Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz [1 ed.] 9783428446407, 9783428046409

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Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz [1 ed.]
 9783428446407, 9783428046409

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Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz

RECHTSTHEORIE Zeitschrift für Logik, Methodenlehre. Kybernetik und Soziologie des Rechts

Beiheft 1

Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz

Herausgegeben von

Werner Krawietz I Kazimierz Opalek Aleksander Peczenik I Alfred Schramm Mit einem Vorwort von

Ola Weinberger

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

Zi tiervorschlag : Aulis AaTnio, Linguistic Philosophy and Legal Theory, in: RECHTSTHEORIE Beiheft 1 (1979), S. 17 - 41.

Alle Rechte vorbehalten

@ 1979 Duncker & Humblot, Berlln 41

Gedruckt 1979 bel Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlln 61 Prlnted In Germany ISBN 3 428 04640

~

Vorwort Die Herausgeber des Sammelbandes "Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz" haben mich ersucht, eine Einleitung zu diesem Band zu verfassen. Ich komme dieser Aufforderung gerne nach, denn ich habe zu diesem Buch ein besonderes Naheverhältnis, insbesondere aus folgenden drei Gründen: (1) Ich vertrete die Meinung, daß die ersprießliche Arbeit in den Rechtswissenschaften und der wissenschaftliche Aufbau der Jurisprudenz in wesentlicher Weise davon abhängig sind, daß man Probleme der überlappungsbereiche zwischen der Jurisprudenz und anderen wissenschaftlichen Disziplinen eingehend studiert. Ebenso wichtig ist für die Jurisprudenz die Diskussion philosophischer Grundfragen, denn die juristischen Konzeptionen sind Ausdruck einer Weltanschauung. Grenzfragenanalysen und interdisziplinäre Zusammenarbeit halte ich deswegen für eine Grundbedingung für eine wissenschaftliche Jurisprudenz. (2) Der Band umfaßt Arbeiten aus jenen Bereichen der Grundlagenund Grenzdisziplinen der Jurisprudenz, in denen die Schwerpunkte meiner eigenen wissenschaftlichen Forschung liegen. (3) Die Arbeiten, welche in diesem Band zusammengefaßt werden, sind im Zusammenhang mit einem Forschungsvorhaben und einem anschließenden internationalen Symposium, das im Schloß Retzhof bei Graz vom 7. bis 12. Mai stattgefunden hat, entstanden. Das Symposium wurde von der Osterreichischen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) und dem Institut für Rechtsphilosophie der Universität Graz veranstaltet, für die ich mich als amtierender Vorsitzender bzw. Vorstand verantwortlich fühlet. 1 Ich möchte bei dieser Gelegenheit allen Mitarbeitern am Forschungsprojekt und am Symposium für die gute Zusammenarbeit herzlichst danken; besonderer Dank gilt den Herren Assistenten des Instituts für Rechtsphilosophie der Universität Graz, Dr. P. Koller, Dr. A. Schramm und Dr. P. Strasser für die Organisation des Symposiums. Die Durchführung des Forschungsvorhabens und des Internationalen Symposiums wurde durch Förderungsbeiträge des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung, der Steiennärkischen Landesregierung, des Fremdenverkehrsreferats des Landes Steiermark, der Fritz Thyssen stiftung und der österreichischen Nationalbank ermöglicht. Im Namen aller Beteiligten danke ich für die Unterstützung dieser Arbeit.

Vorwort

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Das Symposium bestand aus zwei Teilen: I. Philosophie und Wissenschaften als Basis der Jurisprudenz 11. Probleme der Gesetzgebung Der erste Teil des Symposiums umfaßte folgende Sektionen: 1. Logik und Jurisprudenz

2. Linguistik und Jurisprudenz 3. Erkenntnistheorie - Methodologie und Jurisprudenz 4. Hermeneutik und Jurisprudenz 5. Informatik und Jurisprudenz 6. Geschichte und Jurisprudenz 7. Soziologie und Jurisprudenz 8. Politologie und Jurisprudenz 9. Ethik und Jurisprudenz Wir hatten nicht die Absicht, in allgemeiner übersicht die Beziehungen zwischen der Jurisprudenz auf der einen Seite und den Fachwissenschaften sowie der Philosophie auf der anderen Seite darzustellen, sondern wollten in diesen Grenzgebieten nützliche Forschungsarbeit leisten. Die Arbeiten enthalten daher Ergebnisse von Untersuchungen über einzelne Probleme der Grenzbereiche der Jurisprudenz. Die gesamten Ergebnisse des Symposiums werden in folgender Weise publiziert: a) Die Arbeiten aus den Gebieten der Logik, Semantik, Hermeneutik, Methodologie und Informatik erscheinen in RECHTSTHEORIE Beiheft 1 unter dem Titel "Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz" (hrsg. von W. Krawietz, K. Opalek, A. Peczenik, A. Schramm). b) Die Arbeiten aus den Gebieten der Rechtsgeschichte, Rechtssoziologie, Politologie und Ethik erscheinen als Beiheft der Zeitschrift ARSP (hrsg. von F. Rotter, O. Weinberger, F. Wieacker). c) Die Ergebnisse des zweiten Teiles des Retzhofer Symposiums werden als Buch in der Reihe "Forschungen aus Staat und Recht" (Hrsg. Winkler-Antoniolli), Springer-Verlag, Wien - New York, unter dem Titel "Probleme der Gesetzgebung" (hrsg. von L. Adamovich, B. Schilcher, G. Winkler) veröffentlicht. (Diesem Band werden auch die österreichischen und schweizer legistischen Richtlinien beigeschlossen.)

Vorwort

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Der vorliegende Band umfaßt folgende Teile: I. Juristische Methodologie und Hermeneutik H. Juristische Logik und Semantik III. Rechtsinformatik Innerhalb jedes Teiles werden die Arbeiten nach dem Namen des Autors alphabetisch gereiht. Ich halte es nicht für zweckmäßig, im Vorwort den Inhalt der einzelnen Beiträge zu resumieren (obwohl dies nicht unüblich ist); jede Arbeit spricht - in relativ konziser Form - selbst für sich. Statt dessen möchte ich hier zwei Probleme kurz erörtern: 1. die Abhängigkeit der wissenschaftlichen Jurisprudenz von philosophischen überlegungen und von der Entwicklung der juristischen Grenzdisziplinen;

2. die verschiedenen Konzeptionen der juristischen Argumentation und die unterschiedliche Auffassung der Rolle der Argumentationstheorie in der Jurisprudenz. Zur ersten Frage: In gewissem Sinne gilt für jede Wissensc.1J.aft, daß philosophische und methodologische Grundanschauungen für die Art und Weise, wie man in der betreffenden Wissenschaft arbeitet, entscheidend sind. Der Mathematiker wird z. B. über seine Beweistheorie nachdenken, der Psychologe über Beobachtung und Introspektion, der Biologe über Probleme der final-funktionalen und der Ganzheitsstrukturen, und jeder Wissenschaftler wird solche Reflexionen zur Grundlegung seiner wissenschaftlichen Methodologie heranziehen. Diese Rolle hat die philosophische Untersuchung natürlich auch für die Konstitution der Jurisprudenz als Wissenschaft, daneben dienen philosophische Analysen hier aber auch der weltanschaulichen Grundlegung der sogenannten materiellen Rechtsphilosophie. Die der Jurisprudenz zugrundegelegten philosophischen Konzeptionen sind weitgehend inhaltlich prägend für die positive Rechtsordnung; sie bestimmen die Wertmaßstäbe des Rechts~ systems und der Wertungen im Ermessensbereich des juristischen Entscheidens sowie die gesellschaftspolitischen und anthropologischen Auffassungen, welche ihrerseits wieder die expliziten Rechtsregeln ebenso wie die juristischen Grundsätze begründen, die teilweise in der Gerichtspraxis institutionalisiert sind, teilweise juristische Doktrinen darstellen, die von der Rechtsdogmatik erarbeitet und ins Rechtsleben hineingetragen werden. Philosophie bietet also für die Jurisprudenz nicht nur die methodologische Grundlegung - wie dies auch bei jeder Wissenschaft der Fall

Vorwort

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ist -, sondern sie ist auch wesentlicher Bestandteil der inhaltlichen juristischen Konstruktion und Argumentation. Von der Gerechtigkeitslehre läßt sich gar nicht klar bestimmen, ob sie zur Rechtsphilosophie, zur Moraltheorie, zur philosophischen Gesellschaftstheorie oder zur Anthropologie gehört. Der Jurist muß jedenfalls Gerechtigkeitsprobleme erörtern und kann dies sicherlich nur dann sinnvoll tun, wenn er sich der Beziehung dieser Fragen zum ganzen Bereich der praktischen Philosophie bewußt ist. Die Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz kann durch Hinweis auf den spezifischen Erkenntnisgegenstand dieser Wissenschaft begründet werden: die Jurisprudenz hat die Rechtsordnung und das Rechtsgeschehen zu erfassen, darzustellen und zu erklären. Sie ist zwar handlungsbezogen, also eine sogenannte praktische Wissenschaft, und ihre Rolle in der Gesellschaft ist zweifellos auch darin zu sehen, daß sie zur praktischen juristischen Arbeit anleitet, doch ist es verfehlt, sie als bloße Prudentia des Handeins im Rechtsbereich hinzustellen 2, denn die praktischen Anleitungen müssen gerade durch die Rechtserkenntnis begründet werden. Durch die Eigentümlichkeit des Erkenntnisgegenstandes und der Erkenntnisaufgabe ist die Eigenständigkeit der Jurisprudenz wohl begründet: die Rechtsordnung und das Rechtsleben sind gesellschaftliche Realitäten mit einem spezifischen Sinncharakter - also ein spezifischer Erkenntnisgegenstand, der eine eigenständige Wissenschaft rechtfertigt. Sobald man aber die Rechtswissenschaften bezüglich ihrer Forschungsund Argumentationsweise ins Auge faßt, zeigt sich klar die fundierende Rolle der juristischen Grenzbereiche, die die eigentlichen Bauelemente der Rechtstheorie liefern, und die Bedeutung der interdisziplinären Fragestellungen für die rechtswissenschaftlichen Argumentationen. Mit diesem Hinweis auf die prinzipielle Bedeutung der Untersuchungen in den Überlappungsbereichen zwischen Jurisprudenz und anderen Disziplinen für die Entwicklung der juristischen Forschung soll keineswegs für eine Verschiebung der juristischen Betrachtung in andere Gebiete und sozusagen für eine Selbstentfremdung der Jurisprudenz eingetreten werden. Die Jurisprudenz hat die Aufgabe, das Recht als institutionelles Faktum zu verstehen, den Rechtsinhalt hermeneutisch zu erfassen sowie die juristischen Argumentationen aller Art wissenschaftlich zu analysieren und zu stützen3 • Diese Aufgabe ist aber methodologisch komplex und mit der Forschung in den Überlappungsbereichen eng verknüpft. Vgl. O. BaHweg: Rechtswissenschaft und Jurisprudenz, Basel 1970. Vgl, O. Weinberger: Das Recht als institutionelle Tatsache. In: RECHTSTHEORIE 11 (1980), Heft 2, im Druck. 2

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Vorwort

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Wenn ich behaupte, daß interdisziplinäre Arbeit für die fortschrittliche Entwicklung der Jurisprudenz unerläßlich ist, meine ich damit nicht bloß, daß die Ergebnisse der Forschung in den Nachbar- und Grundlagendisziplinen von den Rechtswissenschaftlern verwertet werden sollen. Dies ist sowieso schon immer der Fall gewesen, denn der Rechtswissenschaftler lebt in einem Kulturmilieu, das seine Auffassungen formt. Es geht meiner Meinung nach um eine andere und weitaus schwierigere Aufgabe, nämlich darum, spezifische Forschungsarbeit in den überlappungsbereichen im Geiste der modernen Methodologie der Nachbarwissenschaften - und gleichzeitig geleitet von der juristischen Aufgabenstellung - zu leisten. Ich möchte dies für die Uberlappungsgebiete, die Gegenstand dieses Bandes sind, näher erörtern. Wenigstens seit Austin, Bentham, Rohfeld, Kelsen, Weyr, Ross und Hart besteht in der Jurisprudenz die Tendenz, in allgemein formaler

Sicht die Struktur des Rechts zu erklären und die gedanklichen Operationen der Rechtsanwendung theoretisch explizit darzustellen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß solche Lehren eng mit der logischen Analyse zusammenhängen, daß die Logik für diese Aufgabe sozusagen präjudiziell ist. Die logische Grundlegung der Jurisprudenz besteht aber nicht nur - und nicht in erster Linie - in der einfachen Anwendung der Ergebnisse der modernen Logik, sondern in der Entwicklung von Normenlogiksystemen, die für die Darstellung der juristischen Problematik - des Rechtssatzes, der Rechtsordnung, der Rechtsdynamik und der juristischen Argumentation (soweit es um ihren deduktiven Kern geht) - geeignet sind. Es entspricht der modernen Konzeption der Logik, daß ihre Grundlegung mit semantischen Festsetzungen beginnt. Schon aus diesem Grund - daneben natürlich auch wegen der Wesensbeziehung zwischen semantischen (oder allgemeiner: semiotischen) Problemen mit der hermeneutischen Analyse - ist die Forschung im Feld der juristischen Semantik für die Jurisprudenz unbedingt erforderlich. Auch hier handelt es sich keineswegs um bloße Anwendung von Ergebnissen einer anderen Fachdisziplin, sondern um neue Arbeit, die sich sogar für die allgemeine Semiotik sehr befruchtend ausgewirkt hat. Zum Beleg führe ich nur zwei Momente an: a) Die Grundlegung der Normenlogik motiviert eine erkenntnistheoretisch differenzierte Semantik'. b) Im Bereich des Rechts finden wir essentielle Beispiele von Sprechaktsituationen, die neben anderen Umständen dazu geführt haben, Sprechen als Handlung und Sprechakte in gewissen Situationen als Konstitutionsmomente gesellschaftlicher Tatsachen erscheinen zu lassen. (Ich verweise auf die bedeutende Rolle der Sprechakttheorie in der heutigen Linguistik. Von • VgI. eh. Weinberger und O. Weinberger: Logik, Semantik, Hermeneutik, München 1979, S. 13, 109, 183 f.

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Vorwort

den Juristen wird die Sprechakttheorie nur ausnahmsweise in Betracht gezogen.) Es gehört zwar zur Tradition der Jurisprudenz, sich mit Hermeneutik zu befassen; die Diskussion um die Erstellung einer philosophisch angemessenen und als Arbeitsinstrument brauchbaren juristischen Hermeneutik ist aber noch im Gange. Auch hier besteht eine wechselseitige Befruchtung zwischen der Arbeit im Feld der Rechtslehre und allgemeinen deutungstheoretischen Betrachtungen. Mit großen Hoffnungen auf der einen Seite und mit Zweifel auf der anderen wurden die Ideen der Informationstheorie und Kybernetik von der Jurisprudenz aufgenommen. Die Zweifler meinen, es werde hier nur eine andere - und mehr oder weniger gegenstandsfremde - Terminologie eingeführt, ohne daß dadurch echte juristische Erkenntnisse erreicht werden könnten. Die Befürworter kybernetischer Analysen in der Jurisprudenz sehen dagegen hier ein Feld, das für eine kybernetische Sicht besonders geeignet ist, weil Recht ein Lenkungssystem mit Rückkoppelungsmechanismen ist. Auch hier wissen wir heute, daß der Nutzen von Informationstheorie und Kybernetik für die Jurisprudenz nur durch neue spezifische Betrachtung und Forschungsarbeit zu gewährleisten ist, weil das Recht ein komplexes System teleologisch strukturierter Untersysteme ist, und weil im Rechtsleben Kommunikation verschiedener Art eine wesentliche Rolle spielt. Dies sind lauter Fragen, die in informationstheoretischer und kybernetischer Sicht analysiert werden können. Auch die praktische Möglichkeit, im Rechtsleben Computertechnik einzusetzen, erhöht natürlich das Interesse an der Rechtsinformatik. Zur zweiten Frage: Unstrittig ist es, daß die Probleme des juristischen Argumentierens in der Jurisprudenz eine zentrale Stellung einnehmen. Dennoch sind der Bereich, die Rolle und die Methoden - also die Theorie des juristischen Argumentierens - weitgehend kontrovers. Für manche Autoren erscheint das Feld dieser Problematik im wesentlichen beschränkt auf die Fragen der Begründungen im Bereich der Gesetzesinterpretation sowie der Gewinnung und Begründung juristischer Entscheidungen. Meiner Auffassung nach ist das Feld dieser Problematik wesentlich breiter: es gehört die Theorie der Struktur der Delege-ferenda-überlegung dazu ebenso wie die theoretische Untersuchung von Gerechtigkeitsproblemen und überlegungen über materielle Rechtsprinzipien. Ich habe ferner den Eindruck, daß manche Autoren dazu tendieren, die Probleme der juristischen Argumentation als wesentliche Bestandteile der rechtsdogmatischen Arbeit und die Rechtsdogmatik zusammen

Vorwort

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mit ihrer Argumentationsmethodik als einzige Aufgabe der Jurisprudenz anzusehen, während andere Theoretiker zwar die Bedeutung der Rechtsdogmatik und der Argumentationsprobleme im Rahmen der dogmatischen überlegungen durchaus nicht unterschätzen, aber darüber hinaus andere rechtstheoretische Probleme in Betracht ziehen: Allgemeine Rechtstheorie und Strukturtheorie des Rechts, rechtssoziologische sowie rechtspolitische Untersuchungen u. a. Es ist hier kein Raum für eine ausführliche Darstellung der unterschiedlichen methodologischen Auffassungen der juristischen Argumentation. Wenigstens folgende Konzeptionen stehen in Diskussion: die logizistischen Konzeptionen, die Methodologie der rhetorisch-topischen Auffassung (wobei zwischen der Topischen Jurisprudenz von Viehweg und der Perelmanschen argumentationstheoretischen Auffassung durchaus kein Gleichheitszeichen gesetzt werden soll), die auf Wittgensteinschen Ideen fußenden Analysen sowie jenen Konzeptionen, die sich auf eine Theorie des sog. rationalen Diskurses stützen wollen. Die Diskussion muß m. E. fortgesetzt werden. Es muß insbesondere die Rolle der rational rekonstruktiven Methodologie offener aufgefaßt werden, und es müssen die Begründungsstrukturen der anderen Theorien kritisch geprüft werden.

Ota Weinberger

Inhaltsverzeichnis I. Juristische Methodologie und Jlermeneutik Aulis Aarnio:

Linguistllc Philosophy and Legal Theory. Some Problems of Legal Argumentation .................................................... 17

Norbert Achterberg:

Argumentationsmängel als Fehlerquellen bei der Rechtsfindung. . . . ..

Robert Alexy:

Zum Begriff des Rechtsprinzips ....................................

Ralf Dreier:

Bemerkungen zur Rechtserkenntnistheorie

43 59

89

Bernd-Christian Funk:

Juristische Auslegung als Erkenntnis- und Entscheidungsprozeß .... " 107

Werner Krawietz:

Zum Paradigmenwechsel im Juristischen Methodenstreit ... . ........ 113

Kazimierz Opalek:

Sprachphilosophie und Jurisprudenz

153

Aleksander Peczenik:

Non-Equivalent Transformations and the Law ...................... 163

Günther Winkler:

Sein und Sollen. Zur Anwendbarkeit der transzendentalen Logik auf das rechtstheoretische Denken ...................................... 177

Jerzy Wr6blewski:

Verification and Justification in the Legal Seien ces .................. 195

ZygmtLnt Ziembinski:

Das methodologische Modell der dogmatischen rechtswisse\')schaftlichen Disziplinen ........................................................ 215 11. Juristlsme Logik und Semantik

Jean-Louis Gardies:

Juristen und Logiker: Die Schwierigkeiten einer Zusammenarbeit . . .. 225

Rüdiger lnhetveen:

Dialogische Logik in der Jurisprudenz: Dialogregeln und Prozeßordnungen ............................................................ 231

14

Inhaltsverzeichnis

Georges Kalinowski:

Zur Semantik der Rechtssprache ................ . . . ............... 239

Gerhard Otte:

Zum Problem der Rechtsgeltung in der juristischen Logik . . . . . . . . . . .. 253

Leo Reisinger: Zur Struktur der Analogie im Rechtsdenken ........................ 265 Alfred Schramm:

Zur logischen Rekonstruktion des Problems der Normrechtfertigung .. 275

IlmaT Tammelo:

Semiotische Gediegenheit als rechtstheoretisches Anliegen: Ein "translinguistischer" Versuch ............................................ 283

Robert WalteT: Der letzte Stand von Kelsens Normentheorie. Einige überlegungen zu Kelsens "Allgemeine Theorie der Normen" ...................... 295 Ota W einberger:

Versuch einer neuen Grundlegung der normen logischen Folgerungstheorie ............................................................ 301 111. Redltslnformatlk

WHhelm Steinmüller: Juristische Informationswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 327 Franciszek Studnicki:

Die automatisierte Rechtsinformationssuche und die juristische Auslegung ............................................................ 347 Verzeidlnis der Mitarbeiter

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I. Juristische Methodologie und Hermeneutik

LINGUISTIC PHILOSOPHY AND LEGAL THEORY Some Problems of Legal Argumentation By Aulis Aarnio, Helsinki I really want to say that a 1anguage-game Is only possible if one trusts something Ludwig Wittgenstein, On Certainty 1. The viewpoint of the present study It is my aim in the following to ex amine from the viewpoint of the theory of legal thinking some basic ideas in Ludwig Wittgenstein's later philosophy. For this purpose I have chosen to start by discussing two basic assumptions by Wittgenstein: (a) that it is not the task of philosophy to try to bring about a change in the prevailing language-use conventions,l and (b) that language covers up thought so that the limits of language are also the limits of thinking. 2 I am not going to present a general-philosophie commentary of these starting points. Neither shall I suggest new interpretations for these theses. My aim is rather to seek to do justice to the way of thought these theses express, by trying to work out some reasonable applications for it in legal thinking, mainly in legal argumentation. In doing so, I cannot avoid taking a stand on some interpretations of Wittgenstein that have influenced the legaltheoretic discussion as weIl. I have in mind for instance the conception advocated by Ota Weinberger in his discussion on the nature of Wittgenstein's later philosophy and its applications in legal theory.3 If I have understood Weinberger correctly, he maintains that the neo-Wittgensteinian approach is capable of throwing light on the problems of lan-

L. Wittgenstein, Philosophie al Investigataons (PI), 1967, § 124. It has been maintained that this particular line of thought in a relatively unbroken manner passes through all Wittgenstein's writings: his idea that language and thought fall together and that the limits of thinking also are the limits of our world. See G. H. von Wright, 'Wittgenstein on Certainty' in: G. H. von Wright (ed.), Problems in the Theory of Knowledge, 1972. See also Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus, Preface. 3 O. Weinberger, 'Ist Aarndos Zutritt zur Jurisprudenz mit dem Logischen Rekonstruktivismus in der Rechtstheorie verträglich?', in: A. Peczenik et al. (eds.), Reasoning on Legal Reasoning (to appear in 1979). I

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2 RechtstheorIe, BeIheft 1

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Aulis Aarnio

guage (Sprachprobleme) only and not on substantial issues (Sachprobleme). That is, Weinberger holds that Wittgenstein was a linguistic philosopher in a narrow sense (sensu stricto). Now I believe that a conception like this may - at least to some degree - bring some bias into evaluations concerning the significance of Wittgenstein's later philosophy for legal thinking. There is another problem which Weinberger takes up as weIl. It emerges partly independently of the above-mentioned aspects and partly as related to them. Weinberg er holds that Wittgenstein's idea of "leaving everything as it iS"4 in adetrimental way eliminates the possibility of renewing one's thinking. This is to say that Wittgenstein's starting point leaves no room for reconstructions that bring about advance in legal thinking. At least this is what Weinberger seems to think. So he observes: should we really accept the language-use of practical juridical life as it is, with all its inexactitudes? Must we, say, eliminate social concerns from legal thinking only because they do not show up in the prevailing juridical language? Weinberger hirnself answers the lastmentioned question in the negative. He wants to reject those aspects of Wittgenstein's philosophy that have been expounded here: for hirn, what is essential, is the analysis of the "deep-structure" of language, which cannot be accomplished without reconstructions. The scholar should work his way as if beyond the ordinary language, in order to live up to his methodological challenge. s And for Weinberger, the analysis of deep-structure is an essential part of theoretical thought. In wh at follows I shall try to show that the basic insight of Wittgenstein in fact is weIl in tune with Weinberger's lines of thought. Thus, if my conception is justified, it follows that Weinberger's criticism misses its target. This, on the other hand, is of some consequence not only in regard to legal theory but also regarding philosophy in general. As I have said, I shall however restrict my discussion to deal with problems bearing upon legal thinking. In this context I shall take up two questions that are central in view of neo-Wittgensteinianism. They are, first, the concept of language-game (and language), and second, the problem about the foundation of language-games. The latter problem also can be formulated from another viewpoint as the problem about the form

Wittgenstein, PI, § 124. Cf. with Weinberg, op. cit., Section 1.5. Weinberger, op. cit., Section 3, as weIl as his study, 'Tiefengrammatik und Problemsituation: Eine Untersuchung über den Charakter der philosophischen Analyse', in: Wittgenstein und sein Einfluß auf die gegenwärtige Philosophie. Wittgenstein-Symposium 1977, Akten Bd. 2, p. 235 pp. Cf. also with W. Senars, Science, Perception and Reality, 1963, p. 6 pp. Sellars' distinction between the "manifest image" and the "scientific image" shows interesting affinities with Weinberger's ideas. However, we must bear in mind the acknowledgement Sellars gives to the so-called philosophy of ord~nary language. 4

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Linguistic Philosophy and Legal Theory

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of life. However, before dealing with these issues I shall introduce the reader into some basic problems of legal argumentation. It is only against this background that my choice of subjects and the standpoints to be taken later will become understandable. 8 2. The structure of legal-dogmatic interpretation A concise overview 2.1. By legal dogmatics, I me an here the study that seeks to put forward statements about the content of valid (i. e. binding) legal norms as weH as ab out the systematic inteTTelations between them. I shall restrict the discussion to deal with the investigation of the content of norms only. I shall call a statement that claims something about the content of a legal norm (N) a norm proposition (Np). The norm proposition can be of the form: "The valid Finnish legal order includes the norm Ni having the content Ti." 2.2. The epistemological question involved in the theory of legal dogmatics deals with the problem on which conditions a norm proposition can be said to hold good. From another viewpoint, the problem is this: under which circumstances is a norm proposition in accordance with the legal order? It has sometimes been said that a norm proposition holds good if and only if it cOTTesponds with the legal order or (in an alternative formulation) if and only if theTe exists the norm to which the proposition refers.? However, these formulations do not yet bring a solution to the epistemological problem because it is possible to put forth an additional question: when does the said relationship of correspondence prevail?

2.3 A legal norm does not "exist" in the same sense as the objects of physical reality do. The norm is a thought-construal: a certain thought • In my study, the aim is not to analyse the methodology of argumentation but to expound some main features of argumentation to the reader with the purpose of opening up some perspectives on the background philo8ophy of argumentation. Viewing the matter from a slightly different angle, one could say that the aim of my study is to point out the theoretical foundations upon which the conception about argumentation I have defended in earlier connections is actually based. - See A. Aarnio, On Legal Reasoning, 1977, p. 85 pp.; Aarnio, Legal Point of View, 1978, in particular the essay 'Can a Sentence Concerning the Content of a Legal Rule Be Valid?', p. 146 pp.; and Aarnio, Denkweisen der Rechtswissenschaft, passim (to appear in 1979). On the other hand, as far as the methodology of legal argumentation is concerned I refer especially to the work of Robert Alexy (Theorie der juristischen Argumentation, 1978). 7 On this sort of standpoint, see for instance K. Makkonen, Zur Problematik der juridischen Entscheidung, 1965, p. 34, as weIl as G. H. von Wright, Norm and Action, 1963, p. 93 pp. On account of them, cf. with Aarnio, On Legal Reasoning, p. 12 pp.

Aulis Aarnio

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content (a command, a prohibition or apermission) is formulated in a linguistic guise. Indeed, in a sense it can be said that a norm proposition has a reference to the deontic world, to the world of 'Sollen'.8 What does this me an? 2.4 The problem can be approached from at least two different viewpoints. I shall call them the (legal-)realist and the (legal-)idealist ones. When introducing these terms I am aware of the fact that they are burdened by their dependence on interpretation. By the help of examples I will try to point out accurately the significance of these terms in the present context. 2.4.1. On the realist view, the norm proposition Np is true if and only if the norm purported by the proposition is being followed in social practice. In other words: Np holds good if and only if the norm singled out by the statement is ejfective. As an example of the legal-realist way of thinking one can mention the conception advocated by Al! Ross. Now, my opinion is that the realist approach is unsatisfactory, among other things in the following respect. First, it is not an adequate description of legal-dogmatic research practice. Second, the realist model does not take into account the viewpoint of the law-applying authority. For instance, it is very important for the judge to be able to know how he should decide the case (in a way that is in accordance with the legal order). On the other hand, for instance knowledge about how the authorities are likely to apply the norm is of no particular value for hirn. In what folIows, the discussion will not be based on the realist point of view. 2.4.2. According to the standpoint often called the legal-idealist one, the norm proposition Np should be written in the form: the norm Ni belongs to the norm system willed by the (Finnish) legislator. On this view, relevant for the problem on hand is neither whether Ni is followed in a concrete case or not nor whether it is being followed by the citizens or by the authorities. The point is to find out the content of given norms. And here the theoretical problem is which norm one should consider as "given". From this point of view, at least the following two interpretations become possible. First, one might think that for every enacted norm there always is one unambiguously correct interpretation, that is, the content that corresponds with the legislator's genuine or original will (or anything like that). In that case, the task of legal dogmatics would be to "find out" this correct interpretation. In my view, this can actually 8

A more detailed account of this is found in Aarnio, On Legal Reasoning,

p.16 pp.

Linguistic Philosophy and Legal Theory

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be the case in some situations. There "is" the correct interpretation, and it is also possible to find it out in cases where the content of the norms is unambiguous and/or the legislator's intent can be indisputably pointed out for instance by studying legal drafts. However, this is not particurlarly common in everday practice. Usually the case is so that the content of the legal order is genuinely equivocal, it admits of several different meanings. In such cases the problematic point is on which condition one may on the whole entertain the idea about the truth of the norm proposition. It also be comes problematic how one may acquire knowledge about the content of the legal order. In the following, these questions are taken up by discussing how the norm propositions can be justified under the conditions of genuine equivocality. 2.5. In most legal orders there is a rule (at least a tacit one) which says that a statement about a norm must be justifiable by a reference to some given law text (L). I shall now examine the case where the law text (Li) allows two alternative interpretations Tl and T~. The standpoint as to which alternative interpretation should be chosen I shall call an interpretation proposition (1;).8 If the interpretation proposition holds good (i. e., if the interpretation of the law text is correct), then it also seems warranted to claim that the legal order includes a norm Ni that corresponds with the content of the interpretation proposition. In other words, the interpretation proposition lends justification for the norm proposition. The problem now is on wh ich conditions the interpretation proposition can hold good. 2.6. Let us assurne that the interpreter proposes the meaning content Tl as the interpretation of the law text Li. To justify his standpoint, the interpreter must refer to some other things than the law text Li. I shall call these warrants the legal sources (S). They include (other) law texts, legal drafts, precedents, and so on. The number and character of legal sources depend on the particular doctrine of legal sources that is being used. 10 When this is taken into account, the just mentioned question about the justification of interpretation propositions can be rephrased as the question concerning the relationship between legal sources and the interpretation proposition. In abrief wording: how does folZow from the warrants Sx? Here it is easy to see that the question about the correspondence between the norm proposition and the norm in the legal-dogmatic practice turns into a problem of text interpretation. It also can be said that the question of legal-dogmatic argumentation on this view always belongs to the domain of interpretation.

I:

9 10

For a more detailed analysis of this concept see Aarnio, op. cit., p. 284. Aarnio, Denkweisen der Rechtswissenschaft, Seetion 4.2.4.3.3.

22

Aulis Aarnio

2.7. The internal linkage between argumentation and interpretation also justifies our discussion of the present theme. It seems plausible to maintain that legal-dogmatic argumentation, broadly seen, falls within the domain of the so-called hermeneutics. l1 Hermeneutics, on the other hand, by its nature is pertinent to problems dealing with language. In other words: it is possible to bring legal-dogmatic argumentation into connection with some general considerations ab out linguistic analysis. That is to say, it is sensible to seek for a linguistic-philosophic background for legal-dogmatic argumentation. Here, one of the possible background constructions is a conception of language that follows the ideas of Wittgenstein's later philosophy. To be able to bring this construction into an appropriate eonnection with the above discussed problems of legal-dogmatic interpretation, I shall first sketch out some main ideas of the so-called hermeneutics. Then I shall introduce the reader to Wittgenstein's conception of language and after these digressions return to my main theme, i. e. to legal-dogmatic interpretation.

3. Legal-dogmatic interpretation and hcrmeneutics Friedrich Schleiermacher (1768 - 1834), one of the influential figures during the German Romanticism, paid partieular eonsideration to the problem that emerges when some given text is attempted to endow with an understandable eontent. Schleiermacher saw this problem as folIows: every aet that leads one to the correct understanding of a text is (and must bel based ultimately on a dialogue between the author and the interpreter, that is, on some sort of an imagined eonversation. Every author addresses his text to some interpreter. When this basic pattern is inverted and the matter is looked at from the interpreter's viewpoint, the task then is to replay the author's oral or written expression in the eontext in which it was originally presented. In this way it beeomes possible to have an authentie interpretation, an understanding of the text that is based on a dialogue between I (Ich) and You (Du). It has been eorreetly pointed out that Schleiermacher's basic intuition up to a eertain limit seems to be plausible but also eontains several difficulties that are hard to solve. Indeed, his ideas as such have not been partieularly much applied in later-time theory of interpretation. However, Schleiermacher's influence on the theory of understanding has been 11 Interesting points about the connection between argumentation theory in particular the so-called new rhetorics and hermeneutics are made by Helmut Coing in his book Grundzüge der Rechtswissenschaft (3rd ed. 1976). On account of this work, see Aarnio, 'The Grounding Structures of Law' (to appear in Rechtstheorie, 1979).

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extremely significant. 1! It was transmitted by the author of an influential Schleiermacher biography, Wilhelm Dilthey, among others to Martin Heidegger who passed it on to Hans-Georg Gadamer. Through hirn, it has been channeled in fact to the wh oie of today's Continental discussion about hermeneutics. The above-sketched conception about interpretation arouses a difficult problem. Under what kinds of criteria is it that the text-author's message has been caught in its "genuine" meaning? It is weIl known that this question has occasioned, among other things, reflection about the significance of the temporal Ci. e., historical) difference between text-writing and interpretation. I will not go into this aspect in more detail, but my opinion in any case is that this way of approaching the problem is onesided. To be true, I hold that it is correct to say that interpretation always is "dialogue" and thus a problem of communication. However, if hermeneutics opts for the line suggested by Schleiermacher, it will far too much neglect another aspect of the problem: that interpretation always is the interpretation of something for someone. In other words, it is not enough to consider just the relationship between text author and text interpreter. The analysis should also (and perhaps above a11) deal with the third pole, that is, the person or party to whom the interpretation is being addressed. And the reason for this is that it is this pole that most essentially seems to involve the epistemological question characteristic of interpretive studies. This observation of course echoes for instance Karl-Ottc Apel's conception about the role of the so-called interpretation community in hermeneutics. Now, let us see a bit more closely what this me ans from the specific viewpoint of legal argumentation. The interpretation proposition I; is not an empirical claim in the sense that it were confirmable by reference to the so-called brute facts. It is true that also references to empirical facts, for instance to assumed consequences of interpretation, can be used as warrants for I; (i. e., as legal sources). However, I; does not in any unambiguous way follow from these factual statements. This being so, legal dogmatics from this viewpoint is not an empirical science. 13 On the other hand, it does not seem possible to think that there were such a set of inference rules valid in the community of legal interpretation that I; were derivable from legal sources by mere application of 12 About this, see for instance Rudolf A. Makkreel, Dilthey. Philosopher of the Human Studies, 1975. An additional point about Schleiermacher is that he was the first to bring the theory of understanding and interpretation into connection with a philosophie theory of human life. 13 See e. g. Aarnio, On Legal Reasoning, p. 7 pp., as wen as Denkweisen der Rechtswissenschaft, Seetion 3.2.

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AuIis Aarnio

these rules (D x }.14 The following figure indieates the charaeter of this kind of alleged inference: S1'" Sn

D1···Dn

I;

However, the inferenee rules of legal argumentation do not form such a closed system and the eontent of these rules is not in such a way univoeal that there prevailed a logieal (i. e., neeessary) relationship between the premises and the eonc1usion. Legal argumentation by its nature always is an open performance. It may be characterised as a diseussion where sufficient justifieation for an interpretation statement is being pursued by citing and eombining various pro- and contra-arguments (that is, legal sources).15 From the viewpoint of hermeneuties, the nature of pro- and contraargumentation in my mind ean be described as folIows. The subject matter of legal-dogmatic interpretation (the law text) as well as the main part of the materials used in interpretation (legal sources) are matters of language. In this sense, interpretation is a linguistic matter. On the other hand, an individual interpretation proposition only becomes intelligible after it has been brought into connection with these other sentences. It is not possible to justify an interpretation proposition as such, that is, by comparing it in some way or another with the "normic reality". The proposition should always be seen as apart of a whole. We find here some sort of a network of sentences, within which the premises and the conclusion (to use a wording by Charles Taylor) are intereonnected non-Iogically but still plausibly. From this viewpoint, an interpretation proposition could be compared with astrand of a rope. l l In becoming associated with other strands it makes up a twine which is the more durable the more there are strands in the rope and the more elaborate the structure of the twine iso To rephrase this in the language

1;

14 On the problematies of inference rules, see e. g. Jerzy Wr6blewski, 'Legal Reasoning in Legal Interpretation', in: Etudes de Logique Juridique, III. 1969, p. 1 pp. An excellent analysis eoneerning this topics can be found in Robert Alexy's eontribution mentioned in the Footnote 6. Alexy will build up just a proper hierarchy of interpretative rules for legal argumentation (op. eit. p. 219 pp.). See also Aarnio, On Legal Reasoning, p. 70 pp. 15 I have given an schematic characterisation of the structure of argumentation (with an example) in my work On Legal Reasoning, p. 85 pp. A more detailed account of the same matter can be found in Denkweisen der Rechtswissenschaft, Section 4.2.4.3.3.6. 18 From the viewpoint of hermeneutics, also the so-called hermeneutic circle in an important way characterises the performance of interpretation. About this notion of circle, see e. g. Josef Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1975.

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of epistemology: there must be a sufficient coherence between an interpretation proposition (1;) and the warranting sentences (Sl ... S,,). But what is it that decides when this coherence has been reached and when the chain of warrants presented to back up the interpretation proposition can be broken off? As it has been said, this matter cannot be

settled by way of an immediate empirical testing, and the use of legal sources is not bound by any set of exact inferenee rules. The eoherenee is determined by the stand point the interpretation community has taken on the issue, that is, by a consensus that is reached coneerning the sufficieney of the warrants. It is precisely in this sense that consideration should be paid to the relationship between the interpreter and the addressee of the interpretation, that is, to the relationship between the interpreter and the interpretation eommunity. Depending on the situation, the interpretation eommunity may inelude, say, the practitioners of legal dogmatics, the judges, the barristers as weIl as all the persons who have a legal-dogmatie edueation. However, the empirie al question who the persons belonging to the interpretation eommunity are is not essential. The main point is one of principle: I mean the fact that the "truth" of the interpretation is dependent on this kind of community. In the present discourse I have adopted Chaim Perelman's terminologieal praetice and called the interpretation eommunity the auditory. Now, my thesis is that the validity of a legal-dogmatie interpretation statement is deeply eonneeted to the auditory, from which follows that this validity is a relative matter. may hold good in the auditory A x , whereas the auditory A y eonsiders the proposition non-validY

I;

The above eonsiderations imply that when one is speaking of the interpretation propositions of legal dogmaties, it is diffieult to make a 17 See Aarnio, Legal Point of View, p. 146 pp. I surmise that the notion of auditory I am using has some thematic connections to the theory of truth advocated e. g. by the Baden-school Neo-Kantians like Heinrich Rickert and Wilhelm WindeZband. I will not here go into this in more detail; however, I cannot bear to overlook their idea that the truth of a statement essentially is related to the statement-utterer's and the listener's experiencing some sort of an obligation to believe in the statement concerned. According to this line of thought, the truth of a particular (interpretation) statement becomes identicaZ with the fact that the statement concerned expresses some wished-for value that is acceptable or accepted in some given community. This idea about the interpretative studies being essentially value-based would seem to come elose to some kind of an epistemological pragmatism; in the last hand such a pragmatism would seem to imply that there are no particularly sharp boundaries between interpretive, ethical and aesthetic "acceptability" because they a11 are related to our living in a certain community. For a general account of N~-Kantianist theories of value and truth, see e. g. L. W. Beck, 'Neo-Kantianism', in: Paul Edwards (ed.), The Encyelopedia of Philosophy, Vol. 5, N. Y. and London 1967. See also e. g. Heinrich Rickert, System der Philosophie I: Allgemeine Grundlegung der Philosophie, Tübingen 1921, in particular pp. 27 - 28, 112 - 113.

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Aulis Aarnio

"1:

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sharp distinction between the enten ces is true" and must be considered true". To be able to state in more detail why this is so, I will sketch up a linguistic-philosophic background for legal-dogmatic interpretation, basing my discussion on some of Wittgenstein's key insights. 4. A linguistic-philosophic interpretation of legal-dogmatic argumentation In the Wittgensteinian perspective, legal-dogmatic interpretation (more correctly speaking, the justification of an interpretation proposition) can be understood as a particular language-game. The interpretation proposition finds its proper place as part of a certain language-game. And inversely: if the interpretation proposition is detached from this game, the proposition will lose its meaningfulness. The claim that interpretation is a language game necessitates that the notion of language game itself is made more precise. I shall not here go into the details of Wittgenstein's basic conception. However, the main ideas in his notion of language game can be thematized in the following way.18 Wittgenstein levels an extremely sharp criticism at attempts of creating a so-called improved language, that is, a language where the defects of natural language have been remedied and which, for instance, is representable in a formally exhaustive manner. Wittgenstein thinks that the language of everday practice in fact is complete in itself. The task for us is only to find out how this language functions. On the other hand, this functioning can be realized if sentences are examined in their natural connections, that is, in the context of living language. However, language is such a complicated whole that we cannot get hold of it if we in a single analysis seek to find out the common features of allianguage. As Wittgenstein puts it: language is veiled by a fog that prevents us from seeing its details. To unveil the way language functions, we must restrict our study to deal with language forms that are a great deal simpler than normal language. The most fruitful way of doing this is to construct language models that are deliberately simplified. These Wittgenstein calls the language games. They show in an illuminating way how language functions. Language games are like examples that by virtue of their own representativeness show us the things characteristic of language. 18 The foIlowing discussion is based on Wittgenstein's work Philosophical Investigations. For commentaries of it, see e. g. G. Pitcher (ed.), The Philosophical Investigations, 1964, as weIl as D. Pole, The Later Philosophy of Wittgenstein, 1958. See also the symposium papers mentioned 'in Footnote 5.

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Most diverse forms of language games can be played by means of the expressions of language. However, the different games are not conceptually interrelated so that we could point out one or several significant characteristics common to alZ the different language games. The most we can say is that they all are phenomena of language. Language games only resemble each other, they are family-resemblant just like the members of a family are with respect to one another. On the other hand, it is not sensible to ask how many language games thereare, because these games are continuously changing. Some of them pass away andare replaced by new ones. Language is like a continuously living entity. It is the perpetually changing sum of language games. However, I believe that Wittgenstein's emphasis on the diversity and dynamism of language is neither the only nor even the most important insight about language games. The essential thing is that precisely in this way Wittgenstein brings language, thought and reality into connection with each other. As Karl-Otto Apel has put it, language-games are wholes that unite in themselves the language use, the form of life, and the way of viewing the world. 11 What is the meaning of this? Perhaps one could explicate it by starting from the conception that language games are a form of action. And it is not possible to und erstand action unless there are some common rules which the action follows. However: "Um diese Regel finden zu können, wird irgendetwas Gemeinsames vorausgesetzt zwischen dem Verstehenden und dem, was verstanden wird." This common factor that is determinative of language games is the form of life (Lebensform). I shall shortly take up this Wittgensteinian notion in more detail. Now, language game is one of the manifestations of the form of life. It is one of the many relations in and through which the form of life appears in reality; it is one of the activities belonging to the form of life. In this way, the form of life is a determinant of the way of using the language, i. e. the language game. If we detach some particular language game completely from the context wherein it belongs, we cannot any more understand the language concerned. Language as action be comes understandable only when it is seen in its connections with the form of life "supporting" it. The words have their "horne" within language, or from another viewpoint, within the form of life. Wittgenstein says that an expression acquires its meaning in the language use. The meaning is manifested in the way a language game is played. In may opinion, this formulation indicates the globality of Wittgenstein's idea. The central point is not language as such, that is, as an 18 See K.-O. Apel, Analytic Philosophy of Language and the Geisteswissenschaften, 1967, p. 37 (the wording is here slightly different).

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autonomous phenomenon. On the contrary: an individual expression is a part of the language game and the game, in turn, is connected with the form of life. In his study of Wittgenstein, Lauri Mehtonen comments this in the fo11owing way: "We come to the conclusion that the study of a language game, i. e. the ,analysis of various semantic dimensions, is the study of one but not the only moment of some totality (form of life). The carrying out of this study presupposes that it be thematized as a moment in the whole of the investigation of the form of life as adynamie totality."110 In other words, for Wittgenstein, linguistic analysis semper et ubique also is an analysis of the form of life. Language, thought and the form of life are uni ted here in a way that always (contrary to e. g. Weinberger's opinion) turns the problem into "substantial issues". When the above considerations are tl'ansferred into the theory of legal dogmatics, the conclusion is the following. Argumentation is a skein of various language games (games of argumentation and interpretation) that in everyday research practice are intertwined with each other. We are continuously playing them in innumerable connections and in innumerably various ways. However, these various interpretation games do not have any common characteristic that would eut aeross the whole skein. The ties between the different games are characterised by familyresemblance. Legal dogmaticians, as weH as jurists in general, "by their nature" have the skill of playing these games: they are able to do this by virtue of their background (e. g., their edueation). In the everyday situation, the question will not be how interpretation generally speaking is performed. The problem always deals with the content of an individual language game: what are the arguments one should use ete.? That is to say, how does one justify this-and-this partieular interpretation? The effort to form a total picture of the interpretation games in legal dogmaties would presuppose that an attempt were made, to deseribe the whole set of language games. However, this set is so complicated that the deseription as if dissolves unless it were deliberately particularized. Also the language of legal-dogmatic interpretation in a11 its diversity is easily "veiled by a fog" that prevents us from realizing the nature of interpretation. To dispel the fog one may construct certain games that seem to be possible in the light of what one has learned. One of these games can be buHt upon an "idealized" justification situation. In this situation the warrants, game rules and things like that will be optimized. In other words, it will be assumed that the interpreter as weIl as the addressee have information about a11 the premises significant for the fO L. Mehtonen, Näköaloja Ludwig Wittgensteinin myöhäisfilosoftaan ('Perspectives on Ludwig Wittgenstein's Later Philosophy', in Finnish). 1973 (mimeo).

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matter and that there are no accidental factors that could have a disturbing effect on the argumentation. In this kind of situation it will not be maintained that the language game thus constructed represents some actual justification situation. Neither is the aim to distil out any "deep-structure" of legal argumentation, as some sort of Natur der Sache of argumentation, i. e. a core of argumentation that would figure in all justification of interpretation statements. Doing this would imply the standpoint that any justification game after all has something in common with every other game. In this sense, the construction of a language game is not equivalent to the thematization of the background wh ich connects various interpretation games with each other. On the other hand, the aim is not to formulate (in a strong sense) the norm or the recommendation that legal argumentation, in order to be, say, a specimen of genuine scientific activity, must be such-and-such. The strategy I want to adopt is something totally different from this. The task of the analysis is not to change the language but to bring forth an exemplary game to which the games played in reality are more or less family-resemblant. Being one of the "strands" in interpretation games, this exemplary game makes it possible for us to comprehend the fabric of the games that constitute everyday language. The function of the idealized game of justification is to show us according to wh at kinds of rules one must play the game if one wishes to have the interpretation proposition "justified" under the presuppositions of the game. 21 The exemplary game, being understood in this way, has a selfeducational function: we understand our everyday linguistic activity better than before, provided that the example gives us a grasp of the language we use. In this way of thinking, Wittgenstein's dictum "Denk nicht, sondern schau" finds its connection with the old principle, "Know Thyself". 5. On the certainty of the interpretation proposition 5.1 Knowledge and certainty

From the viewpoint of argumentation theory (e. g., the so-called new rhetorics), legal-dogmatic argumentation can be characterised as the combined interplay of pro- and contra-arguments. To phrase this in hermeneutic terms: interpretation involves the problem of the relations that prevail between sentences, a problem that is capable of being 2t About this, see Aarnio, On Legal Reasoning, p. 90 pp., Denkweisen der Rechtswissenschaft, Section 4.2.4.2.2., and in particular Legal Point of View,

p.154pp.

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treated by help of the basic notions of whole, part, and hermeneutic circle. In the philosophy of ordinary language, one may here simply speak of a language game. But irrespective of what viewpoint will be chosen, the central epistemological problem will be under what kinds of conditions it is possible to break off the chain of arguments brought forward to back up the interpretation statement. If interpretation is conceived of as a language game and the interpretation proposition is seen as apart of such agame, then the above considerations inevitably lead us to another problem: how do we fix the sentences with which the "truth" of the interpretation proposition is related? Is it perhaps so that these "measuring sentences" can be fixed in a totally arbitrary manner? If this is true, then legal-dogmatic argumentation turns into a matter of mere chance and the interpreter's caprice. That is, the interpretation proposition will be valid, provided that it is just tied up to something. In this case the old saying "The law is as it is read" would literally become true. The number of interpretations can be exactly equal the number of interpreters. 22

This sort of scholarly arbitrariness does not correspond with the actual state of affairs. Legal dogmatics is not a chaos of individual opinions. Everyone may any time find out this by thoroughly studying a random sampIe of legal-dogmatic literature. In doing this, he will see that legal dogmatics is an array of opinions that has been organized on a relatively advanced level. These opinions even find their place within some frames (that take their shape in broad outline). Perhaps it is not quite incorrect to characterise the situation by saying that reality in itself is reasonable, and because the reality of inquiry is this, it also follows that the theory of legal dogmatics cannot be buHt on assumptions that give the field to arbitrariness in justification. On the contrary, a background conception should be constructed that would do justice to the meaningfulness of the prevailing practice (that is, to the meaningfulness of the actually played interpretation games). And I believe that 2! Cf. with Enrique P. Haba, Hermeneutik kontra Rechtswissenschaft, ARSP LXIV 2/1978 p. 172 - 173, where the author writes as follows: "Wenn man sich keinen Methoden unterziehen will, um die Richtigkeit juristischer Auslegungen zu kontrollieren, dann wäre es aber m. E. besser - d. h. weniger irreführend - hier das Wort 'Wahrheit' aus dem Spiel zu lassen; sonst ist dieser Ausdruck geeignet, einen falschen Schein von Objektivität für .solche Interpretationen zu erzeugen." Later in his article Haba continues his criticism against the hermeneutic approach as this is presented especially by H. G. Gadamer. Haba says: "Praktisch gesehen bedeutet die PH (Philosophische Hermeneutik) für die Rechtsauslegung einen Ansatz, der zu Legitimation jeder Interpretation dienen kann ..." (p. 180). As one can notice, in the text I have made an attempt to dissociate from any hermeneutics understood in this way, although my starting points lie in some basic assumptions of the so-called text hermeneutics.

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it is precisely the eonnection between language and form of life pointed out by Wittgenstein that could be the cornerstone for this sort of background view. I shall start from the observation that no person is able to build up a totally p,·ivate language and at the same time expect to become understood in the communieation community of his fellows. Language is a sodal phenomenon. The social linkage of language is also important in view of our present theme. It is precisely this point about language that rules out the threat of arbitrariness in justifieation and interpretation. That is to say, unrestricted freedom in one's choice of the justifieatory eriteria for interpretation proposition in its extreme form would amount to the freedom to construet a totally private language. Now, the idea about the impossiblity of a private language is eonnected with a eertain eoneeption of the interrelations of language and the form of life. To give arguments for this standpoint I must briefly take up Wittgenstein's view on knowledge and certainty. A great deal of his views on them are written down in his posthumously published work, 'On Certainty'. This volume will also be the souree for the following refleetions. 23 In the years 1940 to 1951 Wittgenstein took up above all the problem of knowledge and eertainty. Aetually, one should say that he sought to point out the difference between these two notions. One of his starting points, a very important one in this eonnection, is the eoneeptual distietion between knowledge and belief. Aceording to Wittgenstein, the sentence "I believe ... " has subjective truth. This sentence is an expression. There is no need to give a justification for it. The justifieation does not belong to the "logic" of the language game of believing (see 'On Certainty', §§ 179 and 180; in the sequel I shall use the numbers to indicate the paragraphs of Wittgenstein's book). On the other hand, if I claim that I know something, then I must be able to give some justifieation for my standpoint. And here lies the difference. Moreover, if one wishes to form oneself a eonception about how something can be known, then one must be familiar with the language game played with the notion of knowledge. One must have the skill of playing this sort of game. Onee one has maste red this game, one knows what sorts of arguments must be put forward to back up the knowledge claim. This is not to say that concrete arguments in an individual situation could· not be called in question. On the contrary, calling the arguments in question is a natural part of the language game played with the notion of knowledge. This brings us to another problem, a problem that deals with the justifieation of arguments. 23 Wittgenstein, On Certainty, 1969. The basic ideas of this work are lueidly summed up in the essay by G. H. von Wright (see referenee 2).

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The warrants and arguments presented to back up a knowledge claim form a kind of chain. This chain must be continued every time when the other party calls in question the warrants that have been put forward at a certain point in the chain. Let us briefly recall my earlier analogy between the arguments for interpretation statements and the strands of a rope: using these terms one also might say that the rope must be strenghtened every time when the twine, in the light of an additional question, turns out to be too weak. However, this cannot be continued ad infinitum. We cannot doubt everything. "If you tried to doubt everything you would not get as far as doubting anything. The game of doubting itself presupposes certainty" (115; cf. also 163.2). This being so, there must be some end point for the putting forward of grounds and justifications (204). There are times when we must be able to say: this rope does be ar the strain, or, as Wittgenstein sees this, we must be able to trust something. However, bringing the doubt to an end is not "hasty". It is part of judging (150). For instanee, if I supposed that all our ea1culations were uncertain, people would say that I am crazy and not that I am in error (217). However, the "ultimate foundations" of our judging, the columns supporting judgments, do not He in our experience in the sense that we were able to find out the terminal points of the justifieation chain by learning from experience (131). The ultimate links in the chain of arguments are propositions that "have a peeuliar ... role in the system of our empirie al propositions" (136). The idea here is, I think, that these terminal points precede experienee as wen as the knowledge based on it. Bit by bit there forms for us a system of what we believe. In this system, "some things stand unshakeably fast and some are more or less liable to shift. What stands fast does so, not beeause it is intrinsically obvious or convincing; it is rather held fast by what lies around it" (144). In saying this Wittgenstein thinks that all argumentation every time takes plaee within some system (i. e., language game; 105) and that this system is fixed by eertain foundations that will not be doubted any more. These foundations are not given to us in everyday experience. Neither do we realize them by me ans of intuition (i. e., "inward insight"). They are given to uso "Sure evidenee is what we accept as sure" (196). Thus the assumption that the earth has existed long before my birth is neither an experiential statement nor an intuitive realization. It is "part of the whole picture which forms the starting-point of belief for me" (209). This being so, every justifieation of a knowledge claim presupposes that some part of the statements are beforehand fixed up in something. But "what I hold fast to is not one proposition but a nest of propositions", Wittgenstein says (225). To use again the metaphor about the rope, the binding part is not one individual strand but a whole twine of strands

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between which a new strand, that is, the interpretation proposition, will be attached. Wittgenstein observes that he "nest" of statements is in a way fused into the foundations of OUr language games (cf. with 558.3). This nest forms the frame for a11 our considerations about truth and falsity, rightness and wrongness. At the same time, this is the foundation that makes linguistic communication possible. Without this foundation preceding the bestowing of meaning, communication would dissolve. u The foregoing already contrains Wittgenstein's implicit position on the relationship between knowledge and certainty. Knowledge presupposes the possibility of doubt as weIl as justification. What we take for certain, that we take for certain without any warrants, and we no more doubt it. And this is how certainty is a precondition of a11 knowledge. 25 When speaking of the "nest of propositions" that form the common ground of our knowledge Wittgenstein often uses the term 'picture of the world' (Weltbild). The picture of the world should not be understood as a coherent and steadfast set of sentences. On the contrary, its boundaries are vacillating, and the set of sentences itself consists of a huge number of subsystems. Every such subsystem is as if a fragment of the picture of the world, one of the interlocking parts of the whole. The fragments of the picture of the world, in their turn, are the basis of language games. They fix the ultimate links of the language games. If we bear in mind the above considerations about the family resemblance of language games, we can easily grasp the idea of the subsystems of the picture of the world being "interlocked". If we adopt the terminology of G. H. von Wright and caIl the set of sentences that forms the picture of the world pre-knowledge (Vorwissen), we may following hirn say that every language game has a foundation that forms a fragment of the game player's pre-knowledge. 28 This brings us to the core themes of the present discourse.

For Wittgenstein, the picture of the world is not a matter of satisfying oneself of its correctness. "It is the inherited background against which I distinguish between true and false" (94). The sentences belonging to the picture of the world have a role not unlike that of the rules of agame. But the picture of the world is not fixed once and for a11. It is not a petrification but something that is in astate of flux. The picture of the world is adynamie foundation, paralleled by Wittgenstein with the bank of a river. The bank slowly changes its shape and yet 2. In this connection it also seems to be useful to bear in mind what Charles Taylor says ab out the so-called intersubjective meanings. See his essay, 'Interpretation and the Sciences of Man', in: Review of Metaphysics, 1971, Vol. XXV,p. 1 pp. 25 von Wright, op. cit., Seetion 4. H von Wright, ib., Seetion 4 to 6. 3 Rechtstheorie. Beiheft 1

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every moment is somewhere; it determines the direction of the stream all the time (99). This world-picture dynamics is related with aspects that must be briefly discussed here before I pass on to a synthesis.

At its very bottom, the picture of the world is not a propositional matter. Rather we should say that the foundation of the picture of the world lies in a non-propositional phenomenon which Wittgenstein calls the form of life. Referring to this, he observes that the terminal point of the argumentation chain does not involve the realization (i. e. the "seeing") of some holding ground but the terminal point lies in our acting (204). The form of life is a matter of action, it is a matter of acts (cf. with 402). We shape our form of life with our action, and in our action ultimately are shown the things in which we trust (7 and 358). One also may say: the fact that I am able to act in a certain way in a certain situation shows that I belong to a certain form of life. In this connection there is some reason to point out that it is possible to understand the form of life (and its propositional manifestation, the picture of the world) as an, as it were, "multilayered" phenomenon. Its founding layer consists of very elementary activities - the basic constituents of human culture. These in their turn make possible, say, a form of life in which there exist commands, prohibitions and permissions. At some stage legal norms interweave with the form of life, albeit this happens at a relatively high level of abstraction. This is how the network of the picture of the world (a seamless net of subsystems, as von Wright puts it) Httle by little takes its form. We are now in a position to understand what the idea about language being manifestation of the form of life ultimately me ans. The form of life is the practical, non-propositional "phase" of the picture of the world. On the other hand, the world-picture, or more correctly speaking, the fragment of a world-picture forms the foundation for a (certain) language game. It forms the pre-knowledge upon which we rest ourselves when playing our language game. Belonging to a certain form of life is in this way a precondition for one's being able to participate in a language game. And inversely: if someone does not participate in the form of life figuring in the background of a language game, he can neither understand the game nor become understood. The transition from one form of life to another one is not a matter of rational argumentation. Argumentation is only possible within the frame of some form of life. Actually, Wittgenstein observes that the transition from a form of life to another only can happen through a kind of persuasion (262). If we argue about something with someone who belongs to another form of life, we cannot influence hirn by me ans of rational arguments. We must seek to persuade hirn to accept our

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standpoint. That is, we must persuade him to change his form of life as weIl as his picture of the world (608 - 612). 5.2 Auditory and the form of life

In the foregoing I have defended the standpoint that legal-dogmatic argumentation consists of a multitudinous set of language games that are family resemblant with each other. More closely speaking, these games are partial domains of language, having to do with interpretation. The interpretation proposition acquires its meaning as part of the language game that deals with the complex of matters to which the statement alludes. Further I have claimed that the question when the proposition must be considered "justified" in this sort of language game is dependent on the interpretation community (i. e. the auditory) to which the interpretation proposition has been addressed. A legal-dogmatic interpretation statement is always addressed to so me party that presumably would accept it, and this party also decides when the warrants in the case on hand are sufficient. This can be expressed also by saying that the consensus concerning the criteria of validity, formed by the interpretation community, decides when it is that a sufficient number of arguments has been presented to back up the proposition.

I;

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However, the said consensus does not emerge in a high-handed manner. Neither an individual scholar nor the whole community of scholars for that matter are able to autonomously impose the "measuring sentences" for the assessment of the interpretation proposition. On the whole, the formation of the measuring sentences is not a matter that were decidable by social institutions, the community of scholars, or some other associations. The criteria of validity do not rest upon conventions or principles of democratic decision-making. 27 The standards arise in the practice of human life. They are matters that belong to the form of life, and their formation is apart of the dynamics of the form of life. This brings the notions of auditory and form of life into a connection with each other. The auditory is the group where the consensus presupposed by the acceptability of the interpretation proposition is formed. On the other hand, the form of life creates the frame for the formation of this consensus; it makes the acceptability possible. This could be also formulated by saying that the auditory is the "human side" of the form of life. The members of the auditory are in a way interpreters of the form of life, and they transmit into legal-dogmatic interpretations the foundations of the consensuses they have created. However, the problem !7 Cf. e. g. with Eero Backman, 'The Concept of Legal Order and the Problem of Its Social Determination in the Hermeneutical Theory of Law', in: Reasoning on Legal Reasoning, op. cit.

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of interrelation of auditory and the form of life still needs a few detailed comments. The first of them deals with the role of values and valuations in legal-dogmatic interpretation. The disagreement between auditories (say, Al' and A y ) concerning the validity of the interpretation statement I; may be due to either cognitive or axiological reasons. The cognitive disagreement is related to the fact that the auditories use different sorts of conceptual systems (i. e., theories) to thematize the domain concerned. In the following, I have no possibility of dealing with this sort of dis agreement. I shall restrict my discussion to deal with the axiological form of disagreement only, that is, with the question how values and valuations divide up the legal community in different auditories. It is generally known and it has been observed on many occasions that values and valuations come to have an important role in interpretation every time the interpreter makes a choice between two (or more) possible alternative meanings. Valuations are shown in the open among other things when the relative weightings of different legal sources or the significance of some particular argument, say, the causal consequences of some particular alternative interpretation are being considered. That is, values and valuations are apart of the measures for the validity of the interpretation proposition. However, this fact does not turn legal-dogmatic interpretation into a matter of arbitrariness or taste. On the contrary, a rational discussion about the validity of an interpretation proposition is by all me ans possible even when the situation involves the above-mentioned sort of decision based on choice. This claim is based on the following ideas.

If the criteria of the value judgment have been given (that is, there prevails a consensus on the criteria on which some particular matter can be considered good), then it is always possible that the value judgment is true or false. 28 The judgment is true if it corresponds with the criteria and if this does not hold good,then the judgment is false. It is precisely the form of life that gives us these sorts of measures for the assessing of value judgments. The form of life makes it possible that within a certain auditory rational discussions can take place concerning interpretation standpoints that involve valuations. '

On the other hand, value judgments themselves can be justified (that is, legitimated) up to a certain limit. It is, for instance, reasonable to ask why some particular thing is good or right. In this case, the warrants 28 About this, see also Aarnio, On Legal Reasoning, p. 87 pp., as weIl as the reference given there to an essay by G. H. von Wright (reference No. 70 in the volume).

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also may refer to so-called objective matters. This is how one on rational grounds increases the plausibility of a valuative standpoint. However, the chain of arguments cannot be unbroken: a value judgment cannot be exhaustively justified for instance by referring to objective facts. It is in this sense that valuations (or values) cannot be "derived" from facts. This is to say that the ultimate link in the chain of arguments for a value judgment is not within the re ach of rational justification. The things that are "good" and the like will be shown in the form of life. They are manifested in our actings. We can be "sure" about some thing's being good or right, but we cannot any more give rational justification for our standpoint. Precisely in this sense Wittgenstein says that it is not possible to move from one form of life to another one by rational me ans. Formulated in the "auditory-language", this me ans that it is not possible for two or more auditories to agree with the fundamental standards with each other. This standpoint, which one might call a "voluntarist" one if one wishes to do so, at the same time shows what the idea about the "truth" of legal-dogmatic interpretation propositions being relative ultimately means. 28 The validity of these propositions is auditory-bound; the criteria used by the auditories include valuations; and valuations, in their turn, go back to the fragments of the form of life that are "incommensurable". However, in this connection one must hasten to remind the reader about the wellknown distinction between understanding and accepting. It is the blurring of this distinction that often in a harmful way prevents one from realizing the foundations of the "voluntarism" I have defended above. For human communication to be possible, there must be a sufficient linguistic connection between those participating in it. Man must Ire able to participate in a shared language game. He must share in the form of life that makes understanding possible. However, this form of life may include (and in practice includes) several subsystems, fragments cf the form of life. These fragments of the form of life are partly determined (i. e., fixed) by values and valuations. On the other hand, the latter ones, as I just suggested, are ultimately arational or prerational. 29 In this connection it is important to notice that the "voluntarism" defended in the text also implies the standpoint that the difference between value judgements and factual statements becomes wavering. This brings the conception elose to the ideas advocated by Th. S. Kuhn in his analyses of noncumulative processes in science. I remind the reader about the similarity between Kuhn's notion of paradigm and the notion of the form of life. See Kuhn, The Structure of Scientiflc Revolutions, 2nd ed. 1970. It must also be mentioned that the "voluntarism" defended in my contribution is elose to the standpoint adapted by the Swedish legal philosopher Nils Jareborg in his work 'Varderingar' (On Valuations), 1976.

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This being so, the persons who broadly taken belong to the same communication community need not live within the range of the same fragment of the form of life. They are able to understand each other, but they nevertheless need not accept one another's standpoints. They cannot accept these on rational arguments and, if desired, must be brought to accept them on persuasive grounds. On the other hand, the "voluntarism" defended above does not occasion any chaotieity in human activity. The shared form of life guarantees that even the standards of legal-dogmatic argumentation will be sufficiently consistent. This shared form of life is in every soeiety uniform enough to make possible a rational conduct of shared soeial affairs. And this is possible even if the acceptability of standpoints at its bottom is not a matter of rational justification. As lalready observed when discussing Wittgenstein's ideas about the notion of the form of life, the form of life is nothing once and for a11 given. It is not an unchanging totality. On the contrary: it is in a state of continuous flux. Now, from this it fo11ows that also the ultimate standards of legal-dogmatic argumentation are a11 the time in the state of a "dynamic motion". We can cut off the course of soeial happenings at a certain point of time and thus find out some particular criteria for the validity of the interpretation proposition. We may say that at the time t", the standards for the validity of the interpretation proposition I; in the auditory A z are these-and-these. On the other hand, it is possible that by the time t z + 1 these standards have undergone a change, and in regard to this change it can be said that the truthfulness of a legal-dogmatic interpretation is more like a process than something once and for a11 given.80

30 When it is thought that the problem of the validity of the interpretatdon proposition is a question about the retationship between sentences, attention is being paid to the "cross-section" meant in the text. In this case, the validity is in a way a semantic problem. However, as I have tried to point out, this also means that validity will remain a conventional matter because there is no fixed measure for the choice of the set of sentences. Now, the idea about the central position of auditories and forms of life in fact is designed to bring out the problem in a new light. The latter notions are helpful when one is trying to answer the question how to fix up the "measuring sentences" that are necessary for determining the validity. In other words, the introduction of the concept of auditory implies the transcending of the semantic viewpoint and the adoption of some sort of consensus theory of truth. The fact that a certain auditory has adopted a certain interpretation of "given" norms is, according to my conception, a soeial fact with rclercnce to which 11 is possible to formulate interpretation propositions that are true or false. But the basis of this kind of consensus has not becn deCinitely glven. The basis itself is a changeable phenomenon and therefore it seems to be plausible to claim that truth in legal dogmatics is a relative matter.

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6. Summary 6.1. Wittgenstein's later philosophy does not only aim at a linguistic analysis in a narrow sense of the term. Its aim is to analyse the whole totality that is formed by language, the picture of the world and the form of life together. 6.2. The central method in this linguistic philosophy is the construction of simplified ways of using language, that is, language games. By help of them, it becomes possible to get a hold of the set of familyresemblant language games formed by everyday language. 6.3. One of the partial domains of language is the language oj legaldogmatic argumentation. It consists of numerous language games that more or less resemble each other. In order to understand the problems related to argumentation it is necessary to construct games that are simpler than everyday language and by me ans of them find out the nature of the prevailing language-use conventions. For this purpose, the justification of a legal-dogmatic interpretation statement (1;) in an idealized situation has been used here as an example. Idealization here means that accidental factors, like ignorance, affective factors and so on, have been eliminated from the game of justification. 6.4. The epistemological problem of argumentation is centered on the question und er which preconditions an interpretation proposition can be valid. 6.5. The interpretation proposition I: is not an empirical claim in the sense that it were confirmable by referring to the so-called brute facts. References to empirical facts may be used as warrants for I;. but I; does not follow from these facts in any univocal way. 6.6. Neither is the interpretation proposition in any other way logically entailed by the used grounds, that is, the legal soure es (S). There is no such set of interpretation rules (D x ) as would univocally determine the relation S ~ I;. 6.7. The justification of a legal-dogmatic interpretation proposition can be paralleled with the solving of a puzzle. I; acquires its meaning within a certain wh oie. The warants for the interpretation proposition I; have been adequately given if and only if the puzzle has been given a coherent shape. It also can be said that I; has been "proved" when there prevails a sufficient coherence between the warrants. 6.8. The problem when this coherence does prevail is a matter that is decided in terms of a consensus. A uniform and objective basis for test-

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ing the validity of the interpretation proposition cannot be pointed out. The validity of the proposition continues to depend on the interpretation community to which the interpretation proposition is addressed. In the present discourse, this community is called the auditory. I; can be considered adequately justified if it is provided that the auditory reaches a sufficient agreement concerning the "coherence" of the warrants. Thus, what is "true" and respectively "false" in legal-dogmatic argumentation will depend on the interpretation community, i. e. on the auditory. 6.9. Understood in this way, the validity of the interpretation proposition I; is always a relative matter. The proposition I; is acceptable on the ground S:r: in the auditory A:r: but not in the auditory A y • On the other hand, the interpretation proposition I: that deals with the same case may be acceptable in the latter auditory. No universal "interpretive truth" covering all the auditories can be reached in legal dogmatics, if a choice must be made between alternative interpretations and if values playa role in this choice. 6.10. The establishing of consensus in auditory can be preceded by rational argumentation for and against the proposition. However, this sort of discussion is only possible if there are some fixed frames for this conversation. Rationality presupposes these kinds of frames. 6.11. The frames that make consensus possible are given by the (shared) form of life. This form of life in a way "assembles together" the auditory, that is, the interpretation community that forms itself a conception about the proposition The discussion can be rational and lead to a consensus only within a shared form of life, more closely speaking, within a particular fragment of it. The transition from one form of life (or a fragment of it) to another is not possible in rational ways. This being so, the establishing of a consensus (for instance, in a situation where basic valuations collide with each other) is not a matter of rationality but, as far as it succeeds on the whole, involves persuasion.

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6.12. In the actual research practice, agreement is not necessarily achieved on an individual problem. The reason for this may be, except that the problem can be extremely complicated and there is a scarce number of plausible warrants,also that accidental matters like insufficient analysis of the situation or affective factors are disturbing the argumentation. Thus, in actual fact even differing views on some particular interpretation can be held within the same auditory (that is, within the same form-of-life fragment).

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However, in an optimal situation the establishing of a consensus would seem to be in pTinciple possible, provided that the parties of argumentation share in a certain form of life that will give the conversation its supporting pillars.31

I1 The question in the last hand goes back to the earlier mentioned problem whether the so-called genuine disagTeement may encumber legal norms. In other words: is it possible that two equally well argued interpretations of the same legal norm may permanently hold good? The standpoint adopted in the text suggests that this is not possible in ,an ideal situation within the same auditory and that the disagreement must involve differences between auditories.

ARGUMENTATIONSMÄNGEL ALS FEHLERQUELLEN BEI DER RECHTSFINDUNG Von Norbert Achterberg, Münster

I. Bedeutung von Argumentationsmängeln In dem - wie bereits Kelsen nachgewiesen hat - durch die Ambivalenz von Rechtsetzung und Rechtsanwendung gekennzeichneten Rechtserzeugungsprozeßl können auf jeder Rechtserzeugungsstufe Fehler auftreten, die sich - je nach dem, bei welchem Satz des Syllogismus sie erscheinen - als Interpretations-, Subsumtions- oder Konklusionsfehler darstellen. Für die Typisierung von Argumentationsmängeln ist dieser Raster allerdings unerheblich, so daß er im folgenden auf sich beruhen mag'. Bemerkenswert ist indessen, daß das Ergebnis der Rechtsfindung - sei es nun ein Gesetz, ein Verwaltungsakt, ein Urteil oder was auch immerdurch Argumentationsmängel nicht notwendigerweise fehlerhaft zu werden braucht - in der Sprache des Prozeßrechts: daß sich ein Mangel in der Begründung nicht auch auf den Tenor auszuwirken braucht. Mög.,. lich und sogar nicht einmal selten ist aber auch dies. Wie dem auch sei: In jedem Falle führen Argumentationsmängel zu einer Inkonsistenz der Argumentation insgesamt, das im Rechtsfindungs1 Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 233 f.; Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, S. 15. Vgl. hierzu auch Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, S. 38 f.; ders., Die Reine Rechtslehre in der Staatstheorie der Bundesrepublik Deutschland, in: Der Einfluß der Reinen Rechtslehre auf die Rechtstheorie in verschiedenen Ländern (= Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts, Bd. 2), 1978, s. 7 (52). 2 Dasselbe gilt für ausgebreitetere Raster, wie den von Jost, Tatsachenbehauptungen als Elemente juristischer Argumentation, (masch.-schr.) Referat auf dem 9. Weltkongreß für Rechts- und Sozialphilosophie "Zeitgenössische Rechtskonzeptionen", Basel 1979, der als Elemente der Urteilsbegründung Normenangabe, Deflnitionen, Protokollsätze, Hypothesen, Normierungen nennt, oder den von Rottleuthner, Logische Rekonstruktion und Inhaltsanalyse juristischer Entscheidungen, (noch unveröff.) Referat auf der Tagung der Deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie "Juristische Argumentation", München 1978, der Normformulierungen, Normsätze, Werturteile, sprachliche Festsetzungen, Relevanzbehauptungen, Eventualerwägungen, Normen, Indikator-Aussagen, Tatsachenbehauptungen, Restkategorie unterscheidet. Auch insoweit sind auf den meisten dieser Ebenen Argumentationsfehler der nachstehend genannten Arten möglich.

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vorgang gefundene Ergebnis steht auf keiner sicheren Grundlage, es kommt zu einem "Rationalitätsverlust der Rechtserzeugung", die ihr die Chance der "intersubjektiven Gewißheit"S nimmt. Daß sich derartige Fehler übrigens nicht nur bei der Präskription, sondern auch bei der Deskription von Normen durch die Rechtswissenschaft finden, sei nur ergänzend bemerkt; auf einige Beispiele hierfür wird zurückzukommen sein. So umfangreich das Schrifttum zur Argumentationstheorie in den letzten Jahren auch geworden ist', so bleibt die wissenschaftliche Durchdringung von Mängeln in der Argumentation bisher doch vereinzelt". 3 HO'Tn, Rationalität und Autorität in der juristischen Argumentation, Rechtstheorie 6 (1975), 145 (145). Zum Erfordernis der Richtigkeit von Entscheidungsinhalten, die eine solche Gewißheit voraussetzt, und die von ihm zutreffend als Gebot der Rechtsstaatlichkeit begriffen wird, 146. • Das Schrifttum zur Argumentationstheorie ist gerade in jüngster Zeit erheblich angewachsen, nachdem sich insb. der Weltkongreß für Rechts- und Sozialphilosophie, Brüssel1971 (veröffentlicht: Die juristische Argumentation, hrsg. im Auftrag der IVR, ARSP Beiheft NF 7, 1972; Sektionsreferate veröffentlicht in Hubien [Hrsg.], La raisonnement juridique. Actes du congres mondial de philosophie du droit et philosophie sociale, 1971), sowie die Tagung der Deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und 80zialphilosophie in der Bundesrepublik Deutschland, München 1978, mit der Argumentation befaßt haben (Vorträge noch unveröff.). Hasseme'Ts, Juristische Argumentationstheorie und juristische Didaktik, in: Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft (= Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 2, hrsg. Maihofer - Schelsky), 1972, 8. 467 (467), Kritik, juristische Argumentationstheorie gebe "es heute nur in Ansätzen", ist inzwischen daher überholt. Vgl. im übrigen insb. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation. Die Theorie des rationalen Diskurses als Theorie der juristischen Begründung, 1978; Esse'T, Juristisches Argumentieren im Wandel des Rechtsfindungskonzepts unseres Jahrhunderts, 1979 (= Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, Abh. 1); Hasseme'T, a.a.O.; Haverkate, Offenes Argumentieren im Urteil. 'Ober die Darstellung der richterlichen Wertung bei kontroversen Rechtsfragen, ZRP 73, 281; Horn, Rechtstheorie 6 (1975), 145; ders., Argurnenturn ab Auctoritate in der legistischen Argumentationstheorie, in: Festschrift für Franz Wieacker zum 70. Geburtstag, hrsg. Behrends - Dießelhorst - Lange - Liebs - Wolf - Wollschläger, 1979,S. 261; Hülsmann, Argumentation. Faktoren der Denksozialität, 1971; Jost, a.a.O.; Neumann, Rechtsontologie und juristische Argumentation. Zu den ontologischen Implikationen juristischen Argumentierens, 1979; Perelman, La theorie de l'Argumentation, 1963; ders., Elements d'une theorie de l'argumentation, 1968; ders., Juristische Logik als Argumentationslehre, 1979; F. Schmidt, Gebundene und offene Argumente in der Rechtswissenschaft, in: Festschrift für Per Olof Ekelöf, 1972, S. 569 (deutsch in: Zur Methode der Rechtsfindung, 1976, S. 216); Schneider - Schroth, Sichtweisen juristischer Entscheidung - Argumentation und Legitimation, in: Kaufmann - Hassemer (Hrsg.), Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 1977, S. 254; Struck, Zur Theorie juristischer Argumentation, 1977; Toulmin, The Uses of Argument, 1969 (deutsch: Der Gebrauch von Argumenten, 1975); Viehweg, Notizen zu einer rhetorischen Argumentationstheorie der Rechtsdisziplin, in: Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft (= Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 2, hrsg. Maihofer - Schelsky), 1972, S. 439; Weinberger, Jurisprudenz zwischen Logik und Plausibilitätsargumentation, Juristische Analysen 3 (1971), 8. 54; Zippelius, Auslegung als argumentativer Auswahlprozeß, in: Festschrift für Maximilian Nüchterlein, 1978, S. 345.

Argumentationsmängel als Fehlerquellen bei der Rechtsfindung

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11. Typologie der Argumentationsmängel Die möglichen Argumentationsmängellassen sich - soweit erkennbar - in mehr als zwanzig Typen einteilen. Sie betreffen entweder das einzelne Argument oder/und die aus Argumenten zusammengesetzte Kette der Argumentation. 1. Zunächst zu erwähnen ist dabei die auf mangelndem Sachverstand beruhende Argumentationsinkompetenz. Ihr wird mitunter durch entsprechende Gegenmaßnahmen vorgebeugt - so im Prüfungswesen durch den Grundsatz, daß der Prüfer die betreffende Prüfungsleistung selbst schon erbracht haben muß, bevor er diejenige anderer beurteilt. Die Argumentationsinkompetenz wird dadurch gefördert, daß der Argumentierende zumeist nicht bereit ist, sie anderen oder auch nur sich selbst einzugestehen. Oftmals wird sie im Argumentationsergebnis nicht in Erscheinung treten. Man muß vielmehr davon ausgehen, daß die Dunkelziffer dieses Argumentationsfehlers verhältnismäßig hoch ist. Argumentationsinkompetenzen lassen sich vermeiden, wenn an den Argumentierenden bestimmte Voraussetzungen bezüglich seiner Sachkenntnis gestellt werden. Sind diese nicht erfüllt, so muß dieser kooperativ tätig werden - beispielsweise sich Sachverständiger bedienen - , um einen Argumentationsfehler zu vermeiden. 2. Nicht um die Argumentation insgesamt, sondern um das einzelne Argument geht es bei dem Argumentationsübermaß. Hierbei handelt es sich um die Verwendung von der Sache her nicht gebotener exzessiver Argumente wie "zweifelsfrei", "offensichtlich" oder "fraglos". Der Gebrauch solcher Wendungen zeigt die Unsicherheit in der Argumentation an, die rational und damit nachprüfbar, nicht aber charismatische zu sein hat7 • Schon hier erweist sich im übrigen die Parallele zu dem noch zu erwähnenden Argumentationssurrogat. • Vgl. Struck, a.a.O., S. 146 ff.: (1) Verkürzte Argumentation aufgrund Ersatzes von Faktenforschung durch Alltagstheorien (z. B. Arbeit mit "herrschenden Meinungen", Einsatz von Metaphern, Rückgriff auf "Werte"), (2) Begründungen, die nicht den in der Entscheidung fraglichen Punkt betreffen (z. B. durch Heranziehung extremer Beispiele), (3) Wiederholung des zu Beweisenden mit anderen Worten durch Einsatz von Paraphrasen, (4) Nicht-Begründung insbesondere durch Hinweis auf die "Gesamtheit der Umstände". s. auch noch Esser, a.a.O., S. 30 (Gebrauch von Leerformeln und konsensfingierenden Werturteilen). • Zur Legitimation kraft Charismas immer noch grundlegend M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 4. Auf!., hrsg. Winckelmann, 1. Halbbd., 1956. S. 124 f., 140 ff. (dort 141 auch zum [argumentationstheoretisch relevanten] Gegensatz zwischen rationaler und charismatischer Rechtsfindung und zur [gleichfalls argumentationstheoretisch bedeutsamen] Regelfeindlichkeit des Charismas). Zum Begriff auch Milhlmann, Charisma, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. Ritter, Bd. 1, 1971, Sp. 997 (der auf argumentationstheoretische Zusammenhänge allerdings nicht eingeht). .

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3. Gewissennaßen die Kehrseite dieses Mangels stellt das Argumentationsuntermaß dar. Dieses ist durch den Gebrauch von Wendungen

wie "vielleicht" oder "möglicherweise", auch durch die Verwendung konjunktivischer Formulierungen wie "könnte" oder "dürfte" gekennzeichnet. Das Argumentationsuntermaß macht die Argumentation vage und zeigt zugleich - in der Auswirkung also in übereinstimmung mit dem Argumentationsübennaß - eine Unsicherheit der Argumentation an, die dieser die überzeugungskraft nimmt. 4. Die A rgumentationswillkiir zeichnet sich dadurch aus, daß im Rahmen der Argumentation beliebige Argumente herausgegriffen werden, die nicht argumentationsrelevant sind. Insbesondere die topische Interpretation hebt demgegenüber darauf ab, daß nur streng fallrelevante topoi als Argumente verwandt werdenS. Ihre Auffindung stellt gleichsam den ersten, ihre Gegenüberstellung den zweiten, ihre Abwägung gegeneinander den dritten Schritt topischen Vorgehens dar, so daß die Herausstellung fallrelevanter topoi geradezu eine Hauptaufgabe der Topik bildet'. Nichts ,anderes gilt für alle Argumentation, die hiernach unter den Vorbehalt der Argumentationsrelevanz zu stellen ist. 7 Gerade hieraus resultieren auch die Bedenken gegen das argurnenturn ab auctoritBte; zu diesem kritisch Horn, Rechtstheorie 6 (1975), 150, 157 ff., der dieses Argument zwar nicht verwirft, aber "Kriterien rationaler Gegenkontrolle" fordert (159). Seine Einbeziehung auch der Berufung auf das Gesetz als argurnenturn ab auctoritate (152) vermag allerdings nur von der Oberflächenstruktur her zu überzeugen. Stärker hervorgehoben werden müßte die andersgeartete (eben rationale und nicht charismatische), überdies gleichermaßen auf Verfahren und Konsens gegründete Legitimation der Autorität des Gesetzgebers. In diesem Zusammenhang bedeutsam die Bemerkung von M. Weber, a.a.O., S. 157: "Die antiautoritäre Umdeutung des Charisma führt nonnalerweise in die Bahn der Rationalität", sowie F. Schmidts, a.a.O., S. 220, Hinweis auf die Aversion des schwedischen Rechts gegen die "herrschende Meinung"; zu dieser kritisch auch Kriele, Offene und verdeckte Urteilsgründe. Zum Verhältnis von Philosophie und Jurisprudenz heute, in: Collegium Philosophieum. Studien Joachim Ritter zum 60. Geburtstag, 1965, S. 99 (112). 8 Vgl. unter Bezugnahme auf Aristoteles: Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 5. Aufl., 1974, S. 31 (Topik als "denkerische techne, die sich am Problem orientiert"). Dem widerspricht nicht, daß topoi nicht "problemgebunden" sind, wie Otte, Zwanzig Jahre Topik-Diskussion: Ertrag und Aufgabe, Rechtstheorie 1 (1970), 183 (187), mit Recht hervorhebt. , Der Anlaß soll nicht vorübergehen, ohne auf den - bislang noch nicht hinreichend erkannten - Bezug der Topik zur Demokratie aufmerksam zu machen: Ist Demokratie systemimmanent mit einem Wertrelativismus verbunden - so besonders deutlich Kelsen, Sozialismus und Staat, 2. Aufi., 1923, S. 191 ff.; ders., Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., 1929, S. 101 ff.; ders., Zur Soziologie der Demokratie, in: Der österreichische Volkswirt 19 (1926), 209, 239 (abgedr. auch in: Die Wiener rechtstheoretische Schule, 1968, S. 1729); ders., Demokratie, in: Schriften der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, I. Serie, V. Bd., Verhandlungen des Fünften Deutschen Soziologentages, 1927, S. 37,113 (abgedr. auch ebd., S. 1743); Marcic, Hegel und das Rechtsdenken, 1970, S. 45, unter Bezugnahme auf Rvttel, Rechts- und Staatsphilosophie, 1969, S. 262 ff. -, so garantiert topisches Denken Offenheit für unterschiedlichste

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5. ATgumentationsinadäquanz bedeutet die Verwendung unpassender Argumente, die das Ergebnis nicht zu begründen vermögen. Sie weist eine enge Beziehung zur Argumentationswillkür auf, muß von dieser aber deshalb unterschieden werden, weil es bei ihr nicht um das beliebige, unreflektierte Herausgreifen von Argumenten geht, solche vielmehr zwar reflektiert, aber eben falsch reflektiert in die Argumentation eingebracht werden. Das Relevanzerfordernis bei der Auswahl der topoi innerhalb der topischen Interpretation beispielsweise stellt sich argumentationstheoretisch als Adäquanz dar, nur greift diese eben über die topische und über die Interpretation überhaupt hinaus. 6. Um einen der geläufigsten Fehler handelt es sich bei dem ATgumentationswideTspruch (Argumentationsdiskrepanz), bei der sich widersprechende Argumente verwandt werden, die in der Gesamtargumentation eine contradictio in adiecto darstellento. Als Beispiel ist die Konstellation zu erwähnen, daß B - nachdem A erfolgreich einen Ausnahmefall geltend gemacht hatte - sich gleichfalls auf einen solchen und auf Gleichbehandlung beruft. Der Widerspruch liegt darin, daß entweder der Ausnahmefall oder die Gleichbehandlung in Betracht kommt. Beide Argumente sind disjunktiv; die Anführung solcher Argumente führt zu einem inneren Widerspruch der Argumentation. 7. Mit einem bekannten logischen Fehler hängt die ATgumentationsinveTsion zusammen. Sie stellt sich als Umtausch von Argumenten entgegen ihrer logischen Rangfolge dar. Um ein bekanntes Beispiel aus der neueren Zeit handelt es sich bei der Verwendung des "verwaltungsprozessualen Verwaltungsaktsbegriffs", wie er die deutsche Verwaltungsprozeßrechtslehre zeitweilig beherrschtell. Bevor nämlich das gegenwärtig ausgebaute Klagesystem eingeführt worden war, hielt man es um des wünschenswerten Rechtsschutzes durch die Anfechtungsklage willen für notwendig, möglichst viele verwaltungsbehördliche Maßnahmen als Verwaltungsakte zu qualifizieren. Anstatt also die KlagemögDenk- und Lösungsansätze und damit Parität und Toleranz als Werte der Demokratie. 10 Zum Erfordernis, im Rahmen der Auslegung von Rechtsnormen deren widerspruchsfreie Vereinbarkeit zu untersuchen, Zippelius, a.a.O., S. 355. 11 Vgl. BVerwGE 3, 258 (262); BGH, MDR 58, 494 (495); Bacho!, Verwaltungsakt und innerdienstliche Weisung, in: Verfassung und Verwaltung in Theorie und Wirklichkeit, Festschrift für Wilhelm Laforet, 1952, 285 (307 ff.); Maunz - DÜTig - Herzog - Schotz, Grundgesetz, 1978, Art. 19 Abs. IV, RdNr. 11. Bereits Mörtet, Auswirkungen der veränderten verwaltungsgerichtlichen Generalklausel auf Verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 13, 1962, S. 137, hat dies zutreffend als Umkehrung des Satzes "Wenn ein Verwaltungsakt vorliegt, ist verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz (in Form der Anfechtungs- und Verpftichtungsklage) gegeben" in den Satz "Weil verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz zu gewähren ist, muß auch ein Verwaltungsakt vorliegen", gerügt.

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lichkeit zu bejahen, weil ein Verwaltungs akt vorlag, wurde ein solcher konstruiert, um die Klagemöglichkeit zu eröffnen. Anders gesagt: Von dem Erfordernis des Rechtsschutzes wurde auf die Verwaltungsaktnatur zurückgeschlossen, obwohl der Rechtsschutz die Folge des Verwaltungsakts und nicht dieser die Folge des Rechtsschutzes ist. Die Inversion liegt klar zutage. 8. Verbreitet ist weiterhin der - auch als petitio principii bezeichnete - Argumentationszirkel. In der deutschen Rechtswissenschaft ist er bei der Abgrenzung von öffentlichem und privatem Recht nach der neueren Subjektstheorie anzutreffen. Indem hiernach öffentliches Recht als Inbegrüf derjenigen Rechtsnormen verstanden wird, "deren berechtigtes oder verpflichtetes Zuordnungssubjekt ausschließlich ein Träger hoheitlicher Gewalt ist"1!, wird - da öffentlich und hoheitlich (sei es nun obrigkeitlich oder schlicht-hoheitlich) identisch sind - für die Definition des Öffentlichen das Öffentliche bereits vorausgesetzt13 • Ein anderes Beispiel für einen Argumentationszirkel teilt Adomeit mit, wenn er eine gerichtliche Entscheidung analysiert, in der sich der Satz findet: "Die Richter dürfen nicht einem bestimmten gesellschaftspolitischen Anliegen dadurch zum Durchbruch verhelfen, daß sie zu ihrer Durchsetzung begangene, IJ.lit Strafe bedrohte Handlungen als nicht rechtswidrig beurteilen14." Die Worte "mit Strafe bedrohte Handlungen" bedeuten dabei eine petitio principü, weil nicht rechtswidrige, also rechtmäßige Handlungen nicht mit Strafe bedroht sind. 9. Oftmals anzutreffen ist ein anderer Fehler, der als Argumentationsirrweg bezeichnet werden soll. Um einen solchen handelt es sich bei Definitionen, in die außer essentiellen auch akzidentielle Kriterien aufgenommen werden. Als Beispiel hierfür ist die Begriffsbestimmung des Verwaltungsakts zu erwähnen, den nach deutschem Verwaltungsverfahrensrecht jede "Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme" darstellt1 5 • Das umfassende Merkmal "andere hoheitliche Maßnahme", unter das " Verfügung " und "Entscheidung" fallen, hätte deren gesonderte Aufführung erübrigt. Ein anderes Beispiel bildet der vom s. dazu Wolff - Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl .• 1974, § 22 II c, S. 99. Zur Übereinstimmung der Begriffe "öffentlich" und "hoheitlich" MaTtens, Offentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 82 ff., 100. Schlüssig wird die Subjektstheorie nur, wenn man "öffentliche Gewalt" als Oberbegriff versteht (Andeutungen dazu bei MaTtens, a.a.O., S. 84), dem hoheitliches und fiskalisches Handeln unterfällt, mit dem Zusatz, daß nur der Bereich des hoheitlichen HandeIns öffentlichem Recht untersteht. Das aber entspricht (zumindest gegenwärtig) nicht der h. M. U Adomeit, Rechtstheorie für Studenten, 1979, S. 137. 15 § 35 VwVfG. Bemerkenswerterweise wird der hierin liegende Argumentationsfehler in der Kommentarliteratur zumeist kritiklos hingenommen. Vgl. aber UZe - LaubingeT, Verwaltungsverfahrensrecht, 2. Aufl., 1979, § 48 I, S. 233. It

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Bundesgerichtshof verwandte Begriff der Behörde, die von ihm als Staatsorgan definiert wird, "das dazu berufen ist, unter öffentlicher Autorität für die Zwecke des Staates oder der von ihm geförderten Zwecke tätig zu sein, gleichviel, ob das Organ unmittelbar vom Staat oder von einer dem Staate untergeordneten Körperschaft zunächst für deren eigene Zwecke bestellt ist, sofern die Angelegenheiten zugleich in den Bereich der bezeichneten Zwecke fallen, wobei es für den Begriff der Behörde nicht wesentlich ist, ob die ihr übertragenen Befugnisse Ausübung hoheitlicher Gewalt sind oder nicht" 16. Wendungen wie "gleichviel, ob" oder "nicht wesentlich" wirken dabei nicht nur verwirrend; die Ausbreitung solcher oder ähnlicher Argumentationsstränge - beispielsweise auch durch Gebrauch von Formulierungen wie "doch kommt es hierauf nicht an" - stellen Argumentationsirrwege der gekennzeichnetenArtdar. 10. Bei der Argumentationsabstraktion bewegen sich die Argumente auf einem zu hohen Abstraktionsniveau. Die konkreten Verhältnissevor allem die besonderen Umstände des Argumentationsgegenstands bleiben ausgeblendet. Juristische Fallbearbeitungen insbesondere durch Studenten der Anfangssemester neigen zu diesem Argumentationsfehler. Sie sind oftmals nicht fallnah genug und werden dadurch den Besonderheiten des Sachverhalts nicht gerecht. Abstraktionstendenzen sind verbreitet auch dann anzutreffen, wenn die Argumentation bewußt oder unbewußt eine über den konkreten Anlaß hinausreichende Bedeutung erhalten soll. Der Argumentationsmangel erweist sich dann gleichsam als "Zeitbombe", da er erst bei späteren Fällen zutage tritt. Die erforderlichen Konsequenzen sind die Absage an den falschen Ehrgeiz, durch zu hohe Argumentationsabstraktion Allgemeingültiges aussagen zu wollen, und zugleich die Beschränkung auf den jeweiligen Sachverhalt. 11. Um Argumentationsirrealität17 handelt es sich, wenn nicht wirklichkeitsbezogene Argumente verwandt werden, die Argumentation gleichsam "im Elfenbeinturm" erfolgt. Argumentationsirrealität geht über Argumentationsinadäquanz hinaus, weil es sich bei ihr nicht nur um unpassende, sondern um unwirkliche Argumente handelt. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, daß zumindest der Gesetzgeber nicht gehalten ist, realen Gegebenheiten zu entsprechen, er sich vielmehr über solche hinwegsetzen kann. Nicht jede Argumentationsirrealität bewirkt mithin schon rechtserhebliche Argumentationsinkonsistenz, sondern nur solche, bei der kein hinreichender normativer Bezug vorhanden ist. 12. Oftmals ist weiterhin die Argumentationslücke oder Argumentationsverkürzung zu beobachten. Um eine solche handelt es sich, wenn 18 17

BGH, NJW 57, 1673 (1673).

Vgl. auch Struck, a.a.O., S. 149.

4 Rechtstheorie, Beiheft 1

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Argumentationsglieder in der Argumentationskette übersprungen werden. Argumentationslücken treten zwar in der Regel nicht in jener drastischen Form auf, daß innerhalb der Subsumtion keIn Obersatz oder kein Untersatz gefunden wird. Oft aber müssen mehrere Argumente zusammenkommen, um eine Argumentationskette in sich schlüssig zu machen. Das trifft insbesondere zu, wenn mehrere Merkmale erfüllt sein müssen, damit ein Tatbestand anwendbar ist. Werden dann Tatbestandsmerkmale übergangen, so handelt es sich um eine Argumentationslücke. Die Schwierigkeit ihrer Aufdeckung liegt im übrigen darin, daß Argumente oftmals "mitgedacht" werden, ohne ausdrücklich vorgetragen zu werden, was zu einer hohen Dunkelziffer auch gerade dieses Argumentationsmangels führt. 13. Bei der ArgumentationsdupZizierung handelt es sich um eine Verdoppelung der Argumente, die eine Argumentationsschwäche indiziert: Falls das Argument A nicht greift, wird hilfsweise das Argument B vortragen18 • Argumentationsduplizierung mag in vielen Fällen unschädlich sein. Doppelbegründungen innerhalb gerichtlicher Urteile aber stellen einen bedeutsamen Mangel in der Rechtsfindung dar, der insbesondere auf Kosten der Rechtssicherheit geht, weil die Prozeßparteien hierdurch im Ungewissen bleiben, worauf die Entscheidung denn nun eigentlich gestützt ist und wogegen sie mit ihren eigenen Argumenten im Rechtsbehelfsverfahren -ansetzen müssen.

14. Argumentationsinkohärenz liegt vor, wenn unzusammenhängende Argumente gebraucht und in eine Argumentationskette eingebaut werden. Der Argumentationsmangel führt zu einer Sprunghaftigkeit der Argumentation, bei der die Gefahr besteht, daß Zwischenglieder übersprungen werden. Trifft dies zu, so führt die Argumentationsinkohärenz zugleich zu der bereits erwähnten Argumentationsverkürzung. Doch braucht dies nicht so zu sein: Auch bei der Verwendung unzusammenhängender Argumente ist die Argumentation nicht verkürzt, sofern nur die - wenn auch unzusammenhängenden - Argumente das Argumentationsergebnis zu tragen vermögen. So ist es immer, wenn dieses nach dem Wegdenken von Argumenten noch bestehen bleibt: Beispiel hierfür ist die mitunter anzutreffende Begründung einer Rechtsstreitigkeit als öffentlich-rechtliche unter Abstützung durch die Subjektions-, die Intel'18 Kennzeichnend die sogar mehrfache - Argumentationsduplizierung bei VG Münster, Urteil vom 10. 11. 1978, - 1 K 1863177 - : (1) "Ein eigenes Verschulden ist [dem K] nicht vorzuwerfen. . .. Ein gewisses eigenes Verschulden liegt zwar darin, daß ... Dieses Verschulden ist jedoch so gering, daß es unverhältnismäßig wäre, daran die ... Rechtsfolge ". zu knüpfen." (2) "Ein Verschulden [der M] braucht sich der Kläger ... nicht zurechnen zu lassen. Sofern nicht schon aus grundsätzlichen Erwägungen. " ausschließlich auf eigenes Verschulden abzustellen ist, kommt eine Anwendung der Grundsätze in Betracht, die ... für die Zurechnung von Fremdverschulden gelten."

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essen- und die Subjektstheorie19 • Die mehrfache Begründung - übrigens zugleich eine Argumentationsduplizierung oder -triplizierung ist inkohärent, ohne aber eine Argumentationsverkürzung darzustellen, weil jedes zusätzliche Argument hinweggedacht werden kann, ohne daß das Argumentationsergebnis dadurch in Frage gestellt wird. 15. Bei der Argumentationsinakkuranz handelt es sich um eine Unsauberkeit der Argumentation, die gleichfalls einen häufigen Argumentationsfehler darstellt. Argumentationsinakkuranz wird dem Argumentierenden in der Regel nicht bewußt, anderenfalls hätte er zumeist die Möglichkeit akkurater Argumentation. Argumentationsfehler dieser Art aufzudecken, stellt eine wesentliche Aufgabe aller kontrollierenden Org,ane - insbesondere der Gerichte - dar, weil gerade sie in weitaus größerem Umfang als mancherlei andere Argumentationsmängel - wie etwa Argumentationsduplizierung, Argumentationsübermaß, Argumentationsuntermaß und Argumentationszirkel - die Gefahr in sich tragen, sich über die Argumentation selbst zugleich auf deren Ergebnis auszuwirken und damit den ergangenen Hoheitsakt rechtswidrig zu machen. 16. Bei der Argumentationsinhomogenität wird auf ungleichartige inkommensurable - Argumente abgestellt. Bei ihr handelt es sich um einen dem Argumentationswiderspruch verwandten Argumentationsfehler, der sich von diesem jedoch dadurch unterscheidet, daß sich die Argumente nicht schlechthin widersprechen, sondern daß sie nur nicht zusammenpassen. Unter diesem Aspekt steht dieser Argumentationsmangel aber auch der Argumentationsinadäquanz nahe, obwohl sich beide Fehler nicht decken. Homogene Argumente können inadäquat sein, adäquate auch inhomogen. Als Beispiel hierfür sind durch historische Verfassungsinterpretationen gewonnene Erkenntnisse zu nennen, bei denen die Kontextänderung - beispielsweise der Staatsformwandel von der Monarchie zur Demokratie - unberücksichtigt bleibt: Die Argumentation ist zwar adäquat, weil sie die im Methodenkanon anerkannte historische Methode anwendet, aus den genannten Gründen jedoch inhomogen.

17. Argumentationsinvarianz bedeutet Unbeweglichkeit der Argumentation. Die Argumente bleiben konstant, sie verharren in einem bestimmten Schema, ohne die mögliche und erforderliche Bandbreite der Argumentation zu erreichen. So ist es beispielsweise, wenn bei der klassischen Interpretation der Methodenkanon - philologische, logische, historische, genetische, systematische, komparative und teleologische Interpretation - nicht abgeschritten wird und bei der topischen Interpretation relevante topoi von vorneherein unberücksichtigt bleiben. In allen diesen Fällen wird der Argumentationshaushalt nicht voll ausgeschöpft. 11

Vgl. dazu etwa WoZff - Bachof, a.a.O., § 22 II, S. 97 ff.

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18. Mit diesem Mangel verwandt ist die Argumentationsinflexibilität. Sie ist durch eine Starrheit der Argumentation gekennzeichnet, bei der sich der Argumentierende nicht hinreichend mit Gegenargumenten auseinandersetzt. Argumentation erfolgt im Dialog, nicht im Monolog20• Sie setzt daher das Eingehen auf den Gesprächspartner und dessen Argumente voraus. Nur wenn dem diskursiven Charakter der Argumentation Rechnung getragen wird, wird diese flexibel und kann der Fehler der Argumentationsinflexibilität vermieden werden. Von der zuvor genannten Argumentationsinvarianz unterscheidet sich dieser Argumentationsfehler im übrigen insofern, als bei jener die Argumentation selbst schematisch verengt bleibt, während bei diesem Gegenargumente unberücksichtigt bleiben. 19. Argumentationsintransigenz bedeutet die mangelnde Bereitschaft, sich überhaupt auf Gegenargumente einzustellen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Im Gegensatz zu der Argumentationsinflexibilität, bei der sich der Argumentierende nicht bewußt ist, daß er vorgebrachte Gegenargumente nicht hinreichend berücksichtigt, stellt er sich bei ihr bewußt gegen die Anerkennung und Berücksichtigung von Gegenargumenten.

20. Die Argumentationsinsuffizienz ist dadurch gekennzeichnet, daß es an hinreichenden Argumenten fehlt, die das Argumentationsergebnis tragen. Hierdurch wird die Argumentationskette zu schwach oder sogar brüchig, so daß weitere Argumente eingeführt werden müssen, um die Schwachstellen zu verstärken. Gerade die Argumentationsinsuffizienz geht oftmals mit weiteren Argumentationsmängeln einher, die sich zugleich als solche auswirken; umgekehrt bedeutet allerdings nicht jeder Argumentationsfehler - beispielsweise gilt dies für die Argumentationsduplizierung und das Argumentationsübermaß - zugleich eine Argumentationsinsuffizienz. 21. Als Argumentationssurrogat ist die Bezugnahme auf eine angebliche "Offenkundigkeit" zu werten21 • Eine solche kann entweder uner20 So besonders deutlich Alexy, a.a.O., passim (insb. S. 32 ff.); Esser, a.a.O., S. 7 f., 14; a. M. Hülsmann, a.a.O., S. 114 f. Kritisch Tugendhat, Entwicklung moralischer Begrundungsstrukturen im modernen Recht, Referat auf der Tagung der Deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie in der Bundesrepublik Deutschland, München 3. 9. 1978 (noch unveröff.; vgl. aber den Bericht von Wyduckel, Juristische Argumentation, JZ 79, 38 [38]). s. auch Deimer, Argumentative Dialoge - Ein Versuch zu ihrer sprachwissenschaftlichen Beschreibung, 1975, passim. Nur einen Schritt weiter in dieser Richtung ist es, wenn Perelman - Olbrechts - Tyteca, La nouvelle rhetorique. Traite de l'argumentation, 2. Aufl., Bruxelles, 1970, p. 40, die Zustimmung des universalen Auditoriums zum Rationalitäts- und Objektivitätskriterium der Argumentation erheben. 21 Hierzu ausführlich Achterbero, Die Evidenz als Rechtsbegriff, DÖV 63, 331. - In der juristischen Hermeneutik ist die Evidenz bis heute weitaus

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laubt sein - indem nämlich Wendungen wie "offensichtlich" oder "zweifelsfrei" gebraucht werden, durch welche eine Argumentationsinsuffizienz verschleiert werden soll - oder aber erlaubt, wenn nicht sogar geboten. Im letzteren Fall lassen sich ontologische und logische Argumentationssurrogate unterscheiden: Um ontologische handelt es ~ich. wenn die Offenkundigkcit zur tatbestandsmäßigen Voraussetzung einer Rechtsfolge erhoben wird - wie diejenige der Fehlerhaftigkeit für die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts -, um logische, sobald die Offenkundigkeit als Beweisersatz auftritt (offenkundige Tatsachen bedürfen keines Beweises). Der Rationalitätsverlust der Argumentation wird gerade bei diesem Argumentationsmangel besonders deutlich: Jedes Evidenzerlebnis ist originär, also unabhängig davon, ob es schon ein anderer hatte. Das aber bewirkt ein Kontroll defizit: Die höhere Instanz kann zwar gleichfalls das Evidenzerlebnis haben, aber nicht nachprüfen, ob es auch die untere bereits gehabt hatte 22 • 22. Den letzten zu erwähnenden Argumentationsmangel bildet die

Argumentationsinvalidität. Sie bedeutet die Verwendung logisch nicht

nachprüfbarer Argumente23 • Da juristische Argumentation mit dem Ziel zu erfolgen hat, ihre Kontrolle zu gewährleisten - denn die Rechtsordnung stellt nun einmal einen Kontrollmechanismus dar - , müssen Argumente verwandt werden, die einer solchen Kontrolle zugänglich sind. Wie das bereits erwähnte Argumentationssurrogat als Steigerung der Argumentationsinvalidität zeigt, bedeutet die Heranziehung von Argumenten, die dieser Anforderung nicht genügen, gleichfalls einen Argumentationsfehler.

weniger gewürdigt (Bedenken gegen sie aber auch bei Alexy, a.a.O., S. 31; Mayer-Maly, Der Jurist und die Evidenz, in: Internationale Festschrift für Alfred Verdross, hrsg. Marcic - Mosler - Suy - Zemanek, 1971, S. 259 [insb. 270]), als in der allgemeinen Philosophie, vgl. nur F. Brentano, Wahrheit und Evidenz (hrsg. O. Kraus), 1930, S. 61 ff., 140 ff.; Geyser, Auf dem Kampffelde der Logik, 1926, S. 226 f.; N. Hartmann, Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, 4. Aufl., 1949, S. 499 ff.; Hessen, Lehrbuch der Philosophie, 1. Bd., 2. Aufl., 1950, S. 118, 169, 256 ff.; Husserl- Landgrebe, Erfahrung und Urteil, 2. Aufl., 1954, S. 8 ff.; H. Meyer, Systematische Philosophie, Bd. I, 1955, S. 133 ff.; Sigwart, Logik, 1. Bd., 4. Aufl., 1911, S. 16; Wundt, Allgemeine Logik und Erkenntnistheorie, 4. Aufl., 1919, insb. S. 78 ff. t! In gleichem Sinne Esser, a.a.O., S. 5 f.: "... nur die Ausarbeitung von begrifflich und dogmatisch nachprüfbaren Entscheidungsgründen ermöglicht die Richtigkeitskontrolle der Gesetzesanwendung ...". !3 Hierzu rechnet auch die Verwendung unverbindlicher Gemeinplätze, wie sie Diederichsen, Topisches und systematisches Denken in der Jurisprudenz, NJW 66, 697 (703), als Gefahr insb. der Topik geißelt. Dieser Gedanke ist in der Tat beachtlich, wenn auch im übrigen Diederichsens Zuordnung der Systematik zur Rechtswissenschaft und der Topik zur Rhetorik (699, 702) in dieser Schärfe nicht als zutreffend erscheint. Daß die Topik ursprünglich eine Praxis der Argumentation war (697), ist jedoch richtig.

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Folge eines Fehlers in der Argumentation ist nach allem Argumentationsinkonsistenz. Sie stellt gleichsam einen "Summenfehler u dar, der auf unterschiedlichen einzelnen Fehlerquellen beruhen kann: So können Argumentationsfehler der erwähnten Arten vorliegen, die das Argumentationsergebnis in Frage stellen, so können aber auch im einzelnen zutreffende Argumente einander in fehlerhafter Weise zugeordnet sein, so kann schließlich aus den einzelnen Argumenten eine fehlerhafte Schlußfolgerung gezogen worden sein. Die Inkonsistenz kann sich bereits auf der Ebene der Interpretation, aber auch auf derjenigen der Subsumtion, wie schließlich derjenigen der Konklusion zeigen.

111. Konsequenzen von Argumentationsmängeln Betrachtet man die zuvor genannten Argumentationsmängel im Zusammenhang, so ergeben sich folgende Konsequenzen: 1. Primär das (einzelne) Argument betreffen, sekundär wirken sich freilich auch auf die gesamte Argumentation folgende Mängel aus: Abstraktion, Inadäquanz, Invalidität, Irrealität, Irrweg, übermaß, Untermaß, Surrogat, Zirkel, primär auf die (gesamte) Argumentation: Duplizierung, Ineffizienz, Inhomogenität, Inkohärenz, Inversion, Verkürzung, Widerspruch; gleichermaßen Beziehung zu beiden haben: Inakkuranz, Inflexibilität, Inkompetenz, Intransigenz, Invarianz, Willkür und Argumentation.

2. Verschiedene Argumentationsmängel weisen Parallelen auf, ohne sich indessen zu decken. Das gilt beispielsweise für Argumentationssurrogat und Argumentationsübermaß (infolge Ersetzung rationaler Argumente durch die "Offenkundigkeit weiterhin für Argumentationsinadäquanz einerseits sowie Argumentationsirrweg, Argumentationsübermaß, Argumentationsuntermaß und Argumentationswillkür andererseits, ferner für Argumentationsintransigenz und Argumentationswillkür, schließlich für Argumentationsinvalidität und Argumentationssurrogat. Sollten hierbei Interferenzen auftreten, so können sich solche jedenfalls nur dergestalt auswirken, daß das Argumentationsergebnis, nicht aber daß die Argumentation selbst fehlerfrei wird. Normative Richtigkeit ist nicht dasselbe wie argumentative Richtigkeit. U

),

3. Damit angesprochen ist der für die Legitimation von Hoheitsakten bedeutsame Zusammenhang zwischen Argumentation und Entscheidung. Argumentationskonsistenz - also Argumentationsfehlerfreiheit - bewirkt nicht nur Verfahrensfehlerfreiheit und ermöglicht damit nicht allein Legitimation kraft Verfahrens24 , sondern ist auch Voraussetzung

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für Konsens und damit für Legitimation kraft Konsenses 25 • Nur die Richtigkeit der Argumentation läßt das Entscheidungsergebnis wahr und damit argumentationstheoretisch effektiv werden26 • Die Einschränkung "argumentationstheoretisch" ist hierbei erforderlich, weil aus den genannten Gründen - wie das Argumentationssurrogat erweist - auch eine mit Argumentationsfehlern behaftete Entscheidung normativ effektiv sein kann. Unter dem Aspekt der rationalen Begründbarkeit als Legitimationserfordernis wächst Argumentationstheorie in die Dimension der Demokratie hinein: Erfordert Demokratie Legitimation und diese rationale Begründbarkeit, so wird wiederum diese zu einem Demokratiekriterium27 • 4. Kommt der Argumentation die Aufgabe zu, Aussagen (rational)

konsensfähig zu machen28 , so erfordert dies die Vermeidung von Argu-

mentationsmängeln. Wird der Schluß vom Datum auf die Behauptung durch Regeln beeinflußt, deren Anwendbarkeit durch weitere Sätze plausibel gemacht wird 29 , so bedeutet jeder die Richtigkeit eines solchen Satzes beeinträchtigende Argumentationsmangel zugleich einen Rechtfertigungsmangel hinsichtlich der eingeführten Regel und damit zugleich für den Schluß vom Datum auf die Behauptung. 5. Das Phänomen erkannter und unerkannter oder auch bewußter und unbewußter Argumentationsfehler fordert dazu auf, die Bedingungen der Argumentationskonsistenz näher zu erforschen: Wesentlich hier24 In diesem Sinne spricht Horn, Rechtstheorie 6 (1975), 146, von "Verfahrensspielregeln", deren Einhaltung zur juristischen Rationalität und zugleich zur sozialen Effektivität führt. Zur Legitimation kraft Verfahrens Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1969, passim, und kritisch hierzu Zippelius, Legitimation durch Verfahren?, in: Festschrift für Karl Larenz, 1973, S. 293. In dieselbe Richtung zielt Eckhold - Schmidt, Legitimation durch Begründung, 1974, passim. 15 Dazu Esser, a.a.O., S.10; Horn, Rechtstheorie 6 (1975), 147. Zum Begriff und Wesen des Konsenses (unter Einschluß der Abgrenzung von Basis- und Einzelkonsens) Podlech, Wertentscheidungen und Konsens, in: Rechtsgeltung und Konsens, hrsg. Jakobs, 1976, 9 (24 ff.); Zippelius, in: Festschrift für Nüchterlein, S. 345 f. - Unabhängig von der Argumentationskonsistenz ist allenfalls die Legitimation durch Ontologie, wie sie Neumann, a.a.O., S. 96 f., diskutiert. Insoweit würde schon allein das Unterbleiben eines Gegenarguments im Dialog zur Legitimation des Arguments ausreichen, ohne daß dessen Konsistenz erforderlich wäre. 28 Zur rationalen Begründbarkeit (und damit zur Dezisionsvermeidung) als Legitimationserfordernis Alexy, a.a.O., S. 24. 17 Auf die rechtsstaatliche Dimension jeglicher Begründung weist mit Recht bereits Struck, a.a.O., S. 140, hin. !8 BVerfG, NJW 73,1225; Struck, a.a.O., S. 16. 21 Vgl. dazu Habermas, Wahrheitstheorien, in: Wirklichkeit und Reflexion. Festschrift für Walter Schulz, hrsg. Fahrenbach, 1974, S. 238 ff., im Anschluß an Toulmin, a.a.O., passim; Schneider-Schroth, a.a.O., S. 264 ff. - Zum Rang der Plausibilität Esser, a.a.O., S. 24.

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für sind Mängel im Entscheidungsträger, wobei dessen polykratische oder monokratische Organisation zu berücksichtigen ist. Als Auslösungsfaktoren - im Sinne Rottleuthners: Attitüden30 - kommen in Betracht: mangelnder Sachverstand (insbesondere ungenügende logische Vorbildung) - dies vor allem bei der Argumentationsinkompetenz -, Oberflächlichkeiten sowie Verschleierungstaktiken bezüglich eines Vorverständnisses oder Unsicherheiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht. 6. Nur die strikte Vermeidung von Argumentationsmängeln läßt neben der Offenheit der Argumentation, deren Mangel unter dem Blickwinkel der Argumentationsinflexibilität, -intransigenz und -invarianz selbst einen Argumentationsfehler darstellt - die Rückführbarkeit der Argumentation auf einen Punkt zu, von dem aus weiteres Argumentieren entbehrlich wird, und damit die Erreichung eines wesentlichen, von der modernen Argumentationstheorie postulierten Ziels erhoffen31 • 7. Typisierung und Katalogisierung der möglichen Argumentationsfehler dienen dazu, eine bisher noch bestehende Lücke in der Argumentationstheorie zu schließen und zugleich eine unmittelbare Hilfeleistung für die Rechtserzeugung zu gewähren. Solche muß zum Bestandteil der Gesetzgebungs- wie der Verwaltungslehre, schließlich aber auch einer Recht8prechungslehre gemacht werden, die bis heute noch fehlt. Ihre Schaffung stellt Desiderat einer noch zu entwickelnden, den juristischen Bereich transzendierenden umfassenden metajuristischen Funktionenlehre dar. Bestandteil einer solchen Rechtsprechungslehre muß auch die Evaluation der Rechtsprechung sein, mit deren Hilfe nachträglich Argumentationsfehler aufgezeigt werden können. Selbst wenn dies - beispielsweise wegen der von der Rechtskraft gezogenen Grenzen - für 80 Zur Attitüde als Entscheidungsdeterminante Rottleuthner, Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft, 1973, S. 114 ff.; ders., Richterliches Handeln. Zur Kritik der juristischen Dogmatik, 1973, S. 82 ff.; Schneider-Schroth, a.a.O., S. 255 ff. U Zur erforderlichen Offenheit der Argumentation Esser, a.a.O., S. 6, 14, 17,19, mit Bezugnahme auf die Topik, der gegenüber Logik eher der "Schlußstein als der Grundstein eines argumentativen Gebäudes" sei, 23, 27; Haverkate, ZRP 73, 281 (dem lediglich in seiner These nicht zugestimmt werden kann, Vorbehalte gegen offenes Argumentieren rührten aus der Freirechtsbewegung her [282]; vielmehr war es gerade deren Anliegen, verdeckte Implikationen transparent zu machen); Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967, S. 315; ders., Festschrift für Joachim Ritter, S. 99 (der Sache nach zur Beziehung des Vorverständnisses zum argurnenturn ab auctoritate, S. 112); F. Schmidt, a.a.O., S. 216 (freilich mit einem auf Rechtspolitik verengten Begriff der Offenheit, S. 218 - verengt deshalb, weil auch schon der Topoi-Pluralismus "Offenheit" bewirkt); Struck, a.a.O., S. 20 ff. - Zum Edordemis der Erreichung von Evidenz und Sachlogik mit der Folge, daß weiteres Argumentieren entbehrlich wird, Esser, a.a.O., S. 11, 17; ders., Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1972, S. 173; Struck, a.a.O., S. 15.

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den konkreten Rechtsfindungsfall nicht mehr bedeutsam werden sollte, lassen sich ·auf diese Weise künftig entsprechende Argumentationsfehler vermeiden. 8. Die Erkennung von Argumentationsmängeln ist schließlich auch unter dem Aspekt der Rechtsverhältnistheorie 32 bedeutsam: Argumentationskonsistenz führt zur Normkonsistenz und über diese zugleich zur Konsistenz normdeterminierter Rechtsverhältnisse. Dies gilt jedenfalls für durch Normen volldeterminierte, kommt aber auch für durch sie nur teildeterminierte Rechtsverhältnisse in Betracht. Bei diesen erweitert sich die Problematik der Argumentationsmängel über die heterogene Determinante durch die Rechtsnorm auf die autonome Determinante durch das rechtsrelevante Verhalten der Zurechnungsendsubjekte des jeweiligen Rechtsverhältnisses. Diesen unterlaufende Argumentationsmängel beeinträchtigen die Konsistenz des Rechtsverhältnisses, so daß ihre Vermeidung auch rechtsverhältnistheoretisch unerläßlich ist.

31 Zur Rechtsverhältnistheorie Achterberg, Rechtsverhältnisse als Strukturelemente der Rechtsordnung. Prolegomena zu einer Rechtsverhältnistheorie, Rechtstheorie 9 (1978), 385; ders., Grundzüge einer Rechtsverhältnistheorie, Referat auf dem 9. Weltkongreß "Zeitgenössische Rechtskonzeptionen" der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie, Basel 1979 (noch unveröff.).

ZUM BEGRIFF DES RECHTSPRINZIPS Von Robert Alexy, Göttingen

I. Einleitung H. L. A. Hart hat kürzlich von Zeichen für einen Epochenwechsel gesprochen 1• Zu Ende gehen soll eine von Bentham eingeleitete zweihundertjährige Periode angelsächsischer Rechtstheorie und politischer Philosophie, die durch den Utilitarismus und die These der Trennung von Recht und Moral gekennzeichnet gewesen sei. Als Zeichen benennt Hart zum einen die gegen den Utilitarismus gerichteten Theorien Rawls'! und Nozicks3 und zum anderen die gegen den Rechtspositivismus gewandte Theorie seines Oxforder Nachfolgers Dworkin. Ronald Dworkins Kritik des Positivismus stützt sich wesentlich auf seine Theorie der Rechtsprinzipien. Den Begriff des Rechtsprinzips in Auseinandersetzung mit Dworkin zu analysieren, bietet damit nicht nur den Vorteil, einige der vielen noch offenen· Fragen, die mit diesem Begriff verbunden sind, im Rahmen der Kritik einer umfassenden und subtilen Theorie diskutieren zu können, sondern eröffnet zusätzlich die Möglichkeit, dabei der Hartschen Vermutung ein Stück weit nachzuspüren. Dworkin entwickelt seine Auffassungen über den logischen Status, die Begründbarkeit und die Verwendung von Prinzipien im Rahmen eines "allgemeinen Angriffs auf den Positivismus"lI, bei dem ihm die Theorie Harts 6 als Angriffsziel dient. Gegenstand seiner Kritik sind drei Thesen, I H. L. A. Hart, Law in the Perspective of Philosophy: 1776 - 1976, in: New York University Law Review 51 (1976), S. 541. 2 J. Rawls, A Theory of Justice, Cambridge Mass. 1971. 3 R. Nozick, Anarchy, State, and Utopia, New York 1974. 4 Vgl. etwa die Feststellung Weinbergers, der "die adäquate Darstellung der Form von Rechtsgrundsätzen" "für ein bisher nicht gelöstes Problem" hält (0. Weinberger, Die logischen Grundlagen der erkenntniskritischen Jurisprudenz, in: Rechtstheorie 9 [1978], S. 131 f.). 5 R. Dworkin, The Model of Rules I, in: ders., Taking Rights Seriously, London 1977 (erstmals erschienen unter dem Titel: The Model of Rules, in: University of Chicago Law Review 35 [1967], S. 14 ff.; abgedr. unter dem Titel: Is Law a System of Rules?, in: R. Summers [Hrsg.], Essays in Legal Philosophy, Oxford 1968, S. 25 ff.; G. Hughes [Hrsg.], Law, Reason, and Justice, New York 1969, S. 3 ff.; R. Dworkin [Hrsg.], The Philosophy of Law, Oxford 1977, S. 38 ff.), S. 22. 6 H. L. A. Hart, The Concept of Law, Oxford 1961.

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die nach Dworkin das Grundgerüst nicht nur der Hartschen, sondern jeder positivistischen Theorie bilden7 • Die erste These betrifft die Struktur und die Grenzen des Rechtssystems. Nach ihr besteht das Recht einer Gesellschaft ausschließlich aus Regeln, die anhand von Kriterien, die sich nicht auf ihren Inhalt, sondern auf ihre Herkunft (pedigree) beziehen, identifiziert und von anderen sozialen Regeln, insbesondere von moralischen Regeln, unterschieden werden können. Das Hauptbeispiel für ein solches Identifikationskriterium ist Harts rule of recognition. Die zweite These ergibt sich aus der ersten. Wenn das Recht ausschließlich aus nach dem Identifikationskriterium gültigen Regeln besteht und wenn es, wie Hart hervorhebt8 , Fälle gibt, in denen diese Regeln, etwa weil sie vage sind, den Entscheidenden nicht auf eine Rechtsfolge festlegen, dann muß der Entscheidende, weil das Recht ihm keinen Maßstab an die Hand gibt, nach nicht zur Rechtsordnung gehörenden Maßstäben urteilen. Wenn aber jemand nur nach nicht zur Rechtsordnung gehörenden Maßstäben urteilen kann, ist er bei seiner Entscheidung nicht durch die Rechtsordnung gebunden und hat insofern ein Ermessen (discretion)9. Die dritte These bezieht sich auf den Begriff der rechtlichen Verpflichtung. Nach ihr kann nur dann davon gesprochen werden, daß jemand eine rechtliche Verpflichtung (und dementsprechend ein anderer ein Recht) hat, wenn es eine Regel gibt, die eine solche Verpflichtung aussprichtto . Hieraus folgt, daß der Richter in schwierigen Fällen, in denen er im Sinne der zweiten These aufgrund seines Ermessens wie ein Gesetzgeber eine Regel erst bilden muß, nicht lediglich eine bereits bestehende Verpflichtung ausspricht, sondern vielmehr eine bis zu seinem Spruch nicht existierende Verpflichtung erst festsetzt! t. R. Dworkin, The Model of Rules I (Anm. 5), S. 17. H. L. A. Hart, The Concept of Law (Anm. 6), S. 121 ff. • Dworkin unterscheidet drei Arten von Ermessen (discretion). Ermessen in einem ersten schwachen Sinne liegt vor, wenn die Anwendung einer Regel nicht mechanisch erfolgen kann, sondern Urteilskraft voraussetzt; Ermessen in einem zweiten schwachen Sinne ist gegeben, wenn der oder die Entscheidenden die letzte Instanz sind, die Entscheidung also nicht mehr aufgehoben werden kann; Ermessen im dritten starken Sinne hat jemand, wenn er nicht durch Maßstäbe gebunden ist, die durch die Autorität, der er unterworfen ist, gegeben wurden (vgI. R. Dworkin, The Model of Rules I [Anm. 5], S. 31 ff.; ders., Judicial Discretion, in: The Journal of Philosophy, 55 [1963], S. 624 ff.). Dworkin wendet sich allein gegen die These, daß der Richter Ermessen im dritten Sinne habe. Zu Dworkins Begriff des Ermessens, der hier nicht diskutiert werden kann, vgl. G. C. MacCaUum, Dworkin on Judicial Discretion, in: The Journal of Philosophy 55 (1963), S. 638 ff.; N. B. Reynolds, Dworkin as Quixote, in: University of Pennsylvania Law Review 123 (1974175), S. 574 ff.; K. Greenawatt, Discretion and Judicial Decision: The Elusive Quest for the Fetters that Bind Judges, in: Columbia Law Review, 75 (1975), S. 365 ff. 10 Vgl. hierzu H. L. A. Hart, Definition and Theory in Jurisprudence, Oxford 1953, S.16. 11 R. Dworkin, The Model of Rules I (Anm. 5), S. 17, 44. 7

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Das Herzstück des Dworkinschen Angriffs auf Theorien dieser Art bildet die These, daß Individuen Rechte haben, unabhängig davon, ob vorher entsprechende Regeln geschaffen wurden12 • Diese Rechte zu entdecken, nicht neue Rechte zu schaffen, sei Aufgabe des Richters 13• Auch in schwierigen Fällen (hard cases) gebe es nur eine richtige Antwort u . Zwar gebe es kein Verfahren, diese Antwort in jedem Fall zwingend zu beweisen, hieraus folge jedoch nicht, daß nicht stets genau eine Aussage über Rechte wahr13 seP6. Immerhin gebe es Verfahren, der richtigen Antwort nachzuspüren, und damit Kriterien für die Beurteilung der Richtigkeit oder Wahrheit von Behauptungen über Rechte auch in zweifelhaften Fällen. Wahr oder richtig sei die Antwort, die durch die beste Theorie des Rechts (soundest theory of law) am besten gerechtfertigt werdel7 • Im Rahmen solcher Theorien sollen Prinzipien eine entscheidende Rolle spielen. Die beste Theorie sei die, die diejenigen Prinzipien und Gewichtungen von Prinzipien enthalte, die die Vorschriften der Verfassung, die gesetzten Rechtsnormen und die Präjudizien am besten rechtfertigen18 • Unter "Prinzip" versteht Dworkin dabei alle Maßstäbe, die, ohne Regeln zu sein, als Argumente für individuelle Rechte dienen können". Die drei nach Dworkin fehlerhaften Thesen des Positivismus R. Dworkin, Taking Bdghts Seriously, Londun 1977, Introduction, S. XI. Ders., Hard Cases, in: ders., Taking Rights Seriously (Anm. 12), (erstmals erschienen in: Harvard Law Review 88 [1975], S. 1057 ff.), S. 81. 14 Ders., No Right Answer?, in: P. M. S. Hacker I J. Raz (Hrsg.), Law, Morality, and Society, Festschrift f. H. L. A. Hart, Oxford 1977, S. 58 ff. Kritisch hierzu Note: Dworkin's "Rights Thesis", in: Michigan Law Review 74 (1976), S. 1191 ff. 15 Zu Dworkins Verwendung des Ausdrucks "wahr" vgI. ders., No Right Answer? (Anm. 14), S. 82. Dworkins Aussagen über Rechte sind normative 12

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Aussagen. Ob es angemessen ist, sie als "wahr" zu bezeichnen, kann hier offen bleiben, denn von dem Gebrauch des Ausdrucks "wahr" hängt im Rahmen der Dworkinschen Theorie nichts Wesentliches ab. Er kann überall etwa durch "richtig" ersetzt werden. 11 R. Dworkin, No Right Answer? (Anm. 14), S. 76 ff.; ders., Hard Ca ses (Anm. 13), S. 81. Kritisch hierzu: A. D. Woozley, No Right Answer, in: The Philosophical Quarterly 29 (1979), S. 25 ff. 17 Dies Kriterium wird von Dworkin auf verschiedene Weisen formuliert. VgI. etwa ders., The Model of Rules 11, in: ders., Taking Rights Seriously (Anm. 12) (zuerst erschienen unter dem Titel: Social Rules and Legal Theory, in: The Yale Law Journal 81 [1972], S. 855 ff.), S. 66; ders., Hard Cases (Anm. 13), S. 105 ff.; den., No Right Answer? (Anm. 14), S. 82. 18 VgI. etwa ders., The Model of Rules I (Anm. 5), S. 66; ders., Hard Ca ses (Anm. 13), S. 116 ff. 18 Ders., Hard Cases (Anm. 13), S. 90. Den Prinzipien stellt Dworkin die "policies" gegenüber. Hierunter versteht er kollektive soziale Ziele (ders., a.a.O., S. 82). Policies sollen bei der Beantwortung der Frage, welche Rechte Individuen haben, nur eine beschränkte Rolle spielen. Sie dürfen nach Dworkin nur im Rahmen der Anwendung statuierter Normen als deren Zwecke (purposes) (ders., a.a.O., S. 107 ff.) und im Falle großer Dringlichkeit (ders., a.a.O., S. 92) berücksichtigt werden. Die Dworkinsche Unterscheidung zwischen principles und policies ist nicht unproblematisch. Zu ihrer Kritik vgl. Note:

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sollen auf der Verkennung der Rolle beruhen, die Prinzipien in der juristischen Argumentation sowohl tatsächlich spielen!O als auch zu spielen haben!1. Die Bedeutung der Prinzpien sei schon daraus ersichtlich, daß viele Entscheidungen auf Prinzipien gestützt seien; noch deutlicher zeige sie sich daran, daß Rechtsnormen durch sie eingeschränkt oder verdrängt werden könnten!!. Prinzipien müßten deshalb als Teil der Rechtsordnung angesehen werden. Die Rechtsordnung sei somit kein System, das ausschließlich aus Regeln bestehe. Es sei auch nicht möglich, die Prinzipien durch eine soziale rule of recognition zu identifizieren23 • Die Feststellung der jeweils zu berücksichtigenden Prinzipien setze wesentlich moralische Erwägungen voraus!4. Die erste These sei deshalb falsch. Die Unhaltbarkeit der zweiten These ergebe sich daraus, daß Prinzipien anders als Regeln dem Richter stets Anhalt böten. Wenn eine Antwort aufgrund von Regeln nicht möglich sei, sei sie anhand von Prinzipien zu geben25 • Da diese zur Rechtsordnung gehörten, habe der Richter nie Ermessen in dem Sinne, daß er nicht durch die Rechtsordnung gebunden sei. Die dritte These schließlich sei deshalb falsch, weil der Richter seine Antwort nicht erfinde, sondern anhand der Prinzipien entdecke, welche Rechte die Parteien haben2e• Dworkin's "Rights Thesis" (Anm. 14), S. 1172 H., 1177, in der die Existenz eines relevanten Unterschieds bestritten wird: "Whether judges make arguments of principle or arguments of policy (per Dworkin's definitions), they are really doing essentially the same kind of thing." Dort findet sich auch eine Darstellung der Entwicklung der Unterscheidung von principle und policy bei Dworkin, die nicht immer in der angeführten Schärfe getroffen wurde (a.a.O., S. 1173, Anm. 40). Auf die Probleme dieser Dworkinschen Unterscheidung braucht an dieser Stelle jedoch nicht eingegangen zu werden, denn die Antwort auf die hier zu behandelnden Fragen hängt nicht von ihr ab. zo R. Dworkin, The Model of Rules I (Anm. 5), S. 22. U Dworkin charakterisiert seine Theorie als sowohl deskriptiv als auch normativ (derB., Hard Cases [Anm. 13], S. 123). 22 Ders., The Model of Rules I (Anm. 5), S. 37 f. U Ders., The Model of Rules 11 (Anm. 17), S. 59 ff. Anderer Auffassung in diesem Punkt ist SartoTius, der ein Testkriterium zur Identifikation von Prinzipien, die zur Rechtsordnung gehören, für möglich hält: ,,(T)here is some ultimate criterion by which one can in principle determine whether or not any given standards is a legal standard; a criterion closely conforming to the spirit, if not to the letter, of Hart's rule of recognition". Sartorius räumt allerdings ein, daß "the actual filling out of such an ultimate criterion, would be a complex and demanding task for any mature legal system, i:f it is indeed a practical possibility at allee (R. Sartorius, Social Policy and Judicial Legislation, in: American Philosophical Quarterly 8 [1971], S. 155 f.). Auch Raz ist der Auffassung, daß die Existenz von Prinzipien nicht dazu zwingt, den Gedanken einer rule of recognition aufzugeben. Er will die Prinzipien als "judicial customs" in die rule of recognition einbeziehen (J. Raz, Legal Principles and the Limits of Law, in: The Yale Law Journal 81 [1972], S,. 851 ff.). Kritisch zu Sartorius und Raz R. Dworkin, The Model of Rules 11 (Anm. 17), S. 59 ff., 64 ff. U R. Dworkin, The Model of Rules II (Anm. 17), S. 67 f. 25 DerB., The Model of Rules I (Anm. 5), S. 35 f.

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Bereits diese grobe Skizze der Theorie Dworkins macht die Rolle der Prinzipien in ihr deutlich. Von den vielfältigen Fragen, die diese Theorie aufwirft, sollen im folgenden nur die nach dem logischen Status, der Begründung und der Verwendung von Prinzipien behandelt werden. Dabei soll die Analyse des Begriffs des Rechtsprinzips in Abgrenzung zu dem der Rechtsnorm oder Rechtsregel im Vordergrund stehen. Im Anschluß an diese Analyse sollen einige sich aus ihr ergebende Folgerungen für die Theorie der Begründung und Verwendung von Prinzipien be~ handelt werden. 2. Die Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien

Nach Dworkin besteht zwischen Regeln und Prinzipien ein logischer Unterschied. Der Ausdruck "logisch" wird dabei in einem weiten Sinn, in dem er auch allgemeine Eigenschaften der Normstruktur erfaßt, gebraucht. Da Mißverständnisse kaum zu befürchten sind, soll hier der Dworkinschen Terminologie gefolgt werden. Das erste Stück der These vom logischen Unterschied besagt, daß Regeln auf eine Alles-oderNichts-Weise (all-or-nothing fashion) anwendbar sind. Wenn die Merk~ male des Tatbestandes vorliegen, gebe es nur zwei Möglichkeiten. Entweder sei die Regel gültig, dann müsse die Rechtsfolge akzeptiert werden, oder sie sei nicht gültig, dann trage sie nichts für die Entscheidung aus 27• Die Tatsache, daß eine Regel Ausnahmen (exceptions) haben könne, beeinträchtige ihren Alles-oder-Nichts-Charakter nicht28 • Eine vollständige Formulierung der Regel müsse sämtliche Ausnahmen enthalten. Die Ausnahmen seien damit Bestandteil der Regel. Liegen sie vor, folge zwingend, daß die Regel, zu der sie gehören, nicht anwendbar sei. Die Ausnahmen mögen noch so zahlreich sein, zumindest theoretisch sei es möglich, sie vollständig anzuführen29• Prinzipien demgegenüber sollen, selbst wenn sich bei ihnen Tatbestand und Rechtsfolge unterscheiden lassen und die Voraussetzungen des Tatbestandes erfüllt sind, die Entscheidung nicht zwingend festlegenSO, sondern lediglich Gründe enthalten, die für die eine oder die andere Entscheidung sprechen, sie nahe legen31 • Andere Prinzipien können ihnen vorgehen. Die Gegenbeispiele (counter-instances), die sich auf diese Weise zu Prinzipien finden ließen, könnten nicht wie bei Regeln als Ausnahmen behandelt werden. Es sei unmöglich, sie in einer vollständi28

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R. Dworkin, a.a.O., S. 44. Ders., a.a.O., S. 24. Ders., a.a.O., S. 25. Ebd. Ebd. Ders., a.a.O., S. 26; den., The Model of Rules II (Anm. 17), S. 72.

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gen Formulierung des Prinzips zu erfassen, um dann das Prinzip wie eine Regel in einer Alles-oder-Nichts-Weise anzuwenden. Anders als die Ausnahmen von Regeln seien die Gegenbeispiele zu Prinzipien auch theoretisch nicht aufzählbarl'!. Dies erste Stück der Dworkinschen Unterscheidungsthese impliziert ein zweites. Danach haben Prinzipien eine Dimension, die Regeln nicht haben, eine Dimension des Gewichts (dimension of weight)33, die sich an ihrem Kollisionsverhalten zeige. Wenn zwei Prinzipien kollidieren, gebe das Prinzip mit dem relativ größeren Gewicht den Ausschlag, ohne daß das Prinzip mit dem relativ geringeren Gewicht dadurch ungültig werde. In einer anderen Fallkonstellation könnten die Gewichte umgekehrt verteilt sein. Demgegenüber sei bei einem Konflikt zwischen Regeln, wie er etwa vorliege, wenn eine Regel etwas gebiete und eine andere Regel dasselbe verbiete, ohne daß eine der Regeln eine Ausnahme zur anderen statuierte34 , stets mindestens eine ungültig. Wie entschieden werde, was gilt, sei gleichgültig. Dies könne nach einer Regel wie "lex posterior derogat legi priori" oder danach, welche Regel durch wichtigere Prinzipien gestützt wird, geschehen35. Entscheidend sei, daß diese Entscheidung eine Entscheidung über Gültigkeit sei, was bedeute, daß die ungültige Regel anders als ein zurückweichendes Prinzip aus der Rechtsordnung verabschiedet werde. Dies macht deutlich, daß die Dworkinsche Unterscheidung keine Unterscheidung dem Grade nach ist. Die Unterscheidungskriterien sind nicht komparativ, sondern strikt klassifikatorisch. Dem entspricht es, daß Dworkin die häufig bemühte36 Unterscheidung nach dem Grade der Generalität37 , auf die noch einzugehen sein wird, ausdrücklich ablehnt38 • Es ist daher gerechtfertigt, im Hinblick auf die Dworkinsche Auffassung von einer "strengen Trennungsthese" zu sprechen. Die strenge Trennungsthese besagt, daß die Unterscheidung von Regeln und Prinzipien 12 R. Dworkin, The Model of Rules I (Anm. 5), S. 25. ss Den., a.a.O., S. 26. U Den., The Model of Rules II (Anm. 17), S. 74. 35 Ders., The Model of Rules I (Anm. 5)·, S. 27. 38 Vgl. etwa J. Raz, Principles and the Limits of Law (Anm. 23), S. 838; G. C. Christie, The Model of Principles, in: Duke Law Journal 1968, S. 669; G. Hughes, Rules, Policy and Decision Making, in: The Yale Law Journal 77

(1968), S. 419.

37 Eine Regel ist um so genereller, je unspezifischer die von ihr erfaßten Handlungsweisen sind. So hat die Regel, niemals zu lügen, einen relativ hohen, und die Regel, seiner Frau in Geldangelegenheiten stets die Wahrheit zu sagen, einen relativ niedrigen Generalitätsgrad. Vgl. hierzu R. M. Hare, Freedom and Reason, Oxford 1963, S. 39 f., sowie ders., Principles in: Pro' ceedings of the Aristotelian Society 73 (1972173), S. 2 f. 38 R. Dworkin, The Model of Rules II (Anm. 17), S. 78.

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keine Unterscheidung dem Grade nach ist, sondern daß Regeln und Prinzipien normative Maßstäbe ganz unterschiedlicher logischer Struktur sind. Wenn ein Maßstab eine Regel oder ein Prinzip sein kann, ist er stets entweder eine Regel oder ein Prinzip. Als Alternativen der strengen Trennungsthese kommen zwei Thesen in Betracht: die schwache Trennungsthese und die übereinstimmungsthese. Die Vbereinstimmungsthese besagt, daß zwischen Regeln und Prinzipien kein logischer Unterschied, und zwar auch kein logischer Unterschied in dem oben erwähnten weiten Sinne, besteht. Alle logischen Eigenschaften, die bei dem, was man herkömmlicherweise "Prinzip" nennt, vorkommen können, können auch bei dem, was man "Regel" oder "Norm" nennt, vorkommen. Demgegenüber hat die schwache Trennungsthese wie die strenge zum Inhalt, daß Regeln und Prinzipien unter logischen Gesichtspunkten unterschieden werden können. Dieser Unterschied ist aber ausschließlich ein Unterschied dem Grade nach39• Die drei Thesen beziehen sich in dem weiten Sinne, der auch Dinge wie die Formen der Anwendung und die Formen der Kollision einschließt, auf die logische Struktur von Regeln und Prinzipien. Zahlreiche weitere Unterscheidungskriterien sind neben oder in Konkurrenz zu solchen der angeführten Art denkbar und werden häufig genannt. So könnte man erwägen, Regeln und Prinzipien nach ihrer Entstehungsweise, etwa danach, ob sie geschaffen wurden oder gewachsen sind 40 , der Explizitheit ihres Wertungsgehaltes u , ihrem moralischen Gehalt oder ihrem Bezug zur Rechtsidee 42 oder einem obersten Rechtsgesetz 43 , ihrer 38 Die drei Thesen schließen sich in dem Sinne aus, daß sie nicht gleichzeitig im Hinblick auf dieselben Gegenstände gelten können. Dies besagt jedoch nicht, daß sie nicht im Hinblick auf Verschiedenes nebeneinander anwendbar sein können. Das höchste Maß paralleler Anwendbarkeit wäre in einem Modell gegeben, in dem drei Arten von Regeln oder drei Arten von Prinzipien so unterschieden werden, daß drei Paare gebildet werden können, die jeweils einer der drei Unterscheidbarkeitsrelationen entsprechen. Hier wird allerdings die Auffassung vertreten, daß ein solches Modell unzutreffend ist. Ferner wird die schwache Trennungsthese durch eine Abschwämung mit der starken vereinbar. Ein Beispiel für eine solme abgeschwächte schwache Trennungsthese ist die These, daß der Unterschied nicht nur, sondern häufig auch einer de~ Generalitätsgrades ist. 40 S. I. Shuman, Justiftcation of Judicial Decisions, in: Essays in Honor of Hans Kelsen, The California Law Review 59 (1971), S. 723, 729; T. Eckhoff, Guiding Standards in Legal Reasoning, in: Current Legal Problems 29 (1976), S. 209 f. 41 C.- W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, Berlin 1969, S. 50. 41 K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl., München 1979, S. 207, 410. 4S H. J. Wolff, Remtsgrundsätze und verfassungsgestaltende Grundentscheidungen als Rechtsquellen, in: Festschrift f. W. Jellinek, hrsg. v. O. Bachoff I M. Drath I O. Gönnenwein I E. Walz, München 1955, S. 37 ff.

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Bedeutung für die Rechtsordnung 44 , der Sicherheit ihrer Erkenntnis oder ihrer Allgemeingültigkeit oder Ubiquität zu unterscheiden. Auch weitere im weiten Sinne logische Unterscheidungs kriterien kommen in Betracht. So ist vorgeschlagen worden, Regeln und Prinzipien danach, ob sie Gründe für Regeln oder selbst Regeln 46 sind, oder nach ihrem Regelungsgegenstand, z. B. danach, ob sie Argumentations- oder Verhaltensregeln sind 48 , zu unterscheiden. Zu der Vielfalt dieser Kriterien tritt die oft hervorgehobene Vielfalt der Arten von Prinzipien. Den farbigsten Katalog bietet Esser, der u. a. zwischen axiomatischen, rhetorischen und dogmatischen47, immanenten und informativen48, juristischen Prinzipien und Prinzipien des Rechts49 und Aufbau- und Wertprinzipien50 unterscheidet51 , 52. Es ist zu vermuten, daß die Adäquanz der angeführten Kriterien auch von deren Relationen zu verschiedenen Prinzipienarten abhängt. Wenn angesichts dieser Situation hier der von Dworkin erörterte im weiteren Sinne logische Unterschied zwischen Regeln und Prinzipien im Mittelpunkt steht, dann deshalb, weil die Analyse der Dworkinschen strengen Trennungsthese verspricht, einen guten Ausgangspunkt für die Analyse und Bewertung auch der weiteren Kriterien zu bieten. 44 K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (Anm. 42), S. 464; A. Peczenik, Principles of Law. The Search for Legal Theory, in: Rechtstheorie 2 (1971), S. 30. Vgl. hierzu auch S. Wronkowska / M. Zielinski / Z. Ziembinski.

Rechtsprinzipien. Grundlegende Probleme, in: Zasady prawa, Warschau 1974, S. 226. Soweit der Begriff der Bedeutung für die Rechtsordnung auf logische Relationen zwischen Prinzipien und Regeln zurückgeführt werden kann (vgl. hierzu A. Peczenik, a.a.O., S. 31 f.), handelt es sich auch bei diesem Kriterium um ein im weiteren Sinne logisches. 45 J. Raz, Legal Principles and the Limits of Law (Anm. 23), S. 839. 48 H. Gross, Standards as Law, in: Annual Survey of American Law 1968/69, S. 578; T. Eckhoff, Guiding Standards in Legal Reasoning (Anm. 40), S. 207. 47 J. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 3. Aufl., Tübingen 1974, S. 47 f. 48 Ders., a.a.O., S. 73 ff. n Ders., a.a.O., S. 90. 50 Ders., a.a.O., S. 156. 51 Zu weiteren Klassifikationen von Prinzipien vgl. A. Peczenik, Principles of Law (Anm. 44), S. 17 fi., der (1) "principles or ,laws' of logic", (2) "principles of justice", (3) "semi-Iogical" und (4) "instrumentally formulated legal principles", (5) Prinzipien "similar to the instrumentally formulated" und (6) "all the other principles" unterscheidet. U Von den Klassifikationen ist die Auffassung der Prinzipien als beschreibende und als direktive oder normative Sätze zu unterscheiden (vgl. hierzu S. Wronkowska I M. Zielinski I Z. Ziembinski, Rechtsprinzipien [Anm. 44], S. 225). So wie jede Rechtsnorm durch einen beschreibenden Satz ("Rechtssatz" im Sinne Kelsens, vgl. ders., Reine Rechtslehre, 2. Aufl., Wien 1960, S. 73 ff.) wiedergegeben werden kann, so entspricht jedem direktiven Prinzip ein beschreibendes. Fraglich ist, ob das Umgekehrte zutrifft. Dies gilt insbesondere für "summary reference(s) to a great number of laws" (vgl. hierzu J. Raz, Legal Principles and the Limits of Law [Anm. 23], S. 828 f.).

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Dworkin hat die strenge Trennungsthese zwar am weitesten ausgearbeitet, er ist aber nicht ihr einziger Anhänger. Im deutschen Sprachraum wird sie am deutlichsten von Esser vertreten, der betont, daß die Unterscheidung von Regel und Prinzip nicht vom Generalitätsgrad abhänge 53 , sondern von "der Qualität"54. Der "moderne Rechtssatz des kontinentalen Systems" etwa wird auf folgende Weise als Alles-oderNichts-Angelegenheit charakterisiert: Er "muß ,anwendbar' sein, d. h. in seinem Bereich und seiner Wirkungsweise durch Kriterien festgelegt sein, die ein Beamtenstab in nachprüfbarer Weise als gegeben oder nicht gegeben festzustellen hat"55. Demgegenüber enthalte das Prinzip "keine verbindliche Weisung unmittelbarer Art für einen bestimmten Fragenbereich"58, sei "nicht selbst ,Weisung', sondern Grund, Kriterium und Rechtfertigung der Weisung"57. Larenz hat sich dem unter direkter Bezugnahme angeschlossen58. Auch das Dworkinsche Kollisionstheorem findet sich bei Esser und Larenz. Es hat eine weitere Ausarbeitung durch Canaris erfahren. Während danach von zwei einander widersprechenden Normen mindestens eine ungültig ist59 , entfalten Prinzipien, die als "gegenläufig wirkende Formeln"6o charakterisiert werden, "ihren eigentlichen Sinngehalt erst in einem Zusammenspiel wechselseitiger Ergänzung und Beschränkung"61. Es kann deshalb, ohne daß auf weitere Qualifikationen6! wie auch auf einige Äußerungen, die Abschwächungen

5' J. Esser, Grundsatz und Norm (Anm. 47), S. 51. Scharf greift Esser (a.a.O., S. 49) Simonius' These an, daß Prinzipien sich zu Rechtsnormen verhalten wie höherrangige Prinzipien zu Prinzipien niederen Ranges (A. Simonius, über Bedeutung, Herkunft und Wandlung der Grundsätze des Privatrechts, in: Zeitschrift für Schweizerisches Recht, N. F. 71 [1972], S. 239). " J. Esser, a.a.O., S. 95. 55 Ders., a.a.O., S. 51. &I Ders., a.a.O., S. 50. 57 Ders., a.a.O., S. 51 f. 58 K. Larenz, Richtiges Recht. Grundzüge einer Rechtsethik, München 1979, S. 24 f.; ders., Methodenlehre der Rechtswissenschaft (Anm. 42), S. 458. SI C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff (Anm. 41), S. 26, 116 f.; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (Anm. 42), S. 250. 80 J. Esser, Grundsatz und Norm (Anm. 47), S. 80. 81 C.- W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff (Anm. 41), S. 55. 81 Hier ist vor allem an Larenz' Unterscheidung zwischen "offenen" und "rechtssatzförmigen Prinzipien" zu denken (K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft [Anm. 42], S. 463 f.). Ein Prinzip soll rechtssatzförmig sein, wenn es "zu einer unmittelbar anwendbaren Regel verdichtet" ist (ders., a.a.O., 5'. 463). Beispiele für rechtssatzförmige Prinzipien sollen etwa der Grundsatz der Formfreiheit der Verträge und der Grundsatz "nulla poena sine lege" sein (ders., a.a.O., S. 464). Von Rechtsnormen mit sehr weit gefaßten Tatbeständen sollen sich rechtssatzförmige Prinzipien dadurch unterscheiden, daß ihnen eine herausragende Bedeutung zukommt (ders., a.a.O., S. 464), also hinsichtlich ihres Inhalts oder hinsichtlich der Rolle, die sie in der Rechtsordnung spielen, nicht aber hinsichtlich ihrer Form. Nach der Dworkinschen Einteilung müssen sie deshalb als Regeln bezeichnet werden.

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nahe legen könnten63 , eingegangen wird, gesagt werden, daß die genannten Autoren die wesentlichen Elemente der strengen Trennungsthese vertreten. Eine Diskussion dieser These in der Form, in der sie von Dworkin vertreten wird, ist insofern zugleich eine Erörterung deren Auffassungen. 2.1. Der Alles-oder-Nidlts-Charakter Der erste Teil der Dworkinschen Trennungsthese, die These, daß Regeln eine Alles-oder-Nichts-Angelegenheit sind, steht und fällt mit seiner These der grundsätzlichen Aufzählbarkeit der Ausnahmen. Wenn die Ausnahmen nicht, wie Dworkin behauptet, wenigstens grundsätzlich aufzählbar sind, ist eine vollständige Formulierung der Regel nicht möglich. Wenn aber eine vollständige Formulierung nicht möglich ist, kann allein aufgrund der jeweils bekannten Voraussetzungen der Regel niemals mit Sicherheit auf die Rechtsfolge geschlossen werden. Stets ist es möglich, daß der Fall Anlaß gibt, eine neue Ausnahme in Form eines negativen Merkmals in den Tatbestand der Regel aufzunehmen64 • Geschieht dies, wird die Regel in ihrer bisher bekannten Fassung nicht angewandt. U Abschwächungen könntenAußerungen,die sich auf ftießendeUnterschiede beziehen, nahe legen. So spricht Larenz davon, daß "die Grenzen zwischen ,offenen' und ,rechtssatzförmigen' Prinzipien ... fließend (sind). Der Punkt, von dem an ein Prinzip bereits so weit konkretisiert ist, daß es als ein rechtssatzförmiges Prinzip angesehen werden kann, läßt sich nicht genau bezeichnen" (K. LaTenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft [Anm. 42], S. 464). Auch Canaris spricht gelegentlich von fließenden Übergängen: ,,(H)andelt es sich doch nur um verschiedene Stufen eines in sich kontinuierlichen Konkretisierungsvorganges", der wie der vom Wert zum Prinzip "ähnlich fließende übergänge aufweist" (C.-W. CanaTis, Systemdenken und Systembegriff [Anm. 41], S. 52, Anm. 147 von S. 51). oe Es handelt sich hierbei um einen Fall der Reduktion durch konjunktive Hinzufügung eines negierten Merkmals. Dieser Begriff kann folgendermaßen expliziert werden: Die Regel N, (xHTx-+ORx), sei im Falle des a anwendbar, weil a ein T ist (Ta). ORa, das Gebot (0), daß Rauf a zutreffen (Ra) soll, wird aber nicht als angemessen erachtet. N soll dennoch nicht als ungültig erklärt werden, denn in zahlreichen Fällen ist bei Tx die Rechtsfolge ORx angemessen. Nur wenn, wie im Falle des a, besondere Umstände (M) vorliegen, soll ORx nicht gelten. Die damit erstrebte Einschränkung von N wird durch konjunktive Hinzufügung des negierten Ausnahmemerkmals M erreicht. N wird zu N': (x)(Tx!\,Mx-+ORx). N' ist die Reduktion von N durch ,M. Gegen den Alles-oder-Nichts-Charakter spricht unter einer weiteren Voraussetzung nicht nur diese Möglichkeit der Reduktion, sondern auch die Möglichkeit der Extension durch disjunktive Hinzufügung. Dieser Begriff ist wie folgt zu explizieren: Die Regel N, (x)(Tx-+ORx), sei nicht anwendbar, weil a kein T ist. ORa soll aber gelten, weil a einem Individuum, das ein T ist, im Hinblick auf die Gründe, die für die Norm N sprechen, hinreichend ähnlich ist. M's sollen also wie T's behandelt werden. Die damit erstrebte Erweiterung von N wird durch disjunktive Hinzufügung von M erreicht. N wird zu Nil: (x)(Tx v Mx-+ORx). Nil ist die Extension von N durch M. Die erwähnte Voraussetzung besteht darin, daß dann, wenn sich aus der Möglichkeit der Extension ein Argument gegen den Alles-oder-Nichts-Charakter ergeben soll, Nil erstens als

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Man könnte freilich meinen, daß dies ihren Alles-oder-Nichts-Charakter nicht berühre, weil sie in solchen Fällen in ihrer neuen Fassung angewandt bzw. nicht angewandt werde. Die These von der grundsätzlichen Aufzählbarkeit beziehe sich nicht nur auf die bislang bekannten, sondern darüber hinaus auf alle denkbaren Ausnahmen. Gegen diese Variante der Allcs-oder-Nichts-These sprechen jedoch ihre systematischen Konsequenzen. Daß die Existenz einer Regel die Existenz aller ihrer möglichen Ausnahmen voraussetzt, bedeutet, daß jede Regel alle ihre Anwendungsfälle in allen für sie möglichen Welten enthält. Wenn es sinnvoll ist, dies im Hinblick auf Regeln anzunehmen, muß Entsprechendes auch im Hinblick auf Prinzipien sinnvoll sein. Zwischen Regeln, die alle ihre Anwendungsfälle in allen für sie möglichen Welten enthalten, und Prinzipien, die alle ihre Gegenbeispiele in allen für sie möglichen Welten enthalten. besteht hinsichtlich der Aufzählbarkeit aber allenfalls ein gradueller Unterschied. Die strenge Trennungsthese müßte fallengelassen werden. Wenn diese Konsequenz vermieden werden soll, ist deshalb von der Variante der Alles-oder-Nichts-These auszugehen, die auf die bekannten Ausnahmen abstellt. Es sind normative Systeme denkbar, die ausschließlich aus Regeln bestehen, die keine Ausnahmen außer denen, die statuiert wurden, zulassen, also eine Regel enthalten, die die Einschränkung von Regeln durch neue Ausnahmeklauseln verbietet. Die modernen Rechtsordnungen, auf die Dworkin sich bezieht, sind aber keine normativen Systeme dieses Typs. Dies lehrt ein Blick auf die Praxis65 • Daß man in zahlreichen Fällen nicht sicher sein kann, daß nicht noch eine neue Ausnahme zu statuieren ist66 , läßt sich zudem durch das Verhältnis von Regeln und Prinzipien erklären. Dworkin selbst hebt hervor, daß jede Regel unter besonderen Umständen aufgrund jedes Prinzips unanwendbar werden kann67 • Damit beseitigt gerade die Existenz von Prinzipien die Voraussetzungen für den Alles-oder-Nichts-Charakter als Unterscheidungskriterium zwischen Regeln und Prinzipien. Wenn die Nichtanwendbarkeit einer Regel aufgrund eines Prinzips nicht dazu führt, daß sie schlechthin ungültig wird, bedeutet dies, daß eine Norm und zweitens als eine Ergänzung von N aufgefaßt werden muß. Dies könnte zweifelhaft sein, weil Nil nichts anderes besagt als (x}(Tx~ORx) " (x)(Mx ~ ORx), also als die beiden Normen (x)(Tx ~ ORx) und (x)(Mx ~ ORx).

Vgl. etwa BGHZ 4,153; 59, 236. Vgl. hierzu G. C. Christie, The Model of Principles (Anm. 36), S. 658; R. S. Bell, Understanding the Model of Rules: Toward a Reconciliation of Dworkin and Positivism, in: The Yale Law Journal 81 (1972), S. 929, 945. 17 R. Dworkin, The Model of Rule I (Anm. 5), S. 37 f.; vgl. ferner J. Raz, Legal Principles and the Limits of Law (Anm. 23), S. 837. 15

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aufgrund des Prinzips eine Ausnahmeklausel zur Regel statuiert wird6&. Wenn angenommen wird, daß die Gegenbeispiele zu Prinzipien nicht auf·· zählbar sind, dann muß auch angenommen werden, daß ihre Anwendungsfälle nicht aufzählbar sind. Wenn ihre Anwendungsfälle nicht aufzählbar sind und wenn die Anwendung von Prinzipien zu Ausnahmen von Regeln führen kann, können deshalb die Ausnahmen von Regeln nicht aufzählbar sein. Wenn Prinzipien nicht auf eine Alles-oder-NichtsWeise anwendbar sind, sind es deshalb auch Regeln nicht. Es gibt freilich ein einfaches Verfahren, den Alles-oder-Nichts-Charakter von Regeln zu retten. Statt zu versuchen, Regeln dadurch zu vervollständigen, daß man sämtliche konkreten Ausnahmetatbestände in ihre Formulierung aufnimmt, was, wie dargetan, unter akzeptablen Voraussetzungen nicht möglich ist, kann man versuchen, dies Ziel durch Einfügung allgemeiner Vorbehaltsklauseln zu erreichen. So ist es ohne weiteres möglich, den bekannten Merkmalen des Vordersatzes einer Regel Klauseln wie "und wenn nicht nach einem Prinzip etwas anderes rechtlich geboten ist" oder "und wenn nicht vom Standpunkt des Rechts aus zu beachtende Gründe etwas anderes fordern" hinzufügen. Die Regel wird sofort zu einer Alles-oder-Nichts-Angelegenheit. Wenn die bekannten Merkmale vorliegen und wenn kein Prinzip etwas anderes gebietet oder kein vom Standpunkt des Rechts aus zu beachtender Grund etwas anderes fordert, ergibt sich zwingend die Rechtsfolge. Dieser Rettungsversuch hat jedoch Nachteile. Der geringere besteht darin, daß die Feststellung, ob die Klausel erfüllt ist, der Feststellung gleichkommt, ob ein Prinzip anwendbar ist. Regeln mit allgemeinen Vorbehaltsklauseln haben damit dieselbe Funktion, die sonst Regeln ohne Klauseln zusammen mit Prinzipien erfüllen. Der Alles-oder-NichtsCharakter kommt bei Regeln mit allgemeinen Vorbehaltsklauseln erst dann zum Tragen, wenn die eigentlich entscheidenden Fragen beantwortet sind. Dies ist jedoch im Rahmen der Alles-oder-Nichts-These ganz allgemein so. Die These bezieht sich lediglich darauf, daß dann, wenn die Voraussetzungen einer Regel erfüllt sind, ganz gleich wie diese im einzelnen gefaßt sind, die Rechtsfolge notwendig eintreten muß. Regeln mit allgemeinen Vorbehaltsklauseln bilden lediglich einen Extremfall, in dem die technische Schwäche69 der Alles-oder-Nichts-These besonders deutlich zum Ausdruck kommt. Sie ähneln insofern Regeln, die Aus68

C. TappeT, A Note on Principles, in: The Modern Law Review 34 (1971),

S. 630 f.

88 Eine Theorie ist im technischen Sinne um so schwächer, je weniger mit ihr behauptet wird. Unter dem Gesichtspunkt der Begründung bedeutet die technische Schwäche allerdings Stärke. Je schwächer eine Behauptung ist, um so weniger Einwänden ist sie ausgesetzt. Sie verliert aber mit zunehmender Schwäche an Relevanz. Es gilt damit das Postulat, beide Werte, die technische Stärke und die Stärke der Begründung, zu optimieren.

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drücke wie " vernünftig", "gerecht", "sittenwidrig", "verwerflich" usw. enthalten, etwa der Regel des § 1 Tierschutzgesetz (Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schaden zufügen)'o. Doch auch bei Normen, die keine solchen Ausdrücke enthalten, kann sich die technische Schwäche der Alles-oder-Nichts-These in aller Deutlichkeit zeigen. So sind im Falle der Vagheit zur Rechtfertigung einer Interpretationsaussage häufig Argumente erforderlich, die von denen, die für die Erfüllung von allgemeinen Vorbehaltsklauseln vorzutragen sind, strukturell kaum unterschieden werden können 71 • Erst wenn die Interpretation feststeht, kommt der Alles-oder-Nichts-Charakter zum Tragen. Der erste Nachteil ist damit nicht etwas, was durch die Einfügung von Vorbehaltsklauseln erst hervorgerufen wird, sondern lediglich eine besonders auffällige Folge der technisch schwachen Fassung der Alles-oder-Nichts-These. Der eigentliche Nachteil der Einfügung allgemeiner Vorbehaltsklauseln besteht in den sich daraus ergebenden Folgen. Wenn Regeln mit Klauseln wie "und wenn nicht nach einem Prinzip etwas anderes rechtlich geboten ist" versehen werden können, ist Entsprechendes auch bei Prinzipien möglich. Versieht man aber Prinzipien mit einer Bedingung wie .. wenn nicht ein anderes Prinzip mit widersprechendem Ergebnis vorgeht", dann sind auch Prinzipien auf eine Alles-oder-Nichts-Weise anwendbar. Wenn in einem konkreten Fall festgestellt wird, daß einem einschlägigen Prinzip kein Prinzip mit widersprechendem Ergebnis vorgeht, dann folgt die Entscheidung zwingend aus diesem Prinzip. Damit ergibt sich, daß dann, wenn man auf Vorbehaltsklauseln verzichtet, weder Regeln noch Prinzipien eine Alles-oder-Nichts-Angelegenheit sind, daß aber dann, wenn man sie verwendet, sowohl Regeln als auch Prinzipien auf diese Weise anwendbar sind. Der bloße Alles-oderNichts-Charakter bildet also, ganz gleich wofür man sich entscheidet, kein Unterscheidungs kriterium für Regeln und Prinzipien. 2.2. Das KollisloDstheorem

Auch bei der Erörterung des zweiten Unterscheidungskriteriums, des Kollisionstheorems, ist es zweckmäßig, die Möglichkeit, Regeln und Prinzipien mit oder ohne Vorbehaltsklauseln zu rekonstruieren, im Auge zu behalten. Solche Vorbehaltsklauseln sind ein analytisches Instrumentarium, das es erlaubt, hier bedeutsame Eigenschaften von Regeln und 70 Dworkin sagt von solchen Regeln, daß sie logisch die Rolle einer Regel und substantiell die von Prinzipien spielen (ders., The Model of Rules I [Anm. 5J, S. 28). 71 Vgl. R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, Frankfurt a. M. 1978, S. 283 ff.

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Prinzipien auf der Ebene ihrer Formulierung darzustellen und damit präziser zu diskutieren. Die Verwendung der Klauseln bietet zudem den Vorteil, Unterschiede, die lediglich auf der Darstellungsweise von Regeln und Prinzipien beruhen, als solche erfassen zu können. 2.2.1. Kollisionen von Regeln

Viele Widersprüche72 zwischen Regeln ohne Klauseln lassen sich durch Einfügen von Ausnahmen beseitigen. Wenn verboten ist, den Raum vor dem Klingelzeichen zu verlassen, und geboten ist, ihn bei Feueralarm zu verlassen, ist letzteres leicht als Ausnahme zu ersterem zu erkennen. Raz meint, daß solche Konstellationen, er bezieht sich auf das Verhältnis der Notwehrvorschrift zu den besonderen Strafvorschriften, Prinzipienkollisionen grundsätzlich gleichen. Es bestehe nur der Unterschied, daß bei Regelkonflikten die Vorzugsrelation für alle Fälle gelte, während sie sich bei Prinzipien von Fall zu Fall ändern könne 73 • Dies begründet jedoch einen grundsätzlichen Unterschied des Kollisionsverhaltens. Daß eine Regel einer anderen, ohne diese dadurch außer Kraft zu setzen, in bestimmten Fällen stets vorgeht, besagt, daß sie eine Ausnahme statuiert. Zumindest von dem Zeitpunkt an, in dem feststeht, daß eine der Regeln eine Ausnahme zur anderen begründet, kann von einem Konflikt zwischen den Regeln nicht mehr die Rede sein74 • Der Konflikt ist genauso endgültig beseitigt wie bei der Verabschiedung einer von zwei einander widersprechenden Regeln aus der Rechtsordnung. Bei Prinzipien ist dies anders. In einem anderen Fall kann eine andere Vorzugsrelation gelten. Wenn aber die Beseitigung eines Widerspruchs durch Einfügung einer Ausnahme nicht möglich ist, muß mindestens eine der Regeln ungültig sein. Die Möglichkeit, beide Regeln als Bestandteile der Rechtsordnung zu erhalten und je nach Gewicht im konkreten Fall zu entscheiden, ist ausgeschlossen. Ein Richter kann nicht zwei Regeln mit einander widersprechenden Rechtsfolgen, deren Voraussetzungen in einem Fall vor72 Zu den verschiedenen Arten von Widersprüchen zwischen Regeln oder Normen bzw. deren Ausdrücken vgl. O. Weinberger, Rechtslogik, Wien/New York 1970, S. 214 ff.; ehr. und O. Weinberger, Grundzüge der Normenlogik und ihre semantische Basis, in: Rechtstheorie 10 (1979), S. 43 ff. Hier sei nur hervorgehoben, daß, wie das im Text folgende Beispiel zeigt, Widersprüche häufig situationsabhängig sind. Das Verbot, den Raum vor dem Klingelzeichen zu verlassen, und das Gebot, ihn bei Feueralarm zu verlassen, widersprechen sich nur relativ auf Situationen, in denen zugleich das Klingelzeichen noch nicht ertönt ist und Feueralarm gegeben wurde. Die Möglichkeit dieses Widerspruchs hängt freilich von logischen Voraussetzungen ab: der logischen Möglichkeit, daß gleichzeitig sowohl das eine als auch das andere der Fall ist. 71 J. Raz, Legal Principles and the Limits of Law (Anm. 23), S. 832 f. 74 Der Kritik Dworkins an Raz, Dworkin spricht von einem "bizarre notion of what a conflict is" (R. Dworkin, The Model of Rules 11 [Anm. 17], S. 74), ist in diesem Punkt zuzustimmen.

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liegen, sowohl als zugleich gültig bezeichnen als auch nicht zugleich anwenden. Daß eine Regel gültig und in einem Falle anwendbar ist, bedeutet, daß ihre Rechtsfolge gilt. Wenn die beiden Regeln als zugleich gültig und anwendbar behandelt werden sollten, müßten deshalb zwei sich widersprechende konkrete rechtliche Sollensurteile75 in einer Entscheidung ausgesprochen werden. Dies ist, ganz gleich wie man es im einzelnen begründet78 , auszuschließen. Auf Regeln ohne Vorbehaltsklauseln trifft deshalb das Dworkinsche Kollisionstheorem zu. Die Möglichkeit eines im Sinne des Kollisionstheorems zu lösenden Widerspruchs ist auch dann gegeben, wenn man Regeln mit Vorbehaltsklauseln rekonstruiert. Verwendet man Klauseln, die sich auf Prinzipien beziehen, also etwa den Inhalt" und wenn nicht nach einem Prinzip etwas anderes rechtlich geboten ist" haben, wird die Zahl der Fälle, in denen ein Widerspruch vorliegt, allerdings stark reduziert. So ist etwa dann, wenn das die eine Regel stützende Prinzip die Klausel der anderen erfüllt, nur die eine, nicht aber die andere anwendbar. Aus der Beschreibung der Situation, in der die Unanwendbarkeit eintritt, lassen sich in diesem Fall die Merkmale für die Formulierung einer Ausnahme gewinnen. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Klauseln nicht relevant werden, Prinzipien also keine andere Lösung gebieten als die, die die ohne Klauseln einander widersprechenden Regeln vorschreiben. Solche Fälle liegen stets dann vor, wenn die die gegenläufigen Regeln stützenden Prinzipien gleiches Gewicht haben. Sie können aber auch dann vorliegen, wenn die Gewichte der für die Regeln sprechenden Prinzipien sich unterscheiden, insbesondere dann, wenn für die eine Regel nur etwas bessere Gründe als für die andere sprechen, denn allein dies bedeutet noch nicht, daß die Klauseln erfüllt sind. Ob letzteres der Fall ist, hängt nicht nur von den für oder gegen die Regeln als solche sprechenden Prinzipien ab, sondern auch von Prinzipien und/oder Regeln, die sich allgemein auf die Zulässigkeit der Einschränkung und Aufgabe von Regeln beziehen. Hierin zeigt sich ein Unterschied zwischen Klauseln in Regeln und Klauseln in Prinzipien, der, wie noch darzutun sein wird, von erheblicher Bedeutung ist. Es ist in solchen Fällen trotz des unterschiedlichen Gewichts der Gründe für die Regeln als solche ein Widerspruch festzustellen. Daß die·· ser Widerspruch dann, weil er beseitigt werden muß, auch anhand des Kriteriums des nur etwas größeren Gewichts der Gründe gelöst werden kann, ist eine andere Sache. Sie berührt die Tatsache, daß ein Widerspruch vorliegt, nicht. Damit können sich, was freilich nur in geringerem 75 Zu diesem Begriff vgl. K. Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufl., Heidelberg 1963, S. 3 ff. 78 Vgl. etwa G. H. v. Wright, Norm and Action, London 1963, S. 135, 141 ff.; A. Ross, Directives and Norms, London 1968, S. 169 ff.

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Umfang eintreten wird, auch Regeln mit auf Prinzipien bezogenen Vorbehaltsklauseln im Sinne des Kollisionstheorems widersprechen. Neben der Rekonstruktion von Regeln ohne Vorbehaltsklauseln und der mit auf Prinzipien bezogenen Vorbehaltsklauseln ist noch eine dritte Rekonstruktionsweise denkbar. Die Klauseln können statt auf Prinzipien auf Regeln bezogen werden, also etwa den Inhalt "und wenn nicht nach einer anderen Regel etwas anderes geboten ist" haben. Hierdurch wird das Kollisionstheorem jedoch nicht berührt. Eine solche schlichte auf Regeln bezogene Vorbehaltsklausel führt lediglich dazu, daß jede der einander widersprechenden Regeln die andere als anwendbar erklärt. Der Widerspruch wird hierdurch nicht beseitigt. Auch qualifizierte auf Regeln bezogene Klauseln bieten keinen Ausweg. Solche Klauseln können entweder absolut oder relativ auf den Fall sein. Sind sie absolut, haben sie also etwa den Inhalt "und wenn nicht durch eine gegenüber dieser in jedem Fall wichtigere Regel etwas anderes geboten ist", dann wird mit der Auszeichnung einer Regel als wichtiger in jedem Fall die andere entweder als ungültig erklärt oder es wird eine Ausnahme zu ihr statuiert. Der Widerspruch ist im Sinne des Kollisionstheorems beseitigt. Sind sie relativ, haben sie also etwa den Inhalt "und wenn nicht durch eine gegenüber dieser im konkreten Fall wichtigere Regel etwas anderes geboten ist", dann besagen beide Regeln zusammen nichts anderes als eine Regel, die zwei sich ausschließende Rechtsfolgen so zur Wahl stellt, daß zwischen ihnen im Einzelfall nach Wichtigkeit zu wählen ist. Ein Beispiel für eine solche Regel wäre etwa die Regel "Wenn es regnet, ist das Fenster zu schließen oder zu öffnen, je nachdem, was wichtiger ist". Damit aber liegt keine Kollision mehr, sondern eine neue Regel vor. Diese Regel kann mit anderen Regeln im Sinne des Kollisionstheorems kollidieren. Man könnte freilich meinen, daß die Wahl, die nach dieser neuen Regel erforderlich ist, der Abwägung zwischen zwei Prinzipien entspricht. Obwohl eine gewisse Verwandtschaft nicht zu verkennen ist, besteht jedoch ein wichtiger Unterschied. Eine Wahl zwischen zwei durch eine derartige Regel eröffneten Handlungsmöglichkeiten ist deshalb etwas anderes als eine Abwägung zwischen zwei Prinzipien, weil die beiden Regeln, die zu dieser Regel zusammengefügt wurden, keinen Grund für die Entscheidung abgeben, sondern lediglich das bestimmen, über das anhand von Gründen zu entscheiden ist. Die Rekonstruktion von Regeln mit regelbezogenen Vorbehaltsklauseln berührt damit das Kollisionstheorem nicht. Insgesamt ist damit festzustellen, daß das Kollisionstheorem für Regeln gilt. Zwar verschwinden dann, wenn man prinzipienbezogene Klauseln verwendet, zahlreiche Kollisionen. Auch dann aber gibt es Fälle, die im Sinne des Theorems zu lösen sind, so daß dieses anwendbar bleibt. Jede

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Rekonstruktion führt dazu, daß stets entweder ein Widerspruch vorliegt, der nach dem Kollisionstheorem zu lösen ist, oder ein Konflikt gleich welcher Art nicht mehr existiert.

2.2.2. Kollisionen von Prinzipien Gegen die Geltung des Kollisionstheorems im Bereich der Prinzipien77 , dagegen also, daß bei Prinzipien kollisionen das Prinzip, das im konkreten Fall das höhere Gewicht hat, anzuwenden ist, ohne daß das zurückweichende Prinzip damit ungültig wird, läßt sich zunächst leicht anhand von Beispielen argumentieren. Ein wegen seiner Extremität als Demonstrationsobjekt gut geeignetes Beispiel liefert Dworkin selbst mit einem "abstract principle of equality", das er als nicht wirksames Prinzip des Haftungsrechts formuliert und dabei auch auf das Schuldrecht bezieht18 • Dies Prinzip besage, daß im Falle einer Leistungsstörung jeweils der Reichere den Schaden zu tragen hat. Daß ein solches Prinzip mit den Prinzipien des Schuldrechtes kollidiert, ganz gleich, wie man sie im einzelnen formuliert, braucht nicht erwähnt zu werden. Wichtig ist allein, daß diese Kollision anderer Art ist, als etwa die, die im Bereich der Rechtsgeschäfte zwischen dem Prinzip der Selbstgestaltung oder Selbstbindung und dem Vertrauensprinzip zu bewältigen ist78 • Auf letztere trifft das Kollisionstheorem zu. Beide sind zu berücksichtigen. Dies ist im ersten Falle anders. Die Prinzipien des Schuldrechts schließen das Prinzip der Haftung des Reichsten aus. So wie sie sind, können entweder nur sie oder dies Prinzip gelten. Die Kollision ist daher wie ein Widerspruch zwischen Regeln zu lösen. Damit gibt es Kollisionen zwischen Prinzipien, die wie Widersprüche zwischen Regeln zu behandeln sind. Hiergegen kann nicht eingewandt werden, daß die Vorschrift der Haftung des Reichsten kein Prinzip, sondern eine Regel sei, die den Regeln des Schuldrechts widerspricht, eine Prinzipienkollision also nicht vorliege. Diese Vorschrift bildet ein Gegenstück zu den Prinzipien des Schuldrechts und könnte theoretisch mit ihnen interagieren80 • 77 Es ist bislang darauf verzichtet worden, die Begriffe der Regel und des Prinzips allgemein zu erläutern. Hieran soll auch im folgenden festgehalten werden. Da es sich bei Regeln und Prinzipien um Unterarten von Vorschriften oder, wenn man auf ihre Funktion als Beurteilungskriterien abstellt, von Maßstäben handelt, ist eine Erläuterung dieser Begriffe ohne Zuhilfenahme von Unterscheidungskriterien wie sie hier diskutiert werden, nicht sinnvoll. Verzichtet werden muß hier auch auf eine Analyse der verschiedenen Formen von Regeln und Prinzipien sowie ihrer Elemente (zur Analyse des Begriffs der Regel vgl. G. H. v. Wright, Norm and Action [Anm. 76], S. 70 ff.; A. Ross, Directives and Norms [Anm. 76], S. 106 ff.). 78 R. Dworkin, Hard Cases (Anm. 13), S. 116. 79 Vgl. hierzu etwa K. LaTenz, Richtiges Recht (Anm. 58), S. 81 ff.

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Es ist aber ein anderer Einwand möglich. Bei ihm spielt der Begriff der Zugehörigkeit zur Rechtsordnung eine wichtige Rolle. Es lassen sich ganz unterschiedliche Fassungen dieses Begriffs unterscheiden. Für die Zwecke der hier vorzutragenden Argumentation soll, ohne daß damit behauptet wird, daß diese Variante für alle Zwecke adäquat ist, ein sehr weiter Begriff der Zugehörigkeit verwendet werden. Ein Prinzip gehöre danach bereits dann zur Rechtsordnung, wenn es mindestens einen Fall in seinem Bereich gibt, in dem es zu Recht ein Grund für die Entscheidung ist. Der Einwand beginnt mit einer Konzession. Zwar gebe es Fälle, in denen von zwei Prinzipien nur eines zur Rechtsordnung gehören und in diesem Sinne gelten könne. Kollisionen dieser Art, bei denen es um die Zugehörigkeit zur Rechtsordnung gehe, müßten aber von Kollisionen zwischen Prinzipien, deren Zugehörigkeit zur Rechtsordnung außer Frage stehe, unterschieden werden. Für diese gelte das Kollisionstheorem. Das Interessante an diesem Einwand ist, daß eine bedeutsame Verschiebung des Problems eintritt. Während es bislang so schien, als seien Kollisionen zwischen Prinzipien ganz allgemein die Entsprechungen zu Widersprüchen zwischen Regeln, erscheinen die Kollisionen zwischen Prinzipien nunmehr auf einer kategorial anderen Ebene. Sowohl bei Regeln als auch bei Prinzipien kann es im Falle eines Widerspruchs darum gehen, welche Regel oder welches Prinzip zur Rechtsordnung gehört. Darüber hinaus kann es bei Prinzipien, wenn ihre Zugehörigkeit zur Rechtsordnung feststeht, auch noch darum gehen, welchem im Einzelfall der Vorrang gebührt. Als Einschränkung des Geltungsbereichs des Kollisionstheorems ist dieser Einwand zu akzeptieren. Im weiteren ist zu fragen, ob das in diesem Sinne eingeschränkte Kollisionstheorem zutrifft. Wieder lassen sich leicht Beispiele finden, die auch durch das eingeschränkte Kollisionstheorem nicht erfaßt werden. Es ist auf alle absoluten Prinzipien niemals anwendbar. Absolute Prinzipien sind Prinzipien, von denen man nicht sagen kann, daß sie wegen ihres im konkreten Fall geringeren Gewichts anderen Prinzipien weichen müssen. Als Beispiel für eine Vorschrift dieser Art kann man, wenn man, wie auch Dworkin dies tut8l , Vorschriften der Verfassung als Vorschriften, die das logische Verhalten von Prinzipien zeigen können, auffaßt, Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG, "Die Würde des Menschen ist unantastbar", anführen. Die Absolutheit solcher Prinzipien ist freilich weitgehend eine technische Angelegenheit. Zwar kann kein Gericht sagen, daß etwa der Schutz des Bestandes 80 An dieser Stelle sei angemerkt, daß über eine Trivialisierung des Gedankens der Gegenstücke stets leicht ein Widerspruch zwischen Prinzipien konstruiert werden kann. Das Prinzip braucht nur als Ganzes negiert zu werden. 81 R. DwoTkin, Hard Cases (Anm. 13), S. 93. Vgl. auch K. LaTenz, Richtiges Recht (Anm. 58), S. 136 ff.

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des Staates im konkreten Fall dem Schutz der Menschenwürde vorgehe und deshalb eine Verletzung der Menschenwürde rechtfertige. Bei der Interpretation des Begriffs der Unantastbarkeit der Menschenwürde sind aber Argumente erforderlich, die sich von denen, die bei der Begründung einer Vorzugsrelation zwischen Prinzipien vorzutragen sind, strukturell nicht unterscheiden. Insofern ist folgende Feststellung des BVerfG im Abhörurteil kennzeichnend: "Was den in Art. 1 GG genannten Grundsatz der Unantastbarkeit der Menschenwürde anlangt, ..., so hängt alles von der Festlegung ab, unter welchen Umständen die Menschenwürde verletzt sein kann. Offenbar läßt sich das nicht generell sagen, sondern immer nur die Ansehung des konkreten Falles"82. Letzteres kann nicht heißen, daß von Fall zu Fall zu entscheiden ist, sondern nur, daß der Inhalt des Begriffs der Verletzung der Menschenwürde, wenn die alten Präzisierungen nicht ausreichen, jeweils im Hinblick auf neue Fälle, weiter zu präzisieren ist83 • Dies bedeutet unter dem Gesichtspunkt der formalen Handhabung der Vorschrift nichts anderes, als daß wie bei einer Regel ein Ausdruck mit einem Spielraum durch eine semantische Regel präzisiert wird84 • Damit ist das Kollisionstheorem zur Unterscheidung von absoluten Prinzipien und Regeln nicht geeignet. Es ist also noch einmal einzuschränken. Es fragt sich, ob es wenigstens mit diesen beiden Einschränkungen aufrecht erhalten werden kann. Dies ist der Fall, wenn man Prinzipien ohne Vorbehaltsklauseln rekonstruiert. Verwendet man demgegenüber Klauseln, können Kollisionen ausgeschlossen werden. Dies läßt sich leicht anhand der Güterabwägungen des Bundesverfassungsgerichts zeigen. Im Lebach-Urteil85 ging es darum, ob ein Dokumentarspiel über eine schwere Straftat, in dem die Namen der Beteiligten genannt und deren Bilder gezeigt werden, die Rechte eines der Teilnehmer verletzt, wenn es kurz vor dessen Entlassung aus der Strafhaft im Fernsehen ausgestrahlt wird. Das Bundesverfassungsgericht beantwortet diese Frage im Wege einer Abwägung "zwischen dem in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Schutz der Persönlichkeit und der Freiheit der BVerfGE 30, 1 (25). Vgl. R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation (Anm. 71), S. 274 ff. 8l Ders., a.a.O., S. 279, 290. Da absolute Prinzipien nur in dieser Form eine freilich häufig sehr weite - Möglichkeit der Gestaltung bieten, also weder Ausnahmen noch Gegenbeispiele im Dworkinschen Sinne kennen, spielen sie auch im Rahmen der Alles-oder-Nichts-These eine besondere Rolle. Sie haben einen strikten Alles-oder-Nichts-Charakter. Hieran zeigt sich die oben erwähnte technische Schwäche der Alles-oder-Nichts-These besonders deutlich. Wenn diese These stichhaltig wäre, müßte sie deshalb, was absolute Prinzipien betrifft, eingeschränkt werden. 85 BVerfGE 35, 202. Zu einer umfassenden Analyse dieses Urteils vgl. R. Alexy, Die logische Analyse juristischer Entscheidungen, in: Juristische Argumentation, ARSP-Beiheft Nr. 13 (im Erscheinen). 8!

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Berichterstattung durch den Rundfunk gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG"86. Ersteres sei als N1, letzteres als N2 notiert. Gäbe es nur N1, wäre die Ausstrahlung verboten, gäbe es nur N2, wäre sie erlaubt. Isoliert betrachtet, führen N1 und N2 also auf einen Widerspruch. Kennzeichnend für den logischen Charakter von Grundrechtsnormen ist, daß das Verfassungsgericht nicht von einem Widerspruch, sondern von einer Spannungslage spricht. Ob N1 oder N2 "den Vorrang verdient" ist, so das Verfassungsgericht, "durch Güterabwägung im konkreten Fall zu ermitteln"87. Damit entspricht das Vorgehen des Gerichts genau dem Dworkinschen Kollisionstheorem. Eine andere Rekonstruktion ist jedoch leicht möglich. Die Kennzeichnung der Kollision als Spannungslage bedeutet, daß weder aus N 1 ohne weiteres das Verbot, noch aus N2 ohne weiteres die Erlaubnis gefolgert werden kann. N1 impliziert ersteres und N2letzteres nur unter der Voraussetzung, daß sich unter Berücksichtigung einer gegenläufigen Vorschrift, hier N2 bzw. N1, nichts anderes ergibt. Nimmt man dies als Vorbehaltsklausel in die Formulierungen der Vorschriften auf, verschwindet die Kollision. Es legt sich sofort der Einwand nahe, daß dies in der Sache keinen Unterschied begründe. Es sei gleich, ob eine Abwägungssituation so rekonstruiert werde, daß die Abwägung zwischen zwei Vorschriften stattfindet, oder so, daß genau diese Abwägung im Rahmen einer der Vorschriften geschieht. Dieser Einwand trifft etwas Richtiges. Er hat sich aber damit auseinanderzusetzen, daß nicht nur bei Prinzipien, sondern auch bei Regeln Kollisionen über prinzipienbezogene Vorbehaltsklauseln beseitigt werden können. Da die Rekonstruktion über Klauseln nichts anderes als die Darstellung von Eigenschaften ist, die in klauselfreien Fassungen nicht zum Ausdruck kommen, muß es, wenn das doppelt eingeschränkte Kollisionstheorem zur Unterscheidung taugen soll, einen Unterschied zwischen prinzipienbezogenen Klauseln in Regeln und Prinzipien geben außer dem, daß sie sich eben in Regeln oder Prinzipien befinden. 2.3. Der prima faeie-Charakter von Regeln und Prinzipien

Ein solcher Unterschied kann im unterschiedlichen prima facieCharakter von Regeln und Prinzipien gesehen werden88 . Bei Regeln tritt im Normalfall dann, wenn die bekannten Voraussetzungen gegeben sind, BVerfGE 35, 202 (219). BVerfGE 35, 202 (221). 88 Zum prima fade-Charakter von Regeln vgl. etwa M. G. Singer, Generalization in Ethics, New York 1961, S. 98 ff. Unzutreffend 1st die These Raz', daß Regeln und Prinzipien ein gleiches "prima fade ,ought' " enthalten (J. Raz, Legal Principles and the Limits of Law [Anm. 23], S. 836). 86

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die Rechtsfolge ein. Wer aufgrund eines Prinzips eine Ausnahme von einer Regel machen will, trägt, ganz ähnlich wie beim Abweichen von Präjudizien oder überhaupt beim Abweichen vom Bestehenden89 , die Argumentationslast. Bei Prinzipien, die durch Prinzipien eingeschränkt werden können, ist dies anders. Eine gültige Rechtsregel enthält gegenüber Prinzipien eine Festlegung für die Entscheidung von Fällen, die erst überspielt werden muß, wenn ein Prinzip vorgehen soll; Prinzipien enthalten keine derartigen Festlegungen. Wenn man sagt, daß Regeln, weil mit ihnen eine solche Festlegung getroffen wurde, eine historische Existenz haben, kann man sagen, daß Prinzipien bezüglich ihres Fest:legungsgehaltes relativ auf andere Prinzipien keine historische Existenz haben. In ihrem Festlegungsgehalt in bezug auf Fälle sind insofern alle grundsätzlich gleich. Es gibt deshalb keinen Grund, von vornherein eines zu bevorzugen. Daher muß der, der anhand von Prinzipien eine Festlegung erst treffen will, wenn Zweifel aufkommen, dartun, daß gegenläufige Prinzipien zurücktreten90 • Der unterschiedliche Charakter der Vorbehaltsklauseln und damit der berechtigte Kern des Dworkinschen Kollisionstheorems kann damit durch den unterschiedlichen prima facie-Charakter erklärt werden. Es wäre interessant, wenn letzterem eine im oben erwähnten weiten Sinne logische Eigenschaft zugrunde läge, die nunmehr diesen erklärt. 2.4. Reales und ideales Sollen

Ein aussichtsreicher Kandidat für eine solche Eigenschaft kann darin gesehen werden, daß Vorschriften, die das Kollisionsverhalten zeigen, das Dworkin als kennzeichnend für Prinzipien betrachtet, etwas gebie80 Vgl. hierzu R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation (Anm. 71), S. 242 ff., 305, 336 ff. 90 Der unterschiedliche prima facie-Charakter wirft Licht auf Raz' These, daß die unterschiedlichen Verhaltensweisen von Regeln und Prinzipien "a result of a legal policy" sind (J. Raz, Legal Principles and the Limits of Law [Anm. 23], S. 834, 842). Es seien die Begriffe der Härte und der Weichheit einer Rechtsordnung eingeführt. Ein Aspekt dieser Begriffe kann grob folgendermaßen erläutert werden. Eine Rechtsordnung ist um so weicher, je größer die Rolle ist, die Prinzipien in ihr spielen. Wie der Umfang der Rolle, die Regeln und Prinzipien in Rechtsordnungen spielen, bestimmt werden soll, sei hier offengelassen. Die Härte oder Weichheit der Rechtsordnung oder eines Teils derselben kann ein politisches Postulat sein. Dies besagt aber nicht, daß, wie Raz meint, die unterschiedlichen Verhaltensweisen von Regeln und Prinzipien ein Resultat einer Politik sind. Vielmehr sind die unterschiedlichen Eigenschaften von Regeln und Prinzipien Voraussetzung dafür, daß sie verschiedenen Politiken dienen können: Regeln solchen, die auf Sicherheit, und Prinzipien solchen, die auf Flexibilität aus sind. Dazu, daß der Streit über die erforderliche Härte der Rechtsordnung kein neu es Thema ist, vgl. O. Behrends, Institutionelles und prinzipielles Denken im römischen Privatrecht, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung, 25 (1978), S. 187 ff.

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ten, verbieten oder erlauben, was mehr oder weniger stark erfüllt werden kann. Einer Regel wie § 5 Abs. 1 StVO, "Es ist links zu überholen", kann nur entweder gefolgt oder nicht gefolgt werden9!. Demgegenüber ist eine Vorschrift wie "Die Freiheit der Berichterstattung ist zu schützen" angesichts kollidierender Vorschriften in höherem oder geringerem Maße erfüllbar. Indem der Schutz der Freiheit der Berichterstattung geboten wird, wird nicht geboten, sie in irgendeinem bestimmten Maße, sondern relativ zu den rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten in möglichst hohem Maße zu schützen. Dies wird deutlich durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip zum Ausdruck gebracht92 • Kennzeichen solcher Vorschriften ist damit, daß sie Optimierungsgebote enthalten. Insofern ähneln kollidierende Prinzipien Zielvorschriften wie denen des § 1 des Stabilitätsgesetzes, der vorschreibt, gleichzeitig die Stabilität des Preisniveaus, einen hohen Beschäftigungsstand, das außenwirtschaftliche Gleichgewicht und ein stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum anzustreben. Statt von Optimierungsgeboten könnte man, etwa in Anspielung auf die Verwendung dieses Begriffs bei Moore, v. Wright und Scheler", auch von "idealem Sollen" oder von "Idealen" sprechen. Wegen 11 § 5 Abs. 1 StVO ist eine Regel, an der dies besonders deutlich wird. Man kann nur entweder links oder rechts überholen. Die Eigenschaft, nur entweder befolgt oder nicht befolgt werden zu können, beschränkt sich nicht auf Regeln dieser einfachen Art. Sie ist nicht davon abhängig, daß die gebotene (verbotene, erlaubte) Handlung nur entweder ausgeführt oder nicht ausgeführt werden kann. Auch Regeln, die Handlungen vorschreiben, die in verschiedenen Graden ausgeführt werden können, können jene Eigenschaft haben. Sie haben jene Eigenschaft, wenn ein bestimmter Grad der Handlung oder Verhaltensweise geboten (verboten, erlaubt) ist. Ein Beispiel bilden die Vorschriften, die sich auf fahrlässiges Verhalten beziehen. Gefordert wird nicht ein Höchstmaß an Sorgfalt, sondern, differenziert nach Rechtsgebieten, ein bestimmtes Maß der Sorgfalt. Zwar können bezüglich des Maßes der gebotenen Sorgfalt im Einzelfall Zweifelsfragen entstehen, dies ist jedoch bei der Anwendung jeder Norm möglich und begründet keine Besonderheit. Bei der Klärung dieser Zweifelsfragen geht es gerade darum, ob das Maß der durch die Vorschrift gebotenen Sorgfalt erfüllt wurde oder nicht. Diese Fragestellung ist kennzeichnend für eine Regel. Vgl. etwa BVerfGE 35, 202 (226). Zum Verhältnismäßigkeitsprinzip vgl. L. Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als allgemeiner Rechtsgrundsatz, Göttinger Habilitationsschrift 1978 (Ms). 83 Keiner der genannten Autoren verwendet freilich diesen Begriff in genau dem Sinn, in dem es hier geschieht. Moore stellt auf den Unterschied zwischen Geboten, die etwas betreffen, was in der Macht des Handelnden steht, und solchen, die etwas betreffen, was nicht in seiner Macht steht, etwa Gefühle, ab. "The one is a set of rules which assert ... that it always is a duty to do or to refrain from certain actions, and assert therefore that it always is in the power of the agent's will to do or to refrain from themj whereas the other sort only assert that so and so tVould be a duty, if it were within our power, without at all asserting that it always is within our power" (G. E. Moore, The Nature of Moral Philosophy, in: ders., Philosophical Studies, London 1922, S. 319 f.). Wenn man dies statt auf die tatsächliche auf die rechtliche Möglichkeit bezieht, kommt der Mooresche Begriff des idealen Sollens dem hier verwendeten nahe. G. H. v. Wright bezieht den Begriff des Ideals auf das,

8.

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ihrer vielfältigen und traditionsträchtigen Konnotationen legen diese Begriffe freilich leicht Mißverständnisse nahe. Wenn diese Begriffe hier verwendet werden, dann in folgendem allgemeinen und schwachen Sinne: Ein ideales Sollen ist jedes Sollen, das nicht voraussetzt, daß das, was gesollt ist, in vollem Umfang tatsächlich und rechtlich möglich ist, das dafür aber möglichst weitgehende oder approximative Erfüllung verlangt. Demgegenüber kann der Gebotscharakter von Vorschriften, die entweder nur erfüllt oder nicht erfüllt werden können, als "reales Sollen" gekennzeichnet werden94 • Dieser Begriff des idealen Sollens kann zur Erklärung des besonderen prima facie-Charakters von Prinzipien und damit ihres Kollisionsverhaltens bzw. des besonderen Charakters ihrer Vorbehaltsklauseln verwendet werden. Als Ideale sind Prinzipien in ihrer Realisierung sowohl von den tatsächlichen als auch von den durch andere Prinzipien definierten rechtlichen Möglichkeiten abhängig. Eine Aussage über ihren realen Gebotsgehalt setzt deshalb stets eine Aussage über die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten voraus. Der prima facie-Charakter einer bloß auf ein Ideal bezogenen Aussage ist deshalb deutlich schwächer als der einer auf eine Regel bezogenen Aussage, denn letztere enthält als Festschreibung der Anforderungen wohl stets mehrerer Ideale bereits eine Feststellung über tatsächliche und rechtliche Möglichkeiten. Auch viele der anderen oben erwähnten Unterscheidungskriterien können mit Hilfe dieser Begriffe analysiert werden. Dies gilt insbesondere für das Kriterium der Generalität. Ein Grund dafür, daß Prinzipien in der Regel einen hohen Generalitätsgrad aufweisen, liegt darin, daß sie noch nicht auf die Grenzen der Möglichkeiten der tatsächlichen und der normativen Welt bezogen sind. Erklärungen für das regelmäßige oder das häufige Zusammentreffen anderer Eigenschaften wie der besonderen Entstehungsweise, der Explizitheit des Wertungsgehaltes, des was sein soll, im Gegensatz zu dem, was getan werden soll. Seine Beispiele zeigen, daß er dabei nicht an schlichte Zustände wie den, daß das Fenster geschlossen ist, denkt, sondern an Zustände, die zumeist nur approximativ erreicht werden können wie die Tugenden der Gerechtigkeit, der Mäßigung und der Tapferkeit (G. H. v. Wright, Norm and Action [Anm. 76], S. 14 f., 112 f.). Dies nähert seinen Begriff des Ideals dem hier verwendeten an. Scheler setzt das ideale Sollen in Gegensatz zum normativen Sollen. Beispiele für Sätze, die ein ideales Sollen ausdrücken, sind "Unrecht soll nicht sein" und .. Gutes soll sein" (M. Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, 5. Aufl., Bern/München 1966, S. 194, 218). Demgegenüber soll immer dann, wenn von "Pflicht" oder von .. Norm" die Rede ist, ein normatives, imperatives oder reales Sollen vorliegen (ders., a.a.O., S. 211 ff.). Die Verwandtschaft zur hier getroffenen Unterscheidung ist auch in diesem Fall deutlich. P4 Die Unterscheidung von realem und idealem Sollen impliziert nicht, daß zwei deontische Operatoren erforderlich sind. Ideale und reale Gebote der einfachsten Form können beide durch .. Op" dargestellt werden. Ob im Hinblick auf Op von einem idealen oder einem realen Sollen zu sprechen ist, hängt allein von p ab. G Rechtstheorie, Beiheft 1

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moralischen Gehalts, des Bezugs zur Rechtsidee, der Verwendungsweise als Gründe für Regeln, der Bedeutung für die Rechtsordnung, der Sicherheit der Erkenntnis und der Ubiquität legen sich nahe. Auf sie kann hier nicht eingegangen werden. Hervorgehoben seien nur zwei Dinge. Erstens, daß das Kriterium des idealen So lIens dem Kollisionstheorem nicht nur deshalb überlegen ist, weil es dieses erklärt und insofern tiefer ist, sondern auch deshalb, weil es anders als dieses auch absolut formulierte Prinzipien erfaßtD5. Zweitens, daß es, wenn man diesen Begriff so weit fassen will, ein logisches Kriterium für die Unterscheidung von Regeln und Prinzipien bietet, das der strengen Trennungsthese entspricht. Jede Vorschrift enthält entweder ein ideales oder ein reales SollenDe. 3. Die Begründung und Verwendung von Prinzipien

Das bisher Gesagte hat unmittelbar Konsequenzen für die Theorie der Begründung und Verwendung von Prinzipien. Die Frage nach der Begründung von Prinzipien läßt sich in viele Fragen aufgliedern. Hier 95 Absolut formulierte Prinzipien haben eine kompliziertere Struktur als die in dieser Studie analysierten relativen. Wenn hier gesagt wird, daß das Kriterium des idealen Sollens auch absolute Prinzipien erfaßt, dann soll damit lediglich behauptet werden, daß dies Kriterium einen wesentlichen Aspekt der Struktur auch dieser Prinzipien erfaßt. aB Nicht alles, was als "Prinzip" bezeichnet wird, ist nach diesem Kriterium ein Prinzip. So ist etwa die Vorschrift "nulla poena sine lege" oder "Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde" (Art. 103 Abs. 2 GG; § 1 StGB) als Regel einzustufen. Man wird jedoch kaum darauf verzichten wollen, sie, etwa wegen ihrer Bedeutung für die Rechtsordnung, als "Prinzip" zu bezeichnen. Larenz hat aus diesem Grunde (vgl. oben Anm. 62) vorgeschlagen, zwischen offenen und rechtssatzförmigen Prinzipien zu unterscheiden. Das vorgestellte Kriterium gilt also nur für eine Teilklasse der Vorschriften, die als "Prinzipien" bezeichnet werden können. Dies mindert seine Bedeutung nicht. Zum einen ist diese Teilklasse sehr umfangreich und zum anderen handelt es sich bei ihr insofern um eine ausgezeichnete Teilklasse, als die zu ihr gehörenden Vorschriften eine andere logische Struktur haben als der Rest der zur Rechtsordnung zu zählenden Vorschriften. Diese besondere logische Struktur bedingt, daß diese Vorschriften in der juristischen Argumentation eine andere Rolle spielen als Regeln. Es soll nicht ausgeschlossen werden, daß es noch weitere Kriterien gibt, die es rechtfertigen, eine Vorschrift als "Prinzip" zu bezeichnen. Es ist auch denkbar, daß es Kriterien gibt, die es gebieten, das genannte einzuschänken. Es kommt allein darauf an, die verschiedenen Arten von Prinzipien sorgfältig zu unterscheiden. Dies nicht aus Klassifikationswut, sondern deshalb, weil von der Struktur der als "Prinzipien" zu bezeichnenden Vorschriften sowohl ihre Stellung in der Rechtsordnung als auch ihre Verwendung in der juristischen Argumentation abhängt. Es sei vermerkt, daß die hier getroffene Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien eine gewisse Verwandtschaft zu der Luhmannschen zwischen Programmen und Werten aufweist (vgl. N. Luhmann, Positives Recht und Ideologie, in: deTs., Soziologische Aufklärung, Bd. 1, 3. Aufl., Opladen 1972, S. 190 f.; deTs., Rechtssoziologie, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1972, S. 88 ff.

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soll nur die nach der Zugehörigkeit zur Rechtsordnung in dem oben97 erläuterten sehr weiten Sinn gestellt werden. Diese Frage hat zwei Aspekte. Es kann nach der bloßen Zugehörigkeit unabhängig vom Gewicht, d. h. nach Prinzipien mit prinzipienbezogenen Vorbehaltsklauseln gefragt werden. Es kann aber auch nach den relativen Gewichten und damit nach Prinzipienrelationen gefragt werden. Die Antwort auf die erste Frage ist leicht, aber wenig wert, die auf die zweite Frage viel wert, aber schwer. Relativ leicht zu beantworten ist die erste Frage deshalb, weil es wegen der Vorbehaltsklausel für die Zugehörigkeit ausreicht, daß ein Prinzip an irgendeiner Stelle seines Anwendungsbereichs zu Recht relevant ist. Nur wenn es stets in seinem Anwendungsbereich zu Recht zurückgedrängt wird, sei es, weil es ohne Vor behaltsklausel mit allen akzeptablen Präjudizien und Normen unvereinbar ist, sei es, weil gegenläufige Prinzipien in allen Fällen gewichtiger sind, gehört es nicht zur Rechtsordnung. Mit der Begründung der Zugehörigkeit in diesem Sinne ist kaum etwas gewonnen. Man erhält nicht mehr als einen Topoikatalog, der nahezu alles einschließt98 • Wenn Prinzipien mehr austragen sollen als Gesichtspunkte zu liefern, ist eine Festlegung des gebotenen Erfüllungsgrades oder der Prinzipienrelation erforderlich. Es ist der Schritt aus der geräumigen Welt des idealen in die enge des realen Sollens zu vollziehen. In diesem Sinne stellt Dworkin an den Richter die Forderung, eine "theory of law" zu entwickeln, die auch die relativen Gewichte (relative weights) der Prinzipien enthältge • Solche Theorien des Rechts setzen voraus, daß es möglich ist, brauchbare Prinzipienrelationen aufzustellen und zu begründen. Ob dies möglich ist, hängt davon ab, wie Prinzipienrelationen beschaffen sein können. Prinzipienrelationen können über Vorrangbedingungen konstruiert werden. Das schon erwähnte Lebach-Urteil liefert hierfür ein Beispiel. Auf einer ersten Stufe stellt das Gericht fest, daß weder der Schutz der Persönlichkeit (Nt) noch die Freiheit der Berichterstattung durch den Rundfunk (N2) "einen grundsätzlichen Vorrang beanspruchen kann"100. Zwischen Nt und N2 besteht danach keine absolute Präferenzrelation. Auf einer zweiten Stufe kommt es zu dem Ergebnis, daß für die aktuelle Berichterstattung über Straftaten (diese Bedingung sei als Cl notiert) "das Informationsinteresse im allgemeinen den Vorrang" verdient 101 , N2 Nl unter der Bedingung Cl also im allgemeinen, d. h. falls nicht weitere Umstände vorliegen, die etwas anderes fordern, vorzuziehen ist. Vgl. oben S. 76. Vgl. R. Dworkin, The Model of Rules II (Anm. 17), S. 68: " ... it is hard to think of a single principle ... that would not find some place ... ". 08 Ders., a.a.O., S. 66; deTS., Hard Cases (Anm. 13), S. 105 ff. 100 BVerfGE 35, 202 (225). 101 BVerfGE 35, 202 (231). t7

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Auf der dritten und konkretesten Stufe entscheidet es schließlich, daß eine "wiederholte, nicht mehr durch das aktuelle Informationsinteresse gedeckte Fernsehberichterstattung über eine schwere Straftat jedenfalls dann unzulässig (ist), wenn sie die Resozialisierung des Täters gefährdet" 102. Unter diesen Bedingungen, die zu C2 zusammengefaßt werden können, ist damit NI N2 vorzuziehen103• Eine perfekte Theorie der Prinzipienrelationen wäre eine Theorie, die alle denkbaren Prinzipienrelationen in einem Generalitätsgrad, der dem der dritten Stufe entspricht, oder falls zur Fallentscheidung erforderlich, noch niedriger ist, einschließt. Diese Theorie enthielte die Lösung eines jeden Falles. Eine solche Theorie ist jedoch nicht nur faktisch nicht zu erstellen, sie wäre auch keine eigentliche Prinzipientheorie mehr, sondern ein Regelsystem, das alles erfaßt, also ein perfekter Kodifikationsvorschlag. Dies deshalb, weil eine Feststellung wie die, daß im Falle einer nicht mehr durch das aktuelle Informationsinteresse gedeckten Fernsehberichterstattung über eine schwere Straftat, die die Resozialisierung des Täters gefährdet, der Schutz der Persönlichkeit gegenüber der Freiheit der Berichterstattung den Vorrang hat, nichts anderes besagt, als die Regel, daß in diesem Fall die Berichterstattung verboten ist104 • Unter Abschwächungen gilt dies für alle Generalitätsstufen bis auf die erste. Da eine Prinzipienrelationstheorie, die auf die ersten Stufen beschränkt ist, kaum mehr als ein Zugehörigkeitskatalog austrägt, ausschließlich auf der dritten Stufe aber nicht möglich ist, kann sie, wenn sie wie im Beispiel über Vorrangbedingungen konstruiert wird, nur aus einem Gemenge von Relationen verschiedener Stufen bestehen. Dann ist sie aber, da sie nicht alle Prinzipienrelationen enthält, nicht perfekt. Sie beantwortet nicht alle Fragen, zu deren Beantwortung sie geschaffen wurde. Eine Alternative zu diesem nicht besonders attraktiven Modell bestünde, wenn eine kardinale oder ordinale Ordnung der Prinzipien hinsichtlich ihres Gewichtes möglich wäre. Gegen diese Möglichkeit ist jedoch bereits ein ganzes Bündel von überzeugenden Gründen vorgetragen worden, auf die hier Bezug genommen wird 105• So setzt eine brauchBVerfGE 35, 202 (237). Zu einer eingehenderen Darstellung vgl. R. Alexy, Die logische Analyse juristischer Entscheidungen (Anm. 85), 2.3.1 - 2.3.3. Anhand der Analyse dieser Entscheidung läßt sich zeigen, in welchen Argumentformen (zu diesem Begriff R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation [Anm. 71], S. 123) Prinzipien verwendet werden können. NI wie N2 können je für sich wie Regeln in deduktiven Schemata (vgl. die Formen [4], [J.l.1], [J.1.2], deTs., a.a.O., S. 246, 274, 279) verwendet werden. Bei unvereinbaren Konklusionen, also bei Kollisionen, ist die Festsetzung einer (in der Regel bedingten) Präferenzrelation (z. B. [NI P N2]C2; vgI. die Form [4.6], deTs., a.a.O., S. 249) erforderlich. C2 entspricht der Vordersatz einer Regel, aus der in den deduktiven Schemata (J.l.l), (J.1.2) dieselbe Rechtsfolge wie aus NI deduzierbar ist. 1U DeTS., Die logische Analyse iuristischer Entscheidungen (Anm. 85), 2.3.2. 102

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bare Theorie dieser Art eine transitive Ordnung oder eine Funktion voraus, die unter Berücksichtigung von Erfüllungsgraden auch bei Kollisionen mehrerer Prinzipien aufgrund der bislang akzeptierten Relationen genau eine Antwort in neuen Fällen gibt, was, wie etwa Steiner ge7.('igt hat, nicht möglich istlOG. Nicht nur die theoretischen Schwierigk('ilen solcher Modelle legen es nahe, Relationentheorien, die über Vorrangbedingungen konstruiert sind, zu betrachten. Dies ist auch deshalb zweckmäßig, weil diese Theorien als Rekonstruktionsmodelle Einsich~ ten erlauben, die unabhängig von der Haltbarkeit alternativer Modelle von Bedeutung sind. Eine von ihnen ist, daß zwischen der Begründung von Prinzipienrelationen unterhalb der generellsten Stufe und der Anwendung von Prinzipien, deren Relation hinsichtlich des zu entscheidenden Falles noch nicht feststeht, kein grundsätzlicher Unterschied besteht. In bei den Fällen wird im Hinblick auf bestimmte Umstände gefragt, welchem Prinzip der Vorrang gebührt. Die Antwort läßt sich dabei stets in eine Regel mit den Umständen als Vordersatz umformulieren. Diese Äquivalenz von Prinzipienrelationen, die über Bedingungen formuliert sind, und Regeln besagt, daß ebensowenig wie aus den jeweils geltenden Regeln die zur Lösung aller Fälle erforderlichen Regeln gefolgert werden können, aus den jeweils akzeptierten Relationen alle neuen Relationen deduzierbar sind. Es ist stets möglich, daß ein neues Merkmal zusammen mit den bekannten die Bedingung für eine neue Relation ergibt. Die Äquivalenz besagt insbesondere, daß ebensowenig wie aus einer generellen Regel zum Zwecke von Festlegungen in ihrem semantischen Spielraum eine speziellere Regel, aus einer generellen Relation zu diesem Zweck eine speziellere Relation gefolgert werden kann. Wenn die vorauszusetzenden Relationen nicht alle Fragen beantworten, können die Antworten auf die offenen Fragen aus ihnen nicht abgeleitet werden. In einer Theorie, die aus Prinzipien und Relationen besteht, könnten sich aber neue Relationen statt aus den alten Relationen aus Prinzipien ergeben. So bietet sich als Kandidat für die Begründung einer neuen Relation zwischen zwei Prinzipien (Pt und P2) ein drittes Prinzip (P3) an. Daß Pt P2 aufgrund von Pa vorgezogen wird, bedeutet aber nichts anderes, als daß Pt und Pa zusammen P2 vorgezogen werden. Für diese neue Relation kann wieder eine Begründung gefordert werden. Wird P4 angeführt, stellt sich dasselbe Problem, und so weiter. Dworkins Bild, daß Prinzipien auf dieser Ebene "rather hang together than link together"107 verdunkelt das Problem eher als daß es zur Lösung beiträgt. 105 Vgl. etwa B. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, Berlin 1976, S. 130 ff., 154 ff.; J. M. Stein er, Judicial Discretion and the Concept of Law, in: Cambridge Law Journal 35 (1976), S. 152 ff. 108 J. M. Steiner, a.a.O., S. 153 ff.

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Aus dem vorauszusetzenden Material, soweit es aus Regeln, Prinzipien und Prinzipienrelationen besteht, ergeben sich damit ohne Hinzunahme weiterer Prämissen nicht die Prinzipienrelationen, die zur Entscheidung zweifelhafter Fälle erforderlich sind. Dies schwächt den Wert des Dworkinschen Gedankens des "institutional support", nach dem diejenige Theorie des Rechts die beste ist, die die Klasse von "principles and assigned relative weights to each" enthält, die am besten die Präjudizien, die statuierten Normen und die Verfassung rechtfertigen '08 , sowie die Brauchbarkeit der bei ihm deutlich anklingenden Idee eines juristischen Holismus erheblich ab. In reiner Form vertritt allerdings auch Dworkin diese Idee, die den zahlreichen und häufig benutzten Formeln vom "inneren Wertungszusammenhang der Rechtsordnung"109 dem "Sinnganze(n) der Rechtsordnung"110 oder dem "System der Rechtsordnung"111 zugrunde liegt und deren Faszination in dem Gedanken eines autonomen Regiments des Rechtsstoffes liegt, nicht. Er selbst hebt hervor, daß der "test of institutional support ... no mechanical or historicalor morally neutral basis for establishing one theory of law as the soundest" vorsieht, und fährt fort: "Indeed, it does not allow even a single lawyer to distinguish a set of legal principles from his broader moral or political principles"1l2. Damit wird Maßstäben der Moral im juristischen Entscheidungsprozeß eine wesentliche Rolle eingeräumt. So sollen etwa "arguments of political morality" die Kraft von Präjudizien überwinden können l13 . Dem entspricht die allgemeine These Dworkins, "that jurisprudential issues are at their core issues of moral principle, not legal fact or strategy"114. Damit schließt eine theory of law Elemente ein, die unter dem Gesichtspunkt des juristischen Holismus extern sind: moralische Argumente oder Theorien der Moral. Dworkin versucht allerdings auch in diesem Zusammenhang noch eine Einbindung in die Rechtsordnung herzustellen. Der Richter dürfe nicht nach seinen persönlichen Wertvorstellungen urteilen, sondern müsse sich an die "community morality" halten, unter der er "the political morality presupposed by the laws and institutions of the community" 107 108 108

R. Dworkin, The Model of Rules I (Anm. 5), S. 41. Ders., The Model of Rules II (Anm. 17), S. 66. Fr. Wieacker, Zur Topikdiskussion in der zeitgenössischen deutschen

Rechtswissenschaft, in: Xenion, Festschrift F. P. J. Zepos, hrsg. v. E. v. Caemmerer / J. H. Kaiser / G. Kegel/ W. Müller-Freienfels / H. J. Wolff, Athen

1973, S. 408. 110 K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (Anm. 42), S. 420. 111 BVerfGE 34, 269 (292); NJW 1979, 305 (307). 112 R. Dworkin, The Model of Rules II (Anm. 17), S. 68. 113 Ders., Hard Cases (Anm. 13), S. 122. lU Ders., Jurisprudence, in: ders., Taldng Rights Seriously (Anm. 12), S. 7

(Sperrung von mir).

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versteht115 • Er muß allerdings zugleich einräumen, daß der Inhalt der community morality, die nicht mit den tatsächlich verbreiteten überzeugungen verwechselt werden darf116, nicht selten umstritten ist. Treffend kennzeichnet er sie als das, "what each of the competing claims claims to be"117. über solche Ansprüche, man nehme etwa an, daß sie den sicherlich zur community morality zu rechnenden Begriff der Gerechtigkeit betreffen, kann, zumal wenn es dabei um "truth or soundness"118 gehen soll, nur unter Einbeziehung moralischer oder allgemeiner praktischer Argumente entschieden werden. Dies wird durch die Idee einer wesentlich aus Prinzipien zu konstruierenden soundest theory of law sowie durch den mit ihr verknüpften Begriff der community morality nicht hinreichend erfaßt. Dworkins interessanter Hinweis auf holistische Gesichtspunkte kann, wenn seine Hart zur Vermutung eines rechtsphilosophischen Epochenwechsels provozierende These, daß die wesentlichen Fragen der Jurisprudenz "issues of moral theory"119 sind, gelten soll, zureichend nur in einer Theorie entfaltet werden, die die Theorie der allgemeinen praktischen oder moralischen Argumentation in die Theorie der juristischen Argumentation einbezieht und diese auf jene gründet120 • Die Dworkinsche Theorie müßte durch eine solche Theorie zumindest ergänzt werden. Dies hätte möglicherweise Folgen für seine Thesen, daß es stets nur eine richtige Antwort gibt und daß der Richter kein Ermessen hat. Hierauf kann an dieser Stelle jedoch nicht mehr eingegangen werden.

115 116

l17

118

R. DwoTkin, Hard Cases (Anm. 13), 8. 126. DeTs., a.a.O., S. 129.

Ebd.

DeTS., a.a.O., S. 124.

m Ders., Jurisprudence (Anm. 114),

S.7. Zu einer solchen Theorie vgl. R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation (Anm. 71),8.17 ff., 261 ff. 110

BEMERKUNGEN ZUR RECHTSERKENNTNISTHEORIE Von Ralf Dreier, Göttingen Die vorliegenden Bemerkungen befassen sich in ihren ersten bei den Abschnitten mit den Rechtserkenntnistheorien Kants und Kelsens. Ein dritter Abschnitt enthält systematische überlegungen zum Thema.

I. Es ist nach wie vor streitig, ob es Kant gelungen sei, den transzendentalphilosophischen Ansatz in seiner Rechtslehre konsequent fruchtbar zu machen sowie die systematische Einheit zwischen dieser und seiner allgemeinen praktischen Philosophie herzustellen. Ich habe an anderer Stelle zu zeigen versucht, daß und in welchem Sinne von einer systematischen Einheit der Kantschen Rechts- und Moralphilosophie gesprochen werden kann 1 • Im folgenden sollen die rechtserkenntnistheoretischen Aspekte der Rechtslehre Kants hervorgehoben werden. Dazu bedarf es vorab einiger terminologischer und systematischer Erläuterungen. Erinnert sei zunächst daran, daß Kant die systematische Darstellung seiner reinen praktischen Philosophie, wie sie in seinem Spätwerk "Metaphysik der Sitten" vorliegt, in eine Rechtslehre und eine Tugendlehre unterteilt2 • Dem liegt die Unterscheidung zwischen Rechtspflichten und Tugendpflichten zugrunde, für die Kant, im Anschluß an eine durch Thomasius begründete Tradition, auf die Kriterien äußerlich/innerlich und erzwingbar/unerzwingbar zurückgreift. Innerhalb der Rechtslehre unterscheidet er, wie zu seiner Zeit üblich, zwischen einer philosophischen 1 R. Dreier, Zur Einheit der praktischen Philosophie Kants. Kants Rechtsphilosophie im Kontext seiner Moralphilosophie, in: Perspektiven der Philosophie. Neues Jahrbuch, Bd. 5, Hildesheim/Amsterdam 1979, 5 - 37. I Die Schriften Kants werden im folgenden nach der sechsbändigen Werkausgabe von WeischeideZ (WW) unter Voranstellung der entsprechenden Seitenzahlen der jeweiligen Erst- und/oder Zweitausgabe (A und/oder B) zitiert. Zum Teil sind zusätzlich Gliederungspunkte angegeben. Alle wörtlichen Zitate erfolgen ohne die Hervorhebungen der Originale. - Abkürzungen: KrV = Kritik der reinen Vernunft; Grundlegung = Grundlegung zur Metaphysik der Sitten; KpV = Kritik der praktischen Vernunft; MdS = Metaphysik der Sitten; RL = Rechtslehre; TL = Tugendlehre.

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und einer empirischen Rechtslehre 3 • Gegenstand der philosophischen Rechtslehre ist das Naturrecht, oder genauer: das Vernunftrecht, d. h. der Inbegriff der Gesetze, die auf der juridischen Gesetzgebung der reinen praktischen Vernunft beruhen. Darunter versteht Kant eine solche, die auf äußeres und daher erzwingbares Verhalten geht und für deren Gesetze, im Unterschied zu den Geboten der Tugendlehre, eine äußere Gesetzgebung möglich ist. Gegenstand der empirischen Rechtslehre ist das positive Recht, d. h. der Inbegriff der Gesetze, die auf einer wirklichen äußeren Gesetzgebung beruhen. Die Ausdrucke "Moral" und "Ethik" werden von Kant synonym, aber uneinheitlich verwendet. Im weiteren Sinne bezeichnen sie die Gesamtheit der praktischen Philosophie, also einschließlich der philosophischen Rechtslehre, im engeren Sinne lediglich die Tugendlehre fbzw. die Gebote oder Pflichten derselben). Die Rechtslehre der Metaphysik der Sitten ist definitionsgemäß eine philosophische. Doch gehört zu ihr auch eine philosophische Grundlegung jeder empirischen Rechtslehre. Das erkenntnistheoretische Zentralproblem dieser Grundlegung läßt sich mit Kant in der Frage formulieren, ob eine nur empirische Rechtslehre möglich sei. Kant verneint dies. Eine nur empirische Rechtslehre ist nach seinem bekannten Diktum "ein Kopf, der schön sein mag, nur schade! daß er kein Gehirn hat"'. Denn sie vermöge zwar anzugeben, was Rechtens sei, "d. i. was die Gesetze an einem gewissen Ort und zu einer gewissen Zeit sagen oder gesagt haben", nicht aber, "ob das, was sie wollten, auch recht sei, und das allgemeine Kriterium, wonach man überhaupt Recht sowohl als Unrecht (iustum et iniustum) erkennen könne"s. Die Angabe dieses Kriteriums obliegt nach Kant der philosophischen Rechtslehre. Kant formuliert das gesuchte Kriterium in seinem Rechtsbegriff. Recht ist danach lIder Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann"6. Dieser Begriff ist - das muß mit Nachdruck betont werden - kein für die empirische Rechtserkenntnis konstitutiver Verstandesbegriff, sondern ein praktischer Vernunftbegriff, d. h. eine Idee, und zwar näherhin eine transzendentale Idee im praktischen Vemunftgebrauch. Als solche liegt er, obzwar in der Regel dunkel, jeder Rechtserkenntnis zugrunde, die darauf gerichtet ist, das Recht, wie es nach Vernunftbegriffen sein sollte, zu erkennen. Kant S MdS, RL Einl. §§ A u. B, AB 31 ff. = WW IV 336 f.; s. zum folgenden auch MdS Einl. Abschn. I, AB 6 f. = WW IV 318; Einteilung der RL, Abschn. B, AB 44 = WW IV 345. , MdS, RL Einl. § B, AB 32 = WW IV 336.

5

a.a.O.

• Ebd. AB 33 = WW IV 337.

Bemerkungen zur Rechtserkenntnistheorie

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hat diesen Begriff zuerst bereits in der transzendentalen Dialektik seiner Kritik der reinen Vernunft angeführt, und zwar in dem Abschnitt "Von den Ideen überhaupt". Die Stelle sei hier im Auszug zitiert, weil sie zugleich deutlich macht, daß in ihr der Ursprung der Dichotomie von Sein und Sollen liegt, die dann in weiteren Partien der Kritik der reinen Vernunft näher ausgearbeitet wird7 : "Eine Verfassung von der größten menschlichen Freiheit nach Gesetzen, welche machen, daß jedes Freiheit mit der andern ihrer zusammen bestehen kann ... , ist doch wenigstens eine notwendige Idee, die man nicht bloß beim ersten Entwurf einer Staatsverfassung, sondern auch bei allen Gesetzen zum Grunde legen muß ... Denn nichts kann Schädlicheres und eines Philosophen Unwürdigeres gefunden werden, als die pöbelhafte Berufung auf vorgeblich widerstreitende Erfahrung, die doch gar nicht existieren würde, wenn jene Anstalten zur rechten Zeit nach den Ideen getroffen würoen, und an deren statt nicht rohe Begriffe, eben darum, weil sie aus Erfahrung geschöpft worden, alle gute Absicht vereitelt hätten." "Denn in Betrachtung der Natur gibt uns Erfahrung die Regel an die Hand und ist der Quell der Wahrheit; in Ansehung der sittlichen Gesetze aber ist Erfahrung (leider!) die Mutter des Scheins, und es ist höchst verwerflich, die Gesetze über das, was ich tun soll, von demjenigen herzunehmen, oder dadurch einschränken zu wollen, was getan wird8 ." Den Soll gehalt jenes Vernunftbegriffs des Rechts hat Kant in seiner Rechtslehre als "allgemeines Rechtsgesetz" formuliert. Dieses besagt somit: "handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen könne"'. Geht man, wie hier nicht näher dargelegt werden kann 10, davon aus, daß dieses oberste Rechtsprinzip als Ableitung aus dem Kategorischen Imperativ im juridischen Gebrauch verstanden sein will, so wird deutlich, daß die Frage nach seiner Erkenntnis und Verbindlichkeit im wesentlichen mit derjenigen nach dem Status der praktischen Vernunfterkenntnis bei Kant überhaupt zusammenfällt. Auch darauf kann an dieser Stelle nicht mit der gebotenen Ausführlichkeit eingegangen werden. Bemerkt sei nur, daß Kant den Kategorischen Imperativ in der zweiten Vernunftkritik als "Faktum" der reinen praktischen Vernunft bezeichnet, die sich dadurch als selbstgesetzgebend erweist l l • 7 Vgl. außer der im obigen Text zitierten Stelle und dem ihr folgenden Abschnitt "Von den transzendentalen Ideen" besonders die Auflösung der 3. Antinomie (KrV B 560 ff. = WW 11 488 ff.) und die beiden ersten Abschnitte des Kanons der transzendentalen Methodenlehre (KrV B 823 ff. = WW 11 670 ff.). 8 KrV B 372 f., 375 f. = WW 11 323 f., 325. g MdS, RL Eint § C, A 34, B 35 = WW IV 338. 10 VgI. dazu meinen oben Fn. 1 genannten Aufsatz. 11 Vgl. KpV, § 7 Anmerkung, A 55 = WW IV 141.

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Seine Formulierung gewinnt er aus einer Analyse des allgemeinen sittlichen Bewußtseins12 • Seine Sollgeltung begründet er mit dem Unterschied zwischen den Menschen als Vernunftwesen und als Sinnenwesen. Bei seiner Konkretisierung will beachtet sein, daß und in welchem Ausmaß Kant in seiner praktischen Philosophie mit der Verklammerung von Deontologie und Teleologie arbeitet, wobei als Pflichtzweck der Rechtslehre die Idee einer innerlich- wie äußerlich-vollkommenen Staatsverfassung fungiert, eine Idee, aus der er, wie erwähnt, die Formulierung seines Rechtsbegriffs gewinnt. Hingewiesen sei schließlich darauf, daß bei Kant mit dem Kategorischen Imperativ und den drei Vorstellungsarten desselben, ferner mit dem obersten Rechtsprinzip und dem obersten Tugendprinzip sowie mit dem Gleichheitsprinzip, dem Konsensprinzip, dem Publizierbarkeitsprinzip und dem Rollentauschprinzip nahezu alle Regeln und Prinzipien, die in der gegenwärtigen Ethikdiskussion im Zusammenhang mit dem Verallgemeinerungsprinzip erörtert werden, mehr oder weniger ausgeprägt aufweisbar sind. Kants philosophische Theorie des positiven Rechts findet sich, abgesehen von den Definitionen des allgemeinen Teils, in Ansätzen in seiner Theorie des öffentlichen Rechts13 • Dabei versteht er unter "öffentlichem Recht", abweichend vom heutigen Sprachg,ebrauch, "den Inbegriff der Gesetze, die einer allgemeinen Bekanntmachung bedürfen, um einen rechtlichen Zustand hervorzubring~m"14. Daran interessiert im hiesigen Zusammenhang, daß das Gebot, in einen solchen Zustand einzutreten, d. h. einen Sozialkontrakt zu schließen oder sich einer bestehenden Verfassung zu unterwerfen, für Kant ein solches der reinen praktischen Vernunft ist15 • Diese gebietet weiterhin, den bürgerlichen Zustand, soweit möglich, der Idee einer innerlich- wie äußerlich-vollkommenen Staatsverfassung anzunähern. Doch ist Adressat dieses Gebots unter der Voraussetzung der Existenz einer Staatsverfassung ausschließlich der Gesetzgeber. Ist eine wirklich äußere Gesetzgebung instituiert, so fordert das allgemeine Rechtsgesetz, den Vorschriften jener Gesetzgebung Gehorsam zu leisten. Kant formuliert diese Forderung in dem "praktischen Vernunftprinzip", "der jetzt bestehenden Gewalt gehorchen zu sollen, ihr Ursprung mag sein, welcher er wolle"18. Das gilt für den Rechtsgenossen wie für den Richter. Beiden ist es untersagt, wider das positive Recht "werktätig zu vernünfteln". Denn die Annäherung an jene Idee erwartet Kant "nicht vom Gang der Dinge von unten herauf, sondern von oben herab" 17. Vgl. Grundlegung, Abschn. 1, BA 1 ff. = WW IV 18 ff. MdS, RL §§ 43 ff., A 161 ff., B 191 ff. = WW IV 429 ff. 14 a.a.O. § 43 = WW 429. 15 Vgl. z. B. MdS, RL §§ 42, 44 = WW IV 424, 430. 18 MdS, RL, Allg. Anm. A nach § 49, A 174, B 204 = WW IV 438.

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Kant hat sich mit der Formulierung dieses Prinzips, wie seine schwankende Haltung zum Widerstandsrecht und seine geschichtsphilosophisch positive Bewertung der französischen Revolution belegen18 , nicht leicht getan. Dennoch ist im Ergebnis festzuhalten, daß seine Theorie des positiven Rechts in dem Sinne entschieden positivistisch ist, daß sie dem positiven Recht den unbedingten Vorrang gegenüber dem Vernunftrecht einräumt19 • Der Vernunftrechtstheorie verbleibt demgegenüber eine doppelte Funktion. Als Theorie der Gesetzgebung entfaltet sie die Prinzipien vernunftrechtlich gebotener Rechtspolitik. Als Grundlagentheorie des positiven Rechts enthält sie eine Theorie der Rechtserkenntnis, eine Theorie der Rechtswissenschaft und eine Theorie der Prinzipien, die der Mannigfaltigkeit der positiven Gesetze, sofern diese Vernünftigkeit beanspruchen, zugrunde liegen. Dabei beschränkt sich die erkenntnistheoretische Leistung der philosophischen Rechtslehre für die empirische Rechtserkenntnis darauf, daß sie das Prinzip angibt, welches ermöglicht, das positive Recht, unbeschadet seiner Verbesserungsfähigkeit, als vernunftrechtlich gesollt zu identifizieren. Es liegt auf der Hand, daß dieses Prinzip, abgesehen vom Effizienzkriterium, seinem Inhalt, wenngleich nicht seinem Status nach, mit der hypothetischen Grundnorm Kelsens identisch ist. Es begründet den Sollcharakter des positiven Rechts, und es identifiziert dieses, freilich ohne nähere Ausführung, als solches, das von einem faktischen Souverän in der Form ordnungsgemäßer Gesetzgebung erlassen worden ist. Daß und in welchem Sinne es inhaltlicher Modifikationen bedarf, wird noch zu erörtern sein. Jedenfalls liegt die Vermutung nahe, daß Kant mit ihm zeitbedingt obrigkeitsstaatlichen Vorstellungen unterlegen ist. Das gilt auch, worauf hier abschließend hingewiesen sei, für Kants Theorie der Gesetzesanwendung. Sie hat Kant, in eigentümlicher Verkennung des Problems des richterlichen Entscheidungsspielraumes, als bloße Gesetzesausführung betrachtet20 • Man wird dabei freilich nicht außer acht lassen dürfen, daß wenige Jahre vor dem Erscheinen der Metaphysik der Sitten das Publikationspatent und die Einleitung zum preußischen Allgemeinen Landrecht das Legislativreferendum eingeführt und den Gerichten ausdrücklich untersagt hatten, "von den klaren und deutlichen Vorschriften der Gesetze, auf dem Grund eines vermeintlichen philo17 Der Streit der Fakultäten, 11. Abschnitt: Erneuerte Frage: Ob das menschliche Geschlecht im beständigen Fortschreiten zum Besseren sei?, Abschnitt 10, AB 158 = WW VI 366. 18 Vgl. J. Berkemann, Kants Haltung zum Widerstandsrecht, Diss. Karlsruhe 1974; zu Kants Einschätzung der französischen Revolution s. seine oben Fn. 17 zitierte Schrift. 11 Vgl. z. B. Streit der Fakultäten, I. Abschnitt, A 18 f. = WW VI 287. 10 Vgl. z. B. MdS, TL, Ein!. Abschn. XVII Anm., A 55 f. = WW IV 543.

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sophischen Raisonnements, oder unter dem Vorwande einer aus dem Zwecke und der Absicht des Gesetzes abzuleitenden Auslegung, die geringste eigenmächtige Abweichung, bei Vermeidung Unserer höchsten Ungnade und schwerer Ahndung, sich zu erlauben". Vielmehr habe der Richter, der den Sinn des Gesetzes zweifelhaft finde, seine Zweifel der Gesetzeskommissionanzuzeigen und deren Beurteilung zu beantragen21 •

11. Ausgangspunkt der Rechtserkenntnistheorie Kelsens ist seine Zweielementenlehre der Normerkenntnisl!2. Danach verbinden sich im Vorgang der Normerkenntnis ein Element sinnlicher Wahrnehmung und ein Element intellektueller Deutung; genauer müßte es wohl heißen: ein Element empirischer Erkenntnis und ein Element normativer Deutung. Die empirische Erkenntnis richtet sich auf menschliche Willensakte, die intentional auf das Verhalten anderer Menschen gerichtet sind. Die normative Deutung interpretiert den subjektiven Sinn dieser Akte als objektiv gesollt, d. h. sie identifiziert einen faktischen Willensakt als Normsetzungsakt und seinen Sinngehalt als Norm. Diese Identifikation geschieht vermöge seiner Subsumtion unter eine übergeordnete Norm, die vorschreibt, daß man sich gemäß der Intention des Willensaktes verhalten soll. Da diese Norm selbst wiederum eine Deutung verlangt, die sie als Rechtsnorm identifiziert, gelangt Kelsen, wie hier als bekannt vorausgesetzt werden darf, über den Stufenbau der Rechtsordnung zu einer obersten, wenngleich nur hypothetischen, Grundnorm, "derzufolge man einer tatsächlich gesetzten, im großen und ganzen wirksamen Verfassung und daher den gemäß dieser Verfassung tatsächlich gesetzten, im großen und ganzen wirksamen Normen entsprechen soll"23. Es ist leicht zu sehen, daß dieser Konzeption ein voluntaristischer Normbegriff und ein positivistischer Rechtsbegriff als Voraussetzungen zugrunde liegen. Der Normbegriff ist voluntaristisch, weil er auf der These beruht: "Keine Norm ohne einen normsetzenden Willensakt"24, oder genauer: "kein Sollen ohne ein - wenn auch nur fingiertes Wollen"25. Gewiß lassen sich andere Normbegriffe bilden28 , und ohne !1 Zitat aus dem Publikationspatent nach T. Vogel, Zur Praxis und Theorie der richterlichen Bindung an das Gesetz im gewaltenteilenden Staat, Berlin 1969,21 f.; ebd. (S. 22) sind die §§ 46 - 50 Einl. pr. ALR abgedruckt. IZ Vgl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufi. Wien 1960 (Nachdr. 1967 und 1974; im folgenden zitiert als RR), 1 ff. n RR 219. u H. Kelsen, Zum Begriff der Norm, in: Festschr. f. H. C. Nipperdey, Bd. 1, Müuchen/Berlin 1965, 57 - 70, 59. !5 Ebd.63.

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weiteres ist einzuräumen, daß Kelsens Normtheorie bereits beim Gewohnheitsrecht, für welches sie den Begriff des "kollektiven Wollens" einzuführen genötigt ist27 , in Schwierigkeiten gerät. Dennoch ist sie, als einer unter mehreren möglichen Ansätzen, für die Zwecke der Rechtstheorie akzeptabel, weil und soweit das positive Recht im modernen Gesetzes-, Verwaltungs- und Richterstaat in erster Linie durch bewußte Willensakte gesetzt wird. Damit ist zugleich gesagt, daß, zumindest als Ausgangspunkt der weiteren Analyse, auch der positivistische Rechtsbegriff, d. h. die Definition des Rechts durch die Tatsache seiner ordnungsgemäßen Gesetztheit, annehmbar ist. Die dagegen von soziologischen Rechtstheorien erhobenen und auf das Effizienzkriterium abstellenden Einwände hat Kelsen selbst dadurch entkräftet, daß er ein gewisses Maß an sozialer Wirksamkeit (und, wie hinzuzufügen wäre: an Wirksamkeitschance) zur Bedingung der Rechtsgeltung erhoben und in die Formulierung seiner Grundnorm aufgenommen hat28 • Der Status dieser Grundnorm ist indessen noch immer streitig. über ihn ist Kelsen 'bekanntlich am Ende selbst in Zweifel geraten. Seine im Stadium dieses Zweifels geäußerte These, daß es sich um eine Fiktion handele 29 , scheint mir wenig überzeugend. Ihr soll an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden. Hält man sich demgegenüber an die ursprüngliche und bis in die zweite Auflage der "Reinen Rechtslehre" festgehaltenen Qualifikation der Grundnorm als einer transzendentallogischen Bedingung der Rechtserkenntnis30 , so bleibt zu fragen, was damit gemeint ist. Dazu ist zunächst zu sagen, daß es sich, wie Kelsen selbst betont, lediglich um eine mögliche, nicht aber um eine notwendige Bedingung der Rechtserkenntnis handelt31 • Denn selbstverständlich kann, wie soziologische und psychologische Rechtstheorien hinreichend belegen, das Recht auch als ein bloß sozialer und/oder psychischer Wirkungszusammenhang beschrieben und erklärt werden. Notwendig ist die Annahme der Grundnorm lediglich dann, wenn man das positive Recht als objektiv gesollt begreifen will, und allerdings läßt sich die These vertreten, daß es nur in diesem Sinne adäquat begriffen werden kann. Zum Status dieser Annahme legt Kelsen freilich Wert auf ,die Feststellung, daß der Sollgehalt der Grundnorm keineswegs einen Gehorsamsanspruch 28 Vgl. dazu R. Dreier, Sein und Sollen. Bemerkungen zur Reinen Rechtslehre Kelsens, JZ 1972, 329 - 335, 330 f. 27 RR 9, s. a. ebd. 230 ff. 28 Dazu RR 10, 48, 91 f., 215 ft. U R. Kelsen, Die Funktion der Verfassung, in: Verhandlungen des Zweiten Österreichischen Juristentages, Wien 1967, Bd. II Teil 7, 65 -76, bes. 71. 30 Vgl. RR 204 !f. It RR 218 Fn., 224.

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zum Ausdruck bringen wolle, der sich auf eine überpositive Autorität, sei es Gott, die Natur oder die Vernunft, stütze. Er kennzeichnet daher ihren Status auch als "rechtslogisch" und bezieht sich dazu auf die logische These der Unableitbarkeit des Sollens aus dem Sein32 • Doch verknüpft er diese These mit der erkenntnistheoretischen Hypothese, daß jeder Erkenntnis des positiven Rechts als objektiv gesollt die von ihm formulierte Grundnorm immer schon, wenngleich "zumeist unbewußt", zugrunde liege33 • Kelsens Grundnormtheorie beansprucht somit, den semantischen Gehalt des Ausdrucks "Sollen" mit seinen Strukturen und Implikationen ins Bewußtsein zu heben. Um diesen Anspruch einzulösen, ist es freilich erforderlich, den Begrüf des Sollens, von dem Kelsen lediglich sagt, er sei unserem Bewußtsein "unmittelbar gegeben" und nicht weiter analysierbar34, genauer zu untersuchen. Greift man dazu auf die transzendentallogische Analyse Kants zurück, so ,ist festzustellen, daß mit diesem Begrüf, auch und gerade in seiner Anwendung auf das positive Recht, der Begriff der moralischen ;bzw. vernunftrechtlichen Verbindlichkeit unabtrennbar verbunden ist. Dafür sei auf die bereits angegebenen Partien der Kritik der reinen Vernunft und ergänzend auf Untersuchungen der heutigen analytischen Ethik verwiesen35 • Würde man dem näher nachgehen, so dürfte sich zeigen lassen, daß Kelsen mit seiner Grundnormtheorie, entgegen seiner erklärten Absicht, eben doch das Problem des moralischen bzw. vernunftrechtlichen Geltungs- und Erkenntnisgrundes des positiven Rechts formuliert hat. Das erklärt die notorischen Mißverständnisse, denen diese Theorie immer wieder begegnet ist und noch begegnet, und es macht nicht zuletzt Kelsens eigene Zweifel am Status seiner Grundnorm verständlich. Die gegebene Deutung ist nicht neu. Erwähnt sei nur die Auseinandersetzung, die Alf Ross der Theorie Kelsens gewidmet hat. Sie mündet in die These, "that the idea of a duty to obey the law (to perform the legal obligations) only makes sense on the supposition that the duty spoken of is a true moral duty corresponding to a ,binding force' inherent the law"38. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch die Kritik Harts an Kelsen37. Wenn Hart darin Kelsens Grundnorm, die inhaltlich mit seiner rule of recognition übereinstimmt, als "needless reduplication" des Geltungsproblems ablehnt, so deshalb, weil er sich mit einer faktischen, 32

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Vgl. RR 202,205. RR209.

RR5. Vgl. oben Fn. 7; ferner z. B. R. M. HaTe, Freedom and Reason, Oxford 1963, 36 f. (dt. Ausg.: Freiheit und Vernunft, Düsseldorf 1973, 52). SI A. Ross, Directives and Norms, London 1968, 156. 37 H. L. A. HaTt, The Concept of Law, Oxford 1961, 245. u

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d. h. sozialen und psychischen "Geltung" der rule of recognition begnügt. Demgegenüber ist zuzugeben, daß Kelsen das Geltungsproblem konsequenter gestellt hat. Seine Inkonsequenz liegt darin, daß er vor den vernunftrechtlichen bzw. moralischen Implikationen der Kategorie des Sollens zurückgeschreckt ist. Der Grund dafür liegt in seiner scharfen Ablehnung jeder Natur- und Vernunftrechtstheories8 • Ihr liegt die wertrelativistische These zugrunde, daß praktische und damit auch rechtsethische Fragen wissenschaftlich bzw. rational unentscheidbar seien. Insbesondere ist der Begriff der praktischen, d. h. einer normsetzenden Vernunft nach Kelsen "unhaltbar, da die Funktion der Vernunft Erkennen, nicht Wollen ist, die Setzung von Normen aber ein Akt des Wollens ist"39. Darauf wird zurückzukommen sein. Zuvor sei bemerkt, daß sich auch dann, wenn man die Relativismusthese vertritt, die Frage stellt, ob nicht eine Analyse des Sollgehalts des positiven Rechts ergibt, daß sich mit ihm ein Richtigkeitsanspruch verbindet, der dann allerdings nicht rational einlös bar, wohl aber in einer gegenstandsadäquaten Definition und Theorie des Rechts zu berücksichtigen wäre. Dazu sei an Radbruchs wertbezogene Definition des Rechts als "Wirklichkeit, die den Sinn hat, dem Rechtswerte, der Rechtsidee zu dienen", erinnert", zu der anzumerken ist, daß sie der wertrelativistischen Phase seines Denkens entstammt. Immerhin gab sie Radbruch bereits 1931 Gelegenheit, im Rechtsgeltungskapitel seiner Rechtsphilosophie festzustellen, daß sich rechtsphilosophisch die "restlose Geltung" allen positiven_Rechts gegenüber dem einzelnen Rechtsgenossen nicht erweisen lasse, weil es "Schandgesetze" geben könne, denen das Gewissen den Gehorsam verweigere41 • Nach 1945 hat Radbruch diesen Standpunkt modifiziert und die berühmt gewordene Formel geprägt, daß im Konflikt zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit zwar in der Regel das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht den Vorrang habe, "es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträglich-es Maß erreicht, daß das Gesetz als unrichtiges Recht der Gerechtigkeit zu weichen hat"42. Diese inzwischen auch vom Bundesverfassungsgericht aufgenommene Formel'3 hat eine lebhafte Kontroverse ausgelöst, und jedenfalls gibt sie Veranlassung zu fragen, ob sich eine angemessene Fassung der Kelsenschen Grundnorm nicht dadurch herstellen Vgl. RR 50 f., 60 ff. u. bes. 357 ff. RR 198. 40 G. Radbruch, Rechtsphilosophie (1931), 7. Aufl., Stuttgart 1974, 119. 41 Ebd.177. 41 Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht (1946), in: ders., Rechtsphilosophie 339 - 350, 345 f. 41 BVerfGE 23, 98 (106). 18

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läßt, daß ihr die Ausnahmeklausel jener Formel angefügt wird. Diese Frage sei zurückgestellt. Doch kann bereits an dieser Stelle gesagt werden, daß ihre Beantwortung nicht davon abhängt, ob man die rationale Entscheidbarkeit praktischer Fragen bejaht; dies um so mehr, als die neuere Ethikdiskussion diesbezüglich ein Maß an Klärung erbracht hat, das es erlaubt, die Stellungnahme zur Relativismusthese als ein Definitionsproblem aufzufassen. Das sei an der Kritik verdeutlicht, die Kelsen an Kants Theorie der praktischen Vernunft geübt hat. Diese Kritik stützt sich außer auf das Relativismusargument auf ein Metaphysik- und ein Konfusionsargument44 • Das Metaphysikargument richtet sich gegen Kants Zweiweltenlehre, insbesondere gegen seine Unterscheidung zwischen dem homo phainomenon und dem homo noumenon. Das Konfusions- oder Konfundierungsargument behauptet die Vermengung von Erkenntnisobjekt und Erkenntnissubjekt im Begriff der praktischen Vernunft. Diese Argumente, die in der Sache eng zusammenhängen, können hier nicht ausführlich diskutiert werden. Auf beide ist zu erwidern, daß es Interpretationen und Fortschreibungen der Kantschen Theorie gibt, die von ihnen unberührt bleiben. Dafür sei beispielsweise auf konstruktivistische, transzendental- bzw. universalpragmatische und analytische Ansätze in der heutigen praktischen Philosophie hingewiesen45 • Was insbesondere das Konfusionsargument betrifft, sei so bemerkt, daß der Begriff der Vernunft überhaupt, wie bereits Kants Bild des Gerichtshofs nahelegt48 , als ein, freilich explikationsbedürftiger, Kanon von Prinzipien zur verfahrensmäßigen Entscheidung theoretischer wie praktischer Fragen verstanden werden kann, der außer einern allgemeinen je einen besonderen Teil für theoretische und praktische Entscheidungsverfahren umfaßt47 • Die Erkenntnis dieser Prinzipien ist dann identisch mit der Explikation derselben. Geht man weiter davon aus, daß diese Prinzipien ein Ideal formulieren, welches praktisch RR 103 ff. (Fn.), 198 f., 415 ff., 420 ff. VgI. O. Schwemmer, Philosophie der Praxis. Versuch zur Grundlegung einer Lehre vom moralischen Argumentieren in Verbindung mit einer Interpretation der praktischen Philosophie Kants, Frankfurt/M. 1971; ders./ P. Lorenzen, Konstruktive Logik, Ethik und Wissenschaftstheorie, Mannheim/Wien/ Zürich 1973, 107 ff.; K.-O. Apel, Transformation der Philosophie, Bd. 2, Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft, Frankfurt/M. 1976, bes. 311 ff., 358 ff.; J. Habermas, Was heißt Universalpragmatik?, in: K.-O. Apel (Hrsg.), Sprachpragmatik und Philosophie, Frankfurt/M. 1976, 174 - 272; R. M. Hare (oben Fn. 35) 34 (dt. Ausg. S. 49); J. Rawls, A Theory of Justice, Cambridge/ Mass. 1971, 251 ff. 4B VgI. Z. B. KrV B 768,779 f. = WW II 632, 639 f. 47 VgI. J. Habermas, Wahrheitstheorien, in: Wirklichkeit und Reflexion, Festschr. f. W. Schulz, Pfullingen 1973, 211 - 265; R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation. Die Theorie des rationalen Diskurses als Theorie der juristischen Begründung, Frankfurt/M. 1978 (v gl. dort S. 234 den Gedanken eines "Gesetzbuches der praktischen Vernunft"). 44 U

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stets nur annäherungsweise realisiert werden kann, so erweist sich das Problem, ob ethische Fragen prinzipiell rational entscheidbar sind oder nicht, insofern als ein definitorisches, als die Stellungnahme zu ihm davon abhängt, wie man die Relation zwischen approximativer Realisierbarkeit einerseits und faktisch unvermeidbarem irrationalen Rest andererseits definiert. Jedenfalls dürfte deutlich sein, daß eine solche Definition, wie immer sie ausfällt, es nicht rechtfertigt, Fragen materialer Rechtsethik, da das Maß ihrer rationalen Klärung optimierbar ist, als unwissenschaftlich aus der Rechtswissenschaft auszuscheiden. Die Konsequenzen, die sich daraus für die Modifikation des Kelsenschen Reinheitspostulats und seiner durch dieses bestimmten Rechtserkenntnistheorie ergeben, können im hiesigen Rahmen nicht im einzelnen aufgezeigt werden. Die Frage der Revision der Grundnorm und des Rechtsbegriffs wird noch zu behandeln sein. Im vorliegenden Zusammenhang sei abschließend auf die Revisionsbedürftigkeit der Kelsenschen Theorie der Gesetzesinterpretation hingewiesen, die ein integrierender Bestandteil seiner Rechtserkenntnistheorie ist48 • Kelsen geht in ihr davon aus, daß das positive Recht das richterliche Entscheidungsverhalten nur im Ausnahmefall voll determiniert und ihm im Regelfall einen rechtlich nicht determinierten Entscheidungsspielraum beläßt. Die Ausfüllung dieses Spielraums ist nach Kelsen keine wissenschaftliche Erkenntnis-, sondern eine politische Willensfunktion. Die Rechtswissenschaft hat sich danach darauL zu beschränken, die mehreren möglichen Bedeutungen einer Norm zu explizieren, ohne eine von ihnen als die rechtlich richtige auszuzeichnen>- Es liegt auf der Hand, daß diese Theorie sowohl dem Selbstverständnis als auch der Praxis der juristischen Dogmatik widerspricht. Sie ist zudem unbefriedigend, weil sie den Richter in wichtigen Belangen ohne wissenschaftliche Beratung läßt. Nimmt man hinzu, was soeben zur rationalen Entscheidbarkeit praktischer Fragen gesagt wurde, so dürfte die Notwendigkeit einer Revision jener Theorie unabweisbar sein. Das damit angesprochene Problem wird im folgenden Abschnitt noch einmal aufgenommen.

m. Aufgabe der Rechtserkenntnistheorie ist die Analyse und Rekonstruktion des Vorgangs der Gewinnung und Rechtfertigung rechtlicher Erkenntnis, genauer: die Bestimmung der Rolle, die in ihm sinnliche Wahrnehmungen bzw. deren Artikulation in empirischen Sätzen einerseits und die Strukturen bzw. Regeln und Prinzipien ihrer Verarbeitung (einschließlich normativer Vernunftprinzipien) andererseits spielen. Daß dabei näherhin zwischen unbewußten und bewußten oder doch bewußt zu 4e

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machenden sowie zwischen kognitiven und evaluativen Strukturen und Prozessen der Wahrnehmungsverarbeitung zu unterscheiden wäre, sei hier nur erwähnt, ebenso, daß die individual- und soziogenetische Bedingtheiten dieser Strukturen und Prozesse, die sachliche, räumliche und zeitliche Vielfalt des empirischen Normenmaterials sowie die Rolle wissenschaftlicher Theorien im Vorgang der Rechtserkenntnis berücksichtigt werden müßten. Schon ·diese kurze Vergegenwärtigung der Komplexität der Aufgabenstellung macht verständlich, daß es eine ausgearbeitete Theorie der Rechtserkenntnis zur Zeit nicht gibt, wohl auch nicht geben kann, da es dazu an Vorarbeiten fehlt, die ·die Fülle der unmittelbar und mittelbar einschlägigen einzelwissenschaftlichen Forschungsergebnisse aufzuarbeiten und ggf. weitere Forschungen anzuregen hätten. Im hiesigen Rahmen können, im Anschluß an das bereits Gesagte, nur einige Punkte aus dem Gesamtbereich der Rechtserkenntnistheorie angesprochen werden. Hervorzuheben ist zunächst, daß im Unterschied zur allgemeinen Erkenntnistheorie jede besondere oder "regionale" Theorie der Erkenntnis und also auch die Theorie der Rechtserkenntnis vor der Aufgabe stehen, ihren Gegenstandsbereich zu definieren, ohne dadurch ihr Programm unangemessen zu verkürzen. Als unverfänglichster Leitfaden dazu bietet sich der allgemeine Sprachgebrauch an. Er bringt ein Rechtsverständnis zum Ausdruck, von dem auch ohne empirische Erhebungen gesagt werden kann, daß es in hohem Maße vage ist und zudem nach Rechtsepochen und Rechtskreisen variiert. Aus ihm gliedern sich mit der Herausbildung professionalisierter Juristenrollen berufsspezifische Aspekte des Rechtsverständnisses heraus. So stellt sich das Problem der Rechtserkenntnis beispielsweise für den Anwalt in erster Linie als ein solches zuverlässiger Deskription und Prognostik richterlichen Entscheidungsverhaltens, während es für den Richter die Frage nach den legitimen Bestimmungsgründen seiner Entscheidungsfindung aufwirft". Diese Tendenz zur aspektuellen Spezifizierung setzt sich in der berufsmäßig betriebenen wissenschaftlichen Bearbeitung des Rechts fort. Das zeigt sich am deutlichsten in den systematischen Grundlagendisziplinen der Rechtswissenschaft 50 • Innerhalb ihrer hat sich aus Gründen, die hier auf sich beruhen mögen, die Trias Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie herausgebildet (von der Verdoppelung dieser Disziplinen in bezug auf den Staat sei zur Vereinfachung abgesehen). Daß sich die Lehr- und Forschungsaktivitäten, die unter diesen Titeln betrieben werden, inhaltlich weithin überschneiden, ist bekannt. Dennoch ist jene 48 Vgl. dazu R. Dreier, Probleme der Rechtsquellenlehre, in: Fortschritte des Verwaltungsrechts, Festschr. f. Hans J. Wolff, München 1973, 3 - 36, bes. 8 ff. 60 Dazu R. Dreier, Was ist und wozu Allgemeine Rechtstheorie? , Tübingen 1975.

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Trias nicht nur historisch und arbeitsteilig, sondern bis zu einem gewissen Grade auch sachlich, nämlich aspektuell, begründet. Sie beruht, wie nicht im einzelnen aufgezeigt zu werden braucht, darauf, daß das Recht von der Rechtsphilosophie (soweit sie ihrer Tradition als Naturund Vernunftrechtstheorie verpflichtet ist) in erster Linie unter dem Aspekt seiner materialen Richtigkeit, von der Rechtstheorie (in ihrer analytischen Version) unter dem Aspekt seiner ordnungsgemäßen Gesetztheit und von der Rechtssoziologie (einschließlich der realistischen Rechtstheorien) unter dem Aspekt seiner sozialen und/oder psychischen Wirksamkeit erforscht wird. Es erübrigt sich darzulegen, daß diesen Aspekten drei verschiedene Rechtsbegriffe und ebenso drei verschiedene Geltungsbegriffe entsprechen. Nun wird niemand die Notwendigkeit und Nützlichkeit wissenschaftlicher Arbeitsteilung und damit auch aspektueller und folgeweise methodologischer Spezialisierungen bestreiten wollen. Doch besteht Veranlassung, auf die damit verbundene Gefahr der Verengung und Vereinseitigung hinzuweisen. Diese Gefahr hatte, im Blick auf positivistische Staats- und Völkerrechtslehren, Leonard Nelson bereits 1917 mit seinem seither oft zitierten Buchtitel "Rechtswissenschaft ohne Recht" signalisiert51 , und es ist kein Zufall, daß in Anlehnung an ihn neuerdings auch vor einer "Rechtstheorie ohne Recht"52 und einer "Rechtssoziologie ohne Recht"53 gewarnt wird. Gewiß sind Begriffsbildungen Probleme der Zweckmäßigkeit und der aufgabenspezifischen Adäquanz. Doch fragt sich, ob die Grundlagendisziplinen der Rechtswissenschaft ihr Erkenntnisobjekt in einer Weise bearbeiten, die dem Informationsbedürfnis ihres Hauptadressaten, der juristischen Dogmatik und über sie der juristischen Praxis, gerecht wird. Dabei kann die Rechtssoziologie, soweit sie von und für Soziologen betrieben wird, außer Betracht bleiben. Für die Rechtstheorie in ihrer analytischen wie in ihrer realistischen Variante aber stellt sich die Aufgabe, in Verbindung mit der Rechtsphilosophie Kriterien der Existenz und der Geltung des Rechts zu erarbeiten, die an den Erkenntnisinteressen und dem Rechtsverständnis der Jurisprudenz orientiert sind - ohne freilich durch diese Orientierung auf Richtigkeitskriterien festgelegt zu sein. Dabei ergeben sich vor allem zwei Probleme, die bereits in den vorangegangenen Abschnitten angesprochen wurden. Das eine ist das Pro51 L. Nelson, Die Rechtswissenschaft ohne Recht. Kritische Betrachtungen über die Grundlagen des Staats- und Völkerrechts, insbesondere über die Lehre von der Souveränität, 2. Aufl. Göttingen/Hamburg 1949. 51 H.-P. Schneider, Rechtstheorie ohne Recht?, in: Mensch und Recht, Festschrift f. E. Wolf, Frankfurt/M. 1972, 108 - 136. 51 H. Schelsky, Die Soziologen und das Recht, Rechtstheorie 9 (1978), 1 - 21; dort S. 21: "Eine Soziologie des Rechts muß ihre Aufgabe verfehlen, wenn sie nicht mehr zu bieten hat als eine Rechtssoziologie ohne Recht."

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blem der rechtlichen Verbindlichkeit unmoralischer Normen, das andere das der rechtlichen Bestimmungsgründe richterlichen Entscheidungsverhaltens, insbesondere in den Fällen, in denen das positive Recht dem Richter einen Entscheidungsspielraum beläßt. Das erste betrifft nicht nur den Richter, sondern den Rechtsunterworfenen überhaupt. Dazu ist die oben gestellte Frage aufzunehmen, ob das Phänomen der "Schandgesetze" Veranlassung gibt, die Kelsensche Grundnorm durch die Ausnahmeklausel der Radbruchschen Formel zu modifizieren. Diese Frage weist einen empirischen und einen normativen Aspekt auf. Empirisch fragt sich, ob sich entweder dem allgemeinen oder dem fachjuristischen Sprachgebrauch und dem ihnen entsprechenden Verhalten hinreichende Anzeichen dafür entnehmen lassen, daß ordnungsgemäß erlassenen Gesetzen wegen eines schwerwiegenden moralischen bzw. vernunftrechtlichen Makels das Prädikat "Recht" verweigert wird. Darüber fehlen exakte empirische Untersuchungen, die vermutlich je nach Zeit und Ort sowie nach der Fassung der Fragestellung verschieden ausfallen dürften. Hingewiesen sei insoweit auf die soziologische Legitimationsdebatte, in der im übrigen nicht immer hinreichend deutlich zwischen empirischen und normativen Problemaspekten, insbesondere dem Verständnis der Legitimität als faktischer Anerkennung und als Anerkennungswürdigkeit einer rechtlichen Herrschaftsordnung unterschieden wird54 • Normativ lautet die Frage, ob es moralisch bzw. vernunftrechtHch geboten ist, ungerechten Gesetzen von einem gewissen Grade der Ungerechtigkeit an die Befolgung und Anwendung zu verweigern. Diese Frage läßt sich, wie gezeigt, rechtstheoretisch dahin formulieren, auf welche Weise eine gegenstandsadäquate Theorie des Rechts die Kriterien der Existenz und loder der Geltung desselben zu bestimmen hat 55 • Dazu stehen sich nach wie vor unterschiedliche Konzeptionen gegenüber. Doch hat nicht zuletzt die Diskussion der Radbruchschen Formel zu Klärungen geführt, die die Alternativen mit ihren Konsequenzen deutlich hervortreten lassen und es zudem nahelegen, daß die Antwort innerhalb verschiedener Rechtskulturen verschieden ausfallen kann. Eine ausführliche Erörterung jener Diskussion ist hier nicht möglich. Ich beschränke mich auf einige Bemerkungen zu den Argumenten, die Hart gegen die Radbruchsche Problemlösung eingewendet hat58 • Hart 54 Vgl. z. B. N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Neuwied/Berlin 1969; J. HabeTmas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt/M. 1973; deTS., LegItimation, in: ders., Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, Frankfurt/M. 1976, 269 ff. 55 Zum Problem: J. Raz, The Concept of a Legal System, Oxford 1970. 58 H. L. A. HaTt, The Concept of Law, Oxford 1961, 203 ff.; deTs., Der Positivismus und die Trennung von Recht und Moral, in: ders., Recht und Moral. Drei Aufsätze, dt. Ausg., Göttingen 1971, 14 - 57, 39 ff.

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meint zunächst, Radbruchs Rechtsbegriff stifte fachliche Verwirrung, weil er ungerechte Gesetze aus dem Gegenstandsbereich der Rechtswissenschaft ausschließe. Dem ist zu erwidern, daß er im Gegenteil die Rechtswissenschaft dazu veranlaßt, den Richtigkeitsgehalt des positiven Rechts in ihren Forschungsbereich einzubeziehen. Eng mit diesem disziplinären ist das ethisch-pädagogische Argument verknüpft. Dazu vertritt Hart die Auffassung, der Radbruchsche Rechtsbegriff sei kaum geeignet, die Bereitschaft zum Widerstand gegen ungerechte Gesetze zu stärken. In der Tat dürfte die in den letzten Jahrzehnten nicht selten geäußerte These, der juristische Positivismus habe die deutschen Juristen wehrlos gegen die Willkür des Nazi-Regimes gemacht, eine unzulässige Vereinfachung sein57 • Doch ist kaum zu bestreiten, daß der Rechtspositivismus zumindest in Deutschland zur systematischen Verdrängung rechtsethischer Probleme aus dem Rechtsunterricht und folgeweise zu einer Verengung des Rechtsbewußtseins der Juristen geführt hat. Es verbleibt im wesentlichen das Argument sprachlich-begrifflicher Klarheit, d. h. der präzisen Unterscheidung zwischen dem Recht, wie es ist, und dem Recht, wie es sein sollte. Zu ihm ist zweierlei anzumerken. Erstens ist zuzugeben, daß der Rechtsbegriff (oder das oberste Prinzip der Rechtsgeltung) an Vagheit gewinnt, wenn ihm die Radbruchsche Formel eingefügt wird. Doch ist diese Vagheit nicht größer als diejenige, die bereits damit gegeben ist, daß ein gewisses Maß an sozialer Wirksamkeit als Bedingung der Rechtsgeltung fungiert. Zweitens ist zu sagen, daß das Maß an analytischer Klarheit beim erreichten Diskussionsstand für beide Problemlösungen mindestens gleich groß ist. Vermutlich ist es für die hier vorgeschlagene Lösung sogar größer, da diese zwar komplizierter, aber der Komplexität des Problems adäquater ist. Im übrigen sei nochmals betont, daß diese Bemerkungen nicht beanspruchen können, das vielschichtige Problem des Verhältnisses von Recht und Moral bzw. von positivem Recht und Vernunftrecht, zum al in totalitären Staaten, zureichend zu erörtern. Dazu müßten weitere Fragen, z. B. die der Rechtspfticht zum Widerstand, d. h. im Grenzfall: zum Heroismus, angesprochen werden58 • Gezeigt werden sollte nur, daß gute Gründe für die angeregte Modifikation der Kelsenschen Grundnorm sprechen. Daß diese Gründe durch rechtserkenntnistheoretische Erwägungen, die in der Tradition der Kantschen Theorie der praktischen Vernunft stehen, gestützt werden, braucht, unbeschadet der Zeitbedingtheit von Kants Theorie des positiven Rechts, kaum eigens hervorgehoben werden. 57 Vgl. dazu die Kontroverse zwischen E. Franssen und H. Weinkauff, in: JZ 1969, 766 -775; 1970, 54 - 57. 58 Vgl. dazu M. Kriele, Recht und praktische Vernunft, Göttingen 1979, 113 ff.

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Es verbleibt das Problem der rechtlichen Bestimmungsgründe richterlichen Entscheidungsverhaltens. Auch dazu müssen hier Randbemerkungen genügen. Zunächst dürfte deutlich sein, daß es um die oft diskutierte Frage der Präexistenz des Rechts vor der Entscheidung bzw. um das Verhältnis von rationaler (rechtlicher) Erkenntnis und willensmäßiger Entscheidung geht68 • übereinstimmung sollte 'Sich heute darüber erzielen lassen, daß das positive Recht in der Tat, wie Kelsen annimmt, die richterliche Entscheidung in der Regel nur unvollkommen determiniert, ebenso darüber, daß es zur Aufgabe der juristischen Methodenlehre gehört, den verbleibenden Spielraum einem Höchstmaß an rationaler Kontrolle zu unterwerfen80 • Zu fragen ist, ob diese Kontrolle als Rechtskontrolle aufgefaßt werden kann. Es läßt sich vermuten, daß auch dies eine Definitionsfrage ist. Ihre Entscheidung hängt davon ab, ob es eine rechtliche Grundnorm richterlicher Entscheidungsfindung gibt, die die extralegalen Bestimmungsgründe ,dieses Prozesses als Rechtsgründe identifiziert. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, eine solche Norm als Norm positiven Rechts zu formulieren. Als bekanntestes Beispiel sei § 1 des schweizerischen Zivilgesetzbuches genannt: ,,(1) Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält. (2) Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll der Richter nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen würde. (3) Er folgt dabei bewährter Lehre und überlieferung." Die Stärken und Schwächen dieser Norm können an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Der Gesetzgeber des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches jedenfalls hat, trotz entsprechender, freilich dem Geist der Begriffsjurisprudenz verhafteter Vorschläge der ersten Kommission8 !, bewußt auf eine solche Vorschrift verzichtet und die Entwicklung der Regeln und Prinzipien der Auslegung und Anwendung des positiven Rechts der Rechtswissenschaft überlassen. Ist somit die Positivierung der gesuchten Norm historisch kontingent, so fragt sich, ob davon ihr Rechtscharakter abhängt. Das ist abermals die Frage nach dem die Rechtserkenntnis leitenden Rechtsbegriff, und auf sie ist erneut zu antworten, 51 Vgl. dazu W. Krawietz, Juristische Erkenntnis und wissenschaftliche Entscheidung, WienlNew York 1978; R. Alexy, Zum Begriff des Rechtsprinzips (in diesem Bande); der Aufsatz Alexys setzt sich mit der These Dworkins auseinander, daß auch in schwierigen Fällen die Rechte der am Rechtsstreit Beteiligten vom Richter zu "entdecken" und nicht erst zu "schaffen" seien; vgl, z. B. R. Dworkin, Hard Cases, in: ders., Taking Rights Seriously, London 1977, 81-130. 80 Vgl. BVerfGE 34, 269 (286 f.) und z. B. R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, Frankfurt/M. 1978. 11 Vgl. T. Vogel (oben Fn. 21) 24.

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daß gute Gründe dafür sprechen, wie für die allgemeine Rechtsbefolgung so auch für die richterliche Rechtsanwendung einen vernunftrechtlich modifizierten Rechtsbegriff und ein ihm entsprechendes Identifikationsprinzip zu formulieren. Dies näher auszuführen, würde indessen den hier gesetzten Rahmen überschreiten.

JURISTISCHE AUSLEGUNG ALS ERKENNTNIS- UND ENTSCHEIDUNGSPROZESS Von Bernd-Christian Funk, Graz In der Juristenausbildung wird erfahrungsgemäß großer Wert auf die technisch korrekte Beherrschung von Argumentationsweisen gelegt, die unter der Bezeichnung "juristische Interpretationsmethoden" bekannt sind. Vom Juristen wird erwartet, daß er die Klaviatur dieser diversen canones mehr oder weniger virtuos beherrscht. Nicht in gleichem Maße wird allerdings darauf geachtet, daß auch die erkenntnistheoretische Leistungsfähigkeit dieser sog. "Auslegungsmethoden" kritisch geprüft werde. So kann vielfach der Eindruck entstehen, daß die Beherrschung der gängigen Argumentationsstandards für sich allein schon eine ausreichende Rationalitäts- und Objektivitätsgarantie bieten könnte. Fragen wir uns zunächst, was diese sog. Auslegungsmethoden zu produzieren vermögen. Der Anwendungsbereich dieser Methoden ist ein Rohmaterial von Normtexten, die im heutigen Gesetzesstaat durchwegs in Form von amtlich publizierten Quellen zur Verfügung stehen. Damit entfällt weitgehend das vorgelagerte Problem der Feststellung des zu interpretierenden Normtextmaterials, ein Problem, das sich vor allem bei Gewohnheitsrechtsordnungen stellt. Die als solche feststehenden Texte werden mit Hilfe der genannten Interpretationsmethoden, die besser als Argumentationsstereotypen bezeichnet werden sollten, traktiert. In Frage kommt das Abstellen auf Wortlaut, systematischen Zusammenhang, historische Entwicklungsaspekte und teleologische Funktionsgesichtspunkte. Alle diese Argumente können nach der Richtung des präsumtiven Willens der Normsetzungsautorität oder aber nach einer unabhängig davon in Betracht zu ziehenden Bedeutung hin entfaltet werden. Demgemäß unterscheidet man für gewöhnlich zwischen subjektiver und objektiver " Methode " . Welche Ergebnisse resultieren aus der Heranziehung dieser verschiedenen Argumentationsweisen? Man muß damit rechnen, daß ihre Anwendung zu jeweils verschiedenen Lösungen führen kann. Diese Ergebnisse sind nichts anderes als Aussagen über mögliche Normtextbedeutungen oder anders ausgedrückt: Orientierungen über die in Frage kommenden Normen, ,die ·diesen Normtexten entsprechen. Wir können einen Schritt

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weitergehen und sagen, daß es sich dabei um Hypothesen über mögliche Normtextbedeutungen handelt. Die empirische Basis dieser Hypothesen sind die zugrundegelegten Normtexte, die zu ihrer Auslegung herangezogenen Argumentationsstereotypen sind nichts anderes als technische Hilfsmittel für die Enwicklung der Normhypothesen. Daß es sich dabei wirklich um einen Fall von Hypothesenbildung handelt, wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß die so gewonnenen Aussagen mit Wahrheitsanspruch auftreten und daß ihnen prinzipiell die Wertigkeit von wahren oder falschen Aussagen zugemessen werden kann. Die Auslegungshypothese, die etwa sagt, daß sich bei bloßer Wortbetrachtung dieses oder jenes Normtextes diese oder jene Bedeutungsmöglichkeiten ergeben oder die Aussage, daß der historische Gesetzgeber dieses oder jenes gemeint hat, sind prinzipiell empirisch nachprüfbar und als wahr oder falsch erweisbar. Man kann also davon ausgehen, daß die Anwendung der sog. Auslegungsmethoden einen Fächer von zumeist konkurrierenden N ormhypothesen aufgrund bestimmter Normsätze liefert. Natürlich sind diese Hypothesen voneinander nicht unabhängig, sondern gegenseitig interdependent. Es kann durchaus sein, daß das Ergebnis einer Auslegungsart, also eine bestimmte Normhypothese, zur Grundlage für die Entwicklung einer anderen Normhypothese unter Heranziehung anderer Auslegungsmethoden wird. Das Verfahren ist also in Wahrheit viel komplizierter als es hier modellartig skizmert wird. Auch ist es nicht so, daß dabei der Blick über die zugrundegelegten, zumeist als Gesetze publizierten Normtexte nicht hinausginge. Vielmehr gibt es für die Erstellung solcher konkurrierender Normhypothesen auch noch andere Orientierungshorizonte, wie etwa die dazu ergangene Rechtsprechung, das Schrifttum, die Rechtsanwendungspraxis außerhalb des rechtsprechungsförmlichen Streitverfahrens (im öffentlichen Recht ist das der Gesichtspunkt der Verfassungs- und Verwaltungspraxis), weiters die sozialen und ökonomischen Implikationen der einen oder anderen hypothetisch angenommenen Normbedeutung. Hier stellt sich bereits die Frage nach den Kriterien für die Vornahme einer Auswahl unter den verschiedenen konkurrierenden Normhypothesen. Darauf wird anschließend näher einzugehen sein. Zum Standort einer sog. "Folgenkontrolle" ist grundsätzlich folgendes zu sagen: Folgenkontrollierende Auslegung (Vergewisserung) gehört zu den Hilfsmitteln für eine Vertiefung und Erweiterung von möglichen Normhypothesen, bildet aber kein eigenständiges Argument für die Auswahl unter konkurrierenden Normhypothesen. Das entscheidende methodologische Problem für die Rechtswissenschaft besteht darin, daß gesagt werden muß, wie mit diesen verschiedenen

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Normhypothesen weiter zu verfahren ist. Welcher oder welchen von ihnen ist der Vorzug zu geben und nach welchen Kriterien kann eine solche Auswahl vorgenommen werden? Mit dieser Frage ist das angesprochen, was für gewöhnlich als Verifikationsproblem in der Jurisprudenz bezeichnet wird. An diesem Problem und den darauf gegebenen Antworten wird üblicherweise auch die Frage der Wissenschaftlichkeit dieser Disziplin gemessen. Wenn Wissenschaft ein durch Objektivität gekennzeichnetes Verfahren ist, wobei dies nur als notwendige, nicht aber als hinreichende Bedingung zu verstehen ist, wenn es also auf Objektivität maßgebend ankommt, dann lautet unsere Frage so: Gibt es objektivierbare Kriterien, aufgrund derer sich angeben läßt, ob einer bestimmten von mehreren Auslegungshypothesen der Vorzug einzuräumenist? Man findet auf diese entscheidende Frage verschiedene Antworten. Die Auffassung der Reinen Rechtslehre geht dahin, daß es kein solches Auswahlkriterium gibt. Dies führt Kelsen in seiner Interpretationslehre folgerichtig zu der Position, daß sich wissenschaftliche Rechtsauslegung damit begnügen müßte, die möglichen Bedeutungen von Normtexten herauszuarbeiten oder wie wir sagen würden: sich um eine möglichst vollständige Erfassung aller denkbaren Normhypothesen zu bemühen. Konsequent ist es auch, wenn Kelsen das Feld seiner rechtswissenschaftlichen Untersuchungen in einen anderen Bereich als den der Auslegung verlegt. Er sieht in der Strukturanalyse des Rechts ein aussichtsreicheres Betätigungsfeld für wissenschaftlich objektive Erkenntnisgewinnung. Dieser erkenntnistheoretisch ,begründete Rückzug in den Bereich der Formen und Strukturen des Rechts hat mich ver anlaßt, den Ausdruck "formaler Reduktionismus" vorzuschlagen, der mir die Kelsensche Methodenposition besser zu erfassen scheint als die Bezeichnung Rechtspositivismus. Leider ist ,dieser Bezeichnungsvorschlag da und dort als abwertende Etikettierung mißverstanden worden. Die strenge Auffassung, die Kelsen in der Frage nach den Möglichkeiten objektiver Rechtsauslegung vertritt, erscheint zwar in sich schlüssig, ist aber in ihrem Ergebnis unbefriedigend. Eine Rechtswissenschaft, die sich auf die Ermittlung von möglichen Normhypothesen aufgrund eines bestimmten Normtextbestandes zurückzieht, wird nämlich ihre soziale Funktion nicht erfüllen können. Sie kann den an sie legitimierweise herangetragenen praktischen Erwartungen nicht entsprechen und wird notwendigerweise an gesellschaftlichen Bedürfnissen vorbeiproduzieren. Davon abgesehen hat auch der Hinweis auf den im Betrieb der Jurisprudenz tatsächlich herrschenden Zustand ein gewisses Gewicht. In der Praxis wird unter dem Titel "Rechtswissenschaft" eine Auswahl unter konkurrierenden Normhypothesen vorgenommen. Es gilt also, die er-

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kenntnistheoretischen Voraussetzungen und Möglichkeiten eines solchen Tuns zu prüfen. Wonach kann sich die Auswahl unter konkurrierenden Normhypothesen richten? Man stößt zunächst auf die in den Rechtsordnungen verschiedentlich normierten gesetzlichen Auslegungsregeln, wie man sie bei uns etwa im ABGB vorfindet. Solche Auslegungsregeln laufen durchwegs darauf hinaus, daß durch den Auslegungsprozeß nach Möglichkeit der Wille der Nonnsetzungsautorität reproduziert werde. Die Auslegung soll die gesetzgeberische Anordnung als solche oder zumindest deren maßgebende Systemgedanken sicherstellen. Nicht anders verhält es sich mit gewissen konventionell oder durch die Rechtsprechung erstellten Auslegungsmaximen wie etwa dem "Vorl"ang des Wortlautes" oder der Formel vom "klaren Willen des Gesetzgebers" oder auch dem Vorrang der historischen Interpetation in Teilbereichen der Rechtsordnung, etwa in Österreich im Bereich der Verfassungsauslegung, wo dieses Argument als "Versteinerungsmaxime" bekannt geworden ist. Alle diese Argumente haben den Charakter von Auswahlkriterien unter konkurrierenden Normhypothesen und ihnen allen ist gemeinsam, daß sie im Dienste der Reproduktion einer vorgegebenen Normsetzungsautorität stehen. Man könnte meinen, daß die Anwendung solcher rechtlich positivierter Auslegungsregeln, mag es sich nun um ausdrücklich festgelegte oder im Auslegungswege durch Lehre und Rechtsprechung entwickelte Maximen handeln, erkenntnistheoretisch unproblematisch sei. Natürlich könne es im Einzelfall zu Zweüeln über die technische Anwendbarkeit kommen, etwa wenn nicht feststünde, ob ein bestimmter Wortlaut ein "klarer" Wortlaut sei, oder wenn der historische Wille des Gesetzgebers nicht mehr eindeutig rekonstruierbar ist. Das seien aber nur technische Probleme, die nichts an folgender grundsätzlicher These änderten: Solange sich die Jurisprudenz bei ihrer Auswahl unter konkurrierenden Normhypothesen auf rechtlich festgelegte Auslegungsmaximen berufen kann, bewege sie sich auf dem Felde der Objektivität und damit der Wissenschaftlichkeit. In der Tat ist das eine weitverbreitete Selbsteinschätzung juristischen Tuns. Auf dieser Formel beruhen zahllose gedanklich profunde und höchst scharfsinnige Ableitungen von angeblich zwingenden Ergebnissen aufgrund einer vorgegebenen Normtextlage. Auf dieser Basis beruht weitgehend auch jener erkenntnistheoretische Friede, den manche Nachfolger Kelsens mit dessen Forderung geschlossen haben, daß wissenschaftlich objektive Rechtsauslegung auf die Ermittlung möglicher Normtextbedeutungen beschränkt sein müsse. Statt dessen wird vielfach die Autorität des Gesetzgebers oder dasjenige, was als sein Wille angenom-

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men wird, interpretativ (re)produziert und das Ergebnis als wissenschaftliche Interpretation von positivem Recht ausgegeben. Hier wäre jedenfalls mehr kritische Skepsis am Platze. All dem sei folgende methodologische Auffassung entgegengestellt: Einem strengen empirischen Objektivitätsanspruch kann Auslegung in der Tat nur insoweit genügen, als sie sich auf die Erstellung konkurrierender Norm:hypothesen auf der Grundlage bestimmter Normtexte beschränkt. Jeder darüber hinausgehende Auswahlschritt, der zur Entscheidung für oder gegen die eine oder andere von mehreren möglichen Normhypothesen führt, beruht auf anderen Kriterien, letzten Endes auf Wertungen. Diese Wertungsbedingtheit jedes denkbaren Auswahlverhaltens im Interpretationsgeschehen ist selbst dann, ja gerade auch dann gegeben, wenn sich eine solche Auswahl auf gesetzlich oder konventionell normierte Auslegungsregeln berufen kann. Solche Auslegungsregeln haben durchwegs die Aufgabe, die Autorität der Normsetzungsinstanz zu bewahren und zu reproduzieren. Andererseits läßt aber das positive Recht mit seinen schon aus sprachlichen Gründen notwendigen Bedeutungsfreiräumen unter Umständen sogar die Möglichkeit offen, daß selbst eine den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers nicht entsprechende Rechtsauslegung dem langfristigen Plan der Normsetzungsinstanz entsprechen kann. Darin liegt ein dem positiven Recht immanentes Paradoxon, daß solche Freiräume als Auftrag zur interpretativen Fortentwicklung, ja sogar zum Widerspruch gegen Gesetzesrecht zu deuten sein können. Damit wird jede Vorrangseinräumung zugunsten des präsumtiven Willens der Normsetzungsinstanz eine im Grund unpositivistische rechtspolitische Wertentscheidung. Dieser Umstand pflegt im Auslegungsbetrieb der Rechtswissenschaft ignoriert oder gar verschleiert zu werden. Die Erklärung dafür ist wohl darin zu suchen, daß eine Rationalisierung von Wertentscheidungen zum Teil für unmöglich gehalten wird (Kelsen) bzw. daß ein Interesse an einer Immunisierung solcher Wertentscheidungen besteht. Vordergründig, aber vielfach erfolgreich, wird diese Immunisierung damit erreicht, daß die auf Eigenwertungen des Interpreten beruhenden Operationen zur Ausfüllung interpretativer Freiräume als zwingende Auslegungsergbenisse dargestellt werden. Die Berufung auf Dinge wie den "klaren Wortlaut" und ähnliche autoritätsorientierte Gesichtspunkte können diesbezüglich eine nicht zu unterschätzende Suggestivwirkung entfalten. Ich möchte mit Zippelius den Prozeß der rechts wissenschaftlichen Auslegung als ein prinzipiell zweischichtiges Verfahren verstehen. Einmal geht es um die Erstellung konkurrierender Normhypothesen aufgrund bestimmter Normtexte. Diese Hypothesen haben die Aufgabe, die möglichen Bedeutungen und damit die möglichen normativen Implikationen

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dieser Texte abzustecken. Das Verfahren in dieser ersten Ebene ist seiner Struktur nach hypothetisch-deduktiv. Eine Besonderheit in der Methode des Textverstehens im Sinne hermeneutischer Konzepte halte ich nicht für gegeben. Anders sieht es in der zweiten Ebene aus, bei der es um die Auswahl unter konkurrierenden Normhypothesen geht. Diese Auswahl ist stets durch wertende Entscheidungen des Interpreten bedingt, wobei die im positiven Recht mit Notwendigkeit bestehenden Freiräume als Auftrag an den Interpreten zur wertungsbedingten Interpretationsentscheidung deutbar sind. Beide Schichten haben in der Rechtswissenschaft ihre Berechtigung; beide sind prinzipiell gleichrangig, in ihren Argumentationsvoraussetzungen verschieden, logisch trennbar und in ihrer Kombination unverzichtbar. Grundlage der wertenden Entscheidung ist letzten Endes eine vom Interpreten gesetzte Norm. Diese Norm eigenständig einzuführen, ist nicht nur Aufgabe der entscheidungspflichtigen Rechtsanwendungsinstanzen, sondern auch legitimes Tun der wissenschaftlichen Rechtsbehandlung. Da die absolute Geltung von Werten weder beweisbar noch widerlegbar ist, lassen sich die vom Wissenschaftlichkeitspostulat geforderte Objektivität und Rationalität in dieser zweiten Ebene nur aber auch ausreichend dadurch erfüllen, daß die Prämissen der Argumentation offengelegt werden und innere Schlüssigkeit besteht. Das bedeutet natürlich keine Immunisierung der getroffenen Wertentscheidungen selbst. Diese können vielmehr unter Anwendung anderer Wertvorstellungen kritisiert werden. Vieles deutet darauf hin, daß die Methodendiskussion in der Rechtswissenschaft jenes Ereignis oder besser gesagt jene Kette von Ereignissen und Auseinandersetzungen, die man als jüngeren Positivismusstreit in der Sozialwissenschaft bezeichnet, nicht mit der nötigen Intensi tät und vor allem nicht in der gebotenen Breite verarbeitet hat. Es geht nun keineswegs darum, eine gewaltsame Synthese zwischen den dort vertretenen Auffassungen zu erzwingen. Die hier skizzierte methodologische Position, die ich als Modell einer analytischen Wertungsjurisprudenz bezeichnen möchte, steht dem kritischen Rationalismus näher als der kritischen Gesellschaftstheorie. Wie immer man die Positionsbestimmung vornehmen mag, entscheidend ist immer die Frage nach dem Umgang der Rechtswissenschaft mit Wertungen. Sowohl extreme Berührungsangst als auch die Vorstellung vom Vorhandensein irgendwelcher Evidenzen oder Notwendigkeiten im Wertungsbereich sollten vermieden werden.

ZUM PARADIGMENWECHSEL IM JURISTISCHEN METHODENSTREIT* Von Werner Krawietz, Münster

I. Die Bestimmung des gegenwärtigen Standortes der westdeutschen Jurisprudenz und ihrer Basis in Philosophie und Wissenschaften erscheint heute nötiger denn je. Eine derartige Ortsbestimmung der Jurisprudenz ist freilich nicht zu leisten ohne eine Reflexion auf die Entwicklung, die das Rechtsdenkenseit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in den drei Jahrzehnten, die auf die Gründung der Bundesrepublik Deutschland folgten, durchlaufen hat l • Wer es unternimmt, einen derartigen Rückblick auf die Entwicklung des rechtlichen Denkens und juristischen Argumentierens in den vergangenen Jahrzehnten anzustellen, um zu einer realistischeren Einschätzung seiner gegenwärtigen und künftigen Entwicklungsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten zu gelangen, dem können bestimmte Entwicklungstendenzen nicht verborgen bleiben, in denen sich ein gewisser Wandel und eine allmähliche Neuorientierung des Rechtsdenkens ankündigen. Versucht man dabei, zwischen den verschiedenen Ebenen juristischen Denkens und Argumentierens zu unterscheiden, die sich in der westdeutschen Jurisprudenz freilich bloß konventionell herausgebildet haben, aber gerade deswegen alles weitere Vorgehen in Lehre und For• Um diesen Beitrag von der vorwiegend historischen Rekonstruktion des Paradigmenwechsels in der Jurisprudenz zu entlasten, habe ich die einschlägigen ersten Abschnitte meines Retzhofer Vortrages in detaillierterer Fassung inzwischen an anderer Stelle veröffentlicht. VgI. hierzu jetzt: Werner Krawietz, Zur Kritik der Juristischen Methodenlehre seit Friedrich Carl von Savigny. In: Savigny y la Ciencia Juridica deI Siglo XIX, Granada 1979 (Anales de la Catedra Francisco Suarez N0 18 - 19 - 1978 - 1979), S. 101 - 131. Die Abschnittsüberschrift des dritten Teils meines Vortrages ist damit zum Titel des wesentlich überarbeiteten Beitrages avanciert. Die gleichfalls in Retzhof vorgetragene Analyse der soziologischen Jurisprudenz ("Wie soziologisch ist die soziologische Jurisprudenz?") habe ich einer hiervon getrennten Veröffentlichung vorbehalten. 1 Eingehend zum Verhältnis von dogmatischer Rechtswissenschaft und rechtswissenschaftlicher Grundlagenforschung, insbes. zur Standortbestimmung heutiger Jurisprudenz: Werner Krawietz, Juristische Entscheidung und wissenschaftliche Erkenntnis, Wien - New York 1978, S. 155 ff. et passim. 8 Rechtstheorie, Beiheft 1

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schung in bestimmte Bahnen lenken, so lassen sich vor allem drei Ebenen benennen: (I) Die Ebene der am jeweils geltenden Recht und seiner Anwendung orientierten, in Teildisziplinen organisierten dogmatischen Rechtswissenschaft und der von ihr jeweils betreuten, d. h. angeleiteten und kontrollierten Rechtspraxis, die allerdings stets nur ausschnittweise, nämlich begrenzt auf Sektoren des Privatrechts, Strafrechts oder Öffentlichen Rechts und seiner Anwendung, als voneinander abhängi., ge Gegenstandsbereiche juristischen Denkens und Argumentierens in den Blick geraten. (2) Die Ebene der Juristischen Methodenlehre dogmatischer Rechtswisschenschaft. (3) Die Ebene der von der dogmatischen Rechtswissenschaft und der von ihr entwickelten Juristischen Methodenlehre - zumindest implizite - vorausgesetzten Rechtstheorie und Rechtsphilosophie, die als Theorie und Philosophie des Rechts dem juristischen Denken und Argumentieren jeweils zugrunde liegt. Angesichts der im staatlich organisierten Rechtssystem bestehenden Interdependenz von Rechtswissenschaft und Rechtspraxis ist auf sämtlichen, hier analytisch unterschiedenen Ebenen2 juristischen Denkens und Argumentierens dieser wechselseitigen Abhängigkeit Rechnung zu tragen. Dies geschieht innerhalb der Jurisprudenz üblicherweise dadurch, daß - abgesehen von dem auf der ersten Ebene bereits thematisierten, unmittelbar sinnfälligen, vor allem entscheidungspraktischen Zusammenhang zwischen dogmatischer Rechtswissenschaft und Rechtspraxis - auf der Ebene der Juristischen Methodenlehre von der Annahme ausgegangen wird, die von der dogmatischen Rechtswissenschaft entwickelte Juristische Methodenlehre besitze eine entscheidungspraktische Relevanz auch in den einzelnen Bereichen der Rechtspraxis, in denen freilich die juristische Methodik des Umgangs mit dem in Rechtstexten fixierten, geltenden Recht in methodologischer Hinsicht bislang noch mehr oder weniger unreflektiert praktiziert wird. Auch sucht die Jurisprudenz, was die dritte Ebene juristischen Denkens und Argumentierens angeht, einer stärker praxisorientierten Konzeption der zugehörigen Theorie und Philosophie des Rechts dadurch Rechnung zu tragen, daß sie - anders als eine praxisunabhängige Theorie und Philosophie des Rechts - stärker als bisher der in der Entwicklung der Jurisprudenz zur Fachwissenschaft von Anfang an durchaus geläufigen Verbindung zwischen praktischer % Vielfältige Anregungen für die Unterscheidung dieser Ebenen hat mir das hilfreiche Gespräch mit Jerzy Wr"blewski vermittelt, auch wenn ich mich zur konsequenten Verfolgung der von ihm aufgezeigten möglichen Abstraktionsniveaus aus verschiedenen Gründen hier noch nicht entschließen konnte.

Zum Paradigmenwechsel im Juristischen Methodenstreit

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(dogmatischer) Rechtswissenschaft und praktischer Philosophie nachgeht3 • Diese Verbindung wird heute vor allem in der beiden Disziplinen gemeinsamen Ausgangsfrage danach erblickt, was wir tun sollen. Ich begnüge mich im folgenden aus heuristischen Gründen mit der Unterscheidung dieser drei Ebenen juristischen Denkens und Argumentierens, da sie in der westdeutschen Jurisprudenz nun einmal gebräuch-

lich und allgemein akzeptiert ist. Sie kann daher auch für die Zwecke dieser Untersuchung als Ausgangspunkt dienen, doch handelt es sich selbstverständlich um eine bloß konventionelle und daher durchaus vorläufige, keineswegs endgültige Unterscheidung und Abgrenzung. Sie reflektiert nicht die Vielfalt der heute in der rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung vertretenen Denkansätze und der auch schon im Detail sehr weit vorangetriebenen Forschungsrichtungen, dürfte jedoch ausreichen, um den Wechsel und Wandel zu belegen, der innerhalb der Jurisprudenz in den jeweiligen Paradigmata juristischen Denkens und Argumentierens zum Ausdruck gelangt, aber erst im Laufe der Zeit sichtbar wird, wenn man die tradierte juristische Logik und Hermeneutik des Umgangs mit dem geltenden Recht - und das heißt immer auch seiner Anwendung! - einer differenzierteren Betrachtungsweise unterwirft als ihrem bisherigen mehr oder weniger unreflektierten Selbstverständnis entspricht4• Die Erfüllung der hiermit gestellten Aufgabe wird freilich dadurch erschwert, daß der Streit um die richtige juristische Methode in Rechtswissenschaft und Rechtspraxis auch gegenwärtig noch immer gänzlich unabgeschlossen ist, so daß die bloße Analyse der in der Rechtspraxis, insbesondere in der juristischen Entscheidungspraxis anfallenden Paradigmata rechtlichen Denkens und Argumentierens in Ermangelung durchgängig verbindlicher, nicht bloß formaler Relevanzschemata juristischen Begründens und Entscheidens eine entmutigende Fülle und Vielfalt von unterschiedlichen Denk- und Problemansätzen offenbartlI. Dieser Umstand legt es nahe, zumindest vorläufig auf konkrete, allzu vordergründige inhaltliche Detailanalysen der praktischen Ergebnisse juristischen Denkens und Argumentierens, die der soeben umrissenen ersten Ebene zuzurechnen wären, vorerst zu verzichten, um zunächst einmal durch eingehende Analysen der tradierten juristischen Methodik bzw. Methodenlehre und ihre Konfrontation mit den bisherigen Ergebnissen der modernen rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung die a Krawietz, a.a.O. (N. 1), S. 234 ff., 237. , Vgl. Ralf Dreier, Zum Selbstverständnis der Jurisprudenz als Wissenschaft. In: Rechtstheorie 2 (1971), S. 37 - 54,39 ff. 11 Hierzu vor allem die materialreichen Analysen von: Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 2. Aufl., Berlin 1976, S. 310 ff.; Görg Haverkate, Gewißheitsverluste im juristischen Denken. Zur politischen Funktion der juristischen Methode, Berlin 1977, S. 119 ff., 121.

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Wemer Krawietz

Anforderungen abzuklären, die heutzutage an eine juristische Logik und Hermeneutik des Umgangs mit dem geltenden Recht zu stellen sind. Der Vorteil eines derartigen Vorgehens kann darin erblickt werden, daß durch eine Orientierung an dem konventionellen juristischen bzw. fachwissenschaftlichen Problemverständnis von vornherein dem Vorwurf begegnet werden kann, hier werde eine dem rechtlichen Denken und Argumentieren gar nicht mehr adäquate Problemsicht von außen an das geltende Recht herangetragen, welche den normativen Prämissen des Rechts und der genuin fachwissenschaftlichen Perspektive der Jurisprudenz nicht gerecht zu werden vermag. 11.

Der gegenwärtig allenthalben deutlich zutage tretende, am jeweiligen Denk- und Problemansatz und der Art des juristischen Argumentierens, Begründens und Entscheidens ablesbare Wandel im Rechtsdenken, der sich in Rechtswissenschaft und Rechtspraxis auf zahlreichen Rechtsgebieten schon vollzogen hat und noch vollzieht, ist vielen zeitgenössischen Beobachtern, darunter auch auf ihrem jeweiligen Fachgebiet ganz hervorragenden Fachjuristen und Fachwissenschaftlern, bis auf den heutigen Tag noch weitgehend verborgen geblieben8 • Das mag daran liegen, daß sie gewöhnlich nur einzelne Teilgebiete des Rechts und des staatlich organisierten Rechtssystems vor Augen haben7• Es handelt sich jedoch um eine Entwicklung, die bereits sämtliche Ebenen der tradierten Jurisprudenz und ihre Basis in· Philosophie und Wissenschaften erfaßt hat, so daß ihre Relevanz erst deutlich wird, wenn man die vielfältigen Symptome einer Neuorientierung des Rechtsdenkens insgesamt in das Mosaik eines zusammenfassenden überblicks einrückt. Charakteristisch für diese Entwicklung ist, daß sie sich zunächst an der Basis der Jurisprudenz in Philosophie und Wissenschaften in Form eines sich wandelnden Verständnisses der Grundlagen staatlich organisierter Rechtssysteme und des Geltungsgrundes allen Rechts - also relativ fern vom Zentrum konventioneller dogmatischer Jurisprudenz, auf der soeben gekennzeichneten dritten Ebene des Rechtsdenkens - vollzogen hat, mit der Folge, daß auch die bisherige juristische Methodik und Methodenlehre - also das vornehmlich methodologisch orientierte Rechtsdenken der zweiten Ebene - nach und nach in Mitleidenschaft gezogen wurde in dem Sinne, daß eine kritische Reflexion der methodologischen Grundlagen des tradierten Rechtsdenkens, vor allem im Bereich der mit der Rechtsanwendung befaßten Technik juristischen Argumentierens,

Krawietz, a.a.O. (N. 1), S. 157 f. Gegen eine engherzige, vermeintlich gegenstands bedingte Bereichsbegrenzung der Juristischen Methodenlehre jetzt auch: Kriele, a.a.O. (N. 5), 8

7

s. 338 ff.

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Begründens und Entscheidens, nunmehr als Kritik der konventionellen Juristischen Methodenlehre in Erscheinung trat. Nur die tradierte dogmatische Jurisprudenz, das heißt die herkömmliche Praktische Rechtswissenschaft, sowie die von ihr betreute Rechtspraxis, deren Aktivitäten in ihrem Kernbereich sämtlich auf der ersten Ebene des Rechtsdenkens angesiedelt sind, vermochten unter Berufung auf die von ihnen verfolgten praktischen Erkenntnisinteressen und juristischen Entscheidungsbedürfnisse, sich lange Zeit aus der unvermeidlichen Diskussion der Grundlagen allen Rechts und seiner Anwendung herauszuhalten. Dieser binnendogmatische fach wissenschaftliche Solipsismus hat seine Gründe. Gedanklich eingeschlossen in die konventionelle Begrifflichkeit des geltenden Rechts und der juristischen Fachsprache und damit in ihrem Erkenntnisvermögen begrenzt durch die Eigenart der tradierten Begriffs- und Systembildung, konnte die Jurisprudenz sich in ihrem rechtsdogmatischen Denken und Argumentieren - also auf der ersten Ebene des Rechtsdenkens - bei der gedanklichen systematischen Durchdringung des geltenden Rechts und der Bewältigung der aus seiner Anwendung erwachsenden juristischen Entscheidungsprobleme am längsten gegenüber allen kritischen Einflüssen insulieren. Sie neigt dabei zu der - allerdings gänzlich unzutreffenden - Annahme, daß der vermeintlich bloß außerhalb ihrer selbst sich vollziehende Wandel im Rechtsdenken und im Verständnis der Geltungsgrundlagen staatlich organisierter Rechtssysteme für die mit dem geltenden Recht und seiner Anwendung befaßte dogmatische Rechtswissenschaft als solche jedenfalls ohne Belang sei8 • Für das bloß konventionelle, traditionell noch ungebrochene Selbstverständnis der Jurisprudenz und mancher Juristen scheint daher auch heute in weiten Bereichen dogmatischer Rechtswissenschaft vermeintlich alles beim alten geblieben zu sein. Das ist selbstverständlich ein Irrtum! Er erklärt aber hinlänglich, warum eine bloße Apologetik der Jurisprudenz, die der dogmatischen Rechtswissenschaft nach wie vor pauschal ihre Eigenständigkeit bescheinigt, um sie gegen das Eindringen unliebsamer Kritik zu imprägnieren, allzu gern Gehör und bereitwillige Zustimmung auch dort findet, wo kritische Skepsis und eine sorgfältige Auseinandersetzung mit neuen Denkanstößen eher angebracht wären. Kaum jemand wird etwas gegen die nahezu triviale Feststellung einwenden wollen, daß die Jurisprudenz sich seit geraumer Zeit zu einer im Verhältnis zu den übrigen Handlungswissenschaften relativ selbständigen Fachwissenschaft entwickelt hat, die als solche auf Grund und nach Maßgabe ihrer spezifischen Fachperspektive und Methodik Leistungen erbringt, die durch diejenigen anderer Fachwissenschaften nicht ersetzt werden können. Jedoch gewinnt unter den gegebenen Umständen die 8

Eingehend hierzu: KrCJwietz, a.a.O. (N. 1), S. 192 ff.

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übliche Berufung auf die sogenannte Eigenständigkeit der Jurisprudenz nicht selten die charakteristischen Züge einer Vorurteilsstruktur, die bisweilen als solche gar nicht durchschaut wird, insbesondere nicht von denjenigen, die mit dem Brustton der überzeugung für eine fachperspektivisch gar nicht mehr zu rechtfertigende Eigenständigkeit der ,Turisprudenz plädieren. Offensichtlich dient nämlich die "Eigenständigkeit der Jurisprudenz" sehr häufig dazu, kritische Argumente als fachfremde, nicht zur Sache gehörige Kritik abzuwehren, sie damit als irrelevant zu qualifizieren und sie aus dem Bereich herauszukomplimentieren, der von der konventionellen dogmatischen Jurisprudenz "eigenständig" - und das heißt: ohne die unerwünschte Mithilfe und Kritik anderer Disziplinen! - bearbeitet wird9 • Auf diese Weise können kritische Einwände, die heute gegen gewisse fest eingelebte Praktiken juristischen Denkens und Argumentierens - und damit auch gegen die Wissenschaftlichkeit der konventionellen Jurisprudenz - von seiten der Erkenntnistheorie und Wissenschaftslehre aus der Sicht der Analytischen Philosophie und des Kritischen Rationalismus, der Kritischen Gesellschaftstheorie oder der Systemtheorie vorgetragen werden, als bloße "Angriffe, die von außen kommen"10, abqualifiziert und als unerwünschte fachfremde Einmischungen diskreditiert werden. Für den Nurjuristen, der von der "Eigenständigkeit" der Jurisprudenz ausgeht und seiner fachlich begründeten überzeugung nach auch weiterhin auszugehen hat, können sie daher prima vista - weil bloß von außen kommend - als Angriffe fachfremder Nicht juristen letztlich unmaßgeblich erscheinen. Diese vorurteilsbedingte Reaktionsweise liegt vor allem dann besonders nahe, wenn derartige Einwände - wie in der Regel - das bloß professionell geschulte, allzu einseitig nur auf die Technik und Theorie der Rechtsauslegung und Rechtsanwendung beschränkte Fachwissen und Erkenntnisvermögen des Juristen überfordern. Nicht von ungefähr macht sich daher unter Nurjuristen sehr häufig Ratlosigkeit gegenüber kritischen Einwänden breit, weil eine derartige Kritik in ihrer praktischen Relevanz für die juristischen Entscheidungsprobleme, mit denen Praktische Rechtswissenschaft und Rechtspraxis es nun einmal in erster Linie zu tun haben, nur schwer durchschaubar erscheint. Wer in dieser, durch das bestehende Informationsdefizit verursachten, aber selbstverschuldeten Rat- und Hilflosigkeit vieler Nurjuristen der tradierten Jurisprudenz auch noch bescheinigt, sie sei bereits von "vielfältigen Angreiferpositionen" umstellt und werde "heute von den verschiedensten Seiten aus in ihrem Wissenschaftsanspruch" bedrohtU, der fördert - ob • Exemplarisch: Uwe Diederichsen, Die Eigenständigkeit der Jurisprudenz. In: Horst Heinrich Jakobs u. a. (Hrsg.), Festschrift für Flume zum 70. Geburtstag, Band 1, Köln 1978, S. 283 - 300. 10 Diederichsen, ebd., S. 284 ff., 297. 11 Pers., ebd., S. 283 f.

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gewollt oder nicht - das unter Juristen geläufige, aber in seinen Auswirkungen überaus gefährliche Vorurteil, es gehe nur mehr darum, sich gegen alle "Angriffe, die von außen kommen", zu verteidigen, um ihnen gegenüber - koste es, was es wolle! - die "Eigenständigkeit der Jurisprudenz" zu wahren l2 • Auch versucht man, sich gegen eine methodologisch oder rechtstheoretisch bzw. rechtsphilosophisch begründete Kritik der Jurisprudenz zu immunisieren, indem man etwaigen Kritikern von vornherein ohne nähere Prüfung pauschal die Orientierung an und Erfahrung mit der juristischen Entscheidungspraxis abspricht und den Eindruck zu erwecken sucht, daß alle derartigen "Angriffe gegen die Eigenständigkeit der Jurisprudenz" typischerweise "vorwiegend von Theoretikern ohne oder mit nur geringer praktischer Erfahrung bzw. von ,Praktikern' mit theoretischen Ambitionen" gestartet werdenl3 • Wer als Jurist heute noch glaubt, an der Jurisprudenz geübte, methodologisch oder rechtstheoretisch begründete Kritik gleichsam a limine abweisen zu können mit der stark vorurteilsverdächtigen Behauptung, sie sei weil ihm mangels Information nicht verständlich! - wohl zu theoretisch und jedenfalls nicht praktisch genug, so daß auch eine Auseinandersetzung mit ihr entbehrlich sei, der täuscht sich gründlich. Neue Denkanstöße, die auf eine Dogmatikkritik hinauslaufen, sind nicht schon deswegen "Angriffe" gegen die Jurisprudenz, weil sie letztere zu einem Umdenken nötigen. Die unvermeidliche Auseinandersetzung mit den Grundlagen des geltenden Rechts und seiner Anwendung sollte nicht auf Grund und nach Maßgabe eines Freund-Feind-Denkens erfolgten, das die praktische Relevanz methodologischer bzw. rechtstheoretischer Positionen nach Maßgabe ihrer Eignung für die Verteidigung des bzw. den Angriff auf den von der dogmatischen Jurisprudenz zur Zeit erreichten Status quo beurteilt. Auch kommen derartige Denkanstöße, soweit sie sich methodologischer oder rechtstheoretischer Argumente bedienen, keineswegs bloß "von außen", so daß man ihnen nicht allein deswegen jede Relevanz abzusprechen vermag, denn Juristische Methodenlehre und Rechtstheorie bzw. Rechtsphilosophie gehören zu den basalen Disziplinen der Jurisprudenz. Und selbst wenn sie vermeintlich "von außen" kommen, weil es sich um die Verarbeitung von Denkanstößen handelt, die sich den zeitgenössischen Positionskämpfen zwischen Hermeneutik und Analytischer Philosophie, Kritischem Rationalismus und Kritischer Gesellschaftstheorie oder Systemtheorie verdanken l4 , ist gleichwohl nicht auszuschließen, daß sie für die Neuorientierung der Jurisprudenz Relevanz besitzen. Auch in der dogmatischen Jurisprudenz selbst - also auf der ersten Ebene rechtlichen Denkens und Argumentierens - ist die Ders., ebd., S. 297. Ders., ebd., S. 300. 14 Eingehend hierzu jetzt: Andres Ollero, Rechtswissenschaft und Philosophie - Grundlagendiskussion in Deutschland, Ebelsbach 1978, S. 25 ff. I!

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durch die rechtswissenschaftliche Grundlagenforschung induzierte Auseinandersetzung um eine Neubestimmung und Neubegründung dogmatischer Jurisprudenz längst in vollem Gange. In der Tat resultieren hieraus eine Reihe von Argumenten, die sämtlich auf der Linie einer Dogmatikkritik bzw. einer Positivismuskritik15 liegen und die konventionelle dogmatische Jurisprudenz mit der Notwendigkeit konfrontieren, ihr bislang allzu einseitig an den traditionellen Erfordernissen einer Zusammenarbeit von Rechtspraxis und Praktischer Rechtswissenschaft orientiertes Handlungs- und Forschungsparadigma zu überprüfen.

In. Auch wenn die Diskussion um eine Neubegründung der Jurisprudenz gegenwärtig noch unabgeschlossen und ihre aktuelle Entwicklung nach wie vor weit davon entfernt ist, eine endgültige Bilanz zuzulassen, ist schon jetzt erkennbar, daß der Prozeß einer Neuorientierung und Neubegründung des Rechtsdenkens bereits so nachhaltige Auswirkungen gezeitigt hat und auch weiterhin noch zeitigen wird, daß es durchaus nicht übertrieben ist, im Hinblick darauf von einer Transformation der Rechtswissenschaft selbst zu sprechen. Sie zeichnet sich in ihren Konturen allenthalben schon deutlich sichtbar ab. Die tiefgreifende Neuorientierung des Rechtsdenkens, von der ich hier spreche, hat sich - wie immer, wenn es um einen wirklichen Wandel bzw. um echte Neuerungen in den wissenschaftlichen Auffassungen geht - zunächst nur sehr langsam, ganz allmählich und im wesentlichen ohne irgendwelche spektakuläre, nach außen weithin sichtbare Umbrüche vollzogen. Ein derartiger Wandel wird den Beteiligten in seinen vielfältigen Voraussetzungen und Folgen - wenn überhaupt - erst in seinem Verlaufe im Nachhinein bewußt, weil er sich in ihrem Rechtsdenken selbst zugetragen hat". Das macht es auch für uns schwierig, seine Voraussetzungen und Implikationen überhaupt zu erkennen, um seine mutmaßlichen Folgen und Auswirkungen abschätzen zu können. Es hieße, den zeitlichen Rahmen einer kritischen Rekonstruktion der Entwicklung des Rechtsdenkens und einer Reflexion auf seine Voraussetzungen und ImpZikationen viel zu eng bemessen, wenn man sich dabei auf die Analyse seiner Entwicklung seit der Nachkriegszeit beschränken wollte. Auch dürfte es sich hier eher um einen Vorgang handeln, dessen Verlauf seine charakteristischen Züge nicht bloß der nationalen, sondern auch der internationalen Entwicklung des Rechtsdenkens verdankt, so daß es sich durchaus nicht um

Ollero, ebd., S. 51 ff. Einen Versuch in dieser Richtung unternimmt: Werner Krawietz, Funktion und Grenzen dogmatischer Rechtswissenschaft. In: Recht und Politik. Vierteljahreshefte für Rechts- und Verwaltungspolitik 4 (1970), S. 150 - 158, 151 ff., 154. 1&

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eine bloß westdeutsche bzw. überhaupt nicht um eine bloß deutsche Angelegenheit handeJt17. Gleichwohl werde ich im folgenden bei meiner Bestimmung des gegenwärtigen Standortes der westdeutschen Jurisprudenz und ihrer Basis in Philosophie und Wissenschaften den von mir im Hinblick auf das geltende Recht und seine Anwendung diagnostizierten, in der Jurisprudenz allenthalten sichtbar werdenden Paradigmenwechsel aus naheliegenden Gründen vornehmlich in der Entwicklung des deutschen Rechtsdenkens nachzuweisen suchen. Wer demnächst einmal vor die Aufgabe gestellt werden wird, die Geschichte des deutschen Rechtsdenkens und seiner Entwicklung im 20. Jh. zu schreiben, dessen Ende schon unmittelbar vor uns liegt, könnte geneigt sein, der westdeutschen Jurisprudenz der Nachkriegszeit anzukreiden, daß sie zunächst das konventionelle, aus der Vorkriegszeit überkommene, zum Teil auch während des Zweiten Weltkrieges durchgehaltene Rechts- und Selbstverständnis der Jurisprudenz wiederbelebte, restaurierte und bisweilen auch ein wenig kritiklos als Ausgangspunkt übernahm, so daß damit wohl überwiegend ein eher restauratives Rechtsdenken bestätigt und befestigt wurde. Als Beleg dafür ließe sich das vor allem im ersten Nachkriegsjahrzehnt virulente Naturrechtsdenken18 anführen, das eine realistische Einschätzung des geltenden Rechts und seiner Anwendung lange Zeit eher behindert als gefördert hat und dessen Fernwirkungen auch heute noch durchaus spürbar sind. Auch könnte man darauf hinweisen, daß die konventionelle, von Juristen für Juristen betriebene Rechtsphilosophie zumindest in den ersten beiden Jahrzehnten der Nachkriegszeit das Rechtsdenken auf die längst ausgetretenen, verengten Bahnen einer Juristenphilosophie19 verwiesen habe, deren Verfolgung der Normativität des jeweils geltenden Rechts in seiner Vielschichtigkeit gar nicht gerecht zu werden vermochte. Ich selbst könnte mich derartigen Einschätzungen nicht vorbehaltlos anschließen, weil ich die ihnen zugrunde liegenden Auffassungen für zu eng, zu einseitig und zu pauschal 17 Ders., Juristische Methodik und ihre rechtstheoretischen Implikationen. In: Hans Albert 1Niklas Luhmann 1Werner Maihofer IOta Weinberger (Hrsg.), Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, Düsseldorf 1972 (Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Band 2), S. 12 - 42, 19 ff., 30 ff. 18 Thomas Würtenberger, Wege zum Naturrecht in Deutschland 1946 - 1948. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 38 (1949/50), S. 98 -138; ders., Neue Stimmen zum Naturrecht in Deutschland 1948 -1951. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 40 (1952/53), S. 576 - 597; Hans Dieter Schelauske, Naturrechtsdiskussion in Deutschland. Ein überblick über zwei Jahrzehnte 1946 - 1965, Köln 1968. 18 Peter Schneider, Naturrechtliche Strömungen in deutscher Rechtsprechung. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 42 (1956), S. 98 -111; Hermann Weinkauff, Der Naturrechtsgedanke in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. In: Neue Juristische Wochenschrift 13 (1960), S. 1689 -1696.

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halte. Sie sind zu eng, weil sie die Entwicklung des Naturrechtsdenkens der Nachkriegszeit allzu vordergründig bloß als Reaktion auf die Perversion des Rechtsdenkens unter dem Nationalsozialismus interpretieren. Von diesem Denkansatz kann man bestenfalls zur Thematisierung und Wiederaufnahme des altbekannten Gegensatzes zwischen positivem Recht und überpositivem Recht bzw. Naturrecht gelangen20 , um sich sodann um die vermeintlich ewige Wiederkehr des Naturrechtsdenkens bzw. des Rechtspositivismus Sorgen zu machen21 , jedoch nicht zu einer "eatistischeren Beurteilung der Entwicklung des Rechts und des Rechtsdenkens vordringenl!2, dessen Transformationen in der Entwicklung der Jurisprudenz selbst längst deutlich sichtbar zutage treten. Sie sind zu einseitig, weil sie die innovationsträchtigen Aspekte dieser Entwicklung ignorieren bzw. unterschlagen, die darin zu erblicken sind, daß im Verhältnis zur dogmatischen Jurisprudenz gerade durch das Naturund Vernunftrechtsdenken und die Versuche seiner Wiederaufnahme und Fortführung stets auch Formen eines Rechtsdenkens in Alternativen gefördert worden sind, deren Einfluß auf die rechtswissenschaftliche Grundlagenforschung keineswegs unterschätzt werden darf. Sie sind endlich zu pauschal, weil eine realistische Analyse juristischen Argumentierens, Begründens und Entscheidens, wie es in Rechtspraxis und Praktischer Rechtswissenschaft tagtäglich praktiziert wird, auf eine sorgfältige Untersuchung der Paradigmata rechtlichen HandeIns und ju"istischen Entscheidens und der von der Jurisprudenz ihrem Rechtsdenken jeweils zugrunde gelegten Relevanzschemata und Forschungsstrategien nicht verzichten kann. Aus dem zeitlichen Abstand heraus, den wir inzwischen gegenüber der Entwicklung des Rechtsdenkens in den ersten Nachkriegsjahrzehnten gewonnen haben, muß auffallen, daß trotz aller restaurativer Tendenzen schon zu Beginn der 50er Jahre dieses Jahrhunderts auf nationaler wie auf internationaler Ebene zahlreiche Ansätze zu einer Neubegründung des Rechtsdenkens gemacht wurden, die unser Rechtsdenken zugleich, wie erst heute vollends deutlich wird, ganz allmählich in neue Bahnen gelenkt haben. Im Nachhinein erscheinen mir vor allem !O Dazu und zum folgenden: Walter Kerber, Positives Recht versus Naturrecht? In: Anselm Hertz I Wilhelm Korff I Trutz Rendtorff I Hermann Ringeling (Hrsg.), Handbuch der Christlichen Ethik, Band 2, Freiburg - Basel - Wien 1978, S. 300 - 311. It Franz Böckle, Wiederkehr oder Ende des Naturrechts? In: Ders. I ErnstWolfgang Böckenförde (Hrsg.), Naturrecht in der Kritik, Mainz 1973, S. 304311. ft Hierzu neuerdings: Herbert Schambeck, Der Stand der Naturrechtsdiskussion heute. In: Eduard Kroker I Theodor Veiter (Hrsg.), Rechtspositivismus, Menschenrechte und Souveränitätslehre in verschiedenen Rechtskreisen, Wien - Stuttgart 1976, S. 11- 37; Gerhard Otte, Was darf man vom Naturrecht erwarten? In: Ulrich Nembach (Hrsg.), Begründungen des Rechts, Göttingen 1979, S. 9 - 21.

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zwei Vorgänge als nachhaltig bedeutsame, im ganzen gesehen doch recht einschneidende Entwicklungen, die zunächst einer weiteren juristischen Öffentlichkeit gar nicht als solche bewußt wurden, aber allmählich für die Eigenart juristischen Denkens, Argumentierens und Entscheidens wachsende Relevanz gewannen und bis auf den heutigen Tag behalten haben, nämlich die Problematisierung des tradierten Rechtsdenkens und der Jurisprudenz durch Logik und Rhetorik. Was die neuen Denkanstöße angeht, die seit Anfang der 50er Jahre von der Anwendung moderner formaler Logik auf das Recht und die Rechtsanwendung bzw. auf die Jurisprudenz ausgingen, so handelte es sich um eine Entwicklung, die nicht nur zu gewandelten Auffassungen von der bisherigen juristischen Logik23 führte, sondern mit der Entwicklung der deontischen Logik24 bzw. der Normenlogik 25 auch eine Neubegründung der Weisen juristischen Denkens, Argumentierens und Entscheidens in die Wege leitete, deren Ausmaß, Voraussetzungen und Folgen erst heute aufgrund der inzwischen erzielten Fortschritte der Normenlogik im Recht und in der Jurisprudenz selbst auch das Bewußtsein zumindest der juristischen Öffentlichkeit zu verändern beginnen26• Es muß auffallen, daß in eben diesem Zeitraum - parallel zur Entwicklung der deontischen Logik bzw. der Normenlogik und ihrer Anwendung in Recht und Rechtswissenschaft - gleichzeitig auch eine Wiederbelebung und Fortentwicklung der in Topik und Rhetorik entwickelten Technik der Behandlung rechtlicher Texte und des Umgangs mit juristischen Entscheidungsproblemen erfolgtenZ7, die sich seither in vielfältigen Bestrebungen niedergeschlagen haben, zu einer neuen Topik ll8 bzw. einer neuen Rhetorik'lt 23 Nach wie vor lesenswert: Ulrich Klug, Juristische Logik, 1. Aufl. 1951, zit. 3. Aufl. Heidelberg - New York 1966, S. VIII, 5 f. et passim. U GeoTg HenTik von WTight, Deontic Logie. In: Mind 60 (1951), S. 1 -15; deTs., Deontie Logie Revisited. In: Rechtstheorie 4 (1973), S. 37 - 46; Georges Kalinowski, Theorie des propositions normatives. In: Studia logiea 1 (1953), S. 147 - 182; ders., Die präskriptive und die deskriptive Sprache in der deontischen Logik. In: Rechtstheorie 9 (1978), S. 411- 420; Ota Weinberger, Die Sollsatzproblematik in der modernen Logik (zuerst Diss. Brunn 1950, gedruckt Prag 1958). Erneut abgedruckt in: ders., Studien zur Normenlogik und Rechtsinformatik, Berlin 1974, S. 59 -186; ders., Rechtslogik, Wien - New York 1970. IB GeoTges Kalinowski, Einführung in die Normenlogik, Frankfurt a. M. 1972, S. 113 ff., 135 ff. plädiert mit Grund dafür, die Normenlogik "im Dienste der juristischen Logik" sehr viel stärker als bisher "in enger Verbindung mit der Semiotik der wirklichen normativen Sprache" auszuarbeiten. Vgl. ferner: Jürgen Rödig, Schriften zur juristischen Logik, Berlin - Heidelberg - New York 1979; Ota Weinberger, Logische Analyse in der Jurisprudenz, Berlin 1979; ChTistiane Weinberger IOta Weinberger, Grundzüge der Normenlogik und ihrer semantischen Basis. In: Rechtstheorie 10 (1979), S. 1- 47. 11 WeTneT Krawietz, Juristische Logik. In: Joachim Ritter I Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 5, Basel - Stuttgart 1980. !7 Noch immer grundlegend: TheodoT Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 1. Auf!. 1953, zit. 5. Aufl., München 1974.

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und einer ihnen gemäßen Jurisprudenz bzw. Juristischen Methodenlehre zu gelangen. In dem Maße, in dem in Logik, Topik und Rhetorik der Versuch unternommen wurde, auch im Recht und seiner Anwendung zur Kennzeichnung und Charakterisierung der konventionellen juristischen Praxis rechtlichen Denkens, Argumentierens, Begründens und Entscheidens an das faktische Erleben normativen Sinns und seine sprachliche Artikulation im geltenden Recht anzuknüpfen, mußten auch die überkommene dogmatische Jurisprudenz und die zugehörige Juristische Methodenlehre in ihrer gesamten Konzeption wie im Detail als nicht unproblematisch und die tradierte Eigenart ihres Denkens und Argumentierens zumindest sub specie dieser Neuentwicklungen als aufklärungsbedürftig erscheinen. Wer die Genese dieser neuen Denkanstöße und Entwicklungen des Rechtsdenkens rekonstruiert, die sich vor allem im Verlaufe der letzten beiden Jahrzehnte vollzogen haben, dem wird sehr schnell deutlich, daß es gänzlich verfehlt wäre, sie als bloß von außen kommende - und daher für die Jurisprudenz als Fachwissenschaft vermeintlich irrelevante - Angriffe metajuristischer Disziplinen zu qualifizieren, die am geltenden Recht und seiner Anwendung eine fachfremde Kritik zu üben suchen. Vielmehr geht es um den Wandel und die Neubestimmung der Jurisprudenz im Verhältnis zu ihrer Basis in Philosophie und Wissenschaften, durch welche auch ihr bisheriges Selbstverständnis als Fachwissenschaft in Mitleidenschaft gezogen wird. Die Einsicht, daß es sich im Grunde um einen inneren Wandel des Rechtsdenkens in Rechtswissenschaft und Rechtspraxis handelt, verdankt sich vor allem begriffsgeschichtlichen Analysen, die inzwischen für alle wesentlichen Phasen seiner neueren Entwicklung vorliegen. Um diesen Wandel als Prozeß einer internen Differenzierung und Transformation des Rechtsdenkens zu erfassen, ist es freilich notwendig, einen sehr viel längeren Entwicklungszeitraum zu betrachten als bisher, weil die charakteristischen Veränderungen in der Jurisprudenz und der zugehörigen Juristischen Methodenlehre erst in der Langzeitperspektive erkennbar werden30• Dazu ist es erforderlich, die Entwicklung der Juristischen Methodenlehre zumindest seit dem 19. Jh. zu analysieren. 28 OttmaT Ballweg, Rechtswissenschaft und Jurisprudenz, Basel 1970; GeThaTd. Otte, Zwanzig Jahre Topik-Diskussion: Ertrag und Aufgaben. In: Rechtstheorie 1 (1970), S. 183 - 197; FTanz WieackeT, Zur Topikdiskussion in der zeit-

genössischen deutschen Rechtswissenschaft. In: Ernst von Caemmerer (Hrsg.) Xenion. Festschrift für Panayotis J. Zepos, Band 1, Freiburg i. Br. 1973, S. 391 ~

415.

It Chaim PeTelman / Lucie Olbrechts-Tyteca, Logique et Rhetorique. In: Revue Philosophique de la France et de l'Etranger 140 (1950), S. 1- 35; deTs./ dies., La Nouvelle Rhetorique. Traite de l'Argumentation, 1. Auf!. 1958, zit. 3. Aufl., Bruxelles 1976. 30 Hierzu: KTawietz, a.a.O. (N. 17), S. 30 ff.

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IV. Der tiefgreifende Wandel im Rechtsdenken von Rechtswissenschaft und Rechtspraxis, der schon seit geraumer Zeit die charakteristischen Züge eines Paradigmenwechsels angenommen hat, ist nicht allein ablesbar an den am jeweils geltenden Recht und seiner Anwendung orientierten Teildisziplinen dogmatischer Rechtswissenschaft und der von ihnen betreuten Rechtspraxis, die - langfristig gesehen - in der Tat die Eigenart ihrer juristischen Argumentation, Begründung und Entscheidung im Verlaufe der Zeit längst nachhaltig verändert haben. Er tritt vor allem in Erscheinung auf der Ebene der Juristischen Methodenlehre dogmatischer Rechtswissenschaft und der ihr jeweils zugrunde liegenden Rechtstheorie und Rechtsphilosophie. Ich beschränke mich aber im folgenden auf eine Analyse der Positionen und Standortveränderungen, die von der Jurisprudenz und der ihr zugehörigen Juristischen Methodenlehre seit Beginn des 19. Jhs. und vor allem zu Anfang des 20. Jhs. im Verlaufe des sog. Juristischen Methodenstreits sukzessive eingenommen wurden, um aus den jeweiligen Standortverschiebungen einige Rückschlüsse auf die Veränderung und den Wechsel der jeweiligen Paradigmata rechtlichen Denkens und Handelns und des juristischen Argumentierens zu gewinnen. Nach gängiger Auffassung ging und geht es im Juristischen Methodenstreit, der in Deutschland vornehmlich zwischen der im 19. Jh. zur Vorherrschaft gelangten Begrijjsjurisprudenz, einer mehr jreirechtli. ehen Jurisprudenz und der zu einer realistischeren Rechtsbetrachtung tendierenden Interessen- und Wertungsjurisprudenz mit Vehemenz vor allem an und seit der Wende vom 19. zum 20. Jhdt. ausgetragen wurde, vornehmlich um die richtige Methode der Identifikation, Auslegung und Anwendung des geltenden Rechts und um die Rechtsgewinnung im Einzelfalle. Erst ein aus heutiger Sicht angestellter, um eine auch ins Detail gehende Differenzierung bemühter Rückblick macht freilich deutlich, daß hier nicht methodologische Alternativen zur Debatte standen und stehen, zwischen denen wir heute bloß zu wählen brauchten. Tatsächlich hat sich die Juristische Methodenlehre der Interessen- und Wertungsjurisprudenz in der Praktischen Rechtswissenschaft wie in der Rechtspraxis längst durchgesetzt, doch ist damit die Entwicklung noch längst nicht zum Abschluß gelangt31 • In Wirklichkeit geht es um verschiedene, miteinander verbundene und zum Teil sich überschneidende Phasen eines vielschichtigen, aber nur als Einheit zu begreifenden Entwicklungsprozesses, der gegenwärtig noch unabgeschlossen istu . Das gilt 31 Eingehend: Werner Kr4wietz, Welche Methode lehrt die Juristische Me-

thodenlehre? In: JuS 10 (1970), S. 425 - 432. U Ders., Was leistet Rechtsdogmatik in der richterlichen Entscheidungspraxis? In: österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht 23 (1972), S. 47 80,68 ff.

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auch und gerade dort, wo die Eigenart der juristischen Methodik als solche den sie praktizierenden Juristen gar nicht mehr bewußt wird, weil sie allzu selbstverständlich geworden ist. Viele Juristen merken infolgedessen nicht einmal mehr, daß und in welchem Ausmaße sich die gängigen Paradigmata rechtlichen Denkens und juristischen Argumentierens bislang schon gewandelt haben und gegenwärtig im Begriffe sind, sich neuerlich zu verändern33• Es mag daher in der Tat manchem Betrachter als ein wenig spekulativ erscheinen, wenn hier ein an der Entwicklung der Jurisprudenz und der zugehörigen Juristischen Methodenlehre ablesbarer Paradigmenwechsel behauptet wird, weil jede Anhäufung noch so signifikanter rechtlicher Fallmengen und juristischer Fallbehandlungen und jede inhaltliche Analyse der jeweiligen juristischen Argumentationszusammenhänge und Begründungen, was die Eigenart des ihnen jeweils zugrunde liegenden Rechtsdenkens angeht, kaum wesentlich mehr zu leisten vermögen als der hier zu beweisenden Annahme eine gewisse Plausibilität zu verleihen. Ich werde daher im folgenden bestrebt sein, die in der juristischen Methodik der obigen Richtungen typischerweise hervortretenden charakteristischen Merkmale rechtlichen Denkens und juristischen Argumentierens herauszustellen, um ihren jeweiligen Stellenwert paradigmatisch zu kennzeichnen. Eine detaillierte geschichtliche Rekonstruktion des Juristischen Methodenstreits, dessen Darstellung sich dem Mißverständnis ausgesetzt sähe, nur Geschichte der Juristischen Methodenlehre um der Geschichte willen zu betreiben, kann daher im vorstehenden Zusammenhang unterbleiben". Gleichwohl brauchen wir uns insoweit nicht auf bloße Spekulationen zu beschränken. Ich stütze mich im folgenden auf eine Reihe begriffsgeschichtlicher Studien, die ich seit Jahren im Hinblick auf die hauptsächlichen Richtungen angestellt habe, die innerhalb der Jurisprudenz in methodologischer Hinsicht im Streit um die richtige juristische Methode vertreten wurden und werden. Fraglich erscheint jedoch, ob es in methodologischer und rechtstheoretischer Hinsicht überhaupt angebracht und vertretbar ist, innerhalb der Jurisprudenz von Paradigmata rechtlichen Denkens und juristischen Argumentierens bzw. von einem Paradigmenwechsel zu sprechen. Aus der Sicht der Jurisprudenz und der zugehörigen Juristischen Methodenlehre könnte in der Tat das Paradigmakonzept selbst als zu theoBa Eine erfreuliche Ausnahme ist: OUero, a.a.O. (N. 14), S. 61, der zutreffend einen "rechtswissenschaftUchen Paradigmawechsel" diagnostiziert. Jedoch herrscht nach seiner Auffassung "über dessen genaue Konturen freilich noch Unklarheit". M. E. zieht er den zeitlichen Rahmen seiner Analysen zu eng, so daß der Paradigmenwechsel nicht voll in Erscheinung tritt. s. Hierzu jetzt aber die eingangs erwähnte Darstellung von: Werner Krawietz, Zur Kritik der Juristischen Methodenlehre seit Friedrich Carl von Savigny. In: Anales de la Catedra Francisco Suarez 18119 (1978/79), S. 101 -131, 110 ff., 115 ff.

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retisch, aus der Sicht einer erkenntniskritisch und wissenschaftstheoretisch reflektierten Methodologie der Rechtswissenschaft und einer Theorie des Rechts hingegen als nicht theoretisch genug erscheinen. Um von vornherein dem Einwand zu begegnen, hier werde zu global von den Paradigmata rechtlichen Denkens und juristischen Argumentierens gesprochen und an die begriffliche Bestimmung des Paradigma bzw. der Paradigmata und eines Paradigmenwechsels eine Reihe von weitreichenden Konsequenzen bis hin zu sich wandelnden Forschungsstrategien geknüpft, ohne zuvor dem Konzept des Paradigma deutlichere Konturen zu verleihen, werden im folgenden verschiedene Aspekte des Paradigmakonzepts unterschieden, die in der Jurisprudenz und der zugehörigen Juristischen Methodenlehre eine spezifische Ausprägung erfahren haben. Kern dieses Paradigmakonzepts sind die jedem Juristen geläufigen Paradigmata rechtlichen Denkens, juristischen Argumentierens und Entscheidens, die bei der Auslegung und Anwendung allen geltenden Rechts ausdrücklich oder stillschweigend vorausgesetzt werden. Dazu gehört nicht bloß der durch formale Regeln des Schlußfolgerns bestimmte, für die Rechtspraxis, die Praktische Rechtswissenschaft und die ihnen dienende Juristische Methodik bzw. Methodenlehre zentrale juristische Syllogismus oder Subsumtionsschluß, in welchem aus zwei Prämissen, nämlich aus einem generell-abstrakten Rechtssatz und einem dessen normative Entscheidungsprämissen ausfüllenden Tatsachensatz, eine individuell-konkrete Norm abgeleitet wird, die den Inhalt der juristischen Entscheidung zum Ausdruck bringt35 • Vielmehr zählen hierzu auch eine Reihe weiterer seit jeher zum Kernbestand der juristischen Methodik bzw. der Juristischen Methodenlehre gehörender Operationen, die dadurch notwendig werden, daß alle Rechtsanwendung sich offensichtlich nur bis zu einem gewissen Grade durch die programmierenden Entscheidungen des Gesetzgebers normativ steuern läßt, wel· che in den generell-abstrakten Rechtssätzen des geltenden Rechts allenfalls partiell ihren normativen Ausdruck finden, während im übrigen jede Rechtsanwendung offensichtlich einen gewissen Unsicherheitskoeffizienten in sich trägt. Das gilt für alle Rechtsanwendung, insbesondere auch für die richterliche Rechtsgewinnung. Es ist daher sicherlich nicht übertrieben, wenn man feststellt, daß in der westdeutschen Jurisprudenz und der zugehörigen Juristischen Methodenlehre bei aller Orientierung an einem weitgehend kodifizierten Gesetzesrecht kontinentaleuropäischen Typs nach wie vor die Gewinnung und Anwendung des im 35 Sehr realistisch: Ota Weinberger, Die Methodologie der juristischen Argumentation und die Rechtskybernetik. In: ders., Studien zur Normenlogik und Rechtsinformatik, Berlin 1974, S. 374 - 385, 379 f., der das "Grundschema" beschreibt, jedoch sehr treffend bemerkt, in der "Wirklichkeit" sei die Sache "wesentlich komplizierter", zum al die "Anwendung des Rechts" auch ein "rein willenhaftes und kreatives Element" kennt.

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Einzelfalle geltenden Rechts durch den Richter das allgegenwärtige heimliche Paradigma allen rechtlichen Denkens, juristischen Argurnentierens und Entscheidens beinhaltet. Trifft dies zu, dann lassen sich im folgenden auch die übrigen neuralgischen Aspekte und Ansatzpunkte im Handlungs- und Forschungsparadigma der Jurisprudenz und der Juristischen Methodenlehre genauer bestimmen. Sie werden freilich erst faßbar, wenn man die Genese und die Geltungsgrundlagen der juristischen Methodik bzw. der Juristischen Methodenlehre gleichsam in einer Langzeitperspektive betrachtet, indem man ihre Analyse dort aufnimmt, wo sie als genuin fachwissenschaftliche Perspektive begründet wurde, um ihre seitherige Entwicklung zu studieren.

v. Geht man davon aus, daß die Entwicklung der juristischen Methodik aufs engste verknüpft ist mit der Entwicklung der Jurisprudenz zur Fachwissenschaft, so wird man auch die Entwicklung einer sich verselbständigenden Juristischen Methodenlehre als einen Prozeß der fortschreitenden Verwissenschaftlichung zu begreifen haben. Er war von Anfang an bis auf den heutigen Tag von dem Bestreben getragen, den professionellen Umgang mit Rechtstexten, der von der Jurisprudenz und den Juristen stets gepflegt wurde, nach und nach auf Regeln zu bringen und diese methodischen Regeln nach Möglichkeit im System darzustellen. Es kann hier selbstverständlich nicht darum gehen, die überaus langwierige Geschichte dieses Prozesses von seinen Ursprüngen her zu rekonstruieren. Ich nehme sie deshalb auf in der - nach meinem Eindruck entscheidenden - Phase, in der es an der Wende vom 18. zum 19. Jh. unter dem Eindruck der Kritiken Kants an den erkenntnistheoretischen Voraussetzungen des Naturrechts und dessen ethischem Apriorismus zur endgültigen Ablösung der Rechtsmetaphysik kam38 • In dieser Epoche eines tiefgreifenden geistigen Umbruchs wurde der Gedanke eines überall und zu jeder Zeit gültigen - sei es von Gott gegebenen, sei es mit uns geborenen und vermöge der uns eigenen Vernunft erkennbaren - Naturrechts, das heißt eines überpositiven Rechts, durch die Natur- und Vernunftrechtskritik verabschiedet. Mit dieser Verabschiedung jeglicher Rechtsmetaphysik wurde zugleich auch die Jurisprudenz, was ihre Basis in Philosophie und Wissenschaft angeht, auf eine neue Grundlage gestellt. Sie wurde als Fachwissenschaft begründet, das heißt als Wissenschaft vom positiven Recht, die sich in ihren überlegungen durch die von ihr entwickelte juristische Methodik leiten läßt37 •

S' Jürgen Blühdorn. "Kantianer" und Kant. Die Wende von der Rechtsmetaphysik zur "Wissenschaft" vom positiven Recht. In: Kant-Studien 64 (1973), S. 363 - 394.

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Unbeschadet der hinlänglich bekannten Vorlaufstadien dieser Entwicklung einer juristischen Methodik, in der sich im Umgang mit den jeweiligen Rechtstexten, insbesondere mit denjenigen des nach und nach rezipierten römischen Rechts, allmählich so etwas wie eine relativ eigenständige juristische Logik, das heißt eine in ersten Ansätzen erkennbare Juristische Methodenlehre38 des Umgangs mit dem jeweils anzuwendenden geltenden Recht, entfaltete31 , kann demzufolge von einer sich verselbständigenden, genuin fachwissenschaftlichen Begr:ündung der Juristischen Methodenlehre im heutigen Sinne wohl erst seit der Wende vom 18. zum 19. Jh. die Rede sein40 • Dank dieser Entwicklung gehen die Jurisprudenz und die zugehörige Juristische Methodenlehre seither von der für ihre praktischen und wissenschaftlichen Aktivitäten in der Tat grundlegenden Einsicht aus, daß sie es stets zunächst einmal mit Problemen der Identifikation von Recht als eines positiven zu tun haben. Sie haben sich infolgedessen auch das Bewußtsein dafür bewahrt, daß alle Auslegung und Anwendung des jeweils geltenden Rechts nun einmal in einem engen Zusammenhang stehen. Seither gilt auch als gesicherte Einsicht, daß die Jurisprudenz und eine ihr zuarbeitende Juristische Methodenlehre den normativen Gehalt des Rechts nur dann zureichend zu bestimmen vermögen, wenn sie sich zum Zwecke der Rechtsgewinnung auch die im positiven Recht zum Ausdruck gelangenden Prinzipien, Grundgedanken und Grundbegriffe vergegenwärtigen, um das jeweils geltende Recht in einem System von Rechtssätzen und Rechtsbegriffen darzustellen. Seit der Entwicklung moderner Verfassungen, in denen auch das Normieren selbst rechtlich normiert wird, ist die Positivität allen Rechts im Verlaufe des 19. Jhs. endgültig zur Routineangelegenheit geworden. 37 Ders., Naturrechtskritik und "Philosophie des positiven Rechts". Zur Begründung der Jurisprudenz als positiver Fachwissenschaft durch Gustav Hugo. In: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 41 (1973), S. 1 - 17; Franz Wieacker, Die Ausbildung einer allgemeinen Theorie des positiven Rechts in Deutschland im 19. Jahrhundert. In: Hans-Martin Pawlowski / ders. (Hrsg.), Festschrift für Karl Michaelis zum 70. Geburtstag, Göttingen 1972, S. 354 - 362. 38 In neuester Zeit hat vor allem Chaim Perelman stets betont, daß der Ausdruck "juristische Logik" nicht auf formale Logik reduziert werden darf, sondern seit jeher zur Bezeichnung der Juristischen Methodenlehre dient. VgI. Logique Juridique, Paris 1976. Weitere Nachweise bei Kalinowski, a.a.O. (N. 25),

S. 113 f.

3D Zu eng: Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen. Im Auftrag des Hans-Kelsen-Instituts aus dem Nachlaß herausgegeben von Kurt Ringhofer und Robert Walter, Wien 1979, S. 216 ff., 220. Es ist verwunderlich, daß Kelsen die weit bis ins Mittelalter zurückreichende Denktradition juristischer Logik (im Sinne von logica iuridica, dialectica iuridica, dialectica iuris, dialectica legalis usw.) offensichtlich gänzlich unbekannt geblieben ist. 40 Wegen des exemplarischen Stellenwerts vgI.: Friedrich Carl von Savigny, Juristische Methodenlehre. Nach der Ausarbeitung des Jacob Grimm, hrsg. von Gerhard Wesenberg, Stuttgart 1951.

9 Rechtstheorie, BeIheft 1

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Die stets nur schrittweise erfolgende Positivierung von Recht erweist sich nun insgesamt als ein überaus vielschichtiger, die jeweilige Rechtsetzung und Rechtsanwendung in ihrem zeitlichen Nacheinander übergreifender Vorgang, in dem die Erzeugung der Normen des Rechts in hintereinandergeschalteten, hochgradig organisierten und bürokratisierten Entscheidungsverfahren der Gesetzgebung, Regierung, Verwaltung und Rechtsprechung stattfindet41 • Gleichwohl hat sich die überkommene Juristische Methodenlehre, deren heimliches Handlungs- und Forschungsparadigma jedenfalls in der deutschen Jurisprudenz stets die richterliche Rechtsanwendung und Rechtsgewinnung gewesen ist, bis auf den heutigen Tag mit den Problemen rechtlichen Denkens und juristischen Argumentierens, Begründens und Entscheidens vornehmlich in der Form befaßt, in der sie sich letzten Endes für den seine Rechtsfälle nach Maßgabe des geltenden Rechts verbindlich entscheidenden Richter stellen'!. Wer es heute unternimmt, die Entwicklung der Juristischen Methodenlehre seit der Wende vom 18. zum 19. Jh., insbesondere seit der Neuorientierung des Rechtsdenkens durch Friedrich earl von Savigny, in einer Langzeitperspektive zu analysieren, die bis in die Entwicklung der Gegenwart führt, um den an ihr ablesbaren Paradigmenwechsel rechtlichen Denkens und juristischen Argumentierens zu belegen, der sich seither vollzogen hat, wird daher unter Berücksichtigung des mehr oder weniger latenten, aber auch gegenwärtig nach wie vor wirksamen Handlungs- und Forschungsparadigmas der westdeutschen Jurisprudenz, das gewöhnlich in dem stillschweigend vorausgesetzten Denkmodell richterlicher Rechtsanwendung und Rechtsgewinnung seine Grundlage findet, auf einige neuralgische Aspekte dieser Basisvorstellungen verwiesen, an denen der sich vollziehende Wandel im Rechtsdenken schon früh deutlich sichtbar zutage getreten ist. Es geht dabei vor allem um die folgenden Aspekte der richterlichen Tätigkeit, die auch für die Jurisprudenz und die zugehörige Juristische Methodenlehre praktische Relevanz besitzen, weil deren praktische Leistung vor allem darin besteht, die richterliche Rechtsanwendung und Rechtsgewinnung vorzubereiten bzw. nachträglich zu kontrollieren, indem sie die juristischen Entscheidungsergebnisse der richterlichen Rechtspraxis kritisch zu sichten und systematisch auszuwerten suchen. Setzt man nämlich in Rechtspraxis und Praktischer Rechtswissenschaft mehr oder weniger unreflektiert ein wie auch immer geartetes Denkmodell richterlicher U

Das wird heute wohl durchgängig gesehen. Hierzu statt anderer jetzt:

Rene A. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik. Rechtstheoretische Untersu-

chungen zum gegenseitigen Verhältnis von Rechtsetzung und Rechtsanwendung, Basel- Stuttgart 1979, bes. S. 195 ff. U Zur theoretischen Basis dieses "Justizsyllogismus" jetzt auch: Ders., a.a.O., S. 19 f.

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Rechtsanwendung und Rechtsgewinnung allem rechtlichen Denken und juristischen Argumentieren üblicherweise schon voraus, dann müssen etwaige Auffassungsunterschiede, was die zugehörige juristische Methodik bzw. die Juristische Methodenlehre angeht, im Rahmen des juristischen Umgangs mit dem geltenden Recht typischerweise bei den folgenden Operationen in Erscheinung treten: a) bei der Auslegung des geltenden Rechts b) bei der Anwendung des geltenden Rechts c) bei der Gewinnung des geltenden Rechts im Einzelfalle d) bei der im Hinblick auf das geltende Recht erfolgenden Begriffs- und Systembildung. An diesen kritischen Stellen des juristischen Entscheidungsprozesses muß daher auch ein etwaiger Paradigmenwechsel in Erscheinung treten, der sich im Verlaufe des Juristischen Methodenstreits im Rechtsdenken selbst aufgrund der fortschreitenden Reflexion der Voraussetzungen und Folgen rechtlichen Denkens und juristischen Argurnentierens und Entscheidens allmählich ereignet hat. VI.

Die hier anzustellende Analyse des Wandels, der sich im Verlaufe des Juristischen Methodenstreits über die Eigenart juristischer Methodik in der diesen Wandel kritisch reflektierenden Juristischen Methodenlehre nach und nach vollzogen hat, kann die Kenntnis und Darstellung der hauptsächlich vertretenen methodologischen Richtungen nicht ersetzen, sondern muß sie voraussetzen. Auch muß eine Untersuchung der diesen Hauptrichtungen jeweils zugrunde liegenden Theorie und Philosophie des Rechts hier aus naheliegenden, vor allem räumlichen Gründen unterbleiben. Ich beschränke mich daher bewußt auf die methodologischen Aspekte dieses Wandels in den Rechtsanschauungen, da alle weiterführenden überlegungen den Rahmen dieser Untersuchung sprengen würden. Jedoch kann im Hinblick auf das tradierte Handlungs- und Forschungsparadigma der Jurisprudenz und der von ihr entwickelten Juristischen Methodenlehre nicht darauf verzichtet werden, zur Charakterisierung des Wandels in den Auffassungen vom Recht, seiner Auslegung und seiner Anwendung auf die jeweils zugrunde liegende Theorie der Rechtsanwendung bzw. Rechtsgewinnung wenigstens kursorisch einzugehen. Ich begnüge mich jedoch auch insoweit mit einer bloß typisierenden Kennzeichnung in der Hoffnung, daß auf diese Weise der Wechsel in den Paradigmata juristischer Auslegung, Anwendung und Gewinnung des Rechts, aber auch der juristischen Begriffs- und Systembildung am sinnfälligsten in Erscheinung tritt. Ich

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benutze also die hier typischerweise vorzunehmenden, durchaus unterschiedlichen Operationen praktischen rechtlichen Denkens und juristischen Argumentierens bzw. das in der hierüber angestellten kritischen Reflexion anfallende Selbstverständnis von der Eigenart der juristischen Methodik und ihrer Veränderungen gleichsam als Indikatoren, um den von mir diagnostizierten Paradigmenwechsel zu belegen. Was die Identifikation irgendwelcher Vorschriften menschlichen Verhaltens als Rechtssätze, das heißt als Vorschriften des geltenden Rechts, anbelangt, so geht die juristische Methodik bzw. die Juristische Methodenlehre aller Richtungen, unbeschadet etwaiger sonstiger Richtungsunterschiede, spätestens seit Beginn des 19. Jhs. durchgängig davon aus, daß es sich dabei stets um positives Recht handeln muß. Diese für die Jurisprudenz als Fachwissenschaft an sich ganz selbstverständliche Voraussetzung ist bei jeder juristischen Tätigkeit sorgfältig zu beachten und festzuhalten, wenn man vermeiden will, bei der Anwendung des geltenden Rechts und der Regeln juristischer Methodik im rechtlichen Denken wie im juristischen Argumentieren von der Ebene des geltenden Rechts auf die abschüssige Ebene der Rechtsmetaphysik zu geraten. Ganz offensichtlich ist dies eine Gefahr, die nach wie vor - und das heißt auch heute! - jeder Jurisprudenz droht, die es in ihrer fachwissenschaftlichen juristischen Methodik bzw. der zugehörigen Juristischen Methodenlehre nun einmal auf allen Stufen menschlicher Rechtserzeugung ausschließlich mit positivem Recht zu tun hat, das heißt nicht mit irgendeinem vorgegebenen, überpositiven Recht oder Naturrecht bzw. Vernunftrecht, das - von Gott gegeben, mit uns geboren oder vermöge einer allen Menschen eigenen Vernunft erkennbar - sich in seinen Geltungsgrundlagen nicht auf eine menschlicher Erfahrung zugängliche Setzung zurückführen läßt, sondern seine im Dunkeln bleibende Herkunft einer wie auch immer gearteten Rechtsmetaphysik verdankt43 • Um diesen Bedingungen so weit wie möglich zu genügen, nimmt die Jurisprudenz - und demzufolge auch die Juristische Methodenlehre stets ihren Ausgang bei der Analyse der durch eine wie auch immer zustande gekommene Setzung von Recht mit Rechtsgeltung ausgestatteten Rechtsvorschriften, die in rechtlichen bzw. juristischen Texten fixiert wurden. Sie trägt damit dem Umstand Rechnung, daß alle in der sprachlichen bzw. schriftsprachlichen Form praktischer Sätze zum Ausdruck gelangenden rechtlichen Vorschriften menschlichen Verhaltens - wenn irgend möglich! - den einschlägigen rechtlichen bzw. juristischen Texten zu entnehmen sind. Denn nur auf diese Weise wird es möglich, das 43 Beachtenswert: Jürgen Blühdorn, Zum Zusammenhang von "Positivität" und "Empirie" im Verständnis der deutschen Rechtswissenschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts. In: ders.! Joachim Ritter (Hrsg.), Positivismus im 19. Jahrhundert. Beiträge zu seiner geschichtlichen und systematischen Bedeutung, Frankfurt a. M. 1971, S. 123 - 159.

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rechtssprachlich artikulierte, mit Mitteln des jeweils geltenden Rechts vorgeschriebene menschliche Verhalten überhaupt als von Rechts wegen geboten, verboten, erlaubt usw. zu identifizieren. Alles Recht, aber auch alle Rechtsauslegung, Rechtsanwendung und Rechtsgewinnung im Einzelfalle, erweisen sich daher als nicht identisch mit, aber in doppelter Hinsicht abhängig von Sprache und in bestimmter Weise zustande gekommenen Sprechakten44 • Das Recht bezieht sich auf die in sprachlicher Kommunikation konstituierte soziale Welt mit ihren kaum überschaubaren, vielfältigen Möglichkeiten menschlichen Handeins. Und das Recht bedient sich der Sprache, um unter diesen Möglichkeiten die rechtlich vorgeschriebenen (gebotenen, verbotenen, erlaubten) Verhaltensweisen zu bezeichnen. VII.

Offensichtlich gibt es eine Reihe von Umständen, deren unglückselige Verkettung dafür gesorgt hat, daß der Wandel im Handlungs- und Forschungsparadigma der deutschen Jurisprudenz, der sich seit dem 19. Jh. schrittweise und daher weitgehend unbemerkt vollzogen hat, bislang gar nicht voll in das Bewußtsein der hiervon betroffenen Jurisprudenz zu treten vermochte, so daß sein volles Ausmaß und die hiermit verbundenen Konsequenzen so manchem Juristen bis auf den heutigen Tag verborgen bleiben konnten. Die Jurisprudenz, die ihre praktische Leistung vor allem in der Eindämmung und Beilegung des Streits anderer erblickt, wobei sie höchst wirksam zu agieren weiß, hat den offenen Austrag des Streits um die eigene juristische Methode bisher erfolgreich vertagt. Sie hat sich vornehmlich in drängende, aktuelle juristische Entscheidungsprobleme geflüchtet, die bekanntlich so beschaffen sind, daß kein Anlaß besteht, bei ihrer Bewältigung den Streit um die richtige juristische Methode als solche aufzurollen. Infolgedessen konnte die Jurisprudenz den Juristischen Methodenstreit bislang auf die lange akademische Bank der tradierten Juristischen Methodenlehre schieben, wo er noch heute ruht. Der Juristische Methodenstreit ist auch - entgegen gelegentlich verbreiteten Falschmeldungen - keineswegs abgeschlossen. Das Gegenteil ist der Fall. Tatsache ist nämlich, daß ein adäquater Austrag des Juristischen Methodenstreits, dessen wesentliche Frontstellungen sich schon in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. herauskriU Zum Verhältnis von Recht und Sprache: Hans Brinckmann, Juristische Fachsprache und Umgangssprache. In: Öffentliche Verwaltung und Datenverarbeitung 2 (1972), S. 60 - 69; Niklas Luhmann, Rechtssoziologie, Reinbek bei Hamburg 1972, S. 104 f. Vgl. ferner: Peter Hartmann, Sprachwissenschaft und Rechtswissenschaft. Eine vergleichende Konfrontation. In: Rechtstheorie 1 (1970), S. 45 - 68; ders., Individuum und Gesellschaft. In: Friedrich Kaulbach / Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, Berlin 1978, S. 179 - 209, 208 f.

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stallisiert hatten45 , bei aller Härte der am Beginn unseres Jahrhunderts in dieser Angelegenheit geführten Auseinandersetzungen bis heute nicht stattgefunden hat. Die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jhs. in ausdrücklich erklärtem Gegensatz zur tradierten Begriffsjurisprudenz des 19. Jhs. geführten Auseinandersetzungen, die vor allem von den Anhängern der Freirechtslehre betrieben und von den Vertretern der Interessen- und Wertungsjurisprudenz geführt wurden, begannen alsbald zu verebben und endeten mit der praktischen Durchsetzung der Interessen- und Wertungsjurisprudenz in der Rechtspraxis, insbesondere in der richterlichen Entscheidungspraxis, ohne zu einer prinzipiellen Klärung der anstehenden methodologischen Probleme zu führen. In der Nachkriegszeit änderte sich hieran wenig 48 • Auch gegenwärtig sind infolgedessen die methodologischen, rechtstheoretischen und rechtsphilosophischen Voraussetzungen und Implikationen der vorherrschenden Interessen- und Wertungsjurisprudenz - wie übrigens auch diejenigen der Begriffsjurisprudenz und der Freirechtsjurisprudenz - nach wie vor im wesentlichen unaufgeklärt. Gerade die praktische Vorherrschaft der Interessen- und Wertungsjurisprudenz, die auch das heutige Handlungs- und Forschungsparadigma der Jurisprudenz als solcher maßgeblich bestimmt und prägt, macht es notwendig, ihre Geltungsgrundlagen in methodologischer und rechtstheoretischer Hinsicht abzuklären. In diesen Prozeß der Klärung sind auch die Begriffsjurisprudenz und die Freirechtsjurisprudenz als bislang mehr oder weniger ausgeschlossene gedankliche Alternativen zum etablierten Handlungs- und Forschungsparadigma der Jurisprudenz erneut einzubeziehen. Daß eine derartige methodologische und rechtstheoretische Aufklärung heute möglich erscheint, verdanken wir nicht zuletzt auch den vielfältigen, zum Teil ganz andersartigen Denkanstößen der seit Beginn der 50er Jahre verstärkt einsetzenden rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung. Sie hat auch zur Wiederbelebung und Aktualisierung des Juristischen Methodenstreits geführt. Der im Verlaufe des Juristischen Methodenstreits zutage getretene Paradigmen wechsel läßt sich in seinen charakteristischen Zügen nur dann erfassen, wenn man sich bemüht, den Wandel in den grundlegenden Positionen durch eine relativ abstrakte, von allen unwesentlichen Details absehende, typisierende Betrachtungsweise herauszuarbeiten. Sie treten um so deutlicher in Erscheinung, je weiter man die im Juristischen Methodenstreit vertretenen methodologischen Positionen in der Langzeitperspektive in zeitlicher Hinsicht auseinandertreten läßt. Ich Krawietz, a.a.O. (N. 17), S. 20 ff., 22. Vgl. aber die lesenswerte Sammlung der Aufsätze von: Heinrich Hubmann, Wertung und Abwägung im Recht, Köln 1977 (mit zahlreichen Beiträgen aus den 50er Jahren). 45

48

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beschränke mich daher im folgenden auf die Begriffsjurisprudenz und ihr Vorlaufstadium (1), die Freirechtsjurisprudenz (2) und die Interessen- und Wertungs jurisprudenz (3). Aus systematischen Gründen sehe ich dabei, wie die Reihenfolge erkennen läßt, ab von der Tatsache, daß die Interessen- und Wertungsjurisprudenz - methodengeschichtlich gesehen - lange vor der Freirechtslehre entwickelt und ausformuliert wurden, auch wenn sie sich erst später, in Auseinandersetzung mit der Freirechtsbewegung48 praktisch durchzusetzen vermochte. (1) In seiner aus heutiger Sicht nahezu klassischen Juristischen Methodenlehre ging schon Friedrich earl von Savigny am Beginn des 19. Jhs. davon aus, daß alles Recht - sei es Gewohnheitsrecht, sei es Gesetzesrecht - als solches gegeben ist, das heißt sich auf die eine oder andere Weise menschlicher Setzung verdankt. Eine Auslegung des geltenden Rechts - von Savigny durchgängig als Interpretation bezeichnet - ist aber überhaupt nur dann "möglich", sofern "immer etwas unmittelbar Gegebenes, ein Text vorausgesetzt" wird, weil alle Rechtsgedanken "doch ausgesprochen werden" müssen, so daß auch die "Regeln der Sprache" vonnöten sind, damit das Recht selbst "objektiv" werden, das heißt "sich selbst unmittelbar aussprechen" kann49 • Während jedoch die Auffindung dieses Texts und seine Identifikation als Vorschrift des geltenden Rechts jeder Auslegung "vorhergehen muß", kommt es bei der Auslegung selbst allein darauf an, auf Grund und nach Maßgabe des gegebenen Texts eine inhaltliche "Rekonstruktion des Gedankens" vorzunehmen, der in der betreffenden Rechtsvorschrift in erkennbarer Weise "ausgesprochen" wird. Wer ein Gesetz auslegt, muß "den im Gesetz liegenden Gedanken nachdenken, den Inhalt des Gesetzes nachfinden", indem er sich "auf den Standpunkt des Gesetzgebers" stellt, um den "Standpunkt des Gesetzes" zu erkennen. Die Auslegung des Gesetzes ist also eine bloße "Rekonstruktion des Inhalts des Gesetzes", beschränkt auf diejenigen Rechtsgedanken, die "im Gesetz ausgesprochen" sind. Die Auslegung von Vorschriften des geltenden Rechts ist daher für den frühen Savigny paradigmatisch gesehen eine rein kognitive Tätigkeit. Entsprechendes gilt für die Anwendung des geltenden Rechts durch den Richter. Wird das Gesetz "zur Ausschließung aller Willkür gegeben", so kann auch die Anwendung des Gesetzes durch den Richter kein Akt seiner Willkür sein. Es entscheidet "das Gesetz selbst", hingegen "nicht mehr die Willkür des Richters"~o.

er Werner Krawietz, Interessenjurisprudenz. In: Joachim Ritter / Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 4, BaselStuttgart 1976, Sp. 494 - 514, 512. 48 Hierzu: Krawietz, a.a.O. (N. 34), S. 125 ff., 128. 41 Dazu und zum folgenden: Savigny, a.a.O. (N. 40), S. 18 f. &0 Savigny, ebd., S. 15.

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Der Richter "erkennt" vielmehr "nur die Regeln und wendet sie auf den einzelnen Fall an". Auch die Anwendung des geltenden Rechts durch den Richter ist somit ein bloß kognitiver Akt. Denn wenn das Gesetz "zur Ausschließung aller Willkür gegeben" wurde, dann ist das "einzige Geschäft des Richters" eine "rein logische Interpretation". Infolgedessen unterscheidet sich die Tätigkeit des Juristen, insbesondere des Universitätsjuristen, der gleichfalls die Gesetze auszulegen, aber nicht von Amts wegen anzuwenden hat, sondern hierfür allenfalls Vorschläge machen kann, nicht prinzipiell von der Tätigkeit des Richters, denn beide haben "eine Funktion gemein", die Auslegung des Rechts, aber der Richter hat "auch noch eine mehr", nämlich die Anwendung des Rechts. Eine originäre Gewinnung von Recht durch schöpferische Rechtsfindung des Richters findet hier nicht statt. Folgerichtig lehnte der frühe Savigny - anders als der späte! - die extensive Auslegung und Anwendung des geltenden Rechts durch den Richter ab, weil auf diese Weise "durch den Richter dem Ausspruch des Gesetzes von außen etwas hinzugetan wird"Sl. Entsprechendes gilt für die juristische Begriffs- und Systembildung. Soll ein einzelner Rechtssatz "erkannt" werden, so müssen "die darin liegenden Begriffe entwickelt", das heißt "Definitionen und Distinktionen gegeben" werdens2 • Was hingegen den "Inhalt des Systems" angeht, das heißt das System von Rechtssätzen und Rechtsbegriffen, die "teils einzeln, teils im Zusammenhang zu erkennen" sind, so geht es hier darum, "die Verbindung mehrerer und ihren Zusammenhang anzuordnen". Jedoch handelt es sich auch insoweit um eine rein kognitive Tätigkeit, die sich im erkennenden Denken vollzieht und sich des "logischen Mediums" zu bedienen hat. Und wo in dieser Juristischen Methodenlehre bei der juristischen Begriffs- und Systembildung ausdrücklich auf die "juristische Realität" Bezug genommen wird, geschieht dies nur, um klarzustellen, daß "im System kein Begriff vorgetragen werden darf, ohne ihn auf einen Rechtssatz anzuwenden". Ich rekonstruiere hier die Juristische Methodenlehre des frühen Savigny in ihren wesentlichen Zügen nicht etwa deshalb, um mich über ihren mangelnden Rechtsrealismus zu mokieren, sondern um die von Savigny in bestechender Klarheit ausformulierten Paradigmata juristischer Auslegung und Anwendung des geltenden Rechts, aber auch der juristischen Begriffs- und Systembildung herauszuarbeiten, deren Relevanzkriterien insgesamt das Handlungs- und Forschungsparadigma deutscher Jurisprudenz bis weit in das 19. Jh. hinein nachhaltig be..: stimmt haben. Es kann heute kaum ein Zweifel daran bestehen, daß Savigny in seiner Juristischen Methodenlehre die methodologischen 51 SI

Savigny, ebd., S. 39 f. Savigny, ebd., S. 37.

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Auffassungen von der juristischen Methodik seiner Zeit in paradigmatischer Weise zur Darstellung, auf den Begriff und ins System gebracht hat. Jedoch hat er damit in seinem rechtlichen Denken und juristischen Argumentieren zugleich auch die maßgeblichen Ansatzpunkte, Voraussetzungen und Grundlagen einer begriffsjuristischen Methodik beigesteuert, die in der Folge nicht bloß für die Begriffsjurisprudenz seines Schülers und Berliner Nachfolgers G. F. Puchta, sondern für fast alle romanistischen Ziviljuristen des späteren 19. Jhs. bis hin zu Bernhard Windscheid in methodologischer Hinsicht bestimmend gewesen sind 53. Da schon Savigny in seiner Juristischen Methodenlehre betont hatte, daß auch ein "großer Teil des Staatsrechts" methodologisch "jetzt auf ähnliche Weise wie das Privatrecht" behandelt werden müsse 54 , ist es nicht weiter verwunderlich, daß die begriffsjuristische Methodik und die ihr zugrunde liegende Begriffsjurisprudenz mit ihren spezifischen Auffassungen von der Auslegung und Anwendung des Rechts, aber auch von der juristischen Begriffs- und Systembildung, vermittelt durch C. F. Gerber und P. Laband, im zweiten Drittel des 19. Jhs. maßgeblichen Einfluß auch auf die im Öffentlichen Recht, insbesondere im Staatsrecht, im Strafrecht und im zugehörigen Strafprozeßrecht, praktizierte juristische Methodik zu erlangen vermochten5s • Es ist und bleibt bezeichnend für diese Begrifjsjurisprudenz, daß sie trotz ihrer in Grenzen unbestreitbaren VerdiensteS8 die hochkomplexen, überaus vielschichtigen Operationen praktischen Rechtsdenkens und juristischen Argumentierens, die in der Auslegung, Anwendung und Gewinnung des jeweils geltenden Rechts und in der hierfür zweckdienlichen juristischen Begriffs- und Systembildung vorzunehmen sind, vorwiegend als bloß kognitive Aktivitäten zu begreifen suchte. Die Folge davon war, daß man aufgrund dieser vermeintlich gesicherten methodologischen Erkenntnisse in der Juristischen Methodenlehre dazu neigte, die zweifellos auch vorhandenen und erkennbaren volitiven Elemente allen Rechtsdenkens und juristischen Entscheidens entweder zu ignorieren oder zu bagatellisieren, um sie aus dem Bereich methodisch gesicherter juristischer Erkenntnis57 und einer Reflexion auf Dazu Krawietz, a.a.O. (N. 34), S. 115 f. Savigny, a.a.O. (N. 40), S. 13. ss Hierzu die eingehende Darstellung von: WerneT Krawietz, Begriffsjurisprudenz. In: Joachim Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 1, Basel- Stuttgart 1971, Sp. 809 - 813, 810 f. 61 Dazu: Werner Krawietz, Juristische Konstruktion, Kritik und Krise dogmatischer Rechtswissenschaft. In: ders. (Hrsg.), Theorie und Technik der Begriffsjurisprudenz, Darmstadt 1976, S. 1 - 10, 6 ff. S7 Karl Michaelis, Die Entscheidung über die spezifischen Differenzen des (Rechts-)Erkenntnisses gegenüber der wissenschaftlichen Erkenntnis und über die paradigmatische Bedeutung des Erkenntnisses für Entscheidungen in anderen Bereichen der Rechtspraxis. In: Ernst Forsthoff u. a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Rudolf Huber zum 70. Geburtstag, Göttingen 1973, S. 311 - 337. 53

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die Prämissen juristischer Methodik zu verdrängen, anstatt sie von vornherein in den Denkansatz der Juristischen Methodenlehre einzubeziehen. (2) Es dürfte kaum möglich sein, sich einen stärkeren Unterschied vorzustellen als die diametral gegensätzlichen Auffassungen, in die alles Rechtsdenken und juristische Argumentieren und mit ihnen auch die juristische Methodik bzw. Juristische Methodenlehre schon knapp ein Jahrhundert später, das heißt am Beginn des 20. Jhs., unter dem Einfluß freirechtlicher Jurisprudenz geraten sind. Ich erblicke diesen Unterschied nicht etwa darin, daß die grundlegenden Regelungen alltäglicher mitmenschlicher Rechtsbeziehungen, wie beispielsweise diejenigen des Privatrechts, nun umfassend gesetzlich geregelt und kodifiziert sind, etwa in dem am 1. 1. 1900 in Kraft getretenen Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), auch wenn mit der veränderten Geltungsgrundlage aller Umgang mit rechtlichen bzw. juristischen Texten stärker als bisher auf die Vorschriften eines generell-abstrakten Gesetzesrechts und die Probleme seiner Anwendung verwiesen und in gesteigertem Maße auf die Rechtsgewinnung im Einzelfalle konzentriert wurde. Auch dürfte heute kaum noch eine Gefahr bestehen, die Freir.echtsjurisprudenz in ihrer damaligen Wirksamkeit und ihren späten Folgen zu überschätzen, da der Eindruck der heftigen Polemiken, mit denen der Juristische Methodenstreit in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts ausgetragen wurde, längst verebbt ist. Eben dies macht es jedoch möglich, ihre methodologische Relevanz aus heutiger Sicht sehr viel nüchterner einzuschätzen. Wenn dies offensichtlich auch heute noch Schwierigkeiten bereitet58, so hängt das nicht zuletzt damit zusammen, daß es wohl auch im Nachhinein noch immer schwer fällt, den grundlegenden Wandel zu erkennen, der sich hier im Rechtsdenken selbst wie in der Eigenart juristischen Argumentierens und Entscheidens vollzog. Selbstverständlicher Ausgangspunkt aller überlegungen war freilich auch hier - und insofern bestand in Wirklichkeit keinerlei Auffassungsunterschied zur überkommenen Jurisprudenz, auch wenn dies bis auf den heutigen Tag immer wieder behauptet wird! - das als solches schon positiviert vorliegende, jeweils geltende Recht, dessen vom staatlichen Gesetzgeber fixierte normative Entscheidungspr.ämissen als gegeben und anzuwenden hingenommen wurden, auch wenn sich der Schwerpunkt im Umgang mit den rechtssprachlich fixierten Rechtstexten von vornherein verstärkt auf die Probleme der Auslegung und Anwendung des geltenden Rechts, das heißt auf die Rechtsgewinnung im Einzelfalle, richtete. Und nach wie vor hatte jede Auslegung von Rechts18

Vgl. Arthur Kaufmann, Freirechtsbewegung -

JuS 20 (1965), S. 1 - 9.

lebendig oder tot? In:

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vorschriften an den jeweiligen Wortlaut der Rechtssätze anzuknüpfen, der sich aus den einschlägigen Rechtstexten ergab. Was sich jedoch tiefgreifend gewandelt hatte, das waren die grundlegenden Auffassungen von der Positivität allen Rechts überhaupt und von der schrittweise erfolgenden Positivierung von Recht auf den einzelnen Ebenen und Stufen des staatlich organisierten Rechtssystems, weil alle diese Vorgänge nun zunehmend nicht mehr im Sinne eines längst überständigen Gesetzesund Rechtspositivismus verstanden wurden, der alles Rechtsdenken zu einer gegenüber ihrem jeweiligen geschichtlichen und gesellschaftlichen Ort gleichgültigen Betrachtungsweise verflüchtigte. Der diametrale Gegensatz zur Begriffsjurisprudenz kam ferner vor allem darin zum Ausdruck, daß alles Recht und seine Anwendung nun nicht mehr primär unter dem Aspekt der Erkenntnis, sondern unter dem Aspekt der Entscheidung betrachtet wurden, wobei sich freilich eine gewisse Tendenz bemerkbar machte, von einem Extrem in das andere zu fallen. Das "Recht, das die Gesetze verkünden", ist aus der durchaus realistischen Sicht der Freirechtsjurisprudenz ein "rissiges, brüchiges, armseliges Menschenwerk"5'. Jede Auslegung von Vorschriften des geltenden Rechts, die den normativen Sinngehalt herausbringen will, den der Gesetzgeber mit dem Rechtssatz verbunden hat, um ihn auf diese Weise für schon gegebene und künftige Fälle gleichermaßen anwendbar zu machen, kann sich demzufolge nirgendwo darauf beschränken, bloß vorauszusetzen, daß sie, "sobald der Sinn des Rechtssatzes durch logische, grammatische, historische, systematische, ausdehnende, einschränkende Auslegung festgestellt ist", nur mehr die "Grundsätze der ableitenden Logik zur Anwendung" zu bringen habe, weil alle Auslegung sich "im Erkennen des Richtigen" erschöpfeto • Vielmehr lehrt die "Erfahrung", daß sich auch unter der Auslegung "stets selbständiges Juristenrecht verbirgt", so daß alle Auslegung und Anwendung des geltenden Rechts im Ergebnis darauf hinauslaufen, das Recht fortwährend "an die neuen Rechtsverhältnisse und Interessengegensätze (anzupassen), die in der Gesellschaft immer aufs neue entstehen"61. Auf diese Weise gelingt es "unter dem Deckmantel der Auslegung", das Recht den sich wandelnden gesellschaftlichen Gegebenheiten im Wege der "Entscheidung" anzugleichen62 • Für die Freirechtsjurisprudenz beruhen daher "nicht die Entscheidungen auf den Rechtsregeln, sondern die Rechtsregeln werden GI Eugen Ehrlich, Die juristische Logik (1918). Neudruck der 2. Aufl. Tübingen 1925, Aalen 1966, S. 137. 00 Ders., ebd., S. 95, 97. 01 Eugen Ehrlich, Die richterliche Rechtsfindung aufgrund des Rechtssatzes (1917). In: ders., Recht und Leben. Gesammelte Schriften zur Rechtstatsachenforschung und zur Freirechtslehre, Berlin 1967, S. 203 - 252, 239, 247. U Ehrlich, ebd., S. 244.

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aus Entscheidungen gezogen"63. Infolgedessen erscheint alle Rechtsauslegung und Rechtsanwendung, insbesondere die richterliche Rechtsfindung und Rechtsgewinnung im Einzelfalle, nicht mehr als aus dem geltenden Recht "abgeleitet", sondern in Wirklichkeit als "bewußt oder unbewußt schöpferische richterliche Tätigkeit"64. Auslegung, Anwendung und Gewinnung des Rechts erschöpfen sich keineswegs in einer rein kognitiven Aktivität des ,erkennenden' Richters, sondern verdanken sich seiner volitiven Entscheidungstätigkeit, die zugleich regelbildend wirkt. Entsprechendes gilt für die Begriffs- und System bildung. Während die juristische Begriffsbildung in Rechtsetzung und Rechtsanwendung sich auf Grund und nach Maßgabe der "juristischen Begriffe des geltenden Rechts", das heißt der rechtssprachlich fixierten "Rechtsbegriffe", eine "lebendige Anschauung der Wirklichkeit" zu verschaffen sucht, die sie "bezeichnen", um die jeweils geregelten "Rechtsverhältnisse und Interessengegensätze" zu begreifen, die "Gegenstand der juristischen Interessenabwägung und Schutzgewährung sind", führt die Bildung der "systematischen Begriffe" durch die Jurisprudenz nur zu "juristischen Abstraktionen"65. Die von der Jurisprudenz aufgestellten systematischen Begriffe sind "keine Rechtsbegriffe", sondern bloß "wissenschaftliche" Begriffe. Eine derartige "juristische Systematik" dient bloß dazu, "den Stoff für die Zwecke des Lehrvortrages und der schriftstellerischen Darstellung" zu gliedern68 . Damit wird deutlich, daß das Recht und die ihm immanente Ordnung "nicht ein abgeschlossenes, vollständiges System abstrakter Rechtsregeln ist, sondern aus Einzelentscheidungen besteht"67. Infolgedessen darf der rechtsanwendende Richter, "wenn ihn die festgelegten Rechtsregeln verlassen, durch freie Rechtsfindung das Recht den Bedürfnissen der Zeit anpassen". Aus diesem Grunde muß auch die wissenschaftliche "Systematik des geltenden Rechts", die "sowohl dem gegebenen Rechtszustande als auch dessen Entwicklung" Rechnung zu tragen sucht, "täglich berichtigt und ergänzt werden durch das, was eine eingehende Betrachtung des Vorhandenen und der weiteren Entwicklung lehrt"6s. Nach Auffassung der Freirechtsjurisprudenz stehen somit auch die juristische Begriffsbildung wie die Systembildung durchgängig volitiven Aktivitäten offen.

13 Ehrlich, Freie Rechtsfindung und freie Rechtswissenschaft (1903). In: ders., Recht und Leben, Berlin 1967, S. 170 - 202,180. 14 Insgesamt hierzu: Werner Krawietz, Freirechtslehre. In: Joachim Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 2, Basel - Stuttgart 1972, Sp. 1098 - 1102, 1099. 85 Ehrlich, a.a.O. (N. 59), S. 127 f., 130. 88 Ders., ebd., S. 258 f. 87 Dazu und zum folgenden: Ehrlich, a.a.O. (N. 63), S. 17l. 8S Ehrlich, a.a.O. (N. 59), S. 262 f.

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Je weiter sich die Freirechtsjurisprudenz in ihren Lehren von dem kognitiven Handlungs- und Forschungsparadigma der Jurisprudenz entfernte, um es durch ein volitives zu ersetzen, um so stärker mußten auch die Widerstände gegen sie wachsen. In dem Maße, in dem sie jedoch ihren Blick konsequent auch auf die außerrechtlichen Entscheidungsgrundlagen allen rechtlichen Denkens und juristischen Argumentierens, Begründens und Entscheidens lenkte, um die Verbindung zu den sozialen Bezugsproblemen des geltenden Rechts und seiner Anwendung herzustellen, vermochte sie trotz aller Widerstände zur Neuorientierung der Jurisprudenz beizutragen. Ihr aus heutiger Sicht wohl wichtigster methodologischer Ertrag kann in der bleibenden Einsicht erblickt werden, daß jede praktische, auf rechtliche bzw. juristische Texte (Quellentexte, Gesetze, Präjudizien, Kommentare, Lehrbücher usw.) gestützte juristische Argumentation, die sich um die Begründung juristischer Entscheidungen als Rechtens bemüht, bei aller kognitiven Stringenz juristischer Erkenntnis, zu welcher der erforderliche Subsumtionsschluß Anlaß gibt, stets an kontingente soziale Bedingungen gebunden bleibt. Es wäre daher in methodologischer Hinsicht gänzlich verfehlt - und dies ist der bleibende Irrtum aller Begriffsjurisprudenz -, bei der richterlichen Rechtsanwendung das rechtliche Denken und die juristische Argumentation, Begründung und Entscheidung gegenüber ihrem jeweiligen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemkontext gänzlich isolieren zu wollen. Die Freirechtsjurisprudenz hat demgegenüber ganz unmißverständlich die institutionelle Leistung aller Justiz ein für allemal ins Offene gebracht, die sich darin äußert, daß der Richter bei seiner richterlichen Rechtsfindung zwar nach Maßgabe der vom Gesetzgeber statuierten normativen Entscheidungsprämissen zu befinden hat, aber seine juristische Entscheidung - bei realistischer Betrachtungsweise aufgrund des gesetzgeberischen Entscheidungsprogramms unter Berücksichtigung weiterer Faktoren durchaus selbständig und eigenverantwortlich fällt und begründet. Und darin lag und liegt eine grundlegend neue Einsicht in das Handlungs- und Forschungsparadigma einer die juristische Entscheidungspraxis betreuenden Jurisprudenz, hinter die auch die heutige Entwicklung der Rechtswissenschaft bei aller Positivität des Rechts und aller Fachwissenschaftlichkeit der Jurisprudenz nicht wieder zurückfallen dürfte. (3) Auch die Interessen- und Wertungsjurisprudenz, die schon von Rudolph von Ihering (1818 - 1892) begründet wurde, jedoch Philipp Heck (1858 - 1943) ihren Namen und ihre detaillierte Ausarbeitung als Juristische Methodenlehre verdankt, nahm bei der Auslegung in ihrer juristischen Methodik stets ihren Ausgang von den normativen Texten, in denen das Recht seinen sprachlichen Ausdruck findet. In der Auslegung und Anwendung des geltenden Rechts beschränkte sie jedoch ihre nor-

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mative Sinndeutung nicht bloß reduktiv auf eine rein hermeneutische Analyse der rechtlichen bzw. juristischen Texte. Die Einseitigkeit einer bloßen Analytik und Hermeneutik im Umgang mit Rechtstexten erblickte Heck in seiner kritischen Auseinandersetzung mit der überkommenen analytisch-hermeneutischen Jurisprudenz darin, daß für sie das jeweils geltende Recht nichts anderes sei als eine "unter gewissen, in der Verfassung bestimmten Modalitäten aufgrund gewisser verfassungsmäßiger Vorgänge hergestellte Kombination von Papier und Druckerschwärze, aus der wir einen bestimmten Gedankeninhalt entnehmen können"S8. Was seine Auffassung von der Positivität des Rechts angeht, so begriff er im Hinblick auf die "Gebots- und Gehorsamsvorgänge", die wir im geltenden Recht und seiner Anwendung stets "vor uns haben", das positive Recht als den "Komplex der empirisch vorhandenen Gebote" und demzufolge die Jurisprudenz als eine "empirische Wissenschaft" 70. Die maßgebliche Basisvorstellung der Interessen- und Wertungsjurisprudenz über die Positivierung von Recht erkannte er - in deutlicher Spitze gegen die Auffassungen der deutschen historischen Rechtsschule des 19. Jhs. - in ihrer "Grundanschauung", "daß die Rechtssätze nicht hervorgehen aus Vorstellungen, die sich in dem Gemeinbewußtsein hinsichtlich der juristischen Struktur von Rechtsgebilden entwickelt haben, sondern daß sie hervorgehen aus der Entscheidung angeschauter Interessenkonflikte, entschieden nach dem Werte, den die Rechtsgemeinschaft den beteiligten Interessen beilegt"71. Die Relevanz dieser Grundanschauung erblickte er in ihrer "Bedeutung für das Verständnis des gesetzten Rechts, für die Entscheidung von Rechtsfällen nach dem gesetzten Recht und für die Arbeit de lege ferenda"7.1. Was die Auslegung, Anwendung und Gewinnung des Rechts im Einzelfalle sowie die hierzu erforderliche juristische Begriffs- und Systembildung angeht, so unterschied er folgerichtig zwischen den Problemen "der normativen Entscheidung, der Erkenntnis ihrer empirischen Grundlagen und schließlich der Darstellung der Ergebnisse durch begriffliche Zusammenfassung und Formung"73. Offensichtlich geht es dabei - und damit wird die vermittelnde Position gegenüber der Begriffsjurisprudenz einerseits, aber auch gegenüber der Freirechtsjurisprudenz andererseits deutlich - in der praktischen juristischen Methodik des Umgangs mit 18 Philipp Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz. In: Archiv für die civilistische Praxis 112 (1914), S. 1 - 318, 135 f. 70 DerB., Grundlagen des Rechts. In: Adolf Bauser (Hrsg.), Deutsche Staatsbürgerkunde, Stuttgart 1922, S. 139 - 157, 140; ders., Rechtsphilosophie und Interessenjurisprudenz. In: Archiv für die civilistische Praxis 143 (1937), S. 129 -196,180; ders., a.a.O. (N. 69), S. 15 f., 167. 71 Dazu und zum folgenden: Philipp Heck, Interessenjurisprudenz und Gesetzestreue. In: Deutsche Juristen-Zeitung 10 (1905), S. 1140 -1142, 1140 f. 71 Heck, ebd., S. 1141. 73 Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung, 2. Aufl., Tübingen 1932, S. 5, 18.

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dem geltenden Recht und seiner Anwendung stets um eine teils kognitive, teils volitive Tätigkeit. Dem sucht auch die Juristische Methodenlehre der Interessen- und Wertungsjurisprudenz Rechnung zu tragen. Die Interessen- und Wertungsjurisprudenz von und seit Heck hat sich selbst mit großer Akribie "um eine kritische Stellungnahme nach zwei Fronten" bemüht, nämlich gegenüber der Begriffsjurisprudenz und gegenüber der Freirechtsjurisprudenz, um die von ihr in die Wege geleitete "Umwandlung der juristischen Methode" eingehend zu rechtfertigen74. Ich kann mich daher im folgenden auf die Beantwortung der Frage konzentrieren, worin die Interessen- und Wertungsjurisprudenz ihren eigenen Beitrag zur Grundlegung, zum Aufbau und zum Ausbau der Juristischen Methodenlehre erblickte. Erst an ihren Auffassungen und ihrem Selbstverständnis wird in vergleichender Perspektive deutlich, wie grundlegend sich das Handlungs- und Forschungsparadigma der Jurisprudenz mit dem - natürlich nur bis auf weiteres endgültigen - übergang zu der heute in Rechtspraxis und Praktischer Rechtswissenschaft ganz eindeutig vorherrschenden Interessen- und Wertungsjurisprudenz gewandelt hat. Den eigentlichen "Kern des Methodenstreits" erblickte die Interessen- und Wertungsjurisprudenz in der "Einwirkung des Rechts auf das Leben", wie sie vor allem "durch die richterliche Fallentscheidung vermittelt" wird. Daher stand und steht für sie das "Problem der Rechtsgewinnung durch Richterspruch" stets im "Mittelpunkt der juristischen Methodenlehre"75. Ihrer bereits näher gekennzeichneten methodologischen und rechtstheoretischen Grundanschauung vom Recht und seiner Anwendung folgend, richtete sie ihr Augenmerk vor allem auf den "Zusammenhang des Rechts mit den Lebensinteressen". Infolgedessen erblickte sie die "Hauptaufgabe der Rechtswissenschaft" vor allem in einer eingehenden "Interessenforschung" , das heißt in der "Untersuchung des Zusammenhanges zwischen den Rechtssätzen und den Interessenlagen"76. "Kein Rechtssatz ist erkannt oder dargestellt, wenn sein ,Interessengehalt' nicht erkannt und dargestellt ist." Infolgedessen suchte die Interessen- und Wertungsjurisprudenz, was die juristische Begriffs- und Systembildung angeht, durch konsequente "Untersuchung der Rechtsgebote auf Interessenwirkung" nicht mehr bloße "Gebotsbegriffe" zu formulieren, das heißt "Vorstellungen von Rechtssätzen, ihren Gruppen oder Teilen", sondern vor allem "Interessenbegriffe" zu bilden, das heißt "Vorstellungen von Gesetzeszwecken, von 74 Philipp Heck, Was ist diejenige Begriffsjurisprudenz, die wir bekämpfen? In: Deutsche Juristen-Zeitung 14 (1909), S. 1457 - 1461, 1457; ders., a.a.O. (N. 73),

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75 Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, Tübingen 1932, S. 2 f.; ders., a.a.O. (N. 73), S. 3. 78 Heck, a.a.O. (N. 74), S. 1458, 1466. Insgesamt hierzu und zum folgenden: Krawietz, a.a.O. (N. 47), Sp. 496 f.

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Interessenlagen und ihrer Wertung". Und das gewandelte Verständnis des Gebotsgehalts allen Rechts hatte zur Folge, daß nun auch die Rechtsanwendung durch den Richter nicht mehr bloß als eine "begrifflich-Iogische", sondern als eine "interessenvergleichend teleologische" Subsumtion11 angesehen wurde, bei welcher der Richter die im konkreten Falle einander widerstreitenden Interessen der Beteiligten nach Maßgabe des geltenden Rechts ermittelt und bewertet, um diese Wertung im Wege der juristischen Entscheidung in einem selbst gewonnenen Rechtssatz auszusprechen. Die Interessen- und Wertungsjurisprudenz begreift somit in ständiger Orientierung an dem Zusammenspiel von Rechtsetzung und Rechtsanwendung jede Auslegung, Anwendung und Gewinnung des Rechts im Einzelfalle, aber auch die ihr zweckdienliche juristische Begriffs- und Systembildung nicht bloß als volitive, sondern vor allem als evaluative Tätigkeiten. Die Verbindung der kognitiven und volitiven mit den evaluativen Aspekten dieser Tätigkeiten ist meines Wissens bislang von niemandem klarer herausgestellt worden als von Harry Westermann, der schon 1955 in seiner Rektoratsrede über "Wesen und Grenzen der richterlichen Streitentscheidung" die Eigenart der juristischen Entscheidungstätigkeit des Richters in der "Ableitung der Streitentscheidung aus der Norm" erblickte, ohne darin eine "bloß erkennende und subsumierende Denktätigkeit" zu sehen, weil jede richterliche Entscheidung "voluntaristische Bestandteile" enthält18 • Zwar kommt die Streitentscheidung "durch Ableitung des Urteils aus der Norm zustande, die für den vom Richter festgestellten Sachverhalt gilt, d. h. der Inhalt der Norm bestimmt den Inhalt der Entscheidung", doch ist diese richterliche "Willensentscheidung" stets "an die generelle Wertung des Gesetzes gebunden, nicht dem richterlichen Ermessen überlassen". "Die Bindung des Richters an das Gesetz bedeutet Bindung an die Wertung des Gesetzes." Die richtige juristische Methode praktischer Rechtsanwendung kann sich daher nicht in formallogischen Deduktionen erschöpfen, sondern muß als "Ableitung des Werturteils aus der Norm" begriffen werden. Obwohl das Gesetz nur "abstrakt und generell" entscheidet, das heißt bloß "auf den Typ des zu entscheidenden Interessenstreits", "auf bestimmte Tatbestandsmerkmale" abstellt, ohne die "persönlichen Umstände der 11 Krawietz, ebd., Sp. 497. Reiches Material zur Rekonstruktion der Juristischen Methodenlehre der Interessen- und Wertungsjurisprudenz (lherings, Hecks und der Tübinger Schule insgesamt), deren systematische Darstellung und Ausarbeitung leider noch immer fehlt, findet sich bei: Johann Edelmann, Die Entwicklung der Interessenjurisprudenz, Bad Homburg 1967 und Wilfried KaUfass, Die Tübinger Schule der Interessenjurisprudenz, Frankfurt am Main 1972. Hier werden bereits die Konturen der zu Grunde liegenden Methodologie der Rechtswissenschaft wie ihrer Rechtstheorie erkennbar. 18 Dazu und zum folgenden: Harry Westermann, Wesen und Grenzen der richterlichen Streitentscheidung, Münster 1955, S. 5 ff., 7.

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Beteiligten" und die "den Einzelfall als Sonderlage individualisierenden" Kriterien zu berücksichtigen, ist die richterliche Rechtsprechung "dem Wesen nach Anwendung der gesetzlichen Wertungen, im Gegensatz zur selbständigen Bewertung"78. "Rechtsprechung bedeutet danach nicht, die generelle Wertung des Gesetzes zu der im Einzelfall richtigen Wertung zu konkretisieren, sondern grundsätzlich, den Einzelfall ohne Rücksicht auf die individualisierenden Tatbestandsteile mittels der bewußt generellen Wertung zu ordnen." Insoweit bedarf die vom Gesetzgeber vorgenommene "typisierende Wertung durch die Norm" stets der insoweit komplementären richterlichen "aufgrund der durch das Gesetz bindend vorgeschriebenen Interessenbewertung"so. Und es ist die ständig aktuelle Aufgabe der Interessen- und Wertungsjurisprudenz, so eingehend wie möglich bei ihrer methodisch angeleiteten "wissenschaftlichen Durchdringung des Gesetzes" die jeweilige "gesetzliche Bewertung" der Interessen zu untersuchen und die "für die einzelne Norm maßgebenden Bewertungsfaktoren" zu ermitteln, um auf diese Weise die "möglichen Bewertungsfaktoren analysierend herauszuschälen" und den objektiven Gehalt einer Norm in ihrer systematischen Stellung klarzustellen"Bl. Verglichen mit den begriffsjuristischen Denkansätzen des 19. Jhs., aber auch mit den Reformbestrebungen einer freirechtlichen Jurisprudenz, ist die Interessen- und Wertungsjurisprudenz schon früh ganz eindeutig aus der bisher vertrauten Rechtspragmatik herausgetreten und hat eine neue, durchaus eigenständige, genuin fachwissenschaftliche, juristische Methodik begründet. In dem Maße, in dem sie den tatsächlichen Gegebenheiten und Voraussetzungen des rechtlichen Denkens und des juristischen Argumentierens und Entscheidens Rechnung zu tragen suchte, vermochte sie sich auch in Rechtspraxis und Praktischer Rechtswissenschaft durchzusetzen und ist bislang relativ unangefochtenB! geblieben. Ihr wesentlicher Ertrag in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg dürfte in der kritischen Auseinandersetzung mit den werttheoretischen Voraussetzungen und Implikationen des vorübergehend wiederauflebenden Naturrechtsdenkens zu erblicken sein, aber auch in der Aufdeckung und Kritik der Prämissen eines längst nicht mehr zeitgemäßen Gesetzes- und RechtspositivismusB3 • Das für die juristische Methodendiskussion wichtigste Ergebnis liegt jedoch in der überwindung einer aprioristischen Wertlehre, die in der Folge durch die realistische Konzeption einer vom n WesteTmann, ebd., S.l1 !f., 22 fl. eo DeTs., ebd., S. 8, 21 ff., 24. 81 Ders., ebd., S. 14 f., 21 f. 81 Die jüngst von Rhinow, a.a.O. (N. 41), S. 28 ff. bei genereller übereinstimmung im Grundsätzlichen vorsichtig geübte Kritik halte ich nicht für zutreffend. Die von ihm zur Behebung der vermeintlichen Mängel vorgebrachten Argumente gehören sämtlich schon längst zum klassischen Repertoire der Interessen- und Wertungsjurisprudenz. 83 Hierzu: Krawietz, a.a.O. (N. 1), S. 227 ff., 229 f. 10 Rechtstheorie. Beiheft 1

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Gesetzgeber mit Mitteln des Rechts vorgenommenen Sinngebung nach Maßgabe von rechtlich bereits etablierten Bewertungen84 ersetzt werden konnte, wie sie die Interessen- und Wertungsjurisprudenz wohl von Anfang an intendiert hatte. Mit dem übergang zur Interessen- und Wertungsjurisprudenz hat sich somit das Handlungs- und Forschungsparadigma der Jurisprudenz von Grund auf erneut gewandelt.

vm. Was den "heutigen deutschen Methodenstreit"85 in der Rechtswissenschaft angeht, der noch immer seiner Bewältigung harrt, kann man den hier belegten, in seinem bisherigen Verlaufe zutage getretenen Paradigmenwechsel nicht bloß als leidige Tatsache zur Kenntnis nehmen, um wieder zur bisherigen Tagesordnung zurückzukehren, auf der eine der gegenwärtigen Wissenschaftsentwicklung adäquate Behandlung des Juristischen Methodenstreits bislang nicht vorgesehen ist. Vielmehr ist die Frage zu stellen, in welchem Verhältnis die Interessen- und Wertungsjurisprudenz heute zu den übrigen Bestrebungen einer Neubegründung der Juristischen Methodenlehre steht. Wie alles Recht und seine Anwendung - und das heißt zugleich: wie alle Wissenschaft vom Recht und seiner Anwendung! - unterliegt auch die methodologische Eigenart des juristischen Problemlösungsverhaltens einem sich permanent vollziehenden Wandel der Auffassungen, der mit dem übergang zur Interessen- und Wertungsjurisprudenz ganz sicherlich nicht an das Ende seiner geschichtlichen Entwicklung gelangt ist. Auch sind keine zureichenden Gründe dafür ersichtlich, daß die Juristische Methodenlehre dogmatischer Rechtswissenschaft (als Teildisziplin einer umfassenden Methodologie der Rechtswissenschaft überhaupt!) es sich heute noch leisten könnte, ihre überlegungen - unter Ausschluß vermeintlich bloß externer neuer Denkanstöße - auf die Erörterung interner Denkansätze zu beschränken. Vielmehr muß die Unterscheidung zwischen internen und externen Denkansätzen selbst als Ausdruck einer Schrebergärtnermentalität angesehen werden, die in einer Jurisprudenz, welche sich selbst als Wissenschaft versteht, kein Hausrecht mehr besitzt. Im Vordergrund der aktuellen juristischen Methodendiskussion steht nach wie vor das Interesse an der juristischen Argumentation, das heißt an der Begründung juristischen Redens und der normativen Rechtferti84 Eingehend zu der vor allem von Westermann vorgenommenen "Verdeutlichung der Bewertungsjurisprudenz" jetzt: Krawietz, ebd., S. 204 f. 86 Hierzu grundlegend: Franz Wieacker, Zur praktischen Leistung der Rechtsdogmatik. In: Rüdiger Bubner I Konrad eramer I Reiner Wiehl (Hrsg.), Hermeneutik und Dialektik. Hans-Georg Gadamer zum 70. Geburtstag, Zweiter Band, Tübingen 1970, S. 311 - 336, 335 f.

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gung rechtlichen Handeins. Zwar ist die konventionelle juristische Methodik durch die insoweit bahnbrechenden Analysen von Viehweg über die Eigenart einer in ihrer Argumentation vermeintlich bloß topischen Jurisprudenz in Frage gestellt und relativiert worden, weil dadurch auf andere Möglichkeiten des Selbstverständnisses der Jurisprudenz verwiesen wurde86• Entsprechendes läßt sich auch von einer eher dialektischrhetorischen Jurisprudenz sagen, die von und im Anschluß an Perelman mit dem Ziel derBegründung einer neuenRhetorik (nouvelle rhetorique) konzipiert wurdes7 • Jedoch sind die Untersuchungen juristischer Argumentationszusammenhänge sowohl in der neuen Topik als auch in der neuen Rhetorik im wesentlichen auf die Analyse rechtlicher Texte und juristischer Sprachverwendungen beschränkt geblieben. Was die Auslegung und Anwendung des geltenden Rechts wie die Rechtsgewinnung im Einzelfalle, aber auch die ihnen dienende juristische Begriffs- und Systembildung anbelangt, so geht es der topischen Jurisprudenz haupt.· sächlich darum, in Anknüpfung an die jeweiligen rechtlichen Topoi (Loci) juristischen Redens, Argumentierens und Begründens diesen mei.· nungsmäßig fixierten Prämissen für die juristische Argumentation normative Orientierungsgesichtspunkte zu entnehmen, welche eine gewisse Gewähr dafür bieten, aufgrund ihrer übereinstimmung mit dem eingelebten Gemeinsinn (sensus communis, common sense) oder mit angesehenen, durch Autoritäten gestützten Meinungen praktisch annehmbar zu sein. Und auch die rhetorische Jurisprudenz, welche die Tradition der juristischen Logik, das heißt der Juristischen Methodenlehre der praktischen Rechtswissenschaft, in hervorragendem Maße erneuert hat und fortführt 88, ist hauptsächlich darauf bedacht, in der juristischen Argumentation neben der logischen Gültigkeit ihrer Ableitungen vor allem die Stichhaltigkeit und praktische AnnehmbarkeitSI der von ihr präsentierten Gründe zu sichern, die zur normativen Rechtfertigung der jeweiligen juristischen Entscheidung benannt werden. Was hingegen nach wie 8e Das sieht: Jiirgen Blühdorn, Kritische Bemerkungen zu Theodor Viehwegs Schrift: Topik und Jurisprudenz. In: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 38 (1970), S. 269 - 314, 277, für den Viehwegs "Rückgriff auf ein historisches Modell" jedoch die Aufgabe hat, "eine Theorie und eine Methode aufzubauen und zu legitimieren". Und Alois Troller, Grundriß einer selbstverständlichen juristischen Methode und Rechtsphilosophie, Basel - Stuttgart 1975, S. 57 f. bemerkt in seiner Kritik an bloß "topischem Denken" mit Grund, alle Juristen sollten "sich stets überlegen, ob die von ihnen verwendeten Begriffe und Begriffssysteme die möglichst unmittelbare Vorstellung über die zu ordnenden zwischenmenschlichen Beziehungen oder über den Weg zu ihrer Ordnung entstehen lassen". 87 Dazu besonders: Georges Kalinowski, Le rationel et l'argumentation de Chaim Perelman et Lucie Olbrechts-Tyteca. In: Revue Philosophique de Louvain 70 (1972), S. 404 - 418. Vgl. ferner: Krawietz, a.a.O. (N. 32), S. 72 f. 88 Chaim Perelman, Juristische Logik als Argumentationslehre, Freiburg i. Br. - München 1979, S. 14 f. et passim. 81 Ders., ebd., S. 138 ff., 141 f.

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vor fehlt 0o, ist eine konsequente Orientierung der juristischen Methodik an den Wechselbeziehungen zwischen den Rechtsnormen und dem menschlichen Handeln. Sie finden bislang nur im Handlungs- und Forschungsparadigma der Freirechtslehre wie der Interessen- und Wertungsjurisprudenz eine gewisse, aber nicht zureichende Berücksichtigung. Neuerdings will selbst ein so profilierter Vertreter einer konventionellen Juristischen Methodenlehre mehr dogmatischer Provenienz wie Esser im Hinblick auf die "Art des juristischen Argumentierens" bloß noch zwei gegensätzliche "Argumentationsstile" unterscheiden, indem er dem "topischen Argumentieren" ein begrifflich-dogmatisches Argumentieren gegenüberstellt, dem "alle den anerkannten Rahmen von Rechtstexten betreffenden Bedeutungs- und Sinnargumente" zur Verfügung stehenD1 • Ich habe nicht nur Zweifel wegen der mangelnden Trennschärfe dieser Unterscheidung, sondern frage mich vor allem, ob mit dem Rückzug Essers auf bloße "Argumentationsstile" nicht wesentliche Errungenschaften der herkömmlichen Juristischen Methodenlehre dogmatischer Rechtswissenschaft ohne Not preisgegeben werden. Sein Denkansatz trägt zudem den Entwicklungstendenzen und schon heute möglichen Schlußfolgerungen in keiner Weise Rechnung, die sich für den Aufbau einer Juristischen Methodenlehre aus dem bisherigen Paradigmenwechsel im Juristischen Methodenstreit ergeben. Wer die juristische Methodik auf den stilgerechten sinndeutenden Umgang mit Rechtstexten verkürzt, reduziert die hochkomplexen Arbeitsvorgänge juristischen Argumentierens, Begründens und Entscheidens auf einen bloßen Teilaspekt. Es dürfte demgegenüber nützlich sein, sich darauf zu besinnen, daß die überkommene juristische Logik - und damit meine ich selbstverständlich nicht die moderne formale Logik92 und ihre Anwendung im Bereich der Jurisprudenz, sondern die tradierte Juristische Methodenlehre dogmatischer Rechtswissenschaft! - sich niemals in Fragen nach der bloßen Form und dem Stil der juristischen Argumentation erschöpfte. Wer sich an dem praktischen juristischen Argumentieren und Entscheiden orientiert, um zum Aufbau einer der Rechtspraxis wie der Praktischen Rechtswissenschaft adäquaten Juristischen Methodenlehre 90 Das Defizit verdankt sich nicht zuletzt der Tatsache, daß das Rechtsdenken sich nicht eben selten mit dem bloß ontologischen "Verweis auf Bestehendes" begnügt, ohne sich um eine zureichende "Ontologiekritik" zu bemühen. Zu diesen "ontologischen Implikationen" juristischen Argumentierens und Entscheidens jetzt: UlfTied Neumann, Rechtsontologie und juristische Argumentation, Heidelberg - Hamburg 1979, S. V, 78 ff., 94 ff., der sich selbst für die "Notwendigkeit einer realistischen Sprachkonzeption" ausspricht. et Josef Esser, Juristisches Argumentieren im Wandel des Rechtsfindungskonzepts unseres Jahrhunderts, Heidelberg 1979, S. 5 ff., 20 f. 82 Wie hier: Peretman, a.a.O. (N. 88), S. 7 f., 14 f.

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zu gelangen, tut sicherlich gut daran, bei der Analyse juristischer Argumentationszusammenhänge das komplementäre Verhältnis von Logik, Topik und Rhetorik zu beachten, das im juristischen Argumentieren, Begründen und Entscheiden seinen sprachlichen Ausdruck findet. J edoch dürfte es verfehlt sein, sich dabei ausschließlich auf die Analyse rechtlicher Texte und eine normative Sinndeutung der juristischen Sprachverwendungen zu beschränken. Die rechtsanwendende Entscheidungstätigkeit des Juristen erschöpft sich nicht in einer derartigen Normtextbehandlung. Vielmehr läßt sich der normative Sinngehalt der Rechtssätze zureichend nur dann bestimmen, wenn die Auslegung, Anwendung und Gewinnung des jeweils geltenden Rechts sich von vornherein an den Wechselbeziehungen orientiert, die nun einmal in Wirk. lichkeit zwischen den Rechtsnormen und dem menschlichen Handeln bestehen. Begreift man die überkommene Begriffsjurisprudenz, welche die Entwicklung der deutschen Jurisprudenz so lange und so nachhaltig bestimmte, daß wir auch nach der prinzipiellen überwindung ihrer Irrtümer derartigen Vorstellungen selbst heute noch bisweilen erliegen, in ihrem Grunde, ihrem berechtigten Kern und ihrem bleibenden Ertrag als eine Form analytischer Jurisprudenz 93 und das von Esser im Anschluß an frühere Veröffentlichungen94 jetzt propagierte Vorgehen letztlich als eine bloße Variante hermeneutischer Jurisprudenz, dann wird man gleichwohl nicht einen grundlegenden Paradigmen wechsel in der Jurisprudenz nachweisen können in dem Sinne, daß die Entwicklung der Jurisprudenz - langfristig gesehen - gleichsam von der analytischen zur hermeneutischen Jurisprudenz verlaufen sei's. Das gilt auch eingedenk der Tatsache, daß zahlreiche Vertreter dogmatischer Jurisprudenz in ihrem Rechtsdenken bekanntermaßen auch heute noch's bzw. sogar heute erneut'7 trotz aller inzwischen geleisteten Kritik mit dieser 93 Das hat schon Roseoe Pound zu Beginn des vorigen Jahrhunderts gesehen. Vgl. hierzu: Krawietz, a.a.O. (N. 1), S. 97 ff., 105 f. 04 Exemplarisch: Josef Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, Frankfurt a. M. 1970; durchgesehene und ergänzte Ausgabe 1972. •s Zur Kritik an einer hermeneutischen Jurisprudenz vgl. vor allem: Hans Albert, Erkenntnis und Recht. Die Jurisprudenz im Lichte des Kritizismus. In: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 2 (1972), s. 80 - 96, 84 ff., 87 f . .. Statt anderer: Hans Georg Hinderling, Rechtsnorm und Verstehen. Die methodologischen Folgen einer allgemeinen Hermeneutik für die Prinzipien der Verfassungsauslegung, Bem 1971. 17 Hierzu jetzt vor allem die überaus gründliche Untersuchung von: Johannes B. M. Vranken, Kritiek en Methode in de Rechtsvinding. Een Onderzoek naar de Betekenis van de Hermeneutiek van H. G. Gadamer voor de Analyse van het rechterlijk Beslissingsgebeuren, Deventer 1978, S. 162 ff., 292 (mit sehr beachtenswerten methodologischen Konsequenzen und Prolegomena für eine juristische Argumentationslehre).

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vermeintlichen Alternative liebäugeln. Ich habe eher den Eindruck, daß die heutigen modernen Formen der Analytik dabei sind, der überkommenen Hermeneutik nun endgültig den Garaus zu machen. Das geschieht auch und gerade dort, wo ein sprachtheoretisch reflektiertes Vorgehen mit Hilfe logischer Analysen in der Jurisprudenz den Vorgang der Deutung strukturell als spezifisch logische Analyse im pragmatischen Kontext auffaßt, um den Prozeß des Deutens und Verstehens "rational zu rekonstruieren", wie dies heute die "analytische Hermeneutik" schon tut88 • Die Bezeichnung "analytische Hermeneutik" darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die rationale Rekonstruktion der Prozesse rechtlichen Deutens und juristischen Verstehens als solche in der Jurisprudenz nicht zur Hermeneutik, sondern zur Analytik führt. Analytische Hermeneutik ist selbst nicht Hermeneutik, sondern Analytik. Die hier intendierte Symbiose von Analytik und Hermeneutik ist daher allenfalls eine vorübergehende und dürfte für die Hermeneutik in der Regel tödlich verlaufen. Dies wird spätestens dann einsichtig, wenn man bedenkt, daß die verstehende Deutung der Hermeneutik im Rahmen des rationalen Erkenntnisprozesses einer Rekonstruktion dieser Deutung ganz offensichtlich bloß dazu dient, die logische Ableitung der Deutungszusammenhänge intuitiv vorzubereiten". Hat die Analytik erst einmal ihr Ziel erreicht, ist die Hermeneutik als Vorläufer der logischen Ableitung entbehrlich geworden. Begreift man nämlich das stets prekäre Verhältnis von Analytik und Hermeneutik, das sich heute in der analytischen Hermeneutik zu einem vermeintlich stabilen, auf Dauer überlebensfähigen Komprorniß entwickelt zu haben scheint, als eine im wesentlichen arbeitsteilige Beziehung, in deren Rahmen die Hermeneutik die von ihr durch nacherlebend-verstehende Deutung intuitiv als wahrscheinlich identifizierten juristischen Argumentationszusammenhänge gleichsam am Fließband anliefert, um sie der logischen Analyse und überprüfung durch die Analytik zu unterwerfen, dann muß die Hermeneutik wegen der mangelnden logischen Stringenz ihrer Arbeitsleistungen unweigerlich ins Hintertreffen geraten, sobald der Analytik derartige logische Ableitungen gelingen. In der analytischen Hermeneutik ist daher das Verhältnis von Analytik und Hermeneutik von vornherein darauf angelegt, den Beitrag der Hermeneutik nach Möglichkeit durch den Beitrag der Analytik zu ersetzen. Trifft dies zu, dann wird das Handlungs- und Forschungsparadigma der Jurisprudenz heute wohl nicht mehr maßgeblich durch Hermeneutik geprägt. Versucht man, im Rückblick auf die Entwicklung der rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung wie auf den bisherigen Verlauf des .8 Christiane Weinberger IOta Weinberger, Logik, Semantik, Hermeneutik, München 1979, S. 163 f . .. Hierzu: Werner Krawietz, Das positive Recht und seine Funktion, Berlin 1967, S. 113 ff., 115 f.

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Juristischen Methodenstreits einige mögliche Entwicklungslinien zu extrapolieren, an denen sich die künftigen Auseinandersetzungen zu orientieren vermögen, so muß auffallen, daß auf dem weiten Gebiet logischer Forschungen, ganz im Gegensatz zu den traditionellen logischen Untersuchungen von Normsätzen, die sich vor allem im Bereich der Syntax und Semantik bewegten, neuerdings vor allem pragmatische Fragestellungen in das Blickfeld normenlogischer Analysen gerückt sind 10o. Das gilt auch für den weiten Bereich der übertragung semiotischer Fragestellungen auf das Recht und seine Anwendung bzw. auf die Jurisprudenz, in dem die Pragmatik, das heißt die Ebene der Beziehungen zwischen rechtssprachlichen Zeichen und ihren Benutzern, zunehmend in den Vordergrund des Erkenntnisinteresses gerückt istl°1. Was sich hier andeutet, ist in der Tat - wie Viehweg einprägsam formuliert - eine "Wende von der Syntax und Semantik zur Sprachpragmatik"I02. Es wird daher zu bedenken sein, ob nicht die Pragmatik sehr viel stärker als bisher die eigentliche Basis aller weiteren überlegungen, auch in Syntax und Semantik, abgeben muß. Auch muß man sich fragen, ob es mit dieser Hinwendung zur pragmatischen Dimension der Rechtssprache und dem gesteigerten Interesse an der praktischen Begründung juristischen Redens und der normativen Rechtfertigung rechtlichen HandeIns schon sein Bewenden haben kann. Manches spricht dafür, daß dies nur erste Schritte auf einem neuen Wege sind. Das zeigen vor allem die jüngst veröffentlichten Untersuchungen von Broekman zum Verhältnis von juristischem Diskurs und Anthropologie, in denen mit der "Sprechstruktur" zunehmend auch der "Mensch im Recht" als Bestandteil des Rechtssystems gesehen wird 103. Es muß auffallen, daß alle diese Entwicklungstendenzen ganz offensichtlich in die Entwicklungsrichtung zielen, die auch an dem hier skizzierten Paradigmenwechsel im bisherigen Juristischen Methodenstreit abzulesen ist. In einem aufsehenerregenden Vortrag über die Möglichkeiten der Jurisprudenz als Wissenschaft hat Weinberger im "Streit um die spezifisch juristische Methode" mit Grund die Normenlogik als Basis der Jurisprudenz herausgestellt, sich selbst für eine "analytische Hermeneutik" ausgesprochen und in seinem Programm einer "erkenntniskritischen Jurisprudenz" für eine gnoseologisch differenzierte Semantik 100 101

Weinberger I Weinberger, a.a.O. (N. 98), S. 16 f. Thomas-M. Seibert, Zur Entwicklung semiotischer Fragestellungen in

der rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung. In: Zeitschrift für Semiotik 1 (1979), S. 277 - 288. 102 Theodor Viehweg, Rhetorik, Sprachpragmatik, Rechtstheorie. In: Friedrich Kaulbach I Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft, Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, Berlin 1978, S. 717 - 720, 718 f. 103 Jan M. Broekman, Recht und Anthropologie, Freiburg i. Br. - München 1979, S. 12 f., 135 ff.

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plädiert10'. Ich stimme seinen erkenntnis kritischen Forderungen zu, frage mich jedoch, wie sie beschaffen sein müßten, wenn man nicht der Semantik, sondern der Pragmatik die ihr nach meinem Eindruck zustehende basale Bedeutung beimißt. Unter Berücksichtigung des im Juristischen Methodenstreit bislang vollzogenen Paradigmenwechsels ist meines Erachtens nicht zu verkennen, daß sich im Bereich praktischer juristischer Argumentation die Wechselbeziehungen zwischen den Rechtsnormen und dem menschlichen Handeln von Anfang an nicht aus der juristischen Methodik heraushalten lassen. Dies macht die Ausarbeitung einer juristischen Argumentationstheorie erforderlich, deren Grundlagen in Anknüpfung an die bleibenden Einsichten und Errungenschaften des kontinentaleuropäischen Rechtsrealismus, insbesondere der deutschen Freirechtsjurisprudenz sowie der Interessen- und Wertungsjurisprudenz, nicht allein in einer erkenntnistheoretisch differenzierten Semantik, sondern vor allem in einer rechtssoziologisch differenzierten Pragmatik zu erblicken sind. Um dies zu realisieren, mußten freilich erst in der Rechtssoziologie Mittel und Wege zur Klärung jener Beziehungen gefunden werden, zu deren adäquater Behandlung die Jurisprudenz allein nicht in der Lage war. Das ist inzwischen geschehen. Daher sind die erkenntniskritischen Forderungen Weinbergers nach meiner Auffassung zu ergänzen um das Postulat, eine rechtssoziologisch differenzierte Pragmatik zum Ausgangspunkt und zur Grundlage aller weiteren Überlegungen zu machen. Seine Verwirklichung dürfte nicht ohne Folgen für den Aufbau der Juristischen Methodenlehre bleiben. In der Juristischen Methodenlehre der Praktischen Rechtswissenschaft führt jedenfalls kein Weg mehr zurück zu einer bloß analytisch-hermeneutischen Jurisprudenz.

104 Ota Weinberger, Die logischen Grundlagen der erkenntniskritischen Jurisprudenz. In: Rechtstheorie 9 (1978), S. 125 - 142, 132 ff., 141 f.

SPRACHPHILOSOPHIE UND JURISPRUDENZ Von Kazimierz Opalek, Krakow 1. Unabhängig davon, wie der Begriff des Rechts aufgefaßt wird, ist es eine Tatsache, daß sich die Rechtswissenschaft mit dem Recht im wesentlichen in der Gestalt sprachlicher Ausdrücke beschäftigt, also mit Texten von Vorschriften, Texten der Rechtsprechung und der praktischen Rechtsauslegung. Auf diesen Aspekt des Rechts haben - wenn auch nicht ohne Einseitigkeit - die analytischen Rechtstheorien des XIX. Jahrhunderts in der britischen und kontinentaleuropäischen Version Nachdruck gelegt. Diese Theorien generalisierten und entwickelten die in der langjährigen Praxis der Rechtsdogmatik ausgebildeten Regeln der formalen Analyse der Rechtstexte und der juristischen Folgerungen. Später wurde ihnen manchmal vorgeworfen, daß sie ihre Untersuchungen in Absonderung von anderen Wissenschaften und von der Philosophie betrieben haben. Man muß jedoch bemerken, daß die damalige Ausrichtung der in Frage kommenden Wissenschaften, also Logik, Linguistik usw., wie auch deren Entwicklungszustand keine größeren Möglichkeiten für eine Anregung der rechts-analytischen Forschungen geboten hätten.

2. Die Situation in der Rechtstheorie hat sich um die Wende des XIX. zum XX. Jahrhundert im Zeichen der rechtsrealistischen "Revolte gegen Formalismus", der Rückkehr zur klassischen deutschen Philosophie und der Wiedergeburt des Naturrechts wesentlich geändert. Nur die analytische Jurisprudenz mit dem typisch britischen Konservatismus und die Reine Rechtslehre, trotz ihrer ziemlich oberflächlichen neukantianischen Züge, leisten diesen Strömungen Widerstand. Das Übergewicht haben solche Theorien gewonnen, welche Untersuchungen im Bereich der formalen Analyse von Rechtstexten in den Hintergrund drängten oder sogar ablehnten. Obwohl in den folgenden Jahrzehnten eine gewisse Mäßigung eingetreten ist, begann sich die Hauptorientierung der Rechtstheorie wieder unter dem Eindruck der Erfolge der empirischen Sozialwissenschaften - insbesondere der Soziologie und der Entwicklung der Rechtssoziologie, als neuer Disziplin im Rahmen der Rechtswissenschaft - zu gestalten. Erst in den letzten Jahren sind neue praktische Bedürfnisse nach Förderung der analytischen Forschung - als einer wesentlichen Grundlage rationaler Gesetzgebung und Rechtsan-

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wendung - sowie der Speicherung und Verarbeitung von Daten über das geltende Recht aufgetreten. Zugleich wurden auch fruchtbare Perspektiven für die Anwendung von Errungenschaften der Sprachwissenschaften, der Logik und Kybernetik in diesen Forschungen erkannt. Die Vorurteile gegenüber der analytischen Forschung sind jedoch nicht verschwunden und die ihr zuerkannte Stellung ist zweitrangig im Verhältnis zu der Rechtstatsachenforschung. Die Ansichten über die Gleichberechtigung beider Arten von Untersuchungen, wie sie durch polnische Rechtstheoretiker1 formuliert wurden, (z. B. im Rahmen der Konzeption der "Rechtsebenen" - der psychologischen, soziologischen und linguistisch-logischen) sind eher programmatischer Natur und spiegeln den tatsächlichen Zustand kaum wider. Der Grad der Berücksichtigung der analytischen Problematik ist jedoch offensichtlich abhängig von der wissenschaftlich-philosophischen Tradition der einzelnen Länder, wie auch von verschiedenen Tatsachen der sozial-politischen Bedingtheit der Wissenschaft. 3. Im historischen Verhältnis zwischen Rechtstheorie und Philosophie ist es im XIX. und XX. Jahrhundert zu gewissen Störungen gekommen. Zugegeben, es besteht immer eine deutliche Parallele zwischen dem Auf·· stieg, Verfall und der Wiedergeburt der Richtungen der maximalistischen Philosophie - insbesondere was die Problematik der Axiologie anbelangt - und dem Erscheinen, Verschwinden und der Wiederbelebung der entsprechenden rechtsphilosophischen Richtungen. Auf der analytischen Ebene haben wir es jedoch mit einem Nichtzusammentreffen zu tun. In der Periode des größten Aufschwungs analytischer Untersuchungen in der Jurisprudenz gab es kaum ein deutliches Äquivalent solcher Forschungen in der Philosophie, und im XX. Jahrhundert ist die Situation umgekehrt. Die Philosophie unseres Jahrhunderts ist vorwiegend analytisch und hauptsächlich Sprachphilosophie, was man von der Rechtstheorie nicht sagen kann. 4. Zu den Richtungen der analytischen Philosophie - wobei man eine gewisse Unschärfe ihrer Grenzen beachten muß - gehören: die Philosophie des Common Sense von G. E. Moore; der logische Atomismus von B. Russell und L. Wittgenstein (die sog. erste Philosophie Wittgensteins); der logische Empirismus des Wiener Kreises, die Lemberger-Warschauer Schule, die durch einen liberalen Kritizismus gegenüber den Lösungen der klassischen Probleme der Philosophie gekennzeichnet ist, die aber diese Probleme nicht ablehnt, wie es der logische Empirismus tat; die "philosophische Therapeutik" (die sog. zweite Philosophie Wittgensteins und der Analytiker von Cambridge); und die Oxforder Philosophie der 1 J. W,.6blewski, Zagadnienie wieloplaszczyznowosci w metodologii wspolczesnej teorii prawa (Probleme der Rechtsebenen in der Methodologie der zeitgenössischen Rechtstheorie), Studia Prawnicze 21, 1969.

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normalen Sprache. In der analytischen Philosophie dominieren die metaphilosophischen Probleme betreffend den Gegenstand der Philosophie, ihres Verhältnisses zur Wissenschaft und der epistemologische Status der Philosophie. Den Ausgangspunkt und vorwiegend auch das Objekt der Analyse bildet die Sprache, lediglich mit Ausnahme der Philosophie von Moore. Dementsprechend ist die analytische Philosophie meistens Sprachphilosophie (die Grenzen sind wieder nicht ganz scharf). Die einflußreichsten dieser Richtungen der analytischen Philosophie sind: der logische Empirismus und die Philosophie der normalen Sprache; sie verdeutlichen die Gegensätzlichkeit zweier fundamentaler Tendenzen in der Sprachphilosophie. Eine dieser Tendenzen besteht in der logischen Rekonstruktion der Sprache, die andere in der Beschreibung ihrer bestehenden Eigenschaften durch Registrierung und Analyse der Regeln des Gebrauchs der normalen Sprache. Das gibt Anlaß zu einer Teilung der Sprachphilosophie in die rekonstruktive und die deskriptive2 • Der Rekonstruktivismus hält die Untersuchungen des Deskriptivismus nur für eine erste Phase, welcher der Aufbau eines adäquaten, einer möglichst großen Anzahl von Regeln des Sprachgebrauches angepaßten logischen Systems folgen soll. Der Deskriptivismus erwidert mit einer Kritik, die auf die unvermeidliche Deformation der Sprache durch ein solches Verfahren hinweist (infolge der Notwendigkeit, einen Teil der Regeln des Sprachgebrauches nicht zu beachten). Sowohl der Rekonstruktivismus wie auch der Deskriptivismus sind heute der Kritik von seiten der empirischen Linguistik ausgesetzt. Beide werden beschuldigt, keine zufriedenstellende Theorie der Sprache zu liefern. Es wird außerdem die apriorische Einstellung des Rekonstruktivismus und Intuitionismus zusammen mit der asystematischen (rein beschreibenden) Orientierung des Deskriptivismus hervorgehoben3 • Unabhängig davon spielt die Sprachphilosophie in der heutigen Philosophie eine sehr wichtige Rolle. Wegen des Objekts ihrer Forschung soll sie mit der Rechtswissenschaft, insbesondere der Rechtstheorie konfrontiert werden. Es müssen der bisherige Einfluß und die Möglichkeiten der Ausnützung ihrer bis jetzt nicht berücksichtigten Ergebnisse geprüft werden. 5. Die analytische Philosophie hat im XX. Jahrhundert wesentlich zur Evolution der Ethik - nicht aber der Rechtstheorie - beigetragen. In diesem Zusammenhang ist besonders die Entstehung eines besonderen Zweiges dieser Disziplin - der analytischen Ethik (Metaethik) - zu be2 P. F. Strawson, Construction an analysis, London 1957; G. Ryle, Dilemmas, Cambridge 1958, K. VIII; J. Kotarbinka, Controversy on the applicability limits of logical methods, Logique et analyse 29, 1965; R. J. Martin, Some thoughts on the formal approach to the philosophy of language, in: Pragmatics of naturallanguages, J. Bar-Hillel (Hrsg.), Dordrecht 1971. 3 J. Katz / J. Fodor, What's wrong with the philosophy of language, Inquiry

V, 3, 1962.

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tonen. Führende Vertreter einiger Richtungen der analytischen Philosophie beschäftigen sich in beträchtlichem Ausmaß mit ethischen Problemen (z. B. G. E. Moore, "Principia Ethica", 1903, M. Schlick, "Fragen der Ethik", 1932, R. M. Hare, "The Language of Morals", 1952, G. H. von Wright, "The Varieties of Goodness", 1963); andere Autoren, wie z. B. L. Wittgenstein, R. Carnap, H. Reichenbach, A. J. Ayer, nahmen auch zu gewissen ethischen Fragen Stellung4 • Die Entwicklung der Ethik unterscheidet sich also deutlich von der Entwicklung der Rechtstheorie im XX. Jahrhundert; während in der ersteren analytische Untersuchungen in den Vordergrund rücken, ist ihre Rolle in der letzteren bescheiden. Dies ist durch den traditionell engen Zusammenhang der ethischen und philosophischen Forschungen, der institutionell befestigt ist, zu erklären. Die ethisch-analytischen Probleme wurden nach und nach durch viele in ihnen sich spezialisierende Gelehrte untersucht. Eben im Rahmen der analytischen Philosophie in Verbindung mit der Ethik wurden Diskussionen über solche Grundfragen geführt, wie die Fragen der naturalistischen und antinaturalistischen Auffassung von Normen und Werturteilen, der Methodologie jener Wissenschaften, die sich mit Normen und Werten befassen, und das Problem des sog. Kognitivismus-Non-Kognitivismus-Streites. Dort wurden auch die semantischen und logischen Konzeptionen des "praktischen Diskurses" mit der für das frühe Stadium des Neopositivismus charakteristischen Theorie der emotiven Bedeutung und des Wertnihilismus erarbeitet. Die graduelle Abschwächung der Position des logischen Empirismus hat die Bildung von semantisch-logischen Konzeptionen ermöglicht, die eine Grundlage für die Logik der Imperative und die deontische Logik bildeten. Später kam es zu einer Konkurrenz zwischen diesen Auffassungen und Versuchen der Anwendung der Theorie der performativen und illokutionären Sprechakte zur Untersuchung des praktischen Diskurses. Es ist bemerkenswert, daß die rechtliche Problematik in diesen Arbeiten fast gar nicht berücksichtigt wurde, und daß die Rechtstheoretiker dort nur die Position von Außenseitern hatten, die gelegentlich diese Konzeptionen auf ihrem Gebiet anzuwenden versuchten. 6. Der Einfluß der analytischen Philosophie war also unbeträchtlich. In den letzten Jahrzehnten zeigt sich jedoch eine Zunahme dieses Einflusses, doch blieb dieser immer nur auf gewisse Autoren und wissenschaftlicheKreise beschränkt, die in enger Verbindung mit der Philosophie, oder konkreter, mit der Ethik, standen. Mit diesem Vorbehalt kann man sagen, daß in dieser frühen Periode die radikalen Auffassungen des logischen Empirismus mit ihren negativen Folgen für die Bewertung der , Von besonderem Interesse ist hier die Diskussion zwischen A. Kaplan (Logical empiricism and value judgments) und R. Carnap (A. Kaplan on value judgments), in: The philosophy of Rudolf Carnap, ed. P. A. Schilpp, La SaUe - London 1963, S. 827 - 845 und S. 888 - 1023.

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traditionellen Jurisprudenz zum Ausdruck kamen. Beide Aufassungen wurden in der grundsätzlichen Kritik der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus ausgenützt. Sie bildeten auch eine Grundlage für die Kritik der selbständig durch die Juristen erarbeiteten semantischen Konzeptionen (die pseudorealistischen "Theorien" der Normen und der rechtlichen Begriffe), wie auch der "Logik" der juristischen Folgerungen. Es war dies eine Art von Unterstützung der im Rahmen der Rechtstheorie selbst aus verschiedenen Positionen am Anfang des xx. Jahrhunderts unternommenen Kritik (L. Petrazycki, 1907, H. Kelsen, 1911, A. Hägerström, 1917). Die Auffassung von Petrazycki und Hägerström, nach der Normen und normative Termini Ausdrücke irrationaler Erlebnisse (von Emotionen, Gefühlen) sind, war in der Rechtstheorie eine Vorankündigung der Konzeption der emotiven Bedeutung und der These des NonKognitivismus. Sonderbarerweise gab die neopositivistische Sprachphilosophie in dieser Zeit keinen Anstoß zur Förderung sprachanalytischer Untersuchungen in der Rechtswissenschaft. Im Gegenteil, die Unterstützung der realistischen Theorien war mit der totalen Ablehnung des begrifflichen Instrumentariums der traditionellen Rechtswissenschaft verbunden. Solche Theorien sollten auf die empirische Tatsachenforschung gestützt werden, zusammen mit der Erarbeitung des den Erfordernissen des logischen Empirismus entsprechenden begrifflichen Apparates. Es war auch in den späteren Jahrzehnten die obenerwähnte Anerkennung der Priorität des Realismus nicht ohne Einfluß in ihrem Verhältnis zum analytischen "Formalismus" in den rechts-theoretischen Forschungen. Erst in neuester Zeit kam es in der Rechtstheorie parallel mit der Evolution des logischen Empirismus zu einer unter seinem Zeichen stehenden methodologischen Reflexion über den wissenschaftlichen Status der bestehenden Jurisprudenz, insbesondere der Rechtsdogmatik, über die Eigentümlichkeiten ihrer Sprache und ihrer Thesen. Es wurden auch Versuche unternommen, die unter dem direkten Einfluß der analytischen Ethik standen und eine Theorie der normativen Bedeutung in Anknüpfung oder Erweiterung der Theorie der deskriptiven Bedeutung der neopositivistischen Sprachphilosophie zu erstellen suchten. Es sollen in diesem Zusammenhang auch die neuesten Versuche der Formalisierung der Rechtssprache sowie die Untersuchungen der Bedingungen für den Aufbau einer Normenlogik, welche die Erfordernisse des Rechts berücksichtigt, und die Logiksysteme der deontischen Sätze erwähnt werden. Die rigoristischen Rahmen des Rekonstruktivismus boten kaum die Möglichkeit, die Eigenschaften der für die Juristen äußerst interessanten normalen Sprache zu ergründen. Das erklärt eine gewisse Wendung in den letzten Jahrzehnten, in denen sich die Philosophie der normalen Sprache herausbildete; diese Entwicklung führte zu Versuchen, die Er-

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gebnisse der Ordinary Language Philosophy in der Rechtstheorie auszunützen. Man bemüht sich, insbesondere folgende Probleme auf diesem neuen Wege zu erörtern: Die Eigenschaften der mit dem Recht verbundenen Sprachen, welche Abarten der normalen Sprache bilden, und zwar der Rechtssprache, der Sprache der juristischen Praxis, der Sprache der Rechtswissenschaft und der Sprache des allgemeinen juristischen Diskurses, der mit dem ganzen normativen, oder noch umfassender: direktiven Diskurs verbunden ist. - Die Frage der "performativen Dimension" der normativen Ausdrücke zusammen mit dem Problem verschiedener Arten des Gebrauchs und der "Stärke" normativer Äußerungen (z. B. des Gesetzgebers, des Richters, des Rechtsdogmatikers). - Die Analyse der bestehenden Modi der juristischen Folgerungen im Lichte der Konzeption der "informalen Logik" der Philosophie der normalen Sprache (G. Ryle u. a.). Solche Analysen wurden noch mehr im Rahmen der ähnliche Tendenzen aufweisenden, aber zu dieser Richtung nicht gehörenden Argumentationstheorie entwickelt. Nochmals muß unterstrichen werden, daß alle diese Verknüpfungen der Rechtstheorie mit der analytischen Philosophie, insbesondere der Sprachphilosophie, nur bei einer geringen Anzahl von Autoren und wissenschaftlichen Kreisen, welche vielleicht erst in letzter Zeit etwas anwächst, bemerkbar sind. Das Durchdringen dieser Konzeptionen zur Rechtsdogmatik ist noch seltener, und wenn es zustande kommt, so nur durch Vermittlung der Rechtstheorie. Den Einflüssen verschiedener Arten der analytischen Philosophie stand die skandinavische Rechtstheorie - nicht nur die Schule von Uppsala - immer offens. Beständig wirken diese Einflüsse in der polnischen Rechtstheorie, die sich auf die analytische Problematik - nicht ohne Inspiration durch die Lemberger-Warschauer philosophische Schule - konzentriert6 • Die analytische Prädilektion ist stark in Großbritannien, heutzutage unterstützt durch die Philosophie der normalen Sprache, hauptsächlich durch die Einwirkung von H. L. A. Hart? In den anderen Ländern sind diese Einflüsse diffus, schwer zu charakterisieren, obwohl sie in einer umfassenderen Untersuchung sicherlich eingehend analysiert werden sollten. Es ist auch überall eine Tatsache, daß die Rechtstheorie nur abseits des Hauptstromes der Diskussionen und der ständigen Evolution der Sprachphilosophie steht. Dasselbe gilt für das Verhältnis der Rechtstheorie zur empirischen Linguistik. Dies ist so, weil die analytische Ausrichtung selbst in der Rechtstheorie nicht immer stark genug ist, und auch darum, weil es in I s. Strämholm I H. H. Vogel, Le Realisme Scandinave dans la philosophie du drolt, Paris 1975. • K. Opalek, Die Rechtstheorie in Polen im xx. Jahrhundert, ARSP LIX 4, 1973. 7 J. Wolenski, Analytical jurisprudence and contemporary linguistic philosophy, Archivum Juridicum Cracoviense IV, 1971.

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der Periode der wissenschaftlichen Integration schwer ist, allen Aufgaben gerecht zu werden, die sie den Rechtstheoretikern bezüglich ihrer Ausstattung mit manchmal schwer zugänglichen Kenntnissen aus anderen Disziplinen stellt. 7. Unabhängig davon, daß die Einwirkung der Sprachphilosophie auf die Rechtstheorie nicht sehr umfassend ist, liegt zwischen den Lösungen der linguistisch-analytischen Probleme in der Rechtswissenschaft und den Haupttendenzen der Sprachphilosophie - dem Rekonstruktivismus und dem Deskriptivismus eine Parallele vor. Es scheint, daß diese Tendenzen - auch ohne bewußtes Programm und ohne den philosophischen Unterbau - überall, wo wir es mit linguistischer Analyse irgendwelcher Art zu tun haben, auftreten. Hier werden nur einige Beispiele zur Illustrierung dieser Tendenzen in der Rechtswissenschaft angegeben. 7.1. In der juristischen Literatur treten die gegensätzlichen Tendenzen zur Unterscheidung oder Nichtunterscheidung der Begriffe ,Rechtsvorschrift' und ,Rechtsnorm' hervor. Die Autoren, welche diese Unterscheidung akzeptieren, betrachten zumeist die Rechtsvorschrift als die "natürliche" Einheit des Rechtstextes und die Rechtsnorm als eine aus den in den Rechtsvorschriften enthaltenen Elementen konstruierte Verhaltensregel. Die Bildung solcher Verhaltensregeln entspricht dem Standpunkt des Rekonstruktivismus, wogegen die Wiedergabe des Rechts in der in den Rechtstexten gegebenen Gestalt mit dem Standpunkt des Deskriptivismus übereinstimmt. 7.2. Im engen Zusammenhang damit stehen die Bestrebungen nach Bestimmung der fundamentalen oder "ideellen" Struktur der Rechtsnorm (z. B. Hypothese - Disposition - Sanktion; Hypothese - Disposition; Korrelation Pflicht - Berechtigung, zwei "gekoppelte" Normen [die sanktionierte und die sanktionierende] usw.). Solche Bestrebungen stehen unter dem Zeichen des Rekonstruktivismus, und die Wiedergabe verschiedener Ausdrucksformen, die in den Rechtstexten faktisch auftreten, ist für den Deskriptivismus charakteristisch. 7.3. In der Praxis und der Theorie der Gesetzgebung kreuzen sich die Postulate der Formulierung der Rechtstexte auf Grund der Regeln des normalen Sprachgebrauches mit dem Ziel der Verständlichkeit, Zugänglichkeit des Rechts usw. und die Postulate der semantischen Präzision, der Einführung eindeutiger Rechtsbegriffe mittels regulativer oder stipulativer Definitionen. Das Problem hat viele Aspekte, auf die in diesem Rahmen nicht eingegangen werden kann. Jedenfalls entspricht die erstere Position dem Deskriptivismus und die letztere dem Rekonstruktivismus.

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7.4. Ähnlich ist die Situation auf dem Gebiet der Analyse der juristischen Begriffe als der Instrumente der Bearbeitung des geltenden Rechts, seiner Systematisierung und Auslegung. Diese Analyse kann sich auf die Wiedergabe der Rechtsbegriffe und der Regeln ihres Gebrauchs beschränken oder in ihrer Rekonstruktion bzw. in der Bildung neuer Begriffe bestehen. Es ist die Frage nach dem Ausmaß der kreativen Arbeit der Jurisprudenz in der Bestimmung ihrer Termini. 7.5. In der Lehre von der Rechtsauslegung unterscheidet man die sogenannten normativen Auslegungstheorien, die bestimmte Komplexe der Interpretationsdirektiven festsetzen, und die sog. beschreibenden Auslegungstheorien, die den tatsächlichen Verlauf der Interpretation darstellen. Diese Theorien, abgesehen von ihrer außerlinguistischen Schicht (der psychologischen und soziologischen), haben im ersten Fall die Merkmale des Rekonstruktivismus (die Absonderung und Präzisierung der "Direktiven" durch Analyse der tatsächlichen Vollbringung der Interpretation) und im zweiten Fall die Merkmale des Deskriptivismus. 7.6. Beide in Rede stehenden Tendenzen machen sich auch in der Lehre über die Rechtsanwendung (wieder abgesehen von den außerlinguistischen Erwägungen) bemerkbar. Es gibt hier Konzeptionen, die die faktischen Prozesse der Rechtsanwendung abbilden, und Konzeptionen, die ihre Rekonstruktion anstreben (Modelle der Rechtsanwendung, Modelle der Folgerungen im Prozeß der Rechtsanwendung). Was diese Folgerungen anlangt, ist die Sache insofern kompliziert, als die oben erwähnten Konzeptionen zum Teil die tatsächlich auftretenden Modi dieser Folgerungen registrieren. In der Regel aber gehen sie in die Richtung einer gewissen Rekonstruktion dieser Folgerungen. Die hier in Frage kommende logische Problematik wird nicht berücksichtigt, da sie von unserem Thema wesentlich verschiedene Fragen umfaßt. 7.7. Das Dilemma zwischen Präzision auf Kosten der Deformation der Sprache und der Treue zur letzteren auf Kosten des Appells an die vagen linguistischen Intuitionen finden wir auch in der Rechtswissenschaft, wo es noch durch die außerlinguistischen Postulate der Rechtssicherheit und Wirksamkeit des Rechts, in gewissem Maße auch der Legalität, sowie durch ethische Postulate verstärkt wird. Deshalb ist die vorwiegende Tendenz der Rechtswissenschaft die eines Kompromisses zwischen Rekonstruktivismus und Deskriptivismus, obwohl sich bei gewissen Rechtstheoretikern auch die radikalen Positionen geltend machen. 8. Der Standpunkt der Rechtstheorie, wo sie bewußt die Ergebnisse der Sprachphilosophie ausnützt, ist im Grunde genommen ähnlich. Beide Einstellungen werden als komplementär und vermutlich von dem Charakter der untersuchten Probleme abhängig erachtet. Man kann annehmen, daß die Gelehrten, die an der Bildung normenlogischer Syste-

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me interessiert sind, den Standpunkt des Rekonstruktivismus vertreten, wogegen sich Forscher, die sich mit der Analyse der juristischen Arten des Gebrauchs der Begriffe und der bestehenden Modi der juristischen Folgerungen beschäftigen, dem Standpunkt des Deskriptivismus nähern. Was die Bedeutung der sprachanalytischen Forschungen in der Rechtswissenschaft anlangt, sind wir von deren überschätzung auf Kosten der Forschungen über das Recht als Tatsache weit entfernt. Es muß jedoch bemerkt werden, daß die ersteren nicht richtig eingeschätzt wurden, wenn man ihren theoretisch-heuristischen wie auch praktischen Wert in Betracht zieht. In letzter Zeit gibt es in dieser Hinsicht gewisse positive Entwicklungen. Wir sehen in der Sprachphilosophie kein Allheilmittel zur Lösung der Schwierigkeiten, denen die Rechtswissenschaft ständig begegnet, aber unserer Meinung nach kann ein Teil dieser Schwierigkeiten mit Hilfe der Sprachphilosophie überwunden werden. Die Erweiterung des Bereiches ihrer Ausnützung und die Vertiefung ihrer Kenntnis verspricht größere Vorteile, als die Ausführung linguistischer Analysen nur aus eigener Kraft und mit den pro domo sua ausgebildeten Mitteln der Rechtsdogmatik.

NON-EQUIVALENT TRANSFORMATIONS AND THE LAW By Aleksander Peczenik, Lund 1. Human knowledge does not include any certam points, but it constitutes a lump, a jungle of connections between uncertain points, and the lump is quite stable. 2. The first and the secondnon-equivalent transformation,! fromsensations to knowledge about facts and to propositions about facts. My eye registers achanging field of colours and shapes and I recognize a fact: a white cat is hunting a mouse; I say "a white cat is hunting a mouse".2

How can I call a cat a cat? I have learned the word "cat" when my mother showed me a cat and said "cat". But how could I? Wittgenstein's point: I have already known that a woro could be the name of a thing; "only someone who already knows how to do somet:hing with jt can significantly ask a name".s How can I know that a cat is a cat? I have learned to see apart of my sensation-field as a cat; only someone who knows that his sensationfield can transmit information ab out things can ask himself about things he sees. By calling something a cat, "we attribute to it properties which go far beyond mere observation".4 3. The third non-equivalent transformation, from propositions about individual facts to general theories and laws of nature. The step from proposition ",all swans I have seen were white" to the generalization "all swans are white" is obviously non-deductive. General knowledge transcends experience. 1 What is, strietly speaklng, non-equivalent? Not a transformation itself but propositions (objeets, entiHes eie) between whieh the transformation oeeurs. 2 The word "seeing" is ambiguous, it ean be interpreted as "eneounter with ... ftashes, sounds and bumps", or "a ealculated meeting with these as ftashes, sounds and bumps of a particular kind". N. R. Ilanson, Patterns of Diseovery, Cambridge 1958, p. 24, prefers the seeond version. I think the dispute Is terminologieal, and eoneerns the question whether the word "seeing" should cover only the "eneounter" or also the "caleulation". 3 L. Wittgenstein, Philosophieal Investigations I, 31 (2 ed Oxford 1958, p. 15e). I do not take any position eoneerning the extensive philosophieal eonc1usions Wittgenstein draws from this observation. 4 K. Popper, The Logic of Seientifle Diseovery, New York 1959, p. 423.

11·

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Laws of nature are universal: irrespeetively of how wide Hs spatiotemporal seope is, the law is true - in this seope - in a11 empiriea11y possible modifieations of the world. 6 The problem is, however, how we ean know whether a given general proposition is true in a11 such modifieations or merely in a11 known instanees. The effeetive eriterion seems to eonsist in the method of validation of laws of nature. There are several views eoneerning validation and growth of knowledge. Induetivism. Induetion is the method proper to empirie al research. It eonstitutes the only possible method of foreseeing the order which rules the universe, if there is any order.o However, induetion is eontroversial. Falsificationism. 7 The proper method of scientifie research eonsists in formulating hypotheses; one aeeepts them as long as they are not falsified. However, an observation which seems to falsify a given hypo thesis ean often be eriticised and eliminated by other hypotheses. (An astronomer who does not seea star where it should be, norma11y assumes that his instruments are bad, not that the astronomical theory is wrong.) How ean a theory be falsified? Sophisticated jalsijicationism. Aseries of theories should be replaced by another one when its adaptation to observations, via additional hypotheses ete, no longer relevantly increases its empirieal eontent.8 Kuhn. 9 Normal science does not falsify theories. But during a scientifie revolution, a new paradigm gains a victory over the old one. A paradigm is determined by an exampie of research, a Weltanschauung, aecepted methods, problems, norms, strategies, research programs ete. If paradigms are ineommensurabIe, their sueeession eannot be rationally justified. The understanding of the growth of science and of the concept "law of nature" seems to presuppose a11 the above-mentioned methods of v,alidation. Scienee as a whole must be taken into aeeount,t° perhaps in 5 Popper, o. c. p. 433. Cf. O. Weinberger, Der nomische ABsatz, Grazer pMlosophische Studien, vol. 4, 1977, p.39; ibid., Contrary-to-fact and facttranscendent conditionals, 7 Ration 1974, p.15. a H. Reichenbach, On the justification ofinduction, 37 Journal of Philosophy, 1940, p. 97 ff.; cf. H. Feigl, Some major issues and developments in the philosophy of science of logical empiricism, Minnesota StJudies in the Philosophy of Science, Vol. 1, 4thed Minneapolls 1962, p. 29, 31. 7 Popper, o. c. p. 40 ff. Incidentally, one can combine inductivism and falsificationism, cf. R. B. Braithwaite, Scientific Explanation, New York 1960, p. 256; H. Mehlberg, T_he Reach of Science, Toronto 1958, p. 231. 8 1. Lakatos and A. Musgrave (eds.), Criticism and the Growth of Knowledge, Cambridge 1970, especially p. 116 ff. a T. S. Kuhn, The Structure of Scientific Revolutions, 2nd ed. Chicago 1970

passim. 10

"The unit of empirical significance is the whole of science", W. V. O.

Quine, From a Logical Point of View, Cambridge Mass. 1961, p. 42. Consjder also the following view: "The empirical basis of objective science has thus nothing 'absolute' ab out H. Science does not rest upon rock-bottom. The bold

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evolutionary perspective. It must also be mentioned that there isa kind of anaIogyll and coherence between Iaws of nature and that they fulfill a requirement of simplicity. An additional point. The more reasonable an observation, the stronger reasons are required to refute it. A scale has been suggested: directly evident, indirectly evident, reasonable, acceptable. The directly evident view refers to our thoughts, actions and sensations. 12

4. The fourth non-equivalent transformation, from description to causal explanation. t3 A cause is either a relevant element of a sufficient condition of its effect or a kind of a necessary condition of it; I disregard some weaker forms of causation. Not a11 conditions are causes but onIy those which a law of nature, or a common-sense quasi-Iaw of nature, connects with the effect. When speaking about causes of past individual events, we sometimes say more than known laws of nature permit. We say, for instance, that a certain wound was a suffident cause of B's death, i. e., that tbis particular wound made B's death inevitable, while the known laws of nature merely allow the concIusion that wounds of this type are very probably mortal. According to some philosophers, the idea of causation presupposes the principle of causation, sometimes interpreted as an apriori conception in a Kantian sense. u There is a complex feedback between sensations, common sense, language, observation of facts, universal laws of natureand causal theories. Besides, theories lead to action and to further observations confirming them; physics leads to the construction of an airplane which flies. But how do I know that it flies, that I am not dreaming? We accept human experience as a whole. As a last resource, we rely on the coherence af aur Weltanschauung and of aur form of life. 15 structure of its theories rises, as it were, above a swamp. It is like a building erected on piles. The piles are driven down from above into the swamp, but not down to any natural or 'given' base; and when we cease our attempts to drive our piles into a deeper l:ayer, it i5 not because we have reached firm ground. We simply stop when we are satisfied that they are firm enough to carry the structure, at least for the time being." - Popper, o. c. p. 111. n Cf. A. Pap, Introduction to Philosophy of Science, London 1963, p. 259 - 260. 12 Cf. R. M. Chisholm, Theory of Knowledge, Englewood Cliffs, NJ, 1966, p. 37, cf. p. 21 ff. 13 Cil. A. Peczenik, Gauses aIl!d Damages, Lund 1979, Ch 10 passim. 14 Cf. A. W. Burks, Chance, C8Iuse, Reason. An Inquiry into the Nature of Scientific Evidence, Chicago 1977, p. 619. 15 Wittgenstein, o. c. I 23; cf. A. Aarnio, On Legal Reasoning, Turku 1977, p. 127. Some comments about thIs "theory-circle". In a dynamic sense, there is a development, not a circle: A background theory T o leads to the choice of data F t • These are explained by a new theory T 2• This is tested by new data F 2 • Those are explained by a new theory Ta, etc., cf. G. Hermeren, Kunskapens utveckling, Insikt och handling 1973, p. 73 ff. This development is circular only

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5. Thc fifth non-equivalent transformation, from naluralistic "data" to intentional explanation. lu Why did B come here? The causal answer is, perhaps, "Beeause B was influenced by A." The intention-coloured, finalistic answer is: "B came here in order to meet A." An intentional explanation seems to assume causation. If B does 11 in order to bring about E, then His a causa finalis of E only if it isaIso a "normal" cause of E. Besides, A's thinking of E is a "normal" eause of H. But how can I know anything about B's intentions? If he has told me, then I must have understood his language. If he has not told me, then I may have guessed his intentions by analogy to situations in which he has referred to themY Besides, I can conclude something about his intentions by supposing that they are analogous with my intentions in similar situations. Knowledge of intentions presupposes a feed-back involving sensations, language, eommon sense, observations, generalizations and theories. Aarnio's point: in this context, "we meet a phenomenon typical to hermeneutics, i. e., the hermeneutical circle. An individual expression is conneeted witha eertain totaIity in which ease this totality ean also be understood in a new way. This new way of understanding is, on the other hand, refleeted to the primary expression ete. However, the task of the interpretation is not to break out of the circle. On the contrary, the problem of hermeneuties is how to proceed within the circle in such a way that we ean gain a better understanding than be fore the interpretation."18 This fact has consequences eoncerning justification. When in a weak meaning: from a kind of "entities" - theories - scienee goes to another kind - data - and back to the first kind - theories, ete. Some additional points. A cireular transformation from x to y and back to x, ean be interpreted eausally as a feed-back relation or analytieally as a eircle. Jan Evers's point: the circle ean eonstitute an efficient way to understand x, y and their mutual relation. It is not neeessary to ma'ke any of the classical mistakes: to use x in order to prove that y is true and to use y in order to prove that x is true (circular evidenee), or to pretend that the reasoning ris not cireular. 15 Cf. G. H. v. Wright, Explanation and Understanding, Ithaea, New York 1971, Part III and IV passim; Aarnio, o. e. p. 51 ff., 141 ff., 166 ff., 188 ff. and passim. 17 Cf. R. TuomeZa, Human Action and Hs Explanation, Dordrecht, Boston 1977. Tuomela diseusses SeIl ars' idea that mental "aets" cf thinking ean be introduced by analogy to aets of speech (p. 39 ff.). He points out that "an agent's aetions are to be explained in the first pi ace by referenee to his (conscious or subeonseious) plans of aeting - his eonduct plans ..." (p. 164). Then he introduces the coneept "purposive eause". The definition is too formal to be dJscussed here. In any ease, an event aetivating A's eonduet plan is seen as a purposive eause of A's action, and as "A's trying (wiUing) by his bodily behaviour to exemplify the action ... " (p. 247). Finally. the action "u is intentional if and only if there is a (eomplete) eonduet plan K such that A purposively brought about u because of K" (p. 321). 18 Aarnio, o. e. p. 131 with references.

Non-Equivalent Transformations MB und wir erhalten mit Hilfe klassenlogischer Formulierungen der Prämissen (7)

Dieser Schluß kann, wie man unmittelbar erkennt, auf den modus barbara zurückgeführt werden. 13

Wir orientieren uns hier an der Analyse des Analogieproblems bei J. M.

Bochenski, On Analogy. In: The Thomist 11, 1948, S. 474 - 496, ebenfalls in: J. M. Bochenski, Logisch-Philosophische Studien, übersetzt und herausgege-

ben von A. Menne, Freiburg-München 1959, S. 107 - 129.

270

Leo Reisinger

Wiclltigster Vertreter der Alternativtheorie im Bereich der juristischt!n Logik ist U. Klug!'. Die Besonderheit seiner Lösung besteht darin, daß er nicht M2 C Mt, sondern Mt U M2 C P fordert und Mt U M2 als Ähnlichkeitskreis definiertu . Beide Forderungen stellen aber keine grundsätzlichen Abweichungen von der allgemeinen Alternativtheorie dar. Klug charakterisiert seine Lösung folgendermaßen l8 : "Der Versuch, der juristischen Analogie einen formal gültigen Schluß zuzuordnen, hat also auf eine den modus barbara abbildende Formel ... geführt ... Die Besonderheit dieses Schlusses liegt nicllt in seiner formalen Struktur, sondern in dem inhaltlichen Umstand, daß die dem traditionellen Mittelbegriff entsprechende Klasse ... ein Ähnlichkeitskreis ist, der in bezug auf die jeweils bestimmte Ähnlicllkeitsrelation gebildet wurde." Zusammenfassend läßt sich der Klugsche Ansatz wie folgt beschreiben: Die Mittelbegriffe MI und M2 sind ähnlich derart, daß die auf der Extension des gemeinsamen Oberbegriffs von Mt und M2 definierte Ähnlichkeit als Äquivalenzrelation gedeutet werden kann. Gegen den Lösungsansatz der Alternativtheorie lassen sich insbesondert! die beiden folgenden Einwände vorbringen: Erstens haftet dem Ansatz in (6), eine Bedeutung b9 derart zu finden, daß bt = b2 U bs gilt, ein gewisses Maß an Willkür an. Zweitens aber - und dies ersclleint aus dem Blickwinkel des Juristen besonders wichtig - bedeutet dieser Ansatz, daß wir eine engere und eine weitere Interpretation der Bedeutungen der betrachteten Zeichen vornehmen und damit die Analogie erklären, während doch nach der juristischen Methodenlehre extensive Interpretationen und Analogien scharf zu unterscheiden sind. Der zweite hier zu besprechende Ansatz ist jener der Isomorphietheorie. Der Grundgedanke dieser von J. M. Bochetiski17 vertretenen Lösung besteht in folgender Annahme: Gegeben seien zwei semantische Sachlagen S (Zl, bt, Xl) und S (Z2. b2, X2); eine Relation P besteht zwischen bl und XIo eine Relation Q besteht zwischen b2 und :Vi!; P und Q seien isomorph. Für letztere Aussage schreiben wir (8)

P smOT Q (simili ordine)

U. Klug, op. cit. (vgl. Anmerkung 5), S. 118 ff. Eine Klasse Co: ist Ahnlichkeitskreis in bezug auf R, wenn R eine Ähnlichkeit (reflexiv, symmetrisch) ist und stets jedes Paar in Co: ein R-Paar und kein Element außerhalb von IX zu allen Elementen in Co: in der Relation R steht. ALs Beispiel für R gibt Klug (S. 121) an "annähernd die gleiche rechtliche Struktur haben wie". 10 U. Klug, op. cit. (vgl. Anmerkung 5), S. 121. 17 J. M. Bochenski, op. cit. (vgl. Anmerkung 16). Siehe auch A. Menne, Was ist Analogie? In: Phil. Jahrbuch 67, 1959, S. 389 - 395. 14 15

Zur Struktur der Analogie im Rechtsdenken

271

Nach der Isomorphietheorie läßt sich dann Analogie definieren durch AI (z1I Z2' b 1l b2, Xl' X.2) =df S (Zl' b l , Xl) /\ S (~, bi!' X2) /\ I (Z1I %2) /\

(9)

/\ Xl

=1=

Xii! /\

b l =1= b 2 1\ V P V Q (bI PXl

/\

b2 Qxs /\ P smor Q)

Aus PsmorQ folgt, daß P und Q dieselben strukturellen Eigenschaften aufweisen müssen. In der Praxis ist der Schluß allerdings meist umgekehrt: Man zeigt, daß P und Q dieselben strukturellen Eigenschaften haben und schließt daraus auf Isomorphie. Bochefiski zeigtl 8 , daß auch unter Annahme der Definition (9) der modus barhara gilt. Beurteilt man die Ansätze der formalen Rekonstruktion des Analogieschlusses, die zu allgemeingültigen Schlußverfahren führen, von der Warte des Rechtswissenschaftlers, so sind die sehr restriktiven Annahmen zu kritisieren, die für die Allgemeingültigkeit des Schlusses notwendig sind. Die Forderung der Alternativtheorie MI n M2 = M2 ist in der Praxis sicher nicht immer erfüllt, wesentlich realistischer wäre Mt n M2 =F cf> (wenn der gemeinsame Durchschnitt nur "genügend groß" ist!). Ähnlich'es gilt für die Isomorphietheorie. Da in der Praxis immer nur eine endliche Zahl struktureller Eigenschaften überprüft werden kann, kann streng genommen nur auf Homomorphie, nicht aber auf Isomorphie zwischen P und Q geschlossen werden.

4. Der Analogieschluß als kontingentes Schlußverfahren Die zuletzt geäußerten Einwände legen es nahe, den Analogiebeschluß formal als Wahrscheinlichkeitsschluß z.u rekonstruieren1'. Dies ist überall dort plausibel, wo Analogie als Form der Induktion aufgefaßt wird. Will man jedoch - wie in der juristischen Methodenlehre Analogie von Induktion unterscheiden, muß ein anderer Weg gewählt werden. J. M. Bochenski, op. cit. (vgI. Anmerkung 16), S. 494 ff. (S. 126 ff.). VgI. die folgenden Darstellungen in der traditionellen Logik: .4. Höjler, Logik, 2. AufI., Wien-Leipzig 1922, S. 728; M. W. Drobisch, Neue Darstellung der Logik nach ihren einfachsten Verhältnissen mit Rücksicht auf Mathematik und Naturwissenschaft, 4. Aufl., Leipzig 1875, § 146; B. Erdmann, op. cit. (vgI. Anmerkung 4), S. 703 ff.; Ch. Sigwart, Logik,Band II, 5. Aufl., Tübingen 1924, S. 415 ff. Zur modernen Darstellung der Rekonstruktion des Analogieschlusses als Wahrscheinlichkeitsschluß vgI. J. Lindenbaum Hossiason, op. cit. (vgI. Anmerkung 5), R. Carnap, On Inductive Logic. In: Phi!. of Sc. 12, 1945, S. 87 f.; ders., Logical Foundations of Probability, 2. Aufl., Chicago 1951, S. 569 ff.; ders., The Continuum of Inductive Methods, Chicago 1952, S. 9 ff. Nahe verwandt mit der Auffassung der Analogie als Wahrscheinlichkeitsschluß ist auch die Auffassung, Analogie sei eine heuristische Methode. VgI. F. Klix, Information und Verhalten, Berlin (Ost) 1971, S. 724; U. Neisser, Kognitive Psychologie, Stuttgart 1974, S. 70. 18

19

272

Leo Reisinger

Betrachten wir nochmals Schluß (2). Wird der Analogieschluß als Wahrscheinlichkeitsschluß interpretiert20 , so ist die Konklusion nun eine Wahrscheinlichkeitsaussage. Statt "S ist P" steht in (2) daher z. B. "Prob (S ist P) = p" (0 < p < 1). Wovon soll diese Wahrscheinlichkeit p nun abhängen? Es ist naheliegend, diese Wahrscheinlichkeit als Funktion der Ähnlichkeit Sim (M1, Mil) aufzufassen. Di~ bedeutet aber, daß "Ähnlichkeit" selbst keinen qualitativen, sondern topologischen oder metrischen Begriff darstellt. Man erhält dann anstelle (2) Mt (10)

ist P

S ist Mi!

ft (Sim (Mt, Mi!» =

Prob (S ist P)

m

=P

,LI (Sim (Mt, M2» stellt dabei ein geeignetes Maß der Ähnlichkeit dar (aus Normierungsgründen setzen wir wieder 0 0

b) p (0) '"'" 0

c) P (1)

=1

Eine Funktion, die die drei Forderungen in (11) erfüllt, ist z. B. (12)

p =mr mit r>O

Wir können jedoch noch einen Schritt weiter in der "Aufweichung" des traditionellen Syllogismus gehen. A. Kaufmann21 betont eindringlich, daß das analogische Denken ein Denken in Typen sei. Dies bedeutet für unseren Versuch einer formalen Rekonstruktion, daß die Terme des Syllogismus, insbesonder die Mittelbegriffe Mt und M 2 als Typen aufzufassen sind. An anderer Stelle!2 haben wir den Nachweis zu er20 Gegen die Interpretation des juristischen Analogieschlusses als Wahrscheinlichkeitsschluß wendet sich Th. HeUer, op. cit. (vgl. Anmerkung 5), S. 20, mit der Begründung, Wahrscheinlichkeit könne keine hinreichende Bedingung für den juristischen Analogieschluß abgeben, da jede juristische Folgerung einer zwingenden Begründung bedürfe. Hier wird Heller allerdings durch das "Kriterium der Praxis" widerlegt. 2\ A. Kaufmann, op. cit. (vgI. Anmerkung 5), S. 37 ff. 22 L. Reisinger, über die Anwendungsmöglichkeiten der Theorie unscharfer Mengen (Fuzzy Sets Theory) im Recht. In: DVR 4, 1975; L. Reisinger, Juristische Begriffstheorie und Theorie unscharfer Mengen (Fuzzy Sets Theory). In: Mokre J.-O. Weinberger (Hrsg.), Rechtsphilosophie und Gesetzgebung, Wien-New York 1976, S. 129 - 165.

Zur Struktur der Analogie im Rechtsdenken

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bringen versucht, daß sich juristische Typen adäquat mit Hilfe der Theorie unscharfer Mengen (Theory of Fuzzy Sets) formalisieren lassen. Wir fassen daher S, MI, M2 und P extensional als unscharfe Mengen auf und symbolisieren dies durch 6, ID11, ID12 und ~. Anstelle des Schlusses von (10) erhalten wir dann in extensionaler Schreibweise IDl I C \ß el C IDl2 !t (Sim (IDl 1, IDl2) = m

(13)

Prob (el c ~) = p

Wir definieren nun in Anschluß an (3) und (4) eine "unscharfe semantische Sachlage" Su durch (14)

Su (zl. Zz, 010 bjl. Xto x2. m) = df S (zl. 01' Xl) 1\ S (Z2. ~, X2) 1\ I (zl. 21!) 1\

1\ Xl =1=

x2

1\ !I (Sim (01, ~»

Für m = 1 erhält man Univozität, m finition der Analogie ergibt sich durch

=

= m

0 ergibt Äquivozität. Die De-

Analogie ist daher, wie es die aristotelische und thomistische Philosophie behauptet, in dieser Deutung tatsächlich die "media via" zwischen Univozität und Äquivozität. Es bleibt noch die Aufgabe, Sim (ID1t, ID12) bzw. Sim (bt, ~) zu operationalisieren. Wir schlagen hierfür den folgenden Weg vor: Sim (ID1 1, IDh) wird definiert als

-

unscharfe Relation, deren Argumente Namen für unscharfe Mengen sind;

-

Ähnlichkeit (reflexiv, symmetrisch);

-

Komplementärrelation zur Distanz.

Bekanntlich ist die Hamming-Distanz zweier unscharfer Mengen ID1 l und ID12 definiert durch (16)

Als Maß für die Ahnlichkeit erhält man dann (17)

»

d (lm to IDl2) n

I1 (Sim (lm v lm2 = 1 - - - - -

Wie man sich leicht überlegt, erfüllt (17) die oben genannten drei Forderungen. 18 Rechtstheorie, Beiheft 1

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Leo Reisinger

Abschließend sei darauf hingewiesen, daß auch diese Form der Formalisierung des juristischen Analogieschlusses nicht befriedigen kann. Sie trifft zwar weniger restriktive Annahmen, als die Lösungsansätze des Abschnitts 3, auch ihr fehlt jedoch die explizite Berücksichtigung der pragmatischen Dimension. Für den Juristen aber ist der für den Analogieschluß maßgebende Grad der Ähnlichkeit niemals in abstracto gegeben, sondern stets nur in bezug auf ein bestimmtes Rechtsprinzip, ein bestimmtes telos zu sehen. Diese werthafte Komponente kann durch formale Modelle jedoch nur unzureichend erfaßt werden. Auch für die in dieser Arbeit referierten Versuche, die formale Struktur der juristischen Analogie herauszu'arbeiten, gilt, was G. Söhngen in anderem Zusammenhang über Analogie und Syllogismus sagt23 : "Was die Stärke des Syllogismus ist, nämlich seine begriffliche Reinheit und strenge Schlüssigkeit, das ist doch auch seine Armut, und was die Schwäche der Analogie ist, das ist doch auch ihre Stärke und ihr Reichtum, nämlich anschauliche Fülle bildhaft erfaßter Wirklichkeit."

23 G. Söhngen, Art. "Analogie". In: Handbuch theologischer Grundbegriffe. Herausgegeben von H. Fries, München 1962, S. 56.

ZUR LOGISCHEN REKONSTRUKTION DES PROBLEMS DER NORMRECHTFERTIGUNG Von Alfred Schramm, Graz 1. Nimmt man Kar! Poppers Ontologie der drei Welten zur Grundlage, so existieren Normen ohne Zweifel als Entitäten der Welt 3, denn sie teilen mit allen anderen Entitäten dieser Sphäre zumindest die folgenden Eigenschaften:

(a) Für ihre Existenz läßt sich das "Wirkungs-Argument" führen: Was immer auf unbezweifeltermaßen existierende Dinge einwirkt, existiert auch selbst. Es braucht hier nicht diskutiert zu werden, wie stark dieses Argument ist, doch habe ich bisher keine guten Gründe gefunden, es zu verwerfen. Wer aber dieses Argument anerkennt, der muß wohl auch die Existenz zumindest jener Norm anerkennen, die ihn einmal veranlaßt hat, vor einer roten Verkehrsampel anzuhalten. Wer aber die Exi'stenz einer Norm anerkennt, kann auch guten Gewissens die Existenz von Normen im allgemeinen akzeptieren. (b) Normen sind vom Menschen geschaffen - sie verdanken ihre Existenz dem normschöpfenden Willen des Menschen, und dennoch (c) sind Normen in gewisser Hinsicht vom Menschen unabhängig. Für diese etwas überraschende Wendung läßt sich - wiederum in Parallele zu einem ähnlichen Argument für die Unabhängigkeit anderer Welt-3-Entitäten - folgendes vorbringen: Jede Norm hat unendlich viele weitere Normen zur Folge; anders ausgedrückt: sie verfügt über eine unendliche normative Konsequenzklasse. (Dies freilich nur unter der Voraussetzung, daß es auch im Bereich der Normsätze eine Folgerungsbeziehung gibt. Damit werden wir uns weiter unten beschäftigen.) Nun ist aber kein menschlicher Normschöpfer in der Lage, diese unendliche Konsequenzklasse zu überschauen, wenn er eine Norm setzt. Nolens volens schafft er also mit einer von ihm gesetzten Norm unendlich viele weitere Normen, über deren Inhalt er nichts weiß. Die Erfüllung dieser drei Charakteristika reicht hin, um Normen als ideale Entitäten (Gedankenentitäten, wiJe Ota Weinberger sagen würde)

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in Poppers Welt 3 anzusiedeln, ihnen Existenz in diesem Sinne zuzuschreiben. 2. Ein Normsatz N (etwa von der Gestalt "p soll sein") ist nicht selbst eine Norm, sondern er drückt lediglich eine Norm aus (etwa die Norm 91, daß p sein soll). Hier liegen die Verhältnisse ganz parallel zu dem Umstand, daß ein deskriptiver Satz lediglich eine Tatsache ausdrückt und nicht selbst diese Tatsache ist. 91 ist die Norm, N der Normsatz; N drückt 91 aus ("p soll sein" drückt aus, daß p sein soll). Demgemäß leistet der Normsatz auch nicht mehr, als daß er uns von der Norm unterrichtet: die "normative Kraft" geht von der Norm selbst aus, während der Normsatz uns darauf aufmerksam macht. Die Gültigkeit von Normen ist nicht uneingeschränkt, daher treten im Normsatz gelegentlich (wo dies nicht ohnedies hinreichend aus dem Kontext deutlich ist) zusätzliche Bestimmungen auf, z. B. hinsichtlich der Zeit der Gültigkeit der Norm, des Bereiches der Normadressaten, etc. Man kann diese zusätzlichen Bestimmungen unter dem Namen "Systembedingungen" zusammenfassen. Die allgemeine Form des Normsatzes wäre dann: "p soll sein im System S". Ob durch die (schriftliche oder mündliche) Äußerung eines Normsatzes auch eine normative Aussage (bzw. Proposition) gesetzt ist, hängt von einer Vielfalt die Äußerung begleitender pragmatischer Umstände ab. So ist es möglich, daß ein Normsatz einmal zur Äußerung einer faktualen (also wahrheitswertfähigen) Aussage dient - etwa wenn 'ein Prüfling dem Prüfer erzählt, daß in dem behandelten Rechtssystem S eine Handlung/Unterlassung p geboten sei-, und ein anderes Mal dient derselbe Normsatz der Äußerung einer echten (also nicht wahrheitswertfähigen) normativen Aussage, deren Charakteristikum es ist, auf Verhaltensregulierung abzuzielen. Zu verschiedenen Forschungsbemühungen im Feld der Sprachpragmatik ist hier nur soviel zu sagen, daß insbesondere hinsichtlich der verschiedenen Gebräuche von Normsätzen noch kaum Ergebnisse vorliegen. Vorderhand kann man also nicht viel mehr tun, als durch Beispiele aufzuzei'gen, was ohIlled~es jeder halbwegs kompetente Sprachbenützer beherrscht, auch wenn er es nicht versteht ("verstehen" hier im Sinne von "erklären können"). Wir wollen uns damit zufriedengeben, daß wir in der Regel unterscheiden können, wann und ob ein Normsatz als normative Aussage (d. h., in verhaltensregulierender Absicht) geäußert wird, oder nicht. 3. Oben wurde erwähnt, daß "Normen über Konsequenzklassen verfügen". So ausgedrückt ist das etwas mißverständli:ch. Nicht der Norm, sondern dem Normsatz kommt eine Konsequenzklasse zu. Wir werden uns das - wiederum in Parallele zur deskriptiven Sprache - so vorstellen, daß es zu jedem Normsatz No eine unendUche Klasse N von

Logische Rekonstruktion der Normrechtfertigung

277

Normsätzen Nt, N2, ... gibt derart, daß jeder Ni E N aus No folgt. Wir nennen N die "Konsequenzklasse aus No", NCn (No), von welcher wir auch sagen können, si'e drücke den logischen Gehalt von No aus. Der Index "N" soll hier zum Ausdruck bringen, daß es sich um eine Konsequenzklasse im normenlogischen Sinne ~andeln muß. Das bedarf einiger Erläuterungen: Eine Konsequenzklasse ist eine unter einer FolgerungsregeP geschlossene Menge von Sätzen. Welche Folgerungsregel wir wählen, unterliegt (in der deduktiven Logik) im wesentlichen der Bedingung, daß die Regel "wertkonservierend" sein muß. (In den Logiksystemen der deskriptiven Sprache ist der unter der Folgerungsregel zu konservierende Wert jener der Wahrheit.) Das läßt sich in semantischer Terminologie so ausdrücken, daß nur eine solche Folgerungsregel gelten soll, unter der ein deskriptiver Satz D aus einer Menge deskriptiver Sätze D genau dann fogt, wenn jedes Modell von D auch ein Modell von D ist. Dies führt uns aber sogleich zu einem der Gründe, warum alle Versuche scheitern müssen, die Logik der Normen als Vari'ante von Logiksystemen der deskriptiven Sprache (etwa den Systemen der Modallogik) aufzubauen: Wir können nämlich eine analoge Formulierung im Bereich der Normsätze nur vornehmen, wenn wir ein etwas geändertes Verständnis des Begriffs der Erfüllung (des Modells) ansetzen: Ein Normsatz N ist erfüllt in einem System S (S ist ein ModellJ. von N) genau dann, wenn die von N bezeichnete Norm 91 in S gilt!. Die entsprechende Bedingung für eine Folgerungsregel in der normativen Sprache wäre dann: Es gilt nur eine solche Folgerungsregel, unter der ein Satz N aus einer Menge N von Sätzen genau dann folgt, wenn N in jedem System S erfüllt ist, in dem auch N erfülU ist. Nennen wir nun die Regel, welche die oben für deskripti~s Folgern gegebene Bedingung erfüllt, eine D-Regel, und nennen wir eine Regel gemäß der Bedingung für normenlogisches Folgern eine N-Regel. Im gleichen Sinn wollen wir - je nach der entsprechenden Regel - auch sagen, daß ein gegebener Satz D-folgt oder daß er N-folgt. Nun unterscheiden wir noch zwischen deontischien und normativen Systemen, wobei deontische Systeme nur deskriptive Sätze über die Geltung von Normen enthalten (es gilt also D-Folgerung) während normative Sy1 Oder "unter einer Menge von Folgerungsregeln". Die obige Formulierung wurde der Einfachheit halber gewählt, und weil wir die Folgerungsregeln der Logik der deSkriptiven Sprache auf eine Regel zurückführen können, nämlich "modus ponens". 2 Genaugenommen müßten wir gesonderte Bedingungen für "Interpretation in S" und "Modell" einführen. Da aber, wenn N eine Interpretation in S hat, auch alle Konsequenzen von N eine Interpretation in S haben, können wir im Zusammenhang mit unserem jetzigen Problem S gleich ein Modell nennen.

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Alfred Schramm

sterne keine deskriptiven Sätze über die Normgeltung enthalten, sondern lediglich geltende Normen selbst ausdrücken (es gilt also N-Folgerung). Eine notwendige Voraussetzung, die Logik der Normen als Variante der Logik der deskriptiven Sprache auffassen zu können, bestünde so dann darin, daß es zu jeder D-Folgerung eines deontischen Systems eine entsprechende N-Folgerung des entsprechenden normativen Systems gegen müßte, und umgekehrt. Es gibt aber eine Vielzahl von bekannten Beispielen, daß genau diese Voraussetzung nicht immer erfüllt ist. Es genügt der Hinweis auf ein Beispie13 : Angenommen, in einem deontischen System ist gegeben 0 (p A q). ("Es ist geboten in S, daß p und q"). Dann D-folgt Op A Oq, woraus 0-folgt Op. Anders ausgedrückt, in einem konsistenten deontischen System kann nicht zugleich 0 (p A q) und 0 -, p gelten. Genau das Entsprechende ist aber in einem konsistenten normativen System möglich! Folglich kann !p (nP soll sein") nicht aus !(p A q) N-folgen. Eine Konsequenz aus diesen Überlegungen ist die, daß für das Folgern im Bereich der Normen eine selbstängige Theorie aufgebaut werden muß, in der Tat, daß der Begriff "N-Folgerung" noch seiner Explikation harrt, auch wenn verschiedene Vorarbeiten dazu schon geleistet sind'. Anmerkung: Einem weiteren Problem wird in diesem Zusammenhang noch Augenmerk zu widmen sein: Wenn wir die Parallele zwischen D-Folgerungstheorie und N-Folgerungstheorie genauer untersuchen, so ergibt sich, daß nicht ganz klar erscheint, welcher Art der in einer N-Folgerung zu übertragende Wert sein soll, denn "Gültigkeit" kommt doch wohl den Normen selbst zu, welche nicht mit den sie ausdrückenden Normaussagen verwechselt werden sollten. Es wird also eine Konvention bezüglich jenes Wertes zu treffen sein, welcher Normsätzen genau dann zukommt, wenn die durch sie bezeichneten Normen gültig sind. 4. Auch wenn wir vorläufig noch nicht über eine tragfähige formale Theorie des normenlogischen Folgerns verfügen, so sind wir doch in der Regel durchaus in der Lage, die Folgerichtigkeit informeller Argumente im Bereich der Normaussagen zu beurteilen. (In der Tat, das informelle Schließen mit Normsätzen gehört zur täglichen Praxis und wird im Alltag in gleichem Maße geübt wie das informelle Schließen im deskriptiven Bereich.) Wir können also das Folgende ohne weiteres unter der Voraussetzung der - noch zu explizierenden - Gültigkeit informeller N-Folgerungen abhandeln: 3 VgI. hiezu eh. WeinbeTgeTIO. Weinberger, Logik, Semantik, Hermeneutik; München 1979, S. 105 - 107, sowie O. Weinberger. Ideen zur logischen Normensemantik, in: Jenseits von Sein und Nichtsein (Hrsg. R. Haller), Graz 1972, S. 295 - 311. , Siehe auch hiezu WeinbergerlWeinberger, op. cit., Kapitel 111.

Logische Rekonstruktion der Normrechtfertigung

279

Gegeben eine bestimmte Norm 91, so können wir uns zweierlei Fragen stellen: (1) "Gilt 911" (2) "Soll 91 gelten?" Ich nenne ein Argument, das zur Beantwortung von (1) nötig ist, ein Normbegründungsargument (kurz: Begründungsargument), und eines, das (2) beantworten soll, ein Normrechtfertigungsargument (kurz: Rechtfertigungsargument). Ich treffe diese terminologische Festsetzung, um die Unterschiedlichkeit dieser beiden Fragestellungen zu signalisieren, welche in der täglichen Praxis nicht selten unbeachtet bleibt. (Urteilsbegründungen enthalten gewöhnlich Argumente beider Art in der Weise, daß der Anschein gegeben wird, Rech.tfertigungsargumente trügen zur Beurteilung der Begründungsfrage etwas bei. Das mag praktisch in gewisser Weise recht erfolgreich sein, logisch kommen aber durch das Einfließen der de-Iege-ferenda-Argumentation in den Kontext de lege lata keine gültigen Argumente zustande.) Die Ursache für die häufige Verwechslung von (1) und (2) ist, daß die Frage (1) ("Gilt 91?") dazu führt, nicht bloß zu prüfen ob 91 gesetzt ist, sondern man unversehens dazu gerät, nach den Motiven für die Setzung zu fragen. Das letztere ist aber eigentUch eine Fragestellung des Typus (2) ("Soll 91 gelten?"). Diese Vermengung ist nun aber deshalb unzulässig, weil die Beantwortung dieser beiden Fragen jeweils völlig verschiedener Argumente bedarf. (Ein weiterer Beleg für die Verschiedenheit der beiden Fragestellungen ist in dem Umstand zu sehen, daß nicht jede Norm, die in einem System (positiv rechtlich) gilt, (ethisch) gelten soll, und nicht jede Norm, die (ethisch) gelten soll, (positiv rechtlich) tatsächlich gilt. Für das erste könnte man die Rassengesetze der Nazi-Ära als Beispiel nennen, für das zweite die Menschenrechte in manchen lateinamerikanischen Staaten.) Begründung und Rechtfertigung sind, um logisch einwandfrei geführt zu werden, in Argumentform vorzubringen. Es versteht sich aber, daß die Argumentform allein keinesfalls den Erfolg der jeweiligen Beweisform sicherstellen kann. Das Argument stellt nur sicher, daß, wenn die Prämissen den geforderten Gültigkeitswert aufweisen, dann auch der Konklusion als dem zu begründenden oder zu rechtfertigenden Satz dieser Gültigkeitswert zukommt. Ob uns also eine Begründung oder Rechtfertigung gelingt, ist relativ zu den jeweils gewählten Prämissen. Und hier droht nun ein unendlicher Regreß, denn die gewählten Prämissen bedürfen wiederum eines entsprechenden Argumentes, usw., ad infinitum. Wir wollen uns zum Abschluß mit der Frage beschäftigen, wie diesem Problem beizukommen sein könnte, wobei wir mit der

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Alfred Schramm

leichteren Aufgabe beginnen, nämlich mit dem Regreß der Normbegründung. Das Begründungsproblem hinsiclltlich einer bestimmten Norm 91 ist gelöst, wenn ein Argument vorliegt, das als Konklusion ,,91 gilt" oder ,,91 gilt nicht" (im System S) enthält. Wie man sieht, sind beide möglichen Antworten deskriptive Sätze, also wahrheitswertfähig. Wir können somit das Begründungsargument wahrheitsfunktional führen. Eine der Prämissen kann lauten, daß eine Norm gilt, wenn sie gemäß einem in bestimmter Weise spezifizierten Verfahren gesetzt wurde. Können wir als weitere Prämisse einführen, daß 91 gemäß diesem Verfahren gesetzt wurde, so ist die Begründung unmittelbar durch die daraus folgende Konklusion abgeschlossen. Interessanter liegt der Fall, wenn nicht 91 selbst gesetzt wurde, sondern andere Normen, aus denen 91 folgt 5, denn es ist (aus den oben angesprochenen Gründen) klar, daß 91 aus diesen anderen Normen N-folgen muß, damit ein gültiges Begründungsargument zustande kommen kann. Wir benötigen also, um das wahrheitsfunktionaZe Begründungsargument führen zu können, ein Argument mit N-Folgerung als Voraussetzung. In kurzer Formulierung können wir also feststellen: Eine Norm 91 ist begründet, wenn 91 entweder als gültig (in einem System S) gesetzt ist, oder wenn 91 aus gültig gesetzten Normen N-folgt. Etwas schwieriger liegen die Verhältnisse bei unserem zweiten Problem, dem Rechtfertigungsregreß, denn zur Lösung des Rechtfertigungsproblems hinsichtlicll einer bestimmten Norm 91 bedürfen wir eines Argumentes mit der normativen Konklusion ,,91 soll gelten" oder ,,91 soll nicht gelten". Das Argument muß also auch wenigstens eine normative Prämisse enthalten, welche ihrerseits wiederum der Rechtfertigungsfrage ausgesetzt ist, usw. Eine Möglichkeit, den resultierenden Regreß abzubrechen wäre die, an einer Stelle die Existenz absoluter Normen zu postulieren, welche keiner weiteren Rechtfertigung bedürftig wären, welche also ein Sollen ausdrücken, das jenseits der Möglichkeit aller kritischen Prüfung liegt. Dieses Vorgehen drängt jedoch den Prozeß der Normrechtfertigung aus dem Bereich der Wissenschaft, zu deren Charakteristika es gehört, eben nicht dogmatisch auf bloße Glaubensakte zu rekurrieren. Wollen wir dem Problem in wissenschaftlich vertretbarer Weise beikommen, so bleibt nur der Weg, den Regreß grundsätzlich anzuerkennen, aber ein provisorisches Ende zu suchen in Form einer versuchsweise zur Diskussion gestellten Norm, welche solange als Prämisse für Rechtfer5 Genauer: ,,". andere Normen, so daß aus den dieselben bezeichnenden Normsätzen Nt •... , N n der die Norm 91 bezeichnende Normsatz N folgt." Die weiteren Ausführungen sind in diesem Sinne zu verstehen, auch wenn die einfachere Formulierung verwendet wird.

Logische Rekonstruktion der Normrechtfertigung

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tigungsargumente eingesetzt werden kann, bis ernsthafte Bedenken gegen ihre Berechtigung lautwerden. Wie könnte nun eine Norm aussehen, welche nur einigermaßen die Chance hat, ernsthaftem Zweifel standzuhalten? Jedenfalls vermute ich, daß kein inhaltlicher Normsatz - das ist ein solcher, der ein bestimmtes Verhalten (Handeln ete.) des Normadressaten gebietet (verbietet, erlaubt) - diese Rolle spielen kann. Als Alternative schlage ich vor, eine generierende Norm zu versuchen, deren Gebot sich auf die Geltung inhaltlicher Normen bezieht. Also nicht ein bestimmtes Verhalten von Normadressaten, sondern die Geltung bestimmter Normen soll geboten werden. Hier kommt uns nun das enge Verhältnis, welches zwischen Werten und Normen besteht, zugute, denn es erscheint uns nahezu analytisch6 , daß solches Verhalten normiert werden soll, welches zur Erfüllung und nicht zur Verletzung vorgegebener Werte führt. Unsere generierende Norm könnte also lauten: "Solche und nur solche Normen sollen Geltung haben, die ein Handeln, Unterlassen, ete., gebieten, welches geeignet ist, zur Erfüllung vorgegebener Werte und nicht zur Verletzung dieser Werte zu führen." Es besteht kein Zweifel, daß wir aus der generierenden Norm und weiteren faktualen Prämissen (in unserem Fall Sätzen über das faktische Vorliegen bestimmter Werthaltungen) die gewünschte Antwort auf eine Rechtfertigungsfrage hinsichtlich einer Norm 91 N-folgern können. Zwei Bemerkungen müssen hier noch angeschlossen werden: Wir treffen nicht selten divergierende Werthaltungen an, und dementsprechend könnten wir dann divergierende Normen rechtfertigen, wenn wir die Normrechtfertigung jeweils in Hinblick auf eine bestimmte Werthaltung versuchen würden. So soll das aber nicht verstanden werden. Eine Normrechtfertigung darf erst in Hinblick auf das Ergebnis einer Wertabgleichung vorgenommen werden, welche - zumindest prinzipiell - etwa präferenzlogisch durchgeführt werden muß. Natürlich verschieben wir hier bloß ein Problem, aber wir verschieben es aus dem - praktisch ohne Willkür kaum bewältigbaren - Bereich des Normenkonfliktes in den Bereich des Wertkonfliktes, in dem bessere Aussichten für die Erarbeitung logisch einwandfreier Lösungsmethoden bestehen. Als zweites muß noch festgehalten werden, daß die Rede von "vorgegebenen Werten" in unserer generierenden Norm ohne weitere Erläuterungen einigermaßen vage beibt. Es genügt, in diesem Zusammenhang lediglich festzustellen, daß damit gesellschaftliche Werte gemeint sind; denn individuelle Werthaltungen können nicht sinnvollerweise zur Grundlage der Rechtfertigung allgemein verbindlicher Normen ("einer allgemeinen Gesetzgebung") herangezogen werden. 6

So hat es zumindest mein Freund Feter Koller genannt.

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Alfred Schramm

5. Resümierend möchte ich nochmals den Argumentationsweg nachgehen. Aus der Tatsache des eigentümlichen Charakters von Normen und deren Verhältnis zu Normsätzen ergibt sich die Notwendigkeit, eine eigene Logik (d. i. Folgerungstheorie) für jene Sätze aufzubauen, welche sich mit Normen beschäftigen. Daß diese Beschäftigung mit Normenlogik nicht bloß akademische Spielerei ist, ergibt sich aus dem Umstand, daß unzwefelhaft die in der Praxis relevanten Fragen der Normbegründung und Normrechtfertigung ohne normenlogisches Folgern nicht möglich sind.

SEMIOTISCHE GEDIEGENHEIT ALS RECHTSTHEORETISCHES ANLIEGEN: EIN "TRANSLINGUISTISCHER" VERSUCH Von Ilmar Tammelo, Salzburg In der Arbeit von der Art, wie sie die Entwicklung der Rechtstheorie fordert, wird oft spürbar, daß die Sprache dem Denken Fesseln anlegt. Man macht die Erfahrung, daß selbst in höchstentwickelten Kultursprachen für das Gemeinte kein geeigneter Ausdruck vorhanden ist. Um das Beabsichtigte doch verständlich zu machen, ist man auf Wörter oder Wendungen angewiesen, die mehrdeutig sind oder die den Denkinhalt nur ungefähr treffen. Sowohl die Alltagssprache als auch die Fachsprache funktionieren meist nur in starker Anlehnung an den Kontext des Themas (bzw. an die "sympragmatische Situation"). Wo dieser nicht leicht erkennbar ist, kommt es zu Störungen in der Verständigung. Das überall vorkommende Aneinander-Vorbeireden entspringt nicht nur einem Mangel an Aufmerksamkeit oder Intelligenz der Gesprächsteilnehmer; es beruht auch auf einer Defizienz der verwendeten Sprachen. Besonders im theoretischen Denken gilt die Forderung, daß der Ausdruck dem Denken adäquat sein soll. Es fragt sich aber, ob diese Forderung überhaupt ein erreichbares Ziel angibt. Vielleicht sind wir für immer zur Gefangenschaft in den jeweils verwendeten Sprachen verurteilt! Vielleicht ist es wirklich so, daß Sprechakt und Denkakt sich zueinander wie Vorderseite und Rückseite einer Medaille verhalten! Vielleicht gibt es kein Denken ohne Sprache - das Denken ist nichts anderes als subvokales Sprechen! Der Ausspruch Wittgensteins: "Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt" mag auf etwas hinweisen, was von manchen als Tragik unserer geistigen Situation empfunden wird. Es gibt Gründe anzunehmen, daß Wittgensteins Ausspruch nur eine Teilwahrheit verkündet und daß keine strenge Korrelation zwischen dem Sprechakt und Denkakt besteht. Die Sprache hat wohl endliche Mittel; aber auch mit endlichen Mitteln, wie etwa mit den Ziffern 0 bis 9, kann man ins Unendliche denken. Wenn auch die Grenzen meiner Sprache die Grenzen meiner Welt sind, ist es durchaus denkbar, daß eine andere Sprache - eine bestehende oder eine einmal entstehende - es ermöglicht, eine Welt ohne Grenzen denkerisch zu bewältigen. Die Denk-

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erfahrung gibt Anlaß zur Annahme, daß der Denkakt dem Sprechakt gegenüber Eigenständigkeit besitzt. So mancher Denkende hat erlebt, daß er wohl weiß, was er sagen möchte, aber keinen geeigneten Ausdruck dafür findet. Durch eine Denkanstrengung stößt er gelegentlich auf einen solchen Ausdruck in einer anderen Sprache; diese Anstrengung führt manchmal zu einem Ausdruck, der sich zwar in keinem Lexikon findet, welcher aber nicht nur individuellen Zwecken gut dienen mag, sondern sich auch früher oder später im allgemeinen Sprachgebrauch einbürgert. Schließlich zeigt die Sprachentwicklung, daß für einen Denkinhalt ein Ausdruck geschaffen wurde, der neu auftretenden Bedürfnissen der menschlichen Betätigung entspricht. Ein derartiger Ausdruck ist ein Novum in der Sprache, das ursprünglich wohl nicht von der Sprache, sondern vom Denken erzeugt wurde. Nützliche Begriffe für die Orientierung über die Sprache liefert die Semiotik: die allgemeine Theorie der Zeichen, welche gewöhnlich in die Syntaktik, die Semantik und die Pragmatik gegliedert wird. Die Syntaktik befaßt sich mit den Beziehungen der Zeichen zueinander, die Semantik mit den Beziehungen der Zeichen zu dem Bezeichneten und die Pragmatik mit den Beziehungen der Zeichen zu ihren Benützern. Jede Sprache, allgemeine wie fachliche, soll den ihr angemessenen syntaktischen, semantischen und pragmatischen Forderungen möglichst nachkommen. Richtungsweisend für die Beurteilung und Gestaltung der Sprache, besonders zu wissenschaftlichen und philosophischen Zwecken, aber auch zu Zwecken einer praktischen Betätigung etwa auf dem Gebiet des Rechts und der Politik, ist die Idee der semiotischen Gediegenheit der Sprache. Sie fordert: (1) daß die von einer Sprache verwendeten elementaren Zeichen zweckdienlich sind - die orthographische Gediegenheit, (2) daß die komplexen Zeichen in Gestalt der Wörter oder Wortfolgen in ihren Beziehungen zueinander zweckmäßig bestimmbar sind - die syntaktische Gediegenheit, (3) daß die Beziehungen der Zeichen zu dem von ihnen Bezeichneten jeweils ausreichend bestimmbar sind - die semantische Gediegenheit, (4) daß die Zeichen ihren Benützern angepaßt sind - die pragmatische Gediegenheit. Keine bestehende Sprache erfüllt diese Forderungen. Durch eine angebrachte Sprachfortentwicklung ist es aber möglich, diesen Forderungen weitgehend nachzukommen. Dies kann durch das bloße Halten an die sprachliche Tatsächlichkeit nicht erreicht werden, sondern erfordert auch ein "übersteigen" des in der gegebenen Sprache Vorhandenen. In diesem Sinne ist neben der Linguistik und Interlinguistik auch etwas erforderlich, das als "Translinguistik" bezeichnet werden kann. Von einer den heutigen Anforderungen entsprechenden Sprache der Rechtstheorie ist zu erwarten, daß sie der Idee und dem Ideal der semiotischen Gediegenheit so weit wie möglich entspricht. Eine allseitige se-

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miotische Gediegenheit erscheint aber dort von vornherein unerreichbar, wo es um eine vielseitige und umgreifende menschliche Betätigung geht und wo der Kreis der Sprachbenützer sehr weit ist. Dies ist bei der Rechtstheorie der Fall, weil sie die Grunddisziplin für das gesamte Rechtsdenken und für die gesamte rechtliche Darstellung ist. Grenzen für die Erfüllung der ersten drei der Forderungen der semiotischen Gediegenheit werden durch die Forderung der pragmatischen Gediegenheit gesetzt, da diese Erfüllung vielfach Komplikationen mit sich bringt, deren Bewältigung dem Sprachbenützer im allgemeinen nicht zumutbar ist. Die Erfüllung der Forderung nach orthographischer Gediegenheit ist nur durch die Einführung der phonetischen Schreibweise, somit der Verwendung eines neuartigen Alphabets, möglich. Dagegen sträuben sich die Sprachbenützer, besonders bei Sprachen, die viele Laute enthalten (wie etwa Englisch). Die Erfüllung der Forderung nach syntaktischer Gediegenheit bringt große Komplikationen in Gestalt der Formationsregeln der Zeichen und der Artikulationsmittel wie Inflexionen der Wörter, Indexziffern und vielartige Klammern mit sich, was sich pragmatisch nachteilig auswirkt. Die Erfüllung der Forderung nach semantischer Gediegenheit verlangt eine Beseitigung jeglicher Mehrdeutigkeiten der Wörter und Wortfolgen, was aber eine pragmatisch nicht zu bewältigende Vielzahl von Wortwurzeln notwendig macht. Es ist zu bedenken, daß syntaktische und semantische Mehrdeutigkeiten pragmatisch auch durchaus vertretbar sein können. Die grammatische Einfachheit, die eine Sprache für syntaktische Mehrdeutigkeiten anfällig macht, erleichtert das Erlernen der Sprache wesentlich. Es belastet das Gedächtnis weniger, ein Wort mit mehreren Bedeutungen zu erlernen als mehrere Wörter mit je einer Bedeutung. Mehrdeutigkeiten und Vagheiten sind übrigens oft für künstlerische Zwecke, für Witze, Wortspiele und für das beabsichtigte Offenlassen des Gemeinten wünschenswert - etwa um erst zu einem späteren, günstigeren Zeitpunkt die Präzisierung vorzunehmen. Man bedenke z. B. die dilatorischen Formelkompromisse, die in der juristischen Betätigung (wie dem Abschluß internationaler Verträge) manchmal unumgänglich sind! Man bedenke auch, daß die allgemeine Sprache nicht nur eine kommunikative, sondern auch eine rein expressive Funktion hat, d. h. sie soll es auch ermöglichen, den zahllosen Nuancen der Gefühle Ausdruck zu geben. Im Hinblick auf die oben geschilderte Situation ist für die Rechtstheorie nur eine Sprache anzustreben, die den orthographischen, syntaktischen, semantischen und pragmatischen Desideraten einer wissenschaftlichen Sprache entspricht, soweit es ihre Zwecke erfordern. Es ist nur nach einem vernünftigen Kompromiß zwischen den Forderungen der semiotischen Gediegenheit für sie zu trachten. Das Erzielen dieses Kompromisses wird dadurch etwas erleichtert, daß in der wissenschaftlichen

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Sprache die rein expressive Funktion nur eine nebensächliche Rolle spielt. Um das Ziel der semiotischen Gediegenheit soweit wie möglich zu erreichen, denkt jeder in erster Linie an seine eigene Muttersprache. Abgesehen von sehr wenigen Ausnahmen, in denen die Kinder von Eltern, die verschiedenen Sprachgemeinschaften angehören, zunächst eine Plansprache (wie Esperanto) erlernen, sind die Muttersprachen die ethnischen Sprachen, d. h. die der Sprachgemeinschaften, wie die der deutschen, ukrainischen, baskischen usw. Die ethnischen Sprachen sind Produkte einer langen historischen Entwicklung, die sich ursprünglich als unreflektierte und unüberlegte Reaktion auf empfundene Kommunikationsbedürfnisse entfaltete. Eine bewußte und zielgerechte Sprachgestaltung kam erst durch die Entwicklung der nationalen Hochsprachen zustande. Eine beträchtliche wissenschaftliche Beteiligung an der Gestaltung der ethnischen Sprachen erfolgte nur in unserem Jahrhundert, als radikale und weitgehende Erneuerungen der norwegischen, ungarischen, hebräischen und estnischen Sprachen vorgenommen wurden, um diese Sprachen der schnell entwickelten und sich entwickelnden Zivilisation der Welt anzupassen. Eine sehr beträchtliche Sprachgestaltung und Sprachfindigkeit war bei der Entwicklung des Malesischen, der offiziellen Sprache von Indonesien, am Werke. Trotz der Tatsache, daß ethnische Sprachen keineswegs nur dem Geist des einfachen Menschen entsprangen, sondern ihr heutiges Dasein auch dem sprachgestaltenden und -planenden Geist der Wissenschaftler, Philosophen und Schriftsteller aller Art verdanken, sind sie alle mit beträchtlichen semiotischen Mängeln behaftet. Es scheint, daß für ihre Entwicklung hauptsächlich pragmatische Gesichtspunkte maßgeblich waren. So sind die Abweichung der Phonetik von der Orthographie im Englischen und die Unregelmäßigkeiten seiner Rechtschreibung frappant; Englisch liefert auch ein Hauptbeispiel für das Vorkommen von syntaktischen Mehrdeutigkeiten, d. h. solchen, die dadurch zustandekommen, daß die Sprache nicht zweckmäßig anzugeben vermag, auf welchen Satzteil ein anderer sich bezieht. Der Grund dafür ist die grammatische Verarmung dieser Sprache, besonders ihre ungenügende Flexion. Alle ethnischen Sprachen enthalten semantische Mehrdeutigkeiten (manchmal strotzen sie sogar davon), d. h. solche, die daraus entstehen, daß Wörter mit mehreren Bedeutungen beladen sind. Von den pragmatischen Mängeln, die besonders die Sprachfremden stören, seien die folgenden erwähnt: (1) Das Absehen vom Gebrauch des Plurals bei den Substantiva im Japanischen und der Pluralschwund im gesprochenen Französischen; (2) die grammatischen Schwierigkeiten, z. B. des Deutschen und des Russischen; (3) die verwirrenden oder schwerfälligen Zahlenausdrücke, z. B. im Deutschen und im Französischen; (4) die Schwierigkeiten der Aus-

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sprache, z. B. im Chinesischen, aber auch im Englischen, Französischen und in den skandinavischen Sprachen; (5) die Mehrdeutigkeiten von für die Sprachstrukturen wichtigen Wörtern, und zwar von Konjunktionen und Präpositionen überall in den ethnischen Sprachen; (6) das Auseinanderreißen von zusammengesetzten Wörtern in einer Weise, daß sie an voneinander weit entfernte Stellen des Satzes manchmal gesetzt werden müssen, z. B. im Deutschen. Es kommen in ethnischen Sprachen "sprachliche Idiotismen" vor, die darin bestehen, daß die Sprache für Gedanken, die in vielen Kontexten leicht verwechselbar sind, keine unterschiedlichen Ausdrücke zur Verfügung stellt, z. B. wenn "Bewußtsein" und "Gewissen", Eltern" und ;,Verwandte" (Französisch) oder "Mensch" und "Mann" (Französisch und Englisch) mit demselben Wort bezeichnet werden oder wenn das Bindewort "oder" sowohl den Funktor der einschließenden Disjunktion. der ausschließenden Disjunktion und sogar der Äquivalenz bezeichnet (Englisch, Deutsch u. a.). Einige Sprachen, besonders die neolateinischen, sind dermaßen festgefahren, daß sie ihre Produktivität oder Kreativität hauptsächlich nur auf der Satzebene entfalten lassen und Wörter für notwendige neue Denkinhalte nicht einmal aus ihren eigenen Wortwurzeln und Ableitungssilben zu gestalten erlauben. Ein empfindliches Sprachgefühl wird dadurch gekränkt, daß Sprachen der großen Kulturnationen Fremdwörter ohne deren Assimilierung zu Lehnwörtern aus anderen Sprachen in ihren Sprachgebrauch widerstandslos, oft sogar gerne aufnehmen. Hauptquelle dieser Fremdwörter ist heute das Englische. Als Beispiele seien hier die im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch viel verwendeten Wörter wie "Service", "Spikes" und "Computer" angeführt. Dieses Phänomen, sowie die allzu häufige und oft unnötige Verwendung der internationalen Wörter neben den ursprünglichen Wörtern der gegebenen Sprache, erweckt den unange~ nehmen Eindruck, daß die Sprachen der großen Kulturnationen auf dem Wege sind, häßliche Mischsprachen zu werden. Die schwerwiegenden Mängel ethnischer Sprachen sind so zahlreich und die Hemmnisse, die die Trägheit ihrer Entwicklung bedingen, sind so überwältigend, daß keine Aussicht besteht, sie zu beheben, auch wenn die einschlägigen Forderungen nach semiotischer Gediegenheit noch so dringlich sind. Eine ethnische Sprache dermaßen zu erneuern, daß ihre semiotischen Unzulänglichkeiten weitgehend beseitigt sind, würde bedeuten, eine neue Sprache zu schaffen. Dieser Weg ist auch tatsächlich beschritten worden; er hat zu den sogenannten Plansprachen geführt. Während der letzten zwei Jahrhunderte sind mehr als tausend solcher Projekte entstanden. Ihre Idee entstammt der Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts. Die meisten plansprachlichen Projekte sind im Entwurf stecken geblieben. Heute gibt es vier Plansprachen, die auch den Test durch tatsächlichen Gebrauch erfolgreich bestanden haben und in

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wesentlichen Punkten den ethnischen Sprachen sogar überlegen sind: Esperanto, Ido, Occidental (jetzt leider von seinen Förderern als "Interlingue" bezeichnet) und Interlingua. Als ausgereifte Projekte sind auch Novial, Neo und Intal zu erwähnen, aber mangels von denjenigen, die ihre praktische Anwendung zu sichern vermocht hätten, sind sie nur beachtliche, möglicherweise für weitere Sprachplanung zu verwertende Projekte geblieben. Die oben genannten vier Plansprachen, besonders Esperanto, verfügen schon über eine vielseitige (auch wissenschaftliche) und umfassende Literatur. Ihr Ausdruckspotential ist weit größer als das der ausdrucksreichsten ethnischen Sprachen. Sie sind um ein vielfaches schneller erlernbar als die ethnischen Sprachen. Sie sind homogener als diese, weil schon bei ihrer Gestaltung die Harmonie ihrer Elemente ein Leitgedanke war. Sie sind nicht weniger schön als die ethnischen Sprachen, da bei ihrer Gestaltung Bedacht auf Wohlklang genommen wurde. Die Plansprachen werden zunächst in apriorische und aposteriorische unterschieden. In ersteren sind die Wortwurzeln und Ableitungssilben aus Laut- bzw. Buchstabenelementen frei, ohne Anlehnung an vorhandene Sprachen konstruiert. In letzteren sind die Quelle der Wortwurzeln und Ableitungssilben die vorhandenen, hauptsächlich die ethnischen Sprachen; internationale Wörter gehören zum Grundbestand ihres Wortschatzes. Die apriorischen Sprachen sind bis heute nur geistesgeschichtliche Kuriositäten geblieben. Dies bedeutet aber nicht, daß der Weg zu diesen Sprachen in Sackgassen führen muß. Dieser Weg ist aber wegen der ungeheuren Arbeit, die die freie Gestaltung der Wörter erfordert, schwer gangbar. Sie sind unvermeidbar schwer zu erlernen, weil in ihnen wegen des Aufgebens der bestehenden Sprachen als Ausgangsbasis nicht Anhalts- und Anknüpfungspunkte in Gestalt vertrauter Sprachelemente genügend vorhanden sind. Die aposteriorischen Sprachen werden in naturalistische und autonome unterschieden. Die naturalistischen Plansprachen beruhen weitgehend auf einer ethnischen Sprache oder auf einer engverwandten Sprachgruppe, z. B. Basic English auf der englischen Sprache, Latino sine Flexione auf Latein und Interlingua auf den süd romanischen Sprachen. Das Hauptmerkmal der autonomen Sprachen ist, daß sie die übernommenen Sprachelemente entsprechend ihrem "Geist" umgestaltet haben. Dies ermöglicht die Beseitigung des unnötigen sprachlichen Beiwerks und die Gestaltung der Sprachelemente wie der Grammatik nach rationalen Gesichtspunkten. Die autonomen Plansprachen machen vorzugsweise Gebrauch von ihren eigenen Ableitungsmöglichkeiten. Ihre linguistische Basis ist viel breiter als die der naturalistischen Sprachen. So enthält Esperanto neben romanischen auch germanische und slawische Sprachelemente. Sie scheuen auch nicht davor zurück, von der freien Schöpfung der Sprachelemente Gebrauch zu machen.

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Ein Vorteil der naturalistischen Sprachen liegt im sehr großen Kreis derjenigen, die sie sofort oder mit geringer Mühe verstehen können. So vermögen die Kenner einer romanischen Sprache sogar ohne Wörterbuch Texte in Interlingua oder Occidental ziemlich gut zu verstehen. Ihr Nachteil ist aber, daß sie etliche Mängel ihrer ethnischen Basissprachen in sich aufgenommen haben (vielleicht um dadurch höchst "natürlich" zu wirken!). So folgt Basic English dem englischen "System" der Rechtschreibung; Interlingua enthält schwerfällige Wörter, sprachliche Gebre..; chen (z. B. dasselbe Wort "pro", um das von "wegen" und "für" Gemeinte auszudrücken) und hat ein alternatives archaisches System der Rechtschreibung. Auch die autonomen Sprachen eifern, möglichst "natürlich" zu wirken, und so ist es geschehen, daß nicht einmal sie vor unangenehmen sprachlichen Gebrechen verschont bleiben (z. B. in Esperanto die Präposition "inter" im Sinne des englischen "between" und "among"). Weil für die autonomen Plansprachen der Weg für eine weitere Sprachplanung von ihrem Grundgedanken der Eigenständigkeit her nicht versperrt ist, geben sie eine viel geeignetere Basis als die naturalistischen Sprachen ab, von der eine Plansprache, die u. a. für die rechtstheoretischen Zwecke die Denkadäquanz der Sprache weitestgehend erreicht, translinguistisch entwickelt werden kann. Um solch eine Plansprache zu gestalten, ist es vor allem erforderlich, daß ihre Grammatik weiter ausgebaut wird, daß ihre Orthographie das Prinzip "Ein Laut - ein Buchstabe" zur Geltung bringt, daß ihre sprachlichen Funktoren (d. h. die für die Bildung der Wörter oder Wortfolgen dienenden Sprachelemente) von Mehrdeutigkeiten befreit werden und daß ihr Wortschatz bereichert wird. Gegen dieses Unternehmen wirkt ein "Fundamentalismus", der sogar bei den autonomen Sprachen eine radikale Spracherneuerung und -fortentwicklung verbietet. Dieser Fundamentalismus will unbedingt die "Identität" der in Frage stehenden Plansprache bewahren, desgleichen ihre bisherigen Errungenschaften an Literatur und die Verständigung zwischen ihren Benützern. Es ist auch zu bedenken, daß es nicht das eigentliche Ziel der Urheber und Förderer der ausgereiften Plansprachen war, das aufklärerische Ideal einer die volle Denkadäquanz erstrebenden Sprache zu erlangen, sondern eine Sprache, die als internationale "Hilfssprache" sich durchsetzen könnte. Ihr Unterfangen war vornehmlich interlinguistisch, nicht translinguistisch. So haben vorwiegend die pragmatischen Erwägungen ihre Sprachgestaltungspolitik bestimmt. Diese Erwägungen haben es geboten, ihre Sprachen so einfach wie möglich, so leicht erlernbar wie möglich zu gestalten. Die Denkadäquanz der Sprache ist aber ohne beträchtliche Bereicherung ihrer Elemente und ohne Komplizierung ihrer Struktur nicht erreichbar. Um die Rationalität einer Sprache möglichst zu erzielen, muß man auch in Kauf nehmen, daß sie zunächst "fremdartig" anmutet. 19 Rechtstheorie. Beiheft 1

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Allerdings bieten die besten Grundlagen zur Erreichung einer semiotisch gediegenen Sprache autonome Sprachen wie Esperanto und Ido. Für das folgende Denkexperiment wähle ich dieses. Ido ist derzeit eine "archivierte" Sprache. Ihre Bewegung hat sich nicht aufrechterhalten können - vielleicht auch deswegen, weil es zu "wissenschaftlich" ist. Es ist aus einer von seinerzeit bedeutenden Sprachwissenschaftlern und Logikern geförderten Reform des Esperanto entstanden. Diese Reform hat eine Esperanto übertreffende Bereicherung und Rationalisierung gebracht, wobei eine relative Komplizierung der Sprache zustande kam, jedoch auch eine gewisse unvertretbare Vereinfachung, die aber rückgängig gemacht werden kann. Nachfolgend zeige ich einige Aufgaben, die die Sprachplanung von Ido zu bewältigen hat, um es dem Ziel der semiotischen Gediegenheit näher zu bringen. Meine Vorschläge beziehen sich auf zwei Ebenen: (1) auf die der Allgemeinsprache des Ido, (2) auf die der wissenschaftlichen (besonders rechtstheoretischen) Fachsprache des Ido. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und verstehen sich als weiteren überlegungen und Umgestaltungen offen. Es ist nicht meine Absicht, eine weitere Plansprache zu schaffen, sondern anzuregen, daß sprachplanende Linguisten sich auch translinguistisch betätigen. Nur sie sind zuständig, ein "Idido" oder ein "Transesperanto" zu schaffen. (1) Der Grundsatz "Ein Laut - ein Buchstabe" soll zur Geltung gebracht werden. Dies erfordert, daß in Ido sowohl die Diagraphen (und zwar "sh" und "ch", die den deutschen "sch" und "tsch" entsprechen) als auch die Graphodiaden (und zwar "c" für "ts", "x" für "ks" und "j" für die Kombination von "d" und vom stimmhaften "sch") abgeschafft werden. überflüssig in Ido ist "q", das die Lautqualität von "k" besitzt. Erforderlich ist es, den diphtongbildenden (halb konsonantischen) "u" und "i" eigene Buchstaben zuzuordnen, wozu sich "y" bzw. "j" eignen. Daher erfordert eine orthographisch gediegene Gestaltung von Ido folgendes: Ersetze "sh" durch "x", "eh" durch "tx", "c" durch "ts", "x" durch "ks", "j" durch "dc" (wobei "c" für das stimmhafte "sch", falls erforderlich, verwendet werden kann), "y" durch "j" und "u" dort, wo es einem Vokal vorangeht und zusammen mit ihm eine Silbe bildet, mit "v" (so sollen "quar" als "kvar" und "guidar" als "gvidar" geschrieben werden). (2) Um den Wohlklang von Ido zu erhöhen, sollte die Betonungsregellauten: Die Betonung liegt auf der vorletzten Silbe, außer bei Infinitiven und Imperativen, wo die Betonung auf die letzte Silbe fällt. Beispiele: "dmas", "amdnta", "amdta" usw., aber "amdr", "amez" usw. Die ursprüngliche Betonungsregel von Ido besagt, daß die Betonung immer auf der vorletzten Silbe des Wortes liegt. Dies verursacht eine gewisse Monotonie der Aussprache und hat auch den Nachteil, daß "esez" und "eses" (ein Wort, das durch eine unten vorgeschlagene Bereicherung der Grammatik von Ido entsteht) sich in der gesprochenen Sprache nicht klar unterscheiden lassen. (3) Ido hat einen optimalen Akkusativ, der durch Anhängen eines ,,-n" an die deklinierten Wörter gebildet wird. Die Möglichkeit der Verwendung

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dieses Akkusativs ist wichtig, um Klarheit der Ausdrücke in gewissen Kontexten zu erzielen (und um die syntaktische Gediegenheit der Sprache zu fördern); sie ist auch wichtig zwecks der Flexibilität der Satzkonstruktion. Die Grammatik von Ido kann durch die Einführung eines optionalen Genitivs bereichert werden, und zwar durch Anhängen von ,,-z" an die deklinierten Wörter (z. B. "patroz", "patriz"). Dies ermöglicht kürzere Ausdrücke und vermeidet die Monotonie und Schwerfälligkeit in jenen Ausdrücken, in denen sonst mehrere "di"-Konstruktionen verwendet werden müssen. (4) Das Adjektiv in Ido ist invariabel. Diese Vereinfachung der Grammatik ist nicht immer vertretbar. Um besonders syntaktische Mehrdeutigkeiten zu vermeiden, ist in Ido die Möglichkeit der Deklination der Adjektiva wünschenswert. Dies kann durch das Anhängen der Kasusendungen oder der Pluralendung an die Adjektivendung ,,_ace wahlweise geschehen (z. B.

"bonan", "bonaj", "bonajn").

(5) Das System der Personalpronomina von Ido ist schon ganz artikuliert und angemessen. Einzuführen wäre jedoch "at" (Singular) und "aU" (Plural) für die dritte Person; diese sind dort zu verwenden, wo das Geschlecht der Person nicht feststeht oder wo es unerheblich ist. Das doppelte "t" im Plural der Pronomina ist bedenklich. Daher empfiehlt es sich "eU", "ili" usw. anstatt "eHi", "illi" usw. (6) Auch die Inflexion der Verba ist in Ido schon ganz artikuliert und angemessen. Es wäre jedoch zweckmäßig, Kurzformen von "esas" (Präsens), "esis" (Imperfekt), "esos" (Futurum) und "esus" (Konditional) zur Bildung des Perfektums, Plusquamperfektums usw. einzuführen, die entsprechend "as", "is", "os" und "us" sein würden. Besonders empfiehlt es sich aber, das praesens aeternttm einzuführen: eine "zeitlose" Form des Zeitwortes. Diese Form wird dann angewendet, wenn allgemeine, von der Zeitdimension unabhängige Gedanken (wie Naturgesetze, Axiome, Theoreme und Definitionen) zum Ausdruck gebracht werden. Dazu steht die Endung ,,-es" zur Verfügung. Daraus ergeben sich die Wörter "eses" und seine Kurzform "es". Die entsprechenden Partizipienpartikeln sind ,,-ent" (Aktivum) und ,,-et-" (Passivum). (7) Ido hat unterschiedliche Präpositionen für "zwischen" ("inter") und für das englische "among" ("ek"). Ein Gewinn wäre aber "inter" mit "entre" zu ersetzen und es nur für eine die Reziprozität oder Austausch anzeigende Präposition vorzubehalten. (8) Für "und" hat Ido nur das Bindewort "ed" und für "oder" das Bindewort "od". Es wäre aber wichtig, weitere Bindewörter einzuführen, um die Bedeutung des ersteren zu artikulieren und um die Mehrdeutigkeit des zweiteren zu beseitigen. Dies kann wie folgt erreicht werden: "ed" wird verwendet, wo die Reihenfolge der Konjunkte unwesentlich ist, während "kaj" verwendet wird, wo die Reihenfolge wesentlich ist. Für den Adjunktur (d. h. für den einschließenden Disjunktor) sei "od" verwendet, während für den Bijunktor (d. h. für den Operator der Äquivalenz) "id" verwendet sei. (9)

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Ido hat schon einen für gewöhnliche Zwecke ausreichenden Vorrat an Affixen. Eine Anreicherung dieses Vorrates wäre aber für besondere Zwecke erforderlich. Dabei eignen sich vor allem griechische oder lateinische Affixe, z. B. "ett-" (das in Ido als "ey-" geschrieben werden soll), "retro-" und "ab-". Ein nützliches Suffix für die Bildung der Bezeich-

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nung der Wissenschaftsdisziplinen würde ,,-ik-" sein. Es ist bedenklich, ,,-in-" für die Bildung weiblicher Substantiva aus männlichen zu verwenden. Es empfiehlt sich, dieses Suffix zu verwenden, um weibliche Substantiva aus Substantiva zu bilden, die Lebewesen im allgemeinen bezeichnen. Aus diesen können männliche Substantiva mit dem einzuführenden Suffix ,,-ir-" gebildet werden. Da ,,-et-" zur Bildung des Passivpartizips des praesens aeternum reserviert bleiben soll, soll dieses Diminuierungssuffix mit ,,-ed-" ersetzt werden. (10) Wie alle Sprachen verwendet auch Ido die runden, eckigen und geschlungenen Klammern. Mit diesen Klammern kommt man manchmal nicht aus. Ein einfaches Mittel zur Erweiterung des Klammerbestandes besteht in Ziffersuperskripten, z. B. 2( .•.2), 3[...3]. Vielfach erweist sich auch der Bestand der üblichen Anführungszeichen als zu dürftig. Eine Erweiterung dieses Bestandes ist dadurch möglich, daß man neben den üblichen Anführungszeichen auch hochgestellte (möglicherweise sehr klein geschriebene) Fragezeichen und Ausrufungszeichen verwendet. (ll) Das Streben nach semiotischer Gediegenheit von Ido erfordert schließlich eine Erweiterung des Bestandes seiner Wortwurzeln nach den Bedürfnissen der jeweiligen Gebiete des Sprachgebrauchs. Dabei ist vor allem der Grundsatz maßgeblich, daß alle interna·Uonalen Wörter auch zu Ido gehören. Da Ido eine autonome Plansprache ist, müssen die übernommenen internationalen Wörter gegebenenfalls der "Natur" oder dem "Geist" von Ido angepaßt werden. Neben den klassischen Sprachen liefert heute das Englische auch viele internationale Wörter: diejenigen, die in mehrere Sprachen als Fremd- bzw. Lehnwörter Eingang gefunden haben. Grundsätzlich kann jede Sprache Material für die Bereicherung des Wortschatzes von Ido liefern. Es besteht kein Grund zur Hemmung, auch von der freien Sprachschöpfung zu seiner Bereicherung Gebrauch zu machen. So kann "izes" eingeführt werden, um das prädikative "ist" ("esses") vom äquativen "ist" zu unterscheiden. Eine semiotisch gediegene rechtstheoretische Sprache erfordert neben den angemessenen grammatischen Mitteln eine befriedigende Fachterminologie. Zur Bewältigung der terminologischen Aufgaben wissenschaftlicher Abhandlungen stehen hauptsächlich die folgenden Mittel zur Verfügung: (1)

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Die Verleihung eines besonderen "technischen" Sinnes an die in der Alltagssprache vorkommenden Wörter, z. B. "Recht", "Besitz", "erlaubt", "oder", "und". Der Nachteil dieses Mittels besteht darin, daß in der Alltagssprache bestehende Mehrdeutigkeiten auch in den gegebenen wissenschaftlichen Kontexten störend wirken. Dies haben etwa Semantiker gespürt, wenn sie "Gebrauch" ("use") und "Erwähnung" ("mention") für ihre besonderen Zwecke verwenden. übrigens sind sogar viele Fachtermini mit störenden Mehrdeutigkeiten beladen, z. B. "Argument", "Induktion" und "Konjunktion", besonders wenn sie in benachbarten Disziplinen (wie etwa in der Grammatik und in der Logik) unterschiedliche Bedeutungen haben. Noch schlimmer ist es, wenn in den verschiedenen Gebieten derselben Disziplin ein Wort unterschiedliche Bedeutungen hat, z. B. "Prädikat" in der traditionellen Logik und in der modernen Logik. Die Verwendung von in der Alltagssprache oder in einer Fachsprache vorkommenden Wortwurzeln, denen eine Ableitungssilbe angehängt wird,

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woraus ein gewöhnlich nicht vorkommendes Wort, ein Semineologismus entsteht, z. B. "prohibitorisch", "Eukratie", "Gerechtheit". Die Mehrdeutigkeiten, die den Wortwurzeln anhaften, wirken aber auch hier etwas störend. Dieses Mittel hat wenigstens einen mnemotechnischen Vorteil: bekannte Sprachelemellte werden verwendet und das Gedächtnis wird dadurch entlastet. Die EinfUhrung von völligen Neologismen, die wenigstens in der verwendeten Sprache mit keiner Bedeutung vorbesetzt sind. z. B. "uk" für "und" im Sinne der modernen Logik, "Algol" für ein Ausdruckssystem für die kybernetische Programmierung und "Deklusion" für die durch die Deduktion erreichte Konklusion. Im Bereich der lebenden Sprachen ist ein Nachteil dieses Mittels, daß Neologismen, wenn sie dem "Geist" der jeweiligen Sprache nicht entsprechen, als Fremdkörper empfunden werden. Wenn sie aber diesem "Geist" entsprechen, finden sie bald ihren Weg in den allgemeinen Sprachgebrauch, wo sie dann vage und mehrdeutig werden. Diesem Schicksal ist nur damit zu begegnen, daß die betroffene Fachsprache wieder dort erneuert wird, wo die Alltagssprache störend auf sie wirkt. Bei der Schaffung von Neologismen müssen nicht nur die ethnischen Sprachen, sondern auch die Plansprachen behutsam vorgehen. Auch ihr "Geist" ist zu bewahren.

Schließlich gebe ich eInIge Beispiele für die Gestaltung der rechtstheoretischen Terminologie durch ein weiterentwickeltes Ido. Diese Beispiele beziehen sich auf zwei von mir derzeit behandelte Problemgebiete: die Rechtslogik und die Rechtszetetik. Zum Zweck, den Aktor - präziser gesagt: den Bewirkenden (bzw. die oder das Bewirkende) - anzuzeigen ist in der wissenschaftlichen Fachsprache von Ido angebracht, das Suffix ,,-OT-" einzuführen. Für das der Bewirkung Unterliegende empfiehlt sich das Suffix ,,-end-" und für das durch die Bewirkung Zustandegebrachte das Suffix ,,-jet-". So können in der Rechtslogik (und in der Logik überhaupt) nützliche Termini aus den geeigneten Wortwurzeln gebildet werden, z. B. "funktoTo", "opeTatoTo", "kvantoTo"; "funktendo", "opeTatendo", "kvantendo"; "funktjeto", "opeTatjeto", "kvantjeto". Die Tätigkeit der Bewirkung wird vom Suffix ,,-ion-" angezeigt. Es ermöglicht die Bildung der Wörter wie "funktiono", "opeTationo" und "kvantiono". (2) Für die logischen Operatoren stellt das weiterentwickelte Ido schon die folgenden Wörter zur Verfügung: "ed" für den Konjunktor, "od" für den Adjunktor und "id" für den Bijunktor. Erforderlich ist noch die Einführung von "ud" für den Subjunktor (Implikator) und "ad" für den Injunktor (Replikator). Die entsprechenden negativen Operatoren können zweckmäßig durch das vorangesetzte "n-" gebildet werden. Daraus ergeben sich "ned" für den Kontrakonjunktor, "nod" für den Kontraadjunktor usw. (:l) Für die Denkbetätigung, die von Denkvoraussetzungen zu Denkergebnissen führt, kann das von der Wurzel "dukt-" und vom Suffix ,,-ion-" gebildete Wort "duktiono" verwendet werden. Die erste Einteilung dieser Denkbetätigung wird mit "deduktiono" und "ejsduktiono" (wobei "ejs-" "hin-" im Gegensatz zu "her-" anzeigt) ausgedrückt. Die Einteilung der "ejsduktiono" wird mit "eksoduktiono" und "endoduktiono" ausgedrückt. Die Einleitung der "eksoduktiono" wird mit "TetToduktiono" (was Deutsch gewöhnlich "Reduktion" heißt) und "inteTduktiono" (was Deutsch ge-

(1)

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Ilmar Tammelo wöhnlich "Analogieschließen" heißt) ausgedrückt. Die Einteilung der

retroduktiono wird mit "enduktiono" (gewöhnlich Deutsch und in anderen Sprachen als "Induktion" bezeichnet) und "abduktiono" ausgedrückt. Die Einteilung der interduktiono wird mit "parduktiono" und "genduktiono" ausgedrückt (wobei "par-" aus "partikulara" und "gen-" aus "generala" gewonnen wurden). Die Einteilung der endoduktiono wird mit "eyduktiono" und "perduktiono" ausgedrückt. Die verwendeten Präfixe können auch

benützt werden, um die Denkergebnisse, die die genannten Denkbetätigungen zustande bringen, anzuzeigen. Dazu dient das oben eingeführte Suffix ,,-jet-". So können z. B. die folgenden Wörter gebildet werden, wenn "kluso" als das Wort gebraucht wird, das das Denkziel bezeichnet: "deklusjeto", "enklusjeto" und "eyklusjeto".

Ich erdreiste mich nicht zu sagen, daß die obigen Vorschläge die bestmöglichen sind. Ich bin aber überzeugt, daß der plansprachliche Weg, wie ich ihn gezeichnet habe, für eine leistungsfähigere rechtstheoretische Sprache wesentlich förderlicher ist als es die in den ethnischen Sprachen vorfindbaren Wege sind. Die plansprachliche Lösung der Probleme, die sich aus dem Ideal der semiotischen Gediegenheit ergeben, fordert nicht nur eine weitgehende überholung der rechtstheoretischen Fachterminologie, sondern auch eine ebensolche überholung der Struktur der rechtstheoretischen Sprache. Nur die erstere ist innerhalb ethnischer Sprachen durchführbar; die letztere ist aber in ihnen von vornherein ausgeschlossen, weil eine weitgehende Änderung der Struktur einer ethnischen Sprache diese in eine Plansprache umwandelt. Die semiotische Gediegenheit der rechtstheoretischen Sprache bleibt voraussichtlich noch lange Zeit ein bloßer Leitgedanke. Neben der Arbeit an spezifischen Problemen der Rechtstheorie sind aber Anstrengungen sinnvoll, diesen Leitgedanken soweit wie möglich in der gegebenen Zeit und unter gegebenen Verhältnissen zur Geltung zu bringen. Die Geborgenheit, die die ethnischen Sprachen durch ihre Fülle an feinen, oft sogar eleganten aber festgefrorenen Ausdrücken auch für das wissenschaftliche und philosophische Denken bietet, soll nicht überbewertet werden. Für das rechtstheoretische Denken, das allen berechtigten Erwartungen entspricht, ist es wesentlich, daß man sich auch aus dem "trauten Heim" der uns geläufigen Sprachen ins sprachliche Freie, sogar in die noch unbekannte sprachliche Ferne wagt.

DER LETZTE STAND VON KELSENS NORMENTHEORIE Einige überlegungen zu Kelsens "Allgemeine Theorie der Normen" Von Robert Walter, Wien I. Sechs Jahre nach dem Tod Hans Kelsens (19. April 1973) über den letzten Stand seiner Normtheorie zu sprechen, bedarf wohl einer besonderen Begründung. Sie liegt darin, daß dieser letzte Stand seiner Theorie bisher der juristischen Öffentlichkeit noch nicht zugänglich ist. Der Grund dafür liegt in folgendem: Wie weithin bekannt war, hat sich Kelsen in den letzten Jahren seines Lebens in besonderem Maße mit normentheoretischen überlegungen befaßt; er wollte jedoch - wie aus einer überlieferten Äußerung zu seinem Biographen Rudolt A. Metall hervorgeht - die Entscheidung, ob das Ergebnis seiner Bemühungen veröffentlicht werden solle, nicht mehr selbst treffen; diese fiel schließlich dem Hans Kelsen-Institut in Wien zu. Der literarische Nachlaß Kelsens wurde zunächst seinem Schüler, Freund und Biographen Rudol! A. Metall anvertraut; gleichzeitig wurde verfügt, daß nach dessen Tode die Schriften in Verwaltung und Verwahrung des Hans Kelsen-Instituts übergehen sollten. Metall war es nur mehr vergönnt, das umfangreiche Konvolut an Schriften einer ersten Sichtung und Ordnung zu unterziehen. Er ist am 30. November 1975 verstorben. Damit ergab sich für das Institut eine schwierige Aufgabe: Unter Berücksichtigung des Interesses, mit dem die wissenschaftliche Welt das letzte Werk Kelsens erwartete und des hohen wissenschaftlichen Ansehens des Verewigten, zu prüfen, ob das hinterlassene Werk einen Grad der Ausarbeitung erreicht hat, der eine Publikation gerechtfertigt erscheinen läßt. Die damit zu lösenden Probleme sollen hier nicht im einzelnen dargestellt werden. Das Ergebnis der -überlegungen war, daß das Manuskript - nach entsprechender technischer Bearbeitung - veröffentlicht werden soll. Die erforderlichen Arbeiten sind durchgeführt und das Werk im Druck. Es wird im Herbst dieses Jahres bei Manz erscheinen.

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11.

In dem umfangreichen Werk, dem Kelsen den Titel "Allgemeine Theorie der Normen" gegeben hat, erscheint Kelsens Normentheorie (zusammen mit der Behandlung einer Reihe von Einzelfragen und einer Fülle kritischer Auseinandersetzungen) in ihrer letzten Fassung dargeboten. Dabei zeigt sich, daß KeZsen zwar durchaus auf seinen früheren methodischen Einsichten aufbaut, jedoch in verschiedenen Punkten Modifikationen und Ergänzungen vorlegt, die Aufmerksamkeit verdienen. Die - im Rahmen des gegenständlichen Symposions notwendige zeitliche Begrenzung macht es nicht möglich, den zu erstattenden Bericht derart zu fassen, daß die gesamte KeZsensche Normentheorie dargestellt wird; es soll vielmehr - der Problemorientiertheit des Symposions gemäß - nach Skizzierung wesentlicher Grundpositionen der Lehre - auf einige wichtig erscheinende neue überlegungen eingegangen werden; dadurch soll der letzte Stand der Reinen Rechtslehre deutlich werden. 111. Von den wesentlichen Grundpositionen sollen folgende hervorgehoben werden: 1. Rechtswissenschaft und Ethik haben Normen zum Gegenstand. Normen bedeuten in erster Linie ein Gebot; (allerdings sind auch ermächtigen, erlauben und derogieren die Funktion von Normen). Norm als Gebot bedeutet, daß etwas sein oder geschehen soll. Der Akt, dessen Sinn ein Sollen ist, ist ein Willensakt ("normsetzender Willensakt"); sein sprachlicher Ausdruck ist ein Soll-Satz (im vorschreibenden Sinne), der von der Wissenschaft im beschreibenden Sinne darzustellen ist. "Sollen" ist - wie "Sein" - eine ursprüngliche Kategorie und daher undefinierbar. 2. "Geltung" einer Norm ist ihre spezifische (ideelle) Existenz; es bedeutet "Befolgt - Werden - Sollen". Eine positive Norm ist eine durch einen Willensakt in der Seinswirklichkeit gesetzte Norm; nur solche Normen kommen als Gegenstand des Rechts- oder Moralpositivismus in Betracht. Von der Geltung ist die Wirksamkeit zu unterscheiden; sie bedeutet, daß die Norm tatsächlich angewendet wird.

3. Die Natur ist ein Komplex von Seins-Tatsachen, aus denen kein Sollen abgeleitet werden kann; es sei denn unter metaphysisch-theologischen Voraussetzungen (NaturrechtsZehre). Diese Basisaussagen zeigen, daß die Reine Rechtslehre im Kerne unverändert bleibt; dies gilt jedoch nicht für einzelne Punkte.

Der letzte Stand von Kelsens Normentheorie

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IV.

Bevor im folgenden auf einige überlegungen der "Allgemeinen Theorie der Normen" eingegangen wird, erscheint es wichtig, zu sagen, wie Kelsen bei seinen Erwägungen vorgeht: Er analysiert, wie man das Phänomen, das man als "Norm" bezeichnet, am besten rational erfassen, begründen, einteilen und in verschiedenen Richtungen erklären kann; und er untersucht die Konsequenzen, die sich aus bestimmten Auffassungen über das Wesen der Normen ergeben. Da Kelsen an gewissen Grundpositionen festhält, haben manche Teile der Arbeit einen dogmatisch-analytischen Charakter. Nun zu einigen Hauptgesichtspunkten des Werkes. 1. Die Sicht des Verhältnisses von genereller und individueller Norm.

Ein Punkt, auf den besonderer Wert gelegt wird, ist eine zutreffende Sicht des Verhältnisses von genereller und individueller Norm. Unter einer generellen Norm wird dabei - in Abweichung von der in der österreichischen Rechtslehre üblichen Terminologie - eine Norm verstanden, die sich auf eine von vornherein unbestimmte Zahl von Handlungen oder Unterlassungen bezieht; demgegenüber bezieht sich die individuelle Norm auf ein einmaliges bestimmtes Verhalten. (Auf den Umstand, ob sich die Norm an einen individuell bestimmten Menschen richtet oder an eine Kategorie von Menschen, kommt es für Kelsens Unterscheidung nicht an.) Das, worum es Kelsen bei Behandlung des Verhältnisses von genereller und individueller Norm geht, ist die Frage, ob sich die individuelle Norm aus der generellen logisch ableiten läßt. Die Antwort, die er pointiert herausstellt, lautet dahin, daß eine solche Ableitung in keiner Weise möglich sei. Da jede Norm - die generelle wie die individuelle - der Sinn eines Willensaktes ist, kann die individuelle Norm nicht in der generellen impliziert sein; es muß sich vielmehr zwischen die Geltung der generellen Norm und die Geltung der ihr entsprechenden individuellen Norm ein neuer Willensakt einschieben, dessen Sinn die individuelle Norm ist. Die Annahme einer solchen Implikation wird als Fiktion qualifiziert: Der Fiktion nämlich, daß die Autorität, die die generelle Norm gesetzt hat, wenn sie den konkreten Fall gekannt hätte, auch die individuelle Norm gesetzt hätte; sie hätte aber auch eine "Ausnahme" machen können. Zwar kann - im logischen Syllogismus - eine Aussage aus einer anderen folgen, es kann aber keine Norm logisch aus einer anderen folgen, da zwischen Aussage und Norm keine Analogie zulässig ist. Auf diesen letzten Punkt ist noch zurückzukommen.

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2. "Kein Imperativ ohne Imperator und Imperanten." Eine zweite Erwägung KeZsens, die hervorgehoben werden soll, ist die spezifische norm theoretische Sicht, die in dem Satze zusammengefaßt wird: "Kein Imperativ ohne Imperator und Imperanten." Die diesem Satz zugrundeliegende Auffassung liegt in der überlegung, daß man vorn SolZ-Sinn eines Aktes - des Aktes des Gebietens - nur sprechen kann, wenn einerseits der Befehlsgeber weiß, was er will; ("Wollen" kann sinnvollerweise nur auf ein Verhalten eines anderen - allenfalls ein "alter ego" - gerichtet sein;) andererseits kann ein Wollen nur an ein Wesen gerichtet sein, das den Sinn des Wollens versteht und sich ihm entsprechend verhalten kann. "Befehl" und "Befehlsbefolgung" erscheinen nicht ohne Bezugnahme auf innere Vorgänge deutbar. Denn in der Außenwelt feststellbar ist nur ein Zusammenhang, der allenfalls als kausaler gedeutet werden kann, diesfalls aber den Sinn von Befehl und Befehlsbefolgung verliert. Nur wenn man annimmt, daß der Sprechende befehlen will und der danach Handelnde verstanden hat und befolgen will, kann man die erwähnten Begriffe bilden. Diese überlegung zeigt Kelsen näher in Auseinandersetzung mit dem Wittgensteinschen Satz "Der Hahn ruft durch sein Krähen die Hühner herbei". KeIsen meint, daß man, wenn man den Vorgang des Krähens des Hahnes und das Herbeilaufen der Hühner so beschreibe, wie dies Wittgenstein tut, man das Krähen als Befehl und das Herbeilaufen als Befehlsbefolgung und nicht als in Kausalzusammenhang stehendes Geschehen deute. Denn man könne nicht sagen, die Sonnenwärme ruft "die Ausdehnung der Eisenbahnschiene herbei". Man könne zwar die Vorgänge zwischen Hahn und Hühnern als kausales Geschehen deuten, wenn man sagt: Ein bestimmtes Krähen des Hahnes hat das Herbeilaufen der Hühner zur Wirkung; sobald man aber das Wort "Herbeirufen" verwendet, hat man das Krähen im Sinne eines spezifischen Befehls gedeutet, der - durch "Herbeilaufen" - befolgt werden kann. (Kelsen tritt damit dem Bemühen Wittgensteins um eine objektive Beschreibung dieser Vorgänge entgegen.) Ein Gedanke, der in diesem Zusammenhang noch zu erwähnen ist, ist der, daß es nach Deutung KeZsens ohne "Anerkennung" der Norm durch ihren Adressaten keine "Befolgung" oder "Verletzung" der Norm durch diesen Adressaten geben könne. Verweigert ein Adressat die "Anerkennung" der Norm, so kann er sie - von seinem Standpunkt ausnicht verletzen. (Dies schließt eine "objektive" Verletzung von Normen nicht aus.)

3. Das Problem der Anwendbarkeit logischer Prinzipien auf Normen. Einen Hauptpunkt der Bemühungen Kelsens bildet die Untersuchung der Frage, ob die logischen Prinzipien, die auf die Sätze der Wissenschaft

Der letzte Stand von Kelsens Normentheorie

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vom Recht und von der Moral unzweifelhaft anzuwenden sind, auch auf den Gegenstand der Wissenschaft, die Normen, angewendet werden dürfen. In Auseinandersetzung mit einer Reihe von Positionen, die in der Lehre bezogen wurden, verneint Kelsen die Möglichkeit, zwischen den Normen logische oder Logik-ähnliche Beziehungen anzunehmen. Eine der Positionen, mit welcher sich Kelsen näher befaßt, ist jene von Jörgensen: Dessen Vorschlag einer Trennung des Imperativs in einen imperativen und einen indikativen Faktor lehnt Kelsen als unmöglich ab: Das, was in einem Befehl befohlen wird, sei ein "modal indifferentes Substrat", das im Befehl im Modus des Sollens, nicht aber in einem von diesem verschiedenen indikativen Modus - d. h. als Aussage - auftritt. Jörgensen irre, wenn er annehme, daß der Inhalt des Imperativs (das, was befohlen wird) ein Seiendes ist. Das, was in dem Befehl "Schließe die Tür" befohlen wird, ist nicht der seiende Vorgang des Türe-Schließens; vielmehr tritt im Befehl das "Türe-Schließen" als an sich modal indifferentes Substrat im Modus des Sollens - und nur in diesem auf· In dem gegebenen Zusammenhang setzt sich Kelsen auch mit den Untersuchungen von Husserl, Sigwart, Dubislav, McKinsey, Hofstätter, Ross, Frey, u. a. m. auseinander, was hier nicht im einzelnen dargestellt werden kann. Kelsen meint keinen der vorgeschlagenen Wege beschreiten zu können: Zwischen der Wahrheit einer Aussage und der Geltung einer Norm besteht keine Parallele, und läßt sich auch keine Analogie herstellen. Auch zwischen der Wahrheit einer Aussage und der Befolgung einer Norm besteht keine Analogie. Auch der Versuch, durch Einführung von Aussagen, die mit dem Imperativ eine wesentliche Verbindung haben, eine indirekte Anwendung logischer Prinzipien auf Normen herbeizuführen, erscheint ihm nicht zielführend. Daher seien die logischen Prinzipien auf Normen nicht anzuwenden. 4. Nunmehr sei noch ein Punkt angeschnitten, der die bereits erwähnte Position Kelsens verdeutlicht: Jener des "Normkonjlikts". Darunter wird die Situation verstanden, daß zwei Normen vorliegen und das "wa::. die eine als gesollt setzt, mit dem, was die andere als gesollt setzt, unvereinbar ist und daher die Befolgung oder Anwendung der einen Norm notwendiger- oder möglicherweise die Verletzung der anderen involviert". Den Normkonflikt erfaßt Kelsen in verschiedenen Formen - als einseitigen oder zweiseitigen, totalen oder partiellen - betont aber auch in diesem Zusammenhang eine Position, die er schon früher bezogen hat: Daß der Normkonflikt geltende Normen voraussetze und kein logischer Widerspruch sei. Seine Lösung könne - müsse aber nicht - durch Derogation stattfinden; dies sei der Fall, wenn eine Derogation bei einem Normenkonflikt - durch eine dritte Norm - angeordnet sei. Aus der Logik ergebe sich hiefür nichts. Insbesondere kann die Regel der lex

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posterior nur als positivrechtlicher Satz angesehen werden, der freilich von den Gesetzgebern stillschweigend als geltend vorausgesetzt wird. 5. Schließlich sei noch auf eine der Funktionen der Norm näher eingegangen. Wie einleitend betont, schreibt Kelsen der Norm vier Funktionen zu: Zum ersten das Gebieten (oder Verbieten) eines Verhaltens; zum zweiten das Ermächtigen, d. h. "einem Individuum die Macht verleihen, Normen zu setzen und/oder anzuwenden"; zum dritten das Derogieren, die Aufhebung der Geltung einer Norm und zum vierten das Erlauben. Da gerade dem "Erlauben" - als bloßem Eingrenzen der Gebotsnorm - eine eigene Funktion abgesprochen werden könnte, seien einige überlegungen dazu wiedergegeben: Tatsächlich nimmt Kelsen an, daß "erlauben" in einem bestimmten - von ihm "positiv" genan.nten - Sinne nur meint, daß eine verbietende Norm ("Betreten verboten") aufgehoben (ihr derogiert) oder eingeschränkt wird. Diesfalls sei das Erlauben auf die Funktion des Derogierens reduzierbar. Meint man mit dem "Erlaubtsein" eines Verhaltens, daß dieses von keiner Norm erfaßt sei - Erlauben im negativen Sinne -, so hat dies keine normative Funktion. In diesem Zusammenhang erklärt Kelsen den Satz "Was nicht verboten ist, ist erlaubt" - er wurde bekanntlich in der Reinen Rechtslehre verschiedentlich verwendet - als "tautologisch". Wenn Kelsen dennoch "Erlauben" als eigene normative Funktion ansieht, so hängt dies damit zusammen, daß er "Erlauben" und "Gebieten" in einer spezifischen Beziehung sieht: Wenn ein Verhalten nur "erlaubt" ist, ist es "freigestellt", nicht geboten; wenn ein Verhalten "geboten" ist, ist es nicht "erlaubt", weil keine Wahlfreiheit besteht. Eine erlaubende Norm kann man nie "verletzen", sondern nur von ihr Gebrauch machen oder nicht Gebrauch machen. Der Sprachgebrauch ("Bigamie ist nicht erlaubt" statt " ... ist verboten") ist freilich oftmals ungenau. Dazu sei noch bemerkt, daß man in bezug auf Staatsakte niemals davon sprechen kann, daß sie "erlaubt" seien (in diesem Fall ist die Verhaftung "erlaubt"), sondern nur davon, daß zu ihrer Setzung "ermächtigt" ist.

v. Meine Ausführungen konnten nur einige Punkte andeuten, in welchen sich die letzten normentheoretischen überlegungen Kelsens bewegen. Es muß wohl für immer dahingestellt bleiben, ob und inwieweit der Autor noch eine inhaltliche Änderung vorhatte. Es ist jedenfalls zu hoffen, daß Kelsens Arbeit die rechtstheoretische Diskussion befruchtet und es erscheint nicht entscheidend, welcher Standpunkt in dieser oder jener Frage als richtig erkannt wird. Hat doch Hans Kelsen sein rechtstheoretisches Werk nie "als eine Darstellung endgültiger Ergebnisse, sondern als ein Unternehmen betrachtet, daß einer Fortführung ... bedarf".

VERSUCH EINER NEUEN GRUNDLEGUNG DER NORMENLOGISCHEN FOLGERUNGSTHEORIE Von Dta Weinberger, Graz 1. Die Logik und ihre philosophische Begründung 1.1. Wissenschaftliche Disziplinen entstehen in historisch gegebenen Problemsituationen, in denen die geistigen und technischen Bedingungen für die Lösung der gestellten Aufgaben gegeben sind. Die Impulse zum Aufbau einer Normenlogik sind von zwei Seiten ausgegangen: von der strukturtheoretisch interessierten praktischen Philosophie, d. h. von der Jurisprudenz und Ethik bzw. Metaethik, und von der logischen Analyse der Beziehungen zwischen Termini und Operationen des praktisch-philosophischen Bereiches. Dem entspricht eine gewisse Unterschiedlichkeit der Arbeitsweise in der normenlogischen Forschung. Auf der einen Seite versuchen die Logiker, formale Systeme aufzubauen, die die Funktion einer Normenlogik erfüllen können, auf der ander,en Seite bemühen sich die Strukturtheoretiker der praktischphilosophischen Disziplinen, vorerst Grundsätze für den adäquaten Aufbau der Normenlogik zu gewinnen. Sie fordern, eine Beweistheorie für den Bereich des Sollens zu erstellen, da sie genau wissen wollen, was man macht, wenn man im Bereich des Rechts oder der Ethik gedankliche Operationen durchführt. Es wird eine Logik der präskriptiven Spmche als rationale Rekonstruktion dieser Denkpraxis postuliert. Die Logiker haben entwed,er den Weg der Reduktion der normenlogischen Beziehungen auf Beziehungen in der klassischen Logik der deskriptiven Sprache beschritten! oder sie versuchten, die Normenlogik als besonderes Medallogiksystem aufzubauen2 • 1 Hierher gehören die Reduktionsversuche in der Form von Sanktionsaussagen, die Versuche, die Normenlogik als zweite Interpretation eines abstrakten (protologischen) Kalküls anzusehen; weiters Rödigs Versuch, Normsätze als spezifische Aussagesätze zu behandeln. Näheres siehe in: eh. WeinbergerlO. Weinberger. Logik, Semantik, Hermeneutik, München 1979, Kapitel 7. (Vorabdruck unter dem Titel "Grundzüge der Normenlogik und ihre semantische Basis", Rechtstheorie 1979/H. 1, S. 1 - 47.) 2 Dies sebeint geistesgeschichtlich gesehen - der vorherrschende Trend gewesen zu sein, soweit daß von Wright, eine der Autoritäten auf diesem Gebiet, die deontische Logik (die dazu bestimmt ist, die Aufgaben der Nor-

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1.2. Mag man die Untersuchungen von dieser oder jener Seite in Angriff nehmen, so erscheint mir in jedem Falle der Kern der Aufgabe in der Begründung der logischen Strukturen und Operationen zu liegen, d. h. in der philosophischen und semantischen Fundierung der normenlogischen Systeme bzw. in der Begründung von Metapostulaten für den Aufbau von Systemen, die als Normenlogiken benützt werden können.

In der modernen Konzeption der Logik werden die logischen Systeme rein formal aufgebaut. Es werden formale Regeln des Sprachaufbaues und formale Operationsregeln festgesetzt. Das logische Denken wird als formales Operieren mit Ausdrücken aufgefaßt (Deduktion als rein formales Spiel). Die Deduktion wird hierbei so gedeutet, daß die Durchführung der Operationen nach festgesetzten Spielregeln die "Erblichkeit" einer gewissen Eigenschaft sicherstellt. In der deskriptiven Sprache hat die Wahrheit die Rolle der Erbeigenschaft beim logischen Folgern. Die rein formale Konzeption der Deduktion hat gewisse methodologische und philosophische Implikationen. Da im Prinzip beliebige formale Spiele aufgebaut werden können, stellt sich die Frage, welche Eigenschaften ein System haben muß, damit es als Logik angesehen werden kann. Es ist möglich, nebeneinander verschiedene Logiksysteme aufzubauen. Man muß dann fragen, ob sie funktionell gleichwertig sind, resp. wann welches System für die gegebene Aufgabe das adäquate ist. Diese methodologische Situation ist die gedankliche Basis des sog. Toleranzprinzips in der Logik, nach dem jedes konsequent aufgebaute System als formal-logisch berechtigt angesehen werden kann Die prinzipielle Zulässigkeit unterschiedlicher Systeme kann teils konventionalistisch gedeutet werden (es gibt Elemente des Strukturaufbaues, die je nach Festsetzung verschieden gestaltet werden können), teils führt sie zum methodologischen Problem der Auswahl eines adäquaten Systems für den betreffenden Bereich oder die gestellte Aufgabe. Die rein formalistische Konzeption der Deduktion stellt einen gedanklichen Rahmen dar, in dem das normenlogische Deduzieren der Deduktion in der desk1'iptiven Sprache als gleichberechtigt an die Seite t1'eten kann, denn nach dieser Konzeption ist der semantische Charakter der beteiligten Sätze und die "Erbeigenschaft" der Deduktion für die Möglichkeit der formalen Operationen nicht entscheidend. menlogik zu erfüllen) als Ablieger (offspring) der Modallogik angesehen hat. Diese Entwicklungslinie der Forschung geht von Leibniz, Höller, von Wright, Kalinowski und Becker aus. Man kann zur Frage der Adäquatheit dieses deontologischen Zutritts zur Normenlogik verschiedener Meinung sein; sidler ist jedenfalls, daß die Diskussion über diese Versuche wesentlidl zur Klärung unserer Problematik beigetragen haben.

Grundlegungsversuch der normenlogischen Folgerungstheorie

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1.3. Die Art und Weise, wie die Logik bzw. die Geltung der logischen Regeln begründet wird, kann als charakteristisches Moment einer philosophischen Lehrmeinung angesehen werden. Ich kann natürlich hier nicht auf Einzelheiten eingehen und möchte bloß Beispiele anführen, wie vom Standpunkt verschiedener philosophischer Systeme die Begründung der logischen Regel ,angesehen wird. Das logische System mit seinen Operationsregeln wird als rationale Rekonstruktion der Denkpraxis erklärt (z. B. von Hans Reichenbach). Es kann versucht werden, die logischen Operationen durch semantische Relationen in Zusammenhang mit dem Konstitutionssystem der Sprache als notwendig zu erklären. Man kann die logischen Regeln durch ein gewisses Argumentationsspiel begründen (Paul Lorenzen). Man kann in kritizistischer Konzeption die logischen Strukturen und gültigen Operationen als immanente Struktur der Vernunft betrachten (Immanuel Kant) oder als eine Erkenntnis ideellen Seins, wie es der platonistischen Konzeption einiger Logiker entspricht. Wenn man von einer Abbildtheorie des Denkens ausgeht - z. B. im Sinne vieler Marxisten -, dann wird man die logischen Relationen als ,·ealitätskonform zu explizieren suchen. Im Sinne von Karel Englis kann das logische System (die "Gedankenordnung") als zweckmäßiges konventionelles Instrument aufgefaßt werden. Die unter Einfluß biologischer Theorien stehende evolutionäre Erkenntnistheorie versucht, die Gültigkeit der logischen Strukturen und Relationen durch die Anpassung der Denkformen an die objektive Realität im Entwicklungsprozeß zu erklären. Mir scheint eine Bestimmung der adäquaten logischen Strukturen und Regeln am ehesten durch eine Problemsituationsanalyse erreichbar, die eng mit der Problematik der Methodologie des entsprechenden Bereiches verbunden ist. Diese Konzeption geht einerseits von einer neokritizistischen Auffassung aus, nach der das Erkennen und Denken immer strukturiert ist, und zwar in der Weise, daß durch Analyse strukturelle Elemente, denen in diesem Rahmen Notwendigkeit zukommt, von inhaltlichen Elementen, die verschiedene kontingente Werte annehmen können, unterschieden werden müssen. Nach dieser Auffassung ist die in metalogischen Analysen so wichtige Evidenz nicht eine absolute Gegebenheit, sondern wesentlich abhängig von der durchgeführten Struktm·analyse und der auf ihr aufbauenden logischen Konstruktion. 1.4. Es zeigt sich in der heutigen Logik vielfach die Tendenz, eine philosophische Begründung des formalen Apparates des logischen Systems zu geben. In diesem Sinne kann man die semantische Darlegung der Logik (Carnap, 1954) verstehen, ebenso wie Quine's Hinweis auf die Notwendigkeit der ontologischen Grundlegung des logischen Systems und die Kripkeschen Ansätze zu einer philosophischen Begründung der Mo-

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dallogik. Es besteht kein Zweifel, daß solche Analysen fruchtbar und aufklärend sind. Für den Bereich der normenlogischen Versuche erscheint die philosophisch-analytische Zutrittsweise besonders angemessen, da bei dem heutigen Stand der Forschung vor allem die Diskussion der Grundzüge normenlogischer Systeme zu klären sind. Wenn man diese Überlegungen darauf richtet, Metapostulate jÜT NOTmenlogiksysteme aufzustellen, hat dies auch den wichtigen Vorteil, daß in dem so bestimmten Rahmen veTschiedene NOTmenlogiksysteme entwickelt werden können, die spezifischen Aufgaben angepaßt werden können 3 • 2. Die philosophische Grundlegung der Normenlogik 2.1. Jeder Versuch, ein als Normenlogik brauchbares System zu erstellen, geht von gewissen semantischen und methodologischen Analysen deT DenkpTaxis in den Hauptbereichen der praktischen Philosophie aus. Den Aufbau des Systems stützt man dann gewöhnlich auf gewisse, in anderen Bereichen erprobte Systeme: bei den sog. Reduktionstheorien auf Systeme der Aussagen- oder Prädikatenlogik, ggf. auf Systeme der Notwendigkeitsimplikation (strict implication), auf modallogische Systeme oder schließlich auf Systeme deT PTäjeTenzlogik. Bei den konstruktiven Versuchen werden - eben unter Einfluß der zugrundegelegten Mustersysteme - Strukturen und Folgerungsregeln aufgestellt, deren Adäquatheit dann geprüft werden muß. Man argumentiert bei dieser Prüfung mit intuitiver Plausibilität und deren Gegensatz, d. h. dem Auftreten von Paradoxa. Diese Überlegungen über die vorgeschlagenen Systeme sind gerade deswegen von Wichtigkeit, weil bei dieser Arbeitsweise die Grundsätze des Systemsaufbaues als einer Normenlogik nicht ausreichend geklärt waren, so daß gewissermaßen die Frage offensteht, ob das vorgeschlagene System tatsächlich eine Normenlogik ist. Wenn dagegen die Gesamtheit der Grundsätze des Systemaufbaues außer Zweifel gestellt wäre, müßten alle Konsequenzen des Systems gelten, d. h. sie werden als evident nachgewiesen. 2.2. Für die sog. StandaTdsysteme deT deontischen Logik wurde versucht, eine allgemeine philosophische Erklärung des Folgerns in Form der TheoTie deT deontisch peTjekten Welten zu geben, wodurch ein Maßstab für die Geltung der Folgerungsregeln dieser Systeme aufgestellt werden sollte. Es wird hierbei im wesentlichen folgendermaßen argumentiert: ein Normsatz ist Konsequenz einer Klasse von Prämissen Normsätzen bzw. deontischen Sätzen und ggf. Aussagesätzen - dann und nur dann, wenn in jeder möglichen Welt, in der die Prämissen erfüllt sind (solche Welten kann man ,deontische perfekte Welten' nen:I Ich werde im nachfolgenden Text auf einige Möglichkeiten alternativer Gestaltungen normenlogischer Systeme aufmerksam machen.

Grundlegungsversuch der normenlogischen Folgerungstheorie

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nen), auch die gefolgerten Normsätze erfüllt sind. Der wesentliche Einwand gegen diese Grundlegung der normenlogischen Folgerungstheorie ist m. E. die Tatsache, daß es prinzipiell möglich sein muß, daß ein Sollsatz verletzt (d. h. nicht erfüllt) wird. Ich habe an anderer Stelle gezeigt', daß die vieldiskutierten Paradoxa "Aus ,op' folgt,o (p V q)' ce (das sog. Ross'sche Paradoxon) und "Aus ,0 (p 1\ q)' folgt ,Op' ce (das Paradoxon der Spaltung de'r Konjunktion) aus der Tatsache folgen, daß die Möglichkeit der Nicht-Erfüllung von Sollsätzen außer acht gelassen wird. Es ist also nicht alles logische Folge gegebener Prämissen, was zu deren Erfüllung erforderlich ist, d. h. mit anderen Worten: das Kriterium der deontisch perfekten Welten liefert keine adäquate Begründung für die normenlogische Folgerungstheorie. Dies zeigt sich besonders deutlich an der Aufspaltung einer Konjunktion im Inhalt eines Sollsatzes; p muß Tatsache sein, wenn ,0 (p 1\ q)' erfüllt sein soll, doch kann auf das Gesolltsein von p nicht geschlossen werden, weil die Möglichkeit der Nicht-Erfüllung von q besteht6 • 2.3. Ich bin der Meinung, daß wir neue Überlegungen anstellen müssen, um eine brauchbare philosophisch-semantische Grundlage der Normenfolgerungstheorie herausarbeiten. Ich glaube, daß die Grundsätze, denen die Funktion von Metapostulaten für den Aufbau normenlogischer Systeme zukommt, aus einer methodologischen und strukturellen Problemsituationsanalyse der praktisch-philosophischen Disziplinen, vor allem der Rechtswissenschaften und der Ethik, herzuleiten sind'. 4 Vgl. O. Weinberger, Der Begriff der Nicht-Erfüllung und die Normenlogik, Ratio, Bd. 14, H. 1/1972, S. 15 - 32; ders., Der Erlaubnisbegriff und der Aufbau der Normenlogik, Logique et analyse, 1973, S. 113 -142; Ch. Weinberger/O. Weinberger, a.a.O., S. 110, 115,121 f. Die Idee der deontisch perfekten Welten ist aber dennoch nützlich, insbesondere für die Untersuchung der Konsistenz von Normensystemen. & Auch Ziembinski hat eine semantische Erklärung des normenlogischen Folgems vorgeschlagen. "Wenn die Verwirklichung der Norm NI eine notwendige Bedingung für die Verwirklichung der Norm Nt ist, dann folgt N 2 aus Nt." Diese Regel ist offenbar nur als Regel des Soll-Folgerns gedacht, denn es kann wohl nicht gemeint sein, daß, wenn p erlaubt ist, alles erlaubt (oder sogar geboten) ist, was zur Realisierung von p notwendig wäre. Auch als Prinzip des Soll-Folgerns scheint mir die Regel nicht akzeptabel zu sein. Ziembinski selbst hat sie in der 6. Auflage seiner "Logika praktyczna" (Praktische Logik) durch eine andere Formulierung ersetzt. "Man könnte z. B. folgende Definition des logischen Folgerns (für die Normenlogik, Anm. O. W.) akzeptieren: Aus der Norm NI von der Form "Es soll sein: wenn x W ist, macht x C" folgt logisch in Anbetracht der Aussage Z die Norm N2 von der Form "Es soll sein: wenn x T ist, macht x DU, wenn die Aussage Z besagt, daß die Klasse der Situationen, in denen x W ist, die Klasse der Situationen, in denen x T ist, umfaßt oder mit ihr identisch ist, und die Klasse der Handlungen C die Klasse von Handlungen D umfaßt oder mit ihr identisch ist." Auch diese semantische Festsetzung reicht zur Grundlegung einer normenlogischen Folgerungstheorie sicherlich nicht aus. o Es muß aber unterstrichen werden, daß die Normenlogik als logische Disziplin, nicht als Bestandteil einer Rechts- oder Moraltheorie anzusehen

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Ota Weinberger 3. Die sprachtheoretische Basis der normenlogischen Folgerungstheorie

Es gehört zu den allgemein anerkannten Prinzipien der modernen Logik, daß die Theorie der logischen Beziehungen von der geeigneten Konstitution des der Logik zugrunde gelegten Sprachsystems abhängt. Im Sinne dieser Konzeption ist es angebracht, mit überlegungen über das Sprachsystem der Normenlogik zu beginnen, um die Grundsätze des Aufbaues der logischen Sprache, in der die Strukturbestimmung des Normsatzes und die normenlogische Folgerungstheorie eingebettet sind, klarzumachen. 3.1. Die gnoseologisch differenzierte Semantik als Basis der Normenlo,ik

3.1.1. Als ,gnoseologisch differenzierte Semantik' bezeichne ich die Auffassung der Sprache, die prinzipiell aufeinander nicht reduzierbare Satzarten - und dementsprechend Begriffskategorien - unterscheidet. Die kategorial unterschiedenen Sätze drücken verschiedene Gedankenkategorien aus; sie haben erkenntnismäßig unterschiedliche Bedeutung und in der Sprachgragmatik verschiedene Funktionen. Die Satz- und Begriffskategorien der gnoseologisch differenzierten Semantik werden unter Berücksichtigung der logisch-methodologischen Problem- und Argumentionsstrukturen der betrachteten Bereiche festgesetzt. 3.1.2. In der Semantik, die ich der Normenlogik zugrunde lege, werden theoretische und praktische (d. h. handlungsbezogene) Sätze unterschieden. Sätze der erstgenannten Kategorie können sinnvoll als wahr (bzw. als falsch) bezeichnet werden. Die Kommunikation und Informationsübermittlung mittels dieser Sätze beruht auf einer Konvention über die Beziehung der durch den Satz dargestellten Sachverhalte - soweit sie informativ sind (d. h. irgendwelche logisch möglichen Sachverhalte ausschließen) - zu realen Sachverhalten (Tatsachen). In der Regel gilt die sog. Behauptungskonvention: der dargestellte Sachverhalt wird als Tatsachenbeschreibung vorgelegt (vom Absender) und verstanden (vom Empfänger). Wenn man sagt, daß die theoretischen oder Aussagesätze objektiv gemeint und verstanden werden, dann bezieht sich diese These auf die in der Behauptungskonvention festgelegte Beziehung der Beschreibung im Aussagesatz und der beschriebenen Tatsache. (Der Aussagesatz trifft mit seiner Sachverhaltsbeschreibung nicht immer die Tatsachen, er ist aber prinzipiell aufgrund der Behauptungskonvention darauf gerichtet, Tatsacheninformationen zu geben.) Praktische Sätze sind systemrelativ; es wäre nicht sinnvoll, sie als wahr ist, obwohl sie für diese Lehren als vorangehende Grundlagenwissenschaft wichtig ist.

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oder falsch zu bezeichnen (nämlich in dem Sinne, wie theoretische Sätze wahr oder falsch genannt werden7 ). 3.1.3. Man kann verschiedene Arten praktischer Sätze unterscheiden, insbesondere: Normsätze, Werts ätze (attributive oder einstellige Wertsätze; relationale Werts ätze oder Präferenzsätze); Forderungssätze (Zielsätze, Postulate) u. a. Für unsere Zwecke greifen wir nur die Normsätze heraus. Das Problem ihrer Beziehungen zu anderen praktischen Sätzen sowie jenes einer Systematik der praktischen Sätze überhaupt lasse ich hier offen. - Für die Konstituierung eines Sprachsystems der Normenlogik genügt es, die Kategorien der Aussage- und Normsätze festzusetzen und die Normenlogik als ein System dieser beiden Satzkategorien zu bestimmen. Will man wirklich bei dieser Festsetzung bleiben, dann muß man für den Fall, daß man aus aussagenden und normativen Teilsätzen zusammengesetzte Sätze einführt, festsetzen, daß

gemischt zusammengesetzte Sätze immer als Sätze genau einer der beiden Kategorien gelten 8• 3.2. Normsatz und deontischer Satz

3.2.1. Sowohl einige Juristen (z. B. Hans Kelsen) als auch einige Normenlogiker (z. B. G. H. von Wright) haben zwei einander in gewisser Weise zugeordnete Satzarten, die Gebote, Verbote oder Erlaubnisse ausdrücken, unterschieden, wobei sie die eine Art als Satz der Willensäußerung für wahrheitsunfähig, den anderen jedoch als Aussagesatz über ein Normensystem (oder über das Bestehen eines Sollens bzw. Dürfens) für wahrheitsfähig ansehen. Ich führe folgende terminologische Festsetzung ein: Den Satz, der direkt ein Sollen oder Dürfen ausdrückt, nenne ich "Normsatz'. (Ich fasse ihn als grundlegende Satzkategorie der Normenlogik auf - neben der Satzkategorie der Aussagesätze.) Den Satz, der von einem Normensystem prädiziert, daß in ihm ein Sollen bzw. Dürfen gilt, nenne ich ,deontischen Satz'. Er ist ein spezifischer Aussagesatz, also wahrheitsfähig. 7 Über die Möglichkeit, terminologische Festsetzungen zu treffen, die es gestatten, auch von "Wahrheit" der Nonnsätze zu sprechen, siehe: o. Weinberger, Bemerkungen zur Grundlegung der Theorie des juristischen Denkens, in: Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Düsseldorf 1972, Bd. 2 (Hrsg. H. Albert, N. Luhmann, W. Maihofer, O. Weinberger), S. 134 -161; ders., Kann man das normenlogische Folgerungssystem philosophisch begründen? überlegungen zu den Grundlagen des juristischen Folgerns, ARSP, Bd. LXV/2 (1979), S. 161 - 186. Der Unterschied zwischen objektiv verstandener Aussagesatzwahrheit und systemrelativer Normwahrheit entspricht bei dieser Festsetzung der Objektivität von Aussagesätzen und der Systemrelativität von Normsätzen in der üblichen Konzeption. 8 Die, diese gemischt zusammengesetzten Sätze bildenden Funktoren sind alternativ entweder aussagesatzbildende oder normsatzbildende Funktoren.

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3.2.2. Ich möchte nun kurz erklären, warum ich den Normsatz, nicht den deontischen Satz, als sprachlich-kategoriale Basis der Normenlogik ansehe'. a} Normsätze sind sprachliche Instrumente zum Setzen von Normen;

deontische Sätze könnten diese Funktion nicht übernehmen.

b) Was gesollt ist oder was (ausdrücklich) erlaubt wird, wird in Form von Normsätzen jestgehalten und gegebenenfalls den Pflichtsubjekten mitgeteilt. Ideale Kommunikation vorausgesetzt, muß am Anfang und am Ende des Vbertragungskanals - d. h. beim Absender und beim Empfänger - ein und derselbe Satz stehen und in gleicher Weise verstanden werden lO • c) Aus der normativen Nachricht müssen (ev. unter Heranziehung von Tatsachenprämissen) beim Absender und beim Empfänger genau dieselben Schlußfolgerungen ableitbar sein. Dies ist dann und nur dann der Fall, wenn die abgesandte und aufgenommene Nachricht als semantisch identisch angesehen werden. d} Richtig gedeutet enthalten deontische Sätze normative Elemente eigentlich nur in indirekter Rede. Es scheint mir unmöglich, eine normenlogische Folgerungstheorie mit diesen Sätzen aufzubauen, die den Anforderungen der normativen Disziplinen entsprechen könnte, da Folgerungen ins Auge gefaßt werden müssen, die auf einer Beziehung zwischen dem Inhalt der indirekten Rede und Sätzen der Tatsachenfeststellung beruhen. Der Inhalt der indirekten Rede ist so aufzufassen, daß er durch den Funktor, von dem er abhängig ist, so abgekapselt wird, daß logische Operationen mit diesem Inhalt unzulässig erscheinen. e) Die Wahrheit der deontischen Sätze über das in Erwägung stehende Normensystem hängt von den normenlogischen Folgerungsbeziehungen im Bereich der Normsätze ab, die das Normensystem bilden. Primär ist also die Logik der Normsätze, sekundär können logische Beziehungen im Bereich der deontischen Sätze aufgrund der Geltung der normenlogischen Beziehungen zwischen Normsätzen (und ev. Aussagesätzen) begründet werden ll . D Ausführlichere überlegungen sind enthalten in: O. Weinberger, Intersubjektive Kommunikation, Normenlogik und Normendynamik, Rechtstheorie 1977, H. 1, S. 19 - 40 (erschienen auch in: Strukturierungen und Entscheidungen im Rechtsdenken, Wien, New York 1978, S. 235 - 262). 10 Dies spricht auch gegen die Zwei-Seiten-Theorie von Engli§, nach der derselbe Satz .. im Munde des Gesetzgebers" ein Postulat ausdrückt, vom Gesichtspunkt des Pflichtsubjekts eine Norm darstellt, also zwei verschiedene Gedankengebilde bedeutet. 11 Vgl. G. Kalinowski: Du meta1anguage en logique. Reflexions sur 1a 10gique deontique et son rapport avec la logique des normes, in: Documents de

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f) Die Systeme, die sich mit deontischen Sätzen befassen -

ich habe die sog. Standardsysteme im Sinn -, gelten von Normensystemen dann und nur dann, wenn man zusätzliche Eigenschaften der beschriebenen Normensysteme voraussetzt: insbesondere wird Widerspruchsfreiheit und Geschlossenheit des Systems vorausgesetzt (sonst wäre eine gegenseitige Definierbarkeit der normativen Operatoren nicht möglich), ferner das Wohlverhalten der Normadressaten (sonst dürfte die Folgerung "Aus ,0 (p 1\ p)' folgt ,Op'" nicht gelten). 3.3. Das Normensystem als Lenkungssystem

3.3.1. Ich gehe von der Auffassung aus, daß das Normensystem ein System der Lenkung und Verhaltensregulierung ist. Im Bereich der autonomen Normen bedeutet die Normierung eine Festsetzung und Stabilisierung der Absichten des Subjektes, die Setzung von Verhaltensregeln und Handlungsprogrammen. Im Bereich der heteronomen Normierung geht es um die Koordination des HandeIns und Verhaltens verschiedener Subjekte, um den Aufbau von Organisationen durch Regulative. Normensysteme bilden auch eine Basis für Wertungen, indem Gesolltes positiv, Verbotenes negativ gewertet wird. Die sich auf Normensysteme stützende Wertung betrachte ich als sekundäre pragmatische Funktion der Normen. 3.3.2. Diese Konzeption hat wichtige Konsequenzen. Als echte Normenordnung erscheint nur so ein System, das gewisse Verhaltensalternativen ausschließt, denn dies ist aus informationstheoretischen Gründen eine notwendige Bedingung für ein Reguliersystem. Ein rein permissives System wäre also kein echtes Normensystem. 3.S.3. Man kann die Frage stellen, in welcher Weise ein Normensystem regulativ wirkt. Diese psychologisch und soziologisch interessante Frage ist für unsere Untersuchung, d. h. für die philosophische Fundierung des normenlogischen Folgerns, irrelevant. 3.3.4. Wenn das Normensystem als Lenkungssystem aufgefaßt wird, erscheinen die Sollsätze - sie drücken Gebote oder Verbote aus - und die Darfsätze - sie drücken (ausdrückliche) Erlaubtheit oder (ausdrückliche) Indifferenz aus - als weitgehend verschiedene Normsätze. Primäre Lenlcungsinstrumente sind die Sollsätze. Darfsätze haben andere Funktionen. Für meine Konzeption des normenlogischen Folgerns ist es charakteristisch, daß vorerst das Sollsatzfolgern entwickelt wird, und erst sekundär die Darfsatzfolgerungen begründet werden. travail et pre-publications, Centro Intemazionale di Semiotica e di Linguistica, Universitä di Urbino Nr. 48, Nov. 1975, Serie A, S. 1 - 28.

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Ota Weinberger 3.4. Die Struktur des Normsatzes

Es ist zweckmäßig, die Strukturtheorie des Normsatzes in folgenden Stufen darzulegen: a) die Lehre vom Aufbau des elementaren Normsatzes (3.4; 3.5) b) die Lehre von den zusammengesetzten Normsätzen (3.6) c) die Lehre von der Quantifikation in Normsätzen (3.7) 3.4.1. Der elementare Sollsatz hat zwei Strukturelemente: einen normativen Operator und eine Sachverhaltsbeschreibung (Inhalt). - Wenn ausgedrückt werden soll, daß etwas gesollt (oder erlaubt) ist, muß angegeben werden, was gesollt (erlaubt) ist. Der Inhalt des Normsatzes wird durch eine Sachverhaltsbeschreibung angeführt. Die den Inhalt des Normsatzes bestimmende Sachverhaltsbeschreibung muß den zulässigen Sachverhaltsbeschreibungen der Aussagen des Sprachsystems entsprechen, denn nur so kann sichergestellt werden, daß der Inhalt des Normsatzes verstanden wird und daß immer festgestellt werden kann, ob der gegebene Normsatz erfüllt (ggf. befolgt) oder verletzt wurde. Wenn die Aussagen des Systems in den Formen der klassischen wahrheitsfunktionalen Logik dargestellt sind, dann werden analoge Strukturen für den Inhalt des elementaren Normsatzes eingeführt1!. Es erscheint also die Anwendung extension al er Funktoren für den Afbau zusammengesetzter Normsatzinhalte gerechtfertigt. Für Sollsätze können extensionale Sachverhaltsbeschreibungen als Inhalte mittels des Begriffes der Vollbringungs- (oder Erfüllungs-)funktion eingeführt werden. Dieser Weg ist aber für Darfsätz,e nicht gangbar, denn diese können nicht verletzt werden. Die Definition des extensional zusammengesetzten Darfsatzinhaltes wird indirekt durchgeführt aufgrund des Inhaltes der Sollsätze. Ein Erlaubnissatz mit dem zusammengesetzten Inhalt p ist gerade jener Erlaubnissatz, der den Verbotssatz desselben Inhaltes ,Op' aufhebt. 3.4.2. Wenn wir den Inhalt von Normsätzen durch Koordination zur wahrheitsfunktionalen Aussagenlogik einführen, dann erhebt sich die Frage, wie tautologische und kontradiktorische Inhalte in Sollsätzen aufgefaßt werden sollen. Tautologische Sachverhaltsbeschreibungen bezeichnen Verhaltensweisen, die immer erfüllt sind. Sollsätze solchen Inhalts sind also informationsleere Bestimmungen, sie haben keine regulierende Funktion. Es ist eine rein technische Frage, ob wir solche Normsätze zulassen; wenn wir dies tun, dann können Normsätze tauto12 Wenn die deskriptive Sprache nicht-extensional ist, kann auch der Inhalt der Normsätze nicht-extension ale Struktur haben. - Die Theorie der Struktur der Norminhalte kann durch Einbeziehung verschiedener Strukturtheorien der Handlungen unterschiedlich gestaltet werden.

Grundlegungsversuch der normenlogischen Folgerungstheorie

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logischen Inhalts in jeder Normenordnung beliebig hinzugedacht oder weggelassen werden. Analoge überlegungen gelten von kontraktorisehen Norminhalten: sie stellen logisch unerfüllbare Verhaltensweisen dar und sie sind aus jeder Normenordnung auszuschließen. 3.4.3. Logisch-äquivalente (analytische) Transformationen im Normsatzinhalt sehen wir als zulässig an13• 3.4.4. Der normati1,e Operator wird als normsatzbildender Funktor mit einem Argument, das eine SachverhaItsbeschreibung ausdrückt, angesehen. Nach dieser Auffassung ist eine Iteration des normativen Operators nicht sinnvoll. 3.5. Soll- und Darfsätze. Das System der normativen Operatoren

3.5.1. Träger der normativen Regulierung sind die Sollsätze. Sollsätze drücken Gebote (Gebotssätze) oder Verbote (Verbotssätze) aus. Die Beziehung zwischen Gebots- und Verbotssätzen kann man durch folgende Definition bestimmen: Df 1

Geboten, daß p (Op)

= df

Verboten, daß non-p (F

Df 2

Verboten, daß p (Fp)

= df

Geboten, daß non-p (0 --, p)

~

p)

3.5.2. Darfsätze haben keine direkt regulierende Funktion, sondern andere Aufgaben: a) Sie setzen dem Sollen Grenzen. Wenn p ausdrücklich erlaubt ist, dann wird ausgeschlossen, daß p verboten ist. Das Bedürfnis, Darfsätze anzuwenden, besteht gerade deswegen, weil das Normensystem im Prinzip offen ist, so daß durch Darfsätze über gewisse Sachverhalte entschieden wird, daß sie nicht gesollt sind. In Rechtssystemen wird oft durch qualifizierte Setzung von Darfsätzen ein System der Freiheitsrechte ausgedrückt und geschützt. b) Darfsätze können dazu dienen, was bisher verboten war, zu gestatten (Anwendung von Darfsätzen in dynamischer Perspektive zur Aufhebung von Verboten). c) Sätze, die zum Ausdruck bringen, daß p erlaubt ist, können als Folgerungen aus dem Inhalt von Normensystemen gewonnen werden. Das heißt: Wenn ,p == q' logisch (analytisch) gültig ist, dann gilt, wenn Sind die Inhalte analytisch äquivalent, dann kann dies als Bedeutungsgleichheit angesehen werden; daher scheint uns in diesem Fall die Transformation unter Beibehaltung der Geltung zulässig. Bei bloßer de-facto-Äquivalenz ist das nicht ganz unbedenklich. (Die schwierige philosophische überlegung über dieses subtile Problem möchten wir hier nicht anstellen.) 13

,Ni p' gesetzt ist, dann folgt daraus ,Ni q'. -

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üblicherweise faßt man die Begriffe des Gebotes und der Erlaubnis so auf, daß aus dem Normsatz ,Es ist geboten, daß p, (,p soll sein', ,op') ,p ist erlaubt' (,Pp') folgt1 4 • 3.5.3. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das System der normativen Operatoren zu bestimmen. Die in den Standardsystemen der deontischen Logik verwendeten deontischen Operatoren werden als gegenseitig definierbar betrachtet, wobei zweierlei Negationen - eine Operatorund eine Inhaltsnegation - zur Anwendung kommen. Diese Art der Festsetzung setzt Geschlossenheit des Systems und Widerspruchsfreiheit voraus. Auch unter diesen Voraussetzungen können unterschiedliche Systeme von deontischen Operatoren eingeführt werden15. Für die Zwecke unserer Untersuchung genügt es, folgende normative Operatoren, die dem Sprachgebrauch der praktisch-philosophischen Disziplinen entsprechen, einzuführen:

a) einen Soll-Operator, symbolisch: ,0.' (,1.'), gelesen: ,es soll sein, daß .' b) einen Erlaubnis-Operator, symbolisch: ,P.', gelesen: ,es ist erlaubt, daß.'18. 3.6. Zusammengesetzte Normaitze. Kondltlonalaitze der Normenloglk

3.6.1. Da die Sätze der Normenlogik zwei semantischen Kategorien angehören, gibt es drei Arten zusammengesetzter Sätze in diesem System: a) zusammengesetzte Normsätze, deren Teilsätze ausnahmslos Normsätze sind, b) Normsätze, deren Teilsätze teils Normsätze und teils Aussagesätze sind, c) Aussagesätze, die aus aussagenden Teilsätzen zusammengesetzt sind.

Es besteht zwar noch eine vierte Möglichkeit - gemischt zusammengesetzte Aussagesätze - doch ziehen wir solche Sätze nicht in Betracht. U Ich lasse hier das Problem der schwachen Erlaubtheit, die dann gegeben ist, wenn ein gewisser Inhalt nicht ausdrücklich verboten ist, beiseite. Vergleiche zu diesem Problem O. Weinberger, Der Erlaubnisbegriff und der Aufbau der Normenlogik, Logique analyse, 1973, S. 130 -142; ferner eh. Weinberger/O. Weinberger, Logik, Semantik, Hermeneutik, München 1979, S. 115 ff..

122.

15 Vergleiche hierzu: R. Blanche, Introduction a la logique contemporaine, Paris 1968; ders., Structures intellectuelles. Essai sur l'organisation systematique des concepts, Paris 1969; J.-L. Gardies, Essai sur les fondements a priorl de la rationalite morale et juridique, Paris 1972. 18 Den Terminus ,Darfsätze' (und analog den Terminus .Darf-Operator') verwende ich als gemeinsamen Namen für Erlaubnis- und Indifferenzsätze. .p ist indifferent' bedeutet ,p ist erlaubt und non-p ist erlaubt'.

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3.6.2. Normsätze der Art a): Der Juxtaposition von Normsätzen läßt sich ein normsatzbildender Funktor ,1;.' durch die beiden folgenden Regeln zuordnen: (1)

Aus ,!p', ,!q' folgt ,!p 0 !q'

(2)

Aus ,!p 0 !q' folgt ,!p', ,!q'

,1.\' ist eine Art eines und-Funktors. In analoger Weise könnte man auch einen Funktor des nicht-ausschließenden ,oder' einführen: Der Normsatz ,Ip V !q' gilt genau dann, wenn wenigstens einer der Normsätze ,!p', ,!q' gilt17•

3.6.3. Normsätze der Art b): Ich führe nur einen normsatzbildenden Funktor mit gemischten Argumenten ein, und zwar einen Funktor zur Bildung normativer Konditionalsätze. Jeder Bedingungssatz enthält zwei Teilsätze, einen bedingenden und einen bedingten Satz. Für jeden Bedingungssatz ist charakteristisch, daß für ihn eine Art Abtrennungsregel gilt, die gestattet, bei Erfüllung des bedingenden Teilsatzes den bedingten Teilsatz als Konklusion zu gewinnen. Es ist zweckmäßig, festzusetzen, daß ein Bedingungssatz mit gemischten Argumenten den sesemantischen Charakter des bedingten Teilsatzes annimmt. Prinzipiell kommen zwei bedingte Normsätze in Frage, der aussagend-bedingte Normsatz und der normativ-bedingte Normsatz. Da diese Art von Normsätzen in der Denkpraxis äußerst selten ist, können wir uns auf die aussagend-bedingten Normsätze beschränken. Wenn ich die Termini ,Bedingungsnormsatz', ,hypothetischer Normsatz' oder ,konditionaler Normsatz' verwende, meine ich immer den aussagend-bedingten Bedingungsnormsatz. Symbolisch schreibe ich den hypothetischen Normsatz ,p> !q' (und analog bedingte Erlaubnissätze ,p > Pp'). In Worten ausgedrückt ,Wenn p, soll q sein' (,Wenn p, dann ist q erlaubt'). Das >-Zeichen ist ein zweistelliger normbildender Funktor, dessen erstes Argument ein Aussagesatz, dessen zweites Argument ein Normsatz ist18 • Der Vordersatz in ,p> !q' drückt den bedingten Sachverhalt aus, der Hintersatz das bedingte Sollen (Dürfen). 17 Dem entsprechen folgende Folgerungsregeln: "Aus ,!p' folgt ,!p V !q'"; "Aus ,!p v !q', ,-' Iq' folgt ,Iq'". 18 Den Funktor des Bedingungsnormsatzes kann man in verschiedener Weise definieren, insbesondere: a) als normsatzbildenden Funktor mit einem aussagenden und einem normativen Argument, b) als normsatzbildenden Funktor mit zwei Sachverhaltsargumenten (wobei das erste den bedingenden Sachverhalt, das zweite den bedingten SoUsachverhalt ausdrückt), c) als normsatzbildenden Funktor mit einem bedingenden Aussageargument und zwei Namensargumenten (die im bedingten normativen Teil das Handlungssubjekt und die Handlungsart bestimmen). [Diese Darlegung der verschiede-

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3.6.4. Normsätze der Art c): Die Theorie der rein aussagend zusammengesetzten Aussagesätze wird aus der klassischen wahrheitsfunktionalen Aussagenlogik übernomm~n. 3.7. Quantiflkation In Normslitzen

3.7.1. Analog wie in der Prädikatenlogik können AU- und Existenzquantoren für Normsätze eingeführt werden, die in analoger Beziehung zu und- bzw. oder-Verbindungen stehen, wie es in der deskriptiven Sprache der Fall ist. Da Normsätze in zweierlei Weise komplex sein können - es kann sich um eine Verbindung von Normsätzen oder Komplexität des Normsatzinhaltes handeln -, kommen zwei Arten von Quantoren in Frage: äußere und innere Quantoren. - Die Quantoren können sich auf zwei Personen oder/und Verhaltensweisen beziehen. Man kann voraussetzen, daß die Gegenstandsklassen der Quantifikation (Xl, X2, xs, ... x,,) zwar beliebig groß, aber endlich sindl '.

3.7.2. Äußerer All-Quantor: Dem äußeren All-Quantor entspricht eine Juxtaposition von Normsätzen:

Df3

A x!Fx == Df !Fxl t;. !Fx2 t;. 1Fxs 1: . .. t;. !Fxn

Der äußere All-Quantor läßt Subsumtionsschlüsse zu. Die All-Sätze, mit denen wir in den normativen Bereichen (z. B. im Recht, in der Ethik) konfrontiert sind - insbesondere die normativen Regeln -, sind als Sätze mit äußeren All-Quantoren zu verstehen.

3.7.3. Äußerer Existenz-Quantor: Der äußere Existenz-Quantor kann durch folgende Definition eingeführt werden:

Df4

V x!Fx

= D/1Fxl V IF~ V !Fxs V... V !FXn

20

3.7.4. Innerer AU-Quantor: Die Normsätze mit inneren Quantoren können folgendermaßen definiert werden:

Df5

!;\ xFx

= DI

! (Fxl ;\ FX2 ;\ FXa;\ ... ;\ FXI/)

Gelesen: ,Es soll sein, daß alle x Fx erfüllen', mit anderen Worten: ,Der aus FXl A FX2 A ... A FXn bestehende Sachverhalt soll sein.' Da sich der Quantor auf den ganzen Inhalt des Normsatzes bezieht, darf nen Möglichkeiten, den normativen Bedingungsfunktor zu definieren, ist eine Antwort auf eine Anregung von Herrn G. Kalinowski.] 18 Die Einführung eines unendlichen Quantifikationsuniversums würde keine wesentlichen Schwierigkeiten mit sich bringen. 20 ,V x!Fx' ist nicht immer erfüllt, wenn Fx, der Fall ist, denn, V x!Fx' besagt nichts anderes, als daß wenigstens einer der Normsätze ,!Fxlo ,!Fnl, ... ,!Fxn' gilt. Ist aber ,!Fxj' einer der Normsätze, die nicht gelten, obwohl •V x!Fx' gilt, dann ist, V x!Fx' nicht erfüllt, obwohl Fx, Tatsache ist.

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aus ,1/\ xFx' nicht geschlossen werden, daß IFxi' gilt, denn nur der Gesamtsachverhalt ist gesollt; dabei ist es durchaus möglich, daß ein Teilsachverhalt allein nicht-gesollt, ggf. sogar verboten ist (vgl. die Ungültigkeit des Schlusses von ,I (p /\ q)' auf ,Ip').

3.7.5 Innerer Existenz-Quantor: Df6

!V xFx = Df ! (Fxl V Fx..J V Fx!\ V ... V Fx,,)

Gelesen: Es soll sein, daß wenigstens ein x Fx erfülle, mit anderen Worten: ,Der aus FXl V F:J:o.2 V ... V FXn bestehende Sachverhalt soll sein.' ,IV xFx' ist genau dann erfüllt, wenn wenigstens ein FXj (i = 1, 2, ... n) Tatsache ist. 4. Metapostulate der normenlogischen Folgerungstheorie 4.1. Die Unableitbarkeitspostulate

Hand in Hand mit der Festsetzung der gnoseologisch differenzierten Semantik sind folgende Unabhängigkeitspostulate festzusetzen, durch die die kategoriale Zäsur zwischen deskriptiven und präskriptiven Sätzen sichergestellt wird21 • (i) Aus einer Klasse von Prämissen, die keine praktischen Sätze ent-

hält, ist kein informativer Normsatz ableitbar.

(ii) Aus einer Klasse von Prämissen, die keine theoretischen Sätze ent-

hält, ist kein informativer Aussagesatz ableitbar. Die hier gewählte - vielleicht etwas ungewohnte Formulierung dieser Postulate, die in der Jurisprudenz meist in schlagwortartiger Kurzfassung "Aus Sein folgt nicht Sollen" und "Aus Sollen folgt nicht Sein" auftreten - erfordert einen kurzen Kommentar.

a) Ich spreche im Vordersatz von (i) von ,praktischen Sätzen', nicht von Normsätzen', da Schlüsse vom Typus der sog. ,praktischen Inferenz' oder besser: teleologische Begründungsschlüsse22 , nicht ausgeschlossen werden sollen. 21 Wenn ein Normsatz aus deskriptiven Prämissen allein ableitbar wäre (oder umgekehrt: ein Aussagesatz aus präskriptiven Prämissen allein folgen würde), wäre dies nicht nur im Konflikt mit dem Non-Kognitivismus, sondern es würde dies eine logische Brücke zwischen den Satzkategorien darstellen. Gegenseitige Ableitbarkeit, die dann auch nicllt auszuschließen wäre, könnte als eine Art logischer Bedeutungsgleichwertigkeit gedeutet werden. 22 Vgl. o. Weinberge,.. Handeln und Schließen. Überlegungen zum Begriff der praktischen Inferenz, in: The Law Between Morality and Politics (ed. F. van Dun), Philosophica 1979 (1), Vol. 23, S. 5 - 36.

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b) Bekanntlich folgen logisch-gültige Sätze aus der leeren Prämissenklasse, also überhaupt aus jeder Klasse von Prämissen. Daher mußte (ii) auf informative Aussagesätze eingeschränkt werden. Eine analoge Einschränkung erscheint auch in (i) bezüglich der ableitbaren Normsätze erforderlich!3. 4.2. Das Konsistenzpostulat

4.2.1. Unmittelbare Folge der Systemrelativität der Normsätze ist es, daß das normenlogische Konsistenzpostulat immer relativ zu einem bestimmten Normensystem gilt. Es können dagegen sehr wohl Normen verschiedener Systeme nebeneinander bestehen (gelten), die untereinander in logischem Konflikt stehen würden, wenn sie zu ein und demselben Normensystem gehörten". 4.2.2. Die Definition des logischen Widerspruches und die Formulierung des Konsistenzpostulates können nicht unmittelbar aus der Logik der deskriptiven Sprache übernommen werden, denn in dieser Logik werden die Begriffe des Widerspruches und der Konsistenz durch Wahrheitsbeziehungen definiert25 • 4.2.3. Infolge der semantischen Zäsur kann zwischen Normsätzen und Sollsätzen kein logischer Widerspruch bestehen. Es sind nun folgende Fragen zu untersuchen: a) Wann besteht ein logischer Widerspruch zwischen Sollsätzen? (4.2.4.) b) Gibt es logische Widersprüche zwischen Erlaubnissätzen? (4.2.5.) c) Wann besteht ein logischer Widerspruch zwischen Solls ätzen und Erlaubnissätzen? (4.2.6.) 4.2.4. Zwischen Solls ätzen besteht ein logischer Widerspruch genau dann, wenn ein Sollsatz gebietet, was der andere verbietet: ,!p' - ,!-' p' (,Op' - ,Fp'; ,0 -. p' _. ,F -. pe). Allgemeiner kann man die Inkonsistenz !3 Ein hypothetischer Sollsatz mit unerfüllbarem Vordersatz kann z. B. einem Normensystem hinzugefügt (oder aus dem System weggelassen) werden, ohne daß das System des informativen Sollens irgendwie verändert würde. Solche uninformativen Sollsätze können - wenn es die logische Technik eines Normenlogiksystems erfordert - als ableitbar aus jeder beliebigen Klasse von Prämissen gelten. Über das Problem der Pluralität von Normensystemen und über die Möglichkeit, trotz der Ausschließlichkeit des Normensystems für normenlogische Betrachtungen, unter gewissen Umständen gleichzeitig mehrere Normensysteme ins Auge zu fassen, siehe O. Weinberger, Die Pluralität der Normensysteme, ARSP, Vol. LVII/3, 1971, S. 399 - 427. 2. Wie Konsistenz verschieden definiert werden kann, zeigt Church in: A. Church, Introduction to Mathematical Logic, Vol. I, Princeton, New Jersey 1956, Seite 108 f.

2'

Grundlegungsversuch der normenlogischen Folgerungstheorie

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von Sollsätzen in folgender Weise definieren: ,!p' und ,!q' sind genau dann unverträglich, wenn ,p A q' unerfüllbar (analytisch falsch) ist 2'. Man kann die Frage stellen, wie dieser Begriff und das mit ihm verbundene normenlogische Postulat der Widerspruchsfreiheit theoretisch begründet werden kann. Es ist offensichtlich, daß Solls ätze die miteinander unverträglich sind, nicht gleichzeitig erfüllt werden können, und zwar aus rein logischen Gründen. Außerdem erscheint eine Verständigung darüber, was gesollt ist, nicht möglich, wenn uno actu ,!E' und ,!.9' gesetzt werden, trotzdem ,p A q' analytisch falsch ist. 4.2.5. Zwischen Erlaubnissätzen gibt es keine logischen Widersprüche. Wenn p erlaubt ist, kann auch non-p erlaubt sein (man sagt dann, daß p indifferent ist}27. 4.2.6. Wenn ein Normensystem - sei es ein offenes oder ein geschlossenes System - gleichzeitig ,Op' und ,P -, p' (bzw. ,Fp' und ,Pp') enthält, dann kann dies als Widerspruch angesehen werden, denn ein und dasselbe zu erlauben und zu verbieten wäre widersinnig. Diese Art der logischen Inkonsistenz kann aber durch eine der folgenden Festsetzungen ausgeschlossen werden:

a) Man kann festsetzen, daß im Fall von Konflikten zwischen Sollen und Erlaubnis das Sollen Vorrang hat, oder aber b) daß unter diesen Bedingungen die Erlaubnis Vorrang hat.

Man kann also - als Entscheidung des Normensystems - verschiedene Beziehungen zwischen Sol1- und Darfsätzen festsetzen. Besteht keine solche Festsetzung, dann bedeutet das Zusammenbestehen von ,Fp' und ,Pq' eine logische Inkonsistenz gen au dann, wenn ,p A q' unerfüllbar (analytisch falsch) ist. Gegenüber jeder Normenordnung gilt das logische Postulat der Widerspruchsfreiheit. Das Normensystem ist nur dann logisch einwandfrei, wenn es keine logischen Widersprüche enthält. (Es wird hierdurch aber in keiner Weise die Möglichkeit ausgeschlossen, daß in empirisch vorliegenden Normenordnungen de facto normenlogische Widersprüche enthalten sind.)

26 Die Frage der Konsistenz von Bedingungsnormsätzen untereinander bzw. von Bedingungsnormsätzen mit anderen Normsätzen lasse ich hier beiseite. Zu diesem Problem siehe: eh. WeinbergeriO. Weinberger, a.a.O., 7.11 B und C. 27 Dies gilt auch für die sog. schwache Erlaubtheit (p. p), die schon dann besteht, wenn p nicht verboten ist; vgl. eh. Weinberger/O. Weinberger, a.a.O.,

S. 115 ff.

318

Ota Weinberger 4.3. Allgemeine Anmerkungen zu den Metapostulaten des normenloglsdten Deduzierens

4.3.1. Ich gehe davon aus, daß Normensysteme primär Regulierungsfunktion haben. Die normenZogische FoZgerungstheorie muß so gestaltet werden, daß die Regulierungsfunktion - d. h. im wesentlichen das Gesolltsein - von den Prämissen auf die Folgerungen übertragen wird; sie darf jedoch durch die Folgerungen nicht verstärkt werden. Da in bezug auf die Regulierungsfunktion den Solls ätzen (Gebots- und Verbotssätzen) eine andere Rolle zukommt als den Erlaubnissätzen, müssen die semantischen überlegungen zur Grundlegung der normenlogischen FQIgerungstheorie das Folgern aus Sollsätzen und jenes aus Darfsätzen gesondert untersuchen. Die primäre Grundlage des normenlogischen Folgerns bildet das SoZlsatzfolgern; die Prinzipien des FoZgerns aus Darfsötzen werden vom SoUsatzfolgern aus hergeleitet.

4.3.2. Zur Folgerungstheorie aus Erlaubnissätzen gelangt man dadurch, daß man die Funktion dieser Sätze, Sollsätze aufzuheben bzw. die Setzung gewisser SoUsätze auszuschließen, in Betracht zieht. 4.3.3. Für die normenlogische Folgerungstheorie können gewisse Opemtionen mit dem Normsatzinhalt relevant sein. 4.3.4. Für das normenlogische Folgern werden ferner Beziehungen zwischen normativen Operatoren als semantische Basis herangezogen. Da es möglich ist, verschiedene Konventionen über das System der normativen Operatoren einzuführen, wird die normenlogische Folgerungstheorie in dieser Richtung von Festsetzungen des normenlogischell Sprachsystems abhängig sein. 4.3.5. Für Bedingungssätze der Normenlogik gilt definitione die .Modus-ponens-Regel.

sozusagen

~

ex

4.3.6. Es müssen Schlußfolgerungen aufgrund der Quantifikation von Normsätzen - insbesondere Subsumtionsschlüsse - in Betracht gezogen werden. 4.4. Folgerungen aus Sollsätzen

4.4.1. Einem Sollsatz entspricht eine Menge von Pflichten. Aus den als Prämissen gesetzten Sollsätzen können genau jene Sollsätze als Folgerungen abgeleitet werden, die (echte oder unechte) Untermengen der durch Prämissen statuierten Pflichtenmenge ausdrücken.

Grundlegungsversuch der normenlogischen Folgerungstheorie

319

Beispiele: ! (p V q), ! (-, q) !(pl\-,q)

,! (p V q)' kann äquivalent umgestaltet werden in: ,! «p 1\ q) V (-, p 1\ q) V (p 1\ -, q»'

Beide Prämissen können also nur dann erfüllt werden, wenn ,! (p 1\ -, q)' erfüllt wird. - Auch die unten angeführten Schlußformen der normenlogischen Abtrennungsregel (4.9.) und des normenlogischen Subsumtionsschlusses (4.10.) sind Beispiele der Anwendung dieses Metapostulates 2s• - Gleichwertigkeit der Bedeutung der Sollsätze ,!Pl' und ,!1>-;!' - und daher die Beziehung der gegenseitigen Konsequenz besteht genau dann, wenn ,!Pl' ein und dieselbe Pflichtenmenge statuiert wie ,!P2'. 4.4.2. Wenn ich im obenerwähnten Metapostulat des Sollfolgerns die semantische Bedingung, wann ein Sollsatz Konsequenz gegebener Sol1satzprämissen ist, den Begriff ,Pflicht' als Mittel der Erklärung herangezogen und sehr unpräzis davon gesprochen habe, daß Sollsätzen Pflichtmengen entsprechen, so möchte ich jetzt versuchen, den Pfiichtbegriff und die ,Entsprechung zwischen Sollsatz und Pflkhtenmenge' zu erörtern. Zwischen den Begriffen des Sollens und der Pflicht besteht offenbar eine ganz enge Beziehung. Beide gehören ein und demselben Bereich an, nämlich dem Bereich, den ich als ,Sollensbereich' bezeichne. Die Verwandtschaft zwischen Pflicht und Sollen ist so innig, daß man sogar die Frage stellen kann, ob es zweckmäßig ist, ,Sollen' oder ,Pflicht' als Grundterminus dieses Gebietes zu wählen. Es scheint mir zweckmäßig - und ich folge darin F. Weyr - , vom Begriff des Sollens auszugehen und den Begriff der Pflicht als einen durch den Sollensbegriff definierten Begriff einzuführen. Das Sollen wird als undefinierter - aber wohl verstandener - Begrüf eingeführt, der sich auf einen gewissen Sachverhalt bezieht, welcher durch den Sollsatz als gesollt bestimmt wird. Der Sollsatz bringt zum Ausdruck, was gesollt ist. Die Sachverhaltsbeschreibung, die den gesollten Inhalt angibt, wird durch die Sprache, die der beschreibenden Rede entspricht, dargestellt. Wenn wir diese Sachverhaltsbeschreibung (den Inhalt des Sollsatzes) so strukturieren, oder als strukturiert ansehen, daß der 28 Es gilt aber nicht die "Aufspaltung" einer Konjunktion im Inhalt des Sollsatzes, d. h. aus ,! (p 1\ q)' folgt nicht ,!p'. Laut Prämisse besteht die Pflicht, ,(p 1\ q)' zu tun, was nur dann geschehen kann, wenn ,p' realisiert wird. Da jedoch nicht sichergestellt ist, daß ,q' verwirklicht wird, ist ,p' allein keine Untermenge eines Pflichtsachverhaltens der Pflichtenmenge, die durch ,! (p 1\ q)' ausgedrückt wird.

320

Ota Weinberger

Sollsatzinhalt ein Pflichtsubjekt S anführt, welches etwas soll, dann kann das, was laut Sollsatz gesollt ist, als Pflicht des Pflichtsubjekts S bezeichnet werden. Man kann die begriffliche Beziehung zwischen Sollsatz und Pflicht auch in folgender Weise ausdrücken: Der Inhalt eines Sollsatzes kann in der Regel - mit Ausnahme solcher Solls ätze, die ein Sollen ohne Bestimmung eines Pflichtsubjektes setzen, wie z. B. der Satz "Es werde Licht"ZU - als Sachverhaltsbeschreibung angesehen werden, die Pflichtsubjekte und deren Pflichten bestimmen. In der Formulierung des Metapostulates des Sollfolgerns ist der Begriff der Pflicht so zu verstehen, daß es nicht um Arten von Pflichten geht, sondern um individualisierte Pflichten. So eine Pflicht wäre z. B. nicht die Pflicht ,zu beten', sondern die Pflicht ,des Subjektes S zur Zeit t zu beten'. Die Bestimmung des Pflichtsubjektes ist hier also als individualisierendes Moment der Pflicht anzusehen. Nicht nur, was gemacht wird, sondern auch, wer es macht, individualisiert den Sol1sachverhalt. Es wäre unschwer durchführbar - aber weniger anschaulich - das diskutierte Metapostulat ohne den Begriff der Pflicht auszudrücken. Man kann nämlich davon ausgehen, daß der Normsatz eine Klasse von möglichen Sachverhalten als gesollt setzt oder hinstellt. Gerade jene Sollsätze, die echte oder unechte Unterklassen der durch die Prämissen als gesollt bestimmten Sachverhalte als gesollt hinstellt, sind Konsequenzen der gegebenen Prämissenmenge. Durch diese Erklärung der begrifflichen Beziehungen zwischen Sollen (bzw. Solls atz) und Pflicht wird auch klar, was die Behauptung, dem Sollsatz entspreche eine Menge von Pflichten, bedeutet: durch den Inhalt des Sollsatzes wird eine Menge von Pflichten gewisser Pflichtsubjekte bestimmt. Man kann nun die Frage stellen, ob wegen der engen begrifflichen Beziehung zwischen Sollsatz und Pflicht durch Beziehungen zwischen Pflichtenmengen der Begriff der Sollsatzfolgerung adäquat dargestellt werden kann. Ist nicht die ganze Überlegung zirkulär? Ich glaube, daß dies nicht der Fall ist. Es liegt eine praktikable Anweisung vor, durch die die Bedingungen des ,Konsequenz-Sein' auf Beziehungen zwischen Klassen von Pflichten (bzw. Sachverhalten) zurückgeführt werden30•

11 VgI. F. Weyr, in: Die Brünner Schule der Reinen Rechtslehre, hrsg. von VI. Kube§ u. O. Weinberger (in Vorbereitung). 30 Die Überlegungen des Abschnitts 4.4.2. wurden durch Anmerkungen von Herrn R. Alexy inspiriert, dem ich für diese Anregungen sehr dankbar bin.

Grundlegungsversuch der normenlogischen Folgerungstheorie

321

4.5. Folgerungen aus Erlauhnlssätzen 4.5.1. Wenn ,Pp' als Satz eines Normensystems gesetzt wird, dann wird eine Klasse von Sachverhalten, nämlich alle jene Sachverhalte, die der Gesamtheit der Konsequenzen von , -. p' entsprechen, als Sollinhalte ausgeschlossen. Durch die Setzung von ,Pp' werden alle Solls ätze, deren Inhalt mit p in Konflikt steht, aufgehoben, oder aber - wenn Erlaubnissätzen derogatorische Kraft abgesprochen wird (entweder weil der Erlaubnissatz und der mit ihm in Konflikt stehende Satz uno actu gesetzt werden oder weil für das betreffende Normensystem der Grundsatz festgesetzt ist, daß Sollen stärker ist als Dürfen) - es entsteht ein logischer Widerspruch im System. 4.5.2. Aus ,Pp' können genau jene Erlaubnissätze abgeleitet werden, die dieselbe Klasse oder eine Unterklasse der Sollinhalte ausschließen, die durch ,Pp' ausgeschlossen werden. Wenn wir mit ,e (p)' die Klasse der Konsequenzen von ,p' bezeichnen, dann wird durch den Erlaubnissatz ,Pp' das Verbot jedes Elementes von e (p) ausgeschlossen. Aus dem Erlaubnissatz ,Pp' kann daher jeder Erlaubnissatz ,Pp!, abgeleitet werden, wenn ,Pi' Element von e (p) ist. 4.5.3. Semantisch gleichwertig - und daher gegenseitige Konsequenz - sind Erlaubnissätze logisch äquivalenten Inhaltes31 •

4.6. Folgerungen aus Soll- und Darfsätzen 4.6.1. Es ist nun die Frage zu erörtern, ob Probleme auftreten, wenn Soll- und Darfsätze nebeneinander als Prämissen gesetzt werden. Hier sind gerade jene Fälle interessant, in denen Soll- und Darfsätze gleichen oder komplementären Inhaltes auftreten. 4.6.2. Wenn ,!p' und ,Pp' als Prämissen gesetzt werden, erhalten wir ein und dieselbe Folgerungsklasse wie aus ,!p' allein, denn ,Pp' ist aus ,!p' ableitbar. Wenn aber ,!p' und ,P -. p' als Prämissen gesetzt werden, dann ist die Klasse der Prämissen inkonsistent. Dies ist offenbar eine Situation, die keine gültigen normenlogischen Beweise liefern kann32 •

4.7. Zusammengesetzte Normsatzinhalte und normenlogische Folgerungen 4.7.1. Gelten Folgerungen, durch die der Inhalt von Normsätzen aufgespalten wird? Können aus elementaren Sollsatzinhalten Normsätze 81 Schwache Erlaubtheit ausdrückende Sätze (,p* p') sind keine Ausdrücke der Regulierung, also keine Sätze des Normensystems. Ich ziehe sie hier als Prämissen nicht in Betracht. 3! Zum Problem von Schlüssen mit inkonsistenten Prämissen siehe O. Weinberger., Ex falso quodlibet in der deskriptiven und der präskriptiven Sprache, Rechtstheorie, Bd. 6, 1975, S. 117 -132; eh. Weinberger/O. Weinberger, a.a.O., Kap. 7, FN 59. ~1

Rechtstheorie, Beiheft 1

322

Ota Weinberger

mit zusammengesetztem Inhalt gewonnen werden? Diese Fragen sind für Soll- und Erlaubnissätze gesondert zu untersuchen. 4.7.2. Aus ,! (p 1\ q)' kann nicht auf ,!p' bzw. ,!q' geschlossen werden. Die Prämisse ist sicherlich nur dann erfüllt, wenn sowohl der Sachverhalt p als auch der Sachverhalt q realisiert sind. Es ist aber möglich, daß q nicht befolgt wird, und für diesen Fall muß p nicht gesollt sein. Würde man von ,! (p 1\ q)' auf ,!p' schließen, dann könnte die Konklusion ggf. Pflichten statuieren, die durch die Prämissen nicht gesetzt sind33 • 4.7.3. ,! (p V q)' läßt offenbar keine inhaltliche Spaltung zu. 4.7.4. Bei Erlaubnissätzen ist zu prüfen, ob aus .p (p 1\ q)' ,Pp' und aus .p (p V q)' ,Pp' folgt. Durch .p (p 1\ p)' wird ein Sollsatz vom Inhalt .'" (p 1\ q)' [=.( -, p V -, q)'] ausgeschlossen. Durch ,Pp' wird jedoch ,'" p' als Sollinhalt ausgeschlossen; ,'" p' ist aber keine Konsequenz von ,'" p V .., q'. - Durch .p (p V q)' wird der Sollsatz ,1 .., (p V q)' [,! (...., p 1\ 1\ -, q)'] ausgeschlossen. Durch ,Pp' wird ,! .., p' ausgeschlossen. ,"'" p' ist ein Element der Klasse der Konsequenzen von ,'" p 1\ ...., q'. Also ist ,Pp' Konsequenz. von ,P (p V q)'u. 4.7.5. Aus zwei Sollsätzen .!p' und .!q' kann ,! (p 1\ q)' gewonnen werden. denn die Klasse der durch die Folgerung gesetzten Pflichten ist offenbar eine Unterklasse der Pflichten aus den Prämissen. Aus denselben Prämissen kann wohl auch ,1 (p V q)' gewonnen werden, denn der Inhalt .p V q' ist eine Abschwächung von ,p 1\ q'. 4.7.6. Kann aus ,Pp' und ,Pq' die Folgerung .p (p 1\ q)' bzw. ,P (p V q)' gewonnen werden? Durch die Prämissen werden •...., p' und ,"'" q' als Sollinhalte ausgeschlossen. durch .p (p 1\ q)' •-, (p 1\ q)' [= •-, p V ....., q'] und durch .p (p V q)' ,-' (p V q)' [=.'" p 1\ .., q']. Sowohl,-, p V -, q' als auch. -, p 1\ ....., q' sind aus " p', •-, q' ableitbar. Die untersuchten Konsequenzen schließen also nur solche Sollinhalte aus. die durch die Prämissen ausgeschlossen werden. d. h. diese Folgerungen sind gültig 35 • 33 Z. B.: Aus ,Laß das Fenster geschlossen und spiele Klavier' darf nicht geschlossen werden ,Spiele Klavier'. Das Gebot ,Spiele Klavier' kann aus der Konjunktion im Norminhalt nicht herausgelöst werden. Wird nämlich der andere Teil der Konjunktion nicht befolgt, kann Klavier spielen sogar verboten sein. 34 Unser Ergebnis entspricht im wesentlichen der neueren von-Wright'schen Auffassung, daß aus ,P (p V p)' ,Pp V Pp' (in meiner Schreibweise: ,Pp t: Pq') - "free choice permission" - folgt mit dem Unterschied, daß ich eine theoretische Begründung anbiete. 35 Es hat den Anschein, daß sich Beispiele anführen lassen, die diese Art der Folgerung als kontraintuitiv nachweisen. Z. B.: "Es ist erlaubt, Alkohol zu trinken" (,Pp'), "Es ist erlaubt, Auto zu fahren" (,Pp'), doch es ist nicht erlaubt, Alkohol zu trinken und Auto zu fahren (,P (p 1\ q)'). Die Folgerungen

Grundlegungsversuch der normenlogischen Folgerungstheorie

323

4.8. Folgerungen aurgrund der Beziehungen zwischen normativen Operatoren

4.8.1. Diese Folgerungsregeln hängen von den normativen Operatoren des Sprachsystems und den zwischen ihnen festgelegten Beziehungen ab. Wenn man Gebots-, Verbots-, Erlaubnis-, Indifferenzoperatoren84 im Sprachsystem voraussetzt, dann gelten die Folgerungsregeln: Aus ,!p' folgt ,Pp' . Aus ,Fp' folgt ,P -, p' . Aus ,Ip' folgt ,Pp', ,P ..., p' . 4.8.2. Aus der ausdrücklichen Erlaubnis ,Pp' ergibt sich, daß ,Fp' nicht bestehen darf; aus der ausdrücklichen Indifferenz ,Ip' folgt, daß p weder geboten noch verboten sein darf, sonst würde das System Widersprüche enthalten. 4.9. Folgerungen aus Bedingungsnormsätzen

4.9.1. Dem Wesen der Bedingungssätze entsprechend gilt folgende Abtrennungsregel: Wenn p, dann soll q sein p

q soll sein

(p> !q p !q)

Folgerungsregeln der gleichen Form gelten auch dann, wenn der SollOperator durch einen Darf-Operator ersetzt wird. 4.10. Die normenlogisdle Individualisierungsregel

4.10.1. Aus dem äußeren All-Normsatz folgt der entsprechende individuelle Normsatz: I\! xFx !Fxj (für jedes XI des Quantifikationsuniversums)

sind als Beziehungen zwischen individuellen Sachverhalten ,p', ,q' zu verstehen, und nur dann gilt die Konsequenz: Wenn für ein Subjekt S zu einem gewissen Zeitpunkt t erlaubt ist, Auto zu fahren (ohne einschränkende Bedingung), und zur Zeit t für S auch erlaubt ist (wieder ohne einschränkende Bedingung), Alkohol zu trinken, dann ist für S zur Zeit tauch beides zugleich erlaubt. (Sonst müßte wenigstens eine Erlaubnis in der Prämisse eingeschränkt sein, z. B.: S darf Auto fahren, wenn er keinen Alkohol trinkt.) 38 Unter ,Erlaubnis' verstehe ich hier ,ausdrückliche Erlaubnis' einschließlich der aus dem Gesolltsein folgenden Erlaubtheit, nicht jedoch die sog. "schwache Erlaubtheit", die immer dann besteht, wenn der entsprechende Inhalt nicht verboten ist.

324

ota Weinberger

4.10.2. Die normative Regel kann in der Form ,A x [Fx > !Gx)' dargestellt werden. Durch Verbindung der Abtrennungsregel und der Individualisierungsregel erhalten wir das Schema des Subsumtionsschlusses: A x [Fx

> IGx]

FXj

!Gx;

5. Scl11ußbemerkung Ich muß es mir versagen, alle Ergebnisse meiner Untersuchung zusammenzufassen, und begnüge mich damit, die Grundideen meines Zutrittes zur Normenfolgerungstheorie zu resümieren: a) Der Weg zu einer brauchbaren Normenlogik führt über eine Problemsituationsanalyse, durch die die grundlegenden Metapostulate für diese Lehre erstellt werden. b) Das Normensystem ist als Regulierungssystem anzusehen. c) Nur Sollsätze haben diese Rolle, nicht aber Darfsätze, da diese keinen Sachverhalt als unzulässig ausschließen. d) Primär muß eine Folgerungstheorie aus Sollsätzen entwickelt werden; diese Theorie stützt sich auf den Gedanken, daß die Klasse der durch die gefolgerten Normsätze ausgedrückten Pflichten eine Unterklasse jener Pflichten ist, die durch die Prämissen dargestellt werden. e) Die Metapostulate der Darffolgerungen können aufgrund der Löschungsfunktion dieser Sätze gegenüber den Sollsätzen gewonnen werden. f) Wegen der Möglichkeit der Nicht-Erfüllung von Sollsätzen ist die Idee der deontisch perfekten Welten keine adäquate Basis der normenlogischen Folgerungstheorie. g) Festsetzungen über die Beziehungen zwischen den normativen Operatoren des Sprachsystems oder (und) über logisch relevante Eigenschaften der betrachteten Normenordnung (insbes. die Voraussetzung der Geschlossenheit bzw. Widerspruchsfreiheit) modifizieren die gültigen normenlogischen Folgerungsregeln. h) In dem durch die Metapostulate abgesteckten Rahmen können verschiedene Normenlogiksysteme eingebettet werden.

111. Rechtsinformatik

JURISTISCHE INFORMATIONSWISSENSCHAFT Von Wilhelm Steinmüller, Regensburg 1. Information und Recht als Gegenstand der Rechtstheorie Die nachfolgende Forschungsskizze über das Verhältnis von Information und Recht berichtet eher von einem intellektuellen Abenteuer denn von allseits abgesicherten Resultaten; nämlich von der Beschäftigung mit Fragen der Automation in Recht und Verwaltung in Staat und Wirtschaft. Sie führte zur Konzeption einer Juristischen Informationswissenschaft als notwendigem Brückenglied zwischen Recht und Information. Da einige der Ergebnishypothesen eine gewisse Relevanz für die Rechtstheorie zu haben scheinen, sei dieses Konzept hier zur Diskussion vorgelegt. In ihrer Lückenhaftigkeit und Vorläufigkeit verlangen sie nach Kritik und Vertiefung. Einer Anregung Wittgensteins folgend, werde ich mich allerdings nur desjenigen Grades an Exaktheit befleißigen, der dem Zweck der Untersuchung angemessen ist. Zunächst ist es notwendig eine gewisse intellektuelle Anschauung über die zugrundeliegenden sozialen Realitäten der Information zu vermitteln. Dies geschehe anhand einiger Informationssysteme und -prozesse, aus deren juristischer Analyse und Bewertung die zu schildernden Theoriestücke entstanden sind. Dahinter steht die Annahme eines in entwickelten Gesellschaften quantitativ und qualitativ rasch expandierenden Informationswesens, das auf den immens gestiegenen Informationsbedarf mit durch bisheri"; ge Mittel nicht mehr beherrschbaren Informationsmengen reagiert, die mittels Erfindung und Einsatz zahlreicher neuartiger Apparate ("Informationstechnologien", von der "Datenverarbeitungsanlage" bis zur Breitbandkommunikation und Videotext) abgearbeitet werden sollen. Es verwundert nicht, wenn unter dem Einfluß derart globaler, die ganze Gesellschaft durchziehender Veränderungen zahlreiche Probleme entstehen, von denen eine Teilmenge so gravierend ist, daß sie rechtlicher Regelung bedarf. Das wissenschaftliche Instrumentarium ist jedoch ungeachtet der Dringlichkeit einiger Fragen - noch nicht verfügbar. Diese für die theoretische Reflexion dieses Objektbereichs (Information - Technologie - Auswirkungen - Normierungen) zu schaffende

328

Wilhelm Steinmüller

sprachliche Metastruktur sei hier "Juristische Informationswissenschaft" genannt. Sie soll die Zusammenhänge von Information und Recht thematisieren und wissenschaftlich wie praktisch zu bewältigen helfen. 2. Der Informationssektor und seine rechtliche Bewertung 2.1 Ausgewählte Beispiele

Die Ausdehnung und Technisierung des Informationssektors ist weit fortgeschritten: - weite Bereiche der Produktion sind automatisiert - das Transport-, Finanz- und Kommunikationswesen bedient sich zahlreicher informations technischer Medien - das Sozial-, Steuer- und Sicherheitswesen, um nur einige wichtige öffentliche Sektoren herauszugreifen, funktioniert auf der Basis computergestützter Informationssysteme; usf. So beruht etwa die Regelung der dynamischen Rente auf der Einsicht, daß eine rechtzeitige Umschulung der Sachbearbeiter zur jährlichen Neuberechnung der Renten unvergleichlich viel teurer wäre, als ein Umprogrammierung - wenn sie überhaupt zeitlich zu schaffen wäre (was nicht der Fall ist). Die folgenden Beispiele stammen aus dem öffentlichen Bereich der Bundesrepublik Deutschland; ähnliches gilt aber für andere hochindustrialisierte Länder, bemerkenswerterweise anscheinend ohne wesentliche Systemunterschiede zwischen kapitalistischen und sozialistischen Ländern. (1) Eine charakteristische Entwicklung ist die Umgestaltung des "Meldewesens" (Einwohnerevidenz) zu einem länderübergreifenden und nach einheitlichen technischen und organisatorischen Gesichtspunkten rechtlich normierten automatisierten "Einwohnerwesen" : mit der neuübernommenen Aufgabe, einen - relativ umfangreichen Grundbestand an Daten über jeden Einwohner und Gast des Landes zu sammeln und für die Verwaltungszwecke aller anderen Behörden (und einiger Wirtschaftsbranchen) weiterzugeben. (2) Weniger bekannt ist die Verbindung zahlreicher persönlicher, ökonomischer und medizinischer Datenbestände im Bereich der sozialen Sicherung und des öffentlichen Gesundheitswesens zu einem vielfach gestuften und durch zahlreiche und komplexe Verbindungen gekoppelten "Sozialdatenbanksystem", das 90 % der Gesamtbevölkerung (und 100 % aller abhängig Beschäftigten) mit hochaktuellen und brisanten Dateien umfaßt. (3) Illustrativ ist auch die rapide Ausdehnung von Datensammlungen und Systemverbindungen im militärischen, polizeilichen und nach-

Juristische Informationswissenschaft

329

richtendienstlichen Bereich, sowie ihre Ausstattung mit einer "weltweit" unerreichten Computer- und Kommunikationskapazität, einschließlich ihrer rechtlichen Absicherung durch Kontrollprivilegien und Auskunftssperren im "Bundesdatenschutzgesetz" . (4) Als Beispiel für ein Sachinformationssystem diene die "Grundstücksdatenbank", seit zehn Jahren im Aufbau, die die deskriptiven und normativen Daten der Kataster- und Grundbücher in sich vereinigen und mit einer interessanten technischen Substruktur für zahlreiche Benützer vorrätig halten soll; bemerkenswert hier, mit welcher Mühelosigkeit dieses Informationssystem von mehreren Ministerien benützt und so das alte Staatsfundamentalprinzip der horizontalen Gewaltenteilung in Ressorts informationeIl wenigstens teilweise unterlaufen wird. (5) Ein fast klassisch zu bezeichnendes Paradigma einer rein ,technokratischen' Struktur geben die - nie realisierten - ursprünglichen Planungen für ein Bayerisches Informationssystem, das technisch den völlig freien Austausch aller Daten und Programme zwischen allen Beteiligten (Staatskanzlei, Ministerien und Kommunen) zulassen sollte, aber wegen durchgreifender rechtlicher und technischer Bedenken nicht realisiert wurde. Es zeigt besonders deutlich die "flächendeckende" technische und rechtliche Ausgestaltung eines multifunktionalen Großinformationssystems. 2.2 IDformatlonsverwaltung und Informationsrecht

Abstrahiert man aus diesen Beispielen die allgemeine Struktur, so zeigt sich zunächst, daß in einer gewissen "Dissoziation" die staatliche Verwaltung sich ausdifferenziert in eine Fach- oder allgemeine Verwaltungsorganisation und eine neue Informationsorganisation, verbunden durch zahlreiche koordinierende und integrierende Stellen (siehe Abb. r auf S. 330). Diese Beobachtung scheint übrigens allgemein zuzutreffen: Auch in den beiden anderen gesellschaftlichen Sektoren, dem ökonomischen und dem "mediären" Bereich der Medien und Verbände, entstehen vergleichbare Gebilde. Die neueste Entwicklung subminiaturisierter Informationstechniken widerspricht dem nicht: die Informationsstruktur wird nur "unsichtbarer"; die zusätzliche Komplexität bleibt bestehen (siehe Abb. 2 auf S. 331). Die rechtliche Reaktion setzt bereits früh ein; 1970 wird das erste EDV-Organisationsgesetz der Welt in Bayern zur rechtlichen Absicherung des Bayerischen Informationssystems erlassen; bereits im gleichen Jahr wird das erste Datenschutzgesetz der Welt in Hessen verkündet;

Wilhelm Steinmüller

330

Hel'kömml Lehe Staatsorganisation

der Drei Gewalten .....

..• und ihre Erweiterung um eine Informationssystem-Infrastruktur

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staatliche In fonnat i on3systeme

'+-t-+-+~==\-J- Da tenerfas sung s-

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Abb. 1: Das Entstehen der Informationsorganisation nach achtjähriger Vorbereitung bringt das Bundesdatenschutzgesetz

1977 die Rahmenregelung des gesamten Informationswesens in Staat

und Wirtschaft, soweit es sich auf Personen beziehen läßt.

Von Anfang an wurde es also notwendig, das "Phänomen Information" rechtstheoretisch zu durchdringen sowie rechtsdogmatisch und rechtspolitisch zu bewältigen. Inzwischen ist ein umfangreiches, wenngleich unerforschtes, Rechtsgebiet neu entstanden: das Informationsrecht. 2.3 Besdlrelbun(s- und Bewertunpspradle

Erste Voraussetzung einer wissenschaftlichen Bewältigung dieser Thematik ist aber eine Beschreibungssprache, die mindestens folgende Anforderungen erfüllt: - sie muß allgemein genug sein, um den gesamten Objektbereich abzubilden: (1) Informationsprozesse und -systeme (2) technische Sachverhalte (3) soziale Auswirkungen (4) rechtliche Bewertungen - sowie die gegenseitigen Rückwirkungen;

Juristische Informationswissenschaft Staatlicher Bereich

Ökonomischer Bereich

-

331

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ökonomische lnformationssysteme

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Medlärer Berelch (Massenmedien, Ver~ bände, P~rteien)

Menge der Stellen herkömmlicher Verwaltung

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Menge der zugeordneten Informationssysteme Menge der Koordinierungsstellen

Abb. 2: Herkömmliche und Informationsverwaltung sie muß präzise genug sein, um formalen Strukturen noch gerecht zu werden: was nicht formalisiert werden kann, ist auch der Automatisierung nicht zugänglich. Andererseits muß sie unpräzise genug sein, um komplexe soziale Sachverhalte noch mit vertretbarem Zeitaufwand sprachlich abbilden beschreiben zu können;

332 -

Wilhelm Steinmüller

schließlich muß sie einfach genug sein, um als interdisziplinäre Sprache von Juristen, Datenverarbeitern und Politikern verstanden zu werden.

Eine Beschreibungssprache allein würde nicht genügen; zur Vorbereitung etwa gesetzgeberischer Akte sind auch Bewertungen erforderlich, wie es zum juristischen Alltagsgeschäft gehört. Daß dies wissenschaftstheoretisch zulässig ist, wurde von verschiedenen Seiten nachgewiesen; daß dies praktisch durchführbar sei, hat das letzte Jahrzehnt wissenschaftlicher Politikberatung in Brennpunkten des Informationsrechts wenigstens plausibel erscheinen lassen. Zwei naheliegende Möglichkeiten schieden alsbald aus: -

Die Sprache des Juristen war zwar 2000 Jahre präzise genug sozialen Wandel abzubilden, vermag aber formale und technische Sachverhalte nicht adäquat wiederzugeben.

-

Umgekehrt ist die Sprache des mathematischen Formalismus odel· des logischen Kalküls zu arm und/oder zu kompliziert, schließlich auch zu wenig allgemein zugänglich sowie ausdifferenziert, um die in Frage stehenden Sachverhalte einzufangen: die gesamte zehnjährige Datenschutzge$etzgebung in der Bundesrepublik verlief darum unter Ausschluß der Logiker, Mathematiker und Informatiker.

Es setzte sich schließlich die Begrifflichkeit der allgemeinen Systembzw. Strukturtheorie (G. Klaus) durch, angereichert um einige informationswissenschaftliche Elemente. Dagegen konnte sich die soziologische Systemtheorie (etwa N. Luhmanns) wegen ihrer sehr voraussetzungsreichen Prämissen nicht bewähren. Dabei wurde die allgemeine Systemtheorie zunächst durch den Einbau der Semiotik erweitert; es folgte dann die modelltheoretische Interpretation der Information als spezielles Verhalten mehrerer Systeme zueinander; zu leisten ist noch die Einbeziehung der skandinavischen und amerikanischen Informationswissenschaft sowie die Berücksichtigung verwaltungs- und sozialwissenschaftlicher Aspekte, namentlich in sozialökonomischer Hinsicht. Systematisiert man diese Theoriestücke, so erhält man Grundannahmen einer Allgemeinen Informationstheorie in juristischer und inbesondere rechtspolitischer Absicht, von der nunmehr zu handeln ist, ehe abschließend einige rechtstheoretische Folgerungen gezogen werden können.

Juristische Informationswissenschaft

333

3. Grundannahmen einer Allgemeinen Informationstheorie 3.1 ,System', ,Prozeß', ,Modell' sind Bubjektrelativ

Die allgemeine Systemtheorie bezeichnet bekanntlich als ,System' eine Menge von Elementen und deren Relationen; ,Prozeß' ist jedes Verhalten eines derartigen Systems, also jede Zustandsänderung. (1) Die herkömmliche Systemdefinition ist jedoch ergänzungsfähig. Denn eine Menge (von Elementen und Relationen) setzt mindestens ein Subjekt voraus, das auswählt, welche Elemente und Relationen zu dem fraglichen System gehören und welche nicht; das also das System "definiert". Jedes System ist in diesem Sinne "subjektrelativ". Man muß bei jedem System angeben, wer es definiert, oder anders: zu welchem Zweck er gerade diese Elemente und Relationen auswählt. Betrachtende SUBJEKTE

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2





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aus einem betrachteten Objektbereich __- - - - - -

Abb. 3: ,System' ist subjektrelative Selektion aus einem Objektbereich

334

Wilhelm Steinmüller

(2) Ähnliches gilt für den "Prozeß"; Es ist abhängig vom jeweiligen betrachtenden Subjekt, welche Zustandsänderung(en) eines Systems in Betracht gezogen wird. also den Prozeß definiert.

Objektbereich

Abb. 4: ,Prozeß' ist subjektrelative Selektion aus einem dynamischen Objektbereich (3) Komplizierter, jedoch zum tieferen Verständnis der Information konstitutiv, ist der ModeUbegrijf. In systemtheoretischer Sicht ist jedes Modell konstituiert durch ein System aus (mindestens) drei Elementen und drei Beziehungen: Wenn etwa ein Junge ("Modellsubjekt") ein fallendes Stück Papier ("ModelI") benützt, um herauszufinden, in welche Richtung sein Drachen im Winde ("Original") fiiegen wird, dann ergeben sich folgende Beziehungen: das Subjekt bildet ein Original durch ein Modell ab, jedoch nur in einer bestimmten Hinsicht, um ein bestimmtes Verhalten (hier: des Subjekts) gegenüber dem Original zu ermöglichen. Jedes Modell setzt also ein Subjekt voraus, das seinen Verwendungszweck vorgibt, nämlich einem bestimmten Verhalten jemandes zu dienen. Oder anders: ein Modell ist stets nur ein "Modell- wovon - für

Juristische Informationswissenschaft

335

wen - wofür"; Modelle sind Abbildungen von etwas für jemand zu einem Verhalten. Oder schließlich: Modelle sind subjektrelativ. Ein Moment verdient hervorgehoben zu werden: wie man am Beispiel des im Winde fallenden Papierstücks ersieht, bezieht sich die Strukturähnlichkeit zwischen fallendem Papierstück und fliegendem Drachen (also zwischen "Modell" und "Original") nur auf ganz wenige Strukturen; die chemischen, soziologischen oder psychologiSchen Aspekte etwa bleiben hier unberücksichtigt. Dies kann man verallgemeinern: Jedes Modell stellt eine radikal vereinfachte Abbildung des Originals dar, die wegen ihrer Vereinfachung für andere Zwecke nicht oder nur bedingt brauchbar ist. Subjekt S

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Abb. 5: ,Modell' ist ,Abbild - wovon - für wen - wozu'

3.2 Information, Informationssystem, Informationsprozeß sind ,Modell' (1) Die modelltheoretische Interpretation der Information gestattet es,

einige "mystische" Umschreibungen der Information durch präzisere Angaben zu ersetzen, namentlich wo in der Vergangenheit die unableitbare Besonderheit der Information postuliert wurde. So sagte etwa Wiener: "Information ist Information, nicht Materie und nicht Energie"; oder Diemer: Information ist eine neue Art Wirklichkeit, neben der materiellen und der geistigen Wirklichkeit"; schließlich die philosophisch begründetere Behauptung Vogels: "Information ist eine objektive Eigenschaft materieller Dinge."

Wilhelm Steinmüller

336

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I I Abbildungs(Informations-) I relation

I I

~E1 Abb. 6: Information ist Modell; oder: Wissen ist Macht? Zur Veransdlaulidlung: Sammelt ein System S (z. B. eine Verwaltungsbehörde) Angaben ("Daten") über ein System 0 (z. B. den Bürger; aber auch über ihre eigenen Bediensteten), so bildet es in Datenform (0') das System 0 in sich ab (System 0' fungiert als Modell M über 0), freilich nur in der untersuchten Hinsicht. Es bestehen also wieder drei Elemente: das untersuchende Subjekt S, das untersuchte Objekt 0 (Original), das Modell von 0 (0' = M). Dabei spielt es keine Rolle, auf welche Weise M repräsentiert ist; es kann im Gedächtnis einer individuellen Person haften, in Gestalt eines Textes oder Bildes (Verbal- oder Imaginalmodell) bestehen, oder - durch ein Informationssystem (mit oder ohne Technikunterstützung) dargestellt sein, kurz ein ,materielles' oder ein ,ideelles' Modell sein; Informationen aber können nur letzteres sein. Nun wird auch der Zusammenhang zwischen Information und Macht deutlich: die Information bildet "etwas" (Original) für "jemandes" (Subjekt) "Verhalten" (Zweck) ab; je besser S über 0 informiert ist, je besser also das Modell MO für die Zwecke von S abbildet, um so leichter kann S 0 beeinflussen. Es besteht also kein einfacher Zusammenhang zwischen Information und Macht, etwa im Sinne des Bacon zugeschriebenen Satzes "Wissen ist Macht"; vielmehr gibt Wissen (Modell M) lediglich die Möglichkeit der Verhaltensbeeinflussung von o durchS. Information ist also nicht Macht, sondern ermöglicht Machtausübung.

Juristische Informationswissenschaft

337

(2) Aus der Verbindung "System" und "Information" folgt nun das Informationssystem. Darunter verstehe man jedes System, das unter dem speziellen Aspekt der Information betrachtet wird (Anwendung der Subjektrelativität). Das können sein Bibliotheken, Gerichte oder Zettelkästen ebenso wie weltumspannende Platzreservierungssysteme der Fluggesellschaften. Für viele Zwecke ist es sinnvoll einen engeren Begriff zusätzlich einzuführen: Informationssystem im engeren Sinn ist jedes System, das spezielle für Zwecke der Informationsverarbeitung bestimmt ist.

Systemherr

Verhaltens(Beherrschungsrelation)

Abbildendes Informationssystem

A IAbbildrelation

I I

Abgebi 1detes Informationsobjekt

Abb. 7: Informationssystem ist (Makro)Modell

Da aber Informationen, wie ausgeführt, rudimentäre zweckspezifische ideelle Modelle in der Hand von Modellsubjekten sind, ist auch jedes Informationssystem ein Modell in diesem Sinn. Da es, weil Modell, zugleich eine radikale Vereinfachung der abgebildeten sozialen Objekte (z. B. in einem medizinischen Informationssystem: der behandelten Patienten) darstellt, die sie für andere Zwecke (z. B. zur Verwertung im Rahmen eines polizeilichen oder statistischen Informationssystems) nur höchst bedingt oder überhaupt nicht verwendbar sein läßt, steht zu vermuten, daß bereits hier zahlreiche soziale 22 Rechtstheorie, Beiheft 1

338

Wilhelm Steinmüller Probleme auftreten, die schließlich auch einer rechtlichen Regelung bedürfen. Diese rechtliche Tragweite wird noch deutlicher, wenn man die Machtrelevanz der Information berücksichtigt: Informationssysteme potenzieren diese (stets deren zweckrationales Funktionieren vorausgesetzt) durch: - Auslagerung und Verselbständigung des Modellvorrats aus dem beherrschenden Subjekt, - Multiplizierung dieses Modellvorrats durch geeignete modellverarbeitende Maschinen (Programme), - Anwendung auf besonders machtanfällige Originale (= Informationsobjekte); z. B. in Einwohner-, Polizei-, medizinischen Informationssystemen.

(3) Entsprechend kann auch der Begriff der Informationsverarbeitung näher erläutert werden. ,Informationsverarbeitung' ist zunächst jede Art von Injormationsprozessen: also Prozesse (Systemveränderungen), die Informationen entstehen lassen, speichern, verändern, verwerten, weitergeben, oder vernichten. Da "Information" schließlich durch "Modell" unter den oben angegebenen Vorsichtsmaßnahmen ersetzt werden kann, dürfen Informationsprozesse gedeutet werden als zweckorientierte Modellerzeugungs-, -Speicherungs-, -Verwertungs-, -übermittlungs-, -Vervielfältigungs-, -Veränderungs-, oder -Vernichtungsprozesse. Hieraus ergibt sich bereits eine gewisse primitive Klassifizierung der Informationsprozesse:

• Informationsveränderung Informationsvervielfältigung

. Informationsvernichtung

~8.

Problemlösung

Abb. 8: Phasen des Informationsprozesses Die "Phasen" des Informationsprozesses sind von vielfältiger Verwendbarkeit; man kann mit ihnen die verschiedenen Informationssysteme und Informationstechnologien ebenso ordnen wie - unter nor-

Juristische Informationswissenschaft

339

mativem Aspekt - die von ihnen herrührenden Gefährdungen; so kann man spezielle Rechtsfolgen an einzelne Phasen knüpfen, wie dies in den deutschen Datenschutzgesetzen geschehen ist. Vor allem läßt sich, auf metatheoretischer Ebene, anhand der Phasen des Informationsprozesses eine einfache Klassifikation der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen gewinnen, die sich mit der Information beschäftigen: Abbildende Wissenschaft 1fI\1D-t~i9s. "

-

- Informatik Infom. W.

KODlDunikationswiss.



--

Inf'orma t i on s p r 0 z e s Erhebung Erfassung Speicherung·Ubermittl. Veränderung Verwert. Löoeh.

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Nachrichtentechnik

Abb. 9:

luD-Wissenschaft?

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3.3 Semiotik der Information

Ursprünglich bezeichnet die Semiotik die Lehre von den Zeichen und ihren Beziehungen (zu anderen Zeichen, zum Menschen usw.). Es hindert wenig, dies auf die Information selbst zu übertragen. Dann ist, gemäß der überlieferten Einteilung der Semiotik und ihrer Erweiterung durch Georg Klaus, zu unterscheiden: (1) die Syntaktik der Information, nämlich die Lehre von der (formalen) Beziehung der Information zu anderen Informationen. Von ihr handelt überwiegend die Informatik. Von ihr ist auch die Rede, wenn die technische Repräsentation der Informationen in Gestalt von Daten in Maschinen diskutiert wird. (2) Die Semantik der Information: sie erläutert die Beziehung der Information zu ihrer Bedeutung. (3) Davon streng zu unterscheiden - dies ist die Erweiterung von Georg Klaus - ist die Sigmatik: die Beziehung der Information zu dem von ihr bezeichneten Objekt (modell theoretisch: dem Original). - Es ist sehr sinnvoll, Semantik und Sigmatik zu unterscheiden; spricht erstere etwa vom ,Mann im Mond', so vermag letztere von ihm die Nichtexistenz auszusagen. Damit wiederholt sich hier in der Semiotik 22·

340

Wilhelm Steinmüller

die logische Unterscheidung zwischen der Bedeutungs- und Bezeichnungsfunktion von Sätzen. (4) Die Pragmatik schließlich erörtert die Beziehung der Information zum Menschen, also dem Modellsubjekt: dem Erzeuger und/oder Benutzer/Verwerter der Information.

5

6

I,

4

-7-0

5 PRAGMATIK 6 SYNTAKTIK 7 SEMANTIK 8 SIGHATIK

1 Bedeutung

3 Informatio~

4 (-.9ystem)

2 Objekt

Abb. 10: Semiotik der Information bzw. des Informationssystems

Angewandt auf Informationssysteme werden die semiotischen Kategorien ebenfalls und allesamt benötigt, um ihre Relevanz für das soziale Umfeld angemessen darzustellen: Die syntaktische Betrachtung der Informationssysteme vermag die technische Seite wiederzugeben; die Pragmatik erläutert die Mensch-Maschine-Interaktion von Informationssystemen, beschreibt ihre Subjekt-Relativität im Verhältnis zu Benutzern und Verwendern, dient vor allem zur Angabe der Zwecke von Informationssystemen (eine Untermenge ihrer Umweltbeziehungen) sowie des "Systemherrn"; die Sigmatik schließlich gestattet die Behandlung der Frage, ob ein Informationssystem seine Objekte (Originale) "wahr" oder "falsch" oder wenigstens "hinreichend vollständig" abbildet (unter Berücksichtigung der Pragmatik).

Juristische Informationswissenschaft

341

Diese Unterscheidung ist juristisch nicht ohne Belang. Es leuchtet ein, daß etwa aus einer verletzten Sigmatik des Informationssystems Berichtigungsansprüche hinsichtlich falscher Informationen folgen; daß bei verletzter Pragmatik Schadenersatzfolgen wegen zweckwidriger oder unerlaubter Informationsverwendung oder Informationsweitergabe entstehen können; usf. 3.4 Information als ..Wissen" und "Entsdleldung"

Häufig identifizieren Forscher aus dem Informations- und Dokumentationsbereich (z. B. Bibliothekare, aber auch Kommunikationswissenschaftler) Information schlechthin mit "Wissen", etwa wenn sie Information mit "Verringerung von NichtwÜ':sen" definieren. - Umgekehrt neigen Entscheidungstheoretiker und Informatiker dazu, Information als Entscheidung zu verstehen. - Beides aber entpuppt sich in modelltheoretischer Sicht als vereinseitigende Vereinfachung. Denn Wissen und Entscheidung kann im Rahmen der Allgemeinen Informationstheorie aufgelöst werden als Bezeichnung für spezielle (Bündel von) Informa-" tionsprozesse(n). (1) Dies läßt sich für "Wissen" besonders leicht verständlich machen. Denn Wissen ist, so betrachtet, lediglich eine Anhäufung (Menge; System) von Informationsmodellen in einem Speicher, also in einem anderen System. Dabei wird besonders deutlich, wie sehr Information ("Wissen") zweckorientiert ist. "Wertfreie", neutrale Information gibt es nicht. Denn jede Information ist, wegen der radikalen Strukturreduktion des Modells gegenüber dem Original, streng subjektrelativ, benutzerbezogen. Eine (im alten Sinn) "objektive" Information existiert nicht, es sei denn, daß Herkunft und Verwendungszweck der Information definiert (und angegeben) sind. Daß damit weittragende Probleme des Informationswesens angesprochen sind, die heute weder technisch noch rechtlich zureichend gelöst sind, bedarf kaum eines Hinweises. (2) Schwieriger steht es mit der "Entscheidung". Glücklicherweise hat die betriebswirtschaftliehe Entscheidungstheorie wesentliche Vorar~ beiten geleistet, so daß nur noch der Bezug zur modelltheoretischen Interpretation hergestellt zu werden braucht. Geht man davon aus, daß "Entscheidung" (wie die meisten Wörter auf -ung) vieldeutig ist, und daß hier Entscheidung nur im doppelten Sinne des Entscheidungsprozesses und seines Ergebnisses verstanden werden soll, dann entpuppt sich der Entscheidungsprozeß, das Entscheidungsverfahren, als der Prozeß der Vervollständigung eines unvollständigen Verhaltensmodells eines Entscheiders (eines Modellsubjekts) mittels Beiziehung deskriptiver und normativer zusätzlicher Untermodelle.

Wilhelm Steinmüller

342

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1. Entscheider 2. Entscheidungssituation ES 3. (unvollständiges) Modell von ES .

4. Ergänzungsmodell 5. Entscheidungsverfahren 6. Alternative 7. Informationsrelation

8. Beherrschungsrelation 9. Entscheidung 10. Handlung 11. Zweckrelation

Abh. 11: Der Entscheidungsprozeß

(3) Der Vorzug einer solchen Deutung besteht vor allem darin, daß "Wissen" und "Entscheidung" (ebenso wie der Informationsbegriff selbst) wesentlich einfacher und einleuchtender als spezielle ideelle Modelle von Originalen interpretiert werden können. Damit können Kenntnisse der Informationswissenschaften und der System- und Modelltheorie in einer einheitlichen Allgemeinen Informationstheorie zusammengefaßt und füreinander fruchtbar gemacht werden. Umgekehrt wird die Entscheidungstheorie verallgemeinerungsfähig auf alle Systeme, gleich ob Individuen, Organisationen, automationsunterstützte Informationssysteme.

Juristische Informationswissenschaft

343

Vor allem wird unter dem Gesichtspunkt vernünftiger (auch rechtspolitischer) Praxis der soziale Bezug von Wissens- und Entscheidungsprozessen und -systemen deutlicher, und damit wissenschaftlicher Erörterung eher zugänglich: Die modelltheoretische Interpretation zwingt dazu, die jeweilige zwecksetzende psycho-soziale Situation des .. Wissenden" und des .. Entscheiders" und dessen Einbettung in reale soziale Kontexte des zu lösenden Problems mit zu reflektieren. Damit muß (entgegen Luhmann) das soziale und das psychische System bei Informationssystemen stets zusammen berücksichtigt werden, was etwa für arbeitswissenschaftIiche Auswirkungen der Technik von Informationssystemen von Vorteil sein kann. Schließlich wird in dieser Sicht der Information als verhaltensrelevantem Abbild sozialer Phänomene der Zusammenhang von Entscheidungsprozessen mit dem Verhalten sozialer Systeme deutlicher: Informationssysteme und Entscheidungsprozesse erscheinen als zweckorientierte Verhaltensmodelle für soziales Verhalten informationsverarbeitender Systeme (der Modellsubjekte).

4. Informationswissenschaft und Recht 4.1 Recht als Informationsphänomen

Recht kann vielfältig als informationelles Phänomen gedeutet werden, worauf schon Wien er 1949 hinwies: -

Rechtsnormen sind, sofern es sich um materielles Recht handelt, normative Modelle für soziales Verhalten von Rechtssubjekten; als prozessuales Recht geben sie normative Verfahrensmodelle für die Verarbeitung materiellen Rechts (= normativer Sozialmodelle) in Gerichtsverfahren, wiederum also in speziellen Informationsverarbeitungsprozessen.

-

Gerichte und andere Rechtsinstitutionen können sinnvoll als informationsverarbeitende Systeme untersucht werden.

-

Schließlich kann die Beziehung zwischen automationsunterstützten Informationssystemen in Recht und Verwaltung zum traditionellen Rechtssystem einheitlich dargestellt werden, da beide Elemente der Beziehung als Informationssysteme, die Beziehung selbst als Informationsprozesse erscheinen.

-

In der Diskussion wurde mit Recht von Wieacker darauf hingewiesen, daß auch die juristische Auslegung mit dem "Hin- und Herwandern des juristischen Blicks" in modelltheoretischer Sicht präzisiert werden kann; nämlich als Erzeugungsprozeß für Modelle über zugrundeliegende Sachverhalte und über Verfahren.

344

Wilhelm Steinmüller

Diese wenigen Hinweise auf die rechtstheoretische Relevanz sind bruchstückhaft und kursorisch; vieles, ja fast alles ist hier noch zu tun. Aber wenigstens zwei spezielle rechtstheoretische Themen sollen abschließend doch erwähnt werden: 4.2 Besonderheiten juristischen Wissens

und juristismer Entsdleldung

Juristisches Wissen ist bisher nur auf Umwegen als Gegenstand rechtstheoretischer Erkenntnis aufgetaucht; so etwa als Material der Auslegung, unter dem Gesichtspunkt der Hermeneutik, und ähnliches mehr; nicht viel besser erging es der juristischen Entscheidung. Mit dem Aufkommen automationsunterstützter Dokumentationssysteme, vor allem mit dem Aufbau des großangelegten Juristischen Informationssystems (JURIS) und anderer juristischer Dokumentationssysteme stellt sich die Frage nach der Auswirkung dieser Innovation auf die Struktur juristischer Argumentation und Entscheidung. Hier sind bereits im Rahmen der Rechtsinformatik und der juristischen Argumentationstheorie sowie unter dem Eindruck der Kritik an JURIS wesentliche Ergebnisse erarbeitet worden, auf die hier nur verwiesen werden kann. (1) Nur ein rechtstheoretischer Einstieg soll hier angegeben werden: Betrachtet man den juristischen Entscheidungs- als speziellen Informationsverarbeitungsprozeß, so erscheint das juristische Wissen als Menge gespeicherter normativer (Gesetzestexte; Entscheidungsleitsätze; u. ä.) und deskriptiver Modelle zu juristischer Problemlösung - mit allen oben genannten Implikationen der Modelltheorie hinsichtlich Zweckbestimmtheit, Abbildungscharakter und Handlungsorientierung. Werden Dokumentationssysteme einbezogen, so treten die üblichen Folgen maschineller Umstrukturierung von Arbeitsprozessen auch bei der juristischen Arbeitsweise (beim juristischen Informationsverarbeitungsprozeß) auf, die rückkoppelnd bei der Konstruktion benutzergerechter juristischer Informationssysteme berücksichtigt werden müßten. - Mit anderen Worten: aus der rechtstheoretischen Analyse des juristischen Entscheidungsverfahrens folgen Anforderungen an Technik und Organisation automationsunterstützter juristischer Informationssysteme, wie die Rechtsinformatik näher ausführt. Umgekehrt verändern diese etablierte Strukturen. Schließlich lassen sich durch Anwendung der informationellen Modelltheorie bisherige Einsichten präzisieren. (2) Was die juristische Entscheidung selbst anlangt, so weist sie mannigfache Besonderheiten gegenüber dem betriebswirtschaftlichen oder

Juristische Informationswissenschaft

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allgemein entscheidungstheoretischen Prozeß auf, die im Licht modelltheoretischer Interpretationen deutlicher werden: -

Die juristische Entscheidung (im Sinne von Endentscheidung) ist nach bestimmten Regeln (normative Modelle!) häufig mit zusätzlicher "Rechtskraft" ausgestattet. Das besagt modelltheoretisch: das Problemlösungsmodell erlaubt oder gebietet nicht nur eine Lösung, sondern verbietet zugleich potentielle Abweichungen bestimmter Adressaten.

-

In vielen Fällen wird sogar das Ergebnis des juristischen Entscheidungsverfahrens (das Urteil oder der Verwaltungsakt) mit gestaltender Wirkung für oder gegen Jedermann ausgerüstet (z. B. Ehescheidung; Einbürgerung). Das bedeutet modelltheoretisch: die Rechtsordnung (als übergeordnete Sammlung von Verfahrensmodellen zur Lösung erkannter besonders häufiger oder wichtiger sozialer Probleme) knüpft an die Entscheidung (als abschließende Modellvervollständigung) ein Bündel zusätzlicher "Rechtsfolgen" (d. h. Ge- und Verbote sowie Statusänderungen); d. h. sie verbindet konditional mit dem abschließenden normativen Verfahrensmodell weitere normative Verfahrensmodelle für weitere Adressaten (z. B. für die von der Scheidung/Einbürgerung betroffenen Kinder). Die Menge dieser Resultate ist dann die rechtliche ,Problemlösung' - wobei durch diese ,Lösung' möglicherweise erst entstehenden neuen Probleme wiederum zu analysieren sind; usf. Der Zeitdruck als Randbedingung juristischer Entscheidungsverfahren erzwingt innerhalb des Rechtsprozesses zu ritualisierten Abkürzungen einzelner Phasen der Informationsverarbeitung (z. B.: der zivilprozessuale Wahrheitsbegriff führt zu verminderter Informationsspeicherung und zu reduzierten Anforderungen an das Verfahrensmodell durch hypothetische Zusatzmodelle (z. B. Fiktionen, Annahmen, Unterstellungen).

-

-

Aus ähnlichen Gründen sind alle wichtigeren juristischen Entscheidungsverfahren modellgesteuert, nämlich durch die Verfahrensgesetze der Verwaltungen und Gerichte, neuerdings (durch die Datenschutzgesetze u. a. Informationsnormen) sogar ausgedehnt auf die Informationsgewinnung, -verteilung und -aubewahrung.

Zusammenfassend, wenn auch höchst vorläufig, kann man also Recht. unter diesem spieziellen Aspekt als eine besonderen Informationssystemen (-institutionen) anvertraute Menge von normativen Modellbildungsund Modellverwertungsprozessen zur Beeinflussung von Handlungen abgebildeter Betroffener ("Rechtsobjekte bezeichnen. lC

)

DIE AUTOMATISIERTE RECHTS INFORMATIONS SUCHE UND DIE JURISTISCHE AUSLEGUNG Von Franciszek Studnicki, Krakau 1. Unter der Bezeichnung "automatisierte Suche in Gesetzestexten" verstehe ich die Operation, die darin besteht, daß ein programmierter Automat aus einer gegebenen Sammlung der genannten Texte solche Teile (d. i. solche Dokumente) aussondert, die für die Lösung einer von seinem Benutzer formulierten Rechtsfrage relevant sind.

2. Es ist seit langem anerkannt, daß der Begriff der Relevanz in der Begriffsapparatur der Theorie der automatisierten Informationssuche eine zentrale Stellung einnimmt, und zwar aus zwei Gründen. Der erste besteht darin, daß in allen Suchoperationen die Relevanz der Dokumente die Rolle eines primären Suchkriteriums spielt, der zweite dagegen darin, daß alle Methoden der Schätzung der Effektivität der Suche auf diesem Kriterium basieren. 3. Es wurden mehrere Theorien der Relevanz entwickelt. Hier werde ich mich nur mit einer einzigen Klasse solcher Theorien befassen, die man als Theorie der logischen Relevanz bezeichnen kann. Bevor ich die Hauptidee der genannten Theorien darstelle, muß ich vermerken, daß sie sich unmittelbar nur auf die Relevanz solcher Dokumente beziehen, die ausschließlich deskriptive Inhalte ausdrücken. Deswegen ist die Möglichkeit der unmittelbaren Anwendung dieser Theorien in der Analyse der Relevanz anderer Dokumente sehr begrenzt. Der Hauptrepräsentant dieser Klasse der Relevanztheorien ist W. S. Cooper 1• Er betrachtet die Relevanz eines gegebenen Satzes (und auch des diesen Satz enthaltenden Dokumentes) als eine Relation zwischen einer gewissen Sammlung von Sätzen (zu welchen auch der genannte Satz gehört) und einer eigenartigen Formel, und zwar der Formel, die das aktuelle Informationsbedürfnis des Benutzers des gegebenen Informationssystems repräsentiert. Es handelt sich um die Formel, die aus solchen Sätzen zusammengesetzt ist, welche die miteinander konkurrierenden Antworten auf die den Benutzer interessierende Frage bilden. 1 Siehe W. S. Cooper, ADefinition of Relevance for Information Retrieval, "Information Storage and Retrieval", Vol. 7, 1971, S. 19 - 37.

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Franciszek Studnicki

Die genannten Sätze werden von W. S. Coopel· als Komponentbehauptungen bezeichnet. W. S. Cooper nimmt an, daß ein gegebener Satz nur dann als logisch relevant - in Beziehung auf ein gegebenes Informationsbedürfnis - gelten kann, wenn er zu der sogenannten Minimalklasse der Prämissen gehört, aus der mindestens eine der Komponentbehauptungen logisch folgt. Zu den Komponentbehauptungen zählt W. S. Cooper neben den Sätzen, die im Speicher des gegebenen Informationssystems gelagert sind, auch die Sätze, die der Benutzer dieses Systems in seinem Gedächtnis behält. 4. Die Folgerungen, welche nach W. S. Co oper über die Relevanz der bestimmten Sätze (und Dokumente) entscheiden, sind Folgerungen im logischen Sinne, insbesondere Folgerungen, die durch klassisch-logische Calculi begründet sind. Die Unanwendbarkeit einer solchen Auffassung auf dem Gebiete der juristischen Erwägungen resultiert vor allem aus der Tatsache, daß die genannten Calculi auf diesem Gebiet nur begrenzt anwendbar sind. Außerdem kann nach den Theorien der logischen Relevanz ein gegebener Satz für die Lösung einer bestimmten Frage nur entweder relevant oder nichtrelevant sein: Tertium non datur. Relevant ist er insbesondere dann, wenn aus ihm ein anderer Satz folgt, der die Beantwortung dieser Frage bildet. Andernfalls ist er nichtrelevant. Juristen, die aber nicht nur von der Relevanz oder Nichtrelevanz der gegebenen Sätze (und Dokumente) sprechen möchten, sondern auch vom Grade dieser Relevanz, befriedigt dies aber nicht. Deswegen versucht man, für die rechtlichen Dokumente und insbesondere für Dokumente, die Teile der Gesetzestexte bilden, eine andere Auffassung der Relevanz zu konstruieren, nämlich eine Auffassung, die anstatt der von der Logik festgesetzten, andere, und zwar die von den Methoden der juristischen Auslegung begründeten Verbindungen zwischen dem Dokument und der Beantwortung einer Rechtsfrage als ein Kriterium der Relevanz betrachtet. 5. Wenn es sich um den Begriff der juristischen Auslegung handelt, so eignet sich für die Zwecke der Relevanzanalyse am besten die Auffassung, die man in Polen als ,Derivationstheorie der Auslegung' bezeichnet. Die genannte Theorie2 betrachtet die Auslegung als eine Operation, die darin besteht, daß man aus der Substanz der primären juristischen Texte (d. i. der Gesetzestexte) Sprachgebilde von einer besonderen Art, nämlich die Rechtssätze. rekonstruiert. Die Operation der juristischen Auslegung kann nicht als ein formalisierter Vorgang, der an der sprachlichen Substanz der rechtlichen Texte 2 Siehe Z. Ziembinski, Zagadnienia teorii prawa (Probleme der Rechtstheorie), Poznan 1960. S. 208 und f. Diese Auffassun~ der juristischen Auslegung wurde später entwickelt von M. Zielinski, siehe: Interpretacja jako proces dekodowania tekstu prawnego (Interpretation als der Prozeß der Dekodierung eines juristischen Textes), Poznan 1972.

Automatisierte Rechtsinformationssuche und juristische Auslegung

349

zustandekommt, betrachtet werden, da ihre Ergebnisse nicht nur von den formalen Eigenschaften der genannten Texte abhängig sind. Dagegen besteht sie in der Anwendung gewisser Direktiven, die man als Auslegungsregeln bezeichnet. Solche Direktiven nehmen nur seiten die Form verbalisierter Regeln an. Meistens funktionieren sie in der Gestalt von in gewissen Berufsgruppen verbreiteten Intuitionsüberzeugungen, die über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit bestimmter Rekonstruktionsvorgänge entscheiden. Die kohärenten Komplexe solcher Direktiven betrachtet man als eigenartige und voneinander abweichende Systeme, die als bestimmte Methoden der juristischen Auslegung bezeichnet werden. 6. In meinen Erwägungen werde ich die Abschnitte, auf welche der im Speicher eines gegebenen Informationssystems aufbewahrte Gesetzestext verteilt ist, mit den einzelnen Vorschriften, d. i. mit den Artikeln oder Paragraphen der normativen Akte, identifizieren. In der Operation der juristischen Auslegung kann man alternativ mit folgenden Situationen zu tun haben: a) aus einem gegebenen Dokument wird ein einziger Rechtssatz rekonstruiert; b) aus einem gegebenen Dokument werden mehrere Rechtssätze rekonstruiert; c) aus zwei oder mehreren Dokumenten wird ein einziger Rechtssatz rekonstruiert, den man aus keinem einzelnen dieser Dokumente rekonstruieren kann; d) aus zwei oder mehreren Dokumenten werden zwei oder mehrere Rechtssätze rekonstruiert, die man aus keinem einzelnen dieser Dokumente rekonstruieren kann. 7. Die aus einem Dokument oder aus bestimmten Dokumenten rekonstruierbaren Rechtssätze werde ich als Auslegungsderivate dieses Dokumentes, bzw. dieser Dokumente, bezeichnen. Dagegen das Dokument oder die Dokumente, aus welchen man im Wege der Auslegung einen gegebenen Rechtssatz oder die gegebenen Rechtssätze rekonstruieren kann, werde ich die Auslegungsbasis dieses Rechtssatzes oder dieser Rechtssätze nennen. Im Falle, daß die Auslegunsgbasis eines gegebenen Rechtssatzes aus mehreren Dokumenten besteht, werde ich diesen Rechtssatz als Auslegungsderivat dieser Dokumente betrachten. Die Frage, ob ein gegebener Rechtssatz zur Klasse der Auslegungsderivate eines bestimmten Dokuments gehört, bleibt so lange elliptisch, bis man ausdrücklich oder mindestens indirekt die Auslegungsmethode anzeigt, aufgrund welcher im gegebenen Falle die Rekonstuktion dieses Rechtssatzes zustandekommt. Es ist klar, daß ein bestimmter Rechtssatz, der aufgrund einer gegebenen Auslegungsmethode AM als ein Aus-

350

Franciszek Studnicki

legungsderivat eines gewissen Dokumentes gilt, nicht unbedingt denselben Charakter in Beziehung auf eine andere Auslegungsmethode AM' haben muß. 8. Die obigen Feststellungen können beim Definieren des Terminus ,das für die Lösung der Rechtsfrage RF relevante Dokument' angewendet werden. Mit diesem Terminus werde ich nämlich nur diejenigen Dokumente bezeichnen, die solche Eigenschaften aufweisen, daß aufgrund einer gegebenen Auslegungsmethode AM zur Sammung ihrer Auslegungsderivate zumindest ein einziger solcher Rechtssatz gehört, der als eine der Prämissen der Lösung der genannten Rechtsfrage betrachtet werden kann3 • Diese Auffassung führt zur Betrachtung der Informationssuchoperation als eines Prozesses, der darauf gerichtet ist, aus einer gegebenen Sammlung von Dokumenten eine solche Untersammlung auszusondern, welche nur diejenigen Dokumente enthält, die aufgrund der gegebenen Auslegungsmethode AM die Auslegungsbasis eines solchen Rechtssatzes oder solcher Rechtssätze bildet, die als Prämisse der Lösung einer vom Sucher formulierten Rechtsfrage betrachtet werden kann. 9. Der Zusammenhang zwischen der Operation der Rechtsinformationssuche und der juristischen Auslegung wurde oben mit Hilfe der besonderen Definition des Terminus "das für die Lösung der Rechtsfrage RF relevante Dokument" erläutert. Bei einer solchen Auffassung nimmt die Operation der Rechtsinformationssuche den Charakter einer besonderen Reduktionsfolgerung an, und zwar der Folgerung, bei welcher wir uns in einer Richtung bewegen, die der in den Auslegungsoperationen gefolgten Richtung entgegengesetzt ist. Insbesondere bei den Auslegungsoperationen gehen wir von dem Material der uns gegebenen Dokumente aus und bewegen uns in der Richtung ihrer, bisher uns nicht bekannten Auslegungsderivate. Wenn es sich dagegen um die Rechtsinformationssuche handelt, so schreiten wir in der umgekehrten Richtung vor. Obgleich wir nicht imstande sind, vom Material der konkreten Rechtssätze auszugehen, da diese uns bisher nicht gegeben sind, beginnen wir mit der Formulierung der Anforderungen, die von solchen Rechtssätzen erfüllt werden müssen, die man als Prämissen der Lösung der von uns gestellten Rechtsfrage betrachten könnte. Nach der Formulierung jener Anforderungen versuchen wir, solche Dokumente zu finden, die aufgrund der entsprechenden Auslegungsmethode die Auslegungsbasis für die - solche Anforderungen erfüllenden - Rechtssätze bilden könnten. 3 Uber andere Theorien der Relevanz der Rechtsdokumente siehe F. Studnicki, Wprowadzenie do informatyki prowniczej; Zautomatyzowane wyszukiwanie informacji prawnej (Einführung in die Rechtsinformatik. Die automatisierte Suche nach der juristischen Information), Warszawa 1978, Panstwowe Wydawnictwo Naukowe, insb. S. 40 f.

Automatisierte Rechtsinformationssuche und juristische Auslegung

351

Um dieses Ziel zu erreichen, stellen wir uns folgende Frage: "Welche Eigenschaften müssen die gesuchten Dokumente aufweisen, um aufgrund der erwähnten Methode als die Auslegungsbasis der genannten Rechtssätze gelten zu können?" Da für die Auslegung die semantischen Eigenschaften der Dokumente entscheidend sind, betrifft unsere Frage vor allem solche Eigenschaften. Wenn aber die Suchoperation von einem Automaten ausgeführt werden soll, müssen wir für jene Eigenschaften ein Äquivalent in der Gestalt der mit ihnen aufgrund der gegebenen Rechtssprache korrespondierenden formalen Eigenschaften finden, weil die semantischen Eigenschaften der Dokumente für den Automaten nicht unmittelbar erkennbar sind. So muß die Hypothese, welche vermutliche semantische Eigenschaften der gesuchten Dokumente betrifft (und welche als Hypothese des semantischen Musters bezeichnet werden kann), in eine andere, nämlich eine ihre formalen Eigenschaften beschreibende Hypothese (d. i. in die Hypothese des formalen Musters) umgewandelt werden. Das Vertrauen, daß eine solche Umwandlung ohne übermäßige Störungen ausgeführt werden kann, stützt sich auf die Voraussetzung, daß zwischen den semantischen und den formalen Eigenschaften der Dokumente eine genügende Korrespondenz besteht. Wenn es sich um - in einer natürlichen Sprache formulierte (so vor allem um rechtliche) Dokumente handelt, ist diese Voraussetzung - die man als die Voraussetzung der genügenden Korrespondenz bezeichnen kann - nur teilweise erfüllt. 10. Die Eigenartigkeit der Verbindungen zwischen den rechtlichen Dokumenten und ihren Auslegungsderivaten und insbesondere die Tatsache, daß diese Verbindungen nicht von den Folgerungsregeln der klassischen logischen Calculi, sondern von den Auslegungsdirektiven begründet sind, bewirkt, daß man nicht nur zwischen den für die Lösung einer gegebenen Rechtsfrage relevanten und den für die Lösung dieser Frage nichtrelevanten Dokumenten unterscheidet, sondern auch von der größeren oder kleineren Relevanz der bestimmten Dokumente für eine solche Lösung sprechen kann. Das Ausmaß der Relevanz eines Dokumentes für die Lösung einer gegebenen Rechtsfrage kann als eine Größe betrachtet werden, die davon abhängt, wie konklusiv die zur Anerkennung seiner Relevanz führenden Schlußfolgerungen sind. Es kann zum Beispiel vorausgesetzt werden, daß aufgrund einer gegebenen Auslegungsmethode AM die Schlußfolgerungen per analogiam weniger konklusiv sind als diejenige, die man als Anwendung des argumentum a maiori ad minus bezeichnet. Gemäß dieser Voraussetzung, wenn wir es in einem gegebenen Falle mit zwei Dokumenten, Dl und D2, zu tun haben, die beide eine bestimmte Beantwortung der von uns gestellten Rechtsfrage begründen, und wenn die Anerkennung der Relevanz des Dokumentes Dl auf einer Folgerung per analogiam basiert, während die Anerkennung

352

Franciszek Studnicki

der Relevanz des Dokumentes D2 auf der Anwendung des argument um a maiori ad minus beruht, so müssen wir annehmen, daß für die Lösung der genannten Rechtsfrage das Dokument D2 relevanter ist als das DokumentDl. Das Ausmaß der Relevanz kann natürlich auch von anderen Faktoren abhängen, die hier nicht ausführlich besprochen werden können.

Verzeichnis der Mitarbeiter Aarnio, Aulis, Prof. D., Institutet för Privaträtt, Helsingfors Universitet,

SF-00100 Helsinki 10 Helsingfors.

Achterberg, Norbert, Prof. Dr., Institut für Öffentliches Recht und Politik,

Universität Münster, Universitätsstr. 14 - 16, D-4400 Münster.

Alexy, Robert, Dr., Juristisches Seminar, Universität Göttingen, Nikolaus-

berger Weg 9 a, D-3400 Göttingen.

Dreier, Ralf, Prof. Dr., Lehrstuhl für Allgemeine Rechtstheorie, Univer-

sität Göttingen, Nikolausberger Weg 9 a, D-3400 Göttingen.

Funk, Bernd-Christian, Prof. Dr., Institut für Öffentliches Recht, Univer-

sität Graz, Universitätstr. 27/11, A-BOlO Graz.

Gardies, Jean-Louis, Prof. Dr., Universite de Nantes, 2, rue Tournefort,

F-44000 Nantes.

Inhetveen, Rüdiger, Dr., Institut für Philosophie, Universität Erlangen-

Nürnberg, Bismarckstr. 1, D-8520 Erlangen.

Kalinowski, Georges, Prof. Dr., Maitre de recherche au CNRS, "Les huit

arpents", 34, rue Andre Maginot, F-91400 Orsay.

Krawietz, Werner, Prof. Dr. Dr., Lehrstuhl für Rechtssoziologie, Rechts- und

Sozialphilosophie, Universität Münster, Bispinghof 24/25, D-4400 Münster.

Opalek, Kazimierz, Prof. Dr., ul. Mazowiecka 2/3, P-30-036 Krakow. Otte, Gerhard, Prof. Dr., Universität Bielefeld, Fakultät für Rechtswissen-

schaft, Postfach 8640, D-4800 Bielefeld.

Peczenik, Alel{sander, Prof. Dr., Lehrstuhl für Allgemeine Rechtslehre mit

Rechtsinformatik, Universität Lund, S-22247 Lund.

Reisinger, Leo, Univ.-Doz. DDr., Institut für Statistik, Universität Wien,

Universitätsstr. 7, A-10l0 Wien.

Schramm, Alfred, Dr., Institut für Rechtsphilosophie, Universität Graz, Uni-

versitätsstr. 27/11, A-8010 Graz.

Steinmüller, Wilhelm, Prof. Dr., Universität Regensburg, Fachbereich Rechts-

wissenschaft, Postfach 397, D-8400 Regensburg.

Studnic1d, Franciszek, Prof. Dr., Instytut Prawa Cywilnego, Universytetu

Jaggie1l6nskiego, ul. Gotebia 22, P-31133 Krakow.

354

Verzeichnis der Mitarbeiter

Tammelo, Ilmar, Prof. Dr., Institut für Rechtsphilosophie pp., Universität

Salzburg, Franziskanergasse 2, A-5020 Salzburg.

Walter, Robert, Prof. DDr., Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Universität W'ien, Dr. Karl-Lueger-Ring I, A-I010 Wien. Weinberger, Ota, Prof. DDr., Institut für RechtsphilosophJie, Universität Graz, Universitätsstr. 27/11, A-8010 Graz. Winkler, Günther, Prof. Dr., Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Universität Wien, Dr. Karl-Lueger-Ring I, A-I0I0 Wien. Wr6blewski, Jerzy, Prof. Dr., Kiernownik Zakladu Teorii Panstwa i Prawa,

Wydzial Prawa i Administracji, Uniwersytet L6dzki, Narutowicza Nr. 59 a, P-90-131 L6dzki.

Ziembinski, Zygmunt, Prof. Dr., Uniwersytet Poznan, Nad Potoldem 27

d. m. 9, P-GO-639 Poznail.