Arts and Health - Österreich im internationalen Kontext 9783839466087

Welche Auswirkungen hat das kulturelle Leben auf unser Wohlbefinden? Die Beiträger*innen des Bandes plädieren dafür, die

199 134 6MB

German Pages 240 [236] Year 2023

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Arts and Health - Österreich im internationalen Kontext
 9783839466087

Table of contents :
Inhalt
Vorwort des Vizekanzlers
Vorwort des Gesundheitsministers
Einleitung
1. Wissenschaftliche Kontextualisierung
1.1. Was ist Arts and/for/in/within Health?
1.2. Arts and Health: Die Evidenzlage laut WHO
1.3. »Arts and Health«-Evaluierungen
2. Arts and Health: Good Practice International
2.1. WHO Collaborating Centre for Arts and Health
2.2. Vereinigtes Königreich
2.3. Finnland
2.4. Dänemark
2.5. Die Niederlande
2.6. Republik Irland
2.7. Highlights aus den USA
3. Arts and Health: Österreich
3.1. Grundlagen des Gesundheitssystems in Österreich
3.2. Social Prescribing
3.3. Arts for Health – auf Rezept?
3.4. Kulturpolitische Prioritäten
3.5. Musiktherapie
3.6. Arts and Health für Kinder und Jugendliche
3.7. Kunst trifft Wissenschaft
3.8. Policy-Empfehlungen
4. Anhang
4.1. Glossar der Schlüsselbegriffe
4.2. English Abstracts
5. Redaktionsteam, Autoren und Autorinnen
5.1. Herausgeberinnen und Redaktionsleitung
5.2. Autorinnen und Mitarbeiterinnen

Citation preview

Edith Wolf Perez (Hg.) Arts and Health – Österreich im internationalen Kontext

Gesundheit, Kommunikation und Gesellschaft Band 3

Edith Wolf Perez (M.A.) ist Fachjournalistin für Kultur, Tanz und Kulturpolitik sowie Praktikerin und Forscherin im Bereich kunstbasierte Interventionen im Gesundheits- und Sozialbereich.

Edith Wolf Perez (Hg.)

Arts and Health – Österreich im internationalen Kontext

ARTS for HEALTH AUSTRIA im Auftrag des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport, Österreich

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Annykos / iStock Lektorat: Franz Otto Hofecker, Gudrun Schweigkofler Wienerberger, Barbara Stüwe-Eßl. Englisch: Katy Geertsen, Lynn Geertsen-Rowe Korrektorat: Jan Leichsenring Redaktionsleitung: Edith Wolf Perez und Oliver P. Graber Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839466087 Print-ISBN 978-3-8376-6608-3 PDF-ISBN 978-3-8394-6608-7 Buchreihen-ISSN: 2940-1828 Buchreihen-eISSN: 2940-1836 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt

Vorwort des Vizekanzlers Werner Kogler ...................................................................... 9

Vorwort des Gesundheitsministers Johannes Rauch ................................................................... 11

Einleitung Edith Wolf Perez und Oliver Peter Graber ............................................13

1.

Wissenschaftliche Kontextualisierung

1.1. Was ist Arts and/for/in/within Health? Versuch einer Begriffsbestimmung Edith Wolf Perez.............................................................. 19

1.2. Arts and Health: Die Evidenzlage laut WHO Eine Zusammenfassung Edith Wolf Perez, Katherine Dedich ........................................... 29

1.3. »Arts and Health«-Evaluierungen Robuste Studienlage? Andrew McWilliams, Edith Wolf Perez ......................................... 47

2. Arts and Health: Good Practice International 2.1. WHO Collaborating Centre for Arts and Health Ein internationales Forschungszentrum Edith Wolf Perez.............................................................. 71

2.2. Vereinigtes Königreich Die Blaupause Alexandra Coulter, Veronica Franklin Gould, Andrew McWilliams ............... 75

2.3. Finnland Kunst und Kultur in einem sich wandelnden Sozial- und Gesundheitssystem Liisa Laitinen ............................................................... 97

2.4. Dänemark Mit einigen Bezügen zu Norwegen und Schweden Dorothy Conaghan .......................................................... 109

2.5. Die Niederlande Das Beispiel der Provinz Fryslân (Westfriesland) Geke Walsma ................................................................ 121

2.6. Republik Irland Arts and Health im Sinne des Subsidiaritätsprinzips Dorothy Conaghan ...........................................................137

2.7. Highlights aus den USA Arts and Health als Thema der größten Kulturinstitutionen Jennifer Davison ............................................................147

3. Arts and Health: Österreich 3.1. Grundlagen des Gesundheitssystems in Österreich Ein fragmentiertes Bild Edith Wolf Perez............................................................ 153

3.2. Social Prescribing Gedanken zur Umsetzung in Österreich Christoph Redelsteiner ..................................................... 159

3.3. Arts for Health – auf Rezept? Ein Kommentar aus Sicht eines Juristen Johannes Gregoritsch ...................................................... 169

3.4. Kulturpolitische Prioritäten Von der klassischen Kulturförderung zu nachhaltigen Konzepten Anke Simone Schad-Spindler................................................. 177

3.5. Musiktherapie Definition und Gesetzeslage in Österreich Oliver Peter Graber .......................................................... 181

3.6. Arts and Health für Kinder und Jugendliche Fokus: Kompetenzerweiterung Gudrun Schweigkofler Wienerberger.......................................... 191

3.7. Kunst trifft Wissenschaft Von STEM zu STEAM Airan Berg ................................................................. 195

3.8. Policy-Empfehlungen Von gegenseitigem Nutzen für Kunst, Gesundheit und Sozialwesen Die Redaktion ...............................................................199

4. Anhang 4.1. Glossar der Schlüsselbegriffe .......................................... 209 4.2. English Abstracts ......................................................... 211

5. Redaktionsteam, Autoren und Autorinnen 5.1. Herausgeberinnen und Redaktionsleitung ............................. 223 5.2. Autorinnen und Mitarbeiterinnen ....................................... 227

Vorwort des Vizekanzlers Werner Kogler

Vizekanzler und Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, dass die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen nicht selbstverständlich sind. Wir haben auch deutlich gesehen, dass ein gesundes Leben weitaus mehr bedeutet als nur die Abwesenheit von Krankheit. Dass Kunst und Kultur eine positive Wirkung auf die mentale und körperliche Gesundheit haben, belegen zahlreiche Studien und Initiativen eindrucksvoll. Die Wirkung zeigt sich sowohl bei der Unterstützung von Genesung und Rehabilitation als auch in der Prävention. Künstlerische und kulturelle Aktivitäten schaffen nicht nur situativ Emotionen, sie wirken sich auch nachhaltig positiv auf das Wohlbefinden der Menschen aus. Länder wie Großbritannien oder Finnland setzen Künste im öffentlichen Gesundheitswesen bereits gezielt ein. Auch von anderen internationalen Good Practice-Beispielen kann Österreich vieles lernen und sich inspirieren lassen. In diesem Buch wollen wir österreichische Initiativen an der Schnittstelle von Kunst und Gesundheit würdigen, die bereits länger existieren oder aktuell Pionierarbeit leisten. Dazu zählt auch das Engagement des Vereins »Arts for Health Austria«. Ein erfolgversprechendes Pilotprojekt ist »Social Prescribing« bzw. »Kunst auf Rezept«, das in Österreich noch in den Startlöchern steckt. Ziel ist es, mit all diesen vorbildhaften Maßnahmen im In- und Ausland den Weg für geeignete Rahmenbedingungen, Vernetzung und weitere innovative Projekte zu ebnen. Ich bin davon überzeugt, dass die Menschen in Österreich von einer verstärkten Zusammenarbeit von Kunst und Gesundheit profitieren werden. Dieses Buch ist ein erster Schritt auf einem gemeinsamen Weg.

Vorwort des Gesundheitsministers Johannes Rauch

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Kunst und Kultur tun Seele, Geist und dem Körper gut. Wenn wir Kunst betrachten oder gar schaffen, werden u.a. Emotionen hervorgerufen oder ausgedrückt, der Stresslevel kann sinken und das Gemeinschaftsgefühl wird gestärkt. Kunst hat also einen deutlich positiven Einfluss auf die Gesundheit. Die Wissenschaft stützt das mit Forschungsergebnissen, die die große Bedeutung von Kunst als therapeutisches Mittel im Heilungsprozess zeigen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Kreativität mit rund 900 Studien weltweit ausgewertet. Der veröffentlichte Bericht verdeutlicht: Kreatives und Schöpferisches wie Musik, Tanzen, Theater, bildnerische Gestaltung, aber auch passiver Kunstgenuss etwa bei Museums- oder Konzertbesuchen verbessern Wohlbefinden und Gesundheit. Sie sind eine Bereicherung für die Prävention und Therapie von Erkrankungen. Kunst hilft z.B. auch der Gedächtnisleistung: Im Alter wirkt sie dem kognitiven Abbau entgegen. Kreativität hat zudem eine sozial stärkende Wirkung, wenn etwa Eltern mit ihren Kindern spielen, zeichnen, tanzen, lesen, Geschichten erfinden oder singen. Sich künstlerisch kreativ zu betätigen, ist als Ergänzung zu medizinischen Therapien zudem auch sozial gut zugänglich: Es ist mit vergleichsweise niedrigen Kosten und geringer Gefahr von unerwünschten Nebenwirkungen verbunden. Im Rahmen des Projekts »Social Prescribing« werden daher bereits auch künstlerische Maßnahmen verschrieben (2021 waren es 4 %). Schöpferisches Arbeiten wird im therapeutischen Bereich bei vielen Erkrankungen und für die psychische Gesundheit bereits erfolgreich eingesetzt, z.B. auch zur Stärkung von Inklusion und zum Abbau von Stigmata. In der Inklusions- und Anti-Stigma-Arbeit wird mit kreativen Mitteln Bewusstsein geschaffen, Vorurteile abgebaut, Empathie gestärkt und Erfahrungen reflektiert

12

Arts and Health – Österreich im internationalen Kontext

und ausgedrückt. Eine Studie der Gesundheit Österreich GmbH zeigt AntiStigma-Aktivitäten in Österreich: Vom Suchtpräventionskabarett über Filmund Lesereihen zur Psyche bis hin zu Museumsführungen oder Workshops für Menschen mit Demenz findet sich auch hier viel Kunst und Kultur. In Anbetracht der vielen Vorteile empfiehlt die Kompetenzgruppe Entstigmatisierung, eine Initiative des BMSGPK, künstlerische Projekte mit jungen Menschen zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen in ganz Österreich zu ermöglichen. Stressabbau, gestärktes Gemeinschaftsgefühl, Prävention, als Begleitung von Therapien und für mehr Inklusion: Es tut sich hier also bereits viel – aber gerne noch mehr. In diesem Sinne: Bleiben Sie gesund und kreativ!

Einleitung Edith Wolf Perez und Oliver Peter Graber

Die Künste spielen eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden. Dies ist spätestens seit der Antike dokumentiert und wurde inmitten einer Pandemie unvermittelt flächendeckend sichtbar, als das Singen von Balkonen, das Malen von Regenbögen, Online-Besuche von Ausstellungen und das Streaming von Performances dazu beigetragen haben, Hoffnung aufrechtzuerhalten, Einsamkeit zu verringern und die psychische Resilienz zu stärken. Der zunehmende Einsatz von Kunst im Gesundheitsangebot von immer mehr Ländern ist ein weiterer Beweis dafür, wie wichtig es ist, Medizin mit Kreativität, Kultur und sozialem Zusammenhalt zu verbinden. Dabei wird eine Trennung aufgehoben, die sich nicht zuletzt mit zunehmender Spezialisierung der Medizin entwickelte, womit gleichzeitig der Begriff der Heilkunst in den Hintergrund gerückt ist, welcher den Zusammenhang von Kunst und Medizin in sich zum Ausdruck bringt; zog sich diese immanente Verbindung doch von prähistorischen Schamanen über Apollon (als Gott aller Künste inklusive der Heilkunst) bis zu Gelehrten wie Athanasius Kircher durch die Menschheitsgeschichte. Galten auf dieser Basis Kenntnisse in den Künsten im Mittelalter noch als Voraussetzung für das Studium der Medizin, so ist die Kunst des Heilens im Laufe der darauf folgenden Jahrhunderte zur medizinischen Wissenschaft geworden. Nun ist es an der Zeit, die Kunst auf Basis exakten, evidenzbasierten Wissens wieder in die Gleichung einzubringen. Seit Beginn dieses Jahrhunderts hat die heilende Rolle von Kunst und Kultur erneut zunehmend an Aufmerksamkeit gewonnen, ist inzwischen doch eine umfassende Evidenzlage über deren salutogenetische Wirkung vorhanden: Der wissenschaftliche Zugang hat Kunst und Kultur im Kontext von Gesundheit und Wohlbefinden vom Stigma der Esoterik befreit. In einigen Ländern wurden mittlerweile Strategien entwickelt, um sie als effektive Interventionen im öffentlichen Gesundheits- und Sozialwesen anzu-

14

Arts and Health – Österreich im internationalen Kontext

erkennen und einzubinden. Fallweise werden Kunstaktivitäten und ästhetisches Erleben bereits auf Rezept verschrieben. Wichtige Fragen der öffentlichen Gesundheit, einschließlich psychischer Gesundheit, sozialer Isolation, kollektivem Trauma, Rassismus, chronischen Krankheiten und der Pandemie, erfordern Kreativität und eine sektorenübergreifende Zusammenarbeit. Kunst und Kultur sind verfügbare, aber oft nicht (an)erkannte Ressourcen, um diese Probleme anzugehen. In Österreich gibt es eine Reihe bemerkenswerter Projekte, von denen einige bereits auf eine jahrzehntelange Kontinuität verweisen können, doch die breitere öffentliche Diskussion über Kunst und Kultur im Kontext von Gesundheit und Wohlbefinden hat erst vor einiger Zeit begonnen. Die theoretische bzw. diskursive und damit politische Auseinandersetzung mit dem Thema hinkt also der Praxis hinterher. Die Kunst- und Kultursektion im Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (bis Jänner 2020 im Bundeskanzleramt) beschäftigt sich vor dem Hintergrund der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung bereits seit einigen Jahren mit der Wirkung von Kunst und Kultur auf die Gesundheit. Nachdem eine EU-Expertinnengruppe zu Kultur und sozialer Inklusion (2017–2018) die Schnittstelle zu Gesundheit als eines der zentralen Handlungsfelder identifizierte, ist die Idee entstanden, eine Kooperation mit der IG Kultur Österreich im Rahmen der Publikation »Kultur als Rezept« und den Workshop »Arts for Health« im Dezember 2019 durchzuführen. Diese Veranstaltung inspirierte uns zur Gründung des Vereins ARTS for HEALTH AUSTRIA, der seither neben eigenen Projekten auch laufend Initiativen setzt, um das öffentliche Bewusstsein für die Wirkung von Kunst und Kultur auf die Gesundheit und das Wohlbefinden zu verstärken, zum Beispiel mit der Tournee »Kunst trifft Gesundheit«1 in den Bundes- und Nachbarländern. Die vorliegende Publikation, im Auftrag des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport, ist ein weiterer Beitrag, das Thema Kunst und Gesundheit zu vertiefen und weiterzuentwickeln. Es soll als Informationsquelle für Policy Maker, Künstlerinnen, Gesundheitsprofis und -expertinnen dienen, die darin für ihren Bereich jeweils relevante Informationen finden. »Arts and Health« ist eine evidenzbasierte Praxis. Daher widmet sich auch die Weltgesundheitsorganisation WHO seit einigen Jahren vermehrt dem The1

https://www.artsforhealthaustria.eu/tour-2/ [26.09.2022]

Edith Wolf Perez und Oliver Peter Graber: Einleitung

ma. Wir fassen den 2019 erschienen Report zusammen, der einen Überblick über den Stand der Forschung zu dem Thema gibt, und stellen das kürzlich gegründete WHO Collaborating Centre for Arts and Health vor. Wir versuchen zudem eine Begriffsklärung und eine Unterscheidung zwischen künstlerischen Interventionen und Kunsttherapien zu treffen. Die wissenschaftliche Kontextualisierung der »Arts and Health«-Praxis ist aufgrund zahlreicher Studien umfangreich. Die angewandten Methoden sind vielfältig und Ergebnisse daher oft nicht vergleichbar. Wir geben einen Überblick über gängige Forschungs- und Evaluierungsansätze und Methoden. Berichte aus dem Vereinigten Königreich, aus Finnland, den Niederlanden, Dänemark und Irland sowie »Highlights aus den USA« illustrieren den Stellenwert von Arts and Health in diesen Staaten. Wir beleuchten die »Arts and Health«-Initiativen vor dem Hintergrund des jeweiligen politischen Systems und betten diese in einen gesundheits- und kulturpolitischen Rahmen ein. Diese Methode wird auch auf die Darstellung der Situation in Österreich angewendet, wo wir zusätzlich einen Blick auf die Rechtslage und die kulturpolitische Praxis werfen, Initiativen für Kinder und Jugendliche und die Musiktherapie als Ausnahmeerscheinung im internationalen Vergleich vorstellen. Policy-Empfehlungen und einen Maßnahmenkatalog für eine effiziente und nachhaltige Umsetzung von »Arts and Health«-Strategien ergänzen diese Grundlagendiskussion. In den jeweiligen Kapiteln stellen Good-Practice-Beispiele einen Zusammenhang zur gelebten Praxis dar. Die vorgestellten Organisationen und Projekte wurden durch Sekundärforschung und Mundpropaganda ermittelt und nach inhaltlichen Kriterien ausgewählt. Keinesfalls erhebt diese Publikation den Anspruch eine umfassende Bestandsaufnahme zu sein. Arts and Health ist heute eine globale Bewegung und die Literatur dazu ist vorwiegend englischsprachig. Wir verwenden deshalb auch den englischen Begriff. Für eine leichtere Lesbarkeit haben wir uns bei Zitaten jedoch für die deutsche Version entschieden. Es handelt sich dabei um redaktionelle, nicht autorisierte Übersetzungen. Für Personenbezeichnungen wird im gesamten Text die weibliche grammatische Form verwendet. Alle anderen Geschlechter sind natürlich mitgemeint.

15

16

Arts and Health – Österreich im internationalen Kontext

Dank Wir danken dem Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport, insbesondere Kathrin Kneissel und Aleksandra Widhofner für ihr Vertrauen, uns mit dieser Publikation zu beauftragen. Unser Dank gilt auch unserem Redaktionsteam, den internationalen Autorinnen für die engagierte Mitarbeit in diesen schwierigen Zeiten der Pandemie, ebenso den vielen Künstlerinnen und Vertreterinnen von Kultur-, Sozial- und Gesundheitsorganisationen, die dafür mit uns in regem Austausch standen. Die Arbeit an diesem Buch hat bereits den Grundstein für die weitere Vernetzungsarbeit gelegt. Für die unermüdliche Arbeit für und an unseren Anliegen danken wir besonders Katy Geertsen, Barbara Stüwe-Eßl und Franz Otto Hofecker.

1. Wissenschaftliche Kontextualisierung

1.1. Was ist Arts and/for/in/within Health? Versuch einer Begriffsbestimmung Edith Wolf Perez »Jeder von uns hat viele Rollen und Eigenschaften, auch Gesundheit und Krankheiten in all ihren Facetten, und niemand ist seine Erkrankung.« (Rüsch, 2021: 30)

Arts and Health ist ein Überbegriff für Kunst- und Kulturaktivitäten bzw. Initiativen im Zusammenhang mit Gesundheit und Wohlbefinden. Das Spektrum reicht von kulturellen Angeboten in und für Gesundheitsinstitutionen über partizipative künstlerische Projekte bis zu kunstbasierten Therapien. Kunst ist zunehmend für ihre salutogenetischen Wirkungen sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene, für den Erhalt des körperlichen, mentalen und sozialen Wohlbefindens bzw. für das Management von Gesundheitsproblemen anerkannt.

Gesundheit und Wohlbefinden Bereits 1946 hat die Weltgesundheitsorganisation Gesundheit als einen »Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen« definiert.1 Mit die-

1

Constitution of the World Health Organisation, signed New York, 1946: https://www. who.int/about/governance/constitutionhttps://www.who.int/about/governance/con stitution [28.10.2022]

20

Wissenschaftliche Kontextualisierung

ser Definition wird Gesundheit nicht nur auf individueller Ebene verstanden, sondern im gesellschaftlichen Kontext verankert. Heute hat sich das Konzept erweitert und umfasst auch das Management von (chronischen) Krankheiten. Wie gut man mit damit verbundenen Beschwerden umgehen kann, hängt von der individuellen Resilienz ab und davon, inwieweit die Betroffene ihr eigenes Potential in größtmöglicher Unabhängigkeit ausschöpfen und am sozialen Leben partizipieren kann. Gesundheit ist daher ein dynamischer Prozess, der grundsätzlich von der Fähigkeit zur Selbstverwaltung bestimmt wird. (vgl. Fancourt/Finn 2019: 2) In diesem Sinne können kunstbasierte Interventionen bei der Prävention, der Bewältigung und beim Management von Krankheiten unterstützend wirken. Dabei ist die Wirkung auf das Wohlbefinden entscheidend. In diesem Zusammenhang versteht sich Wohlbefinden als ein individueller oder kollektiver Zustand oder Prozess, sich selbst, andere und entsprechende Lebensumstände als positiv zu erleben. »Wohlbefinden kann man sich am besten als einen dynamischen Prozess vorstellen, der sich aus der Art und Weise ergibt, wie Menschen mit ihrer Umwelt interagieren. Aufgrund dieser Dynamik bedeutet ein hohes Maß an Wohlbefinden, dass wir besser in der Lage sind, auf schwierige Umstände zu reagieren, innovativ zu sein und uns konstruktiv mit anderen Menschen und der Welt auseinanderzusetzen.« (nef 2009: 9)

Terminologie Sowohl in der kultur- als auch in der gesundheitsbasierten Forschung ist bekannt, dass es sich bei Kunstinterventionen um ein komplexes und daher konzeptionell schwieriges Studiengebiet handelt und um einen Bereich, der sich nicht eindeutig definieren lässt. Die Systematisierung und wissenschaftliche Forschung über die Wirkung von Kunst auf Gesundheit und Wohlbefinden wird vorwiegend von Praktikerinnen und Akademikerinnen im anglosächsischen Raum bestimmt. Wir verwenden deshalb auch im deutschsprachigen Raum vorwiegend die englischen Bezeichnungen.

Edith Wolf Perez: 1.1. Was ist Arts and/for/in/within Health?

Im 2017 erschienenen Report eines parteienübergreifenden Ausschusses im britischen Parlament werden fünf Szenarien identifiziert, in denen Kunst und Gesundheit interagieren. (vgl. Creative Health 2017: 21) • • •





Kunst in Gesundheits- und Pflegeumgebungen, also in Krankenhäusern oder Sozialeinrichtungen. Partizipatorische Kunstprogramme – Einzel- oder Gruppenaktivitäten in Gesundheits-, Sozial- und Community-Einrichtungen. Arts on prescription – die ärztliche Überweisung zur Teilnahme an kreativen Aktivitäten, sehr oft, aber nicht ausschließlich bei mentalen Gesundheitsproblemen. Kunsttherapien – Musik, Tanz, Theater, bildende Kunst: Meist klinische psychotherapeutische Behandlungen, ausgeübt von ausgebildeten Therapeutinnen unter Anwendung von künstlerischen Aktivitäten. Medizinische Ausbildung und Medical Humanities: die Einbindung von Kunst in der Ausbildung und professionellen Weiterbildung von Gesundheits- und Sozialpersonal.

Auch in Österreich finden derartige Interventionen bereits in allen Einsatzfeldern statt. Einige markante Beispiele dafür findet man in der Zeitschrift »Kultur als Rezept« der IG Kultur Österreich. In der mittlerweile sehr umfangreichen Literatur zum Thema wird zwischen den Bezeichnungen »Arts for Health«, »Arts in Health« und »Arts and Health« nicht dezidiert unterschieden, vielmehr erschließt sich die Bedeutung aus dem Kontext. Auch zwischen künstlerischen Interventionen und Kunsttherapien wird in der internationalen Literatur nicht klar differenziert. »Creative Health« ist eine weitere Bezeichnung, die im Kontext von Kunst und Gesundheit häufig verwendet wird. Im gleichnamigen Report wird die Unterscheidung wie folgt thematisiert: »… während viele der Mechanismen ähnlich sind, ist eine Unterscheidung zwischen der Therapie und dem Therapeutischen aufgrund der Absicht und der Wirkungsweise zu treffen. Ersteres bezieht sich in der Regel auf eine Dienstleistung, die Patientinnen mit einem bestimmten klinischen Ziel vor Augen angeboten wird; letzteres tendiert dazu, sich auf die Stimulierung kreativer Aktivität mit einer indirekten Auswirkung auf die Gesundheit zu konzentrieren, wobei ›die Betonung auf dem intrinsischen Wert und der Qualität des kreativen Prozesses und dem, was er hervorbringt‹ liegt.

21

22

Wissenschaftliche Kontextualisierung

Der Übergang von der Therapie zum Therapeutischen, vom Patienten zur Person, ist Teil des Heilungsprozesses.« (Creative Health 2017: 13) Gerade im österreichischen Kontext ist eine Differenzierung jedoch geboten, da mit dem Musiktherapiegesetz (2009), dem einzigen seiner Art weltweit, eine im Gesundheitswesen klinisch anerkannte kunstbasierte Therapie vorliegt. Im Folgenden verwenden wir die folgenden Begriffe: • •

• •

Arts and Health für das gesamte Spektrum künstlerischer Interventionen im Kontext von Gesundheit und Wohlbefinden. Arts for Health für evidenzbasierte Interventionen, die vom künstlerischen Standpunkt aus agieren und bei denen der künstlerische und kreative Prozess im Mittelpunkt steht. Kunsttherapie für gezielte (psycho-)therapeutische Ansätze, die von ausgebildeten Therapeutinnen geleitet werden. Arts within health bezeichnet künstlerische Angebot für Gesundheitsprofis oder Kunst im »medizinischen Raum«.

In dieser Publikation steht die »Arts for Health«-Praxis im Vordergrund.

Arts for Health Künstlerinnen, die im Gesundheitskontext arbeiten, behandeln (therapieren) nicht. Sie sind keine ausgebildeten Medizinerinnen, Therapeutinnen oder Pflegerinnen, können aber mit solchen zusammenarbeiten. In diesen Partnerschaften sollten sich die Akteurinnen darüber bewusst sein, dass sie unterschiedliche Perspektiven in die Arbeit einbringen: »Da künstlerische Interventionen oft einen anderen Schwerpunkt haben als Interventionen im Gesundheitswesen, sind auch die Bewertungsmethoden in der Regel anders. Bei der Sammlung von Nachweisen und der Vereinbarung von Erfolgsdefinitionen müssen die Partnerinnen bereit sein, die Arbeit ›durch eine andere Brille‹ zu betrachten und die Ergebnisse zu teilen.« (Amans 2017: 265) Arts for Health erhebt keinen Anspruch, therapeutischen Charakter zu haben. Die Teilnehmenden agieren aktiv als Künstlerinnen (in the making) und treten damit aus dem passiven Patientinnen-Sein heraus. »Arts for Health«-Initiati-

Edith Wolf Perez: 1.1. Was ist Arts and/for/in/within Health?

ven werden in der Regel von professionellen Künstlerinnen geleitet. Im besten Fall werden sie auch wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Sie finden in einer freudvollen, interaktiven und künstlerischen Atmosphäre statt, können das Wohlbefinden fördern, soziale Bindungen verstärken, zu einem gesünderen Lebensstil beitragen und die Resilienz der Teilnehmenden erhöhen.2 Kunst im Kontext von Gesundheit ist eine nicht invasive biopsychosoziale Intervention, die auf die körperliche, mentale und soziale Befindlichkeit wirkt. Das kreative und künstlerische Schaffen oder der Kunstgenuss kann eine therapeutische Wirkung haben, doch werden dabei weder Symptome behandelt noch Heilung versprochen. »Arts for Health«-Interventionen arbeiten mit den gesunden Anteilen des Menschen und setzen nicht bei der Krankheit an, was sich auch aus der Geschichte von Arts for Health als eine Entwicklung der Community-Arts-Bewegung ergibt.

Community Arts In den 1960er Jahren wurde der Begriff Community Arts den Kunstaktivitäten zugeordnet, die sich an spezifische Gruppen, Communitys, richteten. Für die im angelsächsischen Sprachraum übliche Verwendung des Begriffs gibt es keine deckungsgleiche deutschsprachige Entsprechung. Eine Community kann sich auf ein geografisches Gebiet, gemeinsame Interessen oder gemeinsame Bedingungen beziehen (z.B. Behinderung, Leben im Alter, ethnische Herkunft usw.). Ursprünglich verstanden sich Community Artists als politische Akteurinnen, die das Recht auf Kunst und Kultur für alle einforderten. Unter dem Slogan »Demokratisierung der Kunst« wollten sie jene Menschen erreichen und involvieren, die keinen oder nur begrenzten Zugang zur Kunst haben. Grundlage für diesen Anspruch ist Artikel 27 der Menschendrechtskonvention. »Jeder hat das Recht, frei am kulturellen Leben der Gemeinschaft teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Vorteilen teilzuhaben.« Rasch wurden Community-Arts-Interventionen in Großbritannien von nationalen Förderinstitutionen unterstützt: »Der Arts Council sah sich gezwungen

2

Brown & Langley 2006 sowie in Anlehnung an die »Dance for Health«-Definition der International Association for Dance Medicine & Science (IADMS).

23

24

Wissenschaftliche Kontextualisierung

zu reagieren, nicht zuletzt, weil er es sich nicht leisten konnte, die Ankunft der Zukunft zu behindern.« (Owen 2016: 23) Es waren auch die Fördergeberinnen, die mit Untersuchungen und Berichten den strukturellen Aufbau der Community-Arts-Bewegung unterstützten, die sich bald auf alle Kunstsparten und auf viele Regionen des Landes ausbreitete. Im Gegensatz dazu förderte die öffentliche Kulturverwaltung in Österreich die zur gleichen Zeit entstehenden unabhängigen Gruppen und Künstlerinnen der freien Szene vor allem für »künstlerische Innovation«. Für die Erlangung von Förderungen war es eher nachteilig, soziale Themen anzusprechen oder Laien in die Kunstproduktion einzubeziehen. Der Ruf nach »Demokratisierung von Kultur«, der auch hierzulande laut wurde, manifestierte sich in der Folge in den Begriffen »Soziokultur«, »Kulturelle Bildung« und »Kulturvermittlung«, unter denen primär pädagogische und nicht künstlerische Ziele verfolgt werden. Bereits die Semantik verdeutlicht den immanenten Unterschied zum britischen Konzept: Der Begriff »vermitteln« impliziert mindestens zwei Parteien, einen Sender und einen Empfänger, oder Kultur wird als Teil von gesellschaftlichen Prozessen wie Bildung angesehen. »Community Arts« bezeichnet vorerst jedoch lediglich den künstlerischen Akt in der Gemeinschaft.

»The Planets«, Ch: Royston Maldoom, Wiener Festwocheneröffnung 2007.

© Frick & Grünauer

Edith Wolf Perez: 1.1. Was ist Arts and/for/in/within Health?

Am Beispiel von … Community Dance: Aus Grossbritannien über Berlin nach Wien Royston Maldoom zählt seit den späten 1960er Jahren zu den Pionierinnen der Community-Dance-Bewegung. 2004 wurde er vom damaligen Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker Simon Rattle eingeladen, eine Choreografie mit über 200 Kindern aus ganz Berlin zu Strawinskis »Le Sacre du Printemps« einzustudieren. Das Projekt wurde in dem Film »Rhythm is it!« dokumentiert. Darin konnte man den konsequenten, herausfordernden und disziplinierten Prozess verfolgen, den die vorwiegend aus »Brennpunkt«-Vierteln stammenden Kinder und Jugendlichen erlebten und der bei einigen von ihnen zu einem dramatischen Perspektivenwechsel führte. Der Film rüttelte im Kulturbereich Arbeitende in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf und führte zu einem regelrechten Community-Dance-Boom. In Wien sah der damalige Generalsekretär der Caritas, Werner BinnensteinBachstein, den Film und beschloss, Maldoom zu einem Projekt nach Wien einzuladen: Er choreografierte Gustav Holsts »The Planets« mit über 250 Kindern und Jugendlichen zur Festwocheneröffnung 2007 auf dem Wiener Rathausplatz, es spielten die Wiener Symphoniker. Doch Maldoom hatte seine Zusage an eine Bedingung geknüpft: Er wolle kein einzelnes Event realisieren, sondern eine nachhaltige Initiative setzen. Zusammen mit seiner Kollegin Tamara McLorg baute er »Tanz die Toleranz« (TdT)3 auf. Heute ist es das einzige Community-Dance-Programm mit einem laufenden Angebot im deutschsprachigen Raum. So arbeiten jedes Semester mehrere Gruppen, von Kindern bis zu Erwachsenen, an Performances, die vor Publikum präsentiert werden. Außerdem bietet TdT jeden Samstag eine Schnupperstunde in unterschiedlichsten Tanzstilen. Die Gruppen werden von professionellen Choreografinnen geleitet, darunter Absolventinnen von Tanzstudien, die bei TdT erste Arbeitserfahrungen sammeln können. Die Teilnahme ist kostenlos. Die Teilnehmenden kommen aus unterschiedlichen sozialen und kulturellen Backgrounds und so sind TdT-Aufführungen zugleich ein authentischer Spiegel der (Migrations-)Gesellschaft. Durch den inklusiven Ansatz sind jeweils auch Menschen mit Behinderung sowie Seniorinnen integriert. Neben den laufenden Kursen/Performances arbeitet das Team von TdT in Sonderprojekten mit speziellen Communitys, z.B. mit Bewohnerinnen in Pflegeeinrichtungen oder muslimischen Frauen.

25

26

Wissenschaftliche Kontextualisierung

Bis heute haben ca. 15.000 Personen aktiv an unterschiedlichen Projekten teilgenommen. Seit zwei Jahren besteht eine Zusammenarbeit mit der Wiener Staatsoper im Rahmen des »Tanzlabor«, einem partizipativen Projekt mit Kindern und Jugendlichen.

KURZINFO Als Arts and Health werden künstlerische und kulturelle Aktivitäten im Kontext von Gesundheit und Wohlbefinden bezeichnet. Arts for Health sind nichttherapeutische Interventionen, in denen der künstlerische Prozess im Mittelpunkt steht, in der Regel von professionellen Künstlerinnen geleitet. Kunsttherapien sind meist klinische psychotherapeutische Behandlungen unter Einbeziehung von künstlerischen Aktivitäten unter der Leitung von ausgebildeten Therapeutinnen.

Quellen All-Party Parliamentary Group on Arts, Health and Wellbeing (2017): Creative Health: The Arts for Health and Wellbeing, https://www.artshealthreso urces.org.uk/docs/creative-health-the-arts-for-health-and-wellbeing/ [27.09.2022] Amans, Diane (2017): Dance as Art in Hospitals, in: Vicky Karkou/Sue Oliver/ Sophia Lycouris (Hg.): The Oxford Handbook of Dance and Wellbeing, Oxford University Press. Brown, Langley (2006): Is Art Therapy? Art for Mental Health at the Millennium, Dissertation eingereicht an der Manchester Metropolitan University for the degree of Doctor of Philosophy; https://www.artsforhealth.org/pe ople/langley-brown-phd-thesis.pdf [27.09.2022] Fancourt, Daisy/Saoirse Finn (2019): What is the evidence on the role of the arts in improving health and well-being? A scoping review (= World Health Organization. Health Evidence Network synthesis report 67), https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/329834/9789289054 553-eng.pdf [27.09.2022] 3

https://www.tanzdietoleranz.at [28.10.2022]

Edith Wolf Perez: 1.1. Was ist Arts and/for/in/within Health?

IG Kultur Österreich (Hg.) (2019): Kultur als Rezept (= Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda 1.19), https://igkultur.at/sites/default/files/ posts/downloads/2020-01-07/IG%20Kultur_Zentralorgan_2019-01_Kultu r%20als%20Rezept.pdf [27.09.2022] Kelly, Owen (1984/2016): Community, Art and the State. Storming the citadels, First hardback edition 1984 by Comedia Publishing Group. First digital edition published in 2016 by Dib Comedian Dob. https://www.academ ia.edu/470872/Community_art_and_the_state_Storming_the_citadels [27.09.2022] Maldoom, Royston (2010): Tanz dein Leben, Frankfurt a.M.: S. Fischer. New Economics Foundation (NEF) (2009): National Accounts of Wellbeing, https://neweconomics.org/uploads/files/2027fb05fed1554aea_uim 6vd4c5.pdf [27.09.2022] Rüsch, Nicolas (2021): Das Stigma psychischer Erkrankung: Strategien gegen Ausgrenzung und Diskriminierung, München: Elsevier. Tanz die Toleranz/Corina Payr (Hg.) (2019): Tanz die Toleranz, 1. Auflage, Wien: Caritas der Erzdiözese Wien.

27

1.2. Arts and Health: Die Evidenzlage laut WHO Eine Zusammenfassung Edith Wolf Perez, Katherine Dedich

Welche medizinischen und sozialen Bereiche von »Arts and Health«-Interventionen profitieren können, wurde mittlerweile in zahlreichen Studien untersucht. Doch trotz einer zunehmenden Anzahl an Projekten ist das Bewusstsein über die wissenschaftliche Evidenz künstlerischer Aktivitäten für die Gesundheit und das Wohlbefinden in den Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation, WHO) sehr unterschiedlich.

Der Evidenzbericht der Weltgesundheitsorganisation

Daher publizierte das Europabüro der WHO 2019 in ihrer Serie »Health Evidence Network Synthesis Report« die 67. Ausgabe zur Rolle von Kunst für

30

Wissenschaftliche Kontextualisierung

Gesundheit und Wohlbefinden: In »What is the evidence on the role of the arts in improving health and wellbeing. A scoping review« untersuchen die Autorinnen Daisy Fancourt und Saoirse Finn 900 Publikationen, in denen insgesamt 3.000 Studien vorgestellt wurden. Um der Thematik gerecht zu werden, wählten sie einen inter- und transdisziplinären Ansatz und untersuchten Studien aus den Bereichen Medizin, Neurowissenschaft, Psychologie und Soziologie. Sie führten quantitative Metaanalysen, qualitative Metasynthesen und individuelle Studien zusammen. Der WHO-Report bietet den zurzeit umfassendsten Überblick von Studien über die Wirkungsweise von Kunst im Kontext von Gesundheit und Wohlbefinden. In den darin gelisteten Studien wurden die klassischen Kunstkategorien wie Musik, darstellende Kunst (Tanz, Gesang, Theater), Film, Bildende Kunst, Design und Handwerk, Literatur sowie Online-, digitale und elektronische Kunst berücksichtigt. Der Begriff Kultur bezieht sich auf Aktivitäten wie den Besuch von Ausstellungen, Konzerten, Theater- und Tanzaufführungen, Community Events oder Festivals. Es wurden sowohl partizipative Kunstinterventionen als auch die Rezeption von Kunst berücksichtigt: Musik führt das Feld an, da sie bei nahezu allen Anwendungsgebieten Wirkung zeigt. Doch auch für Tanz, Theater und Bildende Kunst ist mittlerweile eine eindrucksvolle Evidenzlage vorhanden. Der WHO-Report kommt zu dem Schluss, dass jeder der Kunstkategorien verschiedene Kombinationen von gesundheitsfördernden Komponenten immanent sind, sei es • • •

im täglichen Leben (also nicht für einen gesundheitlichen Zweck, sondern mit einem sekundären Nutzen für die Gesundheit), in maßgeschneiderten Kunstprogrammen, die gezielt für die Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden entwickelt wurden, oder in therapeutischen Kunstprogrammen, die von ausgebildeten Kunsttherapeutinnen durchgeführt werden. »… dies wird als Stärke von Kunstprojekten im Gesundheitsbereich angesehen: während andere Aktivitäten auch verschiedene gesundheitsfördernde Komponenten enthalten können (z.B. sportliche Aktivitäten), verbinden die Künste viele gesundheitsfördernde Faktoren mit innerer ästhetischer Schönheit und kreativem Ausdruck, die eine intrinsische Motivation für ein Engagement bieten, das über den besonderen Aspekt der Gesundheit hinausgeht … Eine weitere Stärke ist, dass die multimodale Natur von Kunstin-

Edith Wolf Perez, Katherine Dedich: 1.2. Arts and Health: Die Evidenzlage laut WHO

terventionen bedeutet, dass ein Engagement mit einer Reihe von verschiedenen Auswirkungen auf die Gesundheit verbunden sein kann.« (Fancourt/ Finn, 2019: 17) Schlüsselkomponenten, von denen bekannt ist, dass sie gesundheitsfördernd sind, unterstützen die logische Verbindung zwischen Kunst und Gesundheit, zum Beispiel sensorische Aktivierung, ästhetisches Engagement, kognitive Stimulation, soziale Interaktion und die Auseinandersetzung mit Themen der Gesundheit. Die Forschung zeigt, dass sich durch Kunst die Fähigkeit verbessert, emotional und kognitiv zu reagieren. Die Auseinandersetzung mit Kunst in Bezug auf die Gesundheit hat einen großen Einfluss auf das soziale Wohlbefinden, wie Berichte über weniger Einsamkeit und Isolation bis hin zu verbesserten sozialen Unterstützungsnetzwerken belegen. Das gemeinsame, lustvolle und freudige Agieren führt zu einer deutlich geringeren Drop-outRate als bei vergleichbaren Aktivitäten.

Logisches Modell: Die Verbindung von Kunst und Gesundheit Komponenten

Wirkungsfelder

Resultate

– Ästhetisches Engagement – Einbindung der Vorstellungskraft – Sensorische Aktivierung – Hervorrufen von Emotionen – Kognitive Stimulation – Soziale Interaktion – Auseinandersetzung mit Themen der Gesundheit – Interaktion mit dem Umfeld des Gesundheitswesens

– Psychologisch (z.B. verbesserte Selbstwirksamkeit, Bewältigung, emotionale Regulierung) – Physiologisch (z.B. geringere Stresshormonreaktion, verbesserte Immunfunktion, höhere kardiovaskuläre Reaktivität) – Sozial (z.B. weniger Einsamkeit und Isolation, mehr soziale Unterstützung, besseres Sozialverhalten) – Lebensstil (z.B. mehr Bewegung, gesündere Verhaltensweisen, Lernen und Entwicklung von Fertigkeiten)

– Prävention – Promotion – Management – Behandlung

Nach Fancourt/Finn 2019: 3

31

32

Wissenschaftliche Kontextualisierung

Der theoretische Rahmen für den WHO-Report konzentriert sich auf den multimodalen Aspekt künstlerischer Aktivitäten. Kunstinterventionen können mehrere gesundheitsfördernde Faktoren innerhalb einer Aktivität befördern (z.B. Unterstützung körperlicher Aktivität mit Komponenten, die die psychische Gesundheit unterstützen). Sie können also für bestimmte Situationen effizienter sein als die gleichzeitige Verschreibung von körperlicher Aktivität und einer psychotherapeutischen Behandlung. Der Report gliedert die Evidenz über den Einfluss der Kunstinterventionen, die die zahlreichen Studien liefern, in 1.) Prävention und Erhalt von Gesundheit sowie 2.) Management und Behandlung von Krankheiten. Die Fülle der Beispiele, die im WHO-Report auf 58 Seiten dokumentiert sind, lässt sich hier nur ansatzweise zusammenfassen.

Themen für den Einsatz von »Arts and Health«-Interventionen Themen für Prävention und Gesundheitsförderung Soziale Determinanten von Gesundheit

- Soziale Kohäsion - Soziale Ungleichheiten

Kindesentwicklung

- Mutter-Kind-Bindung - Sprechen und Sprache - Bildungsabschlüsse

Pflege

- Verständnis von Gesundheit - klinische Fähigkeiten - Wohlbefinden

Vorbeugung von Krankheiten

- Wohlbefinden - Mentale Gesundheit - Trauma - Kognitiver Abbau - Gebrechlichkeit - Frühsterblichkeit

Gesundheitsfördernde Verhaltensweise

- Gesund leben - Engagement in Gesundheitspflege - Gesundheitskommunikation - Gesundheitsbedingte Stigmatisierung - Engagement mit schwer erreichbaren Gruppen

Edith Wolf Perez, Katherine Dedich: 1.2. Arts and Health: Die Evidenzlage laut WHO

Management und Behandlung Pflege am Lebensende

- Palliativpflege - Trauer

Psychische Erkrankungen

- Perinatale psychische Erkrankungen - Mittelschwere psychische Erkrankung - Schwere psychische Erkrankung - Trauma und Missbrauch

Akute Zustände

- Frühgeborene - stationäre Pflege - chirurgische und invasive Eingriffe - Intensivpflege

Neuroentwicklungs- und neurologische Störungen

- Autismus - Zerebrale Kinderlähmung - Schlaganfall - Nicht angeborene Hirnschäden - Degenerative neurologische Störungen - Demenz

Nicht übertragbare Krankheiten

- Krebs - Lungenkrankheiten - Diabetes - Kardiovaskuläre Erkrankungen

Nach Fancourt/Finn, 2019: 9

Prävention und Gesundheitsvorsorge In Bezug zu Prävention werden folgende Themenfelder behandelt: • • • • •

wie Kunst die sozialen Determinanten von Gesundheit beeinflusst, wie Kunst die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen unterstützt, wie Kunst zu einem gesünderen Lebensstil ermutigt, wie Kunst hilft, Krankheiten vorzubeugen, wie Kunst Pflegende und Angehörige unterstützt.

33

34

Wissenschaftliche Kontextualisierung

Soziale Kohäsion Untersuchungen belegen, dass die Kunst, und besonders Musik, den sozialen Zusammenhalt verbessert und soziales Verhalten fördert. Experimentelle Studien mit Kontrollgruppen zeigen, dass Social Bonding mit Musik schneller als mit anderen Aktivitäten erfolgt. (Fancourt/Finn, 2019: 21) Kunstaktivitäten können Brücken zwischen unterschiedlichen Gruppen bauen, etwa zwischen Menschen mit Demenz und ihren Pflegenden, Kindern und Erwachsenen mit und ohne Behinderung, Polizei und ehemaligen Gesetzesbrechern, zwischen Generationen, zwischen Menschen mit unterschiedlichem ethnischem und sozialem Background. »Arts and Health«-Initiativen können bei Konfliktlösungen helfen, indem sie kognitive, emotionale und soziale Fähigkeiten dahingehend befördern, sich konstruktiv mit einem Konflikt zu befassen und kooperative Beziehungen aufzubauen. Community-Projekte helfen, kulturelle Traditionen zu erhalten, die Identität zu fördern, Resilienz und ein unterstützendes soziales Netzwerk aufzubauen, wie die Arbeit mit Asylsuchenden, Migrantinnen und sozial benachteiligten Gruppen beweist. Kunstprojekte wirken als Mediatoren auf internationaler und lokaler Ebene, z.B. bei Konflikten zwischen Angehörigen unterschiedlicher Ethnien. Es wurden auch Kunstprogramme entwickelt, um soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeiten zu adressieren und Auswege daraus aufzuzeigen. (Fancourt/Finn, 2019: 9)

Entwicklung von Kindern und Jugendlichen Kunst spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. In der anthropologischen und psychologischen Literatur wird besonders die Rolle der Musik für die Mutter-Kind-Bindung sowie für die Sprachentwicklung betont. Neurologische Studien deuten auch darauf hin, dass sich die Beschäftigung mit Kunst positiv auf akademische Leistungen auswirkt. Musik kann den Stresshormon-Haushalt regulieren, Hyperaktivität reduzieren, autistische Verhaltenstendenzen und Problemverhalten beeinflussen. Kinder und Jugendliche mit Entwicklungsstörungen oder spezifischen Psychopathologien nach sexuellem Missbrauch können durch Kunstausübung ihr Selbstvertrauen, ihr Selbstwertgefühl und ihr Selbstverständnis verbessern.

Edith Wolf Perez, Katherine Dedich: 1.2. Arts and Health: Die Evidenzlage laut WHO

Gesunder Lebensstil Das Thema Prävention erstreckt sich über gesundheitsfördernde Verhaltensweisen. Als Unterthemen werden gesundes Leben, gesundheitsbezogene Stigmatisierung oder Engagement mit schwer zugänglichen Gruppen angeführt. Menschen, die sich künstlerisch engagieren, folgen unabhängig von ihrem sozialen und ökonomischen Background eher einem gesünderen Lebensstil, achten auf gesunde Ernährung und bleiben körperlich aktiv. Kunstprojekte können Drogen- oder Tabakentwöhnungsmaßnahmen unterstützen. Sie sind auch ein wirkungsvolles Tool für die Gesundheitskommunikation. Durch kulturelle Projekte können spezifische Zielgruppen erreicht werden, da sie Sprachbarrieren überwinden und an Emotionen appellieren, Konzepte für einen gesunden Lebensstil vermitteln und so das Individuum in seiner proaktiven Haltung bestärken bzw. die Kooperation in der Gruppe fördern. Kunstinterventionen werden auch eingesetzt, um das Stigma, das mit gewissen Krankheiten verbunden ist, zu verringern, besonders bei Fragen der psychischen Gesundheit, aber auch bei HIV oder Demenz.

Kunst beugt Krankheiten vor Kunst trägt zur Lebensqualität bei, indem sie die eigene Kraft und Belastbarkeit stärkt. Es gibt eine überbordende Fülle an Untersuchungen, die zeigen, wie die Beschäftigung mit Kunst das multidimensionale subjektive Wohlbefinden, d.h. das affektive (positive Emotionen), das evaluative (Zufriedenheit mit seinem Leben) sowie das eudaimonische Wohlbefinden (Sinn und Zweck unseres Lebens, Kontrolle, Autonomie) unterstützten kann. Studien von spezifischen Interventionen aus einer Vielzahl von Kunstbereichen haben gezeigt, dass sich das Wohlbefinden auf individueller sowie sozialer Ebene in allen Facetten verbessert. Studien liefern auch vielfältige Hinweise auf die präventive Wirkung von Kunst für die psychologische und mentale Gesundheit sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen, zur Stärkung der kognitiven Fähigkeiten, zur Reduzierung von Gebrechlichkeit im Alter und sogar von vorzeitiger Mortalität (Fancourt/Finn, 2019: 25).

35

36

Wissenschaftliche Kontextualisierung

Kunst für im Gesundheitsdienst Arbeitende »Arts within health« kann zum Verständnis von Krankheit und Gesundheit beitragen: Gedichte, Romane, Theaterstücke, Musik, Tanz und Bilder können das Verständnis für die Komplexität von Krankheiten bei Ärztinnen, Gesundheitspersonal und klinischen Forscherinnen vertiefen und die klinischen Fähigkeiten, persönliche Skills und die Kommunikation im Gesundheitsbereich verbessern. Nicht zuletzt können künstlerische Interventionen die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden von professionellen Pflegenden oder pflegenden Angehörigen positiv beeinflussen.

Tanz die Toleranz: Adult Dance.

© Karin Cheng

Am Beispiel von … Kunstprogramme für soziale Kohäsion Eine der umtriebigsten Organisationen bei der Bereitstellung von Kunstangeboten für die soziale Kohäsion ist die Caritas Österreich bzw. ihre Länderorganisationen. Mit künstlerischen Projekten werden Themen wie Migration, Umweltbewusstsein, Integration, Inklusion, Identität oder soziale Benachteiligung adressiert, oft in nachhaltigen Programmen mit regelmäßig stattfindenden Ak-

Edith Wolf Perez, Katherine Dedich: 1.2. Arts and Health: Die Evidenzlage laut WHO

tivitäten. Zahlreiche Kunstprojekte werden von Künstlerinnen und Mitarbeiterinnen der NGO in ganz Österreich initiiert und umgesetzt. In Wien gehören die Brunnenpassage1 , Tanz die Toleranz2 , Stand 1293 und Atelier 104 zu den Flaggschiffen. Caritas ist auch Mitbegründerin des Musikprojektes Superar5 für Kinder und Jugendliche, das mittlerweile ein nationales und internationales Netzwerk mit 26 Standorten in sieben Ländern etabliert hat. Ein weiteres Vorzeigeprojekt ist der Caritas-Standort St. Pius in Peuerbach OÖ6 . Dort engagieren sich Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen in kreativen Tätigkeiten. Nationale und internationale Künstlerinnen geben während mehrtägiger Workshops technische und kreative Inputs in den Bereichen Literatur, Bildhauerei, Fotografie und Malerei. Das Ergebnis wird im Anschluss in einer öffentlichen Ausstellung in der Gemeinde Peuerbach präsentiert. Die Bewohnerinnen – sieben haben mittlerweile »Künstlerstatus« erreicht – nehmen an verschiedenen Symposien und Festivals im In- und Ausland teil, reichen Projekte im Rahmen von Kunst am Bau ein und ihre Werke werden bei Ausstellungen gezeigt. Auf lokaler Ebene setzt auch invita7 der Caritas OÖ, bei dem Menschen mit psychosozialem Unterstützungsbedarf begleitet werden, an. In der Region rund um Engelhartszell führt der Leiter Thomas Diesenberger gemeinsam mit der Gemeindebevölkerung seit rund 10 Jahren Inklusionsprojekte durch, zurzeit: Musica invita, Theater INNklusiv, invita on the radio. In Vorarlberg wurden zum Beispiel die Themen Klimawandel, Armut beseitigen und die Gleichstellung von Frauen in das Musical »Solve it – die Zeit läuft!8 « gepackt, kreiert und aufgeführt von Jugendbotschafterinnen der Auslandshilfe der Caritas Vorarlberg. 5.000 Schülerinnen und Erwachsene haben das Musical bislang gesehen. In den »Rankler G’schichten« erzählen 21 Dorfbewohnerinnen ihre ganz persönlichen Geschichten und Erfahrungen. Nahezu jede Erzählerin wurde durch eine lebensgroße Stahlfigur dargestellt. Mittels QR-Code an den Figuren, die 2021 auf dem Marktplatz und nunmehr in der Basilika in Rankweil stationiert sind, kann die jeweilige Lebensgeschichte nachgehört werden. Mit diesem Projekt werden Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten in Hinblick auf Themen wie Einsamkeit, Nachbarschaft und Älterwerden sichtbar gemacht9 . In einem alten Vierkanthof am Stadtrand von Linz (Gemeinde Asten) bietet die Caritas Oberösterreich im Hartlauerhof10 wohnungslosen Männern in Not einen betreuten, zeitlich befristeten Wohn- und Lebensraum. Als tagesstrukturierende Beschäftigung gibt es u.a. das Angebot, sich in der Werkstatt ein-

37

38

Wissenschaftliche Kontextualisierung

zubringen, wo Holz und Metall kreativ bearbeitet wird. Jenseits von Zwang oder Leistungsdruck entstehen in Begleitung des Bildhauers und experimentellen Gestaltungskünstlers Ulrich Fohler ungewöhnliche Objekte und Unikate. Durch das Upcycling von Schrott, Wildholz oder Sperrmüll werden aus alten Gebrauchsgegenständen exklusive Objekte. Es entstehen Sitzhocker aus alten Büchern, Feuerkörbe aus Autofelgen, Paletten- und Wildholzmöbel oder Leuchtobjekte aus alten Fassdauben. Die Objekte der Männer vom Hartlauerhof sind u.a. bei Kunst- und Designmessen zu finden. In Wien bietet gabarage upcycling design11 Arbeitsplätze, Beschäftigung, Qualifizierung und Ausbildung in seinen Werkstätten, im Verkauf und in der Verwaltung für »Menschen, die es am Arbeitsmarkt schwer haben, ihren Platz zu finden. Dazu zählen Menschen mit chronischen (Sucht-)Erkrankungen, mit psychischen Erkrankungen, Migrationshintergrund oder auch Jugendliche, die eine neue Perspektive aufgrund ihrer herausfordernden Vergangenheit benötigen. Acht Bundesländer beteiligen sich an dem Projekt »Hunger auf Kunst und Kultur«12 , das 2003 vom Schauspielhaus Wien in Kooperation mit der Armutskonferenz initiiert wurde, um sozial benachteiligten Menschen mit einem »Kulturpass« freien Eintritt in zahlreiche kulturelle Einrichtungen wie Theater oder Museen zu ermöglichen. Über Spendeneinnahmen in den Kulturinitiativen wird diese barrierefreie Teilnahme an Kultur zu einem großen Teil finanziell abgedeckt. Seit Herbst 2021 ist die vom Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport finanzierte bundesweite Kulturpass-App verfügbar, die ein besseres Vernetzen und ein leichteres Abrufen der Kulturangebote ermöglicht. Im Bereich der Bildenden Kunst ist der Kunstraum.at13 von pro mente Oberösterreich als Produktionsort und Ausstellungsraum für zeitgenössisches Kunstschaffen ein Raum, in dem Teilhabe an Kunst ermöglicht wird, um gemeinsam handwerkliche und inhaltliche Auseinandersetzung zu erzielen und einen individuellen, aber auch sozialen Entwicklungsprozess in Gang zu setzen. Der KunstRaum Goethestrasse xtd ist beauftragt an der Schnittstelle von Kunst und Sozialem zu arbeiten und hält die individuellen und gesellschaftlichen Wirkungen der Kunst hoch. Die Community ist offen, inklusiv und wächst. Den gesellschaftlichen Auftrag der Kunst aufgreifend, können etwa Personen mit psychosozialem Unterstützungsbedarf gemeinsam mit weiteren Interessierten an den Angeboten des Kunstraums und damit an den gemeinsamen Experimenten und Produktionsprozessen im Bereich der Bildenden Kunst teilnehmen.

Edith Wolf Perez, Katherine Dedich: 1.2. Arts and Health: Die Evidenzlage laut WHO

Seit Jahrzehnten erarbeitet die Salzburger freie Darstellende Kunstszene inklusive Produktionen in Zusammenarbeit von Profis und Laien, Menschen mit und ohne psychischen Problemen und tut dies etwa auch gemeinsam mit dem Verein Freunde inklusiver Kunst und Kultur14 . Exemplarisch genannt seien die Arbeit der mittlerweile eingestellten Blauen Hunde, einer inklusiven Tanztheatergruppe, und die Volxwerkstatt Salzburg15 von Theater Ecce. In Wien ist der Verein Ich bin O.K.16 seit 40 Jahren für inklusive Tanzprojekte im Einsatz. Neben einem ganzjährigen Kursprogramm für Menschen mit und ohne Behinderung gibt es eine Ich bin O.K.-Dance Company sowie das inklusive Trainingsprogramm Dance Assist. Produktionen oder kleine Delegationen von Ich bin O.K.-Tänzerinnen sind regelmäßig zu internationalen Festivals und Events eingeladen, zum Beispiel zu den Special Olympics. Mittlerweile gibt es auch einige Festivals, die mit Blick auf inklusive Theaterund Tanzproduktion kuratiert sind, wie das sicht:wechsel Festival in Linz17 , das Festival inklusive Theater im BRUX Innsbruck18 , das inklusive Tanz-, Kultur- und Theaterfestival InTaKT in Graz19 oder das Volxsommer Festival im Land Salzburg. Zu den Initiativen, die den Weg in die Professionalisierung für Künstlerinnen mit Behinderung ebnen und im Mainstream des Kulturbetriebes eingebettet sind, zählen zum Beispiel Workshop-Angebote wie DanceAbility20 . Die Arbeiten des Künstlerkollektivs »MAD« (Mixed Abled Dance Coproductions)21 reüssieren im Programm zeitgenössischer Tanzveranstalter ebenso wie Werke von Art Brut22 auf dem internationalen Kunstmarkt.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

https://www.brunnenpassage.at [27.09.2022] https://www.tanzdietoleranz.at [27.09.2022] https://www.caritas-wien.at/hilfe-angebote/zusammenleben/kunst-fuer-alle/stand129 [27.09.2022] https://www.atelier10.eu [27.09.2022] https://www.superar.eu [27.09.2022] https://www.caritas-ooe.at/hilfe-angebote/menschen-mit-behinderungen/ausbildu ngundarbeit/arbeit/werkstaetten/werkstaette-st-pius [27.09.2022] https://www.verein-invita.at [27.09.2022] https://www.caritas-vorarlberg.at/spenden-helfen/freiwilliges-engagement/jugend botschafter/musicals [27.09.2022] [email protected] https://www.caritas-ooe.at/hilfe-angebote/menschen-in-not/wohnungslosigkeit/har tlauerhof-begleitetes-wohnprojekt [27.09.2022] https://www.gabarage.at [27.09.2022]

39

40

Wissenschaftliche Kontextualisierung

Holzskulpturenwerkstatt

© Caritas Oberösterreich/Hartlauerhof

Management und Behandlung von Krankheiten Für das Management und die Behandlung von Krankheiten haben sich im WHO-Report folgende Schwerpunkte für kunstbasierte Interventionen herauskristallisiert: • 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

die Wirkung auf das Erleben psychischer Erkrankungen und Traumata; https://www.hungeraufkunstundkultur.at [27.09.2022] https://kunstraum.at [27.09.2022] https://www.inklusivekultur.at [27.09.2022] https://www.theater-ecce.com/programm/event/volxtheaterwerkstatt-salzburg [27.09.2022] https://ichbinok.at [27.09.2022] https://www.sicht-wechsel.at [27.09.2022] https://www.brux.at/produktionen/festival-inklusive-theater-2021 [27.09.2022] https://intakt-festival.at [27.09.2022] https://danceability.eu/ [27.09.2022] https://www.mad-dance.eu [27.09.2022] https://www.museumgugging.at/de/gugginger-kunst/die-kuenstler-aus-gugging/ku enstler_innen/2/1/die-gugginger-kuenstlerinnen [27.09.2022]

Edith Wolf Perez, Katherine Dedich: 1.2. Arts and Health: Die Evidenzlage laut WHO

• • • •

die Unterstützung von Menschen mit akuten Erkrankungen; die Unterstützung von Menschen mit entwicklungsneurologischen und neurodegenerativen Störungen; Hilfe beim Management von nicht ansteckenden Krankheiten; Unterstützung am Lebensende.

Studien über das Management und die Behandlung von Krankheiten befassen sich vor allem mit der Wirkung von Kunst auf eine Vielzahl von Erkrankungen und Störungen in allen medizinischen Bereichen und in allen Lebensphasen. Kunstinterventionen rund um die Geburt zeigen positive Wirkungen vor, während und nach der Geburt. So kann Kunsttherapie im letzten Trimester der Schwangerschaft Depressionen und Angstzustände vor der Geburt verringern. Ebenso das Hören von Musik, das auch das Risiko einer postnatalen Depression senken kann. Kunst- und Musiktherapien können bei leichten, mittelschweren und schweren psychischen Erkrankungen Angst- und Depressionssymptome senken und den Allgemeinzustand bei Kindern und Jugendlichen verbessern. Musiktherapie und allgemeiner Musikgenuss können psychopathologische Symptome wie Aggressivität und zwischenmenschliche Feindseligkeit, paranoide Ideen, phobische und sogar katatonische Zustände mildern. Das Engagement in kreativen künstlerischen Interventionen hat gezeigt, dass sich Symptome von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) verringern. In der Intensivpflege kann das Hören von Musik den Blutdruck und die Atemfrequenz senken. Darüber hinaus zeigen die Künste hervorragende Unterstützung für Menschen mit neurologischen Störungen. Musik- und Kunsttherapien können sich vorteilhaft auswirken auf Personen, die einen Schlaganfall erlitten haben, die mit Autismus leben und eine Hirnverletzungen erlitten haben. Tanz kann bemerkenswerte Fortschritte bei Menschen mit Zerebralparese, Parkinson23 und Demenz hervorrufen. Musik- und Kunstschaffende berichten in ihren Studien über den Nutzen für Menschen mit Krebs, Diabetes, Atemwegs- oder Herz-Kreislauferkrankungen. Bei der Pflege am Lebensende bietet Kunst psychologische wie physische Unterstützung, fördert den emotionalen Ausdruck und ein kognitives Reframing.

23

Houston, Sara: »Dancing with Parkinson’s«, Bristol. Intellect Books, 2019

41

42

Wissenschaftliche Kontextualisierung

Demedarts: »Confused Confusion«, Performance

© Lea Fabienne

Am Beispiel von … Demenz Die demografische Entwicklung mit einem wachsenden Anteil an älteren Menschen stellt unsere Gesellschaft vor eine Reihe von Herausforderungen. Kunstund Kulturinitiativen sind in der Prävention mit reichhaltigen Angeboten für Seniorinnen tätig, spielen aber auch für das Management von neurophysiologischen Erkrankungen eine zunehmend bedeutende Rolle. Die Vorarlberger Aktion Demenz e.V.24 bietet im Rahmen ihres reichhaltigen Programms Kunst und Kultur von und für Menschen mit Demez an, zum Beispiel den Besuch von »Musikkurieren« bei Menschen, die nicht mobil sind; Workshops zum Thema »Humor in der Pflege«; Malspiele nach Arnold Stern; Ausstellungen im öffentlichen Raum oder Kulturvermittlerinnen als Begleitung bei Museumsbesuchen. Seit 2017 werden von zehn Betroffenen Fotos gemacht, die in einer Wanderausstellung zu sehen sind – 2022 etwa beim Festival »tanz ist« im Spielboden Dornbirn. Seit 2016 führt der Verein Bewegung fürs Leben in der Demenz-Abteilung der Pflege Donaustadt eine wöchentliche Tanzklasse durch25 , das Universalmuseum Joanneum in Graz veranstaltet eine Ausbildung zur Kulturbegleiterin für Menschen mit Demenz26 . Das Projekt Demedarts27 hingegen will vor allem empathische Fähigkeiten gegenüber Menschen mit Demenz stärken.

Edith Wolf Perez, Katherine Dedich: 1.2. Arts and Health: Die Evidenzlage laut WHO

Demedarts Ruth Mateus-Berr, L. Vanessa Gruber, Lisa Kielmeier, Christina May Yan Carli, Pia Scharler Konzept und Ziele Das im Zentrum Didaktik für Kunst und interdisziplinären Unterricht an der Universität für Angewandte Kunst angesiedelte Projekt DEMEDARTS (FWF Peek: A-609) wird in Zusammenarbeit mit nationalen28 und internationalen29 Kooperationspartnerinnen durchgeführt mit dem Ziel, empathische Fähigkeiten gegenüber Menschen mit Demenz zu stärken. Den Fragen, wie Kunst- und Designstrategien Schülerinnen der Sekundarstufen, Pflegerinnen, Workshopteilnehmerinnen, Angehörigen und Interessierten helfen können, mehr Empathie gegenüber Menschen mit Demenz zu entwickeln, und wie sich künstlerische Forschung auf generationenübergreifendes Wohlbefinden von Menschen mit Demenz auswirken kann, begegnet das Projekt mit einem holistischen und transdisziplinären Ansatz. Ganz nach dem Prinzip des Phenomenon Based Learning wurden und werden künstlerische Interventionen, Lehrveranstaltungen, Workshops und Symposien zur Veränderung der Sinneswahrnehmung von gesunden Menschen entwickelt, um das gesellschaftliche Bewusstsein für die Situation von Menschen mit Demenz empathisch zu erhöhen. Wenn man auch der Krankheit derzeit medizinisch noch nicht besser begegnen kann, können Kunst und Design beitragen, das Lebensgefühl von Menschen mit Demenz zu verbessern. Aktivitäten Das Projekt DEMEDARTS erreicht durch sein vielseitiges Angebot ein diverses nationales und internationales Publikum an Schülerinnen, Pflegepersonen, Menschen in sozialen Berufen, Studierende, Forscherinnen, Angehörige, Betroffene und Interessierte. Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurden das Angebot und die geplanten Projekte adaptiert oder neu entwickelt. Mit vielseitigen Workshops an Schulen in Österreich konnten bis dato mehr als 600 Schülerinnen pro Semester erreicht werden. Ruth Mateus-Berr (Projektleitung) und ihr Team aus Kunst- und Designpädagoginnen, Künstlerinnen, Lehrenden, multimedialen Kunsttherapeutinnen, Autorinnen, Designerinnen, Performerinnen, Musik- und Tanzpädagoginnen entwickelten das erste kunstbasierte Lehrkonzept zur Sensibilisierung junger Menschen, um Demenz

43

44

Wissenschaftliche Kontextualisierung

als Lerninhalt in der Schule verstärkt aufzunehmen und im besonderen Maße kreative Annäherungsmöglichkeiten zu finden. Die Workshops zielen darauf ab, sich mit allen Sinnen dem Thema Demenz anzunähern und ganzheitlich Empathie zu bilden. So wurde beispielweise mit den Schülerinnen erarbeitet, wie Empathie nonverbal ausgedrückt werden kann. Die Workshops in Kooperation mit der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien (mdw) nutzen Musik als Mittel zur Empathiebildung. Die gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse wurden im Januar 2022 bei einer Präsentation mit Konzert ausgestellt. In einer Lehrveranstaltung an der Universität für angewandte Kunst Wien erarbeiten Lehramtsstudierende Unterrichtskonzepte für Schulklassen für die Fächer Bildnerische Erziehung und Technisches und Textiles Werken zur Empathiebildung. Pro Semester entstehen dabei 10–15 interdisziplinäre Unterrichtskonzepte. Im Wintersemester 2021/2022 wurden die Studierenden von den Kooperationspartnerinnen der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien zusätzlich unterstützt. Mit einem Angebot von mehr als zehn unterschiedlichen Online-Workshops hat das Team auf die COVID-19-bedingten Schließungen von Schulen und Pflegeeinrichtungen (für Externe) umgehend reagiert. Die Workshops wurden während des ersten Pandemiejahres drei bis viermal in der Woche angeboten und finden aktuell monatlich statt. Mit den Workshops wurden Teilnehmerinnen aus aller Welt verschiedenster Profession und Hintergründe (Pflegeassistenzen, Young Caritas, Angehörige, Studierende, Kunst- und Museumspädagoginnen etc.) und aller Altersstufen erreicht. Die Workshops wurden in einem Tool-Kit zusammengefasst, das als Open Source auf der Homepage zur Verfügung steht. Das Tool-Kit kann beispielsweise von Lehrpersonen im eigenen Unterricht verwendet werden. Die im Sommer 2021 stattfindenden CityWalks (Stadtspaziergänge) als eine Möglichkeit, draußen im Freien Interventionen abzuhalten, sind nur eines von vielen Beispielen für das Ineinandergreifen der interdisziplinären künstlerischen Zugänge, um sich künstlerisch forschend dem Thema Demenz und einem empathischen Umgang mit diesem zu nähern. Bei dem Durchwandern bekannter Orte in Wien, wie beispielweise dem Stadtpark, wurden Fragen nach Erinnerungen, Ankerpunkten und Assoziationen gestellt und die Antworten, Geräusche und verbalen Eindrücke auf Tonträgern festgehalten, die wiederum von Studierenden der mdw vertont wurden. Die Ergebnisse der künstlerischen Forschung der jeweiligen Projektmitglieder als auch der Workshops an Schulen und der Online-Workshops wurde bereits

Edith Wolf Perez, Katherine Dedich: 1.2. Arts and Health: Die Evidenzlage laut WHO

auf diversen Konferenzen und Symposien wissenschaftlich und künstlerisch präsentiert. So war das Forschungsprojekt DEMEDARTS als einziger Beitrag im Bereich der künstlerischen Forschung auf der weltweit größten Konferenz zu Demenz (AAIC 2020, peer-reviewed) vertreten. Ergebnisse Das Team selbst hat mittlerweile das zweite Symposium »Kunst.Vermittelt.Demenz« mit über 300 Teilnehmerinnen aus der ganzen Welt abgehalten. Hier wurde (jungen) Wissenschaftlerinnen die Möglichkeit geboten, ihre Arbeiten zu präsentieren, Expertinnen stellten ihre Arbeiten vor und das Team präsentierte die eigenen künstlerischen Forschungsprojekte im Diskurs mit internationalen Fachexpertinnen. Beim Symposium 2020 wurde zudem das Buch »Arts and Dementia« vorgestellt. Das interdisziplinäre Handbuch mit Beiträgen aus den Bereichen Design, Architektur, Kunst-, Musik- und Museumspädagogik richtet sich an Personen, die auf dem Gebiet der Demenz arbeiten und forschen, und bietet Einblicke in die Möglichkeiten künstlerischer und kunstbezogener Interventionen in der Arbeit mit Menschen mit Demenz. Videoaufnahmen der Symposien 202030 und 202131 sind online verfügbar.

Schlussfolgerung Abschließend halten die Autorinnen des WHO-Reports fest, dass es weiterer Forschung bedarf, damit Kunst und Kultur als effektive Intervention mit ihrem großen Potential für die Gesundheit anerkannt werden.

24 25 26 27 28 29 30 31

https://www.aktion-demenz.at/ueber-uns/ [27.09.2022] https://movementforliving.net [27.09.2022] https://www.museum-joanneum.at/inklusion-partizipation/projekte/kulturbegleite rin-fuer-menschen-mit-demenz [27.09.2022] https://www.demedarts.com [27.09.2022] U. a. mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien; Universität Wien; Alzheimer Austria (Antonia Croy); Haus der Barmherzigkeit S. McNiff (US), for artistic research and health, Cambridge; V.F. Gould (GB), President at Arts4Dementia; T. von Eca (PT), President of INSEA etc. https://www.demedarts.com/symposium20ondemand [26.09.2022] https://www.demedarts.com/symposium21ondemand [26.09.2022]

45

46

Wissenschaftliche Kontextualisierung

»Die hier vorgestellten Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Künste ein großes Potenzial für die Unterstützung der Gesundheit haben könnten, aber sie sind immer noch eine zu wenig und effektiv genutzte Ressource, um ihr Potenzial auszuschöpfen. Weitere Umsetzungsstudien könnten diesen Bereich diesem Ziel näherbringen.« (Fancourt/Finn 2019: 55) Sie schlagen zur weiteren Untersuchung eine Reihe von Feldern vor, die bei der Scoping Review keine Berücksichtigung fanden, wie etwa die logistischen Herausforderungen und die ethischen Anforderungen an »Arts and Health«Programme. Trotz des vielfältigen Nutzens von »Arts for Health«-Interventionen gibt es außerdem viele Krankheiten sowie die damit verbundene Pflege, bei denen Kunst keine klinisch sinnvolle Rolle spielt. Auch wenn der Report Negativ-Beispiele nicht näher ausführt, gibt es Hinweise darauf, dass es auch bei Kunstaktivitäten Kontraindikationen geben kann, z.B. könne das häufige Hören lauter Musik zu Hörverlust führen.32 Kunst ist also kein Allheilmittel, und eine sorgfältige Berücksichtigung der Literatur sowie eine fundierte Gestaltung der Programme sind wichtig. (Fancourt/Finn 2019: 52)

Quellen Fancourt, Daisy/Saoirse Finn (2019): Health Evidence Network synthesis report 67. »What is the evidence on the role of the arts in improving health and well-being? A scoping review«. © World Health Organization. https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/329834/978928905 4553-eng.pdf [27.09.2022] Houston, Sara (2019): »Dancing with Parkinson’s«, Intellect Books, Bristol. Mateus-Berr, Ruth/L. Vanessa Gruber (Hg.) (2020): »Arts and Dementia«, Berlin: De Gruyter.

32

Siehe dazu auch die Ohrkan-Studie, die seit 2009 kontinuierlich die Hörfähigkeit von Jugendlichen untersucht: https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/arbeitsplatz_umwel t/projekte_a_z/lae_ohrkan_studie.htm [26.09.2022]

1.3. »Arts and Health«-Evaluierungen Robuste Studienlage? Andrew McWilliams, Edith Wolf Perez

»Bei Evaluationen von Kulturarbeit geht es nicht darum, eindeutige Antworten zu finden, sondern darum, die richtigen, kontextsensiblen Fragen zu stellen.«1

Wie im WHO-Report »What is the evidence on the role of the arts in improving health and well-being? A scoping review« umfassend dargestellt, gibt es eine Fülle von Studien über die Wirkung von Kunst auf die individuelle und öffentliche Gesundheit sowie auf das persönliche und soziale Wohlbefinden. In diesem Verständnis sind »Arts and Health«-Interventionen evidenzbasiert. Doch wie positioniert sich Arts and Health im Kontext der weiteren medizinischen und empirischen Sozialforschung? Der Wirkungsnachweis ist komplex, da die Kunstpraxis den Menschen holistisch anspricht und in der Regel – von speziellen kunsttherapeutischen Lösungen abgesehen – nicht auf spezielle Symptome fokussiert. Um aber im wissenschaftlichen/medizinischen Umfeld anerkannt zu werden, braucht es solide, gründlich recherchierte Forschungsergebnisse. Doch über das ideale Forschungsdesign, was untersucht und welche Methoden angewandt werden sollen, wird durchaus heftig diskutiert. Dabei steht man vor dem Dilemma, dass Kunst und Wissenschaft sehr unterschiedliche Regelwerke und Bewertungsmethoden anwenden. 1

Goethe-Institut: »Kultur wirkt. Mit Evaluation Außenbeziehungen nachhaltiger gestalten«, München: 2016, S. 8. https://educult.at/wp-content/uploads/2011/08/Kultur-wir kt_Broschüre.pdf [27.09.2022]

48

Wissenschaftliche Kontextualisierung

Die spezifische Forschung zu Kunst, Kreativität und deren Nutzen für die Gesundheit steckt noch in den Kinderschuhen – häufig finden Projekte ohne entsprechende Finanzierung für begleitende Studien statt – und befindet sich bei strenger Betrachtung erst im Stadium der Hypothesenbildung (Stickley and Duncan, 2010: 101–110). Je mehr das Feld aber in den Fokus von Medizin und Sozialwissenschaften rückt, desto vehementer werden belastbare Evaluierungsmethoden eingefordert. Mit Blick auf den WHO-Bericht über die Evidenz von Kunst für Gesundheit und Wohlbefinden bezweifeln Kritikerinnen, dass dieser Scoping-Review, trotz einbezogener Ergebnisse von über 3.000 Studien, tatsächlich belastbare Daten liefert. Stephen Clift kritisiert etwa die unterschiedlichen Qualitätsstandards der untersuchten Studien, die oft unklare Befunde lieferten. (Clift, 2020: 82) Auch der Tanzpsychologe Peter Lovatt untermauert diesen Befund in seinem Buch »Dance Psychology«. So analysierte er sechs Studien, die die These aufstellen, dass Tanzaktivitäten das Selbstwertgefühl stärken, und kam zu dem Schluss: »Obwohl mehrere der Studien große Behauptungen über diese Beziehung aufstellen, z.B. dass sich Tanz positiv auf das psychische Wohlbefinden einer Person auswirkt, sind die Beweise für solche Behauptungen bestenfalls nicht schlüssig. Die methodische Konsistenz der Studien ist sehr gering … Es ist klar, dass die Menschen das Gefühl haben, dass Tanzen entweder ihr eigenes Selbstwertgefühl oder das anderer Menschen steigert. Die experimentellen Belege stützen dies jedoch nicht schlüssig.« (Lovatt, 2018: 184) 2012 räumte Clift noch ein, dass allein der Umfang, das Wachstum und die Vielfalt von »Arts and Health«-Initiativen als wichtiger Beweis für deren Machbarkeit, Akzeptanz, Flexibilität und Vitalität in der Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung angesehen werden sollten. »Solche Aktivitäten würden nicht stattfinden und sicherlich auch nicht fortgesetzt werden, wenn ihr Wert nicht anerkannt würde und wenn die Erfahrungen mit solchen Initiativen auf Seiten der Künstlerinnen, der Gesundheitsfachkräfte und der Teilnehmenden nicht auf greifbare Effekte hinweisen würden.« (Clift, 2012: 123) In einem kürzlich veröffentlichten Paper übt er hingegen vehement eine Kritik an der Begleitforschung:

Andrew McWilliams, Edith Wolf Perez: 1.3. »Arts and Health«-Evaluierungen

»Um Forschung und Praxis in Zukunft voranzubringen, muss sich das Feld auf strenge systematische Überprüfungen stützen, die eine sorgfältige Qualitätsbewertung sowohl quantitativer als auch qualitativer Studien beinhalten. Solche umfassenden, fundierten Übersichten werden differenzierte Schlussfolgerungen liefern, die die Komplexität des kulturellen Kontexts berücksichtigt: von Forschungsdesigns und -methoden sowie der Einbeziehung der Teilnehmenden, die Rolle der Künstlerinnen und des künstlerischen Prozesses und schließlich die Art und Schwere der behandelten sozialen und gesundheitlichen Fragen.« (Clift et al., 2021: 13) Eleonora Belfiore und Oliver Bennett weisen darauf hin, dass das Narrativ der transformativen Kraft der Kunst von einer tiefsitzenden Überzeugung getragen wird. Berichte über »Arts and Health«-Interventionen erwecken mitunter den Eindruck, die eigenen Annahmen bestätigen zu wollen, statt sie einer objektiven Prüfung zu unterziehen. (Belfiore/Bennett, 2008: 13) Innerhalb der Studien überlagert oft eine Advocacy-Agenda das Ergebnis und verwischt die Grenzen zwischen Interessenvertretung und Forschung. Doch »Evaluation is not advocacy«. (Daykin/Joss, 2016: 8). Auch der WHO-Report über die Rolle der Kunst für die Gesundheit und das Wohlbefinden räumt ein, dass es in der Literatur eine inhärente Publikationsverzerrung in Richtung positiver Ergebnisse gibt und fordert, dass »künftige Forschungsstudien Nullergebnisse enthalten, um eine ausgewogene Beurteilung dessen zu ermöglichen, wo die Kunst die Gesundheit unterstützen kann und wo nicht.« (Fancourt/Finn, 2019: 54)

Die Aufgabe von Forschung und Evaluierungen Doch auch wenn Ergebnisse bei »Arts and Health«-Interventionen oft nicht eindeutig ausfallen, Forschungsfragen einfach erscheinen mögen oder oft und wiederholt beantwortet wurden, so sind Studien und Evaluierungen essentiell, schreibt Daisy Fancourt und skizziert deren Zielsetzungen wie folgt: • • •

Sie können Annahmen bestätigen oder widerlegen. Sie können Entscheidungsträgerinnen überzeugen. Sie können Mechanismen einer Intervention aufdecken, auch wenn die Annahme über oder die Ergebnisse einer Intervention bereits vielfach bestätigt wurden.

49

50

Wissenschaftliche Kontextualisierung



Sie können diverse Variablen aufdecken: Kunst ist individuell, sozial und kulturell konnotiert und wirkt auf Menschen mit verschiedenem sozioökonomischem oder kulturellem Hintergrund unterschiedlich. (Fancourt, 2016: 191)

An der »Arts and Health«-Forschung sind eine Reihe von Wissenschaftsfeldern mit jeweils eigenen, fachspezifischen Begrifflichkeiten beteiligt. Generell sei festgehalten, dass hier stets auf ein bestimmtes Weltbild, auf eine Fachwissenschaft, sehr oft auch ein Theoriegebäude, zu verweisen ist. Im Folgenden wird ein Überblick auf Forschungs- und Evaluierungsmethoden der Wirkung von »Arts and Health«-Interventionen im klinischen Bereich, auf das Wohlbefinden und bezüglich des ökonomischen Nutzens versucht. Abschließend werden einige Argumente zur Rolle des ideellen, historischen Kontextes und der ästhetischen Erfahrung vorgestellt.

Disziplinen in der »Arts and Health«-Forschung

© Eigene Darstellung

Andrew McWilliams, Edith Wolf Perez: 1.3. »Arts and Health«-Evaluierungen

Medizinische Forschungsdesigns und Methoden Der Unterschied zwischen Forschung und Evaluierung ist keineswegs eindeutig. Für den Zweck der folgenden Ausführungen kann man verkürzt festhalten, dass Forschung eine Hypothese aufstellt und diese testet, während Evaluierung die Zielerreichung einer Maßnahme bewertet. Es gibt eine Reihe von Forschungsdesigns und Methoden für die Datenerfassung und -analyse, die alle wirkungsvoll auf »Arts and Health«-Interventionen angewendet werden können.

Klinische Studien Viele nützliche Forschungsarbeiten im Bereich der Kunst werden in klinischen Gruppen durchgeführt. So sind zum Beispiel Studien über Menschen mit Parkinson-Krankheit, die tanzen, um ihre Symptome zu mildern, per Definition eine klinische Studie, unabhängig davon, ob deren Ergebnisse durch Befragungen, die einer qualitativen bzw. quantitativen Auswertung unterzogen werden, oder durch labortechnische Analysen oder gerätetechnischen Einsatz zustande kommen. Eine andere, nicht-klinische Studie könnte im Vergleich dazu die allgemeine Bevölkerung oder bestimmte Communitys, wie ältere Erwachsene oder Menschen, die an einem bestimmten Ort leben, in Bezug auf deren durch Tanz zu erzielenden Effekte im Allgemeinen untersuchen.

Studiendesigns Studien können im Querschnitt oder im Längsschnitt durchgeführt werden. Längsschnittstudien sind Studien, bei denen dieselben Teilnehmerinnen über einen längeren Zeitraum hinweg verfolgt werden, sodass Rückschlüsse auf Faktoren gezogen werden können, die mit dem individuellen Verlauf zusammenhängen. Eine Längsschnittstudie kann sowohl retrospektiv (in der Zeit zurückblickend, um bereits vorhandene Daten zu verwenden) als auch prospektiv (bei der eine Messung zu mehreren Zeitpunkten in der Zukunft geplant ist) durchgeführt werden. Bei der Querschnittsforschung wird nur ein Zeitpunkt untersucht. Obwohl sie viel einfacher durchzuführen sind und dadurch die Stichprobengröße viel größer sein kann, ist es schwieriger, daraus Schlussfolgerungen über Verläufe und damit über Kausalität zu ziehen. Forscherinnen von Kunstinitiativen verwenden zwar Längsschnittmethoden, würden aber von der Planung weiterer prospektiver Studien profitieren, um

51

52

Wissenschaftliche Kontextualisierung

die Qualität der Erkenntnisse zu verbessern. Dies ist eine große Herausforderung, da die Finanzierung von Kunstorganisationen oft nur kurzfristig ist. Studien können Beobachtungs- oder Interventionsstudien sein. Bei einer Beobachtungsstudie wird nichts anderes getan als beobachtet (mit anderen Worten: gemessen). Dabei können qualitative oder quantitative Methoden verwendet werden. Bei Interventionsstudien führt die Forscherin im Rahmen des Forschungsprotokolls eine Maßnahme durch und misst, ob sich diese Maßnahme auf die Ergebnisse auswirkt. Daher kann eine Studie über die Auswirkungen von Herzmedikamenten bei einer Gruppe von Patientinnen entweder die Auswirkungen der derzeitigen Medikation beobachten oder eine Änderung derselben beinhalten. »Arts and Health«-Projekte können entweder als Beobachtungs- oder als Interventionsstudie angelegt werden. Der Vorteil einer Interventionsstudie besteht darin, dass man eine Hypothese über die Auswirkungen einer Maßnahme aufstellt, diese Maßnahme umsetzt und überprüft, ob man richtig lag. Bei einer Beobachtungsstudie hingegen kann man Schlussfolgerungen darüber ziehen, was bereits in der realen Welt geschieht. Das hat den Vorteil, dass die Forscherin weiß, dass sie nicht eingegriffen und dadurch eine falsche Wirkung erzeugt hat.

Datenerhebung Ein weiteres Merkmal der Forschung ist die Datenquelle. Primärdaten sind neue Daten, die für diese Studie erhoben wurden. Die Sekundärforschung umfasst die Analyse früherer Forschungsarbeiten. Eine nützliche Analyse durch Synthese oder Meta-Analyse wird nicht nur die Stärke der Effekte, sondern auch die Qualität der gesammelten Studien ermitteln, da statistische Effekte nur dann aussagekräftig sind, wenn das verwendete Studiendesign korrekt war. Daten können einfach durch das Sammeln von Informationen, die in anderer Form vorliegen, gewonnen werden. So haben beispielsweise Forscherinnen im Bereich der psychischen Gesundheit Informationen miteinander verknüpft, die für andere Zwecke gesammelt wurden, etwa in Schulen. Ein aussagekräftiges Beispiel ist die Verwendung ethisch anerkannter Methoden zur Nutzung von Informationen aus den Gesundheitsakten von Menschen, die für die routinemäßige Gesundheitsversorgung und nicht für Forschungszwecke erfasst wurden. Eine Forscherin von Kunstprojekten könnte (zum Beispiel) die

Andrew McWilliams, Edith Wolf Perez: 1.3. »Arts and Health«-Evaluierungen

Erwähnung von Hobbys, einschließlich Kunst und Kultur, in diesen Unterlagen untersuchen und daraus Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand ziehen. Diese Methode gehört zu einer breiteren Kategorie der so genannten epidemiologischen Forschung, bei der Datensätze aus großen Populationen auf Zusammenhänge zwischen Faktoren untersucht werden. Im Bereich von Arts and Health beginnen Forscherinnen gerade erst, diese Methoden zu nutzen.

Kontrollierte Studien Randomisierte, kontrollierte Studien werden oft als eine Art Goldstandard in der Gesundheitsforschung bezeichnet, obwohl sie es in Wirklichkeit nicht sind. Es ist allgemein anerkannt, dass durch die Auswahl bestimmter Patientinnen und die Verwendung einer finanziell gut dotierten, speziell organisierten Intervention nur eine geringe Erwartung besteht, dass die Ergebnisse auch auf eine größere Anzahl von Patientinnen in realen Gesundheitsdiensten zutreffen werden. Pragmatische Studien fügen sich stattdessen in die aktuelle klinische Versorgung ein und liefern Ergebnisse, die in komplexen Gesundheitssystemen funktionieren sollten. Bei »Arts and Health«-Studien werden häufig keine Kontrollgruppen eingesetzt. In kontrollierten Studien werden mehrere Gruppen verglichen, aber die Kontrollgruppe muss nicht unbedingt eine gesunde Gruppe sein. Wenn die Patientinnengruppe eine Langzeiterkrankung hat, könnte es sinnvoll sein, dass die Kontrollgruppe eine andere Krankheit hat, dann kontrolliert man in beiden Gruppen das »Kranksein und die damit verbundenen Belastungen«. Die Durchführung von Blind- oder doppelten Blindstudien ist in den Ergebnissen viel belastbarerer, aber mit einem erheblichen Aufwand verbunden und für Kunstprojekte naturgemäß schwierig umzusetzen. Die Teilnehmerinnen wissen in der Regel, dass sie an einer künstlerischen Aktivität teilnehmen; daher bieten einige Studien der Kontrollgruppe eine alternative Aktivität an und versuchen damit sicherzustellen, dass die beiden Gruppen nicht miteinander darüber sprechen und somit die Ergebnisse nicht beeinträchtigen. Die »Verblindung« der Forscherinnen wird im Kunstbereich weniger häufig beschrieben, obwohl die Messung vieler Ergebnisse durch eine »verblindete« Forschung möglich sein sollte und die Ergebnisse verstärken würde.

53

54

Wissenschaftliche Kontextualisierung

Schlussfolgerung Die Forschung von Kunstinterventionen wurde im Gegensatz zur Wissenschaft positioniert, doch sie wird nun durch die Anerkennung von Problemen bei der Gestaltung der Forschung bestärkt. Es wäre besonders nützlich, wenn sich die künftige Forschung auf das Verständnis der Mechanismen der Künste konzentrieren würde, anstatt nur zu zeigen, ob sie nützlich sind oder nicht. Die Messlatte liegt sehr hoch, wenn es um die Gesundheitsforschung geht, bei der eine Änderung der Empfehlung für die Dosierung eines Medikaments in der Regel nur dann vorgenommen wird, wenn überzeugende und wiederholte Beweise vorliegen. »Arts and Health«-Forscherinnen sollten sich der Herausforderung stellen und hochkarätige Forschung betreiben, in einigen Arbeitsgruppen an Universitäten ist dies bereits Standard. »Eine Intensivierung der akademischen Forschung würde nicht nur dem Gesundheits- und Sozial- und Wirtschaftssektor solide Belege für die Wirkung von Kunst und Kultur in der Prävention, der Gesundheitsförderung liefern, sondern »könnte auch längerfristig den Druck von Kunstorganisationen nehmen, ständig kleine Projekte zu evaluieren.« (Baring Foundation 2020: 60)

Wohlbefinden erheben Die Evidenz für die Wirkung von Kunst auf Interventionen mit einem bestimmten Fokus auf gesundheitliche Beeinträchtigungen (wie neurologische, psychische und zum Beispiel pulmologische Störungen) ist weitaus geringer als für partizipatorische künstlerische Formate. Als Entwicklung aus der Community-Arts-Bewegung ging das ursprüngliche Forschungsinteresse vor allem von den Sozialwissenschaften aus, bei der die breite Palette an qualitativen Evaluierungsmethoden im Vordergrund steht. »Das erneute Interesse der Sozialtheorie an Fragen der Gemeinschaft fällt mit einer neuen Sichtbarkeit für Community Arts und partizipatives Kunstschaffen als Alternative zur modernistischen Kunstpraxis und dem romantischen Erbe des einzelnen Künstlers zusammen.« (Petra Kuppers, 2007: 34) Also untersuchten Sozialwissenschaftlerinnen den Prozess und die Auswirkungen auf Teilnehmende an Community-Arts-Aktivitäten, die das traditionelle Kunstkonzept zu erweitern und zu verändern begannen. Zum Einsatz

Andrew McWilliams, Edith Wolf Perez: 1.3. »Arts and Health«-Evaluierungen

kamen vorwiegend qualitative Methoden wie Beobachtungen, Interviews oder Fokusgruppen. Als der soziale und salutogenetische Nutzen zunehmend auch zu einem Studienthema von Akademikerinnen und Forscherinnen der Anthropologie, Neurowissenschaften und Medizin wurde, rückte das persönliche Wohlbefinden der Teilnehmerinnen als wichtiger Indikator für die psychosoziale Wirkung von »Arts and Health«-Interventionen in den Fokus. Dabei gibt es eine unübersichtliche Anzahl an Instrumenten für die Bestimmung des physischen und psychischen Wohlbefindens. Eine Studie hat 42 (Cooke et al. 2016: 730), eine andere 99 (Linon et al. 2016: 1) unterschiedliche Maßnahmen identifiziert. Cooke, Melchert und Connnor unterscheiden dabei zwischen hedonistischen und eudaimonischen Ansätzen. »Hedonistisch« bezieht sich auf das subjektive Wohlbefinden, das die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben, das Fehlen von negativen Affekten und die Präsenz von positiven Affekten erhebt. In diese Kategorie fällt auch die europaweite Datenerhebung zum subjektiven Wohlbefinden und zur Einschätzung der Lebensqualität durch nationale Agenturen2 . Demgegenüber steht der eudaimonische Ansatz wie im psychologischen Wellbeing-Modell, das für das Wohlbefinden Faktoren wie Autonomie, Kompetenz und Beziehung zu anderen und der Umwelt identifiziert. 2016 veröffentlichte Public Health England das Handbuch »Arts for health and wellbeing. An evaluation framework«. Es bietet »Arts and Health«-Praktikerinnen ein umfangreiches »reporting and evaluation tool« als Leitfaden für die Beschreibung des Projektes, die Evaluierung des Prozesses sowie der Wirkung auf die Teilnehmenden. »Die Erhebungen müssen den Merkmalen und Bedürfnissen der Teilnehmenden Rechnung tragen und dürfen die Projektdurchführung nicht beeinträchtigen. Es ist nicht notwendig oder machbar, jedes Projektergebnis zu erfassen. Der Umfang der Ergebnisbewertung hängt von der Menge der benötigten Daten, dem Zeitrahmen und den Auswirkungen in Bezug auf die erforderlichen Ressourcen und Fachkenntnisse ab.« (Daykin & Joss, 2016: 13) Eine Evaluierung muss beantworten, inwieweit ein Projekt seine Zielvorgaben erfüllt hat. Für deren Bestimmung listet das Handbuch Methoden aus der Kunstpraxis und aus den Sozialwissenschaften wie quantitative Erhebungen 2

Z. B. Statistik Austria: https://www.statistik.at/web_de/statistiken/wohlstand_und_f ortschritt/wie_gehts_oesterreich/lebensqualitaet/07/index.html [27.09.2022]

55

56

Wissenschaftliche Kontextualisierung

durch Fragebögen oder qualitative Methoden für »Arts and Health«-Evaluierungen. Dazu zählen Interviews, Beobachtungen oder Fokus-Gruppen, Participatory Action Research (PAR), Fallstudien, kunstbasierte Methoden und ökonomische Evaluierungen. Es gibt einen Überblick über die am häufigsten gebrauchten Evaluierungsdesigns für »Arts and Health«-Interventionen, darunter »The Warwick-Edinburgh mental wellbeing scales (WEMWEBS)«3 . Häufig wird das persönliche Wohlbefinden anhand von sieben Kernfragen erhoben, die mit der fünfteiligen Likert-Skala von »niemals« bis »immer« beantwortet werden: • • • • • • •

Ich bin optimistisch über die Zukunft Ich fühle mich nützlich Ich fühle mich entspannt Ich kann mit Problemen gut umgehen Ich kann klar denken Ich fühle mich anderen Menschen nahe Ich habe eine eigene Meinung zu verschiedenen Dingen und Umständen.

Ein weiteres Evaluierungstool ist das von der New Economics Foundation entwickelte dynamische Aktionsmodell »Five Ways to Wellbeing«, das stärker auf das eudaimonische Wohlbefinden fokussiert. Das Modell erkennt fünf Indikatoren zu den Themen soziale Beziehungen, körperliche Aktivität, Bewusstsein, Lernen und Geben, die für das Wohlbefinden entscheidend sind:

3

https://warwick.ac.uk/fac/sci/med/research/platform/wemwbs/ [27.09.2022]

Andrew McWilliams, Edith Wolf Perez: 1.3. »Arts and Health«-Evaluierungen

Fünf Wege zum Wohlbefinden Sich verbinden

Mit den Menschen um dich herum. Mit Familie, Freunden, Kolleginnen und Nachbarn. Zu Hause, bei der Arbeit, in der Schule oder in deiner Community. Dies sind die Eckpfeiler deines Lebens und du investierst Zeit in ihre Entwicklung. Der Aufbau dieser Verbindungen wird dich jeden Tag unterstützen und bereichern.

Aktiv sein

Gehe spazieren oder laufen. Radfahren. Ein Spiel spielen. Gärtnern, Tanzen. Trainieren gibt dir ein gutes Gefühl. Am wichtigsten ist es, eine physische Aktivität zu machen, die du genießt und die deinem Mobilitäts- und Fitnessniveau entspricht.

Aufmerksam sein

Sei neugierig. Sieh das Schöne. Bemerke das Ungewöhnliche. Beachte die wechselnden Jahreszeiten. Genieße den Moment … Sei dir der Welt um dich herum bewusst und dessen, was du fühlst. Das Nachdenken über deine Erfahrungen wird dir helfen einzuschätzen, was dir wichtig ist.

Lernen

Probiere etwas Neues aus. Entdecke ein altes Interesse wieder. Melde dich für einen Kurs an. Übernimm eine andere Verantwortung bei der Arbeit. Repariere ein Fahrrad. Lerne ein Instrument zu spielen oder wie man sein Lieblingsessen kocht. Stell dich einer Herausforderung … Das Erlernen neuer Dinge wird dich selbstbewusster und Spaß machen.

Geben

Tue etwas Nettes für eine Freundin oder eine Fremde. Danke jemandem. Lächle. Stelle deine Zeit zur Verfügung. Tritt einer Community-Gruppe bei. Sich selbst und sein Glück in Verbindung mit der breiteren Gemeinschaft zu sehen, kann unglaublich lohnend sein und schafft Verbindungen zu den Menschen um dich herum.

NEF (New Economics Foundation), 2010: 8

Heute wird häufig Mixed-Method-Forschung angewendet, in der qualitative Untersuchungen die in der quantitativen Forschung gewonnenen Daten unterstützen. Durch qualitative Forschung können die Erfahrungen der Teilnehmenden mit künstlerischen Aktivitäten greifbar gemacht werden und dazu beitragen, festzustellen, »ob bestimmte Interventionen für die Interessengruppen akzeptabel sind«. (Daykin und Stickley 2016: 73)

57

58

Wissenschaftliche Kontextualisierung

Ökonomische Evaluierung Während qualitative und quantitative Strategien zur Evaluierung von Gesundheit, Wohlbefinden, sozialen und künstlerischen Ergebnissen dienen können, braucht es andere Strategien, um das finanzielle Ergebnis und Potential zu bewerten. (Fancourt, 2017: 225) Untersuchungen über den ökonomischen Nutzen von »Arts and Health«Interventionen fragen nach der Kostenreduktion gegenüber traditionellen Behandlungen. Die Autorinnen des WHO-Reports merken an, dass es einen eindeutigen Bedarf nach mehr ökonomischen Evaluierungen von Kunstinterventionen im Gesundheitsbereich gibt, um den Nutzen zu quantifizieren und die Wirtschaftlichkeitsberechnungen für die Finanzierung und Auftragsvergabe zu unterstützen. Zwar wurden diese für einzelne Projekte durchgeführt, aber eine allgemeine Aussage lasse sich nicht treffen (Fancourt/Finn, 2019: 53). Zum Beispiel ergab eine Studie in den USA, dass bei psychischen Problemen wie Angstzuständen oder Depressionen jeder in soziale Zirkusprogramme investierte Dollar durch die Reduktion von Behandlungen und Medikamenten einen Return von 7 US$ erbringt (Fancourt/Finn, 2019: 23). Eine Studie im Creative Health Report ergab, dass Musiktherapie bei 67 % der demenzkranken Teilnehmerinnen den Bedarf an Medikamenten senkt, eine andere, dass Arztbesuche um 40 % reduziert und Ärztinnen dadurch signifikant entlastet wurden. Generell geht man von einem return of investment von ein bis elf Pfund pro eingesetztem Pfund für »Arts and Health«-Interventionen aus. (All Party Parliamentary Report, 2016: 9) In einem Artikel legt Raoul Craemer (2009) eine Kosten-Nutzen-Analyse von »Arts for Health«-Interventionen dar. Er weist darauf hin, dass die indirekten und immateriellen Vorteile von Kunst wie soziale Kohäsion, kulturelle Identität, Gesundheit und Wohlbefinden, Bildung und Lernen monetär nicht quantifizierbar sind und daher die Gefahr bestehe, den Nutzen wirtschaftlicher Folgenabschätzung oder einer Kosten-Nutzen-Analyse zu hoch anzusetzen. »… dies ändert jedoch nichts an der ebenso realen Notwendigkeit, derartige Untersuchungen durchzuführen. Jede öffentliche Stelle, die Mittel verteilt, muss in irgendeiner Weise Prioritäten für die verschiedenen Bereiche setzen, die für eine Finanzierung in Frage kommen, und die Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen gibt solchen Prozessen eine Struktur und hat das Potenzial, sie transparenter zu machen.«

Andrew McWilliams, Edith Wolf Perez: 1.3. »Arts and Health«-Evaluierungen

Kosten-Nutzen-Analysen werden in der Regel in Bezug auf eine spezielle Krankheit oder ein gesundheitliches Ergebnis durchgeführt. Auf der Grundlage vorliegender Studien bei milder bis mittlerer Depression nimmt Craemer eine solche Analyse anhand von drei Vergleichsgrößen vor: • • •

die Kosten für eine ärztliche und medikamentöse Behandlung, die Kosten für eine psychotherapeutische Behandlung, die Kosten für »Arts for Health«-Interventionen.

Die Literatur weist darauf hin, dass grosso modo alle drei Interventionen ähnliche Ergebnisse bringen. Bei der Kosten-Nutzen-Analyse besteht aber für »Arts for Health«-Aktivitäten ein Vorteil in der Gruppensituation, was die Kosten gegenüber Einzelberatungen erheblich senkt. In Craemers Berechnungen ist also die »Arts for Health«-Intervention die kostengünstigste Variante. »Die … vorgestellte Kosten-Wirksamkeits-Analyse zeigt, dass gruppenbasierte partizipative Kunstprojekte als wirksame, kostengünstige Strategie zur Bekämpfung leichter bis mittelschwerer psychischer Probleme wie Angst und Depression eingesetzt werden könnten, deren Häufigkeit in den letzten Jahren rapide zugenommen hat. Solche partizipatorischen Kunstprojekte, die sich an Menschen richten, die sonst keinen Zugang zur Kunst hätten, haben das Potenzial, als effiziente Instrumente mit hoher Rentabilität zu fungieren, die der Gemeinschaft nicht nur gesundheitliche, sondern auch eine Reihe anderer wertvoller Vorteile bringen.« (Craemer 2009: 9)

Ein kulturwissenschaftliches Argument Die Widersprüche zwischen Kunsterfahrung und wissenschaftlichen Beweisen, zwischen der ästhetischen Erfahrung und ihrer transformativen Kraft, werden von Eleonora Belfiore und Oliver Bennett in »The Social Impact of the Arts. An Intellectual History« (2008) ausführlich thematisiert. Die Autorinnen argumentieren, dass Wirkungsstudien, die auf wirtschaftlichen, sozialen oder medizinischen Indikatoren basieren, nicht dem eigentlichen Kern der Kunst entsprechen. Welchen wirtschaftlichen Beitrag die Künste auch immer leisten, wie sehr sie den sozialen Zusammenhalt und die Stärkung der Gemeinschaft fördern mögen, seien nicht die Hauptmerkmale der ästhetischen Erfahrung.

59

60

Wissenschaftliche Kontextualisierung

Messbare Beweise für die Behauptungen zu erhalten, die für die transformative Kraft der Kunst aufgestellt werden, sei besonders problematisch, da die entsprechende Transformation ein derart komplexer Prozess ist, dass er nicht auf die Summe messbarer Attribute reduziert werden kann. »Die ästhetische Begegnung ist vor allem eine individuelle subjektive Erfahrung, und obwohl gezeigt werden kann, dass bestimmte Elemente davon historisch und sozial bestimmt sind, gibt es sehr reale Grenzen, inwieweit weitere sinnvolle Verallgemeinerungen vorgenommen werden können.« (Belfiore/Bennett, 2008: 9) Belfiore und Bennett schlagen einen alternativen Weg für die Folgenabschätzung durch einen historischen Ansatz vor. Demnach wird die Vorstellung, dass das Engagement in Kunst sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft zutiefst transformative Auswirkungen haben kann, zu einem viel komplexeren Konzept. »Es ist zunächst einmal ein Vorschlag, der sowohl eine ehrenvolle als auch eine unehrenhafte Geistesgeschichte hat … Auf der einen Seite ist die bloße Idee, dass Kunst und Kultur Veränderungen im Bewusstsein des Kollektivs bewirken können, für immer mit den Experimenten des Social Engineering verbunden, die von den nationalsozialistischen, faschistischen und kommunistischen Staaten so unerbittlich verfolgt wurden. Auf der anderen Seite gibt es eine aufgeklärte europäische Tradition, die sich durch Stränge der Moderne erstreckt … die die Künste als Quelle einer ›ethischen Vision‹ und als Aufbewahrungsort menschlicher Werte in einer zunehmend mechanistischen Welt sieht. Diese Ideen spiegeln eine komplexe Geistesgeschichte wider, mit der man sich auseinandersetzen muss, wenn man über die Vereinfachungen der Interessenvertretung hinausgehen und ein wirkliches Verständnis für den Wert der Künste in modernen Gesellschaften gewinnen will.« (Belfiore und Bennett, 2008: 10) In dieser Erzählung ist die Verbindung zwischen Kunst und Gesundheit in frühesten schriftlichen Überlieferungen der Menschheit und weit davor bereits in Praktiken wie schamanischen Ritualen oder Höhlenmalereien vorhanden. Im Alten Testament findet sich im Buch Samuel ein Beispiel in der Geschichte von König Saul und David. Saul litt nach heutiger Einschätzung wahrscheinlich an einer bipolaren Störung. »Wenn nun der Geist Gottes über Saul kam, nahm

Andrew McWilliams, Edith Wolf Perez: 1.3. »Arts and Health«-Evaluierungen

David die Harfe und spielte darauf mit seiner Hand. So erquickte sich Saul, und es ward besser mit ihm, und der böse Geist wich von ihm.«4 Gleichzeitig weisen Belfiore und Bennett auf einen Tatbestand hin, der die unterschiedlichen Geschwindigkeiten in der Anerkennung der Rolle der Kunst und Kultur für die Befindlichkeit und das soziale Gefüge zumindest teilweise erklärt, nämlich die politische Vereinnahmung, die durch das nationalsozialistische Regime in Deutschland und Österreich keine allzu ferne Geschichte hat. Das mag dazu beigetragen haben, dass hierzulande Evaluierungen im Kultursektor weit weniger stark vorangetrieben wurden als in Großbritannien. »In den angelsächsischen Ländern ist man sehr viel offener gegenüber Evaluationen im Kultursektor. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Sorge, Kunst und Kultur könnten für kunstfremde Zwecke missbraucht werden, kaum ausgeprägt ist – im Gegenteil: Von öffentlich geförderten künstlerischen und kulturellen Projekten wird erwartet und in Zielvereinbarungen festgehalten, dass sie neben kunstimmanenten auch bestimmte soziale, edukative oder auch ökonomische Ziele verfolgen. Evaluationen gehören damit zum selbstverständlichen Teil der Arbeit jeder geförderten Kunsteinrichtung.« (Goethe-Institut, 2016: 6) Seit der Veröffentlichung des Buches »The Social Impact of the Arts« haben die Diskussionen über die Rolle der Kunst für die Gesellschaft an Dynamik gewonnen. Belfiores und Bennetts kritisches Buch von 2006 steht nun einer überwältigenden aktuellen Forschung über die Wirkung von Kunstinterventionen gegenüber. Die Einbeziehung von Interessengruppen, Forscherinnen und Praktikerinnen aus den Bereichen Medizin, Neuro- und Sozialwissenschaften hat dazu beigetragen, die gesellschaftliche Rolle von Kunst und Kultur in den Mittelpunkt des Diskurses zu stellen. Diese Veränderungen bestätigt auch Eleonora Belfiore 2016 in einem Artikel: »Wenn der Fortschritt in der Kunst- und Gesundheitspraxis als gültiges Indiz für ihren weithin anerkannten therapeutischen Wert angesehen werden sollte, so gilt dies auch für die lange Geschichte der Idee von der heilenden Kraft der Künste, die die Zeiten überdauert hat. Das soll natürlich nicht bedeuten, dass diese mächtige Geistesgeschichte als Ersatz für solide und

4

Altes Testament, 1. Buch, Samuel 16/32, Lutherbibel (2017) auf https://www.bibleserv er.com/de/verse/1.Samuel16,23 [27.09.2022]

61

62

Wissenschaftliche Kontextualisierung

strenge wissenschaftliche Beweise ausreichen kann oder sollte … Und doch gibt es ein Argument dafür, dass die historische Forschung sich mit qualitativen Forschungsmethoden verbinden sollte, um den Forschungsansatz zu Kunst und Gesundheit zu erweitern.« (Belfiore 2016: 16) Durch das Bewusstsein über die zugrunde liegende Geistesgeschichte kann über die wissenschaftliche Evidenz hinaus auch dem Wesen der Kunst Rechnung getragen werden. In diesem Zusammenhang kann der relativ junge Ansatz der kunstbasierten Forschung (Art Based Health Research, ABHR) ein Schlüssel sein, der Erkenntnisse durch künstlerische Prozesse gewinnt. In der kunstbasierten Forschung werden Kunstformen entweder als eine Art von Daten behandelt oder als Mittel zur Analyse oder Interpretation von Daten verwendet, um eine Bedeutung über eine Erfahrung zu vermitteln. Durch kunstbasierte Forschung werden gleichzeitig die ethischen Herausforderungen von Kunstinterventionen im Kontext von Gesundheit und Wohlbefinden aufgeworfen, die von der ästhetischen Erfahrung nicht zu trennen sind, wie Susan M. Cox und Katherine M. Boydell betonen: »Die Kraft der Kunst, zu inspirieren, sich zu engagieren und zu stimulieren, erhöht auch das Potenzial für ein gefährliches emotionales Terrain … Diese ethischen Fragen sind nicht vollständig von Fragen der Ästhetik trennbar … es besteht eine Spannung zwischen dem Bedürfnis, das durch Forschung Gelernte authentisch darzustellen, und dem künstlerischen Impuls, ein Werk von hoher ästhetischer Qualität zu schaffen.« (Cox und Boydell, 2016: 88).

KURZINFO In der Wirkungsforschung von »Arts and Health«-Interventionen gibt es kein standardisiertes Design, sondern eine Fülle von Methoden und Zugängen. Neben wissenschaftlichen Strategien, die künstlerische Prozesse im Hinblick auf deren Wirkung auf die Teilnehmenden untersuchen, sollten auch kulturhistorische und kunstimmanente Faktoren mit bedacht werden. Entscheidend dabei sind der interdisziplinäre Ansatz und eine entsprechende Zusammensetzung des Teams.

Andrew McWilliams, Edith Wolf Perez: 1.3. »Arts and Health«-Evaluierungen

Rose Nasen

© Niko Havranek

Am Beispiel von … Evaluierung im Kontext von Gesundheitsclownerie Simone Seebacher und Maggie Rössler ROTE NASEN Clowndoctors5 wirken seit 25 Jahren als künstlerische Organisation im Gesundheits- und Sozialbereich. Auf der Basis professioneller Gesundheitsclownerie werden Personengruppen in belastenden Situationen erreicht. Begegnungskunst und der Einsatz von Humor bewirken auf unterschiedlichen Ebenen Veränderung im Menschen. In den tagtäglichen Begegnungen sowie nach Abschluss einer clownesken Interaktion werden bei den Zielgruppen vor allem ein erhöhtes emotionales Wohlbefinden, verstärkte soziale Inklusion sowie vermehrt unterstützende soziale Umfelder erkennbar.6 Die Arbeit orientiert sich stark an einem humanzentrierten Ansatz. Im Sinne einer holistischen Perspektive von Gesundheit liegt der Beitrag vor allem in der Einflussnahme auf die emotionale und psychosoziale Situation des Menschen. In der Entwicklung wissenschaftlicher Evidenz der Wirkung von Gesundheitsclownerie orientieren sich die ROTE NASEN Clowndoctors an einem intern entwickelten Framework of Change7 als Basis zur Planung von Evaluierungen.

63

64

Wissenschaftliche Kontextualisierung

Herausforderungen bei der Evaluierung von Kunstinterventionen ROTE NASEN Clowndoctors stellen Menschen in den Mittelpunkt der künstlerischen Begegnung. Der Fokus der Begegnung liegt auf dem optimalen Abholen der jeweiligen Person in deren emotionaler und psychosozialer Wahrnehmung. Dadurch werden clowneske Begegnungen einzigartig und nicht wiederholbar, was sich in einer wissenschaftlichen Annäherung häufig als ein Paradox zeigt. Daher muss bei der wissenschaftlichen Erfassung der clownesken Begegnung größtmöglicher künstlerischer Freiraum im Moment der Begegnung gegeben sein. Die Flexibilität in der künstlerischen Abfolge muss inhärent bleiben. Nur auf der Basis dieser Annahme kann die humoreskclowneske Begegnung im menschlichen Gegenüber sowie im Setting, in welchem die Begegnung stattfindet, seine Wirkung entfalten. Hierbei ist es hilfreich, gezielt unterschiedliche Erhebungsmethoden zu wählen. Die Triangulation von Ergebnissen macht es möglich, der Spontanität Raum zu geben. Weiters ist die partizipative Gestaltung von evaluativen Prozessen eine wertvolle Möglichkeit, um der Wirkung der Arbeit der ROTE NASEN Clowndoctors näherzukommen. Die Teilhabe aller in einer Evaluierung involvierten Personen erhöht auch die Relevanz und nachhaltige Verwendung der Ergebnisse. Die integrative Gestaltung von Forschungsprojekten allgemein hat gezeigt, dass der Prozess an sich die Relevanz und Wirkung von Gesundheitsclownerie erhöhen kann. Dennoch, in der praktischen Umsetzung von partizipativ orientierten Evaluierungen können fehlende finanzielle und zeitliche Ressourcen, Unterschiede im Verständnis von Partizipation oder auch die Schwierigkeit, Personen in belastenden Situationen adäquat in den Prozess einzubeziehen, zu besonderen Herausforderungen werden. Bei den folgenden drei Projekten wurden die erläuterten Ansätze von Evaluierung erfolgreich angewendet: 1.) Im Forschungsprojekt »Clowns in Long-Term Elderly Care« der Leyden Academy (NL) wird erstmalig in den Niederlanden, in Österreich sowie Deutschland Partizipative Aktionsforschung im Bereich Gesundheitsclownerie angewendet. Die Studie fokussiert auf die Ausarbeitung eines Evaluierungssystems zur Wirkung von Clownerie bei dementen, älteren Personen in Betreuungseinrichtungen. Das partizipative Vorgehen ist hierbei durch das Einbeziehen von betreuendem Personal als auch von Angehörigen der Zielgruppe über den gesamten Forschungsprozess charakterisiert. Alle Beteiligten sind auf

Andrew McWilliams, Edith Wolf Perez: 1.3. »Arts and Health«-Evaluierungen

Augenhöhe an der Evaluierung beteiligt. Ein besonderer Mehrwert dieses Vorgehens wird von Seiten der Betreuungseinrichtungen vor allem in der Synergie der gewählten Indikatoren mit den eigenen Zielen als auch der hohen Verwertbarkeit der erwarteten Ergebnisse erkannt. 2.) ROTE NASEN Clowndoctors verstehen Evaluierung als Teil eines kontinuierlichen Lern- und Entwicklungsprozesses, welcher nicht nur nach außen, sondern auch nach innen gerichtet ist. Im Jahr 2021 wurde auf unterschiedlichen Ebenen untersucht, welche Faktoren eine qualitätsvolle Kooperation mit Gesundheits- und Sozialleistungseinrichtungen definieren. Sowohl auf internationaler Ebene als auch im spezifisch österreichischen Kontext wurden Erhebungen durchgeführt, welche wesentlich durch partizipative Methoden gesteuert wurden. Eine der bedeutendsten Zielsetzungen war es, Chancen und Möglichkeiten zu erkennen, durch die ROTE NASEN Clowns ein verstärkt integrativer Teil des Gesundheits- und Sozialwesens werden können. Besondere Erfolgselemente der Evaluierung waren einerseits eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe, welche den gesamten Evaluationsprozess steuerte. Dies hat sowohl die Ergebnisse an sich als auch deren Anwendbarkeit in großem Maße beeinflusst. Andererseits zeigte die Umsetzung eines Mixed-methodAnsatzes besonderen Mehrwert. Eine standardisierte Umfrage auf der Basis einer randomisierten Stichprobe konnte zu bestimmten Faktoren statistisch signifikante Korrelationen aufzeigen. Außerdem kamen Fokusgruppen, halbstrukturierte Interviews mit Schlüsselpersonen als auch Case Studies zur Anwendung. Die dadurch mögliche Triangulation der Ergebnisse trug zur Relevanz der Evaluierungsergebnisse bei und erhöhte das Ausmaß und die Qualität abgeleiteter Empfehlungen. Im österreichischen Kontext zählte die Umsetzung einer transdisziplinären Diskussionsgruppe mit VertreterInnen kooperierender Einrichtungen zu einer besonders wichtigen Lernerfahrung. Es wurde erstmalig möglich, das Thema Gesundheitsclownerie institutionsübergreifend zu diskutieren und unterschiedliche Meinungen sichtbar zu machen. Die Erhebungen fanden in einer Zeit von wiederkehrenden Einschränkungen auf Grund der Covid-Pandemie statt. Trotzdem zeigte sich eine enorme Bereitschaft von Seiten der teilnehmenden Einrichtungen, aktiv an der Evaluierung teilzunehmen.8 3.) In Kooperation mit der Universität Wien wurde wissenschaftliche Evidenz zum Thema »Auswirkungen von Clownbesuchen auf das Stresserleben von Kindern und Jugendlichen in psychiatrischem Kontext«9 in einer Pilotstudie erarbeitet. Das Projekt verfolgt einen klinischen Versuchsansatz, bei wel-

65

66

Wissenschaftliche Kontextualisierung

chem sowohl psychologische (Stress, Stimmung) als auch biologische Marker (Speichelcortisol) vor und nach einem Clownbesuch erhoben und verglichen werden. Dieses Projekt rückt die Fragestellung in den Fokus, wie eine flexible, spontane Clowninteraktion standardisiert werden kann, um möglichst vergleichbare und verzerrungsfreie Resultate zu erzielen. Der Prozess hat gezeigt, dass es besonders wichtig ist, alle Beteiligten zu definierten Momenten in den Prozess miteinzubeziehen. Ein wesentlicher Mehrwert entsteht durch die Anwendung einer Pilotierung. Diese ermöglicht es, spezifische Schwierigkeiten in der Umsetzung auszutesten, wodurch Lernerfahrungen bewusst und offen gesammelt werden können. Auf der Basis dieser Ergebnisse sind zukünftige größere klinische Studien geplant. Die tägliche Arbeit bestätigt, dass künstlerische, humorvolle Interventionen beim Umgang mit belastenden Situationen helfen können. Der Einsatz der Clownkunst trägt somit zu einem oftmals weniger ausgeprägten, aber ebenso wichtigen Teil der Gesundheitsversorgung bei – der emotionalen Betreuung von Personen. Die jahrelange Erfahrung und Professionalität im Bereich der Gesundheitsclownerie hat ROTE NASEN Clowndoctors nicht nur in der direkten persönlichen Begegnung mit Menschen, sondern auch gesellschaftlich in eine Position gebracht, in der sie ihre Relevanz sichtbar machen wollen. In der Zielsetzung, Gesundheitsclownerie als integrierten Bestandteil des Gesundheitssystems zu etablieren, stellt die Evaluierung der Arbeit einen wesentlichen Eckpfeiler dar. Partizipative Evaluierungsansätze, die alle Partnerinnen als auch Zielgruppen und deren Umfeld mit einbeziehen, sind eine neue und besonders wertvolle Ressource in der Erfassung der Wirkung künstlerisch-humoresker Interventionen. Evaluierung, welche auf der Basis einer gemeinsamen Zielsetzung erfolgt, erzeugt einen Lerneffekt, der den Prozess durchgehend begleitet. Darüber hinaus wird die Anwendbarkeit der Ergebnisse verstärkt und auch die Nachhaltigkeit der erzielten Veränderung erhöht.

5 6 7 8

9

https://www.rednoses.eu/ [27.09.2022] https://research.rednoses.eu/ [31.10.2022] https://www.rednoses.eu/who-we-are/our-theory-of-change/ [31.10.2022] Eine Zusammenfassung der wichtigsten Evaluierungsergebnisse gibt es hier: https:// www.rednoses.eu/news-stories/news/detail/a-red-noses-healthcare-partnership-eva luation/ [27.09.2022] https:// journals. plos. org/ plosone/ article?id=10. 1371/ journal. pone. 0264012 [27.09.2022]

Andrew McWilliams, Edith Wolf Perez: 1.3. »Arts and Health«-Evaluierungen

Quellen All Party Parliamentary Group on Arts, Health and Wellbeing Inquiry Report (2017): Creative Health: The Arts for Health and Wellbeing, London. https://www.artshealthresources.org.uk/docs/creative-health-the-a rts-for-health-and-wellbeing/ [27.09.2022] The Baring Foundation (2020): »Creatively Minded and Young«. https://barin gfoundation.org.uk/resource/creatively-minded-young-a-conversationabout-arts-mental-health-and-children-young-people/ [31.10.2022] Belfiore, Eleonora (2016): Arts & Healing: The Power of an Idea, in: Stephen Clift/Paul M. Camid (Hg.): Oxford Textbook of Creative Arts, Health, and Wellbeing. International perspectives on practice, policy, and research, Oxford: Oxford University Press. Belfiore, Eleonora/Oliver Bennett (2008): The Social Impact of the Arts, Houndsmill, Basingstoke: Palgrave Macmillan. Clift, Stephen (2012): Creative arts as a public health resource: moving from practice-based research to evidence-based practice, in: Perspectives in Public Health, 132, S. 120–127. https://journals.sagepub.com/doi/pdf/10.1177 /1757913912442269 [31.10.2022] Clift, Stephen/Kate Phillips/Stephen Pritchard (2021): The need for robust critique of research on social and health impacts of the arts, in: Cultural Trends, Volume 30, 2021 – Issue 5. DOI: 10.1080/09548963.2021.1910492 [31.10.2022] Cooke, Philippe J./Timothy P. Melchert/Korey Connor (2016): Measuring WellBeing: A Review of Instruments, in: The Counseling Psychologist, Vol. 44, 5: 730–757. https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/001100001663350 7 [31.10.2022] Cox, Susan M./Katherine M. Boydell: Ethical issues in arts-based health research, in: Stephen Clift/Paul M. Camid (Hg.): Oxford Textbook of Creative Arts, Health, and Wellbeing. International perspectives on practice, policy, and research, Oxford: Oxford University Press. Craemer, Raoul (2009): The Arts and Health: From economic theory to costeffectiveness. https://www.researchgate.net/publication/228384293_THE _ARTS_AND_HEALTH_FROM_ECONOMIC_THEORY_TO_COST-EFFE CTIVENESS [31.10.2022] Daykin, Norma/Theo Stickley (2016): The role of qualitative research in arts and health, in: Stephen Clift/Paul M. Camid (Hg.): Oxford Textbook of Creative

67

68

Wissenschaftliche Kontextualisierung

Arts, Health, and Wellbeing. International perspectives on practice, policy, and research, Oxford: Oxford University Press. Daykin, Norma mit Tim Joss (2016): Arts for health and wellbeing. An evaluation framework, London: Public Health England. https://www.gov.uk/go vernment/publications/arts-for-health-and-wellbeing-an-evaluation-fra mework [31.10.2022] Fancourt, Daisy (2017): Arts in Health: Designing and researching interventions, Oxford: Oxford University Press. Fancourt, Daisy/Saoirse Finn (2019). What is the evidence on the role of the arts in improving health and well-being? A scoping review, in: Nordic Journal of Arts, Culture and Health, Vol.2, Iss. 1–2020. https://apps.who.int/iris/han dle/10665/329834 [31.10.2022] Kuppers, Petra/Gwen Robertson (Hg.) (2007): The Community Performance Reader, London & New York: Routledge. Linton, Myles-Jay/Paul Dieppe/Antonieta Medina-Lara (2016): Review of 99 self-report measures for assessing well-being in adults: exploring dimensions of well-being and developments over time. BMJ Open 2016;6:e010641. https://bmjopen.bmj.com/content/6/7/e010641 [30.10.2022] NEF (New Economics Foundation, Hg.) (2010): Five Ways to Wellbeing. New applications, new ways of thinking. https://neweconomics.org/uploads/fi les/d80eba95560c09605d_uzm6b1n6a.pdf [31.10.2022] Stickley, Theo/Kate Duncan (2010): Learning about community arts, in: Victoria Tischler (Hg.) Mental Health, Psychiatry and the Arts: A Teaching Handbook, London: Radcliffe Publishing, S. 101–110.

2. Arts and Health: Good Practice International

2.1. WHO Collaborating Centre for Arts and Health Ein internationales Forschungszentrum Edith Wolf Perez Im Oktober 2021 wurde das WHO Collaborating Centre for Arts and Health1 am University College London (UCL) ins Leben gerufen. Es ist das weltweit einzige Zentrum dieser Art und baut auf einer vorangegangenen vierjährigen Zusammenarbeit zwischen dem UCL und dem Regional Office Europe der WHO zum Thema Kunst und Gesundheit auf, die unter anderem die Veröffentlichung eines Health Evidence Synthesis Report umfasste. Der Report »What of rhe evidence of the role of the arts in improving health and well-being« wurde zum »Global Aesthetic Achievement of the Year«, also zur globalen ästhetischen Errungenschaft des Jahres 2019, gekürt und war im selben Jahr die am häufigsten heruntergeladene Veröffentlichung des WHORegionalbüros für Europa. Dessen Autorin Daisy Fancourt, Associate Professor of Psychobiology & Epidemiology am UCL und Direktorin des neuen Zentrums, sieht in dessen Gründung eine Anerkennung »der phänomenalen Arbeit, die unsere interdisziplinären Teams aus Wissenschaftlern, Community-Organisationen und politischen Gruppen geleistet haben, um Forschung und Politik zur Verbesserung der Gesundheit durch Kunst und Kultur voranzutreiben … Das neue Collaborating Centre for Arts and Health wird es uns am UCL ermöglichen, unsere Arbeit zu diesem faszinierenden und wichtigen Thema auszuweiten und uns mit Programmen auf der ganzen Welt zu vernetzen und diese zu unterstützen. Durch das Collaborating Centre wollen wir Kunst und Kultur in den Mainstream von Public Health und des Gesundheitswesens bringen.«2 Das Collaborating Centre for Arts and Health hat folgende Ziele: 1 2

https://www.artshealthcc.org/ [31.10.2022] https://www.ucl.ac.uk/news/2021/oct/ucl-and-world-health-organisation-collaborat e-arts-and-health [31.10.2022]

72

Arts and Health: Good Practice International



• •

Als exzellent ausgewiesene Forschung darüber durchzuführen, wie Kunst, Kultur und kulturelles Erbe die geistige und körperliche Gesundheit beeinflussen, Communitys stärken und Ungleichheiten verringern können. Zusammenarbeit mit führenden Forscherinnen zur Entwicklung und Verbesserung der Kunst- und Gesundheitspolitik weltweit. Bereitstellung von Schulungsprogrammen, Toolkits und Ressourcen zur Unterstützung der Entwicklung in diesem Bereich, einschließlich der Förderung von Möglichkeiten für Nachwuchsforscherinnen.

Im Rahmen des neuen Kollaborationszentrums wird das UCL mit der WHO an der Analyse und Verbreitung von Daten aus Kohorten-Längsschnittstudien über die langfristigen Auswirkungen von Kunst- und Kulturengagement auf die geistige und körperliche Gesundheit und die diesen Auswirkungen zugrunde liegenden Mechanismen arbeiten. Das Kollaborationszentrum wird auch mit Regierungen auf internationaler Ebene an der Entwicklung von Strategien arbeiten, um die Nutzung der Künste zur Erreichung globaler Entwicklungsziele zu unterstützen, einschließlich des Wohlbefindens, des sozialen Zusammenhalts, der Bildung und der Gemeinschaftsentwicklung. Zu den weiteren Aufgaben gehört die Unterstützung der Einführung von Kunstprogrammen zur Förderung bestimmter Gesundheitsziele. Zurzeit ist eine Datenbank im Aufbau, die relevante Berichte und Informationen über die internationale Kunst-, Kultur- und Gesundheitspolitik sammelt und in einer interaktiven Online-Karte auf der Website darstellen wird. Das frei zugängliche Instrument wird Verbindungen und den Wissensaustausch in der Kunst- und Gesundheitspolitik weltweit unterstützen. Das WHO-Kollaborationszentrum für Kunst und Gesundheit ist Teil des Netzwerks von über 700 WHO-Kollaborationszentren, die verschiedene Gesundheitsthemen in 80 Ländern weltweit abdecken.

Edith Wolf Perez: 2.1. WHO Collaborating Centre for Arts and Health

Am Beispiel von … Breathe Melodies for Mums Ein derzeit laufendes Projekt des Kollaborationszentrums für Kunst und Gesundheit ist eine zweijährige Studie über eine Intervention für frischgebackene Mütter mit postnatalen Depressionen, die sich im Vereinigten Königreich bewährt hat: »Breathe Melodies for Mums«3 soll für internationale Settings in Rumänien und Dänemark angepasst werden. Zur Unterstützung der Entwicklung und Durchführung des Projekts hat sich das WHO-Regionalbüro für Europa mit dem Nordic Culture Fund, dem University College London (Vereinigtes Königreich), Uniarts Helsinki’s CERADA Center for Educational Research and Academic Development in the Arts (Finnland)4 , BOZAR (Zentrum für Schöne Künste, Brüssel, Belgien), der Central Denmark Region und dem Kulturzentrum Cluj (Rumänien) zusammengeschlossen. Mit dem Projekt sollen erstens die Auswirkungen der ausgewählten kunstbasierten Gesundheitsmaßnahmen auf die lokale Bevölkerung evaluiert werden, und zweitens wird das Projekt die WHO in die Lage versetzen, Leitlinien für die Integration von Kunst und Gesundheit in das Gesundheitssystem in weiterem Sinne zu entwickeln und diese Maßnahmen für die Mitgliedstaaten der Europäischen Region der WHO leichter zugänglich zu machen. »Es gibt zwar zunehmend solide Forschungsergebnisse, die zeigen, dass die Künste nachweisbare Auswirkungen auf die Gesundheit haben können«, sagt Nino Berdzuli, Direktor der Division of Country Health Programmes im WHORegionalbüro für Europa, »aber wir wissen immer noch wenig darüber, wie diese Interventionen in großem Maßstab und in verschiedenen kulturellen Kontexten umgesetzt werden können. Dieses Projekt ist eine hervorragende Gelegenheit, diese Fragen weiter zu erforschen.«5

3 4 5

https://breatheahr.org/programmes/melodies-for-mums [31.10.2022] https://www.uniarts.fi/en/projects/the-arts-health-collective-creative-solutions-for-c omplex-challenges/#partners-and-funding [31.10.2022] https://www.euro.who.int/en/countries/romania/news/news/2021/4/using-the-ar ts-to-improve-health-who-pioneers-large-scale,-arts-based-health-interventions [31.10.2022]

73

2.2. Vereinigtes Königreich Die Blaupause Alexandra Coulter, Veronica Franklin Gould, Andrew McWilliams

Arts and Health Policy Die Kunst- und Gesundheitsbewegung hat in England eine lange Geschichte. William Hogarth hat einem der großen Londoner Krankenhäuser, St. Bartholomew’s, heute eines von vier Krankenhäuser des Barts Health NHS Trust, zwei große Gemälde gespendet, die er 1737 für die Treppe zur Großen Halle gemalt hat. Music in Hospitals wurde 1948, Paintings in Hospitals 1959, Arts for Health in den 1970er Jahren in Manchester gegründet, und in den 1980er Jahren entwickelten zwei Ärzte ein Kulturprogramm für die Grundversorgung in Dudley. In den 1990er Jahren war François Matarassos Bericht »Use or ornament. The social impact of participation in the arts« die erste groß angelegte Erforschung der sozialen Auswirkungen von Kunst auf die Gesellschaft. »The Nuffield Trust Windsor I and II Conferences on Arts, Humanities and Medicine«1 in den Jahren 1998 und 1999 gaben Empfehlungen in den Bereichen Berufsausbildung und Kunsttherapien sowie für das kreative Umfeld ab und wiesen den Weg für die weitere Entwicklung der Rolle von Kunst und Kultur im Gesundheitswesen. Das Chelsea and Westminster Hospital wurde 1993 eröffnet und integrierte Kunstwerke bereits im Planungsstadium, um das innovative architektonische Design zu ergänzen. Diese Institution ist nach wie vor ein Pionier beim Einsatz von Kunst und Kreativität in der Gesundheitsversorgung und in Gesundheitseinrichtungen. Im Jahr 2003 veröffentlichte Chelsea and Westminster Hospital

1

https://www.artshealthresources.org.uk/docs/arts-health-and-wellbeing-from-thewindsor-i-conference-to-a-nuffield-forum-for-the-medical-humanities/ [31.10.2022]

76

Arts and Health: Good Practice International

Arts2 die erste eingehende Bewertung des Beitrags der bildenden und darstellenden Künste in Krankenhäusern und stellten fest: »Die Integration der bildenden und darstellenden Künste in das Gesundheitsumfeld induziert psychologische, physiologische und biologische Ergebnisse, die klinische Bedeutung haben könnten.«3 Die politischen Entscheidungsträgerinnen begannen aufmerksam zu werden, und im Jahr 2000 wurde das »King’s Fund Enhancing the Healing Environment«-Programm ins Leben gerufen. Unter der Leitung von Lord Howarth of Newport, dem damaligen Kulturminister, führte ein gemeinsames Arbeitsprogramm zwischen dem Ministerium für Kultur, Medien und Sport sowie dem Gesundheitsministerium zu einer größeren Wertschätzung für die Gestaltung einer lebensfördernden, natürlichen Umwelt. In der Regierungszeit der Labour Party (1997–2010) wurde ein ehrgeiziges neues Krankenhausbauprogramm gestartet, das vielfach Kunst bereits in der Entwurfsphase integrierte. Pionierprojekte für Social Prescribing wurden unter anderem in Stockport und in Gloucestershire etabliert und erste Berichte über die Vorteile von Kunst für die Gesundheit entstanden.4 Das Gesundheitsministerium richtete die Review of Arts and Health Working Group ein und veröffentlichte 2007 gemeinsam mit dem Arts Council den Prospectus for Arts and Health.5 In einer Debatte im Oberhaus im März 2008 hielt Alan Johnson, Staatssekretär für Gesundheit und Soziales, eine Rede, in der er forderte: »Ich würde mir wünschen, dass die Vorteile der Teilnahme an künstlerischen Aktivitäten von Fachleuten aus dem Gesundheits- und Sozialwesen stärker anerkannt werden, insbesondere von denjenigen, die an der Vergabe von Dienstleistungen für Menschen mit psychischen Problemen beteiligt sind. Dies ist keine exzentrische Ergänzung – es sollte Teil des Mainstreams sowohl im Gesundheits- als auch im Sozialwesen sein.«

2 3 4 5

https://artuk.org/visit/venues/chelsea-and-westminster-hospital-6933 [31.10.2022] https://publicartonline.org.uk/resources/research/documents/ChelseaAndWestmins terResearchproject.pdf [31.10.2022] https://www.artshealthresources.org.uk/docs/valuation-of-art-lift-a-partnership-art s-and-health-project/ [31.10.2022] https://www.artshealthresources.org.uk/docs/a-prospectus-for-arts-and-health/ [31.10.2022]

Alexandra Coulter, Veronica Franklin Gould, Andrew McWilliams: 2.2. Vereinigtes Königreich

Ab 2009 dominierte die globale Finanzkrise das politische Denken und ein Jahrzehnt der Austerität sollte folgen. Es gab allgemeine Kürzungen und der Schwung der frühen 2000er Jahre schien verloren zu sein. In der Zwischenzeit gründete eine kleine Gruppe führender Persönlichkeiten aus den Bereichen Kunst und Gesundheit die National Alliance for Arts, Health and Wellbeing. Im Jahr 2013 brachte die erste internationale Konferenz für Kultur, Gesundheit und Wohlbefinden, die von Arts and Health South West veranstaltet wurde, Praxis und Forschung aus 20 Ländern zusammen und zeigte, dass die »Arts and Health«-Bewegung eine globale ist. In seiner Grundsatzrede kündigte Lord Howarth aus Newport die Gründung der All-Party Parliamentary Group on Arts, Health and Wellbeing (APPG)6 an. Die APPG wurde 2014 mit Unterstützung von Parlamentarierinnen in beiden Kammern des Parlaments (dem Oberhaus und dem Unterhaus) und von allen politischen Parteien ins Leben gerufen. Bis 2015 sicherte sich die APPG die Finanzierung einer zweijährigen Untersuchung, um Empfehlungen zur Verbesserung von Politik und Praxis abzugeben.

Creative Health: Der Report und seine Folgen Auf Initiative von Alexandra Coulter, Direktorin von Arts and Health South West, realisierte die National Alliance for Arts, Health and Wellbeing gemeinsam mit dem King’s College eine Studie, an der über 300 Personen teilnahmen. Betroffene mit entsprechender Krankengeschichte, Personen, die in den Bereichen Kunst, Gesundheit und Soziales arbeiten, Stakeholder aus Finanz und Forschung sowie politische Entscheidungsträgerinnen stellten sich in Diskussionsrunden 16 Themen, darunter: Demenz und Kunst; posttraumatischer Stress und Kunst; psychische Gesundheit und Kunst; Palliativmedizin und Kunst; Musik und Gesundheit; Museen und Gesundheit; Kunst auf Rezept; Kunst und Gesundheitswesen; Inbetriebnahme und Finanzierung; Ort, Umwelt, Gemeinschaft. Parallel dazu beleuchtete die Studienleiterin Dr. Rebecca Gordon-Nesbitt die akademische Forschung, Projektevaluationen und Einreichungen aus einer Ausschreibung nach Praxisbeispielen. Der daraus

6

https://www.culturehealthandwellbeing.org.uk/who-we-are/appg [31.10.2022]

77

78

Arts and Health: Good Practice International

resultierende Bericht »Creative Health: The Arts for Health and Wellbeing«7 , der 2017 veröffentlicht wurde, enthält drei Kernaussagen: • •



Kunst und Kultur können uns helfen, gesund zu bleiben, unsere Genesung unterstützen und die Lebensqualität verbessern. Kunst und Kultur können dazu beitragen, die großen Herausforderungen im Gesundheits- und Sozialwesen zu bewältigen: Altern, Langzeiterkrankungen, Einsamkeit und psychische Gesundheit. Kunst und Kultur können helfen, Geld im Gesundheitswesen und in der Sozialfürsorge zu sparen.

Der »Creative Health Report« enthält zehn Empfehlungen, bei denen seit 2017 Fortschritte erzielt wurden. Empfehlung 1 betraf ein nationales strategisches Zentrum, das National Centre for Creative Health (NCCH)8 , das daraufhin im März 2021 ins Leben gerufen wurde. Empfehlung 2 betraf eine regierungsübergreifende Strategie. Zu den aktuellen Entwicklungen gehört zwar die Einrichtung einer interministeriellen Task Force für Gesundheitsförderung, doch gab es bislang keine sichtbaren Fortschritte auf dem Weg zu einer regierungsübergreifenden Strategie, die für Creative Health relevant ist. Matt Hancock MP, Gesundheitsminister von 2018 bis 2021, priorisierte die Prävention und sah Social Prescribing mit Fokus auf Kunst und Kultur als zentral an. Er zitierte die Kernaussagen des Creative-Health-Berichts, als er 2018 die Gründung der National Academy for Social Prescribing ankündigte. Die Arbeit des NCCH baut auf weiteren Empfehlungen auf, einschließlich der Unterstützung eines Netzwerks von Creative Health Champions und der Zusammenarbeit mit NHS England und Integrated Care Systems an einem Programm von Creative Health Hubs. Der Arts Council England hat Gesundheit und Wohlbefinden in seine Zehn-Jahres-Strategie »Let’s Create«9 eingebettet, und in den letzten drei Jahren gab es bedeutende Entwicklungen bei der Einbeziehung von Kunst auf Rezept im Rahmen von Social Prescribing, einschließlich der Gründung der National Academy for Social Prescribing10

7 8 9 10

https://ncch.org.uk/uploads/Creative_Health_Inquiry_Report_2017_-_Second_Editio n.pdf [26.09.2022] https://ncch.org.uk/ [26.09.2022] https://www.artscouncil.org.uk/letscreate [26.09.2022] https://socialprescribingacademy.org.uk [26.09.2022]

Alexandra Coulter, Veronica Franklin Gould, Andrew McWilliams: 2.2. Vereinigtes Königreich

und des Starts ihres Thriving-Communities-Programms11 in Partnerschaft mit dem Arts Council England.

All-party Parliamentary Group on Arts, Health and Wellbeing (APPG) und die Folgen

© Eigene Darstellung

Das NCCH arbeitet eng mit der Culture, Health and Wellbeing Alliance, CHWA12 , zusammen, die im November 2020 als unabhängige Allianz gegründet wurde und die ehemaligen National Alliance for Arts, Health and Wellbeing und National Alliance for Museums, Health and Wellbeing zusammenbringt. CHWA und NCCH haben ein »Memorandum of Understanding« mit dem Lived Experience Network (LENs)13 verfasst, in dem die Arbeit mit den Betroffenen als von zentraler Bedeutung anerkannt wird. Gemeinsam arbeiten sie daran, dass Betroffene mit entsprechender Krankengeschichte bei der Planung und Durchführung integriert werden. Im Bereich der Forschung arbeitet das NCCH mit dem Arts and Humanities Research Council an einem Programm, das untersucht, wie Natur-

11 12 13

https://socialprescribingacademy.org.uk/thriving-communities/ [26.09.2022] https://www.culturehealthandwellbeing.org.uk [26.09.2022] https://www.culturehealthandwellbeing.org.uk/get-involved/lens [26.09.2022]

79

80

Arts and Health: Good Practice International

und Kulturgüter die negativen Auswirkungen gesundheitlicher Ungleichheiten mildern können. Gesundheitliche Ungleichheiten sind ein wichtiger Schwerpunktbereich des NCCH, und die Covid-19-Pandemie hat die Auswirkungen gesundheitlicher Ungleichheiten und ihre Verbindung zu den sozialen Determinanten von Gesundheit weiter offengelegt.

Soziale Determinanten von Gesundheit Theoretische Grundlage für den Creative-Health-Bericht ist die Arbeit von Professor Sir Michael Marmot zu den sozialen Determinanten von Gesundheit, die sowohl in Großbritannien als auch international weithin akzeptiert sind und sich in zahlreichen gesundheitspolitischen Dokumenten widerspiegeln. Marmots bahnbrechender Bericht »Fair Society, Healthy Lives: The Marmot Review«14 aus dem Jahr 2010 erwähnt Kunst und Kultur aber nicht. Der Report »Creative Health« zielte daher darauf ab, die Kluft zwischen Strategien zur Bewältigung der sozialen Determinanten und einer Anerkennung der Rolle, die Kunst und Kultur dabei spielen können, zu überbrücken. Diese Zielsetzung wurde von Michael Marmot im Creative-Health-Bericht in einem Statement wie folgt unterstrichen: »Der ›Geist‹ (mind) ist das Tor, durch das sich die sozialen Determinanten auf die Gesundheit auswirken, und in diesem Bericht geht es um das Leben des Geistes. Er liefert eine Fülle von Belegen dafür, wie die Künste, die den Geist durch kreative und kulturelle Aktivitäten bereichern, die negativen Auswirkungen sozialer Benachteiligung mildern können. Creative Health sollte von allen, die Dienstleistungen in Auftrag geben, in Betracht gezogen werden.« (Creative Health, 2017: 2) Die Erforschung des Bereiches und der darauf basierenden Datenlage hat sich in den zehn Jahren seit der Veröffentlichung des Berichts nicht verbessert. Der Marmot Review »10 Years On« (Februar 2020)15 zeigt:

14 15

https://www.instituteofhealthequity.org/resources-reports/fair-society-healthy-lives -the-marmot-review [26.09.2022] https://www.instituteofhealthequity.org/resources-reports/marmot-review-10-years -on [26.09.2022]

Alexandra Coulter, Veronica Franklin Gould, Andrew McWilliams: 2.2. Vereinigtes Königreich

• •

• •

Es ist zu erwarten, dass Menschen eine größere Zeitspanne in ihrem Leben mit einem schlechten Gesundheitszustand verbringen werden. Die Verbesserung der Lebenserwartung ist ins Stocken geraten und dabei vor allem für jene 10 % der Frauen in England zurückgegangen, die unter der Armutsgrenze leben. Die gesundheitliche Kluft zwischen wirtschaftlich wohlhabenden und benachteiligten Gebieten ist größer geworden. Der Ort des individuellen Lebensmittelpunktes ist ausschlaggebend für die Lebenserwartung – das Leben in einem benachteiligten Gebiet im Nordosten Englands ist ungünstiger für die Gesundheit als das Leben in einem ähnlich benachteiligten Gebiet in London – im Nordosten Englands ist die Lebenserwartung fast fünf Jahre niedriger.

Im Creative-Health-Bericht wird speziell darauf eingegangen, dass soziale Determinanten veränderbar sind und Armut nicht Schicksal ist. Die Verbesserung der Umgebung kann kognitive Funktionen wie Lernen und Gedächtnis positiv beeinflussen und die Bereitschaft, neue Dinge zu erkunden, kann sich erhöhen. Kunst und Kultur können zu einer verbesserten gesellschaftlichen Umwelt beitragen und bei der Überwindung von Stress helfen, bis politische Maßnahmen zur Beseitigung der Ursachen implementiert sind: »Kulturelles Engagement kann als ein Faktor betrachtet werden, der die Auswirkungen gesundheitlicher Ungleichheiten abmildern kann, während politische Maßnahmen zur Beseitigung ihrer Ursachen durchgeführt werden.« (Creative Health, 2017: 29) In seinem Bericht identifizierte Marmot sechs spezifische politische Ziele, darunter die Schaffung und Entwicklung von gesunden und nachhaltigen Orten und Gemeinschaften – »Create and develop healthy and sustainable places and communities« (Marmot, 2020: 93). Wenn wir ein System, ein Ökosystem oder einen ortsbezogenen Ansatz für Communitys und die Bedingungen, »geboren zu werden, zu wachsen, zu arbeiten, zu leben und zu altern« ganzheitlich betrachten, wird die Komplexität klar. Die Herausforderung, Disziplinen, Evidenzmethoden, Strukturen und Sprache für einen ganzheitlichen Systemansatz zu vereinen, kann entmutigend sein. Daher sind ortsbezogenes Denken und ein Konzept, das eine Brücke zwischen Kultur- und Gesundheitspolitik schlägt, hilfreich. Jüngste Veröffentlichungen über gesundheitliche Ungleichheiten erkennen die Bedeutung und das Potenzial ortsbezogener Ansätze sowie die Bedeu-

81

82

Arts and Health: Good Practice International

tung des gemeinnützigen Sektors an. Ein Bericht der britischen Regierung mit dem Titel »Place-based approaches for reducing health inequalities«16 berichtet, dass individuelle Merkmale wie Kontrolle, Selbstwirksamkeit und Resilienz sowie die als »Sozialkapital« bezeichneten Merkmale wie soziale Netzwerke die Gesundheit unter bestimmten Umständen vor den Auswirkungen von Stressfaktoren schützen und somit die Gesundheitsergebnisse positiv beeinflussen können. Covid-19 hat die Bedeutung von Kreativität für die individuelle Resilienz und die Unterstützung von Gemeinschaften in Krisen sichtbar gemacht. Dafür gibt es viele inspirierende Beispiele. Die Culture, Health and Wellbeing Alliance sammelte Fallstudien von 50 Kunst- und Kulturorganisationen17 , die sich an Betroffene zu Hause richten, die während Covid-19 besonders schutzbedürftig oder gefährdet sind, und an denen über 100.000 Personen teilgenommen haben. Ein weiterer »Report on creativity and culture«18 in Krankenhäusern, Gefängnissen und Pflegeheimen während Covid-19 stützt sich auf 47 Fallstudien. Alles, was während der ersten 18 Monate der Pandemie geschehen ist, hat dazu beigetragen, traditionelle Strukturen und seit langem verwurzelte politische Orthodoxien im Gesundheitsbereich sichtbar zu machen. Ein Großteil der Arbeit, die es zu tun gilt, besteht darin, dazu beizutragen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Creative Health integraler Bestandteil der Gesundheits- und Sozialfürsorge und deren Systeme wird.

Grundlagen des Gesundheitssystems Das Vereinigte Königreich verfügt über einen staatlichen Gesundheitsdienst – den National Health Service (NHS) –, der die Gesundheitsversorgung für alle kostenlos anbietet. Die Patientinnen zahlen nur für eine begrenzte Anzahl von Gesundheitsdienstleistungen, einschließlich der Verschreibung von Medikamenten und der zahnärztlichen Versorgung, obwohl selbst diese einer Be16

17 18

https://www.gov.uk/government/publications/health-inequalities-place-based-appr oaches-to-reduce-inequalities/place-based-approaches-for-reducing-health-inequal ities-main-report [26.09.2022] https://www.culturehealthandwellbeing.org.uk/how-creativity-and-culture-are-sup porting-shielding-and-vulnerable-people-home-during-covid-19 [26.09.2022] https://www.culturehealthandwellbeing.org.uk/how-creativity-and-culture-are-sup porting-people-institutions-during-covid-19 [26.09.2022]

Alexandra Coulter, Veronica Franklin Gould, Andrew McWilliams: 2.2. Vereinigtes Königreich

dürftigkeitsprüfung unterliegen. Der Zugang zu Allgemeinmedizinerinnen, zu Krankenhausversorgung und zu Rettungsdiensten ist kostenlos. Es gibt eine ausgeprägte Kultur unter den Ärztinnen, dieses Ethos zu verteidigen. Obwohl zum Beispiel die neue Politik vorschreibt, dass Patientinnen aus der EU für die Notfallversorgung zahlen müssen, vermeiden die meisten Ärztinnen und Krankenpflegerinnen es, Verfahren zur Eintreibung dieser Kosten einzuleiten. Die Zentralregierung stellt dem NHS Mittel aus der Einkommenssteuer und der Sozialversicherung zur Verfügung (die von Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter als Einkommensabgabe entrichtet werden). Der NHS in England und den drei dezentralisierten Staaten des Vereinigten Königreichs (Schottland, Wales und Nordirland) verteilt diese Gelder über ein Auftragsvergabeverfahren an die Krankenhäuser (NHS-»Trusts«), die die Gesundheitsversorgung durchführen. In Nordirland wird die Finanzierung der Sozialfürsorge durch die Gesundheits- und Sozialfürsorgedienste (Health and Social Care Services, HCS) bereits koordinierter in diesen Prozess eingebunden, und das übrige Vereinigte Königreich erwägt ebenfalls, in diese Richtung zu gehen. Vielen Bürgerinnen ist nicht bewusst, dass die Allgemeinmedizin (manchmal etwas ungenau einfach als »Primärversorgung« bezeichnet) nicht Teil des NHS ist. Obwohl sie staatlich finanziert werden, existieren allgemeinmedizinische Praxen als autonome Unternehmen, deren Aufgabe darin besteht, die Gesundheitsversorgung in der Gemeinde zu gewährleisten und bei Bedarf Überweisungen an sekundäre Dienste des NHS vorzunehmen. Aufgrund der Bestrebungen, den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu verbessern und Geld zu sparen, werden immer mehr Leistungen in den Gemeinden erbracht, die nicht zum Kerngeschäft der Allgemeinmedizin gehören. Diese können von der kommunalen Gesundheitsfürsorge, dem NHS oder von anderen Stellen finanziert werden und umfassen Leistungen wie Ergotherapie, Physiotherapie oder Pflege. Manchmal finanziert der NHS private Unternehmen (oder Wohltätigkeitsorganisationen), um bestimmte Leistungen zu erbringen, die in der gleichen Weise in Anspruch genommen werden können wie Standardleistungen des NHS. Kommunale Dienste sind häufig ein Beispiel dafür. Öffentliche Gesundheitseinrichtungen gibt es auch in den Gemeinden und sie erhalten Gelder, um die Gesundheit der Bewohnerinnen zu verbessern. So können sie Kampagnen zur Gesundheitsförderung durchführen oder kommunale Dienste finanzieren, sind aber derzeit sehr mit der Bewältigung der Covid-Pandemie beschäftigt.

83

84

Arts and Health: Good Practice International

Durch aufeinanderfolgende parlamentarische Gesetzentwürfe und Änderungen in der nationalen Gesundheitspolitik wurden verschiedene und komplexe Systeme zur Festlegung der Mittelverteilung geschaffen. Dieses System unterscheidet sich in den vier Ländern und weist viele Feinheiten auf, aber es beinhaltet jeweils, dass die Kosten pro Patientin für die Behandlung einer Krankheit ermittelt werden und das Geld dann auf die primäre und sekundäre Versorgung verteilt wird. Der NHS sollte für die Behandlung von Patientinnen finanziell entschädigt werden. In England wird zum Beispiel die Versorgungslage bzgl. Einiger Krankheiten (z.B. Sichelzellenanämie) auf nationaler Ebene finanziert. Bei anderen Fällen (z.B. Diabetes mellitus) werden die Mittel an lokale NHS-»Kommissare« weitergeleitet, die das Geld an Allgemeinmedizinerinnen und Krankenhausbetreiberinnen verteilen. In England werden den Krankenhäusern zunächst Pauschalbeträge für die Versorgung ganzer Gemeinden gezahlt, unabhängig davon, wie viele Menschen sich tatsächlich behandeln lassen. Wenn man über die Integration von Kultur im Gesundheitswesen im Vereinigten Königreich nachdenkt, ist es wichtig, einige Details der Finanzierungsströme zu verstehen. Künstlerinnen, die im Gesundheitswesen tätig sind, müssen Modelle entwickeln, die auf die verfügbaren Finanzierungsströme ausgerichtet und für die Auftraggeberinnen von Dienstleistungen attraktiv sind. Sich nur an die im Gesundheitswesen tätigen Ärztinnen zu wenden und von ihnen zu erwarten, dass sie sich in ihrem Namen in der finanziellen Landschaft zurechtfinden, wird wahrscheinlich nicht erfolgreich sein. Stattdessen könnte ein gemeinsamer Ansatz dazu beitragen, einen überzeugenden und gezielten Business Case für ein Kunstprojekt in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zu erstellen. Bezüglich des psychischen Wohlbefindens und der psychischen Gesundheit sind einige spezifische Erläuterungen zur Bereitstellung von Diensten nützlich. Bevor sich Patientinnen an die offizielle Gesundheitsversorgung wenden, nehmen sie häufig die Unterstützung unabhängiger – und sehr erfahrener – Wohlfahrtsverbände und Selbsthilfegruppen in Anspruch. Allgemeinmedizinerinnen betreuen die meisten Menschen mit psychischen Erkrankungen selbstständig in der Gemeinde, in ihrem eigenen Zuhause. Einige werden an eine spezialisierte psychosoziale Versorgung überwiesen, entweder an ein psychosoziales Gemeindeteam aus Ärztinnen, Krankenpflegerinnen, Sozialarbeiterinnen und anderen Fachleuten, oder als stationäre Patientin in ein psychiatrisches Krankenhaus. Es gibt noch einige andere Dienste, darunter eine kleine Zahl von »Tageskliniken«, in denen Patien-

Alexandra Coulter, Veronica Franklin Gould, Andrew McWilliams: 2.2. Vereinigtes Königreich

tinnen nur tagsüber behandelt werden, und eine noch geringere Zahl von Ambulanzkliniken. Psychiatrische Krankenhäuser und gemeindepsychiatrische Einrichtungen werden häufig von anderen NHS-Trusts betrieben als die übrigen Krankenhäuser. Ein klarer Vorteil des verstaatlichten Systems ist jedoch das hohe Maß an offener Zusammenarbeit zwischen den Organisationen. So stellt beispielsweise ein Trust für psychiatrische Krankenhäuser in der Regel einen psychiatrischen und psychosozialen Pflegedienst vor Ort in jedem Krankenhaus bereit. Dieses Team kümmert sich um stationäre Patientinnen, die wegen medizinischer Probleme behandelt werden und einen psychiatrischen Bedarf haben, aber auch um Personen, die wegen eines psychiatrischen Problems in die Notaufnahme kommen. Von hier aus kann im Weiteren eine Einweisung in ein nahe gelegenes psychiatrisches Krankenhaus veranlasst werden. Die Gesundheitsfürsorge ist in der Regel mit getrennten Diensten für Erwachsene und Minderjährige geregelt. Eine allmähliche Kürzung der Finanzmittel und demografische Faktoren, insbesondere die steigende Lebenserwartung, haben in Verbindung mit einem seit langem bestehenden und sich verschärfendem Mangel an medizinischem Personal in den letzten Jahrzehnten zu einer chronischen Überlastung des NHS geführt. Gleichzeitig hat ein Umdenken in der Gesellschaft bewirkt, dass Aspekte der ganzheitlichen Gesundheitsförderung, die Bedeutung der psychischen und sozialen Gesundheit und die Stärkung der Ressourcen der Patientinnen in den Vordergrund gerückt sind. Einige dieser Initiativen lassen sich unter dem Begriff »social prescribing« zusammenfassen, welcher sich auf eine Reihe von Community-Interventionen bezieht, die außerhalb der traditionellen Gesundheitsversorgung angeboten werden und auch die Teilnahme an künstlerischen Aktivitäten umfassen können. Obwohl an einigen Standorten und in einigen Regionen diese Art von Programmen stärker in Anspruch genommen wird, sind die Fortschritte auf nationaler Ebene langsam. Die Gründe dafür sind komplex, aber es wäre nützlich, ein Verständnis dafür zu entwickeln, bevor man überlegt, wie man zukünftige Initiativen am besten umsetzt.

Social Prescribing für Kunst Jeder Mensch hat – gemäß der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948, Artikel 27) – das Recht, frei am kulturellen Leben der Gemeinschaft teil-

85

86

Arts and Health: Good Practice International

zunehmen. In der Tat sind Beweise für die lebenswichtige Rolle und Wirkung von Kunst und Kultur für das Wohlbefinden und den Erhalt der mentalen Fitness (»preserving brain health«) auf der ganzen Welt gewachsen. Im Vereinigten Königreich ist es nun möglich, sie im Rahmen von »Social Prescribing« (Sozialer Verschreibung) in Anspruch zu nehmen. Social Prescribing (SP) ist eine ganzheitliche Praxis, die Gesundheits- und Sozialfürsorge zusammenführt und mit einer personalisierten Unterstützung von Patientinnen verbindet, um – angepasst an deren Bedürfnisse – ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden zu fördern, ihre Resilienz in der Gemeinschaft über die gesamte Lebensspanne zu stärken, um so die Gesundheit und das Wohlbefinden der Nation zu verbessern. Englands National Health Service (NHS) beschäftigt 1.500 sogenannte »Social Prescribing Link Workers«. Hausärztinnen, denen im Schnitt pro Termin nur zehn Minuten zur Verfügung stehen, können Patientinnen an Link Worker überweisen, wo sie ohne Zeitdruck Bedürfnisse – die nicht medizinisch sind – besprechen können, um herauszufinden, was sie für ihre Gesundheitsvorsorge am liebsten tun würden. Zum Jobprofil der »Social Prescribing Link Worker« gehört, dass sie sich über lokale Kunst- und Kulturinitiativen auf dem Laufenden halten, an die sich Patientinnen selbst oder durch ihre Link Worker überweisen können, die sie gelegentlich sogar dorthin begleiten können. Über 99 % der Praxen für Allgemeinmedizin in England sind einem der 1.250 britischen Primary Care Networks (PCN) des NHS Network Contract DES19 angeschlossen. Im Januar 2019 einigten sich die British Medical Association und NHS England darauf, Social Prescribing Link Workers für jedes PCN als Teil der Vertragsvereinbarung zu finanzieren. Im Zuge des fünfjährigen Rahmenvertrags – »Comprehensive Model of Personalized Care« – sollte für jedes Netzwerk im Einführungsjahr ein SP Link Worker für über 30.000 Patientinnen und zwei Link Worker für über 100.000 Patientinnen bereitgestellt werden.20

19 20

https://www.england.nhs.uk/primary-care/primary-care-networks/network-contract -des [26.09.2022] NHS England, Investment and evolution: A five-year framework for GP contract reform to implement The NHS Long Term Plan, 31 January 2019, pp 32, 35 & 45.

Alexandra Coulter, Veronica Franklin Gould, Andrew McWilliams: 2.2. Vereinigtes Königreich

Social Prescribing Network Visionäre Allgemeinmedizinerinnen, die sich seit langem mit Künstlerinnen für ihre Patientinnen vernetzten, gründeten 2016 gemeinsam mit Kolleginnen in Universitäten das Social Prescribing Network (SPN). SPN-Leiterinnen für jede NHS-England-Region bieten sektorübergreifende Unterstützung, bauen Verbindungen zu Kunst- und Kulturorganisationen auf, um die PCNs für die Benefits ihres Angebotes für die Gesundheit und das Wohlbefinden zu sensibilisieren und so die »Social Prescibing«-Praxis zu verankern. SPN-Lernkoordinatorinnen bieten Schulungen und Unterstützung für Link Worker in ihrer Region an, arbeiten mit Community Connectors, Community Builders und Developers zusammen. Sie laden Arts and Health Organisationen zu »Link Worker Peer Support«-Sitzungen ein und ermutigen sie, ihren Netzwerken beizutreten. Durch die elektronische Erfassung der »Arts and Health«-Veranstaltungen und entsprechenden Kontaktdaten werden sie mit der lokalen Community vernetzt.

Social Prescribing Network

Quelle: Franklin Gould/2021: 77

Social Prescribing Link Worker sind nicht klinisch ausgebildet, haben aber im Zusammenspiel mit Allgemeinmedizinerinnen eine zentrale Rolle, um den Erfolg von SP-Programmen sicherzustellen. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, Hausärztinnen zu helfen, indem sie Patientinnen und deren Betreuerin-

87

88

Arts and Health: Good Practice International

nen bei nicht-klinischen Bedürfnissen unterstützen, ihnen dabei helfen, durch das Angebot zu unterschiedlichen Dienstleistungen zu navigieren und Zugang zu ihnen, einschließlich der Lebensqualität verbessernden Kunst- und Kulturangebote, zu ermöglichen.21 Um bewährte Verfahren zum gegenseitigen Nutzen, zur Evaluierung und Unterstützung zu verbreiten, werden Kunst-, Pflege- und Medizinstudentinnen einbezogen, die in kreativen Projekten zusammenarbeiten und Erfahrungen darüber sammeln, wie die Teilnehmerinnen gesundheitliche Herausforderungen bewältigen und welche Rolle Kunstinitiativen dabei für die Gesundheit und das Wohlbefinden spielen.

Verschreibung von Kunst und Kultur für Gesundheit in der Praxis Einer von fünf Hausarztterminen in Großbritannien konzentriert sich eher auf soziale als auf klinische Probleme (zum Beispiel Einsamkeit, Arbeitslosigkeit, Suchtprobleme, kognitive Beeinträchtigungen während langer Wartezeiten auf das Memory Assessment). Wenn »Arts and Health«-Initiativen den Zustand verbessern und vitalisierend wirken können, wird die Ärztin die Patientinnen sowie deren Betreuerinnen mit deren Zustimmung an einen Link Worker überweisen, um geeignete Möglichkeiten zu erkunden. Verlauf und Ergebnisse der nicht-klinischen Interventionen können mittels einer Software verfolgt werden. Es gibt üblicherweise keine Beschränkung, wie oft eine überwiesene Person den Link Worker trifft: Der Ersttermin kann ausreichen, oder es können wöchentliche bzw. vierzehntägige Besprechungstermine stattfinden. Nach einer gewissen Frist kann der Link Worker den Fall schließen und den Hausarzt/die Hausärztin informieren. Die Mittel für Social Prescribing werden über eine sektorenübergreifende Partnerschaft aufgestellt, die auf den Kunstorganisationen basiert, also ortsbezogen ist, aber eine tatsächliche Partnerschaft mit den Interessenvertretern erfordert, d.h. NHS, Primary Care Centres, Link Workers, lokale Behörden, kulturelle Gruppen. Mittel werden über den Thriving Communities Fund22 zur

21 22

British Medical Association, 2019, Social Prescribing: Making it work for GPs and patients. https://socialprescribingacademy.org.uk/thriving-communities/thriving-communiti es-fund/ [26.09.2022]

Alexandra Coulter, Veronica Franklin Gould, Andrew McWilliams: 2.2. Vereinigtes Königreich

Verfügung gestellt, der seine Mittel vom Arts Council England, Sport England und den NHS Charities Together bezieht.

»Arts and Health«-Sensibilisierung Der Schlüssel zu erfolgreichen, nachhaltigen »Arts and Health«-Programmen besteht darin, Zeit für die Beratung zu haben, Beziehungen zu allen Interessengruppen aufzubauen, Inhalte mit potenziellen Teilnehmerinnen zu planen – zum Beispiel mit dem Lived Experience Network (LENs) – und Beziehungen zu allen Interessengruppen aufzubauen, um das Bewusstsein über die Bedeutung von Kunst für die Gesundheit zu schärfen. Dazu werden Kunst- und Kulturveranstalterinnen und die Mitglieder ihrer Netzwerke zu Probeveranstaltungen eingeladen und, sofern sie dies möchten, ihre Angebote online zugänglich gemacht. Zum Beispiel listet die britische Arts4Dementia-Website23 Veranstaltungen nach Kunstform, Postleitzahl und Bedarf von Seiten dementer Personen auf.

Ein vielfältiges Kunstangebot für kognitive Gesundheit: Arts4Dementia

© Arts4Dementia

23

https://arts4dementia.org.uk [26.09.2022]

89

90

Arts and Health: Good Practice International

Am Beispiel von … Arts4Dementia to preserve brain health Arts4Dementia ist eine gemeinnützige Organisation, die sich dafür einsetzt, Menschen zu befähigen, frühe Symptome einer Demenz durch Kunst zu überwinden. »Social Prescribing« kann von hohem Nutzen für rund 10 Millionen Menschen sein, bei denen jedes Jahr weltweit Demenz diagnostiziert wird. Laut der Lancet-Kommission für Demenzprävention, -intervention und -pflege könnten bis zu 35 % der Demenzfälle abgefedert werden, wenn Risikofaktoren (insbesondere Fettleibigkeit, Bluthochdruck, Depression, körperliche Inaktivität, soziale Isolation) früh beachtet werden. Körperliche Bewegung und Übungen im Freien beeinflussen positiv das Körpergewicht. Das Erlernen neuer bzw. das Üben bestehender Fähigkeiten wie Tanzen und Musizieren halten die neuronale Plastizität auf einem aktiven Niveau. Revitalisierende, »gesunde« Aktivität, das Schaffen von Szenarien, das Entdecken neuer Interessen kann u.a. den »Geist« anregen, von Stress ablenken und die Stimmung heben. Dies in Gemeinschaft, in künstlerischer Umgebung oder in einer schönen Landschaft zu tun, verstärkt die oben genannten positiven Faktoren für die Teilnehmenden und hilft das soziale Netzwerk zu erweitern. Die Teilnahme an solchen Aktivitäten einmal pro Monat ist ein Gewinn, häufigere Teilnahme (etwa wöchentlich mit entsprechenden Stimuli – bei Demenz genauso wichtig wie ohne) wirkt deutlich energetisierender und erhebender. Man kann sich dadurch besser fühlen, besser schlafen, anregende Erlebnisse und Eindrücke erfahren, von denen man träumen, über die man nachdenken und auf die man sich freuen kann. Künstlerische Aktivitäten, die sich auf ein bestimmtes gesundheitliches Bedürfnis beziehen, regen die Fantasie an, werden auf diese Weise vielfältig und mit Verständnis für die spezifische Krankheit entwickelt. Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen bzw. bei Demenz im Frühstadium wird ein tägliches Training innerhalb entsprechender Kunstprogramme empfohlen. Arts4Demenz-Training für Künstlerinnen, Link Worker, Kunst- und Medizinstudentinnen bietet diesen einen Einblick in die Herausforderungen, mit denen Menschen konfrontiert sind, wenn Symptome von leichter kognitiver Beeinträchtigung (MCI) und Demenz auftreten, und wie sie am besten auf vorhandene Fähigkeiten zugreifen können. Bisher war – in den isolierenden, angsterfüllten Zeitstrecken, die zur Diagnose Demenz führten – der Zugang zu künstlerischer Teilhabe als Teil vielversprechender Behandlungsmethoden schwierig. Wenn Allgemeinmedizinerin-

Alexandra Coulter, Veronica Franklin Gould, Andrew McWilliams: 2.2. Vereinigtes Königreich

nen nun an »Arts and Health«-Programme überweisen, sobald erste Symptome einsetzen und Betroffene infolgedessen während der Zeit des Wartens auf die finale Diagnose an wöchentlichen Kunst- und Kulturaktivitäten teilnehmen, wird die mentale Fitness (»brain health«), das Persönlichkeitsgefühl, die eigene Rolle und die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft von Demenz-Patientinnen um Jahre länger erhalten – der Demenz zum Trotz. So kann Kunst auf Rezept die lange Wartezeit auf die Diagnose mit freudvollen Akzenten bereichern.

Quellen Alessi, Charles/Larry W. Chambers/Muir Gray (2021): Increase your Brainability and Reduce your Risk of Dementia, Oxford: Oxford University Press. https://academic.oup.com/book/39997 [23.11.2022]. All-Party Parliamentary Group on Arts, Health and Wellbeing (2017): Inquiry Report. Creative Health: The Arts for Health and Wellbeing. https://www .artshealthresources.org.uk/docs/creative-health-the-arts-for-health-an d-wellbeing/ [26.09.2022]. Arts on Prescription (1995–2005): Wellcome Collection, ART/AH/1. https://wel lcomecollection.org/works/y6t3wbu3 [23.11.2022]. British Medical Association (2019): Social Prescribing: Making it work for GPs and patients. https://www.bma.org.uk/media/1496/bma-social-prescribi ng-guidance-2019.pdf [26.09.2022] Campaign to End Loneliness Report (2020): The Psychology of Loneliness: Why it matters and what we can do, July 2020. https://www.campaigntoe ndloneliness.org/wp-content/uploads/Psychology_of_Loneliness_FINAL _REPORT.pdf [26.09.2022] Chatterjee, Helen J./Paul M. Camic et al. (2018): Non-clinical community interventions: a review of social prescribing schemes, https://www.tandf online.com/doi/full/10.1080/17533015.2017.1334002?scroll=top&needAcce ss=true [26.09.2022] Clift, Stephen/Paul M. Camic (Hg.) (2016): Oxford Textbook of Creative Arts, Health, and Wellbeing: International perspectives on practice, policy, and research, Oxford University Press. https://oxfordmedicine.com/view/10.1 093/med/9780199688074.001.0001/med-9780199688074 [23.11.2022]. Cohen, Gene D. (2006): The Creativity and Aging Study: The Impact of Professionally Conducted Cultural Programs on Older Adults, The Cent-

91

92

Arts and Health: Good Practice International

re on Aging, Health & Humanities, The George Washington University. https://hsrc.himmelfarb.gwu.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1001&c ontext=son_ncafacpubs [04.09.2022] Department for Digital, Culture Media and Sport (2018): A Connected Society: strategies for tackling loneliness – laying the foundations for change. http s://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/upload s/attachment_data/file/936725/6.4882_DCMS_Loneliness_Strategy_web_ Update_V2.pdf [26.09.2022] Desmarais, Sarah/Laura Bedford/Helen J. Chatterjee (2018): Museums as Spaces for Wellbeing: A Second Report from the National Alliance for Museums, Health & Wellbeing. https://museumsandwellbeingalliance.fil es.wordpress.com/2018/04/museums-as-spaces-for-wellbeing-a-second -report.pdf [26.09.2022] Fancourt, Daisy/Andrew Steptoe/Dorina Cadar (2018): Cultural engagement and cognitive reserve: museum attendance and dementia incidence over a 10-year period in The British Journal of Psychiatry, vol. 213, issue 5. https:/ /www.cambridge.org/core/services/aop-cambridge-core/content/view/0 D5F792DD1842E97AEFAD1274CCCC9B9/S0007125018001290a.pdf/cultur al-engagement-and-cognitive-reserve-museum-attendance-and-demen tia-incidence-over-a-10-year-period.pdf [04.09.2022]. Fancourt, Daisy/Katey Warran/Henry Auchterson (2020): Evidence Summary for Policy: The role of arts in improving health & wellbeing. Report to DCMS. https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/sy stem/uploads/attachment_data/file/929773/DCMS_report_April_2020_fi nalx__1_.pdf [26.09.2022] Franklin Gould, Veronica (2013): Reawakening the Mind: Arts interventions to re-energise and inspire people in the early stages of dementia and their carers. https://arts4dementia.org.uk/wp-content/uploads/2017/09/ Reawakening_the_Mind-2.pdf [26.09.2022] Franklin Gould, Veronica (2015): Music Reawakening: Musicianship and Access for Early to Mid Stage Dementia – The Way Forward. https://arts4 dementia.org.uk/wp-content/uploads/2017/09/Music_Reawakening.pdf [04.09.2022]. Franklin Gould, Veronica (2021): A.R.T.S. for Brain Health: Social Prescribing transforming the diagnostic narrative for Dementia: From Despair to Desi-re. https://arts4dementia.org.uk/wp-content/uploads/2021/10/Arts-for -Brain-Health-Final-Report.pdf [26.09.2022]

Alexandra Coulter, Veronica Franklin Gould, Andrew McWilliams: 2.2. Vereinigtes Königreich

Franklin Gould, Veronica/Trish Vella-Burrows (2017): Reawakening Integrated: Arts and Heritage: A regional model and framework to integrate arts into dementia care services in Dorset. Arts 4 Dementia Report. https://arts4dementia.org.uk/wp-content/uploads/2017/10/A4D_RE AWAKENING_Integrated-Arts__Heritage_Report_web.pdf [04.09.2022]. Gallacher, John/Alistair Burns (2021): Social Prescribing for Dementia, in: The Lancet Neurology, September 2021. https://doi.org/10.1016/S1474-4422(21) 00208-8 [23.11.2022]. Gordon-Nesbitt, Rebecca (2015): Exploring the Longitudinal Relationship between Arts Engagement and Health. Arts for Health, Manchester Metropolitan University. https://www.artsforhealth.org/research/artsengagement andhealth/ArtsEngagementandHealth.pdf [26.09.2022] Gordon-Nesbitt, Rebecca (2019): Older and wiser? Creative ageing in the UK 2010–19, King’s College London report for the Baring Foundation. https://cdn.baringfoundation.org.uk/wp-content/uploads/KCBaring Report_A4_2019_ForWeb.pdf [26.09.2022] Healthy London Partnership (2018): Social Prescribing: our vision for London 2018–2028: Improving lives, improving health. December 2018. https://w ww.healthylondon.org/wp-content/uploads/2018/12/2018-03-2018-Social -prescribing-Our-vision-for-London-2018-2028-v0.01.pdf [04.09.2022]. Heritage, Health and Wellbeing (2020): A Heritage Alliance Report. https://w ww.theheritagealliance.org.uk/wp-content/uploads/2020/10/Heritage-Al liance-AnnualReport_2020_Online.pdf [26.09.2022] International Longevity Centre (2018): Social connections and loneliness: Health and Wellbeing Innovation Commission Enquiry. https://ilcuk.org. uk/wp-content/uploads/2019/07/Health-and-Wellbeing-Innovation-Com mission-Inquiry-Social-Connections1.pdf [26.09.2022] International Longevity Centre (2020): Never too late: Prevention in an ageing world, London, https://ilcuk.org.uk/wp-content/uploads/2020/02/ILC-Pr evention-report.pdf [26.09.2022] Kimberlee, Richard (2013): Developing a Social Prescribing approach for Bristol, University of the West of England. https://uwe-repository.worktribe. com/output/927254/developing-a-social-prescribing-approach-for-brist ol [26.09.2022] Livingston, Gill et al. (2020): Dementia prevention, intervention, and care: 2020 report of the Lancet Commission. Lancet 2020 8 Aug; 396:413. https:/ /uwe-repository.worktribe.com/output/927254/developing-a-social-pres cribing-approach-for-bristol [23.11.2022].

93

94

Arts and Health: Good Practice International

Museums Association (2020): A manifesto for museum learning and engagement, https://www.museumsassociation.org/campaigns/learning-and -engagement/manifesto/ [26.09.2022] NHS England (2019): Investment and evolution: A five-year framework for GP contract reform to implement, 31 January 2019, S. 32, 35 & 45. https://w ww.england.nhs.uk/wp-content/uploads/2019/01/gp-contract-2019.pdf [26.09.2022] Polley, Marie et al. (2017): A review of the evidence assessing impact of SP on healthcare demand and cost implications, University of Westminster. htt ps://westminsterresearch.westminster.ac.uk/download/e18716e6c96cc931 53baa8e757f8feb602fe99539fa281433535f89af85fb550/297582/review-of-evi dence-assessing-impact-of-social-prescribing.pdf [26.09.2022] Polley, Marie et al. (2017): Making sense of Social Prescribing, University of Westminster. https://westminsterresearch.westminster.ac.uk/download /f3cf4b949511304f762bdec137844251031072697ae511a462eac9150d6ba8e0/13 40196/Making-sense-of-social-prescribing%25202017.pdf [26.09.2022] Polley, Marie et al. (2020): Enabling the potential of social prescribing: A summary of the issues affecting longer-term VCSE funding including views from before and during the COVID-19 pandemic. https://www.tcv. org.uk/wp-content/uploads/2020/09/tcv-social-prescribing-potential.pd f [26.09.2022] Roberts, Lauren/Holly Waddell/Alice Birch (2021): Social Prescribing and the Potential of Historic England’s Local Delivery. An SQW report to Historic England. https://historicengland.org.uk/images-books/publications/soci al-prescribing-potential-historic-england-local-delivery/social-prescribi ng/ [26.09.2022] United Nations (1948): Universal Declaration of Human Rights, Article 27. http s://www.un.org/sites/un2.un.org/files/udhr.pdf [26.09. 2022] Veall, Dean et al. (2017): Museums on Prescription: A guide to working with older people. Swindon: Arts and Humanities Research Council, https://culturehealthresearch.files.wordpress.com/2017/10/mopguide .pdf [26.09.2022]

Webseiten https://arts4dementia.org.uk Arts 4 Dementia, social prescribing arts website for brain health [26.09.2022]

Alexandra Coulter, Veronica Franklin Gould, Andrew McWilliams: 2.2. Vereinigtes Königreich

https://socialprescribingacademy.org.uk The National Academy for Social Prescribing [26.09.2022] https://www.culturehealthandwellbeing.org.uk Culture Health and Wellbeing Alliance [26.09.2022] https://www.england.nhs.uk/personalisedcare/social-prescribing/ NHS England/Social Prescribing [26.09.2022] https://www.england.nhs.uk/primary-care/primary-care-networks/NHS England/Primary Care Networks [26.09.2022] https://www.healthylondon.org/resource/social-prescribing-our-vision-for-l ondon-2018-2028/ Healthy London [26.09.2022] https://www.socialprescribingnetwork.com The Social Prescribing Network [26.09.2022] https://www.who.int World Health Organisation [26.09.2022]

95

2.3. Finnland Kunst und Kultur in einem sich wandelnden Sozialund Gesundheitssystem Liisa Laitinen

Das öffentliche Gesundheitssystem in Finnland Der Grundstein für das finnische Gesundheits- und Sozialsystem wird durch öffentliche Gesundheits- und Sozialleistungen gelegt, die durch staatliche Mittel unterstützt werden. Die Dienstleistungen des öffentlichen Sektors werden sowohl durch kostenpflichtige als auch unentgeltliche Dienstleistungen ergänzt, die von privaten Unternehmen, Gesundheits- und Sozialeinrichtungen des dritten Sektors erbracht werden. Derzeit ist die Umsetzung einer umfassenden Reform der Gesundheitsund Sozialdienste im Gange. Die Reform zielt darauf ab, die Grundversorgung und die Präventionsarbeit zu stärken. Zusammen mit der Reform wird die Verantwortung für die Organisation der Gesundheits- und Sozialdienste von der lokalen Regierungsebene (310 Gemeinden) auf die regionale Regierungsebene (21 Landkreise für Wohlfahrtsdienste, plus die Stadt Helsinki) übertragen. Wenn die Reform Anfang 2023 in Kraft tritt, bleiben die Kommunen für das Wohlergehen der Bewohnerinnen und die Gesundheitsförderung verantwortlich. Sie sollten diese Aufgabe jedoch in Zusammenarbeit mit den Landkreisen der Wohlfahrtsdienste angehen. Zur Qualitätssicherung von Dienstleistungen werden fünf Kooperationsbereiche entsprechend der Regionalaufteilung der Universitätskliniken eingerichtet. Da sich die Reform derzeit in der Umsetzungsphase befindet und die Finanzierung der Landkreise für Wohlfahrtsdienste noch etabliert werden muss, ist es schwierig zu beurteilen, wie Kunst und Kultur in Zukunft in das Sozialund Gesundheitssystem integriert werden. Im Vorbereitungsprozess der Reform wurden jedoch in mehreren Regionen Kunst und Kultur als Teil der Ge-

98

Arts and Health: Good Practice International

sundheitsförderung verankert. Ziel war es, dass Kommunen, künftige Landkreise und der dritte Sektor gemeinsam die Verantwortung für die Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden auch durch Kunst und Kultur übernehmen.

Kulturpolitische Prioritäten in Finnland Zu den Schlüsselthemen der finnischen Kulturpolitik gehören der Schutz der kulturellen Rechte der Bürgerinnen und die Förderung gleichberechtigter Möglichkeiten, an Kunst und Kultur teilzunehmen. Ziel ist es, den Zugang zu Kunst und Kultur unabhängig von den Lebensumständen der Menschen oder von sozialen, wirtschaftlichen und regionalen Unterschieden zu fördern. In Finnland wurden die Auswirkungen künstlerischer und kultureller Aktivitäten auf das Wohlbefinden und die sozialen Beziehungen seit den 1970er Jahren auf einer gewissen Ebene in der Kulturpolitik anerkannt. In den letzten zwanzig Jahren hat sich jedoch eine systematischere Argumentation zu diesen Fragen herausgebildet. Die aktuelle kulturpolitische Strategie des finnischen Ministeriums für Bildung und Kultur betrachtet die Auswirkungen von Kunst und Kultur auf Wohlbefinden und Gesundheit als einen der wichtigsten strategischen Politikbereiche. Die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Verwaltungssektoren zu fördern, wird in der Strategie hervorgehoben. Die in der Kulturpolitikstrategie genannten Ziele wurden insbesondere vom Arts Promotion Centre Finnland1 vorangetrieben. Das Arts Promotion Centre, eine Expertinnenagentur, die unter der Aufsicht des Ministeriums für Bildung und Kultur tätig ist, hat 2015 bis 2019 ein fünfjähriges Entwicklungsprogramm für den Einsatz von Kunst zur Förderung des Wohlbefindens durchgeführt. Nach dem Ende des Entwicklungsprogramms im Jahr 2019 wurden neue Beratungsdienste für Kunst, Gesundheit und Wohlbefinden eingerichtet, um die Arbeit fortzusetzen. Im Herbst 2021 besteht das Beratungsteam aus fünf Kunst- und Gesundheitsexpertinnen, die daran arbeiten, Kunst- und Gesundheitsaktivitäten in ganz Finnland voranzutreiben. Seit 2015 stellt das Arts Promotion Centre Mittel zur Unterstützung des nationalen Arts and Health Coordination Centre Taikusydän2 bereit. 1 2

https://www.taike.fi/en/frontpage [31.10.2022] https://www.cultureforhealth.eu/mapping/taikusydan-arts-health-coordination-cen tre-in-finland/ [31.10.2022]

Liisa Laitinen: 2.3. Finnland

Auch das überarbeitete Kommunale Kulturgesetz (166/2019) betont die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Verwaltungsbereichen. Eines der Ziele des Gesetzes ist es, Kunst und Kultur als Teil der Gesundheit und des Wohlbefindens, der Inklusion und der Gemeinschaft der Bewohnerinnen zu fördern. Das Gesetz erlegt den Gemeinden neue Pflichten in Bezug auf Monitoring und Bewertung der kulturellen Dienstleistungen auf. Ab 2019 wird die Umsetzung kultureller Angebote im Rahmen der Gesundheitsförderung beobachtet und evaluiert.

Förderung ressortübergreifender Maßnahmen Seit Beginn des 21. Jahrhunderts wurde der Beitrag von Kunst und Kultur für die Gesundheit und das Wohlbefinden auch auf nationaler politischer Ebene berücksichtigt. Die nationalen Politikprogramme und die strategisch-sektorübergreifende Zusammenarbeit auf ministerieller Ebene haben neue Möglichkeiten für die Verankerung von Kunst und Kultur als feste Bestandteile der Sozial- und Gesundheitsversorgung sowie der Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden geschaffen. Das erste nationale interministerielle Programm für Kunst- und Gesundheitspolitik »Kunst und Kultur für Wohlbefinden 2010–2014«, das im Grundsatzprogramm für Gesundheitsförderung (2007–2011) verwurzelt war, hatte zwei Hauptziele: Das erste betonte, dass jeder das Recht und die gleiche Chance haben sollte, sich trotz seiner Lebensumstände mit Kunst zu beschäftigen und an kulturellen Aktivitäten teilzunehmen. Das zweite wichtige Ziel bestand darin, dass der Einfluss von Kunst und Kultur auf die Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden auf politischer, administrativer und struktureller Ebene anerkannt wird. Auf das erste Aktionsprogramm für Kunst und Gesundheit folgte 2016–2018 ein dreijähriges Schlüsselprojekt der Regierung, das darauf abzielte, den Zugang zu Kunst und Kultur durch die Ausweitung des derzeitigen Prozent-für-Kunst-Prinzips zu erleichtern, das im Sozial- und Gesundheitssektor angewendet werden soll. Ziel des Schwerpunktprojekts, das vom Ministerium für Bildung und Kultur in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Soziales und Gesundheit durchgeführt wurde, war es, operationelle Methoden und neue Finanzierungsmodelle zu schaffen, die dazu beitragen, die Verankerung von Kunst- und Kulturdienstleistungen im Sozial- und Gesundheitssystem zu erleichtern. Langfristiges Ziel war es, Kunst und Kultur als fes-

99

100

Arts and Health: Good Practice International

ten Bestandteil sozialer und gesundheitlicher Dienstleistungen und Dienstleistungsstrukturen sowie das Monitoring des Wohlbefindens zu sichern. Im Rahmen des Schlüsselprojekts der Regierung wurde 2018 eine Ministerempfehlung ausgesprochen, in der Maßnahmen für Kommunen und Landkreise vorgeschlagen wurden, um die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Kunst und Kultur in den Bereichen Sozial- und Gesundheitsförderung zu verbessern. In dieser Empfehlung wurde beispielsweise vorgeschlagen, die im Bereich der Sozialfürsorge und des Gesundheitswesens durchgeführten künstlerischen Aktivitäten in die Planung, das Monitoring und Reporting über den Betrieb und die Finanzen der Gemeinden und Landkreise einzubeziehen. In Bezug auf die Gemeinden wurde vorgeschlagen, Ziele für Kunst- und Gesundheitsaktivitäten festzulegen, z.B. in der Gemeindestrategie bezüglich von Plänen für Wohlbefinden und Kultur. Darüber hinaus sollte die Umsetzung dieser Ziele im Rahmen der strategischen Führung und der Wohlfahrtsberichte der Gemeinden beobachtet werden.3 In den letzten Jahren wurden in Finnland zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um ressortübergreifende Maßnahmen zu unterstützen. Eine der politischen Maßnahmen zur strategischen Förderung der sektorübergreifenden Zusammenarbeit auf ministerialer Ebene ist die interministerielle Arbeitsgruppe für Kunst, Gesundheit und Wohlbefinden.4 Das Ministerium für Bildung und Kultur hat zusammen mit dem Ministerium für Soziales und Gesundheit in den Jahren 2010–2014, 2016–2019 und 2020–2023 drei befristete Arbeitsgruppen eingerichtet. Diese Arbeitsgruppen haben unter anderem aktiv zur Vorbereitung der laufenden Reform des Gesundheits- und Sozialwesens beigetragen. Ziel der aktuellen Arbeitsgruppe ist es, dass Kunst und Kultur ein integraler Bestandteil der Gesundheitsförderung und auch ein integraler Bestandteil der Sozial- und Gesundheitsversorgung werden. Es ist auch bezeichnend, dass die beiden jüngsten Regierungsprogramme (2015–2019 und 2019–2023) die Überschneidungen von Kunst, Kultur, Gesundheit und Wohlbefinden anerkannt haben. Das aktuelle Regierungsprogramm sieht vor, dass die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Verwaltungssektoren verstärkt wird, um die Wohlfahrtseffekte von Kunst und Kultur zu verbessern.

3 4

http://julkaisut.valtioneuvosto.fi/bitstream/handle/10024/161318/key%20project%2 0Expanding%20the%20percent.pdf?sequence=1&isAllowed=y [31.10.2022] https://www.taike.fi/en/art-health-and-wellbeing-advisory-services [31.10.2022]

Liisa Laitinen: 2.3. Finnland

Integration von Kunst und Kultur als Teil der Gesundheitsförderung Derzeit ist in Finnland die Kunst- und Gesundheitsperspektive vor allem im Rahmen der präventiven Gesundheitsförderung integriert. In vielen Gemeinden wurden Kunst und Kultur bereits in den Wohlfahrtsbericht der Gemeinde aufgenommen, der ein gesetzliches Dokument ist, ein Instrument zur Planung, Bewertung und zum Monitoring der kommunalen Wohlfahrtspolitik. Auch in Bezug auf das Monitoring war eine der Schlüsselentwicklungen in den letzten Jahren die Einbeziehung der Kultur in das TEAviisari-Tool5 , ein Online-Service für Kommunen, das die Gesundheits- und Sozialförderungsaktivitäten der Gemeinden beschreibt und auch die Planung und Verwaltung der kommunalen und regionalen Gesundheitsförderung unterstützt. Seit 2019 werden die Maßnahmen, Ressourcen und Betriebspraktiken künstlerischer und kultureller Aktivitäten und Dienstleistungen im Rahmen der Gesundheitsförderung der Kommunen gemessen. TEAviisari enthält 94 Indikatoren, die kulturelle Aktivitäten der Gemeinden beschreiben. Die Datenerhebung erfolgt alle zwei Jahre, was das Monitoring großer Datenmengen ermöglicht. Bemerkenswert ist auch, dass im neuen Umsetzungsplan der Regierungsresolution »Förderung von Wohlbefinden, Gesundheit und Sicherheit 2030«6 , die im April 2021 auf den Weg gebracht wurde, Kunst und Kultur in mehreren Maßnahmen eine herausragende Rolle spielen. Der Plan fördert z.B. die Einführung partizipativer kultureller Praktiken auf nationaler Ebene und den Einsatz von Kunst und Kultur als Teil von Mental Health Skills und enthält strenge Richtlinien für die Förderung und Umsetzung von »Arts and Health«Aktivitäten in Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Regierungsressorts.

Finanzierung von »Arts and Health«-Aktivitäten Ein erheblicher Teil der Gesamtfinanzierung für Kunst und Kultur in Finnland wird durch öffentliche Unterstützung gedeckt. Die wichtigsten öffentlichen Finanzierungsagenturen für »Arts and Health«-Aktivitäten sind das Ministerium für Bildung und Kultur und das Arts Promotion Centre Finnland. Auch öffentlich finanzierte Stellen im Sozial- und Gesundheitsbereich, wie das 5 6

https://teaviisari.fi/teaviisari/en/index [31.10.2022] http://urn.fi/URN:ISBN:978-952-383-670-9 [31.10.2022]

101

102

Arts and Health: Good Practice International

Förderzentrum für Sozial- und Gesundheitsorganisationen (STEA), unterstützen Kunst- und Gesundheitsprojekte. Seit 2020 vergibt das Nationale Institut für Gesundheit und Wohlfahrt eine unabhängige, dem Ministerium für Soziales und Gesundheit unterstehende Expertinnenagentur, auch Förderungen für Kunst- und Gesundheitsaktivitäten – als Teil ihrer Mittel für Gesundheitsförderung. Gemeinden sind eine weitere wichtige finanzielle Säule für die Realisierung von Kunst- und Gesundheitsaktivitäten in der eigenen Region. Finanziert werden die Aktivitäten aus Gemeindezuschüssen. Die Mittel für Aktivitäten an der gemeinsamen Schnittstelle von Kunst und Gesundheit wurden dabei großteils von den kommunalen Kultursektoren vergeben, aber in den letzten Jahren haben sich auch gemeinsame, sektorübergreifende Finanzierungen sowohl aus dem Kultursektor als auch aus dem Sozial- und Gesundheitssektor durchgesetzt. Neben der öffentlichen Hand sind gemeinnützige private Stiftungen wichtige Geldgeberinnen von Kunst- und Gesundheitsaktivitäten. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass in Bezug auf die öffentliche Finanzierung von Kunst und Kultur einige bedeutende Änderungen zu erwarten sind. Bis heute spielt Finnlands staatliches Glücksspielunternehmen Veikkaus Oy eine Schlüsselrolle bei der Finanzierung kultureller Aktivitäten im öffentlichen Sektor. Aufgrund der derzeitigen Kritik am Monopol von Veikkaus Oy sowie der nachteiligen Auswirkungen von Glücksspiel ist es wahrscheinlich, dass der Beitrag von Veikkaus Oy in naher Zukunft erheblich reduziert wird. Diese Änderung wird auch bei den öffentlichen Mitteln für Kunst- und Gesundheitsaktivitäten zu einer gewissen Unsicherheit führen. Derzeit werden Anstrengungen unternommen, um herauszufinden, wie diese Veränderungen in der Finanzierungsbasis gemildert werden können.

Koordinationszentrum für Kunst und Gesundheit Taikusydän Das nationale Koordinationszentrum für Kunst und Gesundheit Taikusydän7 wurde 2015 ins Leben gerufen, als das Ministerium für Bildung und Kultur einen staatlichen Zuschuss für die Einrichtung eines nationalen Koordinierungs- und Kommunikationszentrums für Kunst und Gesundheit einrichtete. Das multisektorale Taikusydän-Zentrum fördert die regionale, nationale 7

https://taikusydan.turkuamk.fi/en/ [31.10.2022]

Liisa Laitinen: 2.3. Finnland

und internationale Vernetzung, organisiert Schulungen, fungiert als Expertinnengremium, verbreitet Informationen und fördert die strategische Entwicklungsarbeit in diesem Bereich. Taikusydän operiert über vierzehn regionale Netzwerke, die gemeinsam nachhaltige Lösungen für die Planung, Produktion und Finanzierung von Kunst- und Gesundheitspraktiken entwickeln. Taikusydän koordiniert auch das Finnish Arts and Health Research Network und verbreitet aktiv Informationen über Kunst- und Gesundheitsforschung. Taikusydän wird von der Turku University of Applied Sciences (Turku UAS) betreut und vom Arts Promotion Centre Finland, der Turku UAS, der Universität Turku, der Stadt Turku und der Stadt Tampere finanziert.

Professionalisierung des finnischen Kunst- und Gesundheitsbereichs Die Schnittstelle Kunst und Gesundheit hat sich in den letzten zehn Jahren in Finnland rasant professionalisiert und es gibt ein zunehmendes Interesse von Künstlerinnen, in den hybriden Kontexten von Kunst, Gesundheits- und Sozialwesen zu arbeiten. Bildung erhält bei dieser Weiterentwicklung eine zentrale Rolle: Die Stärkung des Fachwissens sowohl im Kunst- und Kultursektor als auch im Sozial- und Gesundheitssektor wird, ebenso wie die Stärkung der erforderlichen Kompetenzen und Fähigkeiten für die Arbeit in diesem interdisziplinären Bereich, als entscheidend angesehen. Derzeit werden Ausbildung und Weiterbildungsangebote für verschiedene Zielgruppen und Kontexte entwickelt, in Pilotphasen erprobt und umgesetzt. Insgesamt stehen vier Masterstudiengänge für Studierende mit Kunst- und Kultur- oder Sozial- und Gesundheitswissenschaften-Hintergrund zur Verfügung. Der Wert interdisziplinärer Ansätze bei der Entwicklung und Umsetzung von Kunstund Gesundheitserziehung wird zunehmend anerkannt. Daher richten sich viele Bildungsprogramme an Studentinnen mit unterschiedlichem Hintergrund, und die Kurse werden von multiprofessionellen Pädagoginnenteams durchgeführt.

Am Beispiel von … Kunst- und Gesundheitspraktiken in Finnland In Finnland wird eine Vielzahl von Kunst- und Gesundheitsaktivitäten in vielfältigen Kontexten durchgeführt, die mehrere Ziele verfolgen. Die Aktivitäten

103

104

Arts and Health: Good Practice International

umfassen beispielsweise verschiedene kommunale Kunstinitiativen, die Förderung selbstmotivierter künstlerischer und kultureller Aktivitäten und die Integration von Kunst und Kultur in verschiedene institutionelle Umgebungen wie Krankenhäuser, Pflegeheime, Aufnahmezentren und Gefängnisse. Um einen Eindruck des Spektrums zu vermitteln, werden im Folgenden einige Beispiele für Kunst- und Gesundheitsprojekte und bestehende Betriebsmodelle vorgestellt. Hospital Clowns sind professionelle Darstellerinnen, die für die Arbeit in einer Krankenhausumgebung ausgebildet sind. Hospital Clowns besuchen Kinderstationen in Krankenhäusern und unterhalten und erheitern Patientinnen und ihre Familien während des Krankenhausaufenthalts. Hospital Clowns arbeiten altersgemäß und in Zusammenarbeit mit dem Krankenhauspersonal. Sie können u.a. auch dazu beitragen, Kinder auf Eingriffe vorzubereiten oder sie dabei zu begleiten, Patientinnen zu trösten und zu beruhigen und die Situation zu verarbeiten. Die Finnish Hospital Clowns Association ist landesweit in allen Universitätskliniken in ganz Finnland tätig. In der Stadt Tampere können Kulturempfehlungen für verschiedene Kunstaktivitäten von allen Kindergesundheitskliniken in der Umgebung gegeben werden. Mit einer Kulturempfehlung können Babys, Kleinkinder und ihre Familien kostenlos an einer Vielzahl von Kunstkursen wie Babyzirkus, Familienzirkus und Erlebnis-Farbworkshops für Babys teilnehmen. Krankenpflegerinnen beurteilen die Notwendigkeit einer Überweisung während des Besuchs der Familie in der Kinderklinik. Die Gründe für Überweisungen können vielfältig sein, wie etwa Entwicklungsverzögerungen, eine herausfordernde Lebenssituation der Familie oder fehlende Peergruppen in der Heimatstadt. Zum Beispiel richten sich Babyzirkuskurse an 6–12 Monate alte Babys und ihre Väter und eine Überweisung an den Babyzirkus kann u.a. gegeben werden, um die motorische Entwicklung oder die Bindung zwischen Vater und Kind zu unterstützen. Das Kulturempfehlungsmodell wurde von der Cultural Education Unit TAITE und dem Kulturservice der Stadt Tampere in Zusammenarbeit mit lokalen Kindergesundheitskliniken und Kunstpädagoginnen entwickelt. Kaikukortti ist eine Karte, mit der Jugendliche über 16 Jahren, Erwachsene und Familien, die sich in einer angespannten finanziellen Situation befinden, kostenlosen Zugang zu kulturellen Veranstaltungen und Veranstaltungsorte wie Museen, Konzerte, Festivals und Theateraufführungen und einigen Erwachsenenbildungskursen erhalten. Kaikukortti zielt darauf ab, die soziale Rehabilitation zu unterstützen und die soziale Inklusion zu fördern. Die Zugangskarte wird

Liisa Laitinen: 2.3. Finnland

Kundinnen der kommunalen Sozial- und Gesundheitseinrichtungen gegeben, die Teil des Kaikukortti-Netzwerks sind. Das Betriebsmodell wurde von Culture for All Service mit der finanziellen Unterstützung des Ministeriums für Bildung und Kultur entwickelt. Die nationalen Aktivitäten werden von den KaikukorttiUnterstützungs- und Entwicklungsdiensten koordiniert. Das Modell wird in etwa 50 Gemeinden Finnlands umgesetzt. Kunst- und Kulturbegleiterinnen sind ausgebildete Freiwillige, die eingeladen werden können, Menschen zu verschiedenen kulturellen Aktivitäten wie dem Besuch einer Museumsausstellung, einer Theateraufführung oder eines Konzerts zu begleiten. Sie sind in über 20 Städten in ganz Finnland tätig, und der Service richtet sich an alle, die Gesellschaft oder Unterstützung benötigen oder wünschen, kulturelle Veranstaltungsorte oder Veranstaltungen zu besuchen. Der Service ist kostenlos und Einzelpersonen und Gruppen, die von einem/einer Kunst- und Kulturbegleiter/in begleitet werden, haben Anspruch auf freien Eintritt oder spezielle Ermäßigungen an kulturellen Orten. Der Service wird von Kommunen oder Verbänden unterhalten, mit dem Ziel, Kultur zugänglicher zu machen. Alles in allem gibt es in Finnland eine große Anzahl aktiver Akteurinnen im Kunst- und Sozialbereich, die Kunst- und Gesundheitspraktiken entwickeln und umsetzen. Zum Beispiel bringt der Verband der finnischen Kinderkulturzentren mit seinen 33 Kinderkulturzentren im ganzen Land Zugang zu Kunsterziehung und steigert das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen durch Kunst und Kultur. Das finnische Netzwerk regionaler Tanzzentren, bestehend aus sieben regionalen Zentren, entwickelt Tanzinitiativen auch für kulturelles Wohlbefinden. KULTA ry – eine zentrale Organisation für finnische Kultur- und Kunstverbände – definiert die Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden mit Kunst und Kultur als ein Schlüsselthema in der Advocacy-Arbeit der aktuellen Strategie (2019–2023). Nationale Zentralorganisationen für psychische Gesundheit sind weitere wichtige Akteurinnen in diesem Bereich. Der finnische Zentralverband für psychische Gesundheit, MIELI Mental Health Finland, und der finnische Zentralverband der Familien von Menschen mit psychischen Erkrankungen waren an der Gründung des Kultur- und Wohlbefinden-Pools zusammen mit Kulta ry, Taikusydän, Culture for All Service, Taiteen Sulattamo ry und Kukunori ry beteiligt. Dieser zielt darauf ab, die Einbeziehung von Kunst und Kultur in ganzheitliches Wohlbefinden, Rehabilitation, Präventionsdienste und Bildung in verschiedenen Bereichen, etwa auch im Arbeitsleben, zu stärken.

105

106

Arts and Health: Good Practice International

Quellen Arts Promotion Centre Finland (2021): Beratung in den Bereichen Kunst, Gesundheit und Wohlbefinden, https://www.taike.fi/en/art-health-and-well being-advisory-services [26.09.2022] Culture and Well-being Pool (2021): https://www.kulttuurihyvinvointipooli.fi/ info/in-english/ [26.09.2022] Das finnische Netzwerk regionaler Tanzzentren (2021) https://www.danceinf o.fi/en/infobank-category/regional-dance-centers/ [31.10.2022] Der Finnische Krankenhausclownverband (2021). https://sairaalaklovnit.fi/en/ [26.09.2022] Der Verband der finnischen Kinderkulturzentren (2021): Children’s Cultural Centers, https://lastenkulttuuri.fi/en/childrens-culture-finland/map/ [26.09.2022] Finnische Regierung (2019). Inklusives und kompetentes Finnland – eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Gesellschaft. Programm der Regierung von Premierministerin Sanna Marin 10. Dezember 2019. Veröffentlichungen der finnischen Regierung 2019:33. http://julkaisut.valt ioneuvosto.fi/bitstream/handle/10024/161935/VN_2019_33.pdf?sequence= 1&isAllowed=y [26.09.2022] Finnische Regierung (2021): Förderung von Wohlbefinden, Gesundheit und Sicherheit 2030. Umsetzungsplan. http://urn.fi/URN:ISBN:978-952-383-670 -9 [26.09.2022] Finnische Regierung (2021): Was ist die Reform des Gesundheits- und Sozialwesens? https://soteuudistus.fi/en/health-and-social-services-reform [26.09.2022] KULTA ry (2021). https://kulttuurijataide.fi/en/ [26.09.2022] Kultur für alle (2021): Kaikukortti. https://www.kulttuuriakaikille.fi/kaikukor tti_in_english [26.09.2022] Laitinen, Liisa/Olli Jakonen/Emmi Lahtinen/Liia-Maria Lilja-Viherlampi (2020): From grass-roots activities to national policies – the state of arts and health in Finland. https://doi.org/10.1080/17533015.2020.1827275 [26.09.2022] Laki kuntien kulttuuritoiminnasta 166/2019 [Gesetz über kommunale kulturelle Aktivitäten 166/2019] (FIN) https://www.finlex.fi/fi/laki/alkup/2019/201 90166 [26.09.2022] Liikanen, Hanna-Liisa (2010): Art and Culture for Well-being – proposal for an action programme 2010–2014, Publication of the Ministry of Education

Liisa Laitinen: 2.3. Finnland

and Culture, Finland 2010:9. https://julkaisut.valtioneuvosto.fi/bitstream /handle/10024/75529/OKM9.pdf?sequence=1 [26.09.2022] Ministerium für Bildung und Kultur (2019): Tule luo taide. Taiteen prosenttiperiaatteen laajentamisen kärkihankkeen (2016–2018) loppuraportti [Öffne deine Kunst. Abschlussbericht des Schlüsselprojekts Erweiterung des Prozentsatzes für Kunst (2016–2018)]. Veröffentlichungen des Ministeriums für Bildung und Kultur, Finnland 2019:9. http://julkaisut.valtione uvosto.fi/bitstream/handle/10024/161481/OKM_2019_9_Tule_luo_taide.p df?sequence=1&isAllowed=y [26.09.2022] Ministry of Education and Culture & Ministry of Social Affairs and Health (2018): Recommendation for improving the availability and accessibility of arts and culture in social welfare and healthcare, including health promotion. Ministry of Education and Culture & Ministry of Social Affairs and Health. Helsinki. http://julkaisut.valtioneuvosto.fi/bitstream/handle /10024/161318/key%20project%20Expanding%20the%20percent.pdf?sequ ence=1&isAllowed=y [26.09.2022] Ministry of Education and Culture (2017): Strategy for Cultural Policy 2025 – Ministry of Education and Culture, Publications of the Ministry of Education and Culture, Finland 2017:22 http://julkaisut.valtioneuvosto.fi/bitstrea m/handle/10024/80577/okm22.pdf?sequence=1&isAllowed=y [26.09.2022] Nationales Institut für Gesundheit und Wohlfahrt (2021). TEAviisari. https://t eaviisari.fi/teaviisari/en/index [26.09.2022] Stadt Tampere (2021): Kulttuuri ja vapaa-aika. Vauvoille ja taaperoille. https:// www.tampere.fi/kulttuuri-ja-vapaa-aika/kulttuuri/lapsille/vauvat-taape rot.html [26.09.2022] Taikusydän (2021): Koordinationszentrum für Kunst und Gesundheit in Finnland. https://taikusydan.turkuamk.fi/en/ [26.09.202

107

2.4. Dänemark Mit einigen Bezügen zu Norwegen und Schweden Dorothy Conaghan

Das öffentliche Gesundheitssystem in Dänemark Alle Bürgerinnen in Dänemark genießen eine kostenlose Gesundheitsversorgung. Sie haben gleichen Zugang zu Behandlung, Diagnose und Wahl des Krankenhauses unter der Krankenversicherungsgruppe Eins, für die 98 % aller Däninnen optieren. Zu den Gesundheitsdienstleistungen gehören Grundversorgung und Vorsorge, die Spezialversorgung, die Krankenhausversorgung, die psychische Gesundheitsversorgung, die Langzeitpflege und die zahnärztlichen Leistungen für Kinder. Die restlichen 2 % der Bürgerinnen entscheiden sich für eine Krankenversicherung in der Gruppe Zwei, die einen direkten und schnelleren Zugang zu Spezialistinnen und Behandlungen ermöglicht.

Kulturpolitische Prioritäten In Dänemark besteht das übergeordnete Ziel darin, die kreativen Künste, kulturelle Bildung und Forschung, das kulturelle Erbe und die Medien zu unterstützen, mit dem Auftrag, die allgemeine Bildung und die kulturelle Entwicklung der Bürgerinnen zu fördern. Das als Dänische Kunststiftung (Statens Kunstfonds) bekannte Gremium, das vom Kulturministerium finanziert wird, zielt darauf ab, eine gemeinsame Plattform für die Kulturpolitik zu fördern, ähnlich den nationalen Kunsträten in Norwegen und Schweden. Seit den späten 1990er Jahren wird die gesamtwirtschaftliche Logik der Kulturpolitik als Teil der »Erlebnisökonomie« (experience economy) betont. Der Strategiebericht zur Förderung des künstlerischen Schaffens »Denmark’s Creative Potential 2000« wurde vom Wirtschaftsministerium ins Leben ge-

110

Arts and Health: Good Practice International

rufen. Ziel dieser Strategie war es, das wirtschaftliche Potenzial von Kunst und Kultur zu erschließen. Heute kann die dänische Kulturpolitik als eine Kombination aus dem Architektinnenmodell und dem Facilitator- oder Patronatsmodell beschrieben werden. Im Architektinnenmodell gestaltet der Staat den Rahmen für die kulturelle Entwicklung eines Landes, der den allgemeinen politischen Zielen und Ansätzen aus einer allgemeinen Perspektive folgt: Der Staat baut das Haus, überlässt es aber den Mieterinnen (den Bürgerinnen), die Räume zu dekorieren. So sind Künstlerinnen und Kulturinstitutionen auf öffentliche Mittel angewiesen. Das entgegengesetzte Modell dazu ist das Facilitator and Patron Model. Dieses Modell unterliegt kommerziellen Bedingungen in Form von Ticketverkäufen, privaten Spenden, Sponsoring und Philanthropie. In den letzten Jahren hat sich die Regierung jedoch etwas vom nordischen Kulturarchitektinnenmodell entfernt und Institutionen und Einzelpersonen ermutigt, private Investitionen zu stimulieren, ähnlich wie in anderen europäischen Ländern. Die folgenden vier kulturellen Prioritäten Dänemarks ergeben in ihrem Zusammenwirken ein hybrides Modell: • • • •

Kultur als humanistischer Kunst- und Aufklärungsbegriff; Kultur als anthropologisches/soziologisches Konzept; Kultur im Sinne einer »Erlebnisökonomie«; Kultur als nationale Identität.

Kunstinitiativen im Gesundheitssystem Die schiere Menge an Projektkooperationen und Forschungen zwischen Gesundheitseinrichtungen und Kunstorganisationen in Dänemark ist ein Beleg für den Glauben an die heilende Kraft der Kunstbeteiligung und -intervention im klinischen und allgemeinen Gesundheitsumfeld. In Dänemark werden Kunstinterventionen im Gesundheitskontext jedoch weitgehend, wenn auch nicht ausschließlich, durch Musik durchgeführt. Die meisten Hospize in Dänemark beschäftigen voll qualifizierte und ausgebildete Musiktherapeutinnen. Sie werden von der Region angestellt und laufend mit öffentlichen Geldern finanziert. Einer der Gründe für diesen Erfolg ist die Größe des Hospiz-Settings, das mit selten mehr als 30 Pflegekräften vor Ort klein ist. In dieser Umgebung ist die Musiktherapeutin sichtbar, d.h., alle Mitarbeiterinnen können sehen, wie sich diese Arbeit auf ihre Patientinnen

Dorothy Conaghan: 2.4. Dänemark

auswirkt. Dies ist in Akutkrankenhäusern nicht der Fall, in denen es eine große Anzahl Patientinnen und Personal und eine sehr große Fluktuation von Patientinnen gibt. Außerhalb der Musiktherapie werden alle anderen »Arts and Health«-Interventionen, -Initiativen und -Projekte regional oder lokal organisiert und finanziert. Die Finanzierung und Unterstützung kann eine Kombination aus privater und/oder staatlicher Finanzierung sein, die das oben erwähnte Facilitator- oder Patron-Modell widerspiegelt. Trotz Empfehlungen zur Integration von Kunst in das Gesundheitswesen gibt es weder einen strategischen oder landesweiten Ansatz, noch universelle staatlich finanzierte Richtlinien oder Leitlinien in diesem Bereich.

Forschung & Evaluation In Bezug auf breitere Forschung und Entwicklung sind die besten Beispiele für wichtige Akteure an der Universität Aalborg in der Region Nordjütland angesiedelt. NOCKS1 ist die führende Institution für Arts and Health in Nordjütland und stellt eine Zusammenarbeit zwischen der Region, der Gemeinde, dem Bezirk und der Universität dar. Es geht darum, wie kulturelle Produkte und kulturelle Erfahrungen genutzt werden können, um die Gesundheit der Bürgerinnen zu verbessern. Dies ist ziemlich einzigartig, da es anderswo in Dänemark keine ähnlichen Zentren gibt. Diese Initiative ist an mehreren Initiativen und Aktivitäten beteiligt, die sich auf Kultur und Gesundheit konzentrieren, darunter Forschungsprojekte und Kompetenzentwicklungskurse. Wichtig ist auch, dass sich die Mitglieder dieser Institution an politischen Diskussionen und Debatten über kulturelle Gesundheit beteiligen.2 Forschung und Aktivitäten konzentrieren sich weitgehend, aber nicht ausschließlich, auf therapeutische Interventionen und klinische Auswirkungen von Musik auf die Gesundheit. Zum Beispiel fokussiert das Center for Music in the Brain (MIB) auf die klinische Anwendung von Musik und kombiniert neurowissenschaftliche, musikwissenschaftliche und psychologische Forschung in Musikwahrnehmung, -ausübung, -lernen und -wirkung mit

1 2

NOCKS, frei übersetzt Region Nordjütland, Zentrum für Kultur und Gesundheit https://www.musikterapi.aau.dk/nocks/ [27.09.2022]

111

112

Arts and Health: Good Practice International

dem Ziel, Modelle zur Gehirnfunktion zu testen und die Art und Weise zu beeinflussen, wie wir Musik spielen, lehren, verwenden und hören.3

»Nordische Forschung« Die Forschung und Bewertung von Arts and Health in Dänemark ist mit Forschungsarbeiten in anderen nordischen Ländern verflochten. Im Jahr 2016 wurde ein nordisches Forschungsnetzwerk, das Nordic Network in Research on Music and Public Health, gegründet, um Wissen über Musik als Gesundheitsressource zu entwickeln und zu fördern. Die anschließende Veröffentlichung des Buches »Music and Public Health. A Nordic Perspective« (2018) ist das erste Buch, das das volle Potenzial von Musik als Ressource der öffentlichen Gesundheit dokumentiert. Das Nordic Network in Research on Music and Public Health veranstaltet eine jährliche Konferenz. Dieses Netzwerk wurde 2016 mit dem Ziel gegründet, Forscherinnen aus den Bereichen Musiktherapie, Musikpsychologie und öffentlicher Gesundheit zusammenzubringen, um die Zusammenarbeit und neue Studien darüber anzuregen, wie Musik die Gesundheit fördern und erhalten kann. Forschungs- und Diskussionsthemen sind Gesundheit von Musikschaffenden, Chorgesang als Gesundheitsförderung, musikalische Teilhabe aus Sicht der öffentlichen Gesundheit. Diese Forschungsgruppe ist der International Association for Music and Medicine (IAMM) angegliedert. In den letzten Jahren hat die Forschung in den nordischen Ländern die Beziehung zwischen Musik und öffentlicher Gesundheit erkannt und Musikengagement als gesundheitsfördernd identifiziert. Der dänische Think Tank Music & Health orientiert sich seit 2018 an einem von Lars Ole Bonde (Professor für Musiktherapie, Universität Aalborg – Bonde, 2019) entwickelten Programm, in dem sich der gesundheitsfördernde Zugang zu Musik in fünf verschiedene Bereiche gliedert: • •

3

Musiktherapie ist die spezialisierte Expertise in der Verwendung von Musik als Behandlungsmodus für psychische und somatische Störungen. Musikmedizin ist der Einsatz von Musik (live oder durch Wiedergabegeräte abgespielt) zum Wohle von Krankenhauspatientinnen, ambulanten

https://musicinthebrain.au.dk [27.09.2022]

Dorothy Conaghan: 2.4. Dänemark







Patientinnen oder Bürgerinnen in speziellen Einrichtungen, in der Behandlung sowie in der Rehabilitationsphase und in der Palliativmedizin. Hier sind viele verschiedene Akteurinnen aktiv: Zum Beispiel liefern einige Komponistinnen speziell komponierte Musik für verschiedene Zwecke, z.B. Musik für Krankenwägen. Professionelle Musikerinnen spielen für Patientinnen mit einem erklärten Behandlungsziel, wie z.B. der Verringerung von Angstzuständen oder Depressionen. Musikmedizin muss in engem Dialog mit Ärztinnen, Pflegekräften und ausgebildeten Musiktherapeutinnen verschrieben werden. Gesundheitsmusikerinnen sind meist professionelle Musikerinnen, die ihre Fähigkeiten und ihr Engagement einsetzen, um Freude, Engagement und verbesserte Lebensqualität für Patientinnen in Krankenhäusern und Pflegezentren durch speziell organisierte und personalisierte Live-Auftritte zu schaffen. Musik als Gesundheitsförderung bezieht sich auf speziell konzipierte Musikerlebnisse – im Einklang mit anderen kulturellen Erfahrungen – in einer Reihe von »Culture on Prescription«-Projekten in der Gemeinde Aalborg, inspiriert von schwedischen Projekten in der Region Skåne. Hier sprechen wir von authentischen Kunsterlebnissen, die zur Förderung der Gesundheit eingesetzt werden – nicht als Behandlung durch Therapeutinnen, sondern basierend auf der gut dokumentierten Tatsache, dass partizipative Kunsterlebnisse eine gesundheitsfördernde Funktion haben können. Musik als Ablenkung/Entertainment-Musik in Krankenhäusern und Institutionen. Derzeit werden weitere technologische Lösungen entwickelt, wie zum Beispiel Apps, die sich speziell an Krankenhauspatientinnen oder Menschen mit Demenz richten. Interessant ist der Bereich in dem Zusammenhang, wenn eigens komponierte Musik enthalten ist, und/oder wenn die Musikauswahl auf fachlicher Expertise beruht.

Evaluation Um ein besseres Verständnis und einen besseren Einblick in die Erfahrungen und Bedürfnisse von Kunst- und Gesundheitspraktikerinnen in Bezug auf die Durchführung von Evaluationen in diesem Bereich zu erhalten, wurde von Anita Jensen (Jensen, 2020) ein Evaluierungsleitfaden für Kunst- und Gesundheitsprojekte erstellt. Dieser Leitfaden wurde geschrieben, um den Bedürfnissen von Kunst- und Gesundheitspraktikerinnen in der nordischen

113

114

Arts and Health: Good Practice International

Region gerecht zu werden und eine solide Bewertung und Dokumentation von Projekten zu gewährleisten.4 Die Forschung für diesen Leitfaden wurde von der Universität Aalborg, der Region Nordjütland in Dänemark und der Region Skåne in Schweden finanziert und durchgeführt. Hintergrundrecherchen wurden in Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland durchgeführt. Diese Studie ist insofern wichtig, als die Teilnehmenden aus unterschiedlichen Kunst- und Gesundheitsbereichen kamen. Zu den damit verbundenen Berufsbezeichnungen gehörten: Forschungsmanagerin, Musiktherapeutin, Bibliothekarin, Lehrerin, Kunstberaterin, Theaterpädagogin, Choreografin, Anthropologin, Krankenpflegerin, Kultur- und Freizeitdirektorin, Tanztherapeutin, Museumsdirektorin, Psychotherapeutin, Universitätsprofessorin, Kunstkoordinatorin, Künstlerin, Senior Advisor, Tänzerin, Ärztin.

Institutionen & Ausbildung Musiktherapie-Ausbildung In Bezug auf die institutionelle Ausbildung ist Musiktherapie die vorherrschende Praxis im dänischen Kunst- und Gesundheitsbereich. Kurse sind für Studentinnen der Universität Aalborg (UAA) in Nordjütland verfügbar. Kunsttherapie-Kurse (z.B. für Bildende Kunst oder Tanz) werden nur über private Einrichtungen angeboten, die für Studenteninnen in Ausbildung in der Regel teuer sind.

Ausbildung von »Gesundheitsmusikerinnen« Während es keinen spezifischen anerkannten beruflichen Rahmen für Künstlerinnen gibt, die in diesem Sektor arbeiten, gibt es spezielle Kurse für »Gesundheitsmusikerinnen« an einigen wenigen Musikakademien und Universitäten. Meistens wird dies als »Live-Musik-Medizin« bezeichnet, bei der Musikerinnen solo oder in Gruppen in Gesundheitseinrichtungen Konzerte zur Aufführung bringen. Diese Initiativen werden weitgehend auf Projektbasis und privat finanziert. Um als Gesundheitsmusikerin tätig zu sein, besteht Konsens darüber, dass Musikerinnen auch in diesem Bereich ausgebildet

4

Interview von Anita Jensen mit der Autorin, 28.10.2021

Dorothy Conaghan: 2.4. Dänemark

werden müssen. In den dänischen Musikakademien und Hochschulkonservatorien hat sich eine neue Kultur entwickelt, um Studentinnen für diese Arbeit auszubilden. Die Arbeit im Gesundheitsbereich bringt den Künstlerinnen Sichtbarkeit, Reichweite und beruht auf persönlichem Engagement. Nur die Musiktherapeutinnen in Hospizen sind in Dänemark in Festanstellungen beschäftigt, alle anderen Gesundheitsmusikerinnen arbeiten in der Regel auf Projekt- oder Ad-hoc-Basis.

Social Prescribing Zwischen 2016 und 2019 wurden in Dänemark Social-Prescribing-Initiativen in Form von »Arts on Prescription (AoP)«-Projekten von vier lokalen Behörden erprobt. Sie wurden als Erfolg in Bezug auf die deutliche Verbesserung der psychischen Gesundheit der Teilnehmerinnen bewertet. Das AoP-Projekt in der Stadt Aalborg trägt den Namen »Cultural Vitamins« und läuft über zehn Wochen. Ein Beispiel für die Aktivitäten dieser Social-Prescribing-Initiativen besteht darin, die Teilnehmergruppe in Kultureinrichtungen wie Galerien, Gruppen für kreatives Schreiben und Kunstschulen zu bringen, um dort eine kulturelle Aktivität oder »kulturelle Vitamine« beobachtend zu erfahren und/oder aktiv daran teilzunehmen (Jensen, 2019). In der Stadt Aalborg wurde das Projekt weitergeführt, um den Teilnehmerinnen am Ende der acht- bis zehnwöchigen Pilotdauer Wege und Möglichkeiten zur Fortsetzung einer oder mehrerer dieser Aktivitäten zu bieten. Es wurde auch festgelegt, dass die für die Teilnehmerinnen ausgewählten Aktivitäten von hoher Qualität in gut etablierten Einrichtungen sein sollten. Die staatliche Finanzierung ist mit der Pilotphase ausgelaufen, und jetzt sind es die lokalen Behörden, die diese Arbeit finanzieren. In Aalborg läuft AoP noch immer und wurde um ein Programm für junge Menschen erweitert. Andere Städte führen weiterhin AoP-Programme durch, zum Beispiel Sönderborg, Silkeborg, Nyborg, Herning, Ærø und Halsnæs. Die Programme in diesen Städten sind unterschiedlich lang und richten sich an unterschiedliche Zielgruppen, z.B. an Arbeitslose mit der Initiative of the to the Job«.

115

116

Arts and Health: Good Practice International

Schlussfolgerung Die Bedeutung der Kunst und insbesondere der Musik im Gesundheitswesen zeigt sich in der Vermittlung von Musiktherapeutinnen im Hospiz in Dänemark. Innerhalb der nationalen Empfehlungen ist die Musiktherapie in dieser Hinsicht durch die kontinuierliche Beschäftigung von Musiktherapeutinnen im Hospizumfeld ein nachhaltiger Erfolg. In Norwegen anerkennt und finanziert die staatliche Gesundheitsbehörde auch die Musiktherapie zur Behandlung von Menschen mit Demenz. In der Folge gibt es weitere professionelle Institutionen für Musiktherapeutinnen, die mit Demenzpatientinnen in Norwegen und Hospizeinrichtungen in Dänemark arbeiten. Empfehlungen werden von Ärztinnen und Expertinnen der Musiktherapie getroffen, damit ein effektiver Prozess der Patientinnenversorgung realisiert werden kann. Im Gegensatz zu projektbasierten Initiativen sind dies Beispiele dafür, wie Kunst durch echte und gleichberechtigte partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Künstlerinnen und Angehörigen der Gesundheitsberufe in ein Gesundheitssystem eingebettet werden kann. Innerhalb der wachsenden Literatur zu Arts and Health bleibt die Notwendigkeit eines interdisziplinären Dialogs und der Achtung der Rollen und Verantwortlichkeiten der Partnerinnen ein wiederkehrendes Thema (Uniarts Helsinki, 20215 ). Der analytische Ansatz der oben genannten »Fünf Ansätze zur Musik als Gesundheitsförderung« dient als Ausgangspunkt für die Definition von Rollen und Verantwortlichkeiten im Kontext nicht nur von Musik und Gesundheit, sondern auch für andere Kunstformen wie Tanz und Bildende Kunst. Eine solche Analyse wird der Entwicklung einer nachhaltigen, langfristigen, ressortübergreifenden (einschließlich medizinischen) Zusammenarbeit in allen Kunst- und Gesundheitsbereichen zugutekommen. Obwohl es Dialoge zwischen Politikerinnen, Krankenhaus- und Gesundheitsmanagerinnen und Musikfachleuten gibt, in denen ausgezeichnete Fallstudien mit Musik- und anderen Kunsttherapien erörtert werden, sollten für die Einbettung von Arts and Health in ein Gesundheitssystem alle Akteurinnen, einschließlich Politikerinnen, Ärztinnen, Managerinnen sowie Kunstund Gesundheitstrainerinnen zusammenarbeiten. Um den Bedürfnissen die-

5

https://www.uniarts.fi/en/projects/the-arts-health-collective-creative-solutions-forcomplex-challenges/ [27.09.2022]

Dorothy Conaghan: 2.4. Dänemark

ses multidisziplinären Umfelds gerecht zu werden, wurde am 1. Januar 2015 eine norwegische Gruppe namens POLYFON6 als Wissenscluster gegründet. Diese Gruppe trägt dazu bei, Möglichkeiten zur Beeinflussung der politischen Praxis und des Angebots zu bieten, und baut die Zusammenarbeit zwischen Forschungseinrichtungen und Dienstleistungsunternehmen auf, die die Möglichkeiten in einer systematischeren Nutzung von Musik als Ressource für Gesundheit, Lebensqualität und Beteiligung der Gemeinschaft sehen. Der Cluster arbeitet mit Serviceentwicklung, Forschung, Bildung und Verbreitung, wobei Nutzerbeteiligung und Ko-Kreation zentrale Werte sind. Am auffälligsten an den Evaluationszielen in der dänischen Literatur ist, aus welchem Grund und für wen die Evaluation durchgeführt wurde. Einige Projekte verwendeten die Auswertung in erster Linie, um Geldgeberinnen und Partnerinnen Bericht zu erstatten und nicht, wie POLYFON empfiehlt, um die Wirkung auf die Teilnehmenden zu evaluieren. Andere wiederum bewerteten den kreativen/künstlerischen Prozess und nicht das klinische Ergebnis. Wichtige Herausforderungen wurden in Bezug auf den Evaluierungsprozess berichtet (Jensen, 2020). Die größte Herausforderung für die Forscherinnen ist, die Auswirkungen auf Patientinnen zu messen, und insbesondere die Notwendigkeit, sowohl ästhetische als auch klinische Aspekte und Wirkungen der Intervention auf das Wohlbefinden einzubeziehen. Eine weitere ständige Herausforderung ist Anerkennung und Respekt für Kunstinterventionen in der medizinisch-akademischen Welt zu erhalten. Prof. Bonde empfiehlt für einen nachhaltigen Erfolg den Aufbau einer interdisziplinären »Wissensbasis« im Gesundheitsbereich, damit alle Akteurinnen die Auswirkungen und den Wert der durchgeführten Kunst- und Gesundheitsarbeit erkennen und respektieren können. Wenn dieser Wert nicht von allen an der Partnerschaft beteiligten Akteurinnen gesehen und geschätzt wird, ist die Fortsetzung der kunstwissenschaftlichen Interventionen nicht garantiert, es sei denn, es gibt eine Policy, die ihre fortgesetzte Praxis sicherstellt.7 Für die Zukunft ist also die dänische hybride Verwendung des Architektinnenmodells und des Facilitator- oder Patronatsmodells im Kunst- und Gesundheitssektor lebendig und gut. Mit Mitteln aus staatlichen und privaten Quellen hat die Herausforderung, Kunst und Kultur in das Gesundheitssystem einzubetten, eine realisierbare Zukunft, aber nur, wenn die nachhaltige 6 7

https://gamut.w.uib.no/2020/12/11/polyfon-blir-en-fast-samarbeidsstruktur/ [27.09.2022] Interview mit Prof. Bonde 11. Oktober 2021

117

118

Arts and Health: Good Practice International

Zusammenarbeit, der Dialog und die Anerkennung aller Akteurinnen, einschließlich der politischen Entscheidungsträgerinnen, fortgesetzt werden.

Quellen Bonde, Jens/Töres Theorell (2018): Music and Public Health. A Nordic Perspective, Springer, 2018. https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-319-76 240-1 [23.11.2022]. Bonde, Lars Ole (2019): Five Approaches to Music as Health Promotion, in: Journal of Scientific & Technical Research, 15, S. 11349–11350, https://www .researchgate.net/publication/331988981_Five_Approaches_to_Music_as_ Health_Promotion [26.09.2022] Bonde, Lars Ole (2020): Music and health promotion in Danish/Nordic hospitals – who and how? An essay. https://www.researchgate.net/publication/ 348907980_Music_and_health_promotion_in_DanishNordic_hospitals_who_and_how_An_essay [26.09.2022] Bonde, Lars Ole/Knud Juel/Ola Ekholm (2016): Music and public health: music in the everyday life of adult Danes and its relationship with health. In Nordic Journal of Music Therapy, 25, S. 120. https://www.researchgate.ne t/publication/313338407_Music_and_Public_Health_The_use_of_music_i n_everyday_life_of_adult_Danes_its_health_implications_Lars_Ole_Bon de [26.09.2022] Jensen, Anita (2013): Beyond the borders: The use of art participation for the promotion of health and well-being in Britain and Denmark, in: Arts & Health, 5, S. 204–215. https://www.researchgate.net/publication/2721210 93_Beyond_the_borders_The_use_of_art_participation_for_the_promoti on_of_health_and_well-being_in_Britain_and_Denmark [26.09.2022] Jensen, Anita (2019): Culture Vitamins – an Arts on Prescription project in Denmark. Perspectives in public health, 139, S. 131–136. https://www.rese archgate.net/publication/332276908_Culture_Vitamins_-_an_Arts_on_Pr escription_project_in_Denmark [26.09.2022] Jensen, Anita (2020): Developing an Evaluation Guide for Arts and Health Projects. Nordic Journal of Arts, Culture and Health, 2, S. 154–157. https:// www.researchgate.net/search?q=Developing%20an%20Evaluation%20G uide%20for%20Arts%20and%20Health%20Projects [26.09.2022] Jensen, Anita/Lars Ole Bonde (2020): An Arts on Prescription Programme: Perspectives of the Cultural Institutions. Community mental health

Dorothy Conaghan: 2.4. Dänemark

journal, 56, Springer, S. 1473–1479. Download (kostenpflichtig): https://w ww.researchgate.net/search/publication?q=An+Arts+on+Prescription+Pr ogramme%3A+Perspectives+of+the+Cultural+Institutions [26.09.2022] Olejaz, Maria et al. (2012): Denmark: Health System review: Health Systems in Transition. Kopenhagen: WHO Regional office for Europe. https://apps.w ho.int/iris/bitstream/handle/10665/330321/HiT-14-2-2012-eng.pdf?seque nce=5&isAllowed=y [26.09.2022]

119

2.5. Die Niederlande Das Beispiel der Provinz Fryslân (Westfriesland) Geke Walsma

Um die Integration von Kunst und Kultur in das öffentliche Gesundheitssystem in der Provinz Fryslân zu verstehen, ist ein kurzer Blick auf die Regierungsebenen in den Niederlanden von Bedeutung. Die Niederlande sind eine parlamentarische Demokratie, die auf dem Verhältniswahlrecht basiert, mit einem Zweikammerparlament (den Generalstaaten): dem Oberhaus und dem Unterhaus. Obwohl die Niederlande ein Einheitsstaat sind, ist ihre Regierung traditionell dezentralisiert. Es gibt zwölf Provinzen und 352 Gemeinden. Jede Provinz wird von einem Provinzialrat regiert, der ein Exekutivkomitee, die Provinzexekutive, wählt. Die Provinzen erhalten Mittel der Zentralregierung aus dem Provinzfonds. Jede Gemeinde hat einen Gemeinderat, der von einer von der Krone ernannten Bürgermeisterin geleitet wird. Die Gemeinden werden aus dem Gemeindefonds finanziert. Die verschiedenen Regierungsebenen haben jeweils unterschiedliche rechtliche Verantwortlichkeiten im Bereich des Gesundheitswesens und der Kunst/Kultur.

Das öffentliche Kultur- und Gesundheitssystem in den Niederlanden Auf nationaler Ebene sind zwei Ministerien dafür zuständig, Ziele im Bereich der nationalen Gesundheitsversorgung und Kultur umzusetzen. Dies sind das Ministerium für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport und das Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft. Der rechtliche Rahmen und die Politik dieser Institutionen sind ausschlaggebend für die Provinz- (und Kommunal-)Politik in beiden Bereichen.

122

Arts and Health: Good Practice International

Ministerium für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport1 Ziel des Ministeriums ist die Gesundheitserhaltung bzw. Kranke schnellstmöglich wieder gesund zu machen. Das Ministerium ist weiters bestrebt, Menschen mit einer körperlichen oder geistigen Einschränkung zu unterstützen und die gesellschaftliche Teilhabe zu fördern. Der gesetzliche Rahmen des nationalen Gesundheitswesens setzt sich wie folgt zusammen: •



• •

Das Pflegegesetz, das die 24-Stunden-Pflege oder den Pflegebedarf bei der Unterstützung im Alltag zum Beispiel wegen geistiger oder körperlicher Einschränkungen regelt. Das Krankenversicherungsgesetz; sieht die Akut- und Grundversorgung durch eine Allgemeinmedizinerin, im Krankenhaus, beim Krankentransport und mit anderen Dienstleistungen wie Physiotherapie vor. Das Gesetz über soziale Unterstützung; sorgt dafür, dass jeder an der Gesellschaft teilhaben und unabhängig leben kann. Das Gesetz über die öffentliche Gesundheit; konzentriert sich auf die Förderung der allgemeinen Gesundheit und die Verhütung von Krankheitsrisiken.

Was das Pflegegesetz und das Krankenversicherungsgesetz betrifft, so ist die Regierung für die Erschwinglichkeit, Zugänglichkeit und Qualität der Versorgung verantwortlich und schafft die Voraussetzungen dafür, dass die Gesundheitseinrichtungen und Krankenversicherungen ihre Aufgabe erfüllen können. Die Krankenversicherungen sind gesetzlich verpflichtet, für eine angemessene und qualitativ hochwertige Versorgung zu sorgen. Die Gemeinden sind für die Umsetzung der Gesetze über soziale Unterstützung und öffentliche Gesundheit verantwortlich. Die nationale Regierung teilt das Gesamtbudget auf die Gemeinden auf. Seit 2015 haben die Provinzen keine rechtliche Verantwortung mehr für das öffentliche Gesundheitssystem. Prioritäten innerhalb des Gesundheitsministeriums sind die Förderung des Wohlergehens von Kindern, des psychischen Wohlbefindens, des Wohlbefindens durch Prävention, von Public Health. Ziel der nationalen Politik ist es,

1

https://www.government.nl/ministries/ministry-of-health-welfare-and-sport [31.10.2022]

Geke Walsma: 2.5. Die Niederlande

mit Hilfe eines lokalen sozialen Netzwerks ein längeres und unabhängiges Leben zu Hause zu fördern. Auch um eine inklusive Gesellschaft zu schaffen, an der jede auf ihrer eigenen Ebene teilhaben kann und die Bürgerinnen selbstständiger sein können. Diese Prioritäten ergeben sich aus Veränderungen in der demografischen Struktur und den Bedürfnissen der Menschen.

Das Konzept der positiven Gesundheit

Quelle: https://www.iph.nl/assets/uploads/2022/05/iPH-ENG-Dialogue-tool-2.0.pdf, © iPH

Es gibt mehr Seniorinnen und mehr ältere Seniorinnen (75+), was bedeutet, dass die Nachfrage nach Gesundheitsversorgung vor allem in den letzten zehn Jahren gestiegen ist. Auch gehören ältere Menschen einer anderen Generation an: Die sogenannten Babyboomer, die zwischen 1946 und 1955 geboren wurden,2 haben eine höhere Bildung, ein höheres Einkommen und sind in Relation zu älteren Kohorten gesünder und mobiler. Die Lebensqualität ist für sie ein wichtiges Bedürfnis. In diesem Sinne ist das Konzept der positiven 2

Für Österreich und Deutschland wird die Kohorte der Baby-Boomer für die Geburtsjahre 1955–1969 festgelegt, da starke Geburtenraten hier erst deutlich später eintreten.

123

124

Arts and Health: Good Practice International

Gesundheit zu einem bedeutenden Trend geworden. Dieses Konzept hat eine breitere Perspektive auf das Gesundheitswesen. Es geht nicht um Gesundheit als statische Tatsache oder als Ziel, das es zu erreichen gilt, sondern um die Widerstandsfähigkeit der Menschen, mit den körperlichen, emotionalen und sozialen Herausforderungen im Leben umzugehen.

Das Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft3 Das Ministerium ist dafür verantwortlich, ein intelligentes, qualifiziertes und kreatives Umfeld in den Niederlanden zu schaffen. Seine Mission ist es, sicherzustellen, dass jede eine gute Ausbildung erhält. Das Ministerium möchte auch, dass die Menschen Freude an der Kunst haben, und zielt darauf ab, die richtigen Arbeitsbedingungen für Künstlerinnen, Forscherinnen und Lehrerinnen zu schaffen. Die Rollen der verschiedenen Regierungsebenen sind wie folgt aufgeteilt: •





3

Die Zentralregierung unterstützt direkt ein qualitativ hochwertiges Angebot von Institutionen von nationaler und internationaler Bedeutung, das sich auf eine ausgewogene geografische Verteilung konzentriert und kulturelle Bildung in Schulen und Unternehmerinnentum fördert. Dabei handelt es sich um die sogenannte Basic Infrastructure for Culture (BIS), eine Gruppe von rund 100 Institutionen und sechs nationale Kulturfonds. Diese Fonds haben die Aufgabe, Dynamik, Innovation und Experimente zu fördern. Die Gemeinden unterstützen das lokale und regionale Angebot, Veranstaltungsorte und Museen und unterstützen Angebot auf nationaler Ebene. Dazu gehören die Subventionierung von Veranstaltungsorten, Bibliotheken und Musikschulen sowie die Finanzierung der Verwaltung städtischer Museen. Die Provinzen fördern die Vielfalt und Verbreitung kultureller Einrichtungen in ihrer Region und sind für die Dokumentation und die Raumplanung mit den damit verbundenen Merkmalen des Kulturerbes verantwortlich.

https://www.government.nl/ministries/ministry-of-education-culture-and-science [31.10.2022]

Geke Walsma: 2.5. Die Niederlande

Kulturpolitische Prioritäten in den Niederlanden Die politischen Prioritäten des Kulturministeriums sind im Allgemeinen Internationalisierung, Partizipation, Bildung, Innovation, Talententwicklung, Unternehmerinnentum und die Erhaltung des kulturellen Erbes. In den Planungen für den Zeitraum 2021 bis 2024 liegt der Fokus insbesondere auf der Priorisierung einer fairen Bezahlung im Kultursektor, der größtmöglichen Zugänglichkeit von Kultur für alle, der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Regierungsebenen und einem breiten kulturellen Angebot. Im Policy Letter »Kultur in einer offenen Gesellschaft« (2018) heißt es ausdrücklich: »Kultur hat ihren eigenen Wert, aber existiert nicht isoliert. Wenn ältere Menschen kulturelle Aktivitäten besuchen oder daran teilnehmen, trägt dies dazu bei, ihre Teilnahme an allen Aspekten der Gesellschaft zu verlängern. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Regierung in allen Bereichen die Barrieren zwischen Kultur und anderen Politikbereichen abbaut.«

Die Rolle von Kunst im Gesundheitssystem Die beiden Ministerien haben (noch) keine gemeinsame Politik, um die Integration von Kunst und Kultur in das Gesundheitswesen zu fördern. Im aktuellen Policy Letter des Gesundheits- und Wohlfahrtsministeriums (Oktober 2021) befasst sich der Minister jedoch unter anderem mit der Prävention psychischer Gesundheitsprobleme und der Rolle der Kunst. Interventionen, die auf die Integration von Kunst und Heilung abzielen, werden von der Zentralregierung auf zwei Arten gefördert und finanziert: •

Förderung von Forschungsarbeiten, welche die Auswirkungen von Kunst auf die Gesundheit/das Wohlergehen der Menschen durch national subventionierte Organisationen belegen: o National Centre of Expertise for Cultural Education and Amateur Arts (LKCA) ist die Organisation als Teil der Basic Infrastructure for Culture (BIS), die sich auf Kunst von Amateurinnen und kulturelle Bildung konzentriert. LKCA hat mehrere praktische Leitfäden zur Entwicklung lokaler Politik entwickelt als Inspiration zur Integration von Kultur im Kontext von Gesundheitsversorgung/Wohlfahrt.

125

126

Arts and Health: Good Practice International

Der Rat für Kultur berät über das Gesamtsystem und die einzelnen von der nationalen Regierung finanzierten Institutionen. Er bietet auch strategische Beratung in verschiedenen Fragen der Kulturpolitik, sowohl auf Anfrage als auch auf eigene Initiative, in der Regel auf Antrag der Kulturministerin. o Der Wissenschaftliche Rat für Regierungspolitik ist ein unabhängiger Beirat. Dieser hat einen Bericht über »Kultur aufwerten« verfasst, in dem sich das Gremium für die Aufwertung der Kultur ausspricht. o Das Nationale Wissensinstitut für Wohlfahrt (Movisie) hat mehrere Leitfäden über Kunst und Gesundheit aus der Perspektive der Wohlfahrt erstellt. Finanzierung von Interventionen/Projekten durch Bereitstellung von (befristeten) Zuschüssen: o Ein sehr wichtiger Fonds ist der Kulturbeteiligungsfonds. Dieser Fonds ist Teil des BIS. Über diesen Fonds werden Initiativen unterstützt, die Menschen dazu anregen, sich in Schule und Freizeit aktiv mit Kultur auseinanderzusetzen. o Eines der wichtigsten Förderprogramme für die Integration von Kunst und Gesundheitswesen ist »Making Culture Together«: ein Zuschussprogramm für Projekte, bei denen der soziale und der kulturelle Bereich zusammenarbeiten, um Kultur für alle zu schaffen. Er hat eine Laufzeit von vier Jahren (2020 bis 2024). o Das Pilotprojekt »Altersfreundliche Kulturstadt« (2016–2020) ermutigt mehrere Gemeinden, aktive kulturelle Teilhabe älterer Menschen zu verbessern und zu fördern. Über einen Zeitraum von zwei Jahren arbeiteten Gemeinden und Kulturorganisationen zusammen, um die aktive kulturelle Teilhabe älterer Menschen an der lokalen Kulturoder Sozialförderungspolitik zu erhalten. Leeuwarden, die Hauptstadt der Provinz Fryslân, war von 2016–2018 Teilnehmerin dieses Pilotprojekts. o



Ziel des Subventionssystems von örtlichen Kombinationsbeauftragten (Sportoder Kulturtrainerinnen), speziell für Gemeinden, ist es, Bürgerinnen durch Sport, Bewegung und die Teilnahme an Kunst und Kultur aktiver und damit gesünder zu machen. Weitere nationale Fonds sind:

Geke Walsma: 2.5. Die Niederlande

• •







Der Fonds »Es lebe die Kunst« fördert die kulturelle Unterstützung gefährdeter älterer Menschen in den Niederlanden. VSB-Fonds: Durch Unterstützung von sozialen und kulturellen Projekten wird zu einer aktiven Bürgerschaft, zur Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit beigetragen. Prince Bernard Kulturfonds: Dieser Fonds bringt Menschen und Ideen zusammen, um neue kulturelle Initiativen zu ermöglichen und das kulturelle Erbe zu erhalten. ZonMw4 stimuliert in den Niederlanden die Gesundheitsforschung und Versorgungsinnovation in der gesamten Wissenskette von der Grundlagenforschung bis zur Umsetzung. Durch verschiedene Förderprogramme werden Entwicklung und praktische Anwendung im Bereich Präventionsverbesserung, Pflege und Gesundheit gefördert. Eines der für Gesundheit/ Kultur relevanten Programme ist »Kunst und Kultur in der Langzeitpflege«. Wichtige Mittel für Innovationen im Gesundheitswesen sind die verschiedenen Förderprogramme der meist regionalen Krankenversicherungen, zum Beispiel der Innovationsfonds von De Friesland (wichtigster Krankenversicherer in Fryslân).

Das Beispiel der Provinz Fryslân Die Provinz Fryslân ist eine ländliche Provinz im Norden der Niederlande. Sie hat ungefähr 650.000 Einwohnerinnen und 18 Gemeinden, die hauptsächlich ländlich sind. Es gibt ein großes Angebot für die aktive kulturelle Teilhabe, hauptsächlich über Blaskapellen, Chöre und lokale Theatergruppen. Der Gesundheitssektor ist der größte Arbeitgeber und Wirtschaftszweig der Region. Wie bereits erwähnt, haben die Provinzen seit 2015 keine rechtliche Verantwortung im öffentlichen Gesundheitssystem. Die Rolle der Provinzen im Bereich der Kultur besteht darin, die Vielfalt und Verbreitung kultureller Einrichtungen in ihrer Region zu fördern und für die Sammlungen der Provinzen und für die Raumplanung mit den damit verbundenen Merkmalen des Kulturerbes verantwortlich zu sein. Die Landesregierung hat daher in ihrem Koalitionsvertrag 2015–2019 festgelegt, dass Gesundheitsversorgung und Wohlfahrt in die Kultur-, Wirt4

https://www.zonmw.nl/en/ [31.10.2022]

127

128

Arts and Health: Good Practice International

schafts-, Landwirtschafts- und Infrastrukturpolitik der Provinzen integriert werden. Dies war das Ergebnis einer gemeinsamen Entscheidung der Regierungsebenen, dass entweder die nationale Regierung, die Krankenkasse oder die Kommunen rechtlich für das Gesundheitswesen und die Wohlfahrt verantwortlich sein sollten, die sogenannte Dezentralisierung. Dies war der Ausgangspunkt für die Förderung der Integration des Gesundheitswesens in die Kulturpolitik der Provinzen. In der Kulturpolitik der Provinzen (2017–2020) wurde daher explizit festgehalten, dass Kultur, Sport und Bildung stärker mit dem Gesundheitswesen/der Wohlfahrt verbunden werden. Der Fokus lag zunächst vor allem auf älteren Menschen. Dies ergibt sich aus der Prognose über die demografische Struktur von Fryslân in den nächsten Jahrzehnten. Im kulturpolitischen Bericht mit dem Titel »Neues Podium 2021–2024« lautet eines der Ziele »Kultur in der Gesellschaft«: Kunst und Kultur sind durch Kulturerziehung, Kulturbeteiligung und Amateurkunst für jedermann zugänglich. Die Zielgruppe ist nicht mehr auf ältere Menschen beschränkt.

Relevante Akteurinnen/Netzwerke/Institutionen Die Instrumente zur Förderung der aktiven kulturellen Teilhabe der Provinz ähneln den Instrumenten des Kulturministeriums. Die wichtigsten Institutionen sind dabei: •





Das Friesische Sozialplanungsbüro ist ein unabhängiges Wissensinstitut, das Trends und Entwicklungen im sozialen Bereich analysiert. Die Provinz und die friesischen Gemeinden können diese Informationen und Analysen nutzen, um ihre Politik zu formulieren. Kulturorganisationen, die einen strukturellen Zuschuss erhalten, wie Museen, Festivals, regionaler Rundfunk, die friesische Sprache fördernde Organisationen, Theatergruppen wie Tryater etc. Keunstwurk als Kompetenzzentrum für Amateurkunst, kulturelle Bildung und Partizipation organisieren Konferenzen, helfen bei der Schaffung eines Netzwerks von Kultur-, Wohlfahrts- und Gesundheitsorganisationen in der Provinz und unterstützen Kulturorganisationen dabei, Zuschüsse für ihre Projekte zu finden. In den letzten Jahren haben sie das Projekt »Zeit für Talente« (2016–2018) durchgeführt, in dem Künstlerinnen und Fokusgruppen (hauptsächlich ältere Menschen) neue kulturelle Aktivitäten ins

Geke Walsma: 2.5. Die Niederlande



Leben riefen. Die Künstlerinnen lernten auch, mit dieser neuen Zielgruppe zu arbeiten, und erwarben dadurch neue Fähigkeiten. Ein Lernnetzwerk von Kunst und Kultur im Gesundheitswesen, das von NHL/Stenden (College of Higher Education) durchgeführt wird, hat zum Ziel, ein Netzwerk von Lehrerinnen, Studentinnen, Kultur- und Gesundheitsorganisationen bzw. Fachleuten zu bilden, um Wissen über die positiven Auswirkungen der Integration von Kunst und Kultur im öffentlichen Gesundheitswesen auszutauschen und zu verbreiten. Dieses Lernnetzwerk wurde im Jahr 2021 gegründet.

Wesentliche Akteurinnen für die Entwicklung und Umsetzung der Integration von Kultur und Kunst in das Gesundheitswesen auf Provinzebene sind: •





• •

die friesischen Gemeinden und die Krankenkasse De Friesland; die Gemeinden, weil sie für die Umsetzung des Social Support Act und Public Health Act verantwortlich sind. Sie erstellen die Richtlinie für die Zugänglichkeit, Pflege und für das Monitoring der Einhaltung dieser Gesetze. Die Krankenkassen wegen ihrer gesetzlichen Verantwortung für eine angemessene und qualitativ hochwertige Versorgung auf der Grundlage des Long Term Care Act und Health Insurance Act; die kulturellen Organisationen/Fachleute, Museen, Festivals, regionaler Rundfunk, Theater und Theatergruppen, Selbstständige, Musikorganisationen usw.; die Gesundheitseinrichtungen/Fachkräfte von Krankenhäusern, Pflegeheimen, Heimpflegeorganisationen, (medizinischen) Rehabilitationseinrichtungen, Allgemeinmedizinerinnen, Physiotherapeutinnen; Die Kreativwirtschaft, z.B. Unternehmen, die auf Serious Games/Virtual Reality spezialisiert sind; Sekundar- und Hochschulen, auch Lehrauftrag an der Hochschule von NHL/Stenden.

Forschung und Evaluierung Es gibt viele nationale Berichte, die den Nutzen der Kunst für die Gesundheit untersucht haben, zum Beispiel der Bericht »Kunst mit Fokus auf ältere Menschen praktizieren«. Dieser bestand aus einer Metastudie von mehreren Fallstudien, in denen die Teilnehmerinnen interviewt wurden. Er bildet die

129

130

Arts and Health: Good Practice International

Grundlage für das Bewusstsein für die positiven Auswirkungen von Kunst auf das Gesundheitswesen und die Wohlfahrt (älterer Menschen) in der nationalen Politik und für die Gewährung von Zuschüssen. Ein weiterer wichtiger Bericht ist »Art and healthcare; a search for evidence of health effects (2017)« von einem Konsortium Universität Windesheim, LKCA und Movisie. Diese Studie hat sich auf Forschung, Praxis und Politik konzentriert, um eine Agenda mit vielversprechenden Forschungs- und Entwicklungsbereichen zu entwickeln. Eine wichtige Schlussfolgerung ist, dass starke empirische Beweise fehlen. Dies liegt daran, dass das Paradigma im Gesundheitswesen evidenzbasiert ist, Kunst dagegen die individuelle Kreativität, Erfahrung, Sinnhaftigkeit und eben nicht Standardisierung betrachtet. Kunstspezifische Forschung findet auch meist in kleinen Projekten und mit einer kleinen Forschungsgruppe statt. Auf nationaler Ebene evaluiert das Förderprogramm »Making Culture Together« jedes Projekt auf gewonnene Erkenntnisse in Bezug auf die Zielgruppen und den Einfluss des jeweiligen Zugangs zu Kultur auf fachlicher und Teilnehmerinnenebene mit einem »Projektmonitor«. Oben genannten Berichte und der WHO-Report über die Rolle von Kunst für die Gesundheit und das Wohlbefinden wurden zur Entwicklung der jüngsten Policy »Arts in the Community« herangezogen. Aufgrund der Provinzverantwortung ist die Forschung darauf beschränkt, zu evaluieren, ob die Einrichtungen in der Provinz gleichmäßig verteilt sind und eine gute kulturelle Infrastruktur vorhanden ist. Zum Thema Tanzunterricht für Menschen mit Parkinson liegt eine wissenschaftliche Studie vor. Sie analysierte die Rosenberg-Selbstwertskala und die aktivitätsspezifische Balance Confidence Scale sowie die Movement Disorders Society – Unified Parkinson Disease Rating Scale part III. Diese Studie wurde verwendet, um der Krankenversicherung überzeugende Beweise für die gesundheitlichen Vorteile dieses Projekts vorzulegen. Forschung in den Provinzen Fryslân, Groningen und Drenthe (alle im Norden der Niederlande) zeigt, dass die Anreize für Künstlerinnen, sich an dieser Art von Projekten zu beteiligen, die folgenden Motivationen beinhalten: • •

intrinsische Motivation, die auf eigenen Erfahrungen beruht und von der Zielgruppe inspiriert ist oder eine Affinität zu ihr hat; sie wollen die Möglichkeit schaffen, sich zu treffen, einen Dialog anzuregen, neue Erfahrungen zu schaffen und Menschen zu verbinden;

Geke Walsma: 2.5. Die Niederlande

• •

Kraft zu geben, herauszufordern, Leidenschaft, Schönheit und Inspiration auszudrücken; innovative und künstlerische Konzepte für ein neues Publikum zu entwickeln.

Am Beispiel von … Best Practices in Fryslân Da es in Fryslân erst seit sechs Jahren Bemühungen gibt, die Beziehung von Kunst, Kultur und Gesundheit zu stärken, reichen die Best Practices von »reifen« bis zu »unreifen« Projekten, von Projekten mit einem fortgeschrittenen künstlerischen Wert mit einer gleichberechtigten Zusammenarbeit zwischen Kulturund Gesundheitsfachkräften bis hin zu kleinen Projekten, die auf einer lokaleren Zusammenarbeit basieren und sich auf soziale Teilhabe konzentrieren. Eines der besten Beispiele ist Tanzunterricht für Menschen mit der Parkinson-Krankheit. Tanzlehrerinnen werden in der ganzen Provinz ausgebildet, um Tanzstunden zu geben, die speziell für Menschen mit der Parkinson-Krankheit konzipiert sind. Von Seiten der Physiotherapie werden die Tanzlehrerinnen mit Informationen über die Pathologie dieser Krankheit versorgt und darüber, wie sie Tanzbewegungen integrieren können, um den Teilnehmenden zu helfen, sich besser zu bewegen, körperlich koordinierter und ausgeglichener zu werden. Die Krankenkasse hat im Oktober 2021 entschieden, dass dieses Angebot Teil des Krankenversicherungsgesetzes wird. Das ist einzigartig! Ein nächster Schritt besteht darin, Tanzstunden für Menschen mit chronischen Schmerzen und nicht angeborenen Hirnschäden zu erstellen. Ein weiteres Best-Practice-Beispiel ist Musik & Demenz. Angehörige der Gesundheitsberufe und freiwillige Pflegekräfte werden im Einsatz von Musik in Pflegeheimen und im Haushalt für Menschen mit Demenz von Studentinnen des Konservatoriums geschult. Diese Intervention stammt aus Großbritannien und die Forschung hat gezeigt, dass sie sich positiv auf die Patientinnen, deren Familien und das medizinische Fachpersonal auswirkt, ebenso wie auf die Studentinnen des Konservatoriums, die erkennen, dass sie innovative Konzepte für ein neues Publikum entwickeln können. Ein weiteres Projekt ist der Kultursalon. Dabei handelt es sich zum einen um eine Zusammenarbeit zwischen einer lokalen häuslichen Pflegeorganisation und einer lokalen Musikschule. Zum anderen geht es darum, ein kulturelles Angebot auf hohem künstlerischem Niveau für Menschen zu entwickeln, die einen

131

132

Arts and Health: Good Practice International

Anspruch auf tägliche Aktivitäten im Rahmen des Social Support Act (wmo) haben. Eine kleine Initiative ist auch Sûnens Swing. An mehreren Standorten eines Pflegeheims organisierten die Schülerinnen einen Nachmittag mit Musik und Tanz für ältere Menschen. Diese Aktivität war etwas Besonderes, weil eine weiterführende Schule beteiligt war und sich auch auf die Förderung des Intergenerationenkontakts konzentrierte. In mehreren Gesundheitsorganisationen (für ältere Menschen und Menschen mit einer geistigen Behinderung) gibt es eine spezialisierte Mitarbeiterin, deren Aufgabe es ist, kulturelle Aktivitäten auf hohem künstlerischem Niveau in der Organisation zu propagieren. Das Friesische Museum und das Museum Dr8888 organisieren Führungen für Menschen mit Demenz und ihre Betreuerinnen mit dem Titel »Unvergesslich«. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit einer Gesundheitsorganisation. Die Forschung zeigt, dass es für die Steigerung des Mehrwerts durch Integration von Kultur in das Gesundheitswesen und die Wohlfahrt und umgekehrt von entscheidender Bedeutung ist, die Studentinnen in den Lehrplänen ihrer Ausbildung darüber aufzuklären. Innerhalb der Hochschulbildung von NHL/Stenden wurde kürzlich ein Lern-Netzwerk für Kunst und Gesundheit eingerichtet. Eine Kulturproduktionsfirma deckt die Nachfrage von Sozial- oder Gesundheitsorganisationen mit Schauspielstudentinnen und Studentinnen der Bildenden Kunst ab. Eine Sekundarschule hat in Zusammenarbeit mit einer Gesundheitsorganisation ein Modul für die Ausbildung zur Sozialarbeit für ältere Menschen zum Thema »Musik ist Individualisierung« geschaffen. Seit April 2019 musizieren auf der Onkologiestation eines Klinikums in Leeuwarden jeden Monat professionelle Musikerinnen am Krankenbett der Patientinnen.

Quellen Actiz, Movisie, HKU, Viatore (2017): Transformatieagenda ›Kunst en cultuur met zorg en welzijn‹. https://www.movisie.nl/publicatie/transformatieag enda-kunst-cultuur-zorg-welzijn [31.10.2022] Boekman Stichting (2015): Kunst als recept: gezond ouder worden met kunst. https://www.boekman.nl/tijdschrift/boekman-104-kunst-als-rece pt-2/ [28.10.2022]

Geke Walsma: 2.5. Die Niederlande

Fancourt, Daisy/Saoirse Finn (2019): What is the evidence on the role of the arts in improving health and well-being? A scoping review (= World Health Organization. Health Evidence Network synthesis report 67), https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/329834/9789289054 553-eng.pdf [31.10.2022] Fries Sociaal Planbureau (2016): Fluchschrift Cultuurdeelname van senioren in Fryslân. https://www.fsp.nl/publicaties/cultuurdeelname-van-senioren-i n-fryslan/ [31.10.2022] Fries Sociaal Planbureau (2017): Staat van Friese seniore. https://www.fsp.nl/ publicaties/staat-van-friese-senioren/ [28.10.2022] Fries Sociaal Planbureau (2018): Factsheet Onderzoek naar Friese cultuurverenigingen. https://www.fsp.nl/nieuws/friese-cultuurverenigingen-vergri jzen/ [28.10.2022] Keunstwurk (2018): ›Zolang je leert, leef je. Tijd voor Talent: artistieke projecten op initiatief van 50-plussers‹. https://www.keunstwurk.nl/nieuws/eindeeerste-ronde-tijd-voor-talent-tiid-foar-talint/ [28.10.2022] Landelijk Expertisecentrum Sociale Interventie (2012): Kunstbeoefening met ambitie. Naar een lokaal stimulerings- en faciliteringsprogramma voor kunstbeoefening door ouderen. https://www.langlevekunst.nl/wp-con tent/uploads/2018/09/PDF-07-Lesi-Kunstbeoefening-met-ambitie.pdf [28.10.2022] Lang leve Kunst: Ouderen en cultuur. Van samenwerking naar synergie: Lang Leve Kunst loont (2013–2016). https://www.lkca.nl/publicatie/ouderen-en -cultuur-2013-2016/ [28.10.2022] LKCA (2016): Handreiking lokaal beleid ouderen en cultuur: nooit te oud voor cultuur. https://www.lkca.nl/publicatie/ouderen-en-cultuur-2013-20 16/ [28.10.2022] LKCA (2017): Basis voor cultuurparticipatie. Een agenda voor actieve cultuurparticipatie in de toekomst. https://www.lkca.nl/publicatie/basis-voor-cu ltuurparticipatie/ [28.10.2022] Ministerie van OCW (2015): Brief ›Ruimte voor cultuur: uitgangspunten cultuurbeleid 2017–2020‹. https://www.eerstekamer.nl/overig/20150608/ruim te_voor_cultuur/document3/f=/vjuniokmiehi.pdf [28.09.2022] Ministerie van OCW: (2018): Cultuurbrief ›Cultuur in een open samenleving‹. https://www.rijksoverheid.nl/documenten/rapporten/2018/03/12/c ultuur-in-een-open-samenleving [28.09.2022] Movisie, LKCA en Windeshiem (2017): Kunst en positieve gezondheid: een overzichtsstudie van culturele interventies met mensen die langdurige

133

134

Arts and Health: Good Practice International

zorg en ondersteuning ontvangen. https://publicaties.zonmw.nl/kenniss ynthese-kunst-en-positieve-gezondheid/ [28.09.2022] Movisie (2018): Dossier ›Wat werkt bij culturele interventies voor ouderen: hoe kunst kan bijdragen aan positieve gezondheid‹. https://www.movisie.nl/p ublicatie/wat-werkt-culturele-interventies-ouderen [28.09.2022] Provincie Fryslân (2017): Cultuurparticipatie in Fryslân 2016 https://docplayer .nl/36344424-Cultuurparticipatie-in-fryslan-2016.html [28.09.2022] Provincie Fryslân/gemeente Leeuwarden (2018): LF2018 Ynsicht: 2-meting monitoring en evaluatie. https://assets.citynavigator.nl/kuma-friesland/ uploads/media/5a7964d096733/2-meting-monitoring-evaluatie-lf2018.pd f [28.09.2022] Provincie Fryslân (2019): Cultuurparticipatie door ouderen in Fryslan: een leven lang cultuurparticipatie. Raad van Cultuur (2019): Advies ›Cultuur dichtbij, dicht bij cultuur‹. https://w ww.raadvoorcultuur.nl/documenten/adviezen/2019/04/11/advies-cultuur bestel-2021-2024-cultuur-dichtbij-dicht-bij-cultuur#:~:text=hier%3A%20 Home%20Documenten-,Advies%20Cultuurbestel%202021%20–%202024 %3A%20Cultuur%20dichtbij%2C%20dicht%20bij%20cultuur,het%20cultu urbeleid%20op%20te%20lossen [28.09.2022] RCOAK en Fonds SLuiyterman van Loo (2016): ›Ouderen en kunstparticipatie: een gouden kans. Erken de kracht van kunst en creëer culturele kansen voor ouderen‹. https://docplayer.nl/19344164-Ouderen-en-kunstparticipa tie-een-gouden-kans-erken-de-kracht-van-kunst-en-creeer-culturele-ka nsen-voor-ouderen.html [28.09.2022] Wetenschappelijke raad voor het regeringsbeleid (2015): Cultuur herwaarderen. https://www.wrr.nl/publicaties/verkenningen/2015/03/05/cultuur -herwaarderen [28.09.2022] ZorgInnovatie Forum / IWP Healthy Ageing en de kunsten (2018): ›Verder met kunst & ouderen‹. https://research.hanze.nl/ws/portalfiles/portal/270096 02/rapport_Verdermetkunstenouderen_KCKS_mrt2019.pdf [28.09.2022]

Webseiten Fryslâns Senioren https://www.fsp.nl/publicaties/staat-van-friese-senioren/ [26.09.2022] Institute for Positive Health (iPH), https://www.iph.nl/en/ [26.09.2022] LKCA-publicaties – LKCA, https://www.lkca.nl [26.09.2022]

Geke Walsma: 2.5. Die Niederlande

Making Culture Together – Fonds voor Cultuurparticipatie, https://cultuurpa rticipatie.nl/funding/36/making-culture-together [27.09.2022] Ministry of Education, Culture and Science, https://www.government.nl/min istries/ministry-of-education-culture-and-science [26.09.2022] Ministry of Health, Welfare and Sport, https://www.government.nl/ministrie s/ministry-of-health-welfare-and-sport [26.09.2022] Movisie, https://www.movisie.nl/en [26.09.2022]

135

2.6. Republik Irland1 Arts and Health im Sinne des Subsidiaritätsprinzips Dorothy Conaghan

Das öffentliche Gesundheitssystem in Irland Alle in Irland ansässigen Personen haben Anspruch auf Gesundheitsversorgung durch das öffentliche Gesundheitssystem, das von der Health Service Executive (HSE) verwaltet wird. Dieser Service wird durch die allgemeine Besteuerung und durch Nutzungsgebühren für den Service finanziert. Personen, die weniger als ca. 200 € pro Woche verdienen, haben Anspruch auf eine HSEGesundheitskarte, die der Inhaberin beispielsweise den kostenlosen Zugang zu Hausärztinnen-Besuchen ermöglicht. Personen über 70 Jahren und Kinder unter sechs Jahren erhalten ebenfalls eine Hausärztinnen-Betreuung, alle anderen zahlen eine Gebühr von 55 bis 65 € pro Besuch. Irland ist das einzige Land in Westeuropa, das keine allgemeine Deckung für die Grundversorgung bietet, wobei über 60 % der Bevölkerung aus eigener Tasche Ausgaben für Besuche bei Allgemeinmedizinerinnen, Medikamente und andere Grundversorgungsdienste bezahlen. Konsultationen im Krankenhaus (Notaufnahme) kosten 100 bis 120 € pro Besuch für diejenigen ohne HSE-Gesundheitskarte. Es gibt also eine verborgene Realität hinter dem Anspruch Irlands auf eine universelle Gesundheitsversorgung. Obwohl optional, haben über 45 % der Irinnen eine private Krankenversicherung. Diese hohe Inzidenz privater Gesundheitsausgaben wird durch Nutzerinnen ausgelöst, die versuchen, lange Wartezeiten zu vermeiden. So können beispielsweise private Termine bei Fachärztinnen und elektive Eingriffe in Privatkliniken beschleunigt werden, wenn ein Patient seine private Krankenversicherung in Anspruch nehmen

1

Die »Republik Irland« wird im Folgenden als »Irland« bezeichnet.

138

Arts and Health: Good Practice International

möchte. Die private Krankenversicherung deckt die Gebühren im öffentlichen Gesundheitssystem jedoch nicht ab. Der Ursprung des irischen Zwei-Klassen-Gesundheitssystems geht auf das Jahr 1946 zurück, als das britische National Healthcare System (NHS) gegründet wurde. In dem Bemühen, einen Plan für eine kostenlose Gesundheitsversorgung bereitzustellen, gründete die Regierung eine freiwillige Krankenversicherung (VHI), ein subventioniertes halbstaatliches Unternehmen, das denjenigen, die es sich leisten konnten, eine Krankenversicherung zur Verfügung stellte. Diese politische Entscheidung führte zur Schaffung des zweistufigen Systems, das bis heute in Kraft ist. VHI (und andere private Versicherungsgesellschaften) ermöglichen es den Menschen, bevorzugten Zugang zu elektiver Versorgung sowohl in öffentlichen als auch in privaten Krankenhäusern und bei diagnostischen Untersuchungen zu erhalten. Diese Abhängigkeit von privaten Gesundheitsausgaben als Finanzierungsmechanismus untergräbt die grundlegenden Ziele der Gerechtigkeit und des angemessenen Zugangs innerhalb des Gesundheitssystems (Burke et al., 2018).

Kulturpolitische Prioritäten Im Januar 2020 wurde »Culture 2025, A national Cultural Policy Framework for Ireland« vom Department of Culture, Heritage, and the Gaeltacht (DCHG) veröffentlicht,2 der Regierungsabteilung, die unter anderem für Kunst, Kultur, Film, Musik und die Aufsicht über Irlands nationale Kulturinstitutionen verantwortlich ist. Es ist die erste verschriftlichte nationale Kulturpolitik in Irland seit der Gründung der Republik im Jahr 1922. Es handelt sich um ein Rahmendokument, in dem die irische Regierung ihr Bestreben zum Ausdruck3 bringt, »Kreativität zu fördern, die Bürgerbeteiligung anzukurbeln und mehr Menschen dabei zu helfen, eine nachhaltige Karriere im Kultursektor einzuschlagen, den kulturellen Reichtum Irlands zu fördern und einen kulturellen Beitrag zu umfassenderen sozialen und wirtschaftlichen Zielen zu gewährleisten.« 2 3

Der Begriff Gaeltacht wird verwendet, um die Gebiete Irlands zu bezeichnen, in denen die irische Sprache gesprochen wird oder wurde. https://www.chg.gov.ie/app/uploads/2016/07/culture_2025_framework_policy_docu ment.pdf [28.09.2022]

Dorothy Conaghan: 2.6. Republik Irland

Das vordergründige politische Ziel von Kultur 2025 ist es, einen kooperativeren Ansatz über alle Sektoren im Rahmen des Ministeriums zu entwickeln und dadurch die Kultur in den Mittelpunkt des Lebens der irischen Bürgerinnen zu stellen. Dieses Rahmendokument legt Grundsätze für die öffentliche Politik und die Planung für die Zukunft fest und anerkennt, dass jede das Recht hat, die Kultur ihres Landes zu genießen, zu schaffen und daran teilzunehmen. Es gibt drei grundlegende Prinzipien/Prioritäten: • • •

die Anerkennung des Wertes von Kultur und Kreativität für Einzelne und die Gesellschaft, die Förderung kreativer Praxis und kultureller Teilhabe, die Pflege des kulturellen Erbes.

Dieses Dokument ist eine zeitgemäße Erklärung zur Kulturpolitik und Politikentwicklung, in der der Schwerpunkt auf Vielfalt als Stärke liegt.

Kunst und das Gesundheitssystem Der Glaube an den Wert und Nutzen von Kunst und Kultur für Patientinnen und Mitarbeiterinnen im gesamten Gesundheitswesen zeigt sich international in den zahlreichen Kooperationen zwischen Gesundheitsdiensten und Kunstorganisationen in den letzten 30 Jahren. Auch in Irland hat die Zahl solcher Kooperationen und Projekte stetig zugenommen, was auf insgesamt positive Bewertungen der Wirkung weltweit zurückzuführen ist.4 In Bezug auf die Verankerung von Kunst und Kultur im irischen Gesundheitssystem sind alle Initiativen projektbasiert. Dies bedeutet, dass es keine evaluierte, genehmigte oder gesetzlich verankerte Beschäftigungsstruktur für Künstlerinnen im Gesundheitsbereich gibt. Auch gibt es keinen strategischen Ansatz für eine einheitliche Bereitstellung, der sicherstellen würde, dass Kunst und Kultur außerhalb von einzeln geführten Projekten in das Gesundheitssystem eingebettet werden. Einzelpersonen und/oder lokal geführte Initiativen können bei einer beliebigen Anzahl von »Partnerinnen« Mittel zur Finanzierung von Projekten beantragen und tun dies auch. Wie aus der Literaturliste hervorgeht, gibt es hervor4

https://www.artsandhealth.ie/wp-content/uploads/2021/05/Arts-Health-Mapping-R eport-_2021_FINAL.pdf [28.09.2022]

139

140

Arts and Health: Good Practice International

ragende Beispiele für finanzierte Projekte im Bereich »Arts within Health« in einer Vielzahl von Gesundheitseinrichtungen, und Berichte zeigen Beispiele für bewährte Verfahren. Ohne einen strategischen, von der Regierung geführten Ansatz ist die Bereitstellung jedoch in der Regel lückenhaft und hängt oft vom Elan, der Führung und der Leidenschaft einzelner Personen oder einer Gruppe ab, sodass viele Gebiete des Landes überhaupt keine Versorgung haben.

»Arts and Health«-Institutionen Derzeit gibt es in Irland eher eine Reihe unabhängiger Gruppen als formell anerkannte Institutionen. Die Arts and Health Coordinators Ireland (AHCI) wurden 2003 als Peer-Support-Netzwerk für Kunst- und Gesundheitsmanagerinnen gegründet, die Kunst- und Gesundheitsprogramme in ganz Irland in einer Reihe von Gesundheitseinrichtungen anbieten. Ein weiteres Beispiel für Koordination ist der Waterford Healing Arts Trust (WHAT). Er wurde 1993 gegründet und bietet Patientinnen im Waterford Hospital Kunsterfahrungen. WHAT unterstützt die Entwicklung von Arts and Health in Irland5 und verwaltet die nationale Ressourcen-Website. Diese Website wird vom Arts Council of Ireland und der HSE finanziert. Die Administratorinnen, die dieses Büro koordinieren und leiten, sind fix angestellt, und die Mehrheit der Künstlerinnen arbeitet auf Projektbasis unter Beibehaltung ihrer eigenen künstlerischen Aktivitäten. In Bezug auf die gesetzliche Zusammenarbeit wurde im Dezember 2021 eine neue Gruppe gebildet, um auf eine kohärente Plattform für Kunstinterventionen innerhalb des Gesundheitsdienstes hinzuarbeiten. Ein »Memorandum of Understanding« wurde vereinbart und von vier Stakeholder-Organisationen unterzeichnet.6 Diese Partnerschaft, die als RENEW bekannt ist, zielt darauf ab, auf nachhaltige Weise wirksame und qualitativ hochwertige, nationale kreative Programminitiativen zur Unterstützung spezifischer Ziele für Gesundheit und Wohlbefinden durchzuführen.

5 6

https://www.government.nl/ministries/ministry-of-education-culture-and-science [28.09.2022] Die vier Interessengruppen sind: das Regierungsministerium für Tourismus, Kultur, Kunst, Gaeltacht, Sport und Medien, das Gesundheitsministerium, die Health Service Executive und der Arts Council.

Dorothy Conaghan: 2.6. Republik Irland

Finanzierung »Arts and Health«-Interventionen werden größtenteils von der HSE, dem Arts Council, lokalen Fundraising-Initiativen und privaten Spenden finanziert. Es sei darauf hingewiesen, dass die Zahl der finanzierten Programme nicht die Höhe der gewährten Mittel widerspiegelt und dass viele Kunst- und Gesundheitsprojekte auf der freiwilligen Arbeit von Künstlerinnen und Musikerinnen beruhen. Im Review von 2020 (McCabe et al.) wird festgestellt, dass viel Zeit und Energie darauf verwendet wurden, sich Gedanken darüber zu machen, wie ein Projekt finanziert und aufrechterhalten werden kann. Das Fehlen einer konsistenten Finanzierung ist die größte Herausforderung für die künftige Entwicklung von Arts for Health in Irland.

Akteure/Netzwerke/Institutionen Im Bereich Arts and Health wurde in Irland viel hervorragende Grundlagenarbeit geleistet. Obwohl Berichte und Forschungsarbeiten die Vorteile von Kunst und Kultur innerhalb und außerhalb des Gesundheitswesens untersuchen, gab es darin keine klare Unterscheidung zwischen Arts in Health und Arts for Health. Wie bereits erwähnt, fungiert die Kunst- und Gesundheitswebsite, die vom Waterford Healing Arts Trust und den Kunst- und Gesundheitskoordinatoren verwaltet wird, als wichtigste Akteurin, die die Rolle und die Bedeutung von Arts and Health fördert. Die häufigsten Stakeholder/Geldgeberinnen, die für die Durchführung von »Arts and Health«-Programmen und -Projekten verantwortlich sind, sind lokale Behörden, gefolgt von der HSE und Kunstorganisationen, Bildungseinrichtungen, Community und Freiwilligenorganisationen. »Arts and Health«-Projekte richteten sich in erster Linie an die Nutzerinnen der Gesundheitsdienste, wobei einige auch Familien, Freunde, Betreuerinnen und Gesundheitspersonal einbeziehen. Die meisten »Arts and Health«-Programme und -Projekte werden aus einer Kombination von den zuvor angeführten Einkommensquellen finanziert.

Forschung und Evaluierung Im »Arts and Health Mapping Review 2021« wiesen nur 63 % der Programme eine Evaluierung auf, die meisten Programme veröffentlichten keine Forschungs- oder Strategiedokumente. Die Evaluierung der Programme wird

141

142

Arts and Health: Good Practice International

derzeit auf Ad-hoc-Basis und in der Regel von den am Projekt beteiligten Akteurinnen durchgeführt. Sie tendieren dazu, ausschließlich darüber zu berichten, wie viele Personen teilnahmen und wie viele Personen/Künstlerinnen Input gaben. Messungen oder Erläuterungen aus klinischer Sicht, sowohl der gesundheitlichen als auch der psychischen Ergebnisse für diese Interventionen, fehlen meist. Dieses niedrige Niveau der Evaluierung bzw. die fehlende systematische, akademische Forschung im Rahmen von Kunst und Gesundheit kann als Ergebnis dieser Projektinitiativen gesehen werden, die vorwiegend nicht von wissenschaftlichen Expertinnen, sondern von Künstlerinnen und Kulturmanagerinnen vorangetrieben werden. Irische Künstlerinnen und Kulturmanagerinnen stellen allerdings Bezug zur Evidenz rund um die Vorteile von Arts and Health her, die durch internationale Forschung erbracht wird. Das Fehlen eines strategischen, breiten und einheitlichen Evidenz schaffenden und politikorientierten Ansatzes in Irland verhindert jedoch die Einbettung der Künste in das Gesundheitssystem und ihre Erforschung und Bewertung aus einer informierten medizinischen, sozialen und wirtschaftlichen Perspektive. Im Zusammenhang mit dieser Frage ist anzumerken, dass vier von zehn im Bericht untersuchten Programmen zwischen 27 und 52 Wochen dauerten und eine durchschnittliche Laufzeit von 31 Wochen hatten. Die meisten Programme hatten mehrere Geldgeberinnen, wobei 13 % kein Budget und lediglich 2 % ein Budget von 300.000 € oder mehr hatten. Die Implikationen für Künstlerinnen werfen Fragen der Karrierestruktur, der Berufsausbildung und Anerkennung, der Arbeitsplatzsicherheit und der Beschäftigungsbedingungen auf. Darüber hinaus führt die Kultur der Freiwilligenarbeit in irischen Krankenhäusern zu der Erwartung, dass Künstlerinnen auch auf Pro-bono-Basis arbeiten.

Kommentar Im Gegensatz zu einem politikorientierten Ansatz beruht das Modell eines lokal oder individuell gesteuerten Ansatzes für Arts and Health auf der Prämisse, die lokal verfügbaren Ressourcen und Fachkenntnisse optimal zu nutzen. Dieser Ansatz, der oft als Subsidiaritätsprinzip bezeichnet wird, ist zwar lobenswert und funktioniert dort, wo Fachwissen, Initiative und Willen vorhanden

Dorothy Conaghan: 2.6. Republik Irland

sind, aber er ist kein Ersatz einer nachhaltigen universellen Versorgung und deren Gewährleistung kann auch nicht erwartet werden. Darüber hinaus kann das »agenturübergreifende Modell« der Partnerschaft zur Durchführung von »Arts and Health«-Projekten die politischen Ziele von Partnerorganisationen widerspiegeln, die möglicherweise die gleichen nutzerzentrierten Ziele und Interessen teilen oder priorisieren. »Arts and Health«-Programme in Irland finden in einer Reihe von Gesundheitseinrichtungen statt. Die Projekte werden in der Regel von Künstlerinnen selbst initiiert und finden nur statt, wenn eine ausreichende Finanzierung gesichert werden kann, die meist von einer Vielzahl von Partnerinnen stammt. Es gab kein Beispiel oder einen Bericht über ein »Arts and Health«-Projekt, das entweder von Angehörigen der Gesundheitsberufe und/oder von der Gruppe von Personen, an die das Projekt gerichtet war, initiiert wurde. Dienstleistungsnutzerinnen/Patientinnen waren als Stakeholder abwesend. Obwohl der Arts Council und die Health Service Executive seit den frühen 1990er Jahren zusammenarbeiten, ist das Fehlen einer politischen Richtlinie und eines Gesetzes, das sich verpflichtet, Kunst und Kultur als integralen Bestandteil der öffentlichen Gesundheitsversorgung zu unterstützen, nicht in der Lage, eine universelle und nachhaltige Versorgung zu gewährleisten. Ein Beispiel dafür war die exzellente und erfolgreiche kunstbasierte Intervention in einem Dubliner Krankenhaus »Open Window« (zitiert in Fancourt/Finn, 2019: 37). Da es als Projekt für einen Zeitraum von fünf Jahren finanziert wurde, fand es trotz exzellenter Bewertung keine Folgefinanzierung und wurde eingestellt. Obwohl sich die Zahl von »Arts and Health«-Initiativen seit 2001 versechsfacht hat, findet ein höherer Anteil an Projekten statt, bei denen seit langem Partnerschaften bestehen. Diese Erfolgsbeispiele auf regionaler oder lokaler Ebene verstärken wiederum die Ungleichheiten der projektgesteuerten Bereitstellung auf nationaler Ebene. In einer Reihe nationaler Politikfelder wird der Zusammenhang zwischen Kunst und Wohlbefinden sowie der Wert und die Vorteile einer solchen Überschneidung anerkannt, und die Rückmeldungen von Arbeitnehmerinnen deuten darauf hin, dass die Überbrückung der Lücke bei der Umsetzung der Politik nach wie vor eine Herausforderung darstellt. Die Bemühungen, diese Lücke zu schließen, spiegeln sich in der oben erwähnten Partnerschaft RENEW wider. Diese Partnerschaft befindet sich jedoch in einem frühen Stadium ihres Bestehens, Auswirkungen auf die Förderung eines strategischen Ansatzes für die Politik und das Angebot für Arts and Health in Irland lassen sich noch nicht absehen.

143

144

Arts and Health: Good Practice International

Quellen Arts and Health Coordinators Ireland: Ein freiwilliges Netzwerk von Fachleuten, die Kunst- und Gesundheitsinitiativen in Irland leiten; siehe https://a rtsandhealthcoordinatorsireland.wordpress.com/. [28.09.2022] Arts and Health. Policy Strategy 2010–2014, veröffentlicht vom Arts Council of Ireland. https://www.artsandhealth.ie/wp-content/uploads/2011/08/Ar ts-Council-Arts_and_health_policy_strategy-2010_2014.pdf [26.09.2022] Das National Centre for Arts and Health am Tallaght University Hospital existiert, um die Patientinnenversorgung zu verbessern und die Vorteile von Kunst im Gesundheitswesen zu fördern. Das Zentrum bietet ein Kunstprogramm für alle, die das Krankenhaus besuchen. Es ist bestrebt, Best Practice in Arts and Health durch berufliche Entwicklung, Evaluierung und Forschung zu fördern. https://www.tuh.ie/Departments/ArtsDepartment-–-National-Centre-for-Arts-and-Health/Research-Publicat ions.html [26.09.2022] Der Arts Council of Ireland ist die irische Regierungsbehörde für die Entwicklung der Künste. Er arbeitet in Partnerschaft mit Künstlerinnen, Kunstorganisationen, politischen Entscheidungsträgerinnen und anderen, um einen zentralen Platz für die Künste im irischen Leben zu schaffen. In Bezug auf Arts and Health hat der AC veröffentlicht: »The Arts and Health Handbook – a practical guide« (2003). Diese Publikation stützt sich auf die Erfahrungen von Künstlerinnen und Gesundheits- und Sozialarbeiterinnen. Es bietet einen praktischen Leitfaden für die Einrichtung und Verwaltung eines Kunstprojekts in einem Gesundheits- und Sozialwesen in Irland. https://www.artsandhealth.ie/guidelines/the-arts-health-hand book-a-practical-guide-pdf/ [26.09.2022] Die nationale Kunst- und Gesundheitswebsite https://www.artsandhealth.ie wurde im Oktober 2011 gestartet und bietet Ressourcen und eine Anlaufstelle für Arts and Health in Irland. Es handelt sich um eine unabhängige nationale Website, die von der HSE und dem Arts Council of Ireland finanziert wird. Die Website enthält Ressourcendokumente, Fallstudien, ein Kontaktverzeichnis, Perspektiven zu einer Reihe von Themen und aktuelle Nachrichten. Diese Website wird derzeit vom Waterford Healing Arts Trust (WHAT) mit Unterstützung einer unabhängigen Redaktion verwaltet. Ein Manifest für Kunst und Gesundheitspraxis in Irland 2019, zusammengestellt von einer Gruppe von Kunst- und Gesundheitskoordinator*innen in

Dorothy Conaghan: 2.6. Republik Irland

Irland, 2016. https://www.artsandhealth.ie/wp-content/uploads/2020/02 /A-MANIFESTO-FOR-ARTS-AND-HEALTH-PRACTICE-IN-IRELAND-2 019-A5-Logo-on-reverse-2.pdf [26.09.2022] Kartierung von Kunst- und Gesundheitsaktivitäten in Irland (2019), https://w ww.artsandhealth.ie/wp-content/uploads/2021/05/ACHI-Infographic-La ndscape-5.pdf [26.09.2022] McCabe, Catherine et al. (2016): An Assessment of the scope and nature of arts and health practice in Irland, in: Public Health Panorama, 6 (1), S. 35–43. https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/331564/php-61-35-43-eng.pdf?sequence=1&isAllowed=y [28.09.2022]

145

2.7. Highlights aus den USA Arts and Health als Thema der größten Kulturinstitutionen Jennifer Davison

Wie in Europa sind Künstlerinnen, Medizinerinnen und Forscherinnen seit mehreren Jahrzehnten mit den Themen Musik, Tanz und Kunst als Medizinoder Therapieform in Nordamerika aktiv. Diese Arbeit, die jetzt unter dem Dach von Arts in Health oder Neuroarts definiert wird, sieht einen dynamischen Schritt in Richtung Konvergenz und entwickelt sich zu einem potenziell transformativen neuen Bereich in Gesundheit und Wohlbefinden in den Vereinigten Staaten und Kanada. Eines der etablierten Aktivitätszentren befindet sich rund um die Harvard University und die Gegend von Boston, wo eine aktive Gruppe von Medizinerinnen und Studentinnen vor 30 Jahren die Longwood Symphony1 gründete, um ihre Widerstandsfähigkeit bei der täglichen Arbeit zu stärken. Ihr begleitendes Sozialprogramm »The Healing Art of Music«2 hat in 25 Jahren mehr als 2,5 Millionen Dollar an Spenden erbracht; kürzlich hat sich ein Longwood Chorus hinzugefügt, dessen Mitgliederzahl sich im letzten Jahr verdoppelt hat. Dieses Engagement half dem Mass Cultural Council3 auch, das erste Pilotprojekt für soziale Verschreibungen in den USA im Bundesstaat Massachusetts zu entwickeln, das sich nach positiven ersten Ergebnissen derzeit in der zweiten Phase befindet. Die National Organization for Arts in Health (NOAH)4 mit Sitz in San Diego, Kalifornien, arbeitet seit 2016 aktiv an der Zusammenführung und Weiter-

1 2 3 4

http://longwoodsymphony.org [28.09.2022] http://longwoodsymphony.org/healing-art-of-music [27.09.2022] https://massculturalcouncil.org [27.09.2022] https://thenoah.net [27.09.2022]

148

Arts and Health: Good Practice International

entwicklung des Feldes, führt aber ihre eigentliche Geschichte auf die seit 1989 geleistete Arbeit zurück. Ein weiteres Zentrum der Bewegung befindet sich im bekannten Forschungszentrum der University of Florida in Gainesville. Unter der Leitung der Tänzerin und Forscherin Dr. Jill Sonke (seit Ende 2022 von Jenny Baxley Lee) leistet das Shands Arts in Medicine Center5 seit mehr als 30 Jahren Pionierarbeit in den Pflegeprogrammen von Krankenhäusern und in Community-Zentren. Als erste Universität in den USA bietet die University of Florida Bachelor- und Master-Abschlüsse in Music in Medicine und Arts in Health sowie Online-Graduiertenzertifikate in beiden Bereichen an, womit gleichzeitig ein Zertifizierungsmodell und strenge Standards für die Ausbildung zukünftiger Praktikerinnen geschaffen werden. Im September 2021 veranstaltete das Metropolitan Museum of Art in Zusammenarbeit der New York University eine zweimonatige Initiative mit dem Titel »Healing Arts New York: The Future is Unwritten«6 , die von der globalen Organisation Culture Runners mit dem World Council of Peoples der Vereinten Nationen sowie der WHO und der NeuroArts Blueprint koproduziert wurde. Das ist ein Beispiel dafür, dass die Kunst- und Gesundheitsbewegung auf der Spitze der Kulturinstitutionen angekommen ist. Das letzte Symposium präsentierte viele und unterschiedliche Stimmen auf diesem Gebiet, darunter Christopher Bailey, der als ausgebildeter Schauspieler und nunmehriger Leiter der WHO für Kunst und Gesundheit die Rolle des Künstlers und des Global Health Advocate verkörpert.

NeuroArts Das Sound Health Network7 , eine Partnerschaft der National Institutes of Health (NIH), des Arts Endowment, des John F. Kennedy Center for the Performing Arts und deren künstlerischen Beraterin Renée Fleming wurde im Januar 2021 gegründet und markiert einen weiteren Meilenstein in der Erweiterung der Forschung und der öffentlichen Information der »Arts and Health«Mission. Unter der Leitung von Frances Collins, einem Arzt und Musiker, hat das NIH kürzlich angekündigt, in den nächsten fünf Jahren 20 Millionen 5 6 7

https://artsinmedicine.ufhealth.org [27.09.2022] https://www.culturunners.com/healing-arts-new-york [27.09.2022] https://soundhealth.ucsf.edu [27.09.2022]

Jennifer Davison: 2.7. Highlights aus den USA

US-Dollar für die Finanzierung von Forschungsprojekten bereitzustellen, die das Themenfeld Musik und Gehirn erschließen. Die Finanzierung trägt zum Aufbau von Forschungslabors an zahlreichen Universitäten im ganzen Land bei. Renée Fleming, Sopranistin mit Weltruhm und künstlerische Beraterin für das Kennedy Center, stellt ihren Namen und ihre Begeisterung für diese Partnerschaft als Beraterin und Fürsprecherin zur Verfügung. Außerdem ist sie künstlerische Beraterin für eines der spannendsten Projekte, das NeuroArts Blueprint8 , welches aus einer Zusammenarbeit der Johns Hopkins University und dem Aspen Institute hervorging und 2021 ein Dokument veröffentlicht hat, in dem die Schritte zur Zusammenführung und zum Aufbau des Feldes beschrieben werden.

Quellen National Organization for Arts in Health. (2017): Arts, health, and well-being in America. San Diego, CA. Donwload: https://www.americansforthearts. org/node/101238 [14.11.2022] Golden, T. L., Springs, S., Kimmel, H. J., Gupta, S., Tiedemann, A., Sandu, C. C., & Magsamen, S. (2021): The use of music in the treatment and management of serious mental illness: a global scoping review of the literature. In Frontiers in psychology, 12, 880. https://www.researchgate. net/publication/350523649_The_Use_of_Music_in_the_Treatment_and_ Management_of_Serious_Mental_Illness_A_Global_Scoping_Review_of_ the_Literature [14.11.2022] The Aspen Institute. (2021): NeuroArts Blueprint: Advancing the Science of Arts, Health, and Wellbeing. https://neuroartsblueprint.org/wp-content/ uploads/2021/11/NeuroArtsBlue_ExSumReport_FinalOnline_spreads_v32 .pdf [14.11.2022] Sonke, J., Golden, T., Francois, S., Hand, J., Chandra, A., Clemmons, L., Fakunle, D., Jackson, M.R., Magsamen, S., Rubin, V., Sams, K., Springs, S. (2019): Creating Healthy Communities through Cross-Sector Collaboration [White paper]. University of Florida Center for Arts in Medicine / ArtPlace America. https://arts.ufl.edu/site/assets/files/174533/uf_chc_whitep aper_2019.pdf [14.11.2022] 8

https://neuroartsblueprint.org [27.09.2022]

149

150

Arts and Health: Good Practice International

Mass Cultural Council (2022) Culture Rx Report, Public Health Institute of Western Massachusetts, https://massculturalcouncil.org/documents/Cult ureRx_SocialRx_Evaluation_Final_2022.pdf [14.11.2022]

3. Arts and Health: Österreich

3.1. Grundlagen des Gesundheitssystems in Österreich Ein fragmentiertes Bild Edith Wolf Perez

Mit 11,5 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) weist Österreich unter den OECDLändern einen der höchsten Etats für das Gesundheitswesen auf.1 Dieser finanzielle hohe Aufwand wird von der Bevölkerung, die zu 99,9 % krankenversichert ist, überwiegend positiv bewertet und hat sich auch in der Covid-19Pandemie als berechtigt erwiesen. Das Gesundheitssystem wird durch einen Mix aus allgemeinen Steuereinnahmen auf Bundesebene (40 %) und einkommensabhängigen Pflichtbeiträgen der sozialen Krankenversicherung (60 %) finanziert. Das österreichische Gesundheitssystem ist komplex und fragmentiert: Die Zuständigkeiten verteilen sich auf die Bundes- und Landesebene. Viele Aufgaben sind an Selbstverwaltungsorgane delegiert (Sozialversicherung und Berufsverbände von Gesundheitsdienstleisterinnen). Auch die Finanzierung des Systems ist geteilt, wobei Bund, Länder sowie die Sozialversicherungsträger mit jeweils unterschiedlichen Teilen zum Budget beitragen. Während die Gesetzgebung auf Bundesebene in der Regel vom Bundesministerium für Gesundheit, Soziales, Pflege und Konsumentenschutz (BMGSPK) ausgeht, sind die Bundesländer administrativ und großteils auch finanziell für Krankenhäuser und die spitalsambulante Versorgung zuständig. Die extramurale Versorgung wird zwischen Krankenversicherungsträgerinnen und Ärztekammern verhandelt. Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) übernimmt Aufgaben in den Bereichen Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung, Gesundheits-

1

Wert 2020 laut Statistik Austria https://www.statistik.at/web_de/statistiken/mensch en_und_gesellschaft/gesundheit/gesundheitsausgaben/index.html [28.10.2022]

154

Arts and Health: Österreich

förderung und Prävention, Gesundheitsplanung und Politikberatung, Kontrolle von Infektionskrankheiten, medizinisches Krisenmanagement sowie Umweltmedizin und Hygiene. Die öffentliche Gesundheitspolitik und -praxis ist auf eine Vielzahl an Akteurinnen aus verschiedenen Sektoren (Gesundheit, Bildung, Soziales, Umwelt etc.), darunter einige Bundesministerien, Sozialversicherungsträger, die Bundesgesundheitsagentur (BGA), den Obersten Sanitätsrat, die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (AGES) sowie weitere Körperschaften verteilt. Auch Universitäten, Forschungsinstitute, NGOs und Expert*innengruppen übernehmen Funktionen im öffentlichen Gesundheitswesen und in der öffentlichen Gesundheitsforschung. Diese sind u.a. die Österreichische Gesellschaft für Public Health, das Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment (LBI-HTA), das Institut für Gesundheitsförderung und Prävention GmbH (IfGP) sowie die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), zu der der Fonds Gesundes Österreich (FGÖ) gehört. Zahlreiche bisherige Reformversuche zielten darauf ab, die Zusammenarbeit und die Koordination im Gesundheitssystem zu verbessern. (Siehe auch Abb. 1., Organigramm des Österreichischen Gesundheitssystems.) In den letzten Jahren gab es zwei große reformpolitische Entwicklungen, deren Ziel es war, die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern und die Zersplitterung der Zuständigkeiten und der Finanzierung im Gesundheitsversorgungssystem durch die Förderung einer gemeinsamen Planung und Entscheidungsfindung sowie, soweit möglich, auch einer gemeinsamen Finanzierung zu überwinden. Die erste Entwicklung war die Einführung der Gesundheitsziele Österreich, im Jahr 2011, die der österreichischen Gesundheitspolitik sowie insbesondere laufenden Reformen als neuer Orientierungsrahmen dienen sollten. Die andere betrifft die Einführung der Zielsteuerung Gesundheit, die durch die beiden Bundes-Zielsteuerungsverträge in den Jahren 2013 und 2017 formell bekräftigt wurde. Obwohl in den letzten Jahren Anstrengungen unternommen wurden, die Transparenz für die Bevölkerung zu erhöhen, sind die Gesundheitsinformationssysteme weiterhin uneinheitlich.

Quelle Bachner/2019:21

Organigramm des Österreichischen Gesundheitssystems, 2017.

Edith Wolf Perez: 3.1. Grundlagen des Gesundheitssystems in Österreich 155

156

Arts and Health: Österreich

Die 10 Gesundheitsziele Seit 2011 stecken unter der Leitung des BMGSPK zehn »Gesundheitsziele Österreich«2 den Rahmen für eine Gesamtpolitik ab, die den »Health in all Policies«-Ansatz verfolgt. »Die zehn Gesundheitsziele wurden in einem breit abgestimmten Prozess mit zahlreichen Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Gesellschaft entwickelt. Bis zum Jahr 2032 bilden sie den Handlungsrahmen für eine gesundheitsförderliche Gesamtpolitik. Um die Gesundheit und die Lebensqualität der Menschen zu erhöhen und den steigenden Kosten in der Gesundheitsversorgung entgegenzuwirken, sollen die Gesundheitsziele dazu beitragen, die Zahl der gesunden Lebensjahre zu erhöhen.« Die 10 Gesundheitsziele sind: •



• •

• • • • • •

2

Gesundheitsförderliche Lebens- und Arbeitsbedingungen für alle Bevölkerungsgruppen durch Kooperation aller Politik- und Gesellschaftsbereiche schaffen Für gesundheitliche Chancengerechtigkeit zwischen den Geschlechtern und sozioökonomischen Gruppen, unabhängig von der Herkunft, für alle Altersgruppen sorgen Die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung stärken Die natürlichen Lebensgrundlagen wie Luft, Wasser und Boden sowie alle unsere Lebensräume auch für künftige Generationen nachhaltig gestalten und sichern Durch sozialen Zusammenhalt die Gesundheit stärken Gesundes Aufwachsen für alle Kinder und Jugendlichen bestmöglich gestalten und unterstützen Gesunde Ernährung mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln für alle zugänglich machen Gesunde und sichere Bewegung im Alltag durch die entsprechende Gestaltung der Lebenswelten fördern Psychosoziale Gesundheit bei allen Bevölkerungsgruppen fördern Qualitativ hochstehende und effiziente Gesundheitsversorgung für alle nachhaltig sicherstellen.

https://gesundheitsziele-oesterreich.at [28.10.2022]

Edith Wolf Perez: 3.1. Grundlagen des Gesundheitssystems in Österreich

Forcierung der Primärversorgung Im Bereich der Prävention liegt der Fokus noch immer stark auf der medizinischen Vorsorge, allerdings gibt es Bemühungen, auch verstärkt soziale und Umweltaspekte mit einzubeziehen. Hierbei war die Forcierung der Primärversorgung durch eigens eingerichtete multiprofessionelle und interdisziplinäre Primärversorgungseinheiten (PVE) ein besonders wichtiges Ziel. Diese Einheiten fungieren als primärer Zugangspunkt zum Gesundheitssystem und nehmen eine zentrale und koordinierende Funktion ein. Das Primärversorgungsgesetz aus dem Jahr 2017 schafft die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Errichtung von Primärversorgungseinheiten (PVE), die außerdem durch spezifische Programme unterstützt werden. PVEs können entweder als Zentrum oder als Netzwerk an mehreren Standorten geführt werden. Sie bestehen aus einem multiprofessionellen Kernteam, das sich aus Ärztinnen für Allgemeinmedizin, Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege sowie Ordinationsassistentinnen zusammensetzt, und nach Bedarf aus Fachärztinnen für Kinderund Jugendheilkunde sowie anderen Gesundheits- und Sozialberufen (z.B. Physiotherapeutinnen oder Sozialarbeiterinnen). PVEs müssen bestimmte Anforderungen in Bezug auf den Leistungsumfang, Öffnungszeiten, Hausbesuche und die Behandlung von Patientinnen mit speziellen Bedürfnissen erfüllen sowie die Versorgungskontinuität der lokalen Bevölkerung sicherstellen. In neun dieser PVEs wurde im Jahr 2021 versuchsweise »Social Prescribing« eingeführt.

KURZINFO Die Österreichische Gesundheitspolitik ist auf viele Akteurinnen aufgesplittert. Die Reformanstrengungen der letzten Jahre versuchen die Zuständigkeiten besser aufeinander abzustimmen. Für die Implementierung von »Arts and Health«-Initiativen im öffentlichen Gesundheitssystem sind dabei die Formulierung der 10 Gesundheitsziele, die Einführung der Primärversorgungszentren und Social Prescribing bedeutend.

157

158

Arts and Health: Österreich

Quelle Bachner, Florian/Julia Bobek/Katharina Habimana et al. (2019): Das österreichische Gesundheitssystem. Akteure, Daten, Analysen, https://apps.who. int/iris/handle/10665/327980 [07.09.2022]

3.2. Social Prescribing Gedanken zur Umsetzung in Österreich Christoph Redelsteiner

»Social Prescribing« ist ein aus Großbritannien stammender Überbegriff für unterschiedliche Konzepte, Patientinnen, hauptsächlich aus Ärztinnenpraxen oder Primärversorgungseinrichtungen, und als Ergänzung zur eigentlichen medizinischen Behandlung an lokale, gemeindenahe soziale Strukturen und von diesen getragene Aktivitäten zu vermitteln. In Großbritannien kann diese Tätigkeit auf mehreren Ebenen erfolgen: •





Ein simpler Hinweis (beispielsweise schon im Rahmen des Erstkontaktes), dass ein soziales Bedürfnis erkannt wird und Betroffene durch Übergabe eines Informationsmediums (Flyer, Visitenkarte, QR-Code, …) auf adäquate Angebote hingewiesen bzw. Kontaktstellen vermittelt werden. Dies erfolgt meist schon durch Ordinationsassistentinnen und wird in Anlehnung an Wegweiser »Signposting« genannt. Im Rahmen einer Behandlung durch (Haus-)Ärztinnen, Physiotherapeutinnen, Krankenpflegepersonen bzw. Angehörige anderer Gesundheitsberufe werden diese selbst als »Linkworkerinnen« aktiv, ermitteln über die medizinischen Aspekte hinausgehende Bedürfnisse und vermitteln Patientinnen weiter. Gesundheitsfachkräfte verweisen Patientinnen zu definierten »Linkworkerinnen«, damit nichtmedizinische Bedürfnisse erhoben und Patientinnen an entsprechende Ressourcen angebunden werden. Diese speziellen »Linkworkerinnen« werden eingesetzt, um z.B. die Gesundheitsfachkräfte zeitlich zu entlasten, weil die Angebotslandschaft so vielfältig ist, dass eine entsprechende Vermittlung eine umfangreiche angebotsspezifische, regionale bzw. lokale Kenntnis verlangt; oder weil es eine grundlegendere Beratung der Patientin in Fragen der Alltags- und Lebensgestaltung braucht.

160

Arts and Health: Österreich

Diese Beratungen finden persönlich statt, ggf. aber auch telefonisch oder über Videokonferenz. Der Begriff »Linkworker« ist in Großbritannien gesetzlich nicht geschützt.1 Eine einheitliche Definition ist nicht vorhanden, ebenso gibt es keine gesetzlich erforderliche Mindestausbildung. Je nach Anbieter und Region handelt es sich um Personen, die in die Tätigkeit zwar entsprechend eingeführt werden, jedoch keine formelle Schulung besitzen, Personen, die einen der dazu eingerichteten Kurse in der Dauer von 2 bis 3 Tagen absolviert haben, Gesundheitsfachkräfte mit einer Ergänzungsausbildung oder Sozialarbeiterinnen. Der NHS umschreibt »Linkworker« als Personen, die Menschen helfen, Freundschaften, Kompetenzen und Resilienz durch Verknüpfung zu Gruppen im Gemeinwesen zu entwickeln. In manchen Einrichtungen erfolgt eine Ausdehnung der Beratung auf Themen wie Lebensstil, Sucht, Ernährung, Sozialrecht, Arbeitslosigkeit, Erziehung, Obdachlosigkeit etc.

Social Prescribing in Österreich Das Konzept des »Social Prescribing« wurde von Juni bis Dezember 2021 in einer Pilotphase erstmals in Österreich umgesetzt. Die damit verbundene und zum Ausdruck gebrachte Wiederentdeckung und Stärkung des biopsychosozialen Gesundheitsmodells ist zu begrüßen. Pionierarbeit leistete in Österreich Ilse Arlt (1876–1960), die 1912 die erste Fürsorgeschule in Wien gründete und darüber hinaus 13 menschliche Grundbedürfnisse definierte. U. a. betonte sie damit bereits Aspekte regionaler gesunder Ernährung, Methoden der Erholung, die Bedeutung der »Geistespflege« und sozialer Netzwerke für das »Gedeihen« von Menschen (vgl.

1

Einzelne Konzepte bezeichnen »Linkworkerinnen« auch als »Care Coordinator«, »Wellbeing Coordinator« oder »Health Advisor«. Diese Bezeichnungen werden vom Verfasser kritisch gesehen: Die Koordination von Versorgung erfordert Sozialarbeiterinnen und Pflegepersonen mit Ausbildungen im Case- und Caremanagement. Eine »Wohlbefindenskoordinatorin« verspricht hingegen durch diese Bezeichnung mehr als gehalten werden kann und nimmt den Patientinnen damit auch einen Teil der Verantwortung für das eigene Wohlergehen alleine schon semantisch ab. »Gesundheitsberaterin« sollte eine Person mit entsprechender Professionalisierung in einem Sozialund Gesundheitsfachberuf sein.

Christoph Redelsteiner: 3.2. Social Prescribing

Arlt 1958/2010: 65ff.). Diese Grundbedürfnisse finden sich in späteren systemischen Modellen der Sozialen Arbeit, Konzepten von Public Health und Modellen von Gesundheitsdeterminanten wie von Dahlgren und Whitehead (1991) wieder. Sozialmedizinisch bzw. biopsychosozial denkende Medizinerinnen überweisen seit langem Patientinnen an Sozialarbeiterinnen und andere psychosoziale Fachkräfte. Die genannten Akteurinnen sind auch seit 1984 mancherorts in Praxisgemeinschaften unter einem Dach aktiv und arbeiten im Gemeinwesen. Aktuell finden sich diese Ideen in der Konzeptionierung der interprofessionellen Primärversorgungseinheiten, die mittelfristig auch eine entsprechende regionale Verbreitung zur Versorgungssicherung benötigen. Dabei stehen neben Ärztinnen und Krankenpflegerinnen in unterschiedlichem zeitlichem Ausmaß auch spezialisierte Fachkräfte wie Sozialarbeiterinnen, Ergotherapeutinnen, Hebammen, Diätologinnen bzw. Psychotherapeutinnen zur Verfügung, die auch Aspekte des »Linkworkings« erfüllen können. Die FH St. Pölten, Department Soziales, hat im Auftrag der Gesundheit Österreich GmbH ein entsprechendes Ausbildungsmodul für Gesundheits- und Sozialberufe entwickelt. Es werden beispielsweise Kurzseminare im Bereich Social Prescribing / Linkworking angeboten. Im Bachelorstudium Soziale Arbeit sind diese Inhalte im Curriculum abgebildet. Zentral am Ansatz des »Social Prescribing« ist die konsequente Ausrichtung auf gesundheitsfördernde Aktivitäten und das dialogische Suchen nach den Stärken und Interessen von Menschen – die damit die Gelegenheit haben, aus der Patientinnenrolle in eine Nutzerinnenrolle auf Augenhöhe zu wechseln. Das Angebot ist breit gefächert: Angebote aus Kunst und Kultur, Weiterbildung, Sport, Bewegung, Freizeit, Natur, Ernährung und soziale Aktivitäten etc. eignen sich für »Social Prescribing«. Das erfordert auf Seiten der Linkworkerin die Bereitschaft, pathologisierende Zuschreibungen zu reduzieren und sich verstärkt an salutogenetischen Aspekten zu orientieren: Was hält Menschen gesund? (Vgl. Antonovsky.) Es benötigt unter anderem eine Ausbildung und Praxis in Gesprächsführung und eine umfassende Kenntnis des lokalen und regionalen Netzwerkes. »Social Prescribing« ist ein vielversprechender Ansatz zur Stärkung von Menschen als Ergänzung zu rein medizinischen Behandlungsstrategien. Als »Linkworkerinnen«, die die Suche nach gesundheitsfördernden Ressourcen begleiten, kommen Sozial- und Gesundheitsfachberufe mit zumindest entsprechender Bachelorausbildung in Betracht. Das macht es notwendig, Methoden wie »Motivational Interviewing« zum Zwecke der im Dialog ge-

161

162

Arts and Health: Österreich

führten Suche nach konkreten gesundheitsfördernden Angeboten in der Ausbildung und Fortbildung verstärkt darzustellen und konkret zu üben.

Angebote im Social Prescribing.

Quelle: Eigene Darstellung

Die Erfassung, Analyse und Beziehungspflege zu Netzwerkressourcen in der Region ist eine eigene und umfangreiche Aufgabenstellung, die Kenntnisse aus den Bereichen Sozialarbeit, Soziologie und Public Health erfordert. Social Prescribing identifiziert also auch fehlende Angebote, die ggf. in der eigenen Organisation angeboten oder in der Region entwickelt bzw. durch Kooperation mit spezialisierten überregionalen Ressourcen, Diensten oder online für die entsprechenden Klientinnen verfügbar gemacht werden müssen. »Social Prescribing« setzt daher bei der individuellen Arbeit mit Nutzerinnen als auch bei der Gemeinwesensentwicklung an.

© Christoph Redelsteiner 2021

Gemeinwesenarbeit: Social Prescribing – Linkworking – Generischer Prozess. Haltungen, ethische Aspekte: NutzerInnenperspektive, Partizipation…

Christoph Redelsteiner: 3.2. Social Prescribing 163

164

Arts and Health: Österreich

Am Beispiel von … »Theater auf Rezept« in Graz Edith Wolf Perez Um Umsetzungserfahrungen mit Social Prescribing (SP) in Österreich zu sammeln, hat das BMSGPK 300.000 Euro für einen Projektcall »Social Prescribing in der Primärversorgung« im Jahr 2021 zur Verfügung gestellt. Von 17 Einreichungen wurden neun gefördert. Bei der Auswahl wurde auf möglichst große Heterogenität der Einrichtungen geachtet, um breite und vielfältige Erfahrungen zu sammeln und daraus zu lernen (u.a. Stadt – Land; spezielle Zielgruppen, wie etwa Menschen, die nicht versichert sind, oder Menschen mit Migrationshintergrund; bereits länger etablierte vs. im Aufbau befindliche Einrichtungen). Mitte Juni haben die Einrichtungen aus vier Bundesländern mit der Pilotierung von SP begonnen. Die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) begleitet die Umsetzung wissenschaftlich und stellt Qualitätssicherungsmaßnahmen zur Verfügung, wie Schulungen für die Personen mit Linkworking-Funktion, eine standardisierte Dokumentation und eine – extern beauftragte – Evaluation. Des Weiteren werden durch das Projektteam der GÖG Vernetzungstreffen organisiert, die dem Austausch von Umsetzungserfahrungen und Fachwissen dienen und in einem Handbuch münden sollen. Ziel des Projekts ist es, Umsetzungserfahrungen zu generieren und darauf aufbauend fachliche Grundlagen für eine nachhaltige Implementierung in Österreich zu entwickeln. In Graz lag ein Fokus auf Kunst und Kultur. Der Grazer Gesundheitsstadtrat Robert Krotzer stellte den am Social Prescribing Pilot teilnehmenden PVEs, »Allgemeinmedizin Graz Gries« und »Medius«, zusätzlich zur Förderung aus dem Call einen Betrag von je 2.500 Euro für den Besuch von Kulturveranstaltungen zur Verfügung2 . Für ihn standen dabei gesellschaftspolitische Überlegungen im Mittelpunkt. Es geht um gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe, denn »finanziell Benachteiligte sind oft von Kunst und Kultur ausgeschlossen«. In diesem Sinne betreibt die Stadt Graz auch eine Reihe von Projekten wie das aktive Musizieren mit professionellen Musikerinnen in Pflegeheimen – »Liederschätze« aus den 50er und 60er Jahren oder die Interpretation von Liedern des Grazer Komponisten Robert Scholz – und die Veranstaltung von Konzerten mit Studierenden der Kunstuniversität. In Zukunft plant Krotzer, das Kulturangebot im Rahmen von Social Prescribing auf das Gerontopsychiatrische Zentrum in Graz auszuweiten.

Christoph Redelsteiner: 3.2. Social Prescribing

Im Primärversorgungszentrum Gries3 war die Sozialarbeiterin Tanja Kreidl4 Linkworkerin, bei Medius5 waren vier Mitarbeiterinnen in dieser Funktion tätig, der Ergotherapeut Klaus Gasperl6 war für den Bereich »Kunst auf Rezept« zuständig. Zuerst ging es darum, Netzwerke aufzubauen und Kooperationspartnerinnen zu finden. Dabei spielte das Schauspielhaus eine führende Rolle, lud im Vorfeld zu Veranstaltungen ein, um die Linkworkerinnen für sein Programm zu sensibilisieren. Für die Besucherinnen gab es mit der Initiative »Schauspielhaus Aktiv« die Möglichkeit zum Besuch einer Theatervorstellung in einer Gruppe mit anschließender Diskussion. Das Kulturangebot richtete sich besonders an Klientinnen, die sozial benachteiligt, isoliert oder von Vereinsamung betroffen sind. Mit einer Social-PrescribingZuweisung konnten diese Tickets für eine Veranstaltung erhalten, z.B. für ein Schauspiel oder einen Kabarettabend. Sie wurden motiviert, sich eine Begleitperson mitzunehmen, um die soziale Komponente mit zu berücksichtigen. Medius hat außerdem eine Zusammenarbeit mit dem Verein »Gemma« realisiert, der sich mit einem niederschwelligen inklusiven kulturellen Angebot wie gemeinsamen Stadtspaziergängen um den Dialog zwischen jungen Migrantinnen und jungen Österreicherinnen bemüht. Für die Zukunft wünscht sich Gasperl mehr partizipative Kunst- und Kulturangebote, für deren Initiierung in der Pilotphase zu wenig Zeit zur Verfügung stand. Im Primärversorgungszentrum Gries gab es über das Theaterangebot hinaus Mal- und Gestaltungsworkshops sowie Musiktherapie. Tanja Kreidl konnte sogar den exotischen Wunsch eines Klienten, traditionelles japanisches Bogenschießen (Kyudo) zu lernen, erfüllen. Nachdem auf Grund von Covid-Maßnahmen und Lockdowns das Kontingent während der Social-Prescribing-Pilotphase nicht erschöpft wurde, können die beiden Grazer PVEs weiterhin Kunst und Kultur für das Wohlbefinden ihrer Klientinnen anbieten. Die Evaluierung zum Social Prescribing Pilotcall ist publiziert7 . Bei Redaktiosschluss lief der Fördercall »Social Prescribing in der Primär- und pädiatrischen Versorgung« für 2023/24..8

2 3 4 5

https://www.graz.at/cms/beitrag/10375866/8106610/Jetzt_auch_in_Graz_Theater_au f.html [28.10.2022] https://www.allgemeinmedizingries.at [27.09.2022] Geleitetes Interview mit Tanja Kreidl von Edith Wolf Perez am 3. Februar 2022 https://www.medius.at [27.09.2022]

165

166

Arts and Health: Österreich

Quellen Antonovsky, Aaron (1997): Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Deutsche Herausgabe von Alexa Franke. Tübingen: dgvt-Verlag. Antosik, Jennifer (2020): Social Prescribing – eine Möglichkeit für die neue Primärversorgung in Österreich. FH Burgenland. https://fhburgenland.cont entdm.oclc.org/digital/collection/p15425dc/id/92194/ [26.09.2022] Antosik, Jennifer/Daniela Rojatz/Sandra Ecker/Sabine Haas (2021): Social Prescribing in der Primärversorgung – Ein Projektcall zum Sammeln von Umsetzungserfahrungen in der Praxis und zur Weiterentwicklung fachlicher Grundlagen. ÖGPH Newsletter, September 2021. S. 13–14. Haas, Sabine/Joy Ladurner/Daniela Rojatz/Petra Winkler (2020): Prozesskonzept zur Etablierung von Social Prescribing in einer Primärversorgungseinheit. Wien: Gesundheit Österreich. Download. https://www.goeg.at/si tes/goeg.at/files/inline-files/SP_Prozesskonzept_bf.pdf [28.10.2022] Haas, Sabine/Julia Bobek/Gudrun Braunegger-Kallinger/Joy Ladurner/Petra Winkler (2019): Factsheet Social Prescribing der Taskforce Sozioökonomische Determinanten an der Gesundheit Österreich GmbH. https://fgoe.or g/sites/fgoe.org/files/inline-files/Fact_Sheet_Social_Prescribing_2019.pd f [28.10.2022] Redelsteiner, Christoph (2018): Soziale Arbeit als Gesundheitsberuf. In: Günter Flemmich/Angelika Hais/Tom Schmid (Hg.) Gesundheitsberufe im Wandel, Lit Verlag Wien, S. 137–150. https://primaerversorgung.org/w p-content/uploads/2020/01/2018-Redelsteiner-Gesundheitsberuf-Soziala rbeiterIn-In_Gesundheitsberufe-im-Wandel.pdf [26.09.2022] Redelsteiner, Christoph (2020): »Social Prescribing« – Überweisung zur Sozialarbeit – Soziales auf Rezept? In: Sozialarbeit in Österreich. Fachzeitschrift für Soziale Arbeit in Österreich 04/2020, S. 32–36. Redelsteiner, Christoph/Michaela Moser/Florian Zahorka (2019): Gemeinwesenzentrum Orth an der Donau. gemeinsam.gesundheit.gestalten. llse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung Fachhochschule St. Pölten, https://www.gemeinwesenzentrum.at [26.09.2022]

6 7 8

Geleitetes Interview mit Klaus Gasperl von Edith Wolf Perez am 11. Februar 2022 https://www.goeg.at/SocialPrescribing https://www.goeg.at/Foerdercall_SP_PV_Paed.V

Christoph Redelsteiner: 3.2. Social Prescribing

Websites https://www.fhstp.ac.at/de/studium-weiterbildung/soziales/soziale-arbeitmaster/projekte1/social-prescribing-sozialarbeit-auf-rezept [28.10.2022] https://www.gov.uk/government/publications/social-prescribing-applying-a ll-our-health/social-prescribing-applying-all-our-health [28.10.2022] https://www.linkworker.co.uk [28.10.2022] https://www.nhs.uk [28.10.2022] https://www.socialrx.co.uk/blogs/blog/definition-link-worker [28.10.2022]

167

3.3. Arts for Health – auf Rezept? Ein Kommentar aus Sicht eines Juristen Johannes Gregoritsch

»Gesundheit ist mehr«

© Musisches Zentrum Wien

Theater nein – Glühwein ja? Es war ein bemerkenswertes Urteil belgischer Richter am Ende des Jahres 2021, mit dem die wegen COVID-19 von der belgischen Regierung verfügten Schließungen sämtlicher Kultureinrichtungen aufgehoben wurden. Hauptargument des Urteils war, dass den Kultureinrichtungen unbegründeterweise pauschal Aktivitäten verboten wurden, während Gastro-Einrichtungen und Glühwein-Stände den Betrieb aufrechterhalten durften.

170

Arts and Health: Österreich

Die klagenden Kulturschaffenden hatten übrigens gezielt auch mit gesundheitsfördernden Aspekten argumentiert und darauf hingewiesen, dass Kunst, Musik und Literatur, gerade in sehr belastenden Zeiten, die Menschen unterstützen können. Was hat dies mit der hier zu besprechenden Thematik zu tun? Natürlich schärfen die Corona-Krise und die damit verbundenen Pandemiemaßnahmen geradezu wie ein Brennglas den Blick auf die Gesellschaft mit all ihren Wirkungszusammenhängen und Facetten – und ganz besonders auch auf die Bedürfnisse der Menschen.

Gesundheit ist mehr Covid-19 und insbesondere die Maßnahmen zu dessen Bekämpfung haben vielen von uns schmerzlich ins Bewusstsein gehoben, dass Gesundheit mehr ist als die Abwesenheit von Krankheit. Wir alle waren nicht nur um unsere physische Integrität besorgt und um die körperliche Gesundheit der uns persönlich wichtigen Menschen – oder auch der Bevölkerung in Österreich, Europa und weltweit. Wir alle haben darüber hinaus unter dem Entzug von sozialen Kontakten, kulturellen Anregungen, sinnlichen Erlebnissen und kreativem Austausch mit anderen Menschen, kurz: dem Verlust an »Schönem und Wohltuendem« gelitten. Schon die Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus 1946 weist darauf hin: Gesund sein heißt nicht nur nicht körperlich oder seelisch krank zu sein, sondern bedeutet einen Zustand des physischen, mentalen und sozialen Wohlbefindens. Aus meiner persönlichen Erfahrung, sei es in meinem Arbeitsumfeld oder als gelegentlich Unterrichtender, kann ich dazu beisteuern, dass ich vor der Krise bei der von mir immer wieder gerne unternommenen »routinemäßigen Abfrage« bei Kolleginnen und Teilnehmerinnen immer habe feststellen können, dass eine Mehrheit sich nach dieser WHO-Definition für gesund erachtete. Eigentlich hat mich das immer erstaunt, aber vor allem fand ich es ein sehr gutes Zeichen dafür, dass wir wohl gar nicht so schlecht unterwegs zu sein schienen. Und jetzt? Seit dem Ausbruch von Corona bekam ich praktisch von keinem und keiner Einzigen mehr eine positive Antwort auf meine Frage. Und dies lag keineswegs an einer etwa aktuell vorliegenden Infektion und auch nicht nur an der Verunsicherung gegenüber möglichen »biologischen« Covid-Gefahren!

Johannes Gregoritsch: 3.3. Arts for Health – auf Rezept?

Und so passt genau dazu, was die WHO und auch die EU mit umfassenden Papieren zu den Zusammenhängen zwischen den Künsten und der Gesundheit berichtet hat. Nämlich, dass sich insbesondere kreative Beschäftigungen, aber auch das Wahrnehmen (Konsumieren) von Kunst, sowohl auf die psychische als auch auf die physische Gesundheit positiv auswirken können.

Krankheit verhindern Im Bereich der Gesundheitsförderung und Vorsorge ist die Einschätzung, dass Kunst und Kultur für die Gesundheit von Bedeutung sind, schon länger verbreitet. Hier wird über positive Ergebnisse berichtet. Insbesondere geht es um Erfolge bei der Entwicklung von Bewältigungsstrategien, Resilienz usw. Bei konkreten potenziell gesundheitsschädlichen Erlebnissen, etwa von Kindern und Jugendlichen bei Trennung der Eltern, bei wirtschaftlichen Sorgen, Mobbing, Belastung durch mediale Reizüberflutung usw. zeigen sich oft Gefährdungen, die noch unterhalb der »Krankheitsgrenze« liegen und bei denen ein gezielter Einsatz von Kunst und Kultur dazu beitragen kann, die Entstehung ernsthafter bzw. manifester Krankheiten zu verhindern.

Arts for Health und Recht Als Jurist bin ich gewohnt mir anzuschauen, ob in einem Bereich rechtliche Ansprüche der Einzelnen an die Gesellschaft (= juristisch der Staat) bestehen. Ein Beispiel hierfür ist das schlussendlich auch gerichtlich durchsetzbare Recht auf Krankenbehandlung für in der Sozialversicherung krankenversicherte Menschen in Österreich. Bestehen solche individuell einforderbaren Ansprüche nicht, gibt es immer noch den weiten Bereich eines »weichen« Rechts, welcher unter Umständen doch auch Aufgaben der öffentlichen Hand festlegt. Ein Beispiel für diesen zweiten Bereich wäre die Kunstförderung, auf die individuell grundsätzlich kein Rechtsanspruch besteht. Sollten Förderungsleistungen vorgesehen sein, sind diese allerdings nach entsprechendem Ermessen (d.h. nicht »willkürlich«) zu gewähren. Die Diskrepanz zwischen diesen beiden Ansätzen (Ansprüche versus »weiches Recht«) kann auch innerhalb des Gesundheitsbereichs, in dem ich in einem Teilseg-

171

172

Arts and Health: Österreich

ment arbeite, ein Spannungsfeld erzeugen. Und solche Spannungsfelder finden sich dort immer wieder.

Prävention versus »Krankenbehandlung« Es erscheint logisch, dass man sich immer bemühen sollte, Krankheiten bzw. Verschlechterungen von Zuständen, die zu Krankheiten führen können, zu verhindern. Ganz so »logisch« funktioniert unser System jedoch nicht. Wenn jemand tatsächlich krank wird oder ist, steht die ganze Palette von, wie es heißt, Pflichtleistungen der Krankenversicherung zu Verfügung. Dazu zählen insbesondere ärztliche Behandlung, Spitalsaufenthalt, Medikamente. In Österreich besteht demgegenüber grundsätzlich kein Anspruch auf präventive und gesundheitsfördernde Leistungen (eine wichtige und löbliche Ausnahme ist etwa die Vorsorgeuntersuchung). Es sind jedoch die Krankenversicherungsträger schon aufgefordert, hier tätig zu sein. Das nennt man im Fachjargon Pflichtaufgaben. Dazu gehören sehr allgemein auch Maßnahmen zur Gesunderhaltung und Gesundheitsförderung. Hier besteht somit grundsätzlich – oder sagen wir theoretisch – durchaus eine Chance (aber eben auch nur eine Chance – kein Anspruch!) für Anbieterinnen von nachweislich wirksamen kulturellen Maßnahmen, mit öffentlichen Stellen »ins Geschäft« zu kommen. Eine solche Wirksamkeit ist in aller Regel aber sehr schwer bis gar nicht im strengen Sinne nachweisbar. Daher ist jedenfalls der realistischere Weg jener, über innovative Projekte eine Kooperation anzustreben bzw. um eine Förderung anzusuchen. Es gibt – und das sei ausdrücklich erwähnt – im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention eine Vielzahl ganz ausgezeichneter Initiativen und Projekte. Oft werden Projekte in Zusammenarbeit der öffentlichen Stellen mit speziell eingerichteten Institutionen wie etwa dem Fonds Gesundes Österreich gefördert. Erwähnt sei hier überdies, dass es einen stetig größer werdenden Spezialbereich gibt, bei dem das bio-psycho-soziale Menschenbild eine immer bedeutendere Rolle einnimmt. Es geht um den Bereich der Rehabilitation. In einigen Rehabilitationseinrichtungen – gerade im mentalen Bereich – werden etwa ganz bewusst auch Kunst und kulturelle Aktivitäten in das Angebot eingeplant.

Johannes Gregoritsch: 3.3. Arts for Health – auf Rezept?

Durch das »Zuständigkeitssplitting« zwischen Gesundheits- und Sozialbereich ist bei Institutionen im Pflegewesen (z.B. Seniorinnenheime) und Behindertenwesen (z.B. betreute Wohngemeinschaften) auch der Sozial(hilfe)sektor beteiligt. Bei Kindern und Jugendlichen sind das oft auch zusätzlich die im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe tätigen Stellen. Bei den genannten Einrichtungen gibt es natürlich auch Anknüpfungspunkte für Kunst und Kultur, die sogar teilweise bereits in den Betreuungskonzepten enthalten sind. Geradezu wegweisend für das engere Zusammengehen von Gesundheit mit Kunst und Kultur erscheint mir das Projekt »Arts for Health – Aufatmen: Ein Atem- und Musikprogramm für Long-Covid-Betroffene«. Hier wird nicht nur auf enge Kooperation mit Gesundheitsberufen, sondern auch genau auf die Beweismöglichkeit der Wirksamkeit durch die begleitende klinische Studie geachtet; und beides war wohl Voraussetzung der für das Projekt gewährten Förderung.

»Aufatmen«: Videoaufnahmen im Theater an der Wien

Sängerinnen: Anna Nekhames, Rebecca Nelsen, Bea Robein, Adrian Eröd, Musik: Allianz Quartett. © Gabriele Schacherl

173

174

Arts and Health: Österreich

Am Beispiel von … »AUFATMEN«1 – Ansingen gegen Long Covid Oliver Graber Mit dem Krankheitsbild »Long Covid« entstand im Zuge der Pandemie eine massive neue Herausforderung, der sich – so war auf Basis jahrzehntelanger, internationaler Erfahrungen mit dem Feld »Singing for Lung Health (SLH)« und zahlreichen diesbezüglichen Studien unmittelbar klar – hervorragend mit »arts based«-Interventionen begegnen lässt. Die Tatsache, dass sich bei Long Covid zentrale, inzwischen als charakteristisch bekannte Beschwerdemuster wie »Brain fog« bzw. Fatigue-Syndrom sowie generelle Angst- und Stresszustände einerseits und organische Manifestationen andererseits (»Lungenbeschwerden« – in der Regel als Kurzatmigkeit, Lungenschmerzen etc. beschrieben, die mit einer Verminderung der Einsekundenkapazität und der Diffusionskapazität der Lunge einhergehen) in Verbindung zeigen, macht den Einsatz von Gesang besonders sinnfällig – ist Singen doch in der Lage, sowohl das Potential der Lunge wie des gesamten Atemvorgangs zu stärken und gleichzeitig zu Entspannung und Wellbeing, zur Stress- und Angstreduktion etc. beizutragen, kurzum: Physis und Psyche positiv zu beeinflussen. Auf Basis dieser Ausgangslage und den anwachsenden wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Long Covid rief der Verein Arts for Health Austria in Kooperation mit den beiden Startups in Vorgründungsphase ART WAVE und LUDWIG MED die Initiative »AUFATMEN. Ein Atem- und Musikprogramm für Long-Covid-Betroffene« ins Leben. Das Projekt zeichnet sich dabei durch folgende Charakteristika aus, die zugleich die »österreichische Note« im Feld der diesbezüglichen international mittlerweile tätigen Anbieter (wie der English National Opera) akzentuieren: rezeptive (in Form von Online-Inhalten) und aktive (in Form von Singtraining) musikalische Stimuli treten im Verbund auf. Fachärztinnen sind unmittelbar in die Konzeption eingebunden, zudem wurde das Pilotprojekt durch eine klinische Studie unter Leitung eines Lungenfacharztes evaluiert. Das die zentrale Komponente bildende sechswöchige Singtraining wird speziell für das Programm erstellt und von erfahrenen Kräften (Stimmcoaches sowie Gesangssolistinnen) direkt aus der künstlerischen (Bühnen-)Praxis heraus zusammen mit den Teilnehmerinnen in Online- und Präsenzformaten maximal partizipativ durchgeführt.

Johannes Gregoritsch: 3.3. Arts for Health – auf Rezept?

Unter Berücksichtigung der Gesetzeslage in Österreich wurde in der Pilotphase der »arts based«-Ansatz unmittelbar mit professioneller Musiktherapie verknüpft: Gesangstrainerinnen betreuen zusammen mit Musiktherapeutinnen, die als Superviserinnen das Projekt begleiten, die Gruppensitzungen und Trainingsstunden, zudem bestehen Möglichkeiten zu Musiktherapieangeboten und Beratung über das Singtraining hinaus. Die Online-Inhalte sind nicht nur speziell auf das Programm und die österreichische Musiktradition abgestimmt, sondern werden auch für den entsprechenden Einsatz arrangiert/bearbeitet/komponiert und von international renommierten künstlerischen Kräften an ebensolchen Bühnen produziert. Das Angebot ist altersgerecht und musikalisch stilübergreifend. So wird demnächst auch ein spezielles Programm für Kinder und Jugendliche angeboten, wofür auch ein entsprechendes Kinderschutzkonzept besteht. Das Pilotprojekt (Abschluss Ende November 2021) wurde dank der Unterstützung durch zahlreiche Fördergeberinnen und Partnerorganisationen realisiert (Stadt Wien; Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz; Selbsthilfegruppe Long Covid Austria; IMC FH Krems; Therme Wien Med; Porticus; Theater an der Wien; Wiener Konzerthaus; Porgy&Bess; Cape 10; Musikverein Wien). Das Projekt wurde mit einer wissenschaftlichen Studie evaluiert. Das Feedback der Teilnehmenden war überwältigend positiv, über 80 Prozent stellten Verbesserungen der persönlichen Befindlichkeit und Leistungsfähigkeit fest. Auf Wunsch einiger Teilnehmenden wird das angeleitete Singen mit dem Angebot von »Weiteratmen« fortgesetzt. Außerdem finden seit der Pilotphase weitere »Aufatmen«-Gruppen statt. Gleichzeitig bemüht sich die Trägerorganisation ARTS for HEALTH AUSTRIA »Aufatmen« österreichweit auszurollen und nachhaltig im Bereich der Long-Covid-Bekämpfung zu verankern.

Quellen Best-Practice-Beispiele für Aktivitäten im Pflegebereich: https://www.nqz-au stria.at/praxisbeispiele/ [27.09.2022] Fonds Gesundes Österreich – Gesundheitsförderung und Prävention: https:// fgoe.org/projektfoerderung_ueberblick [27.09.2022]; https://www.sozial 1

https://www.aufatmen-austria.eu [27.09.2022]

175

176

Arts and Health: Österreich

ministerium.at/Themen/Gesundheit/Gesundheitsfoerderung/Netzwerke -Gesundheitsf%C3%B6rderung.html [27.09.2022] Im Zuständigkeitsbereich der Länder; vgl. z.B. https://www.gesundheit.steie rmark.at/cms/dokumente/11765377_93841002/2437fd03/Foerderungsricht linien%20ab%202020.pdf [27.09.2022] Rehabilitation – die Einrichtungen bzw. deren Träger haben die unterschiedlichsten Schwerpunkte https://rehakompass.goeg.at/#/einrichtung /list [27.09.2022]; https://www.sozialversicherung.at/cdscontent/?conten tid=10007.820479&portal=svportal [27.09.2022]

3.4. Kulturpolitische Prioritäten Von der klassischen Kulturförderung zu nachhaltigen Konzepten Anke Simone Schad-Spindler

Kulturpolitik in Österreich bezieht sich hauptsächlich auf die Pflege, Entwicklung und Verbreitung der Kunst, die Kunstausbildung (Universitäten) sowie den Schutz und Erhalt des kulturellen Erbes. Kulturförderung ist auf Bundesund Landesebene (mit Ausnahme Wiens) gesetzlich geregelt. Die Tätigkeit der Gebietskörperschaften als Kulturförderer wird in der Öffentlichkeit am meisten wahrgenommen bzw. diskutiert. Diese Verengung des kulturpolitischen Diskurses auf Kunst- und Kulturförderung und dabei auf eine Angebots- und Produktionsorientierung hat auch mit einer Verwaltungslastigkeit der Agenden zu tun, bei der sich staatliche Einflussmöglichkeiten über die Verteilung von Ressourcen entfalten (Zembylas 2012: 3–4). Gleichzeitig war Österreich bislang eher zurückhaltend, was eine klare programmatische Ausrichtung der Kulturpolitik angeht (Wimmer 2011: 149), mit Ausnahmen wie dem »Weißbuch zur Reform der Kulturpolitik« datierend aus dem Jahr 1999 (Bogner, Ruiss und Zinggl 1999). Die föderale Organisation der Kulturpolitik und -verwaltung sorgt für unterschiedliche Schwerpunktsetzungen, wobei explizite Kulturentwicklungskonzepte unter zivilgesellschaftlicher Beteiligung seit Anfang der 2000er Jahre auf Ebene der Bundesländer und Städte realisiert wurden. Diese Konzeptionen beziehen sich hauptsächlich auf kulturpolitische Agenden im engeren/expliziten Sinn (Ahearne 2009), d.h. auf die Produktion und Rezeption von Kunst und Kultur und ihre Bedingungen. Auch wenn Schnittstellen mit Bereichen wie Bildung, Wissenschaft und Sozialem intentional erwähnt werden, ist der Wunsch nach verstärkter Kooperation in Querschnittsthemen nicht einfach umzusetzen. Die dreigliedrige Organisation der staatlichen Verwaltungsebenen (Bund, Länder, Gemeinden) und die arbeitsteilige Ausdifferenzierung auf Ebene

178

Arts and Health: Österreich

der Verwaltungseinheiten bringen auch eine Aufgliederung der staatlichen Kompetenzen und Zuständigkeiten mit sich, die einem integrativeren, verbindenden Zugang zwischen Kunst, Kultur und anderen gesellschaftlichen Bereichen bzw. Politikfeldern und Verwaltungseinheiten tendenziell entgegensteht. Hinzu kommt, dass ein zurückhaltender inhaltlich-intentionaler staatlicher Anspruch an Kulturförderung insofern angebracht ist, als kulturelle und künstlerische Praktiken nicht primär dazu da sind, externe Effekte (etwa auf Wirtschaft, Gesundheit, Soziales oder Bildung) zu erzielen, sondern sich frei und vielfältig entfalten müssen. Darauf weist unter anderem das UNESCO-Abkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen hin, das Österreich 2007 unterzeichnet hat, wie auch die Verankerung der Kunstfreiheit im Staatsgrundgesetz seit 1982. Demgegenüber steht ein umfassender Anspruch an Kultur als Gesellschaftspolitik, mit der Aufforderung, Kultur(politik) in Bezug zur Gesellschaft und ihren Problemen und Entwicklungstrends zu denken (Scheytt 2008). So verstanden, geht es um die Wechselwirkungen zwischen Kulturpolitik und gesellschaftlichen Herausforderungen – beispielsweise Gesundheit, aber auch Migration, Digitalisierung, Soziales, Klimakrise etc. Entsprechend sind kulturpolitische Akteurinnen aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft im Sinne einer Cultural Governance (Schad 2019) gefordert, ihre eigenen Agenden in Beziehung zu anderen Bereichen zu setzen und übergreifende Themen und Maßnahmen zu entwickeln, weil die großen gesellschaftlichen Herausforderungen ein systemisches Zusammenwirken verlangen. Auch wenn ein kooperatives Zusammenwirken notwendig ist, ist der Staat nicht aus seiner Verantwortung gegenüber seinen Bürgerinnen bzw. Personen, die sich auf dem Staatsgebiet aufhalten, entlassen. So lässt sich in der COVID-19-Pandemie eine Aktualisierung der Relevanz einer wohlfahrtsstaatlichen Ausrichtung auch in der Kulturpolitik beobachten, die die fürsorgende Funktion des Staates verdeutlicht. Diese drückt sich einerseits in konkreten finanziellen Unterstützungsmaßnahmen für freiberufliche Künstlerinnen und Kulturarbeiterinnen sowie Kunst- und Kulturorganisationen aus. Andererseits zeugen auch kommunikative Formate wie ressort- und politikebenenübergreifende Arbeitsgruppen unter Beteiligung von Vertreterinnen der betroffenen Gruppen von der Dialog- und Kooperationsbereitschaft zur Wahrnehmung staatlicher Verantwortung auf Basis der Bedarfe der Unterstützungsbedürftigen. Perspektivisch zeigt sich, dass die post-pandemische Phase nach einer Ausweitung dieser Fürsorge vom professionellen Kunst- und Kultursektor auf das Publikum und die breitere Öffentlichkeit (d.h. auch das

Anke Simone Schad-Spindler: 3.4. Kulturpolitische Prioritäten

Noch-nicht-Publikum) verlangt: Wenn sich die Pandemie anhaltend negativ auf die physische und psychische Gesundheit einzelner und auf gesellschaftliche Konflikte auswirkt, ist es mit Rückholmaßnahmen nicht getan. Vielmehr stellt sich die Frage, wie Kulturpolitik zu einer individuellen wie gesellschaftlichen Heilung beitragen kann. Eine zukunftsgewandte Kulturpolitik kann auf diese Entwicklungen mit spezifischen Förderprogrammen (insbesondere im Bereich der Partizipation/Kulturvermittlung/Kunst und Gesundheit) reagieren. Maßnahmen wie die Ausschreibung zur Publikumsgewinnung und -bindung im Rahmen von »Neustart Kultur« des BMKÖS weisen in diese Richtung. Für die Ausrichtung von Kulturpolitik im Zusammenwirken von staatlichen wie zivilgesellschaftlichen Akteurinnen bei globalen Zukunftsthemen wie nachhaltige Entwicklung und Gesundheit hat die Einbindung Österreichs in internationale Staatenverbünde wie die United Nations (UN) und die Europäische Union (EU) und die zwischenstaatliche Zusammenarbeit wichtige Impulse beigetragen. Zu nennen sind hier unter anderem die »New European Agenda for Culture« (2018) und der EU-Arbeitsplan für Kultur 2019–2022 mit dem Ziel, die Kraft von Kultur und kultureller Vielfalt für sozialen Zusammenhalt und gesellschaftliches Wohlbefinden nutzbar zu machen. Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen (UN) für die Menschen, den Planeten und den Wohlstand nimmt erstmals Bezug auf Kultur. Die Förderung von Kultur wird als eigenständiges Ziel formuliert, aber auch als direkter Beitrag für andere Ziele der nachhaltigen Entwicklung (SDGs) – sichere Städte, menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum, Förderung der Geschlechtergleichstellung, friedliche und inklusive Gesellschaften. Der Bezug auf die Gesundheitsziele ist nicht explizit. Zu vielen Gesundheitszielen lassen sich aber direkte Beziehungen mit Kultur(politik) herstellen, etwa zwischen der kulturellen Bildung und dem gesunden Aufwachsen, zwischen Bewegung und kulturellen Aktivitäten, zwischen psychosozialer Gesundheit und kultureller Teilhabe, zwischen Gesundheitskompetenz und künstlerischer Vermittlung, zwischen gesunden Lebens- und Arbeitsbedingungen und der sozialen Absicherung von Künstlerinnen und Kulturarbeiterinnen und deren körperlicher und psychischer Integrität. Die UN-Agenda 2030 bildet den Rahmen, Kultur und Gesundheit zu verknüpfen, wie Staatssekretärin Andrea Mayer im Vorwort zur Publikation »Dance – New Moves in Health Care« der Initiative Arts for Health Austria betont (Dance and Creative Wellness Foundation und Arts for Health Austria 2020).

179

180

Arts and Health: Österreich

Die Kunst- und Kulturstrategie des BMKÖS ist nach ersten Initiativen in den 1990er Jahren (Bogner, Ruiss und Zinggl 1999) ein wichtiger, neu aufgesetzter Impuls in Richtung einer konzeptuell gestützten Kulturpolitik, die auf einem Dialogprozess mit unterschiedlichen Stakeholderinnen basiert. Darin liegt die Chance der Erneuerung einer Kulturpolitik, die sich mit großen gesellschaftlichen Herausforderungen, etwa im Bereich der Gesundheit, aktiv befasst, dabei kooperativ und systemisch mit anderen Politikfeldern und zivilgesellschaftlichen Initiativen zusammenwirkt und hierin die spezifischen Qualitäten der künstlerischen und kulturvermittelnden Arbeit in Wirkung setzt.

Quellen Ahearne, Jeremy (2009): »Cultural policy explicit and implicit: a distinction and some uses«. International Journal of Cultural Policy 15 (2): 141–53. Bogner, Dieter/Gerhard Ruiss/Wolfgang Zinggl (Hg.) (1999): Weissbuch zur Reform der Kulturpolitik in Österreich. Wien: Falter. Dance and Creative Wellness Foundation und Arts for Health Austria (Hg.) (2020): »Dance – New Moves in Health Care«. Schad, Anke Simone (2019): Cultural Governance in Österreich. Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz. Bielefeld: transcript. Scheytt, Oliver (2008): Kulturstaat Deutschland. Plädoyer für eine aktivierende Kulturpolitik. Bielefeld: transcript. Wimmer, Michael (2011): Kultur und Demokratie. Eine systematische Darstellung von Kulturpolitik in Österreich. Innsbruck: Studienverlag. Zembylas, Tasos (2012): »Öffentliche Kulturförderung und Kulturfinanzierung (Vortragsmanuskript, unveröffentlicht)«. Weimar, Hochschule für Musik.

3.5. Musiktherapie Definition und Gesetzeslage in Österreich Oliver Peter Graber

Gegenüber allen anderen im Rahmen von »Arts and Health« beteiligten Künsten besteht im Hinblick auf die Musik in Österreich die Besonderheit, dass die Musiktherapie durch ein Bundesgesetz über die berufsmäßige Ausübung der Musiktherapie (Musiktherapiegesetz – MuthG)1 reguliert wird, das in der gültigen Fassung seit dem 1. Juli 2009 in Kraft ist und die musiktherapeutische Ausbildung, Formen und Voraussetzungen der Berufsausübung, die Führung der Musiktherapeutinnenliste2 sowie Berufspflichten reguliert. Anregungen zu einem solchen gingen von der heutigen mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und den Berufsverbänden (s.u.) seit den 1980er Jahren aus; der entscheidende Anstoß erfolgte 2006 durch die gemeinsamen Bemühungen von Gertraud Berka-Schmid, Michael Kierein und Gerhard Aigner, sodass 2007 eine entsprechende Arbeitsgruppe gebildet wurde. Die Kundmachung (BGbl. I Nr. 93/2008) erfolgte am 2. Juli 2008. § 6 (1) des MuthG akzentuiert in seiner Berufsumschreibung den Aspekt der therapeutischen Beziehung, welchen die Musiktherapie, die Musik als ein Mittel zum Aufbau und zur Pflege einer solchen nützt, als essentiell erachtet: »Die Musiktherapie ist eine eigenständige, wissenschaftlich-künstlerischkreative und ausdrucksfördernde Therapieform. Sie umfasst die bewusste und geplante Behandlung von Menschen, insbesondere mit emotional, somatisch, intellektuell oder sozial bedingten Verhaltensstörungen und

1

2

Die aktuelle Fassung (5.12.2021) kann im Volltext unter diesem Direktlink eingesehen werden: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnorm en&Gesetzesnummer=20005868 [26.09.2022] Einzusehen unter http://musiktherapie.ehealth.gv.at sowie https://www.oebm.org [26.09.2022]

182

Arts and Health: Österreich

Leidenszuständen, durch den Einsatz musikalischer Mittel in einer therapeutischen Beziehung zwischen einem (einer) oder mehreren Behandelten mit dem Ziel 1. Symptomen vorzubeugen, diese zu mildern oder zu beseitigen 2. behandlungsbedürftige Verhaltensweisen und Einstellungen zu ändern oder 3. die Entwicklung, Reifung und Gesundheit des (der) Behandelten zu fördern und zu erhalten oder wiederherzustellen.«3 Vor diesem gesetzlichen Hintergrund in Österreich wie im Sinne ethischer Verantwortung und guter wissenschaftlicher wie künstlerischer Praxis ist es im Rahmen von Arts and Health unerlässlich, präzise zwischen musiktherapeutischem Handeln und anderen Feldern zuzuordnenden Strategien zu differenzieren.

Begriffliches Im Falle der aktiven Musiktherapie wird die zu therapierende Person selbst musikalisch tätig bzw. in das musikalische Geschehen entsprechend miteingebunden, im Falle der rezeptiven Musiktherapie erfährt die zu therapierende Person die Musik rein (zu-)hörend bzw. taktil, wobei eine strenge Trennung der beiden Felder sowohl hinsichtlich der geübten Praxis wie auch im Hinblick auf die Verwendung der Begriffe im Verschwimmen ist. Musiktherapie kann u.a. hinsichtlich der Anzahl der Adressierten (Einzeltherapie bzw. Gruppentherapie), der Darreichungsform (aktive und rezeptive Musiktherapie) oder der zu Grunde liegenden Tonsysteme und Musiktraditionen (z.B. Ethnomusiktherapie bzw. Altorientalische Musiktherapie) differenziert werden. Darüber hinaus bestehen zahlreiche »Schulen« der MT, die sich z.B. vermittels ihres Einsatzfeldes oder ihrer Methode, weltanschaulicher Grundlagen, musikalischer bzw. medizinischer oder therapeutischer Traditionen sowie mitunter auch des Ausmaßes der Fokussierung auf ihre Gründerpersönlichkeit charakterisieren lassen. Als kompositorische Gattung ist speziell für therapeutische Zwecke verfasste Musik der funktionellen Musik zuzuordnen. Funktionelle Musik4 bezeichnet Musik, die durch außermusikalische Einflüsse (mit)bestimmt und solchermaßen für spezielle Einsatzzwecke gedacht 3 4

Zitiert aus BGbl. I Nr. 93/2008. Eine Übersicht gibt: Rötter, G.: Handbuch Funktionale Musik: Psychologie – Technik – Anwendungsgebiete, Springer 2017.

Oliver Peter Graber: 3.5. Musiktherapie

ist/erstellt wird. Nicht nur aus historischer Sicht ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass die Musiktherapie in zentralen Quellen als Aufgabe und Teilbereich der Kompositionslehre und (spekulativen) Musiktheorie betrachtet wird. Ein besonders wichtiges Beispiel bildet in dieser Beziehung das epochemachende Werk »Traité de haute composition musicale« von Anton Reicha (1770 bis 1836), der auch in Wien lebte und wirkte5 . Die Altorientalische Musiktherapie (Ethnomusiktherapie) führt sich auf musiktheoretische und musikphilosophische Konzepte von (antiken) Autoren wie insbesondere Abū Nasr Muhammad al-Fārābī (um 872 bis 950) zurück und gründet die im therapeutischen Handeln integrierte Musik somit auf Elemente aus der arabischen, türkischen und persischen Tradition wie z.B. für diese repräsentative Modi6 , die so genannten Maqame. In Österreich wurde sie 1989 von Gerhard Tucek und Oruç Güvenç begründet. Generell gilt, dass sich die Musiktherapie ihrem aktuellen Verständnis und ihrer therapeutischen Herangehensweise nach zum überwiegenden Teil psychotherapeutisch orientiert und solchermaßen charakterisiert. Das heutige Berufsbild hat sich im Wesentlichen nach 1945 herausgebildet7 . Ein erster Konsens im Hinblick auf das darunter zu Subsummierende wurde international und dabei auch im deutschsprachigen Raum erst im Laufe der Zeit errungen8 , wobei derartige Prozesse wie auch die konsequente und flächendeckende Einbindung der Musiktherapie in das real verfügbare therapeutische Spektrum zum Teil noch andauern. Die berufliche Tätigkeit in Österreich setzt gegenwärtig laut MuthG den Studienabschluss an einer der folgenden drei Ausbildungsstätten voraus, ausländische Abschlüsse können beim Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zwecks Anerkennung eingereicht werden.

5

6

7 8

Die betreffende Textstelle findet sich in der von Carl Czerny besorgten deutschen Übersetzung, die bei Diabelli 1832 als »Reicha’s Compositionslehre« in Wien erschienen ist, im Band 4 auf Seite 1194. d.h. Tonleitern (Ergänzung zum besseren Verständnis: die innerhalb bestimmter Tonsysteme definiert sind, die im konkreten Fall zum Teil Tonschritte umfassen, die kleiner als ein Halbton sind.) Als eine frühe Quelle dazu siehe: Gembris, H.: Zum Verhältnis Musiktherapie – Musikpsychologie, in: Musiktherapeutische Umschau, 10, 1989, S. 4–16. Siehe etwa Kasseler Konferenz Musiktherapeutischer Vereinigungen in Deutschland: Thesen zur Musiktherapie. Musiktherapeutische Umschau, 3, 1998, S. 232–235.

183

184

Arts and Health: Österreich

Studienangebote an Universitäten/Fachhochschulen gemäß MuthG Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw)9 Das heutige Institut für Musiktherapie repräsentiert den aktuellen Entwicklungsstand des traditionsreichsten akademischen Musiktherapie-Ausbildungsangebotes in Österreich bzw. in Europa: Bereits seit 1959 ist die Musiktherapie Bestandteil des Fächerkanons. Begründet wurde das Fach und damit die »Wiener Schule der Musiktherapie« in Form eines »Sonderlehrgangs für Musikheilkunde« durch Editha Koffer-Ullrich10 . Ihr folgten in Leitungsposition Alfred Schmölz, Ewald Bräunlich und Angelika Hauser-Dellefant. Von 2004 bis 2016 bestand an der mdw zudem die von Gertraud Berka-Schmid gegründete und geleitete »Interdisziplinäre Plattform für Chronobiologische Forschung« (IPCF). 2011 wurde ein Lehrstuhl für Musiktherapie eingerichtet, den seitdem Thomas Stegemann innehat. 2016 kam es zur Ausformung eines eigenständigen Institutes für Musiktherapie (als Institut 14 der mdw), seit 2019 ist dort zudem das bereits 2017 ins Leben gerufene »Wiener Zentrum für Musiktherapie-Forschung« (WZMF) institutionalisiert. Forschungsschwerpunkte setzt dieses im Feld der Musiktherapie für Kinder, Jugendliche und Familien im Rahmen von Grundlagen- sowie Anwendungsforschung, auch unter Einbezug neurowissenschaftlicher Methoden. An der mdw ist am Institut 1311 aktuell auch der Fachbereich »Musikphysiologie« mit dem Schwerpunkt »Performance Science« eingerichtet.

IMC Fachhochschule Krems12 An der IMC FH Krems besteht seit 2009 die Möglichkeit, einen Studiengang für Musiktherapie zu absolvieren. Von Beginn an war die Ausbildung berufsbegleitend und stark praxisorientiert konzipiert. Das an der IMC FH Krems entwickelte »Kremser Modell der Musiktherapie« zeichnet sich dabei durch anthropologische, psychologische, chronobio-

9 10 11 12

https://www.mdw.ac.at/mth [27.09.2022] Sie war auch Begründerin der Österreichischen Gesellschaft für Musikheilkunde, die sich am 26. November 1958 konstituierte. Institut für Musik- und Bewegungspädagogik/Rhythmik sowie Musikphysiologie https://www.fh-krems.ac.at/forschung/department-of-health-sciences/instituttherapie-und-hebammenwissenschaften [27.09.2022]

Oliver Peter Graber: 3.5. Musiktherapie

logische, regulationsmedizinische und ethnomusiktherapeutische Elemente (so werden z.B. Harfe, Gitarre und Oud gelehrt) aus. 2016 nahm an der IMC FH Krems das »Josef Ressl Zentrum für die Grundlegung einer personalisierten Musiktherapie« seine Tätigkeit auf. Forschungsschwerpunkte setzt dieses bei der Neurorehabilitation, bei Resonanzwahrnehmungen im Zuge therapeutischer Begegnungen (so genannten Begegnungsmomenten), chronobiologischen Aspekten der Musiktherapie und technologischen Entwicklungen an der Schnittstelle von EEG, EKG und Videographie. Die Geschichte und das Erscheinungsbild der Musiktherapie an der IMC FH Krems zeigen sich maßgeblich durch Gerhard Tucek bestimmt, der auch für die Begründung des Studienganges wie des Josef Ressl Zentrums federführend verantwortlich zeichnete.

Universität für Musik und darstellende Kunst Graz (Kunstuniversität Graz – KUG)13 Die seit 2010 bestehende »Grazer Ausbildung Musiktherapie (GRAMUTH)« trägt der Interdisziplinarität des Fachgebietes in Form eines interuniversitären Lehrganges in Kooperation dreier Universitäten – der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz (KUG), der Medizinischen Universität Graz (MUG) und der Karl-Franzens-Universität Graz (KFUG) – Rechnung. Die berufsbegleitende Ausbildung orientiert sich an einem bio-psycho-sozio-ökospirituellen Verständnis von Gesundheit und Krankheit und setzt spezielle Akzente im Bereich psychosozialer Arbeitsfelder und Berufsbereiche. Sie fokussiert eine enge Verknüpfung musiktherapeutischer Ansätze mit Verstehenskonzepten aus der psychoanalytisch/tiefenpsychologisch orientierten, strukturbezogenen und integrativen Psychotherapie. Mit Ende des Sommersemesters 2022 läuft dieses interuniversitäre Lehrgangsmodell aus; ab dem Studienjahr 2022/2023 wird fortan eine neue Studienform an der KUG alleinverantwortlich angeboten und organisatorisch sowie strukturell am Institut für Musikpädagogik verankert.

13

https://impg.kug.ac.at/lifelong-learning/lehrgaenge/musiktherapie/ [27.09.2022]

185

186

Arts and Health: Österreich

Sonstige (Weiter-)Bildungsangebote bzw. Anlaufstellen (außerhalb des MuthG) • • •

Institut für Ethno-Musiktherapie14 Wiener Institut für Musiktherapie (WIM)15 An der JAM MUSIC LAB Private University16 ist die Etablierung eines Zertifikatslehrganges »Arts & Health« in Planung, welcher die in diesem Buch formulierten Bestrebungen auf universitärer Ebene verankern, erforschen und vermitteln soll, womit v.a. die Schaffung neuer Arbeitsfelder für Künstlerinnen und Künstler, aber auch eine Intensivierung der interdisziplinären Zusammenarbeit und transdisziplinären (Weiter-)Bildung von musischen Berufen und Gesundheitsberufen angeregt und unterstützt werden soll.

Zur Berufssituation in Österreich Die Musiktherapeutinnenliste umfasst aktuell (Stichtag: 1.12.2021) 468 Personen. Laut der aktuellsten Studie aus dem Jahr 2019 (Phan Quoc et al., 2019) nimmt die freie Praxis dabei den größten Anteil ein, gefolgt von Arbeitgebern wie Krankenhäusern, Ambulatorien, Einrichtungen für Lehre und Forschung, Pflegeeinrichtungen, Rehabilitationseinrichtungen, pädagogischen Einrichtungen, Tagesstätten und Tageszentren sowie mobilen Diensten. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten sowie mit Erwachsenen mit psychischen Erkrankungen steht an der Spitze der Tätigkeitsfelder, Neonatologie und Intensivmedizin bilden das Schlusslicht.

Berufsverbände • •

14 15 16 17 18

Österreichischer Berufsverband der MusiktherapeutInnen (ÖBM)17 Berufsverband für (Ethno-)Musiktherapie (BfEM)18

https://www.ethnomusik.com [27.09.2022] https://www.wim-musiktherapie.at [27.09.2022] https://www.jammusiclab.com [27.09.2022] https://www.oebm.org [27.09.2022] http://bfem.at [27.09.2022]

Oliver Peter Graber: 3.5. Musiktherapie

KURZINFO Die Musiktherapie (inkl. Ausbildungsweg) ist in Österreich gesetzlich geregelt (MuthG, gültig seit 2009). Im Rahmen von Arts for Health ist es daher unerlässlich, die geltenden Bestimmungen zu berücksichtigen und musikspezifische Projekte entsprechend deutlich zu differenzieren. Rat und Hilfe finden sich dabei v.a. bei den oben genannten Institutionen.

Exkurs: Orchester Die enge Verbindung zwischen Musik und Medizin wird auch durch Initiativen unterstrichen, im Rahmen derer sich Ärztinnen zu Orchestern bzw. Ensembles formen. Als Beispiele seien genannt: • •

Camerata Medica Wien19 Sinfonia Academica20

Kunsttherapie Im Gegensatz zur Musiktherapie besteht in Österreich kein explizites »Kunsttherapiegesetz«, wie das Online-Berufslexikon des AMS vermerkt: »Die Durchführung von therapeutischen Maßnahmen an Patient*innen ist in Österreich den Ärzten/Ärztinnen und Therapeuten/Therapeutinnen vorbehalten und gesetzlich geregelt! Kunsttherapie ist in Österreich keine ärztliche oder psychotherapeutische Tätigkeit und unterliegt daher keiner besonderen berufsrechtlichen Reglementierung. Der Titel ›Kunsttherapeutin‹ bzw. ›Kunsttherapeut‹ ist derzeit nicht gesetzlich geschützt (Stand: 2019).«21 Im Sinne eines psychodynamischen (tiefenpsychologischen) Verfahrens kommen bei der Kunsttherapie Tanz, Schauspiel (Psychodrama) oder insbesondere

19 20 21

https://www.cameratamedica-wien.at [27.09.2022] https://www.sinfa.at [27.09.2022] https://www.berufslexikon.at/berufe/2370-KunsttherapeutIn [27.09.2022]

187

188

Arts and Health: Österreich

Bildnerisches Gestalten (Malerei, Bildhauerei) zum Einsatz, wobei im Rahmen der klinischen Kunsttherapie oftmals letzteres im Mittelpunkt steht.

Ausbildungsmöglichkeiten in Österreich auf universitärem Niveau • •

Universitätslehrgang für Kunsttherapie an der Sigmund Freud Privatuniversität22 Masterlehrgang Kunsttherapie und Pädagogik an der Privaten Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz23

Weitere Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten (Best-Practice-Beispiele) Als eine vom Bildungsministerium anerkannte Erwachsenenbildungseinrichtung (lt. Verordnung BGBL II Nr.409/2002 § 1, Abs. 2) ist beispielsweise das Institut für Mal- & Gestaltungstherapie (MGT) mit Standorten in Graz, Wien und Innsbruck etabliert.24 Im Tanzbereich besteht in der Schlossberg GmbH ein zertifiziertes (ÖCERT und certNÖ) Angebot im Bereich der Erwachsenenbildung.25

Berufsverbände • •

22 23

24 25 26 27

Berufsverband für Tanztherapie26 Berufsverband Kunsttherapie27

https://ptw.sfu.ac.at/de/studium/universitaetslehrgaenge-mit-akademischem-absch luss/kunsttherapie [27.09.2022] https://www.phdl.at/index.php?id=2793&tx_wbplugin_wbdb[callfn]=booking&tx_wbplugin_wbdb[pgmid]=701&tx_wbplugin_wbdb[title]=AKTUELL:_Kunsttherapie_und_P%C3%A4dagogik_2021 [27.09.2022] https://www.mgt.or.at [27.09.2022] https://www.schlossberginstitut.at/aus-und-weiterbildung/lifestyle/dance-forhealth-trainer-in-online-gesundheitsfoerderung [27.09.2022] https://tanztherapie-berufsverband.at [27.09.2022] https://berufsverbandkunsttherapie.com [27.09.2022]

Oliver Peter Graber: 3.5. Musiktherapie

Kunst im »medizinischen Raum« Das Konzept, bildende Kunst in die Gestaltung von Krankenhäusern und Praxen (z.B. Wartebereiche), Pflegeeinrichtungen, Kuranstalten etc. zu integrieren, führt zu einer vielfältigen Bereicherung beider Seiten – der Medizinerinnen wie der Kunstschaffenden – und umfasst auch Ausstellungen, museale Konzepte bzw. Sammlerinnentätigkeit. Als markante erste Orientierungspunkte in der sehr lebendigen und überaus vielfältigen Landschaft seien genannt: • • •

Art Collectors Club des Österreichischen Roten Kreuzes28 Österreichischer Ärztekunstverein29 Kunstpraxis David30

Quellen Geretsegger, Monika (2012): Music therapy in Austria. Proceedings of Bridging Nations and Ideas: 2012 World Music Therapy Association Presidential Reports at the Seoul Summit Meeting, Seoul, Korea: Korean Music Therapy Association, 2012, S. 43–53. https://www.oebm.org/media/mt-austria_oc t12.pdf [27.09.2022] Phan Quoc, Eva, Hannah Riedl, Monika Smetana und Thomas Stegemann (2019): Zur beruflichen Situation von Musiktherapeut.innen in Österreich: Ergebnisse einer Online-Umfrage, in Musiktherapeutische Umschau 2019 40:3, S. 236–248. (Kostenpflichtiger) https://www.vr-elibrary.de/doi /abs/10.13109/muum.2019.40.3.236?journalCode=muum [27.09.2022] Rötter, Günther (2017): Handbuch Funktionale Musik: Psychologie – Technik – Anwendungsgebiete, Wien: Springer. Sagerschnig, Sophie und Monika Nowotny (2019): Psychotherapie, Klinische Psychologie, Gesundheitspsychologie, Musiktherapie. Statistik der Berufsgruppen 1991–2019, in: Gesundheit Österreich, Wien, S. IV bzw. 33–39. https://jasmin.goeg.at/1588/1/Publikation_Berufsgruppen_1991-20 19_bf.pdf [27.09.2022] 28 29 30

https://www.roteskreuz.at/wien/artcollectorsclub [27.09.2022] https://www.aerztekunstverein.at [27.09.2022] https://www.kunstpraxis-david.at [27.09.2022]

189

3.6. Arts and Health für Kinder und Jugendliche Fokus: Kompetenzerweiterung Gudrun Schweigkofler Wienerberger

Partizipative künstlerische Prozesse werden für und mit der Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen in unterschiedlichen Formaten und Settings angeboten, durchgeführt und evaluiert. Die Förderung der Gesundheit steht dabei selten an oberster Stelle. Meist geht es um Kompetenzerweiterung im individuellen, sozialen und/oder gesellschaftlichen Bereich, um das Wohlbefinden als Ausdruck von Freude oder um körperliche Betätigung im Umfeld von Sport und Bewegung. Seit 2016 gibt es eine »Koordinationsstelle für Kinder und Jugendgesundheit«1 , angedockt in der »Gesundheit Österreich GmbH«2 . Ebenfalls seit 2011 beschäftigt sich die »Kinder und Jugendgesundheitsstrategie«3 mit der »nachhaltigen Verbesserung der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen«. Gleichzeitig will die »Österreichische Jugendstrategie«4 die Stärkung der Jugendlichen in Bezug auf Teilhabe und Kompetenzen vorantreiben. Die Kunst- und Kultursektion bringt sich in der österreichischen Jugendstrategie im Handlungsfeld »Beteiligung und Engagement« ein mit dem Ziel, »Jugendlichen den Zugang zu Kunst und Kultur (zu) erleichtern und kulturelle Teilhabe (zu) fördern«. Im Erklärungstext dazu wird erwähnt, dass die kulturelle Teilhabe zu mehr Resilienz der Jugendlichen führe und dies somit das Wohlbefinden der Jugendlichen steigere.

1 2 3 4

https://goeg.at/Kinder_Jugendgesundheit [27.09.2022] https://goeg.at/ [27.09.2022] https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Kinder--und-Jugendgesund heit/Kinder--und-Jugendgesundheitsstrategie.html [27.09.2022] https://www.frauen-familien-jugend.bka.gv.at/jugend/jugendstrategie.html [27.09.2022]

192

Arts and Health: Österreich

Die Umsetzung dieser Strategien erfolgt unterschiedlich. So wurde in Wien 2019 ein breit angelegter Prozess in die Wege geleitet, der unter dem Namen »Werkstadt junges Wien«5 Kinder und Jugendliche dazu einlud, die »Wiener Kinder- und Jugendstrategie«6 aktiv mitzugestalten, die im Juni 2020 im Wiener Gemeinderat beschlossen wurde. Im Kapitel »Freizeit und Kultur«7 wird das Ziel definiert, dass alle Kinder und Jugendlichen in Wien »Zeit und Möglichkeiten für Freizeit, Sport, Spiel, Spaß, Ruhe und Erholung« genießen und »frei an Festen, Veranstaltungen und Kultur teilhaben« können. In den angepeilten Maßnahmen werden auch »konsumfreie Bewegungsorte« und »aufsuchende Kulturarbeit« benannt. Beschäftigung mit Kunst als Teil einer (präventiven) Gesundheitsstrategie wird nicht explizit definiert; es gibt die Aufforderung, Kindern und Jugendlichen Zugang zu Sport und Bewegung zu ermöglichen, wobei »Bewegung« auch oft den Tanz miteinschließt. Die Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit8 gibt Kindern als interdisziplinäres Netzwerk mit über 100 Mitgliederorganisationen aus den Bereichen Gesundheitsversorgung, Kindeswohl und soziale Integration eine Stimme und fordert »gleiche Chancen für alle Kinder und Jugendlichen in Österreich, um gesund und unbeschwert aufzuwachsen.« Mitglied ist z.B. auch die BOJA, der Dachverband der Jugendarbeit in Österreich, die 2020 einen Leitfaden für Gesundheitskompetenz in der offenen Jugendarbeit herausbrachte9 , der von unterschiedlichen Akteurinnen der Jugendarbeit in ganz Österreich umgesetzt wird. »Außerschulische Jugendarbeit fördert Gesundheit und schafft gesunde Lebenswelten für Jugendliche. Sie bietet unterschiedlichste Lernmöglichkeiten zur Stärkung der individuellen Gesundheitskompetenz.« (Klaus Vavrik – Ehrenpräsident der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit)10

5 6 7 8 9 10

https://werkstadt.junges.wien.gv.at/ [27.09.2022] https://www.wien.gv.at/menschen-gesellschaft/kinder-und-jugendstrategie.html [27.09.2022] https://werkstadt.junges.wien.gv.at/freitzeit-und-kultur/ [27.09.2022] https://www.kinderjugendgesundheit.at/ [27.09.2022] https://www.boja.at/sites/default/files/wissen/2020-01/Leitfaden_Gesundheitskomp etenz_OJA_2%20Auflage_Web.pdf [27.09.2022] https://www.gesunde-jugendarbeit.at/ [27.09.2022]

Gudrun Schweigkofler Wienerberger: 3.6. Arts and Health für Kinder und Jugendliche

Teamfähig auch bei der Verbeugung

© Musisches Zentrum Wien

Künstlerisches Tun von Kindern und Jugendlichen wird meist mit einer Steigerung der sozialen Kompetenzen sowie der persönlichen künstlerischen Fähigkeiten und Fertigkeiten assoziiert. Viele Angebote der Kunstvermittlung argumentieren damit, angelehnt an die Kompetenzenfokussierung der Lehrpläne der Schulen. Das individuelle Wohlbefinden als Beitrag zur Gesundheit sowie das Erreichen sozialer Kompetenzen als Beitrag zur gesellschaftlichen Gesundheit stehen dabei meist im Mittelpunkt, wie z.B. bei der »Initiative Kultur:Bildung« des Oead11 , bei der u.a. mit dem Kompetenzerwerb in den Bereichen »Persönliche Handlungsfähigkeit« und »Zwischenmenschliche Handlungsfähigkeit« unterschiedliche Fähigkeiten durch die Auseinandersetzung mit Kunst und deren Möglichkeiten gestärkt werden sollen: »Selbststeuerungsfähigkeit, Belastbarkeit, Eigeninitiative, Entscheidungsfähigkeit, Flexibilität u.a.«; »Einfühlungsvermögen, Teamfähigkeit, Kommunikationsund Kritikfähigkeit u.a.«12 . Wenn auch nicht explizit definiert, so ist Gesundheitsförderung durch Stärkung der Eigenwahrnehmung und der sozialen Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen ein Grundgedanke, der sich durch viele Angebote von partizipativer Kunstvermittlung zieht.

11 12

https://oead.at/de/schule/kulturvermittlung-mit-schulen/ausschreibungen/kulturbil dung [27.09.2022] https://oead.at/fileadmin/Dokumente/oead.at/KIM/Kultuvermittlung_mit_Schul en/kultur_bildung/Informationen_zu_Kompetenzerwerb_und_Partizipation.pdf [27.09.2022]

193

194

Arts and Health: Österreich

Künstlerisches Arbeiten in konkreten Handlungsfeldern des Gesundheitsbereichs steht nur wenig im Fokus. Hier sind vor allem die Initiativen CliniClowns13 und Rote Nasen Clowndoctors14 in den Krankenhäusern präsent. Der Fokus auf Gesundheitskompetenz im Kinder- und Jugendalter ist in Österreich gegeben. Den Blick auf die Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden durch künstlerische Interventionen auszuweiten und die positiven Einflüsse künstlerischer Prozesse mitzudenken wäre nur ein kleiner weiterer Schritt.

13 14

https://cliniclowns.at/ [27.09.2022] https://www.rotenasen.at/ [27.09.2022]

3.7. Kunst trifft Wissenschaft Von STEM zu STEAM Airan Berg

Auch wenn in diesem Buch die Praxis und Forschung zu Arts and Health im Mittelpunkt steht, so soll auch darauf hingewiesen sein, dass die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst und Kultur über den Gesundheits- und Sozialbereich hinausgeht. Die aktuelle Debatte rund um die Erweiterung von STEM zu STEAM (Science-Technology-Engineering-Arts-Mathematics) verdeutlicht die Relevanz der Kunst für die Naturwissenschaften.

HELIX projects Linz und Zirkus des Wissens: »Faszination Krake«

© Nick Mangafas

Mit dem STARTS-Preis setzt die Europäische Kommission ein wegweisendes Signal zur Förderung von Allianzen zwischen Technologie und künstleri-

196

Arts and Health: Österreich

scher Praxis, »mit denen die europäische Politik zur Förderung von Innovation wirksam umgesetzt wird und die auch der Kunstwelt zugute kommen.«1 Auch in Österreich ist dieser Trend erkannt und mit der Einrichtung des »Zirkus des Wissens« an der Johannes Kepler Universität als wesentlicher Bestandteil zukunftsfähiger, humanistischer Bildung hergestellt worden.

Am Beispiel von … Zirkus des Wissens. Artistic Research meets Scientific Research Das Positionspapier des deutschen Wissenschaftsrates aus dem Jahr 2020 argumentiert, dass »Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Zukunft vermehrt Möglichkeiten für Austausch und Kooperation über Grenzen von Einrichtungen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen hinweg schaffen soll.« Im Zentrum steht dabei »die Integration einer Vielfalt von Perspektiven und Kompetenzen«. Der 2021 errichtete »Zirkus des Wissens«2 ist das Bekenntnis der Johannes Kepler Universität Linz, dieser Zielsetzung nachzukommen und Kunst, Wissenschaft und Bildung nachhaltig zu verschränken. Dabei wird auch der Zusammenhang zwischen Kunst und Gesundheit, zum Beispiel durch Projekte mit der Medizinischen Fakultät, im Zentrum stehen. Als eine der ersten Veranstaltungen des Zirkus des Wissens hat der Verein »Arts for Health Austria« im Rahmen seiner Österreich-Tournee »Kunst trifft Gesundheit« dort Station gemacht. Doch auch andere Wissensbereiche der Kepler-Universität und deren Forscherinnen werden zum Zirkus beitragen: Naturwissenschaften wie Biologie, Chemie oder Physik, Engineering wie Kunststofftechnik oder Mechatronik, Informatik und Künstliche Intelligenz, Kultur- und Sozialwissenschaften, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften. Nach der länger geführten Debatte und langsamen Etablierung der Notwendigkeit von mehr Partizipation, Inklusion und Diversität auch an größeren bzw. traditionsreicheren Kulturinstitutionen entwickelt sich gerade eine neue Debatte über die Verknüpfung von Kunst und Wissenschaft und die Kooperation zwischen Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen auf der professionellen Ebene und zwischen sogenannte Citizen Artists und Citizen Scientists auf der partizipatorischen Ebene. Diese Debatte wurde durch namhafte Kunstuniversitäten

1

https://starts-prize.aec.at/en/ [27.09.2022]

Airan Berg: 3.7. Kunst trifft Wissenschaft

initiiert, in denen transdisziplinäre »Art & Science«-Fachbereiche etabliert wurden. Als Ort steht der Zirkus des Wissens für den offenen Dialog und Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Mit den Mitteln der Kunst sollen Menschen unterschiedlicher Altersgruppen angesprochen werden, sich mit den Themen der Wissenschaft auseinanderzusetzen und sich auch an gemeinsamen künstlerischen Projekten zu beteiligen. Der Zauber des Wissens und die Magie der Erkenntnis sollen erlebbar gemacht werden. Mit den Mitteln der Kunst sollen die Menschen zum Staunen gebracht und Begeisterung entzündet werden, um unsere Welt mit allen Sinnen zu entdecken. Digitale Revolution, Klimakatastrophen, Bildungsungleichheit, demografischer Wandel und Armut stellen uns als Gesellschaft vor globale Herausforderungen mit einem hohen Komplexitätsgrad. Die damit verbundenen Veränderungen durchdringen unseren Alltag, stellen unsere Arbeitswelt auf den Kopf und konfrontieren uns mit einer Reihe unbekannter Problemstellungen. Die Dringlichkeit innovativer Lösungen wird angesichts dieser aktuellen Herausforderungen deutlich. Wissenschaft und Kunst sind durch die Erforschung von gänzlich Neuem sowohl Quelle als auch Antrieb für Innovationen in unserer Gesellschaft. Es ist deshalb von gesamtgesellschaftlicher Relevanz, früh die Begeisterung und Neugier an künstlerischer Forschung und wissenschaftlichen Entdeckungen zu wecken und (junge) Menschen darin zu bestärken, sich selbst als Change Maker und aktiv Handelnde zu begreifen. Mit dem Zirkus des Wissens wird ein einzigartiger Theater- und Begegnungsraum geschaffen, in dem ko-kreative Zusammenarbeit und Forschung auf Augenhöhe stattfinden kann. Es wird eine dringliche Aufgabe von Kultureinrichtungen sein, gemeinsam mit Bildungseinrichtungen, Hochschulen, Gesundheits- und Sozialeinrichtungen systematisch verschiedene Formen von Begegnungsräumen zu erproben und zu schaffen. Der Zirkus des Wissens eröffnet einen solchen Raum, um gemeinsam zu experimentieren und zu staunen. Dabei wird das Publikum nicht nur als Konsumentinnen eingeladen, sondern als Forscherinnen und Künstlerinnen.

2

https://www.jku.at/zirkus-des-wissens/ [27.09.2022]

197

3.8. Policy-Empfehlungen Von gegenseitigem Nutzen für Kunst, Gesundheit und Sozialwesen Die Redaktion

»…in Anbetracht des Umfangs der Evidenzbasis schlägt dieser Bericht eine Reihe politischer Überlegungen für die Mitglieder der Europäischen Region der WHO vor, um die Entwicklung langfristiger politischer Konzepte oder Strategien zu unterstützen, die eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Sektoren Gesundheit und Kunst ermöglichen, um das Potenzial der Künste für die Verbesserung der globalen Gesundheit zu nutzen. Da viele dieser Prioritäten mit bestehenden Prioritäten und Erklärungen übereinstimmen, sollte die Entwicklung neuer Programme, die diese Politik umsetzen, von gegenseitigem Nutzen für die Künste sowie die Gesundheits- und Sozialfürsorge auf internationaler Ebene sein.« (Fancourt/Finn, 2019: 57)

Ausgangslage Die »Kulturnation« Österreich verfügt sowohl über ein vielfältiges künstlerisches und kulturelles Leben als auch über ein qualitativ hochwertiges Sozial- und Gesundheitswesen. Die Synergien der beiden Bereiche sollten optimal füreinander nutzbar gemacht werden können. Mit dem Engagement des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport, die Ziele der »2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung« der Vereinten Nationen im Kunst- und Kulturbereich umzusetzen, sowie durch die »Gesundheitsziele Österreich« und die Einführung von Social Prescribing durch das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz bestehen gute Voraussetzungen, um Kunst- und Kulturinitiativen als salutogenetische Maßnahmen zu etablieren. Für eine möglichst

200

Arts and Health: Österreich

weite Verbreitung von Kunst- und Kulturinitiativen bietet sich das Netzwerk »Gesunde Gemeinden Österreich« an.1 Die Zusammenarbeit von Künstlerinnen und Medizinerinnen hat in Österreich eine lange Tradition. Erinnert sei an dieser Stelle an die Arbeiten von Egon Schiele in der Entbindungsstation der II. Frauenklinik und Erwin Dominik Osen im Garnisonsspital in Wien zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Seit den 1950er Jahren haben sich die Künstlerinnen von Gugging, die aus der Psychiatrischen Heil- und Pflegeanstalt Gugging hervorgegangen sind, mit ihren Werken in der internationalen Art-Brut-Bewegung einen prominenten Platz erobert. Nicht wenige Medizinerinnen sind auch Musikerinnen. Um nur wenige prominente Beispiele dieser Tradition herauszugreifen: Eine Pionierin, die unter anderem die Interdisziplinäre Plattform für chronobiologische Forschung (IPCF) begründet hat, ist die Sängerin und Ärztin Gertraud BerkaSchmid. Der Intensivmediziner Klaus-Felix Laczika ist Pianist, Intendant und als ein zentraler Proponent der Musikwirkungsforschung in Österreich u.a. Co-Leiter des Forschungsinstitutes für Musikmedizin mit Schwerpunkt Arts for Health an der JAM Music Lab Private University. Der Kinderfacharzt und Professor für Kinderheilkunde am AKH, Andreas Boeck, ist im Zweitberuf Komponist. Die Musikerinnen der Orchester Camerata Medica Wien und Sinfonia Academica sind auch Gesundheitsprofis und setzen die Tradition des »Wiener Ärzteorchesters«, die ins frühe 20. Jahrhundert zurückreicht, fort. Aktuell laufen in Österreich verschiedene künstlerische Einzelprojekte und -angebote im Sozial- und Gesundheitsbereich, von denen in diesem Band einige exemplarisch angeführt sind. Weitere Initiativen wurden bereits 2019 in der Zeitschrift »Kultur als Rezept«2 der IG Kultur Österreich dargestellt. Diese ersten Einblicke sind keineswegs umfassend, vielmehr bilden sie einen beispielhaften Ausschnitt der künstlerischen und kulturellen Aktivitäten im Kontext von Kunst und Gesundheit: Das Bild ist fragmentiert. Damit Kunst und Kultur jedoch auf einer breiten gesellschaftspolitischen Ebene wirken können, bedarf es einer konzertierten und breiter angelegten Strategie. Konkrete Strategien, die Schaffung von Strukturen und finanzielle Ermöglichung von Projekten und Programmen sollten realisiert werden, auch

1 2

https://www.gesundheit.gv.at/gesundheitsleistungen/gesundheitsfoerderung/gesu nde-gemeinden [31.10.2022] IG Kultur: Zentralorgan für Kulturpolitik 1.19: »Kultur als Rezept«, 2019

Die Redaktion: 3.8. Policy-Empfehlungen

um Österreich als Partner der globalen »Arts and Health«-Bewegung zu etablieren. Diese Empfehlung wird durch die internationalen Beispiele unterstrichen. So sind Institutionen in Finnland und Großbritannien Gründungsmitglieder des »WHO Collaborative Centre for Arts and Health« und streben damit eine internationale Forschungsstrategie an, an der Österreich teilnehmen könnte. Die folgenden Policy-Vorschläge für die Implementierung von Kunst und Kultur in das österreichische Sozial- und Gesundheitswesen wurden in Anlehnung an die Überlegungen im WHO-Report über die Rolle von Kunst und Kultur auf die Gesundheit und das Wohlbefinden (Fancourt/Finn, 2019: 55) sowie am Beispiel der in diesem Buch vorgestellten Länder entwickelt. Es sind erste Anregungen für einen breiter zu führenden Diskurs für die Schaffung sinnvoller Synergien mehrerer basaler Grundsysteme – der Gesundheit, dem Sozialen und der Kunst – hin zu einem tragfähigen Fundament für Gesundheit und Wohlbefinden für die in Österreich lebenden Menschen.

Mehr Farbe für das Wohlbefinden

© Musisches Zentrum Wien

Zielsetzungen Anerkennung der wachsenden Evidenz durch • •

Gezielte Förderung von künstlerischen und kulturellen Interventionen, für die bereits wissenschaftliche Befunde vorliegen. Förderung von innovativen Kunstprojekten im Gesundheitskontext und deren wissenschaftlicher Kontextualisierung.

201

202

Arts and Health: Österreich



Förderung von Forschung mit der Aussicht auf eine Weiterentwicklung spezifischer Ansätze auf größere Populationen, weitere Einsatzfelder, ökonomische Sinnhaftigkeit, Akzeptanz und Eignung.

Anerkennung des Mehrwerts der künstlerischen und kulturellen Teilhabe für die Gesundheit durch • •



ein ausgeglichenes Angebot für unterschiedliche soziale Gruppen, speziell für Minderheiten und in allen Lebensphasen; Umdenken in den Kunst- und Kulturinstitutionen, Gesundheit und Wohlbefinden als integralen und essentiellen Bereich ihrer Kulturvermittlung zu begreifen und Interventionen strategisch zu entwickeln; aktive Herstellung von Bewusstsein über den potenziellen Nutzen von Kunst und Kultur für Gesundheit und einen gesünderen Lebensstil.

Anerkennung des Bereichs als Querschnittsmaterie durch • • •

verstärkte Zusammenarbeit zwischen dem Kultur-, Sozial- und Gesundheitssektor; Einbindung von Kunst und Kultur in Mechanismen wie Social Prescribing und Gesunde Gemeinden; Einbeziehung von Kunstangeboten und das Wissen über ihre positive Wirkung in die Aus- und Fortbildung von Gesundheits- und Sozialberufen sowie von künstlerischen Berufen.

Auf- bzw. Ausbau von Strukturen •



Etablierung bzw. Ausbau bestehender Organisationen als Anlaufstellen für die nationale und internationale Zusammenarbeit an der Schnittstelle Kunst und Gesundheit Koordinierung und Umsetzung der folgenden Maßnahmen.

Strategische Maßnahmen •

Politische Strategie-Entwicklung. Forschung und Praxis brauchen stärkere Vernetzung zwischen Systemen, Organisationen und Individuen – auf

Die Redaktion: 3.8. Policy-Empfehlungen



• • •





Grundlage der Zusammenarbeit und im Austausch mit den jeweiligen Expertinnen. Einen transversalen Ansatz für Kultur, Gesundheit, Wohlergehen und sozialen Zusammenhalt verfolgen. Zusammenarbeit und gemeinsame Budgets über die verschiedenen Politikbereiche hinweg etablieren. Die sektorübergreifende Koordination und Finanzierung auf nationaler, Länder- und Gemeindeebene mit verschiedenen Regierungsstellen fördern. »Arts and Health«-Referate in den zuständigen Gesundheits- und Sozialinstitutionen anregen. Act Early: Kunst und Kultur in der Prävention und Primärversorgung verstärkt einsetzen, zum Beispiel im Rahmen von Social Prescribing und in den Gesunden Gemeinden. Gemeinsam gute Werkzeuge (weiter-)entwickeln, z.B. gemeinsame Ausschreibung über mehrere Politikbereiche hinweg auf nationaler Ebene durchführen, Zusatzförderungen auf Landesebene anstoßen, Synergien mit Ländern und Gemeinden suchen und Kofinanzierungen ermöglichen. Interdisziplinäre Forschung und (klinische) Studien auf nationaler und internationaler Ebene fördern.

Bewusstsein schaffen •

• •

Bewusstsein schaffen durch Workshops, Lecture Demonstrations, Öffentlichkeitsarbeit, Podcasts, Veröffentlichungen in Fachjournalen, Medien; Informationsveranstaltungen mit und für Stakeholder auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene. In Gesundheits- und Sozialeinrichtungen ein Netzwerk von »Arts and Health«-Botschafterinnen (Advocats) aufbauen. »Artists on Tour«: Künstlerinnen führen Kurzinitiativen/Teaser-Sessions in Pflegeheimen, Kuranstalten, Krankenanstalten, Heilstätten, Schulen, Altenbetreuung, betreuten WGs etc. durch.

Vernetzung •

Netzwerke aufbauen bzw. vorhandene Netzwerke nutzen. Zentrale Datenbank für Künstlerinnen, Kunsttherapeutinnen, Kunst- und Kultureinrichtungen, Gesundheitsprofis und Gesundheits- und Sozialeinrichtungen, die sich an Projekten beteiligen möchten oder eine Teilnahme an Projekten anbieten.

203

204

Arts and Health: Österreich

• • •

Vermittlung von »Arts and Health«-Künstlerinnen in Gesundheits- bzw. Sozialeinrichtungen laut Aufgabenprofil. Vernetzung zwischen Kunst- und Kulturinstitutionen, Sparten und Anwendungsbereichen etablieren. Internationale Vernetzung forcieren, um sich über Good Practice auszutauschen und länderübergreifende Projekte zu entwickeln.

Aus- und Weiterbildung •

• •

• •

Sensibilisierung und Fortbildung in der Ausbildung von Gesundheits- und Sozialprofis sowie von Künstlerinnen, indem man Arts and Health als Thema in den entsprechenden Aus- und Weiterbildungen anbietet bzw. in Fortbildungsseminaren und Workshops vermittelt. Informationsworkshops und Beratung für im Feld tätige Künstlerinnen vor Ort in den Gemeinden und online (Care for the Carers). Qualitätssichernde Regulatorien, z.B. Code of Conduct und SafeguardingRichtlinien für die Arbeit im Gesundheits- und Sozialbereich unter Einbindung von Künstlerinnen, Peers und Gesundheits- und Sozialprofis entwickeln. Kunst und Kultur verstärkt als Aktivitäten für Social Prescribing nutzen und das Thema in die Ausbildung von Linkworkerinnen integrieren. Universitäre Lehrgänge »Arts for Health« für Künstlerinnen etablieren.

Projektförderung • •





Einen Rahmen für die Entwicklung neuer Initiativen schaffen Kulturinstitutionen bei der Planung und Zusammenarbeit unterstützen, in die Planung von Projekten einbinden und bei begleitenden Evaluierungen mitdenken. Dazu ermutigen, Fördermittel für »Arts and Health«-Initiativen zweckzubinden. Kulturvermittlung für neue Gruppen ermutigen, z.B. Guidelines für blinde Menschen, freier Eintritt für Kinder und Jugendliche, Kulturbegleiterinnen für Menschen mit Demenz; Streams von Theaterproduktionen (Endproben) in Kliniken und Pflegeheimen (in Anlehnung an entsprechende Angebote für Schulen). Priorisierung von Kunstinterventionen, für die es eine solide Evidenzbasis gibt

Die Redaktion: 3.8. Policy-Empfehlungen



• •



Kleine partizipative Projekte als Experimentierfeld für innovative Ideen als Piloten mit begleitender, möglichst einheitlich formalisierter Evaluierung fördern. Auf die Zusammenarbeit von öffentlichen und gemeinnützigen Organisationen (NGOs) hinwirken. Vom Pilotprojekt zum nachhaltigen Programm. Für eine nachhaltige Finanzierung von erfolgreichen Pilotprojekten eintreten. Für die Zusammenarbeit und Co-Finanzierung unterschiedlicher Sektoren gemischte Finanzierungsmodelle entwickeln. Ausbau von Initiativen in den Gemeinden über das Netzwerk »Gesunde Gemeinden« in den Bundesländern, begleitet von einem Weiterbildungsangebot für die in diesem Bereich tätigen Künstlerinnen vor Ort oder online.

Forschung & Evaluierung • • •

Interdisziplinäre Forschung fördern: von der Evaluierung von Pilotprojekten bis zu wissenschaftlichen Studien. Internationalisierung: An internationale Forschung anschließen, z.B. als Mitglied des WHO Collaborating Centre. Auf internationaler Ebene mit Gesundheitsprofis, Peers und Künstlerinnen Benchmarking-Standards entwickeln.

Fokus: Mentale Gesundheit

Tanz die Toleranz YouthDance, Herbst 2022 © Karin Cheng

205

4. Anhang

4.1. Glossar der Schlüsselbegriffe

Arts and/in/for/within Health; Creative Health; Culture for Health In der globalen Diskussion über Kunst- und Kulturinterventionen im Kontext von Gesundheit und Wohlbefinden sind oben angeführte Bezeichnungen gebräuchlich. In dieser Publikation verwenden auch wir die englischen Bezeichnungen, allgemein könnte man das Gebiet mit »Kunst / Kultur für die Gesundheit«, oder »Kunst trifft (auf) Gesundheit« übersetzen. Arts for Health Wir verwenden den Ausdruck »Arts for Health« für evidenzbasierte Interventionen, die vom künstlerischen Standpunkt aus agieren und bei denen der künstlerische und kreative Prozess im Mittelpunkt steht. Sie erheben keinen Anspruch, therapeutischen Charakter zu haben, und unterscheiden sich darin von Kunsttherapien, die einen psychotherapeutischen Ansatz haben. Community Arts / Dance / Music / Performance bezeichnen künstlerische Interventionen und Prozesse (bildende Kunst, Tanz, Musik, Performance etc.) mit einer spezifischen Gruppe (Jugendliche, Menschen mit Behinderung, Parkinson, Demenz etc.) Es gibt keine deckungsgleiche Übersetzung auf Deutsch. Kulturvermittlung, Kulturelle Bildung und Soziokultur kommen dem »Community Arts«-Konzept aber nahe. Gesundheit Österreich GmbH / Fonds Gesundes Österreich Nationales Public-Health-Institut und führendes Kompetenzzentrum für Bevölkerungsgesundheit, Gesundheitsförderung, Prävention, Versorgungsplanung und Qualität im Gesundheitswesen. Gesundheit Österreich GmbH schafft evidenzbasierte Grundlagen für ein effizientes und gerechtes Gesundheitssystem. Einer von drei Geschäftsbereichen ist der Fonds Gesundes

210

Anhang

Österreich, der sich als Förderstelle, Kompetenzzentrum und Drehscheibe definiert. Pathogenese beschreibt die Entstehung einer physischen oder psychischen Erkrankung oder den Verlauf eines krankhaften Prozesses bis zu einer Erkrankung.1 Public Health bezieht sich auf die Gesundheit von Bevölkerungen von der Prävention über die Gesundheitsförderung bis zur Verlängerung des Lebens.2 Salutogenese ist ein vom Soziologen Aaron Antonovsky begründeter, komplementärer Begriff zur Pathogenese. Er bezeichnet den individuellen Entwicklungs- und Erhaltungsprozess von Gesundheit.3 Social Prescribing / Link Worker Unter Social Prescribing (soziale Verschreibung) versteht man vom Arzt verschriebene Aktivitäten und Angebote, um gesundheitsrelevante, nichtmedizinische Bedürfnisse systematisch zu adressieren. Als Verbindungsglied zwischen Arzt und Patient agieren Social Prescribing Link Worker. WHO (World Health Organisation / Weltgesundheitsorganisaton) ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf.4

1 2 3 4

https://flexikon.doccheck.com/de/Pathogenese https://flexikon.doccheck.com/de/Public_Health?utm_source=www.doccheck.flexik on&utm_medium=web&utm_campaign=DC%2BSearch https://www.gesundheit.gv.at/lexikon/S/lexikon-salutogenese.html https://www.who.int

4.2. English Abstracts

Introduction Major public health issues, including mental health, social isolation, collective trauma, racism, chronic diseases, and the pandemic, require creativity and cross-sector collaboration. Art and culture are available but often unrecognized resources to address these issues. In Austria, there are a number of noteworthy projects, some of which have decades of continuity, but the broader public discussion of art and culture in the context of health and well-being has only recently begun. The theoretical and discursive, and thus political, debate of the topic is subsequently lagging behind in practice. The Federal Ministry of Arts, Culture, Civil Service and Sport has already been working for several years on the topic against the backdrop of the 2030 Agenda for Sustainable Development and the EU Workplan for Culture. After an EU expert group on culture and social inclusion (2017–2018) identified the interface with health as one of the central fields of action, the idea arose to hold the event »Arts for Health« in December 2019. This event inspired a group of artists to found the association ARTS for HEALTH AUSTRIA, which is continuously setting initiatives to increase public awareness of the impact of arts and culture on health and well-being. The present publication, commissioned by the Federal Ministry of Arts, Culture, Public Service and Sport, is a contribution to deepen and further develop the topic of arts and health. It is intended to serve as a source of information for artists, health professionals, policy makers and experts, who will find relevant information for their respective fields. This publication is structured in three parts: In the first part we focus on the scientific contextualisation. In the second part we present international best practices. In the third part we look at Arts and Health in Austria from a vari-

212

Anhang

ety of angles. The book closes with policy recommendations. In the respective chapters, project examples provide a connection to the experienced practice.

Scientific Contextualization Arts and/in/for/within Health Attempting a Definition: Although there is no fundamental distinction in the literature between arts and/for/in/within health, we make the following differentiation in this publication. “Arts and Health” refers to artistic and cultural activities in the context of health and well-being. “Arts for Health” is for nontherapeutic interventions that focus on the artistic process, usually led by professional artists, and is seen as a further development of the concept of Community Arts. Art therapies are mostly clinical psychotherapeutic treatments involving artistic activities led by trained therapists. This distinction is necessary because of the special legal status of music therapy in Austria.

Arts and Health: the evidence base according to WHO A Summary: In 2019, the World Health Organization’s (WHO) European Office published the 67th edition of its Health Evidence Network Synthesis Report: In “What is the evidence on the role of the arts in improving health and wellbeing. A scoping review,” the authors Daisy Fancourt and Saoirse Finn examine 900 publications that presented a total of 3,000 studies. To do justice to the subject matter, they chose an inter- and transdisciplinary approach and examined studies from the fields of medicine, neuroscience, psychology, and sociology. They brought together quantitative meta-analyses, qualitative metasyntheses, and individual studies. The WHO report currently provides us with the most comprehensive overview of the research on the impact of the arts in the context of health and well-being. Good practice examples refer to projects enhancing social cohesion and addressing Dementia.

Arts and Health evaluations Robust study base? There is no standardized design in the impact research of Arts and Health interventions but rather a plethora of methods and approaches. In addition to scientific strategies applied in medicine, psychology

4.2. English Abstracts

or sociology that investigate artistic processes with regard to their effect on the participants, cultural-historical and art-immanent factors should also be considered. An interdisciplinary approach and an appropriate composition of the team is desirable. In the development of scientific evidence of the effect of clowning on health, the RED NOSES Clown doctors are guided by a Framework of Change as a basis for planning evaluations.

Arts and Health: Good Practices International WHO Collaborating Centre for Arts and Health An international Research Centre: In October 2021, the WHO Collaborating Centre for Arts and Health was launched at University College London (UCL). It builds on a previous four-year collaboration between UCL and the WHO Regional Office Europe on arts and health, which included the publication of the Health Evidence Synthesis Report ”What is the evidence of the role of the arts in improving health and well-being”. The Collaborating Centre is working on the analysis and dissemination of data from longitudinal cohort studies on the long-term effects of arts and cultural engagement on mental and physical health and the mechanisms underlying these effects. It will also work with governments internationally to develop strategies to support the use of the arts to achieve global development goals, e.g. with projects such as “Breathe Melodies for Mums”.

The United Kingdom The Blueprint: Stakeholders in the arts, health services and politics in the UK have pioneered Arts and Health since the beginning of this century which has now become a global movement. In the UK, there are numerous projects, a sound evidence base and a lively debate about the role of the arts for health. In 2017, the All-Party Parliamentary Group on Arts, Health and Wellbeing published the report: “Creative Health: The Arts for Health and Wellbeing” which led to the establishment of a National Centre for Creative Health as a pivot point of a network of key players of the health and culture sector. Social Prescribing has promoted arts for health interventions on the local level. The organization Arts4Dementia has established a nationwide network and a database of dementia friendly events.

213

214

Anhang

Finland Art and culture in a changing social and health care system: Currently, in Finland, the arts and health perspective is integrated mainly within the framework of preventive health promotion. In many municipalities arts and culture have already been included in the municipality’s welfare report, which is a legal document, a tool for planning, evaluation, and monitoring of municipal welfare policies. In terms of monitoring, one of the key developments in recent years has been the inclusion of culture in an online service that describes as well as supports the planning and management of health and social promotion including cultural activities on the municipal and regional level. In the new implementation plan of the Government Resolution “Promoting Wellbeing, Health and Safety 2030”, launched in April 2021, arts and culture play a prominent role. For example, the plan promotes the adoption of participatory cultural practices at the national level and the use of arts and culture as part of Mental Health Skills. It also includes strict guidelines for the promotion and implementation of “Arts and Health” activities in the collaboration of government departments.

Denmark With some references to Norway and Sweden: Within the national recommendation framework of Denmark, the continuous employment of music therapists in the hospice setting has been a sustained success. In Norway, the government health authority also recognizes and funds music therapy for the treatment of people with dementia. Recommendations are made by physicians and experts in music therapy so that an effective process of patient care can be realized. In contrast to project-based initiatives, these are examples of how the arts can be embedded in a health care system through genuine and equal partnership collaboration between artists and health professionals.

The Netherlands The example of the province of Fryslân (Friesland): In the Netherlands, the national government provides the legal basis for the implementation of policy measures in provinces and municipalities. The Ministry of Health, Welfare and

4.2. English Abstracts

Sport and the Ministry of Education, Culture and Science do not yet have a common policy to promote the integration of arts and culture in health care. The role of provinces such as Fryslân (Friesland) in the field of culture is to promote the diversity and dissemination of cultural institutions in their region. However, the provincial cultural policy (2017–2020) already explicitly stated that culture, sports, and education would be more closely linked to health and welfare. Initially, the focus was primarily on older people. In the cultural policy report titled “New Podium 2021–2024,” the goals for “culture in society” are no longer limited to the elderly. In Fryslân (Friesland) arts and health interventions range from projects with an advanced artistic value with equal collaboration between cultural and health professionals to small-scale projects based on more local collaboration and the focus on social participation.

Republic of Ireland Arts and Health in accordance with the principle of subsidiarity: “Arts and Health” programs in Ireland are taking place in a number of health care facilities. The projects are usually initiated by artists and only take place when sufficient funding can be secured, which usually comes from a variety of partners. A number of national policies recognize the link between arts and well-being and the value and benefits of such an overlap, but bridging the gap in policy implementation remains a challenge. Such efforts are reflected in RENEW, a partnership of four stakeholder organizations. This partnership is at an early stage of its existence, implications for advancing a strategic approach to policy and delivery for Arts and Health in Ireland is not yet foreseeable.

Highlights from the USA Arts and Health as a topic of prominent cultural institutions: Under the umbrella of “Arts in Health” or “Neuroarts,” there is a dynamic move toward the emergence of a potentially transformative new field in the arts, health and wellbeing across the United States and Canada. Main drivers are the Longwood Symphony at Harvard University, an orchestra of doctors and students with the accompanying social program “The Healing Art of Music”; the Shands Arts in Medicine Center at the University of Florida; “Healing Arts New York”, a collaboration of the Metropolitan Museum of Art and the New York University; or the “Sound Health Network”, a partnership of the National Institutes of Health

215

216

Anhang

(NIH), the John F. Kennedy Center for the Performing Arts, the Arts Endowment and the soprano Renée Fleming, the centre’s artistic advisor.

Arts and Health: Austria Basics of the health care system in Austria A fragmented picture: Austrian health policy is fragmented among many actors. The reform efforts of the past few years have attempted to achieve a better coordination of responsibilities. The formulation of the 10 health goals, the introduction of primary care centres, and, since 2020, the piloting of social prescribing are developments from which Arts for Health initiatives could benefit.

Social Prescribing Thoughts on the Implementation in Austria: The concept of “Social Prescribing” was implemented for the first time in Austria in a pilot phase from June to December 2021. The rediscovery and strengthening of the biopsychosocial health model associated with it is to be welcomed. Central to the approach of “Social Prescribing” is the consistent orientation on health-promoting activities and the dialogical search for people’s strengths and interests – who, thereby, have the opportunity to change from the patient role to a user role at eye level. On the part of the link-workers, this requires a willingness to reduce pathologizing and to orientate themselves more towards salutogenetic aspects. What keeps people healthy? It requires, among other things, training and practice in interviewing and a comprehensive knowledge of the local and regional networks. The St. Pölten University of Applied Sciences, Department of Social Work, offers short seminars of Social Prescribing / Linkworking for professionals in the health and social sectors. This content is included in the curriculum of the bachelor’s program in social work.

Arts for Health – on prescription? A commentary from the perspective of a lawyer: As a lawyer, I am used to looking at whether there are legal claims of the individual against society (= legally the state). An example of this is the right to health care for people who are insured

4.2. English Abstracts

under the Right to Health Care Act and covered by social security in Austria. If such individually enforceable claims do not exist, there is still the broad area of a “soft” right, which under certain circumstances, may also define additional tasks of the public sector. An example of this second area would be the promotion of the arts, to which there is no individual legal entitlement. There is basically also no entitlement to preventive and health-promoting services. However, health insurance providers are already called upon to be active in this area. Thus, theoretically, there is a chance for providers of demonstrably effective cultural measures to “do business” with public authorities. A ground-breaking example of closer cooperation between health with art and culture seems to be the project “Aufatmen, a breathing and music program for people with Long Covid”.

Cultural policy priorities From traditional cultural funding to sustainable concepts: Cultural policy in Austria mainly relates to the cultivation, development and dissemination of the arts, arts education (universities), and the protection and preservation of cultural heritage. Cultural promotion is regulated by law at the federal and provincial levels. The Federal Arts Promotion Act stipulates that promotion has to be mainly directed to contemporary art, its spiritual changes and its variety and lists the fields to be supported by way of production, presentation, dissemination and preservation of works and documents. The provincial organization of cultural policy and administration provides for different regional priorities. Explicit cultural development concepts with civil society participation have been realized at the level of the federal states and cities since the early 2000s. Even if interfaces with areas such as education, science and social affairs are mentioned intentionally, the desire for increased cooperation in crosscutting issues is not easy to implement due to the legal basis.

Music Therapy Definition and legal situation in Austria: In Austria, as the only country worldwide, music therapy (including the training path) is regulated by law (MuthG, valid since 2009). Other art therapies are not included in this law. Within the framework of Arts for Health, it is, therefore, essential to consider the valid regulations and to differentiate music projects accordingly.

217

218

Anhang

Arts & Health for Children and Youth Focus: Competence Enhancement: Participatory artistic processes for and with children and young people are offered, carried out and evaluated in different formats and settings. The promotion of health is seldom the top priority. Mostly it is about competence enhancement in the individual, social and/or societal spheres, well-being as an expression of joy or physical activity in the context of sport and exercise. The focus on health literacy in children and adolescents in Austria is given. To broaden the view on the promotion of health and well-being through artistic interventions and to think about the positive influences of artistic processes would only be a small further step.

Art meets science From STEM to STEAM: The current debate surrounding the expansion of STEM to STEAM (Science-Technology-Engineering-Arts-Mathematics) illustrates the relevance of the arts to a wider range of scientific disciplines beyond the health and social sectors. With the STARTS Prize, the European Commission is sending out a ground-breaking signal to promote alliances between technology and the arts practice. This trend has also been recognized in Austria, with the establishment of the “Circus of Knowledge” at the Johannes Kepler University as an essential component of future-oriented and sustainable, humanistic education.

Policy Recommendations Of mutual benefit to the arts, health and social services: The policy proposals for the implementation of arts and culture in the Austrian social and health care system are based on the considerations in the WHO report about the role of arts and culture on health and well-being, as well as the examples of the countries presented in this book. They are the first suggestions for a broader discourse for the creation of meaningful synergies of several basic systems – the health, the social and the arts sector – towards a sustainable foundation for health and well-being for the people living in Austria. The objectives are to recognize the growing evidence and added value of artistic and cultural participation for health, to acknowledge the arts as a

4.2. English Abstracts

crosscutting issue, and to build or expand structures. We are also formulating strategic measures for policy development, raising awareness, networking, education and training, project funding, research and evaluation.

219

5. Redaktionsteam, Autoren und Autorinnen

5.1. Herausgeberinnen und Redaktionsleitung

ARTS for HEALTH AUSTRIA1 : Inspiriert vom Workshop »Arts for Health«, veranstaltet vom Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKöS) im Dezember 2019, wurde der Verein Arts for Health Austria (AfHA) 2020 von Katy Geertsen und Edith Wolf Perez gegründet. AfHA versteht sich als Plattform für Kunstaktivitäten im Public-Health-Bereich in Österreich, als Schnittstelle zwischen Künstlerinnen, Forscherinnen und Gesundheitseinrichtungen sowie als nationales und internationales Vernetzungsinstrument und Anlaufstelle für alle an diesem Bereich Interessierten. In diesem Sinne realisierte AfHA das vom BMKÖS herausgegebene Buch »Arts and Health in Österreich«. Die erste AfHA-Veranstaltung fand im Dezember 2020 mit dem OnlineForum »Dance – New Moves in Health Care« in Zusammenarbeit mit der europäischen »Dance and Creative Wellness Foundation« in einer Koproduktion mit dem MQ Wien, dem Kulturamt der Stadt Wien und dem Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport statt. Die Pandemie hat akute Problemfelder wie die psychische Gesundheitsvorsorge und Pflege verstärkt. In beiden Bereichen können Kunst- und Kultur-Angebote für die Prävention und die Behandlung, sowohl für Betroffene als auch für Pflegende, unterstützend wirken. AfHA arbeitet daher an einer strategischen Entwicklung von »Arts and Health«-Interventionen und bemüht sich dabei um eine Zusammenarbeit mit den weitverzweigten Netzwerken von Gesunden Gemeinden und Musikschulen in ganz Österreich. Als eine Antwort auf die Herausforderungen der Pandemie wurde 2021 das Pilotprojekt »Aufatmen. Ansingen gegen Long Covid« durchgeführt, an dem zahlreiche Kooperationspartner aus dem Kultur- und Gesundheitsbereich beteiligt waren und das von einer wissenschaftlichen Studie begleitet

1

https://www.artsforhealthaustria.eu

224

Redaktionsteam, Autoren und Autorinnen

wurde. Zurzeit laufen Verhandlungen auf Bundes- und Länderebene über eine nachhaltige Finanzierung der erfolgreichen und für die Teilnehmenden wohltuenden Interventionen. 2022 startet das Projekt »Kunst trifft Gesundheit«, das im Rahmen des Calls »Perspektiven. Innovation. Kunst 2021« des BMKÖS2 einen Förderzuschlag erhalten hat. AfHA setzt damit erste Schritte für die Umsetzung der in diesem Buch formulierten Policy-Empfehlungen. Die Tournee »Kunst trifft Gesundheit«3 mit Informations- und Netzwerkveranstaltungen in den österreichischen Bundesländern und im angrenzenden Ausland ist eine zentrale strategische Maßnahme, um das Bewusstsein über die Rolle von Kunst und Kultur für die Prävention und für das Management von Krankheiten sowie für die soziale Kohäsion zu erhöhen. Neben einer freudvollen Soirée mit Impulsreferaten sowie einem interaktiven musikalisch-tänzerischen Programm finden jeweils Fokusgruppen statt, zu denen Stakeholder aus dem Kultur- sowie dem Gesundheits- und Sozialbereich zum Gespräch eingeladen werden. Dabei werden Inhalte aus diesem Buch, z.B. die Wirkungsweise sowie die wissenschaftliche Evidenzlage über die Rolle von Kunst und Kultur im Kontext von Gesundheit und Wohlbefinden vermittelt. Die Veranstaltungen sollen dazu beitragen, das Bewusstsein für die Rolle von Kunst und Kultur für die Gesundheit und das Wohlbefinden zu steigern und parallel dazu die Realisierbarkeit für ein Arts and Health Institute Austria zu überprüfen. AfHA ist Mitglied der ARGE Kulturelle Vielfalt der UNESCO. Vorstandsmitglieder des Vereins sind als Expertinnen in Kompetenzgruppen von Gesundes Österreich GmbH (Entstigmatisierung), bei IADMS (International Association for Dance Medicine & Science) und der Ludwig Boltzmann Stiftung (Caring Communities) vertreten. Auf EU-Ebene nimmt AfHA am strukturellen Dialog der Europäischen Kommission mit dem Kultursektor zur Rolle des Kultur- und Kreativsektors (»Voices of Culture«) zur Verbesserung der mentalen Gesundheit von Jugendlichen teil. ARTS for HEALTH AUSTRIA ist Kooperationspartner des Zertifikatslehrgangs »Arts & Health« an der JAM MUSIC LAB Private University und wird Absolventinnen und Absolventen beim Einstieg in die Praxis beraten und un-

2 3

https://www.bmkoes.gv.at/Kunst-und-Kultur/Neuigkeiten/-Neustart-Kultur--Pakete /Projektfoerderung-Perspektiven-Innovation-Kunst.html [27.09.2022] https://www.artsforhealthaustria.eu/tour-2/ [27.09.2022]

5.1. Herausgeberinnen und Redaktionsleitung

terstützen, womit sich besondere Akzente für den Arbeitsmarkt für Künstlerinnen ergeben. Edith Wolf Perez, BA, MA, war während ihres Tanzstudiums am Laban Centre an den ersten inklusiven Tanzprojekten in London beteiligt und hat sich seither auch als Kulturjournalistin immer wieder mit dem Themen Community Dance, Inklusion und Gesundheit auseinandergesetzt. Sie graduierte zum M.A. an der Warwick University, UK (Cultural Policy and Administration), leitete die Workshop-Reihen beim Festival Tanz Bozen/Bolzano Danza, war Beiratsmitglied von Kunstförderungskommissionen in Wien und Graz sowie Projektmanagerin von EU-Projekten. Sie war Mitbegründerin und leitende Redakteurin des Tanzmagazins tanzAffiche, das sie weiterhin online als Webzine tanz.at4 betreibt sowie im Redaktionsteam des European Journal for Cultural Policy (jetzt: International Journal of Cultural Policy) und Co-Autorin von »Kulturpolitik und Verwaltung in Europa. 42 Einblicke« (Österreichische Kulturdokumentation, 1994). Sie ist PhD-Kandidatin an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien zum Thema Arts, Dance & Health. Sie ist Expertin in Kompetenzgruppen und Policy-Gremien auf nationaler und europäischer Ebene, Mitglied des Advisory Board der Dance & Creative Wellness Foundation und Gründungsmitglied und Obfrau von ARTS for HEALTH AUSTRIA5 . DDr. Oliver Peter Graber6 ist international als Komponist, Musiker und Dramaturg tätig. Er lehrte (u.a. an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien) bzw. lehrt zudem im universitären Bereich und war von 2013 bis 2020 Dramaturg des Wiener Staatsballetts. Im Besonderen widmet er sich Projekten an der Schnittstelle zwischen Musik, Ballett und Naturwissenschaft. Aktuell ist er Univ.-Prof. an der JAM MUSIC LAB Private University, wo er (Fachbereich Musik) zusammen mit Klaus-Felix Laczika (Fachbereich Medizin) das »Forschungsinstitut für Musikmedizin mit Schwerpunkt Arts for Health« leitet und als Dekan der Fakultät für Musik fungiert. Beim Verein Arts for Health Austria ist er Obfrau-Stellvertreter.

4 5 6

https://www.tanz.at/ [27.09.2022] https://www.artsforhealthaustria.eu/ [27.09.2022] https://www.graber-op.eu [27.09.2022]

225

5.2. Autorinnen und Mitarbeiterinnen

Airan Berg, geboren in Tel Aviv, kam mit elf Jahren nach Wien, machte seine Theaterausbildung in den USA. Erste Inszenierungen am Burgtheater Wien und Schillertheater Berlin folgten. Nach Erfahrungen in Java und Bali gründete er gemeinsam mit Martina Winkel das Theater ohne Grenzen und das internationale Puppentheaterfestival für Erwachsene in Wien, Die Macht des Staunens. Von 2001 bis 2007 war er künstlerischer Geschäftsführer des Wiener Schauspielhauses. Er teilte die künstlerische Leitung mit Barrie Kosky, den er nach Europa holte. In dieser Funktion gründete er gemeinsam mit Martin Schenk, Vorsitzender der Armutskonferenz, im Dezember 2003 die Aktion Hunger auf Kunst und Kultur. Im Rahmen der europäischen Kulturhauptstadt Linz09 war Airan Berg künstlerischer Leiter für die darstellende Kunst. Dabei war er auch für die Konzeption und Durchführung der visualisierten Linzer Klangwolke FLUT und das große partizipatorische Kreativitäts- und Bildungsprojekt I Like to Move It, Move It! mitverantwortlich. Nach zahlreichen Projekten im Ausland kehrte er nach Österreich zurück und konzipierte und leitete die StadtRecherchen am Burgtheater Wien und das europäische partizipatorische Musiktheater Projekt Orfeo & Majnun, das von Creative Europe co-finanziert wurde. Von 2018 bis 2021 war er künstlerischer Leiter des Festivals der Regionen. Für das Adelaide Symphony Orchestra konzipierte er das stadtumfassende Projekt Floods of Fire. Im Oktober 2021 wurde Berg Zirkusdirektor des neu geschaffenen »Zirkus des Wissens« der Johannes Kepler Universität Linz. Alexandra Coulter ist seit 2010 Direktorin von Arts and Health South West (AHSW). Sie arbeitet seit 1998 im Bereich Kunst und Gesundheit und war 15 Jahre lang Koordinatorin für Kunst am Dorset County Hospital. AHSW ist eine regionale Lern-, Interessenvertretungs-, Netzwerk- und Entwicklungsorgani-

228

Redaktionsteam, Autoren und Autorinnen

sation mit über 1300 Mitgliedern. An der 2021 von AHSW veranstalteten Culture, Health and Wellbeing International Conference nahmen über 530 Delegierte und Redner aus 30 Ländern teil. Alex war Projektmanagerin der zweijährigen Untersuchung unter der Leitung der All-Party Parliamentary Group on Arts, Health and Wellbeing, die 2017 zur Veröffentlichung des Creative-HealthReports führte. Sie ist nun Direktorin des National Centre for Creative Health (NCCH), das 2021 auf die Empfehlung des Creative-Health-Berichts gegründet wurde. Die Aufgabe des NCCH besteht darin, bewährte Verfahren und Forschung voranzutreiben, die Politik zu informieren und die Zusammenarbeit zu fördern, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass kreative Gesundheit ein integraler Bestandteil der Gesundheits- und Sozialfürsorge und der weiteren Systeme wird. Dr. Dorothy Conaghan, Musikerin und Postgraduierten-Forschungsstipendiatin der irischen Regierung, ist assoziierte Forscherin an der School of Education – Equality Studies und assoziiertes Mitglied des Centre for Human Rights am University College Dublin. Vor kurzem wurde sie in den Vorstand des Internationalen Musikrates (IMC) gewählt. Dorothy Conaghans Forschung konzentriert sich auf Fragen der sozialen Gerechtigkeit und Gleichberechtigung in der Bildung. Ihre Motivation, Grenzen über die Musikpraxis hinaus zu überschreiten und sich der Wissenschaft in den Sozial- und Rechtswissenschaften zuzuwenden, entspringt der Überzeugung, dass Musik für die Menschheit wichtig ist. Dorothys Berufserfahrung deckt ein breites Spektrum an Bereichen in unterschiedlichen Funktionen im Bildungsbereich ab. Sie gründete und leitete das Young Dublin Symphonia Orchestra. 2014 erhielt sie das international renommierte »Mary Kelly«-Stipendium an der School of Social Justice am University College Dublin. Ihre letzte Publikation war »Instrumental Music Education In Ireland: how subsidiarity and choice can perpetuate structural inequalities«.1 Jennifer Davison ist eine Sopranistin, die mit ihrer »warmen, strahlenden« (operaamerica.com) Stimme, ihrem »beachtlichen Gespür für Dramatik« und ihrem vielfältigen Repertoire bei Publikum und Presse immer wieder

1

Conaghan, Dorothy (2022): »Instrumental Music Education In Ireland: how subsidiarity and choice can perpetuate structural inequalities«, London: Taylor & Francis. h ttp://dx.doi.org/10.1080/03323315.2022.2093255; ORCID ID: http://orcid.org/0000-00 02-3651-4447 [27.10.2022]

5.2. Autorinnen und Mitarbeiterinnen

besondere Anerkennung findet. Ihr erstes europäisches Engagement führte sie nach Luzern (CH), wo sie u.a. als Pamina (Die Zauberflöte), Micaela (Carmen), Almirena (Rinaldo), Ännchen (Der Freischütz) und in Olga Neuwirths Bählamms Fest auftrat. In Wien gastierte sie in mehreren Produktionen der Wiener Kammeroper u.a. als Füchslein Schlaukopf (Janaček). Sie beeindruckte mit der Neuen Oper Wien als Lucille in Gottfried von Einems Dantons Tod und als Ghost in Harrison Birtwistles »The Last Supper« unter der Regie von Philipp Harnoncourt (Koproduktion mit dem Osterklang Festival). Zu ihren weiteren Wiener Highlights zählen Menottis »The Telephone« am Theater an der Wien sowie Auftritte bei den Wiener Festwochen. Jennifer Davison ist auch leidenschaftliche Pädagogin und Entrepreneurin. Sie hat zahlreiche Meisterkurse absolviert, z.B. beim Vienna Summer Music Festival, an der University of North Carolina Chapel Hill, am Conservatoire de Strasbourg, in Chisinau, Moldawien sowie in mehreren Ländern in Zentralasien. Seit 2020 arbeitet sie in der internationalen »Arts and Health«-Bewegung, wo sie mit ihrem neuen Start-up »ArtWave« zusammen mit der Sängerin Bea Robein das Projekt »Aufatmen – Ein Atem- und Musikprogramm für Long-CovidBetroffene« als Künstlerische Leiterin begleitet hat. Katherine Dedich BA, MA, hat ihren BA-Abschluss mit Hauptfach Psychologie und Nebenfach Kunst an der Bellarmine University gemacht. Ihr Auslandsstudium an der Karl-Franzens-Universität in Graz, Österreich, und an der Lingnan University in Hongkong hat ihr neue Einblicke im Umgang mit Menschen auf der ganzen Welt gebracht. Nach ihrer Masterarbeit an der Webster University in Wien über »The Effects of the Production of Art on Stress« widmet sie sich dem Thema Kunst und Gesundheit. Derzeit arbeitet sie als therapeutische Verhaltensspezialistin bei der gemeinnützigen Organisation Maryhurst in Kentucky. Veronica Franklin Gould FRSA AMRSPH gründete 2011 Arts 4 Dementia und entwickelte wöchentliche Programme für Demenz im Frühstadium an Kultur- und Schulungseinrichtungen, sie referierte bei Konferenzen zu bewährten Verfahren, schrieb Berichte und richtete eine Website zur Koordinierung von Kunstangeboten für Demenzkranke ein. Ihr erstes Programm, »Reawakening the Mind« (2012–13), wurde mit dem London 2012 Inspire Mark sowie dem Positive Breakthrough in Mental Health Dementia Award 2013 ausgezeichnet. Veronica war Finalistin im Changemaker-Wettbewerb der Sunday Times und wurde nach der Veröffentlichung von »Music Reawakening« (2015)

229

230

Redaktionsteam, Autoren und Autorinnen

zur Präsidentin von Arts4Dementia ernannt. Ihr regionaler Führer »Reawakening Integrated: Arts & Heritage« (2017) zeigt Möglichkeiten der kulturellen Teilhabe für Demenzkranke auf und ordnet Kunst in den Well Pathway for Dementia von NHS England ein. Ihr Social Prescribing-Programm (2019–21) wurde mit der Konferenz »Towards Social Prescribing (Arts & Heritage) for the Dementias« (Mai 2019) eröffnet. Um sektorübergreifende Fragen zu klären, testete sie in einem Pilotprojekt Tanz- und Theaterprogramme und veranstaltete eine Reihe von 15 sektorübergreifenden Konferenzen in ganz Großbritannien. Die Ergebnisse wurden in einer zweitägigen Konferenz und dem Bericht »Arts for Brain Health: Social Prescribing as Peri-Diagnostic Practice for Dementia« (2021) präsentiert. Katy Geertsen, BA (Hons), schloss 2011 ihr Studium am Trinity Laban – Conservatoire of Music and Dance mit Auszeichnung ab und absolvierte danach ein Praktikum bei der postgradualen LINK Dance Company der Western Australian Academy of Performing Arts in Perth, Australien. Nach ihrem Studium arbeitete sie mit sozial ausgegrenzten Menschen, wurde zur Probenleiterin einer Tanzkompanie für reifere Tänzerinnen und absolvierte 2015 das Dance for PD® Teacher Training der Mark Morris Dance Group. Seitdem arbeitet sie als »Dance for Health«-Lehrerin. In Österreich brachte sie ihre einzigartige Erfahrung als Mitbegründerin von ARTS for HEALTH AUSTRIA ein. Im Jahr 2022 schloss sie außerdem das Diploma in Dance Teaching and Learning des Trinity College London mit Auszeichnung ab. Dr. Johannes Gregoritsch arbeitet bei der Österreichischen Sozialversicherung. Geboren 1961 in Wien, schloss er sein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Salzburg mit einer Dissertation zum Thema Menschenrechte ab. Er ist Lehrbeauftragter für Rechtsfragen u.a. an der SigmundFreud-Universität Wien. L. Vanessa Gruber ist Kunstvermittlerin und Forscherin am Zentrum Didaktik für Kunst und interdisziplinären Unterricht der Universität für abgewandte Kunst, Wien. Sie arbeitet an Projekten, welche sich mit gesellschaftlichen Herausforderungen wie dem Altern, Demenz oder dem Klimawandel befassen, und macht diese für diverse Altersgruppen begreif- und erfahrbar. Sie promoviert zudem im Bereich der Kreativitätsförderung in der (Hochschul-)Bildung mit dem Ziel, künftigen Generationen Handlungsfähigkeit gegenüber globalen Themen wie dem Klimawandel an die Hand zu geben.

5.2. Autorinnen und Mitarbeiterinnen

A.o. Prof. Dr. Mag. Franz-Otto Hofecker i.R. kam 1985 an die Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, wo er von 2001 bis 2018 das Institut für Kulturmanagement und Gender Studies leitete. Als Dozent für Kulturmanagement war er an verschiedenen Lehrgängen im In- und Ausland tätig, war Mitgesellschafter des Zentrums für Kulturforschung in Bonn und Leiter der Außenstelle Wien. Er ist Mitglied in verschiedenen nationalen und internationalen Gremien, Beiräten und Expertenausschüssen für Kulturpolitik und Kulturforschung (UNESCO, Europarat, Europäische Union, Eurostat, ERICArts, Bundeskanzleramt etc). Seine Arbeits- und Publikationsschwerpunkte sind in den Bereichen Kulturpolitik, Kulturökologie, Kulturförderung, Kulturstatistik (Leitung des LIKUS-Projektes, der LänderInitiative KulturStatistik) und Spezialgebiete wie Musikschulen, regionale Kulturförderung, staatliche und private Kulturförderung. Liisa Laitinen arbeitet als Beraterin für Kunst und Gesundheit im Koordinationszentrum für Kunst und Gesundheit Taikusydän, Kunstakademie, Turku University of Applied Sciences. Laitinen hat einen MA in kultureller Bildung und Kulturpolitik und ist Doktorandin an der Universität von Jyväskylä. Ihre Doktorarbeit befasst sich mit den Arbeitspraktiken und der Ethik von Künstlern, die im Sozial- und Gesundheitsbereich tätig sind. Ruth Mateus-Berr, Univ.-Prof. Mag. art. Dr. phil.,2 ist Künstlerin, Wissenschaftlerin, soziale Designerin, habil. Univ.-Professorin an der Universität für Angewandte Kunst Wien; Leiterin des Zentrums Didaktik für Kunst und interdisziplinären Unterricht3 . Der Fokus ihrer Arbeit liegt im Bereich der Kunst, der künstlerischen Forschung, der (sozialen) multisensualen Designforschung, interdisziplinären Kunst- und Designvermittlung und Themen der Humanität, des Klimawandel, des Nationalsozialismus sowie des Wohlbefindens im Bereich der Gesundheit. Sie erhielt ihren Doktortitel und die Venia Docendi für Designvermittlung; sie hat Artikel und Bücher publiziert, (künstlerische) Forschungsprojekte gewonnen (FWF, FFG, WWTF, EU …) und stellt Kunst und künstlerische Forschung international aus.4

2 3 4

https://www.theartresearcher.com [27.09.2022] https://www.fachdidaktik.or.at/home/ [27.09.2022] https://www.theartresearcher.com [27.09.2022]

231

232

Redaktionsteam, Autoren und Autorinnen

Christina May Yan Carli studierte Communication, Media and Interaction Design (MA) an der FH Joanneum, Betriebswirtschaft (BSc.) in Graz und Industriedesign (Mag.des.ind.) an der Universität für angewandte Kunst bei Hartmut Esslinger in Wien. Sie arbeitete als Produktdesignerin in Shanghai bei BMW DesignworksUSA und bei KEF in Hong Kong und pendelt heute noch zwischen ihren Wohnorten Wien/Graz und Hong Kong, wo sie als Designerin arbeitet. Dr. Andrew McWilliams MBBS MA(Cantab) PhD MRCPsych ist klinischer Forscher und Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie in London, UK. Er ist Facharzt im Great Ormond Street Hospital for Children und bei North East London NHS Foundation Trust. Andrew ist Mitglied des Forschungsteams Metacognition Group, Wellcome Centre for Human Neuroimaging und Abteilung für experimentelle Psychologie, University College London sowie der Mental Health Law and Ethics Research Group, Institute for Psychiatry, Psychology and Neuroscience, King’s College, London. Nach einem Grundstudium an der Universität Cambridge studierte Andrew McWilliams Medizin an der Barts and The London, wo er den Strauss-Preis für psychologische Medizin gewann. Es folgte eine Ausbildung in Psychiatrie am Maudsley Hospital und am Great Ormond Street Hospital for Children/The Royal London Hospital. Er glaubt an die Kraft der darstellenden Künste, unsere mentale Welt zu beeinflussen, und hat vor dem Europäischen Parlament in Brüssel, dem Staatsballett Berlin und dem Finnischen Nationalballett gesprochen. Er ist ein Dance for Health Champion für die International Association of Dance Medicine and Science. Als Kuratoriumsmitglied der Sing Up! Stiftung fördert er die Wohltätigkeitsarbeit mit Gruppensingen zur Unterstützung des emotionalen Wohlbefindens von Kindern und Jugendlichen. Seine Forschung erstreckt sich auf die Bereiche Geist – Körper – Beziehungen, Selbstwahrnehmung, Neurowissenschaften sowie Recht und befasst sich mit Begriffen wie Autonomie, Entscheidungsfindung und Metakognition, d.h. der Fähigkeit einer Person, über ihre eigenen Denkprozesse nachzudenken. Sein Forschungsinteresse gilt pädiatrischen funktionellen Erkrankungen, bei denen die Verbindungen zwischen Geist und Körperwahrnehmung gestört sind. Dafür wurde er 2019 von der American Association of Child and Adolescent Psychiatry mit dem Annual Meeting Senior Researcher Award ausgezeichnet. Lisa Kielmeier ist diplomierte multimediale Kunsttherapeutin, hat einen Bachelorabschluss im Studienfach Soziologie und studiert momentan Kunstpäd-

5.2. Autorinnen und Mitarbeiterinnen

agogik an der Universität für angewandte Kunst. Sie ist kunsttherapeutisch in Pflegeheimen tätig, illustriert und verfasst leidenschaftlich Kinderbücher. Ihr Fokus liegt auf kreativen Vermittlungsstrategien aktueller gesellschaftlicher Themen und verfolgt dabei partizipative Ansätze. Christoph Redelsteiner, DSA Mag. (FH) Dr. PhDr., MSc, ist Sozialarbeiter, Gesundheitswissenschaftler, Notfallsanitäter – NKI. Er ist Studiengangsleiter des Masterstudiums Soziale Arbeit an der FH St. Pölten5 . Seine Forschungsschwerpunkte sind Krisenintervention und Public Health/Versorgungsforschung. Maggie Roessler, PhD, ist Leiterin der »Research and Learning«-Abteilung von RED NOSES International. Bevor sie in die verrückte Welt der Gesundheitsclownerie eintauchte, leitete sie partizipative Evaluationen mit internationalen Entwicklungsorganisationen in Papua-Neuguinea und Westafrika. Bei ROTE NASEN konzentriert sie sich auf die Erforschung innovativer, kreativer Methoden, die authentische transformative Lernprozesse ermöglichen. Dr. Anke Schad-Spindler forscht seit 2006 zu Kulturpolitik, Kulturmanagement und Kultureller Bildung. Seit 2017 ist sie als selbstständige Forscherin, Evaluatorin und Prozessbegleiterin unter anderem für das Goethe-Institut tätig. Zuvor war sie zehn Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei EDUCULT – Denken und Handeln in Kultur und Bildung im Wiener Museumsquartier beschäftigt. Seit Dezember 2020 arbeitet sie als Postdoc-Wissenschaftlerin am Projekt »Agonistische Kulturpolitik (AGONART) – Fallstudien zur konfliktiven Transformation von Kulturstandorten«6 (geleitet von Univ.-Prof. Dr. Oliver Marchart). Sie hat ein PhD-Studium an der Universität für Musik und Darstellende Kunst (mdw), Kulturbetriebslehre, bei Prof. Dr. Tasos Zembylas mit Auszeichnung abgeschlossen. Ihre Dissertation zu Cultural Governance in Österreich wurde mit dem »Award of Excellence«-Staatspreis für die besten Dissertationen 2018 und dem Herta und Kurt Blaukopf Award der mdw 2019 ausgezeichnet. Sie ist seit 2016 Vorstandsmitglied des Fachverbands Kulturmanagement e.V. und seit 2017 im Vorstand von EDUCULT. 2019 wurde sie in den

5 6

https://www.fhstp.ac.at/de/uber-uns/mitarbeiter-innen-a-z/redelsteiner-christoph [27.09.2022] https://politikwissenschaft.univie.ac.at/forschung/forschungsprojekte/#c641014 [27.09.2022]

233

234

Redaktionsteam, Autoren und Autorinnen

Fachbeirat Kulturelle Vielfalt der österreichischen UNESCO-Kommission berufen. Pia Scharler ist Designer und künstlerische Forscherin. Ihr Studio arbeitet in den Bereichen Art Direction, Visual Identities, Editorial, Buchgestaltung, Ausstellungskonzepte und Objekte. Designzugänge basieren auf unseren Sinnen. Sie ist Mitarbeiterin des Zentrum Didaktik für Kunst und interdisziplinären Unterricht an der Universität für angewandte Kunst, wo sie Alumni der Klasse für Grafik Design und Industrial Design ist. Sie ist Creative Director einiger Magazine und Teil des INTERREG Slovakia-Austria Projektes Design & Innovation. Mag.a Gudrun Schweigkofler Wienerberger, geboren in Bozen, lebt seit 1984 in Wien und arbeitete nach dem Studium der Kommunikations- und Theaterwissenschaft u.a. bei tanzAffiche, im FalterVerlag, bei Tanz- und Theaterfestivals im In- und Ausland, baute im WUK (Werkstätten- und Kulturhaus) die KinderKulturSchiene auf und war bei KulturKontaktAustria Leiterin des Beratungsteams Kunstvermittlung. Seit 2011 leitet sie das Musische Zentrum7 Wien. Mag.a Simone Seebacher, MA ist Medizinanthropologin mit langjähriger Erfahrung in der Sozialwirtschaft als auch im humanitären Bereich, wo sie sowohl bedarfs- als auch ergebnisorientierte Evaluierungen zu diversen Themen durchführte. Bei ROTE NASEN Österreich koordinierte sie die Research and Learning Abteilung und förderte die Erweiterung wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Wirkung von Gesundheitsclownerie sowie den Aufbau von systematischen, internen Lernprozessen. Mag.a Barbara Stüwe-Eßl hat ein abgeschlossenes Studium der Theater- und Medienwissenschaften/Universität Wien und eine Kulturmanagementausbildung am Institut für Kulturmanagement/Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien. Seit 1999 ist sie für die Interessengemeinschaft Freie Theaterarbeit tätig. Von 2016–2019 war sie im Rahmen des EU-Arbeitsplans für Kultur Expertin zum Thema Kultur und soziale Inklusion. Sie war Referentin im Rahmen des »Arts for Health«-Workshops in der Kunst- und Kultursektion

7

https://www.musisches-zentrum.at [27.09.2022]

5.2. Autorinnen und Mitarbeiterinnen

(2019) und Mitglied im Redaktionsteam der Zeitschriftausgabe Kultur als Rezept (IG Kultur Österreich, 2019). Mag.a Carmen Valero ist Programmmanagerin und Advocacy Focal Point bei RED NOSES International. Sie ist verantwortlich für die Entwicklung und Umsetzung internationaler und EU-finanzierter partizipativer Projekte, die auf den Einsatz von Kunst und Humor für das Wohlbefinden fokussieren. Carmen hat Erfahrung mit Initiativen zur Bewusstseinsbildung und Interessensvertretung und war zuvor in der österreichischen und europäischen öffentlichen Verwaltung tätig. Geke Walsma hat Internationale Beziehungen an der Universität Groningen und Internationale Konfliktanalyse an der Universität Canterbury (UK) studiert. Nach ihrem Studium begann sie für die Provinzregierung von Fryslân zu arbeiten, wo sie als leitende Politikberaterin tätig ist. Aufgrund ihrer Erfahrungen und Kenntnisse im Bereich des Gesundheitswesens kann sie ganzheitliche Zusammenhänge erkennen und Parteien (aus verschiedenen Bereichen) zusammenbringen. Ihr Fachwissen liegt an der Schnittstelle von Gesundheitswesen und Kultur sowie Gesundheitswesen und Wirtschaft und sie setzt dies in innovativen und integrierten Projekten um. So regte sie beispielsweise die Entwicklung von Tanzkursen für Menschen mit Parkinson an oder die Entwicklung von Virtual-Reality-Brillen für Menschen mit einer geistigen Behinderung, die Angst vor dem Hausarzt haben.

235

Public Health Dirk Richter

War der Coronavirus-Lockdown notwendig? Versuch einer wissenschaftlichen Antwort 2021, 190 S., kart. 32,00 € (DE), 978-3-8376-5545-2 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5545-6

Matthias Max, Matthias Schulze

Hilfeleistungssysteme der Zukunft Analysen des Deutschen Roten Kreuzes zur Aufrechterhaltung von Alltagssystemen für die Krisenbewältigung 2021, 196 S., kart., 10 Farbabbildungen 36,00 € (DE), 978-3-8376-6032-6 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-6032-0

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de