch ... . B: Genau. Die tschechische Seite ihrer Familie, n’en paar deutsche Freunde waren noch mit dabei, alles was an Familie in Deutschland wohnt und äh ja ein sehr großer Teil der der englischen Familie auch ... .“ (Fall E: Zeile 80-86).

Die Motivation der Eltern für die Verlegung ihres Lebensmittelpunktes nach Deutschland war ein Jobangebot, das der Vater von einem großen Elektrokonzern bekam. Ihre Entscheidung nach Deutschland zu immigrieren wurde zusätzlich durch die allgemeine Unzufriedenheit der Eltern mit der Politik des eigenen Landes erleichtert. Der Vater bildete sozusagen die Vorhut und suchte eine Wohnung für seine Kernfamilie, damit diese ebenfalls nach Deutschland immigrieren konnte. „Die Arbeit ja. Mein Vater hat hier ein Jobangebot gekriegt von nem größeren Elektrokonzern und er ist Elektroingenieur. Also von da her hat er gesagt O.K. gut. Wir fahren einfach mal nach Deutschland. Gucken uns dann an bzw. er ist vorgefahren, hat sich das angeschaut, hat ne Wohnung gefunden. Dann sind wir rüber ... . Hat auch was mit der Politik zu tun, also wir waren relativ unzufrieden mit den politischen Gegebenheiten in England zu der Zeit ... . Genau, das hat einfach] gepasst und fertig“ (Fall E: Zeile 147157).

Nach den Aussagen des Herrn O. hat sich durch den Umzug nach Deutschland am Familienalltag nichts verändert, da die Familie vorher zusammen in einem eigenen Haushalt in England lebte und nicht mehr bei den Großeltern – der Haushalt wurde demnach nur von einem Ort an einen anderen verlegt. „Bevor wir ja, bevor wir hier rüber gezogen sind] waren ja meine Eltern nicht mehr bei meinen äh Großeltern sesshaft oder wohnhaft von daher hat sich da nichts geändert. Al-

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so, wir haben äh in unserer Familie genauso weitergemacht wie vorher auch im Grunde genommen. Das Einzige, kann ich kann ich nich’ sagen. Da hat sich nichts geändert, nee“ (Fall E: Zeile 560-565).

Die britischen Traditionen wurden im Großen und Ganzen von der Familie beibehalten und soll in dieser Art auch an die Tochter von Herrn O. weitergegeben werden sowie die tschechischen Traditionen. Das Hauptaugenmerk wird bei dem Kind nicht auf deutsche Traditionen gelegt, da es die ohne Einsatz der Eltern durch das Aufwachsen in Deutschland erlernt. Das Weihnachtsfest wird beispielsweise im britischen Sinne weiterhin am 25. Dezember gefeiert mit dem Teil der Herkunftsfamilie von Herrn O., die in Deutschland lebt und ebenfalls der 24. Dezember mit der tschechischen Herkunftsfamilie seiner Ehefrau. „Nee das Kind, das Kind wird mit englischen und tschechischen Traditionen aufwachsen. Die deutschen Traditionen lernt’s so oder so. Die da braucht es nicht das Zutun von uns ... Die kriegt’s ja eh mit. Also wie jetzt Ostern Eier verstecken und so weiter gut das machen wir auch ja. Weil das gehört einfach mit zur Kindheit. Denk’ ich mir mal. (Lacht.) Das wird ja auch in England so gehandhabt. (1 Sek.) Aber prinzipiell wird das wird das jetzt keine, ich meine das Weihnachtsfest wird weiterhin sowohl am 24. als auch am 25. gefeiert, weil es halt in der Tschechei zum Beispiel am 24. gefeiert wird und am 25. in England“ (Fall E: Zeile 343-353).

Ansonsten stuft der Interviewte die Beibehaltung von Traditionen als wichtig ein, ein Indiz ist zum einen die Weitergabe der Traditionen an seine Tochter und zum anderen die eigenständige Auseinandersetzung mit Tradition in Form des Nachlesens. Bezüglich der strikten Einhaltung von Traditionen bzw. traditionellen Feiertagen müssen aber in Deutschland zum Teil Abstriche gemacht werden, da die Modalitäten nicht gegeben sind. Als Beispiel nennt er den so genannten Guy Fawkes Day, der ähnlich zelebriert, wird wie Sylvester in Deutschland und es zu dem Zeitpunkt keine Möglichkeiten gibt in Deutschland Raketen zu kaufen. In dem Vergleich den Herr O. zwischen seiner britischen Herkunftsfamilie und der tschechischen Wahlfamilie zieht, kommt er zu dem Schluss, dass seine Familie traditionsbewusster lebt. „Also es gibt äh unterschiedliche traditionelle Feste in England und auch in der Tschechei. Die jetzt alle aufzuzählen würde, jetzt, glaub’ ich auch, ein bisschen den Rahmen sprengen, aber ÄH einige werden davon noch weiter beibehalten, wie jetzt gerade das Weihnachtsfest zum Beispiel, weil das ein sehr enges Familienfest ist aber jetzt zum Beispiel Guy Fawkes Day ist äh in England eigentlich so, wird gefeiert wie Silvester in Deutschland also mit viel Krachern usw. Guy Fawkes Day gibt’s keine Raketen und Kracher zu kaufen hier in Deutschland. Also sind so auch die Möglichkeit gar nicht gegeben. die meisten Feste was die tschechische Seite der Familie angeht ähm klappen nicht mehr so, nicht mehr weil einfach auch in der in der Familie der Schwie-

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gereltern äh da nicht so nicht so das das nicht so ein Traditionsbewusstheit gepflegt wird wie jetzt in meiner Familie“ (Fall E: Zeile 207-219).

Die Eltern haben, wie bereits erwähnt, ihre kulturellen Normen und Wertvorstellungen durch das Leben in Deutschland nicht verändert. Die Erziehung der Eltern war nach den Angaben des Herrn O. britisch geprägt zum einen in Bezug auf die Manieren und zum anderen auf die Kindergeschichten. Die einzige Veränderung, die Herr O. bezüglich seiner Eltern lokalisieren kann, ist eine Meinungsänderung über England, die im Verlauf der Jahre von den Eltern wieder positiver geworden ist. Auffällig ist, dass der Interviewte angibt, dass sich seine Eltern während der ganzen Zeit, auch in der sich mit der politischen Situation nicht zufrieden waren, als Briten gefühlt haben. „Nein, was die Erziehung angeht auf keinem Fall. Wir sind schon traditionell englisch erzogen worden, mein Bruder und ich (2 Sek.). (1 Sek.) Also die die Werte, ähm man muss vielleicht ein bisschen differenzieren zwischen äh dem traditionellen Gedankengut sag’ ich mal und von Büchern, von Kindergeschichten von Erziehung und so weiter ist beibehalten worden. Was jetzt aber die Ansichten angeht in Bezug auf das Land selber und die Einstellungen zum Land selber hat sich geändert ja aber jetzt nicht so in der Form das es notwendigerweise schlechter geworden ist, sondern eigentlich besser, wir sind ja her gekommen auf Grund, dessen das wir so unzufrieden waren und inzwischen ist es halt sodass sie sagen ja gut wir wohnen halt in Deutschland, aber äh eigentlich sind wir immer noch Briten oder Engländer“ (Fall E: Zeile 231-243). „. (2 Sek.). Nee gut, der Grund dass wir hier rüber gezogen sind ist eigentlich ist schon mal ein Beispiel, weil äh (1 Sek.) wir im ersten Augenblick dem Land gegenüber keine besonders große Meinung hatten und dann später sich im Laufe der Zeit sich halt die Meinung so bisschen beruhigt hat wieder also Gemütsverfassung bezüglich der Meinung im eigenen Land. Ansonsten die Traditionen gut, das halt typisch englisch im Grunde genommen ähm das war halt ähm auf bestimmte Werte Rücksicht ähm genommen die die in anderen Ländern nicht so nicht so im Vordergrund stehen. ... . (1 Sek.) Na ja also, man legt in England extrem Wert auf Manieren, auf Manierlichkeit, auf (1 Sek.) auf Pünktlichkeit, äh das sind jetzt einfach mal zwei Beispiele“ (Fall E: Zeile 246-258).

Entsprechend der Erziehung variieren seine Wertvorstellungen und die seiner Eltern, nur im Bezug auf die Einstellung zu Großbritannien. Im Allgemeinen verfügt der Interviewte über ein starkes Verbundenheitsgefühl zu seinem Heimatland, ist aber im Vergleich mit seinen Eltern England positiver gegenüber eingestellt, da er die politische Komponente ausklammert. Die Eltern haben eine negativere Einstellung als ihr Sohn wegen der Politik in ihrem Land, für die sich der Interviewte generell nicht interessiert, da er weder in Deutschland noch in England wählen darf bzw. keine Eigeninitiative für beispielsweise eine Briefwahl ergreift. Herr O. gibt an, sich in England einfach nur Wohlzufühlen, die Landschaft zu mögen und mit den Menschen dort auf einer Wellenlänge zu liegen.

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„Ja, ich bin eigentlich äh pro britischer wie meine Eltern, also ich hab, ich hab immer noch (2 Sek.) eine sehr stark eine sehr starke Bindung in der Form, dass ich ÄH das Land einfach mag, gerne hab’, aber ansonsten vari variieren die nicht so viel. Meine Eltern (1 Sek.), also ich seh’ das nun in den meisten Fällen ähnlich oder genauso ... . Politik interessiert mich nicht ... . Also das hat nichts mit Politik, sondern ich mag das Land wie es ist. Die Leute sind nett, das Land ist schön, man da ist sehr viel Grün, sehr viel Wiesen, wen weniger Wälder äh viele Tiere Schafe, Kühe alles mögliche was man sich vorstellen kann, was so auf dem Land lebt und ich bin Wir kommen halt mehr vom Land, also gerad gerade äh, wenn wir bei meiner Mutter in der Nähe sind, sehr viel Land, sehr viel Grün wunderschöne Gegenden halt“ (Fall E: Zeile 265-279). „Mit fünf kann man nicht wählen (lacht) auch in England nicht und von daher interessiert einen dann auch die eigen eigene Politik im eigenen Land nicht so und hier in Deutschland dadurch, dass ich nicht wählen kann, als Ausländer interessiert mich is’ hier halt auch wenig“ (Fall E: Zeile 286-289).

Trotz der anscheinend überaus positiven Einstellung zu Großbritannien besitzt Herr O. ambivalente Gefühle bezüglich einem erneuten Leben in England. Je länger der Aufenthalt in Deutschland oder vielmehr in einem fremden Land andauert desto weniger ist eine Rückkehr in das Heimatland vorstellbar (durch die einsetzende Entfremdung). Auf einen Versuch käme es ihm an und würde sich im Falle des Scheiterns die Option offen halten nach Deutschland zurückzukehren. Herr O. meint, dass die Entscheidung bzw. Vorstellbarkeit über ein erneutes Leben in England, abhängig ist von seiner Gemütsverfassung und der allgemeinen Lage in Deutschland. „. (1 Sek.) Ja also es kommt immer darauf an, wie man gerade drauf ist (lacht) wie auch gerade die Gegebenheiten in Deutschland sind, also vorstellen kann ich mir inzwischen nicht mehr so sehr wie früher sag’ ich mal, weil äh man einfach so lange da draußen ist, man weiß halt nicht mehr genau und ich bin jetzt seit 24 Jahren hier in Deutschland. Ich bin jetzt 29 Jahre alt, ich hab’ fast mein ganzes Leben in Deutschland gewohnt. Dementsprechend ist es halt ein bisschen schwierig sich dann noch vorzustellen wieder zurück in das eigene Land zu [ kommen ... .“ (Fall E: Zeile 160-168). „Man sagt höh. Theoretisch wäre es vielleicht gar nicht mal so schlecht das einfach mal auszuprobieren und irgendwann wieder“ (Fall E: Zeile 175-177).

An anderer Stelle gibt der Interviewte an, dass das jeweilige Aufenthaltsland nicht maßgebend ist, sondern das soziale Umfeld, im Besonderen der Kreis der Familie wichtig ist. Das Aufenthaltsland ist Nebensache, die Familie spielt die Hauptrolle, denn diese würde er vermissen, wenn er in einem anderen Land leben würde. Persönlich ist ihm das Land, in dem er lebt, egal, so lange das nähere Umfeld vor Ort wäre, vorteilhaft würde sich seiner Meinung nach allerdings auswirken, wenn einer der beiden Ehepartner die Landessprache beherrscht.

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„Das ist eine sehr gute Frage (lacht). Was würde ich an Deutschland vermissen (lacht). Ich weiß gar nicht ob ich irgendetwas vermissen würde also, äh wenn ich jetzt mit der kompletten Familie da wohnen würde, dann würde ich glaube ich nix vermissen, außer Freunden und Bekannten und so was ja, aber ansonsten (1 Sek.) nix ... . Also nein, mir ist eigentlich immer relativ egal, wo ich gerade bin. Bei mir halt der Vorteil. Klar die Freunde, ja Freunde und Verwandte, wenn die alle mit in England wohnen würde, dann wäre mir egal ... . Genau, dann wäre mir aber auch egal ob ich in Frankreich oder sonst wo wohne. Da gibt’s nix, was ich jetzt an einem bestimmten Land irgendwie, ja klar, wenn alles in England wäre, dann wär dann wär das auch schön“ (Fall E: Zeile 534548). „Es würde es einfacher machen, weil dann zumindest einer die Sprache perfekt beherrschen würde“ (Fall E: Zeile 685-686). „Zum Beispiel. Ja, weil zumindest einer dann einen Vorteil hat, wobei es in England mehr Sinn machen würde, weil Tschechisch wird hier in den Schulen nicht gelehrt, Englisch aber schon. Mehr Englisch als Tschechische, (2 Sek.) wobei wiederum ich Sprachen leichter lerne“ (Fall E: Zeile 694-697).

Als Vorteil gegenüber seiner Eltern, in Deutschland aufgewachsen zu sein, thematisiert Herr O. die Zweisprachigkeit und das akzentfreie Sprechen der deutschen Sprache. Im Gegenzug haben die Eltern eine bessere Sprachkompetenz in ihrer Muttersprache, sein Sprachdefizit bezüglich des englischen Vokabulars, welches dazu führt, dass er in England eher als Deutscher gesehen wird. Nachteile hat das Aufwachsen in Deutschland im Großen und Ganzen keine, vielleicht höchstens auf die Art und Weise der Traditionspflege, die aber durch die Eltern vermittelt wurde und sich Herr O. zum Teil selbst aneignete. Als der Interviewte die Unterschiede zwischen Verwandten im Herkunftsland und sich lokalisieren soll, thematisiert er indirekt Nachteile und unterstreicht damit nochmals seine positive Sichtweise Englands. Es existieren minimale kulturelle Unterschiede im Hinblick auf Einstellungen, die nach Meinung des Interviewten aus dem direkten Leben in England resultieren und dort „anerzogen“ werden, bspw. Anerziehung des Kleidungsstils durch das Tragen der Schuluniform in der Schule. In diesem Zusammenhang bezeichnet Herr O. das englische Schulsystem als förderlicher. Des Weiteren stuft der Interviewte die in England vorherrschende „Hire and Fire“ – Mentalität als positiven Einfluss auf die berufliche Weiterentwicklung einzelner ein, da die beruflichen Chancen seiner Meinung nach in Deutschland durch die enge betriebliche Bindung minimiert werden. „Ja, also klar. Ich sprech’ zwei Sprachen, die sprechen nur eine in der Regel also paar davon ein paar von den von den äh die England wohnen sprechen auch ne andere Sprache, wie jetzt Französisch zum Beispiel. Aber (1 Sek.) ansonsten . Ja gibt’s da bisschen kulturelle Unterschiede gibt’s schon in der in der Einstellung zu manchen Sachen ... . Wie jetzt zum Beispiel Frauen die Röcke tragen in England. In der Regel ist es so, dass Frauen Röcke tragen. Die Tragen hier sehr selten. Ja, gut ’ne Jeans weil es einfach von der Schule aus. In England gibt’s halt noch die Schuluniform zum

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Beispiel. Und da äh muss man halt jeden Tag nen Rock anziehen, sag’ ich mal oder man ist halt auch äh ja (1 Sek.) gezwungen sag’ ich mal irgendwo in dieser Art sich zu bewegen sag ich mal. Bisschen blöd ausgedrückt ... .“ (Fall E: Zeile 359-372). „Oder auch die Art der Schule. In England ist es so, dass die Schule bis drei vier Uhr nachmittags geht immer und in den ersten Jahren werden keine Hausaufgaben aufgegeben jetzt zum Beispiel. Also es fängt erst ab der siebten achten Klasse an mit Hausaufgaben, davor gibt’s keine ... . Ich glaube, dass das Englische bisschen mehr Früchte trägt wie das Deutsche, aber das wissen wir ja nicht erst seit der Pisa-Studie (beide lachen). Von daher. In England ist es aber auch so, dass man eh sich beruflich erheblich besser weiterentwickeln kann, weil äh man da schneller gefeuert wird und schneller auch wieder aufgenommen wird, also die Fluktuation innerhalb eines Betriebes ist viel höher als wie hier in Deutschland. In Deutschland gibt es halt immer noch Leute, die hocken seit keine Ahnung wie lang in einer Firma und haben trotzdem nichts geschafft sag’ ich mal“ (Fall E: Zeile 374-389).

Der Sprachgebrauch innerhalb der Familie des Herrn O. ist zum einen abhängig von der Situation und zum anderen von dem jeweiligen Kommunikationspartner. Die gemeinsame Kommunikationsgrundlage zwischen den Eheleuten ist deutsch, während sie jeweils mit ihrer Herkunftsfamilie, die Muttersprache der Eltern verwenden. Die Eltern hingegen sprechen mit dem Partner des anderen jeweils auch deutsch und nur selten ihre Muttersprache. Anzumerken ist, dass der Interviewte je nach dem Grad der Gereiztheit und dem Kommunikationspartner auf allen drei Sprachen flucht, beispielsweise mit seinen Angestellten im Restaurant auf Tschechisch, während er in den alltäglichen Situationen, wenn er leicht gereizt ist eher die englische Sprache benutzt. Die Strategie der Eltern (Herrn und Frau O.) ist es, ihre Tochter dreisprachig aufwachsen zu lassen, wobei momentan der Fokus auf der deutschen Sprache liegt, da diese auch die Kommunikationsgrundlage zwischen den Eltern ist. „Kommt darauf an wer grad da ist. Genau ich sprech mit meiner Frau deutsch. Mit meinen Schwiegereltern sprech’ ich deutsch aber meine Frau tschechisch. Mit meinen Eltern spreche ich englisch und meine Eltern sprechen mit meiner Frau deutsch oder englisch. Das ist unterschiedlich dann“ (Fall E: Zeile 419-423). „Meistens zwei- oder dreisprachig, sogar. (Beide lachen). Kommt immer darauf an, mit wem ich gerade schimpfe oder worüber ich gerade schimpfe ... . Ja. Ja wie gesagt, mit wem ich gerade schimpfe, wenn ich gerade mit irgendwelchen Mitarbeitern schimpfe, die aus Tschechien kommen dann schimpfe ich mal auf Tschechisch, mal auf Deutsch also, wenn ich richtig sauer bin, dann ist es meist deutsch ... . Ja. Englisch, englische Wörter werden eher dann benutzt, wenn man nicht ganz so arg sauer ist. (Beide lachen). bisschen ja durcheinander manchmal“ (Fall E: Zeile 426-439). „Dreisprachig ... . Genau. Also tschechisch, deutsch, englisch, wobei im Moment noch das Hauptaugenmerk eigentlich auf deutsch liegt ... . Weil mit meiner Frau deutsch spreche. Das ist der einzige Grund. Also (beide lachen). Ansonsten würde sie anderssprachig aufwachsen, weil wir wissen beide, dass man in jungen Jahren brauch’, ich das

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nicht zu Hause sprechen, irgendwo mit irgendjemand spiele, dann werden die alle äh engli äh deutsch sprechen“ (Fall E: Zeile 318-327).

Die Nachrichtenrezeption des Interviewten verläuft überwiegend auf der Basis des Internets und nur zum Teil über das Fernsehen oder der Zeitung ab. Die Sprache, auf die dabei zurückgegriffen wird, richtet sich nach dem Zweck. Allgemeine Nachrichten werden auf Deutsch konsumiert, für spezifische Informationen werden englische oder amerikanische Internetseiten verwendet. Wenn bei der allgemeinen Nachrichtenrezeption über Gebiete berichtet wird, in denen Verwandte leben, wird diese detaillierter verfolgt und sind mit einem kleinen Schock verbunden, da man im ersten Moment keine Informationen über das Wohlergehen der erweiterten Familie vorliegen. „Meist Internet ... . Bisschen Fernsehen noch und ab und zu mal’ ne Zeitung“ (Fall E: Zeile 442-444). „Meist deutsch, es sei denn, ich will mich wirklich jetzt über irgendwas Bestimmtes informieren dann mach dann gehe ich auf eine englische Seite oder amerikanische Seite oder was auch immer. Aber englisch oder deutsch bei mir. Auf jeden Fall“ (Fall E: Zeile 448-451). „In Bezug auf England ja. In Bezug auf der Tschechei auch, aber jetzt zum Beispiel die Verwandten, die jetzt in Amerika wohnen, wo ja jetzt auch ein bisschen was los war in letzter Zeit auch aber jetzt nicht so extrem sag’ ich mal. Man guckt halt in einem Gebiet, wo jetzt keiner von uns wohnt, dann interessiert es einen nicht so. Aber wenn man wenn man sieht oh Moment ( ... ) Yorkshire und Darwishare dann schon bisschen mit nem Schock verbunden. Oder wie Prag, in Prag war jetzt die Flut gewesen ähm ha’m wir auch geguckt ob es einem von uns betrifft oder nicht ... .“ (Fall E: Zeile 455-463).

Im Allgemeinen lässt sich festhalten, dass der Interviewte sich selbst als britisch bezeichnet, wobei er in Groȕbritannien aufgrund der Probleme mit dem englischen Vokabular als Deutscher angesehen wird. Unabhängig von dem Besitz einer Staatsbürgerschaft bleibt seine Heimat eindeutig England, wegen dem bestehenden Verbundenheitsgefühl, welches durch die Besuche während seiner Kindheit aufgebaut wurde. Dies wird sich nach Ansicht des Herrn O. nicht durch die Dauer bzw. den fortwährenden Aufenthalt in Deutschland verändern. Sein Nationalbewusstsein bleibt Englisch, darf aber nicht als Zugehörigkeitsgefühl gewertet werden, da dies an den Wunsch in England leben zu wollen, gekoppelt wäre. Den Ursprung dieses Gefühls kann Herr O. nicht lokalisieren, nur ausschließen, dass die Erziehung der Grund sein könnte, da in der Erziehung seiner Eltern England kritisch reflektiert wurde. „Weil ich mich immer noch so’ n ähm mich als Engländer fühle. Ich fühl mich nicht als Deutscher, sondern ich wohn in Deutschland, ich genieße es in Deutschland zu wohnen, aber ich bin vom Herzen aus immer noch Engländer. Das ist einfach ein ja nen Verbundenheitsgefühl sag’ ich mal“ (Fall E: Zeile 602-606).

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„Ja, stimmt schon, aber trotzdem habe ich da eine Verbundenheit zu, indem ich da jedes Jahr war. Zweimal im Jahr früher später dann vielleicht jedes zweite Jahr und jetzt na gut nicht so häufig aber ... . Das bleibt erhalten ja , das Gefühl, dass man dahin gehört. Ja, nicht dahingehört, das wäre falsch, weil dann müsste, ich davon ausgehen, dass ich da auch wohnen wollen würde, ja es ist mir aber egal, aber ich fühl mich, fühl mich immer noch von der Nationalität her oder von ja von der Nationalität her als Engländer ... . es hat nichts mit Erziehung zu tun aber (1 Sek.) ... . Es hat nichts mit Erziehung zu tun aber ich kann nicht sagen, woher es kommt, weil äh die Erziehung ging eigentlich in eine andere Richtung, wie das, was ich eingeschlagen hab’, im Grunde genommen, weil wir nicht so pro Englisch sind wie jetzt ich. Warum weiß ich nicht. Womit das zusammenhängt“ (Fall E: Zeile 611-627).

Trotz der starken Affinität des Interviewten zu England und seiner eindeutigen Selbstbeschreibung als Brite ist es auffällig, dass zum einen sein soziales Umfeld, welches überwiegend andere Kulturkreise beinhaltet, kaum britische Kulturmerkmale identifizieren kann. Nach seinen Angaben besteht sein soziales Umfeld neben einigen Tschechen überwiegend aus Deutschen.3 Dies begründet er auf der Tatsache, dass Landsleute in Deutschland schwer zu finden sind, da sowohl Engländer als auch Tschechen keine stark vertretenen Nationen in Deutschland sind. Demnach haben sie nicht wie größere ethnische Gruppen in Deutschland die Möglichkeit sich innerhalb von Landleuten zu bewegen. Das einzige was Außenstehende als spezifisches britisches Kulturmerkmal deklarieren sind Komplimente. Herr O. führt dies darauf zurück, dass es nur wenige Klischees über Briten gibt, die demnach auf ihn projiziert werden können und dies meistens im Zusammenhang mit seinem Nachnamen geschieht. Des Weiteren argumentiert er, dass es im Allgemeinen schwer ist für Außenstehende persönliche Eigenschaften einer bestimmten Kultur zuzuschreiben, da jeder Mensch verschieden ist und nicht durch die Kultur pauschalisiert werden kann. „Wenn man Komplimente macht, wird man als Gentleman hingestellt sag ich mal, aber ansonsten typisch Britisches. Also daher, dass ich einen typisch britischen oder englischen Namen hab’ äh kommt da schon öfter mal was, aber ansonsten ... .“ (Fall E: Zeile 570-573). „Also, ja. Nee an persönlichen Eigenschaften glaube ich nich, weil jeder Mensch ist unterschiedlich egal ob’s nen Deutscher, Engländer, Türke oder sonst irgendwer ist. Das 3

„Die meisten sind Deutsch. Allerdings dadurch dass ich äh eine Frau habe die tschechisch ist und auch andere Kulturen. Also jetzt durch das Restaurant was ich halt leite hier ähm was auch ein böhmisches Restaurant ist, was ich zusammen mim Schwiegervater zusammen mach, auch eher zu Tschechen. Also das ist komplett unterschiedlich, dass kann man nicht so ... . So genau definieren auch irgendwo. Ja klar es gibt die Leute, wie jetzt zum Beispiel ÄH bei unseren türkischen Mitbürgern, die dann halt auch eher in ihrem kulturellen Umfeld bleiben, also halt dann auch meist Kontakt zu zum Beispiel türkischen Mitbürgern haben. Aber bei uns ist das komplett verschieden.... Ja, Ja. Äh, ich glaube ja. Also Engländer oder Tschechen zu finden ist sehr schwierig“ (Fall E: Zeile 397-412).

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tut wirklich überhaupt nichts zur Sache ... . Ja, in die man so reinfallen kann. Was Engländer angeht, gibt es eigentlich relativ wenig Klischees. Außer dass wir einen schwarzen Humor haben und mit Komplimenten nur so um sich schmeißen. Das sind so die die einzigsten Klischees die mir jetzt persönlich so bekannt sind von Engländern. Klar andere Länder andere Kulturen wo sind andersartig ... .“ (Fall E: Zeile 585-595).

Zum anderen ist auffällig, dass Herr O. die Familie im Sinne der Herkunftsfamilie als englisch identifiziert sowie die Herkunftsfamilie seiner Frau als tschechisch. Seine neu gegründete Kernfamilie bezeichnet er als tschechisch-britisch, da seine Frau und er selbst in einer ähnlichen Situation sind, sie stammen beide aus fremden Ländern und haben Deutschland zu ihrer Wahlheimat gemacht. „Ja dann aus England und Tschechien, aber mein Teil der Familie, weil ich habe ja erst erste ne’ relativ kleine Familie eigentlich. Ja wenn man das jetzt so sieht, wenn ich mich als Familienoberhaupt bezeichnen würde, was ich nicht tue ja, dann müsste ich sagen meine Familie kommt aus Tschechien und aus England ja, aber dadurch, dass ich es immer noch so sehe, ich hab’ meinen Teil es gibt einen meinen Teil der Familie und einen ihren Teil der Familie, wie wenn wir ein normales Paar wären, ohne Kinder ja so seh’ ich das halt noch ja. Hab’ ich halt noch einen meine Familie ist englisch oder mein Teil der Familie ist englisch ihr Teil der Familie ist tschechisch. Ja natürlich, wenn man die Großfamilie sieht, dann muss man sagen Tschechien und England“ (Fall E: Zeile 661672).

Nach Angaben des Herrn O. wurde die Beschreibung bzw. Nationalitätenzuweisung seiner neuen Kernfamilie anders sein, wenn seine Ehefrau deutschstämmig wäre. In diesem Falle würde er seine kleine Familie als deutsch bezeichnen. „Anders würde ich das vielleicht auch sehen, wenn ich eine Frau hätte, die deutsch wäre, also wo die ganze Familie auch aus Deutschland kommt. Dann würde das vielleicht anders aussehen, dann würde ich sagen aus Deutschland. Aber so, dadurch dass wir beide eigentlich in genau gleichen Situation stecken. Wir treffen uns in einem Land mein Teil ist in England, ihr Teil ist in der Tschechei. Wir wohnen hier mit ein paar Leuten sag’ ich mal ... .“ (Fall E: Zeile 677-683).

Transnationale Familien als neuer Lebensentw urf in der Weltgesellschaft

In diesem Kapitel werden Hypothesen „Familiäre Transnationale Soziale Räume“ und „Kulturelle Hybridität stärkt das Zugehörigkeitsgefühl zur Familie“ anhand der vorliegenden Fälle überprüft. Hierbei wird eine fallübergreifende Analyse vorgenommen und Gemeinsamkeiten herausgearbeitet, um allgemeine Tendenzen bezüglich des Lebens von transnationalen Familien aufzeigen zu können.1

Familiäre Transnationale Soziale Räume Die Transnationalität einer Familie wird ausgelöst durch den Migrationsakt von mindestens einem Familienmitglied. Emigrationsentschlüsse stellen in einer derartigen Familienkonstellation kein Einzelphänomen dar, sondern werden von mehreren Familienmitgliedern überwiegend vor dem Hintergrund beruflicher Perspektiven gefasst, ohne gezwungenermaßen dasselbe Ankunftsland zum Ziel zu haben. Dies führt zu dem Ergebnis, dass sich die Mitglieder von transnationalen Familien nicht nur auf zwei Nationalstaaten (Herkunfts- und Ankunftsland) beschränken. Das Netzwerk der Familie erstreckt sich meistens über mehrere Nationalstaaten, von denen einer das Herkunfts- bzw. Ursprungsland bleibt. In der vorliegenden Untersuchung hat ein Familienteil Deutschland als neue Wahlheimat. Nach der Definition von Bryceson und Vuorela werden transnationale Familien beschrieben als „Familien, die einige oder die meiste Zeit voneinander getrennt leben, dennoch zusammenhalten und etwas erschaffen, das als Gefühl kollektiver Fürsorge und der Einheit gesehen werden kann, nämlich familiäre Zusammengehörigkeit über nationalstaatliche Grenzen hinweg“ (Bryceson/Vuorela 2002: 3). Den Erhalt der familiären Einheit erreichen diese über die Ausbildung eines transnationalen sozialen Raumes, in dem sie durch die Ausnutzung der technischen Möglichkeiten und damit der neuen Ortsungebundenheit ihren jeweiligen 1

Dabei werden die Kategoriensysteme aus den Einzelfallanalysen fallübergreifend betrachtet.

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Aufenthaltsort als Operationsplattform für ihre Zwecke, der Aufrechterhaltung des Kontakts, instrumentalisieren. Dabei nutzen die Mitglieder einer transnationalen Familie in unterschiedlicher Art und Weise die heute vorherrschende Flexibilität, die Ortsungebundenheit teilweise notwendig macht, aus, um bestehende soziale Beziehungen (im Besonderen Herkunftsbindungen) aus dem ehemals lokalen Interaktionsfeld des Herkunftslandes über die Distanz hinweg zu restrukturieren bzw. neu zu organisieren. Im Allgemeinen bestätigt sich die Hypothese, dass Familien, deren Mitglieder über verschiedene Nationalstaaten verteilt leben, einen transnationalen sozialen Raum ausbilden bzw. einen familiären transnationalen sozialen Raum, der zugeschnitten wird auf die familiären Bedürfnisse und in dem die einzelnen Familienmitglieder unterschiedlich partizipieren d. h. involviert sind. Die unterschiedliche Teilhabe einzelner Familienmitglieder am geschaffenen familiären transnationalen sozialen Raum resultiert aus dem erforderlichen Handlungseinsatz bzw. dem Einsatz von Mitteln, die Voraussetzung für die Überbrückung der geografischen Distanz im Raum zwischen den dislozierten Familienmitgliedern ist. Diesbezüglich variiert die Motivation einzelner Familienmitglieder. Sie investieren gemäß ihrem Verbundenheitsgefühl zu anderen Familienmitgliedern ihre Ressourcen im Rahmen ihrer gegebenen Möglichkeiten in diese Austauschbeziehungen bzw. in den Artikulationsraum. Im Besonderen nimmt die Familie einen zentralen Stellenwert in dem Leben der Interviewten ein und vermittelt ihnen ein Gefühl der Geborgenheit, gibt Rückhalt/Sicherheit, wird charakterisiert durch Zusammenhalt und hat die höchste Priorität im Leben. Durch die Komponente der geografischen Distanz trifft diese Charakterisierung nicht auf alle Familienmitglieder (im Hinblick auf die erweiterte Familie) gleichermaßen zu, sondern vorerst nur auf das unmittelbare Umfeld, in dem der Einzelne aufgewachsen ist. Dies kann beispielsweise für Nachkommen der Familie bereits in einer neuen Wahlheimat liegen, sodass diese in einem neuen Kulturkreis aufwachsen und dieser zur weiteren Herkunftsbindung der nachfolgenden Generation wird. Dadurch, dass sich das Familienleben transnationaler Familien nicht mehr an einem Ort/Lokalität konzentriert, sondern über mehrere Nationalstaaten verteilt ist, wird diese Bedeutung von Familie in der Regel auf die Herkunftsbindung der Kernfamilie und enge langjährige Freunde projiziert. Da sich diese Personen in der Regel einen gemeinsamen Lebensabschnitt verbracht haben, besteht eine intensive Bindung zwischen ihnen durch die Möglichkeit von (direkten) Face-to-face Interaktionen. Mitglieder aus der erweiterten Familie, zu denen ebenfalls eine intensive Beziehung aufgebaut wurde, was ebenfalls über Face-to-face Kontakte abläuft, werden in diese Bedeutungszuschreibung inkludiert, exkludiert werden diejenigen, zu denen kaum Bezug durch mangelnden Kontakt besteht und mit guten Bekannten verglichen werden könnten, obwohl diese Personen als der Familie zugehörig eingestuft werden.

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„Nee, außer wenn ich zufällig mal daheim bin und geh’ ans Telefon, aber ansonsten habe ich jetzt zu meinen Cousins und äh zu meinen Cousinen dort, auch zu meinen Tanten eher (1 Sek.) ’ne weit ähm also gut ähm na ja vielleicht eher gleichzustellen wie wenn man hier irgendwo eine Bekanntschaft macht. Also es wurd’ kam nie zu ’ner richtigen Beziehung. Wenn man zwar da ist, versteht man sich gut, man unterhält sich man trifft sich, besucht die auch, aber das wird jetzt net so ne Beziehung, dass man ständig den Kontakt aufrecht hält“ (Fall D: Zeile 72-79). „Weil ich muss ehrlich sagen, das sind zwar meine Tanten, aber ähm, wenn man mit jemand nie was zu tun hat oder die nie wirklich mit denen gelebt hat oder aufgewachsen, dann hat man auch net so ne Beziehung zu einem, ne. Das ist ja was anderes, wenn ich das jetzt mit meiner Tante hier aus Gelnhausen vergleichen würde, mit der wir eigentlich wir eigentlich immer zusammengewohnt haben und die Kindern von denen, den sind wir eigentlich auch immer groß geworden. Ganz anders“ (Fall D: Zeile 116-123). „Genau, also engere Beziehung wie jetzt zu der Familie, die jetzt nicht hier wohnt, also das ist es halt eher ähm so das sind, das sind ähm vergleichbar vielleicht mit n ‘em Gefühl, wie man’s bei sehr guten Bekannten hat, nur dass die halt schon bisschen enger miteinander verbunden sind, weil halt auch ja Familie is’“ (Fall E: Zeile 18-22). „, ich persönlich habe jetzt nun zur Familie meiner Mutter nicht so viel Bezug ähm, sprich also man telefoniert jetzt an Geburtstagen oder mal Feiertagen ähm zu meinem Onkel in Iran dasselbe, aber zu meinem Onkel in Amerika und intensive Beziehung. Sprich also wir telefonieren jede Woche eigentlich ... und das kommt auch daher, weil ich äh als Kind schon oft dort war ihn besucht habe und äh einfach eine engere Beziehung somit aufbauen konnte“ (Fall C: Zeile 43-49). „Ja, (1 Sek.). Ja, so eigentlich recht selten also vielleicht, so zwei dreimal im Monat hören wir uns dann ... . Ähm ja, wir haben alle erst zusammen in Frankfurt gewohnt, alle und dann sind nach und nach wieder nach Griechenland gezogen und ähm also seit dieser Trennung kommt es mir vor, als ob, also wären, die eigentlich nie weg gewesen. Das macht gar keinen Unterschied also, die sind nicht weniger für mich da wie vorher“ (Fall A: Zeile 80-89).

Es zeichnet sich ab, dass die Bedeutung von Familie anhand der Kontaktqualität relativiert wird und diese die grenzüberschreitende Kontaktintensität generiert. Kommunikation zwischen zwei Menschen ist die Voraussetzung für die Schaffung sowie die Aufrechterhaltung eines Intimitätsverhältnisses. Kommunikation ist das „lifeblood“ oder Lebenselixier2 enger Beziehungen (Wood 1999: 17). Die Qualität des Kontaktes zweier Menschen bzw. der Interaktion variiert, je nachdem ob diese direkter Natur ist oder ob es notwendig ist, aufgrund der räumlichen Dislozierung der Kommunikationspartner für den Informationsaustausch ein Medium zwischenzuschalten. Bei der direkten Kommunikation, d. h., in einer Face-to-face Situation sind körperliche Kontakte möglich und neben der Sprache liefern die Mimik und Gestik direkte Indikatoren für die Wirkungsweise der Kommunikation bzw. dem Empfinden des Gegenübers (Reinhold et al 2000: 2

„Research indicates that communication is the lifeblood of close relationships …” (Wood 1999: 17, Z. 25-26).

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340). Dies impliziert, im Rahmen der von den Gesprächspartnern gesteckten Grenzen, eine gewisse Emotionalität bzw. Intimität des Gesprächs sowie die Bekundung des Verhältnisses zueinander. Während bei der indirekten Kommunikation technische Hilfsmittel eingesetzt werden, um den Adressaten zu erreichen, können dem Empfänger entweder verbale oder verschriftlichte Informationen preisgegebenen werden (ebd.: 340). Welches dazu führt, dass Emotionalität und Intimität nicht in dem Maße hergestellt werden können, wie dies bei direkten Interaktionen möglich ist. In diesem Zusammenhang soll darauf hingewiesen werden, dass Beziehungen, die via Computer bzw. Internet zustande kommen, als schwache Bindungen eingestuft werden und kurzlebiger sind (Castells 2001: 409). Im Allgemeinen zeigt sich, dass die Interviewten Kenntnisse über den Aufenthaltsort von Familienzugehörigen haben, auch wenn sie persönlich keinen Kontakt zu diesem Teil der Familie pflegen und ihre Informationen über Dritte beziehen. Hintergrund hierfür ist das Fehlen eines intensiven Verbundenheitsgefühles zu diesen Familienangehörigen; ursächlich ist überwiegend die von Anfang an gegebene räumliche Dislozierung. „Also, die Verbindungen in beide Länder sowohl England als auch äh die der Tschechischen Republik sind von den Schwiegereltern oder von meinen Eltern gegeben. Also jetzt nicht von uns persönlich“ (Fall E: Zeile 138-140). „Ja, das kriegt man dann über die Eltern oder Schwiegereltern mit, weil die sind, da viel schneller und haben eher nen Draht zu sag ich mal, wie jetzt wir. Aber das kriegt man dann relativ zügig mit ... .“(Fall E: Zeile 469-471). „Also ich selber, ähm, pflege eigentlich überhaupt keine Kontakte zu meinen Verwandten in Italien, dass wir uns da jetzt irgendwie telefonisch, weil da einfach keine Beziehung da ist“ (Fall D: Zeile 59-61). „, ich persönlich habe jetzt nun zur Familie meiner Mutter nicht so viel Bezug ähm, sprich also man telefoniert jetzt an Geburtstagen oder mal Feiertagen ähm zu meinem Onkel in Iran dasselbe, ... .“ (Fall C: Zeile 43-45).

Für den Aufbau einer intensiven Beziehung zwischen bereits räumlich dislozierten Familienmitgliedern bedarf es direkter Interaktionen über einen längeren Zeitraum hinweg oder häufige direkte Kontakte.3 Dieser intensive Kontakt zwischen den einzelnen Mitgliedern und das daraus resultierende Verbundenheitsgefühl ist ausschlaggebend für die Aufrechterhaltung des Kontakts über die Distanz hinweg mit der Unterstützung von Kommunikationsmitteln und führt zum Teil zur Inklusion dieser Personen in die persönliche Definition von Familie als „Unterstützungssystem“. Das heißt, dass das enge Verhältnis bzw. das entstandene Verbundenheitsgefühl zwischen ihnen den Antrieb bildet, für den Erhalt d. h. für 3

Impliziert wird dies auch in den Aussagen zweier Interviewpartner, die die Auffassung vertreten, dass sie die Chance bekommen würden den übrigen Teil der Familie kennen zu lernen, wenn diese ebenfalls vor Ort gelebt hätten.

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die Restrukturierung der Beziehung über die Distanz und die Bereitschaft generiert, die erforderlichen Mittel zu investieren. Hier zeigt sich, dass familiäre Bindungen nicht nur innerhalb des nationalstaatlichen Territoriums bestehen, sondern über den kulturellen Machtcontainer hinausreichen d. h. sie können transnational sein und quer zu den staatlichen Grenzen verlaufen. Das Wissen um die Existenz von Familienmitgliedern, die überwiegend aus der erweiterten Familie stammen und in fremden Ländern leben, stellt keine Motivation dar, mit dem Gebrauch von Kommunikationsmitteln eine Beziehung zu diesen aufzubauen. Die Personen müssen zeitweilig dem direkten Interaktionsumfeld des Einzelnen angehört haben. Eine Ausnahme zeigt sich in dem Fall von Shirin N. Sie übernahm nach dem Tod ihrer Mutter die Kontaktpflege mit deren Herkunftsfamilie, obwohl zu dieser ihrerseits keine intensive Beziehung besteht, was dazu führt, dass sie die Anrufe zum Teil vergisst. „, ich bin ein Mensch, ich muss, das ist jetzt komisch, aber für mich baut so’ne emotionale äh Bindung auf, wenn ich die dann auch sehe und oft sehe ja also ähm, ich führe das jetzt weiter, was meine Mutter jetzt praktisch damals angefangen hat, das ich wirklich die Oma jetzt mittwochs und sonntags anrufe. Wobei ich`s auch ab und an vergesse, also geb’ ich ganz ehrlich zu ja, und ähm. (2 Sek.)“ (Fall C: Zeile 870-875).

Das Verbundenheitsgefühl, das über die Qualität des Kontaktes entsteht, ist ausschlaggebend für Kontaktintensität über nationalstaatliche Grenzen hinweg; dabei zeigt sich, dass der Kontakt jeweils am intensivsten zu den Mitgliedern der Herkunftsfamilie (Mutter, Vater, Geschwister) ist, die den engsten Assoziationskreis eines Individuums darstellten und die in der Regel einen ausgedehnteren Lebensabschnitt in dem gleichen Haushalt verbracht haben, eine gemeinsame Familiengeschichte bzw. ein gemeinsames Vorverständnis teilen. Bei der Reorganisation dieser Bindungen im Raum werden die vorher meist täglichen direkten Interaktionen umgestellt auf indirekte Interaktionen via Kommunikationsmittel. Das hierzu am häufigsten eingesetzte Kommunikationsmedium ist das Telefon, das von einigen Familienmitgliedern ergänzt wird durch den Gebrauch von E-Mails und zum Teil durch SMS, wenn die handelnden Personen mit der Technologie vertraut sind. Am stärksten ausgeprägt ist dies im Fall von Aurelia T. Im Vergleich zu den übrigen Interviewteilnehmern lebt Frau T. erst seit einem kurzen Zeitraum im Ausland und ist direkt von ihrer Kernfamilie getrennt. Den Familienalltag in Irland bei ihrer Kernfamilie skizziert Frau T. durch gemeinsame Gespräche beim Abendessen. Anstelle dieser direkten Interaktion tritt der tägliche Informationsaustausch via Medium, sodass der Familienalltag auf den Gebrauch von Kommunikationsmitteln umgestellt wurde, die eine Art (quasi) Normalität herstellen. „Ähm, obviously (1 Sek.) they, we’d always had dinner when I was growing up in Ireland to sit down at the dinner table in the evening or always sit down at the dining table

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and that’s when we talk to each other and you know found out about each other’s day” (Fall B: Zeile 359-362). „Yeah, I mean of course, if it is a birthday or some special day on my fathers day, I’ve called him, especially, but like normally, it’s whenever, ( 1 Sek.) whenever they wanna talk to me, whenever I wanna talk to them… I nearly talk to them every day” (Fall B: Zeile 375-379).

Kurzum: Der Informationsaustausch, der in der Regel vor der „Immigration“ in den (direkten) Face-to-face Interaktionen mit den Familienmitgliedern vor Ort stattfand wird durch die entstandene geografische Distanz über den Einsatz von Kommunikationsmitteln geregelt. Die Komponente der geografischen Distanz innerhalb der Konstellation der Familie führt zur Veränderung der Kontaktqualität zwischen den einzelnen Mitgliedern, im Besonderen die des engsten Assoziationskreises. Die Frequenz des Kontakts via Kommunikationsmittel steigt, während die Rate der direkten Kontakte abnimmt, da die Überbrückung der geografischen Distanz zum Zweck von persönlichen direkten Interaktionen nicht allein vom Wunsch der Betroffenen abhängig ist, sondern an weitere Faktoren wie beispielsweise finanzielle Ressourcen, berufliche Verpflichtungen sowie Ein- und Ausreisebestimmungen gekoppelt ist. Im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten instrumentalisieren die Familienmitglieder ihren jeweiligen Aufenthaltsort so, dass der Kontakt zu den Verwandten aufrechterhalten werden kann und generieren somit überwiegend mit der Ausnutzung der neuen Unmittelbarkeit, gegeben durch die Kommunikationsmittel, die Kreuzung ihrer sozialen Kreise mit deren von bestimmten Familienmitgliedern. So beschränken sich die sozialen Beziehungen nicht mehr ausschließlich auf den Wohnort, sondern werden grenzüberschreitend und pluri-lokal seitens der Daheimgebliebenen und der Abgewanderten ausgerichtet, d. h. der Radius der Soziosphären der Beteiligten dehnt sich aus, damit die familiäre Gemeinschaft über Landesgrenzen beibehalten werden kann. Wie bereits im Abschnitt „Erkenntnisse über transnationale Familien“ thematisiert wurde, enthalten die Aussagen von Faist und Pries unterschiedliche Prognosen über die Beständigkeit von familiären Gemeinschaften, die quer zu den nationalstaatlichen Grenzen verlaufen. Während nach der Prognose von Faist die familiären Beziehungen nach der zweiten Generation4 abbrechen, implizieren die Untersuchungen von Pries eine längere Beständigkeit mindestens über vier Generationen. Dadurch, dass die Kontaktqualität zwischen den einzelnen Familienmitgliedern die Kontaktintensität generiert, kann kein pauschalisiertes Urteil über die Beständigkeit bzw. Stabilität eines familiären transnationalen sozialen Raumes gestellt werden. Die Beständigkeit eines familiären transnationalen sozialen Raum ist somit an die Gestaltung des transnationalen Familienlebens gekoppelt und familienspezifisch. Je nachdem wie intensiv einzelne Familien ihre Transnationalität leben, d. h. der nachfolgenden Generation Anknüpfungspunkte für den 4

Nachkommen, die bereits im Ausland geboren wurden.

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Aufbau eines Verbundenheitsgefühls liefern, desto dauerhafter wird die initiierte Infrastruktur zwischen den einzelnen Familienmitgliedern.5 Entsprechend dem vorherrschenden Verbundenheitsgefühl zwischen den einzelnen Familienmitgliedern bzw. dem vorhandenen Beziehungsgrad sowie der Intensität wird die wohnräumliche Aufteilung in verschiedenen Ländern unterschiedlich empfunden. Tendenziell hat die geografische Dislozierung kaum Auswirkungen, wenn die zugehörige Kernfamilie vor Ort lebt, da sie den Hauptbezugspunkt im Leben darstellt und die Bindung zu dieser am intensivsten ist. Selbst bei vorhandenen Beziehungen zu Familienmitgliedern in anderen Ländern scheint der Gebrauch von Kommunikationsmitteln unerheblich zu sein. Das heiȕt, das Wohlbefinden des Einzelnen wird kaum beeinträchtigt, da die Dislozierung zwischen diesen Familienmitgliedern meistens von Anfang an gegeben war und das Gefühl von Sicherheit durch die ansässigen Familienmitglieder gegeben werden kann. Anders hingegen verhält es sich bei der Verteilung der Kernfamilie über mehrere Länder. Im Allgemeinen zeigt sich, dass je enger der Beziehungsgrad/ das Verbundenheitsgefühl desto gewichtiger die Auswirkung der geografischen Trennung, die beispielsweise in Form von Heimweh nach der Familie (Fall D: Zeile 29) zutage treten. Besuche können nicht spontan, nach dem Bedürfnis, die Familie zu sehen, gestaltet werden. Dies ist durch die Komponente der geografischen Distanz schwer realisierbar. „Nee, je nachdem, wenn ich die gerade so schon so ein bisschen vermisse, oder wenn mir irgendwas von damals äh in die Erinnerung kommt ähm und dann muss ich einfach mal da anrufen wegen den alten Zeiten so“ (Fall A: Zeile 71-74). „... nee bei meinen Eltern ist das schon umgekehrt, die sehen sich ja immer noch nach Italien, ja die reden ja auch oder gerad’, wenn die Sommerzeit kommt, da kommt so wie sagt man denn so ähm so Heimweh sag ich mal ja und das hab’ ich ja nicht, weil ich bin ja hier groß geworden“ (Fall D: Zeile 377-381). „ ja] ähm. Also ich persönlich hab’ damit jetzt nicht direkt Erfahrungen gemacht, weil meine Eltern und ähm meine Brüder wir sind alle zusammen hier in Deutschland groß geworden, meine Eltern haben eigentlich auch immer hier zusammengelebt. Ähm und ähm, aber ich hab’ aus Erzählungen mitbekommen, zum Beispiel mein Vater ist ja dann irgendwann mal nach Deutschland gekommen aufgrund von Arbeit, und ähm der hatte schon Heimweh auch zu seiner Familie und zu seinen Eltern, ja der wann dann praktisch alleine hier und hat zwar Bekanntschaften hier gemacht ähm, aber hat doch immer Heimweh gehabt, sowie er das erzählt hat“ (Fall D: Zeile 24-33).

5

Die Familien, die Pries untersucht verwenden nutzen diese Familienkonstellation als Strategie zur Existenzsicherung, in der Transmigration inbegriffen ist und demnach das Verbundenheitsgefühl stärker sein dürfte. Allerdings haben Familien, in denen keine starken Abhängigkeitsverhältnisse vorherrschen, dadurch das die Mitglieder überwiegend in reichen Ländern leben, den Vorteil, dass sie die Ortsungebundenheit verstärkt nutzen können, da ihnen die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung stehen.

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Frau T., die die meiste Zeit getrennt von ihrer Kernfamilie verbringt, thematisiert die Problematik bezüglich dem Einsatz von Kommunikationsmitteln bei intensiven, emotionalen Bindungen. Bei dem Gebrauch von Kommunikationsmitteln wird ein Gefühl von Nähe erzeugt und zur gleichen Zeit führen diese den Gesprächsteilnehmern die bestehende Distanz vor Augen, da der körperliche Kontakt (sowie die Mimik und die Gestik) zwischen den Interakteuren ausbleibt. „No, there is always a distance, it is always the the feeling that, you know, that your family is like thousands of miles away from you. Äh, äh but you can always call them up, and hear their voice, but then again you can’t see them and touch them and, you know, that kind of…“ (Fall B: Zeile 37-41). „Yeah, I mean, of course, been away from your FAMILY. You don’t have that, the (2 Sek.), like I said before, that that there is an emotional gap. I mean, you can always ring them wherever you are, but you still can’t see them, and touch them, and stuff like that. And that’s sometimes hard and it is sometimes lonely, when you live abroad, especially, when you live on your own, like I do and you do get lonely and sometimes you do wish that you were at home like that. I think, loneliness would be the most of the disadvantages“ (Fall B: Zeile 227-234).

Ein anderes Indiz lässt sich bei den Äußerungen der Interviewpartner zu dem Leben in einem fremden Land finden. Alle thematisieren, dass sie ihr soziales Umfeld, im Besonderen die Familie vermissen würden bei der Verlegung ihres Lebensmittelpunktes in ein fremdes Land. Für Herr O. beispielsweise ist der Aufenthaltsort Nebensache, die Familie spielt die Hauptrolle. „Das ist eine sehr gute Frage (lacht). Was würde ich an Deutschland vermissen (lacht). Ich weiß gar nicht ob ich irgendetwas vermissen würde also, äh wenn ich jetzt mit der kompletten Familie da wohnen würde, dann würde ich glaube ich nix vermissen, außer Freunden und Bekannten und so was ja, aber ansonsten (1 Sek.) nix“ (Fall E: Zeile 534538).

Folglich haben Face-to-face Kontakte einen hohen Stellenwert für diejenigen Mitglieder einer transnationalen Familie, die in einem engen Verhältnis zueinander stehen. Da die ausbleibende Emotionalität, resultierend aus dem Einsatz von Kommunikationsmitteln, zumindest während des Aufenthalts wieder vorhanden ist und vielleicht auch wieder ein Stück Normalität herstellt. Für die regelmäßigen direkten Interaktionen zwischen den ebendiesen Familienmitgliedern werden im Großen und Ganzen Urlaube mit Familientreffen verbunden, die überwiegend im Herkunftsland stattfinden. „Hhm, meistens fahre ich nach Griechenland“ (Fall A: Zeile 49). „Wir müssen mehr Richtung England oder Tschechei. Es kommt sehr selten vor, dass mal äh hier in Deutschland jemand zu Besuch kommt oder das ist eher seltener der Fall“ (Fall E: Zeile 113-115).

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„... ansonsten wenn (2 Sek.) meine Eltern dann is es einfach deshalb weil die dort en Haus haben und das Haus halt auch mal gehütet oder beobachtet werden muss. Und einfach da auch zum Entspannen und Urlaub, en bisschen wieder einfach heimische Atmosphäre schnuppern, (1 Sek.) sich wieder heimischer fühlen (2 Sek.)“ (Fall D: Zeile 158-163). „Ähm, no, I mean (1 Sek.) sometimes my relatives come visit me, sometimes I go home to Ireland, if I have holidays or they come visit me, but we see each other about ( 1 Sek.) four or five times a year” (Fall B: 64-66). „…I always gonna home for Christmas. and also gone home my sisters birthday for her twenty first birthdays and I’m going home for my father’s birthday and stuff like that” (Fall B: Zeile 141-143). „, I was I actually went home one year of St. Patrick’s Day to celebrate it with my family and my friends, as well. And, I actually stayed in America the next one after that” (Fall B: Zeile 163-165). „Ja, auf jeden , also zu jedem Geburtstag der, der, ihrer Mutter. Mein Vater konnte halt nicht aus beruflichen Gründen, weil er halt die Praxis hat, der ist Allgemeinmediziner, und ähm, meine Brüder sowie ich halt auch, nur in der, wenn Semesterferien waren, beziehungsweise Sommerferien, ja, also dass wir mal so übers Wochenenden gefahren sind, , wenn dann wirklich ähm für ein paar Tage, für `ne Woche oder für zwei, wobei die Mama öfters mit dem Zug alleine hin ist, und dann auch nur mal fürs Wochenende“ (Fall C: Zeile 239-246).

In einem Interview wurden Probleme bezüglich der Familienzusammenkunft im Herkunftsland angesprochen. Hier war im Falle einer Einreise, die Ausreise nicht gewährleistet und deshalb fanden die regelmäßigen Familientreffen für einen ausgedehnteren Zeitraum im Haushalt des Ankunftslandes statt. „A das und B weil er äh immer noch einen iranischen Nachnamen hat, und ähm die politische Situation war damals wie heute ja auch so, dass, war man einmal ist man immer Iraner, egal ob man auch die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Also mein Papa hat beide, meine Mutter hatte auch beide Staatsangehörigkeiten, und die Gefahr war einfach zu groß, dass sie ihn als Arzt dort behalten, weil sie sagen, er ist gebürtiger Iraner und ähm er hat in seinem Land zu arbeiten, und... . Ja, die kamen früher, wo wir noch, wo ich noch klein war, beziehungsweise wo wir drei Kinder noch klein waren, jährlich. Also seine Mutter, seinen Vater habe ich nie kennen gelernt, mein Opa ist ja sehr früh gestorben. Äh, mein Onkel und meine Oma kamen jedes Jahr für eins, zwei Monate zu uns, ja. Also, aber das ist halt erst so abgeflacht, wo wir halt, wo meine Oma verstorben ist und mein Onkel dann einfach zu alt war, um, um diese ganze Flugreise auf sich zu nehmen, und ja... .“ (Fall C: Zeile 314-332).

In den anderen Interviews wurde dieses Thema nicht angesprochen, da dies basierend auf den Staatsbürgerschaften der übrigen Interviewteilnehmer nicht relevant war. Diese Problematik kann aber durchaus die Zusammenkunft transnationaler Familien erschweren. Die Realisierung von Familientreffen ist neben den Zugangsmöglichkeiten in einzelne Länder abhängig von den zur Verfügung

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stehenden Ressourcen, da die Überbrückung der Entfernung via Transportmittel kostenintensiver und zeitintensiver ist. Dies spricht Frau T. an, welche die Kontakthäufigkeit und die Aufenthaltsdauer bei ihrer Kernfamilie abhängig macht, von dem Land aus dem sie anreist. „Ähm, no, ähm (2 Sek.). It depends on which part of the world I am coming from, if I am coming from America I’d stayed two weeks, because it’s a long (1 Sek.) journey and if I coming from Germany am I only stay one week or five days something like that. A: Do your visit your family more often when you stay in Germany? B: Yes, I will do, ‘cause it is easier to get and it’s cheaper and it’s easier and not so long and” (Fall B: Zeile 146-153).

Die bestehende Kontaktfrequenz (Kontaktintensität) zu Beginn der Transnationalität scheint sich mit Andauern des Aufenthalts in dem neuen Ankunftsland zu verringern, bricht aber keinesfalls ab. Dies wird in einigen Interviews im Zusammenhang mit häufigeren Familienbesuchen während der Kindheit thematisiert. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Wahlbindungen durch die Länge des Aufenthalts ebenfalls eine relevante Position einnehmen, d. h. die zunehmende Integration in das neue soziale Umfeld. Weitere Faktoren können die Gründung einer eigenen Familie, das Alter und das Ableben wichtiger Bezugspersonen und die Eingebundenheit in den Beruf sein. Der Zusammenhalt innerhalb der Familie, d. h. die kollektive Fürsorge, wird durch diese Familienkonstellation (Verteilung auf verschieden Länder) nicht beeinflusst, auch wenn die Kontaktintensität (Häufigkeit) zwischen den einzelnen Mitgliedern mit steigender Aufenthaltsdauer rückläufig ist. In Notsituationen wird das „Unterstützungssystem Familie“ aktiviert. Die Art der Hilfeleistung ist abhängig von dem jeweiligen Problem sowie von den zur Verfügung stehenden Ressourcen. Wenn es die Situation erfordert, wird die gegebene Mobilität ausgenutzt, um spontan die Distanz im Raum zu überbrücken. Im Allgemeinen scheint das Wissen um diese Möglichkeit den „betroffenen“ Familienmitgliedern eine Art Sicherheit zu vermitteln. Hilfeleistungen, die im Rahmen der Interviews angesprochen wurden, waren die finanzielle Unterstützung, der Beistand bei Trauerfällen, intensivere Kontakte bei Krankheitsfällen mit häufigeren Besuchen oder die Verwaltung des Hauses während der Abwesenheit. Die Reaktion der zueinander in Verbindung stehenden Familienmitglieder auf die Bedürftigkeit der übrigen Familienmitglieder enthält einen Verweis auf die Flexibilität dieser Familienkonstellation, die zum einen durch die (kulturelle) Globalisierung ermöglicht wird und zum anderen gleichzeitig diese Anforderung an sie stellt. „Also, grundsätzlich lässt sich sagen, egal wo im Ausland, wenn irgendjemand Probleme hätte, väterlicher sowie mütterlicherseits der Verwandtschaft, wären wir füreinander da. Ja, das heißt ein Anruf genügt und man fliegt rüber, oder man fährt rüber, oder

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ja, also das ähm steht außer Frage, auf jeden Fall... . Genau. Genau,] dass man sich auch auf den anderen auch verlassen kann, in Notsituationen“ (Fall C: Zeile 273-281). „Genau], ja oder wenn jemand finanziell unterstützt werden müsste, dass die sich da gegenseitig helfen. Ja und so.“ (Fall D: Zeile 103-104). „Also ähm, ja also Ereignisse waren ja zum Beispiel auch der Tod von meinem Opa, ja solche Ereignisse, Schicksalsschläge, wo die dann halt sofort hin mussten... .“ (Fall D: Zeile 156-158) „Ja, es kommt halt immer darauf, an was passiert wo wir gerade das Thema hatten oder ob’ jetzt halt nur so. Also jetzt aufgrund meiner Oma, der es nicht besonders gut geht, telefoniert natürlich mein Vater öfter mit seiner Familie. Also das ist die die Oma väterlicherseits. Ähm dann wird halt gefragt wie geht’s ihr ist alles in Ordnung“ (Fall E: Zeile 474-478)... . „Bei meinem Eltern gut aufgrund meiner Oma ein bisschen öfter bisschen sequenzieller aber ansonsten auch einmal alle 2 Jahre oder“ (Fall E: Zeile 504505). „Das war bei meiner Mutter so der Fall, dass ihre zwei Brüder in Griechenland Geldprobleme hatten und da hat meine Mutter denen auch Geld runtergeschickt, weil die sich damit was aufbauen wollten, haben die aber nicht gemacht und haben das Geld einfach so verprasselt. Ja und seitdem ähm (1 Sek.) hat sich meine Mutter ganz schön eingeschränkt dann, in Sachen Geld“ (Fall A: Zeile 478-483). „Weil mein Papa, wir haben, ähm also meine Eltern haben sich früh scheiden lassen und dann ist er auch nach Griechenland und ähm trotzdem hatte ich immer das Gefühl, dass er immer für mich da ist und wenn ich ihn brauche, dass er sofort bei mir sein kann... .“ (Fall A: 33-36).

In erster Linie wird in den vorliegenden Fällen der familiäre transnationale soziale Raum als Artikulationsraum für den Austausch von Informationen strukturiert, in dem kein regelmäßiger Waren- oder Geldtransfer stattfindet, sondern nur bei entsprechendem Handlungsbedarf. Dies begründet sich auf der Tatsache, dass bei den vorliegenden Interviews alle Mitglieder der Familie eigenständig über eine gesicherte Lebensgrundlage in ihren jeweiligen Aufenthaltsländern verfügen, da diese überwiegend in reichen Industriestaaten leben.6 Der Austausch von materiellen Gütern sowie Geld ist nicht an Existenzbedingungen gekoppelt und wird nicht als Überlebensstrategie angewendet. Anders verhält sich dies beispielsweise bei lateinamerikanischen Familien, in denen die arbeitsfähigen Mitglieder emigrieren und unter anderem in Chicago, Los Angeles, Miami oder New York den Lebensunterhalt der daheimgebliebenen Familienmitglieder bestreiten, d.h. es besteht ein Abhängigkeitsverhältnis (Werneburg 2000: 03). Ähnlich verhält sich dies auch bei dem transnationalen sozialen Raum, den Pries zwischen den USA (New York) und Mexiko (Mixteca Poblana) untersucht. Der Austausch von Gütern manifestiert sich bei den vorliegenden Fällen der einzelnen familiären transnationalen sozialen Räume überwiegend in Form von kleinen Mitbringseln, die 6

Bei der Familie von Shirin N., die zum Teil im Iran lebt, tritt dieses Problem ebenfalls nicht auf, da ihre Familie der iranischen Oberschicht angehört und über eine gesicherte Lebensgrundlage verfügt.

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die Empfänger erfreuen, aber zu keinem Zeitpunkt an Existenzbedingungen, außer in Notfällen, gekoppelt sind. Die Sprache, die innerhalb dieses Raumes verwendet wird, ist die jeweilige Muttersprache, da diese die gemeinsame Kommunikationsbasis zwischen den Familienmitgliedern bildet. Mitglieder im gleichen Haushalt im neuen Ankunftsland leben, mischen die Sprache des Ankunftslandes und ihre eigentliche Muttersprache. Hier ist der Gebrauch der Sprache abhängig von der Situation und dem Kommunikationspartner, wobei mit den Eltern überwiegend die Muttersprache gesprochen wird. „Mhm, , also (2 Sek.). Also situationsabhängig, meistens, wenn ich irgendwie fluche oder so oder irgendwie schnell, was loswerden möchte, dann spreche ich Griechisch, weil die Sprache sich einfach schneller spricht irgendwie, da sind nicht soviel Zungenbrecher in einem Satz drin. Ähm und sonst passiert es voll oft, dass ich mit meinen Freundinnen, mit meiner Schwester und meiner Mutter, einen Satz in beiden Sprachen spreche. Also halb deutsch und halb griechisch den Satz oder mitten drinnen, dann halt noch mal einen deutschen Satz und dann wieder ein Griechischer, dann wieder ein deutscher... . Griechisch immer, weil mein Vater kann das nicht so gut wie meine Mutter. (1 Sek.) Außerdem versteht er auch vieles nicht. Der sieht das auch nicht ein bei einer griechischen Tochter eigentlich dann deutsch zureden. A: Und wie ist das mit dem Rest der Familie, jetzt zum Beispiel ihrer Oma oder Tanten? B: Ähm, die können das auch nicht mehr so gut, weil die dann wieder nach Griechenland gezogen sind und da spreche ich mit allen nur noch Griechisch“ (Fall A: Zeile 336-359). „…Well I] mean some words are different, and the slang is different as well, but its always Irish English (1 Sek.), but I speak to, with them never any American“ (Fall B: 262-264). „Also wir sprechen schon äh überwiegend italienisch, des ergibt sich dann einfach aus der Situation heraus. Man spricht einfach daheim automatisch italienisch ja. Auch wenn jetzt zum Beispiel Freunde ähm da sind, die deutsch Deutsch oder Grieche sind, da fängt man zwar an in Deutsch zu sprechen aber man verfällt trotzdem leicht wieder in die Heimatsprache ja und das is’ eigentlich auch situationsabhängig je nach dem was auch so bei uns zu Hause für Nationalitäten überwiegen, wenn jetzt viele da sind die deutsch sprechen, dann wird auch deutsch gesprochen, wenn jetzt, wenn jetzt viele Italiener zusammen sind, bei uns dann wird automatisch italienisch gesprochen ganz automatisch ja. Oder das ist auch ganz typisch das ich zum Beispiel mit meinen Brüdern mal so’n misch so’ne Mischung spreche auf Deutsch und italienisch, das fängt dann auf einer Sprache an und wechselt dann in die andere und geht dann wieder in die andere über. Also wirklich situationsabhängig, aber so mit meinen Eltern überwiegend schon italienisch, weil die auch beide nicht unbedingt so gut die Sprache können“ (Fall D: Zeile 443-458). „Kommt darauf an wer grad da ist. Genau ich sprech mit meiner Frau deutsch. Mit meinen Schwiegereltern sprech’ ich deutsch aber meine Frau tschechisch. Mit meinen Eltern spreche ich englisch und meine Eltern sprechen mit meiner Frau deutsch oder englisch. Das ist unterschiedlich dann“ (Fall E: Zeile 419-413).

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Bei Familiennachkommen, die im Ausland geboren wurden oder bereits seit ihrer Kindheit in der Aufnahmegesellschaft leben (Fall E), treten Sprachdefizite bezüglich der Muttersprache auf. Dies äußert sich weniger bei der alltäglichen Kommunikation, sondern zeigt sich bei Medienrezeption auf der Nationalsprache des Herkunftslandes (siehe Fall A: Zeile 380-382, Fall C: 680-686, Fall D: 471479). Anzumerken ist, dass die Sprachkompetenz, nach dem Entwurf des neuen Zuwanderungsgesetzes in Deutschland, als ein Indikator für den Grad der sozialen Integration in die Aufnahmegesellschaft verstanden wird (Maas et al 2004: 123). Der Vergleich von den gegebenen Sprachkompetenzen zwischen Eltern und Kindern könnte demnach als Indikator für die bestehende Verbundenheit mit der Wahlheimat der Eltern genommen werden und darauf verweisen, dass ihre Kinder stärker in dieser verwurzelt sind oder diese bereits als eine weitere Herkunftsbindung, in Kombination mit anderen Faktoren betrachten. Die erheblich bessere Sprachkompetenz in der deutschen Sprache im Gegensatz zu ihren Eltern bzw. ihre Bilingualität thematisieren zwei der Interviewten als einen klaren Vorteil (siehe Fall D: 342-348, Fall E: Zeile 309-315). Einen Sonderfall stellt die Familie von Frau N. dar, da beide Elternteile jeweils aus verschiedenen Herkunftsländern kamen und die Muttersprache des jeweiligen Partners nicht verstehen, deshalb wurde innerhalb des Haushalts in Deutschland ausschließlich Deutsch gesprochen. Frau N. wuchs nicht dreisprachig auf, sondern nur mit der deutschen Sprache und erlernte die Muttersprachen ihrer Eltern über deren Konversation mit den jeweiligen Verwandten auf der Landessprache. „... Was auch, er spricht mit seinem Kind iranisch, was meine Eltern zum Beispiel mit uns nicht gemacht haben, weder tschechisch noch iranisch, weil meine Mutter nicht iranisch konnte, mein Vater nicht tschechisch, haben sie gesagt O.K. bei uns wird nur deutsch gesprochen. Allein wenn’s mal Streit gibt, das die Kinder nicht gegen die Eltern hetzen können, ja. Und ich hab praktisch iranisch gelernt, über, also ich bin ein Mensch mir fallen Sprachen relativ leicht ja und ich hab halt iranisch gelernt über die Kommunikation meines Vaters mit den Brüdern und mit seiner Mutter und Tschechisch selber, also die Kommunikation von meiner Mutter mit der Schwester oder mit ihrer Mutter“ (Fall C: Zeile 539-549).

Die Veränderung von kulturellen Normen und Wertvorstellungen bzw. die Beibehaltung von kulturellen Traditionen aus dem Herkunftsland ist personenspezifisch, sodass innerhalb des Kreises der (Kern-)Familie sowie auch in der transnationalen Familie unterschiedliche Lebensstile und kulturelle Gewichtungen koexistieren bzw. aufeinander treffen – auch im Bezug darauf, dass sie über mehrere Nationalstaaten verteilt leben und Einzelne von verschiedenen kulturellen Bedeutungssystemen beeinflusst werden. Das Leben im Ausland bzw. in einer neuen Ankunftsgesellschaft führt zur Modifikation und Vermischung von kulturspezifischen Lebensstilen, je nachdem wie stark sich die Einzelnen in die neue Aufnahmegesellschaft integriert haben. Dabei werden die kulturellen Wur-

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zeln nicht abgelegt, selbst wenn diese von den Eltern bereits im neuen Ankunftsland vermittelt wurden, sondern zumindest bis zu einem gewissen Grad beibehalten. Dies schafft ein Mindestmaß eines gemeinsamen Konsens innerhalb der Familie (auch innerhalb der transnationalen Familie). Dies deckt sich auch mit den Erkenntnissen aus der Studie „Viele Welten leben“, nach der selbst die zweite Generation der in Deutschland lebenden Migranten die Herkunftskultur ihrer Eltern nicht aufgeben möchte (Boos-Nünning/Karakaúo÷lu 2004: 14, 34, 37). In den vorliegenden Fällen geben die Interviewten an, mit Ausnahme des Herrn Vito P., dass sie keine gravierenden Unterschiede zwischen ihren persönlichen Wertvorstellungen und denen ihrer Eltern lokalisieren können, auch wenn sich dies im Ergebnis in unterschiedlich starker Identifikationen mit dem Herkunfts- und dem Ankunftsland manifestiert. „Ja schon, da die in einem LAND gelebt haben, waren die dann ein bisschen strenger, religiöser und so was ja und seit die halt in Deutschland sind, das hat ganz schön nachgelassen, wobei ich auch froh bin, weil ich komme mit der Kultur auch gar nicht so richtig zurecht (1 Sek.) in Griechenland“ (Fall A: Zeile 213-217). „No I mean they don’t. I don’t think that the culture has particularly changed me as a person. I still know where my roots are and where my culture is and stuff like that. I mean, o.k., when I go to America, I pick up an accent, like pick up the American accent, but then I go home, I drop it immediately and I have my Irish accent back again and (1 Sek.). But, I think also like, the way I work with horses that I I’ve picked up the discipline, that I had learned in Germany, the way they do it in Germany and that’s how I think have picked up the German culture a little bit. They do things right and stuff like that” (Fall B: Zeile 179-187)… .“Ähm, (3 Sek.) like I’d say in my parents’ personality and attitude, they’re a little bit more laid back, well, I mean, not laid back but relaxed about things, they don’t tend to rush like Germans or Americans. Americans are always rushing and Germans is always like getting things done on time, were is in Ireland you’re a little bit o.k. we’ll get it done eventually and that’s fine, but, ähm, and it’s you know it has to be done right and correctly you know“ (Fall B: Zeile 192-198). „Ja, das hat sich, das hat sich verm ... ] Ja, um Gotteswillen, also da, da, mein Vater war auch nie so richtig äh Moslem, das heißt ich musste hier nie um, , durfte nichts mit Jungs anfangen oder Sonstiges. Also, ich konnt’, also meine Eltern haben es uns ermöglicht, so deutsch wie, wie möglich aufzuwachsen, ja. Also wir durften auf Kindergeburtstage, wir durften, ich durfte auch mit Jungs weggehen, ähm, gerad’ auch als Mädchen, da hatte mein Vater kein Problem, weil er, weil er halt mir einfach vertraut hat, ja, was halt in seinem Land überhaupt nicht üblich ist ... . Hhm. Ich würde noch nicht mal sagen, dass es da große Abweichungen gibt, also ich wie gesagt, weil ich sehr kosmopolitisch erzogen worden bin und viel mitbekommen hab von beiden Kulturen, ähm was ich auch sehr finde. Weil man einfach so auch nen unheimlich großen Einblick hat, ähm werd’ ich das so auch an meine Kinder weitergeben, also wie meine wie meine Eltern es bei mir gemacht haben, ja“ (Fall C: Zeile 395-428). „Nein, was die Erziehung angeht auf keinem Fall. Wir sind schon traditionell englisch erzogen worden, mein Bruder und ich (2 Sek.). (1 Sek.) also die die Werte, ähm

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man muss vielleicht ein bisschen differenzieren zwischen äh dem traditionellen Gedankengut sag’ ich mal und von Büchern, von Kindergeschichten von Erziehung und so weiter ist beibehalten worden. Was jetzt aber die Ansichten angeht in Bezug auf das Land selber und die Einstellungen zum Land selber hat sich geändert ja aber jetzt nicht so in der Form das es notwendigerweise schlechter geworden ist, sondern eigentlich besser, wir sind ja her gekommen aufgrund dessen, dass wir so unzufrieden waren und inzwischen ist es halt sodass sie sagen ja gut wir wohnen halt in Deutschland, aber äh eigentlich sind wir immer noch Briten oder Engländer (Fall E: Zeile 231-243) ... . Ja, ich bin eigentlich äh pro britischer wie meine Eltern, also ich hab, ich hab immer noch (2 Sek.) eine sehr stark eine sehr starke Bindung in der Form, dass ich äh das Land einfach mag, gerne hab’, aber ansonsten vari variieren die nicht sooo viel. Meine Eltern (1 Sek.), also ich seh’ das nun in den meisten Fällen ähnlich oder genauso ... .“ (Fall E: Zeile 265-269).

Weitreichendere Unterschiede zwischen den kulturellen Wertvorstellungen lokalisiert Herr P., da seine Eltern an den altmodischen italienischen Traditionen festhalten, die in Italien in dem Maße auch nicht mehr gültig sind. Er persönlich verfolgt eine moderne Einstellung, die Brüder tendieren nach seinen Angaben eher in Richtung der Eltern (siehe Fall D: Zeile 254-278).7 In diesem Fall wird besonders hervorgehoben, dass die Familien demnach eine Schnittstelle zwischen den unterschiedlichen Lebensstilen sowie Identitätsentwürfen (mit unterschiedlicher Prägung aus den jeweiligen Kulturkreisen) ihrer jeweiligen Mitglieder sind und auch zu einem Aushandlungsraum werden. In den vorliegenden Interviews zeigt sich, dass eine anders gewichtete kulturelle Werthaltung (Einstellung) nicht zwangsläufig familiäre Konflikte erzeugt, sondern eher zur gegenseitigen Akzeptanz bzw. dem Entgegenbringen von Verständnis für bezogene Positionen beiträgt. Das Auftreten von Konflikten kann nicht ausgeschlossen werden, dies zeigt sich in den Schilderungen von Frau Shirin N. Sie vergleicht ihr „unkompliziertes Aufwachsen“ zwischen den Kulturen mit dem Aufwachsen der Tochter einer befreundeten Familie, die von ihrer Familie strengen kulturellen Konventionen aus dem Herkunftsland unterworfen wird, welches innerhalb der Familie Konflikte auslöste (siehe Fall C: Zeile 403-418). In dem Fall von Zinovia W. wird deutlich, dass Aushandlungsprozesse nicht nur innerhalb der Kernfamilie stattfinden, sondern auch in der transnationalen Familie zum Tragen kommen und Anpassungsmechanismen auslösen können. 7

„Ja, also] ich würde mal sagen meine Eltern haben da so eine Grundeinstellung dazu und die ist einfach bei denen geblieben. Auch wenn die jetzt äh, die haben ja auch italienischen Fernsehen, die sehen ja auch wie die Leute dort leben und kriegen das mit, aber des is bei denen, ich sag mal die kommen bei aus einer sehr altmodischen katholischen Familie und da war das halt so da haben die so ne Grundstein gesetzt bekommen, der ist halt geblieben, ja, wobei die natürlich auch rechts und links mal geguckt haben, aber für sie selber bleibt dieses altmodische ja“ (Fall D: Zeile 239-246).

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„Und meine Mutter zum Beispiel, die wollte sich von meinem Vater trennen und dann hieß es auch gleich in Griechenland und von ihren Eltern, wehe du machst das, was sagen die Nachbarn und so’ n Kram halt. Das ist ja heute nicht mehr so, mein Glück ... . Nö. Gerade deswegen hat meine Mutter auch immer gemeint, dass es scheißegal ist was Nachbarn oder andere denken, Hauptsache ich bin dann glücklich ... . Genau, also wenn jetzt meine Oma mal gemeckert hat, wenn ich in Griechenland war, weil ich mit einem Jungen geredet hab’, hat sie gleich Angst gehabt, was sagen die Nachbarn. Da hat meine Mutter auch immer gemeint, sollen sie doch denken, was sie wollen.“ (Fall A: Zeile 276-290) ... . „Nee, wegen so was nicht. Da hat sich schon immer jemand dem anderen angepasst oder meine Mutter hat es auch geschafft, dass sie ihre Mutter gelockert hat, obwohl sie halt schon fest äh im Kopf mit ihrer Meinung war, trotzdem hat sie es gepackt halt, eine Frau mit paarundsechzig bisschen zu lockern“ (Fall A: Zeile 312-316). „Und meine Mutter zum Beispiel, die wollte sich von meinem Vater trennen und dann hieß es auch gleich in Griechenland und von ihren Eltern, wehe du machst das, was sagen die Nachbarn und so’ n Kram halt.(1 Sek.) Das ist ja heute nicht mehr so, mein Glück ... . Nö. Gerade deswegen hat meine Mutter auch immer gemeint, dass es scheißegal ist was Nachbarn oder andere denken, Hauptsache ich bin dann glücklich ... . Genau, also wenn jetzt meine Oma mal gemeckert hat, wenn ich in Griechenland war, weil ich mit einem Jungen geredet hab’, hat sie gleich Angst gehabt, was sagen die Nachbarn. Und da, da hat meine Mutter auch immer gemeint, sollen sie doch denken was sie wollen (Fall A: Zeile 276-290). „Nee, wegen so was nicht. Da hat sich schon immer jemand dem anderen angepasst oder meine Mutter hat es auch geschafft, dass sie ihre Mutter gelockert hat, (1 Sek.) obwohl sie halt schon fest äh im Kopf mit ihrer Meinung war, trotzdem hat sie es gepackt halt, eine Frau mit paarundsechzig bisschen zu lockern“ (Fall A: Zeile 312-316).

Es ist zu vermuten, dass die Familie ihre Transnationalität internalisiert, indem sie unterschiedliche Lebensphilosophien und Identitätsprojekte, resultierend aus ausgedehnten Auslandsaufenthalten, akzeptiert.

Familie ist Heimat In den Einzelfallanalysen zeigen sich die unterschiedlich starken Identifikationen der Interviewten mit der Herkunfts- wie Ankunftskultur sowie die daraus resultierenden Identitätsentwürfe. Keiner der Interviewten thematisiert in diesem Zusammenhang ein Unbehagen, sie integrieren die mindestens zwei Kulturkreise in ihren Lebensentwurf, die für sie persönlich einen unterschiedlichen Stellenwert (Wahl- oder Herkunftsbindung) einnehmen bzw. in ihrer Sinnprovinz, je nach individueller Präferenz/Relevanz manifeste und latente Positionen einnehmen. Besonders stark ist der individuelle Aushandlungsprozess bei den Interviewpartnern ausgeprägt, die der zweiten Generation angehören (Frau W., Frau N., Herr P.) und sie manifestiert sich darin, dass sie sich keiner der beiden Herkunftskulturen eindeutig zuordnen. Ihr Identitätsentwurf entspricht dem eines kulturellen Hybri-

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den, der sich in dem Zwischenraum zweier Kulturen verortet und zwischen den beiden Kulturen übersetzt. Dass hier zwischen den beiden Kulturkreisen übersetzt wird, kann angenommen werden, da die Interviewten der zweiten Generation zum einen sich weder auf einen spezifischen Kulturkreis reduzieren können noch lassen, kulturelle Gepflogenheiten aus beiden Herkunftskulturen angenommen haben und sich zum anderen in ihrer Position wohlfühlen, d. h. sich mit ihrer Situation arrangiert haben. Sie sind, wie es Sauter formulierte, nicht EntwederOder-Nationalitäten, sondern Sowohl-Als-Auch, welches darauf hinweist, dass die ursprüngliche Wahlbindung ihrer Eltern zu ihrer Herkunftsbindung geworden ist. „Genau gemischt aufgewachsen. Ja also ich ja einfach so gemischt, einfach so. Ich bin genau die Mischung, also ich komme mir eher vor als würde auf der Grenze zwischen Griechenland und Deutschland leben“ (Fall A: Zeile 221-223). „Also ich] könnte nicht, ähm nicht irgendeinem Land zugehörig fühlen praktisch. Dass ich sage, (1 Sek.) wie gesagt, das ist typisch Tschechisch, das ist typisch iranisch, das ist typisch deutsch und da fühle ich mich halt heimatlich, ja. Weil ich wirklich so , erzogen wurde und äh ich es auch überhaupt nicht missen will und ich auch wirklich froh bin, das mein Freund auch Italiener ist oder einfach eine andere Kultur noch mal hat, wo man auch reinschnuppern kann ... .“ (Fall C: Zeile 816-825). „, also ich mein ja, wenn ich so jetzt mal überlegen würde. Also ich bin halt ein Italiener, der in Deutschland lebt, dass ich auch viele deutsche Eigenschaften angenommen hab’, trotzdem leb’ ich schon, ja ne deutsch, also ich bin nicht typisch deutsch ja (1 Sek.) dazu habe ich auch zu viele italienische Eigenschaften in mir“ (Fall D: Zeile 683687).

Die beiden Interviewpartner, die nicht in Deutschland geboren wurden, verfügen jeweils über nur eine Herkunftskultur, welche die relevantere Position einnimmt. Ihre Herkunftskultur bleibt dennoch nicht unbeeinflusst von dem Leben in einem anderen Kulturkreis bzw. ihren Wahlbindungen. Trotz der Beeinflussung sind sie immer noch in der Lage, sich eindeutig der Herkunftskultur zuzuordnen.8 Den Lebensstil, den Frau T. verfolgt, ist der eines Kosmopoliten. Sie übernimmt einige kulturelle Praktiken, die ihr zusagen, aus ihrem jeweiligen Aufenthaltsland und legt diese bei einem Landeswechsel wieder ab. Dies bedeutet, Frau T. ist in der Lage ihre kulturellen Prägungen und damit Wahlbindungen jederzeit wieder abzulegen, Kulturen zu wechseln; die Herkunftskultur bleibt immer eindeutig sowie präsent. Frau T. verdeutlicht die Beeinflussung im Bezug auf ihren „deut8

Bei Herrn O. gestaltet sich die Zuordnung schwerer als für Frau T., da er zwar in England geboren wurde, aber im Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland kam und hier eine deutsche Schule besuchte. Die Erziehung in Deutschland war von den Eltern aber weiterhin konsequent Englisch geprägt d.h. hier kann man davon ausgehen, dass er die deutsche Kultur nur ansozialisiert hat. Frau T. im Gegensatz zu Herrn T. ist in Irland aufgewachsen und hier ihre schulische Laufbahn beendet und lebt erst seit dem Berufseinstieg im Ausland.

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schen“ Arbeitsstil, den sie aufgrund der Vorteile beibehält und sich von dem Arbeitsstil ihrer Eltern differenziert. Herr O. wird aufgrund von Sprachdefiziten in England eher als Deutscher gesehen, obwohl er sich eindeutig als Engländer identifiziert. „I don’t think that the culture has particularly changed me as a person. I still know where my roots are and where my culture is and stuff like that. I mean, o.k., when I go to America, I pick up an accent, like pick up the American accent, but then I go home, I drop it immediately and I have my Irish accent back again and (1 Sek.). But, I think also like, the way I work with horses that I I’ve picked up the discipline, that I had learned in Germany, the way they do it in Germany and that’s how I think have picked up the German culture a little bit” (Fall B: Zeile 179-187). „Weil ich mich immer noch so’ n ähm mich als Engländer fühle. Ich fühl mich nicht als Deutscher, sondern ich wohn’ in Deutschland, ich genieße es in Deutschland zu wohnen, aber ich bin vom Herzen aus immer noch Engländer. Das ist einfach ein ja nen Verbundenheitsgefühl sag’ ich mal“ (Fall E: Zeile 602-606).

In den Interviews zeigt sich, dass die Probanden, die hier eindeutig als kulturelle Hybride identifiziert wurden, angeben, mit zumindest einer der beiden Herkunftskulturen in Reinform, kurzum mit Landsleuten, nicht zurechtzukommen während diejenigen mit einer eindeutigen Herkunftskultur sich mit ihren Landsleuten verbunden fühlen. Anzumerken ist hierbei, dass es bei der Problematik mit den kulturellen Stereotypen in Reinform Hinweise über das manifestere Kulturelement bzw. den Kulturkreis gibt, der die relevantere Position in ihrer Persönlichkeit einnimmt. Da dies in der Regel auch im kulturellen Umfeld durchgehalten wird bzw. die Wahl des Freundeskreises, die für die Interviewten zum Teil zur persönlichen Definition von Familie gehören. Auffällig ist, dass Probleme mit der typisch deutschen Mentalität oder der Mentalität des Herkunftslandes nie im Zusammenhang mit den Eltern thematisiert werden, da hier überwiegend Konsens in den Werthaltungen besteht. Außer in dem Fall von Herrn P. sind unterschiedlich gewichtete Wertvorstellungen wenig ausgeprägt. In der Familie des Herrn P. wurden die unterschiedlich gewichteten Wertvorstellungen innerhalb der Familie ausgehandelt und die verschiedenen Lebensentwürfe seitens der Familie akzeptiert. Aussagen der Fälle mit hybriden Identitätsentwürfen: „Ja, da hat sich ein Mann, ’en italienischer Mann ne’ italienische Frau, weil er dann genau wusste er hat so’n Hausmütterchen und ich mein’ wird sind ja hier in Deutschland groß geworden und auch mit vielen Deutschen zusammengewachsen, groß gewachsen, im Kindergarten, da kriegt man schon mal andere Einblicke mit und einfach auch ’en anderes Lifestyle und ähm ich würde mit für mich persönlich gilt diese italienische Tradition in keiner Hinsicht, also für mich ist das unvorstellbar, dass ich mit einer Italienerin zu verloben, dann zu heiraten so schnell wie möglich und dann Familie aufbauen ja, des (1 Sek.) ne überhaupt net“ (Fall D: Zeile 256-264).

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„, also ich hab’ nen sehr großen Freundeskreis. (4 Sek.) Ähm, viele Kulturen, Spanier, Italiener, Pakistaner, Franzosen, Holländer. (Räuspert sich.) Griechen, zwei sehr gute Freundinnen, deutsch, wobei ich sagen würde nicht typisch deutsch. Das heißt für mich, sehr gastfreundlich, sehr man kann auch immer auf sie zählen, ähm. Aber dass ich jetzt sage, dieses Reine, Typische deutsch, was für mich jetzt wäre, ich muss dich anrufen, bevor ich komme, ähm die, die, dieses Unspontane, gar nicht. Also die Freundin meines besten Freundes, der wie gesagt halb Pakistani, halb Franzose ist, ist rein deutsch, ja ähm mit ihr komme ich gar nicht klar, ja“ (Fall C: Zeile 595-604). „Ähm, also ich kann mir auch keinen griechischen Partner vorstellen, obwohl ich Griechin bin ... . (Lacht.) , dass er auch hier aufgewachsen ist, das ist anders, wäre er jetzt sage ich mal frisch aus Italien gekommen, dann hätte er ungefähr dieselbe Mentalität wie die Griechen in Griechenland. Das ist einfach, ähm (1 Sek.) das südländische Temperament ähm, ja einfach eingedeutscht. Das bisschen Eingedeutschte das gefällt mir halt. Das man halt Sachen ernst nimmt, und mit der Arbeit halt, dass man disziplinierter ist und so was halt. Das ist in Griechenland halt nicht so oder im Süden generell“ (Fall A: Zeile 134-145). „Eigentlich muss ich mal überlegen (1 Sek.), ob da überhaupt irgendein Deutscher dabei ist. (3 Sek.) Äh, (1 Sek.) also jetzt ich sag’ mal, Freunde äh habe ich jetzt zwei Deutsche, aber richtig gute, enge Freunde, sind alles Ausländer oder sie sind Mischlinge. Halb-Deutsche und halb Thailänder oder halb Deutsch und halb Italienisch oder Kroaten so halt. ... Mhm, hab’ ich auch zwei, also die eine ist halb Griechin halb Ägypterin und die andere ist auch richtig Griechin. Also aber wie gesagt, ich komme mit meinen eigenen Landsleuten nicht so klar. Deswegen habe ich eigentlich auch nur eine griechische Freundin“ (Fall A: Zeile 322-331).

Aussagen der Probanden mit einer eindeutigen Herkunftskultur: „Yes, because I mean it’s my country, I know what; I have a lot of friends there you know and know what happens. No, because I don’t think there is opportunity for my job there, as there is in other parts of the world. Ähm, I think (1 Sek.), Ireland is, it’s a small country, but it’s a nice country“ (Fall B: Zeile 122-126). „Ähm family, friends of course, I miss the social life in Ireland, because I don’t think, you can get that anywhere else in the world …..(It’s very honest). I miss the friendliness of the in Ireland, they’re very genuine people….and although the culture, as well, it’s probably included in the social life and the food in Ireland, as well“ (Fall B: Zeile 317321). „Also das hat nichts mit Politik, sondern ich mag das Land wie es ist. Die Leute sind nett, das Land ist schön, man da ist sehr viel Grün, sehr viel Wiesen, wen weniger Wälder äh viele Tiere Schafe, Kühe alles Mögliche was man sich vorstellen kann was so auf dem Land lebt und ich bin wir kommen halt mehr vom Land, also gerad gerade äh, wenn wir bei meiner Mutter in der Nähe sind, sehr viel Land, sehr viel Grün wunderschöne Gegenden halt“ (Fall E: Zeile 273-279). „Genau, genau. Engländer. Ja ich weiß nicht das liegt. Also ich kanns nicht sagen. Vielleicht dadurch, dass wir da immer Urlaub gemacht haben, äh mir die Leute die Leute sehr gefallen, mir das Land sehr gefällt und äh ... .“ (Fall E: Zeile 647-650).

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Gemäß dem unterschiedlichen Verbundenheitsgefühl mit dem Heimatland der Eltern bzw. dem eigenen Herkunftsland variieren die Einstellungen zu der Vorstellbarkeit, dort leben zu können. Bei den kulturellen Hybriden liegt der Trend bei „nicht vorstellbar“, da sie angeben, das Leben dort nicht zu kennen bzw. nicht klarkommen würden. Dies enthält einen Verweis, dass sie sich mit dem Leben zwischen den Kulturen arrangiert haben und zur Gewohnheit geworden ist. „Nee, überhaupt net ich hab’ ja auch nicht so den Bezug zu Italien muss ich ehrlich sagen ja. Ich war da immer nur im Urlaub jedes Jahr in den Sommerferien, das war auch ganz schön, ich hab’ jetzt net so den Bezug dazu, ich fühle mich eigentlich hier in Deutschland zu Hause, deswegen fehlt mir da auch nichts, das ich mein’ – nee bei meinen Eltern ist das schon umgekehrt, die sehen sich ja immer noch nach Italien, ja die reden ja auch oder gerad’, wenn die Sommerzeit kommt, da kommt so wie sagt man denn so ähm so Heimweh sag ich mal ja und das hab’ ich ja nicht, weil ich bin ja hier groß geworden“ (Fall D: Zeile 373-381). „Würde ich aber sehr gerne hin, werde ich auch noch mal machen, definitiv, auch wenn ich da mit Tschador rumlaufen muss, aber allein um zu wissen, woher mein Vater kommt und ähm (1 Sek.), wirklich mal in dem Land selber zu sein. Tschechien nicht, nein. Und Iran, also leben könnte ich auch nicht. Ich würd`s besuchen, wie`s genauso wie Tschechien, ähm würd`s mir gern angucken, aber (1 Sek.) ähm, meine Wurzeln sind hier, ich bin hier geboren, und äh, das könnte ich nicht, “ (Fall C: Zeile 335341).

Frau W., die im Vergleich zu Frau N. und Herrn P. über gute Verbindungen in das Heimatland verfügt, kann sich aufgrund der dort vorherrschenden Lebensphilosophie nur im Alter vorstellen, dort zu leben. Ein Leben im Heimatland der Eltern ist in der Jugend keine Option, für Frau W. ist die Heimat momentan Deutschland. „Also, ich mag an den Südländern die Unpünktlichkeit nicht, obwohl ich halt so immer mal so fünf Minuten zu spät komme, aber komme ich heute nicht komme ich morgen, ist immer so das Motto, dass sich da keiner an die ähm, ähm Autoschilder und irgendwie hält, ähm (1 Sek.) ja und das es halt von der Arbeitsweise nicht so, ja alles so Drunter und Drüber geht und daher kann ich mir eher vorstellen nach Griechenland zu ziehen in meiner Rente oder nur im Sommer halt kann ich da leben, aber so richtig halt, kann ich da nicht. Das geht nicht“ (Fall A: Zeile 121-128). „. (2 Sek.). Also, wenn ich im Flieger sitze und ich hatte gerade Urlaub in Griechenland, dann habe ich im Kopf immer ach zurück nach Hause, nach Deutschland“ (Fall A: Zeile 521-523).

Frau T. und Herr O., die sich eindeutig ihrer Herkunftskultur zuordnen, hingegen haben ambivalente Gefühle über ein erneutes Leben in ihrem Heimatland, aus unterschiedlichen Gründen. Herr O. vertritt die Auffassung, dass er bereits zu

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lange im Ausland gelebt hat und Frau T. rekurriert auf ihre beruflichen Perspektiven. „. (1 Sek.) Ja also es kommt immer darauf an, wie man gerade drauf ist (lacht) wie auch gerade die Gegebenheiten in Deutschland sind, also vorstellen kann ich mir inzwischen nicht mehr so sehr wie früher sag’ ich mal, weil äh man einfach so lange da draußen ist, man weiß halt nicht mehr genau und ich bin jetzt seit 24 Jahren hier in Deutschland. Ich bin jetzt 29 Jahre alt, ich hab’ fast mein ganzes Leben in Deutschland gewohnt. Dementsprechend ist es halt ein bisschen schwierig sich dann noch vorzustellen wieder zurück in das eigene Land zu [ kommen ... . In das Ursprungsland sag’ ich mal. Ja und nein, weil ähm wenn man immer wenn man da ist, zum Verwandtebesuchen um mal nicht Urlaub zu sagen, so direkten Urlaub ist das nicht, sondern äh man besucht halt eben die Verwandten, aber wenn man mal da ist, dann freut das einen, man kommt ja auch mit den Leuten sehr gut klar. Das ist halt der der große Unterschied eigentlich. Man sagt höh. Theoretisch wäre es vielleicht gar nicht mal so schlecht das einfach mal auszuprobieren und irgendwann wieder”(Fall E: Zeile 160-177). „Yes, because I mean it’s my country, I know what; I have a lot of friends there you know and know what happens. No, because I don’t think there is opportunity for my job there, as there is in other parts of the world. Ähm, I think (1 Sek.), Ireland is, it’s a small country, but it’s a nice country. I could live there again and then maybe no, sometimes I couldn’t, I don’t know… Yeah, yeah… Not for another few year anyway, I mean, I am quite happy living abroad for the moment, so“ (Fall B: Zeile 122-132).

Es zeigt sich, dass im Allgemeinen alle teilnehmenden Interviewpartner ihre Heimat dort lokalisieren, wo ein großer Teil ihrer Hauptbezugspersonen lebt, d. h. ihr normales soziales Umfeld ist, in das sie hineingewachsen sind. Dieses befindet sich an dem Ort, an den ihre Eltern den Lebensmittelpunkt verlagert haben. Oder anders formuliert könnte dies heißen: Heimat ist dort, wo die „Familie“ ist. Dies wird besonders in den Fällen von Frau T. und Herr O. sichtbar. Im Gegensatz zu Herrn O. stellt sich bei Frau T. während des Aufenthalts im Ausland Heimweh nach der Familie ein. Selbst wenn Herr O. implizit England als seine Heimat bezeichnet, wird explizit darauf verwiesen, dass seine Heimat eigentlich dort ist, wo seine Familie lebt, denn der Aufenthaltsort an und für sich ist nebensächlich, wenn das soziale Umfeld vorhanden ist. Seine Familie bildet den Hauptbezugspunkt, das Aufenthaltsland spielt nur eine Nebenrolle und muss nicht gezwungenermaßen England sein. „Yeah, I mean, of course, been away from your FAMILY. You don’t have that, the (2 Sek.), like I said before, that that there is an emotional gap. I mean, you can always ring them wherever you are, but you still can’t see them, and touch them, and stuff like that. And that’s sometimes hard and it is sometimes lonely, when you live abroad, especially, when you live on your own, like I do and you do get lonely and sometimes you do wish that you were at home like that. I think, loneliness would be the most of the disadvantages“ (Fall B: Zeile 227-234).

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„Das ist eine sehr gute Frage (lacht). Was würde ich an Deutschland vermissen (lacht). Ich weiß gar nicht ob ich irgendetwas vermissen würde also, äh wenn ich jetzt mit der kompletten Familie da wohnen würde, dann würde ich glaube ich nix vermissen, außer Freunden und Bekannten und so was ja, aber ansonsten (1 Sek.) nix ... . Also nein, mir ist eigentlich immer relativ egal, wo ich gerade bin. Bei mir halt der Vorteil. Klar die Freunde, ja Freunde und Verwandte, wenn die alle mit in England wohnen würde, dann wär’s mir egal ... . Genau, dann wäre mir aber auch egal ob ich in Frankreich oder sonst wo wohne. Da gibt’s nix, was ich jetzt an einem bestimmten Land irgendwie, ja klar, wenn alles in England wäre, dann wär dann wär das auch schön“ (Fall E: Zeile 534548). „Das bleibt erhalten ja, das Gefühl, dass man dahin gehört. Ja, nicht dahingehört, da wäre falsch, weil dann müsste, ich davon ausgehen, dass ich da auch wohnen wollen würde, ja es ist mir aber egal, aber ich fühl mich, fühl mich immer noch von der Nationalität her oder von ja von der Nationalität her als Engländer“ (Fall E: Zeile 615-619).

Festzuhalten ist, dass Familie (nach der persönlichen Definition) der Hauptbezugspunkt für alle Interviewteilnehmer darstellt und zu ihrem persönlichen Wohlbefinden beiträgt. Wie bereits einleitend aufgezeigt wurde, verorten sich die Interviewteilnehmer mit hybriden Identitätsentwürfen, trotz gewisser kultureller Präferenzen, in keiner der beiden Nationalitäten (Herkunftskulturen), die in ihnen wirken. Im Allgemeinen finden diese Interviewteilnehmer es problematisch, spezifische kulturelle Eigenschaften zu lokalisieren und empfinden dies eher als Charaktereigenschaft bzw. Persönlichkeitsmerkmal. „Also, es heißt immer, auch nicht nur in Griechenland, ich höre, dass auch von meinen Freundinnen die Kroatinnen sind, immer halt ach die Deutsche ist da. Ja, das ist halt immer ich seh’ ich werd’ halt immer ’nen bisschen als deutsch gesehen und es heißt dann immer auch vielleicht oft zu direkt und zu ehrlich. Manchmal sollte ich vielleicht einfach meine Klappe halten. Ich glaube das ist irgendwie mein Charak[ter ... Nur die] die meinen dann auch, die ART und Weise wie ich etwas manchmal sage, dass das kann man in Griechenland eigentlich nicht bringen, dass sagen die halt immer“ (Fall A: Zeile 506-515). „, würde ich jetzt nicht so sagen. (3 Sek.) Also ich mein, ich find`s eh schwer sich so wirklich auf eine Kultur, dass so ab zu zuhacken oder abzutrennen. Ich denke oder ich weiß, dass sie an mir meine Gastfreundschaft, meine Hilfsbereitschaft, ähm, so was also meine Spontaneität, so was halt mögen. Aber das die mich jetzt abstempeln würden, ähm nee also das ist jetzt typisch iranisch für dich und das ist so typisch tschechisch, das läuft so ineinander über, also das kann man nicht so trennen“ (Fall C: Zeile 773-780).

In der Soziologie wird heute der Begriff Persönlichkeit dem des Charakters vorgezogen, da er meistens evaluativ verwendet wird. Bei der Entwicklung bzw. der Personalisierung, die zur Ausbildung einer soziokulturellen Persönlichkeit führt, entsteht aus dem Zusammenspiel von der Sozialisierung und der Enkulturation

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(Reinhold et al 2000: 485). „Enkulturation ist Teil der Sozialisation, der sowohl bewusste als auch unbewusste Lernprozesse beinhaltet, in dem Verlauf eine Person die kulturelle Überlieferung (z. B. Sprache, Wertvorstellungen und Leitbilder) einer Gesellschaft (bzw. Sub-Gesellschaft) verinnerlicht und damit zu deren Mitglied wird“ (ebd.: 140). In anderen Worten, die Enkulturation umfasst auch die Weitergabe spezifischer kultureller Prägungen an die nachfolgende Generation (ebd.: 10). Dies bedeutet, dass bei der Sozialisation ebenfalls Enkulturationsprozesse zum Tragen kommen, in denen die Eltern in unterschiedlich starker Ausprägung ihre Herkunftskultur an die Kinder, in diesem Fall die zweite Generation, weitergeben. In der Regel findet diese Weitergabe der Kultur aus zweiter Hand statt, da die elterliche Herkunftskultur nur von dem engsten Assoziationskreis vermittelt werden kann, dadurch dass die Eltern mit ihren Kindern in einer neuen Mehrheitsgesellschaft leben. Durch die Vermittelungsfunktion, welche die Eltern bei der Enkulturation bezüglich ihrer Herkunftskultur innehaben, ist demnach der Akkulturationsstatus der Eltern (selbst) in der neuen Ankunftsgesellschaft von Relevanz. Je nachdem wie stark die Eltern ihre Traditionen aus dem Herkunftsland der neuen Ankunftsgesellschaft angepasst haben bzw. dieser geöffnet haben, wirkt sich dies auf den Sozialisationsprozess ihrer Kinder aus. Indem sie ihren Kindern beispielsweise die kulturellen Herkunftspraktiken in abgewandelter Form oder gar nicht vermitteln. (Hier werden nur die kulturellen Hybride betrachtet: Fall A, Fall C, Fall E). In den Interviews zeigt sich, dass die Beibehaltung von familiären (kulturellen) Traditionen familienspezifisch ist, im Allgemeinen aber mit der Aufenthaltsdauer der Eltern in Deutschland verblassen. „Also mütterlicherseits gar nicht, väterlicherseits, mein Onkel, der jetzt verstorben ist, der hat halt immer Nourus gefeiert, das ist praktisch Neujahr, ja, äh (1 Sek.), weil er orthodox war, und das ist am 6. Januar, also haben wir praktisch immer zweimal, ähm, Sylvester praktisch gefeiert, ja. Wobei für uns Kinder, da kann ich auch im Namen meiner Brüder sprechen, immer unser Sylvester, sprich von 31. Dezember auf den 1. Januar, das Sylvester praktisch war. Bei dem anderen ist man halt mitgegangen, weil’s halt auch so ist, aber gut da kannte, da kennt man sich auch mit der Kultur nicht aus, und ... . Ähm ja, ] auf jeden Fall. Ähm, mit der Mentalität ist jetzt, ist jetzt, ja, nicht , aber, natürlich muss man, wenn man in ein fremdes Land kommt, sich anpassen, aber im Herzen, denke ich ist man, denke ich, weiß ich nicht, ist man halt immer noch der Mensch, aus dem man, aus dem Land wo man kam, sprich (1 Sek.), mein Vater hat immer noch diese Ansichten, was heißt Ansichten, aber diese Traditionen oder diese Kulturen, die er aus dem Iran noch mitbekommen hat, von seinen Eltern, sprich diese Gastfreundschaft oder dieses Herzliche, dieses Offene, genau sowie meine Mutter“ (Fall C: Zeile 345-368). „Ja, das hat sich, das hat sich verm ... . ] Ja, um Gotteswillen, also da, da, mein Vater war auch nie so richtig äh Moslem, das heißt ich musste hier nie um, , durfte nichts mit Jungs anfangen oder Sonstiges. Also, ich konnt’, also meine Eltern haben es uns ermöglicht, so deutsch wie, wie möglich aufzuwachsen, ja“ (Fall C: Zeile 395-399).

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„Oh, das ist schwer. (2 Sek.) Also, der Papa sagt jetzt so nach 45 Jahren, er ist schon sehr deutsch, wobei, deswegen hat er auch die deutsche Staats äh Staatsbürgerschaft beantragt gehabt. Aber ich mein klar, im und ist er immer noch Iraner ... .“ (Fall C: Zeile 791-794). „, also eigentlich sind die Griechen so richtig religiös gehen auch immer fromm sonntags in die Kirche, ähm ja machen jedes Mal ihr Kreuz, beten vorm Essen und ähm meine Eltern haben es, mir das auch gar nicht so beigebracht, weil wir in Deutschland so lange waren und (1 Sek.) ähm, ich bin auch eigentlich froh. Also, meine Mutter und mein Vater glauben beide nicht an Gott, was ziemlich außergewöhnlich ist, es gibt eigentlich kaum Griechen, die nicht an Gott glauben, ich glaube auch nicht an so was“ (Fall A: Zeile 179-185). „Ja schon, da die in einem LAND gelebt haben, waren die dann ein bisschen strenger, religiöser und so was ja und seit die halt in Deutschland sind, das hat ganz schön nachgelassen, wobei ich auch froh bin, weil ich komme mit der Kultur auch gar nicht so richtig zurecht (1 Sek.) in Griechenland ... . Angepasst ... . Genau gemischt aufgewachsen. Ja also ich ja einfach so gemischt, einfach so. Ich bin genau die Mischung, also ich komme mir eher vor als würde auf der Grenze zwischen Griechenland und Deutschland leben“ (Fall A: Zeile 213-223).

Selbst in der Familie von Herrn P., welche stark mit italienischen Traditionen verwurzelt ist, zeigt sich ein Verblassen bei der Beibehaltung von kulturellen Traditionen. Herr P. bezieht sich bei seinen Berichten über kulturelle Traditionen immer auf seine Kindheit – dennoch existieren Unterschiede in den Wertvorstellungen zwischen ihm und den übrigen Familienmitgliedern. Im Gegensatz hierzu zeigt sich, dass Frau N. und Frau W. keine großen Unterschiede zwischen den elterlichen Wertvorstellungen und ihren Eigenen feststellen können und diesbezüglich ein Konsens besteht. Bei den kulturellen Hybriden ist dies von noch größerer Bedeutung, da sie in ihrer Familie den höchsten Konsens zwischen Herkunfts- und deren Ankunftskultur vorzufinden scheinen. Einerseits geben sie an, durch die Integration der Eltern keine große Abweichungen in den Werthaltungen vorzufinden, andererseits wurden durch den Enkulturationsprozess Elemente der elterlichen Herkunftskultur an die Kinder weitergegeben, die sie für sich als bindend betrachten und nicht aufgeben wollen. In den Interviews macht es den Anschein, als ob die Übernahme spezifischer kultureller Elemente auf freiwilliger Basis geschieht, d. h. auf den Entscheidungen ihrer Kinder basiert. Da sich die Eltern auch zum Teil integriert haben, geben sie in der Enkulturation nur diejenigen kulturellen Elemente, der Herkunftskultur an ihre Kinder weiter, die sie bereits selbst, in unterschiedlich starker Ausprägung, mit den kulturellen Praktiken der Ankunftskultur verbunden (vermischt) haben. Weitere Anhaltspunkte hierfür liefern die Aussagen, mit mindestens einer der Herkunftskultur in Reinform nicht klarzukommen. Des Weiteren geben zwei der kulturellen Hybride an, sich nichts aus Nationalitäten zu machen, da die Nationalität die auf ihrem Pass steht, nicht zu ihrer subjektiven Verortung passt. Alle kulturellen Hybride legen wenig Wert auf die Nationalitäten eines Menschen.

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„. Auf] jeden Fall. Also wenn ich jetzt von mir ausgehe, kann ich wirklich aus ganzem Herzen sagen, ich bin in meinem Pass nur deutsch, aber ich hab’ wirklich diese kosmopolitische Erziehung genossen und diese verschiedenen Kulturen und nach den ich auch lebe. Also bei mir ist das auch sowie`s auch bei meinen Eltern war, es muss sich keiner anmelden, wenn er vorbei kommt, wenn meine Wohnung dreckig ist, ist meine Wohnung dreckig, ja zum Beispiel. Ich bin für meine Freunde da, dass wissen die auch genau das erwarte ich auch von ihnen. Spontan, hilfsbereit, auf jeden Fall, ja“ (Fall C: Zeile 618-626). „Ja phf (1 Sek.) Mischung (lacht) (2 Sek.) nö meine auf den Pass bin ich Italiener und (1 Sek.) ähm schwere Frage ja ... . , also ich mein ja, wenn ich so jetzt mal überlegen würde. Also ich bin halt ein Italiener, der in Deutschland lebt, dass ich auch viele deutsche Eigenschaften angenommen hab’, trotzdem leb’ ich schon, ja ne Deutsch, also ich bin nicht typisch deutsch ja (1 Sek.) dazu habe ich auch zu viele italienische Eigenschaften in mir“ (Fall D: Zeile 679-687).

Dass die Probanden sich eher der Familie zuordnen als irgendeiner Nationalität, zeigt sich daran, dass die Herkunftskultur die Kultur der Familie bestimmt und sich die Interviewten damit identifizieren, obwohl sie etwas anders fühlen, hier aber den höchsten Konsens vorfinden. Frau W. bringt dies wie folgt auf den Punkt. „Aus Griechenland, also, wenn die mich auch schon fragen, woher ich herkomme, sage ich auch immer aus Griechenland und wenn die dann sagen, aber du bist doch hier geboren, was weiß ich, für mich bin ich Griechin, das ändert sich nicht, auch wenn ich hundert Jahre hier bleiben würde ... . (Lacht) Ja, kann man so sagen ... . Ähm, beides. Weil ähm mein HERZ gehört meiner Familie und da meine Familie für mich Griechen sind, bin ich im Herzen auch Griechin“ (Fall A: Zeile 540-551). „Ja meine Familie würd’ ich dann schon sagen aus Italien ... . Ja, weil meine Eltern schon wie bereits gesagt schon doch sehr fest eingefahren italienisch sind ... . Meine] Brüder sind auch schon typischer italienisch, das fängt schon damit an, meine Brüder tragen diese Geldkästchen, ja und die haben auch schon so ein bisschen gegen über ihren Frauen so immer so den bestimmenden Ton, den italienische Männer an sich haben“ (Fall D: Zeile 712-721).

Zusammenfassend bestätigt sich die Hypothese, dass Familie selbst bei dem Verlust kultureller Zugehörigkeiten einen eindeutigen Bezugspunkt darstellt. Vermutlich ist die emotionale Verbindung zur Familie stark, über konkrete Ausprägungen konnten hier keine Aussagen gemacht werden, da das Familienleben, trotz verschiedener kultureller Elemente als harmonisch beschrieben wird und Konflikte nie direkt thematisiert werden oder keine Brüche innerhalb der Familie verursachen und allgemeines Verständnis vorherrscht. Sichtbar wird die starke Bindewirkung von Familie bei Frau N., da sie die Interessen ihrer Familie über ihre eigenen Bedürfnisse stellt.

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„Also würde ich jetzt vor die Wahl gestellt werden, ähm Freund oder Familie (2 Sek.), würde ich wirklich ins Schwanken kommen, aber ich mich letzten Endes doch für Familie entscheiden, also hätten, wären meine Eltern jetzt mit meinem Freund nicht zurechtgekommen, was Gott sei Dank nicht der Fall ist, hätte ich mich wirklich für meine Familie entschieden, weil ähm, man weiß nie, wie man, wie lange man mit so`nem Lebensabschnittsgefährten zusammen ist, und Familie ist wirklich Familie und das hat halt oberste Priorität“ (Fall C: Zeile 142-150).

An a l yt i s c h e D i m e n s i o n e n v o n F a m i l i ä r e n Transnationalen Sozialen Räumen Abschließend sollen hier vier analytische Dimensionen von familiären transnationalen sozialen Räumen skizziert werden, die sich aus den vorliegenden Interviews ableiten lassen. Die vier Dimensionen geben zum einen Aufschluss über die Beständigkeit bzw. die Entstehungsvoraussetzung und liefern zum anderen Einblicke über die Modalitäten, die zur Beibehaltung der familiären Einheit über nationalstaatliche Grenzen führen bzw. die familienmitgliedsspezifische Teilhabe an dem familiären transnationalen Artikulationsraum.

Erste Dimension Die erste analytische Dimension ist der Emigrationsakt (Entschluss) eines Familienmitgliedes, der entweder die Transnationalität der Familie auslöst oder zu einer weiteren Dislozierung der Familie führt. Das Zielland des Emigrierenden wird dabei als weiterer Knoten in das familiäre Netzwerk integriert und bestimmt demnach die Spannweite des familiären transnationalen sozialen Raumes. Für die Beibehaltung der familiären Einheit über nationalstaatliche Grenzen ist die geografische Distanz zwischen den Aufenthaltsorten der Familienmitglieder insofern relevant, als das größere Entfernungen höhere Investitionen von Ressourcen bei der Überbrückung der Distanz erfordern. Im Allgemeinen werden die Emigrationsentschlüsse vor dem Hintergrund besserer beruflicher Perspektiven bzw. Ausbildungschancen getroffen und stehen somit im Zusammenhang mit der sozialen Absicherung bzw. einen höheren sozialen Status, da sich der Lebensstandard des emigrierenden Familienmitglieds in der Regel verbessert. In den vorliegenden Fällen wird der Emigrationsentschluss nicht als Überlebensstrategie bzw. zur Sicherung der familiären Existenz für die komplette Familie angewandt, sondern die Antriebskraft bilden individuelle Motive und sind demnach bis zu einem gewissen Grad freiwillig. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Familienmitglieder, die an der Untersuchung teilnahmen, generell einen hohen Lebensstandard haben und die Familienmitglieder untereinander in keinem finanziellen Abhängigkeitsverhältnis, außer in Notlagen, zueinander stehen. (Der Emigrationsakt ist nicht ursächlich für die Aufrechterhaltung des Kontakts, sondern die bestehende Kontaktqualität zwischen den jeweiligen Familienmitgliedern).

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Zweite Dimension Die zweite analytische Dimension ist die Kontaktqualität zwischen dem Emigrierenden und den übrigen Familienmitgliedern, die ursächlich ist für ihre unterschiedliche Teilhabe an dem bestehenden familiären transnationalen sozialen Raum. Die Kontaktqualität generiert die Kontaktintensität über nationalstaatlichen Grenzen bzw. die Bereitschaft zur Investition von Ressourcen für die Restrukturierung ihrer Beziehung im Raum. Unter dem Oberbegriff Kontaktqualität wird die Enge des Verhältnisses zwischen den Familienmitgliedern (damit einhergehend das bestehende Verbundenheitsgefühl) subsumiert, dass in der Regel aus der Zeit, die gemeinsam, d. h. in der direkten Interaktion verbracht wurde, resultiert. Es zeigt sich, dass je enger der Verwandtschaftsgrad der Einzelnen, desto intensiver die Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, was überwiegend auf dem Leben in demselben Haushalt zurückgeführt werden kann, wie beispielsweise das Kind, welches bei seinen Eltern aufwächst. Die Komponente der geografischen Distanz zwischen den Familienmitgliedern führt zur Neuaushandlung von familiären Bindungen, d. h. die Verbindung zu denjenigen Familienmitgliedern, deren Beziehung als eng charakterisiert werden kann, wird verlagert auf den Einsatz von Kommunikationsmedien. Die Kontaktqualität verändert sich durch die wohnräumliche Trennung, das vorherrschende Verbundenheitsgefühl bleibt erhalten und erzeugt durch die notwendige Umstellung von der direkten auf die indirekte Interaktion eine veränderte Emotionalität, die durch Kommunikationsmedien nicht kompensiert werden kann. Zwischen Familienangehörigen, die vor der räumlichen Dislozierung wenig Bezug zu einander hatten, wird kein persönlicher Kontakt gepflegt und Informationen über das Wohlbefinden dieser über Dritte eingeholt. Während diejenigen, die in einer engen Beziehung pflegen bzw. ein starkes Verbundenheitsgefühl, versuchen die Veränderung in der Emotionalität durch Kommunikationsmedien zu kompensieren. Kurzum: Die Kontaktqualität zwischen den jeweiligen Mitgliedern ist grundlegend für den Erhalt der sozialen Bindung im Raum und generiert die Kontaktintensität über nationalstaatliche Grenzen. Dies basiert auf dem unterschiedlichen Empfinden der Komponente der geografischen Distanz: ist die räumliche Entfernung zwischen den Familienmitgliedern eine schmerzliche Erfahrung, ist die Kontaktintensität hoch (in Relation zu betrachten). Nimmt die Dislozierung kaum Einfluss auf das Wohlbefinden der Betreffenden, ist die Kontaktintensität gering oder besteht nur über Dritte. Aufgrund der geografischen Distanz muss die Kommunikation überwiegend über eine indirekte Basis stattfinden, welches den Aufbau eines Verbundenheitsgefühl/intensiver Beziehung bei bereits existierender Dislozierung erschwert. Durch den Mangel an Bezugpunkten oder das fehlende Wissen um Gemeinsamkeiten entsteht keine Motivation, Ressourcen zu aktivieren oder zu investieren. Die Erzeugung eines „nachträglichen“ Verbundenheitsgefühls erfolgt über das

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Einwirken Dritter, in dem beispielsweise ein weiteres Familienmitglied den Grund für einen Besuch liefert. Dieser Besuch kann den anderen Familienmitgliedern Anknüpfungspunkte für den Aufbau einer Bindung liefern. Entsteht beispielsweise durch häufige oder ausgedehnte Besuche ein bisher nicht existentes Verbundenheitsgefühl, initiiert dies die Restrukturierung der Bindung über den Raum. Dies impliziert auch, dass die Beständigkeit einer transnationalen Familie davon abhängt, wie intensiv diese ihr Familienleben über nationalstaatliche Grenzen ausgestaltet, damit die nachfolgende Generation Anknüpfungspunkte für die Partizipation an dem familiären transnationalen sozialen Artikulationsraum liefert.

Dritte Dimension Bei der Partizipation an dem familiären transnationalen sozialen Raum wirkt sich die dritte Dimension als die Disposition von Ressourcen aus. Jedes Familienmitglied (Verbundenheitsgefühl vorausgesetzt) investiert die ihm zur Verfügung stehenden Mittel, um die familiäre Einheit aufrechtzuerhalten, in den geschaffenen Raum für die Austauschbeziehungen. Unter Ressourcen ist hier im Allgemeinen nicht nur die Verfügung von finanziellen Mitteln zu verstehen, sondern auch die zeitlichen Ressourcen, die notwendig sind für die physische Überbrückung der Distanz, damit die indirekte Kommunikation ergänzt werden kann (durch direkte Interaktionen). Ressourcen finanzieller Natur werden benötigt für die Ausdehnung der Soziosphäre (das Beziehungsnetzwerk des Einzelnen), um Kreuzungen mit Soziosphären bestimmter Familienmitglieder herbeizuführen, angetrieben von dem bestehenden Verbundenheitsgefühl und dem Interesse an dem Wohlbefinden. Finanzielle Ressourcen sind notwendig für die anfallenden Kosten, die durch den Einsatz von Kommunikationsmitteln entstehen, damit die neue Unmittelbarkeit ausgenutzt werden kann. Den höchsten Kostenfaktor stellen Reisekosten dar, die neben der Investition von finanziellen Mitteln gleichzeitig den Einsatz von zeitlichen Ressourcen erfordern. Die Verfügung von finanziellen Mitteln ist die Grundvoraussetzung für die pluri-lokale Ausrichtung/Ausgestaltung des familiären Netzwerkes sowie für die Gestaltung des Familienlebens über nationalstaatliche Grenzen hinweg, da die Disposition von Ressourcen das Verhältnis zwischen dem Einsatz von Kommunikationsmedien und wechselseitigen Besuchen bestimmt. Neben den finanziellen Ressourcen beeinflussen die zeitlichen Ressourcen jedes einzelnen Familienmitglieds die Realisierung von gegenseitigen Besuchen, die in der Regel einen hohen Stellenwert haben, da sie die Emotionalität wiederherstellen. Zeitliche Ressourcen sind je nach Entfernung für die physische Überbrückung der bestehenden Distanz notwendig und erfordern Planung. Die Verfügung von zeitlichen Ressourcen zwecks Heimreise scheint sich mit Ausdehnung des Auslandsaufenthalts zu verringern. Dies kann zum einen auf die stei-

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genden beruflichen Verpflichtungen zurückgeführt werden und zum anderen auf die fortschreitende Integration in die neue Umgebung des Ankunftslandes hinweisen wie beispielsweise der Gründung einer eigenen Familie vor Ort. Selbst wenn die zeitlichen Ressourcen verknappen, wird unter keinen Umständen der Kontakt zur Herkunftsfamilie abgebrochen, sondern flacht mit den Jahren ab. In Notsituationen von einzelnen Familienmitgliedern spielt die Disposition von Ressourcen eine untergeordnete Rolle, da das Unterstützungssystem der Familie aktiviert wird und im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten Beistand leistet; bei Erfordernis wird die Mobilität ausgenutzt und die Distanz in Raum ad hoc überbrückt.

Vierte Dimension Die vierte und letzte analytische Dimension sind individuelle und kollektive (familiäre) Aushandlungsprozesse von kulturellen Praktiken. Hierbei geht es nicht um die Aushandlung von familiären Bindungen, diese werden bereits durch die Komponente der geografischen Distanz über die vorherige Kontaktqualität, d. h. die Inklusion und Exklusion von Familienmitgliedern in die persönliche (individuelle) Definition von Familie verhandelt. Die Aushandlungsprozesse von kulturellen Praktiken treten bei Familienmitgliedern auf, die miteinander interagieren, in verschiedenen Mehrheitsgesellschaften lokalisiert sind und unterschiedlich stark von der neuen Ankunftskultur geprägt wurden. Die transnationale Familie wird somit zur Schnittstelle unterschiedlicher Lebens- und Identitätsentwürfen mit modifizierten kulturellen Praktiken, in denen die Wahl- und Herkunftsbindung verschiedene manifeste und latente Stellungen in ihrem Lebensentwurf haben. Individuelle Aushandlungsprozesse entstehen durch die Konfrontation mit dem Leben in einem fremden Kulturkreis, d. h. in den unterschiedlich starken Bestrebungen des Individuums sich eine kohärente Identität, durch die Passung zwischen dem kulturellen Inneren und dem veränderten gesellschaftlichen Äußeren herzustellen oder in anderen Worten, die Bestrebungen des Individuums sich zu akkulturieren. Hierbei verbinden sich in der Regel die jeweiligen kulturellen Traditionen des Herkunftslandes mit denen des Ankunftslandes und erzeugen neue kulturelle Verbindungen bzw. modifizierte kulturelle Traditionen und Werthaltungen. Dies bedeutet auch, dass sich die kulturellen Orientierungen nicht mehr auf eine Lokalität beschränken, sondern durch das Leben als Migrant in der Vergangenheit und der Gegenwart pluri-lokal werden. Die abgewandelten kulturellen Lebensformen und -stile werden ebenfalls in dieser Form an Nachkommen, die bereits in dem neuen Ankunftsland zur Welt kamen, weitergegeben mit dem Unterschied, dass diese stärker als ihre Eltern damit verwurzelt sind. Innerhalb der im Ausland lokalisierten Kernfamilie können ebenfalls Aushandlungsprozesse zwischen Eltern und Kindern zum Tragen kommen, die sich meistens in der unterschiedlich starken Identifikation mit der Ankunftsgesellschaft manifes-

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tieren. Die unterschiedlichen kulturellen Repräsentationen bzw. die Gewichtungen von Werthaltungen als Ergebnis der individuellen Aushandlungsprozesse werden durch die bestehenden Kontakte zu Familienmitgliedern im Ausland in die transnationale Familie hineingetragen, sodass hier verschiedene Identitätsentwürfe koexistieren und ebenfalls Aushandlungsprozesse, die familiärer oder kollektiver Natur sind, angestoßen werden können. Zum Teil werden hierdurch ebenfalls Änderungen in den Werthaltungen von anderen Familienmitgliedern durch ihre Konfrontation mit Identitätsstrategien anderer Familienmitglieder, die durch einen ausländischen Kulturkreis eingefärbt wurden, erzeugt. Da die verwandtschaftlichen Bindungen einen eindeutigen Bezugspunkt in dem Leben von Individuen und auch bei Mitgliedern einer transnationalen Familie darstellen, treffen innerhalb der Familie Lebensentwürfe aufeinander, die unterschiedlich stark von fremden kulturellen Repräsentationssystemen des jeweiligen Ankunftsortes geprägt wurden. Demnach wird die transnationale Familie zu einem Ort, an dem kollektive Aushandlungsprozesse im Bezug auf variierende kulturelle Praktiken stattfinden. Die Familie scheint ihre Transnationalität zu internalisieren, in dem sie zwecks Aufrechterhaltung ihrer Einheit über nationalstaatliche Grenzen zum einen gemeinsame Identifikationspunkte beibehält und zum anderen die Modifikation von Identitätsrepräsentationen akzeptiert. Abbildung 07: Grafische Darstellung der analytischen Dimensionen von Familiären Transnationalen Sozialen Räumen Analytische Dimensionen von Familiären Transnationalen Sozialen Räumen 1. Dimension

Emigrationsentschlüsse

Auslösung der Transnationalität einer Familie bzw. die weitere Dislozierung

2. Dimension

Kontaktqualität

Die Kontaktqualität generiert die Kontaktintensität über nationalstaatliche Grenzen hinweg und ist damit grundlegende Komponente für die Beständigkeit diese Familienkonstellation.

3. Dimension

Disposition von Ressourcen

Finanzielle und zeitliche Ressourcen für die Nutzung der materiellen Infrastruktur, um den jeweiligen Aufenthaltsort für den Erhalt der familiären Einheit instrumentalisieren zu können

4. Dimension

Individuelle und Aushandlungsprozesse setzen ein, da die Familie zur familiäre Aushandlungs- Schnittstelle für unterschiedliche Lebensentwürfe wird prozesse

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T r a n s n a t i o n a l e F a m i l i e n a l s S ym p t o m u n d Weltgesellschaft im Kleinen Migration existiert seit Menschengedenken, bedeutet aber unter dem heutigen Vorzeichen der Globalisierung bzw. der Globalität keinen Bruch mehr mit der Vergangenheit, sondern online mit der Vergangenheit in Verbindung stehen zu können und beispielsweise familiäre transnationale soziale Räume aufzubauen. Ob die Formierung von transnationalen Familien als Symptom von Weltgesellschaft (bzw. Globalisierung und Transnationalisierung) (vgl. Pries 2002) betrachtet werden kann und derartige Familienkonstellationen Weltgesellschaft im Kleinen verkörpern, wird in dem folgenden Abschnitt unter Bezugnahme auf die vorliegenden Erkenntnisse sowie den theoretischen Konzepten erörtert. Globalisierung implementierte durch das Erzeugen wechselseitiger Abhängigkeiten das Bewusstsein der Menschheit, in einer einzigen Welt als singulärer Struktur zu leben, schaffte die technischen Voraussetzungen bzw. die Infrastruktur, die es Menschen heute ermöglicht sich real und virtuell rund um den Globus zu bewegen (vgl. Castells 2001, Giddens 1996, Robertson 1992, Luhmann 1975). Was wir heute als Weltgesellschaft beobachten können, ist nicht das Ergebnis eines politischen Zusammenschlusses, sondern Resultat der so genannten Transnationalisierung von unten – sozusagen die von der Globalisierung herbeigeführte Freisetzung der Individuen von der Struktur (des Nationalstaats) und der Entstehung eines globalen Bezugsrahmens als Letzthorizont (vgl. Pries 2002, Appadurai 1998, Lash 1994, Robertson 1992). Einhergehend mit der zunehmenden Kompression von Zeit und Raum konnte sich das soziale Interaktionsumfeld von Individuen ausdehnen bzw. transnational werden, sodass ihr Handeln über eine spezifische Lokalität hinausreichen konnte und umgekehrt ihre Existenz an globale bzw. komplexer werdende Bedingungen gekoppelt wurde (vgl. Albrow 1998a, Hall 2002). Die verstärkt auf Netzwerken oder funktionalen Systemen basierende Gesellschaft mit globalen Bezügen in den Bereichen von Wirtschaft, Wissenschaft, Medien, Politik, Kultur usw., in der nationalstaatliche Grenzen eine untergeordnete Rolle spielen, kann als Weltgesellschaft verstanden werden (vgl. Luhmann 1975, Castells 2001). Die neue kulturelle Dynamik, geschaffen durch die Entwurzelung bzw. Dislozierung und Rückbettung, manifestiert sich in der Zirkulation von Menschen, Geld, Waren, Gütern, Informationen, Ideen, Symbolen, Kultur rund um den Globus und verändert die soziale Realität dahingehend, dass sie ebenso pluralisiert, schnelllebig, mobil, dezentriert und flexibel wird (werden muss) und die Individualisierung vorantreibt (vgl. Giddens 1996, Appadurai 2003, Hall 2002). Eine konstitutive Komponente der Gesellschaft und somit des Nationalstaats, der nachgesagt wird Opfer von Individualisierungstendenzen zu werden und auseinander zu brechen droht, ist die Familie. Wie bereits verdeutlich wurde, kann eine Familie nicht mehr über den gemeinsamen Haushalt erfasst werden, da sie multilokal wird (vgl. Betram 2002). Der vorausgehende Abschnitt belegt,

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dass die familiäre Einheit selbst dann aufrecht erhalten wird, wenn sich das verwandtschaftliche System über mehrere Nationalstaaten erstreckt und seine jeweiligen Mitglieder von fremden Kulturen beeinflusst werden. Folglich ist Globalität nicht nur gleichbedeutend mit einer abstrakter und komplexer werdenden Gesellschaft (Struktur – Weltgesellschaft), sondern beinhaltet simultan die Möglichkeit zur Wiederherstellung von Nähe durch die Verknüpfung bisher unverbundener Lebenswelten (Albrow 1998: 217-218). Dieses neue Bewusstsein der Menschheit, entstanden durch den globalen Bezugsrahmen bzw. Artikulationsraum, führt zu einer Überproduktion von Möglichkeiten für Individuen und Akteure. Die Potenzierung der Wahlmöglichkeiten setzt sie gleichzeitig höheren Risiken aus, da alte Bezugspunkte, die beispielsweise zu ihrer Verortung in der Gesellschaft beitrugen, weniger relevant werden. Individuen müssen derzeit verstärkt aus eigenem Antrieb ihre Verortung in der Gesellschaft finden, d. h. ihre Identität bleibt nicht mehr ein Leben lang dieselbe, sondern wird prozessual durch die Konfrontation mit einer Vielzahl möglicher Identitätsentwürfe und einer für das Individuum offenen Zukunft (vgl. Luhmann 1975, Hitzler 1994, Hall 2002, Keupp et al 2002). Menschen wissen heute, besonders durch die Funktion der Massenmedien, mehr über das Leben anderer und werden mit einer Vielzahl möglicher Lebensentwürfe konfrontiert, mit denen sie ihre eigenen Lebensskripte bzw. Situationen abgleichen können (und von einem besseren Leben irgendwo auf dieser Welt träumen) (vgl. Appadurai 1998, Robertson 1991). Die Imagination als neue Form des sozialen Handelns basiert auf dem Abwägen, welche Lebensentwürfe sich Individuen persönlich vorstellen können und treibt Menschen aus verschiedenen Motiven in fremde Länder. Dabei lassen sie einen Teil ihrer Familie zurück, mit dem Wissen den Kontakt beizubehalten und ihr Leben pluri-lokal ausrichten zu können (vgl. Pries 2001, Appadurai 1998, Albrow 1997, Hannerz 1996). Im Allgemeinen erleichtert die ausgereifte Infrastruktur Migrationsentscheidungen dahingehend, dass sie schneller revidiert werden können und „jederzeit“ die Kommunikation mit Familienmitgliedern (Unmittelbarkeit) oder die Rückkehr zur Familie ermöglicht. Je mehr Individuen freiwillig (bspw. wegen der Imagination) oder unfreiwillig (berufliche Notwendigkeit, Überleben) außerhalb ihres Herkunftslandes leben, desto häufiger wird das Phänomen von transnationalen Familien auftreten. Die Familie ist trotz räumlicher Dislozierung ein eindeutiger Bezugspunkt in ihrem Leben und bleibt ein wichtiges Unterstützungssystem. Denn innerhalb dieser Herkunftsbindung finden Individuen den größten Konsens vor (vgl. Hondrich 2001: 51) und können sich ebenfalls von fremden Ländern aus auf diese Bindung verlassen. Sie dient somit einigen Mitgliedern einer transnationalen Familie als eine Art „Rückversicherung oder Ruhepol“, in den aus den Fugen geratenen Welt. In anderen Worten: Je höher das Niveau von Mobilität, Flexibilität (damit einhergehend auch die Individualisierung und die Notwendigkeit das gewohnte soziale Umfeld zu verlassen) in der Gesellschaft steigt, das meistens durch die

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Wirtschaft bzw. kapitalistische Systeme definiert wird, desto mehr Familien werden transnationale Strategien verfolgen müssen, um sich als Einheit behaupten zu können. – Da immer mehr Menschen außerhalb ihres Herkunftslandes und damit verbunden teilweise außerhalb ihres engsten Assoziationskreises leben. Je mehr sich der Nationalstaat aus der Regulierung der sozialen Lebenswelt von Individuen zurückzieht und ihnen verstärkt Eigenleistungen bzw. Flexibilität abfordert, desto gewichtiger wird die Funktion von Familie als Solidargemeinschaft (vgl. Hondrich 2001: 38). Bei auftretenden Problemen innerhalb einer transnationalen Familie, die Unterstützungsleistungen erfordern, werden diese über die Distanz erbracht, da das gemeinschaftliche Interesse am Wohlbefinden von Familienmitgliedern anhält und die jeweiligen Aufenthaltsorte keine strategische Bedeutung haben. Demnach bleibt die Funktion der Institution Familie auch auf transnationaler Ebene durch die transnationalen Lebensentwürfen ihrer Mitglieder weiterhin bestehen. Besonders beim Verlassen des Heimatlandes scheint die Familie von besonderer Relevanz zu sein. Sie gebietet dem Emigrierenden Rückhalt, da er mit dem Wissen, weiterhin auf seine transnational gewordenen Herkunftsbindungen bauen zu können, diese vor Ort mit neuen Wahlbindungen anreichern kann, ohne sich gezwungenermaßen auf diese verlassen zu müssen. Umgekehrt kann die Emigration einzelner Familienmitglieder bzw. transnationale Lebensentwürfe dazu dienen, die Versorgung der übrigen Familienmitglieder im Heimatland zu sichern. Unter dem Erkenntnisgewinn der vorliegenden Interviews, dass im Globalen Zeitalter der Kontakt zu im Ausland lebenden Familienmitgliedern nicht abbricht und der Tatsache, dass Globalisierung zur Ausweitung des internationalen Personenverkehrs führt9, lässt sich Folgendes ableiten: Zum einen, dass die Formierung transnationaler Familien Kennzeichen der Postmoderne sind und zum anderen, dass die Vorstellung von Gemeinschaft in andere Bahnen gelenkt wurde. Wenn Orte (hier Deutschland) von sozialen Beziehungsnetzwerken seiner Einwohner durchkreuzt werden, die in ihrer räumlichen und zeitlichen Ausdehnung über nationalstaatliche Grenzen hinausreichen, dann wird Gemeinschaft nicht mehr ausschließlich an einer spezifischen Lokalität produziert (vgl. Appadurai 2003, Albrow 1997, Hannerz 1996). In der so genannten Vormoderne konnte Gemeinschaft auf eine spezifische Lokalität reduziert werden, da der individuelle Bewegungsradius der jeweiligen Bewohner auf eben diese beschränkte. Die familiäre Gemeinschaft war gleichbe9

Es soll an dieser Stelle angemerkt werden, dass die Zahlen über Abwanderung von Deutschen ins Ausland aufgrund besserer beruflicher Perspektiven sowie die Zahlen über Migration in Deutschland Indizien hierfür liefern. Werden die Migrationszahlen Deutschlands in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts betrachtet, zeigt sich dass ca. 31 Millionen Menschen (Deutsche und Ausländer) in die Bundesrepublik zuzogen und in demselben Zeitraum 22 Millionen wegzogen (Bade/Oltmer 2004: 97).

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deutend mit einer Produktionsstätte, aufgrund der vorherrschenden Subsistenzwirtschaft, die der ökonomischen Absicherung dieser Gemeinschaft diente und familiäre Bindungen demnach materiell bestimmt waren (vgl. Hill/Kopp 2004). Mit Einsetzen der kapitalistischen Moderne, welche die Trennung zwischen öffentlichem und privatem Leben durch die außerhäusliche Erwerbsarbeit einführte, sind familiäre Bindungen nicht nur durch ökonomische Determinanten bestimmt, sondern beruhen auf Zusammenschlüssen affektiver Natur.10 Hier liegen die Anfänge der Individualisierungstendenzen in unserer Gesellschaft. Die in der ersten Moderne einsetzende raumzeitliche Abstandsvergrößerung korrelierte mit der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft, die die beiden deckungsgleichen Kreise aus der Vormoderne auseinander streben liessen.11 Der Übergang von der ersten Moderne auf die zweite Moderne vollzieht sich unter anderem durch die technischen Neuerungen, der Umstellung von mechanischer auf digitale Technologie, welches die raumzeitliche Abstandsvergrößerung derart ausweitete, dass territoriale Bezüge aufgehoben werden konnten. Die allmähliche Auflösung des räumlichen Bezugs entsteht im Zusammenhang mit der dialektischen Wirkungsweise von Globalisierung als die Intensivierung der wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Systemen/ Lokalitäten (Kompression von Zeit und Raum) und Transnationalisierung als die daraus herbeigeführte Ausdehnung des individuellen Bewegungsrahmens, welches seitens der Individuen auch eine höhere Umweltkomplexität bedeutet. Als Resultat des dialektischen Verhältnisses zwischen Globalisierung und Transnationalisierung sehen wir heute die Formation der Weltgesellschaft. Die Entstehung einer Gesellschaft, die sich nicht ganzheitlich unter das vom Staat deklarierte Territorium subsumieren lässt, da ihre sozialen Beziehungen über das vom Nationalstaat definierte Einflussgebiet hinausweisen können und dies auch verstärkt auftritt. Die territoriale Basis wird durch das gegenwärtige Ausmaß der Globalisierung aufgehoben, da das soziale Umfeld jedes Einzelnen mit Kommunikationsstrukturen (vgl. Lash 1994) und Anbindungen an eine Infrastruktur durchzogen ist, die bis an die Grenze unseres Globusses reichen können. – Und im Umkehrschluss mehr Fremdeinflüsse und „Risiken“ in ihr soziales Umfeld hineintragen. Letztlich bedeutet dies, dass soziale Aktivitäten örtliche/staatliche Grenzen überschreiten können und Gemeinschaft nicht zwingendermaßen lokal determiniert ist, welches bis zu einem gewissen Grad ebenfalls auf die Konstellation von 10 „Wir hängen nur deshalb an unserer Familie, weil wir mit der Person unseres Vaters, unserer Mutter, unserer Frau und unserer Kinder affektiv verbunden sind. Dies war früher ganz anders, als die durch materielle Dinge erzeugten Bindungen wesentlich wichtiger als interpersonelle Bindungen waren, als der eigentliche Zweck der Orga-nisation einer Familie in der Bewahrung der häuslichen Güter bestand und dem-gegenüber jegliche persönliche Belange zweitrangig waren“ (Emile Durkheim 1921: Introduction a la sociologie de la famille, in: Textes Band 3, Paris 1995, 9-34, zitiert nach Singly 1994: 12). 11 Der Raum und Ort (Repräsentationssystem: Familie, soziales Umfeld, Klassenmilieu, soziale Aktivitäten) (Hall 2000: 211), die aber eine territoriale Basis hatten.

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Familien d.h. die familiale Gemeinschaft zutrifft. In der flüchtigen Moderne (vgl. Baumann 2003) bleibt der Teil der Familie, bei der das Individuum aufwächst, sein engster Assoziationskreis (vgl. Simmel 1992) und fällt vorerst auf eine spezifische Lokalität (Aufenthaltsort der Eltern). Ab einem gewissen Zeitpunkt (Erwachsenenalter) dehnt sich der Radius der sozialen Kreise, die Menschen während ihres Lebens (Entwicklung) zu ihrem engsten Assoziationskreis addieren, aus. Die neue Dimension im Bezug auf ihre Reichweite kann dazu führen, dass ein Individuum heute außerhalb des „Einzugsgebietes“ des engsten Assoziationskreises lebt. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass in der flüchtigen Moderne das lokale Umfeld von Kommunikationsstrukturen durchkreuzt wird, sodass dieses in die letzte Nische des Globus reichen kann oder vielmehr zu einem globalen Identifikations- und Interaktionssumfeld wird. Unter den gegenwärtigen Bedingungen der Globalisierung sowie den Möglichkeiten des globalen Identifikationsraumes haben sich die Eigenschaften der sozialen Kreise, an denen das Individuum wegen gleicher Interessen partizipiert, gewandelt. Die Verlängerung des lokalen Interaktionskontextes führt dazu, dass sich die sozialen Kreise eines Individuums entsprechend seinem Handlungseinsatz und den zur Verfügung stehenden Ressourcen in Raum und Zeit variieren. Das persönliche Umfeld, das sich das Individuum durch die Kreuzung von sozialen Kreisen aufbaut, kann im Hier, Jetzt und überall liegen, sodass soziale Kreise heute zutreffender (in Anlehnung an Albrow 1998) als Soziosphären bezeichnet werden sollten, aufgrund der Zunahme des Volumen/Radius. Wenn sich das individuelle Beziehungsgeflecht innerhalb des Weltraums mit anderen sozialen Kreisen oder Soziosphären kreuzt, entstehen soziale Landschaften (vgl. Albrow 1998, Appadurai 2003) oder in anderen Worten, je nach Schnittmenge, Gemeinschaften. In diesem Hinblick kann der engste Assoziationskreis bestehen bleiben, auch wenn er nicht mehr seinem lokalem Interaktionsgebiet angehört und versucht wird die fehlende emotionale Nähe zu diesem über den Einsatz von Kommunikationsstrukturen zu kompensieren. „Der Kapitalismus hat den Ort als Prinzip der sozialen Organisation des Wirtschaftslebens jedoch seit Langem aufgegeben“ (Albrow 1998: 243, Z. 3-4), welches bis in die soziale Lebenswelt der Individuen oder vielleicht auch bis in ihre Bindungen rückwirkt. Dadurch wird beispielweise die „reale“ oder „imaginäre“ Notwendigkeit von Menschen (durch die geforderte Mobilität oder Flexibilität) provoziert, meistens in beruflicher Hinsicht, sich rund um den Globus zu bewegen (vgl. Hannerz 1996). Dies basiert überwiegend auf der Tatsache, dass heute lokale Netzwerke an translokale Netzwerke angeschlossen und sowohl Ereignisse an einem Ort, Auswirkungen auf andere Orte haben können als auch die Verwobenheit eben dieser Netzwerke eine einheitliche Verkehrszivilisation entstehen ließ, die es Menschen ermöglicht sich überall auf der Welt zurechtzufinden bzw. Auslandsaufenthalte zu erleichtern (vgl. Castells 2001, Robertson 1998, Albrow 1997, Luhmann 1975). Durch die Verknüpfung der Lokalitäten, wie es Robertson formulierte, haben einzelne Kulturen bzw. Akteure eine gemeinsame Kommunika-

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tionsbasis, in der partikulare Bedürfnisse auf ein universell-gültiges Niveau12 (Kommunikationsgrundlage) angehoben werden. Menschen können durch das heutige Ausmaß kultureller Globalisierung darauf vertrauen, überall auf der Welt ihre spezifischen Lebensstile beibehalten zu können und von jedem Ort aus transnationale Lebensentwürfe verfolgen, um beispielsweise den Kontakt zu Familienmitgliedern beibehalten zu können. Die als Einheit begriffene Welt ist nicht per se zu einem friedlicheren Ort geworden, sondern zu einem strukturierteren, interaktiven Schauplatz, in der widerstreitende Interessen aufeinander treffen und Vormachtstellungen behaupten werden, ihr aufgrund von Machtasymmetrien demnach auch fragmentierende Tendenzen innewohnen (vgl. Appadurai 2003, Huntington 2002, Barber 2001, Robertson 1991). Im Hinblick auf Familien bzw. transnationale Familien, die ein Symptom des gegenwärtigen Zustandes der Welt sind, hat das Leben in der Welt als singulärer Struktur zwei Gesichter. Die Kehrseite der Medaille ist, dass genau jene Mechanismen, die zur Schaffung der heutigen Ortsungebundenheit beitrugen, die jeder für sich instrumentalisieren kann, überhaupt erst die Notwendigkeit erzeugen, den Kreis der Familie zu verlassen, da diese Mechanismen ihre Lebenswelt dahingehend transformieren. Demnach sind für Familien die Enterritorialisierungstendenzen, die den festen räumlichen Bezug auflösen, zugleich ihre Chance sowie ihr Schicksal. Chance, weil sich einzelne Familiemitglieder fernab der Heimat eine bessere Zukunft aufbauen können, ohne soziale Bindungen abbrechen zu müssen, da diese heute nicht zwingendermaßen aus dem direkten Interaktionsumfeld stammen müssen und Familien als wichtiger Bezugspunkt (Heimat) demnach als transnationale Gemeinschaft weiter bestehen können. Schicksal, da die feste Verortung von Individuen in der Gesellschaft aufgebrochen wird und die entstehenden Wahl- und Vergleichsmöglichkeiten mit schnellen wechselnden Trends kein glücklicheres Leben bedeuten muss. Die Transformation der Lebensbedingungen bzw. äußeren Umwelt (Softwarekapitalismus), die die Mechanismen der Globalisierung verursachen, setzen Individuen höheren Risiken aus, die die Sicherung ihrer Existenz sowie der ihrer Familie schwieriger gestaltet. „Wer seine Familie liebt, der verlässt sie oder teilt sie auf in wechselnde Formen, um anderswo die Grundlagen für eine bessere Zukunft zu schaffen“ (BeckGernsheim 2004: 46). Das Verlassen der Familie kann auch das Wohlbefinden ihrer einzelnen Mitglieder beeinträchtigen, da bei dem Gebrauch von Kommunikationsmitteln zwecks Kontakterhaltung oder Ausdehnung ihrer Soziosphäre sich die Emotionalität in der Bindung anders als bei der direkten Kommunikation gestaltet. Nichtsdestotrotz bleibt die (Herkunfts-)Familie der wichtigste Bezugspunkt im Leben, die auch bei der Umstellung auf eine transnationale Lebensstrategie als Solidargemeinschaft erhalten bleibt. 12 Kann auch als eine Art von Globalkultur verstanden werden oder die Kultur der Kulturen.

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Der Wertewandel, der sich im Übergang von der harten auf die weiche Moderne vollzog d. h. die Umstellung von der Langfristigkeit auf Kurzfristigkeit (vgl. Baumann 2003), verschiebt nicht die Bedeutung von und Loyalität zur Familie, sondern führt zur Veränderung der Struktur bzw. der Lebensentwürfe von Familien. Ähnlich wie Globalisierung das Konzept des Nationalstaats, durch die zunehmende Durchdringung seiner Grenzen, als geschlossenes Handlungssystem herausfordert und die Koppelung der Vergesellschaftungsformen an sein Territorium willkürlich erscheinen lässt (vgl. Albrow 1998, Nederveen-Pieterse 1998), fordert die Transnationalisierung unter anderem das Konzept von Familie heraus, da die Familienzugehörigen nicht zwingendermassen in einem Haushalt bzw. Land leben müssen. Die einsetzende Ortsungebundenheit sowie die Formation einer Globalkultur verweisen auf eine Strukturveränderung und damit auch auf eine veränderte soziale Realität, die auf Familien zurückwirkt, die die Grundkomponente unserer Gesellschaft sind. Bei dem Übergang von der Vormoderne auf die erste Moderne vollzieht sich der Strukturwandel von Familien dahingehend, dass ihr Zusammenschluss nicht mehr von ökonomischen Bedingungen abhängig ist, sondern auf Zuneigung basiert, einhergehend mit der höheren Gefahr auseinander zu brechen. Mit der Entstehung von transnationalen Familien in der zweiten Moderne lässt sich ein Strukturwandel von Familien ebenfalls ablesen, die Anpassung an die äußeren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in dem sie ihre feste Verankerung in dem Nationalstaat aufgibt und eine Form von Gemeinschaft über nationalstaatliche Grenzen erzeugt. Das bedeutet, Familien können in dem heutigen Zeitalter als eine neue Form in Erscheinung treten, die der Erfassung einer Familie über die Haushaltszusammengehörigkeit entrinnt und die es notwendig macht, ähnlich wie die Gesellschaft, Familie in neuen Kategorien zu denken – beispielsweise über ihre Funktion als Solidargemeinschaft, den sich transnationalem Lebensentwurf beibehält. Bei transnationalen Familien kreuzen sich ihre sozialen Kreise nicht mehr in einer spezifischen Lokalität, sondern durch die technischen Hilfsmittel, die zu ihrer Ortsungebundenheit beitragen, im Raum. Oder in anderen Worten: Die Aufrechterhaltung der familiären Einheit und damit die Produktion ihrer grenzüberschreitenden Gemeinschaft zeigt sich in dem Versuch ihrer Mitglieder, die Möglichkeiten im entstandenen globalen Dorf zu ausnutzen und sich einen familiären Artikulationsraum zu basteln. Dies steht im Kontrast zu dem konstatierten Niedergang der Familie. – Transnationale Familien sind heute in der Lage, ähnlich wie Diaspora-Gemeinschaften, einerseits Geborgenheit zu vermitteln und andererseits jene Ansprüche zu erfüllen, die ihnen durch die Globalität abverlangt wird: Flexibilität, Mobilität und kulturelle Anpassungsfähigkeit. Das heiȕt, transnationale Familien kombinieren die ursprüngliche Vertrautheit mit Hightech-Strategien (vgl. Appadurai 2003, Moosmüller 2002). Transnationale Familien sind, ähnlich wie andere transnationale Formationen, die entstanden sind, ein Symptom von (kultureller) Globalisie-

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rung und damit von Weltgesellschaft. Vermutlich stellen Familien für Individuen die stärksten transnationalen Bezugs- und Identifikationspunkte dar, da ihre affektiven Beziehungen zueinander und das geteilte Interesse am Wohlbefinden konkreter Natur ist, weil die Interagierenden sich persönlich kennen und nicht durch abstrakte Interessen vereinigt wurden. Abschließend soll geklärt werden, ob transnationale Familien, die Symptom der Weltgesellschaft sind, diese im Kleinen verkörpern. Wie bereits in dem Abschnitt „Die Konzeption einer Weltgesellschaft – eine begriffliche Annäherung“ erörtert wurde, kreist das Thema Weltgesellschaft um die Auflösung fixierter territorialer Bezugspunkte bzw. die Erweiterung dieser, um globale Identifikationspunkte, durch Ausweitung der Interaktionsbasis auf den gesamten Globus. Die Ausweitung des sozialen Feldes von Individuen durch Kommunikationsstrukturen wird heute an grenzüberschreitenden sozialen Beziehungen sichtbar und führt zur Ausbildung eines globalen Artikulationsraumes, welcher nach Albrow das Kennzeichen von Weltgesellschaft ist. In diesem Sinne könnten transnationale Familien bereits Weltgesellschaft verkörpern, da ihre familiäre Einheit aus ihren grenzüberschreitenden emotionalen Bindungen/Interaktionen resultiert. Diese stehen bei transnationalen Familien auf der Tagesordnung, damit überhaupt erst eine pluri-lokale Gemeinschaft erzeugt werden kann, deren Bezüge quer zu nationalstaatlichen Grenzen verlaufen. Für Luhmann ist Weltgesellschaft der Gesamtzusammenhang funktionaler Systeme (Luhmann 1975: 60), deren konstitutives Element anschlussfähige Kommunikation ist und Verflechtungszusammenhänge entstehen lässt. Wenn die Familie bei Luhmanns systemtheoretischen Ansatz ein funktionales System wäre, dann könnten Familien, die sich einen familiären transnationalen Artikulationsraum aufgebaut haben, ebenfalls Weltgesellschaft verkörpern, da die Kommunikation zwischen den Mitgliedern anschlussfähig ist, aufgrund der gemeinsamen Lebensgeschichte. Anders als bei Luhmann stehen bei Castells’ Konzeption der Weltgesellschaft Netzwerkstrukturen im Vordergrund (überwiegend Kapitalistische), die soziale Lebenswelt von Menschen transformieren bzw. determinieren, da die heutige Gesellschaft auf diesen Netzwerken aufbaut. Familiäre transnationale soziale Räume werden ebenfalls mit Hilfe von Netzwerkstrukturen aufgebaut, um die räumlich getrennten Lebenswelten einzelner Familienmitglieder in fremden Ländern miteinander verknüpfen zu können. Netzwerke bestehen nach Castells „aus mehreren untereinander verbundenen Knoten“ (Castells 2001: 528), in der jeder Knoten eine spezifische Funktion erfüllt. Soll die Netzwerktheorie auf transnationale Familien übertragen werden, müsste der Wohnort (in unterschiedlichen Ländern) der Familienmitglieder jeweils einen Knoten, in dem familiären Beziehungsgefüge symbolisieren. Die Kommunikation zwischen Knotenpunkten gestaltet sich einfacher bzw. ist dynamischer, wenn diese demselben Netzwerk angehören, da der Konsens bezüglich der Kommunikationscodes oder des Ziels dieses Netzwerkes höher ist (Castells 2001: 528). Das Ziel von transnationalen

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Familien bzw. des familiären Netzwerkes ist es, die familiäre Einheit trotz räumlicher Dislozierung über nationalstaatliche Grenzen herzustellen, ein Geborgenheitsgefühl zu vermitteln, um als Gemeinschaft bestehen zu können. Es ist anzunehmen, dass Familienmitglieder bei generiertem Verbundenheitsgefühl, demselben Netzwerk angehören, welches sich aus der Entwicklung eines Individuum ergibt. Das Subjekt wird in den engsten Assoziationskreis der Familie hineingeboren, der das ursprüngliche Beziehungsnetzwerk dieser Person darstellt und sich vorerst auf eine spezifische Lokalität konzentriert. Im Verlauf seines Lebens integriert es weitere Knotenpunkte (Kreuzung von sozialen Kreisen) in sein Beziehungsnetzwerk aufgrund gleicher oder ähnlich gewichteter Interessen. Die Summe der sozialen Kreise, an denen das Individuum teilnimmt, schafft zum einen seine Individualität und bestimmt zum anderen wie weit sich sein persönliches Beziehungsgefüge bzw. seine Soziosphäre im Raum ausdehnt. Unter dem Vorzeichen der heutigen Zeit und den Anforderungen (sowie Möglichkeiten), die dieses Zeitalter an das Individuum stellt, wird sein jeweiliges Beziehungsgefüge ein stetig wachsendes räumliches Volumen annehmen. Ob ein Familienmitglied, ein anderes bereits räumlich entferntes Mitglied in sein familiäres Netzwerk bzw. seine persönliche Definition von Familie inkludiert, hängt davon ab, wie die Familie ihr Familienleben über nationalstaatliche Grenzen hinweg ausgestaltet – was auch abhängig ist von der Verfügung über die notwendigen Ressourcen. Je intensiver die Familie ihre Transnationalität lebt, desto wahrscheinlicher ist es, dass nachfolgende Generationen, ebenfalls die Knoten (Familienmitglieder) in ihr persönliches Netzwerk integrieren, d. h. demselben Netzwerk zuordnen. Damit entscheidet die Ausgestaltung der Transnationalität über die Beständigkeit dieses familiären Netzwerkes bzw. die des familiären transnationalen sozialen Raumes, der als Artikulationsraum für familiäre Bedürfnisse genutzt wird. Die Verknüpfung der einzelnen Lokalitäten, in denen Familienmitglieder leben, erfolgt durch das Interesse an der Aufrechterhaltung der familiären Einheit, das aus dem Verbundenheitsgefühl zwischen den Familienmitgliedern resultiert. Durch die Möglichkeit der Echt-Zeit-Kommunikation zwischen den einzelnen Knoten bzw. der Familienmitglieder und der entsprechenden Möglichkeit von ihrer jeweiligen Station aus Handlungen zu initiieren, verliert der Aufenthaltsort seine strategische Bedeutung. Verlässt das Familienmitglied den engsten Assoziationskreis der Familie, kann die familiäre Gemeinschaft nur noch über Netzwerkstrukturen (d. h. die Verlängerung seines sozialen Umfeldes durch indirekte Kommunikationsstrukturen) aufrecht erhalten werden, um die Sehnsucht nach direkter Kommunikation zu lindern. Dabei wird der neue Aufenthaltsort des Einzelnen, wenn er jenseits des Lebensmittelpunktes der (Herkunfts-) Familie liegt, unerheblich. Jeder Ort, der außerhalb des Schoȕes der Familie liegt, erzeugt dieselben Gefühle, da die veränderte Emotionalität durch die Kommunikationsmedien nicht vollständig kompensiert werden kann. Wenn die soziale Lebenswelt der Mitglieder einer transnationalen Familie demnach ebenfalls auf der Morpho-

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logie eines Netzwerkes basiert, muss diese Familienkonstellation dieselben Eigenschaften annehmen. Sie wird flexibel und dynamisch, d. h. ihre einzelnen Mitglieder können sich um kapitalistische Netzwerke zentrieren bzw. ihren jeweiligen Aufenthaltsort nach beruflichen Perspektiven auswählen (und müssen dies in der heutigen Zeit verstärkt), der als Knoten in das familiäre Netzwerk integriert wird und seine Existenz sichert. Damit könnte sich auch das soziale Kapital einer transnationalen Familie erhöhen, da Defizite an einem Aufenthaltsort eines Familienmitgliedes durch „Profite“ in einer anderen Lokalität eines weiteren Familienmitgliedes ausgeglichen werden können, durch das gemeinsame Ziel des familiären Netzwerkes für das Wohlbefinden zu sorgen. Würde die Institution Familie heute in Anlehnung an vormoderne und moderne Strukturen betrachtet, deren Formation nicht primär auf ökonomischen Determinanten, sondern auf einer Koppelung von affektiven Bindungen und ökonomischen Bedingungen basiert, würden die Lebensentwürfe transnationaler Familie den Strategien global operierender (transnationaler) Unternehmen ähneln (vgl. Ong 2002). Die Ortsungebundenheit, die transnationale Familien für ihre sozialen Bindungen sowie für den Erhalt ihrer Einheit ausnutzen und der jedes Individuum durch ihre transformierende Wirkung auf die Lebenswelt ausgesetzt ist (strukturelle Entwurzelung), stellen für Familien, die transnationale Strategien verfolgen, heute wahrscheinlich den ironischen Kompromiss dar: Einen Kompromiss zwischen dem Bedürfnis nach Nähe zu seinen Liebsten und dem gleichzeitigen Bestreben, für sie zu sorgen, d. h. für ihre Absicherung garantieren zu können oder sie abgesichert zu wissen. Dies bedeutet, auch wegen dem gegenwärtigen Zustand der Welt, sie an andere Orte gehen zu lassen und mit den zur Verfügung stehenden Mitteln, die räumliche Dislozierung best möglich zu kompensieren bzw. den Kontakt zu erhalten. Folglich sind transnationale Familien Agenten der Weltgesellschaft und können sie verkörpern, da einerseits der Erhalt ihrer Gemeinschaft über grenzüberschreitende soziale Bindungen verläuft und andererseits in ihrem transnationalen sozialen Raum, unterschiedliche kulturell-modifizierte Praktiken aufeinander treffen. Die Verknüpfung der einzelnen Lokalitäten, in denen Familienmitglieder leben und durch die sie geprägt worden sind, mit der jeweiligen lokalspezifischen Kultur, werden durch die bestehenden Austauschbeziehungen variierende Lebensstile in das familiäre Netzwerk hineingetragen. Diese müssen innerhalb des Kreises der Familie ausgehandelt werden, ähnlich wie im globalen Artikulationsraum Positionen von Identitäten (Gruppen) verteidigt werden. Familiäre Aushandlungen scheinen, wie aus den Interviews hervorgeht, überwiegend harmonisch abzulaufen: Erstens ist die inhärente Machtdimension bei den variierenden Lebensstilen und Werten innerhalb der Familie nicht so stark ausgeprägt, da sie über ein gemeinsames Ziel, dem Wohlbefinden verfügen. Zweitens, weil durch die Herkunftsbindung ein Grundkonsens existiert, der in den Identitätsentwürfen einzelner Familienmitglieder zwar unterschiedlich manifest oder latent positioniert ist, diese aber nicht abgelegt wird. Dies legt die Vermutung nahe, dass

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transnationale Familien, die Modifikation der Herkunftskultur seitens ihrer Mitglieder einkalkuliert oder zumindest akzeptiert, da dies die Grundvoraussetzung für das Zurechtfinden oder Integration in fremden Ländern ist.

Faz it

Da der vorausgehende Abschnitt bereits den Charakter eines Fazits hat, wird hier ein kurzer Ausblick gegeben. Wie sich aus den Erkenntnissen ableiten lässt, sind transnationale Familien sowohl Symptom als auch die Agenten von Weltgesellschaft im Kleinen. Hierbei zeigt sich, dass die Konstellation von Familie durch die Auswirkungen von Globalisierung und Transnationalisierung, einem strukturellen Wandel unterliegt, in dem der feste territoriale Bezug aufgelöst werden kann. Dies bedeutet nicht, dass die Formation von transnationalen Familien per se an die Stelle althergebrachter Vorstellungen von Familie (Familienstruktur) tritt, sondern diese sich um den Typus der transnationalen Familie, auch in Deutschland, erweitert. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die Konstellation, als transnationale Familie zu leben, künftig häufiger auftreten, da die Globalisierung einerseits den internationalen Personenverkehr weiterhin ausweiten und andererseits die Dynamik (Flexibilität, Mobilität, Individualisierung) in modernen Gesellschaft unaufhaltsam vorantreiben wird. Dabei scheint die Familie, selbst bei Transnationalität, als eindeutiger Bezugspunkt bzw. als Gemeinschaft weiter zu bestehen. Dies erfordert, familiäre Strukturen nicht als Auslaufmodell zu bezeichnen, nur weil sie in anderer Form Gestalt annimmt. Da sich in dem heutigen Zeitalter ein Wertewandel vollzogen hat, wäre es für die künftige Erforschung von transnationalen Familien zuträglich die genauen Motive der Familien, die zur transnationalen Ausrichtung ihres Familienlebens führen, zu untersuchen. Dies begründet sich auf der Tatsache, dass der Typus transnationale Familie eine Anpassung an die äußeren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu sein scheint. Des Weiteren müssen, ähnlich wie für die Analyse der Gesellschaft, in der Familienforschung neue Methoden entwickelt werden, die ebenfalls die territoriale Entkopplung von Familienstrukturen berücksichtigen, denn diese familiären Strukturen entrinnen der Erfassung über die Haushaltszusammengehörigkeit. Das bedeutet, diese Methoden müssten die Fähigkeit von Familien ihre getrennten Lebenswelten zu verknüpfen und damit ihre Gemeinschaft grenzüberschreitend zu erzeugen sowie transnationale Herkunftsbindungen, mit einbeziehen. Ein an Netzwerken orientierter Forschungsansatz würde eine Möglichkeit darstellen. Eine weitere Konsequenz könnte sich daraus auch für die Migrationsforschung in Deutschland ergeben. Diese hält nach der Auffassung von Beck-Gerns-

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heim weiterhin an dem nationalstaatlichen Blick fest, welcher zur Folge hat, dass Bezüge von Migranten, die über nationalstaatliche Grenzen hinausreichen, nicht erfasst werden. Diese Tatsache wird in der Migrationsforschung bedacht werden müssen, da heute davon ausgegangen werden kann, dass der Wechsel zwischen kulturellen Machtcontainern nicht gleichbedeutend ist mit dem Verbindungsabbruch zur Vergangenheit, sondern enge Beziehungen und tiefe Verbundenheitsgefühle mit diesen zu pflegen. Unterstrichen wird dies auch von der Auswahlmethode der Interviewpartner, die im Vorfeld der Untersuchung nicht nach den grenzüberschreitenden Bindungen innerhalb der Familie gefragt wurden – diese jedoch, wie sich im Verlauf des Interviews herausstellte, von jeder Familie in unterschiedlich starkem Ausmaß unterhalten wurden. Beständige grenzüberschreitende Bezüge von Individuen oder ihre transnational gewordenen Herkunftsbindungen dürfen von dem Blick der Migrationsforschung nicht exkludiert werden. Zum einen vermitteln diese dem Individuum bzw. dem Migranten eine Geborgenheit und eine Art Sicherheit, die bei Wahlbindungen schwer zu finden sind. Zum anderen resultiert daraus, dass die mit der Globalität einhergehende Fähigkeit, Nähe wieder herstellen zu können, es bis zu einem gewissen Grad dem Individuum überlassen ist, wie stark es sich in die neue Ankunftsgesellschaft integriert. Dies verschiebt wahrscheinlich die Notwendigkeit, sich komplett in die neue Ankunftsgesellschaft integrieren zu müssen. Migranten sind bei Ankunft in einer neuen Mehrheitsgesellschaft keine atomatisierte Persönlichkeiten, die sich ihre neuen Bindungen erst suchen müssen, sondern sie können von jedem Ort aus mithilfe der Netzwerkstrukturen auf Vertrautes zurückgreifen sowie kulturspezifische Lebensstile in modifizierter Form zurückgreifen. Wie in der Forschung zur Migration bereits aufgezeigt wurde, sind die Akkulturationsbestrebungen nach den anfänglichen Migrationsstrategien, auch wenn diese sich mit der Zeit verändern können, unterschiedlich gewichtet. Im Zusammenhang mit der Globalisierung zeigt Pries, die Entstehung eines neuen Migrationstypus, dem so genannten Transmigranten, der zwischen Familie im Herkunftsland und seiner Arbeitsstätte in einem anderen Land pendelt. Der Ort wird Mittel zum Zweck und könnte im Hinblick auf die Formation mit transnationalen Familien eine weitere Verschiebung von Akkulturationsbestrebungen bedeuten, deren Auswirkungen auf die Zukunft nicht absehbar sind, da sich relevante Identifikationspunkte möglicherweise in einer anderen Lokalität befinden.

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Abbildung

ABBILDUNG 1: Fünf konstitutive Elemente der Nationalkultur nach Stuart Hall Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Stuart Hall „Rassismus und kulturelle Identität – Ausgewählte Schriften 2“, 3. Auflage 2002, Argument-Verlag, Hamburg. ABBILDUNG 2: Dimensionen der Globalisierung von Anthony Giddens Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Anthony Giddens „Konsequenzen der Moderne“, 1. Auflage 1996, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, Seite 93. ABBILDUNG 3: Die fünf Landschaften bei Arjun Appadurai Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Arjun Appadurai „Modernity at Large – Cultural Dimensions of Globalization”, 6. Auflage 2003/1. Auflage 1996, University of Minnesota Press. ABBILDUNG 4: Die Grundbausteine der McDonaldisierung nach Georg Ritzer Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Georg Ritzer „Die McDonaldisierung der Gesellschaft“, 1. Auflage 1997, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main. ABBILDUNG 5: Vier Steuerungselemente der McWorld nach Benjamin R. Barber Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Benjamin R. Barber „Coca-Cola und der heilige Krieg – Der grundlegende Konflikt unserer Zeit“, Ergänzte Neuauflage 2001, Scherz Verlag, Bern, München, Wien.

242 | STABILE GEMEINSCHAFTEN – TRANSNATIONALE FAMILIEN IN DER W ELTGESELLSCHAFT

ABBILDUNG 6: Das Zentrum-Peripherie-Kontinuum nach Ulf Hannerz Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Ulf Hannerz „Transnational Connections: Culture, People, Places”, 1. Auflage 1996, Routeledge, New York, Seite 65-78. ABBILDUNG 7: Grafische Darstellung der analytischen Dimensionen von Familiären Transnationalen Sozialen Räumen Eigene grafische Darstellung.

Kultur und soziale Praxis Martina Grimmig Goldene Tropen Zur Koproduktion natürlicher Ressourcen und kultureller Differenz in Guayana

Birgit Glorius Transnationale Perspektiven Eine Studie zur Migration zwischen Polen und Deutschland

Dezember 2007, ca. 320 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN: 978-3-89942-751-6

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Helmut König, Manfred Sicking (Hg.) Europäische Identität, nationale Erinnerungen? Das neue Europa fünfzig Jahre nach den Römischen Verträgen

Christian Berndt, Robert Pütz (Hg.) Kulturelle Geographien Zur Beschäftigung mit Raum und Ort nach dem Cultural Turn

Dezember 2007, ca. 180 Seiten, kart., ca. 18,80 €, ISBN: 978-3-89942-723-3

Oktober 2007, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-724-0

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Valentin Rauer Die öffentliche Dimension der Integration Migrationspolitische Diskurse türkischer Dachverbände in Deutschland Oktober 2007, ca. 295 Seiten, kart., ca. 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-801-8

September 2007, 236 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-771-4

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Elias Jammal, Ulrike Schwegler Interkulturelle Kompetenz im Umgang mit arabischen Geschäftspartnern Ein Trainingsprogramm Februar 2007, 210 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN: 978-3-89942-644-1

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