Arbeit, Subjekt, Widerstand: Eine Genealogie der Subjektivierung zum Arbeiten 9783839445365

The volume examines different forms of subjectivation taking place in the context of "work" and traces possibl

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Arbeit, Subjekt, Widerstand: Eine Genealogie der Subjektivierung zum Arbeiten
 9783839445365

Table of contents :
Inhalt
1. Einführung
Teil I. Zu Methode und Vorgehen
2. Die genealogische Methode
3. Eine neue Technologie der Machtausübung
TEIL II. DIE MODERNE GOUVERNEMENTALITÄT UND DIE GENEALOGIE VON ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND
4. Die liberale Rationalität
5. Proletarisches Gegen-Verhalten
6. Der Sozialstaat als »zwischen-liberaler« Bereich: Die Rationalität der Gesellschaft
7. Der Neoliberalismus
8. Widerständigkeit im Neoliberalismus
9. Rück- und Ausblick: Eine Zukunft des Gegen-Verhaltens
Literatur

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Kathrin Mönch Arbeit, Subjekt, Widerstand

Gesellschaft der Unterschiede  | Band 47

Kathrin Mönch (Dr. phil.) ist Lektoratsleiterin bei einem Lehrbuchverlag in München. Nach ihrem Studium der Politologie, Soziologie und Philosophie in Würzburg promovierte sie am Institut für Soziologie der Technischen Universität Chemnitz.

Kathrin Mönch

Arbeit, Subjekt, Widerstand Eine Genealogie der Subjektivierung zum Arbeiten

Dissertation an der Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften der Technischen Universität Chemnitz unter dem Titel »Gegen-Verhalten und moderne Rationalität. Eine Genealogie der Arbeiterbewegung«.

© 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4536-1 PDF-ISBN 978-3-8394-4536-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1. Einführung | 7

TEIL I.

ZU METHODE UND VORGEHEN

2. Die genealogische Methode | 17

2.1 2.2 2.3 2.4

Genealogie in der Folge Nietzsches | 19 Foucaults Genealogie | 22 Die kritische Genealogie in der Rezeption | 42 Vorgehen und Methode dieser Arbeit | 48

3. Eine neue Technologie der Machtausübung | 55 3.1 Die Analytik der Macht | 57 3.2 Ebenen der Machtanalyse | 59 3.3 Das Subjekt als Objekt der Macht | 64 3.4 Gegen-Verhalten | 68

TEIL II.

DIE MODERNE GOUVERNEMENTALITÄT UND DIE GENEALOGIE VON ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

4. Die liberale Rationalität | 79 4.1 Die Staatsräson | 81

4.2 Die politische Ökonomie des Liberalismus | 88 4.3 Wandel der Arbeit | 90 4.4 Disziplinierung, Moralisierung und die Subjektivierung zur Produktivkraft | 109 4.5 Management der Freiheit | 134 5. Proletarisches Gegen-Verhalten | 137 5.1 Aporien des Liberalismus | 142 5.2 »Mikrokämpfe« | 147 5.3 Zusammenarbeit und Arbeitsethos | 172 5.4 Das Scheitern des Liberalismus | 183

6. Der Sozialstaat als »zwischen-liberaler« Bereich: Die Rationalität der Gesellschaft | 187

6.1 Die Entstehung der Rationalität der Gesellschaft aus dem Versicherungswesen | 188 6.2 Die Objektivierung der Gesellschaft | 197 6.3 Die Separierung der Arbeit | 202 6.4 Normalisierung | 204 6.5 Gegen-Verhalten im Sozialstaat | 210 7. Der Neoliberalismus | 227

7.1 7.2 7.3 7.4 7.5

Die inhaltliche Fundierung des Neoliberalismus | 229 Neoliberale Politik | 247 Neoliberale Subjektivierung | 252 Technologien der Subjektivierung | 258 Die Entgrenzung von Arbeit und Leben | 304

8. Widerständigkeit im Neoliberalismus | 313

8.1 Institutionen der Arbeiter im Neoliberalismus | 316 8.2 Subjektorientierter Widerstand – Perspektive der Arbeitenden | 325 8.3 Subjektorientierter Widerstand – Perspektive einer Arbeiterbewegung | 354 9. Rück- und Ausblick: Eine Zukunft des Gegen-Verhaltens | 375 Literatur | 389

1. Einführung

Die Pest – der schwarze Tod –, Lepra – oder, so der ursprünglich deutsche Name, Aussatz – und Pocken sind die wirkmächtigen Metaphern, mit denen Foucault den Einzug von Aussperrung und Disziplin in die modernen Gesellschaften beschreibt. Der Umgang mit dem »Fest« der Unordnung (Foucault 1975/1998, S. 254), das diese drei, geradezu klassischen Infektionskrankheiten zelebrieren, sind in der Analyse Foucaults historisch spezifische Strategien, die zum Zentrum neuer gesellschaftlicher Machtstrukturen werden – Machtstrukturen, die das Subjekt nicht unterdrücken, sondern modifizieren und erst konstituieren. Richtet sich der Umgang mit Pest und Lepra auf das deviante Einzelsubjekt, das es auszuschließen und zu disziplinieren gilt, so zielt der Pockenbefall auf die Erfassung und Bearbeitung der gesamten Bevölkerung: Das Machtdispositiv zielt nicht darauf, »eine Aufteilung in Kranke und Nichtkranke vorzunehmen« (Foucault 2004a, S. 96), sondern im Gegenteil darauf, anhand von Wahrscheinlichkeiten »die Gesamtheit der Kranken und Nichtkranken zu berücksichtigen, das heißt alles in allem die Bevölkerung« (ebd.) und »die ungünstigsten, im Verhältnis zur normalen, allgemeinen Kurve am stärksten abweichenden Normalitäten zurechtzustutzen, sie auf diesen normale, allgemeine Kurve herunterzudrücken.« (Ebd., S. 97) Mittlerweile gelten in den westlichen Industrieländern Pest, Lepra und Pocken als nahezu ausgerottet oder zumindest gibt es gute bis sehr gute Heilungschancen. Und ganz ähnlich scheinen in diesen Ländern heute Ausschließung, Disziplinierung und Regulation der Bevölkerung aus dem Zentrum der Machttechniken gerückt zu sein – das heutige neoliberale Programm zielt nicht mehr so sehr auf eine disziplinierende oder auf eine normalisierende Gesellschaft, sondern richtet sich im Gegenteil auf eine Gesellschaft, in der die Kultivierung und Optimierung von Differenzen betrieben wird, mit dem Ziel, der individuellen Existenz eine unternehmerische Form zu geben. Suchte man nach einer Krankheit, die heute die Stelle dieser drei klassischen Infektionskrankheiten eingenommen hat und mit der sich entsprechend diese heutige

8 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

Subjektivierung auf den Punkt bringen lässt, müsste man vermutlich am ehesten bei der Immunschwächekrankheit AIDS ansetzen, einem Leiden, das erst Beginn der 1980er als eigenständige Krankheit beschrieben wurde und, auch wenn die Zahl der Neuansteckungen in den westlichen Ländern inzwischen stark abgenommen hat, nach wie vor auch hier noch große mediale Aufmerksamkeit hervorruft. AIDS ist letztlich eine spezifische Kombination von Symptomen, die beim Menschen infolge des durch Infektion mit dem Humanen Immundefizienz-Virus (HIV) zerstörten Immunsystems auftreten und mit lebensbedrohlichen Infektionen und Tumoren einhergehen. Insofern AIDS auf der Zerstörung des Immunsystems aufsetzt, setzt es bezeichnenderweise auf einem Bereich auf, der eine ganz besondere GrenzStellung zwischen Natur und Gesellschaft einnimmt. Denn einerseits ist das Immunsystem etwas Angeborenes und damit Natürliches, andererseits aber besitzt es auch eine gesellschaftliche Komponente, weil es veränderbar, anpassungsfähig ist. Es greift also gewissermaßen an der Grenze von Selbst und Nicht-Selbst an, und damit an einer Grenze, die im Neoliberalismus in ganz besonderer Weise im Fokus steht, operiert dieser doch, wie Michel Foucault aufgezeigt hat, mittels der Verbindung von Technologien der Fremd- mit denen der Selbstherrschaft, die es »Individuen ermöglichen, mit eigenen Mitteln bestimmte Operationen mit ihren Körpern, mit ihren eigenen Seelen, mit ihrer eigenen Lebensführung vollziehen, und zwar so, dass sie sich selber transformieren, sich selber modifizieren und einen bestimmten Zustand von Vollkommenheit, Glück, Reinheit, übernatürlicher Kraft erlangen« (Foucault 1984, S. 35f.). Und ganz ähnlich besteht der Umgang mit AIDS aus gerade der Anwendung dieser Technologien: Ziel ist, mit einem individuell abgestimmten Medikamentenmix negative Symptome zu lindern und das Immunsystem zu stabilisieren, v.a. aber auch mithilfe eines planvollen, rationalen Verhaltens die eigene Gesundheit, das eigene Selbst, zu stützen – sich an die Ratschläge des Arztes zu halten und die Medikamente nach dem vorgegebenen Zeitplan einzunehmen, sich regelmäßig zu bewegen und zu schlafen, gesund zu ernähren, nicht zu rauchen usw. In diesem Sinn ist der Umgang mit AIDS in gewisser Weise prototypisch für eine Machttechnologie, die – mit auf das jeweilige Ich abgestimmten Mitteln – auf rationale, unternehmerische Selbstführung und Selbst-Kontrolle abhebt, mit dem Ziel, das eigene Leben so zu organisieren, dass es sich funktional zu den Belangen der Macht vollzieht und sich die größtmögliche Performanz des eigenen Selbst erzielen lässt. Die sich im Umgang mit Lepra, Pest, Pocken und AIDS widerspiegelnden Machttechnologien sind von Foucault breit beschrieben worden. Ziel der vorliegenden Ar-

1. EINFÜHRUNG | 9

beit ist nun aufzuzeigen, dass all diese gouvernementalen Machttechnologien1 ihren Ort und ihre Zielsetzung in der Arbeit, einer von Foucault im Kontext seiner Schriften zur Gouvernementalisierung weitestgehend ausgeblendeten Kategorie, haben: Es geht in all den Mechanismen der Ausschließung, der Disziplinierung und der SelbstRationalisierung letztlich, so wird sich zeigen, um nichts anderes als um die Subjektivierung zum »rechten« Arbeiten – um die Subjektivierung zur Arbeitskraft, zum Normalarbeitnehmer und schließlich zum Arbeitskraftunternehmer oder, so der Foucaultsche Ausdruck, zum unternehmerischen Selbst. Parallel zur Verortung der von Foucault beschriebenen Subjektivierungen im Kontext der Kategorie Arbeit, soll zugleich auch Widerständigkeiten nachgespürt werden, also der Frage nachgegangen werden, ob, und wenn ja wo sich GegenVerhalten gegen diese Subjektivierungen finden lässt, wobei insbesondere die sich schließlich in der Arbeiterbewegung manifestierende Bewegung der Arbeiter in den Blick genommen wird. Denn hier finden sich, so wird sich zeigen, tatsächlich Widerständigkeiten, die nicht allein auf »Befreiung« zielen, sondern »Praktiken der Freiheit« darstellen, die »Verweigerung[en] des Spiels selbst« (Foucault 1978/2002a, S. 685) und damit ein »Gegen-Verhalten« gegen die Tatsachen der Macht sind, gegen »die Tatsache, dass eine bestimmte Macht ausgeübt wird und dass allein die Tatsache, dass sie ausgeübt wird, unerträglich ist« (ebd., S. 687f.). Insofern Foucault selbst sich aufgrund seiner ambivalenten Fassung des Verhältnisses von Subjektivität, Freiheit und Macht nur sehr bedingt zu Widerstandsmöglichkeiten unter den Bedingungen moderner Gouvernementalität geäußert hat, ist diese Arbeit damit auch gekennzeichnet von dem Versuch aufzuzeigen, inwieweit in Foucaults Werk überhaupt Freiräume für über Konfrontationen innerhalb der Machtspiele hinausgehende Widerständigkeiten bestehen. Denn das Ausmaß und die Effektivität der von Foucault beschriebenen gouvernementalen Machttechnologien scheinen gerade die prinzipielle Unmöglichkeit jeder Widerstandspraxis aufzuzeigen und auch Foucault selbst lässt die konkreten Praktiken von Widerstand – bei allen Beschwörungen, sich dem Spiel zu verweigern – letztlich im Ungefähren, ohne Konkretisierung. So kennt wohl jeder, der eine der größeren Arbeiten Foucaults gelesen hat, das Phänomen, einerseits eine gewisse Faszination ob der Kritik an der jeweils behandelten und scheinbar allumfassenden Wahrheit – des Diskurses, der Strafpraktiken oder des Subjekts – empfunden zu haben, andererseits dann aber mit der sich un-

1 | »Gouvernemental« bezeichnet bei Foucault das im 18. Jahrhundert installierte neuartige Machtsystem, das ganz allgemein auf unterschiedliche Handlungsformen und Praxisfelder verweist, die in unterschiedlichen Formen auf die Lenkung und Leitung von Individuen und Kollektiven abzielen.

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weigerlich anschließenden Frage nach dem »und dann?« allein stehen gelassen zu werden. Indem im Folgenden an konkreten Beispielen konkrete Praktiken der Freiheit aufgezeigt werden, geht diese Arbeit über Foucault hinaus und legt dar, dass auch gouvernementale Machtpraktiken Freiräume für Widerständigkeiten eröffnen. Wesentliche Impulse zu dieser Arbeit stammen von den beiden Gutachtern dieser Arbeit, G. Günter Voß und Michael Makropoulos, denen ich weit mehr zu verdanken habe als anhand gelegentlicher Zitate und Quellenverweise deutlich werden kann und denen ich daher, bevor diese Arbeit ihren Beginn nimmt, an dieser Stelle meinen aufrichtigen Dank aussprechen möchte.

Teil I. Zu Methode und Vorgehen

TEIL I. ZU METHODE UND VORGEHEN | 13

Foucaults Arbeiten haben in den letzten Jahren zahlreiche Neueditionen erfahren und seine Texte erleben, insbesondere nachdem Foucaults Nachlassverfügung »keine posthume Veröffentlichung« mit Zustimmung von Foucaults Familie 2008 aufgehoben wurde, geradezu eine »Rezeptionsflut«. Dabei hat sich, nach der Veröffentlichung der beiden Bände der Geschichte der Gouvernementalität im Jahr 2004 der Fokus auf die Rezeption ebenjener beiden Bände gerichtet. »Gouvernmentality Studies« oder »Foucaultian Analysis« wird mittlerweile in den verschiedensten disziplinaren Zusammenhängen betrieben und es finden sich auch zahlreiche einem breiteren Publikum bekannt gewordene Denker, die sich in ihren Werken recht deutlich auf Foucault berufen: Judith Butler, Michael Hardt, Antonio Negri und Giorgio Agamben, Thomas Laqueur, Ian Hacking, Bruno Latour und so weiter und so fort. (Vgl. Gehring 2009, S. 373f.) Diese Popularität bedingt aber auch große Pauschalisierungen und ein »Ausfranzen« der spezifisch Foucaultschen Methode (wenn man annimmt, dass es eine solche gibt, siehe Abschnitt 2.2.2) – mittlerweile scheinen alle methodischen Begrenzungen verschwunden zu sein: »Diskursanalysen« und »Genealogien« sind in den unterschiedlichsten Ausformungen entstanden – flankiert von allen möglichen terminologischen Neuprägungen und Kombinationen: Foucault und Bourdieu, Foucault und Derrida, Foucault und Actor-Network-Theory und so weiter. Eine umfangreiche Literatur zur Methodik Foucaults, Monographien, Sammelbände, Einführungen und gar Lehrbücher mit Übungsaufgaben und Fallbeispielen lädt – ebenso wie es auch Foucault selbst getan hat – dazu ein, sich aus seinen »Werkzeugkisten« (Foucault 1975/2002d, S. 887) zu bedienen. In den meisten dieser Arbeiten werden jedoch vorrangig Foucaultsche Schemata oder Begrifflichkeiten an den vorhandenen methodischen Kanon der jeweiligen (Sub-)Disziplin angeschlossen. »Gerungen« wird um das Foucaultsche Paradigma kaum, so dass zwar in der Breite ein umfangreiches Wissen über Autor und Werk vorhanden ist, dieses zugleich aber auch diszipliniert und gängig, handhabbar gemacht wird. Nicht oder nur schlecht Passendes wird eingeebnet, das Widersprüchliche und Polemische des Originals werden nur zu häufig in der Sekundärliteratur verwischt, und es stellt sich die Frage, ob eine derart komplexe und meist in Interviews und Kommentarschnipseln verborgene Methode sich dadurch nicht auflöst. (Vgl. ebd., S. 388) Denn bei allen Aufforderungen, sich aus seinem Werkzeugkasten zu bedienen, hat Foucault seine sehr unterschiedlichen Werkzeuge doch jeweils für ganz bestimmte Zwecke konstruiert und war sich der Gefahr bewusst, dass sie möglicherweise auch für andere Zwecke genutzt werden würden. Und so hat er ebenso das Ideal vor Augen,

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nicht so sehr Werkzeuge, als vielmehr Bomben herzustellen – einmal eingesetzt, von niemand anderem mehr verwendbar: »[. . . ] ich möchte gerne Bücher schreiben, die Bomben sind, das heißt Bücher, die genau zu dem Zeitpunkt benutzt werden, da jemand sie schreibt oder liest. Diese Bücher verschwänden dann, nachdem sie gelesen oder benutzt worden wären. [. . . ] Nach der Explosion könnte man die Menschen daran erinnern, dass sie für ein schönes Feuerwerk gesorgt haben. Später dann könnten Historiker und andere Fachleute sagen, ein bestimmtes Buch sei so nützlich wie eine Bombe und so schön wie ein Feuerwerk gewesen.«1 (Foucault 1978/2002d, S. 608)

Es ist diese Ambivalenz zwischen der expliziten Aufforderung zur Aneignung seiner Werke als »kleine Werkzeugkisten« (Foucault 1975/2002d, S. 887) und der Einsicht, dass die Art und Weise, wie sie dann konkret angewandt werden, nicht immer im Sinne des Autors ist, die vielleicht für Foucault besonders typisch ist. Dies mag nicht zuletzt daher rühren, dass auch das Zitat zu den Werkzeugkisten oft nur sekundär und verkürzt Verbreitung gefunden hat. Schließt es doch de facto die Beliebigkeit der Anwendung aus und bezieht sie vielmehr explizit auf das Ziel, »die Machtsysteme kurzzuschließen, disqualifizieren oder zu zerschlagen« (ebd.) – gerne auch jene Machtsysteme, aus denen Foucaults Bücher selbst hervorgegangen sind. Grundlage der Bezugnahme auf Foucault ist also zumindest die Reflexion dieser Methode, weshalb im Folgenden das Foucaultsche Instrumentarium und dessen für die vorliegende Arbeit relevanten Momente knapp dargelegt werden. Diese Reflexion kann und soll zugleich verdeutlichen, weshalb für den Gegenstand dieser Arbeit überhaupt die Foucaultsche Methode gewählt wurde, und warum diese als die für diesen Gegenstand geeignete Methode erscheint. Dabei soll nicht in den Streit um die philologisch richtige Lesart Foucaults eingetreten werden, daher stehen im Wesentlichen die Primärtexte sowie einige wenige ausgewählte Monografien im Vordergrund, aus denen das hier zugrundeliegende Verständnis der Foucaultschen Methode entwickelt wird. Zentral für dieses ist Foucaults eigene – von ihm allerdings zugegebenermaßen nachträglich vorgenommene – Interpretation seiner Arbeiten als Untersuchung einer »Geschichte der Wahrheit«, geleitet von dem Verständnis von Philosophie als »kritische Arbeit des Denkens an sich selbst« (Foucault 1983/2002, S. 664) bzw. als »Verschiebung und Transformation des Denkrahmens«. (Foucault 1980/2002a, S. 34). Diese Lesart scheint nicht zuletzt auch geeignet, die diversen gegen Foucault vorgebrachten Kritikpunkte (vgl. hierzu Abschnitt 2.3) als gewissermaßen systemim-

1 | Eckige Klammern in Zitaten stammen von der Verfasserin, Kursivsetzungen und andere Hervorhebungen wenn nicht anders gekennzeichnet vom Urheber des Zitats.

TEIL I. ZU METHODE UND VORGEHEN | 15

plikativ bzw. -immanent aufzuheben und das »Paradox eines merkwürdigen Zusammengehens von rechter Erkenntnistheorie und linker Praxis« (Münster 1982, S. 42) methodisch aufzulösen. Zudem erlaubt diese Lesart, wie im Weiteren deutlich werden wird, Anschlussmöglichkeiten für die Frage nach der heutigen Stellung von Subjekt und Widerständigkeit im Kontext der Kategorie Arbeit zu eröffnen – in einer Zeit, in der Vielen die »großen« Kämpfe ausgefochten und der Kapitalismus sich als »Ende der Geschichte« (Fukuyama 1992) zu manifestieren scheint.

2. Die genealogische Methode

Die im Folgenden dargelegte Lesart sieht Foucaults Werk geprägt von einem kritischen Denken, das den Möglichkeiten klassischer Kritik nicht mehr wirklich vertraut, sondern deren scheinbare Vorurteilslosigkeit eher als Befangenheit interpretiert, die sich, da sie sich den Anschein von Freiheit gibt, kaum durchschauen lässt. Foucaults Intention ist entsprechend, die impliziten Axiome und Festlegungen der modernen Rationalität1 ins Zentrum der Analyse zu rücken, andere Erfahrungen zu eröffnen und allein dadurch schon Kritik zu üben. Hierzu verknüpft er die historischen mit den systematischen Facetten seiner Untersuchungsgegenstände – im Wesentlichen sind das Wissen, Macht und Subjektivität – und macht dabei »ihre prekären Momente zum Kriterium ihrer Konstitution«, so dass jeder systematische Sachverhalt unmittelbar »mit seiner historischen Kontingenz konfrontiert ist« (Makropoulos 1998, S. 103). Als »wahr« geltendes Wissen ist deshalb kein schon immer und für immer gültiger Bestand, sondern variables Ergebnis historischer Prozesse; ebenso ist Macht nichts, das ein oder mehrere Akteure besitzen, sondern ein – historisch variables – Verhältnis zwischen den Subjekten und Akteuren; und vergleichbar ist Subjektivität schließlich nicht die menschliche Natur mit universal gültigen Eigenschaften, sondern ein historisch-kontingentes Selbstverhältnis. Es geht damit alles in allem um nichts weniger als um die Selbstverständlichkeiten unserer Gesellschaft, um unsere Wahrheit, und um den Bruch mit dem Universalanspruch dieser Wahrheit durch ihre Einbindung in eine »Geschichte der Wahrheit« (Foucault 1984/1986, S. 13, vgl. a. Makropoulos 1998).

1 | Rationalität wird hier im Foucaultschen Sinn als Ensemble von Praktiken und Diskursen verstanden, die eine je historisch-kulturell spezifische Form des als rational anerkannten hervorbringen.

18 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

Übertragen auf die Themenstellung dieser Arbeit bedeutet dies, das Kräftediagramm erst des Liberalismus, dann des Neoliberalismus zu untersuchen und so deren implizite Grundlagen herauszuarbeiten. Es gilt, das Wissen, die Machtstrukturen und Subjektivierungstechnologien zu beleuchten, in welche Arbeit eingefasst ist, und damit gilt es nicht zuletzt auch, diese Strukturen und Techniken als historische, und damit variable Produkte darzustellen. Dies kann dann als Basis dienen zu analysieren, wie Widerständigkeiten in diesem Kräftediagramm zu verorten sind und welche Rolle sie darin spielen. Eine solche radikale Modernitätskritik setzt natürlich eine besondere Distanz zu dieser herrschenden Wahrheit voraus, die Foucault durch, und hier treffen sich, so auch Michael Makropoulos, seine »Methodiken«, Distanzierung gewinnt (vgl. Makropoulos 1998, S. 105). Die lange vorherrschende Interpretation (z.B. Rajchman 1985, Davidson 1986 oder Fink-Eitel 1980) war die, dass Foucault in den verschiedenen »Phasen« seiner Autorentätigkeit unterschiedliche Themen behandelte und hierzu auch unterschiedliche Methoden heranzog, die in der Regel als eigenständige behandelt wurden: die Historisierung bzw. »Archäologie« zum Thema Wissen, die Alienisierung bzw. »Genealogie« zum Thema Macht oder die De-Semantisierung hinsichtlich des »Diskurses«. Man muss meines Erachtens nicht mit dieser Dreiteilung brechen, um über die diversen Methodiken hinaus ein gemeinsames zugrundeliegendes Muster annehmen zu können. So kann man in den unterschiedlichen Herangehensweisen doch jeweils auf unterschiedliche Weise vorgenommene und auf unterschiedliche Themenkomplexe zugeschnittene Distanzierungen von der »herrschenden« Wahrheit und den scheinbar universal gültigen Evidenzen sehen, die sich miteinander korrespondierend in einem methodischen Komplex und mit einem gemeinsamen Ziel, nämlich der »radikalen De-Ontologisierung historischer Bestände« (Makropoulos 1998) (der »Wahrheit«) manifestieren. Die für die verschiedenen Sujets unterschiedlich gewählten Herangehensweisen sind so als das jeweils geeignete Mittel der Distanzierung zu verstehen und in der Nachfolge Nietzsches durchaus treffend unter dem Stichwort »Genealogie« zu subsumieren. Dass eine solche »genealogische« Lesart, obgleich nicht gängig, so doch konsistent ist, soll in diesem Kapitel deutlich werden. Ebenso soll damit eine Lesart des Foucaultschen Werks aufgezeigt werden, die für das Vorhaben dieser Arbeit im Besonderen geeignet ist: Einerseits aufgrund der Einsicht, »dass die Erfassung der Geschichte der verschiedenen Formen von Rationalität manchmal eher zum Erfolg führt als eine abstrakte Kritik, die unsere Gewissheiten und unseren Dogmatismus erschüttern soll« (Foucault 1981/2002b, S. 196), und andererseits da sie »von dem Verdacht geleitet ist, daß auch die Kritik funktionaler Teil der jeweiligen diskursiven Ordnung ist, solange sie als deren Negation auftritt, weil sie demselben Rationalitätstyp ange-

2. DIE GENEALOGISCHE METHODE | 19

hört« (Makropoulos 1998, S. 108), wodurch das klassische Modell von Affirmation und Negation oder von Macht und Widerstand untergraben wird, wie es sich etwa auch bei der Marginalisierung gegenwärtiger Widerständigkeiten zeigt. Dieses Kapitel ist insofern motiviert von der Absicht aufzuzeigen, wie soziologische Kritik der Gegenwart in genealogischer Form geleistet werden kann, und soll damit die methodische Grundlage für die folgenden Kapitel bereitstellen.2 Hierzu wird zunächst kurz auf Nietzsche als wichtigem Vordenker der genealogischen Methode eingegangen. Dann folgt die Darstellung dessen, was hier als Genealogie in der Folge Foucaults präsentiert werden soll, und die Erläuterung der wichtigsten methodischen Grundlagen eines genealogischen Vorgehens. Anschließend wird kurz auf die kritische Auseinandersetzung mit Foucault und dessen Methodik verwiesen, bevor das Kapitel mit der Darlegung der methodischen Besonderheiten der vorliegenden Arbeit abgeschlossen wird.

2.1 G ENEALOGIE

IN DER

F OLGE N IETZSCHES

Es war Friedrich Nietzsche, der – in einer metaphorischen Ausweitung der ursprünglichen ahnenkundlichen Bedeutung – Genealogie als Methodenbegriff in seinen späten Schriften der 1880er Jahre in die Philosophie eingeführt hat, wobei spätestens seit der neu entfachten Nietzsche-Rezeption der 1960er und 1970er Jahre dieser Begriff ein zentraler geisteswissenschaftlicher Topos geworden ist. (Vgl. Figal 1999) Jedoch bestehen nach wie vor zahlreiche Deutungsalternativen, auch da auch Nietzsche keiner Methode im engeren Sinn, also einer geradlinigen Anwendung von expliziten Prinzipien, folgt und sich bei ihm kaum eine theoretische Erläuterung dessen findet, was Genealogie bzw. was seine Methode ist. (Insofern sind die folgenden Ausführungen natürlich nur eine Möglichkeit der Interpretation.)

2 | In gewisser Weise widerspricht die Existenz eines solchen »Prologs« und die konkrete Darlegung der genealogischen Methode der genealogischen Methode. Da es jedoch auch Ziel dieser Arbeit ist, in die aktuellen Diskurse der Arbeits- und Industriesoziologie hineinzuwirken, erscheint diese Widersprüchlichkeit aushaltbar. Um der Unvereinbarkeit dennoch ein Stück weit Rechnung zu tragen, wurde eine Absonderung dieses Kapitels als eigener Teil dieser Arbeit vorgenommen.

20 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

2.1.1 Geschichte des Selbst Nietzsches späte Schriften verfahren, und dies ist zentral für ein genealogisches Vorgehen, »nach einem komplexen Kritikmodell, das die sich scheinbar von selbst verstehende Moral seiner Zeit und die bestehenden moralischen, sozialen und epistemischen Ideale und Normen auf ihre mögliche oder faktische Geschichte bezieht und sie damit in Kontexte stellt, in denen ihre Legitimität brüchig wird.« (Saar 2007, S. 12) Der Ausgangspunkt einer solchen »anderen« Historie3 ist beispielsweise in der Genealogie der Moral (1887) die konsequente Historisierung der moralischen Tatsachen, d.h. die Frage nach »Ursprung«, »Herkunft« und »Quelle« der Moral, womit diese auch unmittelbar der Kritik anheim gestellt ist: Wenn sich plausibel machen lässt, dass weder Form noch Inhalt der (gegenwärtigen europäischen) Moral schlechthin »gegeben«, sondern sie vielmehr kontingente Endprodukte historischer Prozesse und Deutungskämpfe sind, bekommt die Frage nach dem »Wert« der bestehenden und der Möglichkeit einer neuen Moral überhaupt erst einen Sinn. Der Nachweis, aus welchen Kontexten die Moral stammt, welcher »schändliche Ursprung« (Nietzsche 1882, S. 102) sie erst möglich und dann verbindlich gemacht hat, ist damit ein erster (allerdings längst nicht hinreichender) Schritt hin zu einer Beantwortung der Wertfrage. (Vgl. Saar 2007, S. 98) An zentraler Stelle ist in diesen Beschreibungen das Subjekt zu verorten, das sich ja in der jeweiligen (z.B. moralischen) Praxis bildet, und das entsprechend gleichermaßen wie die (moralischen) Praktiken als geschichtlich geworden und somit kontingent darzustellen ist. Die herkömmlichen, an einem festen Subjektbegriff ansetzenden Subjektkonzeptionen sind für Nietzsche demgegenüber »keine Erklärungen, sondern Symptome eines epochalen Missverständnisses« (Saar 2007, S. 103). Das Subjekt, wie es von der epistemologischen Tradition verstanden wird, nämlich als die Einheit von Bewusstheit und Erfahrung, negiert Nietzsche jedoch nicht als solches, er unterlegt aber, wie Saar darlegt, die Genese des so verstandenen Subjekts einer evolutionären Erklärung – Subjektivität wird von Nietzsche als Explanandum und folglich als fragwürdiger gesehen, als es in der philosophischen Tradition bis dahin getan wurde.4

3 | Auch Foucault grenzte sich klar von den »gängigen« Historikern ab, da er »mit den Arbeiten der Historiker nie ganz zufrieden war« (Foucault 1980/2002b, S. 94). So hat er, auch wenn er auf viele historische Studien Bezug genommen und sich ihrer bedient hat, sich doch immer vorbehalten, in den relevanten Bereichen die historischen Analysen selbst vorzunehmen. 4 | Vgl. Saar 2007, S. 99ff. sowie zum klassischen Subjektbegriff insb. Daniel 1981, Frank, Raulet und Reijen 1988, Kible u. a. 1998.

2. DIE GENEALOGISCHE METHODE | 21

Nietzsches Genealogien sind vor diesem Hintergrund wesentlich Geschichten des Selbst, da sie von den Praktiken erzählen, durch die Subjekte auf eine bestimmte Weise geprägt und formiert werden. Damit sind sie zugleich auch Geschichten des Verhältnisses von Macht und Subjektivität, insofern als Nietzsche – wie später Foucault – generell mehr Macht und Interesse hinter den Oberflächen vermutet als andere. Damit die Geschichte dieser Verbindung von Selbst und Macht als Kritik am Selbst wirksam wird, ist jedoch, wie Saar darlegt, noch ein weiteres Grundelement erforderlich, nämlich eine besondere Art und Weise, in der die Hypothesen über die Gewordenheit des Selbst präsentiert werden. Und dies ist die für Nietzsche typische narrative, rhetorisch überspitzte Form, die sich an das Selbst, von dem erzählt wird, direkt wendet: »Der Schritt«, so Saar, »den Genealogien vom theoretischen Gehalt, von der These, hin zur Kritik, zur praktischen oder existenziellen Wirksamkeit vollziehen, ist eine Eigenschaft der Texte und damit irreduzibel rhetorisch.« (Saar 2007, S. 130) Bei Foucault erfahren Nietzsches besondere Stilmittel, wie die direkte Leseransprache, die schematischen und allegorischen Darstellungen oder die Personalisierungen, eine Wende weg vom Nietzscheschen Pathos und der Nietzscheschen Überzeichnung hin zum Faktischeren, Wissenschaftlicheren (vgl. Abschnitt 2.2.2). Für beide Autoren bezeichnend ist aber, dass das Selbst direkt angesprochen wird, sich also nicht nur als Gegenstand, sondern auch als Adressat des Textes erfährt; es geht um die eigene Sache, um die Sache jedes Einzelnen – und die Genealogie zielt letztlich darauf, dieses Selbstverständnis der Subjekte zu erschüttern und ggf. sogar zu verändern: Der durch die direkt Leseransprache unmittelbar geschürte Verdacht, dass soziale Ungleichgewichte und Kräftegefälle, Interessen und Strategien mit im Spiel waren und sich im Status quo verhärtet haben, zersetzt die Selbstverständlichkeit der überkommenen Werte und Einstellungen und führt so idealerweise zur Reflexion des eigenen Gewordenseins und zur Mobilmachung vorhandener Zweifel am eigenen Sein. Wozu diese Erschütterung des Selbstbildes genau führen wird, liegt dann allerdings nicht mehr in der Macht des genealogischen Textes. (Vgl. Saar 2007, S. 130ff.) 2.1.2 Genealogie im Anschluss an Nietzsche Auf Nietzsche wurde und wird in den unterschiedlichsten Varianten Bezug genommen – ob expliziert oder nicht: von Simmel und Weber über Horkheimer und Adorno bis hin zu Derrida oder Hardt und Negri. Gemeinsamer Ausgangspunkt ist jeweils die Überzeugung, dass die herkömmlichen, normativ orientierten Ansätze ihr Ziel verfehlen, weil sie zu eng an bestimmten Voraussetzungen der von ihnen kritisierten Kultur angelehnt bleiben; die genealogische Methode soll demgegenüber den kulturellen und gesellschaftlichen Horizont der Gegenwart auf Distanz bringen, so dass er in sei-

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ner Gewordenheit durchschaubar und als bloß kontingente Bedingung hinterfragbar wird. All diesen Werken ist damit inhärent, dass sie bestehende Selbstverständnisse erschüttern. Allerdings hat lediglich Foucault solche Impulse systematisch in eine Methode überführt, wozu er die genealogische Methode, insbesondere in Bezug auf deren subjekt- und machttheoretische Prämissen, verfeinerte und auf Nietzsches anthropologische und psychologistische Annahmen verzichtete. Zudem überführte er, wie noch deutlicher werden wird, die Darstellungsform von Nietzsches Genealogien in eine weit weniger angreifbare, kühlere Form, bei der das manipulative Moment wesentlich subtiler angebracht wird. (Vgl. Saar 2007, S. 296 sowie Honneth 2003a, S. 117f.) Dennoch ist das Verfahren der Genealogie mit Unklarheiten behaftet, die sich auch nicht durch den Rückgriff auf Nietzsche auflösen lassen. Schon Nietzsche hatte in Genealogie der Moral die Moralauffassungen seiner Zeitgenossen durch das Zurückverfolgen ihrer Wurzeln zwar bloßgestellt und dadurch auch entwertet, aber seine Vorgehensweise nicht eigens erläutert; die Frage etwa, von welcher Art diese Wurzeln sein müssten, um tatsächlich als Beleg für die Fragwürdigkeit der aus ihnen hervorgegangenen Moral gelten zu dürfen, ließ er weitgehend unbeantwortet. Bei Foucault finden sich insgesamt zwar mehr methodische Erläuterungen, jedoch besitzt er ebenfalls, wie in Abschnitt 2.2.2 noch näher ausgeführt wird, eine »gewisse Neigung, das Verfahren der Genealogie selber eher material anzuwenden, als es theoretisch zu erläutern« (Honneth 2003a, S. 118). Nicht anders als bei Nietzsche muss man auch bei Foucault bei den historischen Untersuchungen – den Genalogien selbst – ansetzen um zu erkennen, wie die Genealogie wirkt und inwieweit sie als eine eigene Form der Gesellschaftskritik verstanden werden kann. (Vgl. ebd., S. 118f.)

2.2 F OUCAULTS G ENEALOGIE Was bedeutet nun Genealogie für Foucault? Es lassen sich leicht Zitate in Foucaults Werk finden, die den Eindruck erwecken, er hätte dieses Wort geradezu beliebig benutzt.5 In dem Aufsatz Nietzsche, die Genealogie, die Historie (Foucault 1971/2002) liefert Foucault jedoch eine avancierte Betrachtung der genealogischen Herangehensweise bei Nietzsche, die auch als Übernahme der genealogischen Methode von Foucault selbst und damit als wichtige theoretische Explikation Foucaults interpretiert

5 | Vgl. z.B. die zahlreichen Stellen in Foucault 1965/2002, S. 595, 599; Foucault 1975/2002c, S. 931; Foucault 1977/2002g, S. 213 etc.

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werden kann und wird (so z.B. Lemke 1997) und die auch hier als zentraler Text herangezogen werden soll. In diesem Aufsatz wendet sich Foucault mit Nietzsche gegen jede Geschichtsschreibung, die eine überhistorische Perspektive einführt und voraussetzt, und bezeichnet die Genealogie »als die wirkliche Historie« (Foucault 1971/2002, S. 182). Nur mit ihr lasse sich der nötige »auflösende Blick« (ebd.) realisieren, der in der Lage ist, auch sich selbst und die Einheit jenes menschlichen Wesens aufzulösen, und der »alles, was am Menschen als unsterblich galt, wieder dem Werden zuführt« (ebd., S. 179). In den folgenden Abschnitten werden nun die zentralen Grundlagen dieser sperrigen Methode in den Arbeiten Foucaults kurz aufgezeigt – sein Versuch, auf Basis hypothetischer Historisierungen als einer bestimmten Form von Geschichtsschreibung Kritik an der Gegenwart zu leisten. Hierbei soll insbesondere deutlich werden, wie es Foucault gelingt, die Methode der Genealogie in ein wissenschaftlich-strenge(re)s Vorgehen, und damit ins Heute zu überführen. Hierzu werden die wesentlichen Besonderheiten Foucaults Einsatz der Genealogie und damit zugleich die übergreifenden Elemente Foucaults Werk dargelegt. Mit Saar 2003 können diese strukturiert werden als die Historisierung der Untersuchungsgegenstände (Abschnitt 2.2.1), die besondere stilistische Herangehensweise Foucaults (Abschnitt 2.2.2) sowie die Adressierung der Texte, d.h. die direkte Ansprache des Lesers (Abschnitt 2.2.3). Abschließend folgt in Abschnitt 2.2.4 resümierend die Verortung dieses Vorgehens als Element aufklärerischen Denkens. 2.2.1 Historisierung Seit Friedrich Nietzsche ist der Begriff der Genealogie mit einer Theorieform verbunden, in der die Einsicht in die Geschichtlichkeit und die spezifische Herkunft der in ihr untersuchten Gegenstände einen kritischen Sinn bekommt, die Kritik des Heute gewissermaßen mit einem Wissen des Gestern zusammenfällt. Indem Genealogien scheinbar überzeitlich Gültiges in einen bestimmten historischen und soziologischen Kontext einbetten, können mit ihnen Hypothesen über das Zustandekommen solcher Gegebenheiten aufgestellt werden, die auch über eine bloße Gegenwartsbeschreibung hinausreichen. Genealogische Kritik steht damit für eine radikale Analyse, die die historischen Wurzeln einer Identität, eines Werts, einer Institution oder einer Praxis freilegt und das Wissen um deren Gewordenheit gegen diese selbst richtet, um sie so bloßzustellen und zu delegitimieren. (Vgl. Saar 2007, S. 9) Das Werk Foucaults kann in diesem Sinn von Anfang an als » eine radikale, die Grenzen der bisherigen Geschichtsschreibungsverfahren erweiternde Historisierung von Ordnungen des Denkens, Regimen der Macht und Formen von Subjektivität«

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(ebd., S. 285f.) im umfassenden Kontext einer Geschichte der Wahrheit interpretiert werden. Schon die frühen Texte zur Psychologie fordern eine Einbeziehung der Historizität der wissenschaftlichen Disziplin und ihrer Erkenntnisweisen, und auch die Ordnung der Dinge, die ja eine Überwindung des anthropologischen und humanistischen modernen Denkens einfordert, »zeigt, dass etwas (hier: die Grundparameter des Denkens) schon; anders war und dass es deshalb möglicherweise auch einmal anders sein könnte« (ebd., S. 184): Geschichtsschreibung wird zum »Instrument zur Verfremdung und Defamiliarisierung des Gewohnten und Selbstverständlichen« (ebd., S. 185) Analog ist die strukturierende historische Erzählung hinter der Geschichte des Überwachen und Strafens jene einer (von der politischen Analyse, bei der »der Kopf des Königs noch immer nicht gerollt« ist (Foucault 1975/1998, S. 110), nicht erfassten) »historischen Transformation« (ebd., S. 269) von Macht, nämlich der fortschreitenden Ausweitung der Disziplinarsysteme hin zu einer Disziplinargesellschaft. Indem sich diese Historisierungen gegen die vermeintlich absoluten gegenwärtigen Geltungen, die eingelebten Selbstverständnisse und Subjektivitäten richten, in denen sich die »herrschenden« Bedeutungen und Haltungen verkörpert und materialisiert haben, wird diese genealogische Arbeit zum »Molotowcocktail« (Foucault 1975/2002a, S. 894): Die genealogischen Kontextualisierungen werden im konkreten Schreiben von Genealogien »zur normalitätsauflösenden, destabilisierenden und damit kritischen Tätigkeit« (Saar 2007, S. 289). Diese Nähe zur Geschichtsschreibung vollzieht sich dabei jenseits des Diskurses der Historiker, und sie wurde auch seitens der Geschichtswissenschaften durchaus kritisch gesehen.6 Aber es geht eben auch nicht um die »reine« Geschichtsschreibung selbst, sondern, wie unten noch zu zeigen ist, um das Mittel der Historisierung zur Erzielung eines bestimmten Zwecks, das Darstellen des Gewordenseins von Gegenwart, und damit um das Aufzeigen der Kontingenz dieser gegenwärtigen Verhältnisse. »Zum-Ereignis-Machen« Foucault selbst beschreibt in einer in der Zeitschrift Esprit auf eine entsprechende Leserfrage hin veröffentlichten Antwort die von ihm im Rahmen der Genealogie vorgenommenen kritischen Operationen. Dazu gehöre erstens, dort Grenzen zu ziehen, »wo sich die Geschichte des Denkens in ihrer traditionellen Gestalt einen unbegrenzten Raum verlieh«. (Foucault 1968/2002, S. 872) Das heißt, die als zeitlos gültig angesehenen Evidenzen, die Rationalität, das Subjekt, die impliziten Bedeutungen usw. müssen infrage gestellt und von der historisch-universalistischen Form befreit wer-

6 | So insbesondere Wehler 1998, 45ff.

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den, durch die sie geprägt sind. Dazu gehört insbesondere auch, »die wenig reflektierten Gegensätze« zu streichen und an die Stelle dieser Dichotomien die »Analyse des Feldes simultaner Differenzen« zu setzen (ebd., S. 873), also eine Geschichte der Differenz zu erzählen. Schließlich gelte es, die Summe der Disziplinen, also der Ideengeschichte, der Wissenschaften, des Denkens usw. von ihrem ungewissen Status zu befreien. Damit kann es gelingen, die historischen Bedingungen und die spezifizierten Regeln einer Praxis zu erkennen, wo andere »nur ideale Notwendigkeiten, eindeutige Determinationen oder das freie Spiel individueller Initiativen erkennen« (ebd., S. 884). In Bezug auf das Buch Überwachen und Strafen beschreibt Foucault dieses methodische Vorgehen recht konkret als »Zum-Ereignis-Machen«, worunter er an erster Stelle einen »Bruch der Evidenz« versteht – einen Bruch mit jenen Evidenzen, auf denen unser Wissen und unsere Praktiken beruhen. Demnach gelte es, dort, wo man sich auf eine historische Konstante zu beziehen sucht, eine »Singularität« auftreten zu lassen und »[z]u zeigen, dass es gar nicht so ›notwendig war, dass. . . ‹ «. (Foucault 1980/2002a, S. 29) In diesem Sinne ist beispielsweise Überwachen und Strafen als Versuch zu verstehen aufzuzeigen, dass eben nicht das Einzige, das man mit einem Delinquenten tun konnte, darin bestand, ihn einzusperren und zu disziplinieren. Foucault versteht unter dem Zum-Ereignis-Machen aber auch eine Art »kausaler Demultiplikation«, mit der jene Zusammenhänge und Strategien »wiederzufinden« sein sollten, die zu einem bestimmten Zeitpunkt das formierten, aus dem schließlich die Evidenzen hervorgingen. (Foucault 1980/2002a, S. 30) Diese kausale Demultiplikation besteht aus drei Schritten, die recht deutlich die konkrete Anwendung eines genealogischen Vorgehens anzeigen: •





Erstens gilt es, ein Ereignis den existierenden Prozessen, die es konstituieren, entsprechend zu analysieren, also etwa die Praxis der Strafhaft als »Ereignis« und nicht als institutionelle Tatsache oder als ideologischen Effekt zu analysieren, um dann die Prozesse der Bestrafung zu beschreiben. Zweitens muss um das Ereignis herum ein »Polyeder der Intelligibilität« (ebd.) errichtet werden, also die das Ereignis bildenden Prozesse zergliedert und strukturiert werden. Aus diesem Vorgehen resultiert schließlich, drittens, ein »wachsende[r] Polymorphismus«, eine »diskontinuierliche Vielgestaltigkeit« (ebd., S. 31): Das heißt, auf Basis der am Ereignis (bspw. der Strafhaft) identifizierten Prozesse werden Ähnlichkeiten zu anderen Praktiken (z.B. den pädagogischen Praktiken, der Herausbildung der Berufsarmeen, neuen Formen der Arbeitsteilung usw.) bzw. der Transfer technischer oder theoretischer Modelle auf andere gesellschaftliche Felder als

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das Gefängnis identifiziert. Dieser Polymorphismus ist dann ein Indiz für generelle neue Machttechniken (beim Beispiel Strafhaft die Disziplinartechnologien), die entsprechend ihren Erfordernissen in vielfältigen Beziehungen und Feldern eingesetzt werden. Ein solches oder vergleichbares Vorgehen ist gerade dann angebracht, wenn es darum geht, Formen von Rationalität zu untersuchen – Rationalität verstanden nicht als absoluter Vernunftwert, sondern beschränkt auf eine instrumentelle und relative Bedeutung. Denn für sich genommen ist bspw. die Zeremonie der öffentlichen Hinrichtungen nicht irrationaler als die Inhaftierung in einer Zelle; irrational wird sie erst im Verhältnis zu einem Typus des Strafens, der mit der Strafe bestimmte Effekte anstrebt, wie etwa die Produktion nützlicher Individuen. In Bezug auf den Neoliberalismus heißt dies analog etwa, dass, für sich genommen, die Forderung an das Selbst, mobil zu sein, nicht irrationaler ist als die Anforderung, bei seinen Wurzeln zu bleiben; irrational wird diese Forderung erst im Verhältnis zu einem Typus an Selbsttechnologien, die mit dem Selbst bestimmte Effekte anstreben (Verwertbarkeit als Produktivkraft vs. Verankerung in einem festen Gesellschaftstableau). So verstanden gilt es nicht, die Praktiken an einer gegebenen Rationalität zu messen, sondern zu sehen, wie diese Formen der Rationalität sich in Praktiken niederschlagen, und welche Rolle sie in diesen spielen. (Vgl. ebd., S. 33) Die Produktion von Wahrheit Die Foucault und auch im Rahmen dieser Arbeit besonders interessierende Praktik ist die der Regierung über die Produktion von Wahrheit, also die Einrichtung von Bereichen, in denen die Praktik von wahr und falsch reguliert und als gültig bestimmt wird. Innerhalb dieser Logik geht es dabei aber nicht darum, »die Wahrheit zu ›entdecken‹, sondern vielmehr zu untersuchen, wie Wahrheit ›erfunden‹ wird«, das heißt wie sie innerhalb der gesellschaftlichen Beziehungen und des herrschenden Machtdiagramms produziert wird. (Lemke 1997, S. 331) Diese Annahme eines Systems der Veridiktion, in dem Dinge als wahr behauptet werden, die es vielleicht gar nicht sind (wie etwa bezüglich des Strafsystems o.Ä.), führt nicht zuletzt dazu, dass jede darauf aufbauende Untersuchung eine nicht unbedeutende politische Tragweite hat, und auf gegebenen Wahrheiten aufbauende Herrschaften zu diskreditieren imstande ist. (Vgl. Foucault 2004b, S. 62) Aber: Wenn, wie eben gezeigt, Wahrheit stets in Bezug zur Macht steht, stellt sich natürlich die Frage, was dann eine Wahrheit von einer anderen unterscheidet und ob nicht eine solche Position in einem theoretischen und politischen Relativismus enden muss, wo jede Wahrheit gleich viel oder gleich wenig gilt, weil Wahrheit allein auf

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sich selbst und die ihr eigenen Produktionsbedingungen verweist. Diese Schwierigkeiten markieren den kritischen Punkt der Genealogie, und Foucault ist sich, wie er selbst einräumt, erst vergleichsweise spät der Bedeutung ihrer Klärung und der Dimension des Problems bewusst geworden: »Mein Problem ist die Politik des Wahren. Ich habe lange gebraucht, um mir darüber klar zu werden« (Foucault 1978, S. 189). (Vgl. Lemke 1997, 331f.) Entsprechend verwundert es kaum, dass dieses Problem der Wahrheiten ein wesentlicher Kritikpunkt an Foucaults theoretischen Arbeiten war, siehe hierzu Abschnitt 2.3. Foucaults »Lösung« dieses Dilemmas ist, wie etwa auch Thomas Lemke betont, gerade das genealogische Vorgehen, sie besteht eben darin, historische Antworten auf die Frage nach der Wahrheit zu geben, indem man eine »Geschichte der Wahrheit« schreibt. Diese Geschichte der Wahrheit interessiert sich wie beschrieben weniger dafür, was die Dinge an sich sind, sondern fragt danach, wie sie für uns zu einem konkreten historischen Zeitpunkt existieren: Das »Ding an sich« ist immer schon ein »Ding für uns«. Eine solche Praktik sucht folglich nicht nach den »wirklichen« Ursprüngen und der »wirklichen« Geschichte, um diese mit den »falschen« Ideen oder Ideologien zu konfrontieren und der »wahren« Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen – was auch nicht möglich wäre, da die Wahrheit selbst Macht ist –, sondern Ziel ist »die Macht der Wahrheit von den Formen einer (sozialen, ökonomischen, kulturellen) Hegemonie zu befreien, innerhalb derer sie derzeit funktioniert.« (Foucault 1976/2002a, S. 152) Wichtig ist hier, dass die Wahrheit weder außerhalb der Macht noch ohne Macht ist: »Die Wahrheit ist von dieser Welt« (Foucault 1976/2002a, S. 149); sie wird in ihr von vielfältigen Zwängen hervorgebracht und hat in ihr geregelte Machtwirkungen inne. Jede Gesellschaft hat ihre Wahrheitsordnung, »ihre ›allgemeine Politik‹ der Wahrheit« (ebd.), d.h. Diskursarten, die sie annimmt und als wahr fungieren lässt, bzw. Mechanismen und Instanzen, durch die zwischen wahren und falschen Aussagen unterschieden werden kann und durch welche die einen und die anderen sanktioniert werden. Ganz konkret definiert Foucault die »politische Ökonomie« der Wahrheit durch fünf wichtige Merkmale (Foucault 1976/2002a, 150ff.): •



Die Wahrheit ist auf die Form des wissenschaftlichen Diskurses und die Institutionen, die diesen hervorbringen, hin ausgerichtet; sie unterliegt einem konstanten ökonomischen und politischen Anreiz, es gibt also einen Wahrheitsbedarf ebenso sehr für die ökonomische Produktion wie für die politische Macht;

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sie ist in diversen Formen Gegenstand einer immensen Verbreitung und Konsumtion, d.h. sie zirkuliert in weitreichenden Erziehungs- oder Informationsapparaten; sie wird unter der nicht ausschließlichen, aber dominanten Kontrolle durch einige große politische oder ökonomische Apparate (Universität, Armee, Schrift, Medien) hervorgebracht; und schließlich ist sie der Einsatz einer umfassenden politischen Auseinandersetzung und sozialen Konfrontation – der »ideologischen« Kämpfe.

Unter »Wahrheit« sind damit, um zusammenzufassen, alle geregelten Verfahren für die Produktion, die Zirkulation und das Funktionieren von Aussagen zu verstehen. Wahrheit ist also zirkulär mit Machtsystemen, die sie hervorbringen und unterhalten, und mit von ihr induzierten und sie weiterführenden Machtwirkungen verbunden – es gibt eine »›Ordnung‹ der Wahrheit« (ebd., S. 151). Diese Ordnung ist nicht einfach nur ideologisch oder überbauhaft; sie ist eine Bedingung z.B. für die Ausbildung und Entwicklung des Kapitalismus gewesen, funktioniert prinzipiell aber etwa auch in sozialistischen oder islamistischen Ländern. Insofern ist das Problem nicht, das »Bewusstsein« der Leute zu verändern, sondern die jeweilige politische, ökonomische und institutionelle Produktionsordnung der Wahrheit darzulegen. Es geht Foucault hier und in all seinen Arbeiten um den Bruch mit den herrschenden Wahrheiten und mit den Evidenzen der Moderne; es geht darum, die von Macht und Machtmechanismen flankierten Wahrheitsproduktionen aufzudecken. In diesem Sinne ist es wichtig, sich mit Foucault auch gegen den »klassischen« Ideologiebegriff zu wenden. Dessen hat man sich bedient, um »alles das, was verhindert, wahre Diskurse auszubilden« (Foucault 2004b, S. 59) zu erklären, d.h. die Irrtümer, Täuschungen und die falschen Denkvorstellungen und insbesondere natürlich die problematische Beziehung zwischen dem Bewusstsein und dem durch die Produktionsverhältnisse bestimmten Sein aufzuzeigen. Es geht hier also um die Ökonomie des Nicht-Wahren, wohingegen es Foucault, ganz gleich, ob er sich mit dem Markt, der Psychiatrie oder dem Gefängnis befasste, um die Politik des Wahren geht, die er aus den unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtete. (Vgl. ebd. und Foucault 1977/2002e) Sein Ziel ist dabei eine politische Kritik der Erkenntnis, nicht nur um so »die Anmaßung der Macht zu vertreiben, die in jeder behaupteten Wahrheit steckt«, sondern vielmehr um »die Bedingungen sichtbar zu machen, die erfüllt sein mussten, damit man über den Wahnsinn – aber dasselbe gilt für die Delinquenz und für die Sexualität – sprechen, Diskurse halten kann, die wahr oder falsch sein können, und zwar nach den Regeln der Medizin oder der Beichte oder der Psychologie.« (Foucault 2004b, S. 61) Es geht um das Aufdecken des Systems der Wahrheit, das es ermöglicht hat,

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etwas als wahr zu behaupten, das es aber vielleicht gar nicht ist: Es gilt, »das Wissen über die Vergangenheit für die Erfahrung und die Praxis der Gegenwart in Anschlag zu bringen«. (Foucault 2004b, S. 187) 2.2.2 Stilistische Besonderheiten Insofern Genealogen wie Foucault natürlich immer auch selbst in dem gegebenen System der Wahrheit »gefangen« sind, muss auch Foucault selbst einräumen, dass alles, was er schreibt, nur »Fiktion« ist – »dass es etwas anderes wäre, davon kann gar keine Rede sein.« (Foucault 1980/2002b, S. 55) Insofern gehe es in seinen Büchern auch weniger um die Darlegung einer anderen, »richtigeren« Wahrheit, als um die Eröffnung einer Erfahrung, mit dem Ziel, dass Autor wie Leser zu dem untersuchten Gegenstand in neue Beziehungen treten, ein neues Verhältnis ihm gegenüber einnehmen können: »Damit man, vermittelt über das Buch, eine solche Erfahrung machen kann, muss das, was darin gesagt wird, natürlich im Sinne akademischer Wahrheit wahr sein, das heißt historisch verifizierbar. [. . . ] Trotzdem liegt das Wesentliche nicht in der Serie solcher wahren oder historisch verifizierbaren Feststellungen, sondern eher in der Erfahrung, die das Buch zu machen gestattet. Nun ist diese Erfahrung jedoch weder wahr noch falsch. Eine Erfahrung ist immer eine Fiktion, etwas Selbstfabriziertes, das es vorher nicht gab und das es dann plötzlich gibt. Darin liegt das schwierige Verhältnis zur Wahrheit, die Weise, in der sie in eine Erfahrung eingeschlossen ist, die mit ihr nicht verbunden ist und sie bis zu einem gewissen Punkt zerstört.« (Ebd., S. 56f.)

Die Erfahrung, die es gestattet, bestimmte Mechanismen zu verstehen, und die Weise, die es erlaubt, uns von diesen zu lösen, indem wir sie mit anderen Augen wahrnehmen, gehören somit zusammen – und sind der Kern Foucaults Unternehmens. Dabei geht es jedoch nicht darum, persönliche Erfahrungen an den Anfang zu setzen und in Wissen zu übertragen, sondern die Erfahrung muss gewissermaßen objektivierbar und transformierbar sein, so dass sie auch anderen zugänglich ist und auch von anderen gemacht werden kann. (Vgl. ebd., S. 58) Damit diese objektivier- und transformierbare Erfahrung möglich wird, ist eine ganz spezifische Erscheinungsform der genealogischen Texte erforderlich, ohne welche die in den Texten enthaltenen Enthüllungen von Macht- und Konstruktionsprozessen nicht effektiv würden. Daher entspricht das genealogische Vorgehen auch nicht unbedingt dem klassischer Formen philosophischer, soziologischer, historischer usw. Texte und hat eher Ähnlichkeiten mit stilistisch und methodisch untypischen

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Werken, wie etwa mit der Dialektik der Aufklärung oder den Werken Walter Benjamins. Auch Foucault selbst bemerkt, dass es von ihm heißt, er schreibe »manieriert«, »mit einer ein wenig überdrehten, ein wenig preziösen, ein wenig barocken Feder« (Foucault 1975/2002b, S. 979). Er bestreitet auch nicht, dass er so schreiben möchte, »dass die Leute beim Lesen eine Art physischer Lust empfinden«, und dies für ihn eine Art »Höflichkeit« gegenüber den Lesern darstellt.7 (Foucault 1975/2002b, S. 979) Aber es ist mehr als bloßer Manierismus: Der Schritt, den Genealogien von der Theorie hin zur Kritik und zur praktischen Wirksamkeit vollziehen, ist, so Saar, eine Eigenschaft der Texte und damit irreduzibel rhetorisch: Erst die Konfrontation mit dem genealogischen Text und das Erfahren der dort beschriebenen Geschichte unserer Grenzen und Begrenztheiten führt dazu, dass die genelaogische Methode funktionieren und wirken kann. Somit kann, so Saar weiter, das Lesen des genealogischen Textes auch nicht übersprungen werden und eine Zusammenfassung oder Kürzung auf die Thesen würde dessen Wirksamkeit mindern. Denn Genealogien liefern nur sehr bedingt objektivierbare Fakten, die dann zusammengefasst übernommen werden könnten, um darauf aufbauend klare Handlungsregeln anzugeben. Genauso wenig können Genealogien aber darauf reduziert werden, als Weg der Selbsterfahrung oder wie ein Roman dem Nervenkitzel zu dienen. Denn der Anspruch von Genealogien ist alles andere als folgenlos und harmlos, greifen sie doch das Subjekt frontal an, unterminieren dessen Selbstverständnis und stellen scheinbar naturgegebene Universalitäten infrage, indem sie sie als Ergebnisse von Kämpfen darstellen und so deren

7 | Nicht zuletzt vor einem solchen Hintergrund einer »Höflichkeit« gegenüber den Lesern wird in der vorliegenden Arbeit auf eine geschlechtsneutrale Sprache verzichtet. Denn bei konsequenter Sichtbarmachung des Geschlechts wird ein längerer Text sehr schwer lesbar (selbst wenn man es nicht so weit treibt, »erfinderisch« durch erfinderInisch zu ersetzen); der ergänzende verstärkte Rückgriff auf substantivierte Partizipien (z.B. Arbeitende) verbietet sich zudem aufgrund der damit einhergehenden semantischen Bedeutungsverschiebung von einem Status zu einer aktuell ausgeübten Tätigkeit. Darüber hinaus soll aber auch vermieden werden, dass durch die fortgesetzte Betonung des eigentlich Selbstverständlichen, der Mehrgeschlechtlichkeit, der Aspekt des Geschlechtlichen in den Vordergrund tritt und von der intendierten Kernaussage und konkreten Darstellungsweise ablenkt, wodurch nicht zuletzt auch die Relevanz von Geschlecht als soziale Kategorisierung nur weiter vorangetrieben wird. Es scheint, als würden andere, möglicherweise machttechnologisch bedeutsamere mit Geschlechtlichkeit verbundene Problematiken, wie etwa ungleiche Bezahlung und ungleiche Teilhabe überlagert durch die Fokussierung auf Sprache. Insofern wäre es ein interessanter Forschungsgegenstand, Genderisierung aus einer dezidiert machttechnologischen Perspektive zu beleuchten.

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Gewordenheit geradezu erbarmungslos offenlegen. (Vgl. Saar 2007, S. 130f., 174, 335f.) Der rhetorische Charakter genealogischer Narrative So wird bei Foucault das Gegenwärtig-Geltende nicht in frontaler Kritik infrage gestellt, sondern »[. . . ] in peniblen Beschreibungen vergangener Zustände, vergangener mehr oder weniger äquivalenter Alternativen zum Gegenwärtigen. Diese werden als Ausschnitte, Urszenen und hypothetische Verläufe erzählt und sind Beschreibungen von funktionalen Zusammenhängen synchronischer Art.« (Lemke, Seitter und Schneider 2005, S. 75) Ihre kritische Kraft beziehen Genealogien dabei sehr wohl aus der Dramatisierung und Zuspitzung in der Beschreibung von Machtwirkungen, wozu auch gehört, dass sich der Blick nur auf bestimmte Ausschnitte richtet, einseitig das Negative betont und etwaige positive Aspekte ausgeblendet werden.8 So räumt Foucault auch ein, dass seine Argumente und Aussagen aus historischer Sicht zuweilen »als voreingenommen und übertrieben« eingeschätzt werden können (Foucault 1979/2002, S. 1004). Aber Foucault wie Genealogen allgemein tun dies, »um einen Kampf zu inszenieren, wo der Schleier des absoluten Friedens herrscht«. (Lemke 1997, S. 316) Denn die genealogische Überzeugung, dass alle sozialen Errungenschaften ihren Preis haben und die Geschichte die Geschichte der Sieger ist, kommt gerade dann zur Geltung, wenn der Schein der Selbstverständlichkeit als Schein entlarvt werden kann. Foucaults Vorbild ist hier wohl, wie Petra Gehring (Gehring 2009) annimmt, der Schriftsteller Raymond Roussel, mit dessen »procede«, einem Verfahren, das auf der semantisch-phonetisch-syntaktischen Verfremdung des Texts beruht, sich Foucault sehr eingehend beschäftigt hat. Roussels sehr fremd wirkende Texte haben, wie Foucault zeigt, so viele semantische, phonetische und syntaktische Bezüge, dass diese quasi aus sich heraus Ordnungen stiften können. So nutzt Roussel (neben anderem) die verborgenen Synonyme oder Anklänge, die der normalsprachliche Gebrauch der Wörter in der Regel verdeckt, und es kommt, so Foucaults Deutung, gerade auf das beinahe Mechanische, das Zufällige an, das im Inneren der Sprache zirkuliert: »Die Lücken zwischen den Worten werden zur Quelle eines nie versiegenden Reichtums.« (Foucault 2009a, S. 11)

8 | Dies schließt nicht aus, dass es nicht auch das Bestehende legitimierende oder stabilisierende Genealogien geben kann, wie es etwa bei Charles Taylors und Hans-Georg Gadamers historischen Hermeneutiken zu sein scheint.

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Anders als Roussel oder auch Nietzsche, dessen Texte kaum weniger fremd und stilistisch ungewöhnlich wirken, setzt Foucault selbst das Mittel solcher hyperbolischer Pointen aber nur sehr dezent ein und fasst seine Texte in formale Wissenschaftlichkeit und sehr klassische Methoden der Beweisführung: Verweise auf Texte, Quellen, Autoritäten und die Herstellung von Bezügen zwischen Ideen und Tatsachen – allesamt Erklärungstypen oder Schemata, die ein Verständnis ermöglichen und die Aussagen nachprüfbar machen. Der rhetorische und spekulative Charakter zeigt sich erst auf den zweiten Blick, und jeder, der Foucault gelesen hat, kennt diese – häufig als manipulativ kritisierte – Wirkung. (Vgl. Saar 2003, S. 173) Im Vergleich zu Nietzsche »verwebt« Foucault diese stilistischen Techniken jedoch mit seinen historischen Darlegungen und seinen Thesen. Dadurch wirken Foucaults Texte weit weniger polemisch und stilistisch überbordend als Nietzsches Schriften. An deren Stelle nutzt Foucault eine klassische gelehrte Sprache, in der »sich allerdings die explosive Botschaft umso kraftvoller entfaltet« (Saar 2007, S. 308). Das rhetorisch-narrative Instrumentarium Foucaults Darstellungen umfasst, wie Saar auflistet (ebd., S. 174f.), verschiedene rein stilistische und einige inhaltliche Merkmale, die nicht in allen Fällen nebeneinander auftreten müssen: die Dramatisierung und Zuspitzung, die Übertreibung; die Konstruktion relativ geradliniger deutbarer historischer Linien in Verbindung mit der gleichzeitigen Betonung von Nebenlinien und Abweichungen; kontrastive Typologisierungen; der Bezug auf paradigmatische, künstlich zugespitzte Momente und Ereignisse.9 In diesem Sinne spricht Foucault auch von einem Labyrinth, »wo ich umherirre, meine Worte verlagere, ihm ein Souterrain öffne, es fern von ihm selbst einstürze, an ihm Vorragungen finde, die seine Bahn zusammenfassen und deformieren«. (Senellart 2004, S. 469) Garry Gutting hat als weiteres Merkmal der besonderen Stilistik Foucaults die Synthese von »Spezifizität« und »Marginalität« genannt (Gutting 1996; vgl. a. Honneth 2003b). Unter »Spezifizität« versteht Gutting die Besonderheit Foucaults, bei all seinen Werken eine je besondere Sprache und Methodologie zu verwenden, die nur

9 | Die einschlägigen Beispiele hierfür sind die Beschreibungen des Narrenschiffs am Anfang von Wahnsinn und Gesellschaft oder des Panoptikons in Überwachen und Strafen. Ähnliche Konstruktionen finden sich aber auch bei anderen Autoren, wie z.B. Deleuze und Guattari 1980/2010 oder Hardt und Negri 2000/2002, aber auch bei Rousseaus Zweiter Discours und Marx’ Achtzehnter Brumaire, und nicht zuletzt natürlich bei Nietzsche, für den geradezu prototypisch gilt, dass sich seine »Wahrheit« nicht in dem erschöpft, was er schreibt, sondern sich sein »›Wahrheitseffekt‹ [. . . ] erst im Aufeinandertreffen einer bestimmten historischen Hypothese mit einem drastischen und dramatisierenden Darstellungsmodus [ergibt].« (Saar 2007, S. 174)

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auf die gerade untersuchte Disziplin bzw. den gerade behandelten Untersuchungsgegenstand zugeschnitten ist. Auch wenn die verschiedenen Studien jeweils dem übergreifenden Ziel dienen, zu den etablierten Diskursen eine Alternative aufzuzeigen, so unterscheiden sie sich in Duktus, Begrifflichkeit und Methode doch deutlich, da sie stets in der Spezifik der jeweiligen Disziplin verankert sind. Entsprechend hat Foucault in kaum einem seiner Bücher auf eigene Studien zurückverwiesen, und wenn, dann vor allem, um in Abgrenzung zum Früheren eine neue Methode anzukündigen. Als Ergänzung zu dieser »Spezifizität« bestimmt Gutting die »Marginalität« der Schriften Foucaults, also den »ethnologischen« Blick Foucaults, der das Thema – bei aller Zugeschnittenheit auf die jeweilige Disziplin – aus der Außenperspektive angeht. Denn auch wenn die Untersuchungen Foucaults ihrer ganzen Anlage nach jeweils auf die Spezifik einer bestimmten Disziplin zugeschnitten sind, sind sie doch von deren internen wissenschaftlichen Gepflogenheiten weit entfernt; Foucault scheint vielmehr darum bemüht zu sein, von den Rändern der jeweiligen Disziplin aus auch jene impliziten Voraussetzungen freizulegen, durch die dessen Identität als wissenschaftliche Disziplin gesichert ist, und so auch die disziplinäre Wissensformation selbst gleich mit zu diskreditieren. Foucault entzaubert so letztlich den paradigmenbildende Kern der jeweiligen Disziplin und nimmt diesem jenen konstitutiven Evidenzcharakter, den die Paradigmen aus der Innenperspektive wie selbstverständlich zu besitzen scheinen. Foucault bezeichnet sich diesbezüglich selbst als »Krebs«, der sich seitwärts bewegt, (Foucault 2004b, S. 116) als »blinder Empirist«, der sich »vorantastet«, von Buch zu Buch »stolpert« und »nach besten Kräften Instrumente [fabriziert], die Objekte sichtbar machen« sollen. (Foucault 1977/2002c, 521f.) An anderer Stelle schreibt Foucault in diesem Sinn: »Ich bin ein Experimentator und kein Theoretiker« (Foucault 1980/2002b, S. 52) – Theoretiker verstanden als jemand, der ein allgemeines (deduktives oder analytisches) System errichtet, und dieses stets in der gleichen Weise auf unterschiedliche Bereiche anwendet: »Ich bin ein Experimentator in dem Sinne, dass ich schreibe, um mich selbst zu verändern und nicht mehr dasselbe zu denken wie zuvor.« (Ebd.) Insofern ist jedes Buch Foucaults »eine Weise, einen Gegenstand zu konturieren und eine Methode zu seiner Analyse zu erfinden« (ebd., S. 53). Ist dies erledigt, kann Foucault gewissermaßen im Rückblick auf die beim Schreiben gemachten Erfahrungen, auf die während seiner Forschungsarbeit »selbst geschaffenen Instrumente« (Foucault 1977/2002c, S. 521) eine methodologische Reflexion entwickeln, welche die Methode herausarbeitet, »der das Buch hätte folgen sollen« (Foucault 1980/2002b, S. 53). Dem entspricht, dass Foucault mehr oder weniger im Wechsel »explorative« Bücher und »methodologische« Bücher schreibt und methodologische Reflexionen insbesondere auch in Artikeln und Interviews vor-

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nimmt – als »Baugerüste, die als Übergang dienen zwischen einer Arbeit, die ich gerade abgeschlossen habe, und einer weiteren« (ebd.). Diese Kombination aus Marginalisierung und Spezifität unterliegt m.E. demselben Ziel der Distanzierung, die noch durch den Umstand gesteigert wird, dass sich die Wirkung seiner Schriften auf genau derselben Ebene vollzogen zu haben scheint, auf die er in seiner Diskursanalyse die Wahrnehmung gelenkt hatte: nicht in den großen öffentlichen Auseinandersetzungen oder den akademischen Debatten, sondern in diversen informellen Lesezirkeln, autonomen Tutorien und randständigen Publikationen, Interviews und kleinen Schriften: Von den Rändern aus verbreitet Foucault seine Ergebnisse und Gedanken – gerade so wie auch er genau auf diese Ränder den Blick richtet: Die Probleme, die Foucault in der Regel formulierte, betrafen stets begrenzte und spezielle Fragen – den Wahnsinn und die psychiatrischen Institutionen oder auch die Gefängnisse. Seine Untersuchungen bilden letztlich kein zusammenhängendes oder kontinuierliches Ganzes, sondern waren, so Foucault selbst, »bruchstückhafte Untersuchungen«, die weder Abschluss noch Fortsetzung fanden. Grund hierfür ist, dass, so Foucault selbst, keiner der vorliegenden großen Diskurse über die Gesellschaft überzeugend genug sei, »dass man ihm vertrauen könnte«. (Foucault 1980/2002b, S. 104) So verwundert es natürlich nicht, dass der Verdacht und mit diesem die Kritik aufkam, Foucault hätte gar keine Methode, sondern laviere sich geschickt durch den Wissenschaftsbetrieb. Dass dieser Vorwurf nicht nur nicht berechtigt, sondern dieses Vorgehen sogar selbst Teil der Methode ist, soll im folgenden Abschnitt näher beleuchtet werden. Hat Foucault eine Methode? Es galt lange als Gemeinplatz, die Frage »Hat Foucault eine Methode?« zu verneinen.10 Als Begründung wird hierzu v.a. ein Gespräch angeführt, in welchem Foucault sagt, er habe »keine Methode«. An der fraglichen Stelle heißt es jedoch vollständig: »Ich habe keine Methode, die ich unterschiedslos auf verschiedene Bereiche anwendete.« (Foucault 1977/2002c, S. 521) Unabhängig von der Stichhaltigkeit einer solchen Selbstzuschreibung, so gibt es doch, wie eben dargelegt, bedeutsame werkübergreifende Instrumente und Vorgehensweisen, die eine spezifische Methodik zumindest sehr nahe legen. Dennoch fällt in Foucaults Werk eine Art »Verweigerungshaltung« (Gehring 2009, S. 377) bzgl. methodischer Explikation auf. Solche

10 | So etwa Christoph Henkes Beschreibung Foucaults als: »eines streitbaren und zutiefst widersprüchlichen Denkers, der sich und seine Position mit jedem Buch immer wieder neu definierte, seine vorangegangenen Studien mit jeder neuen tendenziell revidierte« (Henke 2005, S. 243; vgl. a. Gehring 2009, S. 376).

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Erklärungen nimmt Foucault im Wesentlichen bruchstückhaft in Interviews und kleineren Essays vor. Selbst das auf den Diskurs fokussierte »Methodenbuch« der Archäologie des Wissens hilft nicht wirklich weiter – zum einen aufgrund dessen interner Selbstbeschränkung, zum anderen im Hinblick auf die mit den späteren Arbeiten sich erweiternden Gegenstandsfelder. Folgt man Descartes, so sind Methoden Ergebnis der Vernunft: sie sind theoretisch ableitbare Vorschriften und klar darlegbare Regelsysteme. Damit stellen sie die wissenschaftliche Übertragbarkeit von Wahrheiten und die Lehr- und Lernbarkeit des Weges zu deren Aufdeckung sicher. Foucault jedoch richtet seinen Blick diesseits solcher Wahrheiten auf Singuläres und Relatives – auf kontingente Ordnungen – und fällt so aus dem Cartesischen Methodenverständnis heraus. (Vgl. ebd., S. 380f.) Dabei zeichnen sich Foucaults Arbeiten in hohem Maße durch Stringenz und Ordnung aus (was nicht zuletzt dazu beitrug, ihm den Vorwurf des Strukturalismus einzubringen) und sind gekennzeichnet durch gründliche begriffliche Klärungsarbeit und sorgfältige Zergliederung und Strukturierung des Materials. Von daher erscheint das sogenannte Methodenproblem eher eines der fehlenden Orthodoxie als eines der fehlenden Ordnung zu sein. »Der Leser spürt ein methodisches Vorgehen, aber er kennt es nicht.« (Ebd., S. 377) Entsprechend lehnt Foucault auch das Wort »Lehre« ab, denn Lehren fänden sich bei systematischen Büchern, die einer verallgemeinerbaren Methode folgen oder den Beweis einer Theorie liefern würden. Foucaults Bücher sind dagegen »eher Einladungen, öffentliche Gesten.« (Foucault 1980/2002b, S. 58) Dieses a-methodische Vorgehen entspricht im Prinzip einer historischen Phänomenologie: Man enthält sich radikal eines Urteils und fängt gewissermaßen »von vorn« an; ergeben sich dann Spuren bestimmter Eigenheiten oder Gemeinsamkeiten, so sind diese Figuren zu rechtfertigen, »nicht mehr aber der Grund, vor dem sie sich abheben«. Was fehlt, sind Hinweise, wie man aus dem allumfassenden »Gemurmel« (Foucault 1967/2002, S. 764) diese Spuren findet; Foucault gibt keine Auskünfte zum Vorgehen, wie etwa zur Themenwahl, zu Recherche und Auswahl der Literatur, zur Lesetechnik, der Hypothesenbildung, dem Vorgehen der Distanzierung, der Art der Gruppierung von Aussagen, zur Mustererkennung o.Ä. Am ehesten finden sich noch, wie erwähnt, in Paratexten und Gesprächen theoretische und schreibstrategische Anleitungen Foucaults, was ebenfalls den Eindruck einer Verweigerungshaltung verstärkt: »Der Kontrast zwischen der Imposanz der Texte und vorenthaltenem Herstellungswissen sorgt für Unmut.« (Gehring 2009, S. 380) Dabei ist aber ein Aspekt eminent wichtig: Wie schon in der Einleitung betont, gilt, wer mit Foucault arbeiten will, darf nicht bloß »irgendwie« Gefühltes nachahmen, damit würde man die eindeutig vorhandene Wissenschaftlichkeit seiner Texte missachten: Exakte Datierung, die erschöpfende Berücksichtigung aller Kontexte und

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ein umfassender Überblick über die Literatur sowie breite Theoriekenntnisse in allen relevanten Feldern zeichnen Foucault aus und sind Voraussetzung für die Aneignung seiner Methode.11 Das Erfüllen der Grundvoraussetzung eines genealogischen Vorgehens, nämlich keine privilegierte Auswahl zu treffen, bedeutet im Klartext, wie Foucault in einem Gespräch von 1966 verdeutlicht: »Man muss alles lesen, alle Institutionen und Praktiken kennen.« Auf die erstaunte Nachfrage, wie man mit einer solchen Informationsmasse umgehen solle, erläutert Foucault: (Gehring 2009, S. 383ff.) »Man kann durchaus alle Grammatiker lesen oder alle Ökonomen. Für Naissance de la clinique habe ich für die Zeit von 1780 bis 1820 alle medizinischen Arbeiten gelesen, die in methodischer Hinsicht Bedeutung besaßen. Man wird wahrscheinlich uneingestanden eine Wahl treffen. Aber eigentlich dürfte es keine Auswahl geben. Man müsste alles lesen, alles studieren. Anders gesagt, man müsste über das gesamte allgemeine Archiv einer Zeit zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügen.«12

Foucaults Vorgehen ist aber natürlich kein bloßer Empirismus: Es geht lediglich darum, dieses gewaltige, aber stets auch lokale, diskontinuierliche, nicht legitimierte Wissen einer einheitlichen theoretischen »Instanz« (also einer im Namen einer »wahren« Wissenschaftlichkeit stehenden Wissenschaft) entgegenzustellen. Foucaults Genealogie ist somit keine positivistische Rückkehr zu einer »besseren« Wissenschaft, sondern »Antiwissenschaft«. Als solche fordert sie nicht das etwa auf einer vom Wissen noch nicht vereinnahmten Erfahrung aufbauende »lyrische Recht auf Unwissenheit und Nicht-Wissen« ein und ist auch keine schlichte Verweigerung des Wissens. (Foucault 1977/2002g, S. 219) Vielmehr handelt es sich dabei um »[. . . ] den Aufstand des Wissens, nicht so sehr gegen die Inhalte, die Methoden oder die Begriffe einer Wissenschaft, sondern um einen Aufstand zunächst einmal und vor allem gegen die

11 | Natürlich ist, wie auch Foucault in Das Leben der infamen Menschen nachgezeichnet hat, klar, dass nicht zuletzt das Überlieferte nur im Pakt mit der Macht überliefert werden konnte. Denn zu jeder Zeit ist nur weniges gesagt worden, nur weniges sagbar, und nur weniges wird überliefert. (Foucault 1977/2002b; vgl. Gehring 2009, 385f.) 12 | Foucault 1966/2002, S. 646; in diesem Sinn ist auch seine Forderung zu verstehen, »anonym zu werden«; Ziel Foucaults ist es, ein Teil dieses »Gemurmels« zu werden, um es dadurch »von innen heraus« zu beeinflussen: »Früher bestand das Problem für den Schreibenden darin, mit der Anonymität aller fertig zu werden; heute geht es darum, den eigenen Namen auszulöschen und seine Stimme in das große Gemurmel der namenlosen Diskurse einzubringen, die sich selbst halten.« (Foucault 1967/2002, S. 764)

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zentralisierenden Machteffekte, die mit der Institution und dem Funktionieren eines innerhalb einer Gesellschaft wie der unseren organisierten wissenschaftlichen Diskurses verbunden sind. [. . . ] Genau gegen die einem als wissenschaftlich angesehenen Diskurs eigenen Machteffekte muss die Genealogie den Kampf führen.« (Ebd., S. 220)

Die Genealogie muss, wie es an anderer Stelle heißt, die Ereignisse in ihrer Einzigartigkeit und jenseits aller gleich bleibenden Finalität erfassen, sie »dort aufsuchen, wo man sie am wenigsten erwartet«, und folglich in Bereichen, die keinerlei geschichtliche Relevanz zu besitzen scheinen. (Und sie muss sogar die Lücke aufspüren oder den Zeitpunkt, zu dem etwas nicht geschah.) Die Genealogie benötigt – im Bewusstsein, dass die durch sie sichtbar werden sollenden Objekte falsch sind, wenn die Instrumente, die Methode, falsch ist – präzises Wissen, eine Fülle angesammelten Materials und Geduld. Ihre »Zyklopen-Bauten« (Nietzsche 1887, §7) darf sie nicht aus den großen »beglückenden Irrtümern« errichten, sondern aus »kleinen unscheinbaren Wahrheiten, welche mit strenger Methode gefunden wurden«. (Nietzsche 1887, §5) Sie verlangt eine gewisse Besessenheit in der Gelehrsamkeit: »Die Genealogie ist grau.« (Foucault 1971/2002, S. 166) 2.2.3 Die »Adressierung« der Texte Seine Effektivität, seinen Dringlichkeitscharakter erhält der genealogische Text neben den stilistischen Besonderheiten, so Saar, erst durch ein zweites, wesentlich formales und die eben dargelegte besondere Darstellungsweise ergänzendes Charakteristikum: seine Gerichtetheit oder »Adressierung«:13 Genealogische Arbeiten richten sich an eine Leserschaft, die sich in einem verfremdenden Sinn wiedererkennen soll, weil es um die eigenen Belange geht und der Leser sich als Subjekt und Objekt der beschriebenen Subjektivierungsprozesse erkennt. (Vgl. Saar 2003, S. 175f.) Bedeutsam ist diese Adressierung nicht zuletzt dadurch, dass der genealogische Text, insofern er sich an das Selbst, dem von seinen Genesen erzählt werden soll, direkt wendet, zugleich ein Selbst als Leser voraussetzt. Für ein solches Selbst ist die in den Genealogien erzählte Geschichte der eigenen Subjektivität aber nie einfach nur eine gewesene Vergangenheit, sondern immer auch eine auch für die Gegenwart relevante Geschichte, die auch gegenwärtige Identifikationen in Frage stellt: »Das Objekt der genealogischen Erzählung wird so zum Subjekt, an das die genealogische Provokation gerichtet ist; das Selbst wird zugleich als Objekt der Macht und als Subjekt einer existenziellen Stellungnahme angesprochen.« (Ebd., S. 319) Der Leser ist also

13 | Zur Frage der Adressierung vgl. neben Saar 2003, S. 175f. v.a. auch Derrida 1991, 7f.

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immer auch selbst schon Teil dessen, was kritisiert wird, und eine erfolgreiche genealogische Kritik kann auch diesen Leser nicht unberührt lassen, so wie umgekehrt aber auch nur für ein Selbst das Aufzeigen seines Verfangenseins im Machtnetz ein kritisches Argument ist und Effekte jenseits der Feststellung oder Proklamation einer Wahrheit erzielt. Foucault hat also sehr konkret ein Subjekt vor Augen, das nicht nur den Zwängen unterworfen ist, sondern auch Freiheitsräume besitzt! (Vgl. ebd., S. 319ff.) Nur bei einem Selbst, das mehr ist als ein subjectum, als ein der Macht gänzlich Unterworfenes, wirken Foucaults wie Nietzsches genealogische Schriften; nur bei diesen können die an sie selbst gerichteten Geschichten der Genese von Selbstverständnissen und der Konstruktion von Selbstverhältnissen Zweifel an der Notwendigkeit ihres So-Seins auslösen oder verstärken und ein Anders-Sein denkbar machen: Die Beschreibung der Entstehung ihrer Identität aus der Kontingenz der Macht offenbart ihnen auch die Kontingenz ihres So-Seins und vermag so den Wunsch zur Selbsttransformation zu wecken, »weil ihnen ihre eigene Gewordenheit zum Skandal wird.« (Saar 2003, S. 177) Die Genealogie richtet sich also an denjenigen, dessen Konstitution genau darin besteht, so konstituiert zu sein, wie es die Genealogien zeigen und wie sie es ihm als kontingent und transformierbar vorhalten. Sie richten sich also an ihn als einen potentiell anderen, d.h. einen, der anders sein kann, als er jetzt, aufgrund der gegebenen Machtkonstellation, ist. (Vgl. ebd., S. 329f.) Tatsächlich stellt wohl jeder nach der ersten Lektüre eines von Foucaults Texten einen Effekt fest, der in einer Gesprächsrunde 1978 als »anästhesierend« (Foucault 1980/2002a, S. 38) beschrieben wurde; Foucaults Logik weist eine Unerbittlichkeit auf, der man sich nur schwerlich entziehen kann; eine revolutionäre Umkehrung scheint daher mit Foucault kaum mehr denkbar. Und auch Foucault selbst gesteht ein, nicht in der Lage zu sein, die »Umkehrung der gesamten gegenwärtigen Kultur« leisten zu können; sein Projekt bestehe vielmehr darin, »[. . . ] auf eine bestimmte Weise dazu beizutragen, dass sich gewisse »Evidenzen« oder »Gemeinplätze« in Bezug auf den Wahnsinn, die Normalität, die Krankheit, die Straffälligkeit und die Bestrafung zersetzen [. . . ], dazu beitragen, dass sich in der Art und Weise, wahrzunehmen und zu handeln, mitzumachen bei der schwierigen Verschiebung der Formen der Wahrnehmung und der Schwellen der Toleranz usw. bestimmte Dinge ändern.« (Ebd., S. 38f.) Entsprechend finden sich bei Foucault keine Ratschläge oder Vorschriften, die erklären, was zu tun ist. Ihm geht es dagegen in gewisser Weise darum »zu erreichen, dass die Leser ›nicht mehr wissen, was sie tun sollen‹« (ebd., S. 40): »Die Kritik hat nicht die Prämisse eines Denkens zu sein, das abschließend erklärt: Und das gilt es jetzt zu tun. Sie muss ein Instrument sein für diejenigen, die kämpfen, Widerstand leisten

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und das, was ist, nicht mehr wollen. Sie muss in Prozessen des Konflikts, der Konfrontation, des Widerstandsversuchs gebraucht werden. Sie darf nicht das Gesetz des Gesetzes sein. Sie ist keine Etappe in einer Programmierung. Sie ist eine Herausforderung für das, was ist. [. . . ] Denn das Problem ist das des Subjekts der Handlung – der Handlung, durch die das Wirkliche verändert wird.« (Ebd., S. 41)

Aber genauso wenig ist es Foucaults Ziel zu sagen, so sind die Dinge, und wir alle sitzen »in der Falle«. Im Gegenteil: »ich meine, dass das, was ich sage, geeignet ist, die Dinge zu ändern. Ich sage alles, was ich sage, damit es nützt.« (Foucault 1980/2002b, S. 116) Denn die Genealogie ist eben ein Instrument der Kritik für Zeiten, in denen zwar Institutionen, Praktiken, Diskurse usw. in einem gewaltigen (und ausufernden) Maße kritisierbar geworden sind, jenseits dieser »offenen« und offensichtlichen Kritiken aber ist Kritik, etwa wie sie den umfassenden Theorien der Ideologie eigen ist, oder die auf tiefer gehende Subjektivierungen abzielt, nicht mehr möglich: »jede Wiederaufnahme von Termini einer Totalität [hat] de facto einen Bremseffekt herbeigeführt.« (Foucault 1977/2002g, S. 216) Genau hier setzt die Kritikform der Genealogie an, als ein Werkzeug, das überhaupt erst die Verwobenheit des Selbst mit der Macht sichtbar und benennbar macht. Sie kann so einen Prozess anstoßen, der nie notwendig, aber immer möglicherweise zur Transformation von individuellen Haltungen und Vollzügen und, darauf folgend, zur Transformation von kollektiven Gefügen subjektivierender Praktiken und Institutionen führen kann. Die Erfahrungen, die das Lesen genealogischer Texte auslöst, und die Hypothesen, die in der genealogischen Geschichte und Theorie des Subjekts liegen, sind unverzichtbar für die Praxis der Kritik sozialer Arrangements und Selbstformen heute. Denn nur so lassen sich komplexe Phänomene der Verwobenheit von Macht und Selbst aufspüren, die nicht von anderen Kritikverfahren übersehen werden. (Vgl. Saar 2007, S. 15ff.) Daher erscheint die Genealogie auch gerade für eine Rationalität wie den Neoliberalismus, der anscheinend jede Kritik produktiv zu wenden weiß, als passende Methode der Kritik. Angesichts dessen verwundert es auch nicht, dass Foucault keine konkreten Lösungen für die von ihm formulierten Probleme aufbietet. Foucault sieht sich wie die Intellektuellen insgesamt auch nicht in der Rolle, Lösungen vorzuschlagen oder als Gesetzgeber aufzutreten, da dies nur dazu führte, die gegebene Machtsituation zu zementieren. Foucault strebt entsprechend danach, »Probleme zu formulieren, sie wirken zu lassen, sie in einer Komplexität darzustellen, welche die Propheten und die Gesetzgeber zum Schweigen bringt, all jene, die für die anderen und vor den anderen sprechen.« (Foucault 1980/2002a, S. 108) Denn erst, wenn man auch schwierige Punkte, Brüche und Rückschritte mit in Betracht zieht, kann die Komplexität des

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Problems und dessen Bedeutung und Zusammenhang mit dem Leben der Subjekte sichtbar werden: »Es geht darum, wenn nicht Lösungen zu finden, so doch Schritt für Schritt spürbare Modifikationen zu bewirken, zumindest die Gegebenheiten des Problems zu verändern.« (Ebd.) 2.2.4 Kritik als Ethos: Zwischen Aufklärung und negativer Aufklärung Das eben dargelegte Vorgehen ist aus Sicht der Genealogen das einzig mögliche, Kritik zu üben in einer Zeit, die nicht nur das Anwachsen der Fähigkeiten, sondern zugleich auch die Intensivierung der Machtbeziehungen mit sich gebracht hat. Foucault stellt dieses und sein Vorgehen explizit in die von Kant bis zur Frankfurter Schule reichende Tradition der Aufklärung, und bestimmt es dabei weniger als Theorie oder Lehre, sondern dezidiert als Haltung oder Ethos. Als zentral für diese Einordnung hat sich Foucaults Text Was ist Aufklärung? über Kants Antwort auf eben diese von der Berliner Monatsschrift gestellte Frage erwiesen, der zugleich als wichtige methodische Aussage Foucaults gewertet werden kann, die dessen Bezug zur Genealogie programmatisch herstellt, und der daher hier, gewissermaßen als Schlusspunkt zur Methode Foucaults, vorgestellt wird. Elementar an Kants Text ist für Foucault, dass im Gegensatz zu früheren Definitionen Kant die Gegenwart nicht mehr von einer (bspw. christlichen) Totalität oder einer zukünftigen Vollendung her zu definieren sucht, sondern als einen Ausgang – einen Ausgang im Sinne eines im Ablauf befindlichen Prozesses, aber auch im Sinne einer Aufgabe und Pflicht, nämlich sich aus dem Zustand der »Unmündigkeit« (also einem Willenszustand, aufgrund dessen wir in Bezug auf den Vernunftgebrauch jemand anderes Autorität akzeptieren) zu befreien. Damit kommt Kants Artikel in den Augen Foucaults eine wichtige Rolle als Verbindung der drei Kritiken zu, denn Kant beschreibt die Aufklärung als den Moment, in dem die Menschen sich nicht mehr nur einfach einer Autorität unterwerfen, sondern von ihrer eigenen Vernunft Gebrauch machen – und genau in diesem Moment ist dann auch die Kritik nötig, da sie die Bedingungen festlegt, wie die Vernunft rechtmäßig zu gebrauchen ist. Die Kritik wird damit, so Foucault, gewissermaßen zum »Logbuch der in der Aufklärung mündig gewordenen Vernunft«. (Foucault 1984/2002f, S. 694) Zugleich bilde dieser Text damit eine Art »Scharnier zwischen der kritischen Reflexion und der Reflexion über die Geschichte«, womit Kant als Erster »von innen heraus eine Verbindung zwischen der Bedeutung seines Werkes im Verhältnis zur Erkenntnis, einer Reflexion über die Geschichte und einer eigenständigen Analyse des einzigartigen Moments, in dem er schreibt und aufgrund dessen er schreibt, herstellt« (ebd.). Damit ist für Foucault die Moderne auch weniger eine geschichtliche Periode,

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sondern eher ein »Beziehungsmodus im Hinblick auf die Aktualität; eine freiwillige Wahl, die von einigen getroffen wird, und schließlich eine Art und Weise zu denken und zu fühlen, und auch eine Art und Weise zu handeln und sich zu verhalten, die zugleich eine Zugehörigkeit bezeichnet und sich als eine Aufgabe darstellt.« (Ebd., S. 695) Das gegenwärtige Sein wird in einem so verstandenen Beziehungsmodus zum »Notwendigen«, was natürlich nicht bedeutet, die Gegenwart zu überhöhen, um sie ewig fortzuführen, sondern schlicht, dass dieses Sein die einzig mögliche Form der Beziehung zur Gegenwart ist: »der Modus einer Beziehung, die man zu sich selbst herstellen muss«, d.h. der moderne Mensch ist nicht derjenige, der sein eigentliches Selbst und seine verborgene Wahrheit zu entdecken sucht, sondern derjenige, der sich selbst zu erfinden, »sich selbst auszuarbeiten« sucht (ebd., S. 698). Insofern gilt für eine Arbeit in der Tradition der Aufklärung nicht, einfach die Elemente einer Lehre anzuwenden, sondern vielmehr die »Reaktivierung einer Haltung [. . . ] das heißt eines philosophischen ethos« (ebd., S. 699) Dieses Ethos definiert eine bestimmte Art zu philosophieren, und zwar den Versuch, »die Analyse unserer selbst als geschichtlich zu einem gewissen Teil durch die Aufklärung bestimmter Wesen durchzuführen« (ebd.). Durch die Aufklärung ist folglich der »Modus eines reflexiven Verhältnisses zur Gegenwart« (ebd., S. 700) bestimmt: Man muss reflektieren, welcher Anteil an dem als universal, notwendig und obligatorisch Gegebenen singulär, kontingent und willkürlichen Zwängen geschuldet ist, um in der Folge die »Kritik in eine praktische Kritik in der Form möglicher Überschreitung umzuwandeln« (ebd., S. 702). Kritik wird also folglich nicht mehr in der »Suche nach formalen Strukturen von universalem Wert« praktiziert, sondern als historische Untersuchung der Ereignisse, durch die wir diese so handelnde und denkende Subjekte geworden sind. In diesem Sinne ist diese Kritik nicht transzendental und hat nicht zum Ziel, eine Metaphysik möglich zu machen: »Sie ist genealogisch in ihrer Finalität und archäologisch in ihrer Methode« (ebd.), d.h., sie leitet nicht aus der Form dessen, was wir sind, ab, was zu tun ist (denn dies ist unmöglich), sondern sie leitet aus der Kontingenz, die uns zu dem gemacht hat, was wir sind, die Möglichkeit ab, nicht mehr das zu sein, was wir sind, und nicht mehr so zu handeln wie wir handeln. Die Frage »Was ist Aufklärung?« ist für Foucault also, zusammengenommen, die Form, in der Kant die Frage nach seiner eigenen Gegenwart, nach dem aktuellen Feld der möglichen Erfahrungen stellte – keine Analytik der Wahrheit, sondern eine »Ontologie der Gegenwart, eine Ontologie unserer selbst«. (Foucault 1984/2002g, S. 848) Und diese Art Philosophie, verstanden als kritisches Denken, ist die, in der Foucault selbst zu arbeiten versuchte und in deren Tradition sich auch die hier vorliegende Arbeit versteht.

42 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

2.3 D IE

KRITISCHE

G ENEALOGIE

IN DER

R EZEPTION

In den letzten Jahren wurde in die Diskussion zu Möglichkeiten und Formen von Gesellschaftskritik vermehrt auch das Modell der »Genealogie« eingebracht und auf verschiedene Weise als Kritikverfahren fruchtbar zu machen versucht. Gemeinsamer Ausgangspunkt für diese Versuche ist dabei die Überzeugung, dass die herkömmlichen, normativ orientierten Ansätze zu kurz greifen, weil sie selbst bestimmten Voraussetzungen der von ihnen kritisierten Kultur zu sehr verhaftet bleiben, während das genealogische Verfahren besser in der Lage sei, sich vom kulturellen Horizont der Gegenwart insgesamt zu distanzieren, so dass die kontingente Gewordenheit der Aktualität erkennbar und damit auch hinterfragbar wird. (Vgl. Honneth 2003a, S. 118) Diese zunehmende Bezugnahme auf Foucault war aber von Anfang an auch von zum Teil massiver Kritik an Vorgehen und Inhalt Foucaults begleitet.14 Auf diverse Kritikpunkte wurde bereits in den vorangegangenen Abschnitten an passender Stelle hingewiesen. In den folgenden Abschnitten werden nun noch einmal die zentralen Argumente gegen Foucaults Vorgehen gebündelt präsentiert. 2.3.1 Normative Kritik von Fraser bis Habermas Die Debatte um Foucault wurde zunächst vor allem im anglo-amerikanischen Raum geführt, wobei hier an erster Stelle Nancy Fraser zu nennen ist, die Anfang der 1980er in einer Reihe von Aufsätzen auf das zentrale Paradox in Foucaults Arbeit hingewiesen hat: Einerseits sei Foucaults Machtanalyse, wie bereits die Begriffswahl (»Disziplinargesellschaft«, »Kerkerarchipel«, »Herrschaft«, »Unterwerfung«) zeige, ganz offensichtlich alles andere als neutral und nihilistisch; andererseits aber habe Foucault auf zentrale politische Fragen wie »Warum ist der Kampf der Unterwerfung vorzuziehen? Warum soll der Herrschaft Widerstand geleistet werden?« (Fraser 1994a, 82f.) keine Antwort. Eine theoretische Kritik aber könne, so Fraser, nur vor dem Hintergrund alternativer oder besserer Möglichkeiten politisch wirksam werden. So führe Foucaults Kritik etwa an der Bio-Macht in Verbindung mit der Abwesenheit jeder alternativen Vorstellung zu dem Widerspruch, dass Foucault die normativen politischen

14 | Die Frage nach den politischen Konsequenzen bzw. Ambivalenzen der Arbeit Foucaults ist vor allem im englisch- und deutschsprachigen Raum thematisiert worden (vgl. Lemke 1997, S. 13), so dass die französische, italienische, usw. Diskussion an dieser Stelle ignoriert werden kann. (Für eine ausführliche Diskussion der politisch-theoretischen Kritik an der Arbeit Foucaults s. Schäfer 1995, 103ff.)

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Urteile, die er dauernd fällt (also z.B. dass Disziplin »schlecht« sei), weder erklären noch rechtfertigen kann. (Ebd., vgl. a. Lemke 1997, S. 13ff.) In eine ähnliche Richtung zielt die Kritik Jürgen Habermas’, die er in zwei Kapiteln seines Buchs Der philosophische Diskurs der Moderne formulierte und die in der deutschen wie auch internationalen Rezeption Foucaults breiten Widerhall fand.15 Habermas rekonstruiert die intellektuelle Entwicklung Foucaults von dessen erstem Buch bis hin zur Geschichte der Sexualität und zeigt hierbei eine fehlende Selbstbezüglichkeit als sich durchziehendes Problem der theoretischen Arbeit Foucaults auf: Foucault denke »seine eigene genealogische Geschichtsschreibung nicht genealogisch« (Habermas 1985, S. 316). Habermas’ Argumentation baut hier insbesondere auf dem »performativen Widerspruch« (ebd.) Foucaults auf, auf der einen Seite die Humanwissenschaften einer Machtkritik zu unterziehen, auf der anderen Seite aber für die Genealogie selbst keine wissenschaftlichen Kriterien heranzuziehen. Foucaults Geschichtsschreibung wäre so weder in der Lage, den Horizont ihrer Ausgangssituation zu übersteigen, noch ihre normativen Grundlagen zu offenbaren. Damit bleibe das kritische Vorhaben Foucaults letztlich in einem »relativistischen Selbstdementi« (ebd., S. 330) stecken und resultiere in einem »heillosen Subjektivismus« (ebd., S. 324). Zudem bleibe völlig offen, warum wir überhaupt Widerstand leisten sollten, wenn doch ohnehin jede Macht immer nur neue Macht evoziert und jedes Gegen-Verhalten notwendigerweise innerhalb des gegebenen Horizonts der Macht verharre. (Vgl. Lemke 1997, S. 18f.) Habermas erkennt dabei, wie Lemke betont, ganz richtig, dass Foucault sich dieser Widersprüchlickeiten seiner theoretischen Ansätze durchaus bewusst ist: Er »sieht dieses Dilemma« bzw. »ist unbestechlich genug, um diese Inkonsequenzen einzugestehen« (Habermas 1985, S. 330, 325); Habermas hält Foucault daher auch weniger diese Widersprüche selbst vor, sondern vielmehr, dass Foucault darin verharre, was Foucault nicht nur theoretisch disqualifiziere, sondern dessen Kritik auch politisch gefährlich mache, da sie die Gegenwartskritik auf ästhetische statt auf rationale Kriterien zu gründen versuche und sich als ein »bekennende(r) Irrationalismus« (Habermas 1985, S. 327) mit reaktionären politischen Konsequenzen erweise. (Vgl. Lemke 1997, S. 19)

15 | Dotzler und Villinger (1986) weisen auf einige Fehlinterpretationen der Arbeit Foucaults durch Habermas in Der philosophische Diskurs der Moderne hin und bieten eine kritische Analyse seiner Argumentationsstrategie. (Vgl. Lemke 1997, S. 14f.)

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2.3.2 Poulantzas Kritik an Foucaults Widerstandskonzept Eine der wichtigsten Kritiken an Foucaults Widerstandskonzeption stammt von dem griechisch-französischen Philosophen Nicos Poulantzas. Er bemerkt, dass bei Foucault stets der Widerstand in die Machtbeziehungen eingefasst sei, diese also nicht transzendieren könne. Dadurch aber, so Poulantzas, bleibe der Widerstand immer auch negativ auf Macht bezogen und ist eher eine Reaktion als eine Aktion, wenn nicht sogar dynamisches Moment und »Katalysator« (Lemke 1997, S. 118) für die Verfeinerung und Verbesserung der Machtmechanismen: »Wenn Macht immer schon da ist, wenn jede Machtsituation in sich selbst begründet ist, warum sollte es Widerstand geben, woher käme dieser Widerstand, und wie wäre er möglich« (Poulantzas 1978, S. 137). (Vgl. Lemke 1997, S. 118) Foucault hält also seinen eigenen relationalen Ansatz nicht durch, was sich auch an der permanenten Umdeutung und funktionale Neuverortung seines Machtbegriffs zeige: »Dieser Begriff bezeichnet einmal eine Beziehung, die Machtbeziehung, ein anderes Mal – und oft auch beides gleichzeitig – einen der Pole der Beziehung Macht–Widerstände« (Poulantzas 1978, S. 138). Diese theoretische Unentschiedenheit führe letztlich zu einem »Essentialismus zweiter Ordnung« (ebd.), da die Macht zwar auf der einen Seite als wandelbare, nicht-substantialistische Relationalität bestimmt wird, auf der anderen Seite aber auch als den Widerständen gegenüberliegender und diesen vorausgehender und sie strukturierender Pol bestimmt wird (womit die Macht also gerade nicht relational ist). (Vgl. ebd., S. 134ff. sowie a. Lemke 1997, S. 118) Es ist die scheinbare Unentschiedenheit zwischen Macht und Widerstand, die, verbunden mit der Infragestellung der gegebenen Subjektivität, dazu führt, dass Foucault so oft von seiner mikrophysikalisch-neutralen Machtkonzeption abrückt und die »Zwischenräume der Macht« (Foucault 1977a, S. 131) und die sich darin eröffnenden Widerstandspunkten in den Vordergrund rückt – ohne aber klar zu stellen, wie sich diese Zwischenräume und damit die Widerstandspunkte letztlich ergeben. (Vgl. Lemke 1997, S. 119) Vor diesem Hintergrund hat die neuere Foucault-Kritik um etwa Slavoj Žižek (so z.B. in Žižek 2009) darauf hingewiesen, dass es möglicherweise genau diese Form von Kritik ist, die den Neoliberalismus befördert, indem sie die klassische linke oder marxistische Kritik desavouiert, ohne aber selbst in der Lage zu sein, den Neoliberalismus ernsthaft infrage zu stellen – eine Argumentationsspirale, die sich natürlich beliebig fortschrauben lässt.

2. DIE GENEALOGISCHE METHODE | 45

2.3.3 Die Systemimanenz der Kritikpunkte Die von Nancy Fraser »begründete« Problemdiagnose aus Kritik an den herrschenden Verhältnissen einerseits und dem »Fehlen einer adäquaten normativen Perspektive« (Fraser 1994b, S. 53), also der Erklärung, warum überhaupt Widerstand geleistet werden soll, andererseits prägt die Rezeption der Arbeiten Foucaults bis heute und wurde in zahlreichen Variationen wiederholt. (Siehe z.B. Sarasin 2013) Daher verwundert es auch nicht, dass an diese Diagnose anschließend zahlreiche Verbindungen – mit der Psychoanalyse (wie etwa zuletzt bei Judith Butler), dem Materialismus (wie bei Louis Althusser) oder mit ontologischen Zusatztheoremen (wie bei Gilles Deleuze oder Giorgio Agamben) – herangezogen wurden, um die von Foucault nur in nicht wirklich befriedigendem Maß bereitgestellten Kritikmittel anzureichern. (Vgl. Geuss 2003, S. 171) Zuletzt hat Axel Honneth das von Fraser eröffnete Problemspektrum aus einem dezidiert genealogischen Blickwinkel aufgegriffen. (Honneth 2003a) Auch er sieht eine wesentliche Schwierigkeit in der unklaren Zielsetzung des genealogischen Beweisgangs liegend, die schon bei Nietzsche augenfällig wird. Wie Nietzsches Schriften eröffnen, so Honneth, auch jene Foucaults verschiedene Möglichkeiten, die Merkmale und Grundlagen eines gegebenen Systems zu deuten, mit denen dann dieses System und dessen Geltungsanspruch infragegestellt werden soll. Mit diesem Problem eng verbunden ist, dass die Durchführung der Genealogie methodisch offen lasse, inwieweit es ausreichend sei, »die bloß kontingente Herkunft einer allgemein akzeptierten Auffassung nachzuweisen oder ob deren dunkler, ›unmoralischer‹ Entstehungskontext in Macht- und Unterwerfungspraktiken demonstriert werden muss« (ebd., S. 118f.). Auch wenn sich beide Aspekte letztlich überschneiden und nicht isoliert voneinander vorkommen bzw. isoliert voneinander betrachtet werden können, so hilft die schematische Darstellung doch, sie zu konturieren, zumal sie, je nach Schwerpunktsetzung, eigene Arten von Problemen nach sich ziehen. In Bezug auf die erste Variante ist dies die Frage, ob eine (theoretische oder praktische) Überzeugung tatsächlich schon dadurch in ihrer Geltung angezweifelt werden kann, dass ihre Herkunft in bloß zufälligen, gewissermaßen sachfremden Entstehungsbedingungen freigelegt wird; in Bezug auf die zweite Variante wäre entsprechend zu fragen, ob nicht die rhetorischnegative Beschreibung der Entstehung Bewertungen enthalte, die selbst jenem System entstammen, das doch gerade der genealogischen Kritik unterzogen werde. (Vgl. ebd.) Auf den ersten Blick scheint es, so auch Honneth, nahe zu liegen, der ersten Variante zu folgen und dem genealogischen Vorgehen den methodischen Anspruch zuzu-

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schreiben, geschichtliche Entwicklungen neu und anders zu erklären; der Maßstab, an dem sich die Geltung dieses Vorgehens messen lassen müsste, wäre dann letztlich derselbe, an dem sich die herkömmliche Geschichtsschreibung auch messen lassen muss. Sowohl Nietzsche als auch Foucault sind aber gerade diesen klassischen geschichtswissenschaftlichen Verfahren gegenüber viel zu kritisch, als dass sie sich innerhalb dieser und deren Beurteilungsmaßstäben unterwerfen würden. Somit liegt es genauso nahe, wie Honneth weiter ausführt, nicht die theoretischen, sondern die rhetorischen Ansprüche in den Vordergrund zu rücken und zu betonen, dass die Genealogie eine fiktive Entstehungsgeschichte entwirft, um dadurch eine des-illusionierende Wirkung zu erzielen. In diesem Fall wäre es nur kontraproduktiv, das genealogische Verfahren an wissenschaftlichen Ansprüchen zu messen. (Vgl. ebd., S. 119f.) Die Lösung aus dieser Aporie ergibt sich meines Erachtens aus dem, was Honneth gerade als drittes Problem beschreibt, nämlich dass Foucault offenbar besondere Ansprüche mit der Verwendung der genealogischen Methode zu verknüpfen scheint. So hat Foucault, wie Honneth zurecht bemerkt und auch oben aufgezeigt wurde, immer wieder klar gestellt (insbesondere auch in dessen Auseinandersetzung mit Kant), dass die Genealogie auch eine Neubestimmung des Verhältnisses von Theorie und Praxis nach sich ziehen müsse: Die Durchführung oder auch das Nachvollziehen einer genealogischen Untersuchung sei selbst eine Art praktischer Vollzug, da das Hinterfragen einer herrschenden Rationalität unmittelbar auch das individuelle Loslösen von den an diese Rationalität gebundenen kulturellen Festschreibungen nach sich ziehe und so zu einem Persönlichkeits- und Einstellungswandel führe. (Vgl. ebd., S. 120f.) Akzeptiert man aber dies, so lösen sich damit gerade die beiden oben beschriebenen Probleme dahingehend auf, dass sie als als der Kritik systemimanent angesehen angesehen werden müssen, eben die herrschenden Maßstäbe auch methodisch zu transzendieren – die genannten Schwierigkeiten sind in diesem Sinne nur zu berechtigt, nämlich Teil der Methode. Insofern bleibt als Ausgangspunkt für den Umgang mit diesem Paradoxon wohl nur das Bekenntnis zur Kritik als Ziel des genealogischen Beweisgangs und der sie begründenden Axiome: Wenn man ein Unbehagen an der Moderne verspürt, dann muss es ausreichend sein, die Genese eines Verhältnisses als bloß kontingent darzustellen. Foucaults gesamtes Werk kann in diesem Sinn als ein Ringen, als ein innerer Kampf um diese Möglichkeit der Kritik verstanden werden, das auch vor diesem Hintergrund Lücken und Unschärfen – Zwischenräume – lässt: Gewissermaßen führt Foucault seinen eigenen Ansatz der Immanenz und Relationalität von Machtbeziehungen nicht konsequent zu Ende, um die Möglichkeit von Widerstand nicht völlig abzuschreiben. Foucaults Werk ist durchzogen von der Weigerung, das Offensichtliche und Notwendige gerade trotz dieser offensichtlichen Notwendigkeit zu akzeptie-

2. DIE GENEALOGISCHE METHODE | 47

ren und das Spiel der Macht »einfach so« mitzuspielen. So verstanden frönt Foucaults auch alles andere als einem theoretischen Relativismus, dem alle Wahrheitsansprüche gleichgültig sind. Vielmehr begibt er sich in eine Art »Grenzhaltung« (Foucault 1984/2002f, S. 702), »die sich einem Entweder-oder verweigert, indem sie sich den ›Alternativen‹ eines Wahrheitsabsolutismus auf der einen und seiner relativistischer Auflösung auf der anderen Seite entzieht.« (Lemke 1997, S. 33) Wenn Foucault solchermaßen »die Politik des Wahren« (Foucault 1977/2002e, S. 346) als Technologie der herrschenden politischen Rationalität kritisiert (was natürlich gravierende Folgen für eine Kritikform hat, die, wie etwa die Kritik an Repression oder ideologischen Verblendungen, allein negativ vor der Kontrastfolie der Unwahrheit und Irrationalität argumentiert), so zahlt er dafür »einen hohen Preis« (Lemke 1997, S. 33), macht er doch dadurch seine eigene Arbeit in dem Maße wissenschaftlich angreifbar, »wie er sich der Universalität des ›Wahrheitsspiels‹ verweigert und damit außerhalb ›des Wahren‹ stehen muss« (ebd.). Denn obgleich Foucault das »Wahrheitsspiel« kritisiert, so muss er trotzdem – da er sich den herrschenden Regeln des Spiels nicht völlig verweigern kann und natürlich auch trotzdem überzeugen möchte, zumindest im Duktus herkömmlicher wissenschaftlicher Maßstäbe bleiben. (Vgl. Lemke 1997, S. 32f.) Die Frage nach der Wissenschaftlichkeit bzw. den wissenschaftlichen Maßstäben Foucaults ist also, so auch Lemke nur zu berechtigt, womit aber auch schon die grundlegende Problematik aufgeworfen ist: Diese Frage ist eine Frage von Rechtmäßigkeit und von Normativität, womit ihr das Eigentliche an Foucaults Arbeit entgeht, bei der die Normen und das Recht als Teil der Kämpfe selbst Gegenstand der genealogischen Analysen sind – und nicht äußerlicher Maßstab oder Ausgangspunkt der Untersuchung. All die Widersprüche und Paradoxien erfüllen eine wichtige strategische Funktion in Foucaults Arbeiten, da sie die Kritik am juridisch-moralischwissenschaftlichen Diskurs auf der Ebene der Theorie formulieren: Foucault produziert Paradoxien, weil er damit gegen die doxa und Orthodoxien angehen kann; Foucault produziert Widersprüche, weil er so gegen eine dominante Form der Kritik angehen kann, die selbst noch als Zwang funktioniert. (Vgl. Lemke 2003) Der vermeintliche Mangel und die angebliche Schwäche, das immer wieder beklagte Fehlen normativer Kriterien in Foucaults Arbeit macht in diesem Sinn gerade deren Reichtum und Stärke aus. Und der Maßstab, an dem sich Foucault messen lassen muss, ist insofern das Wirken seines speziellen Verhältnisses von Theorie und Praxis, ob also die Theorie auch als Praxis wirkt.

48 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

2.4 VORGEHEN

UND

M ETHODE

DIESER

A RBEIT

Die vorliegende Arbeit hat ihren Erkenntnisinteresse leitenden Ausgangspunkt bei der Feststellung, dass es in breiten Teilen der Bevölkerung zwar ein manifestes, häufig wenig spezifisches Unbehagen an den neoliberalen Arbeitsbedingungen gibt, gleichzeitig aber, spätestens nach der Diskreditierung der sozialistischen und marxistischen Gegenmodelle eine Alternative oder auch nur die Vorstellung einer anderen – besseren – gesellschaftlichen Heimat fehlt. Kritik hat in bestimmten Bereichen offensichtlich ihre Grundlage eingebüßt und steht geradezu ratlos der neoliberalen Entwicklung gegenüber. Bei der Präzisierung des Vorhabens war daher schnell klar, dass die Frage der Kritik im Neoliberalismus heute nur im Kontext einer umfassenden Rationalität und damit im Kontext von Macht und Subjekt verstanden werden kann. Der Rückgriff auf ein genealogisches Vorgehen schien insofern naheliegend, basiert dieses doch wie gezeigt auf eben jener Prämisse, dass eine »andere« Kritik nötig, aber auch möglich ist. Und besser geeignet als andere Kritikformen ist Genealogie eben v.a. da, wo es darum geht, Phänomene wie unvollkommene Freiheit und unmerkliche Fremdbestimmung zu erfassen, denn sie durchleuchtet die Bedingungen der Möglichkeit von Lebensformen, in denen Macht in Subjekte hineinwirkt, und die von einer sozialen Realität geprägt sind, in der unmerkliche Praktiken der wertenden und abwertenden Identifikation wirken. Die genealogischen Historisierungen helfen dabei, Distanz zu den derzeit herrschenden, hegemonialen Unterscheidungen zu gewinnen, indem sie den Anschein zerstören, dass die geltenden – und immer von bestimmten Mächten eingerichteten und aufrechterhaltenen – Unterscheidungen und Wertungen die einzigen sind, unter denen man leben kann.16 Die Frage, wie man ein solches Vorhaben konkret umsetzt bzw. überhaupt »wie« oder »mit« Foucault arbeitet, wurde bereits oben formuliert und dabei klar, dass die Umsetzung aus heuristischen Gründen nicht als »klassische« Sozialforschung betrieben werden kann. Genauso ist jedoch die für ein genealogisches Vorgehen an sich erforderliche erschöpfende Literaturanalyse im Rahmen einer Dissertation nur bedingt leistbar. Um dies ein Stück weit zu umgehen, bestehen weite Teile dieser Arbeit auf dem Rückgriff auf das von Foucault dargelegte Datenmaterial und dessen daraus gezogenen Analysen; die wesentlichen Linien dieser Arbeit sind entsprechend Foucaults Geschichte der Gouvernementalität entlehnt, und diese Arbeit beschränkt sich darauf, in Bezugnahme auf die dort dargelegte Rationalität v.a. durch den Rückgriff

16 | Vgl. zum Einsatzfeld der genealogischen Methode auch Saar 2007, S. 15f.

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auf den arbeits- und industriesoziologischen Subjektivierungs- und Entgrenzungsdiskurs zu ergänzen und zu ergründen, welchen Stellenwert die Arbeit in Liberalismus bzw. Neoliberalismus hat und wie das Subjekt und Widerständigkeiten in diesem Kontext zu verorten sind. Hieraus resultiert zugleich eine weitgehende Beschränkung im weiteren Sinn auf den geographischen Raum der »lateinischen Christenheit«, der für die westliche Zivilisation bestimmend gewesen ist, bzw. im engeren Sinn auf Deutschland. Dabei wird weder behauptet, dass die Ereignisse in Deutschland ein Beispiel für den Rest der Welt darstellen, noch dass die entschlüsselten Rationalitäten als solche universell sind. Jedoch lässt sich vermuten, dass ähnliche Prozesse und Rationalitäten andere Industrieländer vergleichbar geprägt haben. 17 Foucault wurde in diesem Sinne weniger als »Werkzeugkiste« verwendet, denn das konkret anzuwendende methodische Arsenal hängt, wie gezeigt, vom Gegenstand ab und ergibt sich, das war eine der Erfahrungen dieser Arbeit, erst im Laufe des Fortgangs der Untersuchung. Vielmehr fungierte Foucault als »Steinbruch«, aus dem das Passende herausgezogen und wo nötig neu arrangiert wurde: • •



das an der Genealogie angelehnte methodische Vorgehen, die Annahme des Eintritts einer neuartigen rationalen Macht in die Geschichte zu Beginn der Neuzeit und die Analyse anhand des »Dreiklangs« von Staatsräson, Liberalismus und Neoliberalismus, wenn auch erweitert um die Rationalität der Gesellschaft des Sozialstaats als »zwischen-liberalem« Bereich.

Dabei erwies sich das Neuarrangieren von Vorhandenem und in Zusammenhangbringen mit dem Topos »Arbeit« als äußert zielführend. So ergaben sich erst durch das konsequente Aufteilen des Materials in die Kategorien Macht, Herrschaft, Subjektivierungsform und Widerstand heuristische Schlussfolgerungen auf Brüche und Rationalitätsveränderungen im Kontext von Arbeit. Der besondere Anschluss an Foucault legt darüber hinaus nahe, von der Untersuchung der Arbeit als einem rechtlichen Arrangement Abstand zu nehmen. In der Folge Foucaults gilt es vielmehr, das Umgekehrte zu tun: das Verhältnis aufzuzeigen und zu analysieren, das zwischen einem Ensemble von Machttechniken und bestimmten sozialen Formen bzw. rechtlichen Arrangements besteht. So gelingt es letztlich zu

17 | Wobei durchaus die Frage gestellt werden darf, ob heute nicht in einem bestimmten Sinn die ganze Welt von zumindest deren Formen des Wissens durchdrungen wurde – ob im Modus der Unterwerfung, im Modus der Aneignung oder auch in einem antagonistischen Modus. (Vgl. Foucault 1973/2002, 516f.)

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zeigen, wie die Widerständigkeiten der Arbeiter gegen die liberalen Subjektivierungen durchaus Wirkungen zeitigten, aber am Ende Wirkungen, die in verschiedenen Verwendungen aufgenommen werden, und diese Verwendungen abhängig von neuen Zwecken rationalisiert und organisiert werden, und die in jedem Fall anders als ursprünglich intendiert sind. Am Ende steht dann der Neoliberalismus als neue – auch aus der Kritik der Arbeiter am Liberalismus resultierende – Strategie rationaler Verhaltensführung, bei dem dann wiederum neu nach den Macht- und entsprechend den Widerstandsmechanismen gefragt werden muss. Angelehnt an eine Foucaultsche Analyse ergeben sich somit vier Schritte: (vgl. ähnl. in Bezug auf die Untersuchung des Sexualitätsdispositivs Foucault 1984/2002d, 786f.) •

Zu Beginn der Analyse stehen die Rationalität oder die Zwecke des Liberalismus (bzgl. dessen v.a. auf Analysen Foucaults zurückgegriffen wird), aber auch der Arbeiter; die Ziele, die sie sich vornehmen, und die Mittel, über die sie verfügen, um diese Ziele zu erreichen. In Bezug auf die Arbeiter also beispielsweise die Forderungen, wie sie in den Fabriken und Wirtshäusern geäußert wurden, oder auch die Programme der sich bildenden Arbeiterbewegung: Die Forderungen nach Teilhabe und Anerkennung auch anderer als den der liberalen Rationalität entsprechenden Bedürfnissen, wie sie sich etwa in den kleinen Disziplinverstößen am Arbeitsplatz, den ausgelassenen Feierlichkeiten, der Straßenöffentlichkeit oder den solidarischen Praktiken äußerten – also die Kritik an der Enge und dem Ausblenden von Möglichkeiten bei der liberalen Form des Arbeitens und das Streben nach anderen Praktiken des Seins und Mitseins18 .

18 | Wenn hier und im Folgenden von Dasein oder Sein die Rede ist, schwingt natürlich ein Stück weit immer auch Heidegger mit, bei dem Dasein ähnlich wie bei Foucault kein nur passives Einordnen in eine gegebene Welt von Dingen ist, sondern den Charakter eines Entwurfs im Hinblick auf Möglichkeiten hat, die in einem strukturierten Zusammenhang von Bezügen offen liegen, wobei die Möglichkeiten, auf die hin Dasein sich entwirft, nicht nur selbstgewählt sind: »Das Dasein versteht sich selbst immer aus seiner Existenz, einer Möglichkeit seiner selbst, es selbst oder nicht es selbst zu sein. Diese Möglichkeiten hat das Dasein entweder selbst gewählt oder es ist in sie hineingeraten oder je schon darin aufgewachsen.« (Heidegger 1926/1967, S. 12). Insofern Dasein nie alleine, isoliertes Ich ist, gehört hierzu stets auch das Mitsein und das Mitdasein, die Anderen, die nicht bloß zusätzlich vorhanden, sondern immer auch und mit da sind. Sein ist in diesem Kontext, ontologisch gesehen, »das, was ist«, gewissermaßen der »Verständnishorizont«, auf dessen Grundlage die Dinge in der Welt, das »Seiende« sein kann. (Ebd., S. 118; vgl. zu Heidegger allg. a. Figal 2000 sowie zum Mitsein insb. a. Ranciere 2002).

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Zweitens stellt sich die Frage der Wirkungen, die nur sehr bedingt mit dem Zweck zusammenfallen. So wird etwa gezeigt, wie im Sozialstaat die Forderung der Arbeiter nach solidarischem Miteinander im individualisierenden Sozialversicherungssystem aufging; oder wie sich statt der Anerkennung anderer Möglichkeiten in der Arbeit die Trennung von Arbeit und Leben und die Auslagerung des Möglichen in den privaten Bereichs einstellte. Mit diesem Nicht-Zusammenfallen von Wirkung und Zweck einher geht die Verwendung der Wirkung zu neuen Zwecken, die zu Beginn nicht vorgesehen waren, aber voll und ganz einen Sinn und einen Nutzen haben. Bei den hier aufgeführten Aspekten handelt es sich dabei insbesondere um die Weiterentwicklung der sozialstaatlichen Sozialversicherungssysteme, die im Neoliberalismus nun als zu leistende Selbstvorsorge auf die Verantwortlichkeiten der einzelnen Subjekte runtergebrochen wurden, die statt des ursprünglichen gesellschaftlichen Solidaritätsgedankens nun auch in dieser Hinsicht »unternehmerisiert« sind. Hinzu kommt, dass die Trennung von Arbeit und Leben wieder aufgehoben wurde, aber statt das Leben in die Arbeit hineinzuführen, wurde die Arbeit in das Leben überführt, so dass sich die Subjekte als »Arbeitskraftunternehmer« gewissermaßen selbst kapitalisieren. Als vierte Ebene der Analyse ergibt sich das, was Foucault die »strategischen Konfigurationen« nennt, das heißt, dass man ausgehend von diesen neuen Verwendungen neue rationale Verhaltensführungen aufbauen kann, die sich vom anfänglichen Programm unterscheiden, die aber ebenfalls dessen Zielen entsprechen, und dies ist eben die besondere neoliberale Gouvernementalität mit der Ausweitung des Ökonomischen in alle Bereiche des Lebens und der korrespondierenden Subjektivierung als Arbeitskraftunternehmer oder unternehmerisches Selbst.

Hiermit wäre das Programm dieser Arbeit grob umrissen; es ist der Weg zu einer bestimmten Form der »Problematisierung«, die einen politisch-epistemologischen Raum oder ein »Möglichkeitsfeld« (Foucault 1981/2002d, S. 285) definiert, eben den Neoliberalismus. In diesem Weg spiegeln sich Praktiken, Systematisierungen und die »Rationalisierung« einer Pragmatik des Seins, welche die Rationalität der Arbeiter kolonisieren und unterwandern. Dass hierbei das Pferd der Analyse ein Stück weit von hinten aufgezäumt wurde, insofern als die Rationalität des Neoliberalismus bereits durch Foucault beschrieben war, ist selbstverständlich methodologisch nicht unproblematisch, wenn man versucht, die herrschende Rationalität zu umreißen. Aber das Ziel dieser Arbeit ist auch nicht, den Neoliberalismus neu zu erklären, sondern die Verortung der Kategorie »Arbeit« innerhalb dieses Neoliberalismus aufzuzeigen und daran anschließend zu erörtern, was dies für die Subjekte bedeutet. Dass sich am

52 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

Ende dennoch einzelne über das vorhandene Material hinausweisende Explikationen ergeben, ist insofern, wenn auch erfreulich, so doch eher Nebenprodukt. So hat diese Arbeit trotz der dezidiert historischen Verortung des modernen »rationalen« Arbeitens den Anspruch, dieses als essentielles Element innerhalb der modernen Machttechnologien zu präsentieren. Und analog kann der sich daran entzündende Widerstand der Arbeiter als eine essentielle Form von Widerstand innerhalb der modernen Machttechnologien dargelegt werden, in dessen Zentrum Menschen stehen, die das gegebene Spiel anders spielen wollen und sich gegen die Formen von Subjektivität zur Wehr zu setzen, die man ihnen auferlegt hat. Hiermit verweist diese Arbeit auch über den engeren Kontext des 19. Jahrhunderts hinaus auf den Neoliberalismus als gegenwärtige subjektivierende Rationalität. Und so geht es, auch wenn dem Vergangenen ein breiter Raum in dieser Arbeit zukommt, dann doch auch um eine Geschichte der Gegenwart, deren Sein im genealogischen Sinn nur über die Rekonstruktion des Systems der Transformationen zu begreifen ist, dessen Hinterlassenschaft die aktuelle Situation ist. Denn das Weiterbestehen der Fragestellung von Arbeit und sich daran entzündender Widerständigkeit verlangt, dass man sich deren Geschichte zuwendet mit dem Ziel, die Geschichte der Gegenwart zu schreiben. Das heißt, dass auch ein Rückgriff auf das 15. und 16. Jahrhundert vorgenommen wird, in dem sich die Staatsräson und die Durchsetzung der Produktivität vollzog, und das damit für das Vorverständnis von Arbeit heute nicht unerheblich ist. Dieser Rückgriff soll entsprechend keine (letztlich immer weiter zurückführenden) Kausalketten konstruieren, sondern im Sinne Kosellecks konzentrieren sich die Analysen auf die »vergangene Gegenwart«, nicht auf deren Vergangenheit. (Koselleck 1973, S. 3) Dabei werden explizit soziologische Fragen an das historische Material herangetragen, welche die Historiker nicht unbedingt gestellt haben, und dieses Material von anderen Kategorien ausgehend neu angeordnet. Dies bedeutet nicht, die Geschichte neu zu schreiben oder gar zu revidieren, aber es bedeutet, sie neu zu lesen und vielleicht auch eine etwas andere Erzählung anzufertigen als bislang gängig war. Dieses Vorgehen impliziert nicht, die Bedingungen der Konstruktion historischer Daten zu hinterfragen, da eine solche Umarbeitung wenn nur Aufgabe der Historiker sein kann. Ich greife vielmehr die historischen Schriften und die Ergebnisse der Historiker auf, wenn über sie Konsens besteht (oder ich werde mich, wenn dies nicht der Fall ist, bemühen, die Divergenzen in der Interpretation aufzuzeigen), um sie auf

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andere Art zu präsentieren, nämlich indem sie innerhalb eines anderen Diagramms oder eines anderen Argumentationsraums gezeigt werden.19 Bevor nun die Untersuchung der Genealogie der Arbeit folgt, wird in Kapitel 3 noch kurz auf Foucaults Machtkonzeption eingegangen und im Rahmen dessen die für Teil II bedeutsamen Begrifflichkeiten expliziert.

19 | Ein solcher methodologischer Ansatz wurde auch von Robert Castel in den Metamorphosen des Sozialen (Castel 2008) angewandt.

3. Eine neue Technologie der Machtausübung

Die Foucaultsche Machtkonzeption ist seit vielen Jahren Gegenstand kontroverser Diskussionen in der Philosophie und in den Sozialwissenschaften, so dass es weder gut gelingen noch sinnvoll sein kann, im Rahmen dieser Arbeit auf wenigen Seiten eine einfache Darstellung zu geben und die vielen kategorialen und methodologischen Fragen, die in dieser Debatte aufgeworfen wurden, zu behandeln.1 Um der Zentralität des Begriffs, auch in dieser Arbeit, aber Rechnung zu tragen, sollen im Folgenden zumindest die grundlegenden Elemente und Bestimmungen des Foucaultschen Machtbegriffs angerissen und insbesondere die hier vorgenommenen weiter gehenden theoretischen Explikationen dargelegt werden. Das hier präsentierte Verständnis ist nicht zuletzt grundlegend für das sowohl inhaltliche wie auch theoretisch-methodische Vorgehen in dieser Arbeit, bietet doch der verwendete Macht-Begriff die Basis für Formen von Subjektivierung, Vergesellschaftung, aber auch Widerstandsmöglichkeiten gegen gegebene Selbst- und Weltverhältnisse. Die Darstellung, was die mit der Neuzeit heraufziehende neue Machttechnologie ist, wie und wodurch sie wirkt und funktioniert, resultiert im Wesentlichen aus der Analyse der Primärtexte Foucaults und dessen darauf bezogenen Erläuterungen, wie Foucault sie in Interviews und Essays vorgenommen hat, wobei vor allem die späteren, also nach der sog. Wende und der »Aufgabe der Hypothese Nietzsches«, d.h. der These von der Kriegsförmigkeit der Machtverhältnisse,2 und im Bewusstsein der

1 | Vgl. hierzu bspw. die Überblicke von Georg Kneer (Kneer 1998) und John Ransom (Ransom 1997). 2 | Lemke 1997, S. 29 und analog Burchell, Gordon und Miller 1991, Barry, Osborne und Rose 1996 sowie Dean 1999. Von »Wende« oder »Bruch« sprach man nicht zuletzt auch, weil Foucaults Hinwendung zur Problematik der »Regierung« in den 1970ern (s.u., S. 59) mit einigen grundlegenden Veränderungen im machttheoretischen Vokabular und in einigen theoretischen Prämissen einhergeht. (Vgl. Lemke 1997, S. 128). Die hier gewählte Interpretation

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Problematik um die Macht-/Herrschafts-Dichotomie verfassten Texte herangezogen werden. Da die Aufbereitung und innere Stringenz Foucaults Werks an dieser Stelle nicht im Vordergrund stehen, sondern es vornehmlich um den Bezug auf das von Foucault vorgelegte Material und eine nur an Foucault angelehnte Methodik geht, werden innere Widersprüchlichkeiten im Folgenden abgeschliffen, weitgehend unkommentiert bereinigt und auf Hinweise in Fußnoten reduziert. Die in dieser Arbeit vorgenommene Analyse zeichnet sich dabei dadurch aus, dass die konkrete Erscheinungsform der modernen Macht in Bezug zur Arbeit gesetzt wird, da dieser m.E. eine entscheidende Funktion innerhalb des modernen Machtspiels zukommt. Auch wird offensiver als bei Foucault der Bezug zwischen Machtbegriff und den damit einhergehenden Subjektivierungsformen hergestellt, es werden also stets die subjektivierenden Wirkungen und Mittel der Macht betont, was Voraussetzung ist, um der Frage nach Widerständigkeit innerhalb einer auf die Verbindung von Fremd- und Selbstherrschaft setzenden Rationalität angemessen begegnen zu können.3

betont demgegenüber wie gesagt eher die Kontinuitäten, die im Kontext genealogischer Geschichtsschreibung bzw. genealogischer Machtanalyse gesehen werden. So wird hier, wie in Kapitel 2 ausgeführt, davon ausgegangen, dass die thematische Umorientierung auf dem Boden des bisherigen analytischen Instrumentariums erfolgt, und lediglich eine neue Akzentuierung der Machtthematik in Richtung auf das Subjekt vorgenommen wird, um die genannten Aporien eindeutiger aus dem Weg zu räumen und dem Subjekt innerhalb der Machtanalytik expliziter einen Stellenwert einzuräumen. So stellt auch Foucault in Subjekt und Macht rückblickend auf sein Werk fest, dass es ihm nicht darum ging, »die Machtphänomene zu analysieren«, sondern er sich vielmehr »um eine Geschichte der verschiedenen Formen der Subjektivierung des Menschen« bemüht und »Objektivierungsfomen« untersucht habe, »die den Menschen zum Subkjekt machen« – das »umfassende Thema« seiner Arbeit sei »also nicht die Macht, sondern das Subjekt« gewesen (Foucault 1981/2002d, 269f.). Insofern ist die geleistete Analytik der Macht selbstverständlich unumgänglich. »Denn«, so Foucault, »wenn das menschliche Subjekt in Produktionsverhältnisse und Sinnbeziehungen eingebunden ist, dann ist es zugleich auch in hochkomplexe Machtverhältnisse eingebunden«. (Ebd., S. 270) 3 | Die konkrete Erweiterung des Foucaultschen Machtbegriffs erfolgt aus heuristischen Gründen jedoch nicht in diesem Kapitel. Denn diese Erweiterung kann lediglich genealogisch erfolgen, so dass an dieser Stelle auf Teil II dieser Arbeit verwiesen wird.

3. EINE NEUE TECHNOLOGIE DER MACHTAUSÜBUNG | 57

3.1 D IE A NALYTIK

DER

M ACHT

Foucaults Machtanalyse wendet sich zunächst und vor allem gegen die »klassischen« Machtkonzeptionen und die dort vorherrschende »Tendenz, die Macht nur in der Form und in den Apparaten des Staates zu sehen«, wohingegen die Macht »in ihren allgemeinen und zugleich feinen Strategien, in ihren Mechanismen« nie dezidiert erforscht worden sei. (Foucault 2009b, S. 354) Dieses analytische Defizit rührt, wie Foucault selbst vermutet, nicht zuletzt daher, dass die Machtbeziehungen »vielleicht zu den verborgensten Dingen im Gesellschaftskörper [gehören]« (ebd., S. 357). Gerade bei der »klassischen« Analyse von Machtbeziehungen auf der Basis der Institutionen, wo die Machtbeziehungen in sehr konzentrierten und strukturierten Formen auftreten, aber auch die eingesetzten Mechanismen großteils der Selbsterhaltung der jeweiligen Institution dienen, besteht, so Foucault, die Gefahr, sowohl diesen »Reproduktionsfunktionen« (Foucault 1981/2002d, S. 288) als auch den Regeln, Gesetzen und Apparaten, über die Institutionen hauptsächlich operieren, zu viel Bedeutung beizumessen und Ursprung und Erklärung der Machtbeziehungen innerhalb dieser Institutionen zu suchen – dass man »letztlich also Macht durch Macht erklärt«. Denn, so Foucault weiter, auch wenn die Bedeutung der Institutionen bei der Verwaltung von Machtbeziehungen nicht zu unterschätzen ist, so ist »die eigentliche Verankerung der Machtbeziehungen [. . . ] außerhalb der Institutionen zu suchen, auch wenn sie in einer Institution Gestalt annehmen« (ebd.). Die Institutionen können die Macht nicht erklären, da sie auf existierenden Macht-Beziehungen aufbauen und sie nur »fixieren«, und in diesem Sinn eher »Praktiken, operative Mechanismen« (Deleuze 1987, S. 106) sind. Denn Macht, so könnte man nun generalisierend und in Abgrenzung zur »klassischen« Machtanalyse sagen, ist bei Foucault ein Diagramm aus (1) einer »Vielfältigkeit von Kraftverhältnissen«; (2) dem »Spiel«, das diese Kraftverhältnisse permanent »verwandelt«; (3) den »Verschiebungen und Widersprüche« der unterschiedlichen Kraftsysteme untereinander; sowie (4) den »Strategien«, in denen die Kraftsysteme »zur Wirkung gelangen«. (Foucault 1976/1987, S. 115) Die »Möglichkeitsbedingungen der Macht« liegen in diesem Verständnis nicht bei einem – wie auch immer gearteten – Souverän und »Machthaber«, sondern in einem allgegenwärtigen »Sockel«, einer »komplexen strategischen Situation« (ebd.), die ausgehend von unendlichen ungleichen und beweglichen Beziehungen und Punkten aus immer wieder neue lokale und instabile Machtzustände erzeugt – die Macht kommt von überall. Damit ist die Macht »nicht etwas, was man erwirbt, wegnimmt, teilt, was man bewahrt oder verliert«, sie bildet nicht den hemmenden oder aufrechterhaltenden Überbau, sondern die Machtbeziehungen sind anderen Verhältnissen – ökonomischen Prozessen, Straf-

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praktiken, sexuellen Beziehungen, Erkenntnissystemen etc. – »immanent«. Dadurch sind die Machtbeziehungen auch »unmittelbar hervorbringend« und verweisen prinzipiell auf eine produktive Disposition. (Ebd.) Ihre Ausübung kann zwar repressive Komponenten enthalten, aber sobald Machtwirkungen auf Repression reduziert werden, geht dies an der eigentlichen Funktionsweise von Macht vorbei: »Wenn sie nur repressiv wäre, wenn sie niemals anderes tun würde als nein sagen, ja glauben sie dann wirklich, dass man ihr gehorchen würde? Der Grund dafür, dass die Macht herrscht, dass man sie akzeptiert, liegt ganz einfach darin, dass sie nicht nur als neinsagenden Gewalt auf uns lastet, sondern in Wirklichkeit die Körper durchdringt, Dinge produziert, Lust verursacht, Wissen hervorbringt, Diskurse produziert; man muss sie als ein produktives Netz auffassen, das den ganzen sozialen Körper durchzieht.« (Foucault 1978, S. 35)

Macht ist, so verstanden, auch »gleichzeitig intentional und nicht-subjektiv« (Foucault 1976/1987, S. 116), d.h. die Macht entfaltet sich zwar mit einem bestimmten Kalkül, dieses aber entstammt nicht der Wahl oder Entscheidung eines individuellen Subjekts oder einer herrschenden Klasse, sondern der »implizite Charakter« von Macht führt zu anonymen »Gesamtdispositiven«, die keinem bestimmten Akteur zugeschrieben werden können. (Ebd.) Eine Besonderheit Foucaults Machtbegriffs ist zudem, dass es, wo es Macht gibt, auch Widerstand gibt, der aber selbst »niemals außerhalb der Macht« liegt. Der Grund hierfür ist, dass die Machtverhältnisse »strikt relationalen Charakter« haben und nur »kraft einer Vielfalt von von Widerstandspunkten existieren« können, die »überall im Machtnetz präsent sind«. Es gibt folglich nicht »den einen Ort der Großen Weigerung«, die eine Revolte oder Rebellion, sondern es gibt nur einzelne »spontane, wilde, einsame, abgestimmte, kriecherische, gewalttätige, unversöhnliche, kompromißbereite, interessierte oder opferbereite Widerstände«. (Foucault 1976/1987, S. 117) Widerstand ist hier »rein formal« als »notwendiger zweiter Pol eines Verhältnisses« (Saar 2007, S. 210) bestimmt, weshalb sich hieraus auch nichts Zwingendes über tatsächliche Widerständigkeiten ableiten lässt. Es gibt nicht auf der einen Seite die »Macht schlechthin als eine gleichsam überirdische Instanz und auf der anderen Seite die Widerstände der unglücklichen Menschen, die sich dieser Macht fügen müssen«, (Foucault 1978/2002c, S. 791), und damit keinen »ontologischen« Gegensatz zwischen Macht und Widerstand (ebd., S. 792). Folglich ist auch eine isolierte Analyse von »reinen« Machtpolen nicht durchführbar; vielmehr muss für eine sinnvolle Analyse die Perspektive von der Konfrontation zwischen Macht und Widerstand auf die impliziten Dispositionen und die spezifische Rationalität der Macht verschoben werden, die diese Differenz leiten.

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Foucault zieht in Bezug auf die modernen Gesellschaften, in denen die Macht solchermaßen ubiquitär wirkt, den außerordentlich treffenden Vergleich mit einem »Diagramm«, (Foucault 1975/1998, S. 264) das nicht eine präexistierende Welt abbildet, sondern vielmehr einen Realitäts-Typus, ein bestimmtes Wahrheits-Modell produziert, so dass, wie Deleuze präzisiert, jede Gesellschaft ihr spezifisches Diagramm bzw. ihre Diagramme besitzt: »Dieses Diagramm ist nicht Subjekt der Geschichte und überragt auch nicht die Geschichte; es ›macht‹ vielmehr die Geschichte, indem es die vorherigen Realitäten und Bedeutungen auflöst und dabei ebenso viele Punkte der Emergenz und der unerwarteten bzw. unwahrscheinlichen Verbindungen bildet: Es fügt der Geschichte ein Werden hinzu.« (Deleuze 1987, S. 54) Beim »Machtdiagramm« geht es also nicht um einen ideologischen Überbau, sondern es handelt sich dabei, so analysiert Deleuze weiter, um »eine Ursache, die in ihrer Wirkung von einem Effekt aktualisiert, integriert und differenziert wird«. (Deleuze 1987, S. 56) Und dieses Verhältnis der Korrelation zwischen Ursache und Wirkung ist das »Dispositiv«, einer der zentralen Begriffe in Foucaults Machtkonzeption: eine »entschieden heterogene Gesamtheit, bestehend aus Diskursen, Institutionen, architektonischen Einrichtungen, reglementierenden Entscheidungen, Gesetzen, administrativen Maßnahmen, wissenschaftlichen Aussagen, philosophischen, moralischen und philanthropischen Lehrsätzen, kurz, Gesagtes ebenso wie Ungesagtes« (Foucault 2009b, S. 216), gewissermaßen das »Netz« (ebd.), das man zwischen diesen heterogenen Elementen herstellen kann – wobei sich als Voraussetzung, dass sich ein Dispositiv konstituiert, bei einem strategischen Ziel eine Form der Dominanz einstellen muss.4

3.2 E BENEN

DER

M ACHTANALYSE

Lange Zeit war der Diskurs um den eben beschriebenen Machtbegriff durch den Vorwurf an Foucault geprägt, er habe seinen Machtbegriff nicht genügend herausgearbeitet und begrifflich fixiert, wodurch auch der Vorwurf aufkam, dieses Machtverständnis begründe eine extreme Determiniertheit des Daseins – eine Annahme, die Foucault durch die Rede vom »Tod des Subjekts« auch selbst stark beförderte. Erst mit der Ausarbeitung des Konzepts der Gouvernementalität (frz. »gouvernementalité«) und der analytischen Orientierung an dem Begriff der »Regierung« (frz. »gouverner«) nimmt Foucault die systematische Verbindung und wechselseitige Konstitu-

4 | Vgl. zum Begriff »Dispositiv« insb. a. Deleuze 1991.

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ierung von Machttechniken und Subjektivierungsprozessen explizit in den Blick und damit deutlich eine Erweiterung bzw. zumindest offene Präzisierung seines Machtkonzepts vor. (Vgl. Pieper und Rodríguez 2003) Die Wortschöpfung »Gouvernementalität« leitet sich vom französischen Adjektiv gouvernemental (»die Regierung betreffend«) her und war schon bekannt, bevor Foucault sie zu einem zentralen Begriff seiner Arbeit machte.5 So bezeichnet Roland Barthes bereits in den 1950er Jahren in Mythen des Alltags (Barthes 1964) mit »Gouvernementalität« einen Mechanismus, bei dem – in Umkehrung von Ursache und Wirkung – Regierung von den Massenmedien als »Essenz der Wirksamkeit«, also als Ursache sozialer Beziehungen gefasst wird. (Barthes 1964, S. 114) Foucault greift dieses »hässliche Wort« (Foucault 2004a, S. 173) auf, löst es jedoch aus dem semiologischen Kontext. Gouvernementalität steht bei ihm nicht mehr für eine mythische Zeichenpraxis, welche die gesellschaftlichen Verhältnisse entpolitisiert und verschleiert, sondern er nutzt es zur »notwendige[n] Kritik am gängigen Verständnis von ›Macht‹« (Foucault 1981/2002e, S. 259). So verweist Gouvernementalität bei Foucault, nachdem dieser es zunächst genutzt hat, das im 18. Jahrhundert installierte neuartige Machtsystem der Staatsräson zu benennen, ganz allgemein auf unterschiedliche Handlungsformen und Praxisfelder, die in vielfältiger Weise auf die Lenkung und Leitung von Individuen und Kollektiven zielen (Foucault 1980/2002b, S. 116). Gouvernementalität ist für Foucault seitdem »die Art und Weise, mit der man das Verhalten der Menschen steuert«. (Foucault 2004b, S. 261) Ziel dieses Konzepts der Gouvernementalität ist dabei, »die Formen der Erfahrung und der Rationalität, in deren Ausgang sich im Abendland die Macht über das Leben organisiert hat, herauszuarbeiten« (Senellart 2004, S. 447) und so über ein allgemein einsetzbares »Analyseraster für die Machtverhältnisse« zu verfügen. (Foucault 2004b, S. 261) Dabei löst sich der Begriff zunehmend vom Staatsproblem und scheint schließlich mit »Regierung« zu vermischen6 – auch wenn Foucault immer wieder die Unterschiede betont und mit Gouvernementalität auf das »strategische Feld beweglicher, veränderbarer und reversibler Machtverhältnisse« (Foucault

5 | In früheren Arbeiten hatten zahlreiche Foucault-Interpreten irrtümlicherweise angenommen, dass der Begriff der Gouvernementalität (governementalité) sich aus den beiden Komponenten »gouverner« (Regieren) und »mentalité« (Denkweise) zusammensetzt. So schien schon begrifflich markiert zu sein, dass Fragen nach dem Gegenstand von Regierung und ihrer Rationalität nicht voneinander getrennt werden können. Dieser Irrtum hat zu einigen Fehlinterpretationen geführt, in denen das Konzept der Gouvernementalität als eine »Mentalität des Regierens« begriffen bzw. darauf reduziert wurde. (Vgl. Senellart 2004, S. 482) 6 | Vgl. hierzu auch Dreyfus und Rabinow 1984, S. 255.

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1982/2004, S. 314) verweist, in dessen Innerstem sich die Typen der »Führung des Verhaltens« einrichten, die »Regierung« bestimmen. Gouvernementalität ist folglich die den Mikromächten immanente Rationalität, unabhängig von der gewählten Analyseebene (Beziehung Eltern/Kinder, Individuum/öffentliche Gewalt etc.). (Vgl. Senellart 2004, S. 447) Dementgegen bezeichnet Foucault mit Regierung7 »die Gesamtheit der Institutionen und Praktiken, mittels deren man die Menschen lenkt, von der Verwaltung bis zur Erziehung.« (Foucault 2008, 118f.) Foucault führt damit eine neue Dimension in seine Machtanalyse ein, die es ihm ermöglicht, Machtbeziehungen unter dem Blickwinkel von »Führung« zu untersuchen. Regierung beschränkt sich somit explizit nicht auf das Feld der Politik und Foucault zeigt in einer historischen Analyse, dass die semantische Konzentration des Begriffs der Regierung auf staatliche Institutionen und politische Praktiken vielmehr die Folge einer signifikanten Verengung seines Bedeutungsfeldes ist, die erst relativ spät einsetzt, und die damit nicht die Grundlage, sondern Element und Effekt der Regierungskunst ist. (Vgl. ebd., S. 118ff.) Das Konzept der »Gouvernementalität« und der »Regierung« hat im Werk Foucaults insofern eine wichtige Bedeutung als es entscheidend dazu beiträgt, praktisch zwischen »Macht« und »Herrschaft« zu unterscheiden: »Mir scheint, dass man unterscheiden muss auf der einen Seite zwischen Machtbeziehungen als strategischen Spielen zwischen Freiheiten [. . . ] und auf der anderen Seite Herrschaftszuständen, die das sind, was man üblicherweise Macht nennt. Und zwischen beiden, zwischen den Spielen der Macht und den Zuständen der Herrschaft, gibt es Regierungstechnologien, wobei dieser Ausdruck einen sehr weitgefassten Sinn hat: das ist sowohl die Art und Weise, wie man Frau und Kinder leitet, als auch die, wie man eine Institution führt. Die Analyse dieser Techniken ist erforderlich, weil sich häufig mit ihrer Hilfe die Herrschaftszustände errichten und aufrechterhalten. In meiner Machtanalyse gibt es drei Ebenen: strategische Beziehungen, Regierungstechniken und Herrschaftszustände.« (Foucault 1984/2002a, S. 900)

Diese Unterscheidung hatte Foucault in seinen Arbeiten vor Die Geschichte der Gouvernementalität nicht eindeutig vorgenommen, was zu zahlreichen interpreta-

7 | Im deutschen Sprachgebrauch hat sich im Anschluss an den Vorschlag Lemkes hin der Begriff »Regierung« etabliert, auch wenn die semantische Spannweite von »gouvernement« im Französischen wesentlich weiter gefasst ist als das deutsche »Regierung«. Alternative Übersetzungen wären etwa »Steuerung« oder »Kontrolle« (vgl. Übersetzeranmerkung in Pasquino 1985, 52f.), bei denen jedoch die politische Dimension von »gouvernement« weniger klar akzentuiert wird.

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torischen Schwierigkeiten (oder – je nach Sichtweise – dem Vorwurf theoretischer Unzulänglichkeiten) geführt hatte, nämlich dass der Eindruck entstehen konnte, dass Herrschaft unausweichlich und Widerstand unmöglich sei. (Vgl. Lemke 2001) Es lassen sich also (erst jetzt deutlich) »drei Ebenen« (Foucault 1984/2002a, S. 900) der Machtanalyse unterscheiden: •





Strategische Beziehungen: Dies ist gewissermaßen die grundlegende Ebene, und Foucault versteht darunter strategische Spiele, »in denen die einen das Verhalten der anderen zu bestimmen versuchen« (ebd.). Diese Spiele sind allgegenwärtig und somit gibt es auf sozialer Ebene keinen Bereich, der frei von solchen Machtbeziehungen ist, und keine Kommunikationsform, die nicht stets auch eine Machtbeziehung ist. Herrschaftszustände: Mit Herrschaftszuständen beschreibt Foucault die institutionalisierte Machtausübung, die entsteht, wenn es einem Individuum oder einer gesellschaftlichen Gruppe gelungen ist, »ein Feld von Machtbeziehungen zu blockieren, sie unbeweglich und starr zu machen und jede Umkehrung der Bewegung zu verhindern« (ebd., S. 878). Während die strategischen Spiele der Macht prinzipiell veränderbar und umkehrbar sind, sind die Herrschaftsbeziehungen also starr und dauerhaft asymmetrisch, eine Sonderform oder ein Extrempunkt von Machtbeziehungen, in denen Freiheitsspielräume stark eingeschränkt sind. Regierungstechnologien: Unter Regierungstechnologien schließlich versteht Foucault mehr oder weniger regulierte und reflektierte Formen der Machtausübung, die aber nicht in gleichem Maße wie Herrschaftszustände auf Dauer gestellt und fixiert sind.

Für die hier anstehende Untersuchung zentral sind die Regierungstechnologien, die sich insbesondere dadurch auszeichnen, dass sie Selbstführungstechniken mit Techniken zur Führung der anderen koppeln: »Wenn man die Genealogie des Subjekts in der abendländischen Kultur untersuchen will, muss man nicht nur die Herrschaftstechniken, sondern auch die Selbsttechniken berücksichtigen. Man muss die Wechselwirkung aufzeigen, die zwischen diesen beiden Arten von Techniken besteht.« (Foucault 1981/2002c, S. 210) Konkret bedeutet dies zum einen, dass sich Herrschaftstechniken über Individuen der Prozesse bedienen, in denen das Individuum auf sich selbst einwirkt, und zum anderen, dass Selbsttechnologien in Zwangs- oder Herrschaftsstrukturen integriert werden. Regierung umfasst so gesehen also ein »Kontinuum« (Lemke 1997, S. 31), das von der »Regierung des Selbst« bis zur »Regierung der anderen« reicht, wobei das Verhältnis der Regierung anderer zu Formen von Selbstregierung nun weit grundlegender untersucht werden kann als in Foucaults früheren Arbeiten.

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In diesem Sinn ist »Gouvernementalität« die programmatische »Verbindung zwischen den Technologien der Beherrschung anderer und den Technologien des Selbst« (Foucault 1984/2002e, S. 969). Während (klassisch verstandene) Herrschaftstechniken auf die Bestimmung des Verhaltens von Individuen zu ihrer Unterwerfung unter Herrschaftszwecke zielen, definieren sich diese »Technologien des Selbst« darüber, dass sie es »Individuen ermöglichen, mit eigenen Mitteln bestimmte Operationen mit ihren Körpern, mit ihren eigenen Seelen, mit ihrer eigenen Lebensführung vollziehen, und zwar so, dass sie sich selber transformieren, sich selber modifizieren und einen bestimmten Zustand von Vollkommenheit, Glück Reinheit, übernatürlicher Kraft erlangen« (Foucault 1984, 35f.). Durch diese Präzisierung ermöglicht die Perspektive der Gouvernmentalität zugleich eine Sicht auf moderne politische Verhältnisse, in denen es nicht darum geht, den Menschen ein Gesetz aufzuerlegen, sondern darum, »Dinge anzuordnen, das heißt eher Taktiken als Gesetzen oder allenfalls Gesetze als Taktiken einzusetzen und es durch eine bestimmte Anzahl von Mitteln so einzurichten, daß dieses oder jenes Ziel erreicht werden kann« (Foucault 2004a, S. 150). Denn: Warum sollte man repressiv individuelle Freiheiten und Gestaltungsspielräume einschränken, wenn sich Ziele wesentlich »ökonomischer« mittels individueller »Selbstverwirklichung« realisieren lassen? (Lemke, Krasmann und Bröckling 2000, S. 28) Diese Art der Regierung ist eine Technologie, die, wie sich zeigen wird, seit dem Liberalismus von besonderer Relevanz ist und es – auch ob ihrer Ökonomie – Widerständigkeiten so schwer macht, einen Ansatzpunkt zu finden. Die Ausübung von Macht ist folglich, das wird in den Schriften zur Gouvernementalität deutlicher als in Foucaults früheren Werken, keine bloße Beziehung zwischen individuellen oder kollektiven »Partnern«, sondern »eine Form handelnder Einwirkung auf andere« (Foucault 1981/2002d, S. 285). Das heißt natürlich, dass es so etwas wie »die Macht« nicht gibt. Macht existiert nur als Handlung, auch wenn sie innerhalb eines weiten Möglichkeitsfeldes liegt, das sich auf dauerhafte Strukturen stützt. Das heißt auch, dass Macht nicht als solche der konsensuale Verzicht auf Freiheit oder die Übertragung von Rechten auf einige wenige ist. (Allerdings kann die Übertragung von Rechten durchaus die Voraussetzung für die Entstehung und das Bestehen von Machtbeziehungen sein.) Genauso wenig sind Machtbeziehungen »Gewaltbeziehungen«, die »zwingen, beugen, brechen, zerstören«, also Möglichkeiten blockieren. Vielmehr beruhen Machtbeziehungen explizit darauf, dass der, auf den Macht ausgeübt wird, handelndes Subjekt ist, also über ein Feld an Möglichkeiten zu handeln verfügt: (Ebd.) »[Macht] ist ein Ensemble aus Handlungen, die sich auf mögliches Handeln richten, und operiert in einem Feld von Möglichkeiten für das Verhalten handelnder Subjekte. Sie bietet An-

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reize, verleitet, verführt, erleichtert oder erschwert, sie erweitert Handlungsmöglichkeiten oder schränkt sie ein, sie erhöht oder senkt die Wahrscheinlichkeit von Handlungen, und im Grenzfall erzwingt oder verhindert sie Handlungen, aber stets richtet sie sich auf handelnde Subjekte, insofern sie handeln oder handeln können. Sie ist auf Handeln gerichtetes Handeln.« (Ebd., S. 286)

Es ist diese Verknüpfung zum Handeln, die die Verbindung dieser produktiven Macht mit der Neuzeit aufdrängt, auch wenn Foucault diese Verbindung nicht explizit formuliert hat: Denn erst, nachdem sich mit der Öffnung des Kontingenzraums Möglichkeiten für Handeln von der Begrenzung auf das starre feudal-sakrale System lösten und überhaupt erst auftaten, ergab sich auch die Möglichkeit für ein neues Feld der Macht – einer produktiven, schaffenden, gestaltenden Macht; erst die Weitung des Kontingenzraums eröffnete die Weitung auch des Machtfelds, und damit die Möglichkeit, in neuem Rahmen gestaltend auf andere(s) einzuwirken – zu handeln. Wenn man aber solchermaßen Machtausübung als ein auf Handeln gerichtetes Handeln definiert, dann schließt man darin auch das Element der Freiheit ein: Macht kann nur über »freie Subjekte« ausgeübt werden, insofern sie »frei« sind, also jeweils über mehrere Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten verfügen. Wo die Handlungskontingenz vollständig determiniert oder eingeschränkt ist, kann es keine Machtbeziehung geben. Sklaverei oder feudale Untertanenschaft ist entsprechend keine Machtbeziehung, sondern »nur« ein »Herrschafts«-Verhältnis physischen Zwangs. Macht und Freiheit schließen einander also nicht aus, sondern Freiheit ist die Voraussetzung und Vorbedingung für Macht; Freiheit muss vorhanden sein, damit Macht ausgeübt werden kann. (Vgl. ebd., S. 287)

3.3 DAS S UBJEKT

ALS

O BJEKT

DER

M ACHT

Es ist offensichtlich, dass im Knotenpunkt der Wirkungen der Macht das Subjekt liegt – die »Macht« operiert explizit über Subjekte und deren Freiheit; Subjektivität ist nicht die »natürliche« und unantastbare Grenze der Machtbeziehungen, genauso wenig aber auch bloßes Objekt oder Zielscheibe für Machttechnologien; vielmehr funktionieren moderne Machtmechanismen gerade »mittels« spezifischer Subjektivierungsformen: »Die Macht muss, wie ich glaube, als etwas analysiert werden, das zirkuliert, oder eher noch als etwas, das nur in einer Kette funktioniert; sie ist niemals lokalisiert hier oder da, sie ist niemals in den Händen einiger, sie ist niemals angeeignet wie ein Reichtum oder ein Gut. Die

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Macht funktioniert, die Macht übt sich als Netz aus, und über dieses Netz zirkulieren die Individuen nicht nur, sondern sind auch stets in der Lage, diese Macht zu erleiden und auch sie auszuüben; sie sind niemals die träge oder zustimmende Zielscheibe der Macht; sie sind stets deren Überträger. Mit anderen Worten, die Macht geht durch die Individuen hindurch, sie wird nicht auf sie angewandt.« (Foucault 1977/2002f, S. 238)

Es gibt in diesem Sinn »kein souveränes, stiftendes Subjekt, keine Universalform Subjekt [. . . ], die man überall wieder finden könnte.« (Foucault 1984/2002b, S. 906) Im Gegenteil, was ein Subjekt ist, liegt nicht ein für alle mal fest, sondern es wird durch Praktiken der Unterwerfung oder auch durch Praktiken der Befreiung konstituiert, und lässt sich nur (genealogisch) erschließen über die historischen Praktiken, die Selbst- und Sozialtechnologien u. Dgl. Die Form des Subjekts ist damit Ergebnis historischer Verhältnisse und Ulrich Bröckling betont zu Recht: »Für Foucault existiert das Subjekt der Subjektivierung nur im Gerundivum: als zu explorierendes, zu normalisierendes, zu optimierendes usw.« (Bröckling 2003, S. 80) Mit dieser Bestimmung wendet sich Foucault explizit gegen Theorien, die das Subjekt und dessen ursprüngliche Freiheit als Ausgangspunkt (und Zielpunkt) der Analyse wählen, um dann der Frage nachzugehen, wie diese Freiheit durch eine dem Subjekt äußerliche Macht eingeschränkt und unterdrückt wird. (Vgl. Foucault 1984/2002a, S. 888) Eine solche Subjektidee verwirft schon Nietzsche: »Aber es gibt kein solches Substrat; es gibt kein ›Sein‹ hinter dem Tun, Wirken, Werden; ›der Täter‹ ist zum Tun bloß hinzugedichtet, – das Tun ist alles« (zit. nach Nehamas 1991, S. 221). Man darf also nicht das Individuum als eine Art Elementarkern begreifen, auf das dann die Macht angewendet wird bzw. wogegen sich die Macht dann richtet, um es zu unterwerfen. Vielmehr ist das, was bewirkt, dass ein Mensch als Individuum identifiziert und konstituiert wird, »genau eine der ersten Wirkungen der Macht«. (Foucault 1977/2002f, S. 238) Insbesondere muss man sich folglich, wie Foucault vielfach fordert (z.B. Foucault 1976/2002b, S. 165), vom juridischen Souveränitätsmodell lösen, welches das Individuum als Subjekt natürlicher Rechte oder ursprünglicher Machtformen voraussetzt, tatsächlich aber ebenso selbst ein Modus ist, das Subjekt zu konstruieren, etwa als Inhaber einer Subjektivität, die es zu erforschen und auszubilden gilt, oder eben, wie in dieser Arbeit aufgezeigt, die Konstruktion des Menschen als arbeitendes Subjekt. Diese Subjektivierungen sind selbst schon Produkte spezifischer Subjektivierungstechnologien und müssen Gegenstand genealogischer Untersuchung sein. Und statt das »Innere« des Subjekts zu erkunden, muss danach gefragt werden, welche Wissensdispositive und Verfahren Menschen veranlassen konnten, ihr Selbstverhältnis in einer bestimmten Weise zu bestimmen. (Vgl. Bröckling 2003, S. 81)

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In der Geschichte haben die Menschen somit permanent ihre Subjektivitäten verschoben und werden auch künftig ihre Subjektivitäten neu konstituieren, ohne dass am Ende einmal »der Mensch« dasteht. (Vgl. Foucault 1980/2002b, S. 94) Foucaults Ziel war entsprechend, eine historische und kritische »Ontologie unserer selbst« (Foucault 1984/2002f, S. 705) zu verfassen, also die Untersuchung, wie wir als Subjekte konstituiert worden sind, die Machtbeziehungen ausüben oder erleiden. Und genau dies ist gemeint, wenn Foucault vom »Tod des Menschen« spricht: Der Versuch, dem ein Ende zu setzen, »das dieser Erzeugung des Menschen durch den Menschen eine feste Erzeugungsregel, ein wesentliches Ziel vorgeben will«. (Foucault 1980/2002b, S. 93) Es gilt daher, sich von jenen Arten Subjektivität, von den Vorstellungen über uns selbst und über unser Verhalten freizumachen: »Wir müssen unsere Subjektivität, unser Verhältnis zu uns selbst, befreien.« (Foucault 1979/2002, S. 1000) »Wir müssen nach neuen Formen von Subjektivität suchen und die Art von Individualität zurückweisen, die man uns seit Jahrhunderten aufzwingt.« (Foucault 1981/2002d, S. 280) Und hier ist, wie noch zu zeigen ist, etwa auch die Arbeiterbewegung zu verorten, die gerade Kämpfe geführt hat, die einen gegebenen Status der Individualität in Frage stellten und sich gegen eine bestimmte Form der Subjektivierung wendeten: Die frühen Kämpfe der Arbeiter waren Kämpfe für ein Recht, anders zu sein als es von der herrschenden (»bürgerlichen«) Subjektivierung nahegelegt wurde, und insofern insbesondere Kämpfe gegen alles, was das Individuum aus der Gemeinschaft herauslöste und es allein an sein eigenes, isoliertes Sein band. Insgesamt richten sich diese Kämpfe also, wie in Kapitel 5 gezeigt wird, nicht einfach nur gegen bestimmte Herrschaftsinstitutionen, Gruppen, Klassen oder Eliten, sondern gegen eine bestimmte Machttechnik oder Machtform, die eben nicht nur in Institutionen zu suchen ist, sondern die im unmittelbaren Alltagsleben wirkt. Diese Kämpfe sind aber nur möglich, wenn das Subjekt nicht in der Macht aufgeht. In den ersten Arbeiten Foucaults dominiert der Eindruck, dass das Subjekt in Foucaults Augen »ein bloßes Manipulationsfeld von Machttechniken« sei (Honneth 1988, 138f.). Erst in den beiden Bänden zur Geschichte der Gouvernementalität und v.a. der Geschichte der Sexualität definiert Foucault Subjekte deutlich weniger einseitig als im Netz der Mächte Verfangene, sondern weit klarer in einer Doppelbewegung von »Unterwerfung« und »Subjektwerdung« – die Doppelbedeutung, die der französische Ausdruck der »subjectivation« besitzt und die auch hier betont werden soll: als produziertes und zugleich aktives, Macht ausübendes und zur Selbstführung fähiges Subjekt. Das Subjekt ist somit zugleich Wirkung und Ursache, Adressat und Urheber von Machtinterventionen. (Vgl. Bröckling 2007, S. 21). Es geht stets um die vorhandenen

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Möglichkeiten innerhalb eines Prozesses, der zwar durch andere Machtmechanismen verändert oder auch beendet werden kann, jedoch dabei immer der »der Macht eignende[n] Möglichkeit« entspricht. (Butler 1993, S. 45) Mit dieser Erweiterung gewinnt, wie Saar darlegt, Foucaults Subjektbegriff eine systematische Tiefenschärfe, die in Foucaults frühen Arbeiten anscheinend oder zumindest scheinbar gefehlt hat, weil das Wirken der Macht auf die Subjekte ohne widerstrebende Kräfte dargestellt und diese nur als »Effekt« der Macht präsentiert wurden. Wenn aber vom Subjekt tatsächlich keinerlei Wirkungen ausgehen würden, könnte der von den Genealogien ausgehende Appell zur Änderung des Selbstverhältnisses des Subjekts und zur Entsubjektivierung nicht greifen, da auch die Beziehung des Selbst zu sich ein Resultat tiefer liegender Wirkungen gewesen wäre.8 Insofern ist Machtausübung »Führung der Führungen« in dem Sinne, dass Handlungen angeleitet, aber nicht erzwungen, beeinflusst, aber nicht verursacht werden: »Regieren« heißt, »das mögliche Handlungsfeld anderer zu strukturieren« (Foucault 1981/2002d, S. 287). Dass sich die in diesem Sinne »Geführten« immer schon auch »selbst« führen, Subjekte ihrer Handlungen sind, heißt nun terminologisch nichts anderes, als dass sie frei sind: »Macht kann nur über ›freie Subjekte‹ ausgeübt werden, insofern sie ›frei‹ sind« (ebd.), wenn sie jeweils über mehrere Verhaltens-, Reaktionsoder Handlungsmöglichkeiten verfügen. Dies ist ein recht rudimentäres Verständnis von Freiheit als Möglichkeit. Und entsprechend schwergängig wirken auch die im folgenden Abschnitt behandelten möglichen Widerständigkeiten. Entscheidend für deren Existenz innerhalb des Foucaultschen Kosmos ist aber die äußerst klare und für Foucault offensichtlich auch geradezu selbstverständliche Annahme, dass die Begrifflichkeit zur Beschreibung von Machtverhältnissen Platz für den Begriff der Freiheit haben muss, weil sonst die Idee einer Wirkung von Macht keinen Sinn hätte.

8 | Vgl. Saar 2007, S. 264. So beschreibt die Geschichte der Sexualität die Geschichte der ethischen Selbstthematisierungen und Selbstpraktiken, und damit die Formen des Selbstbezugs als variabel. Entsprechend sind Foucaults späte Untersuchungen zur »Ästhetik der Existenz« oder »Sorge um Sich« auch nicht Eingeständnis des Scheiterns der Machtanalytik oder die Suche nach einem verborgenen Subjekt bzw. der Versuch dessen Wiedereinführung (nachdem er es zuvor geleugnet hatte), sondern die Untersuchung spezifischer Produktionen von Subjektivität (vgl. Bröckling 2007, S. 35). Damit erscheint auch die von vielen Kommentatoren konstatierte überraschende zweite »Kehre« (Visker 1991, S. 104) zum Subjekt nicht als weiterer »Bruch« (so z.B. Honneth 1990), sondern als ein – natürlich neuer – Schwerpunkt innerhalb desselben genealogischen Projekts der Untersuchung der Wahrheitsspiele.

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3.4 G EGEN -V ERHALTEN Wie eben gezeigt, ist aus Sicht Foucaults die Macht »immer schon da«; man steht niemals »draußen« und es gibt zwischen den »Maschen« des Machtnetzes »keine Inseln elementarer Freiheiten« (Foucault 1977/2002d, S. 546). Aber dies bedeutet nicht, »dass man so oder so in der Falle sitzt«, die Form der Herrschaft unausweichlich ist (ebd.). Denn die Machtbeziehungen sind stets mit anderen Arten von Beziehungen verwoben (der Familie, der Ehe, der Produktion etc.), »wo sie zugleich eine bedingende und eine bedingte Rolle spielen« (ebd.). Entsprechend nehmen die Machtbeziehungen »vielfache Formen« an und ihre Strategien werden durch die unterschiedlichen lokalen Verfahrensweisen der Macht angepasst und verändert. Und daher gehen diese Anpassungen »mit Erscheinungen der Trägheit, der Verschiebungen und der Widerstände einher«, so dass man in Bezug auf Macht nicht von einer primären und massiven Tatsache der Herrschaft ausgehen darf (von einer binären Struktur mit »Herrschenden«, die sie haben, auf der einen Seite und »Beherrschten«, die sie nicht haben und sie erleiden, auf der anderen Seite), sondern vielmehr von einer »vielgestaltigen Produktion von Herrschaftsverhältnissen«, die teilweise in die Gesamtstrategien integrierbar sind. (Foucault 1977/2002d, S. 547) Ebenso wie man diese Macht nicht schematisch im Staatsapparat lokalisieren darf, darf die sich in den diversen von Foucault beschriebenen Mikrophysiken entfaltende Macht als »Eigentum«, das jemand besitzt oder ein »Privileg« einer herrschenden Klasse aufgefasst werden; die »Herrschaftswirkungen« der Macht dürfen »nicht einer ›Aneignung‹ zugeschrieben werden, sondern Dispositionen, Manövern, Techniken, Funktionsweisen«, es sind »Strategien«, die sich »entfalten«. (Foucault 1975/1998, S. 38) Innerhalb dieser Machtstrategien ist Widerstand nicht nur möglich, sondern Machtbeziehungen lösen Widerständigkeiten selbst aus, sie provozieren und ermöglichen Widerstand (Foucault 1977/2002c, S. 525): »Der Widerstand nötigt mit seiner Wirkung die Machtverhältnisse dazu, sich zu verändern.« (Foucault 1984/2002c, S. 916). Um diese Widerstandsformen konkret zu beschreiben, nutzt Foucault den Begriff »Gegen-Verhalten« [contre-conduite] – im Sinne von »Kampf gegen die zum Führen von anderen eingesetzten Verfahren, des Sich-nicht-wie-es-sich-gehört-Betragens« (Foucault 2004a, S. 292). Der Vorteil dieses Begriffs liegt für Foucault darin, dass er gestattet, sich auf die aktive Bedeutung des Wortes »Verhaltensführung« zu beziehen, und er eine gewisse Substantifizierung, »einen Heiligungs- oder Heroisierungseffekt« vermeidet, wie er etwa beim Begriff Dissidententum ermöglicht wird (ebd.). Im Gegensatz zu den Widerständen gegen Herrschaft handelt es sich bei diesem Gegen-Verhalten »nicht mehr um Konfrontationen innerhalb dieser Spiele, sondern

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um Widerstände gegen das Spiel und die Verweigerung des Spiels selbst.« (Foucault 1978/2002a, S. 685) Bei diesen Widerständen geht es in diesem Sinn nicht einfach darum, an den Machtspielen in der Weise teilzunehmen, dass man seiner Freiheit oder seinen Rechten größeres Gewicht verschafft oder dass man gegen ökonomische Ausbeutung oder Ungleichheit vorgeht, sondern Ziel dieser Art von Widerstand und Kampf sind im Kern die Tatsachen der Macht selbst, »die Tatsache, dass eine bestimmte Macht ausgeübt wird und dass allein die Tatsache, dass sie ausgeübt wird, unerträglich ist« (ebd., S. 687f.). Gäbe es dieses Gegen-Verhalten nicht, gäbe es auch keine Machtbeziehungen: »Weil alles einfach eine Frage des Gehorchens wäre.« (Foucault 1984/2002c, S. 916) Zentral ist hier die oben beschriebene Unterscheidung zwischen Macht und Herrschaft, wonach im Gegensatz zur Macht die Herrschaft »völlig sichtbar« ist und entsprechend »Kämpfe hervorgebracht [hat], die man sofort erkennen kann, da ihr Gegenstand selbst sichtbar ist«, wie z.B. bei Kämpfen gegen kolonialistische, ethnische und sprachliche Formen der Gewaltherrschaft oder gegen die ökonomischen Formen der Ausbeutung. (Foucault 1978/2002a, S. 690) Der Widerstand gegen solche Herrschaftsformen ist (im westlichen Kulturkreis) etabliert und legitimiert. Leicht kann der Widerstand der Arbeiter gegen die klassenförmige Unterdrückung zu Beginn der Industrialisierung als derartiger Widerstand gegen die Herrschaft der Bourgeoisie beschrieben werden. Doch dies ist, wie in Teil II dieser Arbeit gezeigt werden wird, eben unterkomplex, verkürzt die Bewegung der Arbeiter auf das Offensichtliche und lässt zentrale Aspekte des Gegen-Verhaltens der Arbeiter unberücksichtigt. Denn wenn man von der Existenz dieser neuartigen Macht in der Moderne ausgeht, dann ist es unzureichend, die Formen der Macht zu analysieren bzw. anzugreifen und zu fragen wer die Macht hat. Im Gegenteil gilt es die Macht auf der Seite zu untersuchen, wo ihre Intention (sofern es eine Intention gibt) innerhalb wirklicher Praktiken eingelassen ist. Also gerade nicht zu fragen, warum und mit welcher Strategie will die Bourgeoisie herrschen, sondern zu untersuchen, wie die Dinge in dem unmittelbaren Moment der Unterwerfungsprozedur geschehen und dann daraus die dahinterliegenden Machtperspektiven abzuleiten. (Vgl. Foucault 1977/2002f, 236f.) In einem solchen Verständnis lässt sich die Macht auch nicht nur mit einem Individuum oder einer Klasse identifizieren, die sie als »Stärke« besitzen oder sie aufgrund ihrer Herkunft oder Ähnlichem über die anderen ausüben; die Macht »ist eine Maschine, in der die ganze Welt gefangen ist, ebenso diejenigen, die die Macht ausüben, wie diejenigen, über die diese Macht ausgeübt wird.« (Foucault 1977/2002a, S. 262) Es gibt also keine Verantwortlichen in diesem Prozess; alle sind Teil eines Prozesses, den sie nur in sehr geringem Umfang beeinflussen können und dessen innere Dynamik nichts mit den Absichten handelnder Individuen zu tun hat. Zwar

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gibt es innerhalb dieser Maschine eine Ausdifferenzierung in höhere und niedrigere Positionen, aus denen Überlegenheitseffekte hervorgehen und etwa auch die Herrschaft einer Klasse sich begründen kann, aber dies sind »nur« extreme Formen der Machtausübung. In den »Herrschaftszuständen« zur Zeit der Industrialisierung, die hier selbstverständlich nicht abgestritten oder auch nur klein geredet werden sollen, waren die Machtbeziehungen in der Tat von der Bougeoisie blockiert, asymmetrisch, so dass der Spielraum der Freiheit äußerst beschränkt war. Und selbstverständlich richteten sich die Kämpfe der Arbeiterbewegung auch gegen jene Asymmetrien. Aber in der vorliegenden Arbeit soll darüber hinausgegangen und Kämpfe der Arbeiter dargelegt werden, die nicht allein auf »Befreiung« zielten, sondern »Praktiken der Freiheit« darstellten, und damit nicht nur gegen die Herrschaft der Bourgeoisie angingen, sondern tatsächlich als »Gegen-Verhalten« gegen die disziplinierenden und normalisierenden Dispositive der liberalen Machtdispositive auftraten. Foucault selbst liefert über den bloßen Möglichkeitscharakter hinaus so gut wie keine Anhaltspunkte, wie und wozu diese Praktiken der Freiheit zu gebrauchen sind.9 (Vgl. Saar 2007, S. 284) Diese Arbeit geht insofern über Foucault hinaus, indem sie am Beispiel der Arbeiter und der Arbeiterbewegung aufzeigt, wie Freiheitspraktiken unter den Bedingungen einer modernen Gouvernementalität aussehen könnten. Ex-

9 | Seitens Foucault finden sich lediglich in Sicherheit, Territorium, Bevölkerung (Foucault 2004a, S. 293ff.) einige Passagen zu Formen des Gegen-Verhaltens gegen die Ökonomie der mittelalterlichen Pastoralmacht – die Askese, die Gemeinschaft und die Mystik: Askese: Die asketischen Praktiken beschreibt Foucault als eine dezidiert mit dem pastoralen Gehorsam unvereinbare Praxis, u.a. insofern als sie als »eine Übung des Selbst an sich selbst« (ebd., S. 297) eine Art Einzelkampf der Individuen mit sich selbst darstellen, in dem die Autorität eines anderen (des Pastors als die Gläubigen anleitendem Hirten) nicht mehr erforderlich ist und das Individuum zum »Führer seiner eigenen Askese« wird (ebd., S. 298). Gemeinschaft: Ebenso finden sich bei zahlreichen der sich während des Mittelalters gebildet habenden Gemeinschaften theoretische Grundlagen, welche die Ablehnung der Autorität des Pastors und der darin unterbreiteten theologischen oder ekklesiologischen Rechtfertigungen impliziert, so etwa die auf Freiwilligkeit basierende Erwachsenentaufe oder die Entwicklung einer Praxis der Laienbeichte, die beide den das Pastorat kennzeichnenden Dimorphismus zwischen Priester und Laien durch das Prinzip der absoluten Gleichheit unter allen Mitgliedern der Gemeinschaft ersetzen. Mystik: Eine dritte Form von Gegen-Verhalten sieht Foucault in der Mystik als dem Privileg einer Erfahrung, die der Ökonomie der Wahrheit (dem Geständnissystem der Beichte) der pastoralen Macht per definitionem entgeht: In der Mystik erkennt die Seele sich selbst in Gott, und Gott in sich selbst, wohingegen es in der Pastoral keine Kommunikation der Seele mit Gott geben kann, die nicht durch den Pastor kontrolliert wird.

3. EINE NEUE TECHNOLOGIE DER MACHTAUSÜBUNG | 71

emplarisch wird in Teil II dieser Arbeit beschrieben, wie sich ein Gegen-Verhalten der Arbeiter konturiert, das jenseits der unmittelbaren Herrschaft die dezidierte Subjektivierungsform des Liberalismus problematisiert und durch eigene Subjektivierungsformen kontrastiert und, zumindest teilweise, zur Disposition stellt. Dieser Weg setzt damit zugleich den Rahmen für eine Verortung der Arbeiterbewegung als, so die hier vorgelegte Interpretation, an der Arbeit als zentralem Ort der Macht ansetzende Widerstandsform gegen ein spezifisches Subjektivierungsdispositiv. Die Auseinandersetzung mit der Arbeiterbewegung kann insofern durchaus verstanden werden als exemplarische Analyse von Widerstand bzw. Widerstandsmöglichkeit in einer modernen Gouvernementalität gegen eine bestimmte Subjektivierungform und innerhalb eines bestimmten, nämlich an Produktvität und Arbeit orientierten Machtkontexts. Dass am Ende Teile dieses Gegen-Verhaltens der Arbeiterbewegung modifiziert und zum Katalysator für die neoliberale Weiterentwicklung des Liberalismus wird, ist ebenso Teil dieser Geschichte und Beleg für das Wirken der Macht, das in den weiteren Kapiteln grob umrissen wird.

Teil II. Die moderne Gouvernementalität und die Genealogie von Arbeit, Subjekt, Widerstand

TEIL II. DIE GENEALOGIE VON ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND | 75

»Epochenbruch« ist die wortgewaltige Metapher, mit der Reinhart Koselleck (Koselleck 1979b) die massiven Veränderungen bündelt, die mit dem Fall Konstantinopels, der Astronomia Nova von Kopernikus und Kepler, den Discorsi Galileis, dem Nominalismus Bacons, Petrarcas Humanismus, der Expedition Magellans, dem Revolutions-Prediger Thomas Münzer, der Skepsis eines Montaigne usw. verbunden sind und zum Bruch des die Regierung durch den König rechtfertigenden Kontinuums von Gott zu den Menschen führten. Dabei verdeutlicht aber erst die Verbindung dieser »Entgouvernementalisierung des Kosmos« (Foucault 2004a, S. 343) mit dem Möglichkeitshorizont, der durch diese Entgouvernementalisierung aufgeworfen wird und der damit einen ganz neuen Realitätsrahmen eröffnet, wie fundamental dieser »Epochenbruch« wirklich war. Auch diese Arbeit nimmt diesen Epochenbruch zum Ausgangspunkt der Analyse – weniger aus Ehrfurcht vor der Gewaltigkeit dieses Bruchs, sondern weil, wie im Verlauf dieser Arbeit deutlich werden wird, die Grundlagen, auf denen das GegenVerhalten der Arbeiterbewegung basiert, massiv mit den durch diesen Bruch realisierten Kontingenzen – deren Nutzung wie deren Begrenzung – zusammenhängen.1 Die Bedeutung der Erfahrung der radikalen Verschiebung des Möglichkeitshorizonts in den europäischen Gesellschaften zu Beginn der Neuzeit wird insbesondere dann deutlich, wenn man an der doppelten Bestimmung von Kontingenz ansetzt: »Kontingent ist, was auch anders möglich ist, weil es keinen notwendigen Existenzgrund hat.« (Scheibe 1985, S. 1) Selbst in dieser »Minimalbestimmung« (Makropoulos 1990, S. 407) von Kontingenz ist die janusköpfige Unbestimmtheit von Kontingenz enthalten, wonach die Bestände der Wirklichkeit »weder notwendig noch unmöglich, sondern auch anders möglich sind – und zwar nicht nur in dem Sinne, dass sie veränderlich und also zufällig, sondern auch in dem Sinne, dass sie veränderbar und folglich manipulierbar sind.« (Makropoulos 2007, S. 225) Kontingent ist also zum einen »alles Zufällige, das sich Planung entzieht, das aber auch erst mit Planung als Unverfügbares erkennbar wird« (Makropoulos 1990, S. 408). Diese Bedeutung bezieht sich, wie Makropoulos aufführt, auf die aristotelische Kategorie des Zufalls, tyché, bzw. das opoter etychén (»wie es sich gerade so ergibt«), das in der

1 | Die Kategorie »Kontingenz« baut auf wirkmächtigen Traditionen auf und wird weithin diffus und ambivalent genutzt; in unterschiedlichen Bedeutungen findet er sich u.a. bei Immanuel Kant, bei Helmuth Plessner, Hans Blumenberg, Theodor W. Adorno, Jean Paul Sartre, Niklas Luhmann, Richard Rorty usw. In den folgenden Ausführungen zu »Kontingenz« und deren verschiedenen Implikationen wird insb. auf Makropoulos 1990 und Makropoulos 1997 zurückgegriffen. Weiterführend sei verwiesen auf Bubner 1984, Kap. A, I; Bubner, Cramer und Wiehl 1985; Luhmann 1984.

76 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

spätmittelalterlichen Scholastik mit contingere latinisiert wurde. Wörtlich bezeichnet contingere verschiedene Arten störender Einwirkung auf Handlungsvollzüge; die Perspektive ist also rein negativ und das in der Doppelbedeutung von tyche gleichermaßen angelegte Positive, der »glückliche« Zufall, bleibt unterbestimmt. Bis heute bestehen teils massive Sicherheitsdispositive, die die negativen Aspekte dieses Kontingenzverständnisses begrenzen sollen – von Versicherungstechnologien über präventive Handlungsanleitungen in Bezug auf Hygiene und gesunder Ernährung oder Regularien, die gefährliches Verhalten und damit dessen Risiken eindämmen sollen, bis hin zu den kontroversen Diskursen, die in der modernen Physik über Heisenbergs Unschärferelation geführt wurden. (Vgl. ebd.) Dennoch ist, wie auch Michael Makropoulos betont, die Zufallskontingenz die eher problemlose Seite von Kontingenz. Die problematische Seite von Kontingenz steckt vor allem im Verfügbar-Kontingenten. Denn »kontingent« ist zum anderen auch »alles das, was Produkt menschlichen Handelns ist, also alles Künstliche« (ebd.). Handeln ist hier, in Anlehnung an Rüdiger Bubner, zu verstehen als »die Entscheidung zwischen, die Wahl aus verschiedenen Möglichkeiten«, was damit, um überhaupt sinnvoll von »Handeln« sprechen zu können, das Vorhandensein verschiedener vorhandener Möglichkeiten voraussetzt: »Zwangsläufige Geschehnisse pflegen wir ebenso wenig Handeln zu nennen wie das schlechterdings gesetzmäßige und prognostizierbare Verhalten. [. . . ] Die Entscheidung für eine bestimmte Möglichkeit des Handelns, die durch den vollzogenen Akt selber dann in Wirklichkeit überführt wird, setzt voraus, daß es überhaupt einen Spielraum offener Möglichkeiten gibt.« (Bubner 1984, S. 38) Wo alles notwendig ist, gibt es kein Handeln. Denn Handeln »bedeutet Setzen von Wirklichkeit, die noch nicht ist.« (Bubner 1998, S. 7) Wenn aber Handeln bedeutet, sich zwischen mehreren Möglichkeiten zugunsten einer und zuungunsten der anderen zu entscheiden, dann stellt sich natürlich die Frage nach dem Kriterium, das dieser Entscheidung zugrunde liegt. Aristoteles sah dieses Kriterium, so Makropoulos, in der Erfahrung, die sich selbst innerhalb eines gegebene Rahmens an Möglichem bewegt, der bestimmt, was möglich ist, und was nicht – weil es Vergangenes, Natürliches oder Göttliches ist, der Macht des Menschen also absolut entzogen ist. (Vgl. Makropoulos 1990) Dieser Horizont des Möglichen ist, wie Niklas Luhmann mit Bezug auf Aristoteles darlegt, kein offener Letzthorizont des Möglichen überhaupt, sondern wird aus der Realität bezogen und gewonnen, die ihrerseits stets mit dem Weltbild der Gesellschaft korrespondiert, in der dieses Mögliche existiert. Denn ganz gleich ob man eher die Handlungskontingenz betont, das Kontingente also als das dem Menschen Verfügbare und von ihm Gestaltbare ansieht, oder ob man eher die Zufallskontingenz in den

TEIL II. DIE GENEALOGIE VON ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND | 77

Vordergrund rückt, das Kontingente v.a. im für den Menschen Unverfügbaren sieht: In beiden Fällen ist das Kontingente unweigerlich an den jeweiligen Möglichkeitshorizont der Gesellschaft gebunden – was wiederum auch Einblicke in die Gesellschaft selbst eröffnet: »Was in einer Gesellschaft als kontingent betrachtet wird und was nicht, gehört zu ihren signifikantesten Charakteristika.« (Ebd., S. 409) Diese – inzwischen als klassisch zu bezeichnende – Bestimmung des Kontingenten als einem aus dem Gesellschaftlichen entwachsenem Möglichkeitshorizont hat, ohne bei diesem explizit behandelt worden zu sein, eine geradezu erstaunliche inhaltliche Nähe zu dem eben beschriebenen Machtbegriff Foucaults, wenn man diesen als das die Realität und das Verhältnis der Menschen zu dieser Realität aber auch untereinander und zu sich selbst Strukturierende begreift. Was Foucault in besonderem Maße auszeichnet, ist die spezifische Methodik, mit der er diese Verhältnisse und insbesondere ihre unmerklichen Kontingenzbegrenzungen kritisch zu analysieren sucht, die Distanzierung und Alienisierung als Archäologie oder Genealogie. Wenn nun im Folgenden mit Hilfe dieses methodischen Instrumentariums den modernen Rationalitäten nachgespürt und der Eintritt der »Arbeiter« in die Geschichte beleuchtet wird, so erfolgt damit zugleich einerseits der Aufweis, dass die schier unendliche Möglichkeitsoffenheit, der wir uns scheinbar seit dem Liberalismus ausgesetzt sehen, in Wirklichkeit eine ganz bestimmte, oft auch unmerkliche Strukturierung des Seins ist, die andererseits aber, das verdeutlicht das Gegen-Verhalten der Arbeiterbewegung, keineswegs unausweichlich ist.

4. Die liberale Rationalität

Der Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert ist, wie angerissen, begleitet von einer anscheinend völligen Neuorganisation von Gesellschaft, Regierung, Wissen, Wahrheit. Die vielfältigen neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zeigten, dass Gott die Welt im Grunde nur über allgemeine, universelle und auffindbare Gesetze, also über Prinzipien beherrscht. Und dies bedingt letztlich, wie Michael Makropoulos darlegt, nichts Geringeres als die Expansion des »Menschenmöglichen«: »Denn die Schwächung pragmatisch wirksamer transzendenter Bindungen spätestens nach den religiösen Bürgerkriegen im 17. Jahrhundert, die gleichzeitige sich beschleunigende Entgrenzung der Erwartungen aus ihren Bindungen an bisherige Erfahrungen durch technische Innovationen, soziale Wandlungen oder schlicht andere Erfahrungen im Zuge der Erweiterung der Weltkenntnis – durch Seefahrt –, nicht zuletzt dann die zunehmende wissenschaftliche Naturbeherrschung, die die Grenze zwischen dem Menschenmöglichen und dem NatürlichUnverfügbaren verschob und im Gefolge der Idee des Fortschritts ins Unendliche verlegte, führten nach und nach dazu, daß der Bereich, der der Macht des Menschen unterliegt, tendenziell offen war.« (Makropoulos 1990, S. 411)

Mit dieser Öffnung des »Möglichkeitshorizonts« hatte jedoch, wie Michael Makropoulos weiter herausarbeitet (ebd.), auch das Handeln sein anleitendes Kriterium verloren – die Art und Weise, wie die Menschen regiert wurden und sich regierten, sowohl in ihren individuellen wie in ihren sozialen, politischen Beziehungen, stand grundlegend zur Disposition, so dass am Ende auch die Form der Macht nicht unberührt bleiben konnte. Es eröffnete sich, so die hier in Anlehnung an Foucault vertretene These,1 der Raum für die Realisierung einer ganz neuen Machttechnologie, deren

1 | Foucault konstatiert die »Erfindung« einer neuen Machttechnologie, setzt sie jedoch nicht unmittelbar in Bezug zur Öffnung des Möglichkeitshorizonts.

80 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

Besonderheit es ist, über die Konstituierung von Subjektivitäten zu wirken, die an der Rationalität der Ökonomie ausgerichtet werden, der das Leben untergeordnet wird, und die so zum bestimmenden Modus von Existenz avanciert, wodurch letztlich der gewonnene Möglichkeitshorizont in einer ganz bestimmten Weise wieder begrenzt wird. Innerhalb des sich so abzeichnenden neuen Machtdiagramms bildet sich eine »Regierungskunst« heraus, die sich nicht mehr an traditionellen Tugenden (Weisheit, Gerechtigkeit, Großzügigkeit, Achtung vor den göttlichen Gesetzen und der göttlichen Ordnung) orientiert, sondern die ihre Rationalität, ihre Prinzipien und ihr spezifisches Anwendungsfeld im Bereich des Staates findet. Diese »Staatsräson« war nicht einfach ein neuer Imperativ, in dessen Namen man alle anderen Regeln umstoßen musste oder konnte, sondern die »Erfindung«2 eines neuen Rationalitätsrahmens, an dem der Fürst die Ausübung seiner Herrschaftsgewalt auszurichten hatte: »Es entstand eine neue historische Wahrnehmung, die nicht mehr auf das Ende der Zeit und die Vereinigung aller partikularen Herrschaften im Reich der Endzeit ausgerichtet war, sondern sich einer unbegrenzten Zeit öffnete, in der die Staaten gegeneinander kämpfen mussten, um ihr eigenes Überleben zu sichern, und in der das Problem, die Kräfte eines Staates zu erkennen und zu entwickeln, wichtiger wurde als die Frage der legitimen Herrschaft über ein Territorium.« (Foucault 1978/2002f, S. 902)

Diese Regierungstechnologie der Staatsräson ist die erste, die ihr Handeln nicht aus einer übergordneten Macht ableitet, sondern dieses in sich selbst fundiert. Wir haben damit eine Rationalität, die – bei allen Veränderungen, die sich seitdem ergeben haben – auch in die Gegenwart hineinwirkt und den Hintergrund für unser Handeln bildet. Nichts desto trotz ist die Staatsräson in vielerlei Hinsicht die Kontrastfolie für den Liberalismus, mit dem sich erst das Machtdiagramm aus Arbeit, Produktivität, Reichtum und Subjektivierung ausbildet, das den Ansatzpunkt für das in Kapitel 5 beschriebene Gegen-Verhalten der Arbeiter und der Arbeiterbewegung bildet und ebenfalls noch heute fortwirkt als bestimmende Grundlage von Handeln und Sein.

2 | Foucault spricht in diesem Kontext mehrfach von »Erfindung«, betont jedoch zugleich, dass diese »Erfindung« nicht als plötzliche Entdeckung zu verstehen ist. Stattdessen gab es eine »Vielfalt von oft geringfügigen, verschiedenartigen und verstreuten Prozessen, die sich überschneiden, wiederholen oder nachahmen, sich aufeinander stützen, sich auf verschiedenen Gebieten durchsetzen, miteinander konvergieren – bis sich allmählich die Umrisse einer gemeinen Methode abzeichnen.« (Foucault 1975/1998, S. 177)

4. DIE LIBERALE RATIONALITÄT | 81

Im folgenden Abschnitt 4.1 werden in diesem Sinn zunächst in relativ enger Anlehnung an Foucault die wichtigsten Im- und Explikationen der neuartigen Regierungstechnologie der Staatsräson ausgeführt, bevor anschließend (Abschnitt 4.2) dezidiert auf den Liberalismus als der Rationalität, in der bzw. gegen die sich die Arbeiterbewegung konstituierte, eingegangen wird. Hierbei wird insbesondere auch der von Foucault im Kontext der Entstehung der modernen Gouvernementalität praktisch ausgeblendete Wandel der Arbeit behandelt, der mit der Erfindung der Staatsräson seinen Ausgang nahm und mit dem Übergang zum Liberalismus sich schließlich als zentral für den Zugriff der Macht auf die Subjekte erweist (Abschnitt 4.3). Die liberalen Subjektivierungstechnologien selbst sind dann Thema von Abschnitt 4.4.

4.1 D IE S TAATSRÄSON Die Regierungstechnologie der »Staatsräson« geht unmittelbar der liberalen Regierungstechnologie voran und ist in vielerlei Hinsicht das Gegenstück zum späteren liberalen Laissez-faire. Zugleich finden sich aber auch einige Elemente der Staatsräson, die vom Liberalismus aufgegriffen und, wenn auch modifiziert, dort zum Tragen kommen. Daher sollen in diesem Abschnitt kurz die sich für den Liberalismus als relevant erweisenden Elemente der staatsraisonalen Regierungskunst dargelegt werden.3 4.1.1 Die Rationalität der Regierung Im Ausgang der Neuzeit, als, wie oben beschrieben, das die Regierung der Menschen durch den König rechtfertigende Kontinuum von Gott zu den Menschen zerbricht, hat, so Foucault4 , auch der Souverän nicht länger eine göttliche Souveränität auf die Erde auszudehnen, sondern als spezifische Aufgabe zu regieren. Hierfür jedoch gibt es weder auf Seiten Gottes noch seitens der Natur ein Vorbild oder ein Modell, nach dem man sich richten könnte. Die Regierung muss den Modus der Regierung, ihre Räson, neu (er)finden. (Vgl. Foucault 2004a, 344f.) Die Regierung wird entsprechend zu einer »Kunst«, die sich deutlich von den bisherigen traditionellen Formen des Handelns und Wissens unterscheidet. Der wesent-

3 | Vgl. zur Staatsräson Foucault 2004a, insb. Vorlesung 9 vom 8.3.1978, Vorlesung 10 vom 15.3.1978 und Vorlesung 11 vom 22.3.1978, aber auch Münkler 1987 und Schnur 1975. 4 | Vgl. ähnlich aber auch Mittelstraß 1970 und Koselleck 1979a.

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liche Unterschied ist dabei, dass die Regierungskunst auf eine spezifische politische Kompetenz zurückgreift, die nicht wie bei den früheren Regierungen auf einer moralischen, juristischen oder theologischen Autorität basiert. Das Wissen, wie »richtig« zu regieren ist, war »wissenschaftlich« zu suchen, zu »erfinden«, und insofern wurde die Staatsräson selbst unmittelbar als eine – etwa dem Heliozentrismus durchaus vergleichbar einschneidende – Erfindung wahrgenommen. Die Regierungskunst wird mit der Staatsräson entsprechend zu einer Technik der Staatsführung. Und das Ziel dieser Staatsführung ist »der Staat selbst« (ebd., S. 373), d.h. konkret die Vergrößerung und Stärkung der Kräfte des Staates. Im Gegensatz zu späteren Rationalitäten kann die Stärkung des Staats jedoch nur innerhalb eines fixen Konkurrenz-Tableaus – einer gegebenen Vielheit von Staaten – stattfinden, so dass das Ziel die Erhaltung eines bestimmten Kräfteverhältnisses sein muss, innerhalb dessen kein Staat so groß ist oder werden kann, dass er einen anderen Staat dominieren könnte. (Vgl. ebd., S. 420ff.) Zentral für die Realisierung dieses Ziels sind letztlich drei Komplex, das Diplomatisch-Militärische, die Policey sowie, drittens – als Verbindungspunkt wie auch gemeinsamem Instrument dieser beiden großen Technologien – der Merkantilismus. Aufgabe der diplomatisch-militärischen Technologie war, die Kräfte des Staates durch ein System von Bündnissen und durch die Organisation eines bewaffneten Apparats zu sichern und so ein europäisches Gleichgewicht zu erhalten, wie es auch zu den Leitgedanken des Westfälischen Friedens gehörte. Da diese Technologie für die Fragestellung dieser Arbeit nur von sehr untergeordneter Bedeutung ist, wird im Weiteren nicht gesondert darauf eingegangen.5 Die beiden zentraleren Komplexe der Policey und des Merkantilismus werden im Folgenden dagegen etwas näher beleuchtet, denn die sich mit der Policey entwickelnde Technologie der Sozialdisziplinierung ist eine zentrale Basis für die entsprechende liberale Subjektivierung und der Merkantilismus ist schließlich gleichermaßen Antipode wie Basis der liberalen Organisation des Wirtschaftens. 4.1.2 Policey und Sozialdisziplinierung Mit »Policey« beginnt man vom 17. Jahrhundert an die Gesamtheit der Mittel zu bezeichnen, durch welche die Kräfte des Staates erhöht werden, wobei zugleich die Ordnung dieses Staates entsteht: Die Policey ist »der Kalkül und die Technik [. . . ], die die Schaffung einer flexiblen, aber dennoch stabilen und kontrollierbaren Beziehung

5 | Siehe zum diplomatisch-militärischen Komplex der Staatsräson insb. Schnur 1975.

4. DIE LIBERALE RATIONALITÄT | 83

zwischen der inneren Ordnung des Staates und dem Wachstum seiner Kräfte ermöglicht.«6 Die Policey hat sicherzustellen, dass die Menschen existieren können, und dies in möglichst großer Zahl, da sich hierüber die Kraft des Staates definiert. Die Anwendungsgebiete von Policey sind dabei, wie man aus den zahlreichen Policeyreglements und diesbezüglichen Lehrbüchern herauslesen kann, tendenziell unendlich:7 »Gegenstand der Polizei ist das Leben« (Foucault 1981, S. 65) und die Regierung der Policey betrifft entsprechend, wie auch Gerhard Oestreich darlegt, alle Formen des allgemeinen Zusammenlebens der Menschen, ihre Eigentums-, Produktions- und Tauschbeziehungen, die Kommunikation der Menschen miteinander, deren Gesundheit usw., »die Formen der Sozialisation, die Hygiene und das sozialethische, aber auch das wirtschaftliche Verhalten«. (Oestreich 1980, S. 371) Die Regierung der Staatsräson weitete mit der Policey also ihren Machtbereich über die klassischen Mittel, mit denen sich die Regierungen im Feudalismus durchsetzten, (Armee, Justiz- und Fiskalsystem) hinaus auf das gesamte Leben aus; die Policey umfasst nun alle Techniken, die gewährleisten sollen, dass »besser leben als nur überleben« tatsächlich der Bewahrung und Vermehrung der Kräfte des Staates dient: »aus dem Glück der Menschen soll der Nutzen für den Staat entstehen«.8

6 | Foucault 2004a, S. 451. »Policey« bezeichnet also etwas ganz anders als die heutige »Polizei« als eher repressiv und sanktionierend tätiges Exekutivorgan des Staats und hat auch nichts mit der seit Mitte des 19. Jahrhunderts sich herausbildenden spezialisierten Kriminalpolizei zu tun, daher auch die hier verwendete altdeutsche Schreibweise. Eine ausgezeichnete Darstellung dieses v.a. in Deutschland in der Policeywissenschaft entwickelten Instruments bietet Maier 1986. Zur Differenz von »normaler Polizeiorganisation« im Sinne von Schutz- bzw. Kriminalpolizei und »politischer Polizei« bzw. »Sicherheitspolizei« als Geheimpolizei sowie deren »Lösung aus den gesetzlichen Bindungen« vgl. Schnur 1994, S. 126 bzw. 141. 7 | Foucault zieht für seine Analyse folgende Arbeiten der Policeytheoretiker heran: Turquet de Mayerae, L., La Monarchie aristo-democratiqae, ou le gouvernement com-des trois formes de legitimes republiques, Paris (1611); de Lamare, N., Traite, (1705); von Hohenthal, Liber de Politia; Willeband, Precis pour la police; von Justi, J.H., Grundsätze der Polizey-Wissenschaft, Göttingen: Van Hoecks (1756). 8 | Foucault 2004a, S. 470, vgl. a. Foucault 1981/2002b, S. 192. Bezeichnend hierbei ist, dass das Volk als das wesentliche Objekt der Regierungstätigkeit angesehen wird. Bei Machiavelli etwa noch war das wesentliche Problem der Regierung der von Enteignung durch den Adel bedrohte Fürst und wie dieser sich zu verhalten hatte. (Vgl. Foucault 2004a, S. 386, 392)

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Instrument und Ergebnis dieses Dispositivs ist die »Sozialdisziplinierung«9 als Technik einer Vergesellschaftung, in der »durch strengste Reglementierung und Organisierung der individuellen wie kollektiven Handlungsmöglichkeiten« eine möglichst umfassende soziale Ordnung errichtet wurde, die auch die Grundlage für die sich mit dem Liberalismus klar ausformenden Disziplinartechnologien darstellt. (Vgl. Makropoulos 2003) Diese Sozialdisziplinierung wurde insofern als notwendig angesehen (und begründet), als der haltlos gewordene, »transzendental heimatlose« Mensch (Lukács 1994, S. 52) eine Stütze und einen sittlichen Halt im täglichen Leben benötigt. Ziel der Sozialdisziplinierung war folglich, eine Sozialordnung zu schaffen, welche die nach der Auflösung der alten Ordnungsstrukturen bodenlos erscheinende Kontingenz bewältigte, d.h. nicht einfach begrenzte, sondern auch nutzbar zu machen suchte, um die gesellschaftlichen Kräfte von innen her zu entfalten. Sozialdisziplinierung war damit, so kann man mit Michael Makropoulos sagen, »die erste Ausprägung rationaler Gesellschaftsorganisation im modernen Sinne«, und das heißt: sie war die erste Ausprägung der bewussten Konstruktion von Gesellschaft.10 Schon in der Staatsräson deutete sich damit also ein Wandel der Funktion der Disziplinierung an, der mit dem Liberalismus und der Öffnung der Welt für Fortschritt und Wachstum voll zur Entfaltung kommen wird: Sollte die Disziplinierung ursprünglich der Bannung von Gefahren dienen und große, potentiell unruhige Bevölkerungen in Schach halten, so begann sie zunehmend eine positive Rolle einzunehmen, nämlich die mögliche Nützlichkeit von Individuen zu vergrößern, womit sie auch nicht mehr nur an den Rändern der Gesellschaft wie dem Kriegsapparat zum Einsatz kamen, sondern auch die zentraleren Bereiche der Gesellschaft und vor allem die manufakturmäßige Produktion, die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, zu durchdringen begannen. (Vgl. Foucault 1975/1998, 269ff.) 4.1.3 Der Merkantilismus Verbindungspunkt wie auch gemeinsames Instrument der beiden großen staatsräsonalen Technologien aus diplomatisch-militärischer Außenpolitik und Policey bildete eine bestimmte Vorstellung vom Handel samt dem zwischenstaatlichen Geldverkehr,

9 | Zum Konzept der »Sozialdisziplinierung« vgl. grundlegend Oestreich 1969 sowie v.a. Schulze 1987 und Breuer 1986. 10 | Makropoulos 1997, 46f. vgl. a. Makropoulos 2003 sowie zum Projekt der rationalen Gesellschaftsorganisation Maier 1993.

4. DIE LIBERALE RATIONALITÄT | 85

der Merkantilismus11 . Der Merkantilismus ist für Foucault weniger als ökonomische Lehre zu verstehen, denn als eine bestimmte Organisation der Produktion und des Handels nach dem Prinzip, dass der Staat sich in einem Zustand der ständigen Konkurrenz mit den fremden Mächten halten soll und hierzu sich durch die Akkumulation von Geldern bereichern und durch das Wachstum der Bevölkerung stärken soll. (Vgl. Foucault 2004b, S. 18) Hierzu gilt es, den Außenhandel zu fördern, dadurch ein Aktivsaldo im Inland zu erzielen und so ein wirtschaftliches Wachstum auszulösen: Denn der merkantilistischen Logik zufolge geht das Geld von den reichen Staaten zu den Gebieten, in denen die Preise aufgrund einer geringen Geldmenge relativ niedrig sind, wohingegen die Menschen von den hohen Löhnen in den reichen Gebieten angelockt werden, wodurch in den reichen Ländern neue Reichtümer (Waren) erschlossen werden, deren Verkauf die zirkulierende Geldmenge wiederum steigert. Grundlage für diese Logik ist jedoch, dass, wie oben erwähnt, die Wirtschaft immerwährend im Gleichgewicht ist, es also so etwas wie absolutes Wachstum nicht gibt. Die Gesamtheit der Reichtümer nimmt nicht zu, obwohl neue Gegenstände auftreten; die neue Produktion lässt lediglich eine neue Ordnung von Waren relativ zur Masse der Reichtümer entstehen: die ersteren Gegenstände verlieren an Wert, um den neuen Platz zu machen. Der Warentausch erhöht also die einen Werte, vermindert aber zugleich die anderen Werte, so dass es bei einem Nullsummenspiel bleibt. Insofern wird auch der Handel rein als symmetrische Tauschaktion angesehen. Für beide Tauschpartner wird hier das, was für sie vorher völlig nutzlos (nämlich zu viel) war, auf jeder Seite zum Nützlichen; und da die Tauschsituation symmetrisch ist, sind die so geschaffenen Schätzwerte automatisch äquivalent. Reichtum ist in diesem Sinne für die Merkantilisten nichts anderes als das, was wir schätzen. Voraussetzung für die Existenz von Reichtümern ist dabei, dass es einen Überfluss gibt, der zugleich das Bedürfnis eines anderen darstellt. Ziel des Warentauschs ist dann die Verteilung dieser Überschüsse bzw. dieser Reichtümer, so dass sie zu denen wandern, die ihrer bedürfen, was zugleich bedeutet, dass die Reichtümer nur vorübergehend Reichtümer sind. (Vgl. Foucault 1966/1971, 240ff.) 4.1.4 Die Kritik am Merkantilismus Der Merkantilismus stellt zwar bereits eine »erste Rationalisierung der Machtausübung als Praxis des Regierens« (Foucault 2004a, S. 154) dar, insofern er der Logik

11 | Für einen tieferen Einblick in die Theorie des Merkantilismus und dessen Realisierung im Deutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg siehe z.B. Gömmel 1998, vgl. aber auch Foucault 1966/1971, 235ff.

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der Aufrechterhaltung des Machtgleichgewichts folgt, dennoch fand die Regierungstechnologie der Staatsräson und der Reglementierung bereits Ende des 17./Beginn des 18. Jahrhunderts zu ihrem Ende, eingeleitet v.a. durch eine Kritik der merkantilistischen Ökonomie.12 Während es in der merkantilistischen Logik galt, möglichst viel und möglichst billig zu produzieren, da nur eine positive Außenhandelsbilanz erzielt werden könne, forderte die zunehmend an Bedeutung gewinnende physiokratische Ökonomie13 genau das Umgekehrte: Soll von einer Ware möglichst viel produziert werden, so ist vor allem wichtig, dass diese gut bezahlt wird. Und dies, so die sich anschließende These, gelingt dann am besten, wenn man den Preis des Ware schlicht sich selbst überlässt und so lange steigen lässt, bis er sich auf dem »gerechten Niveau«, nicht zu hoch und nicht zu tief, festsetzen wird. (Vgl. Foucault 2004a, 491ff.) Mit diesen Überlegungen wird etwas Grundsätzliches infrage gestellt, das sich schließlich als eine der Grundlagen des Liberalismus erweisen wird: die Reglementierung als solche. Denn in der Analyse der Ökonomen wird gerade durch die Reglementierung der – ohnehin nicht änderbare – Lauf der Dinge verschlimmert: Je mehr man in einer Situation knapper Güterversorgung die Preise zu senken versucht, desto mehr werden die Güter gehortet, die Knappheit wird sich verschärfen und desto höher werden die Preise steigen. An die Stelle der policeylichen Reglementierung müsse daher eine »freie« Regulierung treten, und es wurden entsprechend Forderungen hervorgebracht nach Freihandel, der Aufhebung von zu hohen Zöllen und Steuern, der Abschaffung von staatlichen Monopolen und Handelsprivilegien, der Abschaffung der unbezahlten Zwangsarbeit der Bauern, einer staatliche Garantie des Privateigentums sowie nach der Auflösung der Zünfte und Gilden, und damit dem

12 | Vgl. hierzu v.a. Foucault 2004a, 491ff. sowie Boch 2004 und Polanyi 1944/1978. 13 | Mit Physiokratie (griechisch für Herrschaft der Natur) wird eine von François Quesnay (1694–1774) um 1750 begründete ökonomische Schule bezeichnet, die sich im Wesentlichen auf den Nierdergang der Landwirtschaft durch die merkantilistische Wirtschaftspolitik hin entwickelte. Insb. das physiokratische Modell eines Wirtschaftskreislaufs hat sich für ein theoretisches Verständnis des Wirtschaftsprozesses als unentbehrlich erwiesen und beträchtlichen Einfluss etwa auf die Lehren Adam Smiths oder Karl Marx’. Trotzdem war die physiokratische Schule der économistes (so die Eigenbezeichnung) wirtschaftspolitisch nur etwa 25 Jahre lang relevant, bevor sie durch die von Adam Smith begründete klassische Nationalökonomie verdrängt wurde, deren Vertreter als erste die zentrale Bedeutung der menschlichen Arbeit für die Ökonomie betonten und so das neben dem Laissez-faire entscheidende Moment für den Paradigmenwechsel (Kuhn 1962/1976) zur modernen Gouvernementalität gefunden hatten. Vgl. zur Physiokratie z.B. Gömmel und Klump 1994 oder Priddat 2001.

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»freien« Zugang zur Arbeit. Eine bemerkenswerte Grenze finden diese Forderungen an der Reglementierung der Individuen, die auch im Liberalismus einem umfassenden reglementierenden Zugriff unterliegen. Es ist nicht zuletzt dieser Widerspruch, an dem, wie zu zeigen ist, schließlich das Gegen-Verhalten der Arbeiter seinen Durchbruch findet (siehe Abschnitte 5.1 und 5.2). Mit der physiokratischen Lehre und dem darauf aufbauenden Wirtschaftsliberalismus in der Rezeption Adam Smiths An Inquiry into the Nature and the Causes of the Wealth of Nations (Smith 1776/2005) stand den Reformpolitikern nun eine neue ökonomische Weltsicht zur Verfügung, welche die Volkswirtschaft in einem ganz neuen Systemzusammenhang erklärte: Es ging nicht mehr um eine einseitige Förderung sektoralen gewerblichen Wachstums in einem europäischen Gleichgewichtszusammenhang, sondern um eine absolute Anhebung des gesamtwirtschaftlichen Niveaus, realisiert durch die Abkehr vom merkantilistischen Dirigismus und die höhere Effizienz frei Wirtschaftender.14 Zentral für diese neue Sichtweise ist die radikale Herauslösung der Einbettung des Ökonomischen in soziale und kulturelle Institutionen und die Durchsetzung der Idee eines selbstregulierten, unabhängigen Marktes: Ökonomie wird nun als aus partikularen und kulturellen Kontexten abstrahierter Markt verstanden, auf dem interessengeleitete, sich an einem Kosten-Nutzen-Kalkül orientierende Individuen um knappe Ressourcen konkurrieren. Ökonomisches Handeln erscheint hier entsprechend als formalisierter Tausch. Eine eingebettete Ökonomie war dementgegen gerade aufgrund ihrer Einbettung sich selbst nie genug, sondern ordnete sich nichtökonomischen sozialen Beziehungen (z.B. dem oikos der Familie oder der Gemeinschaft) unter. Mit dem Liberalismus setzt sich nun stattdessen ein Verständnis durch, in dem die Ökonomie als Selbstzweck erscheint und der Markt zum Zentrum der sich bildenden kapitalistischen Gesellschaft mutiert: »Dies ist letztlich der Grund, warum die Beherrschung des Wirtschaftssystems durch den Markt von ungeheurer Bedeutung für die Gesamtstruktur der Gesellschaft ist: sie bedeutet nicht weni-

14 | Hier wird auf Smiths Wealth of Nations Bezug genommen, obwohl dieses Werk an sich nicht so sehr einen Ausgangspunkt, sondern v.a. einen End- und Sammelpunkt darstellt, an dem viele wichtige Strömungen der Diskussion in der Mitte des 18. Jahrhunderts zusammenliefen. So gab es bereits vier Jahre vor Smiths viel zitiertem Werk eine umfassende Debatte um die Zerstörung der paternalistischen Marktordnung, die in der Aufhebung der Gesetzgebung gegen Groß-Aufkäufer von Nahrungsmitteln gipfelte, und damit schon vor Smith den Triumph des Laissez-faire signalisiert. (Vgl. Thompson 1979, S. 25)

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ger als die Behandlung der Gesellschaft als Anhängsel des Marktes. Die Wirtschaft ist nicht mehr in die sozialen Beziehungen eingebettet, sondern die sozialen Beziehungen sind in das Wirtschaftssystem eingebettet.« (Polanyi 1944/1978, 88f.)

Diese Freistellung des Ökonomischen führt letzten Endes zum Exzess des Ökonomischen, das, von allen Fesseln befreit, keine Grenzen findet, sich ins potenziell Unendliche ausweiten kann und, wie die Entwicklungen des 19. Jahrhunderts zeigen, mit einer ungemeinen Radikalität alles diesem unterordnet. Eine Begrenzung des Ökonomischen musste erst definiert und erkämpft werden, wobei das, was den Grenzverlauf definiert, letztlich eine (bzw. wie sich zeigen wird die) Frage der Macht ist.

4.2 D IE

POLITISCHE

Ö KONOMIE

DES

L IBERALISMUS

Mit dem eben skizzierten Bruch im Regierungshandeln eröffnet sich für Foucault der eigentliche Übergang zur modernen gouvernementalen Vernunft: der Einrichtung eines Prinzips zur Begrenzung der Regierungskunst, das dieser nicht mehr äußerlich ist, wie es das Recht im 17. Jahrhundert war, sondern das ihr wesentlich ist, »eine interne Regelung der gouvernementalen Vernunft« (Foucault 2004b, S. 25). Diese Begrenzung verläuft entlang der Frage, wie man es anstellt, »nicht zu viel zu regieren« (ebd., S. 29) bzw. entlang von Erfolg oder Misserfolg – der Frage der politischen Ökonomie. Denn es gilt nun das Prinzip, dass eine Regierung nie genug weiß, so dass sie Gefahr läuft, stets zu viel zu regieren – Regierung darf, bei aller Weisheit, die bis dato den »guten« Regenten auszeichnete, nicht länger Selbstzweck sein. Entsprechend ist eine Regierung, die ihre Begrenzung verkennt, nicht einfach eine illegitime oder ursurpatorische Regierung, sondern eine ungeschickte, schlechte Regierung.15 Zentrales Moment einer solchen Regierung ist der Markt: Dieser ist nicht mehr wie im Merkantilismus als Ort, an dem die Waren gerecht den Bedürfnissen entsprechend verteilt wurden, Teil eines »moralisch-juridischen Kontinuums« (Foucault 2004b, 53f.), sondern als eine Art Fixpunkt der liberalen Theorie der Ort, an dem man die Auswirkungen des Übermaßes an Regierung ermitteln und sogar messen kann.16 Er ist nun etwas, das »natürlichen« und »spontanen« Mechanismen gehorcht und ge-

15 | Vgl. zur politischen Ökonomie des Liberalismus insb. Foucault 2004b, Senellart 2004 sowie Gertenbach 2007. 16 | Vgl. zur Rolle des Marktes allgemein Foucault 2004b, 54ff. sowie Foucault 1966/1971, 276ff. und Lemke 1997, 176f.

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horchen soll, die man durch jegliches Eingreifen nur zum Schlechteren verändern würde.17 Allerdings folgt aus dieser Verschiebung zum »Laissez-faire«18 nicht unmittelbar ein Mehr an Freiheit und eine Abnahme staatlicher Macht. Denn zwar wird einerseits den staatlichen Interventionen die Grenze gesetzt, die Natürlichkeit der gesellschaftlichen Phänomene zu respektieren und zu berücksichtigen; andererseits ist es jedoch gerade die Natürlichkeit der Phänomene, die eine Reihe bis dahin unbekannter Interventionsmöglichkeiten eröffnet, welche die Techniken der Reglementierung und Verordnung nun ergänzen. (Vgl. Foucault 2004b, 49ff. sowie Lemke 1997, S. 184) Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist auch, dass mit der liberalen Logik des Markts erstmals die sogenannte »kapitalistische« Expansionslogik virulent wird: Galt noch im Merkantilismus, dass die Wirtschaft ein Nullsummenmspiel ist, man sich stets nur auf Kosten der anderen bereichern kann, so ergibt sich in der Logik der Liberalen, wonach sich durch und aufgrund der Freiheit des Marktes stets der »richtige« Preis einstellt, der sowohl dem Käufer als auch dem Verkäufer nützt, die theoretische

17 | Paradigmatisch für das Funktionieren des Marktes ist Adam Smiths Methapher der »unsichtbaren Hand«, die auf scheinbar paradoxe Weise das öffentliche Wohlergehen mit dem privaten Egoismus verbindet und ein produktives Verhältnis zwischen dem Wohlstand aller und der Verfolgung der Einzelinteressen herstellt. So heißt es in Der Wohlstand der Nationen: »Tatsächlich fördert er [jeder Einzelne, K.M.] in der Regel nicht bewußt das Allgemeinwohl, noch weiß er, wie hoch der eigene Beitrag ist. Wenn er es vorzieht, die nationale Wirtschaft anstatt die ausländische zu untersuchen, denkt er eigentlich nur an die eigene Sicherheit und wenn er dadurch die Erwerbstätigkeit so fördert, daß ihr Ertrag den höchsten Wert erzielen kann, strebt er lediglich nach eigenem Gewinn. Und er wird in diesem wie auch in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, um einen Zweck zu fördern, den zu erfüllen er in keiner Weise beabsichtigt hat.« (Smith 1776/2007, S. 371) Für Foucault beruht die Innovativität Smiths aber nicht so sehr auf dem Vorhandensein einer »Hand«, welche die Einzelinteressen zu einem öffentlichen Wohl hin koordiniert, als in dem Aspekt der »Unsichtbarkeit«, die gerade kein in Kauf zu nehmender Mangel ist, sondern im Gegenteil Voraussetzung dafür ist, dass das positive kollektive Resultat auch wirklich erreicht werden kann; die »unsichtbare Hand« funktioniert nur, wenn und weil sie unsichtbar ist und alle Akteure allein ihren eigenen egoistischen Interessen folgen (können). Entsprechend ist auch jede politische Regierung zum Scheitern verurteilt, wenn sie das öffentliche Wohl direkt zu beeinflussen sucht, da sie unmöglich alle Eventualitäten für ihr Handeln berücksichtigen kann. (Foucault 2004b, 384f.) 18 | Dieser von den französischen Physiokraten, geprägte Begriff steht für eine freie Entfaltung des wirtschaftlichen Geschehens ohne jedwede staatliche oder sonstige Eingriffe. Vgl. Ptak 2008, S. 27.

90 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

und praktische Möglichkeit der gegenseitigen Bereicherung. Und sogar darüber hinaus: »die Bereicherung eines Landes lässt sich genauso wie die Bereicherung eines Individuums langfristig nur durch gegenseitige Bereicherung einstellen und aufrechterhalten«. (Foucault 2004b, S. 84) Voraussetzung ist jedoch, dass es ständige und kontinuierliche Inputs gibt, dass um Europa herum und für Europa ein immer weiter ausgedehnter Markt geschaffen wird; die Globalisierung des Marktes wird erforderlich – bis hin zur, so ließe sich im Vorgriff auf die Abschnitte 7.3 und 7.4 anschließen, Expansion auf die totale Vernutzung des Subjekts. Dass dies nicht zuletzt gravierende Implikationen für den mit Beginn der Neuzeit einsetzenden Wandel von Form und Bedeutung der Arbeit hat, wird in folgendem Abschnitt erläutert. Da sich im Zusammenhang mit der Entstehung der modernen Gouvernementalität kaum systematische Analysen zur Kategorie Arbeit finden, der Wandel der Arbeit (und v.a. die damit in Zusammenhang stehenden Subjektivierungen) aber für die folgende Untersuchung einen bedeutsamen Zusammenhang darstellt, wird vergleichsweise breit auf diesen eingegangen.

4.3 WANDEL

DER

A RBEIT

Mit dem 16. Jahrhundert wird, wie in diesem Abschnitt gezeigt werden soll, ein außerordentlicher Wandel in Begriff und Form der Arbeit eingeläutet, der bis heute andauert und dessen Dimension tatsächlich nur vor dem Hintergrund eines völlig neuen Machtdispositivs erklärbar ist. Sukzessive wird mit Beginn der Rationalität der Staatsräson Arbeit nicht mehr nur als eine religiösen, moralischen oder gar wirtschaftlichen Erfordernissen gehorchende Pflicht gesehen, sondern sie definiert sich fortan positiv, zunächst als Dienst an der Gemeinschaft und als Mitwirkung an der göttlichen Schöpfung, mit dem aufziehenden Liberalismus dann auch als die Quelle des Reichtums. Mit dieser Verbindung von Arbeit und Reichtum manifestiert sich die Verbesserung der Wertschöpfung als Ziel, womit nicht zuletzt die »Zurichtung« der Arbeitenden in den Fokus der Machttechnologien rückt: Es gilt sowohl den Nicht-Arbeitenden zum Arbeitenden, als auch den Arbeitenden zum richtigen Arbeiten zu disziplinieren, womit sich schließlich die Arbeit als eigentlicher Ort der Subjektivierung bzw. Machtausübung erweist. Sich entwickelnder Kapitalismus und disziplinäre Machttechnologie können, so wird sich in diesem Abschnitt zeigen, in diesem Verständnis nicht getrennt betrachtet werden, sondern sind von Anfang an notwendig aufeinander angewiesen.

4. DIE LIBERALE RATIONALITÄT | 91

4.3.1 Das Arbeitsverständnis des Mittelalters Das Arbeitsverständnis des Mittelalters wie auch das der Antike stehen in einer gänzlich anderen Rationalität und Gouvernementalität als das der Staatsräson, als der liberale oder neoliberale Arbeitsbegriff, daher sollen hier einige Eckpunkte v.a. des mittelalterlichen Arbeitsverständnisses als Kontrastfolie aufgezeigt werden, nicht zuletzt auch um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie geschichtlich gebunden das heutige Arbeitsverständnis ist und was Arbeit alles sein kann.19 Das Mittelalter (wie auch zuvor die Antike) ist dadurch gekennzeichnet, dass sich soziale wie ökonomische Sicht im Einklang befinden:20 Die Ökonomie ist kein losgelöster Gesellschaftsbereich, der unabhängig von allen anderen Lebensbereichen betrachtet werden kann und eigenen, »ökonomischen« Regeln folgt, sondern ist Instrument des religiösen teleologischen Konzepts und hat dessen Verwirklichung zu dienen – der des »guten Lebens« in der Antike bzw. der der Herrschaft Gottes auf Erden im Mittelalter. So sind es eher moralische und soziale Vorstellungen als ökonomische, die den Charakter und die Wahrnehmung von »Arbeit« im Mittelalter und in der Antike bestimmten. Entsprechend war Arbeit im Mittelalter einerseits wirtschaftliche Notwendigkeit, aber auch moralische Verpflichtung und Korrektiv gegen die Laster und Verfehlungen des Volkes, also Bestandteil eines v.a. auch religiösen und moralischen Komplexes, der die Lage der Unterschichten in ihrem Gegensatz zu den privilegierten Schichten bestimmt. Begrenzt durch lokale Erfahrungshorizonte und die ständische Gesellschaft21 mit der feudalen Herrschaftsorganisation sind alle wesentlichen Handlungsund Lebensführungsoptionen durch Geburt, Besitz und Beruf vorgegeben; Besitzund Arbeitsverhältnisse und damit auch Lebensentwürfe sind starr verankert und durch die Grundherrschaft rigide eingegrenzt. Nicht der einzelne steht im Vordergrund dieser auf die Bewahrung eines festgeschriebenen sozialen Status hin orien-

19 | Weitere, für diese Arbeit relevante Aspekte werden auch im Abschnitt 4.3.4 behandelt; tiefergehende Analysen des mittelalterlichen Arbeitsverständnisses finden sich bei Gurjewitsch 2000, Le Goff 1993, Hundsbichler 1996; Analysen des antiken Arbeitsverständnisses bei Dummer 2001, Finley 1973/1993 oder Pekáry 1979; siehe auch allgemein Voÿ 2010b und Jochum 2010. 20 | Im Liberalismus wird, wie zu zeigen ist, diese Verbindung gekappt und erst im Neoliberalismus wieder hergestellt, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen: nicht mehr ist die Ökonomie dem (im Mittelalter theologisch begründeten) Gesellschaftlichen unterworfen, sondern das Gesellschaftliche untersteht dem Primat des Ökonomischen. 21 | Vgl. zur ständischen Gesellschaft z.B. Henning 1991.

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tierten Lebensführung, sondern, wie Kaschuba betont, durch Sicherung der gemeinsamen Nahrungsgrundlage und durch Selbstbegrenzung der Ansprüche »die Erhaltung des wirtschaftlichen und sozialen Status quo, das Überleben der Familien, der Gruppen und ihrer materiellen wie ideellen Existenz über die Generationen hinweg.« (Kaschuba 1990, S. 6) Die Befreiung von der Arbeit, welche die herrschenden Stände genießen, gilt als das Privileg schlechthin, während im Gegensatz dazu der Zwang zur Arbeit und das Ertragen des Arbeitsleids die einzige Art ist, mittels derer all diejenigen ihre gesellschaftliche Schuld bzw. die Strafe für den Sündenfall abtragen können, die über nichts anderes als ihre Arbeitskraft verfügen. In dieser Rationalität ist Arbeit klare Entsprechung des Umstandes, »sich außerhalb der Ordnung des Reichtums zu befinden« (Castel 2008, S. 151), sie verliert aber auch zugleich das die Antike kennzeichnende Stigma der moralischen Minderwertigkeit, das allen Arbeiten anhaftete, die dem Erwerb und Lebensunterhalt dienten.22 Arbeit ist vielmehr eines der Instrumente zur Verherrlichung Gottes und seiner Schöpfung – »sie ist Ausdruck einer zutiefst empfundenen Religiosität.« (Aßländer 2005, S. 155) Ökonomischer Zugewinn und sozialer Aufstieg sind dieser Rationalität also völlig fremd und erscheinen wie in der Antike als suspekt. Vielmehr ist mit dem Prinzip der Selbstbeschränkung der Bedürfnisse eine »innere Logik« beschrieben, deren Funktionsfähigkeit entscheidend davon abhängt, dass die Erwartungshorizonte der großen Bevölkerungsmehrheit begrenzt gehalten werden können. In Anbetracht dessen, dass angesichts konkreter Jenseitserwartungen der ewigen Glückseligkeit die Mühen, die dem Einzelnen im Diesseits auferlegt werden, nur wenig wiegen, verbin-

22 | Das griechische Verständnis von Arbeit ist, wie Aßländer darlegt, getragen von drei Aspekten: (1) Arbeit, v.a. körperliche Arbeit (mit Ausnahme der Landwirtschaft als das Medium der Substitutionswirtschaft) waren für einen freien Mann unwürdig, (2) es gibt eine klare Hierarchie von moralisch besseren und schlechteren Berufen; und (3) minderwertige Tätigkeiten lassen automatisch auch die Menschen, die diese ausüben, zu moralisch minderwertigen und schlechteren Menschen werden. In diesem System bestimmt sich die soziale Stellung des Individuums nicht durch Reichtum, sondern durch die Übernahme von Verpflichtungen. Folglich gilt Arbeit, die bloß der persönlichen Reichtumsmehrung dient und sich nicht in den Dienst der Gemeinschaft stellt, als »unwürdig«. Erwerb und Lebensunterhalt einerseits und »sinnvolle« Beschäftigung andererseits sind hier zwei grundverschiedene Dinge: Dienen »Arbeits«Tätigkeiten ausschließlich dem Erwerb, gelten sie per se als moralisch minderwertig; dienen sie jedoch der Vervollkommnung der eigenen Fähigkeiten, der Allgemeinheit oder dem Wohl des eigenen Hausstands, werden sie durchaus als nützlich erachtet.

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den sich Produktions- und Reproduktionstätigkeiten hier zu einer »lebensweltlichen Einheit, geordnet in einem System totalen Arbeitslebens«.23 4.3.2 »Der Geist des Kapitalismus« Mit dem Entstehen der neuen Machtökonomie zu Beginn der Neuzeit und der daraus folgenden »kommerziellen Revolution« (Gurjewitsch 1993, S. 12f. und Beutter 1989, S. 62f.) sowie den damit einsetzenden gesellschaftlichen Veränderungen beginnt jedoch das eben beschriebene Konzept in der Praxis allmählich zu zerfallen. Vergleichbar der plötzlich aus dem Boden schießenden Literatur zum Regierungshandeln tritt nun auch der Begriff der Arbeit im 16. Jahrhundert in geradezu eigenartiger Weise in den Vordergrund – Beleg für die sich diesbezüglich neu eröffnende Problematik und deren zunehmende Relevanz innerhalb des Daseins: (Vgl. Aßländer 2005, 133ff.) •



Im utopischen Denken, wo der Traum vom von Arbeit und Existenznot befreiten Menschen im Vordergrund steht und Arbeit und Produkte der Arbeit auf alle gleich verteilt werden.24 In Bauernaufstand und Hungerrevolten, wo die niederen Stände angesichts ihrer für alle geleisteten Arbeit und der daraus abgeleiteten gesellschaftlichen Bedeutung selbstbewusst die Forderung nach Mitsprache und größerer sozialer Gerechtigkeit stellen.25

23 | Rein zeitlich wurde den Hauptteil des Tages über gearbeitet, allerdings waren in Form von Arbeitspausen, »Arbeitsgeselligkeiten« und Feiertagen bedeutsame Regenerationspotentiale in den Arbeitsrhythmus verflochten. (Vgl. Medick 1980, S. 35) 24 | An erster Stelle ist hier Utopia von Thomas Morus (Morus 1516/1986) zu nennen; unabhängig davon, welche der zahlreichen Interpretationen letztlich gültig ist und was Morus’ eigentliche Absicht hinter diesem Werk war, so verdeutlicht diese Schrift doch die neuartige Thematisierung von Arbeit, technischem Fortschritt und sozialer Gerechtigkeit unabhängig vom religiösen Kontext. Im Vordergrund steht nicht mehr die Überwindung sozialer Ungerechtigkeit durch jenseitige Heilserwartungen, sondern die Möglichkeit einer diesseitigen Veränderung durch eine entsprechende Steuerung des Gemeinwesens. (Vgl. Aßländer 2005, 133ff.) 25 | Bekannt geworden ist v.a. die Kritik Thomas Münzers an der bestehenden Eigentums- und Sozialordnung, wobei sich die Zielsetzungen der englischen, böhmischen und deutschen Bauern allerdings sehr ähneln: So geht es in den verschiedenen Regionen gleichermaßen um die Ersetzung der Naturalabgaben durch Pachtzins, die Ablösung des Frondienstes durch Lohnarbeit oder die Abschaffung der für Kauf und Verkauf geltenden Beschränkungen. Die blutige Niederlage der Bauern gegen das Heer des Schwäbischen Bundes beendete diesen Emanzi-

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In der Aufwertung von persönlicher Arbeit und individuellem Arbeitserfolg im Rahmen der Reformation; nicht mehr Buße und gute Werke werden zum Garanten für Erlösung, sondern die im Auftrag Gottes zur Verherrlichung der Schöpfung geleistete Arbeit.

Die Frage der Arbeit rückt ganz offensichtlich auch jenseits der Schriften der »Politiker« zur Staatsräson in den Fokus. Die bisherige Form der Arbeit hat, das wird in den drei genannten Beispielen noch deutlicher als in den politischen Schriften zur Staatsräson, ihre alte Selbstverständlichkeit verloren und stellt sich nun als Problem. Die neue Sichtweise von Arbeit, die sich in den drei Bereichen andeutet und die zum beherrschenden Dispositiv werden soll, betont den sich hier abzeichnenden zunehmend zentralen Stellenwert der Arbeit und bildet damit den Ausgangspunkt jenes fundamentalen Wandels, den der Begriff der Arbeit seitdem erfahren hat. (Vgl. Aßländer 2005, S. 156) In allen drei Bereichen findet sich eine neuartige Thematisierung von Arbeit, technischem Fortschritt und sozialer Gerechtigkeit. Im Vordergrund steht nicht mehr die Überwindung sozialer Ungerechtigkeit durch jenseitige Heilserwartungen, sondern die Möglichkeit einer diesseitigen Veränderung durch Steuerungsprinzipien des Gemeinwesens. Und als zentral innerhalb dieser Veränderung wird sich als Grundlage der Potentialität die Arbeit erweisen. Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang und vor allem auch in Hinblick auf die in Abschnitt 6.4 behandelte Moralisierung zur rationalen Produktivkraft ist natürlich die von Max Weber beschriebene »innere Verwandtschaft« zwischen der mit der Entwicklung des Protestantismus sich manifestierenden innerweltlichen Askese und dem parallel entstehenden »Geist des Kapitalismus«. Ausgehend von der empirisch erlangten Feststellung eines überproportionalen Anteils von Protestanten an Kapitalbesitzern, Unternehmern und höherem Beamten- und Angestelltentum zeigt Weber in seiner großen Erzählung Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus auf, wie zusammen mit dem Protestantismus eine »in alle Sphären des häuslichen und öffentlichen Lebens eindringende, unendlich lästige und ernstgemeinte Reglementierung der ganzen Lebensführung« (Weber 1920/2010, S. 66) Einzug gehalten hat und zunehmend die selbstgenügsame traditionalistische Wirtschaft verdrängt: Das einfache Leben in der althergebrachten Form, bei dem man gerade so viel erwirbt, wie zum Leben erforderlich ist, wird ganz offensichtlich immer mehr an den Rand gedrängt und muss einem Konkurrenzkampf weichen, der jeden, der nicht

pationsdrang. (Vgl. Aßländer 2005, 144f.) Dennoch hat sich das Bild der Arbeit nachhaltig verändert.

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willens oder in der Lage ist aufzusteigen, auf den Boden drückt. (Vgl. ebd., S. 82 sowie Kaesler 2010, S. 28) Weber zeigt, dass die Protestanten in scharfer Abgrenzung zum »egoistische[n], den Weltpflichten sich entziehende[n]« Mönchstum (Weber 1920/2010, S. 98) und der klareren Durchführung des »sola-fide«-Gedankens der weltlichen Berufsarbeit als äußerem Ausdruck der Nächstenliebe einen hohen Stellenwert beimessen, und betont mit Nachdruck, dass »die Erfüllung der innerweltlichen Pflichten unter allen Umständen der einzige Weg sei, Gott wohlzugefallen, daß sie und nur sie Gottes Wille sei und daß deshalb jeder erlaubte Beruf vor Gott schlechterdings gleich viel gelte« (ebd.). Den entscheidenden Schritt hatte hier Calvin vollzogen. Ausgehend von der Annahme, dass die Welt ausschließlich dazu bestimmt sei, der Selbstverherrlichung Gottes zu dienen und den Ruhm Gottes in der Welt durch Vollstreckung seiner Gebote zu mehren, steht für ihn auch die Berufsarbeit im Dienste des diesseitigen Lebens der Gesamtheit. Schon Luther leitete die arbeitsteilige Berufsarbeit aus der Nächstenliebe ab, allerdings rein heuristisch; erst bei den Calvinisten wird die Nächstenliebe zum bestimmenden Teil des ethischen Systems: Da die calvinistische »Nächstenliebe« ausschließlich Dienst am Ruhme Gottes, und nicht des Menschen sein darf, zeigt sie sich hier i.W. in der Erfüllung der durch die lex naturae gegebenen Berufsaufgaben, und damit als Dienst an der rationalen Gestaltung des Gemeinwesens. Während die Katholiken durch die Beichte Unzulänglichkeiten ausgleichen und Sühne und Vergebung erfahren konnten, blieb den Calvinisten nur, ihren Glauben im weltlichen Berufsleben zu bewähren, und zwar mittels einer »innerweltlichen Askese, die sich den Aufgaben des Lebens stellte und dieses Leben in Hinblick auf die Aufgaben nüchtern und planmäßig – rational – gestaltet« (ebd., S. 154f.). Die größte Gefahr liegt dabei in den Versuchungen des dadurch entstandenen Reichtums, nämlich sich auf dem erworbenen Besitz auszuruhen und das Streben nach einem »heiligen« Leben zu vernachlässigen. In diesem Sinne stelle, so Weber, etwa auch Baxters Hauptwerk Die ewige Ruhe der Heiligen eine andauernde Forderung nach harter und stetiger Arbeit als das bewährt asketische Mittel und Präventiv gegen alle weltlichen Anfechtungen dar. War im Mittelalter, bei z.B. Thomas von Aquin, Arbeit nur natürliche Notwendigkeit zur Erhaltung des Lebens des einzelnen und der Gesamtheit und wer ohne Arbeit von seinem Besitz leben konnte von der Arbeit befreit war, so wird bei Baxter Arbeit als von Gott vorgeschriebener Selbstzweck des Lebens überhaupt beschrieben, weshalb auch Reichtum nicht von Arbeit entbindet: Für jeden einzelnen, ob reich oder nicht, gibt es einen von Gott bestimmten Beruf, der aber nicht, wie bei Luther einfach ein Schicksal ist, dem man sich

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bescheiden zu fügen hat, sondern vielmehr ein Befehl Gottes an den einzelnen, den gegebenen Beruf zu seiner (Gottes) Ehre auszuüben. (Vgl. ebd., S. 183ff.) »Wenn Gott Euch einen Weg zeigt, auf dem Ihr ohne Schaden für Eure Seele oder für andere in gesetzmäßiger Weise mehr gewinnen könnt als auf einem anderen Wege und Ihr dies zurückweist und den minder gewinnbringenden Weg verfolgt, dann kreuzt Ihr einen der Zwecke Eurer Berufung (calling), Ihr weigert Euch, Gottes Verwalter (stewart) zu sein und seine Gaben anzunehmen, um sie für ihn gebrauchen zu können, wenn er es verlangen sollte. Nicht freilich für Zwecke der Fleischeslust und Sünde, wohl aber für Gott dürft Ihr arbeiten, um reich zu sein« (Baxter, Christian Directory, S. 231, zit. nach ebd., S. 187)

Die »innerweltliche« protestantische Askese richtet sich also massiv gegen laszives Genießen und übermäßigen Konsum, und damit vor allem auch gegen die verdammlichen ostensiblen Formen des feudalen Luxus, entlastete, wie Weber darstellt, andererseits aber auch psychologisch den Gütererwerb von den negativen Konnotationen, von denen er in der traditionalistischen Ethik umrahmt war – das Gewinnstreben war nun nicht nur legitimiert, sondern sogar (wenn es eben nicht nur der Befriedigung eigener Gelüste diente) direkt gottgewollt. (Vgl. ebd., S. 193) Ähnlich ist auch die Argumentation in Bezug auf die niederen Arbeiten: Nicht anders als im Katholizismus gilt bei den Protestanten treue Arbeit auch bei niederen Löhnen seitens dessen, dem das Leben sonst keine Chancen zugeteilt hat, als etwas Gott höchst Wohlgefälliges. Aber entscheidend ist das, was die Protestanten als Grundlage dieser Aussage setzen, nämlich den psychologischen Antrieb durch die Auffassung dieser Arbeit als Beruf als einziges Mittel, sich des Gnadenstandes sicher zu werden, was für den sich entwickelnden kapitalistischen Geist absolut essentiell ist. Dabei legalisiert diese Auffassung zugleich die Ausbeutung dieser spezifischen Arbeitswilligkeit, indem sie auch den Gelderwerb des Unternehmers als »Beruf« deutete. (Vgl. ebd., S. 199) So führte das Gedankengebäude, das radikale Protestanten des 16. und 17. Jahrhunderts auf der Suche nach einigermaßen verlässlichen Zeichen Gottes für ihre Erlösung von der ewigen Verdammnis entwickelten, ganz allmählich zu einem »Gehäuse der Hörigkeit und Unfreiheit des Menschengeschlechts auf dem ganzen Globus, die man unter der Überschrift ›moderner Kapitalismus‹ zusammenfassen kann« (Kaesler 2010, 7f.) Insofern ist es für Weber gerade das Vordringen der Rationalisierung, das die individuellen Freiheiten bedroht; und er stellt die Frage, ob es angesichts des unaufhaltsamen Vormarsches von Kapitalismus und Bürokratisierung »überhaupt noch möglich [ist], irgend welche Reste einer in irgendeinem Sinn ›individualistischen‹ Bewegungsfreiheit zu retten« (Weber 1920/2010, S. 64). Folgt man diesem Gedan-

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kengang, ist es nicht verwunderlich, dass die Arbeit auch in der ökonomischen Betrachtung in den Blick rückt, wie im nächsten Abschnitt deutlich werden wird. 4.3.3 Arbeit in der ökonomischen Betrachtung Mit der Wende zum 18. Jahrhundert und der oben beschriebenen Entwicklung der modernen gouvernementalen Vernunft kam die Arbeit nicht nur seitens des Protestantismus, sondern erstmals auch systematisch in den Fokus ökonomischer Betrachtungen und wurde zum Zentralbegriff der ökonomischen Analysen. Bemerkenswert ist dies nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass damit zugleich der Einzug der »Zeit« in die Ökonomie verbunden ist, womit die Ökonomie im modernen Sinn ökonomisch wird. Die Zentralstellung der Arbeit bei Adam Smith Bereits von den Physiokraten wurde explizit der »Wert« der geleisteten Arbeit thematisiert und die Frage nach der wirtschaftlichen Produktivität von Arbeit genauer analysiert, Arbeit also zum systematischen Untersuchungsgegenstand einer eigenen ökonomischen Wissenschaft.26 Vollends verhilft aber erst Adam Smith der Arbeit innerhalb der ökonomischen Theoriebildung zum Durchbruch: Gewissermaßen begründete er die moderne Politische Ökonomie gerade dadurch, dass er den Begriff der Arbeit in die Ökonomie einführte, und damit die alten Analysen des Geldes, des Handels und des Warentauschs an den Rand drängte: (Vgl. Foucault 1966/1971, S. 274 sowie grundlegend Aßländer 2007) »Die jährliche Arbeit jeder Nation bildet den Fonds, welcher sie ursprünglich versieht mit all den notwendigen und angenehmen Dingen des Lebens, die sie jährlich verzehrt und die immer aus dem unmittelbaren Produkt dieser Arbeit bestehen oder daraus, was mit diesem Produkt von anderen Nationen gekauft wird.« (Smith 1776/2005, S. 5) Arbeit deutet sich hier auch schon klar als verbunden mit den Reichtümern einer Nation an. Deutlicher wird dieser Zusammenhang, wenn man ein weiteres Zitat hinzuzieht, in dem Smith den Gebrauchswert der Dinge in Beziehung zu den Bedürfnissen der Menschen und den Tauschwert in Beziehung zur Menge der zu seiner Herstellung verwandten Arbeit setzt: »Daher stimmt der Wert einer beliebigen Ware für ihren Besitzer, der sie nicht selbst verwenden oder verzehren, sondern gegen andere Waren austauschen will, mit dem Quantum der Arbeit überein, das er damit kaufen oder kommandieren kann.« (Ebd., S. 40)

26 | Entscheidend für diesen Standpunkt ist nicht zuletzt auch ein neues Theorieverständnis: das Denken in Gesamtzusammenhängen. (Vgl. Brandt 1992, S. 87)

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Während im Merkantilismus die Arbeit eines Menschen mit der Nahrungsmenge gleichgesetzt wurde, die notwendig war, ihn und seine Familie während der Zeit zu unterhalten, die das Werk beanspruchte, also letztlich das Bedürfnis den Marktpreis definierte und die Reichtümer den Gegenstand eines Bedürfnisses repräsentierten, werden die Dinge bzw. Reichtümer bei Smith nach den Arbeitseinheiten zerlegt, durch die sie tatsächlich hergestellt worden sind: Die Ordnung des Warentausches, das Maß, wodurch die Äquivalenzen hergestellt werden, ist die Arbeit, die sich in den Tauschgegenständen niederschlägt. Dies bedeutet entsprechend zugleich eine neue Ordnung der Reichtümer: Deren Wertigkeit richtet sich nicht mehr nach den Bedürfnissen und der Seltenheit, sondern nach der Zeit und der Mühe, die ihre Gewinnung verursacht – »die Reichtümer sind nicht mehr Bedarfsgegenstände, die sich gegenseitig repräsentieren, sondern transformierte Zeit und Mühe.« (Foucault 1966/1971, 277f.) Smiths Reflexion über die Reichtümer eröffnet, wie Foucault betont, völlig neue Sichtweisen, die zugleich ein neues Feld begründen: zum einen zielt sie bereits auf das abstrakte Objekt, auf das der Mensch seine Zeit und seine Mühe verwendet, ohne darin den Gegenstand seines unmittelbaren Bedürfnisses erkennen zu können; und zum anderen weist sie auch schon auf die Möglichkeit einer Politischen Ökonomie hin, die nicht mehr den Austausch von Reichtümern zum Gegenstand hat, sondern ihre wirkliche Produktion. Das heißt, Reichtum ist nicht mehr durch ein festes Tableau begrenzt, sondern wird zu etwas prinzipiell nach oben Offenem; Fortschritt und ein Anhäufen von Reichtümern wird möglich – und auch als solches positiv besetzt. Die Ökonomie ist nicht mehr der zyklische Wechsel zwischen anwachsendem Reichtum und erneuter Verarmung, sondern es ist, wie es auch bei Foucault heißt, »die innere Zeit einer Organisation, die gemäß ihrer eigenen Notwendigkeit wächst und sich nach autonomen Gesetzen entwickelt – die Zeit des Kapitals und des Wachstums, aber auch die Zeit der Ökonomisierung und Produktivierung der Subjekte« (ebd., S. 279). Arbeit als produktive Tätigkeit: David Ricardo Für Adam Smiths Analyse war die Arbeit zentral, weil sie zwischen den Werten der Dinge ein konstantes Maß festzusetzen in der Lage war; durch die Arbeit wurden die Dinge im Tausch vergleichbar. Aber dies galt nur solange und wenn die Menge der erforderlichen Arbeit für die Produktion einer Sache gleich der Arbeitsmenge war, die diese Sache umgekehrt im Tauschprozess erwerben konnte. Und diese Kongruenz ließ sich nur begründen, wenn die Arbeit als produktive Aktivität der Arbeit als Ware, die man kaufen und verkaufen kann, gleichgesetzt wurde. (Vgl. ebd., S. 310) Ricardo nun bricht mit dieser Gleichsetzung der beiden Aspekte des Arbeitsbegriffes und unterscheidet radikal die von den Arbeitern zum Kauf angebotene Arbeits-

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Ware von der konkreten produktiven, Wert bildenden Arbeits-Tätigkeit: Für Smith kann die Arbeit, weil sie nach der Zeit, die man von der geleisteten Arbeit leben kann, gemessen werden kann, als gemeinsame Einheit für alle anderen Waren dienen; für Ricardo hingegen erlaubt die Arbeitsmenge die Bestimmung des Wertes einer Sache nicht nur, weil diese in Arbeitseinheiten repräsentiert werden kann, sondern zunächst und grundsätzlich, weil die Arbeit als Produktionstätigkeit »die Quelle jeden Wertes« ist (Ricardo 1821/1979, S. 9; vgl. a. Foucault 1966/1971, S. 311): »Der Wert einer Ware oder die Quantität einer anderen Ware, gegen die sie ausgetauscht wird, hängt ab von der verhältnismäßigen Menge an Arbeit, die zu ihrer Produktion notwendig ist, nicht aber von dem höheren oder geringeren Entgelt, das für diese Arbeit gezahlt wird. [. . . ] ›Der wirkliche Preis jedes Dinges‹, sagt Adam Smith, ›das, was jedes Ding den Mann kostet, der es zu erwerben wünscht, ist die Mühe und Beschwerlichkeit des Erwerbes.‹ [. . . ] Wenn die in den Waren enthaltene Arbeitsmenge ihren Tauschwert bestimmt, dann muß jede Vergrößerung des Arbeitsquantums den Wert der Ware, für die es verwendet wurde, erhöhen, ebenso wie jede Verminderung ihn senken muß.« (Ricardo 1821/1979, S. 9–11)

Wenn der Wert der Dinge in einem bestimmten Verhältnis zu der Arbeit steht, die man zu ihrer Erstellung eingesetzt hat, dann nicht, weil die Arbeit ein fester, konstanter, zu jeder Zeit und in allen Ländern austauschbarer Wert wäre, sondern weil jeder beliebige Wert seinen Ursprung in der Arbeit hat. Und der beste Beweis dafür ist, so Ricardo, dass der Wert der Dinge mit der Arbeitsmenge zunimmt, die man darauf verwenden muss, wenn man sie produzieren will. Der Wert ändert sich dabei nicht mit der Erhöhung oder der Senkung der Löhne, gegen die die Arbeit ausgetauscht wird, sondern der Wert – und damit der Reichtum – ändert sich mit der tatsächlich geleisteten Arbeit. (Vgl. ebd., S. 37ff. sowie Foucault 1966/1971, 311f.) Die zentrale Konsequenz, die daraus erwächst, ist, dass die Zunahme von Reichtum unmittelbar mit der Arbeit und der Produktion verbunden ist: Arbeit schafft Reichtum. Der Schritt, die Produktion und die Arbeit bzw. die Quantität und die Qualität der Arbeiter, wie in Abschnitt 4.4 beschrieben wird, entsprechend so auszugestalten, dass sie möglichst effektiv ist, d.h. möglichst viel Reichtum schafft, lag dann nur nahe. Marx’ Kritik der Politischen Ökonomie Wie David Ricardo war auch Karl Marx der Auffassung, der Reichtum der Gesellschaften entstehe durch Arbeit. Marx konzentriert sich jedoch auf die systematische Untersuchung der Bedeutung dieser sich mit Ricardo manifestierenden Form von Arbeit für die Gesellschaft. Denn die Menschen arbeiten nicht für sich allein, sondern

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immer in Gesellschaft »mit anderen zusammen und für einander« (Marx 1859/1975, S. 20). Dabei hängt die historische Erscheinungsform einer Gesellschaft von der jeweiligen Art und Weise für einander zu arbeiten ab, wobei Marx vom 16. Jahrhundert an das allmähliche Vordringen einer völlig neuen Art der gesellschaftlichen Arbeit, also des Arbeitens für einander diagnostiziert: die private Herstellung von Waren. Das bedeutet, die Produzenten produzieren Lebensmittel, Werkzeuge etc. nicht mehr für sich selbst, sondern um sie gegen andere Waren einzutauschen – die eigene konkrete Arbeit etwa als Handwerker oder Landwirt dient fortan im Wesentlichen dazu, fremde Waren erwerben zu können. Der Inhalt der eigenen konkreten Arbeit wird demgegenüber vergleichsweise gleichgültig, vielmehr wird sie fortan so ausgestaltet, dass ihr Ergebnis den Wünschen und Bedürfnissen potentieller Käufer entspricht. (Vgl. Berger 2004, 17f.) Wie viel dabei jemand als Gegenwert für die eigenen Produkte auf dem Markt erhält, hängt vom Wert der eigenen Produkte ab. Der Wert regelt also die Verteilung der Waren in einer Gesellschaft. Entsprechend lautete eine Hauptfrage der Politischen Ökonomie, wie der Wert entsteht und was seine Größe bestimmt. In der Beantwortung dieser Frage nach dem Wert, die zugleich zum Kern der Produktionsund Verteilungstheorie Marx’ führt, knüpft Marx an den Arbeitsbegriff Ricardos an, gab diesem jedoch eine veränderte Bedeutung. Ricardo verstand Arbeit als inhaltlich unbestimmte, physische Arbeitsmenge, die in den Waren und im Geldmaterial vergegenständlicht ist. Marx fasst den Begriff Arbeit allgemeiner und abstrakter – mit dem Ziel, mithilfe des Begriffs der Arbeit noch genauer als bisher das Verständnis des Kapitalismus als System möglich zu machen: (Vgl. a. ebd., S. 18) »Sieht man nun vom Gebrauchswert der Warenkörper ab, so bleibt ihnen nur noch eine Eigenschaft, die von Arbeitsprodukten. Jedoch ist uns auch das Arbeitsprodukt bereits in der Hand verwandelt. Abstrahieren wir von seinem Gebrauchswert, so abstrahieren wir auch von den körperlichen Bestandteilen und Formen, die es zum Gebrauchswert machen. Es ist nicht länger Tisch oder Haus oder Garn oder sonst ein nützlich Ding. Alle seine sinnlichen Beschaffenheiten sind ausgelöscht. Es ist auch nicht länger das Produkt der Tischlerarbeit oder der Bauarbeit oder der Spinnarbeit oder sonst einer bestimmten produktiven Arbeit. Mit dem nützlichen Charakter der Arbeitsprodukte verschwindet der nützliche Charakter der in ihnen dargestellten Arbeiten, es verschwinden also auch die verschiedenen konkreten Formen dieser Arbeiten, sie unterscheiden sich nicht länger, sondern sind allzu samt reduziert auf gleiche menschliche Arbeit, abstrakt menschliche Arbeit.« (Marx 1867/1974, S. 52)

Es geht in dieser Textpassage weniger um eine begriffliche Abstraktion, sondern um die Beschreibung einer bestimmten Wirklichkeit, eines sozialen Tatbestands. Die

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Gleichsetzung verschiedener Gebrauchswerte »abstrahiert«, so zeigt Marx hier, von den natürlichen Eigenschaften der Dinge und damit auch von der »konkreten Arbeit«, die diese Eigenschaften erzeugt hat, weshalb Marx von »abstrakter Arbeit« als Basis eines solchen Tauschverhältnisses spricht – die Abstraktion resultiert in einem sozialen Verhältnis, »das nicht mehr als soziales Verhältnis erkennbar ist, sondern sich als Tauschverhältnis von Dingen, von Waren darstellt«. (Berger 2004, S. 34) Es wird hier offensichtlich, dass für Marx Arbeit alles andere als eine bloße inhaltsleere physische Arbeitsmenge ist, sondern, und das ist zentral, »der durch gesellschaftliche Arbeit erzeugte Zusammenhang der Waren und Warenproduzenten miteinander, ein soziales Netz, das alle Warenproduzenten und Waren – die Individuen und den Reichtum – miteinander verbindet« (ebd., S. 29). Diese Struktur nennt Marx »abstrakte Arbeit«. Das Soziale wird nicht mehr als Verbindungen von Personen erfahren, sondern als bloßer sachlicher Zusammenhang von Dingen, und soziale Beziehungen werden nur noch als Austausch von Waren und Geld erfahren. Wert ist daher nicht mehr wie bei Ricardo Ergebnis einer bestimmten (konkreten) Arbeitsmenge, sondern »Teilhabe an dem sozialen Netz austauschbarer Dinge« (ebd.), eine historisch entstandene gesellschaftliche Struktur der allseitigen Austauschbarkeit von Waren und Geld, der gesellschaftlichen Gleichsetzung aller privaten Arbeiten – eine Struktur, welche die spezifische Eigenart des Kapitalismus ist, und, so kann man schlussfolgern, die Basis ist für die Aneinanderkettung von Reichtum, Individuen und Arbeit, und damit für die Bindung der Macht an diesen Dreiklang. Entscheidend ist nicht zuletzt, dass die beschriebene gesellschaftliche Substanz den Waren nur gemeinschaftlich zukommt. Nicht die einzelne Ware hat Wert (so wurde es von Smith und Ricardo gesehen), sondern Wert ist ihre gemeinsame Eigenschaft. Nur austauschbare Arbeit ist »wertvoll«, sofern überwiegend für den Austausch gearbeitet wird. Es ist offensichtlich, dass der Wert bei Marx nichts Natürliches mehr an sich hat – er ist kein festes, »gottgegebenes« Fixum –, sondern er ist »etwas rein gesellschaftliches« (Marx 1867/1974, S. 71), und damit historisch Variables. Damit verbunden ist die Annahme, dass auch Bedeutung und Begriff von Arbeit historisch variabel sind, was zugleich impliziert, dass die historisch unterschiedlichen Ausformungen von Arbeit auch zu unterschiedlichen Gesellschaften führen. Insofern ist die durch die private Warenproduktion mit dem Liberalismus entstehende Gesellschaft eine vollkommen andere als die feudale oder antike Vergesellschaftung: Arbeit füreinander erscheint im Liberalismus nur noch als Tausch von Dingen. Es geht Marx im Kapital, das wird hier deutlich, entsprechend nicht um eine historische Darstellung der Entstehung der Warenproduktion, sondern um die systematische Untersuchung einer Gesellschaft, deren Reichtum aus einer »ungeheure[n] Warensammlung« (ebd.,

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S. 49) besteht, und in der menschliche Beziehungen durch Waren und Geld vermittelt werden. (Vgl. Berger 2004, 30ff.) Marx kann so nicht zuletzt auch zeigen, dass das Wirken der Bourgeoisie gesellschaftliche Voraussetzungen hat, die sie nicht geschaffen hat, und das Verhalten von Kapitalisten und Lohnarbeitern entsprechend nicht aus den persönlichen Motiven oder Charaktereigenschaften erklärt werden darf, sondern aus ihrer Stellung im gesellschaftlichen System. (Vgl. ebd., S. 66) Wenn der Mensch also in der eben beschriebenen gesellschaftlichen Konstellation Arbeit, und solchermaßen eine Produktivkraft darstellt, so weil er von den beschriebenen Kräften, der gegebenen historischen Erscheinungsform von Arbeit dazu gezwungen ist, solchermaßen zu arbeiten – von der konkreten Arbeit zu abstrahieren, nicht mehr für sich sich selbst zu arbeiten, sondern um seine erarbeiteten, auf Austauschbarkeit getrimmten Werke gegen andere Waren einzutauschen und solchermaßen an dem sozialen Netz austauschbarer Dinge – dieser Gesellschaft – teilzuhaben.27 Das in diesem Sinne zentrale Ziel der Arbeiter und der Arbeiterbewegung war nun, wie gezeigt wird, gerade diese Engführung auf den Produktivitätscharakter von Arbeit – die Subjektivierung als rationale Produktivkraft – zu öffnen und in einer Gemeinschaftlichkeit und Orientierung an der gesamten Lebenswelt aufzuheben. Denn natürlich ist der menschliche Körper potentiell eine Produktivkraft, aber er existiert nicht für sich als biologische Entität oder als Rohstoff, sondern erst innerhalb einer Rationalität, die den Produktivitätscharakter nahelegt. Der Arbeiter als Produktivkraft konnte sich nur innerhalb einer bestimmten Rationalität und durch diese Rationalität entwickeln, die eben über den hemmungslosen Zugriff auf die von allen nicht-ökonomischen Anforderungen »befreite« Arbeit operiert. Und insofern waren, so wird in Kapitel 5 klar aufgezeigt, die Kämpfe der Arbeiter und der Arbeiterbewegung nicht nur für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen und gegen ungerechte Anteile an den positiven Effekten der Industrialisierung, sondern vor allem gegen die Form der Arbeit gerichtet, die das Subjekt zur Produktivkraft zurichtet. Von Locke über Smith, Ricardo und Mill bis Marx bildet das jeweilige Verständnis von Arbeit von nun an das Zentrum jeder ökonomischen Theoriebildung. (Vgl. Aßländer 2005, 223f.) Wesentliche Aspekte, die in Bezug auf Arbeit von den unterschiedlichen Ökonomen thematisiert werden, sind die Fragen nach dem Wert der Arbeit, nach dem Produktivitätszuwachs durch Arbeitsteilung sowie allgemein nach der Form der Arbeit. Nicht zuletzt ist dies der Hintergrund, vor dem sich die Lohnarbeit entwickelt hat, zugleich aber auch die Disziplinen ihren Durchbruch erfahren und

27 | Hier sind wir überraschend nahe an einer genealogischen Argumentationslinie!

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sich zusammen mit der Moralisierung zur zentralen liberalen Subjektivierungstechnologie manifestieren, die letztlich in der Fabrikation produktiver Subjekte mündet. 4.3.4 Die Freiheit der Arbeit Dieser neue ökonomische Diskurs um Arbeit und Produktivität verbindet sich mit einem Aspekt, der mit der grundsätzlichen Kritik des Liberalismus an der Staatsräson einhergeht. Denn die oben beschriebene Infragestellung der Reglementierung bezieht sich natürlich ebenso auf den Umgang mit der Arbeit, die, damit sie ihren Beitrag zur Reichtumsmehrung leisten kann, von diesen Beschränkungen »befreit« werden muss. Der sich infolge dieser Infragestellung und mit der Ausweitung wirtschaftlicher Aktivitäten über den regionalen Bedarf hinaus28 im 18. Jahrhundert allmählich durchsetzende freie Zugang zum Arbeitsmarkt mit seinen so revolutionären Auswirkungen zerschlägt die alten Organisations- und Reglementierungsformen des Zunfthandwerks, deren Aufrechterhaltung die Verlängerung gegebener feudaler Ordnungen in das policeyliche Regime der Staatsräson war. Die Freisetzung von Arbeitskräften durch die demographische Revolution und die Agrarrevolution, die zunehmende Internationalisierung und Verflechtung im Handel, die territorialen und politischen Veränderungen seit der französischen Revolution von 1789, aber auch die ersten Verfassungen ab 1818 in Bayern, Baden und Württemberg und damit das formelle Ende der Leibeigenschaft besiegeln nicht nur die Erfindung der liberalen Rationalität, (vgl. Kaschuba 1990, S. 12f.) sondern führen auch zur Durchsetzung von Lohnarbeit – nicht als elende oder als zu Verelendung führende Form der Arbeit verstanden, sondern als spezifische Technik, die einen ebenso einfachen wie massenhaften Zugriff auf das Individuum ermöglicht, um es, so wird in den folgenden Abschnitten gezeigt, weiter zu rationalisieren.29 Erst mit der Lohnarbeit

28 | Dazu gehört v.a. die Ausweitung des Verlags- und Manufakturwesens, wodurch die Zahl der abhängigen Arbeitskräfte stark zunahm. Allerdings kann der in Verlag und auch noch der in der Manufaktur beschäftigte Arbeiter des 17. und 18. Jahrhunderts in Bezug auf sein Tätigkeitsgebiet und seine gesellschaftliche Stellung natürlich nicht dem Fabrikarbeiter des 19. Jahrhunderts gleichgestellt werden. (Vgl. Hahn 2005, S. 8) 29 | Bemerkenswert ist natürlich dennoch, dass schon damals der Rückgriff auf eine partielle oder völlige Lohnarbeit stets auf eine Verschlechterung hindeutet, eben der präkarisierte Handwerker, der sich in den Dienst eines anderen Handwerkers oder Kaufmanns begeben muss, der Geselle, der es nicht zum Meister geschafft hat, oder der Bauer, dessen Erträge für sein und seiner Familie Überleben nicht mehr ausreichen. Castel sieht den wesentlichen Grund für diesen Zusammenhang zwischen Lohnarbeit und Verschlechterung der Lage darin, dass das zünfti-

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zwingt sich die von Marx beschriebene Vergesellschaftung der Arbeit den einzelnen Subjekten auf (wie auch die Konkurrenz dem Kapitalisten); aber auch erst da beginnt die Arbeit ihre tatsächlichen produktiven Potenzen zu entfalten. War im Mittelalter die Notwendigkeit der Arbeit Bestandteil eines weitestgehend geschlossenen religiösen, moralischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Komplexes, der die Lage der Unterschichten im Gegensatz zu den privilegierten Lagen bestimmte, so wird nun ihre Zwecksetzung als Reichtumsquelle zur vornehmlichen Eigenschaft von Arbeit, die alle anderen Komplexe überlagert. Ob es um den Merkantilismus oder noch ältere Formen der Regulierung der Arbeit mittels moralischer oder religiöser Imperative geht, der ökonomische Wert der Arbeit blieb immer anderen Erfordernissen untergeordnet, was zur Folge hat, dass die Arbeit sich nicht »frei« (im Sinne einer rein ökonomisch verstandenen Freiheit) entfalten konnte. Man musste ihr stets über externe Zwecksetzungen einen Rahmen geben. Erst mit dem Liberalismus wird diese bedingte Vorstellung von der Arbeit »befreit« und der Imperativ der freien Arbeit durchgesetzt werden.30 Früheste Spuren von Lohnarbeit lassen sich, wie Castel darlegt, schon im Typus des Vagabunden und damit in der vorindustriellen Gesellschaft ausmachen. (Vgl. Castel 2008, S. 98) Demnach ist, so Castel, der Vagabund ein »reiner« Lohnarbeiter, der streng genommen nur über seiner Hände Kraft verfügt: »Er ist eine Arbeitskraft im Rohzustand.« (Ebd., S. 100) Der Vagabund wird insofern auch als Kontrastfolie für das Handwerk gesehen, das gängigerweise als Hauptbezugspunkt für Lohnarbeit genannt wird, insofern als de facto die Gesellen die einzigen sind, die »offiziell« für Lohn arbeiten.31 Allerdings stellt dieses Lohnarbeiterdasein im Handwerk idealerweise nur einen Übergangszustand dar, der im Aufstieg des Gesellen zum Meister, der dann auf eigene Rechnung arbeitet, ein Ende findet. (Vgl. ebd., S. 102) Lohnarbeit ist hier noch strikt eingebunden in die starren zünftischen Strukturen, deren eigentliches Ziel die Erhaltung des Status quo durch einerseits die Abschaffung externer Konkurrenz, andererseits die Verhinderung des Aufkommens einer internen Konkurrenz zwischen ihren Mitgliedern ist.

sche Idiom über den Zugang zu dem bestimmt, was man soziales Bürgerrecht nennen könnte, also den Umstand, eine anerkannte Position im hierarchischen System gegenseitiger Abhängigkeiten einzunehmen, aus dem die Ordnung des Gemeinwesens besteht. Der Lohnarbeiter markierte gewissermaßen den aus diesem System Herausgefallenen und damit, so lässt sich ergänzen, Vorboten der neuen Gouvernementalität. (Vgl. Castel 2008, S. 117) 30 | Vgl. zur »Befreiung der Arbeit« insb. Castel 2008, S. 152ff. 31 | Die Lehrlinge bekommen für ihre Lehrzeit keinerlei Entgelt.

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Zudem ist die Zunft, ebenso wie sie sich durch die Ausschließungsfunktion gegenüber nicht der Zunft Angehörigen auszeichnet, auch dadurch gekennzeichnet, dass sie die Zugehörigkeit zu einer Vorrechte und Privilegien spendenden Gemeinschaft sicherstellt, welche für die Arbeit einen entsprechenden sozialen Status gewährleistet, ihr also einen Zweck außerhalb ihrer selbst und außerhalb der ökonomischen Rationalität bietet. Und dank dieser »kollektiven Würde«, deren Eigner nicht das Individuum, sondern das Handwerk selbst bleibt, ist der Arbeiter nicht einfach ein Lohnabhängiger, der seine Arbeitskraft zu Markte trägt, sondern Glied einer gesellschaftlichen Körperschaft, deren Position innerhalb eines hierarchisch geordneten Ganzen anerkannt ist. (Vgl. ebd., S. 104) Zünftische Lohnarbeit kann also – im Gegensatz zum Vagabunden – explizit noch nicht mit der frei flottierenden Potentialität und Verfügbarkeit des späteren prototypischen Lohnarbeiters im Marxschen Verständnis, wie er sich im Industriearbeiter widerfindet, gleichgesetzt werden. So bleibt Lohnarbeit zunächst strukturell gesehen ein vergleichsweise peripheres Phänomen, zu finden nur an den gesellschaftlichen Rändern, wie z.B. bei den links liegen gelassenen Handwerksgesellen, den abgerutschten oder ruinierten Meistern, die gezwungen sind, für einen Kaufmann zu arbeiten, den Ortsfremden, Arbeitern, die keine Lehre durchlaufen haben, oder auch bei Teilen der Landbevölkerung, die von der Landwirtschaft nicht oder nicht mehr ausreichend leben konnten. Folgt man dieser Interpretation, heißt dies, dass die Lohnarbeit gewissermaßen die Scheidelinie zwischen den Eingegliederten und den Ausgegrenzten des »alten« Gesellschaftssystems zieht: Auf der einen Seite dieser Scheidelinie liegen die sich noch im Gefüge der alten Macht befindlichen mit ihren durch die zünftischen Privilegien abgeleiteten Vorrechte, die, auch wenn sie minimal sind, doch von derselben Natur wie die Privilegien der anerkannten großen Organe sind, und die sich dem Zugriff der Macht qua dieser Privilegien noch widersetzen können. Auf der anderen Seite stehen die »schwachen« Glieder der bereits aus diesem System Herausgefallenen und der »neuen« Macht Unterstellten. Dementsprechend sind es auch die Vagabunden, die den hauptsächlichen Zugriff der neuen Machttechnologien erfahren und zur Zielscheibe der im folgenden Abschnitt beschriebenen disziplinären Techniken werden. Massiv in die Krise gerät das Zunftwesen in dem Moment, wo sich im Rahmen der allgemeinen gouvernementalen Verschiebungen die Chance, Meister zu werden, signifikant verringert und der Aufstieg zum Meister durch immer pedantischere Regelungen und immer schwierigere Zugangsbedingungen erschwert bis verunmöglicht wird. Es beginnen sich nun auch im Inneren des Zunftwesens (und nicht nur bei aus dem Zunftwesen Herausgefallenen, den Vagabunden) lohnarbeitsähnliche Formen auszubilden. (Vgl. ebd., S. 106) Verstärkt wird diese Entwicklung dadurch, dass aufgrund der Ausdehnung wirtschaftlicher Aktivitäten über den regionalen Bedarf

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hinaus in einzelnen Sektoren (z.B. bei der Tuchherstellung) im Rahmen des Verlagsund Manufakturwesens eine weit vorangetriebene Arbeitsteilung entsteht, die auf die schrittweise Auflösung der ehemaligen zünftischen Hierarchie hinweist. (Vgl. Gömmel 1998, S. 60) Weder Verlags-, noch Manufakturwesen bilden allerdings direkte Vorläufer der späteren Industrialisierung, da es ihnen als privilegierte Großbetriebe kaum gelang, sich den Erfordernissen freier Märkte und damit den Erfordernissen der liberalen Rationalität anzupassen und viele Betriebe in Konkurs gingen, sobald die Subventionen und Privilegien gekürzt wurden oder wegfielen. (Vgl. ebd., S. 26f.) Dennoch wurde hier diversen Entwicklungen der Weg geebnet, die für die künftigen Industrialisierungsprozesse bedeutsam waren. Hierzu gehören das durch die neuen Erwerbsmöglichkeiten angekurbelte Bevölkerungswachstum, das wiederum den Industrialisierungsdruck erhöhte. Auch forcierten die ebenfalls mit diesen frühen Massenbetrieben verbundenen Exporte die Einbindung in das überregionale kapitalistische Marktgeschehen und die Ausbildung eines kapitalkräftigen Wirtschaftsbürgertums aus den Kaufleuten, Händlern, Verlegern und Manufakturbetreibern. Schließlich entstand in den Verlagen und Manufakturen ein Reservoir geschulter und disziplinierter Arbeitskräfte, das in dieser Form, und darum geht es in dieser Arbeit, klar als Arbeiter zu definieren ist. Dieser direkte Produzent ist sicherlich noch kein Proletarier und unterliegt auch noch nicht unmittelbar den disziplinären Technologien, aber er hat doch schon die konkrete Verfügungsgewalt über sein Produkt und seine Tätigkeit verloren und ist Gegenstand von auf Arbeit und Produktivität bezogenen Maßnahmen und Gestaltungsversuchen.32 Auch wenn sich bei den eben beschriebenen Arten der Tätigkeit der Lohncharakter weitgehend auf die Zahlung von Lohn beschränkt und insbesondere die Disziplinen bei diesen Arbeitsleistungen noch nicht umfassend Anwendung finden, so zeigt sich doch die breite Basis, auf der Lohnarbeit ihren Siegeszug antritt, und dass dies auch den inneren Zirkel der alten Macht nicht unberührt lässt. Die Lohnarbeit ist ganz offensichtlich der Modus, welcher der Abkehr von der Reglementierung ganz hervorragend entgegenkommt, d.h. der Modus, durch den sich die Wert schaffende Arbeit am rationalsten verwirklichen lässt. So wird die Lohnarbeit auf allen Ebenen immer unerlässlicher und kann sich immer schwerer in den traditionellen Formen der Organisation der Arbeit halten, die sie an allen Ecken und Enden sprengt. Mit dem Anbruch der liberalen Moderne setzt sich schließlich der freie Arbeitsmarkt gegen die vorausgehenden Regulierungen durch und wirkt darauf hin, dass Lohnarbeit

32 | Vgl. zu Entwicklung und Bedeutung des Verlags- und Manufakturwesens Hahn 2005, S. 8 sowie Gömmel 1998, S. 60.

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nicht mehr als ein Mangel gedacht wird, als das, was zu den anerkannten oder auferlegten Statuspositionen fehlt, sondern als Modell für die Zukunft und Garant von Produktivität. Dabei lassen sich bereits in den frühen Spuren von Lohnarbeit Aspekte herauslesen, die unmittelbar an die liberale Gouvernementalität gebunden sind und damit die Voraussetzung für das Eindringen der liberalen Subjektivierungstechnologien in die unteren Bevölkerungsschichten – den massenhaften Zugriff der Macht auf die Individuen – bilden: • •







Lohnarbeit ist marktförmig organisiert; Arbeit wird unmittelbar mit der Macht verknüpft: In der Lohnarbeit wird Arbeit völlig abstrahiert von außerhalb der Ökonomie stehenden Zwecken getan; sie übersteigt den Notwendigkeitscharakter von Arbeit einzig um des Ökonomischen willen; Lohnarbeit wird nicht mehr als Mangel begriffen, sondern gilt als die Voraussetzung für eine durch und durch auf Produktivität und Rationalität getrimmte Arbeit, wenn nicht gar als Gewährleistung für Erfolg und Fortkommen; Lohnarbeit ist Voraussetzung für die funktionale Organisation heteronomer Individuen und damit die Grundlage für das Eindringen der Disziplinen in breite Bevölkerungsschichten; Lohnarbeit impliziert ex ante den Angleich der unteren Bevölkerungsschichten, deren Differenzierung erst und nur durch Leistung wieder möglich ist.

Auch wenn fraglich ist, ob Lohnarbeit tatsächlich letztlich mehr ist als eine temporäre Ausformung von Arbeit, also als Randerscheinung in einer Genealogie der Arbeit, und, wie in Abschnitt 7.5 beschrieben, bestimmte Aspekte von Lohnarbeit am Ende gar als kontraproduktiv für die weitere Ausgestaltung der modernen Gouvernementalität angesehen werden können, so bildet sie in dem hier präsentierten Verständnis doch den Scheidepunkt für ein neues Verständnis von Arbeit und, wie in Abschnitt 4.4.1 noch deutlich werden wird, auch für den wirksamen Einsatz der disziplinären Subjektivierungstechniken. Damit wird zugleich vom klassisch-liberalen Verständnis abgerückt, bei dem Lohnarbeit nach dem Modell der Freiheit und des Vertrags interpretiert wird, insofern als vom rechtlichen Standpunkt aus gesehen unabhängige Personen miteinander in Verbindung treten. Lohnarbeit wird hier nicht als Ergebnis des Durchsetzens der Freiheit und des Vertrages verstanden, sondern vielmehr eben als Teil und Wegbereiter einer spezifischen Machttechnologie. Erst so kann auch der Widerstand gegen das Aufkommen des modernen Lohnarbeitsverhältnisses erklärt werden. (Vgl. Castel 2008, S. 133)

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Denn die Voraussetzung für den Weg zu einem modernen Arbeitsverständnis von Lohnarbeit war, Arbeit unabhängig von Person und Produkt denken zu können, und dies war erst möglich, als Arbeit einen Wert an sich darstellte.33 Nicht mehr Arbeit als Aufwand zur Herstellung von etwas ist entscheidend, sondern Arbeit als Bereitschaft irgendetwas für irgendjemanden gegen Bezahlung zu tun. Und diese Bereitschaft ergibt sich erst in dem Moment, wo mit Arbeit nicht mehr ein bestimmter Zweck und schon gar nicht ein moralischer Mehrwert verbunden ist, sondern diese per se – als Quelle des Reichtums – positiv konnotiert ist. Die eben beschriebene Entwicklung des freien Arbeitsmarktes bringt einen langen Zyklus von konfliktreichen Wandlungsprozessen zum Abschluss, indem er mit den für das Aufkommen vordergründig einer Lohnarbeiterlage, tatsächlich aber einer an Produktivität ausgerichteten Gesellschaft selbst ehemals hinderlichen Blockierungen aufräumt. Zugleich ist damit der Wandel in der Auffassung der Arbeit vollzogen, die nun endgültig als Quelle nicht nur gesellschaftlichen, sondern auch persönlichen Reichtums anerkannt wird: »Der plötzliche glänzende Aufstieg der Arbeit von der untersten und verachtetsten Stufe zum Rang der höchstgeschätzten aller Tätigkeiten begann theoretisch damit, daß Locke entdeckte, daß sie die Quelle des Eigentums sei. Der nächste entscheidende Schritt war getan, als Adam Smith in ihr die Quelle des Reichtums ermittelte; und auf den Höhepunkt kam sie mit Marx ›System der Arbeit‹, wo sie zur Quelle aller Produktivität und zum Ausdruck der Menschlichkeit des Menschen selbst wird.« (Arendt 1958/1981, S. 154)

Damit ist eine Entwicklung eröffnet, im Zuge derer einerseits der Mensch durch das Recht, sich sein Leben durch Arbeit zu gestalten, zum autonomen, würdigen Subjekt wird; und andererseits die freiwillige Unterordnung dieses Subjekts unter eine Daseinsform, die am Ende eine nur spezifische Freiheit »erlaubt«, die eingeengt ist durch ihre Ausrichtung auf dezidiert ökonomisch-rationale Zielrichtungen. Kontingenznutzung und -begrenzung laufen hier zusammen in der Nutzung der Kontingenzen für eine (durchaus auch individuelle) ökonomische Prosperität und der gleichzeitigen Begrenzung der Kontingenz eben auf diese ökonomische Zielsetzung. Am Ende dieses fundamentalen Wandels finden sich für Gesellschaft, Dasein und Subjekte massive Veränderungen und zentrale gesellschaftliche Institutionen werden nun in Abhängigkeit von Arbeit interpretiert, was nicht zuletzt den gesellschaftlichen Stellenwert des

33 | Zugleich liegt hierin die erwähnte Kontraproduktivität begründet: Erst indem später wieder Arbeiter und Produktivität zusammengedacht wurden – als Produktivkraft –, konnte die Subjektivierung in die Subjekte hineinverlegt werden, siehe Kapitel 7.

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Individuums betrifft. Sowohl die Pflicht zur als auch das Recht auf Arbeit wird zur Grundlage menschlichen Daseins erhoben und individuelle Leistung – zunächst noch als gottgefällig oder in Abgrenzung zum Adel als Statussymbol nachgeordnet – wird zur Voraussetzung einer besseren gesellschaftlichen Stellung des Einzelnen. (Vgl. Aßländer 2005, 255ff.) Analog wird Arbeit nun in höchstem Maße nicht nur positiv konnotiert, sondern auch normativ besetzt, so dass einerseits Nicht-Arbeit zum nun legitimen Ansatzpunkt für die Disziplinen und andererseits Arbeit zu dem Mittel der Disziplinierung wird. Durch diesen historischen Wandel des Arbeitsbegriffs ergeben sich funktionale Differenzen, die es erlauben, von einem völlig neuen Stellenwert der Arbeit für die Gesellschaft, aber auch für das einzelne Subjekt zu sprechen. Arbeit wird zum Ort und Angriffspunkt einer Macht, deren Ziel die Unterwerfung der Subjekte für die möglichst rationale Nutzung aller Subjekte, aber auch des einzelnen Subjekts ist. Dies äußert sich in besonderer Klarheit in der liberalen Sozialpolitik, die durch und durch den Geist dieses neuen Arbeitsverständnisses und der damit verbundenen Moral atmet und unter das Ziel gestellt wird, den Individuen dieses Arbeitsverständnis zu implementieren, so dass sie sich selbst an diesem Arbeitsverständnis und einer darauf abgestimmten »Verurteilung« der Armut ausrichten. Beides ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.

4.4 D ISZIPLINIERUNG , M ORALISIERUNG UND DIE S UBJEKTIVIERUNG ZUR P RODUKTIVKRAFT Mit dem Perspektivwechsel von der Bedürfnisbefriedigung zur Wertschöpfung durch Arbeit tritt, wie mehrfach angedeutet, die Frage nach den Möglichkeiten zur Verbesserung eben dieser Wertschöpfung in den Vordergrund ökonomischer Betrachtungen. Wenn einzig die menschliche Arbeit in der Lage ist, Werte und damit Wohlstand zu schaffen, gilt es die Effizienz menschlicher Arbeit zu steigern und damit die Menge der durch Arbeit geschaffenen Waren zu erhöhen. Und in dem Moment, wo somit die Steigerung der Arbeitsproduktivität ins Zentrum ökonomischer Betrachtungen tritt, greift die liberale Rationalität bemerkenswerterweise auch auf ein Instrument zurück, das seine Grundlagen in der »alten« Rationalität der Staatsräson hat, die Disziplinen bzw. die Sozialdsiziplinierung. Wie weiter unten gezeigt wird, erfahren die Disziplinartechnologien aber eine entscheidende Erweiterung durch ihre Verbindung mit Praktiken der Moralisierung, so dass sich Herrschaftstechnologien mit Technologien des Selbst verknüpfen und so eine umfassende Subjektivierung realisieren. Die beiden Pole dieser Subjektivierung, Disziplinierung und Moralisierung, bilden den

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Ausgangspunkt für eine sich seitdem fortentwickelnde Regierung zu Effektivität, also der Aufforderung, »die richtigen Dinge zu tun« – arbeiten –, und zu Effizienz, also »die Dinge richtig zu tun« – richtig zu arbeiten.34 4.4.1 Die Disziplinierung zur und in der Arbeit Die sich mit dem Liberalismus ausformende Disziplinierung, wie sie auch von Foucault im Rahmen seiner berühmten Studie Überwachen und Strafen aus dem Jahr 1975 verstanden wird,35 umfasst deutlich mehr als nur »die Chance, kraft eingeübter Einstellung für einen Befehl prompten, automatischen und schematischen Gehorsam bei einer angebbaren Vielheit von Menschen zu finden«, wie Max Webers einschlä-

34 | Effektivität wird hier verstanden als ein Maß für die Zielerreichung (Wirksamkeit, Output), d.h. dafür, wie nahe ein erzieltes Ergebnis dem angestrebten Ergebnis kommt, und zwar unabhängig vom zur Zielerreichung benötigten Aufwand. Dem entgegen ist Effizienz ein Maß für die Wirtschaftlichkeit (Kosten-Nutzen-Relation). Zentral ist dabei, dass beide Kriterien letztlich nur im Zusammenspiel sinnvoll sind. Denn typischerweise hat es weder Sinn, ein Ziel um jeden Preis erreichen zu wollen, noch hat es Sinn, mit einer optimalen Kosten-Nutzen-Relation vorzugehen, wenn dies nicht für das richtige Ziel eingesetzt wird: Effizienz ist wichtig, doch die falschen Dinge effizient zu tun, bleibt Verschwendung; so kommt beispielsweise derjenige, der mit bester Ausrüstung und Technik und höchster Anstrengung in die falsche Richtung rudert, nie zum Ziel; wohingegen der mit dem richtigen Ziel dieses auch mit schlechter Technik, einfachen Rudern und gebremster Anstrengung (irgendwann) erreichen wird. Die Unterscheidung zwischen »Effektivität« und »Effizienz« wurde in dem hier verwendeten Sinn bereits 1963 von dem Ökonomen Peter F. Drucker geprägt, von dem auch das einschlägige Zitat stammt, dass »Effizienz« heißt, die Dinge richtig tun, »Effektivität« hingegen, die richtigen Dinge zu tun: »It is fundamentally the confusion between effectiveness and efficiency that stands between doing the right things and doing things right. There is surely nothing quite so useless as doing with great efficiency what should not be done at all« (Drucker 1963, S. 54) 35 | Ich verwende hier den Begriff »Disziplinierung« explizit in Abgrenzung zum Konzept der Normalisierung. Obwohl die Konzepte der »Sozialdisziplinierung«, »Disziplinierung« oder »Normalisierung« bzw. »Normierung« bei Foucault selbst nicht widerspruchsfrei verwendet sind, können m.E. gerade mithilfe einer strikten Differenzierung die unterschiedlichen Subjektivierungsweisen gefasst und zu einer Systematisierung der Begrifflichkeiten bei Foucault beigetragen werden. Ich werde daher in diesem Abschnitt das Konzept der Disziplinierung bzw. Sozialdisziplinierung wie es durch die Policey implementiert wurde, darlegen und in Abgrenzung hierzu im Abschnitt 6.4 auf das Konzept der Normalisierung eingehen. Vgl. bzgl. dieser Differenzierung v.a. Gertenbach 2007, 151ff.

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gige Definition der Disziplin lautet. (Weber 1921/1972, S. 28) Disziplinierung ist darüber hinaus vielmehr auch eine enorm potente Sozialtechnologie, die sich mit der Durchsetzung der auf Produktivität ausgelegten liberalen Subjektivierung zunehmend als zentral für die moderne Gouvernementalität erweist: »Disziplin ist im Grunde der Machtmechanismus, über den wir den Gesellschaftskörper bis hin zum kleinsten Element, bis hin zu den sozialen Atomen, also den Individuen, zu kontrollieren vermögen. Es handelt sich um Techniken der Individualisierung von Macht. Wie kann man jemanden überwachen, sein Verhalten und seine Eignung kontrollieren, seine Leistung steigern, seine Fähigkeiten verbessern? Wie kann man ihn an den Platz stellen, an dem er am nützlichsten ist? Darum geht es bei der Disziplin.« (Foucault 1981/2002a, S. 233)

Zentrales Anwendungsfelder für diese disziplinären Technologien sind, wie im Folgenden dargelegt werden soll, zum einen quantitativ die Ränder der Gesellschaft, die Nicht-Arbeitenden, deren Existenz für eine auf die Stärkung des Staates hin ausgerichtete Rationalität zunehmend unerträglich wird, und die es damit vordringlich zu disziplinieren gilt. Zum anderen richten sich die Disziplinen aber auch an die ganze Bandbreite der arbeitenden Subjekte, die so zuzurichten sind, dass sie qualitativ möglichst optimal der Wohlstandsmehrung dienen. Die quantitative Steigerung der Arbeit Mit der Zentralstellung der Arbeit wird erstmalig das Problem der zwar erwerbsfähigen, jedoch nicht arbeitswilligen Personen zum ernsthaften, systematisch zu behandelnden Problem, so dass es nicht verwunderlich ist, dass hier ein ganz wesentlicher Angriffspunkt der Macht und ihrer Disziplinen ist. So galt es zum einen Fehlzeiten bei der arbeitenden Bevölkerung mittels massiver Strafen einzudämmen und insbesondere die Praxis des blauen Montags und grauen Dienstags zu verhindern.36 Hierzu finden sich diverse Maßnahmen seitens der Unter-

36 | Der sogenannte Blaue Montag war auf den einem festlichen Sonntag, zuweilen aber auch auf »normale« Sonntage folgenden »Katzenjammer« zurückzuführen, dessen Behebung eine Erholung am Montag erforderte, oftmals verbunden mit weiterem Alkoholkonsum, der wiederum eine etwas kürzere Erholung am »grauen« Dienstag nach sich zog. Der blaue Montag diente jedoch auch anderen Zwecken. Bis in das 14. und 15. Jahrhundert lassen sich Handwerksordnungen verfolgen, die das Feiern am Montag zum Zweck des Bades im gemeindlichen Badehaus erlaubten. Daneben war der Montag auch traditionell der Tag, an dem Gesellen, die ihre Stellung gekündigt hatten, sich zum nächsten Ort begaben, wobei diese Gesellen typischerwei-

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nehmer, aber auch Regularien staatlicherseits, die solches Fernbleiben unter massive Strafen stellten. So heißt es in einem Edikt Friedrichs II. aus dem Jahr 1783 wie folgt: »So setzen, ordnen und gebieten Wir hiermit, daß zu Folge der unterm ersten August 1636 und den 6ten August 1723 ernannten Edikte, der sogenannte freie oder blaue Montag bei allen denjenigen Gewerken und Innungen, wo derselbe noch im Schwange gehen sollte, sogleich nach Publikation dieses Edikts gänzlich eingestellet, und die Gesellen an allen Montagen eben so fleißig und lange, als in den übrigen Werktagen arbeiten sollen. Um nun diesen Unfug, welcher den Staat um eine zweimonatliche Arbeit, die Handwerks-Meister und Gesellen zur Üppigkeit und der darauf notwendig erfolgenden Armut bringet, auf das sicherste abzustellen, befehlen Wir hiermit aufs ernstlichste, daß jeder Meister, dessen Geselle sich des Montags, ohne rechtmäßige Entschuldigung, von seiner Arbeit entfernet, selbigen, in Unsern hiesigen Residenzien, dem Polizei-Directorio, und in anderen Städten, wo kein Polizei-Directorium ist, dem Magistrat bei zwei Rthlr. niemals zu erlassender und zur Gewerks-Kasse zu erlegender Strafe, sofort anzeigen, und ein solcher Geselle, welcher diesen Mißbrauch hartnäckig fortsetzen will, das erstemal mit achttägigem, das anderemal mit vierzehntägigem Arrest, bei Wasser und Brot, bestrafet, das dritte und folgendemal aber, als ein fürsetzlich boshafter Übertreter Unserer Gesetze, mit vierwöchentlicher Zuchthausstrafe beleget, alsdann für Handwerks-unfähig und -untüchtig gehalten, und auf sein Handwerk an keinem Orte passieren soll, so lange und bis derselbe, nach vorhergegangenem Obrigkeitlichen Erkenntnis, Zu seinem Handwerke wiederum öffentlich admittieret worden.« (Friedrich II 1783/1972)

Angesichts solcher umfassender Bemühungen, die Zeit der Arbeit zu steigern, ist auch ein genereller Wandel in der Bedeutung der »Zeit« festzustellen, die immer mehr auf eine fixe Dauer und auf einen bestimmten terminierten Zeitraum festgesetzt wird – mit immer genaueren Kontrollen der Anfangs- und Endzeiten der Arbeitsschicht, aber auch mit einem immer stärkerem Einfordern eines leistungsbezogenen Verhaltens der Arbeiter. Hinzu kommt die strikte Ortsbezogenheit der Arbeit: arbeitsgebundene Zeit bedeutet für den Arbeiter immer auch die feste Bindung an den jeweiligen Arbeitsort und die dort herrschende Ordnung mit der Folge einer zunehmenden Isolierung der Arbeitswelt der Fabrik vom übrigen Leben, der »Freizeit«. Insofern ist das zentrale Neue nicht so sehr die Länge des Arbeitstags oder die nächtliche Arbeitszeit – beides gab es auch in der Heimindustrie oder der Landwirtschaft –, und auch nicht der Rhythmus der Maschine, an den sich der Arbeiter zu halten hatte, sondern die Tatsache, dass die Arbeitszeit nun starr geregelt und dem Willen des Arbeiters weit-

se von den Berufsgenossen des jeweiligen Ortes feierlich in das nächste Dorf begleitet wurden. (Vgl. Freudenberger 1974, S. 312, Reid 1979, Gömmel 1998, S. 65 sowie Abschnitt 5.2.2.)

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gehend entzogen ist – der Tag wird nun von v.a. von der Fabriksirene strukturiert, die das Läuten der Kirchenglocken als Vorgeber der Zeitordnung ersetzen. (Vgl. Braun 1984, 302ff.) Neben dem Angehen gegen unerlaubte Fehlzeiten bzw. Arbeitsunterbrechungen und der starren Strukturierung der Arbeitszeit ist der zweite bedeutsame Bezugspunkt der Praktiken zur quantitativen Steigerung der Arbeit das Bestreben, das brachliegende Potential nicht-arbeitender Bevölkerungsteile einer angemessenen Nutzung zuzuführen. Hierzu sind v.a. die herumziehenden Gesellen und Vagabunden zu rechnen, die nun weniger aufgrund ihrer Mobilität, wie zurzeit der Staatsräson problematisiert werden (vgl. Castel 2008), sondern wegen ihres unproduktiven Verhaltens ins Visier der Macht kommen.37 Auf diese Bevölkerungsgruppen abgestimmte Sozialbzw. Zwangsmaßnahmen und die Existenz von »Arbeits-«, »Zucht-« oder »Werkhäusern« zielten darauf, »Arbeitsscheue« und »Vaganten« zur Arbeitsdisziplin zu erziehen. (Freudenberger 1988, S. 40). In diesem Sinn wurden ganz allgemein Maßnahmen und deren positive oder negative Ausrichtung zunehmend an die Arbeits(un)fähigkeit gekoppelt, so dass Armut und sogar völlige Bedürftigkeit keineswegs mehr hinreichende Voraussetzungen für die Gewährung von Fürsorge bilden, sondern hierfür muss Armut nun notwendig begleitet sein von einer mehr oder weniger objektiven Arbeitsunfähigkeit, aufgrund derer die Bedürftigen nicht mehr selbst für ihren Unterhalt aufkommen können. (Vgl. Castel 2008, S. 58) So wurde immer stärker dazu übergangen, gegen nicht arbeitende, aber arbeitsfähige Bevölkerungsteile vorzugehen, und daran ausgerichtet wurde das gesamte Fürsorgewesen umgestaltet. Denn zeitgleich mit dem Beginn der sozialen, politischen und staatlichen Organisation kapitalistischer Gesellschaften in Europa beginnt, wie Foucault darlegt, die Existenz einer Bevölkerungsgruppe, die keiner Arbeit nachgeht, buchstäblich »unerträglich und unmöglich« zu werden.38 Vor diesem Hin-

37 | Diese doppelte Verankerung als Widerständige sowohl gegen die Souveränitätsmacht als auch gegen die moderne Produktivmacht verdeutlicht nochmals die zentrale Zwischenstellung dieser Bevölkerungsgruppe zwischen dem Übergang von einer Regierungsrationalität in die andere. 38 | Zwar wurden bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts relativ zeitgleich in vielen Ländern (England, Frankreich, Portugal, Aragon, Kastilien, Bayern) rigide und einander sehr ähnliche Arbeitsgesetze festgesetzt, diese waren jedoch, wie Castel dargelegt hat, stets an die Unterdrückung der Arbeitskräftemobilität gekoppelt, die die Bindung der Arbeiter an ihr Territorium und an die vorgeschriebene traditionelle Form der Arbeit festlegt. (Vgl. Castel 2008, S. 68, 77) Folglich lassen sich diese Gesetzgebungen eindeutig der souveränen Machtstruktur zuordnen.

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tergrund entwickeln sich parallel zur »Entstehung der neuen ökonomischen Normen« von den großen städtischen Zentren aus nun sukzessive Anstalten, in denen man ganz allgemein Menschen einschließt, »[. . . ] die nicht arbeiten, die keinen Beruf haben, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können und ansonsten einer Familie zur Last fielen, die sie nicht zu ernähren vermag: Kranke, die nicht arbeiten können; aber auch Familienväter, die das Vermögen der Familie verschwenden; missratene Kinder, die ihr Erbe durchbringen; Menschen, die einen ausschweifenden Lebenswandel führen; auch Prostituierte, also eine ganze Reihe von Menschen, die man heute als Asoziale bezeichnen würden und die eines gemeinsam haben: Sie sind ein Hindernis für die Organisation der Gesellschaft nach den damals entwickelten ökonomischen Normen.« (Foucault 1978/2002g, 627f.)

Entsprechend sind das 17. und 18. Jahrhundert durch die Einrichtung zahlreicher Zucht-, Arbeits- und Werkhäuser geprägt, welche die traditionelle stationäre Armenpflege, den Gedanken der Arbeitserziehung, den Freiheitsentzug und die Zwangsarbeit als Instrumente des Strafvollzugs und letztlich das Interesse an einer produktiven Nutzung möglichst aller Arbeitskräfte in einer Einheit verbanden. (Vgl. Sachsse und Tennstedt 1980, S. 115) Ein in diesem Kontext als exemplarisch anzusehendes Modell ist das 1790 eröffnete Gefängnis von Walnut Street (Philadelphia): Geprägt vom Geist der Quäker, werden Zwangsarbeit und ununterbrochene Beschäftigung mit einer individuellen Entlohnung der Gefangenen verbunden zu deren moralischer und materieller Wiedereingliederung in die sich entwickelnde strenge Welt der Ökonomie; hinzu kommen die durchgängige Erfassung des Lebens der Insassen durch eine totale Zeitplanung und eine pausenlose Überwachung sowie die Variabilität der Dauer der Gefangenschaft in Abhängigkeit vom Verhalten der Häftlinge. Insofern sind die Techniken, die in den Anstalten zur Anwendung kommen, auch nicht Ausdruck einer Strategie der Ausgrenzung, sondern vielmehr der Eingrenzung. Die dort vermittelte Disziplin, wie sie von Foucault in Überwachen und Strafen, beschrieben worden sind, sollen dem Eingesperrten nach dieser Phase der Umerziehung ermöglichen, seinen Platz in seiner Herkunftsgemeinde wiedereinzunehmen und von da an zu einem nutzbringenden Glied des Staates zu werden. Ein ähnliches Modell wie das von Foucault beschriebene Gefängnis von Walnut Street findet sich auch in Reims, wie ein Bericht der Vossischen Zeitung, Berlin 1771 deutlich macht: »Reims, vom 26. Dezember. Da eine große Anzahl Arbeiter in den hiesigen Manufakturen welche keine Arbeit hatten, nicht anders als durch eine neue Art von Geschäften ihr Auskommen

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finden konnten, so haben die Municipalofficianten dieser Stadt eine öffentliche Arbeit angeordnet, deren Direktion und ökonomische Ordnung vielen Beifall findet. Man macht eine Seite unserer Festungswerke eben. Die Tagelöhner müssen Erde hacken, und Weidenkörbe von verschiedener Größe damit anfüllen. Diese Körbe sind an Kinder nach ihrem Alter und Kräften ausgeteilt, und sie tragen die Erde nach den ausgegrabenen Örtern hin. Auf ihrem Wege bekommt ein jedes von ihnen bei jedem Gange ein Zeichen von Blei. Wenn sie sechs solcher Zeichen haben, so bekommen sie dafür ein ander Stück Blei, in Form einer Münze, das zwei Sous gilt, und nur allein von Bäckern angenommen wird, damit sie ihren kleinen Verdienst nicht anders als zum Ankauf der höchsten Notdurft anwenden können. [. . . ]. Auf diese Weise gibt ihnen eine besser angewandte Wohltätigkeit, statt sie durch Almosen im Müßiggange zu erhalten, einen Geschmack und eine Liebe zur Arbeit, und macht sie dem Staat nützlich.« (N.N. 1771/1972, 29f.)

Arbeitsfähige Personen – selbst Kinder – sollten, das wird in diesem Zitat deutlich, durch Arbeit und nicht durch Betteln ihr Einkommen erzielen. Dass die Bettler, Betrüger und Vagabunden ohne festen Beruf in Wirklichkeit nur eine kleine Minderheit ausmachen, ist dabei ohne Bedeutung. Denn die allgemeine Kategorie des NichtArbeitenden als asoziales und gefährliches Wesen, ist, das zeigt sich dadurch umso deutlicher, eine Konstruktion und Bestandteil eines Machtdiskurses, der von einer von Arbeit durchzogenen Sozialstruktur ausgeht und keinerlei Abweichung davon duldet. Dabei nahm man auch in Kauf, dass es sich bei diesen Anstalten typischerweise um Zuschussbetriebe handelte, d. h. die Kosten für Verwaltung und Versorgung der Anstalt die erzielten Erlöse aus den von den Insassen hergestellten Produkten überstiegen. Im Gegensatz zur marxistischen Geschichtsschreibung, wo die Zuchthäuser als extreme Formen der Ausbeutung und des Profitstrebens gebranntmarkt wurden, muss man diese Einrichtungen also als Formen einer weit perfideren Machtausübung sehen, nämlich als Einrichtungen zur Erziehung zur Arbeitsamkeit mit dem Ziel einer extensiven Vermehrung des Produktionsfaktors Arbeit. (Vgl. Gömmel 1998, 85ff.) Auch wenn – schon wegen dieser inneren Ineffizienz – in der Realität mit diesen Anstalten die generelle Arbeitspflicht nur in geringem Maße durchgesetzt wird bzw. sich durchsetzen lässt, so bleibt das Vorhaben, alle Armen in Arbeit zu zwingen, doch in seinem Anspruch bestehen (vgl. Castel 2008, S. 123) und die »materielle« Ausschließung durch die Anstalten, also die Einschließung, betraf auf prinzipieller Ebene alle, »die sich den Normen der Arbeit nicht fügten«, (Foucault 1978/2002g, S. 628) womit auch erstmals die »Arbeitslosen« in Europa als Menschen wahrgenommen werden, die einer besonderen Behandlung bedürfen.

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Die qualitative Steigerung der Arbeit Neben diesen, auf die Effektivität – das rechte Tun, arbeiten – zielenden Maßnahmen treten auf die Effizienz bzw. Qualität der Arbeit ausgerichtete Maßnahmen, die ebenfalls in den Zucht- und Werkhäusern ihren Ausgang nahmen. Dort wurden Entwicklungen vorweggenommen, die sich schließlich in den Manufakturen39 und v.a. dann auch in den in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstehenden Fabriken weiter ausbildeten und weithin zur Anwendung kamen: In dem Maße, in dem die Produktionskräfte an einem Ort konzentriert werden, galt es, die negativen Begleiterscheinungen (Arbeitsunterbrechungen, Ruhestörungen, Diebstähle usw.) zu neutralisieren und darüber hinaus möglichst viele Vorteile daraus zu ziehen – die Produktivität in der Arbeit zu maximieren, d.h. mit dem einzelnen Arbeiter eine möglichst große Wertschöpfung zu realisieren bzw., aus anderer Blickrichtung, diesen zur möglichst effizienten Produktivkraft auszubilden. Es ist auch dieser Zusammenhang, in dem Jeremy Bentham seinen Entwurf für ein Werk mit dem Titel Verbesserte Armenversorgung verfasst, der zwar weniger bekannt ist als seine Darstellung des Panoptikons, aber auf demselben Grundgedanken basiert und wesentlich breiter Einsatz fand. Das Zielpublikum ist nämlich nicht eine (eher kleine) Population von Delinquenten, sondern die Gesamtheit der »Armen«, also »jede Person, die scheinbar keinerlei Eigentum oder ein ehrlich erworbenes und ausreichendes Einkommen besitzt.« In diesen Einrichtungen kommen das panoptische Prinzip40 und eine dem späteren Taylorismus nicht unähnliche Arbeitsteilung

39 | Da die Manufakturen unabhängig von und jenseits der Zunftgilden verankert waren, stellten sie nicht zuletzt probates Mittel gegen den Widerstand der Zünfte gegen die im Zuge der merkantilistischen Politik geforderten Produktionssteigerungen dar. (Vgl. Gömmel 1998, 26f.) 40 | Im 1787 von Jeremy Bentham konzipierten Panoptikum findet Foucault das technologische Prinzip der Disziplinarmacht. Dieses Panoptikum stellt ein Gefängnis dar, das aus einem ringförmigen Gebäude besteht, in dessen Zentrum sich ein Turm befindet. Das Gebäude besteht aus Einzelzellen, die jeweils zwei Fenster besitzen, von denen eines nach innen zum Turm hin und eines nach außen geht, so dass von beiden Seiten Licht einfällt. Auf diese Weise sind die Gefangenen immer sichtbar, während umgekehrt für sie weder die Wächter noch ihre Mitgefangenen sichtbar sind: »Er [der Gefangene] wird gesehen, ohne selber zu sehen; er ist Objekt einer Information, niemals Subjekt in einer Kommunikation« (Foucault 1975/1998, S. 257) – Sehen und Gesehenwerden sind also voneinander geschieden. Die Bedeutung des Panoptikums liegt zunächst in seiner universellen Einsetzbarkeit, es ist »als ein verallgemeinerungsfähiges Funktionsmodell zu verstehen, das die Beziehungen der Macht zum Alltagsleben der Menschen definiert« (ebd., S. 263). Das Grundprinzip des Panoptikums lässt sich also nicht nur in Gefängnissen einsetzen, sondern gleichermaßen in Krankenhäusern, Schulen oder auch zur

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zur Anwendung, mit dem Ziel, die Rentabilität der Arbeit zu steigern. (Vgl. Castel 2008, S. 139) Die eingesetzten Elemente aus • • • • • • •

Parzellierung, Zeitplanung, zeitlicher Durcharbeitung der Tätigkeit, Zusammenschaltung von Körper und Geste, Zusammenschaltung von Körper und Objekt, erschöpfender Ausnutzung und Zusammensetzung der Kräfte

hat Foucault umfassend in Überwachen und Strafen (Foucault 1975/1998, S. 192ff.) beschrieben, so dass an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen werden muss. Hier interessieren stattdessen die Konsequenzen dieser Zurichtung, denn was sich damit im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts etabliert hat, war eine »Kunst des menschlichen Körpers«, die nicht auf die Steigerung seiner Fähigkeiten oder eine vertiefte Unterwerfung abzielt, sondern auf »die Schaffung eines Verhältnisses, das in einem einzigen Mechanismus den Körper um so gefügiger macht, je nützlicher er ist, und umgekehrt« (ebd., S. 176), so dass der menschliche Körper in eine »Machtmaschinerie« einging, »die ihn durchdringt, zergliedert und wieder zusammensetzt« (ebd., S. 181). Die Disziplinierung manifestiert sich damit als eine Technik der Fabrikation von Subjekten, die jenseits simpler Repression als Internalisierung produktivistischer Organisation die Innenseite neuzeitlicher Selbstkonstitution bildete.

Überwachung der Arbeiter in Fabriken. Insofern ist das Panoptikum auch nicht so sehr wegen seiner besonderen gestalterischen Form von Bedeutung, die eben für bestimmte Zwecke eingesetzt werden kann, sondern es ist auf weit grundlegenderer Ebene »eine Gestalt politischer Technologie« (ebd., S. 264), die man von ihrer konkreten Verwendung ablösen kann. Das Zentrale dieser politischen Technologie ist dabei, dass es »eine automatisierte und entindividualisierte« Form der Machtausübung darstellt: da der Gefangene permanent gesehen werden kann, aber aufgrund der Unsichtbarkeit der Wächter nie weiß, ob er auch gesehen wird, müssen die Insassen sich stets so verhalten, als würden sie gerade kontrolliert – Fremdüberwachung wird so zur Selbstüberwachung: »die Perfektion der Macht vermag ihre tatsächliche Ausübung überflüssig zu machen; der architektonische Apparat ist eine Maschine, die ein Machtverhältnis schaffen und aufrechterhalten kann, welches vom Machtausübenden unabhängig ist; die Häftlinge sind Gefangene einer Machtsituation, die sie selber stützen.« (Ebd., S. 258) Der Insasse hat das Machtverhältnis internalisiert und spielt die Zwangsmittel der Macht gegen sich selber aus, er wird zum »Prinzip seiner eigenen Unterwerfung« (ebd., S. 260).

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Damit rücken die Disziplinen auch von den »Rändern« der Gesellschaft weg, sind nicht mehr dazu da, die von der Ständeordnung Abweichenden (Vagabunden, Bettler usw.) mit Zwangsmaßnahmen wieder in die Gemeinschaft der Arbeitenden einzugliedern, sondern sie beginnen sich in die wichtigeren, zentraleren, produktiveren Bereiche der Gesellschaft einzuschalten: zunächst in den Kriegsapparaten41 , immer stärker aber auch in die manufakturmäßige Produktion, die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten. (Vgl. Foucault 1975/1998, S. 211, 271) Die wesentliche Funktion dieser Mechanismen war, die Menschen zu disziplinieren, auszubilden und dort einzusetzen, wo sie jeweils am nützlichsten sind. In diesem Sinn positiv verstanden kann man somit sagen, dass die Disziplinen »Techniken [sind], die das Ordnen menschlicher Vielfältigkeiten sicherstellen sollen« (ebd., S. 279f.), und zwar gemäß dreier Kriterien: (1) die Ausübung der Macht soll möglichst geringe Kosten verursachen; (2) die Wirkung der gesellschaftlichen Macht soll möglichst intensiv sein und sich so weit wie möglich erstrecken, (3) schließlich soll sich diese ökonomische Steigerung der Macht mit der Leistungsfähigkeit der Apparate verbinden, innerhalb derer sie ausgeübt wird. Es gilt also gleichzeitig die Fügsamkeit und die Nützlichkeit aller Elemente des Systems zu steigern, mit dem Ziel einer maximalen »Wertschöpfung« (ebd., S. 281). Insofern war es nur naheliegend, die Disziplinarmacht aufs Engste mit der Arbeit zu verknüpfen:42 Dort kulminiert die Produktivität und damit zugleich die Machtausübung. Diszipliniert wird in der Arbeit und für die Arbeit. Und spätestens damit handelt es sich um die Produktion individueller Fähigkeiten, die in der »Fabrikation« von »ökonomischen« Individuen bzw. einer Individualität mündet, deren Schema heute als »normal« empfunden wird und das überzeugt ob seiner unglaublichen Produktivität und Rationalität. Zugleich handelt es sich aber um einen weiteren Schritt der produktiven Organisierung heterogener, nach dem Zerfall der einen transzendent garantierten Gesamtordnung »entgrenzter« Populationen. Gerade anhand der dezidiert produktiven Dispositionen, die den disziplinären Mechanismen eingeschrieben sind, wird deutlich, dass »Disziplin« nicht in Zwang und Repression aufgeht, und ebenso weit mehr als eine avancierte und moderne Form der Arbeitskontrolle ist, sondern eine erste Aus-

41 | Auch Marx betont die Analogie zwischen den Problemen der Arbeitsteilung und denen der militärischen Taktik: »Wie die Angriffskraft einer Kavallerieschwadron oder die Widerstandskraft eines Infanterieregiments wesentlich verschieden ist von der Summe der [. . . ] vereinzelt entwickelten Angriffs- und Widerstandskräfte, so die mechanische Kraftsumme vereinzelter Arbeiter von der gesellschaftlichen Kraftpotenz, die sich entwickelt, wenn viele Hände gleichzeitig in derselben ungeteilten Operation zusammenwirken.« (Marx 1867/1974, S. 345) 42 | Bei Foucault wird diese Verknüpfung nicht näher ausgeführt.

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prägung rationaler Arbeitsorganisation einer auf Produktivität ausgelegten Rationalität mit dem Ziel der Erhaltung und gezielten Entfaltung individueller und kollektiver Potenzen in und durch Arbeit. Es galt, die Arbeiter zu präparieren für die im Entstehen begriffene neue dichte und auf Wachstum und Massenproduktion ausgelegte Arbeitsorganisation. Die Disziplinen wurden damit zur sozialen Technologie, mit deren Hilfe ein neuer Mensch – die »Produktivkraft« – produziert wurde, und das gerade dadurch, dass jenseits repressiver Herrschaft der menschliche Körper und die menschlichen Handlungen zum Gegenstand gezielter Modellierung wurden. Wenn hier von Produktivkraft die Rede ist, so geschieht dies durchaus in Anlehnung an Marx’ Werk, bei dem der Begriff »Produktivkraft« in engem Kontext mit seiner Kritik an der »Verausgabung« von Arbeitskraft in der kapitalistischen Produktion steht, die keinen Wert für den Arbeiter selbst bildet, sondern den den Kapitalisten allein zugute kommenden Mehrwert: »Die kapitalistische Produktion ist nicht nur Produktion von Ware, sie ist wesentlich Produktion von Mehrwert. Der Arbeiter produziert nicht für sich, sondern für das Kapital. Es genügt daher nicht länger, daß er überhaupt produziert. Er muß Mehrwert produzieren. Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur Selbstverwertung des Kapitals dient. Steht es frei, ein Beispiel außerhalb der Sphäre der materiellen Produktion zu wählen, so ist ein Schulmeister produktiver Arbeiter, wenn er nicht nur Kinderköpfe bearbeitet, sondern sich selbst abarbeitet zur Bereicherung des Unternehmers. Der Begriff des produktiven Arbeiters schließt daher keineswegs bloß ein Verhältnis zwischen Arbeiter und Arbeitsprodukt ein, sondern auch ein spezifisch gesellschaftliches, geschichtlich entstandnes Produktionsverhältnis, welches den Arbeiter zum unmittelbaren Verwertungsmittel des Kapitals stempelt.« (Marx 1867/1974, S. 532)

Der Text übernimmt weitgehend Positionen der zeitgenössischen Politischen Ökonomie, fasst dabei jedoch den Begriff der Produktivität enger als Smith und Ricardo (vgl. a. Marx 1861/1973, 122ff. und 365ff.): Nur die Arbeiter sind produktiv, die Mehrwert produzieren, so dass sie entsprechend gezwungen sind, ihr Arbeiten danach auszurichten.43

43 | Im Weiteren nimmt Marx eine interessante Abgrenzung der Lohnarbeit zu Frondienst und Sklavenarbeit vor: Bei der Fronarbeit unterscheiden sich – räumlich und zeitlich – die Arbeit des Fröners für sich selbst und seine Zwangsarbeit für den Grundherrn; bei der Sklavenarbeit erscheint dementgegen all seine Arbeit als unbezahlte Arbeit für seinen Herrn, selbst jene, in der er nur den Wert seiner eigenen Lebensmittel ersetzt, den er in der Tat also für sich selbst arbeitet. Bei der Lohnarbeit hingegen ist umgekehrt die Mehrarbeit von der notwendigen Arbeit

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Bedeutsam ist diese Analyse insbesondere, weil Arbeit für Marx eine historischfundamentale Kategorie der modernen Gesellschaft und entscheidend für die individuelle Selbstverwirklichung bzw., genealogisch formuliert, entscheidend für die Form der Subjektivierung ist. In dieser Hinsicht entwickelt Marx auch eine Utopie der Arbeitsgesellschaft bzw. Perspektiven, die über die kapitalistische Engführung von Arbeit hinausgehen. Wenn Arbeit einen Stand der Produktivität angenommen hat, wo jede Form von Lohnabhängigkeit als Zwangsarbeit zur Absurdität wird, dann ist ein gesellschaftlicher Reichtum entstanden, in dem kreative Tätigkeiten, lustvolles Spiel an die Stelle der Warenproduktion treten können. (Vgl. Negt 1996) Wie bei Marx, so wird auch in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass die Form der Arbeit die Menschen subjektiviert. Der grundlegende Unterschied zu Marx – neben dem zum dialektisch-historizistischen Ansatz44 – bleibt aber natürlich bestehen, insofern die Annahme bestritten wird, dass man durch die Änderung der Produktionsverhältnisse der »lebendigen« Arbeit zum Durchbruch verhelfen und das »freie« Subjekt wieder an die Oberfläche holen kann. An die Stelle des Ziels der (absoluten) »Befreiung« des Subjekts tritt beim Befolgen eines genealogischen Ansatzes »lediglich« die Befreiung von dieser durch diese Art der Arbeit erzeugten Subjektivierung. Auch Foucault selbst will seine »politische Anatomie« der Disziplinierung (Foucault 1975/1998, S. 284) als eine Ergänzung und Erweiterung der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie verstanden wissen: »Die Beschlagnahme entspricht hinsichtlich der Macht dem, was auf Seiten der Ökonomie Akkumulation des Kapitals heißt« (Foucault 1977b, S. 117). Neben die (einfache) Ausbeutung tritt dabei die Formung durch die Macht: »Wenn die ökonomische Ausbeutung die Arbeitskraft vom Produkt trennt, so können wir sagen, dass der Disziplinarzwang eine gesteigerte Tauglichkeit und eine vertiefte Unterwerfung im Körper miteinander verkeilet« (Foucault 1975/1998, S. 177). Obwohl also kapitalistische Ökonomie und Disziplinarmechanismen »sehr eng miteinander verflochten« (ebd., S. 283) sind, heißt das nicht, dass die neuen Mechanismen der Macht vom Kapitalismus erfunden wurden, sondern

nicht mehr unterscheidbar, selbst die Mehrarbeit oder unbezahlte Arbeit erscheint als bezahlt, wodurch das wirkliche Verhältnis unsichtbar gemacht ist und grade sein Gegenteil zeigt. (Vgl. Marx 1867/1974, S. 562) Im Neoliberalismus schließlich ergibt sich, wie in Kapitel 7 deutlich werden wird, erneut eine Verschiebung dahin, dass alles Tun, auch das jenseits der Arbeit, als Arbeit erscheint. 44 | Wobei Marx selbst Dialektik i.W. als Form des Denkens bezeichnet und erst Engels den Begriff auf die historische Entwicklung ausgedehnt und schließlich sogar von einer »Dialektik der Natur« gesprochen hat (vgl. Berger 2004, S. 138 sowie Lotter, Meiners und Treptow 1984, 74ff.).

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die »neue Ökonomie der Macht« (Foucault 1978, S. 35) schuf vielmehr umgekehrt einige zentrale Voraussetzungen für die ökonomische Formation des Kapitalismus: Mit Hilfe der Disziplinen konnte der Kapitalismus einen effektiven Produktionsraum und Produktionskörper schaffen. Und so waren die Disziplinen letztlich gewissermaßen eine Existenzbedingung für den im 19. Jahrhundert entstandenen Liberalismus, dessen Disziplinartechniken, v.a. gegenüber den Arbeitern, gewissermaßen das Gegengewicht zu der ansonsten eingeräumten ökonomischen und sozialen Freiheit bildeten – denn »natürlich konnte man die Individuen nicht befreien, ohne sie zu dressieren.« (Foucault 1980/2002b, S. 114) Das produktive Grundmuster dieser Tendenz moderner Vergesellschaftung wurde später um die Normalisierung erweitert und von Foucault als »Bio-Macht« umschrieben, die, anders als die Disziplinen nicht das einzelne Individuum, sondern »das Leben in ihre Hand nimmt, um es zu steigern und zu vervielfältigen, um es im einzelnen zu kontrollieren und im gesamten zu regulieren« – das Leben »verstanden als Gesamtheit grundlegender Bedürfnisse, konkretes Wesen des Menschen, Entfaltung seiner Anlegen und Fülle des Möglichen«. (Foucault 1976/1987, 163 bzw. 173) Disziplinarmacht und Normalisierungsmacht (siehe Abschnitt 6.4) bilden in diesem Sinne keine Gegensätze, sondern sind eher zwei durch ein Bündel von Zwischenbeziehungen verbundene und sich ergänzende Technologien.45 Die sich später formierende Normalisierungsmacht ist nicht um den individuellen Körper, sondern um den Gattungsgkörper zentriert, der von der »Mechanik des Lebenden« durchkreuzt wird und den biologischen Prozessen zugrunde liegt. Gegenstand eingreifender Maßnahmen und regulierender Kontrollen sind hier die Fortpflanzung, die Geburten- und Sterblichkeitsrate, das Gesundheitsniveau, die Lebensdauer usw. Doch von Anfang an hätten die Disziplinen nicht wirken können ohne einen ergänzenden Aspekt, der die eher externen Beherrschungsformen mit auf die innere Selbstbeherrschung abzielenden Formen koppelt und so ein ganzheitliches, konsistentes Gefüge schafft, das vollends auf die Subjektivierung zur Produktivkraft ausgerichtet ist. Dieser zweite Aspekt der Disziplinierung, der hier mit »Moralisierung« umschrieben wird, wird im folgenden Abschnitt noch einmal gesondert akzentuiert,

45 | Diese, hier gewählte, Interpretation zweier verbundener Technologien findet sich bei Foucault nicht in dieser Eindeutigkeit (Foucault 1976/1987, S. 136) und wurde entsprechend teilweise auch kritisiert. Da sich aber, wie in Abschnitt 6.4 deutlich wird, auch in der »Hochzeit« der Normalisierungstechniken nach wie vor massive Disziplinierungen finden und auch die Normalisierungsmacht selbst von disziplinären Techniken durchdrungen ist, erscheint die hier vorgelegte Interpretation jedoch als sinnvoll.

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um so die umfassende Subjektivierung der liberalen Regierungstechnologie deutlich zu machen.46 4.4.2 Die liberale Moralisierung So wie die disziplinären Technologien ihren Schwerpunkt darin haben, den Körper an die Arbeit zu binden und mit ihr zu verknüpfen, so sind die im Folgenden beschriebenen moralisierenden Technologien die auf die Selbstführung abzielende Ergänzung: Nicht nur das Handeln des Subjekts gilt es zu disziplinieren, sondern dessen gesamter Wille ist auf ein Dasein als rationales, produktives Subjekt auszurichten. In den folgenden Unterabschnitten wird entsprechend gezeigt, wie – ausgehend vom »bürgerlichen« Arbeitsverständnis – Arbeit und Moral aneinander gekoppelt werden, wobei sich diese Kopplung insbesondere anhand des Umgangs mit der Armut zeigt. Denn die Armut dient gleichermaßen als Maß der erfolgten bzw. nicht erfolgten Subjektivierung wie als Drohpotenzial für sich dieser Subjektivierung widersetzendes Verhalten, und dient somit gewissermaßen als Kontrastfolie für die Arbeit. So werden, wie im Weiteren zu zeigen ist, soziale Härten, die aus dem liberalen Prinzip der Freiheit und dem rein konkurrenzregulierten Arbeitsmarkt resultieren, im Sinne einer Moralisierung durchaus ebenso als wünschenswert angesehen wie zugleich die Disziplinierung durch den Arbeitsmarkt als einzig vernünftiges Heilmittel gegen ebendiese Härten gilt. Das bürgerliche Arbeitsverständnis Mit der neuen Sichtweise der ökonomischen Handlungssphäre, nämlich deren Öffnung für Fortschritt und neue Reichtümer, geht, wie gezeigt, die Ökonomie über ihre bisherige Rolle hinaus und wird als Funktionsbereich von Gesellschaft begriffen: »Uns unseren Absatz, so viel es an uns liegt, nicht nur zu erhalten, sondern ihn auch zu erweitern, erfordert unsere Bürgerpflicht; nicht nur die Liebe für uns selbst, sondern auch die höhere für unsere näheren und ferneren Mitbürger, für das Vaterland.« (Beuth 1822/1972, S. 115) Solche Überzeugungen in Verbindung mit weitreichenden gesellschaftlichen Veränderungen, nicht nur hinsichtlich der zunehmenden politischen und wirtschaftlichen Selbständigkeit der Bürger, sondern v.a. auch hinsichtlich deren Wahrnehmung individueller Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten führten zu einer zunehmenden politischen und gesellschaftlichen Statuszunahme

46 | Foucault selbst vertieft den Aspekt der Moralisierung kaum, so dass hier neben diversen historischen Arbeiten wie z.B. Schulz 2005, Kocka 1995, Nipperdey 1993, Maurer 1996, Gall 1987 v.a. auf Ewald 1993 zurückgegriffen wird.

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reich gewordener »Bürger« jenseits des Adels, die sich selbst nicht zuletzt darüber definieren, diesen Reichtum mittels der rechten »Arbeitsmoral« erworben zu haben (vgl. a. Aßländer 2005, 158f.): »Im gesellschaftlichen Haushalt moderner Völker ist Arbeit die einzige Quelle und das Prinzip des öffentlichen und des Privatreichtums, sowie die Grundlage aller Volkstugenden. [. . . ] Befreit von seinen Ketten, gestachelt von seinem Vorteil, gereizt schon von seinem gegenwärtigen Wohlsein und der Aussicht auf ein immer besseres Befinden, arbeitet der Mensch mehr und besser als ohne diese Triebfeder; er gewinnt mehr, weil er mehr arbeitet, und weil er mehr gewinnt, werden seine Produkte in Folge des Vorschusses immer preiswürdiger. Die Freiheit, oder was dasselbe sagt: die Gleichheit des Schutzes, der Gerechtigkeit und Begünstigung schafft allenthalben Wetteifer, Nebenbuhlerei, Konkurrenz, Gefühl für Ehre und Schande. [. . . ] Wahrlich, es ist so leicht, Reichtum zu bewirken und Anhänglichkeit der Bürger zu begründen.« (Lips 1830/1972, 128f.)

Die sich so definierende »bürgerliche Gesellschaft« ist dabei als klares Gegenmodell zu der sich durch Tradition und Herkunft bestimmenden Adelsgesellschaft zu verstehen; da sich der Bürger nicht durch vergleichbare Geburtsrechte und Privilegien entwickeln kann, beruft sich die Bourgeoisie auf eigene Mechanismen zur Vergabe der gesellschaftlichen Chancen: Geld und Reichtum bzw. Beruf und Erfolg, durch die der Bürger definiert ist und bei deren Verlust – also im Armutsfall – er im Gegensatz zum Adel »aufhört zu existieren«.47 Folglich ist es für die bürgerliche Gesellschaft weit eher als für den Adel erforderlich, ihre Berufsarbeit von der Vernunft anleiten zu lassen. An die Stelle der demonstrativen Zurschaustellung und Verschwendung von Reichtum des Adels tritt die Notwendigkeit zu sparen, um das eigene Vermögen auf

47 | Aßländer 2005, S. 193. Schrader bemerkt hierzu kritisch, »dass sich die bürgerliche Gesellschaft keineswegs – wie gemeinhin behauptet – gegen die ständische Gesellschaft oder in Opposition zur [. . . ] Monarchie ausbildete, sondern innerhalb dieser.« (Schrader 1996, S. 9) Diese Kritik trifft allerdings nur zum Teil, denn selbst wenn der bürgerliche Gegenentwurf zur Adelsgesellschaft nicht Ursache für deren Niedergang war, so trat er doch an ihre Stelle und verstand sich als neue Welt, »indem sie die ganze Welt geistig beanspruchte und im gleichen Zuge die alte Welt negierte.« (Koselleck 1973, S. 1). Man kann sie somit, wie Koselleck schreibt, als aus dem alten Staatenraum herausgewachsen in der Abkehr von diesem Staatenraum entwickelte Verkörperung einer Philosophie des Fortschritts verstehen: »Im gleichen Maße, als das europäische Bürgertum nach außen die ganze Welt erfaßte und sich dabei auf die eine Menschheit berief, sprengte es im Namen derselben Argumentation von innen her das alte absolutistische Ordnungsgefüge.« (Ebd., S. 2f.)

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lange Sicht zu halten oder auch zu vergrößern: Erworbenes Geld wird nicht ausgegeben, sondern als Kapital investiert, um weiter zu wachsen.48 (Vgl. Aßländer 2005, 167ff.) Vor diesem Hintergrund sind es, wie Schulz zusammenfasst, zwei wesentliche Merkmale, welche die bürgerliche Subjektivierung auszeichnen, ein Leistungs- und Erfolgsstreben sowie eine darauf ausgerichtete Selbstdisziplinierung, die als das eigentliche Ziel hinter der eben beschriebenen Disziplinierung gelten muss. Beides wird schließlich appellativ an die gesamte Gesellschaft herangetragen und als Synonym für Aufgeklärtheit und Modernität bestimmt. Denn gewissermaßen »vom Höhenkamm der Zivilisation« aus betrachtete sich das Bürgertum selbst »als Avantgarde des Fortschritts« und als »kulturhegemoniale Schicht« (Schulz 2005, S. 22). Die eigene, bürgerliche Lebensweise wurde als Maßstab für alle gesetzt – im Dienste der Aufklärung der Menschheit gegen die alte Privilegienordnung der Ständegesellschaft.49 Dabei zeigt sich von Anfang an, wie sehr diese Bestimmungen auf eine bestimmte Subjektivierung hinzielen, nämlich auf die Vermittlung spezifischer Sozialnormen, die sich immer stärker den Anforderungen einer um das Ökonomische zentrierten Macht unterordneten. Exemplarisch heißt es bei Benjamin Franklin: »Remember that time is money. He that can earn ten shillings a day by his labour, and goes abroad, or sits idle one half of that day, though he spends but six pence during his diversion or idleness, ought not to reckon that the only expense, he has really spent or rather thrown away five shillings besides. Remember that credit is money. If a man lets his money lie in my hands after it is due, he gives me the interest, or so much as I can make of it during that time. This amounts to a considerable sum where a man has good and large credit, and makes good use of it. [. . . ] Remember this saying, The good Paymaster is Lord of another Man’s Purse. He that is known to pay punctually and exactly to the time he promises, may at any time, and on any occasion, raise

48 | Zahlreiche Autoren gehen davon aus, dass es gerade diese Kultur ist, die die bürgerliche Gesellschaft überhaupt definiert. So verstanden ist die bürgerliche Kultur weniger Ausdruck eines klar abgrenzbaren Klassenbewusstseins als die Summe gemeinsam geteilter Kulturgüter, Lebensweisen, Normen und Tugenden. (Vgl. hierzu insb. den Sammelband Kocka 1995) 49 | Trotzdem konstituierte sich diese Elite in der klaren Distanzierung gegenüber abweichenden Verhaltenspraktiken. (Vgl. Schulz 2005, S. 75) So neigte die bürgerliche Elite des Kaiserreiches zur sozialen Abschließung: »in den Clubs und Salons der Hauptstadt wurde auf Rang und Namen Wert gelegt. [. . . ] Entscheidend waren ›Rang und Vermögen‹, als Funktionen der beruflichen Position und des individuellen Erfolgs.« (Ebd., S. 23)

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all the money his friends can spare. This is sometimes of great use. After industry and frugality, nothing contributes to the more to the raising of a young man in the world than punctuality and justice in all his dealings; therefore never keep borrowed money an hour beyond the time you promised, lest a disappointment shuts up your friends purse forever. The most trifling actions that affect a man’s credit are to be regarded. The sound of your hammer at five in the morning or nine at night, heard by a creditor, makes him easy six months longer; but if he sees you at a billiard-table, or hears your voice in a tavern, when you should be at work, he sends for his money the next day; demands it, before he can receive it, in a lump. It shows, besides, that you are mindful of what you owe; it makes you appear a careful as well as an honest Man; and that still increases your Credit. Beware of thinking all your own that you possess, and of living accordingly. It is a mistake that many people who have credit fall into. To prevent this, keep an exact account for some time of both your expenses and your incomes. If you take the pains at first to mention particulars, it will have this good effect: you will discover how wonderfully small trifling expenses mount up to large sums, and will discern what might have been, and may for the future be saved, without occasioning any great inconvenience.« (Franklin 1905)

In Franklins Zeilen wird klar, dass die Unterordnung des Seins unter die Verpflichtung, das eigene Kapital zu vergrößern, nicht einfach eine Lebenstechnik, sondern dies eher Teil einer bestimmten Moral ist, deren Verletzung nicht nur unklug ist, sondern »eine Art von Pflichtvergessenheit« darstellt: »es ist nicht nur ›Geschäftsklugheit‹, was da gelehrt wird – dergleichen findet sich auch sonst oft genug: – es ist ein Ethos, welches sich äußert«. (Weber 1920/2010, S. 76) In dieser Moral ist der einzelne auf den Erwerb als Lebenszweck festgeschrieben, und nicht mehr umgekehrt der Erwerb das Mittel zum Zweck der Bedürfnisbefriedigung. Es ist daher nicht verwunderlich, dass, unter der Sozialkategorie des »Unternehmers« subsumiert, führende Repräsentanten des Handels-, Industrie- und Finanzkapitals als Prototypen des modernen Bürgertums gelten. Der wirtschaftlich selbständige Bürger avanciert zum bürgerlichen Sozialtypus: »Wirtschaftliche Tätigkeit war bürgerliche Tätigkeit; wer sie selbständig betrieb, gehörte zum Bürgertum« (Henning 1972, S. 80). Zu den Inklusionskriterien fortschrittlicher Bürgerlichkeit zählten entsprechend Selbständigkeit, Unternehmungsgeist, Erfolgsstreben und Leistungsbewusstsein. Auf vergleichbare Tugenden und auch einen vergleichbaren Lebensstil zielte die höhere akademisch gebildete Beamtenschaft, die daher, obgleich wirtschaftlich unselbständig, kraft ihrer durch staatliche Alimentation gesicherten »standesgemäßen Lebensführung« ebenfalls zum Bürgertum gerechnet werden kann. Einigendes Band bildete insbesondere die beiden Gruppen gemeinsame Orientierung an der »Arbeitsamkeit«, die 1768 für Johann Basedow die entscheidende Voraussetzung

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zur Verbesserung des Menschen bildete, ein Jahrhundert später bereits Selbstzweck und Inbegriff bürgerlicher Lebensweise geworden war und ostentativ gegen den vermeintlichen Müßiggang adliger Lebensweise und das »Von-der-Hand-in-den-MundLeben« der unterbürgerlichen Schichten abgegrenzt wurde. (Vgl. Schulz 2005, 69f.) Diese Bürger handelten nach der Devise, dass Selbständigkeit, Arbeitsdisziplin und Willenskraft ein gutes Fortkommen in der Welt ermöglichten; sie verinnerlichten ein Leistungsethos, das zum Selbstzweck geworden war und sich unduldsam gegenüber Normabweichungen zeigte. (Vgl. ebd., S. 22) In dieser Logik unterscheiden sich Arm und Reich v.a. in ihren Tugenden: Der Leistungswille des Bürgertums wird zum Maßstab für alle Subjekte und mit einem normativen Anspruch erhoben; wer sich dem sperrt oder widersetzt, ist gesellschaftlich diskreditiert und darf nicht auf die Unterstützung durch Almosen rechnen. Umgekehrt sind beruflicher Erfolg und Wohlstand der Lohn für eine moralisch einwandfreie Lebensführung, so wie man umgekehrt nur dann Erfolg haben kann, wenn man eine moralisch einwandfreie Lebensführung an den Tag legt. In diesem Sinn heißt es bei Sombart: »Man muss ›korrekt‹ leben, das wird nun zu einer obersten Verhaltungsmaßregel für den guten Geschäftsmann. Man muss sich aller Ausschweifungen enthalten, sich nur in anständiger Gesellschaft zeigen; man darf kein Trinker, keine Spieler, kein Weiberfreund sein; man muss zur heiligen Messe oder zur Sonntagspredigt gehen; kurz, man muss auch in seinem äußeren Verhalten der Welt gegenüber ein guter ›Bürger‹ sein – aus Geschäftsinteresse. Denn ein solch sittlicher Lebenswandel hebt den Kredit.« (Sombart 1913/1987, S. 162f.)

Insgesamt ist das bürgerliche Arbeitsverständnis somit dadurch geprägt, dass Erfolg nicht mehr als göttliches Geschenk oder glückliche Fügung des Schicksals erscheint, sondern Ergebnis des individuellen Leistungswillens und der systematischen moralischen Lebensführung des einzelnen ist. Tugend und Moral stehen hier nicht mehr als Weg zum individuellen Glück oder zur Verwirklichung einer besseren Gesellschaft, sondern sie stehen nun im Zusammenhang mit dem materiellen Erfolg des einzelnen. Die bürgerliche Lebensweise wird damit – analog der Armut im Negativen – zum positiven Maßstab der Existenz. Sie ist das Ideal, das es mittels Arbeit anzustreben gilt, ganz so, wie die Armut mittels Arbeit überwunden werden kann. (Vgl. Aßländer 2005, S. 188f. sowie S. 258f.). Spätestens mit Ende des 18. Jahrhunderts scheint somit die Eigenmotivation zur Arbeit zum wesentlichen Bestandteil der Moral geworden zu sein und bildet eine zentrale Machttechnologie der arbeitsteiligen Industriegesellschaft; nur der Wille zu immer neuer Erwerbsarbeit kann den langfristigen Fortbestand sichern. (Vgl. Aßländer 2005, 191f.) Das negative Pendant zum Bürger in dieser Moral ist der Arme. Er wird

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zum Kontrapunkt und Mahnbild für all jene, die diese bourgeoise Leistungsmoral und Selbstdisziplinierung nicht erfüllen, und ist Gegenstand des folgenden Abschnitts. Der Arme in der liberalen Subjektphilosophie Ausgangspunkt für die Moralisierung, wie auch für die Herausbildung des eben beschriebenen bürgerlichen Ethos, ist die liberale Annahme des Menschen »als eine Art Souverän seiner selbst« (Ewald 1993, S. 103), der, was auch immer – Positives oder Negatives – ihm passiert, sich selbst zuschreiben muss. Dies impliziert natürlich, dass er alle Lasten seiner Existenz selbst tragen und allen Anforderungen, mit denen er aufgrund dieser Freiheit konfrontiert wird, selbst gerecht werden muss. Auch etwaige Unglücksfälle und Schicksalsschläge kann das liberale Subjekt auf niemanden anderen abwälzen (es sei denn natürlich, sie wurden von jemand anderem verursacht) – jeder muss für sich und sein Leben selbst verantwortlich sein und wird auch so behandelt. Die Objektivität der derart definierten Freiheit ist nicht die einer Natur, sondern die jenes Rationalitätstyps, der das Prinzip seiner Regulierung und Vervollkommnung in sich selbst enthält und den die Liberalen als das Diagramm einer wohlgeordneten Gesellschaft ansehen. (Vgl. Ewald 1993, S. 103f.) Somit sind auch die Ursachen der Armut und der sozialen Ungleichheit nicht, wie seitens einzelner Sozialkritiker postuliert, den ökonomischen Strukturen eines kapitalistischen Akkumulationsregimes zuzuschreiben, sondern sind nirgendwo anders als im Armen selbst zu suchen, in seinen moralischen Dispositionen, in seinem Willen: »Die Armut ist eine Verhaltensweise und muß als solche analysiert und bekämpft werden.« (Ewald 1993, S. 82) Durch seine besondere Verbindung von Freiheit und Wohltätigkeit gelingt es dem Liberalismus, jeden Gedanken an eine soziale Kausalität von Armut zurückzuweisen – zwischen dem Reichtum der einen und der Armut der anderen gibt es in diesem individualistischen Verständnis keinerlei Zusammenhang; Ursache von Ungleichheit liegt nicht in einer politischen Zwangsläufigkeit oder in bestimmten gesellschaftlichen Mechanismen, sondern einzig und allein in dem jeweiligen individuellen Gebrauch der Freiheit, weshalb auch nichts ein öffentliches Unterstützungsprogramm, dessen Lasten von der Gesellschaft zu tragen wären, rechtfertigen könnte. Der Arme hat es nur sich selbst zu zuzuschreiben, wenn er unter einem Zustand leidet, den zu beenden nur ihm selbst obliegt (vgl. Lemke 1997, S. 201): Das Anwachsen der Armen ist auf nichts anderes zurückzuführen, »but the relaxation of discipline, and corruption of manners; Virtue and Industry being as constant as constant companions on the one side, as Vice and Idleness are on the other.« (Locke 1697/1997, S. 102). Alle Forderungen etwa nach einer Transformation der ökonomischen Grundlagen der liberalen Gesellschaft, wie sie später auch von Teilen der Arbeiterschaft vorge-

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tragen werden, sind somit aus liberaler Sicht von vornherein diskreditiert bzw. umgekehrt mit der klassisch liberalen Sichtweise von vornherein und grundsätzlich unvereinbar. Aus liberaler Sicht gilt vielmehr jeder Eingriff in die gesellschaftlichen Beziehungen als Störung der Selbststeuerung. In einer nach dem Prinzip der Freiheit konstituierten Gesellschaft verleiht die Armut daher auch keine Rechte – sie überträgt Pflichten. Denn: »Der Arme mag Mitleid erregen, er ist darum aber nicht weniger für sein Elend, für seine Not und sein Schicksal verantwortlich.« (Ewald 1993, S. 82) Dies gilt selbst im Fall von Schicksalsschlägen wie Unfällen, schweren Krankheiten oder Naturkatastrophen, welche die Ressourcen der Arbeiter vermindern oder besondere Aufwände verursachen. Denn diese Risiken sind ja ganz offensichtlich »natürliche« Aspekte des Lebens, mit denen zu rechnen ist, folglich ist es für den verantwortlichen Freien eine Pflicht, sich gegen diese Schicksalsschläge zu wappnen und Vorsorge zu tätigen, die damit die liberale Tugend schlechthin darstellt: »Der Vorrang unter allen Tugenden kommt der Vorsorge zu, die nichts anderes ist als die von uns über unser eigenes Schicksal ausgeübte Macht.« (M.T. Duchatel, Considerations d’oeconomie politique sur la bienfaisance ou De la charite dans ses rapports avec l’etat oral et le bien-etre des classes inferieures de la societe, Paris 2.A. 1836, S. 177, zit. nach Ewald 1993) Diese Logik steht nicht zuletzt damit in Zusammenhang, dass im liberalen Denken die natürliche Verteilung der Güter und Übel grundsätzlich als gerecht erachtet wird, »weil es das, was ist, für das hält, was sein muss« (Ewald 1993, S. 84). Folglich gibt es auch keinen Anlass für die Gesellschaft oder den Staat, korrigierend in diese Natur und deren natürlich Gerechtigkeit einzugreifen. Die liberale Philosophie zeigt sich hier ganz offensichtlich keineswegs, wie in den Diskursen der Arbeiterbewegung konstatiert, der Tatsache der Ungleichheit gegenüber blind. Vielmehr stehen die Ungleichheiten im Mittelpunkt der liberalen Reflexion: sie sind natürlicher und unvermeidlicher Bestandteil einer auf Vielfältigkeit ausgelegten Schöpfungsordnung; als Belohnungen und Bestrafungen für gutes/richtiges bzw. schlechtes/falsches Verhalten sind sie unerlässlich für Fortschritt, weshalb es auch völlig verfehlt wäre, sie verhindern zu wollen: »Im Bestehen von Ungleichheiten liegen sowohl die Möglichkeit als auch die Notwendigkeit einer liberalen Regierungskunst.« (Ebd., S. 89) Die liberale Politik der Moralisierung zur Arbeit Nichts desto trotz besteht gerade aufgrund dieser Grundannahmen die Notwendigkeit, die Disziplinierung durch eine liberale Wohltätigkeitspolitik zu unterstützen und die Arbeitshäuser dadurch zu ergänzen. Diese Wohltätigkeit hat dabei, wie Ewald ausführt, mehrere Aspekte, die sie innerhalb des liberalen Diagramms auszeichnen und

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ihr den besonderen Stellenwert zuweisen: (1) Die Moralisierung der Armen wie auch (2) der Reichen und, quasi als Verbindung davon, (3) die gesellschaftliche Funktion der Wohltätigkeit. So ist (1) die Wohltätigkeit das unverzichtbare Mittel, mit dessen Hilfe der bereits disziplinierte, aber durch fehlende Vorsorge für schlechte Zeiten und einen Schicksalsschlag Verarmte in den Kreislauf der Vorsorge eintreten kann. Ohne Fürsorge liefe der solchermaßen Verarmte Gefahr, in einem endlosen Kreislauf gefangen zu bleiben, in dem die Sorglosigkeit zu Armut führt, die ihrerseits Sorglosigkeit erzeugt bzw. fehlende Möglichkeiten zur Vorsorge bietet. Erst die wohltätige Intervention gibt dem Armen jene Mittel an die Hand, die ihm ermöglichen, dem Elendskreislauf wieder zu entrinnen. Die Ausübung von Wohltätigkeit darf aber keinesfalls eine kontinuierliche und dauerhafte Form annehmen, auf die der Arme fest bauen kann, sondern die Wohltätigkeitspraktiken müssen »als Beziehung der ›Bevormundung‹ das Prinzip ihrer eigenen Aufhebung enthalten«. (Ewald 1993, S. 91) Das heißt, der Arme darf sich ihrer nie sicher sein, und vor allem darf die Wohltätigkeit nicht gesetzlich verankert sein. Insbesondere dürfen die Armen nicht als Population Unterstützung erfahren, sondern die Beziehung zwischen Wohltäter und Armen muss individuell und individualisiert sein. Denn nur so lassen sich die echten Hilfsbedürftigen von jenen vermeintlich Armen unterscheiden, die nur auf die Unterstützung aus sind, um nicht arbeiten zu müssen. (Vgl. ebd., S. 92 sowie Pieper 2003, 140f.) Auch hier wird wieder das Prinzip der Moralisierung deutlich: Die Wohltätigkeit muss so ausgestaltet sein, dass sie den Armen »bekehrt«, also zu den Gesetzen der Ökonomie erzieht. (Vgl. Ewald 1993, 92f.). Diese »Pädagogik der Armut« ist moralisch unverzichtbar, da sie den Menschen ständig vor Augen führt, wohin ein falscher Gebrauch der Freiheit führt. Die Armut dient der liberalen Regierungskunst somit gewissermaßen als »Motor« der moralischen Vervollkommnung, als Selbsttechnologie der Subjektivierung, und ergänzt als solche die eher extrinsischen Herrschaftstechniken der Disziplinen. Umgekehrt dient die Armut aber auch (2) der Moralisierung der Reichen, die sich erst durch ihre Wohltätigkeit selbst vervollkommnen, denn ein »guter Bürger« darf dem Elend gegenüber nicht gleichgültig bleiben. So verstanden stellt die Wohltätigkeit ein Recht dar, das der Staat dem reichen Wohltäter nicht nehmen darf, indem er die Fürsorge seiner eigenen Verwaltung unterstellt. (Vgl. ebd., S. 99) Insofern besitzen die sozialen Ungleichheiten auch (3) für den Zusammenhang der Gesellschaft nach Ewald eine zentrale Funktion, sie gehören zu den Existenzbedingungen der Gesellschaft im Liberalismus, die ohne die wichtigste soziale Tugend der »Wohltätigkeit« nicht funktioniert. Denn als Form der sozialen Bindung ist die Wohltätigkeit unverzichtbare Wurzel der Soziabilität und »eine der Grundlagen der Gesellschaft« (ebd., S. 90). Die Wohltätigkeit gehört damit zu den Bedingungen, die

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aus ungleichen Individuen eine Gesellschaft konstituiert – »sie verbindet das miteinander, was ansonsten in zwei feindliche Klassen, die der Reichen und die der Armen, aufgeteilt bliebe« (ebd., S. 71). Das Soziale und das Problem der sozialen Ungleichheiten bilden hier – ganz anders als der Vorwurf aus der Arbeiterbewegung erwarten ließe – das »Leitmotiv« der politischen Philosophie des Liberalismus, die liberale Politik ist in diesem Sinne »eigentlich eine Sozialpolitik« (ebd., S. 100). Die Art und Weise, in der die liberale politische Ökonomie das Verhältnis von Gleichheit und Ungleichheit begreift, führt dazu, wie Ewald darlegt, dass die liberale politische Ökonomie die Existenz sozialer Ungleichheiten gleichzeitig als positiv und als Faktum sieht und der Wohltätigkeitsbeziehung eine strukturelle Funktion zuzuerkennt, die die liberale Gouvernementalität gewissermaßen bestätigt und in die Subjekte hineinträgt – Die Wohltätigkeitsprogramme sind zentral für die politische Philosophie des Liberalismus. Das liberale Patronatswesen Zielte der Diskurs um die Unterstützung der Armen v.a. auf die Nicht-Arbeitenden, so finden sich Momente der Moralisierung ebenso bei den Arbeitenden. So wurde der eben beschriebenen Politik der Wohltätigkeit mit Heraufkunft der Arbeiterschaft als Massenphänomen eine bestimmte Art der Unternehmensführung an die Seite gestellt, wonach die Unternehmer für die Arbeiter, die sie beschäftigten, individuell verantwortlich gemacht wurden – sie hatten das Leben ihrer Arbeiter so zu organisieren, dass die Bedingungen für deren »materielle und moralische Verbesserung« gegeben waren: »Sie durften nicht mehr nur ›Herren‹, sondern mussten auch ›Patrons‹ sein.« (Ewald 1993, 117) Der Arbeitgeber musste nun nicht nur die Arbeit bezahlen, sondern die Arbeiter auch beaufsichtigen und anleiten, – eben zur Produktivkraft nach ihrem bürgerlichen Vorbild moralisieren. (Vgl. ebd., S. 134) Hintergrund hierfür ist, dass der Arme bzw. der Arbeiter als durch eine grundlegende Disposition zur Sorglosigkeit charakterisiert beschrieben wird, die sich insbesondere in einem weitreichenden »Müßiggang« äußert. Dieser Müßiggang beschränkt sich dabei nicht nur auf die Sonn- und zahlreichen Feiertage50 oder den

50 | Beispielsweise belegen Bauabrechnungen des Nürnberger Handwerks im 16. Jahrhundert, dass das Arbeitsjahr durchschnittlich 260 bis 264 Tage dauerte. Ähnliche Ergebnisse ergab auch die Auswertung von Bauabrechnungen für das 13. und 15. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum vom Niederrhein bis zu den Alpen. Alles in allem geht die Geschichtswissenschaft inzwischen davon aus, dass in der Zeit vor der Reformation an durchschnittlich fünf Tagen pro Woche gearbeitet wurde und der kirchliche Festkalender etwa 90 bis 100 arbeitsfreie Sonn- und Feiertage verzeichnete . Nach der Reformation erhöhte sich in Nürnberg die Maximalzahl der

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sogenannten »blauen Montag«, sondern umfasst ganz allgemein das Zurückschrauben des Arbeitseifers, sobald die augenblickliche finanzielle Situation nicht direkt zur Arbeit zwang. Beispielsweise bewirkte, wie auch Weber zeigt, die Heraufsetzung der Akkordlöhne nicht etwa, dass mehr, sondern dass weniger gearbeitet wurde, weil die Arbeiter offenbar weniger an höherem Verdienst denn an mehr Freizeit interessiert waren: »Der Mehrverdienst reizte ihn weniger als die Minderarbeit; er fragte nicht: wieviel kann ich am Tag verdienen, wenn ich das mögliche Maximum an Arbeit leiste, sondern: wieviel muß ich arbeiten, um denjenigen Betrag [. . . ] zu verdienen, den ich bisher einnahm und der meine traditionellen Bedürfnisse deckt? [. . . ] [D]er Mensch will ›von Natur‹ nicht Geld und mehr Geld verdienen, sondern einfach leben, so leben wie er zu leben gewohnt ist und soviel erwerben, wie dazu erforderlich ist.« (Weber 1920/2010, 81f.)

Die breite Verankerung einer solchen Sorglosigkeit in der gesamten Arbeiterschaft, im gesamten Arbeitermilieu deutet für die Unternehmer darauf hin, dass der Arbeiter seiner durch diese Sorglosigkeit bedingten stets prekären Lage nicht mit eigenen Mitteln entrinnen kann: »Die Freiheit des Arbeiters bedurfte unter den Bedingungen der neuen industriellen Ordnung einer Bevormundung, eines Patronats, das sie absichert und vor sich selbst in Schutz nimmt.« (Ewald 1993, S. 115) Man erwartet vom Arbeiter nicht mehr, dass er selbst sein Verhalten bessert, sondern er wird ständig angeleitet und gelenkt werden müssen, sonst hätte er es ja selbst schon geschafft, seinen Status zu verbessern. Und als das probate Mittel hierfür erschien, die bloß materielle Abhängigkeitsbeziehung in eine »freiwillige und dauerhafte Verbundenheit« zu verwandeln. (Vgl. ebd., S. 162) Hierfür musste gemäß der Erfahrung, dass der Arbeiter umso weniger arbeitet, je mehr er verdient, zuallererst das rein rechtliche Lohnverhältnis, bei dem sich die

Tage, an denen gearbeitet werden konnte, auf durchschnittlich 294 und die Anzahl der Arbeitstage pro Woche um etwa einen halben bis einen ganzen Tag. Trotzdem blieb aber die Maximalzahl der tatsächlich abgeleisteten Arbeitstage bis mindestens zur Mitte des 18. Jahrhunderts durch Sonntage, Feiertage und andere Verpflichtungen, wie Kirchweihen, Familienfeste, Aufwartungen bei der Herrschaft für das Landvolk und Zunftversammlungen für die Städter usw. weiterhin recht begrenzt. Zudem ging häufig in nachgelagerten Gewerben dadurch Arbeitszeit verloren, dass, da die einzelnen Produktionsprozesse nur ungenügend aufeinander abgestimmt waren es zu Leerlaufzeiten aufgrund fehlenden Arbeitsmaterials kam. (Gömmel 1985, S. 205, 207; Freudenberger 1974, S. 308, 310; vgl. a. Gömmel 1998, S. 65; Abel 1970, S. 21)

132 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

Verpflichtungen auf den Tausch Arbeit gegen Lohn reduzierten, zurückgefahren werden. An die Stelle dieses Tauschverhältnisses galt es die Beziehung einer gegenseitigen Dienstleistung zu setzen, die Beihilfe. Indem hier die Bedürfnisse der Arbeiter (bzw. Ziele der Produktion, nämlich Verhinderung des Entstehens neuer Armut) – Unterkunft (Arbeitersiedlung), Gesundheit (Krankenkassen und medizinische Versorgung), Altersvorsorge (Rentenkassen), Kindererziehung (betriebseigene Schulen) und Lebensmittelversorgung (betriebseigene Einkaufsstellen) – über den Betrieb organisiert und befriedigt werden, werden der Arbeiter und seine Familie nicht nur in ihrer materiellen Existenz vom Unternehmen abhängig, sondern er wird zugleich »zum Instrument seiner eigenen Unterwerfung« (ebd., S. 166), das den Willen und die Moral des Unternehmers zu seinem eigenen Willen und zu seiner eigenen Moral macht. Dieses System der Beihilfen ist eine Form der Entlohnung, über die der Arbeiter nicht frei verfügen kann, und soll helfen, die Konsequenzen dessen mangelnder Vorsorge, das drohende Abrutschen in die Armut, zu vermeiden. Es korrigiert damit gewissermaßen »die negativen sozialen Begleiterscheinungen der Barzahlung«51 und, dies ist bedeutsam, moralisiert den Arbeiter, insofern als dieser die Beihilfe nicht als ein Recht empfängt, sondern aufgrund bestimmter Voraussetzungen: aufgrund seines Verhaltens, seiner Verdienste, seiner Zugehörigkeit zum Unternehmen usw. (Vgl. ebd., S. 146ff.) Ziel ist, den Arbeiter auszubilden, produktiv zu machen. Dabei ist den Unternehmern klar, dass die Produktivität nicht so sehr vom Körper und der Kraft des Arbeiters abhängt als von der Art und Weise, in der er diese einsetzt, von seinem Fleiß und seinem Arbeitswillen. Die Produktivität ist also eine Frage der rechten (Arbeits-)Moral, die daher schon bei Kindern geweckt werden muss: »Auch in dem hiesigen Regierungsdepartement, namentlich in der Umgegend von NeustadtEberswalde und in Luckenwalde, werden schon Kinder von fünf bis sechs Jahren teils in den Werkstätten ihrer Eltern, teils in den Fabriken zu ganz mechanischen Fertigkeiten abgerichtet [. . . ] Auch ist es nicht zu übersehen, daß diese durch eine solche Beschäftigung schon früh an Arbeitsamkeit gewöhnt werden, und daß insbesondere die Beschäftigung der Töchter in den Werkstätten ihrer Eltern ein wirksames Mittel darbietet, um in ihnen den wohltätigen Sinn für Tätigkeit und stille Häuslichkeit schon in der zarten Jugend zu wecken.« (N.N. 1818/1972, S. 111)

51 | An die Stelle dieser Barzahlung ist später zudem die abstrakte »Überweisung« getreten, von der die Vorsorgemaßnahmen unmittelbar abgezogen und damit dem Verfügungsrahmen des Arbeiters entzogen sind (bzw. die Verfügung mit großen Verlusten behaftet ist).

4. DIE LIBERALE RATIONALITÄT | 133

Ähnlich heißt es in einem Bericht des Oberpräsidenten Graf Solms-Laubach in Köln an den Staatskanzler Hardenberg vom 25. Juni 1818: »Der Vorteil, den Fabrikarbeit insofern mit sich bringt, daß die Kinder durch dieselbe an den Fleiß gewöhnt werden – eine der Haupttriebfedern bei allen Operationen eines jeden Pädagogen –, ist für die Moralität und das Glück der Kinder unendlich wichtig; würden sie durch das Besuchen der Schule von jener Arbeit abgehalten, so würde dies vielleicht – auch wenn sonst gar kein Nachteil damit verbunden wäre, ja auch selbst, wenn sich von dem Schulunterricht noch so viel Gutes erwarten ließe – ein so großes Übel sein, daß ihm aller jener durch den Schulunterricht zu stiftende Nutzen nicht das Gleichgewicht hielte.« (N.N. 1848/1972, S. 114)

Den Arbeiter produktiv zu machen erfordert also einerseits eine Ausbildung, die ihn dazu bringen soll, seine Kraft auf nutzbringende und effiziente Weise zu verausgaben – die Disziplinierung –, andererseits eine Ausbildung, die auf eine geduldige und kontinuierliche Bearbeitung seines Willens abzielt – die Moralisierung. Der Wille des Arbeiters soll »vom Unternehmen geprägt, ja ›beseelt‹ werden«. (Ewald 1993, S. 147) Er muss dazu von Geburt an in Obhut genommen und bis zu seinem Tode begleitet werden, indem sein Leben, seine Hoffnungen und Zukunftsträume an seine Arbeit in dem Betrieb, der ihn beschäftigt, gebunden und von ihr besetzt werden: Eine »Moralisierung der Arbeiter« war erforderlich, wobei mit »Moralisieren« eben jener Vorgang gemeint ist, bei dem die gesamte Existenz des Arbeiters, seine Bedürfnisse und seine Sicherheit, in die Obhut des Unternehmers genommen wird, um dem Arbeiter so »das Sein einzuverleiben, das ihm fehlt und das allein ihn wirklich produktiv macht« (ebd.). Hier erscheint der Arbeiter als alles andere denn ein Souverän seiner selbst, eher als jemand, der unfähig ist, seine Existenz selbständig sicherzustellen, und der von anderen abhängig ist und stets sein wird. Der Unternehmer darf diese Schwäche des Arbeiters aber nicht missbrauchen, vielmehr muss sein Unternehmen wie eine Schule den Arbeiter fördern und ihn zum Souverän seiner selbst erziehen. Und erst dann, wenn der Arbeiter in seiner ganzen Persönlichkeit diszipliniert wurde, kann er auch wirklich produktiv sein. Folglich darf der Patron nicht (wie der Jurist oder der Ökonom) zwischen Arbeiter und Arbeitskraft unterscheiden – es geht schließlich um die ganze Subjektivität des Arbeiters. Insofern darf er auch seine Arbeiter nicht als Masse, als bloß statistische Population behandeln, sondern muss sie »individuell und als einzelne kennenlernen, mitsamt ihren Bedürfnissen, Charakteren, Persönlichkeiten, Qualitäten und Fehlern«. (Ebd., S.155) An die Stelle der klassischerweise angenommenen Reziprozität der Rechte von Patron und Arbeiter tritt de facto also ein »moralisches Band« (ebd., S. 152), das die

134 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

Beziehung zwischen Arbeiter und Unternehmer als »natürliches« Abhängigkeits- und Unterordnungsverhältnis bestimmt. Vor diesem Hintergrund Freiheit in der Umwandlung des Lohnverhältnisses in ein Rechtsverhältnis zu suchen, wie im Sozialstaat mit dem Arbeitsrecht vorgenommen (siehe Kapitel 6), führt dabei zu nichts anderem als einer Freiheit in (und durch) Unterwerfung. Es ist nicht die Aufhebung der Lohnarbeit und der sie kennzeichnenden Subjektivierung, sondern eben lediglich deren Umwandlung in einen rechtlich geregelten Status.

4.5 M ANAGEMENT

DER

F REIHEIT

Angesichts der eben dargelegten Subjektivierungstechnologien erscheint der Liberalismus eher als ein Naturalismus denn als das, was man gemeinhin mit Liberalismus verbindet. Denn die liberale Freiheit mit dem Souverän seiner Selbst als Subjekt ist, das wurde deutlich, vor allem die innere Mechanik der Wirtschaftsprozesse, und weniger eine juridische Freiheit, die als solche den Individuen zuerkannt wird. Das Individuum und seine Freiheit bezeichnen weniger den Ausgangspunkt dieser Regierungspraktiken als das Prinzip einer Gouvernementalität, die darauf abzielt, das als ihren Effekt zu produzieren, was sie als existierend beschreibt. (Vgl. Foucault 2004b, S. 94) Die Individuen sind hierbei gleichzeitig der erforderliche Partner oder »Kollaborateur« als auch Objekt und Ziel der Regierungspraktiken. Denn die liberale Regierungsstechnologie ist an die Rationalität des ökonomisch-rationalen Subjekts gebunden, was bedeutet, dass die liberale Regierung mit dem interessenmotivierten Handeln auf dem Markt tauschender Individuen übereinstimmen und dieses daher ggf. hervorrufen muss, denn erst diese (ökonomische) Rationalität der Individuen ermöglicht dem Markt, seiner »Natur« gemäß (so wie sie die liberale Gouvernementalität voraussetzt) zu funktionieren. (Vgl. Lemke 1997, S. 180) Die liberale Regierung zeichnet sich also nicht in erster Linie dadurch aus, dass ihr Regierungshandeln durch bestimmte Rechte des Individuums begrenzt ist und dass es rechtlich garantierte, unabhängig von der Regierungspraxis bestehende Freiheiten gibt. (Vgl. Lemke, Krasmann und Bröckling 2000, S. 14) Entsprechend stellt Freiheit innerhalb des Liberalismus auch keinen absoluten Wert dar. Wenn hier trotzdem von »Liberalismus« gesprochen wird, dann vor allem deshalb, weil, so Foucault, diese Regierungspraxis sich nicht damit »begnügt«, eine bestimmte »natürliche« Freiheit zu respektieren oder zu garantieren. Vielmehr, und hierin gründet für Foucault das Wesensmerkmal des Liberalismus, »vollzieht« sie die Freiheit: »Es geht nicht um den Imperativ der Freiheit, um das ›Sei frei‹, sondern um die Einrich-

4. DIE LIBERALE RATIONALITÄT | 135

tung und Organisation der Bedingungen, unter denen man frei sein kann« (Foucault 2004b, 96f.), also um die Disziplinierung und Moralisierung der Individuen zu rationalen und produktiven Liberalen. Die liberale Regierungskunst kann entsprechend als »Manager der Freiheit« (ebd., S. 97) beschrieben werden, die den Individuen die Möglichkeit zu einer bestimmten Freiheit eröffnet und das Sein so einrichtet, dass die Individuen diese Freiheit haben können. Die Freiheit ist somit für den Liberalismus nichts ursprünglich Gegebenes, sondern etwas, das permanent umsorgt und neu hergestellt werden muss – es gilt sicherzustellen, dass die Individuen als ökonomische Subjekte handeln. (Vgl. ebd., S. 99) Die Herstellung der Freiheit impliziert daher unmittelbar, dass auch Einschränkungen, Kontrollen, Disziplinierungen, Gebote usw. eingeführt werden. (Ebd., S. 98) Für die liberale Regierungskunst gilt es folglich den Punkt und die Grenze zu bestimmen, ab der das freie Verfolgen der unterschiedlichen individuellen Interessen eine Gefahr für das Allgemeininteresse darstellt, das es entsprechend gegen die Eigeninteressen zu schützen gilt – so wie umgekehrt die individuellen Interessen gegen all das beschützt werden müssen, was sie beeinträchtigen könnte, also auch gegen kollektive Interessen. So dürfen die Freiheit der Arbeiter und deren kollektive Forderungen nicht das Unternehmen und die Produktion, und individuelle Schicksalsschläge nicht die Individuen und die Gesellschaft gefährden. Daher gilt es, mittels Disziplinierungs- und Moralisierungsmaßnahmen ein Sicherheitsmanagement zu etablieren, das sicherstellt, dass die »Mechanik der Interessen« weder Gefahren für die Individuen noch für die Allgemeinheit darstellt, und dies ist »gewissermaßen die Kehrseite und die Bedingung des Liberalismus« (ebd., S. 100). Es ist letztlich diese »Kehrseite« des Liberalismus, an der das Gegen-Verhalten der Arbeiter ansetzt, das im folgenden Kapitel im Einzelnen dargelegt wird.

5. Proletarisches Gegen-Verhalten

Die liberale Aufkündigung des Dispositivs der policeylichen Reglementierungen bzw. des Immer-mehr- und Immer-intensiver-Regierens führte zu einem beispiellosen ökonomischen Aufschwung und der beschriebenen massenhaften Durchsetzung von Lohnarbeit. Die sich an diese Feststellung typischerweise anschließende Betrachtung ist die eines Paradoxons, wonach dieser Aufschwung »in schroffem Gegensatz« zu »den politischen und sozialen Verhältnisse[n] und Rechte[n] der Arbeiter« stand und zur »ungehemmten Ausbeutung der Lohnarbeiter, zu menschen-unwürdigen Arbeitsverhältnissen, zur Auflösung der Familienbande und zu allgemeinem sozialem Elend des Proletariats [führte]« (Limmer 1996, S. 15 bzw. S. 18). Die Not und die Risiken gesellschaftlichen Zerfalls, die diese Armut mit sich bringt, werden nun nicht mehr nur von den »marginalen Elementen« (Castel 2008, S. 147) verkörpert, sondern werden, das ist neu, zu einem Risiko, das die Lage der Arbeitenden als solche, und damit die Mehrheit der städtischen und ländlichen Bevölkerung betrifft. Das eigentlich Bedrohliche an dieser Situation ist, dass diese Armut entgegen den produktiven Verheißungen des Liberalismus auftritt, und gerade bei den Arbeitenden. (Vgl. ebd., S. 148) Hinzu kommt, dass die vom Liberalismus erfolgreich durchgesetzte Freisetzung der Ökonomie und die um das Individuum und seine Freiheitsrechte zentrierte liberale Philosophie sich angesichts eines konfliktorischen Nebeneinanders von ökonomischer Ungleichheit und politischer Gleichheit bzw. von proklamierter Freiheit von, aber fehlender positiver Freiheit zu1 zunehmend als ein Problem erweist

1 | Die analytische Unterscheidung in positive und negative Freiheit hat ihre Wurzeln bei Immanuel Kant und spielte in der Moderne in der Diskussion um den Liberalismus eine große Rolle. Für Kant ist Freiheit zunächst einmal das Vermögen des Menschen, »einen Zustand von selbst anzufangen« bzw. einen Anfang machen zu können. (Kant 1781/1990, Kap. 92) Auf dieser »transzendentalen Freiheit« gründet der praktische Freiheitsbegriff, der von Kant negativ als »Unabhängigkeit der Willkür von der Nötigung durch Antriebe der Sinnlichkeit« (ebd.) be-

138 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

und das offensichtliche Ungenügen der liberalen Sozialpolitik deutlich zutage treten lässt. Die Arbeiter erheben sich in der Folge und es kommt, so das gängige Narrativ, zu den berühmten »Klassen«-Kämpfen um eine neue Gesellschaftsordnung. Erst und nur dank dieser Kämpfe der Arbeiterklasse, so heißt es, konnte dem ungebremsten

stimmt wird. Diese negative Freiheit wiederum ist die Bedingung für die positive Freiheit als das Vermögen der Vernunft, sich selbst – unabhängig von seinen Neigungen und Trieben – bestimmen zu können, was den Menschen wiederum zur sittlichen Selbstbestimmung, zur Autonomie befähigt. Heutige Verweise beziehen sich meist auf Isiah Berlins 1958 erschienenen Aufsatz Two Concepts of Liberty, in dem erstmals die beiden Begriffe als zwei unterschiedlich Konzepte von Freiheit systematisiert wurden: »The first of these political senses of freedom or liberty (I shall use both words to mean the same), which (following much precedent) I shall call the ›negative‹ sense, is involved in the answer to the question ›What is the area within which the subject – a person or group of persons – is or should be left to do or be what he is able to do or be, without interference by other persons?‹ The second, which I shall call the ›positive‹ sense, is involved in the answer to the question ›What, or who, is the source of control or interference that can determine someone to do, or be, this rather than that?‹ The two questions are clearly different, even though the answers to them may overlap.« (Berlin 1958/1969, 121f.) Berlin definiert negative Freiheit als Freiheit von äußeren Beschränkungen oder Zwängen. Radikal zu Ende gedacht impliziert dies die Zurückweisung aller gesellschaftlichen und politischen Eingriffe in die subjektive Souveränität, was letztlich das konzeptionelle und normative Problem nach sich zieht, dass ohne politische und rechtliche Freiheitsbeschränkungen der Umschlag in soziales Chaos und die unbeschränkte Herrschaft des Menschen über den Menschen droht: Die ungezügelte und schrankenlose Selbstverwirklichung des einen kann das Freiheitsrecht aller anderen zerstören. Demgegenüber gründet die positive Definition einer Freiheit zu (handeln) darauf, dass Freiheit nur gewährleistet ist, wenn die Menschen auch zu einem Leben in Freiheit befähigt sind, was etwa eine Form von Gemeinschaft erforderlich macht, welche die Grenzen der individuellen Willkür bestimmt. Absolut gesetzt droht auch hier die Gefahr von Zwang und Despotismus insofern als durch die Vorgängigkeit des Sozialen gegenüber dem Individuellen individuelle Freiheitsrechte zerstört werden können. In dieser Dichotomie zwischen negativer und positiver Freiheit gründet letztlich ein wichtiges Dilemma des politischen Liberalismus: So wie die einseitige Betonung negativer Freiheit zum Ordnungsverlust führt und damit die politische Verwirklichung ihrer selbst unterläuft, führt auch ihre v.a. positive Institutionalisierung und Politisierung zum Freiheitsverlust, so dass letztlich ein Modus oder eine Rationalität für den Ausgleich geschaffen werden muss, der, um Unfreiheit zu verhindern, beide Freiheiten (bis zu einem gewissen Maß) sichert und beschränkt. Vgl. zu dieser Unterscheidung von positiver und negativer Freiheit auch Bienfait 1999 sowie die Ausführungen zu Kontingenz und Möglichkeitshorizont zu Beginn von Teil II.

5. PROLETARISCHES GEGEN-VERHALTEN | 139

Liberalismus ein Ende gesetzt und durch die Einrichtung von Sozialversicherungen ein zumindest gezähmter Kapitalismus inthronisiert werden.2 Auch wenn diese Beschreibungen selbstverständlich richtig sind, so ist ihr Fokus oft doch sehr auf die strukturellen Entwicklungen und die soziale Lage, die Ausbeutung und das Elend der Arbeiter3 , wie auch auf die »großen Klassenkämpfe« und die marxistischen Bestrebungen4 gerichtet worden. Das positive »Dasein«, die unmittelbaren Kampf- und Protestmethoden, die alltäglichen Widerständigkeiten, Verhaltensweisen und Beziehungen – das, was die Arbeiter jenseits ihrer unmittelbaren, von Not gekennzeichneten Bedürfnisbefriedigung, aber auch was sie außerhalb der Parteikongresse und der »großen« Kämpfe um die Teilhabe an Produktivitätsgewinnen dachten oder taten – sind nicht in gleicher Weise beleuchtet worden. (Vgl. Schildt 1996, S. 72) Auch die marxistische Tradition hat diese Bereiche lange Zeit ausgeklammert; die Nähe des Marxismus zum bürgerlichen Fortschrittsglauben, sein »heimlicher Positivismus« (Habermas 1973, 36ff.), führt anscheinend, wie Thompson formuliert, zu einem beredten »Schweigen« darüber, »was die kulturellen und moralischen Vermittlungen angeht, wie Menschen in spezifische, vorgegebene Produktionsverhältnisse eingebunden sind, die Art und Weise, in der diese materiellen

2 | Die Arbeiterschaft gehört mit zu den am intensivsten untersuchten Gegenständen der Sozial- und Geschichtswissenschaften. Wichtige klassische Studien sind Weber 1892, Sombart 1927, Mehring 1903, Lassalle 1919–20, Liebknecht 1958–1968, Luxemburg 1970–1975. In Bezug auf aktuellere Arbeiten ist insbesondere zu verweisen auf Conze 1954, Kocka 1983 oder die aktuell 15 Bände der Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, herausgegeben von Gerhard A. Ritter (Ritter 1984–). Eine Zusammenfassung der sich intensiv mit der Arbeiterbewegung auseinandergesetzt habenden Geschichtsschreibung der DDR findet sich in der achtbändigen Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED 1966). (Vgl. a. Schildt 1996, 63ff.) 3 | Der Schwerpunkt dieser Debatte hat in England stattgefunden, wo die extremen sozialen Verwerfungen der Frühindustrialisierung in besonderem Maße Anlass zu einer intensiven, noch immer anhaltenden Debatte über die Entwicklung des Lebensstandards der Industriearbeiterschaft gaben (vgl. etwa Hudson 1992). Aber auch in Deutschland haben die mit diesem Ansatz verbundenen Fragen zu einer breiten Erforschung der sozialen Folgen der Industrialisierung geführt (vgl. z.B. Hahn 2005, Abelshauser 1982 und Kaelble 1983). 4 | Hier ist natürlich vor allem auf die umfassende Literatur sozialistischer Provenienz zu verweisen; weitere Beispiele sind Boll 1993, Dahrendorf 1957 und der Sammelband Tenfelde und Volkmann 1981.

140 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

Erfahrungen kulturell verarbeitet werden, und auf welche Weise bestimmte Wertsysteme mit bestimmten Produktionsweisen zusammenpassen und bestimmte Produktionsweisen und Produktionsverhältnisse ohne passende Wertsysteme unvorstellbar sind«. (Thompson 1978, S. 30)

Vielleicht weil Programme und Institutionen leichter zu erforschen sind als ihre Träger, und das diesbezüglich zur Verfügung stehende Quellenmaterial fragmentarisch ist5 und auch in der Regel nur das wiedergibt, was der Aufmerksamkeit und dem Interesse der Macht entsprach, ist dieses Sein der Arbeiter nicht mit derselben Intensität untersucht worden wie die Arbeiterorganisationen und ihre ideologischen Grundlagen.6 Jedoch ermöglicht, und darauf baut diese Arbeit auf, erst die »archäologische« Berücksichtigung dieser »Mikro«-Aspekte, die Arbeiter, den Liberalismus und das, was aus deren Zusammenspiel geworden ist – die Rationalität der Gesellschaft (Kapitel 6) – angemessen zu bewerten. Das Eigentümliche der Arbeiter und der Arbeiterbewegung ist insofern, wie gezeigt werden wird, nicht dass sie die produktiven Kräfte oder die Basis eines Klassenkampfs, sondern dass sie der zentrale Faktor einer bestimmten historischen Veränderung sind. Das Handeln der Arbeiter und der Arbeiterbewegung ist in diesem Sinn, so wird dargelegt, gewissermaßen die Verkörperung einer eigenen gesellschaftlichgeschichtlichen Existenzweise und neuer zur liberalen Rationalität quer stehender Rationalisierungen. Was sind nun aber die Arbeiter, das »Proletariat«, die »Arbeiterklasse« und die »Arbeiterbewegung«? Zunächst einmal kann man die Arbeiter und ihre Bewegung natürlich ausgehend von ihrer Stellung in den Produktionsverhältnissen als eine Gruppe von Menschen, die sich in ähnlichen Situationen befinden – arbeiten –, definieren. Und in der Tat entwickelten sich bekanntermaßen die »großen« Bewegungen nach 1830 ausgehend von den Arbeitsstätten, den großen Fabriken; die meisten ihrer Ideen und Werte, ihr Verhalten und Sein aber sind, wie in den Abschnitten 5.2 und

5 | Da die Mitteilungsweise der unteren Schichten primär eine mündliche ist und zudem der Alltag kaum thematisiert wird, sind nur relativ wenige authentische Äußerungen zugänglich, vgl. Puls 1979b, S. 8. 6 | Im Rahmen der zwischenzeitlich aufflammenden Diskurse über die Arbeiterkultur wurde die gewerkschafts- und parteigeschichtliche Fokussierung etwas aufgeweicht und die nichtinstitutionelle Perspektive auf die alltäglichen Arbeits- und Lebensbedingungen der proletarischen Schichten zeitweilig etwas stärker in den Blick genommen worden. Hier ist z.B. auf Kaschuba 1990 und den von Peter von Rüden herausgegebenen zweibändigen Sammelband Beiträge zur Kulturgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung zu verweisen. (Vgl. a. Schildt 1996, S. 91.)

5. PROLETARISCHES GEGEN-VERHALTEN | 141

5.3 deutlich werden wird, nicht zuletzt Erbe der Kämpfe der vorangehenden Periode, die von unterbürgerlichen, »plebejischen« Schichten aller Art geführt wurden – das heißt, der marxistischen Begrifflichkeit zufolge, von potentiellen Mitgliedern der »Bourgeoisie«. Dabei werden die Arbeiter selbstverständlich auch durch ihren Status innerhalb der Produktionsverhältnisse, durch die jeweilige Form der Produktion und durch die damit verbundenen Charakteristika bestimmt – also etwa inwieweit handwerkliche Lohnarbeit oder die Beschäftigung in größeren, arbeitsteiligen, gewinnorientierten Produktionsstätten stattfindet. Dies sind jedoch »äußere« Festlegungen, und nicht Merkmale, die eine Identität ausbilden.7 In diesem Sinne besteht die theoretische Eigenart der hier vorgestellten Analyse darin, den Fokus gerade nicht auf die durch ihren ökonomischen Status bedingten Verhältnisse oder die institutionellen Ziele der Arbeiterbewegung zu setzen, sondern diese und die zugehörigen Erklärungsvarianten innerhalb des modernen Machtspiels und im Rahmen der liberalen Gouvernementalität, als Elemente dieser Rationalität zu verorten, wodurch es gelingt, das Sein der Arbeiter und der Arbeiterbewegung im Liberalismus nicht nur als Qualität sui generis zu präsentieren, sondern auch als exemplarisch für Gegen-Verhalten im Foucaultschen Sinn. So gelingt es zu zeigen, dass die Arbeiterbewegung von Anfang an mehr war als »nur« der Kampf um bessere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen etc., sondern auch eine Widerständigkeit in sich barg, die sich der liberalen Subjektivierung selbst (verstanden als Machttechnologie) entgegensetzte und Elemente einer eigenen Rationalität hervorbrachte. Insofern darf dieses Gegen-Verhalten auch nicht nur in den aktiven Kampfformen oder Klassenkämpfen gesucht werden, sondern muss vielmehr Rückzugsstrategien und Versuche, andere Einstellungen zu behaupten, gleichermaßen einbeziehen. Konkret werden im Folgenden in der Beschreibung der Zuspitzung der »Krise« des klassischen Liberalismus zunächst die Formierung der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhunderts beschrieben und hierin die Besonderheiten des Widerstands der Arbeiter gegen die liberale Disziplinierung und Moralisierung zur Arbeitskraft beleuchtet. Zentral ist dabei die Darlegung des spezifischen Seins der Arbeiter mit deren ganz eigenen Momenten des Sozialen und eigenen Formen der Gesellschaftlichkeit als dem liberalen Spiel zuwiderlaufende und den unmittelbaren Intelligibilitätshorizont des klassischen Liberalismus übersteigende Rationalität. Anschließend, gewissermaßen als Überleitung zu Kapitel 6, wird aufgezeigt, wie sich letztlich die rational-produktiven Aspekte der Arbeiterbewegung mit der sich verstärkt durchsetzenden normalisierenden Subjektivierung verbanden und in Form des Sozialstaats

7 | Vgl. zur Bestimmung der Arbeiterbewegung ähnlich Castoriadis 1998, 38f., 54f.

142 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

eine den Liberalismus übersteigende Rationalität hervorgebracht haben, wohingegen die offenbar nicht im Sinne der modernen Macht produktiv wendbaren Aspekte des Gegen-Verhaltens der Arbeiter sukzessive verschwanden.8

5.1 A PORIEN

DES

L IBERALISMUS

Tatsächlich ergibt sich mit der Durchsetzung der liberalen Rationalität ein nie dagewesenes ökonomisches Wachstum. Dank zahlreicher wirtschaftlicher, sozialer, wissenschaftlicher, kultureller und politischer Veränderungen, die untereinander wiederum in einem engen Wirkungszusammenhang mit der Zentralstellung der Arbeit und der Entwicklung der Lohnarbeit standen, ereignet sich mit dem Umbruch zur liberalen Gouvernementalität jener fundamentale Wandel von der vorindustriellen, traditionellen Wirtschaftsgesellschaft zur modernen Industriewirtschaft, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Großbritannien einsetzte, sich von dort auf immer mehr Länder ausbreitete und gemeinhin mit »Industrieller Revolution« auf den Begriff gebracht wird. Das Fabriksystem drängte die traditionellen Praktiken der Gütererzeugung nun mehr und mehr zurück und ließ eine neue Form der Organisation gewerblicher Massenproduktion entstehen, die sich zum zentralen Ort der Subjektivierung der Arbeiter als rationale Produktivkräfte entwickelte. Dieses neue System des Produzierens und Arbeitens war gekennzeichnet durch einen arbeitsteiligen, parzellierten, zeitlich durchdrungenen und auf permanentes Wachstum getrimmten Produktionsprozess, den Einsatz von Maschinen mit der darauf ausgerichteten Zusammenschaltung von Körper und Objekt, die ständige rationale Nutzung des stehenden Kapitals, die spezialisierte und disziplinierte Lohnarbeit, die Leitung durch einen marktwirtschaftlich kalkulierenden, leistungs- und erfolgorientierten Privatunternehmer und ist in Abschnitt 4.3.4 näher beschrieben worden. Aber auch außerhalb der Fabriken fanden tiefgreifende Veränderungen statt, die mindestens ebenso wichtig für die Entfaltung des modernen kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems waren, in dem der Markt zur zentralen regulierenden Instanz wurde und alle Produktionsfaktoren (inklusive der menschlichen) sich

8 | Foucault selber hat in seinen Analysen zur Gouvernementalität das 19. und frühe 20. Jahrhundert nicht systematisch behandelt. Es gibt aber eine Reihe von Untersuchungen von Schülern Foucaults, die sich mit diesem Zeitraum befassen und auf die ich mich i.F. teilweise beziehe. Zu nennen sind hier insbesondere François Ewald, Jacques Donzelot, Daniel Defert, Giovanna Procacci.

5. PROLETARISCHES GEGEN-VERHALTEN | 143

unterwarf, und die zu völlig neuen Formen des Regierens und des menschlichen Seins und Mitseins führten. Diese massiven kulturellen und sozialen Veränderungen betreffen ein verändertes Zeitgefühl, neue Ernährungs-, Kleidungs- und Schlafgewohnheiten, reichen von Wohnkultur über Hygienevorstellungen bis ins Familienleben, umfassen Sexualität, Freizeitgestaltung, Brauchtumspraxis usw. Dazu kommen die veränderten physischen und psychischen Erfahrungen und Belastungen der Fabrikarbeit, die umfassende Auswirkungen auf das gesamte Lebensgefühl haben, die Moral- und Wertvorstellungen beeinflussen und selbst die Sprache nicht unberührt ließen. (Vgl. Braun 1984, S. 299) Auch wenn die Arbeiter ihrerseits durch ihre hergebrachten Erfahrungen und Haltungen auf das Betriebsleben und die Arbeitsgestaltung einwirken, so wird der eben beschriebene Wandel doch nicht nur retrospektiv als ein Bruch beschrieben, der jenem zu Beginn der Neuzeit durchaus ebenbürtig ist. Und wie zu Beginn der Neuzeit auch war dieser Bruch beileibe nicht für alle ein positiver. Insbesondere für die sog. unterbürgerlichen Schichten war die Industrielle Revolution von unbeschreiblichem Elend, Armut und gewaltigen Härten begleitet: Jahrhundertelang waren die Armen – so zahlreich sie auch auftraten – als Ausnahmeerscheinungen aufgefasst worden; die Begriffe »Bettler« und »Vagabund« kennzeichneten, wie Robert Castel darlegt, eine Marginalität und bezogen sich auf eine überschaubare Anzahl von Menschen »jenseits der gewohnten Ordnung«. (Castel 2008, S. 146) Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts begann sich aber das Bewusstsein einer neuartigen »vom zeitlosen Bewußtsein einer massenhaften Armut verschiedenen massenhaften Verwundbarkeit« (ebd., S. 146f.) zu eröffnen, die sich dadurch auszeichnete, dass sie gerade nicht die Arbeitsscheuen trifft. Not und das mit der Armut einhergehende Risiko, dauerhaft aus der Gesellschaft herauszufallen, werden nun nicht mehr nur von den Fürsorgeempfängern und den Entkoppelten, also »marginalen Elementen« (ebd., S. 147), verkörpert, sondern werden zu einem Risiko, das die Lage der Arbeitenden als solche und trotz Arbeitens betrifft. So herrschte in der Zeit der Frühindustrialisierung bis hin etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine nun unübersehbar gewordene Massenarmut größten Ausmaßes und die Verwundbarkeit ist zu einer kollektiven Dimension der Lage der Unterschichten geworden, in der selbst ein – nach den damaligen niedrigen Maßstäben – »auskömmlicher« Verdienst nicht vor den zahlreichen Risiken dieser Zeit, die zu Absturz und Verelendung führen konnten, schützt: Unfälle, Wirtschaftskrisen, Krankheiten, Veränderungen der Familiengröße und nicht zuletzt das Alter (das für die Unterschichten früh begann) drohten jederzeit das auskömmliche Leben zu beenden. (Vgl. ebd., S. 146ff.)

144 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

Dieser Pauperismus unterscheidet sich, wie immer wieder betont wird,9 durch drei wesentliche, miteinander verbundene Charakteristika von der »normalen« Armut: •





Die Ausdehnung: Der Pauperismus ist eine Form von Armut, die komplette Bevölkerungsgruppen betraf und sich als »Existenzform einer ganzen Population« (Gertenbach 2007, S. 112) manifestierte. Es war, wie Marx formulierte, keine relative, sondern eine absolute Armut. Die Intensität: Der Pauperismus erwies sich als eine »erbliche Dauerarmut«, die sich geradezu »epidemisch« (Ewald 1993, S. 112) ausbreitete: man wurde arm geboren, lebte als Armer und zeugte selbst arme Kinder. Der Pauperismus lässt damit zwischen Proletariern und Bourgeois eine Wesensdifferenz aufscheinen, welche die beiden Gruppen voneinander abgrenzt und einander als zwei verschiedene Gesellschaftsklassen entgegenstellt. (Vgl. Gertenbach 2007, S. 112) Der Ursprung: Der Pauperismus resultierte aus den besonderen Charakteristika der industriellen Fabrikarbeit und den von dieser bedingten Existenz- und Lebensbedingungen. (Vgl. ebd.) Damit ist der Pauperismus nicht Ergebnis fehlender Arbeit, sondern er geht aus der Arbeit selbst, aus der spezifisch liberalen konkurrenziellen Freiheit der Arbeit hervor und stellt so nichts weniger als die liberale Freiheit und die liberale Form der Arbeit, und somit letztlich die liberale Regierungstechnologie selbst in Frage.

Der Liberalismus hatte, wie dargelegt, darauf aufgebaut, dass die Armut durch die richtige Disziplinierung und Moralisierung sich gewissermaßen selbst zum Verschwinden bringt. Der Pauperismus zeigt demgegenüber nun klar auf, dass sich die Armut stattdessen ausbreitete und verschärfte – ganz offensichtlich funktionierte der Mechanismus, Armut durch Arbeit zu bewältigen, nicht. Denn maßgeblich für die Neuartigkeit dieser Armut ist deren ursächliche Zuschreibung, die nun nicht mehr länger in einem Fehlen von Arbeit begründet lag, sondern aus der Arbeit selbst hervorging. Konsequenterweise lockerte sich die Logik, die Armut und Arbeit verbunden hatte; die Arbeit konnte, das wurde nun offensichtlich, die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. Statt die Frage der Armut zu lösen und effektiv die Produktivität zu befördern, wurde die Verbindung von Armut und Arbeit selbst zu einem

9 | So etwa Ewald 1993 oder Gertenbach 2007. Die ursprüngliche Formulierung geht vermutlich zurück auf E. Chevallier, Artikel »Paupérisme«, in: L. Say, Nouveau Dictionnaire d’économie politique, Paris 1893. Vgl. zum Pauperismus auch Sachsse und Tennstedt 1980 und Bosl 1964.

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Problem, zumal der Gedanke einer ökonomischen, sozialen und politischen Kausalität des Elends auftauchte. Dies musste darauf hinauslaufen, den Armen von jeder individuellen Verantwortung für seinen Zustand freizusprechen und die Verantwortung stattdessen auf die Gesellschaft, ihre Organisations- und Funktionsprinzipien zu übertragen. Die Grundpfeiler des Liberalismus waren damit grundlegend erschüttert; der Arbeiter als Armer war zum Opfer des Systems geworden und es wurde möglich, die beiden konstitutiven Prinzipien Eigentum und Freiheit an den Pranger zu stellen. (Vgl. Lemke 1997, S. 205 sowie Ewald 1993, S. 111 und Gertenbach 2007, S. 132) Das Zentrale an diesem Gedankengang war aber weniger die z.B. von den Kommunisten gezogene Konsequenz in Bezug auf die Eigentumsverhältnisse als die dahinterstehende Verknüpfung von Sein und Bewusstsein: Das Milieu, wenn man so will, die Klasse, in die man hineingeboren wird und in der man aufwächst, bestimmt das, was man ist – das Sein bestimmt das Bewusstsein. Durch den Pauperismus wurde offenbar, dass der liberale Fortschritt, aber auch das liberale Ideal der Selbstverantwortung ihre Grenze am Milieu, an der Klasse hatten, und dass die abstrakte Freiheit von Herrschaft und von Hörigkeit kaum etwas wert war, wenn nicht auch das Sein in einer Weise war, die eine Freiheit zu handeln erlaubte. Indem die Arbeiter dies zur Grundlage ihrer Kritik gemacht und mit der modernen Idee gepaart haben, dass das geborene Schicksal nicht unabänderlich sein muss, konnte daraus die Forderung erwachsen, das gesellschaftliche Sein so zu modifizieren, dass dieses Schicksal nicht mehr unabänderlich ist. Als das konkrete Mittel hierfür, den Ausweg, erwies sich für die Arbeiterschaft die Praxis der Solidarität, durch die ein anderes Sein und damit ein anderes Subjekt-Sein möglich wird, siehe Abschnitt 5.3.1. In dieser Situation entsteht nun das, was im Folgenden als das Gegen-Verhalten gegen die liberale Rationalität präsentiert werden soll, die Arbeiterbewegung, die, so die zentrale These dieses Abschnitts, weit mehr ist als nur historische »Elendskultur«. Vielmehr vollzieht sich hier eine Widerständigkeit, bei der es sich im Gegensatz zum »klassischen« Widerstand gegen Herrschaft »nicht mehr um Konfrontationen innerhalb dieser Spiele, sondern um Widerstände gegen das Spiel und die Verweigerung des Spiels selbst [handelt]« (Foucault 1978/2002a, S. 685, vgl. a. Abschnitt 3.4) Bei diesem »Gegen-Verhalten« der Arbeiterbewegung geht es entsprechend nicht einfach um die eigenen Rechte in einer entfesselten Wirtschaft im Frühkapitalismus oder darum, gegen ökonomische Ausbeutung oder Ungleichheit vorzugehen, sondern um den Versuch, das liberale Spiel anders zu spielen und sich der Strukturierung des Handlungsfelds der Arbeiter durch den Liberalismus zu widersetzen. Diese Widerstände sind somit eher »Praktiken der Freiheit« als Prozesse der Befreiung; es geht hier nicht um die »Befreiung der Arbeiterklasse«, sondern um Praktiken, durch welche der und die Arbeiter innerhalb einer gegebenen und als negativ erfahrenen Rationa-

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lität für sich annehmbare und akzeptable Formen ihrer Existenz oder der politischen Gemeinschaft definieren können. Diese Praktiken der Freiheit erschließen sich, wie angedeutet, weniger anhand einer Untersuchung der Organisationen und Institutionen der Arbeiterbewegung als vielmehr anhand des alltäglichen Umgangs untereinander bzw. mit den Unternehmern, anhand der Kommunikationsformen und symbolischen Ordnungen der Arbeiter, besonders anhand des Spannungsverhältnisses von organisiertem, reglementiertem Produktionsablauf und den kleinen Formen der »Selbstbestimmung« durch Verstöße gegen die Fabrikordnungen, wie sie etwa von Alf Lüdtke ausgearbeitet wurden. (Lüdtke 1980). Denn Angriffspunkt für dieses Gegen-Verhalten sind die konkreten und alltäglichen Auswirkungen der Macht, die Versuche, das Verhalten und Leben der Arbeiter in einer Weise zu strukturieren, dass es der liberalen Rationalität entspricht, also die Formen des Wohnens, der Arbeit, des Konsums, der Freizeit usw. zu besetzen und der Prämisse der Produktivität unterzuordnen – den Arbeiter als rationale Produktivkraft zu subjektivieren. Hier soll nicht außer Acht gelassen werden, dass die Form, wie die Macht sich im Liberalismus ausübte, durchaus auch der Rückgriff auf althergebrachte Mechanismen der Unterdrückung war: die Macht basierte auch auf Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeiterklasse. Aber richtig ist auch, dass diese »Klassenherrschaft« nur funktionieren kann, weil es, wie von Foucault beschrieben, zahlreiche weitere Knotenpunkte von Macht gibt, welche die Basis der »Klassenherrschaft« bilden. Denn die Macht etwa des Fabrikherrn könnte kaum so effektiv wirken, wenn es nicht auch das beschriebene Spektrum von Machtbeziehungen gäbe, das die Arbeiter auf einer viel tieferen Ebene an die von der Produktion vorgegebenen Strukturen bindet. Ausgehend von dieser Vorstellung und im Rahmen des damit verbundenen genealogischen Vorgehens wird daher im Folgenden insbesondere versucht, das Gegenverhalten der Arbeiter in der Rekonstruktion von Diskursen, Werten, Symbolsystemen, kulturellen Praktiken etc. zu suchen, die als unmittelbarere Äußerungsformen von Machtbeziehungen angesehen werden als etwa das vom Marxismus postulierte Axiom einer binären Klassenherrschaft. Zentral ist entsprechend, Arbeiter wie auch Bürgertum nicht als jeweilige, dichotomisch entgegengesetzte soziale Formation zu entwerfen, sondern als Subjekte derselben Macht – die natürlich in entgegengesetzter Weise von der Machttechnologie profitieren bzw. darunter leiden. Weil sich die Kämpfe damit gegen eine bestimmte Machttechnik oder Machtform und gerade nicht in erster Linie gegen bestimmte Machtinstitutionen wie Klassen oder Eliten richten, wird dieses Gegen-Verhalten auch explizit nicht in den »großen« (Klassen-)Kämpfen oder revolutionären Anwandlungen des Proletariats gegen die Bourgeoisie gesucht, die verheißen, die herrschende Macht von Grund auf umzu-

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stürzen,10 sondern in den dezentrierten »Mikrokämpfen«, unmittelbaren und spontanen Widerständen gegen die nächstgelegenen Machtinstanzen, die unmittelbar auf die Individuen einwirken: den Kämpfen um die Straßenöffentlichkeit, die Undiszipliniertheiten in den Fabriken, die Verweigerungen, Unanständigkeiten usw.

5.2 »M IKROKÄMPFE « In Abschnitt 4.4.1 sind die Disziplinierungstechnologien bereits beschrieben worden. Mit der Industrialisierung und der Verbreitung der Fabrikarbeit werden diese Technologien nun auf breite Bevölkerungsschichten angewandt; die Disziplinen sind nicht mehr nur an den Rändern anzutreffen, wo v.a. arbeitsunwillige Subjekte unterworfen werden, sondern es gilt nun vielmehr, das Gros der unterbürgerlichen Schichten zu jenen Subjekten zuzurichten, wie sie im erfolgreichen bürgerlichen Unternehmer prototypisch anzutreffen sind: zur leistungsorientierten rationalen Arbeitskraft. In diese auf die Produktivität abgestimmte, nicht erfahrungsbezogen, sondern normativ aufgebaute Ordnung der Fabrikdisziplin fügen sich die Arbeitergenerationen oft nur widerstrebend ein.11 Als fremd und neu werden in entsprechenden Beschreibungen der Arbeiter dabei nicht nur der Interessengegensatz zwischen Arbeitern und Unternehmern, die Betriebsgröße, die Abhängigkeit von Maschinen und die neue Härte der Arbeitswelt und des Elends genannt, sondern vor allem die Erfahrung einer »totalen«, von allem Nicht-Ökonomischen separierten Arbeitswelt mit einer von abstrakter, unpersönlicher Arbeits- und Zeitordnung gekennzeichneten Fabrikdisziplin,

10 | Damit soll deren Bedeutung für die Arbeiter und die Arbeiterbewegung natürlich nicht klein geredet werden. Im Gegenteil, im Verständnis dieser Arbeit müssen die Arbeiterkämpfe durchaus als Manifestationen des Umbruchs und Wegbereiter einer neuen, aus der Arbeiterbewegung hervorgehenden, Rationalität gesehen werden, betrafen die Kämpfe der Arbeiterklasse doch »mehr ihr Sein als ihr Haben«, also mehr die Identität der Arbeiter als nur die Forderung nach einer höheren Beteiligung an den Profiten. (Vgl. Ewald 1993, S. 9) Allerdings waren die Kämpfe bzw. deren Verläufe bereits Gegenstand zahlreicher Untersuchungen (um die wichtigsten zu nennen:Boll 1993, Dahrendorf 1957, Tenfelde und Volkmann 1981) und der Fokus der hier vorgelegten Arbeit besteht eher auf der diesen Kämpfen zugrundeliegenden Rationalität. 11 | In Unternehmens- und Behördenakten oder in Lebenserinnerungen tauchen diese Konflikte in den Fabriken selten auf, so dass es kaum Quellen gibt, auf die man zurückgreifen könnte. Belege hierfür finden sich etwa in beschriebenen einzelnen betrieblichen Konflikten, aber auch in den Verschärfungen der Arbeits- und Fabrikordnungen. (Vgl. Kaschuba 1990, S. 97 sowie Niethammer und Plato 1985)

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in der Organisierung, Gestaltung und Zweck der Arbeit dem Einfluss des Arbeiters entzogen sind, er sich damit begnügen muss, seine Arbeitskraft einem anderen zu verkaufen: »Sobald der Mensch gefangen, darf er nicht sprechen, nicht singen, nicht rauchen, keinen freien Willen haben, alle seine Gefühle, er muß sie unterdrücken, der Mensch in ihm wird erstickt« (Chemnitzer Freie Presse, Nr. 96 vom 28.4.1875, zit. nach Machtan 1981, S. 185, vgl. a. Kaschuba 1990, S. 21 sowie Caspard 1979, S. 134). Gegen die Fokussierung auf die Produktion und die Rationalität der Ordnung setzen die Arbeiter die Subjektivität und die Widerspruchsgeste ihrer kleinen Disziplinverstöße: den »blauen Montag«, ungenehmigte Rauchpausen, das Zuspätkommen und das unerlaubte Entfernen vom Arbeitsplatz, die kollegialen Neckereien oder den Alkohol am Arbeitsplatz (vgl. Tabelle 5.1 und Tabelle 5.2). Herausgefordert durch die Regeln und Verbote werden solche Verstöße und Übertretungen, wie Kaschuba herausarbeitet, offenbar als eine Art symbolischer Identifizierungsakt erlebt, als ein »Sich-Wiederfinden in eigenen Bedürfnissen« (Kaschuba 1990, S. 21) und damit, so kann man anschließen, als eine Praktik der Freiheit (vgl. Abschnitt 3.4). Dieser Widerstand der unteren arbeitenden Schichten gegen die Zugriffe und Zumutungen von Obrigkeit und Fabrik-»Herren« zieht sich wie ein roter Faden vom Beginn der Neuzeit bis zur Industrialisierung. Bezeichnend ist, dass er gerade nicht immer dort am erfolgreichsten war, wo er sich in spektakulären Aktionen, großen organisierten »klassenkämpferischen« Aufmärschen und Revolten entlud. So wird bei einem genaueren Blick deutlich, dass diese Aufstände nur »die Spitzen eines Eisbergs waren, eingebettet in einem Meer latenter Widerständigkeiten, notorischer Unangepaßtheit und ungebeugten Eigensinns« (Schindler 1984, S. 14). Diese Mikrokämpfe der Arbeiter richteten sich weniger gegen die veränderte Materialbearbeitung, d.h. die Verwendung von Werkzeugmaschinen, und gegen die arbeitsteilige Produktionsorganisation; entscheidend war vielmehr die veränderte Rationalität des Arbeitens: die veränderten sozialen Beziehungen und Umgangsformen während der Arbeit, wie v.a. auch die massive Leistungsorientierung des »Immer mehr«. In der Arbeitszeit sollte die Arbeitszeit ausschließlich zur Warenproduktion eingesetzt werden; die Anstrengungen der Vorgesetzten zielten v.a. dahin, die Nicht-Arbeit aus der Arbeit herauszuhalten: Nicht-Arbeit als lustvolle »Verausgabung«12 war in der räumlichen und zeitlichen Arbeitssphäre ausdrücklich verboten, was die Arbeiter so nicht akzeptieren wollten. (Vgl. Lüdtke 1980, 97f.)

12 | Dieser Begriff meint ein Verhalten, das »Ordnung und Zügelung« erst »sinnvoll« macht, wenn es sie im Akt der »Insubordination« durchbricht, in den »ungeheuren Anstrengungen der Selbstaufgabe, des Sichverströmens, des Rasens, [. . . ] die keiner Rechenschaft mehr unterworfen sind.« (Bataille 1967/1975, S. 30)

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Tabelle 5.1.: Auszüge aus einem Kontrollbuch einer Druckerei über die versäumten Arbeitstage im Jahr 1804 (aus Caspard 1979, 132f.) Datum Mo., 29.10.

Di., 30.10. Sa., 3.11. Mo., 5.11.

Do., 8.11.

Fr., 9.11.

Di., 27.11. Fr., 21.12.

Grund der Abwesenheit Vautier ist um 8.30 gekommen . . . Girard ist heute morgen zu spät gekommen (so auch weitere sieben). Keller wurde für zwei Stunden zurückgeschickt, weil er betrunken war J.P. Pochon ist am Mittag gegangen, um als Feuerwehrmann die Spritze auszuprobieren J.J. Schauberg hat gesagt, daß er nach Valangin (15km Entfernung) gehen mußte, um dort einen Arzt für seine kranke Schwester zu holen. Perrin ist zu spät gekommen (so auch weitere 12) H. Barbier ist zu spät gekommen und ist um 3 Uhr gegangen, weil er zur Marktwache in Boudry bestimmt wurde Ribeaux ist um drei Uhr gegangen und sagte mir, daß er in Boudry zu tun hätte. D. Perrenod ist am Mittag gegangen, weil er niemanden zum Stoffglätten hatte David Pochon hat diesen Tag nicht gearbeitet, weil er sich in die Hände geschnitten hat. Georges Rache ist um halb 3 gegangen, um in der Mühle Öl zu mahlen.

versäumte Zeit 1/4 Tag 1 Stunde 1/2 Tag 1/2 Tag 1 Tag

1 Stunde 1 Stunde

1/4 Tag 1 Tag 1 Tag 3/4 Tag

So führten die Arbeiter einen praktisch ununterbrochenen Kampf, wie Lüdtke schreibt, »weithin verdeckte, fast immer nicht-spektakuläre Auseinandersetzungen«, (Lüdtke 1980, S. 102) gegen die Subjektivierungen, die ihnen von der liberalen Rationalität zugemutet wurden; es ging um die Kontrolle über Zeit und die eigenen Bedürfnisse, um die Verausgabung ihrer Arbeitskraft und ihrer – sozialen, intellektuellen und manuellen – Fertigkeiten. Diese Mikrokämpfe finden sich in den unterschiedlichsten Momenten von Arbeit und Alltag, wobei im Folgenden einzelne exemplarische Kämpfe herausgegriffen werden, anhand deren Beschreibung sich die Widerständigkeit gegen die liberale Rationalität im Besonderen zeigen lässt.

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Tabelle 5.2.: Auszug aus dem Strafenverzeichnis der Braunschweiger Stahlhütte (Deutsche Metallarbeiter-Zeitung (DMZ), Nr. 35 vom 1. 9. 1888; zit. nach Machtan 1981, 233f.) Beteiligte und Grund der Strafe 3 Mann wegen Ausbleibens von der Schicht 5 Mann wegen Verlassens der Schicht 1 Mann wegen Verweigerung des Gehorsams 2 Mann wegen Verlassens der Arbeit 3 Mann wegen nachlässiger Arbeit 4 Mann wegen Ausbl. bei Reparaturarbeiten 1 Mann wegen nicht zugewiesener Arbeit 1 Mann wegen Verlassens des Werkes 1 Mann wegen Trunkenheit 2 Mann wegen Prügelei 1 Mann wegen ungebührlichen Betragens 1 Mann wegen Beleidigung des Obermeisters

Strafe (Mk.) 13 15 4 6 16 15 2 5 5 9 3 6

5.2.1 Der Kampf um eine »moralische Ökonomie« Modell der neuen politischen Ökonomie des Liberalismus ist das in Abschnitt 4.2 beschriebene und v.a. mit Adam Smith in Verbindung gebrachte Konzept des Laissezfaire, wie es sich etwa in der Durchsetzung der »ungehinderte[n], uneingeschränkte[n] Freiheit des Kornhandels«13 zeigt. Dieses Konzept baute wesentlich auf der Freisetzung der Ökonomie von »störenden« moralischen Auflagen auf; erst indirekt würde dieses Konzept seine Moral entfalten, nämlich insofern als das natürliche Spiel von Angebot und Nachfrage auf dem freien Markt bei allen Parteien maximale Zufriedenheit erzeugen und das Gemeinwohl gewährleisten würde – der Markt, so wurde angenommen, war dann am besten reguliert, wenn er sich selbst überlassen blieb: Im Verlauf eines normalen Jahres würde sich der Kornpreis, um bei diesem einschlägigen Beispiel zu bleiben, über den Marktmechanismus von selbst einpendeln. (Vgl. a. Thompson 1979, S. 26)

13 | Adam Smiths »Abhandlung über den Kornhandel und die Korngesetze« findet sich in Buch IV, Kap. 5 von Wealth of Nations, Smith 1776/2007.

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Insbesondere wenn im September oder Oktober entgegen den Verheißungen der politischen Ökonomie die Preise nach der Ernte, auch nach einer reichlichen Ernte nicht fallen wollten, kam es aber regelmäßig zu Erhebungen und Protestaktionen, wie es sich exemplarisch in folgendem Bericht des Konstabler von Gloustershire aus dem Jahr 1766 entnehmen entnehmen lässt.14 Dort heißt es: »Letzten Freitag wurde in dieser Gegend durch Harnblasen ein Mob zusammengerufen, der nur aus den niedrigsten Leuten wie Webern, Handwerkern, Landarbeitern, Lehrlingen und Jugendlichen bestand [. . . ]. Sie machten sich Weg zu einer Kornmühle in der Nähe des Ortes [. . . ] und öffneten dort die Säcke mit dem Mehl, das sie weggaben, wegtrugen oder zerstören.« (Zit. nach Thompson 1979, S. 45)

Danach statteten sie den wichtigsten Märkten einen Besuch ab und setzten den Kornpreis fest. Drei Tage später sandte der Konstabler einen weiteren Bericht: »Sie besuchten Farmer, Müller, Bäcker und Hökerläden und verkauften Korn, Mehl, Brot, Käse, Butter und Speck zu ihren eigenen Preisen. Den Erlös gaben sie im allgemeinen den Besitzern oder ließen, wenn sie nicht da waren, das Geld für sie zurück. Wo man sich ihnen nicht entgegenstellte, benahmen sie sich sehr diszipliniert und anständig. Wo sie auf Widerstand stießen, gab es Empörung und Gewalt. Zu Diebereien kam es selten. Um sie zu verhindern, erlauben sie jetzt nicht mehr, daß Frauen und Jungen mit ihnen gehen.« (Zit. nach Thompson 1979, S. 45)

Auch wenn es bei solchen »direkten Aktionen«15 sicherlich einzelne gegeben hat, die die Gelegenheit ergriffen und Waren ohne Bezahlung an sich nahmen, so war

14 | Zu den im Folgenden beschriebenen Aufruhren und Protestaktionen vgl. im Besonderen Thompson 1979, S. 26ff. 15 | Der Begriff »Direkte Aktion« entstammt der anarcho-sozialistischen und feministischen Tradition und beschreibt die Praxis des direkten, unvermittelten Eingreifens in Machtzusammenhänge zur Durchsetzung eigener Interessen: »Direct Action can, in a general way, be defined as the use of some form of economic power for the securing of ends desired by those who possess that power.« (Mellor 1920, S. 15) Für die US-Amerikanische Anarchistin und Feministin Voltairine De Cleyre ist dabei die Direkte Aktion das eigentliche Element jeglichen sozialen Wandels: »It is by and because of the direct acts of the forerunners of social change, whether they be of peaceful or warlike nature, that the Human Conscience, the conscience of the mass, becomes aroused to the need for change. It would be very stupid to say that no good results are ever brought about by political action; sometimes good things do come about that way. But never until individual rebellion, followed by mass rebellion, has forced it. Direct action is al-

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doch die Mehrheit dieser Aktionen von einer bemerkenswerten Zurückhaltung und einem gewissen Ethos gekennzeichnet. In fast jeder dieser Aktionen der Volksmenge im 18. und 19. Jahrhundert lässt sich erkennen, dass hier Männer und Frauen in der Überzeugung handelten, dass Moral doch wichtiger war als das liberale Laissez-faire und sie daher nur eigene Rechte und Praktiken verteidigten, wobei sie sich im Allgemeinen auf die breite Zustimmung des Gemeinwesens stützen konnten. Insofern greifen auch insbesondere Erklärungen zu kurz, die sich lediglich auf die »Not« beziehen und in den Aktionen die »instinktive Reaktion von Mannhaftigkeit auf Hunger« sehen. (T.S. Ashton and J. Sykes, The Coal Industry of the Eighteenth Century, Manchester 1929, S. 131; zit. nach Thompson 1979) Selbstverständlich wurden Unruhen durch starke Preissteigerungen, unlautere Praktiken von Händlern oder durch Hunger ausgelöst. Doch diese Aufstände sind nicht zuletzt auch Resultat eines breiten, auf einer in sich geschlossenen Auffassung von sozialen Normen und Verpflichtungen innerhalb des Gemeinwesens beruhenden Konsens darüber, was auf dem Markt rechtens und was nicht rechtens sei. Somit handelt es sich auch oft um eher symbolische Aktionen, die bekundeten, dass die Missachtung des Gemeinwesens nicht verstanden und nicht akzeptiert wurde. (Vgl. Thompson 1979, S. 14ff.) In dem Aufsatz Die »moralische« Ökonomie der englischen Unterschichten im 18. Jahrhundert weist Thompson anhand zahlloser Handlungsfacetten klar nach, dass die »rebellische traditionelle Kultur« der englischen Unterschichten im 18. Jahrhundert keineswegs unmittelbar aus den hungrigen Bäuchen stammte, sondern aus der »moralischen Ökonomie« einer klar abzugrenzenden Form plebejischen Bewusstseins in der Übergangsphase zum Kapitalismus hervorging.16 Verbunden werden diese Widerständigkeiten gegen

ways the clamorer, the initiator, through which the great sum of indifferentists become aware that oppression is getting intolerable.« (Cleyre 1912) Merkmal der Direkten Aktion ist, dass keine Macht an Stellvertreter delegiert wird, sondern die Betroffenen selbst Probleme und Missstände angehen und die Aktionen auch unmittelbar selbst wirksam werden, wie z.B. Streik, Boykott, Sabotage, Hausbesetzungen – eben »Mikrokämpfe«, die unmittelbar am Ort der Macht stattfinden. Ziel einer Direkten Aktion kann nie sein, Druck über einen Mittler (z.B. die Presse bei einer öffentlichen Demonstration) aufzubauen, denn hätte man sich deren Macht oder Autorität und deren Regeln unterworfen. Insofern kann etwa auch das Einwirken auf die Rechtsordnung nie eine Direkte Aktion sein, ist doch das Recht selbst Teil der Macht. 16 | Thompson 1980b. Auch Wenn Thompson in seiner Quellenanalyse sich i.W. auf England bezieht, so darf doch stark davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei, wie auch von Thompson selbst angenommen, um auch über England hinaus verallgemeinerbare Vorgänge handelt.

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die Abschaffung althergebrachter Rechte mit Vorstellungen der »neuen Freiheit«, die zur Legitimation wird, als ungerecht empfundene Ansprüche und Einschränkungen abzulehnen: »Der Sturm, der in diesen Tagen durch die Welt fährt, hat auch unsere Gemeinde ergriffen, und mit unwiderstehlicher Macht fortgerissen. Schon Jahre lang hat es in den Gemüthern der hiesigen Einwohner gegährt, darüber, daß sie Rechten von großem Belang durch die Grundherrschaft von Göler ihnen entzogen und dadurch sich schwer belastet fühlten. Da erklang auch hier die Kunde von der neuen Freiheit, welche die Länder von so manchem alten Druck entfesselte.« (Generallandesarchiv Karlsruhe 234/1726, zit. nach Wirtz 1979, S. 93)

Die »neue Freiheit« wird ein zusätzlicher Bestandteil in dem hergebrachten Wertmuster von »gerecht« und »ungerecht«. Insofern stehen die beschriebenen Unruhen durchaus in der Kontinuität bäuerlicher Widerständigkeit gegen feudale Verhaltenszumutungen, wobei die Kontinuität in der kollektiven Aktionsform – sich informell für einen besonderen Zweck zu verabreden – liegt: »It bred riots but not rebellions: direct actions but not democratic organizations. One notices the swiftness of the crowd’s changes in mood, from passivity to mutiny to cowed obedience.« (Thompson 1974, S. 397) Die »neue Freiheit« verbreitete sich geradezu »epidemisch«; sie sollte drückende Lasten und obrigkeitliche Willkür zum Verschwinden bringen und erweiterte damit den hergebrachten engen und gegenständlichen Erwartungshorizont und öffnet ihn für eine neue Rationalität. Insofern wurde sie oft mit Euphorie begrüßt und weithin in Anspruch genommen. (Vgl. Wirtz 1979, S. 94) Dieser Überschwang wurde dabei von der Obrigkeit oft polemisierend als »Freiheitsschwindel« oder »Freiheitsfieber«17 dargestellt, das letztlich auf einer Begriffsverwirrung beruhe. So schreibt etwa der Odenwälder Oberamtmann Felleisen: »[. . . ] die Begriffsverwirrungen über den erstrebten und zu erstrebenden Zustand der ›Freiheit‹ sind im diesseitigen Bezirke noch nicht völlig geschwunden; republikanische Ideen im Zusammenhang und genährt durch communistische Gelüste tauchen auch nach und nach bei uns auf, und würden schnell hohe Geltung erlangt haben, wenn die Heckerschen Umsturzversuche nicht gescheitert wären.« (Generallandesarchiv Karlsruhe 236/8205, zit. nach Wirtz 1979, S. 89)

17 | C. Zaitzeff, »Das Rechtsbewußtsein der der russischen leibeigenen Bauern«, in: Jahrbücher für Geschichte und Kultur der Sklaven, N.F. 10, 1934, S. 446, zit. nach Beyrau 1977, S. 231.

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»Begriffsverwirrung« in der Sicht der Obrigkeit bezieht sich hier zum einen darauf, dass diese Vorstellung von Freiheit oder Republik auf fremde Einflüsse zurückverweise und im Grunde leeres Gerede sei: »Sie nehmen die Republik mit den Fürsten und die Fürsten ohne Republik.« (Generallandesarchiv Karlsruhe 231/1151, zit. nach Wirtz 1979, S. 89) Die Leute verstünden letztlich gar nicht, was hinter den Ideen der Aufklärung stehe. Zum anderen bezieht sich die »Begriffsverwirrung« auf die Handlungsebene, denn die Begriffe, Gesetzesvorlagen, Zugeständnisse wurden unmittelbar auf die »industriellen Vermögensverhältnisse« bezogen oder, wie Lautenschlager erläutert, ins Materielle übersetzt. Die Staatsform war im Grunde gleichgültig, alle diese Bewegungen zielten auf materielle Reform. (Vgl. Wirtz 1979, S. 89f.) Hier wird ganz deutlich, dass das Freiheitsverständnis des Proletariats ein anderes ist als das der liberalen Rationalität. Durch diese Übersetzung ins Materielle werden die Begriffe aus ihrem ideologischen Kontext als Schlüsselwerte eines politischen Systems herausgelöst und somit verdinglicht, unmittelbar handlungsrelevant. Freiheit bedeutet nun zum einen, dass das jahrelang Geforderte eingeklagt werden konnte. So heißt es etwa polemisch bei der Gendarmerie Wagenschwend im Amt Eberbach: »Das Vorhaben solches zu unternehmen, geht daraus hervor, weil eine große Anzahl der Einwohner in dieser Gegend dem Raub, den Diebereien und Wildereien sehr ergeben sind, und da jetzt bekannt wird, die Pressefreyheit / Freyheit / sei jetzt genehmigt, so glauben diese, solche Freyheit dürfe jetzt so benutzt werden.« (Generallandesarchiv Karlsruhe 236/8203, zit. nach Wirtz 1979, S. 90)

Umgekehrt betrachtet handelt es sich hierbei aber um eine Erweiterung des liberalen Freiheitsbegriffs um die Freiheit zu: Freiheit von Herrschaft alleine hilft dem einfachen Volk noch nicht, erst wenn auch die Gegebenheiten so geschaffen sind, dass man diese Freiheit auch zu etwas gebrauchen kann, den geöffneten Kontingenzhorizont auch nutzen kann, haben wir es mit echter handlungsrelevanter Freiheit zu tun. Es ist diese Sozialpflichtigkeit des Eigentums und kollektive Verankerung von Ware und Besitz, die die unterschiedliche Moralität und Rationalität der Arbeiter gegenüber dem liberalen Bürgertum deutlich macht: Auf der einen Seite die in Abschnitt 4.4.2 gezeigte liberale Moralität zu arbeiten und Profit zu machen und auf der anderen Seite die auf althergebrachten Formen aufsetzende »moralische Ökonomie«18 der Arbeiter, die eben neben der Freiheit von mit demselben Recht die (ma-

18 | Hier wird in Anlehnung an das Englische, aber auch an die philosophische, ökonomische und staatswissenschaftliche Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts der Begriff »moralische Ökonomie« verwandt, obwohl »sittliche Ökonomie« ebenfalls gebräuchlich ist. Damit

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terielle) Freiheit zu einfordert, also das Verfügbarsein der zum Leben erforderlichen Güter und die Offenheit, mehr als nur ökonomisches Subjekt und frei zu sein, auch anders zu arbeiten. So hat nicht zuletzt die sich in Wald- und Feldfrevel, Wilddieberei oder der Zerstörung des Eigentums gehasster oder sich nicht angemessen verhalten habender Besitzender äußernde »expressive Symbolik« des Protestes (Thompson 1980b, S. 122) eine besondere Bedeutung, indem sie für die Gestaltung einer nun konstruierbar gewordenen Gesellschaft zwar einerseits auf die Tradition und auf aus anderen Moralvorstellungen gewachsene Freiheiten beruft, andererseits aber auch neue emanzipatorische Errungenschaften umzusetzen sucht. Dabei hemmen die traditionellen Denkmuster und Lebensgewohnheiten, wie sie im Volk »nicht gepflegt, sondern praktiziert« wurden (Schindler 1984, S. 16), natürlich einerseits die Aneignung der realen gesellschaftlichen Verhältnisse, bezeichnen andererseits aber auch Verhaltens- und Wahrnehmungsformen, die sich der Subsumtion unter das Kapital widersetzen. Weit entfernt davon, lediglich der Hort des Ewiggestrigen zu sein, avancierten sie so nicht selten zum Mittel, die Ansprüche der Herrschenden in ihre Schranken zu verweisen. Auf breiter Ebene provozierte das »selbstbewußte Theater der Großen« (Thompson 1980c, S. 179) ein Gegentheater der permanenten Drohung und des Aufruhrs, das auf gerade jenen Elementen der proletarischen Lebensweise aufbaute, die der bürgerlichen Kultur am deutlichsten entgegenstanden und die Zugriffsversuche damit am ehesten konterkarierten. Wie Norbert Schindler in Spuren in die Geschichte der »anderen« Zivilisation aufzeigt, bewegte sich der Kampf um die »Herrschaft der Straße« oft in »geradezu spiegelbildlichen Umkehrungen«: Wo das Bürgertum sich punktuell herrschaftlich-herausgeputzt zeigte und präsentierte, tritt der Mob ungeordnet und allgegenwärtig auf; wo Obrigkeiten und Unternehmer »Recht und Ordnung« fordern, schlagen die Arbeiter »regelmäßig über die Strenge und holen sich handstreichartig angestammte Rechte zurück«; und die »herablassende Freigiebigkeit der Oberen« findet ihre Entsprechung in einer »Beuteökonomie«, in der Gaben nicht als Geschenke angesehen werden, sondern als »ausgleichende Gerechtigkeit« den Charakter von Rechtsansprüchen annehmen: »jeder Freiraum [wird] genutzt, um jeden Vorteil und jede Facette sozialer Anerkennung erbittert gerungen [. . . ] und selbst die geringste Loyalitätsbekundung [hat] noch ihren Preis« (Schindler 1984, S. 57, vgl. a. Thompson 1980a, 286f.).

soll nicht nur der umfassendere Kontext betont werden, innerhalb dessen sich die Ökonomie bewegt, der mit »sittlich« nicht gleichermaßen konnotiert ist, sondern auch deutlich werden, dass es sich bei dieser Ökonomie nicht nur um eine an den tradierten Sitten orientierte Ökonomie handelt. Vgl. zur »moralischen Ökonomie« insb. Thompson 1980a.

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Diese Praktiken übersteigen dabei, das muss betont werden, die trahierten Widerstandspraktiken der frühen Neuzeit, die ja weniger aus einer bewussten Oppositionshaltung als aus den beträchtlichen Spielräumen erwuchsen, welche die frühneuzeitliche Sozialordnung und deren schwerfälliger Herrschaftsapparat mit sich brachten. Die expressive Symbolik des Gegen-Verhaltens der Arbeiter bleibt zwar der Form nach an das Herkommen gebunden, bezieht aber seine Potenz gegen Zugriffe von oben nicht so sehr aus sich selbst heraus als vielmehr aus den Veränderungen der Lebensweise und den liberalen Subjektivierungen. Protest bedeutet daher auch nicht einfach Abwehr von Veränderung, sondern richtet sich gegen bestimmte Veränderungen in Richtung einer bestimmten Rationalität und den damit verbundenen Bevormundungen und Technologien, die eigenen proletarischen Vorstellungen von Leben und Gesellschaft entgegenstehen. (Vgl. Schindler 1984, S. 61 sowie Kaschuba 1990, S. 122) Dies gilt im Besonderen in Bezug auf die Kämpfe um Arbeit und Zeit, die im folgenden Abschnitt eingehender betrachtet werden. 5.2.2 Die Kämpfe um Arbeit und Zeit Mit der liberalen Rationalität wurde auf vielfältige Weise versucht, Menschen, die bisher für ihre Subsistenz, nicht für die Maximierung ihres Einkommens gearbeitet hatten, für die Verlockungen des Geldes empfänglich zu machen und sie an den Notwendigkeiten der liberalen Ökonomie auszurichten. Es galt sie zu Regelmäßigkeit, stetiger Intensität und Vorsorge anstelle der regellosen, sprunghaften Leistungen anzuhalten, und bei der Arbeit Genauigkeit und Standardisierung statt der individuellen Formgebung zu erreichen und dem Gedanken der Zeitersparnis Geltung zu verschaffen. (Vgl. Lambert 1979, S. 300) Ein gutes Beispiel für Widerständigkeit in diesem Zusammenhang ist die Weigerung oberschlesischer Bergarbeiter, die von einigen Zechenverwaltungen angebotenen besseren Wohnungen zu beziehen, was die Bergbehörden wie folgt kommentierten: »Wenn ein Bergmann eine starke halbe Meile von Zabrze zur Miethe wohnt, eine kleine Stube von Holz mit Lehmboden fast ohne Tageslicht für sich, seine Familie und sein Vieh hat, seine Feuerung sich mühsam beschaffen muß und täglich bei dem fürchterlichsten Weg und Wetter zur und von der Arbeit gehen muß, so wird er doch nicht, wenigstens selten, mit der weit besseren und nahe gelegenen, freien Wohnung in einem Coloniehause zu Klein-Zabrze tauschen, wo er die Feuerung fast ganz umsonst und ohne Mühe hat, und warum? Weil er in so einem Hause nicht hausen kann, wie er will, weil er sein Kraut und seine Kartoffeln nicht in seiner

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Stube vergraben kann und genöthigt ist, sein Vieh außerhalb der Stube zu halten, daher aus dem hause gehen muß, um es zu sehen; mit einem Wort, weil ihm die Wohnung zu gut ist.«19

Ganz offensichtlich ist die Bereitschaft, ökonomische Nachteile zugunsten von Selbstbestimmung und zugunsten des Aufrechterhaltens eigener Gewohnheiten in Kauf zu nehmen, ungleich höher als die Bereitschaft, sich einer fremden Umgebung und fremden Ordnungen zu unterwerfen. Denn die von den Zechenverwaltungen angebotenen Wohnungen waren natürlich mit einer Reihe von Bedingungen und Nachteilen verknüpft: etwa der Überantwortung eines Teils des Lohns an die Grubenverwaltung, die Verpflichtung, in den betriebseigenen Geschäften einzukaufen, die Notwendigkeit, abends zu einer bestimmten Uhrzeit zuhause zu sein, und nicht zuletzt natürlich die dauerhafte und damit fest verankerte Bindung an eine bestimmte Zeche. (Vgl. Puls 1979a, S. 202) Die Arbeiter waren, das zeigt sich an diesem Beispiel, von Haus aus wenig empfänglich für die Anreize, mit denen die Unternehmer sie zu bürgerlichen »Tugenden« und »Errungenschaften« disziplinieren wollten; sie besaßen nicht den Ehrgeiz, nur deshalb härter zu arbeiten, um über ein höheres Einkommen verfügen zu können als über jenes, das zu ihrer Subsistenzsicherung erforderlich war. Ein weiteres Beispiel, anhand dessen sich die an Bedürfnisbefriedigung statt an Ausrichtung auf Wachstum orientierte »Ökonomie« der Arbeiter zeigt, ist die Auseinandersetzung um den sogenannten »Blauen Montag«. Dieser war eine typischerweise auf eine Phase höchster Arbeitsintensität Ende der Woche und dem daran anschließenden Besäufnis folgende »Erholungspause«, die zuweilen bis in den Dienstag hinein dauerte: »Montag wurde blau gemacht. Am Dienstag ging’s auch noch nicht recht. Erst Mittwoch kam man in Zug und arbeitete fleißig bis Samstag. Da bekam man sein Geld auf die Hand, und dann wurde gelebt. Und wie wurde gelebt!« (G. Ha-

19 | S. Jacobi, Ländliche Zustände in Schlesien, Breslau 1884, S. 2, zit. nach Puls 1979a, S. 202. Das Beispiel mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen, weil die oberschlesischen Bergarbeiter gemeinhin als wenig typisch für die Arbeiterbewegung und generell als wenig widerständig gelten, ließen ihnen doch, so die gängige Interpretation, das Festhalten an agrarischen Lebensgewohnheiten und die Hoffnung auf Rückkehr zum bäuerlichen Status die Erniedrigungen am Arbeitsplatz als befristet erscheinen und sich eher als Bauern denn als Lohnarbeiter zu fühlen. Umgekehrt kann aber gerade dieses Gefühl des Vorübergehens zwar die offensichtlichen Konfrontationen auszuhalten helfen, es kann genauso aber auch unterstützend gewirkt haben, die eigentlichen Zumutungen, die ihnen die liberale Rationalität vorsetzt, umso hartnäckiger von sich zu weisen; der »Clash« der Rationalitäten, der Konflikt zwischen den Ansprüchen und Bedürfnissen der Arbeiter und der durch die Unternehmer vertretenen »politischen Ökonomie« zeigt sich entsprechend umso deutlicher.

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bermann, Aus meinem Leben. Erinnerungen aus den Jahren 1876–1877–1884–1896, Wien 1919, S. 58, zit. nach Ehmer 1979, S. 154) Auch wenn sich bereits im 16. Jahrhundert diverse Belege für Verbote dieses »Blau-Machens« am Montag finden20 , so steht dieser »Unfug, welcher den Staat um eine zweimonatliche Arbeit, die Handwerks-Meister und Gesellen zur Üppigkeit und der darauf notwendig erfolgenden Armut bringet,« (Friedrich II 1783/1972, S. 52), doch erst mit der Manifestation der Verbindung von Arbeit und Reichtum Ende des 18. Jahrhunderts ernsthaft zur Disposition und wird mit entsprechenden Edikten belegt. Dennoch hält die Tradition an, und noch 1889 führt eine statistische Ermittlung zu dem Ergebnis, »daß sich der durch das ›Blaumachen‹ des Montags hervorgerufene Schaden pro Jahr auf über 50 Millionen Mark Schaden belief.« (Reulecke 1976, S. 214) Denn zwar wurde versucht, die Arbeiter mit Akkordlohn dazu zu bewegen, die ganze Woche durchzuarbeiten, aber meist zogen die Arbeiter, denen es eben nicht um Reichtumsmehrung um jeden Preis ging, niedrige Löhne und längere Freizeit vor. In diesem Sinn heißt es bei Rousiers: »Sobald sie ein paar Schillinge in der Tasche haben, hören sie auf, pünktlich und nach der Regel zu arbeiten.«21 So war das BlauMachen nicht allein Ergebnis der Zecherei am Wochenende, sondern nicht zuletzt auch der festverwurzelten traditionellen Einstellungen gegenüber potentiellem Lohnüberschuss: »Die Männer [. . . ] richten sich nach den Familienausgaben und ihren Bedürfnissen; es ist allgemein bekannt, daß viele von ihnen nur das tun, was ihnen die Not diktiert.«22 Wie Douglas A. Reid am Beispiel Birminghams zeigt (vgl. Reid 1979, S. 267ff.), begann der Blaue Montag erst durch einen organisierten Zugriff auf die Freizeitgestaltung der Arbeiterschaft und die Einführung des freien halben Samstags ernsthaft zu verschwinden. So führte die Öffnung diverser städtischer Erholungsmöglichkeiten, wie etwa des Edgbaston Botanical Gardens, oder das Verlegen großer Kundgebungen auf diesen Tag dazu, dass der Montag nicht zu erneuter Zecherei und »lustvoller Verausgabung«23 , sondern zu »rechtschaffeneren« Vergnügungen genutzt wurde – der

20 | Vgl. zum »Blauen Montag« Holloway und Thompson 2007 sowie die Fußnote auf S. 111 21 | Paul de Rousiers, The Labour Question in Britain, London 1896, S. 6, zit. nach Reid 1979, S. 281. 22 | Beweismittel, die dem Committee of the Whole House vorgetragen wurden [. . . ] unter Berücksichtigung der einzelnen Pettionen gegen die Erlasse des Council, Parliamentary Papers, 1812 (210), iii, S. 35, zit. nach Reid 1979, S. 267. 23 | Vgl. zum Begriff Verausgabung Fußnote auf S. 148

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Blaue Montag war nun gewissermaßen »gezähmt«, damit aber auch das eigentliche Ritual des Blauen Montags entleert und zerstört. Die Einführung bzw. Anerkennung des freien Samstagnachmittags führte schließlich dazu, dass selbst Arbeiter ihren Kollegen empfohlen, auf den Blauen Montag zu verzichten, da dies das beste Argument zugunsten des halben Feiertags sei (so etwa Birmingham Journal, 15. Januar 1853, zit. nach Reid 1979, S. 275). Damit war nicht nur ein grundlegender Anstieg der Arbeitszeit vorgeschlagen (die Reduktion der Arbeitszeit von i.d.R drei Stunden am Samstag als Gegenleistung für zehn oder elf Arbeitsstunden am Montag), sondern damit war vor allem auch eine zentrale Rationalisierung der Arbeitszeit eingeläutet, die die Arbeitszeit nun endgültig als messbares, umgrenztes und fest definiertes Abstraktum bestimmt. In diesem Sinn schreibt etwa der Unternehmer Charles Iles: »Früher neigten die Arbeiter dazu, zu allen möglichen Zeiten zu kommen. Der halbe Feiertag ermöglicht es mir, noch stärker auf Regelmäßigkeit zu bestehen und zu sagen: ›Nein, du hast deinen Samstag gehabt, und jetzt mußt du pünktlich sein‹.« (Children’s Employment Commission, Trade and Manufactures, 1862, Tirs Report, S. 106, zit. nach Reid 1979, S. 276) Sukzessive verlor der Blaue Montag so als wichtiges Element des Gegen-Verhaltens der Arbeiter an Bedeutung und wurde von der liberalen Subjektivierung eingenommen. Und je mehr der Blaue Montag so aus dem Fokus des Gegen-Verhaltens herausrückte, desto mehr wurde er sowohl in der Realität als auch in der Vorstellung nur noch mit jenen unteren Schichten in Verbindung gebracht, die man besonders mit »Leichtsinn« und »Pflichtvergessenheit« – mit »moralischem Verfall« – identifizierte und für die dieser althergebrachte Brauch nun zu einer bloßen »Zuflucht vor Resignation« (Reid 1979, S. 284) wurde: all jene, die, wie etwa die sog. »HinterstübchenMeister«, an den Rand der Gesellschaft geraten waren oder bereits außerhalb von ihr standen. Dass sie am Ritual des Blauen Montags festhielten, hatte auch mit Widerstand zu tun, mit Trotz und einem letzten Aufflackern von Freiheitsbegehren. Sie suchten sich einen Rest von Unabhängigkeit zu behaupten, indem sie Gruppenkonventionen, die einmal Selbständigkeit, Stolz und Freiheit signalisiert hatten, bewahrten. Was sich an diesem Beispiel der Auseinandersetzungen um den Blauen Montag zeigt ist wie sehr dem Gedanken der Zeitökonomie24 Geltung zu verschaffen versucht wurde: Die Arbeiter sollten in die Welt des disziplinierten, industriellen Kapitalismus mit seinen Stechuhren, Kontrollkarten und Strafen eintreten – und versuchten ihrerseits vehement sich dessen zu erwehren und diesen Subjektivierungen zu entkommen

24 | Vgl. zur »Zeitökonomie« auch Thompson 1973.

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– bis hin zur Bereitschaft, die eigene Gesundheit aufs Spiel zu setzen, wie sich bei den Auseinandersetzungen um das Arbeitsende zeigt: Seitens der Arbeitgeber wurde dies immer weiter hinauszuzögern versucht, etwa dadurch, dass der Arbeitsplatz aufzuräumen war, die für das Aufräumen bemessene und genehmigte Zeit aber nicht in allen Fällen hierfür ausreichend war, so dass sich das tatsächliche Arbeitsende nach hinten verschob. Entsprechend heißt es in einer Fabrikordnung der Guten-Hoffnungs-Hütte von 1870, dass »jeder Arbeiter [. . . ] am Samstag-Abend höchstens eine Viertelstunde vor dem Arbeitsschlusse seinen Arbeitstisch und die Umgebung desselben vollständig und gründlich aufräumen, reinigen und die Werkzeuge nach seinem [Werkzeug-] Buch ordnen« sollte. (H.A. GHH Nr. 20002/17, hier §28., zit. nach Lüdtke 1980) Um dem als Strafe drohenden Lohnentzug zu entgehen, begannen die Arbeiter typischerweise mit dem Umziehen oder dem Reinigen der Maschinen während diese noch liefen – im Vertrauen auf die eigene Geschicklichkeit und allen Pannen oder Widrigkeiten zum Trotz und die Unfallgefahr bewusst in Kauf nehmend: »Weil der Bourgeois die Arbeiter zwingt, während der Freistunden, wenn sie stillstehen, die Maschinen zu putzen, und der Arbeiter natürlich keine Lust hat, sich von seiner freien Zeit etwas abnagen zu lassen. So viel ist dem Arbeiter jede freie Stunde wert, daß er sich oft lieber zweimal wöchentlich in Lebensgefahr begibt, als sie dem Bourgeois opfert.« (Engels 1845/1972, S. 388) Vergleichbar diesem finden sich zahlreiche wiederholte und andauernde Beispiele, wie die Arbeiter versuchen, die zugemutete Übereignung der eigenen Zeit an die Unternehmer aufzuweichen – ob beim durch exzessive Gespräche mit anderen Arbeitern unterbrochenen Gang zur Toilette, dem nicht-genehmigten Beiwohnen der Familienangehörigen bei der Mittagspause, »brauchmäßige[m] Essen und Trinken neben der Arbeit« (Braun 1984, S. 307), oder auch dem Holen von Bier und anderen verbotenen alkoholischen Erfrischungen während der Arbeit. Die Versuche der Arbeiter, sich ihre Zeit wieder anzueignen, zielten also nicht nur darauf, möglichst wenig Zeit in der Fabrik zu verbringen, sondern auch darauf, die dort zu verbringende Zeit den eigenen Bedürfnissen anzupassen. (Vgl. a. ebd., S. 328) Zentral an diesen Arbeits-Unterbrechungen ist, dass sich die Rückaneignung von Zeit hier nicht nur in individueller Verweigerung, als »Abtauchen« oder privates »Sich-Absetzen« vollzog. Wesentlich war vielmehr auch der soziale Austausch, der Spaß, gemeinsames Singen, Sich-Unterhalten, heimliche Liebesbezeugungen, oder auch Streiche und Spielereien – nicht mit allen Arbeitern eines Betriebs, aber doch mit räumlich nahe stehenden Kollegen, mit denen auch kooperiert und (um bessere Arbeitsbedingungen) gekämpft wurde: »In den Formen der illegalen Pausen spiegelt sich erfolgreicher Kampf um Disposition über den eigenen Körper und den Einsatz

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seiner Fertigkeiten, aber auch um die Bestimmung der sozialen Beziehungen.« (Lüdtke 1980, S. 118) Die Fabrikbesitzer und Direktoren versuchten i.W. auf zweierlei Weise, solche Rückaneignungen von Zeitdisposition zu verhindern und ihren eigenen Definitionsspielraum zu sichern: durch die Intensivierung von Kontrollen25 , aber auch durch – allerdings streng regulierte und der Widerherstellung der Arbeitskraft untergeordnete – Zugeständnisse, wie etwa dem Ausschenken von nicht oder nur gering alkoholischen Erfrischungen während der Arbeitszeit oder lizensierten Essenspausen und der Einrichtung von (überwachten) Speisesälen; es galt, die Bedürfnisse der Arbeiter zu regulieren, nicht sie zu unterdrücken. Aus Sicht der betrieblichen Rentabilität lohnten sich alle Investitionen, die dazu beitragen konnten, die Arbeitsunterbrechungen zu begrenzen und unerlaubte Extra-Pausen zu blockieren. Dass (kleine) Pausen zur Aufrechterhaltung der Arbeitskraft über den Tag erforderlich waren, stand seit den 1860ern außer Frage. Ziel war also nicht, die Pausen generell zu verhindern, sondern ein reguliertes und für die Reproduktion vertretbares Minimum an Arbeitsunterbrechungen zu erzielen.26 Trotzt dieser Anpassungsversuche ist es – bis heute – Teil der Arbeiterkultur, Gelegenheiten zu nutzen, um die Arbeitszeit den eigenen Bedürfnissen anzupassen, durch überzogene Pausen, Surfen im Internet, die Organisation privater Angelegenheiten u. Dgl. mehr (siehe Abschnitt 8.2). 5.2.3 Auseinandersetzungen um die »Freizeit« Die Ökonomie der Verausgabung Der Konflikt um die Durchsetzung einer völlig neuen Produktivität der Arbeit und um die Legitimität bourgeoiser Moralisierungsprogramme und industrieller Disziplin als Kampf »gegen Absentismus, Disziplinlosigkeit, Ungehorsam, Trunkenheit und Schmutz« (Wirtz 1982, S. 64) wird aber nicht nur in den Fabriken geführt, sondern

25 | So wurde etwa bei Krupp in den 1850ern ein Mann ausschließlich dafür eingestellt, »die Leute herunter zu treiben, die sich dort [auf der Toilette, K.M.] zu lang aufhielten« (HA Krupp, WA VIII, 126, S. 6, zit. nach Lüdtke 1980, S. 105) 26 | Von daher ist es auch nicht verwunderlich, dass das Brot im 19. Jahrhundert eine beträchtliche Aufwertung erfuhr. Im Rahmen einer nur knappen Mittagspause ist das Brot für die Bedürfnisse der Arbeiter nahezu ideal: es ist handlich, leicht zu transportieren, schnell und ohne zusätzliche Vorbereitung zu essen, nahrhaft, sättigend und kann mit unterschiedlichen Zulagen belegt werden. Dazu kommen Konservengemüse und Suppenpräparate (1866 Julius Maggi und Co.), die ebenfalls das Kochen genauso ersparen und deren Nachfrage im 19. Jahrhundert ebenfalls rasch steigt. (Vgl. Braun 1984, 309ff.)

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findet sich auch im Verhalten in der Freizeit, das geprägt ist von ganz eigenen Kommunikationsstilen, Symbolen und Gesten der Arbeiter: Es ist eine in ihrem Kern orale, kommunikative Kultur, die – wie Schindler sie charakterisiert – »ein ungemein reichhaltiges Arsenal habitueller und ritueller Ausdrucksmöglichkeiten in sich birgt, das von Mimik, Gestik, dialektbezogenen Sprechattitüden über Gesang, Tanz, Sprichwörter und anderes Alltagsbrauchtum bis hin zu seiner kollektiven Selbstinszenierung in Festen, öffentlichen Umzügen und Karneval reicht«.27 In dieser »Arbeiterkultur« verbinden sich althergebrachte Traditionen und neue Lebenswelt; sie ist die Manifestation einer der harten, von Disziplin durchdrungenen (Fabrik-)arbeit entgegenstehenden Offenheit, Freizügigkeit, Überflussmentalität, in der das gesellige Leben um seiner Selbst willen gepflegt wird – ungeplant, ungeordnet und losgelöst von der bürgerlichen Moral der Reichtumsmehrung und eines daran orientierten Freizeitverhaltens. Der für dieses Freizeitverhalten typische exzessive Konsum und Genuss, jenes vielzitierte »Von der Hand in den Mund« der lohnabhängigen Klassen bildet einen klaren Kontrastpunkt zum von Haushaltung und Sparsamkeit geprägten »Langzeitdenken« bäuerlicher und v.a. bürgerlicher Lebenswelt, wo es wie gezeigt gilt, auch die Privatheit – wie Individualität überhaupt – so zu gestalten, dass sie nach außen Rückschlüsse über die eigenen Fähigkeiten, die finanziellen Mittel oder die Integrität der eigenen Person zulassen. Bei den Arbeitern stehen dagegen auch in Boomzeiten die Bedürfnisbefriedigung und der unmittelbare Konsum an erster Stelle, die so dem Vordringen des Wertgesetzes in die Produktionssphäre Grenzen setzten: Die Arbeiter hören gerade dann zu

27 | Schindler 1984, S. 25. Als zentral – und daher auch in der historischen Forschung vorrangig untersucht – ist hier insbesondere das Volksfest als Ort des Spontanen, der Unordnung und der Unanständigkeit anzusehen, bei dem deutlich die beiden gegensätzlichen kulturellen Logiken aufeinandertreffen – auf der einen Seite der kollektive Impuls der Volkskultur mit seinem Einfallsreichtum und seinen vielerlei trahierten Ausdrucksformen, und auf der anderen Seite der institutionelle Wille zur Disziplinierung der Herrschaftskultur. So wurde das Volksfest schon in der frühen Neuzeit von der Obrigkeit als »Haupthindernis zur Anerkennung ihrer religiösen, moralischen oder politischen Hegemonie« angesehen (Chartier 1984, S. 155) und es gab immer wieder Versuche, es in seinen Auswüchsen zu beschränken und in seiner Regellosigkeit zu disziplinieren – etwa indem sie die Kontrolle über dessen Finanzierung, die Umzugswege – über das Rathaus, das Schöffenhaus und den Marktplatz – und das Programm zu übernehmen suchten. (Vgl. ebd., S. 162) Dieses auf ein bloßes Spektakel reduzierte von der Obrigkeit vereinnahmte Fest wird schließlich zur Regel – die Initiative des Volks geht zurück und das Fest wird standardisiert – und mit einem Wertsystem verbunden, das sich auf die neuen häuslichen, bürgerlichen und sozialen Werte konzentriert. (Vgl. ebd., S. 155ff.)

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arbeiten auf, wenn die Absatz- und Gewinnchancen für den Fabrikanten am größten sind und vom Standpunkt des Kapitals aus eine Steigerung der Produktion angezeigt wäre. Die eigengesetzliche Rationalität der Arbeiter hält, wie auch Schindler aufzeigt (Schindler 1984, 61ff.), am Primat des Gebrauchswerts der Arbeit und an der möglichst genauen Entsprechung von Arbeit und Konsum fest und zielt entgegen dem liberalen »Immer-mehr« letztlich auf das substanzielle Überleben der Familie als Produktionseinheit. Angesichts der Erfahrungen mit dem Teufelskreis aus Verschuldung und Verelendung und der staatlichen Abschöpfungspraxis ist es für die Arbeiter eben eher naheliegend, erzielte Überschüsse nicht anzusparen, sondern in soziale Beziehungen zu »investieren« und durch exzessiven Konsum die solidarischen Bande von Verwandtschaft, Nachbarschaft und Freundschaft zu bekräftigen und so die eigene Form von »Sozialversicherung« zu pflegen. (Vgl. Medick 1982, S. 169) Nicht zuletzt ist dies aber auch eine symbolisch-öffentliche Dokumentation einer Rationalität, in der sich Arbeit nicht in der bloßen Reproduktion erschöpft, sondern sich in jene »kleinen Freiheiten« des Konsums ummünzt, die (auch das plebejische) Leben lebenswert erscheinen lässt. (Vgl. Schindler 1984, S. 63) Diese sich hierin äußernde Sorge, Selbstachtung zu bekunden, schien »unendlich wichtiger« (Stedeman Jones 1979, S. 331) gewesen zu sein, als irgendeine Form des Sparens, die sich auf Nützlichkeitserwägungen gründete. Auf der einen Seite scheint die beschriebene »Ökonomie der Verausgabung« (Medick 1982, S. 171) also schlicht aus der Unmöglichkeit zu resultieren, künftigen Krisen und eventuell folgender Arbeitslosigkeit durch Verzicht und Sparverhalten vorbeugen zu können; angesichts der schwachen Perspektiven vorsorgenden Ansparens lebt man eben in einer »Notbehelfsökonomie« (ebd.), die gekennzeichnet ist durch den ständigen Wechsel zwischen relativer Konsumtionsfähigkeit und akuter Not. Folglich bleibt aus dieser Perspektive heraus ohnehin nur, im Hier und Jetzt zu leben, den momentanen Genuss zu suchen und so (zumindest manchmal) die Härte der Arbeit und die Unsicherheiten der Zukunft auszugleichen. Mindestens ebenso sehr muss man in den spontan ausgelebten Genüssen aber auch, wie Medick darlegt, eine symbolische Wendung gegen soziale »Bevormundung« sehen, also eine symbolische Zurückweisung der patriarchalischen und paternalistischen Disziplinierungsund Mäßigkeitsappelle des Bürgertums und der Obrigkeit – Verausgabung erscheint so eher »als ein Vehikel plebejischen Selbstbewußtseins« und offensiv gelebte Freiheit zur eigen-bestimmten, über die Subjektivierung zur rationalen Produktivkraft hinausgehende Lebensführung.28

28 | Medick 1982, S. 171; vgl. a. Kaschuba 1990, 16f., 108 sowie Volkmann und Bergmann 1984; Husung 1983.

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Ab den 1880ern und v.a. natürlich in den »Goldenen Zwanzigern« kommen, insbesondere in den größeren Städten, zunehmend auch deutlich kommerzielle Verausgabungen hinzu, der Besuch von Biergärten, Cafés, Sport- und Tanzveranstaltungen, Kinos und Rummelplätzen zur Erholung und Zerstreuung. (Vgl. Kaschuba 1990, 115f.) Diese »neuen Genüsse« (ebd., S. 16) sind in gewisser Weise natürlich auch »Lockmittel« zur Eingewöhnung in industrielles Arbeits- und Konsumverhalten: Man braucht eben regelmäßigen und wachsenden Verdienst, muss länger und intensiver arbeiten, um sich die Genüsse leisten zu können. Allerdings greift diese Interpretation einer »›Verführung‹ über die Bedürfnisse« (ebd., S. 108) zumindest an der Stelle des schnellen Konsums zu kurz, suchten die bürgerlichen Unternehmer doch mit allen möglichen Mitteln diesen ungeregelten und ziellosen Konsum einzudämmen – angefangen vom Auszahlen der Lohntüte erst am Montag bis hin zum Einbehalten eines Teils des Lohns in den Sparkassen, wo für Notzeiten angespart werden sollte. Anders als bei diesen auf den unmittelbaren Konsum ausgerichteten Verausgabungen spekulieren innerhalb des Modells eines fürsorgenden »Industriepatriarchalismus« die Unternehmer (und auf deren Forderungen hin z. T. sogar auch die staatlichen Programme der Haushalts- und Familienberatung wie des Wohnungsbaus und auch die Kirchen)29 auf Konsum, der, wie gezeigt, auf Langfristigkeit und Vorsorge hin ausgelegt ist. Nicht das Leben jetzt soll im Vordergrund stehen, sondern die nachhaltige Existenz als Produktivkraft. Als dann ab dem Kaiserreich mit der relativen Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen (v.a. bei der Minderheit gut verdienender Facharbeitergruppen) auch die Kinderzahlen abnahmen, wodurch sich auch die Arbeiter kleinere, abgeschlossene, zunehmend komplett eingerichtete Wohnungen ohne Untermieter, und entsprechend mit mehr Privatheit leisten konnten, wird diese Entwicklung von den Unternehmern daher durchaus begrüßt. Denn gerade diese nachhaltige Form von Konsum stellt schließlich eine materiell bedingte und auch materielle Disziplinierung dar, weshalb die Unternehmer sie entsprechend zu fördern suchten, indem sie die früheren Versuche der Einbindung in die industrielle Lebenswelt durch Arbeitersiedlungen nun komplettierten zur »industriellen Reißbrett-Lebenswelt« (Kaschuba 1990, S. 96), in der gleichzeitig zum »Wohlverhalten am Arbeitsplatz« und zur »geordneten Haushaltung« erzogen wird. (Schomerus 1979, S. 230; vgl. a. Kaschuba 1990, 86ff. sowie Castell 1981, 385ff.)

29 | Wie Blessing darlegt, wurden Religion und Konfession, insbesondere natürlich die protestantische Ethik mit ihrem Pflicht-, Leistungs- und Erwerbsethos nach 1800 zunehmend als Instrument zur Sicherung staatlich-kirchlicher Herrschaft eingesetzt. (Blessing 1982)

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Jedoch ist es zu simpel, das Tragen von Sonntagskleidern und das Wertschätzen von eigenen Wohnzimmern der besser situierten Arbeiterfamilie des Kaiserreichs als die schlichte Übernahme bürgerlicher Leitwerte und Lebensformen zu interpretieren. Vielmehr muss dies nicht zuletzt auch als Versuch gesehen werden, in einem »Wettstreit um symbolische Autorität« (Thompson 1980a, S. 281) zu zeigen, dass man sehr wohl »kulturfähig« sei und auch mit der eigenen Rationalität Errungenschaften vorweisen könne, man eben »freies« und zur Freiheit fähiges Individuum sei. Insofern ist dieses Verhalten sowohl mehr als ein schlichter Reflex auf das Leben in überquellenden Mietskasernen, als auch nicht einfach die Übernahme der bürgerlichen Rationalität und die Anpassung daran. Vielmehr scheint sich darin, so auch Thompson, ein konkurrenzhaftes Verhältnis zur bürgerlichen Rationalität auszudrücken, ein Einfordern eigener »proletarischer« Respektabilität. (Vgl. ebd.) Der Gestus einer »Gegen-Kultur« Der Ort, an dem sich diese proletarische Eigenständigkeit wohl am deutlichsten zeigt, ist das Wirtshaus als Platz, wo die Arbeiter auf einer Ebene miteinander verkehrten, wo die Unterschiede, die der Betrieb zwischen den Arbeitern aufstellte, fielen und »sich alle im gemeinsamen Umgange als Arbeiter [fühlten], und kein anderer Umstand [. . . ] für ihren persönlichen Verkehr [entschied], als die gegenseitige Neigung, die Gesinnungsgleichheit und die nachbarliche Wohnung.« (P. Göhre, Drei Monate Fabrikarbeiter und Handwerksbursche, Leipzig 1891, S. 83, zit. nach Roberts 1980) Auch die institutionalisierte Arbeiterbewegung fand im Wirtshaus ihr Zuhause. Nicht nur waren die Wirtshäuser für Wahlvereine und Gewerkschaften Versammlungsräume und informelle Treffpunkte, sondern auch die diversen anderen mit der Arbeiterbewegung verbundenen Organisationen wie Sängerbünde, Bildungsvereine, Arbeitersportvereine usw. hingen mehr oder minder vom Wirtshaus ab; die Wirtshäuser eröffneten gewissermaßen die Kommunikationskanäle, auf deren Grundlage sich – auch politische – Solidarität ausbilden konnte. Insofern verwundert es auch nicht, dass Kautsky das Wirtshaus als »das einzige Bollwerk der politischen Freiheit des Proletariers« (K. Kautsky, Der Alkoholismus und seine Bekämpfung, in: Die Neue Zeit 9/II (1891), S. 105–116, hier 107, zit. nach Roberts 1980, S. 127) beschreibt; gäbe es das Wirtshaus nicht, so Kautsky, so wäre das Proletariat seines eigenständigen politischen und gesellschaftlichen Lebens beraubt: »Gelänge es [. . . ] der Temperenzlerbewegung [. . . ] in Deutschland ihr Ziel zu erreichen und die deutschen Arbeiter in Masse zu bewegen, das Wirtshaus zu meiden und sich außerhalb der Arbeit auf das ihnen so verlockend geschilderte Familienleben zu beschränken: gelänge das den Temperenzlern, dann hätten sie erreicht, was dem Sozialistengesetz niemals auch nur an-

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nähernd gelungen: der Zusammenhalt des Proletariats wäre gesprängt, es wäre auf eine Masse zusammenhangloser und daher auch widerstandsloser Atome reduziert.« (K. Kautsky, der Alkoholismus und seine Bekämpfung, in: Die Neue Zeit 9/II (1891), S. 105–116, hier 107f., zit. nach Roberts 1980, S. 128)

Wie James Roberts schreibt, lässt das Wirtshaus einige der positivsten Eigenschaften der Arbeiterbewegung hervortreten: das Prinzip der gegenseitigen Unterstützung, das Streben nach Selbstvervollkommnung, den Wunsch in die gegenwärtige Gesellschaft verändernd einzugreifen, und das Gefühl nicht alleine dazustehen, sondern der Zugehörigkeit – »nicht bloß zu einer machtvollen Massenbewegung, sondern auch zu einem solchen überschaubaren Kreis gleichgesinnter Männer und Frauen.«30 Genau wie in den Fabriken zeigt sich auch in dieser Wirtshauskultur ein demonstratives Anderssein, und der explizit offensive, nach außen getragene Gestus einer »Gegenkultur«. Das »kollektive Sichausleben« (Gailus 1984, 16ff.) mit Kollegen und Freunden in den Wirtshäusern macht – nicht anders als das Zusammenstehen an den Straßenecken zur Markierung des eigenen Reviers – die offensive Abgrenzung und Darstellung der eigenen Besonderheit zur bürgerlichen Lebenskultur und dessen Leistungs- und Bescheidungsethos deutlich. (Vgl. Kaschuba 1990, 70ff.) Hier wie auch in den sozialen Protesten in Form von kollektiven Arbeitsniederlegungen oder Demonstrationen äußern sich im sozialen Protest vehement Motive einer »kulturellen« Abwehr staatlicher wie bürgerlicher Disziplinierungs- und Moralisierungsprogramme. Seitens der Mittel- und Oberschicht wurde aus dieser »Symbiose« aus Wirtshaus und Arbeiterbewegung zweierlei geschlossen: Zum einen, dass ansonsten vernünftige Arbeiter überhaupt nur unter dem Einfluss von Alkohol für die Sozialdemokratie oder den Kommunismus zu gewinnen seien; und zum anderen, dass die Arbeiterführer den Alkohol nur guthießen, weil sie wüssten, dass die Arbeiter dadurch der Armut und dem Elend verhaftet blieben und so die Dogmen von der Verelendung des Proletariats aufrecht erhalten werden könnten. Zusammen genommen führten diese Stereotypen zur Vorstellung vom stets betrunkenen Sozialdemokraten, die das Bewusstsein des Mittelstandes zugleich beruhigte und aufgeschreckte: Beruhigt, weil es den Sozialismus zu einer Art moralische Verkommenheit herabsetzte; und aufgeschreckt, weil es den Mittelstand als typischerweise Verteidiger des sozialen und politischen Status

30 | Roberts 1980, S. 133; auch wenn hier von »Männern und Frauen« die Rede ist, so ist das Wirtshaus unabweisbar ein von Männern dominierter Ort. Vergleichbare Orte der Zusammenkunft für Frauen waren die Wasch- und Backhäuser, die für sie eine ähnliche Rolle wie das Wirtshaus für die Männer spielten. (Vgl. Dowe 1979, S. 124)

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quo an die Brüchigkeit und Prekarität des eigenen Status gemahnte. (Vgl. Roberts 1980, 133ff.) In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch auf die erste Freizeitkonferenz am 26.4.1892 hinzuweisen, zu der die Berliner Centralstelle für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen eingeladen hatte. Ziel war, ein »Überhandnehmen der Unzufriedenheit und der Umsturzgedanken in den arbeitenden Klassen« (Schriften der Centralstelle für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen, Nr. 2, S. 29, zit. nach Reulecke 1980, S. 143) durch gezieltes sozialreformerisches Wirken, das verstärkt auch den Bereich der »Erholung« und »Geselligkeit« mit einbeziehen sollte, zu verhindern. Diese Konferenz ist insofern bedeutsam, als hier zum ersten Mal breit und mit noch heute nachwirkenden Argumenten Freizeit als ein »soziales Problem« diskutiert wurde: Freizeit galt von da an immer stärker als ein Raum, der nicht mehr sich selbst überlassen bleiben durfte, sondern der sinnvoll genutzt und vor allem »gestaltet« werden musste, um nicht, wie es bei den bürgerlichen Sozialreformern heißt, »bei einer noch rohen Arbeiterbevölkerung« und angesichts der stets vorhandenen »Verführung zu Ausschweifungen« (Fritz Kalle: Maßregeln zum Besten der Fabrikarbeiter, besprochen vom Standpunkte des Arbeitgebers, Wiesbaden 1875, S. 65, zit. nach Reulecke 1980, S. 144) Arbeitsdisziplin, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit im Betrieb, wie auch die »segensreichen Tugenden Häuslichkeit, Familiensinn und Heimatliebe« (Der Arbeiterfreund 30 (1892), S. 495, zit. nach Reulecke 1980, S. 144) zu opfern. (Vgl. Reulecke 1980) So ging es, wenn im 19. Jahrhundert – von Reformern – Freizeitveranstaltungen überhaupt ein Wert zugesprochen wurde, um »vernünftige Freizeitgestaltung« – ein Konzept, das völlig neue Vorstellungen von Vergnügen und Zerstreuung umfasste, die scharf gegen das Ungestüme, Spontane, Ungezügelte abgegrenzt waren und stattdessen die Arbeitskraft regenerieren, den Sinn erheitern, die Seele erbauen sollten. (Vgl. Malcolmson 1984, S. 285) Die traditionellen Freizeitmuster wurden vor diesem Hintergrund als sinnlose Zeit- und Geldverschwendung, als Gefahr für Besitz, Wohlstand, Sitte und öffentliche Ordnung und als vulgäres Überbleibsel einer primitiven Vergangenheit kritisiert. Zahlreiche Feiertage wurden abgeschafft, damit »unsere Unterthanen . . . an Zeit und Gelegenheit zur Äußerung ihres Gewerbefleißes gewinnen.« (J. Mössner, Sonn- und Feiertage in Österreich, Preußen und Bayern im Zeitalter der Aufklärung, Berlin 1915, zit. nach Blessing 1984, S. 361). Auch die Ausschweifungen an Hochzeiten und der »ebenso sittenwidrige, als in ökonomischer und gesundheitspolitischer Beziehung nachtheilige Mißbrauch der sogenannten Leichschmäuse« (Amts-Handbuch für die Protestantischen Geistlichen des Königreiches Baiern. Bd. 2, Sulzbach 1821–1838, S. 99, zit. nach Blessing 1984, S. 362) wurden angeprangert; Schaustellungen und Volksschauspiele aller Art galten als Verführung zu Sensations-

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gier und Müßiggang: »Der Mann, statt seinen Kopf beim Gewerbe zu haben, studiert die Rolle eines Bretterhelden« (Augsburger Tagblatt v. 24 November 1835, zit. nach Blessing 1984, S. 362). An Stelle solcher »Volksvergnügungen«, die man, wie Malcolmson darlegt, »für unvereinbar mit einer angemessenen Arbeitsdisziplin und mit dem ›Geist des Fortschritts‹« hielt, (Malcolmson 1984, 284f.) versuchten eine ganze Reihe von Reformbewegungen und Wohlfahrtsorganisationen der Mittelklasse, einschließlich der Antialkoholbewegung alternative Erholungsmöglichkeiten anzupreisen. (Vgl. Reulecke 1980 sowie Roberts 1980, S. 137) Die ab den 1880ern neu entstehenden offenen, anonymen und stets verfügbaren Vergnügungsstätten, wie Kinos, Sportstätten, Rummelplätze entsprachen – bei aller Kritik, die seitens einiger auch bürgerlicher Philantrophen daran geübt wurde – der Erwartung einer geordneten Zerstreuung und geregelten Regeneration, die das Bürgertum für die Arbeiter hatte. Zunehmend ersetzten diese kommerziellen Vergnügungsstätten die alten Schauplätze brauchgeregelter Lustbarkeit und Feierlichkeit – Marktplatz, Wirtshaus, Kirche: Die moderne Freizeit begann den alten Feierabend und die Feiertage zu ersetzen und Freizeit konnte nun vollends frei vom jeweiligen Lebenszuschnitt, von sozialem Status und kulturellem Vermögen gestaltet und beliebig als ein eigenes – »eigentliches« – Leben genossen werden.31 (Vgl. Blessing 1984, S. 373) Unter den Bedingungen urbaner Lebenswelt im Industriezeitalter begann sich so eine im Vergleich zur alten Arbeitsweise in Landwirtschaft und Handwerk klare Trennung von Arbeit und Nichtarbeit herauszubilden, wie sie auch später für die sozialstaatliche Rationalität prägend werden wird (vgl. Abschnitt 6.3): von Arbeitsplatz und Wohnung, von Kontrolle und Ungebundenheit, von Zeitdruck und einer »leeren Zeit« ohne vorgegebene Bräuche, von Konzentrationszwang und Zerstreuungsbedürfnis. Die Zeit, in der nicht gearbeitet wurde, löste sich zusehends aus ihren religiösen und gemeinschaftlich-korporativen Ordnungen – Vergnügungen und Geselligkeit tendierten dazu, »freie Zeit« zu werden im Sinn einer individuell freien Verfügung über deren Zeitpunkt und Gestaltung. So frei, wie diese Zeit äußerlich erschien, war sie allerdings freilich nicht. Zwar hatten die rahmengebenden Bräuche und Sitten, Ideen und Statuten ihre reglementierende Kraft eingebüßt, doch Behörden und Fabrikanten erzwangen in ihrem Kampf gegen »Schmutz und Schund« enge moralische Schranken, die jeglichen Exzess verbannten und die Vergnügungen nur streng reguliert erlaubten. Zeitpunkt und Auswahl des Vergnügens standen wie vorher nie im Belieben des einzelnen; aber Formen und

31 | Vgl. Blessing 1984, 365ff. sowie zur Kritik an der »Kulturindustrie« Horkheimer und Adorno 1944/2006 und Adorno 1963/1999.

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Inhalte folgten profitabel abgestimmten, fest vor-organisierten standardisierten Reizen und Attraktionen, auf die der einzelne natürlich nicht mehr im gleichen Maß wie früher selbst Einfluss und daran aktiv teilnehmen konnte. Diese neuen Vergnügungen bieten, wie es bei Pieper heißt, »Zustimmung zur Welt« (Pieper 2012), unterliegen aber auch sozialer Norm und Kontrolle. (Vgl. a. Blessing 1984, 375ff.) 5.2.4 Die Charakteristik der Arbeiterkämpfe Im vorausgegangenen Abschnitt wurde die Konstituierung der Arbeiterschaft und der Arbeiterbewegung als Widerstandsform dargelegt, die der bourgeoisen Subjektivierung des Arbeiters als rationale Produktivkraft eigene Subjektivierungen entgegensetzte. Das Gegen-Verhalten der Arbeiter erschöpft sich entsprechend nicht darin, der eigenen Freiheit oder den eigenen Rechten besser Respekt zu verschaffen und unterscheidet sich damit deutlich von »klassischeren« Formen von Widerstand, also von den gängigerweise der Arbeiterbewegung hauptsächlich zugeschriebenen großen »Klassen-«Kämpfen – es sind nicht so sehr die offensichtlichen – revolutionären – Auseinandersetzungen, die den Kampf der Arbeiterbewegung kennzeichnet, als die unscheinbaren, alltäglichen Formen: »Es ist also der heimliche, verdeckte Kampf, das letzte Mittel, das uns geblieben . . . In diesen heimlichen, verdeckten Kampf werfen wir uns mit aller Macht; seine Einrichtung und Verbreitung ist die Aufgabe dieses Jahres. Das ist nicht eine Verschwörung wie die polnische, wo etliche Häupter festgenommen und die ganze Vereinigung zersprengt werden könnte. Das ist vielmehr eine Verschwörung des ganzen Volkes, zu der selbst die gemäßigsten Naturen getrieben werden müssen, weil uns allen der Rechtsboden unter den Füßen hinweggenommen ist. Jede Fabrik ist ein Herd der Revolution. Jeder wandernde Proletarier ist ein Emissär der Revolution. « (N.N. 1848/1972, S. 191)

Streiks waren typischerweise spontan und informell und umfassten stets wichtige dynamische Momente der Emotionalität, der Ausgelassenheit oder sogar des Festes – ein Streik unterbricht den üblichen Rhythmus der Arbeit und eröffnet einen »Raum, der nicht dem Arbeitgeber, sondern der Artikulation und der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen dient.« (Boll und Kalass 2014, S. 559) Solche kollektiven Aktionen nährten das Zusammengehörigkeitsgefühl und förderten die Erfahrung der eigenen Stärke wie auch die der Gegnerschaft. Daher wurde er früher regelrecht proklamiert und als Form des Blaumachens oder gar als Fest (teils in Sonntagskleidung), als Zeit der Arbeitsfreiheit, feierlich »begangen« – man verließ die Fabrik, zog mit Kindern und Frauen ins Feld, sang gemeinsam Lieder, oft angeführt von Blaskapel-

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len, schwenkte spontan hergestellte Fahnen und sprach Zuschauer zum Mitmachen an. (Vgl. Boll 1992, Specht 1992) Bei diesen Widerständigkeiten der Arbeiter handelt es sich um, mit Foucault gesprochen, »anarchische Kämpfe«, die sich »ins Innere einer Geschichte« einschreiben, die »unmittelbar« ist und sich »als unendlich offen begreift und anerkennt«. (Foucault 1978/2002a, S. 689) In Subjekt und Macht (Foucault 1981/2002d, 273ff.) benennt Foucault fünf Charakteristika solcher Kämpfe, die sich sehr gut auch am eben beschriebenen Gegenverhalten der Arbeiter erkennen lassen: •



»Das Ziel dieser Kämpfe sind die Auswirkungen der Macht als solche«. Das heißt, es geht eben gerade nicht allein um den Vorwurf der Ausbeutung der Arbeiterklasse, sondern um den Vorwurf, die Formen des Wohnens, der Arbeit, des Konsum, der Freizeit usw. zu besetzen und der Prämisse der Produktivität unterzuordnen. »Die Kämpfe erfolgen ›unmittelbar‹« – d.h., es wird nicht der ferne Hauptgegner angegangen, sondern Ziel sind die »nächstgelegenen« Machtinstanzen, die unmittelbar auf die Individuen einwirken. Folglich liegt die Lösung der Probleme auch nicht irgendwo in der Zukunft (etwa in der endgültigen Befreiung oder Revolution, die den Klassenkampfe beendet), sondern das Gegen-Verhalten wird »direkt und spontan« ausgeübt.32

32 | In diesem Sinne kritisiert Foucault scharf die Marxsche Analyse des Klassenkampfes, bei der stets nur die Klassen im Mittelpunkt stehen, der Kampf aber analytisch unterbestimmt bleibt: »Untersucht wird stets, was eine Klasse ist und wer zu ihr gehört. Nicht aber, worin eigentlich der Kampf besteht. Klar, es ist Konflikt und Krieg. Aber wie entwickelt sich dieser Krieg? Was ist sein Ziel? Was sind seine Mittel? Auf welchen rationalen Eigenschaften beruht er? Mit welcher strategischen Methode muss er geführt werden?« (Foucault 1978/2002e) Tatsächlich hat Marx selbst keinen abgeschlossenen und umfassend ausgearbeiteten Text zum Klassenkampf hinterlassen, obwohl er die revolutionäre Erhebung der Arbeiterklasse von seinem Frühwerk bis zu seinen späten Schriften immer wieder thematisiert. (Vgl. Lindner 1972) Der »Kampf« selbst kommt in diesen Untersuchungen allerdings, wie von Foucault vorgeworfen, nicht vor, und auch in seinen Untersuchungen konkreter revolutionärer Vorgänge, wie etwa der Klassenkämpfe in Frankreich 1848, des amerikanischen Bürgerkriegs 1865 oder des Kommuneaufstands in Paris 1871, arbeitete Marx lediglich die sozialen, ökonomischen, politischen und ideologischen Elemente dieser Aufstände heraus, widmete sich aber nicht dem Kampf selbst. (Vgl. Berger 2004, S. 157) Marx’ Analyse war in ihrer prinzipiellen Allgemeinheit viel zu umfassend, als dass sie besondere politische Handlungsanleitungen hätte bieten können, falls man solcher bedurfte. Das betrifft insbesondere Fragen der Revolution und des sich anschließenden Übergangs zum Sozialismus. (Vgl. Hobsbawm 2012, 106f.) Bedeutsam bei Marx sind

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»Es handelt sich um Kämpfe, die den Status des Individuums in Frage stellen.« Einerseits treten diese Kämpfe für das Recht der Arbeiter auf Anderssein ein und betonen alles, was die Individualität des Arbeiter-Daseins ausmacht. Andererseits wenden sie sich aber auch gegen alles, was das Individuum von den anderen isoliert, was die Gemeinschaft bzw. die Arbeiter spaltet – »was den einzelnen zwingt, sich in sich selbst zurückzuziehen, und was ihn an seine eigene Identität bindet.« Diese Kämpfe werden also nicht für den Arbeiter oder gegen den Bourgois ausgetragen, sondern gegen die »Lenkung durch Individualisierung«. »Sie kämpfen gegen die Privilegien des Wissens.« Das heißt, die Kämpfe stellen die Art und Weise infrage, wie Wissen zirkuliert und funktioniert und wenden sich damit gegen die Vorstellungen, die man den Arbeitern aufzwingen möchte. Dies bedeutet jedoch weder einen dogmatischen Glauben an eine andere »Wahrheit« wie beispielsweise den Marxismus, noch eine skeptische oder relativistische Ablehnung von Wahrheit generell, sondern schlicht die Zurückweisung der Wahrheit des Liberalismus. »Und schließlich geht es in diesen Kämpfen um die Frage: Wer sind wir?« Die Kämpfe richten sich also gegen die Gewalt, die im Namen irgendeiner bestimmten Vorstellung vom Individuum ausgeübt wird, also eben gegen die Disziplinierung und Moralisierung zur rationalen pünktlichen, fleißigen und leistungsorientierten Arbeitskraft.

Das Besondere an dieser Art Kämpfe ist, dass es sich dabei nicht einfach nur um Widerstände, sondern um »Gegen-Verhalten« im Foucaultschen Sinne handelt, d.h. um Kämpfe, die letztlich die herrschende Rationalität infrage stellen und damit über bloße Widerstände gegen Herrschaftsformen (die durchaus in diesen Kämpfen enthalten sein können) hinausgeht: Selbstverständlich richten sie sich gegen die Ausbeutung und faktische ökonomische Herrschaft durch die Bourgeoisie, aber sie erschöpfen sich nicht darin, diese Herrschaft durch die des Proletariats zu ersetzen, oder darin, mehr von den Gewinnen durch die Industrialisierung abzubekommen, sondern sie richten sich auch gegen die vom Liberalismus aufgeworfene Form der Subjektivierung, die Subjektivierung zur Arbeitskraft.

hier eher dessen Inbezugsetzen von Analyse und politischem Handeln, nicht aber – und dieser Vorwurf gilt ähnlich in Bezug auf Foucault – dass man aus seinen Texten gebrauchsfertige Handlungsanweisungen ableiten könnte.

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5.3 Z USAMMENARBEIT

UND

A RBEITSETHOS

Parallel zu den in Abschnitt 5.2 beschriebenen geradezu formellen Übertretungen und demonstrativen Missachtungen der Fabrikordnung findet sich häufig ein scheinbar widersprüchliches Verhalten beim tatsächlichen Ausführen der Arbeiten, wo sich, wie etwa Machtan zeigt (Machtan 1981), die Arbeiter gerade entgegengesetzt an Werten wie Pflichtbewusstsein und Zuverlässigkeit orientieren. Oberflächlich betrachtet scheinen diese Tugenden gerade jenen bürgerlichen Werten zu entsprechen, welche die Unternehmer ja auch von den Arbeitern verlangen. Näher betrachtet generieren sie sich jedoch, wie auch Kaschuba darlegt, aus einem klar anderen Kontext, nämlich »nicht aus dem Zusammenhang ökonomischer Verwertungsinteressen und sozialpolitischer Ordnungsvorstellungen, sondern aus dem Erfahrungsraum und dem ›spezifischen Arbeitsethos‹ einer nicht ökonomisch-, sondern gruppenorientierten Arbeitsdisziplin.« (Kaschuba 1990, S. 95, vgl. a. Braun 1984, S. 349 und Rupieper 1982, 99ff.) Offenbar erhält hier der Widerstand gegen die abstrakt vorgegebenen Ordnungsnormen einen Kontrapunkt in der Identifizierung mit der konkreten gruppenförmigen, sozialen Arbeitssituation, bei der, so Kaschuba, »ganz offensichtlich die gemeinsamen Erfahrungsparameter in der Zusammenarbeit überwiegen und sich auf die Grundregeln einer gemeinschaftlich-verantwortlichen Ressourcennutzung und Arbeitsordnung beziehen.« (Kaschuba 1990, S. 92) So zeigen etwa Jubiläumsfeiern, Veteranentage, das Schmücken der Maschinen von Namenstags- oder Geburtstagskindern, aber auch »Fabriksilvester« und »Kassenball« usw., wie Zusammenarbeit mit einer gemeinschaftsgebundenen Haltung einhergeht und neues Brauchtum entstehen lässt und belegen über zweckhafte Arbeitsbeziehungen und Kooperationsformen hinausgehende Bindungen und das Erfahren einer Ordnung, der man verpflichtet ist. (Vgl. Braun 1984, 321ff.) Ähnlich dem bürgerlichen Verständnis ist die Arbeit auch bei der Arbeiterbewegung positiv als Fundament von Gesellschaft bestimmt; Teilhabe an den sich mit der Moderne eröffnenden Freiheiten und Möglichkeiten wird über Arbeit vollzogen; erst die Arbeit ermöglicht in der Moderne die über die Freiheit von Herrschaft hinausgehende möglichkeitsoffene Freiheit zu handeln. Dies geht nicht nur klar über die Subjektivierung des Arbeiters als Produktivkraft hinaus, sondern ebenso klar über das liberale Verständnis von Arbeit als Fundament gesellschaftlicher Anerkennung, bedeutet doch Nicht-Arbeit nicht nur keine Anerkennung, sondern weit prinzipieller fehlende Möglichkeit zu freiem Handeln. Insofern die auf die Arbeit bezogenen Werte der Arbeiter immer auch qualitative »Lebens«-Werte verkörpern und auch Statusbegriffe und Ehrenkodizes enthalten,

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entfalten sie im Rahmen einer der liberalen Moralisierung entgegenstehenden moralischen Ökonomie auch eine eine eigene Rationalität abbildende Orientierungsfunktion: Arbeit wird, wie es bei Thamer heißt, »zum Instrument der Selbstbestätigung erhoben« (Thamer 1984, S. 473). Deshalb auch die besondere symbolische Betonung der handwerklichen Riten, Zeremonien und Umzüge: Durch die inszenatorische Überhöhung wird nicht nur die eigene Existenz an die Arbeit gebunden, sondern diese auch als gemeinsames Gestalten manifestiert. (Vgl. Kaschuba 1990, S. 92) Damit wird deutlich, dass der eigentliche Angriffspunkt der Arbeiter tatsächlich die liberalen Machttechniken sind, die sich in der Arbeit zeigen: Die Arbeit steht im Zentrum der Machttechniken und die Arbeiter revoltieren gegen diese Form der Arbeit, gegen die Reduktion der Arbeit und der Arbeiter auf ein Mittel der Produktivität bzw. der Reichtumsmehrung. Ziel ist die Rückgewinnung der über die Produktivität hinausgehenden Aspekte von Arbeit, wie gesellschaftliche Integration oder als Mittel der Weiterentwicklung menschlicher Fähigkeiten und Potentiale: Es gibt »keine andere Aussicht auf wirkliche Erlösung der Sklaven, Knechte, Proletarier, all der Schwachen und Unterdrückten, als die Organisation der anziehenden Arbeit.« (Considerant 1906/1974, S. 97) Es geht also um die Rückgewinnung der über das bloß Rationale und Produktive hinausgehenden explosiven, spontanen, diskontinuierlichen und gemeinschaftlichen Momente in der Arbeit. Der zentrale Leitgedanke, in dem sich dieses gruppenförmige Arbeitsethos praktisch bündelt, ist die Solidarität, verstanden als Inbegriff von Emanzipation und Befreiung, und damit, so wird in diesem Abschnitt dargelegt, als eine gegenüber dem liberalen ökonomisch-engen Freiheitsverständnis radikal offene Praxis der Freiheit. 5.3.1 Solidarität Wie die Bewegung der Arbeiter auch ist der Gedanke der Solidarität durch und durch ein Element der Moderne. Ihr Ursprung ist die Französische Revolution, wenn auch während dieser weniger der Begriff der solidarité, denn der der fraternité dominierte. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts tritt der Begriff der Solidarität neben den der Brüderlichkeit, um nach der Revolution von 1848 von der Arbeiterbewegung unter dem Einfluss von Marx und Lasalle ausgehend diesen schließlich abzulösen. (Vgl. Brunkhorst 2002, S. 9) Die Geschichte der Solidarität ist natürlich älter als die dort vorgenommene Bestimmung des Begriffs als Garantie dafür, dass die Freiheit des einen nicht die Grenze der Freiheit des anderen, sondern die Ermöglichung der Frei-

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heit aller ist.33 So bezieht die moderne Idee der Solidarität zunächst Traditionen der jüdisch-christlichen brüderlichen Nächstenliebe als auch der griechisch-römischen bürgerlichen Verpflichtung fürs Ganze ein.34 Aber erst der moderne Solidaritätsgedanke, der in den Revolutionen des 18. Jahrhunderts entsteht und dann von den Arbeitern und der Arbeiterbewegung zur Entfaltung gebracht wird, bricht mit dem christlichen Idealismus, der die Gleichheit verjenseitigt, einerseits und dem aristokratischen Partikularismus andererseits, der die bürgerliche Freiheit auf wenige Bourgeois an der Spitze der Gesellschaft einschränkt.35 So ist Solidarität nicht religionsorientiert als Weg zur Erfüllung des göttlichen Gebots der Nächstenliebe zu verstehen, sondern gesellschaftsimmanent als Mittel, die politische Freiheit aller Bürger zu realisieren, und zwar nicht wie im liberalen Verständnis dergestalt, dass die Freiheit des einen die Grenze der Freiheit des anderen ist, sondern vielmehr dass die Freiheit des einen die Ermöglichung der Freiheit aller ist. Wichtig hierbei ist das Verhältnis von Freiheit und Gemeinschaft: Der Zweck des gesellschaftlichen Freiheitsgebrauchs ist nicht die Verwirklichung einer brüderlichen oder solidarischen Gemeinschaft, sondern vielmehr umgekehrt ist die Solidarität das praktische Mittel zur Herstellung gleicher Freiheit.36 (Vgl. Brunkhorst 2002, 85ff.) In dieser Verbindung von Freiheit und Gemeinschaft wird nicht zuletzt wieder das doppelte Verständnis einer Freiheit von und einer Freiheit zu deutlich: Im Vordergrund der solidarischen Praktiken steht nicht so sehr die Befreiung von Herrschaft, sondern auch die eben durch diese solidarischen Praktiken sich realisierende positive Eröffnung von Möglichkeiten frei zu handeln. Waren über viele Generationen hinweg die Individuen für ihr ganzes Leben lang innerhalb der christlich-hierarchischen Gesellschaft des Mittelalters in ihren jeweiligen Stand integriert und umgekehrt der Stand für das Schicksal des einzelnen mitverantwortlich, so wurden nach der Öffnung des

33 | So auch Marx, vgl. z.B. Berger 2004, S. 17. 34 | In diesem Sinn war der lateinische Begriff in solidum, auf den das Wort »Solidarität« zurückgeht, in erster Linie auf die zivilgesellschaftliche Haftungsgenossenschaft bezogen, und damit von Haus aus ein Rechtsbegriff. (Vgl. Brunkhorst 2002, S. 10) 35 | Vgl. zur Geschichte des Solidaritätsbegriffs Brunkhorst 2002 sowie Zoll 2000. 36 | Dies gilt selbst für die brüderliche, den Mehrwert gerecht verteilende Gemeinschaft der Kommunisten: Diese hat einzig den Zweck, die individualistisch verstandene Freiheit des Subjekts zu verwirklichen. So heißt es explizit im Kommunistischen Manifest: »An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.« (Marx und Engels 1848/1974, S. 482; zum »kommunistischen Individualismus« vgl. grundlegend Marcuse 1962, 250ff.)

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Kontingenzraums in der modernen liberalen Gouvernementalität diese fest verankerten, starren überlieferten Formen von Solidarität bzw. Gemeinschaft aufgelöst. Dieser »Zerstörungsprozess« (ebd., S. 115) führte zwar zur Befreiung des einzelnen aus alten Abhängigkeits- und Herrschaftsverhältnissen – realisierte also die Freiheit von –, setzte jedoch zugleich neue Zwänge in die Welt, indem sich die Freiheit zu handeln auf ökonomisch-rationales Handeln reduziert und sich das Mitsein der Existenz auf reziproke Interessen am Markt beschränkt. Solidarität ist in diesem Kontext nicht nur die – praktisch bewährte – Antwort auf die mit der Auflösung des starren mittelalterlichen Gefüges einhergehende Konstituierung des Individuums, sondern auch die (Wieder-)Eröffnung des Handlungsraums. Solidarität muss somit als praktische Antwort auf die durch die liberale Subjektivierung zur rationalen Produktivkraft bedingte Individualisierung und Differenzierung verstanden werden und geht in der hier beschriebenen Form als Praxis der Emanzipation und Mittel zur Realisierung von Freiheit in dem mit der Neuzeit eröffneten Kontingenzraum damit über die bloße »Beschwörung eines Zusammengehörigkeitsgefühls« (Hofmann 1988, S. 193) ebenso hinaus wie über eine gemeinsame »Klassen«Lage und ein gemeinsames »Klassen«-Bewusstsein. Denn diese Solidarität ist nicht zuvörderst analytisches oder praktisches Hilfsmittel auf dem Weg zur Herrschaft des Proletariats, sondern selbst eine spezifische Praxis des Zusammenlebens, die gerade aus der Gesellschaftlichkeit des Daseins, also der Auflösung starrer Herrschaftshierarchien heraus ihre Notwendigkeit zu solidarischem Verhalten erhält: Auch wenn sich die Arbeiterbewegung auch und gerade in Abgrenzung zur Bourgeoisie, aber vor allem in Abgrenzung zum Individualismus der Bourgeoisie, der als lebensfremd oder gar lebensfeindlich angesehen wird, konstituiert, so ist der gemeinsame Bezugspunkt, welcher der Gemeinschaft der Arbeiter inhärent ist, doch nicht etwas dieser Gemeinschaft Äußerliches (das gemeinsame Schicksal oder ein gemeinsamer Glaube an den Kommunismus), sondern das Mitsein selbst als praktische Voraussetzung für die Realisierung einer anderen als der instrumentellen, produktivitätsbezogenen Freiheit. 5.3.2 Die Gemeinschaft der Arbeiter Die Praxis der Solidarität im unmittelbaren Arbeitsprozess findet zunehmend ihre Verankerung in unterschiedlichen festen Korporationen, in denen sich die Arbeiter organisieren – den aus den Gesellenbruderschaften hervorgehenden Arbeiterverbrüderungen wie auch unterschiedlichsten Einrichtungen und Vereinen, in denen die Arbeiter jenseits der Arbeit selbst zusammenkamen und gemeinsame Zeit verbrachten: Sport- und Lesevereine, Liederkränze, Arbeiterbildungs- und -kulturvereine, aber

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auch Spar- und Konsumgenossenschaften als materielle Hilfseinrichtungen sowie natürlich die dezidiert politischen Zusammenschlüsse in Parteien und Gewerkschaften, die als Kulminationspunkt und oft auch als Ausgangspunkt für die Bildung der sonstigen Vereinstätigkeiten dienen. Dabei sind, wie etwa auch von Kaschuba dargestellt, diese Organisationsformen gerade nicht »›Schleusen‹ in und soziale Annäherung an die bürgerliche Gesellschaft oder die Anpassung an ein bürgerliches Richtmaß« (Kaschuba 1990, S. 23), sondern vielmehr Zeichen einer selbstbewussten Abgrenzung von der liberalen Rationalität und Subjektivierung und des Bezugs auf eigene Formen des Zusammenlebens. Genauso wenig bilden diese Zusammenschlüsse einfach nur als »Frei«-Zeit eine »Gegenwelt« zur Arbeitssphäre, sondern stehen vielmehr für die Verlängerung der betrieblichen in eine Alltags-Solidarität sowie deren Verbindung zu einer insgesamt über Produktivität hinausweisenden Subjektivität. (Vgl. ebd., S. 20ff.) Spätestens im Wilhelminischen Deutschland weiten sich diese Zusammenkünfte und frühen, noch eher losen Zusammenschlüsse zu einer mehr oder weniger geschlossenen, die gesamte Familie einbeziehenden Parallel-Kultur aus mit eigenen Treffpunkten, Wirtshäusern, Parteilokalen und Kommunikationsräumen, und auch eigenen Geselligkeits- und Wohnformen, eigenen Vorstellungen von Gesellschaft, spezifischem Wertekodex und eigenen politischen Formen. Diese Praktiken stellen mehr als eine bloß kulturelle Besonderheit der Arbeiter und deren Angehörigen dar, weisen über »einfache« kulturelle Ausformungen hinaus, sondern sind, wie Kaschuba betont, selbst »umfassende Scharniere zwischen Alltag und Politik« (ebd., S. 116): Hier verbinden sich Aspekte der sozialen Versorgung mit Formen der Freizeitgestaltung, ausgelassenem Beisammensein, der Entwicklung von Gesellschaftsvorstellungen und kultureller und politischer Bildung – diese Praktiken, die so nicht nur überhaupt erst eine politische Betätigung ermöglichen, sondern auch eine die liberale Gouvernementalität auf prinzipieller, weil gemeinschafts- und nicht individualorientierter Ebene kontrastierende Rationalität bieten.37 Es entstand ein mit gemeinsamen Zielvorstellungen versehenes Mitsein, in dem Arbeit, Leben und Renitenz gegen die liberale Subjektivierung zusammengingen. Die Arbeiter konnten so ihre Arbeitsbe-

37 | Wunderer 1980; vgl. ähnlich Kaschuba 1990, S. 31. Neben diesen Eigengründungen der Arbeiter gab es stets auch seitens des Bürgertums den Versuch, durch den Aufbau eigener Vereine für Arbeiter eigene, den sozialistischen entgegenwirkende Freizeit- und Bildungskonzepte zu verbreiten (Reulecke 1980, vgl. Kaschuba 1990, S. 116).

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ziehungen und ihre Lebenswelt unter einem einheitlichen Maßstab organisieren und Ansätze einer eigenen Rationalität in die Praxis setzen.38 Spätestens die Revolution von 1848/49 macht deutlich, dass die Arbeiter sich die Kompetenz zur Mitgestaltung von Politik und Gesellschaft nicht mehr länger absprechen lassen. Sie formulieren der in den vorigen Abschnitten vorgestellten Rationalität entsprechende Forderungen nach materieller Verbesserung, aber auch nach sozialer Anerkennung, Gerechtigkeit und allgemein einer anderen Art zu leben: Soziale Integrationswünsche mischen sich mit der Vorstellung einer Gestaltbarkeit von Gesellschaft und eigenen Ideen darüber, wie die gesellschaftlichen Beziehungen anders, besser zu gestalten seien. (Vgl. Dann 1984) Die historische Voraussetzung für die Annahme einer tätigen Gestaltbarkeit des Seins und Mitseins in der Welt war, wie zu Beginn von Teil II gezeigt, die Eröffnung der modernen Gouvernementalität und damit des Kontingenzraums. Und wo mit dem Liberalismus diese Freiheit zur Gestaltung von der Ausrichtung an Rationalität und Produktivität begrenzt ist, eröffnet die Gemeinschaft der Arbeiter mit der Praxis der Solidarität den Kontingenzraum und damit die Freiheit in eine prinzipiell andere Richtung. Im gemeinsamen, solidarischen Arbeiten erweist sich Gesellschaft als etwas Gestaltbares, das über die vormoderne Orientierung an traditionaler Gemeinschaft hinausweist, sich aber eben auch nicht in der funktionalen Gleichschaltung der Körper zum Heer aus Arbeitskräften erschöpft. Darauf wird im folgenden Abschnitt näher eingegangen, Ausgang nehmend bei dem parallel zur Entstehung der Arbeiterbewegung sich entwickelnden Diskurs um Gemeinschaft und Gesellschaft. 5.3.3 Gestaltung von Gesellschaft Bezeichnenderweise kommt es im Zuge der Industrialisierung und der Durchsetzung liberal-kapitalistischer Erwerbslogik zu einem bemerkenswerten Anschwellen des Diskurses um »Gemeinschaft« bzw. »Gesellschaft« (vgl. Wetzel 2008, 43f.).39 Wurden diese beiden Begriffe bis ins 19. Jahrhundert hinein weitgehend synonym genutzt, so setzt, wie Hartmut Rosa u.a. betonen (Rosa u. a. 2010, 30f.), mit den zahlreichen soziokulturellen Veränderungen im 19. Jahrhundert ein ganz neues Nachdenken über Gemeinschaft ein, im Zuge dessen sich der Begriff Gemeinschaft von dem der Ge-

38 | Vgl. zu den Zusammenkünften und Zusammenschlüssen v.a. Glaeßner und Scherer 1986, S. 39. 39 | In den 1980er Jahren wiederholte sich vor dem Hintergrund des sich durchsetzenden Neoliberalismus unter dem Stichwort der »Kommunitarismusdebatte« erneut das Anschwellen dieses Diskurses. Vgl. zu Parallelen und Unterschieden auch Mönch 2002.

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sellschaft löst. Obwohl die Frage des Zusammenlebens in allen Zeiten eine wichtige Rolle spielte, wird erst jetzt »Gemeinschaft« in einem zeitkritischen Sinn als Problem wahrgenommen. Zugleich lösen sich die Diskurse um Gemeinschaft von den engeren gelehrten Kreisen: Gemeinschaft entwickelt sich zu einem Konzept, das auch für alltägliche Erfahrungen anschlussfähig wird, und das auch breite Teile der Gesellschaft zu einem Überlegen über das Zusammenleben anregt. Ziel vieler dieser Überlegungen war – in unterschiedlichen Ausformungen – mehr oder weniger das, was etwa auch Marx und Engels im Kommunistischen Manifest formuliert haben, nämlich dass an die Stelle der bestehenden Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen eine Assoziation tritt, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist. Es war das alte Bindeglied der »Brüderlichkeit«, das gesucht wurde – in den utopischen Romanen ebenso wie in den konkreten Utopien sozialistischer, anarchistischer oder christlicher Siedlungen wie etwa Fouriers Phalanstere oder Owens New Harmony, aber auch in Geheimbünden und der organisierten Arbeiterbewegung; überall wurde nach einem Weg gesucht, die (enttäuschten) Ideale der französischen Revolution in kleinen Gemeinschaften zu verwirklichen. (Vgl. Glaeßner 1986, S. 2) In den meisten, den alltäglichen wie den wissenschaftlichen Diskursen wird »Gemeinschaft« dabei als etwas präsentiert, das von und in der Moderne verschüttet ist bzw. zurückgedrängt wurde. In diesem Sinn steht Gemeinschaft typischerweise als Gegenort zur kalten modernen Gesellschaft und deren sozialpathologischen Erscheinungen. Gemeinschaft ist stattdessen verbunden mit sozialromantischen Vorstellungen einer Rückkehr zu einem vormodernen harmonischen Miteinander.40 (Vgl. Rosa u. a. 2010, S. 9f.) Auch wenn die Tauglichkeit des Begriffspaars Gemeinschaft/Gesellschaft angesichts der Ambivalenz von Verlust gemeinschaftlicher Bindungen und sich durch das Gesellschaftliche eröffnenden Chancen, von dem auch der Gemeinschaftsdiskurs der Arbeiterbewegung geprägt ist, als soziologische Basiskategorien bezweifelt werden muss (und angesichts der Erfahrungen mit dem faschistischen Gemeinschaftsvorstellungen und -versprechungen der Gemeinschaftsbegriff

40 | Prototypisch für diese neuen Diskurse ist die von Ferdinand Tönnies 1887 in Gemeinschaft und Gesellschaft (Tönnies 1887/2005) auf den Punkt gebrachte typologische Dichotomisierung aus »organischer« Gemeinschaft und »mechanischer« Gesellschaft, wobei Tönnies’ dualistische Zuspitzung von Gemeinschaft/Gesellschaft, Wesenwille/Kürwille, Organismus/Artefakt, Selbst/Person, Verständnis/Vertrag nicht einfach eine Kritik des Liberalismus enthält, sondern vielmehr eine Antinomie eröffnet, die Tönnies selber nicht auflöst und nicht auflösen kann (vgl. Vogl 1994, S. 11), und die sich letztlich auch im Gemeinschaftsverständnis der Arbeiter und der sich bildenden Arbeiterbewegung widerspiegelt.

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und damit zusammenhängende ganzheitliche Ansprüche nicht mehr ohne Skepsis behandelt werden können), eignet sich das Manifestwerden dieser Diskurse im Liberalismus doch ausgezeichnet als Indikator für die Aporien des Liberalismus und die daran anknüpfenden Widerständigkeiten. In der gerade auch alltäglichen Auseinandersetzung um Formen der Gemeinschaft bzw. der Vergesellschaftung eröffnet sich eine Selbstwahrnehmung der damaligen Zeit, die deutlich macht, dass es ein Da-Sein auch jenseits von Produktivität und Arbeit gibt. Die »Entdeckung der Gesellschaft« (Rosa u. a. 2010, S. 37) und deren Gegenüberstellung zur Gemeinschaft ist gewissermaßen die Bedingung für eine Kritik an der modernen Gouvernementalität und wird damit zum durch und durch modernen Konzept.41 In diesem Sinne ist auch Gemeinschaft gerade nicht, wie man annehmen könnte, ein prämoderner Begriff, sondern explizit ein Moment der modernen Gouvernementalität als einer Zeit, in der die Form des Daseins grundlegend zur Disposition stand und damit Gemeinschaft erstmals als Moment der Reflexion und des Nicht-mehrSelbstverständlichen erschien. Das »Unbehagen an der Moderne« (Taylor 1991/1995) äußert sich somit explizit in den Topoi Gemeinschaft und Gesellschaft, und es sind die Arbeiter und die sich entwickelnde Arbeiterbewegung, die sich diesen Zusammenhang unter dem Begriff der »Solidarität« zueigen und zum Ansatzpunkt für ihr Gegen-Verhalten gegen die liberale Gouvernementalität machen. Dabei ist es wichtig zu sehen, dass seitens der Arbeiter, die ja die negativen Auswüchse moderner Ent-Gemeinschaftung vor allem zu tragen hatten, keineswegs eine Rückkehr zum Gemeinschaftlichen als »romantische« Lösung der mit der Moderne in Verbindung gebrachten Probleme angesehen wird. Vielmehr gilt es, gerade auch die gesellschaftlichen Gewinne zu nutzen, um so die Verheißung der Freiheit zu realisieren: »Erst in der Gemeinschaft [mit Andern hat jedes] Individuum die Mittel, seine Anlagen nach allen Seiten hin auszubilden; erst in der Gemeinschaft wird also die persönliche Freiheit möglich. In den bisherigen Surrogaten der Gemeinschaft, im Staat usw. existiert die persönliche Freiheit nur für die in den Verhältnissen der herrschenden Klassen entwickelten Individuen.« (Marx und Engels 1845–46/1969, S. 74) Der Marxismus ist, das zeigt sich in diesem Zitat deutlich, eindeutig Kind der Aufklärung. Wie keine andere Ideologie der Neuzeit hat er die Illusion gepflegt, man könne den Ballast der Geschichte abwerfen und die Menschheitsgeschichte neu beginnen, durch die Vernunft geregelt und nicht von Leidenschaften getrieben, als die eine große Assoziation aller Menschen.

41 | Dies gilt analog im Negativen: Die in »Volk« oder »Nation« verklumpte Gemeinschaft ist nicht prämodern, sondern ein Modernisierungseffekt (vgl. Vogl 1994, S. 17).

180 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

Bei den Arbeitern finden klar beide Aspekte Berücksichtigung – die durch den neuzeitlichen Rationalisierungsprozess entstehenden Verluste v.a. an Gemeinschaftlichkeit und Eingebettetsein, ebenso wie die Gewinne, welche die befreiende Wirkung der Aufklärung für den Einzelnen mit sich bringt. So wird der Aufklärungsprozess von den Arbeitern zwar sehr wohl von Anfang an als eine Bewegung fort von den traditionellen Institutionen und Denkformen und deren tragenden und stabilisierenden Wirkungen und die Zeit der Umbrüche damit als »negative« Epoche im Sinne Saint-Simons wahrgenommen. Aber diese Negativität bedeutet genauso auch die explizite emanzipatorische Abwendung von gerade dem bindenden und damit auch einengenden Status traditioneller Formen. Denn insofern als die entstehende Arbeiterbewegung durchaus in den liberalen Werten aus dem Geist der Aufklärung wurzelt und, wie gezeigt, auf die Freiheit des Individuums Bezug nimmt, kritisiert sie die Scheinheiligkeit einer Ordnung, die, anstatt Autonomie und Selbstorganisation freizusetzen, die Menschen von der Leitung ihrer eigenen Angelegenheiten ausschließt und sie der Herrschaft instrumenteller Rationalitäten unterwirft. Die Eröffnung der Frage der Gemeinschaft durch die Arbeiter steht hier letztlich für die (Neu-)Eröffnung des grundlegenden Konflikts über die Ordnung als solche und der Debatte über Fragen gemeinschaftlicher Existenz überhaupt. Die Frage der Gemeinschaft ist insofern unmittelbar politisch: Nur durch die Eröffnung der Frage der Gemeinschaft öffnet sich der Diskurs um die Macht als solche und die Möglichkeit, deren liberale Ausformung in Frage zu stellen. Denn der Diskurs um Gemeinschaft enthält letztlich bereits die Forderung nach einer anderen Politik, weil er darauf drängt, Fragen, die das Mitsein und Zusammenleben betreffen, überhaupt erst wieder als offene Fragen erkennbar werden zu lassen. Der Gemeinschaftsdiskurs half in diesem Sinn den Arbeitern, elementare soziale Fragen als offene zu begreifen und einem in der herrschenden Rationalität fest verankerten Zugriff zu entreißen. Und dies ist der Grund, warum der Diskurs um die Gemeinschaft zugleich der Ankerpunkt für das Gegen-Verhalten der Arbeiter bzw. der Arbeiterbewegung ist: Die wirkliche politische Frage nach Gemeinschaft scheint nur in dem Moment auf, in dem die Ordnung und die gemeinschaftliche Existenz selbst und grundlegend zur Debatte stehen. Damit ist das Politische nicht mehr auf die institutionellen Realitäten, die Organisation der Gesellschaft und den Staat beschränkt, sondern »ein Ort, an dem eine Gesellschaft auf sich selbst einwirkt und ihre Geschichte und die autonomen Gestalten ihres Zusammenlebens selber hervortreibt.«42

42 | Vogl 1994, S. 21. Vgl. zur Rückgewinnung des Politischen durch die Gemeinschaft auch Nancys Behandlung der Gemeinschaft, wo es ihm darum ging, Gemeinschaft als politische

5. PROLETARISCHES GEGEN-VERHALTEN | 181

Institutionalisierte Gemeinschaft Dass dieses Aufwerfen der politischen Frage der Gemeinschaft tatsächlich den Kern der liberalen Rationalität treffen konnte, zeigt sich in der Konkretisierung dieser Frage in den sich entwickelnden Vergemeinschaftungen der Arbeiter. In der Tat eröffnet sich das aus dem solidarischen Gedanken hervorgehende gemeinschaftliche Gegen-Verhalten in spezifischen Entwürfen des Zusammenlebens, die sich einerseits in eigenen sozialen Selbstbildern, eigenen kulturellen Werte, eigenen Lebensmodellen in einer Arbeiterall-tagskultur manifestieren, andererseits aber auch zu einem politisch-organisatorischen Gegenprogramm der Arbeiterbewegungskultur führten. (Vgl. Kaschuba 1990, S. 23) Beides zusammen zeigt aber auch schon Anfänge einer »proletarischen« Institutionalisierung und ist damit gewissermaßen die organisatorische Verlängerung und Verfestigung des oben beschriebenen »anarchischen« GegenVerhaltens. Es ist das große Leitmotiv der »Solidarität«, unter dem das revolutionäre sozialistische Modell entsteht, das sich selbst als Gegenentwurf zu Liberalismus und Kapitalismus aufwirft und mit Marx/Engels dann die Herrschaft des Proletariats als Ziel setzt. Im – ökonomisch und politisch – rückständigen Deutschland gab es dabei lange keine sozialistische oder kommunistische Linke, und auch die radikale Opposition gegen die Reaktion und den Fürstenabsolutismus 1848 war kaum mehr als ein amorphes Konglomerat aus Linken, Demokraten und Jakobinern. Wie auch das Kommunistische Manifest betonte, hatten die Kommunisten im vom Handeln einer umfassenden staatlichen Verwaltung beherrschten Deutschland (anders als in Frankreich oder England) kaum eine andere Wahl als zusammen mit den Unternehmern, der Bourgeoisie, gegen die absolute Monarchie und den Feudalismus anzugehen. Entsprechend formt sich in Deutschland nur sehr langsam der feste Zusammenhang von sozialem Lagebewusstsein, politischer Weltanschauung und sozialkultureller Praxis, und damit jene marxistisch und sozialistisch geprägten Vorstellungen und Ausdrucksformen von »Klassenbewusstsein«, von »Arbeiterpolitik« und von »Arbeiterkultur«, die gemeinhin als die Rationalität der Arbeiterbewegung bestimmt wird, hier aber als nachgeordnet erscheinen muss. So entwickelt sich damit zwar ein Modell politischer und kultureller Praxis, das eine »Kultur der Bewegung« verkörpert, und zweifellos ist diese Entwicklung öffentlicher Selbstdarstellungsformen und offensiver Artikulationsmuster der Unterschichten eines der auffälligsten Merkmale der Arbeiterbewe-

Forderung angesichts der Hegemonie eines ökonomisch verengten neoliberalen Politikmodells wieder ernst zu nehmen: Nancy 1988 sowie überblickshaft auch Rosa u. a. 2010.

182 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

gung,43 so dass es scheinen mag, die traditionalen Protestformen und Mikrokämpfe hätten einen erheblichen Teil ihrer früheren Bedeutung verloren zugunsten einer Interessenpolitik, die mehr und mehr durch Verbände, Gewerkschaften und Parteien organisiert wurde44 und sich damit von dem ursprünglichen Gegen-Verhalten entfernt. Jedoch lassen sich auch in diesen »organisierten« großen Protesten deutlich Merkmale der oben beschriebenen Mikrokämpfe erkennen, die geprägt sind von Spontanität, Anarchie und Unmittelbarkeit.45 Die vor allem im Vormärz und während der Revolution entwickelten Formen der Straßenaktion und -öffentlichkeit bleiben als »Politik der Straße« in der Arbeiterkultur neben der gewerkschaftlichen Organisation und dem sozialdemokratischen Parteileben bestehen; immer wieder findet sich eine Eigendynamik aus Protest und spontaner Bewegung, die sich der Kontrolle der Gewerkschaften und der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung entzieht. (Vgl. Engelhardt 1979 sowie Kaschuba 1990, 125f.) Trotz der anarchischen Elemente dieser Proteste, tobte hier aber kein blindwütiger »Mob«, sondern in ihnen handelten, so hat Thompson herausgearbeitet,46 erkennbare Sozialgruppen, die versuchten, durch kollektive Druckmittel – auch Gewalt – konkrete Forderungen durchzusetzen. So zeigt sich ein Politikverständnis, das nicht auf Institutionalisierung oder bloße Verrechtlichung zielte, sondern auf über die Vernutzung als Produktivkraft hinausweisende Praktiken der Mitgestaltung des lokalen Lebens. Deshalb bot es auch Bevölkerungsgruppen wie den Unterschichten und den Frauen, die von der institutionalisierten Politik noch weitgehend oder völlig ausgeschlossen waren, Chancen zur Mitarbeit. (Vgl. Honegger und Heintz 1981; Thomis und Grimmet 1982; Lipp 1986; Hauch 1990.)

43 | In welchem Ausmaß die zahlreichen kollektiven Sozialproteste, die sich in den europäischen Staaten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ereigneten, zur Formierung einer politisch und gewerkschaftlich handlungsfähigen Arbeiterklasse beigetragen haben, ist in der Forschung umstritten. (Vgl. Kocka 1983 oder Kocka 1990 sowie international grundlegend für die Debatte Thompson 1980d). 44 | So etwa Rude 1977, S. 217; Thomis und Holt 1977, S. 115; Tenfelde 1986, S. 673; Herzig 1988; Reinalter 1986; Tilly 1974. 45 | Dies haben auch die den grundlegenden Studien von Hobsbawm (Hobsbawm 1962; Hobsbawm und Rude 1969), Rude (Rude 1977; Hobsbawm und Rude 1969) und Thompson (Thompson 1963; Thompson 1980d) dargelegt. 46 | Thompson zufolge liegt den Forderungen der Arbeiter allerdings ein Gesellschaftsmodell zugrunde, das dem Ideal einer lokalen oder regionalen Kleinproduzenten-Autarkie folgt, was aber angesichts der oben dargestellten dezidiert gesellschaftlichen Aspekte (im Sinne Tönnies) als unzureichend erscheinen muss. (Vgl. Langewiesche 2007, 145f.)

5. PROLETARISCHES GEGEN-VERHALTEN | 183

Damit entspricht die Geschichte der sozialen Protestbewegungen des 19. Jahrhunderts einer Entwicklung, die an der prinzipiellen Gestaltbarkeit von Gesellschaft ansetzt und die sich auf ein künftiges Modell von »Arbeiterschaft« hin orientiert, bei dem neben der Ausrichtung an einer kollektiven Moral und der Idee der Versöhnung von Arbeit und Leben stets auch der Fortschritt der Gesellschaft seine Bedeutung behält. Den historisch wie systematisch entscheidenden Schritt über den Vor- und Frühindustrialismus hinaus bildet dabei, das sei noch einmal betont, die Akzeptanz der sozialen Kontingenz und damit der Beginn der Loslösung von der Realienbindung und die Bewusstwerdung des konstruktiven Charakters von Gesellschaft.

5.4 DAS S CHEITERN

DES

L IBERALISMUS

Wenn man die Mikrokämpfe gegen die Disziplinierungsversuche einerseits und das offensichtliche Arbeitsethos und die solidarischen Praktiken im unmittelbaren gruppenförmigen Arbeitsbezug andererseits betrachtet, so erscheint dies als ein eher paradoxes Verhalten der Arbeiter. Dieses Paradox löst sich, so wurde gezeigt, jedoch in dem Moment auf, wo man es vor dem Hintergrund dessen betrachtet, was hier als Kern des Gegen-Verhaltens gegen die liberale Subjektivierung präsentiert werden soll: einem Verständnis von Arbeit, das diese als mehr als nur als im Dienst der Produktivität stehende Technologie ansieht und generell über die Orientierung an Produktivität und ökonomisch bestimmter Rationalität, wie es die neuzeitliche Gouvernementalität nahelegt, hinausweist. Die Mikrokämpfe machen deutlich, dass die vom Liberalismus proklamierte Freiheit keine wirkliche Befreiung ist, sondern lediglich die durch Moralisierung und Disziplinierung dem Subjekt eingepflanzte »Freiheit« zur ökonomisch verwertbaren Leistungserbringung ist. Die vom Liberalismus deklarierte Freiheit von (personaler) Herrschaft ist allein noch keine Befreiung, denn hierzu ist immer auch eine Freiheit zu einem Handeln nötig, und genau daran mangelt es den Arbeitern. In Solidarität und gruppenbezogenem, und damit freiwillig erbrachtem Arbeitsethos gemeinsam gestalteten Handelns öffnen sich dagegen wieder der durch den Liberalismus auf die Produktivität zugespitzte Kontingenzraum und es manifestiert sich das Prinzip einer Freiheit, die mehr ist als der Austausch reziproker Interessen, und in dem Arbeit nicht als Arbeitsteilung, sondern als Prinzip gemeinsamen Handelns und Gestaltens erfahren wird. Wenn dergestalt die diversen Praktiken der Solidarität als widerstandsförmig zur liberalen Subjektivierung dargestellt wurden, so geschieht dies aus einem ganz bestimmten, einem genealogischen, Subjektverständnis heraus. In diesem findet sich klar die auch von Foucault häufig betonte Doppelbedeutung des französischen Aus-

184 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

drucks der »subjectivation«, zugleich nämlich »Subjektwerdung« und »Unterwerfung« zu beinhalten: Zu »Subjekten« werden Menschen nur insofern sie einem Sozialgefüge und gegebenen (und natürlich auch machtgeleiteten) Handlungsregeln unterworfen werden, durch das sie umgekehrt aber auch erst die Möglichkeit erhalten, sinnhaft Wünsche und Ziele zu formulieren: »Das Subjekt ›erfindet‹ sich vielmehr ausgehend von und in Auseinandersetzung mit den an es herangetragenen Selbstdeutungs- wie Selbstmodellierungsvorgaben je nach Kontext in ganz unterschiedlicher Weise.« (Bröckling 2007, S. 35) Und die durch die Praxis der Solidarität eröffnete Subjekt-Konstituierung ist eine ganz andere als die liberale, auch wenn sie natürlich nach wie vor innerhalb einer bestimmten (nur eben anderen als der liberalen) Rationalität stattfindet. Diese besitzt wie jede andere Subjektivierung auch ein Stück Zwang, denn: »Eine moralische Handlung strebt ihrer eigenen Erfüllung entgegen – aber dadurch zielt sie auch auf die Konstitution eines moralischen Lebenswandels, der das Individuum nicht bloß zu Handlungen führt, die Werten und Regeln immer entsprechen, sondern zu einer gewissen Seinsweise, die für das Moralsubjekt charakteristisch ist.« (Foucault 1984/1986, 39f.)

Jede moralische Handlung »impliziert« also auch »ein bestimmtes Verhältnis zu sich«; es gibt »keine moralische Lebensführung, die nicht die Konstitution als Moralsubjekt erfordert; und keine Konstitution des Moralsubjekts ohne ›Subjektivierungsweisen‹ [. . . ], die sie stützen« (ebd.).47 Diese Um-Subjektivierung zeigt aber auch auf, dass eine gegebene Subjektivierung nicht unabänderlich ist, Menschen mehr als »widerstandslos gestaltbare und manipulierbare Wesen« (Honneth 1985, S. 221) sind, und kein bloßer Machtfunktionalismus gegeben ist, vielmehr diese Subjektivierung in einer immensen Art und Weise veränderbar, ja in ihr Gegenteil verkehrbar ist – das Subjekt ist eben mehr als »ein bloßes Manipulationsfeld von Machttechniken« (Honneth 1988, 138f.). Ganz offensichtlich geht das Subjekt nicht in der Macht auf und es kann sich ein Fluchtweg aufzeigen. So auch Butler: »Das Subjekt ist niemals vollständig konstituiert, sondern wird immer wieder neu unterworfen (subjected) und produziert. Dieses Subjekt ist also weder ein Ursprung noch ein bloßes Produkt, sondern die stets vorhandene Möglichkeit eines bestimmten Prozesses der Umdeutung

47 | »Moral« wird hier rein deskriptiv verwendet und nimmt in keiner Weise Bezug auf Fragen der Quelle oder der Geltung der Moral. Als »moralisch« gilt in dieser Perspektive alles, was für ein gegebenes Subjekt in der Form des verbindlichen Gebots auftritt. (Vgl. Saar 2007, S. 257)

5. PROLETARISCHES GEGEN-VERHALTEN | 185

(resignifying process), der zwar durch andere Machtmechanismen umgeleitet oder abgebrochen werden kann, jedoch stets die der Macht eignende Möglichkeit selbst darstellt, umgearbeitet zu werden.« (Butler 1993, S. 45).

Dabei sei an dieser Stelle noch einmal betont, dass es sich bei der hier formulierten »Befreiung« von der liberalen Subjektivität nicht um eine individuelle Angelegenheit handelte, sondern gerade die Verbindung zwischen den beiden Polen des Subjektiven und des Sozialen sind hier zentral: Diese Verbindung ergibt sich daraus, dass die Subjekte in ihrer Subjektiviertheit von der konkreten Verfasstheit der strukturierenden Ordnung abhängen; die Strukturierungs- und Subjektivierungsleistung hängt vom gemeinsamen, geteilten Raum der Gesellschaft ab. Politisch sind in einer solchen Perspektive, wie Saar aufzeigt (Saar 2007, 334ff.), dann nicht nur bestimmte Phänomene oder Verfahren, sondern alle Prozesse, die im Raum der möglichen Strukturierungen und Führungen des Subjekts stattfinden und die das Subjekt, so wie es in diesem Raum erscheint, auf eine bestimmte Weise konstruieren und konstituieren. Denn die Art und Weise, wie die Subjekte leben können, hängt nicht nur von Rechten und Gesetzen ab, sondern auch von den Erziehungspraktiken, der Wissensvermittlung und den Tradierungstechniken, von Wahrnehmungsschemata, der Art der Diskurse, Verhaltensregulationen, Körper- und Reproduktionspraktiken, von Vor- und Selbstbildern, Traditionen, Gewohnheiten, Habitus und Rollenverständnissen usw. Alle diese in einem weiten Sinn »politischen« Arrangements haben mehr oder weniger tiefgreifende Effekte auf die möglichen Weisen zu sein und damit auf die gegenwärtigen Formen von Subjektivität. Und hier manifestierten sich bei den Arbeitern und der von diesen gebildeten Arbeiterbewegung signifikant andere Techniken und Praktiken als die der liberalen Rationalität, die in den Liberalismus nicht integriert werden können und sich, verstärkt durch die Problematik des Pauperismus, zunehmend als ein Problem erweisen. Der gesellschaftliche Fortschritt, die Ökonomie der Regierungskunst, und damit die liberale Gouvernementalität wird seitens der Bewegung der Arbeiter in einer Weise zur Disposition gestellt, die ein Fortfahren nicht mehr möglich macht – eine Aporie, die letzten Endes dazu führt, dass der klassische, um das Individuum und seine Freiheitsrechte zentrierte Liberalismus gegen Ausgang des 19. Jahrhunderts als Programm einer Regierungspraxis scheitert. (Vgl. a. Lemke 1997, S. 195) Zugleich aber darf nicht übersehen werden, wie anhand der Entwicklungen im Genossenschaftswesen und in den verschiedenen Konkretisierungen von Gemeinschaft gezeigt wurde, dass auch das Gegen-Verhalten der Arbeiter nicht zu einer in diesem Sinn ausgestalteten »Rationalität der Arbeiterbewegung« geführt hat. Vielmehr wurden in diesem

186 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

Gegen-Verhalten angelegte Praktiken der Freiheit zunehmend unterlaufen und in andere Bahnen gelenkt.48 Nach der Zäsur durch den Nationalsozialismus, auf den hier nicht näher eingegangen werden kann, beginnt, so wird im nächsten Kapitel gezeigt, die Transformation zu einer ganz neuen Rationalität, die auf Elemente des Gegen-Verhaltens der Arbeiter und der Arbeiterbewegung rekurriert, diese jedoch produktiv hinterlegt und so auch dauerhaft zu neuen Machttechnologien entwickelt. Dieser Wandel ist unter verschiedenen Aspekten untersucht worden: als Tendenz einer zunehmenden Verrechtlichung sozialer Beziehungen, als ökonomisches Phänomen oder als Sieg der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen. Die Eigenart der hier in enger Anlehnung an François Ewalds Studie Der Vorsorgestaat vorgestellten Analyse besteht darin, dass sie diese Erklärungsvarianten zugunsten einer genealogischen Untersuchung zurückstellt und sich auf die Analyse von »politischen Rationalitäten« konzentriert. Ihr Ausgangspunkt ist die Annahme, dass die historischen Veränderungen zum Sozialstaat nicht von einer – auf, so meine sich anschließende These, der Kritik und Rationalität der Arbeiterbewegung aufbauenden – Objektivierung von Gesellschaft zu trennen sind, die in der Rationalität der Arbeiter ihre Grundlage hat, die sich aber auch von der dortigen solidarisch-kollektiven Ausrichtung unterscheidet, ebenso wie von der frühliberalen Vorstellung einer »bürgerlichen Gesellschaft«: (Vgl. Lemke 1997, S. 196) Aus der Verbindung der liberalen Rationalität mit der Kritik der Arbeiter und der Arbeiterbewegung ist, zugespitzt formuliert, eine neue Rationalität hervorgegangen, welche als prägende Rationalität gerade Deutschlands in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einerseits die Kontrastfolie für die neoliberalen Politiken darstellte, andererseits aber auch jene Rationalität war, in der die Bewegung der Arbeiter den Weg vom Gegen-Verhalten zum vollständig von der herrschenden Rationalität okkupierten Kollektivsubjekt vollzog.

48 | Dabei darf nicht vergessen werden, dass notwendigerweise jede Konkretisierung sich auf Solidarität gründenden Mitseins Ausdruck einer verwirklichten neuen Hegemonie ist. Denn, so könnte man mit Ernesto Laclau argumentieren, die radikale Kontingenz gesellschaftlicher Selbstkonstituierung muss an einem Punkt stillgelegt oder zumindest verdeckt werden, was die Einheit der Gesellschaft zur Darstellung bringt: »The social is not only the infinite play of differences. It is also the attempt to limit that play, to domesticate infinitude, to embrace it within the finitude of an order.« (Laclau 1990, S. 91) Und wodurch diese Domestizierung stattfindet, ist eben, so auch Laclau, kontingent und letztlich eine Frage der Hegemonie, das heißt auch eine Frage der Macht.

6. Der Sozialstaat als »zwischen-liberaler« Bereich: Die Rationalität der Gesellschaft

In der Folge der im vorigen Kapitel beschriebenen Kritik und des Gegen-Verhaltens der Arbeiter bzw. der Arbeiterbewegung gegen den Liberalismus erfährt dieser eine ganz wesentliche Modifikation hin zu etwas, das man vielleicht am besten als »Rationalität der Gesellschaft« umschreiben kann, insofern als die Orientierung an der Gesellschaft das entscheidende neue Moment innerhalb dieser neuen Regierungslogik ist. Ihre politische Verkörperung findet diese Rationalität im Sozialstaat, also einer Regierungsform, in der staatliche Einrichtungen und Steuerungsmaßnahmen Risiken und soziale Folgewirkungen des auf Produktivität ausgerichteten Zusammenlebens regulieren.1 In diesem wird, so die zentrale These dieses Kapitels, durch eine letztlich aus dem – vom Solidarischen abstrahierten – Versicherungsgedanken hervorgehende Objektivierung des Sozialen die Gesellschaft als Ideologie-freier Ankerpunkt des Regierungshandelns gesetzt, wodurch jegliche Kritik an der Gesellschaft und damit an der Regierungsrationalität als Kritik an sich selbst erscheinen muss, also nicht mehr Gegen-Verhalten im bisherigen Sinn sein kann. Diese Rationalität der Gesellschaft ersetzt nicht nur den Individualismus und das Laissez-Faire des Liberalismus, sondern auch das Solidaritätsprinzip der Arbeiter

1 | Hier wird explizit von »Sozialstaat« anstelle von »Wohlfahrtsstaat« gesprochen, da Letzterer eine unmittelbare Beziehung zwischen einem wohltätigen Staat und den passiv seine Gaben entgegennehmenden Empfängern impliziert. (Vgl. Castel 2008, S. 237 sowie zum Sozialstaat bzw. zur Sozialpolitik allgemein etwa Lessenich 2012b, Hockerts 2011, Hentschel 1983, Kaufmann 2003) Ebenso erscheint der im Foucaultschen Umfeld in Anlehnung an François Ewalds gleichnamiges Buch (Ewald 1993) häufig genutzte Begriff »Vorsorgestaat« als ungeeignet, da i.F. weniger die Perspektive auf den Prozess einer Sozialisierung industriegesellschaftlicher Risiken gerichtet ist als auf eben die gesellschaftliche bzw. soziale Perspektive.

188 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

bzw. der Arbeiterbewegung, das nun nicht mehr Emanzipationsbegriff und der Engführung auf Rationalität und Produktivität entgegengestelltes Mittel zur Realisierung positiver Freiheit zu ist, sondern stattdessen selbst als Produktivität herstellende Technologie firmiert. In diesem Sinn sind die in diesem Kapitel beschriebenen Rationalitäten auch weder Schutzschild des Kapitals und der kapitalistischen Arbeitsorganisation, also eine avancierte liberale Rationalität, noch die Verwirklichung der sich mit der Praxis der Freiheit abzeichnenden Rationalität der Arbeiter, sondern eine neuartige Regierungsrationalität mit eigenen Machttechnologien und Subjektivierungsmechanismen, die weiterhin auf die produktive Verwertung der Individuen abzielt. Diese Interpretation des Sozialstaats als Rationalität der Gesellschaft bezieht entscheidende Impulse aus François Ewalds Studie Der Vorsorgestaat (Ewald 1993), betont jedoch weit stärker die mit dieser Rationalität ebenfalls verknüpften subjektivierenden Elemente und kann daher auch klar aufzeigen, dass es sich dabei nicht einfach, wie von Ewald betont, um einen Aspekt der liberalen Regierungstechnologie, sondern tatsächlich um einen Bruch mit dieser, und damit um eine eigene Regierungstechnologie handelt. Als »zwischen-liberaler Bereich« zwischen Liberalismus und Neoliberalismus liegt die »Rationalität der Gesellschaft« jedoch nicht im Fokus dieser Arbeit, so dass lediglich komprimiert auf sozialstaatliche Technologien und Implikationen eingegangen wird.

6.1 D IE E NTSTEHUNG DER R ATIONALITÄT DER G ESELLSCHAFT AUS DEM V ERSICHERUNGSWESEN Das praktische Modell für die Umsetzung der Rationalität der Gesellschaft, ihre Anwendung wie auch das Mittel, sie an den einzelnen heranzutragen, ist, wie in diesem Abschnitt dargelegt werden soll, die Versicherung – verstanden nicht nur als »Praxis der Entschädigung oder Ersatzleistung«, sondern als »Praxis eines bestimmten Rationalitätstyps, der durch den Wahrscheinlichkeitskalkül formalisiert wird« (Ewald 1993, S. 211) und der moderne Gesellschaften seit Anfang des 20. Jahrhunderts weit über den engeren Bereich wohlfahrtsstaatlicher Sozialpolitik hinaus prägt und gestaltet. Dieses Versicherungswesen vermag, wie im Folgenden gezeigt wird, in einzigartiger Weise das Prinzip der Gegenseitigkeit und so das Gegen-Verhalten der Arbeiterbewegung mit dem Prinzip der Produktivität zu verbinden. Die Vorläufer der Versicherungswesens reichen zurück ins 14. Jahrhundert, wo sich die Grenzen der mittelalterlich-religiösen Kontingenz öffneten, damit auch das Meer nicht mehr so sehr als natürliche Begrenzung, sondern als Chance für die Mehrung von Reichtum erfahren wurde, und mit der Assekuranz für Seetransporte die

6. DIE RATIONALITÄT DER GESELLSCHAFT | 189

mit der Beschiffung dieser Meere verbundenen Unsicherheiten ökonomisch zu kompensieren gesucht wurden. Als dann mit dem Liberalismus das Streben nach Reichtum und Nutzen von Chancen sich immer breiter verankerte, damit andererseits aber auch die die Produktivität hemmenden Risiken sich ausweiteten sowie gleichzeitig die Arbeiter bzw. die Arbeiterbewegung den Gedanken der Solidarität zum Prinzip gemeinsamen Handelns erhob, fand auch das Versicherungswesen breitere Verankerung. Aber erst in dem Moment, wo im Sozialstaat das Versicherungswesen sich mit der Gesellschaft selbst verband, wurde es zur zentralen Machttechnologie.2 Als solche hat es die Solidarität der Arbeiterbewegung aufgegriffen und so modifiziert, dass sie in der Prämisse der Produktivität aufgeht und diese befördert. 6.1.1 Soziales Übel und Gesellschaft Das grundlegende Phänomen, anhand dessen sich die mit dem Versicherungswesen geschaffene neue Rationalität festmachen lässt, ist, wie Ewald gezeigt hat, der Umgang mit dem Unfall. Unfälle hat es immer gegeben; jedoch wird der Unfall erst im 19. Jahrhundert, als sich die Frage der Arbeitsunfälle verschärft hatte und mit dem aufkommenden Pauperismus in Verbindung gebracht worden war, als ein nicht mehr nur individuelles und mit individuellem Verschulden in Verbindung stehendes, sondern als soziales Problem betrachtet, das nach entsprechenden sozialen Maßnahmen verlangt. (Vgl. Ewald 1993, 16f.) In der Sichtweise des Liberalismus war der Unfall, so Ewald, eine nicht mehr weiter reduzierbare, der Beziehung zwischen Mensch und Natur innewohnende Realität. Dabei wurden dem Unfall zwei große Funktionen zugeschrieben: Erstens zeigt der Unfall die Gleichheit vor dem Schicksal auf, und erst im individuellen Umgang mit dieser Bedrohung bzw. dem sich dem eigenen Willen entziehenden Schicksal offenbart sich die Ungleichheit. Aus dieser Perspektive heraus erweist sich der Unfall, zweitens, als Wegbereiter sowohl der individuellen Vervollkommnung als auch des sozialen Fortschritts: »Der Unfall entschuldigt nicht. Er begründet keinerlei Recht auf Unterstützung. Er ist im Gegenteil die Eventualität, mit der stets zu rechnen ist, er ist das, wogegen man Vorkehrungen treffen, wovor man sich schützen muß.« (Ebd., S. 27) Folglich ist der Unfall als Verkörperung des Übels auch nichts, das endgültig beseitigt werden sollte: »Es ist durchaus heilsam, daß es in der Gesellschaft Abgründe gibt, in die sich schlecht verhaltende Familien abzustürzen Gefahr laufen und aus denen sie sich nur durch Wohlverhalten wieder befreien können.« (Ebd., S. 104) Denn

2 | Vgl. Ewald 1993, S. 211, Makropoulos 1997, S. 70 sowie zur Entstehung des Versicherungswesens allgemein Conze 1994, 848f.

190 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

das Übel ist Bestandteil der (liberalen) Ordnung und auch Bedingung der Freiheit (vgl. a. Abschnitt 4.4.2). Will man nicht Gefahr laufen, die Freiheit zu opfern, darf der Unfall daher nicht isoliert als solcher bekämpft werden. Mit der Industrialisierung jedoch beginnt der Unfall ein anderes Gesicht anzunehmen – in Form der Arbeitsunfälle, die aufgrund der Industrialisierung und des zunehmenden Einsatzes von Maschinen in geradezu extremer und gesellschaftsgefährdender Weise zugenommen haben. Der Unfall zeichnet sich nun durch zwei andere Charakteristika aus: •



Seine Objektivität: Der moderne Unfall gehorcht den Gesetzen der Statistik und ist damit vorhersehbar, versicherbar, berechenbar. Die Unfallrate hängt zudem explizit nicht mehr vom Arbeiter als Individuum ab; vielmehr hat der moderne Unfall eine »eigentümliche Objektivität« (ebd., S. 18). Er ist ein Produkt des Lebens in der Gesellschaft: Der moderne Unfall resultiert »weniger aus der individuellen Zwiesprache des Menschen mit den Dingen als aus seinen ineinander verschachtelten, vielfältigen Beziehungen zu anderen Menschen« (ebd.). Der moderne Unfall ist damit also Ergebnis der Massengesellschaft und des engen Zusammenlebens der Menschen.

Der moderne Unfall steht, das zeigt sich hier, mit einem Objektivitätstyp in Zusammenhang, der damals völlig neu war: Er verweist nicht auf die Natur, nicht auf Gott oder auf die Vorsehung, aber auch nicht auf das Verschulden einzelner, sondern er entsteht aus dem normalen, regulären Zusammenspiel und verweist damit unmittelbar auf die Gesellschaft – »er hat die Objektivität des ›Sozialen‹« (ebd., S. 19). Dieses »soziale Übel« ist damit der unvermeidliche Preis des Wohlstands und Fortschritts, so dass es darum gehen muss, Zahl und Intensität von Unfällen auf ein Minimum zu verringern und die resultierenden Schäden so zu verteilen, dass der Produktivität möglichst wenig Abbruch getan ist. Zentral für diese Objektivierung ist der Begriff des »Risikos«, der in dem von Ewald vertretenen Verständnis weniger mit den Begriffen der Gefahr und Bedrohung verknüpft ist, als mit denen der Chance, des Zufalls, der Wahrscheinlichkeit auf der einen, und denen des Verlusts oder Schadens auf der anderen Seite, wobei am Schnittpunkt beider Seiten der Begriff des Unfalls angesiedelt ist: »An sich ist nichts ein Risiko, es gibt kein Risiko in der Realität. Umgekehrt kann alles ein Risiko sein, alles hängt ab von der Art und Weise, in der man die Gefahr analysiert, das Ereignis betrachtet.« (Ebd., S. 210)3 Diese Akzentverlagerung von der – konkre-

3 | Im Gegensatz zu der von historisch argumentierenden Soziologen vertretenen These, die weite Verbreitung der Risikoterminologie sei eine Folge der Veränderungen in den gegenwär-

6. DIE RATIONALITÄT DER GESELLSCHAFT | 191

ten – Gefährlichkeit zum – abstrakten – Risiko eröffnet zugleich in Bezug auf die soziale Steuerung, wie Makropoulos darlegt, eine Fokusverschiebung von der Handlungskontingenz konkreter, individueller Akteure zur sozialen Kontingenz der gesellschaftlichen Prozesse selbst. Denn in dem hier verwandten Sinn entstehen Risiken nicht aus einzelnen Handlungen individueller oder kollektiver Akteure, sondern »aus nicht vollständig kalkulierbaren Konstellationen mehrerer Handlungsvollzüge innerhalb der produktivistischen Gesamtdisposition moderner Gesellschaft.« (Makropoulos 1997, 67f.) Voraussetzung hierfür ist aber letztlich die Aufhebung der Bindung des Risikos an die Realien; es geht nicht um »reale«, Handlungssubjekten konkret zuschreibbare Gefahren, sondern um abstrakte, statistisch kalkulierte, letztlich konstruierte Risiken. Da sich das Übel also nicht so sehr in den Individuen selbst, sondern in ihren Beziehungen zueinander verbirgt, lässt es sich nicht dadurch bekämpfen, dass man den Individuen wie in der liberalen Logik geschehen individuell Schuld zuweist. Die »Gesellschaft« wird so notwendig als Quelle oder Subjekt jener Verpflichtungen gesetzt, die selbst sozial sind: »Niemand kann mehr den Anspruch erheben, allein gegen ein Übel zu kämpfen, dessen Existenz von anderen abhängig ist. Und ein jeder muss mit Blick auf sein eigenes Wohlergehen das respektieren und wollen, was die Gesellschaft als die Bedingungen des Wohles aller bezeichnet. Die Gesellschaft wird somit zur notwendigen Instanz der Vermittlung des Ich mit sich selbst, niemand kann mehr behaupten, von ihr unabhängig zu sein.« (Ewald 1993, S. 24)

Diese Argumentation ist, dass muss betont werden, eine ganz andere als die prinzipiell positiv dem Zusammenleben zugewandte Auffassung der Arbeiter bzw. der Arbeiterbewegung, wonach die gegenseitige Solidarität zentrales Element für Praktiken der Freiheit ist. Dementgegen ist aus Sicht der Versicherungstechnologien die Verbindung zum anderen, dessen Dasein und die möglichen Folgen hier das Übel. Jede Geste, jede Verhaltensweise, jede Aktivität des anderen kann in Mitleidenschaft ziehen und umgekehrt. Eine so wahrgenommene Beziehung zum anderen entspricht

tigen Lebens- und Existenzbedingungen der Menschen und ihrer Umwelt (so insb. Beck 1986) wird das Risiko hier also als Moment einer besonderen Denkweise interpretiert, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts entstand und ein neues Verständnis von und neue Formen der Einflussnahme auf Schicksalsschläge, eben in Kategorien des Risikos, nach sich zog. Vgl. zur Logik des Risikos auch den diesbezüglichen, von Manfred Max Wambach herausgegebenen Sammelband (Wambach 1983), insbesondere den Artikel von Robert Castel (Castel 1983), Rose 2000, S. 95 sowie zur engeren soziologischen Risikodiskussion Bonß 1991, 262ff.

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damit eher jener widerwärtigen Nachbarschaft, die in Sartres berühmter Formel aus Geschlossene Gesellschaft Widerhall fand, »Die Hölle, das sind die andern« (Sartre 1945/1991, S. 59), denn jener der Arbeiter als »Brüder«, die gemeinsam »zur Sonne, zur Freiheit« streben. Eine derartige Objektivierung des Übels schließt entsprechend sowohl das Einzelkämpfertum der bürgerlichen Vorsorgestrategie aus als auch die solidarische Praxis der Arbeiterbewegung. Der auf sich gestellte Mensch ist hier ebenso von Anfang an verloren wie eine simple Gemeinschaft. Das Heil des einzelnen Subjekts liegt vielmehr einzig und allein in einem mit allen anderen gemeinsam unternommenen Kampf; was es zu tun hat, wird ihm von objektiven Bedingungen – und nicht von einer tieferen Subjektivität und auch nicht aus einer Praxis der Solidarität heraus – vorgegeben. Und ganz in diesem Sinne entsteht das moderne Versicherungswesen auch aus einer Verbindung von Elementen der Unterstützungsvereine auf Gegenseitigkeit der Arbeiter mit den Hilfskassen der Unternehmer. 6.1.2 Die Politik der Versicherung Mit der Industrialisierung und der durch die Arbeit an Maschinen zunehmenden Zahl von niemandem direkt zuschreibbaren Unfällen hatten sich in der Tradition der auf gegenseitige Unterstützung aufbauenden Handwerkergilden innerhalb der Arbeiterbewegung mit den Unterstützungsvereinen auf Gegenseitigkeit (vgl. zu den Unterstützungsvereinen insb. Ewald 1993, S. 255, 340.) Institutionen entwickelt, die einerseits die Folgen dieser Unfälle ein Stück weit zu mildern in der Lage waren, die zugleich aber auch all das verkörperten, was die eigentlich widerständige Solidarität der Arbeiterbewegung aus Sicht des Liberalismus produktiv auszeichnete: die freiwillige Vereinigung, die die Menschen miteinander und auf ein gemeinsames Ziel hin verbindet, sie vor der eigenen Unbeständigkeit (und damit vor der drohenden Armut und Arbeitsunfähigkeit) schützt und sie dank einer kollektiven Moral motiviert, die Folgen des Fehlverhaltens eines der ihren mitzutragen, also gegenseitig füreinander einzustehen. Darin gingen diese Unterstützungsvereine auch über die ähnlich angelegten Hilfskassen der Unternehmer hinaus, die neben der rein praktischen Absicherung vor Unfällen und Schicksalsschlägen als Instrument der individuellen Moralisierung dienten4 , die Arbeiter weniger miteinander als mit dem Unternehmer verband

4 | Also nicht nur verletzten oder kranken Arbeitern Pensionen gewährten, sondern auch Schulen, den Lehrer und die Geistlichen finanzierten, welche die Ausbildung und Betriebsbindung des Arbeiterpersonals sichern und dafür sorgen sollten, dass die Unfälle zu einer betriebsinternen Angelegenheit wurden: Der Betrieb pflegte Kranke, zahlte Unterstützungen aus etc. –

6. DIE RATIONALITÄT DER GESELLSCHAFT | 193

und daher stets als Vehikel der Bevormundung und liberalen Moralisierung äußerlich blieben. Seitens der Unternehmer galt es in diesem Kontext lediglich sicherzustellen, dass die Unterstützungskassen der Arbeiter nicht zur Anstiftung von Unruhen oder Koalitionen dienten, dass ihre Bildung also nicht als Vorwand benutzt wurde, um künftige Widerstandskassen zu alimentieren. Darüber hinaus mussten sie stets imstande sein, ihre Versprechungen einzuhalten und dem Arbeiter eine wirkliche Rechtsgarantie zu geben. Zwei Bedingungen, die sich in der Praxis zu einem einzigen Erfordernis zusammenfassen lassen: die Unterstützungsvereine auf Gegenseitigkeit durften keine bloßen unregulierten (Handwerker-)Vereinigungen mehr sein, die sich um alle möglichen und auch kontra-produktiven Bedürfnisse des Arbeiters, wie z.B. das Abhalten von Festen, kümmern; sie müssen vielmehr ihren Tätigkeitsbereich rationalisieren, sie müssten also reformiert werden: »Nicht mehr in den Tag hinein leben, nicht mehr das überschüssige Geld am Jahresende oder zu Kirchweih in unnützen Banketten verpulvern; sie müssten lernen, die Risiken zu trennen, zwischen der Unterstützung im Krankheits- oder Verletzungsfall und dem sehr viel komplexeren Problem des Pensionsanspruchs zu unterscheiden, die Beitragszahlungen in ein angemessenes Verhältnis zu den von jedem Mitglied verkörperten Risiken zu bringen und schließlich die Zahl ihrer Mitglieder den technischen Erfordernissen jener Risiken anzupassen, deren Abdeckung sie anbieten, ohne dass eine allzu große Ausweitung das Prinzip der wechselseitigen Überwachung und der Verhinderung des unvermeidlichen Missbrauchs beeinträchtigt. Mit einem Wort, sie müssten zu wirklichen Unterstützungsvereinigungen auf Gegenseitigkeit werden.« (Ewald 1993, S. 256)

Diese Unterstützungsvereine sollten sowohl von den Arbeitern, als auch von Kommunen und Staat, aber auch von ehrenamtlichen Mitgliedern finanziert werden, so dass letztlich ein umfassendes System »der Assoziation und Solidarisierung der Armen mit den Reichen, der Arbeiter mit den Unternehmern und aller zusammen mit dem Staat« (ebd., S. 259), also eine die gesamte Bevölkerung umfassende Einrichtung entstünde. Hier wären auch die Arbeiter auf die Gesellschaft verpflichtet und auf eine Daseinsweise festgelegt, die sich dem ökonomischen Fortschritt, und damit natürlich auch der endgültigen Ausrottung von Armut verschrieb. Die beschriebenen Mikrokämpfe und alles Verhalten, das nicht rational auf Fortschritt und Prävention ausgelegt war, war damit als nicht mehr nur gegen eine andere Klasse gerichtetes Verhal-

unter der Bedingung, dass der Arbeiter sich im Sinn der Unternehmer verhielt und nicht etwa Rechtsmittel ergriff. (Vgl. Ewald 1993, S. 315)

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ten diskreditiert, sondern als Verhalten gegen die Gesellschaft, und damit gegen sich selbst. So sollte ein Denken der Gegenseitigkeit und der Vertraglichkeit entstehen, das zwischen Staat und Industrie einerseits und Staat und Arbeiter andererseits weniger eine Solidarität als eine Gemeinsamkeit der Interessen herstellte, die zum einen den Arbeitern die dauerhafte Ausrottung von Armut und zum anderen dem Land und der Gesellschaft insgesamt eine Garantie für Ordnung, Sicherheit und Produktivität bietet. Der in dieses System eingebundene Arbeiter steht diesem nicht mehr antagonistisch entgegen, sondern ist nun seinerseits an der Stärkung der Gesellschaft, an der Entwicklung des öffentlichen Wohlstands interessiert, wobei Revolutionen und Mikrokämpfe nur hinderlich sein können: »Sein Schicksal ist mit dem des Staates verknüpft.« (Ebd., S. 265) Dieses Versicherungssystem stellt nicht bestimmte antagonistische soziale Klassen, Arbeit und Kapital, einander gegenüber, sondern richtet sich »an das Kontinuum einer Bevölkerung, die sich nach Risiken unterscheidet, die durch Alter, Geschlecht, Beruf etc. bestimmt sind« (Lemke 1997, 212f.; siehe auch Abschnitt 6.2). Diesem Kontinuum bietet die Versicherung Schutz und Sicherheit und ermöglicht so, die traditionellen Formen der Arbeitersolidarität durch einen anonymen Mechanismus zu ersetzen. Die Versicherungstechnologie ist daher nicht der erste Schritt auf dem Weg zum Sozialismus (vgl. ebd., S. 213 sowie Ewald 1993, 207ff.), sondern, so hatte es auch Bismarck dargestellt, eine Waffe gegen den Sozialismus und Werkzeug der Einigung des Deutschen Reiches: »Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte« (Otto von Bismarck: Gesammelte Werke (Friedrichsruher Ausgabe) 1924/1935. Band 9, S.195/196, zit. nach Habermann 2013). Indem die Versicherung nun die Kosten der von ihr abgedeckten Schadensfälle verteilt, ermöglicht sie der Industrie nicht nur »wieder in den Schoß der Gesellschaft zurückzukehren« (Ewald 1993, 410f.), sondern macht sie zum Zentrum der Prosperität, zum Mittel der Stärkung des Staates, indem sie Ungewissheit und Zufall als versicherbare Risiken in den Kapitalkreislauf einfügt. Der erste Einsatz für dieses Versicherungswesen war der Schutz bei Arbeitsunfällen, wurde bald aber auf alle Arten von Unglücksfällen, wie Krankheit, Invalidität oder Brandschäden ausgedehnt, und letztlich auch auf den Ruhestand übertragen. Letzteres war damals nur durch den Staat zu bewältigen, da nur der Staat über die hierfür erforderlichen Ressourcen verfügte und auch der einzige war, der von den Arbeitern aller Professionen als allgemeiner Versicherer anerkannt wurde und weder Aktionäre zufriedenstellen noch Profit erzielen musste. (Vgl. ebd., S. 261, 400) Am 17. November 1881 schließlich sendet Kaiser Wilhelm I. auf Anraten des Reichskanzlers Otto von Bismarck zur Eröffnung des deutschen Reichstages folgen-

6. DIE RATIONALITÄT DER GESELLSCHAFT | 195

de Kaiserliche Botschaft, mit der die deutsche Sozialgesetzgebung in diesem Sinn eingeleitet wurde, und in deren Folge der Reichstag verschiedene Gesetze zur sozialen Sicherung beschloss: »Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc., thun kund und fügen hiermit zu wissen: [. . . ] Schon im Februar dieses Jahres haben Wir Unsere Ueberzeugung aussprechen lassen, daß die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein werde. Wir halten es für Unsere Kaiserliche Pflicht, dem Reichstage diese Aufgabe von neuem ans Herz zu legen, und würden Wir mit um so größerer Befriedigung auf alle Erfolge, mit denen Gott Unsere Regierung sichtlich gesegnet hat, zurückblicken, wenn es Uns gelänge, dereinst das Bewußtsein mitzunehmen, dem Vaterlande neue und dauernde Bürgschaften seines inneren Friedens und den Hilfsbedürftigen größere Sicherheit und Ergiebigkeit des Beistandes, auf den sie Anspruch haben, zu hinterlassen. In Unseren darauf gerichteten Bestrebungen sind Wir der Zustimmung aller verbündeten Regierungen gewiß und vertrauen auf die Unterstützung des Reichstages ohne Unterschied der Parteistellungen. In diesem Sinne wird zunächst der von den verbündeten Regierungen in der vorigen Session vorgelegte Entwurf eines Gesetzes über die Versicherung der Arbeiter gegen Betriebsunfälle mit Rücksicht auf die im Reichstag stattgehabten Verhandlungen über denselben einer Umarbeitung unterzogen, um die erneute Berathung desselben vorzubereiten. Ergänzend wird ihm eine Vorlage zur Seite treten, welche sich eine gleichmäßige Organisation des gewerblichen Krankenkassenwesens zur Aufgabe stellt. Aber auch diejenigen, welche durch Alter oder Invalidität erwerbsunfähig werden, haben der Gesammtheit gegenüber begründeten Anspruch auf ein höheres Maß staatlicher Fürsorge, als ihnen bisher hat zu Theil werden können. Für diese Fürsorge die rechten Mittel und Wege zu finden, ist eine schwierige, aber auch eine der höchsten Aufgaben jedes Gemeinwesens, welches auf den sittlichen Fundamenten des christlichen Volkslebens steht. Der engere Anschluß an die realen Kräfte dieses Volkslebens und das Zusammenfassen der letzteren in der Form korporativer Genossenschaften unter staatlichem Schutz und staatlicher Förderung werden, wie Wir hoffen, die Lösung auch von Aufgaben möglich machen, denen die Staatsgewalt allein in gleichem Umfange nicht gewachsen sein würde. [. . . ]« (Wilhelm II 1882, S. 1f.)

Am 29. Mai 1883 wird in Deutschland entsprechend das Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter verabschiedet (mit dem 1. Dezember 1884 in Kraft getreten), das den Arbeitnehmern freie medizinische Versorgung und vom dritten Tage an Tagegelder mindestens in Höhe des halben Lohns garantierte. Die Beiträge wurden je zur Hälfte vom Arbeitnehmer und vom Arbeitgeber aufgebracht. Am 6. Juli 1884 folgte das Unfallversicherungsgesetz, (am 1. Oktober 1885 in Kraft getreten), das allein von den Unternehmern getragen wurde und Unfallopfern zwei Drittel des

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bisherigen Arbeitslohns sicherte. Die Invaliditäts- und Altersversicherung, die 1889 Gesetz wurde, sah schließlich eine Altersrente für Arbeiter über 70 Jahre vor.5 Die Gültigkeit dieser Gesetze resultierte nicht aus irgendwelchen allgemeinen (»höheren«) Prinzipien, aus denen sie abgeleitet worden waren, sondern einzig und allein aus den angepeilten Zielen und der Art und Weise, wie diese erreicht werden sollten. Daher rührte auch der Erfolg dieser Gesetzgebung nicht daher, dass sie die Unfallzahlen gesenkt hätte, sondern aus ihrer inneren Funktionalität in Bezug auf die Gesellschaft: Unternehmer und Arbeiter waren zufrieden gestellt und der v.a. durch die Arbeitsunfälle ständig neu entfachte Gegensatz von Kapital und Arbeit gemildert. (Vgl. Ewald 1993, 405f.) Damit hatte man endlich die Grundlage einer individualistisch motivierten, »objektiven«, »rationalen« und auch auf Produktivität festgeschriebenen Sozialmoral gefunden: Die Verfolgung meines eigenen Wohls verpflichtet mich dazu, auch das Wohl der anderen zu wollen: »Weil wir alle einander Böses antun, sind wir dazu verpflichtet, einander Gutes zu tun. Kein Gott, nichts außerhalb eines jeden von uns ist mehr nötig, um uns dazu zu verpflichten, im eigenen Interesse das Wohl der anderen zu wollen.« (Ebd., S. 467) Die Versicherung geht folglich mit der Auflösung der Solidaritäten einerseits und der Ent-Autonomisierung des Individuums andererseits einher, denn sie bewirkt von sich aus eine Objektivierung des Verhältnisses zwischen dem Ganzen und seinen Teilen, zwischen Gesellschaft und Individuen. Der auf diesem Versicherungsprinzip aufbauende Wohlfahrtsstaat sorgt nicht so sehr für die notwendigen Korrektive zu den negativen Auswirkungen der Industrialisierung, als dass er der von den Arbeitern infrage gestellten liberalen Rationalität einen für ihre Weiterentwicklung geeigneten Raum eröffnet. Entsprechend hat es wenig Sinn, sich zu fragen, ob diese neue Rationalität den Interessen der Arbeiter oder denen der Unternehmer dient.6 Im Sinne einer an Produktivität orientierten Machttechnologie ist sie dazu gemacht, sowohl den einen als auch den andern zu nützen.

5 | Anfänglich erfassten diese Gesetze keineswegs alle Arbeiter, aber ihr Geltungsbereich und die Leistungen wurden im Laufe der Zeit erweitert. (Vgl. Schildt 1996, S. 22) 6 | So sind etwa für die traditionelle »linke« Konzeption all diese Erscheinungen nur »reformistisch«, weil sie die gesellschaftlich instituierte Macht nicht offen infragestellen und weil Letztere wohl oder übel mit ihnen leben kann. Doch zum einen kann die Macht keineswegs »wohl oder übel mit ihnen leben«, sondern sie hat sich, wie im folgenden Abschnitt noch einmal deutlich gemacht wird, in sich tief verändert, ist eine ganz andere Macht als zur Zeit des »klassischen« Liberalismus. Auch wenn die äußere Fassade der Herrschaft nicht in der finalen Revolution infrage gestellt wurde, so wurde durch das Tun der Arbeiterbewegung doch das Fundament der liberalen Gouvernementalität unterhöhlt, und damit auch die Herrschaft auf ei-

6. DIE RATIONALITÄT DER GESELLSCHAFT | 197

Die Verallgemeinerung des Prinzips der Versicherung hatte somit sowohl die Aufspaltung zwischen Staat und Gesellschaft, als auch die Spaltung in Bourgeoisie und Proletariat aufgehoben und zu einer »mit sich selbst versöhnten Gesellschaft« (ebd., S. 211) geführt. So verstanden ist die Versicherung weniger eine Technik der Entschädigung, als vielmehr die Praxis eines bestimmten neuen Rationalitätstyps – im Foucaultschen Sinne. Dies soll im Folgenden eingehender betrachtet werden.

6.2 D IE O BJEKTIVIERUNG

DER

G ESELLSCHAFT

Im liberalen Gedankengebäude war die Gesellschaft eine (freiwillige) Assoziation von Individuen, die immer auf diese Einzel-Subjekte zurückzuführen war: »Nicht die Gesellschaft, sondern die Individuen bilden den zentralen Referenzpunkt der liberalen Gouvernementalität.« (Lemke 1997, S. 196) Folglich bildet die bürgerliche Gesellschaft auch kein eigenes Subjekt, sondern ist ein bloßes Objekt, nichts anderes als eine bloße Summer ihrer Teile ohne eigene Realität und Qualität, die sich von jener der sie konstituierenden Einzel-Subjekte unterscheidet. (Vgl. Ewald 1993, S. 85 sowie zusammenfassend Lemke 1997, S. 196) Eine solche Gesellschaft ist weniger sozial als aus ökonomischen, moralischen, affektiven und sozialen Beziehungen bestehend, die im Laissez-faire des Marktes untergehen und letztlich zu einer binären, klassenförmigen Gesellschaft geführt hatten. Seitens der Arbeiter galt es, wie gezeigt, dieser atomisierten Freiheit von äußeren Beschränkungen eine Freiheit an die Seite zu stellen, die durch die Praktiken und Lebensformen einer Gesellschaft erst ermöglicht und hervorgebracht wird, und so zu verhindern, dass die ungezügelte und schrankenlose Selbstverwirklichung der Bourgeoisie das Freiheitsrecht der Arbeiterschaft zerstört; dem abstrakten liberalen Zugang zu einer individualisierten Gesellschaft hatten die Arbeiter mit dem Solidaritätsmodell eine Praxis entgegengesetzt, die gerade im Mitsein und gemeinsamen Arbeiten den Modus für eine möglichkeitsoffene Verwirklichung individueller Freiheit zu handeln ausmachte. In der Rationalität der Gesellschaft tritt mit dem Versicherungswesen nun ein ganz neues Verständnis von »Gesellschaft« an die Stelle der liberalen Aggregation von Individuen und des solidarischen Mitseins der Arbeiterbewegung. Die Gesellschaft des Sozialstaats baut vielmehr darauf auf, dass »Gesellschaft« eine eigene

ner viel tieferen Ebene infrage gestellt, nämlich auf der Ebene der Definition der Realität, das heißt dessen, was zählt und was wichtig ist. (Castoriadis 1998, S. 58)

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Dichte zugeschrieben werden kann und ein eigenständiges Objekt darstellt, das etwas anderes ist als die Summe der Einzelsubjekte und nicht mehr von ihnen abgeleitet werden kann, aber auch etwas anderes ist als die als Voraussetzung für die Konstituierung der Einzelsubjekte bestehende Gesellschaft der Arbeiter, der so eine eigene moralische Qualität zugeschrieben ist. Die Individuen führen, wie Lemke ausführt, in der Gesellschaft des Sozialstaats stattdessen gewissermaßen ein Doppelleben: einerseits als Individuen – mit der Illusion ihrer Freiheit –, und andererseits als Teile des Ganzen, dessen Gesetzen sie unterworfen sind. Es ist diese Zweiteilung, durch die es möglich wird, die Beziehung des Ganzen zu seinen Teilen, wie auch der Teile zu dem Ganzen nicht nur als stets einseitig determiniert oder bedingt anzunehmen,7 und damit auch die beiden Alternativen der revolutionären Brüderlichkeit wie der liberalen Wohltätigkeit zu umgehen. Stattdessen eröffnet sich in der Gesellschaft des Sozialstaats eine davon verschiedene eigene Rationalität, die das Individuum weder als der Gesellschaft nachgeordnet ansieht, noch es der Gesellschaft entgegenstellt: Diese Gesellschaft verfügt vielmehr über eine eigene Materialität, »deren Gesetzmäßigkeiten immer schon den Horizont Einzelner transzendieren, weil sie das Leben aller betreffen.« (Lemke 1997, S. 220) Das Ganze ist in diesem Sinn ebenso wie die Individuen als objektive Tatsache anzusehen; es gibt keinen Teil, der nicht Bestandteil dieses Ganzen ist, das ihn enthält und in dem er aufgeht, und keine Werte und keine menschlichen Eigenschaften, die nicht ein soziales Produkt, ein Ergebnis der Evolution über Generationen hinweg sind: »Der Mensch ist von sich aus nichts, er stellt nur das dar, was Generationen aus ihm gemacht haben und was die Umstände ihm aus sich selbst zu machen ermöglichten.« (Ewald 1993, S. 418) Der Mensch kann nun folglich nicht mehr durch seine Freiheit charakterisiert werden, genauso wenig wie er die Freiheit hat, losgelöst von der Gesellschaft oder gegen die Gesellschaft zu existieren. Folglich ist die Gesellschaft auch keine Einrichtung, die den Interessen einzelner dient, sondern eben ein funktionaler Mechanismus, welcher der Gesamtheit dient. In diesem Sinn – wenn auch mit anderer Zielrichtung – präsentiert Donzelot das Soziale als eine »wirksame Fiktion«, die in Beziehung steht mit dem Individuum und dem Klassenkampf als zwei anderen Fiktionen: »Das Sozialrecht unterminiert die militärische Form, deren sich die Macht des Unternehmers im Namen seiner vollen und absoluten Verantwortung in seiner eigenen Sphäre bediente. Rui-

7 | In Ewald 1993 wird die eben behandelte Determinierung rein einseitig in der Richtung des Ganzen zu den Teilen behandelt; die individualisierenden Aspekte der VersicherungsGesellschaft bleiben bei ihm unterbestimmt.

6. DIE RATIONALITÄT DER GESELLSCHAFT | 199

niert es ihn aber unausweichlich, indem es mit seiner Willkürmacht zugleich die Quellen der liberalen Wirtschaft beseitigt, wie es die paternalistische Schule prophezeite? Eher könnte man sagen, dass es ihn befreie, indem es ihm die Möglichkeit gibt, eine vollkommen andere Art des Arbeitsmanagements einzurichten, und ihn von der endlosen Inanspruchnahme durch das Überwachen und Bestrafen einer widerspenstigen Arbeiterklasse befreit, was ihn befähigt, in einen Vertrag mit dieser Klasse einzutreten, der weniger durch Herrschaft vergiftet ist und dafür mehr mit Produktivität zu tun hat.« (Donzelot 1984/1994, S. 135)

Donzelot zeigt hier klar den soziologischen und historischen Funktionalismus auf, der Gesellschaft auferlegt wird. Eine solche Funktionalität hatte die Gesellschaft der Arbeiter oder der Arbeiterbewegung ebenso wenig zu bieten wie die Einzelindividuen des Liberalismus im Zusammenspiel ohne Weiteres funktionieren konnten. Folgt man Foucault, so lässt sich diese Gesellschaft des Sozialstaats als neuer Gegenstand der Regierung interpretieren, nachdem mit der liberalen Kritik der gouvernementalen Vernunft das Wesen der Regierungsaktivität zunächst in die Passivität gedrängt worden war. In der Rationalität der Gesellschaft ist der Souverän dagegen gerade kein passiver Begleiter mehr, sondern für die Bestimmung des Wesens der Regierungstätigkeit wird vielmehr ein neuer Bezugsrahmen gewählt, nämlich die Gesellschaft. Und diese umfasst weder die Gesamtheit der Rechtssubjekte noch die der Wirtschaftssubjekte, sondern stellt eine neue Ganzheit dar, die sowohl die Individuen als Rechtssubjekte als auch als Wirtschaftsakteure umfasst. Foucault nennt dies die »bürgerliche Gesellschaft« (vgl. Foucault 2004b, 402ff.), wobei der Begriff bürgerlich ebenso irritierend wie erhellend ist, denn einerseits ist es natürlich auch die Realität der Arbeiter, andererseits deutet sich aber genau hier auch schon eine Realität an, welche die ehemaligen Antipoden verbindet und den Begriff »bürgerlich« und die damit verbundenen Subjektivierungen auf die gesamte Gesellschaft ausdehnt. So gesehen, ist die bürgerliche Gesellschaft keine philosophische Idee, sondern »Korrelat einer Regierungstechnik, deren rationales Maß sich juristisch an einer Wirtschaft ausrichten soll, die als Produktions- und Tauschprozeß aufgefaßt wird« (ebd., S. 405) – oder, umgekehrt, durch die Bezugnahme auf die bürgerliche Gesellschaft erschließt sich eine Regierungstechnik, durch die weder die Gesetze der Wirtschaft noch die Rechtsprinzipien verletzt werden und die weder ihrer Forderung nach Allgemeinheit der Regierung noch der Notwendigkeit einer Allgegenwart der Regierung zuwiderhandelt: In dieser bürgerlichen Gesellschaft erschließt sich ein Bereich von sozialen Bindungen zwischen Individuen, die über die reine ökonomische Bindung hinaus kollektive und politische Einheiten bilden, ohne dass es sich deshalb um Bindungen handelt, die sich in ihrem Wesen vom Spiel der Wirtschaft unterscheiden. (Vgl. ebd., S. 401ff.)

200 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

Diese Definition der bürgerlichen Gesellschaft hat wenig mit der sonst gebräuchlichen Definition gemein, die mit »bürgerliche Gesellschaft« gerade eine Gesellschaft bezeichnet, die sich der Regierung oder dem Staat widersetzt und diesem entgegensteht; für Foucault ist die bürgerliche Gesellschaft gerade keine historisch-natürliche Gegebenheit, die als Prinzip der Opposition gegen den Staat dient, sondern eine temporäre Gegebenheit an der Schnittstelle der Regierenden und der Regierten, die den Kern eben dieser neuen Regierungsrationalität darstellt.8 So wird durch die bürgerliche Gesellschaft eine innere Beziehung zwischen der gesellschaftlichen Bindung und der Regierung realisiert, bei der für das Funktionieren der Macht kein Verzicht auf bestimmte Rechte oder ein Akzeptieren der Souveränität einer anderen Person erforderlich ist. Vielmehr funktioniert die Macht über diese bürgerliche Gesellschaft durch eine faktische Bindung, die konkrete und verschiedene Individuen miteinander verbindet. (Vgl. ebd., S. 422ff.) Wenn nun die Gesellschaft der Ansatzpunkt für das Regierungshandeln ist, so impliziert dies natürlich unmittelbar die Disqualifizierung der oben beschriebenen liberalen Moralisierungspolitik, da deren Logik ja auf einen durch individuelles Handeln bewirkten sozialen Wandel ausgerichtet war. Trotzdem bedeutet die neue Rationalität des Sozialstaats keine politische Passivität, sondern bringt lediglich eine Verschiebung des Ansatzpunktes für Reformen und politische Aktionen mit sich: Diese haben weniger bei den Individuen anzusetzen als bei dem, was sie beeinflusst, beim »Milieu«, bei den Ursachen der sozialen Übel, das heißt bei der Gesellschaft selbst. Die Gesellschaft stellt nicht mehr den Rahmen dar, innerhalb bzw. dank dessen Reformen durchgeführt werden können, sondern die Gesellschaft selbst wird zum eigentlichen Gegenstand der Reform: »Sie muß nun auf sich selbst einwirken.« (Ewald 1993, S. 203) So wie den Individuen das Recht zugesprochen wird, von der Gesellschaft die Befriedigung sozialer Rechte einfordern zu können, so erhält entsprechend nun umgekehrt die Gesellschaft das Recht, dem einzelnen Individuum Verhaltensweisen vorzuschreiben, die sie sozial für richtig hält: Durch die Objektivierung des Sozialen ist der einzelne Mensch – bar seiner Freiheit – auf sich selbst reduziert: er stellt »bloß ein Stück Leben dar, ein Glied in der Kette des Lebenden. Eine biologische Exis-

8 | Für Foucault ist diese bürgerliche Gesellschaft tief im Liberalismus zwischen Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts verankert, wo der Begriff umgearbeitet wird und sich in verschiedenen neuen Varianten präsentiert. (Vgl. Foucault 2004b, 407) Der Gedanke der bürgerlichen Gesellschaft ist bei Foucault jedoch nicht schlüssig ausgearbeitet. Zudem erscheint es, wie eben dargelegt, als zweifelhaft, inwieweit die so gefasste bürgerliche Gesellschaft tatsächlich eindeutig dem Liberalismus zuzurechnen ist.

6. DIE RATIONALITÄT DER GESELLSCHAFT | 201

tenz, die erst dann zu etwas Menschlichem wird, wenn sie von der Muttermilch der Gesellschaft ernährt wird.« (Ebd., S. 419) Die Gesellschaft schenkt also Leben und verpflichtet sich zu dessen Erhaltung. Dafür verlangt die Gesellschaft jedoch, dass man umgekehrt auch ihr zu leben hilft: »Jeder Bürger in einem sozialen Organismus hat an der Erhaltung und Weiterentwicklung dieses Organismus mitzuwirken.« (Ebd.) Es geht hier um weit mehr als »nur« um den Schutz der Individuen vor einem bestimmten Risiko: Es geht um die Schaffung einer neuen Politik auf der Basis von Interventionen, »um die Erarbeitung eines ›sozialen Codes‹«, um »das Programm einer Gesetzgebung, die eine Übereinstimmung der Gesellschaft mit sich selbst ermöglichen sollte« (ebd., S. 421). Dabei tendiert diese sozialstaatliche Gesetzgebung dazu, permanent ausgeweitet zu werden – durchaus gemäß der liberalen Befürchtung, der zufolge die Erweiterung von Rechten letzten Endes zu nichts anderem führen kann als zu ihrer Transformation in ein reines Verpflichtungssystem. Denn das Sozialrecht ermöglicht nicht mehr nur die Sanktionierung eines Verbotes, sondern es entscheidet im Namen aller darüber, was das Wohl aller ist und was man zur Verfolgung dieses Wohls zu unternehmen bzw. zu unterlassen hat. (Vgl. ebd., S. 30) Dieses Recht ist letztlich nichts anderes als eine Verhaltensregel; es ist nicht mehr das, was den Handlungsspielraum der Regierung eingrenzt, sondern wird selbst zu einem Regierungsinstrument9 und vermengt sich so mit den Vorschriften einer sozialen Moral, die gewissermaßen »das Recht in sich [aufnimmt]« und mit der Politik verschmilzt, die so zu einer »scheinbar prinzipienlosen, auf eine reine Pragmatik der Sozialbeziehung reduzierten Regierungsstrategie« wird (ebd., S. 25). Recht und Moral sind damit nun »zwei Modi ein und desselben sozialen Sachzwangs« (ebd., S. 472) und werden entsprechend auch unter dem gemeinsamen Begriff der »Normen« subsumiert, die sich dadurch auszeichnen, dass sie ihren Wert und ihre Gültigkeit nicht daher erhalten, dass sie aus allgemeingültiger Prinzipien abgeleitet sind, sondern aus den damit anvisierten Zielen und ihrem Funktionieren.10

9 | Diese Überlegungen sind natürlich von einer genealogischen Perspektive getragen, die davon ausgeht, dass es keine Wissenschaft, Theorie oder Philosophie des Rechts gibt, die abstrakt und unabhängig von den mit ihrer spezifischen juristischen Erfahrung verknüpfte Formen der Problematisierung bestehen könnte. Und dies heißt natürlich auch, ihren prekären Charakter zu erkennen und den juristischen Ansatz als etwas aufzufassen, das nicht notwendig ist und daher auch verschwinden kann. 10 | Und damit verliert das Recht die naturrechtliche Fundierung auf Gerechtigkeit, gründet vielmehr – der Erkenntnislogik der Rationalität der Gesellschaft entsprechend – positivistisch auf der Relativität der Werte und dem Fehlen jeglicher Bezugnahme auf eine transzendente Objektivität. (Vgl. Ewald 1993, S. 54)

202 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

6.3 D IE S EPARIERUNG

DER

A RBEIT

Durch die Schaffung des modernen Arbeitsrechts und die Einführung neuer an die Lohnarbeit geknüpfter sozialer Rechte, vor allem aber auch durch die Institutionalisierung des Lebenslaufs als Strukturvorgabe, welche die Individuen in verschiedenen Lebensphasen und mit unterschiedlichen Rollen in die Gesellschaft bzw. in die Erwerbssphäre integriert,11 ist nicht zuletzt die Arbeit selbst zu einem gesellschaftlichen Akt, zu einem Akt der gesellschaftlichen Integration geworden, der über das liberale Arbeitsverständnis als Medium der Moralisierung und Reichtumsmehrung hinausgeht. Zugleich ist diese Lohnarbeit aber doch auch weit davon entfernt, die befreienden Potenziale, welche die Bewegung der Arbeiter der Arbeit zuschrieb und einforderte, tatsächlich zu realisieren – beschränkt sich die Verbindung von Freiheit und Arbeit im Sozialstaat doch letztlich auf die Freiheit zu konsumieren, also die durch die Arbeit erworbenen und über die Vorsorgeleistungen hinausgehenden Reichtümer dazu zu nutzen, seinen Lebensunterhalt nach eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu bestreiten. Dass die Arbeit zu einem gesellschaftlichen Akt wurde, ist aber nicht allein auf ihre Verankerung im Sozialrecht zurückzuführen, sondern Arbeit ist vielmehr erst dann ein wirklich gesellschaftlicher Akt, wenn sie nicht mehr mit privater Tätigkeit, mit Hausarbeit oder ehrenamtlicher Tätigkeit zu verwechseln ist.12 (Vgl. Castel 2011,

11 | Über die Regulierung der Sozialversicherungs- und Steuersysteme beeinflusst der Staat diese Integration, gewährleistet dafür aber auch die soziale Absicherung des Einzelnen. (Vgl. Jürgens 2009, S. 152) Kohli 1985 fasst dies als »Institutionalisierung des Lebenslaufs« zusammen: Das sich herausbildende System der »Normalarbeit« wird von einem Bildungs- und Rentensystem flankiert, das letztlich auch die Erwerbs- und Lebensläufe steuert (s. bereits Levy 1977). So werden nicht nur bestimmte Abfolgen von Lebensphasen und Statuspassagen definiert, sondern der daraus hervorgehende »Lebenslauf« wirkt auch als Arbeit und Leben bzw. Freizeit trennendes wie auch verbindendes »Medium einer auf Erwerbsarbeit abzielenden Vergesellschaftung« (Jürgens 2009, S. 152): Indem der Lebenslauf einzelne Lebensphasen zeitlich ordnet und die einzelnen Lebensphasen und die zugehörigen Institutionen wie Schule, Universitäten und berufliche Bildungseinrichtungen auf einen qualifizierten Einstieg in die Erwerbssphäre abzielen, manifestieren sie eine lange, mindestens bis zur Rente andauernden Phase von Erwerbstätigkeit. (Vgl. ebd., S. 152f. sowie Kleemann, Matuschek und Voß 2003, S. 76) 12 | In dieser Fixierung auf das Recht zeigt sich letztlich auch einer der »Fehler« der Arbeiterbewegung im Sozialstaat, nämlich das Recht auf der Seite einer Legitimität zu verorten, die es für sich nutzbar zu machen gilt (vgl. Abschnitt 6.5). Das System des Rechts ist, wie Foucault darlegt, vielmehr selbst eine Unterwerfungstechnik. (Vgl. Foucault 1977/2002d) Folgt man die-

6. DIE RATIONALITÄT DER GESELLSCHAFT | 203

67f.) In diesem Sinn gestaltet sich parallel zur Entstehung des Sozialstaats das fordistische, lohnbasierte Normalarbeitsverhältnis aus – als abstrahierte, klar umrissene und stark vereinheitlichte Tätigkeit, völlig der Produktivität unterworfen, unterteilt in straff hierarchisierte Teilarbeiten und verbunden mit einem hohen Maß an Unterordnung und Vermassung, das kompensiert wird durch ein Auskommen, durch Rechte und nicht zuletzt durch die »Teilhabe« am Versicherungswesen. Das Ergebnis der Schaffung dieses Normalarbeitsverhältnisses ist eine äußerst starre Trennung in (Lohn-)Arbeit einerseits, deren Unterwerfung unter die (durch soziale Rechte gemilderten) Zwänge der Rationalität und Produktivität absolut anerkannt wird, und die Freizeit, das Private andererseits, das der subjektiven Ausgestaltung weitgehend frei überlassen bleibt. Dies ist damit der eigentliche »Klassenkompromiss«: Man unterwirft sich für eine bestimmte Zeit des Tages der Herrschaft der Rationalität und Produktivität, stellt diese nicht infrage und bekommt dafür Freizeit, in der man weitgehend nach eigenem Gusto gestalten und sich dank des erarbeiteten Gehalts als »kleiner Bürger« fühlen darf. Dabei besteht zwischen den beiden Sphären Arbeit und Leben allerdings ein dezidiert hierarchisches Abhängigkeitsverhältnis, insofern als Erwerbsarbeit in hohem Maße mit sozialer Anerkennung verknüpft ist und sich entsprechend ein Primat der Erwerbsarbeit etabliert hat, das Ungleichheit generiert und damit auch die Sozialstruktur der Gesellschaft prägt. (Vgl. Jürgens 2010, 484ff.) Ganz in diesem Sinn fokussiert sich die Politik der institutionalisierten Arbeiterbewegung im Nachkriegsdeutschland nahezu völlig auf die »Lohnarbeit« bzw. dieses Normalarbeitsverhältnis und behandelt diese quasi als separates Moment im Sein: Arbeit ist unter den herrschenden, auf Eigentum und Produktivität aufbauenden Produktionsbedingungen nun mal »entfremdete« Lohnarbeit, und solange an diesem Prinzip nicht gerührt werden kann bzw. soll, bleibt nur zu versuchen, die Lohnarbeit »humaner« zu gestalten. Betrachtet man die entsprechenden Forderungen seitens der Gewerkschaften dieser Jahre, so findet sich dementsprechend im Wesentlichen eine Politik, die auf höhere Löhne und Gehälter, Verkürzung der Arbeitszeit, verbesserten Arbeitsschutz und größere soziale Sicherheit, also ein verbessertes Versicherungswesen abzielt. Die Form der Arbeit selbst steht nicht zur Debatte, so dass selbst die vorsichtigen Forderungen bzgl. der betrieblichen Mitbestimmung kaum ernsthaft vor-

ser Logik, so war die Legitimierung der Rechte der Arbeiter zwar ein Sieg, aber ein Sieg, der nur dazu diente, die eigentlichen Herrschaftsmechanismen zu verdecken. Die Kodifizierung der sozialen Rechte war formal der Beleg für die Befreiung, de facto aber den Mechanismen der Machttechnologien nicht angemessen.

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getragen werden und flexible Ausgestaltungen des Arbeitens in Verbindung mit dem Privaten ausgeblendet werden. In ihren Anfängen hatten die Arbeiter versucht, das Lebendige in der Arbeit und die Arbeit als Modus der Freiheit zu retten; Freizeit war hier nach wie vor soviel wie »Festzeit« (Nahrstedt 1970), und es war der Rhythmus von Arbeit und Fest, der das Dasein bestimmte – nicht in dem platten Sinn der Erholung von der Monotonie, den Belastungen und Zwängen des Arbeitslebens, sondern in einer sehr grundsätzlichen, lebensgestaltenden Bedeutung. Mit dem Sozialstaat ist nun stattdessen die scharfe Separierung der abstrakten und rational-produktiven Lohnarbeit betrieben worden, innerhalb der ein nur marginal gemilderter totaler Zugriff auf das Subjekt stattfindet und die legitimiert ist um den Preis der scheinbaren Freiheit in der Freizeit. In diesem Sinn ist auch die Forderung auf Verkürzung der Arbeitszeit einzuordnen (die auch selbst die Trennung von Arbeit und Leben befördert): Erst wenn Arbeit etwas Negatives bedeutet (Unterordnung, Belastung, Monotonie etc.), ist die Abschaffung dieses Übels bzw. die Reduktion auf eine 35-Stundenwoche wünschenswert. Insofern es der Produktivitätscharakter der Macht scheinbar nicht erlaubt, die Arbeit offen zu gestalten, geht diese Politik der Arbeitszeitverkürzung einen Weg, der die Rationalität der Arbeit festschreibt und fixiert und Praktiken der Freiheit allein zu einer Freizeitangelegenheit macht. Mikrokämpfe um den Inhalt und die Art der Arbeit werden so natürlich in ihrer Bedeutung marginalisiert; anstelle ihr genuines Grundprinzip der Solidarität als Praxis der Freiheit der abstrakten Vergesellschaftung des Sozialstaats entgegenzusetzen, bereitete die nun in den Gewerkschaften befestigte Arbeiterbewegung im Sozialstaat (siehe Abschnitt 6.5), indem sie ihren Fokus auf das Normalarbeitsverhältnis legten, gerade einer intensivierten Subjektivierung zur rationalen Produktivkraft den Boden. Der Begriff, mit dem sich diese Subjektivierung umschreiben lässt, ist die »Normalisierung« die nun die liberale Disziplinierung und Moralisierung in sich aufhebt und somit als eine avancierte Zurichtung des Menschen auf eine an Rationalität und Produktivität orientierte Gesellschaft zu verstehen ist. Die strategischen Momente dieser Subjektivierungstechnologie werden im folgenden Abschnitt umrissen.

6.4 N ORMALISIERUNG In der Umsetzung dieses Programms tritt bei der Beurteilung sozialer Gegebenheiten bzw. Verhaltensweisen, wie in diesem Abschnitt deutlich werden wird, der Begriff des »Normalen« an die Stelle des Verschuldens, d.h. ein Verhalten wird nun nicht mehr gemäß dem Paar erlaubt/verboten beurteilt, sondern in Bezug auf einen Mit-

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telwert auf der Achse tolerierbar/nicht-tolerierbar. (Vgl. Ewald 1993, S. 436) Dies bedingt die Entwicklung einer Subjektivierungstechnologie, die, so Robert Castel, »auf der Konstruktion von Populationen, die auf einer Kombination abstrakter, generell risikoträchtiger Faktoren beruht«, aufbaut und letztlich »mit der Auflösung des Begriffs des Subjekts oder des konkreten Individuums verbunden« ist. (Castel 1983, S. 51 bzw. 61) Diese Subjektivierungstechnologie muss verstanden werden als avancierte Ergänzung der disziplinär-moralisierenden Technologien, die, da sie auf einer ganz anderen Ebene als die Disziplinartechnologie operiert, jene nicht ausschließen, »sondern sie umfaßt, integriert, teilweise modifiziert und sie vor allem benutzen wird, indem sie sich in gewisser Weise in sie einfügt und dank dieser vorgängigen Disziplinartechnik wirklich festsetzt«.13

13 | Foucault 1978/2002b, S. 819. Das Konzept der »Normierung« oder »Normalisierungsgesellschaft« und dessen Verhältnis zu Disziplinierung und Disziplinargesellschaft ist von Foucault über seine Schriften hinweg nicht widerspruchsfrei verwendet worden und bleibt ambivalent, insbesondere inwieweit die beiden Technologien einander kontrastierend gegenüber gestellt bzw. strikt chronologisch zu interpretieren sind. Die interpretatorischen Schwierigkeiten dürften nicht zuletzt der Tatsache geschuldet sein, dass es im Französischen zu der »Norm« bzw. dem »Normalen« keine begriffliche Entsprechung gibt, so dass im Deutschen »normalisation« sowohl Normierung als auch Normalisierung bedeuten kann. (Vgl. Gertenbach 2007, S. 151) Diese Ungenauigkeit scheint Foucault selbst bemerkt zu haben und so führt er anlässlich der Ausführungen zur Gouvernementalität in der dritten Vorlesung »das sprachwidrige Wort« (Foucault 2004a, S. 90) normation ein, um die Differenz zur Technik der Normalisierung zu verdeutlichen, hält diese Unterscheidung allerdings nicht weiter durch. Trotz dieser theoretischen Unklarheiten kann jedoch gerade mithilfe der Differenzierung dieser beiden Subjektivierungstechnologien eine wichtige gouvernementale Technik verdeutlicht werden, die mit Entstehen der Versicherungstechnologien massiv an Bedeutung gewinnt. In diesem Sinne löst die Normalisierung die Disziplinierung nicht ab, sondern es wird vielmehr davon ausgegangen, dass die beiden Subjektivierungformen aufeinander aufbauen, wenngleich jedoch mit der Versicherungstechnologie die Normalisierung zur dominierenden Strategie wird. Der Vorteil dieser Interpretation ist, sich schlüssig in die hier vorgelegte Genealogie des Versicherungsmodells einzubinden und die bei Foucault anzutreffende Mehrdeutigkeit des Konzepts der »Normalisierung« widerspruchsfrei aufzulösen. Gertenbach schlägt zur Systematisierung der Begrifflichkeit entsprechend die heuristische Unterscheidung zwischen »Normierung« und »Normalisierung« vor, (vgl. Gertenbach 2007, 151f.) wonach auch ich im Folgenden »Normierung« als Kennzeichnung des disziplinären Verhältnisses zur Norm und »Normalisierung« als die gouvernementale Beziehung zum »Normalen« verwenden werde.

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6.4.1 Die Norm und das Normale In Abschnitt 4.4.1 wurde in Anlehnung an Foucaults Werk Überwachen und Strafen gezeigt, wie die Disziplinen auf das Subjekt einwirken. Diese Disziplinartechnologien funktionieren wie auch die Moralisierungstechnologien im Wesentlichen über den Entwurf eines optimalen Modells und dessen Operationalisierung, d.h., es wird eine Norm als vorformuliertes und präskriptives Ideal zur Messung von Abweichungen und zur Anordnung von Subjekten herangezogen und dann werden Techniken und Verfahren eingesetzt, um Individuen an dieser Vorgabe auszurichten und sie daran anzupassen. Im Vordergrund steht also die Norm, von der ausgehend hierarchisierende Trennungen installiert werden, die in Bezug auf diese Norm zwischen Geeignetem und Ungeeignetem, Normalem und Anormalem unterscheiden.14 Die sich im Anschluss an die Versicherungstechnologien durchsetzenden Normalisierungstechnologien (von Foucault teilweise auch als Sicherheitstechnologie bezeichnet, wobei der Terminus »Sicherheitstechnologie« insgesamt aber theoretisch unterbestimmt bleibt) nutzen ein ganz anderes Bezugssystem:15 Ist der Bezugspunkt der Disziplinen und der liberalen Moralisierung eine präskriptive Norm, der sich der einzelne möglichst gut anzunähern und anzupassen hat, so geht das Versicherungssystem vom empirisch Normalen aus und setzt dieses als (stets dynamische) Norm. Es wird also nicht die Realität an einer vorab festgelegten Norm ausgerichtet, sondern die Realität wird selbst als Norm bestimmt – aus Differenzen sind statistische (und damit dynamisch variable) Abweichungen geworden. (Vgl. Lemke, Krasmann und Bröckling 2000, S. 13) An die Stelle der absoluten und weitgehend fixen Unterscheidung zwischen dem Erlaubten und dem Verbotenen bzw. dem Richtigen und dem Falschen gibt es nun ein statistisch bestimmtes optimales Mittel mit einer festzulegenden Bandbreite an tolerierbaren Abweichungen. Während die Disziplin tendenziell alles regelt und wie die Moralisierungstechnologien ständig in die Realität eingreifen muss, um sie zu verändern, gehen die »Dispositive der Sicherheit« von dieser Realität aus und versuchen, mit ihr zu arbeiten. (Vgl. Lemke 1997, S. 190 sowie Lemke, Krasmann und Bröckling 2000, 13f.) Dies bedingt zugleich, dass das Normale nicht etwas fix Festgelegtes ist, sondern variabel an sich wandelnde Gegebenheiten anpassbar ist. Hier deutet sich

14 | Vgl. Lemke 1997, S. 190; zur konstitutiven Bedeutung der Leitdifferenz normal–anormal für die Entstehung der Normalwissenschaften im 19. Jahrhundert s. a. Canguilhem 1974, 81ff. 15 | Lemke 1997 schreibt, sie seien das genaue Gegenteil des Disziplinarsystems, was aber nicht zu halten ist, da es sich beide Male um die Zurichtung von Individuen handelt, die lediglich auf unterschiedlichen Ebenen operiert.

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bereits der Übergang zum Neoliberalismus an, insofern auch das neoliberale Subjekt keinen dauerhaft, festen Ankerpunkt innerhalb des neoliberalen Diskurses mehr bildet, und daher kaum als präskriptive Normierungsinstanz verstanden werden kann. (Vgl. Abschnitt 7.3) 6.4.2 Normalisierungspolitik Während die Disziplinen und die liberale Moral sich also auf den lebendigen »KörperMenschen« richten und die Vielfalt der Menschen zu regieren sucht, »insofern diese Vielfalt sich in individuelle, zu überwachende, zu dressierende, zu nutzende, gegebenenfalls zu bestrafende Körper unterteilen lässt« (Foucault 1976/1999, S. 286), richten sich die in der Rationalität der Gesellschaft entstehenden neuen Technologien an den »Gattungs-Menschen«, an die Vielfalt der Menschen, insofern diese »eine globale Masse bilden, die von dem Leben eigenen Gesamtprozessen geprägt sind wie Prozessen der Geburt, des Todes, der Produktion, Krankheit usw.«16 Der Mensch, um den es hier entsprechend geht, ist »der Mittelwert, um den die Elemente der Gesellschaft oszillieren«; er ist damit ein ebenso »fiktives Wesen« (Ewald 1993, S. 190) wie bei anderen Ursprungskonzeptionen auch und keine Universalie mehr – er ist »die Gesellschaft selbst, so wie sie von der Soziologie objektiviert wird« (ebd.). Mit dem auf diesen Abstraktionen aufbauenden, auf Quetelets Theorie des Durchschnittsmenschen zurückgehenden Modus wird eine »Individualisierung der Individuen« begründet, die nicht mehr von den Individuen und deren ursprünglicher, eigentlicher Natur selbst ausgeht, sondern von der Gruppe, der sie angehören. Die Klassifizierung dieser Individuen erfolgt dann unter Bezugnahme auf deren Normalität: »nicht mehr in einer hierarchischen Abstufung vom Besten zum Schlechtesten, sondern anhand der Abweichungen von einem Mittelwert, der nicht das zu erreichende Minimum, sondern den gruppenspezifischen Typus bezeichnet.« (Ebd., S. 192)17

16 | Foucault 1992, S. 56, vgl. a. Foucault 2004a, 105ff. 17 | Diese Normierung als ausdrücklich sozialtechnische Beziehung zur Norm ist es auch, die bei Foucault in den Vorlesungen des Jahres 1975 unter dem Titel »Die Anormalen« im Vordergrund steht. Gleichzeitig deutet sich darin aber bereits ein Doppelcharakter der Norm an, der auf das Konzept der Normalisierung verweist. Noch im Duktus des disziplinären Normierungskonzepts schlägt Foucault zunächst vor, eine »Geschichte der Normalisierungsmacht« (Foucault 1975–76/2003, S. 62) zu schreiben, integriert diese jedoch noch gänzlich in das »Dispositiv der Disziplinarorganisationen« (ebd., S. 71). In den weiteren Ausführungen findet sich dann eine Passage, in der Foucault von zwei unterschiedlichen Gebrauchsweisen und Realitäten der Norm spricht, die hinsichtlich der hier getroffenen Unterscheidung zwischen Normierung und

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Die sich mit dem Sozialstaat bildende Regierungspraxis beschränkt sich also nicht darauf, eine Norm zu setzen und die Individuen darauf auszurichten. Vielmehr ist die Normalität stets schwankend und gefährdet, weshalb auch in Bezug auf die Individuen sich die Politik nicht einfach auf individuelle Abnormitäten richten kann, sondern es gilt, Abweichungen und Gefährdungspotentiale ausfindig zu machen. (Vgl. Gertenbach 2007, 155f.) Diese Gefährdungspotentiale sind keine Bedrohungen von außen, sondern Elemente, welche die Gesellschaft von innen bedrohen; damit kann die Blickrichtung auch keine binäre mehr sein, die von einander gegenüberstehenden Klassen ausgeht. Stattdessen wird eine substantielle Differenzierung möglich – in unterschiedlich Abweichende, in »die (Neben-)Produkte der Gesellschaft selbst«. (Lemke 1997, S. 226). Auch Foucault hat aufgezeigt, dass die »Regierung des Sozialen« auf zwei scheinbar konträren Mechanismen beruht, die sich tatsächlich jedoch ergänzen: Auf der einen Seite der Schutz des Individuums vor der Gesellschaft, und auf der anderen Seite die »Verteidigung der Gesellschaft« (Foucault 1976/1999, S. 27) gegen das sie bedrohende abweichende Individuum. Die »Erfindung des Sozialen« ist somit untrennbar verbunden mit der Erfindung auch der unzureichend sozialisierten »Asozialen« und »Extremisten«, welche nicht nur unzuverlässige Einzelne sind, sondern letztlich auch gefährlich für den Bestand der Gesellschaft insgesamt, und daher entsprechend »normalisiert« werden müssen. Es ist deutlich, dass die Subjekte innerhalb der Gesellschaft hier nicht mehr hinsichtlich einer menschlichen Natur beurteilt, sondern in dem Grad ihrer Gesellschaftlichkeit gemessen werden. (Vgl. Lemke 1997, 223f.) Doch der eigentliche Fokus der Rationalität der Gesellschaft sind nicht so sehr die A-Normalen als die Normalen, die sich selbst an dem Grad der aus der Gesellschaft hervorgehenden Normalität ausrichten und in der Verbindung von Herrschafts- und Selbsttechnologien daraufhin ihr Funktionieren ausrichten. Sie sind zugleich diejenigen, von denen die Herrschaft auf die durch sie selbst definierten A-Normalen ausgeht. Es sind Subjektivierungsformen, die den nun variabel in ebenso variabel sich konstituierenden Sozialitäten plazierten Menschen in einer Art und Weise formen, die diese Variabilität erst ermöglicht und vor allem produktiv nutzbar gestaltet. So ergibt sich die Möglichkeit der Stabilität in einer sich dynamisch an Wandel aller Art anpassenden Gesellschaft, wobei der Anker durch die Produktivität gelegt ist,

Normalisierung herangezogen werden können. (Ebd., S. 213) Während in der ersten eine Art Verhaltensmaßregel zum Tragen kommt, die ihren Gegensatz in einer Abweichung findet, bezieht sich die zweite Verwendung der Norm auf das »Normale«. (Vgl. a. Gertenbach 2007, 153f.)

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die stets als machttechnologisch unterlegtes Ziel der gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt bleibt. Der maßgebende Begriff dieser Technologie ist die »Sozialisierung«: die Kinder werden in Schule und Kindergarten sozialisiert, die Erwachsenen auf der Arbeit und in den Gewerkschaften und Vereinen, Gesetzesbrecher werden in den Gefängnissen »resozialisiert« usw.; ihnen allen wird beigebracht, dass sie keine isolierten Individuen sind und dass sie das Ziel ihrer Existenz nicht einfach in sich selbst suchen dürfen, sondern sich als faktische Bestandteile einer effektiv auf Produktivität ausgerichteten Gesellschaft zu sehen haben, in der alle Verantwortlichkeiten auf Gegenseitigkeit beruhen, auf die das individuelle Handeln hin ausgerichtet wird. (Vgl. Ewald 1993, 474f.) Der zentrale Ort für diese Sozialisierung ist jedoch nach wie vor die Arbeit, an die wie schon beim Liberalismus die Disziplinierung und Moralisierung nun auch die Machttechnologien des Sozialstaats gebunden sind: Nicht einfach, weil das Versicherungswesen durch und durch mit der Lohnarbeit verknüpft ist (was später mit der Ausdifferenzierung der Arbeitsformen zu entsprechenden Problemen führt, siehe weiter unten), sondern auch, weil die Arbeit nach wie vor der Ort der Subjektivierung ist: Der normalisierte Arbeiter ist gefragt, der Normalarbeitnehmer, der sich leicht in die fordistische Akkordarbeit einfügt, zwar nicht herausragt, aber eben auch keine Sonderbehandlung benötigt. Mit dieser Festlegung der Arbeit auf die Lohnarbeit, das »Normalarbeitsverhältnis« formt diese sich zugleich als Bereich heraus, in dem sich das Subjekt völlig der Produktivität freiwillig unterwirft; unproduktives Verhalten bleibt dem Privaten, der Freizeit vorbehalten, in der schließlich die Früchte der Arbeitstätigkeit konsumiert werden. Dieses »Normalarbeitsverhältnis« ist aber letztlich auch das Leitbild, an dem sich Gesetzgebung, Rechtsprechung und Exekutive orientieren – es ist eben nicht einfach eine statistisch-quantitative Durchschnittsgröße aller »normalen« Arbeitsverhältnisse, sondern fungiert auch als Norm, an die etwa auch die geltende Rechtsordnung anknüpft. Insbesondere muss man in diesem Zusammenhang auf die Verknüpfung des Normalarbeitsverhältnisses mit bestimmten Mindeststandards und kollektiver Teilhabe an der Gestaltung der Arbeitsbedingungen verweisen – weshalb auch viele Bemühungen zur Wiederherstellung des Normalarbeitsverhältnisses unter der neoliberalen Rationalität darauf abzielen, den arbeitsrechtlichen Schutz zurückzugewinnen, bzw. auf nicht-normale Arbeitsverhältnisse auszudehnen. (Vgl. Kress 1998, S. 490f.)

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6.5 G EGEN -V ERHALTEN

IM

S OZIALSTAAT

Nach dem relativen Scheitern des Liberalismus kommen, wie gezeigt, neuartige an die Objektivierung des Sozialen geknüpfte Strategien zur Durchsetzung: Der »Sozialstaat« reagiert in diesem Sinn auf den Zusammenstoß der liberalen Rationalität mit dem Gegen-Verhalten seitens der Arbeiterschaft, indem er ein Konzept von Gesellschaftlichkeit etabliert, das über die liberale Individuierung hinausweist, zugleich aber auch sozialistische Anklänge vermeidet. Dabei knüpft der Sozialstaat weiterhin unmittelbar an der Arbeit, an welche die sozialen Rechte gekoppelt sind, an und behält auch die Ausrichtung auf Produktivität bei. Der Sozialstaat ist damit sowohl hinsichtlich seiner Rationalität als auch hinsichtlich der Formen seiner praktischen Umsetzung ein Kompromiss, in den Elemente des Liberalismus ebenso eingeflossen sind, wie das Gegen-Verhalten darin sublimiert wurde. Zentral ist dabei, dass die prinzipielle Verbindung von Machtausübung und Arbeit in der Rationalität bestehen bleibt, auch wenn sie durch die Trennung von Arbeit und Leben, die einerseits den rein produktiven Charakter des Arbeitens gänzlich anerkennt, jedoch zumindest vordergründig die Freizeit von produktiver Ausgestaltung freistellt, nurmehr partiell gegeben ist. Vor diesem Hintergrund ist klar, dass es im Sozialstaat die klassische Arbeiterbewegung als Widerstandsbewegung gegen den Liberalismus nicht mehr geben kann, da sich das Gegen-Verhalten der Arbeiter in der Arbeiterbewegung in direkter Auseinandersetzung mit dem Liberalismus entwickelt, also wesensmäßig an dessen Rationalität gebunden war. Entsprechend wird in diesem Abschnitt der Frage nachgegangen, wo sich die Arbeiter bzw. die Arbeiterbewegung im Sozialstaat situieren und inwieweit so etwas wie ein proletarisches Gegen-Verhalten fortbesteht und ob – und wenn ja wo – sonst im Sozialstaat Gegen-Verhalten zu verorten ist. 6.5.1 Der Zusammenschluss der institutionalisierten Arbeiterbewegung mit der neuen Rationalität Mit der Machtübernahme durch die Nazis und dem anschließenden Wüten des zweiten Weltkriegs ist jegliches Gegen-Verhalten durch die alles überragenden Herrschaftsaspekte, also asymmetrische und verfestigte Machtstrukturen, erstickt; zu sehr ist über Widerständigkeiten gegen die Schreckensherrschaft hinausgehendes GegenVerhalten von den unmittelbaren Bedrohungen des Lebens in Terrorregime und Krieg überlagert, als dass das allgemeine Wirken der Macht in irgendeiner Form sich vollziehen könnte und Praktiken der Freiheit hätten möglich sein können. Nach 1945 findet sich dann eine Gesellschaft wieder, »in der fast nichts und niemand mehr an

6. DIE RATIONALITÄT DER GESELLSCHAFT | 211

seinem Platz« steht (Kaschuba 1990, S. 51), und in der sich auch die sozialstrukturelle Gliederung und die Gruppenformationen nachhaltig verändert haben. Dies trifft v.a auf die Arbeiterschaft zu, deren Praktiken des Seins und Mitseins im Nationalsozialismus gebrochen und massiv umgebaut wurden: So wurde gerade die Gruppe der älteren Industriearbeiter, die noch vom Sein der traditionellen Arbeiterbewegung vor der Weltwirtschaftskrise geprägt waren, durch die Verfolgung im Faschismus dezimiert und jüngere Arbeiter sind oft erst im Dritten Reich dauerhaft in den Arbeitsprozess eingegliedert worden, so dass ihnen die Orientierungen und Praktiken der »alten« Arbeiterbewegung unbekannt blieben. (Vgl. a. Klönne 1985, S. 324) Die »Rückkehr« zur Normalität und der Aufbau des Sozialstaats wird letztlich durch das Scheitern der Moskauer Konferenz vom März 1947 und das Zerbrechen der Kriegskoalition der Westmächte und der Sowjetunion eingeleitet. Sicherlich forciert durch den sich anbahnenden Kalten Krieg begannen sich die politischen und gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse zu wandeln und das Regieren der Gesellschaft sich auszuformen. Militärisches und wirtschaftliches Blockdenken führte einerseits zu einer Abkehr von sozial- und wirtschaftspolitischen Grundsatzerwägungen und vom Sympatisieren mit der sozialistischen Systemalternative und damit zu einer Stabilisierung der Regierungstechnologien im gegebenen Rahmen und der konzertierten Umsetzung darauf ausgerichteter Politiken. Nachdem die unmittelbaren Kriegsfolgen und die damit verbundene Not vom »Wirtschaftswunder« eingeholt worden war, konnte sich die Rationalität der Gesellschaft in einem wirtschaftlich prosperierenden Westdeutschland entfalten und innerhalb der nun installierten sozialstaatlichen Staatsordnung zur Wirkung kommen. Spätestens durch die Bildung einer Koalitionsregierung aus CDU/CSU, FDP und DP Ende 1949 waren Neuordnungsforderungen hinsichtlich Wirtschaftsplanung und Vergesellschaftung, wie sie von den Institutionen der Arbeiterbewegung vorgebracht wurden, von der politischen Tagesordnung abgesetzt. Über die Neuordnungspläne, die der DGB auf seinem Gründungskongress 1949 definierte – die Neuordnung der Besitzverhältnisse auf der Grundlage der Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien und der Überführung von Monopolunternehmen in Gemeineigentum, die Forderung nach einer volkswirtschaftlichen Gesamtplanung und die Festschreibung der paritätischen Mitbestimmung –, ging die Nachkriegsentwicklung hinweg: In den Westzonen hatten der Marshall-Plan, die Währungsreform und vor allem die mit amerikanischer Hilfe in Gang gekommene Marktwirtschaft ökonomische Fakten und regierungstechnische Dispositionen geschaffen, die das Wahlergebnis der ersten Bundestagswahl dann auch politisch untermauerte. Mit der Annahme des Betriebsverfassungsgesetzes 1952 wurden die Gewerkschaften als nun dominierende befestigte Ausformung der Arbeiterbewegung, nachdem sie in der unmittelbaren Nachkriegszeit zunächst im

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Auftrieb gegenüber den durch ihr Verhalten im Krieg diskreditierten Unternehmern waren und zahlreiche öffentliche Funktionen übernahmen und einen bestimmenden Einfluss im öffentlichen Bereich, aber auch in vielen Unternehmen der Montanindustrie gewonnen hatten, praktisch aus den Betrieben ausgeschlossen und auf das Gebiet der klassischen Tarifpolitik beschränkt. Zwar äußerten sich die Gewerkschaften immer wieder einmal auch zu allgemeinpolitischen Fragen wie etwa zum Wehrbeitrag oder zur atomaren Aufrüstung, aber diese Aktionen waren lediglich vereinzelte, letztlich erfolglose »Unmutsausbrüche« (Limmer 1996, S. 97) über die Nachkriegspolitik ohne allgemeinerem Anspruch.18 Am 1. Mai 1955 verkündete der DGB ein Aktionsprogramm, in dem sich erstmals wieder deutlich nach außen sichtbar ein stärkerer Wille, die tagespolitische Arbeit zu intensivieren, äußerte: (Deutscher Gewerkschaftsbund Bundesvorstand 1955) »1. Kürzere Arbeitszeit: Fünftagewoche mit Achtstundentag bei vollem Lohn- und Gehaltsausgleich 2. Höhere Löhne und Gehälter: Hebung des Lebensstandards durch Erhöhung der Löhne und Gehälter für Arbeiter, Angestellte und Beamte a. Gleiche Entlohnung für Männer und Frauen b. Zahlung eines Urlaubsgeldes c. Sicherung der Weihnachtszuwendung d. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auch für Arbeiter 3. Größere soziale Sicherheit: Sicherung des Arbeitsplatzes; Ausreichende Unterstützung bei Arbeitslosigkeit, Unfall und Krankheit; Alter ohne Not 4. Gesicherte Mitbestimmung: Gesetzliche Regelung der paritätischen Mitbestimmung in den Obergesellschaften [Kapitalanlagegesellschaften, die ohne eigene Produktion Anteile anderer Gesellschaften besitzen dort auf diese Weise wirtschafts-, personal- und sozialpolitischen Einfluss ausüben]; Gleichberechtigte Mitbestimmung für alle Betriebe und Verwaltungen 5. Verbesserter Arbeitsschutz: Ausreichende Ausbildungsmöglichkeiten für die Jugend.«

Zwar zeigte das Aktionsprogramm Erfolge wie etwa die schrittweise Verkürzung der Arbeitszeit oder die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – sicherlich auch der andauernden Prosperität der westdeutschen Wirtschaft nach 1952 geschuldet –, die Verwirklichung gesellschaftspolitischer, den engeren Rahmen von rational-produktiver Arbeitstätigkeit übersteigender Intentionen aber war gescheitert. In den Erneuerun-

18 | Vgl. Limmer 1996, 86ff. sowie allgemein zur Geschichte der deutschen Gewerkschaften Schönhoven 2014.

6. DIE RATIONALITÄT DER GESELLSCHAFT | 213

gen des Aktionsprogramms in späteren Jahren wurden Zielsetzungen zur Vermögenspolitik, zur Ausbildung, zur Reform des Arbeits- und Dienstrechts und zum Umweltschutz ergänzt, im Kern blieben die Forderungen aber die von 1955. Und auch das Fehlen von konkreten Ideen und Praktiken, wie die jeweiligen Programme realisiert werden sollten, blieb ebenso Merkmal der institutionalisierten Arbeiterbewegung wie die oben beschriebenen Mikrokämpfe und Solidaritäten im konkreten Arbeitsvollzug abebbten – die Dominanz der sozialstaatlichen Rationalität und der zugehörigen Normalisierungstechnologien hatte das Gegen-Verhalten der Arbeiterschaft auf breiter Ebene zerschlagen. Damit entwickelten sich in der Ära Adenauer zum einen die Gewerkschaften zur »nominellen« Vertretung für das Streben der Arbeiter, wurden zugleich aber auch zu einer mehr oder weniger gewöhnlichen Interessenvertretung innerhalb der sozialstaatlichen Rationalität normalisiert. Mit der Prosperität der westdeutschen Wirtschaft setzten Gewerkschaften wie allgemein das Gros der Arbeitenden mehr und mehr auf materielle Forderungen in Bezug auf Lohn, Arbeitszeit, Urlaub sowie die sozialstaatlichen Absicherungen und ganz allgemein die Teilhabe am wirtschaftlichen Wachstum und verzichteten auf Forderungen sowohl nach einem Systemwandel weg von der privatkapitalistischen Wirtschaftsordnung als auch auf Forderungen nach anderen Formen des Arbeitens. Dieser »schrittweise Wertewandel der Gewerkschaften« (Schönhoven 2014, S. 73) in Richtung der intermediär eingebundenen Gewerkschaft basierte dabei letztlich auf der Annahme eines engen Geflechts von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, innerhalb dessen Produktivität, Vollbeschäftigung und Wohlstand gemeinsames Anliegen aller Beteiligten sei. Die SPD, der »politische Arm« der klassischen Arbeiterschaft, hatte bei den Bundestagswahlen 1957 zum dritten Mal verloren, was den innerparteilichen Ruf nach Reformen und einer stärkeren Verankerung in der Sozialstaatlichkeit verstärkte; ein Wahlsieg schien nur möglich, wenn die Partei ihre Grundsätze revidierte und sich den Verhältnissen bzw. der herrschenden Rationalität anpasste. Mit dem Godesberger Programm von 1959 vollzog die Partei diese Reform: (Vgl. Limmer 1996, 101ff.) »[. . . ] freier Wettbewerb und freie Unternehmerinitiative sind wichtige Elemente sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik. [. . . ] Wirksame öffentliche Kontrolle muß Machtmißbrauch der Wirtschaft verhindern. Ihre wichtigsten Mittel sind Investitionskontrolle und Kontrolle marktbeherrschender Kräfte. [. . . ] In der Großwirtschaft ist die Verfügungsgewalt überwiegend Managern zugefallen, die ihrerseits anonymen Mächten dienen. Damit hat das Privateigentum hier weitgehend seine Verfügungsgewalt verloren. [. . . ] Wo mit anderen Mitteln eine gesunde Ordnung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse nicht gewährleistet werden kann, ist Gemeineigentum nützlich und notwendig.« (Godesberger Programm 1959)

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Die deutsche Sozialdemokratie hatte damit erstens auf das Prinzip des Übergangs zur Vergesellschaftung der Produktionsmittel verzichtet und zweitens und in Übereinstimmung damit anerkannt, dass das Privateigentum an Produktionsmitteln nicht nur völlig legitim ist, sondern Anspruch auf Schutz und Förderung durch den Staat hat.19 Sie akzeptiert damit nun gewissermaßen offiziell den Zusammenschluss mit der neu geschaffenen Rationalität der Gesellschaft, die ja niemals die Abkehr vom Ökonomischen als Wurzel des Staates vollzogen hatte. Auf diese Weise war der Godesberger Kongress natürlich der Bruch mit dem marxistischen Sozialismus, aber zugleich auch die Annahme dessen, was sich schon als wirtschaftlich-politischer Konsens vollzogen hatte.20 Als wichtigste Erfolge der »einst schutz- und rechtlosen Proletarier« wird entsprechend angesehen, dass diese »den gesetzlichen Achtstundentag, den Arbeitsschutz, die Versicherung gegen Arbeitslosigkeit, Krankheit, Siechtum und für seinen Lebensabend [. . . ], das Verbot der Kinderarbeit, der Nachtarbeit für die Frauen, den Jugend- und Mutterschutz und bezahlten Urlaub [erreichten]« (Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1959). Die SPD vereinigte sich in diesen Zielen eindeutig mit der Rationalität der Gesellschaft und verabschiedete sich endgültig von den alten Praktiken der alten Bewegung der Arbeiter. Wie die SPD, so wurden auch seitens der Gewerkschaften an die Rationalität der Arbeiterbewegung erinnernde Praktiken immer mehr an den Rand gedrängt und der Beteiligung an Produktivitätsgewinnen untergeordnet. Diese Neuausrichtung kulminiert in dem 1963 auf einem Kongress in Düsseldorf beschlossenen neuen Grundsatzprogramm des DGB, in dem es nicht mehr wie in den sozialistisch geprägten wirtschaftspolitischen Leitsätzen von 1949 um eine grundlegend neue, zum Kapitalismus alternative Wirtschaftsverfassung ging, sondern das vielmehr das Bild ei-

19 | Den Grund für das Scheitern des Sozialismus sieht Foucault nicht zuletzt darin, dass diesem eine gouvernementale Vernunft fehlt, »eine Definition dessen, was innerhalb des Sozialismus eine Rationalität der Regierung wäre, ein vernünftiges und berechenbares Maß des Umfangs der Modalitäten und der Ziele des Handelns der Regierung.« (Foucault 2004b, S. 134) Foucault macht dies an der Diskussion um den »wahren« Sozialismus fest, die verdeutlicht, dass die Abwesenheit einer intrinsischen Regierungsrationalität durch die Beziehung der Übereinstimmung mit einem Text ersetzt wird. (Vgl. ebd., S. 136f.) 20 | Foucault behandelt diesen Zusammenschluss ebenfalls in der Geschichte der Biopolitik (Foucault 2004b, S. 133), sieht darin aber den Zusammenschluss mit dem Neoliberalismus. Dies wiederum ist jedoch widersprüchlich insofern als er an späterer Stelle (ebd., S. 304) das Erscheinen des Neoliberalismus erst – wie in dieser Arbeit auch – in den 1970er Jahren verortet. Hier zeigt sich entsprechend erneut die schon mehrfach angedeutete Schlüssigkeit der Hinzunahme der Rationalität der Gesellschaft als Rationalität zwischen den beiden Liberalismen.

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ner Wirtschaftsstruktur zeichnet, in der Kapitalinteressen und arbeitnehmerorientierte Faktoren quasi austariert sind. Der »Wettbewerb« wird als regulierendes Prinzip der Wirtschaft grundsätzlich akzeptiert. Und auch wenn es heißt, dass Wirtschaften »nicht allein vom Gewinnstreben bestimmt sein [darf]«, so wird konstruktive solidarische Zusammenarbeit doch »Vollbeschäftigung, Wirtschaftswachstum und steigende[n] Einkommen« untergeordnet. (Deutscher Gewerkschaftsbund 1963) Es ging nun nicht mehr um gesellschaftliche Gegenentwürfe, sondern – als Teil des Systems – um die reformerische Umgestaltung des kapitalistischen Wirtschaftssystems mithilfe von Lenkungsmaßnahmen, die auf eine planerische Optimierung der Marktwirtschaft und nicht mehr auf deren fundamentale Veränderung abzielten: »Man akzeptierte den Wettbewerb, trat für die Sicherung der Vollbeschäftigung und des Wirtschaftswachstums ein, forderte Preisstabilität, einen Abbau von Steuerprivilegien und eine Förderung der Vermögensbildung. Insgesamt votierten die Gewerkschaften nun für eine Zähmung und nicht mehr für eine Zerschlagung des Kapitalismus, wobei sie sich an den Konzepten von Keynes orientierten, dessen Vorschläge zur staatlichen Steuerung der Marktwirtschaft das Düsseldorfer Programm aufgriff.« (Schönhoven 2014, S. 74)

Sieht man von den unmittelbaren Nachkriegsjahren ab, während derer die institutionalisierten Vertretungsorgane der Arbeiter, Gewerkschaften und SPD, auf eine grundlegende Neuorganisation von Staat und Wirtschaft setzten, vollzog sich die Restrukturierung organisierter Arbeitsbeziehungen in Deutschland also auf der Grundlage des Sozialstaats bzw. des »wohlfahrtsstaatlichen Klassenkompromisses«: Im Gegenzug für einen faktischen Verzicht auf das System bzw. die Regierungsrationalität transzendierende Ziele wurden die Gewerkschaften und die Mehrheitsströmungen der politischen Arbeiterbewegungen in den sich ausbildenden Wohlfahrtsstaat inkorporiert und wirkten im Rahmen der »Sozialpartnerschaft« des sog. »Rheinischen Kapitalismus« als Garanten sozialer Stabilität und Sicherheit.21 (Vgl. Dörre 2010, S. 882)

21 | Dabei soll nicht außer Acht bleiben, dass in der Bundesrepublik keineswegs vierzig Jahre lang ein ungetrübter Wirtschaftsfrieden herrschte, denn trotz der im internationalen Vergleich geringen Streikaktivitäten gab es natürlich auch in der BRD Arbeitskämpfe. Besonders zu erwähnen sind hier die politisch motivierten Proteststreiks gegen das Betriebsverfassungsgesetz und die Aushöhlung der Montanmitbestimmung der frühen 1950er Jahre; die großen, durch Massenaussperrungen verschärften Streiks in der Metallindustrie um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall (1956/57) und um die Verkürzung der Arbeitszeit (1962/63); die Welle »wilder« Massenstreiks 1969/70 sowie zu Beginn der 1980er Jahre die ausgedehnten Arbeitskämpfe um den Einstieg in die 35-Stunden-Woche.

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Anfang der 1950er hatten die in Bezug auf ihre Mitgliederzahlen massiv angewachsenen Gewerkschaften (rund sechs Millionen DGB-Mitglieder Anfang der 1950er, http://www.dgb.de/uber-uns/dgb-heute/mitgliederzahlen/1950-1993) bereits als »bürokratisch gefestigte und für die Volkswirtschaft als unentbehrlich angesehene Massenorganisation« die »volle Anerkennung durch Gesetzgebung, Arbeitgeber und öffentliche Meinung« erreicht (Briefs 1952, S. 87; vgl. a. Dörre 2010, 882f.). Zieht man eine Bilanz dieses »auch für die Gewerkschaften ›goldenen Zeitalters‹« (Schönhoven 2014, S. 76), so sind durchaus beachtliche Erfolge zu verzeichnen, wie v.a. der Anstieg des um die Preissteigerungen bereinigten Realeinkommens der Arbeiter um das Dreieinhalbfache und das der Angestellten um mehr als das Vierfache sowie der kontinuierliche Rückgang der tariflichen Wochenarbeitszeit und die Einführung der 5-Tage-Woche. Je erfolgreicher die Gewerkschaften dabei waren, abhängig Beschäftigte am Produktivitätsfortschritt zu beteiligen und sie mit kollektiven Partizipations- und Schutzrechten auszustatten, desto stärker veränderten sie sich aber auch selbst: Sukzessive büßten sie ihren Bewegungscharakter ein, übertrugen genossenschaftliche Funktionen auf den Wohlfahrtsstaat und agierten oberhalb der Betriebsebene als effiziente Tarifpartner – das Zentrum ihres strategischen Handelns verschob sich immer stärker von struktureller und Organisationsmacht hin zu institutioneller Macht, der Klassenkonflikt war gewissermaßen institutionalisiert (so z.B. Dahrendorf 1967).22 Die diversen anderen Gruppierungen jenseits dieser massentauglichen, sich explizit vom orthodoxen Marxismus abwendenden Organe der Arbeiter sind nach 1945 zunehmend marginalisiert. Bis 1956 sind sämtliche marxistische Parteien inhaltlich 1:1 mit dem Marxismus der Kommunistischen Partei der Sowjetunion identisch, erst dann führt der Bruch zwischen der UdSSR und China zu einem breiten Abwenden von der doktrinären Orthodoxie und es kommt zu einer Öffnung der internen theoretischen Auseinandersetzung, und damit auch zu Rivalitäten zwischen verschiedenen marxistischen Gruppierungen. (Vgl. Hobsbawm 2012, S. 153) Zugleich anerkannten die meisten westlichen Marxisten, dass die bestehenden sozialistischen Regime weit von dem entfernt waren, was sie selbst sich unter einer sozialistischen Gesell-

22 | Die Institutionalisierung manifestiert sich dabei nicht nur in der vertretungs- und tariflipolitischen Anbindung der Gewerkschaften; mindestens genauso bedeutsam ist die institutionelle Beteiligung der Gewerkschaften an zahlreichen Beratungs- und Entscheidungsgremien, wie den Vorständen der Arbeitsverwaltung und Sozialversicherungsträger, den Arbeitsgerichten, den Rundfunkräten, den Beiräten der Ministerien, Entwicklungs- und Planungsgremien usw., bei denen die Gewerkschaften jeweils vergleichsweise weitgehende Befugnisse zur Beratung und Mitentscheidung inne haben. (Vgl. Wiesenthal 2014, S. 399)

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schaft oder einer Gesellschaft, in welcher der Sozialismus im Aufbau begriffen war, vorstellten. Die russischen Bolschewiki hatten eine riesige industrielle Arbeiterklasse entstehen lassen, doch die Arbeiterbewegung, wie sie oben beschrieben worden ist, abgeschafft. Und auch die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten ließen bis zu ihrem Ende 1991 keine von Staat und Partei unabhängige Arbeiterorganisationen zu. (Vgl. ebd., S. 387) Der Großteil der Marxisten außerhalb der kommunistischen Regime sah sich gezwungen, gegen die offensichtlichen negativen Auswüchse des Realsozialismus an zu begründen, warum der Sozialismus trotzalledem die notwendige Lösung für die Probleme war, welche die kapitalistische Gesellschaft schuf, warum er trotzalledem praktisch und mit menschlichem Antlitz umsetzbar war, und warum er trotzalledem eine Hoffnung für die Zukunft bot. (Vgl. ebd., S. 323) Da dies kaum gelingen konnte, war angesichts des erst im Nachhinein im ganzen Umfang sichtbaren Negativen des real existierenden Sozialismus institutionell und programmatisch das, was gemeinhin als Widerstand gilt, zumindest diskreditiert. Inwieweit zugleich auch das, was in der vorliegenden Arbeit als Gegen-Verhalten akklamiert wird, in die Defensive gerät, wird im folgenden Abschnitt untersucht. 6.5.2 Marginalisierung der Arbeiter Insofern, wie in Abschnitt 3.4 gezeigt, sich Gegen-Verhalten wenn dann nur im konkreten Sein äußern kann, beschreiben die eben dargelegten Programme und institutionellen Entwicklungen natürlich nur die Oberfläche der Arbeiterbewegung. Dennoch zeigt sich, dass die Arbeiterbewegung auch jenseits ihrer Institutionalisierung sich in Auflösung befindet. In Verbindung mit dem sich entwickelnden Wohlstand greifen zunehmend die Normalisierungsstrategien breite Teile der klassischen Arbeiterschaften ab und transformieren diese in »Mitarbeiter«, Facharbeiter und Angestellte, die sich zumeist explizit von proletarischen Praktiken und Seins-Formen abzugrenzen suchen. Auch wenn die erworbenen Symbole kulturellen Wohlstands dieser »kleinbürgerlichen« Schichten – wie Auto, Möbel, Reiseandenken oder die Alkoholbestände in der Hausbar – sich nach wie vor von den klassisch-liberalen Symbolen wie dem Bezug auf Familien- und Bildungstraditionen, auf Statussicherheit und Besitzerrechte klar unterscheiden, so artikulieren sie doch deutlich den Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung und den Ausweis gesellschaftlich habitualisier-

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ter Leistungsnormen, so dass es nicht verwundert, dass auch die Selbstbezeichnung »Arbeiter« immer mehr an Wert verliert.23 Die Entwicklung »schichtübergreifender« Strukturen aus Sport, Mode, Medien und Werbung sind Ausweis der Verinnerlichung der gesellschaftlichen Normen und der für den Konsum erforderlichen Leistungsbereitschaft in der Arbeit bei breiten Teilen der ehemaligen Arbeiterschaft. Insofern die materiellen Entwicklungen des Sozialstaats für diese »bürgerlichen Lohnabhängigen« (Castel 2008, S. 309) positiv sind und sich neue Freiheiten zu handeln aufgetan haben (auch wenn diese im Wesentlichen als die Freiheit zu konsumieren auftreten), so verschwinden bei diesen Teilen der Arbeiterschaft Mikrokämpfe wie auch solidarische Praktiken immer mehr und »das Oszillieren zwischen Revolution und Reform, das die Arbeiterbewegung stets in Bewegung gehalten hatte [setzt sich] immer nachdrücklicher am zweiten der beiden Pole fest« (ebd., S. 315). Die Reste der ursprünglichen Arbeiterschaft, die noch in der klassischen Produktion tätig sind, haben dagegen durch die fortschreitende Automatisierung ihre Relevanz für die gesellschaftliche Produktivität und vielleicht auch damit ein Stück weit ihre geschichtliche Möglichkeit als Gegen-Kraft mit Perspektive auf eine Veränderung der herrschenden Rationalität eingebüßt. Die Arbeiterklasse bildet von nun an den Unterbau der ansonsten mehr oder weniger »nivellierten Mittelstandsgesellschaft«24 – ohne echte Perspektive auf gesellschaftliche Wirksamkeit. Auch wenn sich hier nach wie vor Besonderheiten in der Lebensweise, in Lebensentwürfen, sozialen Leitwerten und Geselligkeitsformen zeigen und kollektive Werthaltungen und Praxisformen dominieren, die an das alte Gegen-Verhalten erinnern (vgl. ebd., S. 315 sowie Kaschuba 1990, S. 57), so sind doch die offenen Auseinandersetzungen, die in Abschnitt 5.2 beschriebenen Mikrokämpfe gegen die Subjektivierung zur Produktiv-

23 | Vgl. zur Kultur dieser kleinbürgerlicher Schichten Kaschuba 1990, S. 55 sowie grundlegend die berühmte »Angestelltenstudie« Kracauers, die, auch wenn sie noch vor der Gründung der BRD entstanden ist, doch wesentliche Mechanismen aufzeigt und kaum etwas an Aktualität eingebüßt hat (Kracauer 1930/1971). 24 | Helmut Schelsky hatte in den 1950er Jahren diesen Begriff als Abgrenzung von der Klassengesellschaft für die Sozialstruktur der Nachkriegs- und Wirtschaftswunderbundesrepublik geprägt. (Schelsky 1953/1960). Das Konzept der »nivellierten Mittelstandsgesellschaft« stieß jedoch von Anfang an auf Kritik nicht nur von Vertretern der Klassentheorie. Auch der liberale Soziologe Ralph Dahrendorf beispielsweise verweist auf die auch empirisch nachweisbaren sozialen Ungleichgewichte und kritisiert Schelskys Konzept als Variante des nationalsozialistischen Konzeptes der Volksgemeinschaft. (Dahrendorf 1957)

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kraft in den Hintergrund gerückt und mit den Institutionalisierungen der Partei und Gewerkschaften in der Bedeutungslosigkeit erstarrt. Ein »letztes Aufbäumen« der Arbeiterschaft im Sozialstaat stellen die spontanen Massenstreiks des Herbsts 1969 dar, welche v.a. die gewerkschaftliche Politik massiv infrage stellten und noch einmal das anarchische Moment der Arbeiterbewegung aufblitzen ließen: Durch die Unbeweglichkeit der gewerkschaftlichen Tarifstrategie, verursacht durch die Friedenspflicht in der Laufzeit der Tarifverträge, war eine allzu krasse Distanz zwischen der Gewinnlage der Unternehmen und dem Lohnniveau der Arbeitnehmer entstanden. Die Belegschaften der Großunternehmen reagierten darauf mit selbstorganisierten Arbeitsverweigerungen, woraus sich schnell eine größere und von den Gewerkschaften unabhängige Streikbewegung entwickelte. So beschreibt Der Spiegel in seiner Ausgabe vom 15.09.1969: »Rhythmische Chöre: ›Ausbeuter, Ausbeuter‹ und ›Deutscher Arbeiter, erwache‹ drangen von Straßen und Plätzen in die kultivierten Direktionsetagen der Industrie. Rufe: ›Wir lassen uns von euch nicht verschaukeln‹ schreckten die längst saturierten Gewerkschaftsführer aus ihrer behaglichen Routine. Otto Brenners IG Metall, seit über zwei Jahrzehnten die kampfstärkste Arbeitnehmerorganisation, hat in der vergangenen Woche ihre größte Schlappe erlitten. Zehntausende organisierter Eisenwerker, Former und Gießer nahmen ihre Interessen wahr, ohne die Frankfurter Zentrale zu bemühen. Obwohl über 90 Prozent der Beschäftigten dieser Branche organisiert sind, handelten die Arbeiter vorsätzlich gegen das Reglement, nur nach geheimer Urabstimmung im Betrieb und nach Zustimmung des Gewerkschaftsvorstandes Kampfmaßnahmen zu beginnen. Sie verzichteten damit auf die ihnen sonst zustehende Unterstützung aus der Streikkasse.« (N.N. 1969b)25

Auch wenn v.a. auf eine Erhöhung der Löhne abgezielt wurde, so signalisierten diese wilden Streiks über den konkreten Anlass und Ablauf hinaus doch noch einmal das Vorhandensein des mikrokämpferischen und solidarischen Potentials in der Arbeiterschaft und des Unwillens, auf diese Weise regiert und normalisiert zu werden. Die Position der Gewerkschaften war und blieb jedoch trotz dieser auch gewerkschaftskritischen Bewegungen unverändert. Und auch zeigt sich im weiteren Verlauf, dass es das bislang letzte Mal war, dass sich diese Art kollektiven Gegen-Verhaltens äußerte. Zumindest seitens der Arbeiterschaft schienen die Praktiken der Normalisierung vollends zu greifen und die Arbeiterklasse in die Normalität zu »verbürgerlichen«, zu »integrieren« und damit gefügig zu machen. Die Verschiebungen in der Rationalität

25 | Vgl. zu den Streiks auch N.N. 1969a.

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hin zum Sozialstaat haben offenbar das Gegen-Verhalten der Arbeiterbewegung aus den Angeln gehoben und deren deutliche Schwächung bewirkt. 6.5.3 Kritik von rechts wie von links Angesichts des eben Dargelegten stellt sich auf ganz grundsätzlicherer Ebene die Frage, inwieweit überhaupt in einer Rationalität, die von einer Bewegung der Arbeiter mitgeprägt ist, Gegen-Verhalten seitens der Arbeiter zu suchen ist. Natürlich ist nach wie vor die Arbeiterschaft Subjektivierungtechnologien unterworfen, aber eben in einer perfiden Art und Weise, die das althergebrachte Gegen-Verhalten als selbstdestruktives Verhalten erscheinen lässt und zugleich mit der Freizeit anscheinend einen Raum für Praktiken der Freiheit geschaffen hat. Die breite Masse der Arbeiter geht vollends in dieser Macht auf und hält sie durch ihr Mitspielen am Leben. Tatsächlich kann man (auch wenn es einer eingehenderen eigenen Erörterung bedarf, dies im Einzelnen zu untersuchen) Gegen-Verhalten in der Rationalität der Gesellschaft wohl eher an den nun neuen Rändern ausmachen, bei den A-Normalen – Individualisten und Nonkonformisten –, die sich der Normalisierung verweigern und mit ihren individualistisch geprägten Lebenseinstellungen gerade die Normalität herausfordern, die zunehmend auch die Form der Arbeit und die Entwicklung des »Normalarbeitsverhältnisses« bestimmt hat. Dieser Widerstand entspricht einem Konzept, das davon geprägt ist, existenziell, also durch die Lebensführung selbst, einen Einspruch zum Ausdruck zu bringen und auch zu begründen und ist gekennzeichnet durch Flucht- und Detorrialisierungsbewegungen in verschiedene Marginalbereiche – in Kommunen, in ein Einsiedlertum, auf das Land, in ökologische Subkulturen, Drogen, den Wahnsinn, die Kriminalität usw., später dann auch in die sog. »Neuen Sozialen Bewegungen«26 , die sich von der Ebene der Gesetze und Prinzipien, nach denen die Rationalität der Gesellschaft funktioniert, entfernt haben, und den Wunsch nach Auswegen aus der Normalisierung verdeutlichen. (Vgl. Makropoulos und Müller 1978, S. 14)

26 | Der Begriff »Neue Soziale Bewegung« wurde nicht zuletzt gewählt, um sich von der Arbeiterbewegung abzugrenzen und zu betonen, dass (eigentlich ohnehin nicht mehr vorhandene) Klassenunterschiede hier überwunden werden. Umgekehrt galten seitens der Arbeiter(bewegung) diese wie auch das linke Gegen-Verhalten im Sozialstaat allgemein als »kleinbürgerlich«; gerade weil diese Bewegungen keine »Klasse« bildeten, konnten sie aus Sicht der »klassischen« Linken nicht ernsthaft die Speerspitze des Protests gegen die kapitalistische Gesellschaft darstellen.

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Wie Luc Boltanski und Eve Chiapello zeigen (Boltanski und Chiapello 1999/2006, 217f.), speisen sich diese Bewegungen gerade nicht mehr aus der Arbeiterschaft, sondern die Rationalität der Gesellschaft stößt eher seitens der jüngeren Generation der »’68er« mit höheren Studienabschlüssen und der sich damit herausbildenden Angestelltenschaft auf Widerstände, wohingegen die Arbeiter und die Arbeiterbewegung der sogenannten antiautoritären Kritik dieser Gruppe eher skeptisch gegenübersteht – auch wenn sich die intellektuelle »neue Linke« theoretisch geradezu leidenschaftlich mit den Arbeitern identifiziert. Hauptzielpunkt der Radikaleren dieser Neuen Linken war zunächst der Staat, der, ausgehend von der Annahme einer Verbindung von Staat und Kapitalismus (dem »staatsmonopolistischen Kapitalismus«, kurz »Stamokap«) als Herrschafts- und Unterdrückungsapparat charakterisiert wurde, der nicht nur im Besitz des Gewaltmonopols sei, sondern auch durch »ideologische Staatsapparate« (Althusser) wie Schule und Kultureinrichtungen wirke. Bemerkenswerterweise ignorierte diese Linke ihre offensichtliche Nähe zum Liberalismus, weshalb diese Staatskritik auch nicht mit einer Kritik am Wohlfahrtsstaat einherging, dessen Elemente vielmehr als gewissermaßen gegebene Rechte angesehen wurden.27 Neben dieser Staatskritik richtete sich die Kritik der (neuen) Linken auch auf Bereiche, die seitens der Gewerkschaften kaum Berücksichtigung fanden: Die Trostlosigkeit und fehlende Authentizität des Alltags, die entmenschlichende Technokratisierung und die Umformung der Gesellschaft zur »staatlichen Gesamtkaserne« (Dutschke 1967), den Verlust an Autonomie und Kreativität usw., der Wunsch nach Humanisierung und Emanzipation von Patriarchat, Paternalismus und Autoritarismus, wie es sich insbesondere in den vorgegebenen starren Arbeitszeiten und der tayloristischen Trennung zwischen Konzeption und Ausführung bzw. ganz allgemein an der Arbeitsteilung äußert. Man forderte »Macht kaputt, was euch kaputt macht« und suchte nach einem selbstbestimmten Leben in alternativen Lebensformen, strebte nach möglichst flexiblen Arbeitsbedingungen, nahm vorübergehende Gelegenheitsjobs an, die ein loses Verhältnis zu Arbeit und Arbeitgeber ermöglichten und eine gewisse Autonomie und Freiheit aufrechterhielten, da ja die Autorität eines Vorgesetzten wenig zählte und man leicht weiter zum nächsten Job wechseln konnte. Kurz, die Kritik an der Subjektivierung an der Arbeit im Sozialstaat äußerte sich eher in einem »Sich Entziehen«, statt in der direkten Konfrontation. (Vgl. Boltanski und Chiapello 1999/2006, 217ff. sowie Schildt 1995, 324ff. und Zill 2002)

27 | Jungsozialisten in der SPD, Bezirk Ostwestfalen-Lippe 1978, Delilez, Katzenstein und Schleifstein 1973, Jung und Schleifstein 1979.

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Hinzu kam, dass neben den Ungerechtigkeiten und Unterdrückungen, die bei der kapitalistischen Fortschrittsorientierung kritisiert wurden, nun auch der Fortschritt als solcher, und damit auch die Wachstumsorientierung des Marxismus, wie sie etwa auch (bei allem Anti-Marxismus) von den Gewerkschaften übernommen worden war, in die Kritik geriet: Durch den Bericht des Club of Rome Anfang der 1970er zusätzlich befördert, galt das unkontrollierte Wachstum zunehmend als Gefahr, eine existenzbedrohende Umweltkatastrophe heraufzubeschwören. Aktionen linker »Ökos« richteten sich nun vermehrt auch darauf, die Natur zu schützen und zu bewahren gegen gerade jene Verfügungsmacht des Menschen, welche der Marxismus und die Gewerkschaften stets hochgehalten hatten; die »historische Notwendigkeit« war nun nicht mehr positiv, sondern explizit negativ konnotiert, was die Gewerkschaften in besonderem Maße angreifbar machte. (Boltanski und Chiapello 1999/2006, 371f.) Diese »Künstlerkritik« (Boltanski/Chiapello) an der »Proletarisierung« der Arbeit und der strikten Orientierung am Fortschritt ging insofern Hand in Hand mit einer Kritik am klassischen Marxismus wie auch an der klassischen Gewerkschaftsbewegung und am Kommunismus, die dem sehr ablehnend gegenüber standen. Vor diesem Hintergrund betrachteten weite Teile der »neuen Linken« die Klasse der Arbeiter auch nicht mehr als revolutionär, sondern als geradezu in den Kapitalismus vollends integriert.28 Wie die politischen Parteien auch galten die Gewerkschaften als integrierter Teil jener bürokratisch-tayloristischen Nachkriegs-BRD, welche die ’68er zerstören wollten und die nun endlich in die Defensive geraten war. Und in der Tat wurden von der institutionalisierten Arbeiterbewegung rationalitätskritische Aspekte und die Technologien und Machtmechanismen des Sozialstaats ausgeblendet; stattdessen fokussierten sie sich auf eher quantitative Forderungen nach messbaren Ergebnissen (Lohnerhöhungen, Reduzierung der Arbeitszeit etc.), die leichter zu erzielen waren und man als leichter verhandelbar ansah. Parallel dazu verloren Parteien und Gewerkschaften für die Arbeiterschaft immer stärker an Attraktivität bzw. gerieten in Kritik als reaktionärer und sektiererischer »Lobbyverein« einer zu Unrecht privilegierten Minderheit. (Vgl. Boltanski und Chiapello 1999/2006, 332f.) Eng verbunden mit diesen Vorwürfen war die Kritik der ’68er gegen die zentralisierte leninistische Parteiorganisation der Gewerkschaften und gegen die zentral von oben vorgegebenen Dogmen und Rituale; aus Sicht der ’68er war jegliche Führerschaft suspekt – jeder sollte »sein eigenes Ding machen« und Entscheidungen sollten nicht von oben verordnet werden, sondern spontan und vor allem von unten entstehen – etwa aus der Stimmenvielfalt der Graswurzelorganisationen. Umgekehrt

28 | Klassisch für diese Sichtweise ist Herbert Marcuses Schrift Der eindimensionale Mensch (Marcuse 1964/2004).

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erschien aber auch das klassische Ziel marxistischer Revolutionäre, die Machtübernahme durch das Proletariat, nicht mehr als realistisch – die historische Notwendigkeit der Entstehung einer »revolutionären Situation« im Sinne Lenins war von der Geschichte überholt worden. Auch die revolutionäre »Alt-Linke« wandt sich vor diesem Hintergrund zunehmend von der institutionalisierten Arbeiterbewegung ab und baute stattdessen zunehmend auf Aufstände und Terroraktionen durch kleine illegale Gruppen. In gewissem Sinne vollzogen die Linksradikalen der 1960er Jahre damit durchaus eine Rückwendung zum alten proletarischen Gegen-Verhalten mit seinen Mikrokämpfen. (Vgl. ebd., S. 370f.) Vielleicht ist es diese Rückwendung zu einem Gegen-Verhalten, das in einer anderen Rationalität verankert ist, die dazu führte, dass lediglich die Relikte dieser althergebrachten Rationalität, nicht aber das eigentlich Neue der Rationalität der Gesellschaft angegangen wurde. So erwies es sich als überraschend einfach, die rebellische Generation von 1968 in ein florierendes kapitalistisches System zu integrieren, das in höherem Maße als all seine Vorläufer Vielfalt bei persönlichen Vorlieben und Lebensstil erlaubte, wenn auch ökonomisch gewendet. So wusste die Wirtschaft das Aufbegehren gegen entfremdende Arbeitsbedingungen und traditionelle Autoritätsformen für sich zu nutzen und dem zu begegnen, so dass es kaum wundert, dass sich später nicht wenige der Eliten zu diesem antiautoritärem Erbe bekennen und so auf die Kohärenz ihres damaligen Engagements mit den heute geforderten Eigenschaften von Autonomie, Spontaneität, Mobilität, Offenheit, Kreativität etc. verweisen können (siehe Abschnitt 7.4). Tatsächlich verselbständigen sich diese Themen, obgleich sie in den Texten der ’68er-Bewegung teilweise mit einer radikalen Kritik am Kapitalismus (insbesondere an der Ausbeutung) und mit der Verkündung seines bevorstehenden Endes verbunden werden, später in der neuen Management-Literatur (z.B. Drucker 1999, Malik 2000, Rosenstiel 1999) und werden gerade in den Dienst jener Kräfte gestellt, deren Zerstörung sie eigentlich beschleunigen wollten. (Vgl. ebd.) So reagieren die Unternehmen mit Dezentralisierung und der Einführung stärker meritokratisch orientierter Unternehmensführung. »Post-Taylorismus«, »Verantwortliche Autonomie« oder »Managment by Objectives« lauten die Stichworte, unter denen sich diese Modelle und die Forderung nach Selbständigkeit effizient mit Kontrolle und Motivation des Angestellten verbinden lassen: Den einzelnen leitenden Angestellten wird ein eigenständiger Aufgabenbereich zugewiesen, den sie autonom bearbeiten können. Dieser Bereich ist zwar durch eine mit der allgemeinen Betriebspolitik kohärenten Zielvorgabe klar abgegrenzt, dennoch werden die Angestellten nicht mehr en detail bei den einzelnen Entscheidungen, sondern nur noch in Bezug auf das Endergebnis kontrolliert und anhand klarer Leistungskriterien beur-

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teilt. Die Kritik an der tayloristischen Arbeitsteilung, den Hierarchien und der Überwachung, also die von der institutionalisierten Arbeiterbewegung fortgeführte Kritik an der »Entfremdung«29 der Arbeit, löst sich somit, wie Boltanski/Chiapello darstellen (Boltanski und Chiapello 1999/2006, S. 144), von der Kritik an der Entfremdung durch die Warengesellschaft und an der Unterdrückung durch die Marktkräfte, mit der sie noch in den 1970er Jahren einherging; die das gesamte Sein und Mitsein umfassende Zielrichtung des Gegen-Verhaltens der Arbeiter spaltet sich somit auf in die auf die Arbeitssphäre beschränkte Kritik der institutionalisierten Arbeiterbewegung und in die auf das Leben abzielende Kritik der sog. Neuen Linken. Aus anderer Blickrichtung ist gewissermaßen die Kritik der institutionalisierten Arbeiterbewegung an den Resten der alten liberalen Rationalität hängen geblieben, wohingegen die Neue Linke sich in ihrer Kritik tatsächlich auf Elemente kapriziert, welche die neue Rationalität des Sozialstaats auszeichnet. Verstärkt durch den ersten Ölschock und die Rezession der Jahre 1974/75 wird die Kritik der Neuen Linken an der Normalisierungs- und Vorsorgepolitik des Sozialstaats schließlich durch eine Kritik von »rechts«30 flankiert, die auf die unproduktiven Elemente dieser Rationalität abzielt und Zweifel an der Beständigkeit der mit der Rationalität der Gesellschaft zunächst heraufziehenden Produktivität säht. Sie macht deutlich, dass der Sozialstaat mit seiner Orientierung am »Normalen« ein produkti-

29 | »Entfremdung« war ein zentrales Thema der arbeitswissenschaftlichen Forschung in den 1960er und 1970er Jahren, wo kritisiert wurde, dass durch die betriebliche Fremdbestimmung das je »Eigene« in der Arbeit als etwas systematisch »Fremdes« erlebt wird. Wichtiger Ansatzpunkt war hierfür insbesondere Marx und dessen Gedanke, dass der Mensch durch den Zwang zum Verkauf der eigenen Potenziale als Ware und die betriebliche Beherrschung über seine Arbeit im Kapitalismus seinen durch seine Arbeit geschaffenen Produkten, aber auch sich selbst und seinen Mitmenschen systematisch »fremd« wird. (Vgl. als Überblick zum Beispiel Israel 1972 sowie auch die weiterführende Literatur zit. in Voß und Rieder 2005, S. 187.) Der Diskurs zur Entfremdung wurde allerdings sehr kontrovers geführt. Insbesondere wurde kritisiert, dass diese Auffassung von Entfremdung von der Vorstellung eines ursprünglichen, nicht-entfremdeten Leben ausgehe, was aber nur ein Konstrukt sei und nicht wissenschaftlich belegt werden könne (vgl. Voß und Rieder 2005, S. 189). Aus genealogischer Sicht würde man ganz ähnlich argumentieren – und ergänzen, dass auch die sozialstaatliche Form der Arbeit natürlich nur eine mögliche Form von Arbeit ist. 30 | Es wäre äußerst spannend zu untersuchen, inwieweit die Unterteilung des politischen Spektrums in »rechts« und »links« – zumindest in ihren Extremen – im Neoliberalismus zur Machttechnologie geworden ist, als Mittel, die Alternativlosigkeit zu verdeutlichen.

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ves Potential brachliegen lässt, das, sobald einmal die ökonomische Normalität sich verfestigt hat, der kapitalistischen Wachstumslogik hinderlich ist. Aus einer alternativen Interpretation der Kapitalismuskrise heraus wurden sukzessive eine neue Sozialpolitik und Veränderungen in der Rationalität eingeleitet, die auch die heutigen Machttechnologien bestimmen und das gegenwärtige Sein prägen. Hierzu gehört, dass vor dem Hintergrund einer angespannten Wirtschaftslage, d.h. angespannteren Produktivitätsaussichten gerade in den von der antiautoritären Kritik eingeforderten Attributen Mobilität, Flexibilität und Subjekt-Bezogenheit produktive Potenziale gesucht wurden. Durch Deregulierung der Arbeitsorganisation, Stärkung der Flexibilität und Erhöhung der Autonomie der Arbeitnehmer, die sich nicht zuletzt flexibleren Arbeitszeiten sowie zunehmendem Outsourcing in Subunternehmen, befristeten Arbeitsverhältnissen und einem Anstieg der Zeit- bzw. Leiharbeit, also einer Zunahme unsicherer Beschäftigungsverhältnisse und einer Vergrößerung der mobilen Arbeitskraftreserve niederschlug, sowie allgemein eine umfassendere Einbeziehung des Subjektiven in den Verwertungsprozess wurden so neue Produktivitätspotentiale zu erschließen gesucht. Zunehmend werden die Menschen nun weniger als anonymer Teil einer normalisierten Masse behandelt, wie im Taylorismus, sondern die einzelnen Stellen immer stärker individualisiert und differenziert und dezidiert subjektive Elemente wie Kontaktfähigkeit, Problemlösungsfähigkeit, Engagement, Kreativität etc. eingefordert und zu mobilisieren versucht, was typischerweise einhergeht mit einer zunehmend individualisierten Entlohnung und Leistungsbemessung. (Vgl. ebd., S. 261ff.) Die neuen Strukturen, die sich letztlich mit dem Neoliberalismus aus dieser rechten und linken Kritik am Sozialstaat ergeben und eben nicht allein mit der Senkung der Lohnkosten und mit den daraus entstehenden Produktionsgewinnen begründet werden, sondern ebenso mit der Absicht, mit den taylorisierten Arbeitsprozessen zu brechen (Bereicherung der Arbeitsaufgaben, Verbesserung der Arbeitsbedingungen), sind, wie sich im folgenden Kapitel zeigen wird, äußerst ambivalent: Zum einen ist natürlich die Kritik am Taylorismus, die Menschen in Arbeitsprozessen wie Maschinen zu behandeln, äußerst zwingend; zum anderen konnte aber gerade aufgrund dieses sehr oberflächlichen Ansatzes und der von der institutionalisierten Arbeiterbewegung realisierten strikten Trennung in Arbeit und Leben verhindert werden, dass elementare subjektive Eigenschaften der Arbeitnehmer (Emotionen, Moralverständnis, Ehre, Kreativität etc.) unmittelbar in den produktiven Verwertungskreislauf überführt werden. Erst die Kritik an und dann Lösung von der maschinistischen Arbeitsweise im Neoliberalismus ermöglichte ein tiefes Eindringen der Produktivität in das Subjekt und ein Einfordern eines umfassenden Engagements des ganzen Seins und sogar Mitseins. (Vgl. Boltanski und Chiapello 1999/2006, S. 145)

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Auf das Gegen-Verhalten und den Wunsch nach Differenzierung und Entmassung Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre antwortete also letztlich der Neoliberalismus, indem er diese Forderung in Form einer Ökonomisierung und Rationalisierung vereinnahmte. Güter und vor allem auch Praktiken, die bislang jenseits der Marktsphäre gestanden hatten, wurden in »Produkte« transformiert, die über einen Preis auf einem Markt ausgetauscht werden können. Am Ende ist es somit der Neoliberalismus, der mit solchen Technologien die autoritäre Kritik und den damit verbundenen Nonkonformismus aufgreift, produktiv wendet und ihn so doch wieder an »Arbeit« zurückbindet. Und vermutlich liegt gerade hierin die Herausforderung für eine heutige Gegenbewegung: ein Gegen-Verhalten, das sich ursprünglich gegen die »eigene« Rationalität der Gesellschaft wandt, so zu integrieren, dass ein gemeinsamer Widerstand gegen die neoliberalen Subjektivierungen denkbar wird. Dem wird in den folgenden Kapiteln nachgegangen.

7. Der Neoliberalismus

In den vorigen Kapiteln ist deutlich geworden, dass die mit der Heraufkunft der modernen Gouvernementalität scheinbar verbundene schier unendliche Möglichkeitsoffenheit in Wirklichkeit eine ganz bestimmte, oft auch unmerkliche Strukturierung des Seins bedingt, die den Kontingenzraum in eine ganz bestimmte Richtung lenkt und entsprechend wieder begrenzt. In diesem Sinn war mit der Entfaltung der Regierungskunst des Liberalismus auch nicht der Übergang von einer autoritären zu einer toleranten und lockeren Regierung verbunden. Vielmehr stellt auch der Liberalismus eine Form der Strukturierung dar und ist somit nicht etwa, wie häufig postuliert, eine Regierungspraxis, welche die Freiheit mit einem ubiquitären Laissez-faire in besonderem Maße respektiert und irgendeine »natürliche« Freiheit zu garantieren sucht, sondern vielmehr »managt« der Liberalismus die Bedingungen, unter denen die Subjekte frei sein können, und das ist konkret die Disziplinierung und Moralisierung der Individuen zu rationalen und produktiven Subjekten. Entsprechend stellt Freiheit innerhalb des Liberalismus auch keinen absoluten Wert dar, sondern die Herstellung der Freiheit impliziert unmittelbar, dass auch »Verfahren der Kontrolle, Beschränkung, des Zwangs [eingeführt werden], die ebenso das Gegenstück und Gegengewicht der Freiheiten bilden« (Foucault 2004b, S. 102) – eben die beschriebenen disziplinären und moralisierenden Technologien. Es sind i.W. diese Subjektivierungen, gegen die sich Widerständigkeit in Form zahlloser Mikrokämpfe seitens der Arbeiter formiert, die den Liberalismus v.a. auch deswegen nicht unberührt lassen kann, als die mit diesen Subjektivierungen in Verbindung gebrachten Verheißungen des Liberalismus sich nicht erfüllen: Zwar ergibt sich mit der Durchsetzung der liberalen Rationalität ein nie dagewesenes Wirtschaftswachstum, zugleich tritt mit dem Pauperismus jedoch auch eine von unbeschreiblichem Elend und gewaltigen Härten begleitete neuartige Massenarmut hervor, die gerade auch die zu Produktivität und Rationalität disziplinierten und moralisierten Arbeiter trifft – und sie trotz dieser Subjektivierung trifft: Not und das mit der Armut

228 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

einhergehende Risiko, dauerhaft aus der Gesellschaft herauszufallen, finden sich nun nicht mehr v.a. bei den Arbeitsscheuen und den der Disziplinierung sich Widersetzenden, sondern werden zu einem Risiko, das die Lage der Arbeitenden als solche und trotz Arbeitens betrifft. Orientiert an einem Verständnis von Arbeit, das diese als mehr als nur als rational im Dienst der Produktivität stehendes Element ansieht und das entsprechend über die Orientierung an Produktivität und Rationalität, wie es die neuzeitliche Gouvernementalität nahelegt, hinausweist, vollzieht sich vor diesem Hintergrund die Herausbildung einer Arbeiterbewegung, die nicht einfach nur historische Elendskultur ist mit dem Ziel, den eigenen Rechten im Frühkapitalismus besser Respekt zu verschaffen oder einen größeren Teil »vom Kuchen« abzubekommen. Vielmehr öffnen die solidarischen Praktiken und das gruppen- statt leistungsbezogene Arbeitsethos der Arbeiter den durch den Liberalismus auf die Produktivität zugespitzten Kontingenzraum um eine Freiheit zu (handeln), die mehr ist als der Austausch reziproker Interessen, und in der Arbeit nicht allein als Mittel der Reichtumsmehrung, sondern als Prinzip gemeinsamen Handelns und Gestaltens erfahren wird. Es ist diese »De-Subjektivierung«, die aufzeigt, dass eine einmal gegebene Subjektivierung bzw. Rationalität nicht unabänderlich ist und das Subjekt nicht als widerstandslos gestaltbares Wesen völlig in der Macht aufgeht, sondern durchaus die Möglichkeit besteht, das Spiel auch anders zu spielen. Verstärkt durch die sich im Pauperismus manifestierende innere Widersprüchlichkeit des Liberalismus erweist sich diese der Arbeiterbewegung eigene Rationalität als nicht in den Liberalismus integrierbar und stellt den Liberalismus letztlich in einer Weise zur Disposition, die ein Fortfahren nicht mehr möglich macht. Tatsächlich stehen am Ende entscheidende Modifikationen der liberalen Gouvernementalität und die Heraufkunft einer neuen, auf der Objektivität des Sozialen basierenden Rationalität. Diese neue Rationalität ist keine einfache Fortentwicklung des Liberalismus, aber auch nicht die Übernahme der von der Arbeiterbewegung verkörperten Rationalität, sondern ein eigenes Machtdiagramm, das Elemente beider Rationalitäten perpetuiert und entsprechend mit eigenen Technologien und Subjektivierungsmechanismen operiert. Ihre politische Verkörperung findet diese Rationalität im Sozialstaat, also einer Regierungsform, in der die Gesellschaft als Ideologie-freier Ankerpunkt des Regierungshandelns gesetzt wird und bei der staatliche Einrichtungen und Steuerungsmaßnahmen für eine Normalisierung der Risiken des auf Produktivität ausgerichteten Zusammenlebens sorgen. Diese Rationalität der Gesellschaft ersetzt nicht nur den Individualismus und das Laissez-faire des Liberalismus, sondern auch das Solidaritätsprinzip der Arbeiterbewegung, das nun nicht mehr Emanzipationsbegriff und der Engführung auf Rationalität und Produktivität entgegengestelltes Mittel zur Realisie-

7. DER NEOLIBERALISMUS | 229

rung positiver Freiheit zu ist, sondern stattdessen selbst als Produktivität herstellende Technologie firmiert. Ausgehend von der oben beschriebenen Kritik am Staat von rechts wie von links wurden ab den 1970er Jahren mit dem Beginn der Liberalisierung der Finanzmärkte und der Flexibilisierung der Wechselkurse der internationalen Währungen, der Intensivierung des Freihandels, des Rückbaus der Sozialstaaten usw. dann die Konturen einer neuen Wirtschafts- und Sozialordnung sichtbar, die für Foucault einen weiteren Rationalitätsbruch darstellt, den er mit der völligen »Reorganisation der Regierung der Menschen« im 15. und 16. Jahrhundert gleichsetzt und als eine »große Umgestaltung der Art und Weise, wie die Menschen regiert wurden, sowohl in ihren individuellen wie in ihren sozialen, politischen Beziehungen« identifiziert (Foucault 2008, S. 119) und die i.W. auch die noch heute gültige und Basis der aktuellen Subjektivierungen ist. Die Darstellung dieser neoliberalen Gouvernementalität in diesem Kapitel setzt wie schon beim Liberalismus an Foucaults entsprechenden Analysen aus der Geschichte der Gouvernementalität an, fokussiert sich dabei aber v.a. auf die Darstellung der damit verbundenen Subjekttechnologien und sozialpolitischen Implikationen, die beide für die Frage nach einer »Arbeiterbewegung« bzw. nach im Kontext von Arbeit stehender Widerständigkeit im Neoliberalismus von besonderer Bedeutung sind. Beide Punkte sind bei Foucault eher am Rande behandelt worden; der Rückgriff auf die Subjektivierungs- und Entgrenzungsdiskurse der Arbeits- und Industriesoziologie eröffnen hier jedoch überaus fruchtbare Anknüpfungspunkte.

7.1 D IE

INHALTLICHE F UNDIERUNG DES N EOLIBERALISMUS

In den meisten der mittlerweile sehr zahlreichen Publikationen zum Neoliberalismus stehen die dieser Politik zugeschriebenen Auswirkungen im Vordergrund, die eigentliche Auseinandersetzung mit der Theorie und Praxis des Neoliberalismus bleibt dagegen häufig unterbestimmt: Ein mehr oder weniger schwammiger NeoliberalismusBegriff dient als Folie für die aktuellen politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Verhältnisse, das neoliberale Projekt selbst aber wird nicht reflektiert, so dass auch eine über die bloße Kritik an den Verhältnissen hinausreichende Analyse kaum möglich ist. Hier hilft der Rückgriff auf Foucault, die eigentliche Basis des Neoliberalismus zu durchdringen und dadurch auch eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit Gegen-Verhalten im Kontext neoliberalen Arbeitens vorzunehmen. So lässt sich insb. auch zeigen, dass der Neoliberalismus mehr ist als eine Wirtschaftstheorie,

230 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

die ökonomische Vorgänge aus einer marktwirtschaftlichen Perspektive betrachtet; vielmehr bündeln sich in ihm philosophische, rechts- und politikwissenschaftliche, soziologische und historische Stränge zu einer auf das Ökonomische zulaufenden, umfassenden Rationalität. 7.1.1 Neoliberale »Schulen« In Die Geburt der Biopolitik beschreibt Foucault das neoliberale Dispositiv anhand zweier programmatischer »Verankerungen« (Foucault 2004b, S. 116), die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen: Erstens der deutschen Verankerung im Ordoliberalismus der sog. Freiburger Schule, die unmittelbar mit der Weimarer Republik, mit der Krise von 1929, mit der Entwicklung des und Kritik am Nazismus und schließlich mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg verknüpft ist, und zweitens in der amerikanischen Verankerung mit dem Neoliberalismus der Chicago School, der sich auf die Politik des New Deal und die Kritik der Politik Roosevelts bezieht und sich vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt und gegen den föderalen Interventionismus richtet. Wohl handelt es sich bei beiden »Schulen« um eigenständige Formen des Neoliberalismus, zwischen ihnen gibt es jedoch, wie am Ende dieses Abschnitts deutlich gemacht wird, zahlreiche strategische Beziehungen, so dass von einem gemeinsamen Komplex und einer letztlich einheitlich wirkenden Regierungstechnologie gesprochen werden kann. Der Ordoliberalismus Die Grundlagen dessen, was später nach ihrem lokalen Zentrum Freiburg (Breisgau) unter dem Namen »Freiburger Schule« bekannt wurde (und erst rund 50 Jahre nach seiner Entwicklung politisch vollends zur Wirkung kam), entwickelte sich im Wesentlichen in den 1930er Jahren in einer Zusammenarbeit zwischen dem Ökonomen Walter Eucken und den Juristen Franz Böhm und Hans Großmann-Doerth und waren Ergebnis des Versuchs, die strikte institutionelle Trennung der beiden Fächer zu überwinden und für eine Neuformulierung liberaler Prinzipien produktiv zusammenzuschließen. Politisch richtete sich der – nach seinem wesentlichen Organ, der Zeitschrift Ordo auch als Ordoliberalismus bezeichnete – Ansatz in erster Linie gegen die zu dieser Zeit dominierende Historische Schule der Nationalökonomie, die sich durch die Verfolgung einer empiristischen und induktiven Wirtschaftspolitik auszeichnete, den ökonomischen Problemen von Hyperinflation und Wirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg aber auch nichts entgegenzusetzen wusste. Daraufhin hatte sich in Deutschland eine jüngere Generation von kritischen Ökonomen zusammengefunden, die zur historischen Schule bewusst in Distanz traten, denen allerdings auch der klas-

7. DER NEOLIBERALISMUS | 231

sische, sich an Adam Smith und David Ricardo orientierende und damals vor allem von den Anhängern der Österreichischen Schule der Nationalökonomie (allen voran Ludwig von Mises1 ) vertretene Liberalismus keine Alternative zu sein schien.2 Gegen die von der historischen Schule wie vom klassischen Liberalismus gleichermaßen befürworteten partikularen Eingriffe in die Ökonomie setzten Walter Eucken und Alexander Rüstow die für die spätere Ausrichtung der Freiburger Schule bedeutende Kritik an einer punktuellen und opportunistischen Interventionspolitik, resultierend aus dem Grundgedanken, »daß alle wirtschaftlichen Erscheinungen zusammenhängen, daß also eine allgemeine Interdependenz des Wirtschaftsprozesses besteht.« (Eucken 1951, S. 60; vgl. a. Gertenbach 2007, 51f.) Während bei den Ökonomen der Nachkriegszeit das Paradigma der keynesianischen Makroökonomie, wonach der Staat konjunkturpolitische Interventionen vorzunehmen habe, vorherrschte, forderte Eucken, der sich nach dem Krieg als führender Theoretiker des Ordoliberalismus erwiesen hatte, von Anfang an die Abkehr von jeglicher planerischen Wirtschaftspolitik (vgl. Hesse 2007, S. 221) und konzipierte stattdessen »die Idee der Wirtschaftsverfassung« (Böhm, Eucken und Großmann-Doerth 1937, S. XVIII), also einer politisch zu fällenden Entscheidung über die Ordnung des nationalen Wirtschaftslebens, an der sich der Staat zu orientieren und die einzelnen gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Entscheidungen auszurichten habe: »Jede einzelne Maßnahme der Wirtschaftspolitik muß – wenn sie erfolgreich sein soll – als Teil einer Politik zur Herstellung und Erhaltung einer Gesamtordnung angesehen werden.« (Eucken 1951, S. 29, vgl. a. Gertenbach 2007, 51ff.) Diese »ordoliberale« Interdependenz zwischen institutionellen Strukturen und ökonomischen Prozessen – die Perspektive einer »Totalität der Wirtschaftsordnung« (vgl. Böhm, Eucken und Großmann-Doerth 1937, S. XIX) als Einheit dieser beiden Ebenen – ist, wie noch deutlich werden wird, das wesentliche Kennzeichen der Freiburger Schule und markiert einen grundlegenden Wandel der Wirtschaftstheorie: den Übergang von der Mikroökonomie (d.h. der Betrachtung einzelner Markt- und Wettbewerbsverhältnisse) und einer situativen Marktanalyse zur Makroökonomie (d.h. der Betrachtung eines gesamtwirtschaftlichen Totalmodells) und dem Versuch, alle öko-

1 | Die Abgrenzung zwischen von Mises und den Neoliberalen wird nicht immer in dieser Form vorgenommen; so wird bspw. in Ptak 2008 von Mises klar den Neoliberalen zugeordnet. In der hier im Anschluss an Foucault vorgelegten Lesart wird sich jedoch zeigen, dass wesentliche Elemente der neoliberalen Rationalität bei von Mises gegenteilig formuliert sind, so dass hier letztlich doch recht klar eine Grenze zu ziehen ist. 2 | Vgl. zu Geschichte und Theorie des Ordoliberalismus neben Foucault 2004b v.a. Hesse 2007, 217f. sowie Gertenbach 2007.

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nomischen Transaktionen von Grund auf und umfassend zu quantifizieren. (Vgl. Hesse 2007, 220f. sowie Gertenbach 2007, S. 54) Von daher erschöpft sich das Liberale der Freiburger Schule auch nicht allein in der Gegnerschaft zum Sozialismus, der als Wegbereiter des Nazismus kritisiert wird (siehe S. 237), sondern bewegt sich vielmehr zwischen den Extremen einer planwirtschaftlichen Steuerung und einem Wirtschaftsanarchismus,3 wie er etwa von von Mises propagiert wurde, der wirtschaftspolitisch am Laissez-faire des klassischen Liberalismus festhielt und den Handlungsspielraum der Regierung einzig und allein darauf reduzierte, »die Sicherheit des Lebens und der Gesundheit, der Freiheit und des Sondereigentums zu gewährleisten«4 . (Vgl. Gertenbach 2007, S. 50) Diese »doppelte Gegnerschaft« (ebd., S. 56) des Ordoliberalismus5 wird im Vorwort der ersten Ausgabe des Ordo-Jahrbuches besonders deutlich: (Vgl. ebd., S. 56) »Wir wollen – besonders nach den Erfahrungen der letzten Jahre – von keiner planwirtschaftlichen Ordnung wissen, weil sie die unabdingbaren Freiheiten des Menschen zwangsläufig mißachtet und ihn zum Sklaven der Bürokratie macht. Und wir haben auch erkannt, daß schrankenlose Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung ebenfalls zu Gegensätzen zwischen Einzel- und Gesamtinteresse führt, zur Zusammenballung von privater Wirtschaftsmacht, die wirtschaftlich und sozial nicht minder schädlich ist als die staatliche Omnipotenz.« (Herausgeber des OrdoJahrbuchs 1948, IXf.)

Der Neoliberalismus der Freiburger Schule erscheint hier weniger als WirtschaftsLibertarismus, denn als Sozial-Liberalismus, der nicht nur auf die Wirtschaft, sondern auf den gesamten Sozialbereich abzielt, also mindestens genauso eine Wirtschaftswie eine Ordnungs- und Gesellschaftspolitik verfolgt, und in diesem Sinne auch Elemente der Versicherungsrationalität aufnimmt.

3 | Dieses Selbstverständnis offenbaren bereits die Buchtitel Maß und Mitte von Röpke (Röpke 1950) und Zwischen Kapitalismus und Kommunismus von Rüstow (Rüstow 1949). 4 | Und insofern zwar als bedeutende Figur innerhalb der Reanimation des Liberalismus anerkannt werden muss, aber kaum dem neoliberalen Projekt im engeren (inhaltlichen) Sinn zugeordnet werden kann. 5 | Dies ist ein Punkt, der von Foucault vernachlässigt wird: Foucault sieht den Ordoliberalismus v.a. als Gegensatz zu einer zunehmenden Verstaatlichung, die er als »antiliberale Variante« bezeichnet. Verloren geht dabei sowohl die strukturell autoritäre Staatsfixierung des Ordoliberalismus in dessen Ruf nach einem starken Staat sowie der Gegensatz zum klassischen Liberalismus. (Siehe Foucault 2004b, 148ff. vgl. a. Gertenbach 2007, S. 56)

7. DER NEOLIBERALISMUS | 233

Einfluss nahmen die Neoliberalen zunächst als Berater Ludwig Erhards, der sich in seiner Politik im Großen und Ganzen an den Überlegungen der Ordoliberalen orientierte. Wichtige Einflussgeber neben den bereits genannten Walter Eucken und Alexander Rüstow sind Franz Böhm, Alfred Müller-Armack und Friedrich August von Hayek6 sowie, als herausragendstem Kopf, Wilhelm Röpke, der mit seinem Buch Ist die deutsche Wirtschaftspolitik richtig? (Röpke 1950) eine sehr klare und entschiedene Darstellung der neuen politischen Ökonomie gab. (Vgl. Foucault 2004b, S. 152 sowie Ptak 2003) Mit Ausnahme ihrer Beratertätigkeit unter Ludwig Erhard in der unmittelbaren Nachkriegszeit blieben die Ordoliberalen jedoch bis in die 1960er Jahre hinein eine »kaum wahrnehmbare intellektuelle Sekte, die weder im wissenschaftlichen noch im politischen Raum über nennenswerten Einfluss verfügte.« (Ptak 2008, S. 74) In den 1970ern kam dann mit der beschriebenen Krise des nationalstaatlichen keynesianischen Interventionismus, in welcher der sog. »Klassenkompromiss« aus Umverteilung über den Wohlfahrtsstaat, makroökonomischer Vollbeschäftigungspolitik, Regulierung und Demokratisierung der Arbeitsbeziehungen als Ursache der strukturellen Krise gedeutet wurde, die Wende und »neoliberale Konterrevolution« (Milton Friedman), und seit den 1990ern wurde der Neoliberalismus dann sukzessive zum dominierenden Referenzpunkt der Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik im globalen Maßstab. (Vgl. ebd., S. 74ff.) Ein erneuter Einschnitt lässt sich um die Jahre 2007 mit der Finanzkrise und 2009ff. mit der Staatsschuldenkrise im Euroraum diagnostizieren, wo sich die von den Freiburgern zugrunde gelegte ökonomische Totalität einerseits in ganz besonderer Weise bewahrheitete, insofern als auch Staaten in den unmittelbaren Sog ökonomischer Prozesse gerieten, andererseits aber auch die ebenfalls von den Freiburgern propagierte Enthaltung von direkten Eingriffen in das Wirtschaften unterlaufen wurde. Es ist ein höchst aktuelles Desideratum, die Diskurse um diese beiden Krisen im Zusammenhang mit der neoliberalen Gouvernementalität zu untersuchen, sprengt jedoch leider bei weitem den Rahmen dieser Arbeit.

6 | Friedrich August von Hayek kann zudem insofern als paradigmatischer Vertreter des Neoliberalismus erscheinen, als er sich auf der Grenze der beiden Liberalismen der Freiburger wie der Chicagoer bewegt und für beide neoliberalen Schulen einen wesentlichen theoretischen Referenzpunkt bildet. So lehrte er sowohl in Freiburg als auch in Chicago und schuf mit der Mont Pèlerin Society zudem den Ankerpunkt eines übergreifenden neoliberalen Netzwerks. (Vgl. Gertenbach 2007, 66f.)

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Die Chicago School of Economics Die zweite wichtige Fundierung der neoliberalen Rationalität ist die in den 1930er Jahren, also relativ zeitgleich mit der Freiburger Schule entstandene Chicago School of Economics.7 Verknüpft ist diese Richtung in erster Linie mit den Namen Frank Knight8 , Jacob Viner und Henry C. Simons, die als Gründer der Chicago School deren Forschungsgrundlagen und die politisch-programmatische Ausrichtung bestimmten. Politisch relevant wurde die Chicago School mit Einsetzen der Kriegswirtschaft und Roosevelts New Deal ab den 1940er Jahren; zum Paradigma des US-Liberalismus wurde die von der Chicago School (trotz ihrer Größe relativ einheitlich ausgerichtete) verkörperte Ausrichtung allerdings erst in den 1950er und 1960er Jahren mit dem Beginn der Lehrtätigkeit des späteren Wirtschaftsnobelpreisträgers Milton Friedman. (Vgl. Gertenbach 2007, S. 59f.) Ähnlich wie die Freiburger durch ihre Gegnerschaft zum Totalitarismus und Kollektivismus, wie sie in diversen europäischen Staaten zutage getreten waren, geprägt waren, sieht sich der US-Liberalismus zu Beginn mit einer wirtschaftspolitisch ähnlichen, wenn auch natürlich abgemilderten Situation konfrontiert: der Zunahme Keynesscher Ideen in der Wirtschaftspolitik; der mit dem Kriegseintritt der USA verbundene Anstieg der staatlichen Kontrolle der Wirtschaft (die sog. sozialen Kriegspakte); und schließlich den Wirtschafts- und Sozialprogrammen der Armuts-, Bildungs- und Rassenpolitik, die sich in Amerika seit der Truman-Administration bis zur JohnsonAdministration entwickelt haben. (Vgl. ebd., S. 60f.) Die Kritik an diesen drei Elementen bildet ab Mitte des 20. Jahrhunderts gewissermaßen die gemeinsame Basis des US-Neoliberalismus – für die Rechte, die im Namen einer liberalen Tradition historisch und wirtschaftlich alles zurückwies, das den Anschein des Sozialismus hatte, und ebenso für die Linke, die in dieser Politik die Entwicklung eines imperialistischen und militaristischen Staates sah und entsprechend dagegen kämpfte. Diese breite Verankerung des (Neo-)Liberalismus in den USA macht deutlich, dass die (neo-)liberale Tradition in den USA zur Zeit der Chicago School weit weniger in Misskredit stand als in Europa und vor allem Deutschland. Entsprechend bildete er – im Gegensatz zu Europa, wo es seit dem 19. Jahrhundert v.a. um die

7 | Im frühen 20. Jahrhundert bildete Chicago ein gewichtiges intellektuelles Zentrum, das neben den Wirtschaftswissenschaften etwa auch für die Philosophie mit John Dewey oder mit Robert Park für die Soziologie sehr einflussreich war. (Vgl. Gertenbach 2007, S. 59) 8 | Die Bedeutung Knights für den amerikanischen Neoliberalismus kann Hayek zufolge kaum überschätzt werden: »Es ist kaum eine Übertreibung, zu sagen, daß fast alle jüngeren Nationalökonomen in den Vereinigten Staaten, die heute das System der Marktwirtschaft wirklich verstehen und befürworten, seine [Knights, K.M.] Schüler gewesen sind.« (Hayek 1952, S. 252)

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Einheit bzw. Unabhängigkeit der Nation oder den Rechtsstaat ging – in den USA das Zentrum der unterschiedlichsten politischen Auseinandersetzungen – von der Wirtschaftspolitik, über das Problem der Sklaverei und das Rechtssystem bis hin zum Verhältnis zwischen Individuen, Einzelstaaten und Bundesstaat. Insofern ist der Neoliberalismus in Amerika auch nicht wie in Europa eine seitens der Regierung getroffene wirtschaftliche und politische Entscheidung, sondern, wie Foucault ausführt, vielmehr eine ganze Seins- und Denkweise: »Er ist viel eher eine Art von Beziehung zwischen Regierenden und Regierten als eine Technik der Regierenden gegenüber den Regierten. [. . . ] Er ist auch eine Art von utopischem Mittelpunkt, der immer wieder neu aktiviert wird. Er ist außerdem eine Denkmethode, ein ökonomisches und soziologisches Analyseraster.« (Foucault 2004b, S. 304)

Dieser Aspekt besitzt für die Entwicklung und heutige Verankerung des Neoliberalismus, wie noch deutlich werden wird, eine besondere Bedeutung, da es mit einem solchen Neoliberalismus-Verständnis möglich wird, liberale Utopien zu entwickeln und über das konkrete Sein des Neoliberalismus nachzudenken, anstatt ihn als eine bloß alternative Regierungstechnik auszugeben. Der Neoliberalismus Als Analyseraster und wandelbare Utopie ist der Neoliberalismus durch eine große programmatische wie taktisch-strategische Bandbreite gekennzeichnet; so haben sich neben den eben eingeführten »Schulen« aus Freiburg und Chicago diverse weitere Strömungen entwickelt, wie etwa der Public-Choice-Ansatz, der Rational-ChoiceAnsatz oder der Property-Rights-Ansatz. Insofern kann durchaus bezweifelt werden, inwieweit man von dem Neoliberalismus bzw. einer geschlossenen theoretischideologischen Konzeption des Neoliberalismus sprechen kann, und es ist weithin und unter den unterschiedlichsten Gesichtspunkten erörtert worden, inwieweit es legitim oder sinnvoll ist, die unterschiedlichen Ausprägungen innerhalb einer Form zu behandeln, d.h. unter den einen Begriff des Neoliberalismus9 zu subsumieren, oder ob man

9 | Wo der Begriff zum ersten Mal auftaucht, lässt sich nicht bestimmen, da ab den 1920ern an unterschiedlichen Orten in kritischer Abgrenzung vom klassischen Liberalismus über eine Neubestimmung des Liberalismus reflektiert wird. Erst mit der späteren politischen und ideologischen Intensivierung des neoliberalen Programms und der Verbindung der verschiedenen neoliberalen Gruppen verfestigt sich der Ausdruck Neoliberalismus zu dem Begriff des neuen liberalen Projekts. (Vgl. Gertenbach 2007, 65)

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nicht vielmehr von Neoliberalismen ausgehen müsse. (So etwa Butterwege, Lösch und Ptak 2008) Entgegen derartiger Überlegungen werden in den folgenden Abschnitten jene Elemente hervorgehoben, welche die gemeinsame Basis innerhalb der unbestritten vorhandenen Heterogenität der neoliberalen Ansätze darstellen und eine theoretische Konsistenz über die einzelnen neoliberalistischen Ausformungen hinweg bieten, was gerade angesichts der hier interessierenden Frage nach dem Bruch zwischen Liberalismus und Neoliberalismus einerseits und Sozialstaat und Neoliberalismus andererseits eine wichtige heuristische Voraussetzung ist. Es muss besonders vor dem Hintergrund einer genealogischen Rekonstruktion möglich sein, die spezifischen Ausprägungen anzuerkennen und dennoch von einer theoretischen Übereinstimmung der verschiedenen Neoliberalismen auszugehen, die inhaltliche Kriterien an die Hand gibt, um den Neoliberalismus von anderen Gouvernementalitäten abzugrenzen. (Vgl. Gertenbach 2007, 65f.) Aufbauend auf einer solchermaßen bestimmten Basis gemeinsamer Grundbestandteile ist dann durchaus eine gewisse Bandbreite an Strömungen möglich, ohne die Existenz eines Neoliberalismus als solche anzweifeln zu müssen. Dabei wird sich zudem zeigen, dass gerade die Flexibilität und Möglichkeit zur Mannigfaltigkeit der Ausprägungen, die historische Wandlungsfähigkeit durch schöpferische Zerstörung Ergebnis der neoliberalen evolutionären Betrachtung von Gesellschaft und Wirtschaft, damit selbst wichtiger Aspekt des Neoliberalismus ist und sich historisch als große Stärke des neoliberalen Projekts erwiesen hat.10 Konkret werden im Hinblick auf die theoretische Ausrichtung des Neoliberalismus im Folgenden drei wichtige Einschnitte gegenüber der klassischen liberalen Lehre und damit Grundlagen für die neoliberale Rationalität herausgegriffen: (1) Die Setzung der Freiheit des Marktes als Regulations- und Organisationsprinzip des Staats und damit eine Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Ökonomie (s. Abschnitt 7.1.2); (2) die Trennung der Marktwirtschaft vom politischen Prinzip des Laissezfaire, d.h. die Entwicklung einer Gesellschaftspolitik, die einerseits die Regierung der Gesellschaft hin zu einer Unternehmensgesellschaft und andererseits signifikante Veränderungen im Gesetzessystem und der Institution des Rechts beinhaltet (s. Ab-

10 | Hayek hat diese Wandlungsfähigkeit des Neoliberalismus bereits 1944 hervorgehoben: »Die Grundsätze des Liberalismus enthalten keine Elemente, die ihn zu einem starren Dogma machten, und es gibt keine strengen Regeln, die ein für allemal festständen. Das Hauptprinzip, wonach wir uns in allen Stücken so weit wie möglich auf die spontanen Kräfte der Gesellschaft stützen und so wenig wie möglich zu Zwangsmaßnahmen greifen sollten, kann in der Anwendung unendlich variiert werden.« (Hayek 1971, 36f.)

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schnitt 7.1.3); sowie (3) die v.a. vom US-Neoliberalismus formulierte grenzenlose Verallgemeinerung der Form des Marktes (s. Abschnitt 7.1.4). In diesen drei Elementen konzentrieren sich die wesentlichen Bestimmungsfaktoren des neoliberalen Projekts und begründen damit die neue Rationalität, in der wir uns heute befinden und die damit den Hintergrund für die Auseinandersetzung mit der Frage nach der Aktualität eines Gegen-Verhaltens im Kontext der Arbeit bildet. 7.1.2 Die Freiheit des Marktes als Regulations- und Organisationsprinzip des Staates Für die Freiburger stand, wie angedeutet, die Erfahrung des Nazismus im Zentrum ihrer Überlegungen und die Analyse des bzw. Gegnerschaft zum Nazismus bildete die Grundlage ihrer politischen und theoretischen Ausführungen. Demnach gründete dieser für die Freiburger in einem dezidierten Antiliberalismus, der sich entgegen der »klassischen« liberalen Lehre des Laissez-faire in Deutschland gerade in der Wirtschaftspolitik entwickelt hatte, und der einer eigenen Logik und inneren Notwendigkeit zufolge in einem nahezu unbeschränkten Wachstum der Staatsmacht sowie der Entwicklung einer Massengesellschaft mündete. Der Nazismus ist in diesem Verständnis gerade nicht Ergebnis eines extremen Krisenzustands, sondern die buchstäblich unvermeidliche Folge aus einer protektionistischen Wirtschaftspolitik in der Folge von Lists11 , dem Bismarckschen »Staatssozialismus«, der Planwirtschaft während des Kriegs, also der Entwicklung einer zentralisierten Wirtschaft um einen auf Vollbeschäftigung ausgerichteten Verwaltungsapparat, und schließlich dem Dirigismus Keynesscher Art, der die Elemente der geschützten Wirtschaft, des Staatssozialismus, der Planwirtschaft und der Interventionen umfasst: Man weigert sich, so Hayek, »anzuerkennen, daß der Aufstieg des Faschismus und des Nazismus nicht eine Reaktion gegen die sozialistischen Bestrebungen der vorherigen Periode war, sondern ein unvermeidliches Resultat der sozialistischen Bestrebungen.« (Hayek 1971, S. 19, vgl. a. Foucault 2004b, 156f.) Es gibt aus Sicht der Freiburger eine unumgängliche Logik, wonach man niemals eines der genannten Elemente anwenden kann, ohne nicht zwingend auch zu den anderen und damit letztlich auch zum Nazismus zu gelangen – dies ist auch gemeint, wenn Hayek vom »Weg zur Knechtschaft« spricht. (Vgl. Foucault 2004b, S. 158) An-

11 | Zur Bedeutung von Lists bei der Entstehung der Lehre vom erzieherischen Protektionismus siehe Röpke 1979.

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ders als für die Frankfurter Schule12 besteht entsprechend für die Freiburger die entscheidende Alternative nicht zwischen Kapitalismus und Sozialismus, sondern zwischen Liberalismus und den verschiedenen Formen von Staatsinterventionismus (Sowjetsozialismus, Nationalsozialismus, Keynesianismus), denen gemeinsam ist, dass sie alle – wenn auch in unterschiedlichem Maße – eine Bedrohung der Freiheit darstellen. Bringt man diese Analyse in Beziehung zu der im vorigen Kapitel dargelegten Rationalität des Sozialstaats, so ist diese in erster Annäherung klar ein Element des Antiliberalismus und damit Antipode des Neoliberalismus. Und tatsächlich richtet sich, wie in Abschnitt 7.2 gezeigt wird, die neoliberale Sozialpolitik auch gegen die »antiliberalen« Aspekte des Versicherungswesens. Damit ein solches antiliberales Wirtschaftssystem aufrecht erhalten werden kann, ist, so die Analyse der Ordoliberalen, ein »Über-Staat« wie eben der nationalsozialistische Staat erforderlich, was schließlich eine Gesellschaft hervorbringt, welche die Individuen aus ihrer natürlichen Gemeinschaft herausreißt und in eine anonyme und amorphe Masse überführt: Unter einem zentralisierten Verwaltungsapparat, wie ihn das Keynessche Wirtschaftssystem erforderlich macht, wird der einzelne zu einem atomistischen Individuum reduziert, das einer abstrakten Autorität untersteht, und zugleich genötigt, sich einem massiven standardisierten und vereinheitlichenden Konsum zu übergeben. Diese »eindimensionalen« (Marcuse 1964/2004) Massenphä-

12 | Es gibt einige interessante Parallelen der »Freiburger Schule« zur »Frankfurter Schule«: Abgesehen vom Zeitpunkt ihres historischen Auftauchens Mitte der 1920er Jahre und dem Schicksal des Exils, ist hier insbesondere zu nennen, dass beide »Schulen« auch gleichermaßen Teil des mit dem Namen Max Weber verbundenen politisch-universitären Diskurses sind, der in Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts vorherrschte. Dieser Diskurs gründete in der von Weber vorgenommenen Ersetzung von Marx’ Analyse der widersprüchlichen Logik des Kapitals durch die Analyse der irrationalen Rationalität der kapitalistischen Gesellschaft. Diese Verschiebung markiert den Ausgangspunkt sowohl für die Freiburger wie für die Frankfurter Schule, führt jedoch zu völlig unterschiedlichen Fragestellungen und Ansätzen: Die Frankfurter suchten nach einer neuen sozialen Rationalität, die die Irrationalität der kapitalistischen Ökonomie umgeht; die Freiburger dagegen suchten umgekehrt nach einer Neubestimmung der ökonomischen (kapitalistischen) Rationalität, die die soziale Irrationalität des Kapitalismus vermeidet. Eine weitere Parallele beider Schulen findet sich in deren Reflexion über die Ursachen des Nationalsozialismus, wobei sie aber auch hier zu zwei entgegengesetzten Antworten gelangen: Während Adorno, Horkheimer und andere Kritische Theoretiker von einer unvermeidlichen Kausalbeziehung zwischen Kapitalismus bzw. Liberalismus und Faschismus ausgehen, ist für die Neoliberalen der Nationalsozialismus nicht Folge des Liberalismus, sondern im Gegenteil gerade Resultat dessen Fehlens. (Vgl. a. Foucault 2004b, 148ff. und Lemke 1997, 242f.)

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nomene sind für die Ordoliberalen somit nicht wie etwa von Marcuse kritisiert, Ergebnis kapitalistischen Wirtschaftens, sondern vielmehr Produkt und Wirkung einer antiliberal eingestellten Gesellschaft, in welcher der Markt seine eigentliche Rolle gerade nicht spielt und wo die Verwaltung die Verantwortung für das Sein und Mitsein der Menschen übernimmt. (Vgl. Foucault 2004b, 162ff.) Der Neoliberalismus der Freiburger ist – bei aller Fokussierung auf das Ökonomische – an dieser Stelle tatsächlich Kritik einer v.a. auf Produktivität ausgerichteten Rationalität. Und damit sind die Freiburger, das kann man angesichts der späteren konkreten Realisierung der neoliberalen Rationalität leicht vergessen, auch Sozialkritiker, die das Ökonomische nicht allein um seiner selbst willen propagiert wissen wollten. In der Logik der Freiburger beruht also der Nazismus auf einer wirtschaftlich antiliberalen Invariante und dem damit verbundenen unbeschränkten Wachstum der Staatsmacht, was letztlich die Zerstörung der sozialen Gemeinschaft nach sich zieht, die selbst wiederum eine protektionistische und gesteuerte Wirtschaft und ein Anwachsen der Staatsmacht nach sich zieht. Für die Ordoliberalen folgt daraus unmittelbar, und dies ist – auch für Foucault – das Wesentliche, dass die an Keynes angelegte Nachkriegspolitik der falsche Weg und dass das dieser Politik zugrunde liegende Misstrauen dem Markt gegenüber unbegründet ist. Im Gegenteil gibt es, so die Ordoliberalen, kein Indiz, das darauf hindeutet, dass die Marktwirtschaft mangelhaft ist, vielmehr sind alle Unzulänglichkeiten, die man der Marktwirtschaft zugeschrieben hat, letztlich einem Staat anzurechnen, der unangemessen in den Markt eingreift. Anstatt also wie im Liberalismus den Markt als Raum wirtschaftlicher Freiheit zu akzeptieren, der durch den Staat definiert, zugleich aber auch durch den Staat begrenzt und überwacht wird, ist umgekehrt der freien Marktwirtschaft ein weit höherer Status zuzumessen und diese zum Organisations- und Regulationsprinzip des Staates und dessen Handelns zu machen. Es soll sich also »vielmehr um einen Staat unter der Aufsicht des Marktes handeln als um einen Markt unter der Aufsicht des Staats« (ebd., S. 168). Die Marktwirtschaft soll zum Prinzip und Vorbild für den Staat werden – Staat und Gesellschaft sind auf der Grundlage einer Marktwirtschaft zu organisieren, und dies ist, so Foucault, eine »absolut bedeutende Veränderung« (ebd.) gegenüber dem traditionellen Liberalismus des 18. Jahrhunderts, wo es ja v.a. darum darum ging, der Wirtschaft Freiheit einzuräumen. Diese Umkehrung des Marktes zum Organisations- und Regulationsprinzip des Staates wurde auch von den Chicagoern vollzogen und sogar noch auf andere Bereiche ausgeweitet. Bevor dies in Abschnitt 7.1.4 näher beleuchtet wird, wird aber zunächst noch die mit dieser Umkehrung einhergehende Trennung der Marktwirtschaft vom politischen Prinzip des Laissez-faire beschrieben.

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7.1.3 Die Politik zur Sicherstellung des Wettbewerbs In Abschnitt 4.2 wurde gezeigt, dass für die klassischen Liberalen der Markt nur durch freien Wettbewerb funktionieren kann, der Staat daher diesen Zustand des Wettbewerbs im Sinne des Laissez-faire nicht verändern und allenfalls einschreiten darf um zu verhindern, dass dieser Wettbewerb etwa durch Monopole behindert wird. Aus Sicht der Ordoliberalen ist dies »naturalistische Naivität«; der Markt ist keine »natürliche Gegebenheit«, deren Eigengesetzlichkeiten die Regierungskunst beachten und respektieren muss, sondern vielmehr eine »Abstraktion« mit einer inneren Logik und einer eigenen Struktur, die überhaupt nur kraft politischer Interventionen erhalten werden kann; es ist »ein formales Spiel zwischen Ungleichheiten«, und kein »natürliches Spiel zwischen Individuen und Verhaltensweisen.«13 (Foucault 2004b, S. 173) Da eine formale Struktur aber nicht ohne Festlegungen und Bedingungen funktioniert, stellen sich die positiven Wirkungen des Wettbewerbs auch nur dann ein, wenn diese Prämissen beachtet und die Bedingungen gewissermaßen künstlich sicher- bzw. hergestellt sind; der Wettbewerb verlangt folglich eine »äußerst wachsame und aktive Wirtschaftspolitik«14 und ist damit ein »geschichtliches Ziel der Regierungskunst und keine Naturgegebenheit, die es zu beachten gälte« (ebd., S. 172f.). In diesem Sinne auch Hayek: »Nichts dürfte der Sache des Liberalismus so sehr geschadet haben wie das starre Festhalten einiger seiner Anhänger an gewissen groben Faustregeln, vor allem an dem Prinzip des Laissez-faire.« (Hayek 1971, S. 37) Folglich sind die Wirtschaft und der Staat auch nicht mehr eigenständige, voneinander abgegrenzte und einander gegenüberstehende Bereiche, sondern vielmehr setzen sie einander voraus – es gibt nicht mehr wie im Liberalismus die Trennung in den frei und von allem losgelöst wirkenden Bereich des Markts und den Bereich, in dem der Staat interveniert. Stattdessen gilt es zu wissen, wie man interveniert – es ist also ein Problem des Regierungsstils. (Vgl. Foucault 2004b, S. 190)

13 | Interessant ist hier die Bezugnahme auf »Ungleichheiten« insofern als für die klassischen Liberalen im 18. Jahrhundert, wie in Abschnitt 4.2 gezeigt, Modell und Prinzip des Marktes der Tausch war, und zwar der Tausch zwischen zwei Partnern, die durch ihren Tausch eine Äquivalenz zwischen zwei Werten herstellen. Für die Neoliberalen dagegen besteht das Wesen des Marktes nicht in diesem fiktiven Tausch bzw. in der Äquivalenz, sondern im Wettbewerb und damit explizit in der Ungleichheit. (Vgl. Foucault 2004b, S. 171 sowie Abschnitt 7.1.2) 14 | Röpke 1948, S. 12; ähnlich Böhm: »Der Staat muß das wirtschaftliche Werden dominieren« (Böhm 1937, S. 10).

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Wenn aber der Bereich des Ökonomischen solchermaßen konzeptioniert ist, bedingt dies auch, wie Lemke zusammenfasst, die Entwicklung einer Gesellschaftspolitik, die über den Transfer von Leistungen hinausgeht und die historischen und sozialen Bedingungen des Marktes aktiv produziert. Gesellschaftspolitik darf folglich für die Ordoliberalen nicht den Ausgleich zum Ziel haben, um etwa die anti-sozialen Effekte der ökonomischen Freiheit auszugleichen, sondern soll vielmehr gerade die anti-konkurrenziellen Mechanismen verhindern, welche die Gesellschaft hervorbringen kann. (Vgl. Lemke 1997, S. 246) Eine solche Gesellschaftspolitik muss aus Sicht der Ordoliberalen auf zwei Elementen aufbauen, der Universalisierung der Unternehmensform und der Redefinition des Rechts: •



Die Universalisierung der Unternehmensform. Dahinter verbirgt sich die Konstitution eines sozialen Rahmens, der auf der Form des Unternehmens basiert und dem Prinzip folgt, dass die Ungleichheit für alle dieselbe sei. Im Ergebnis folgt eine Ausweitung von Unternehmensformen im Innern des Gesellschaftskörpers, so dass aus den ökonomischen Mechanismen von Angebot und Nachfrage, Konkurrenz etc. ein Modell für die sozialen Beziehungen insgesamt wird. (Vgl. Foucault 2004b, 185ff. sowie Lemke 1997, S. 246) Die Redefinition des Rechts und der juristischen Institutionen. Für die Ordoliberalen ist das Recht nicht mehr ein Phänomen des Überbaus, sondern wird selbst zu einem essentiellen Teil der (ökonomisch-institutionellen) Basis und – als Voraussetzung für die erforderlichen massiven sozialen Interventionen – zu einem unverzichtbaren Instrument, um die Unternehmensform im Inneren der Gesellschaft zu verankern. (Vgl. Foucault 2004b, 225ff. sowie Lemke 1997, S. 246)

Das Eingreifen einer neoliberalen Regierung ist vor diesem Hintergrund nicht weniger aktiv oder weniger häufig als in einem anderen System. Stattdessen ist der Ansatzpunkt dieser Regierungsinterventionen ein anderer: Die Regierung soll die Wirkungen des Marktes nicht beeinflussen, auch nicht die zerstörerischen Wirkungen des Marktes auf die Gesellschaft korrigieren. Vielmehr soll sie auf die Gesellschaft selbst einwirken, auf ihre Struktur und Zusammensetzung, und zwar so, dass die Wettbewerbsmechanismen die Rolle eines regulierenden Faktors spielen, ihre Wirkungen sich also entfalten können. Universalisierung der Unternehmensform Insofern auf die Gesellschaft eingewirkt werden soll, sind wir hier, wie angedeutet, erstaunlich nahe beim Prinzip der Versicherungsrationalität. Allerdings ist die Zielsetzung eine andere, denn es gilt nicht, die Gesellschaft mit sich selbst und mit dem

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Staat zu versöhnen, sondern vielmehr sie auf ein bestimmtes Ziel hin auszurichten, sie nämlich so zuzurichten, dass der Markt ermöglicht wird, d.h. der Wettbewerb funktioniert und seine Wirkungen entfalten kann. Es ist nicht eine Regierung der Gesellschaft in dem Sinn, dass sie sich (aktiv) selbst regiert, sondern eine Regierung der Gesellschaft in dem Sinn, dass die Gesellschaft auf den Wettbewerb hin (passiv) regiert, selbst zum Gegenstand der Regierungspraxis wird. Die Gesellschaft so zu regieren, dass der Markt seine Rolle als allgemeiner Regulationsmechanismus spielt, heißt folglich auch etwas ganz anderes als sie zu »normalisieren« oder zum Tausch zu motivieren; die Gesellschaft, welche die Neoliberalen vor Augen haben, ist vielmehr eine Gesellschaft, die der Dynamik des Wettbewerbs untersteht, in der also das regulative Prinzip in Mechanismen des Wettbewerbs besteht, die für die Gesellschaft größtmögliche Bedeutung einnehmen sollen: »Keine Gesellschaft von Supermärkten, sondern eine Unternehmensgesellschaft. Der homo oeconomicus, den man wiederherstellen will, ist nicht der Mensch des Tauschs, nicht der Mensch des Konsums, sondern der Mensch des Unternehmens und der Produktion« (Foucault 2004b, S. 208). Zugleich soll diese Gesellschaftspolitik aber auch eine »Vitalpolitik« beinhalten, die Rüstow aus der Kritik an der Situation der Arbeiter des 18. Jahrhunderts entwickelt und die den Marktkräften die lebensdienliche Ausrichtung ordnungspolitisch vorgeben soll: »eine Politik des Lebens, die im wesentlichen nicht wie die traditionelle Sozialpolitik auf die Erhöhung der Löhne und die Verkürzung der Arbeitszeit gerichtet ist, sondern die sich die gesamte Lebenssituation des Arbeiters bewußt macht, seine wirkliche, konkrete Situation, von morgens bis abends« (Rüstow 1953, S. 102).15 Es geht also nicht um eine sozialpolitisch motivierte Umverteilung, sondern diese Vitalpolitik steht im Rahmen der neoliberalen wirtschaftlichen Rationalisierung und hat zum Ziel, ein soziales Gebilde herzustellen, in dem die Basiseinheiten, die Subjekte, die Form eines Unternehmens haben: Aufgabe dieser Sozialpolitik ist nicht, wie ein ausgleichender Mechanismus zu wirken, sondern die Differenz innerhalb der Gesellschaft zu befördern. Eine zweite wesentliche Konsequenz der neoliberalen Regierungskunst ist der Umgang mit dem Problem des Rechts. Denn je mehr die einzelnen Elemente der Gesellchaft am unternehmerischen Dasein ausgerichtet sind, desto mehr erhöht sich auch die Reibung zwischen diesen einzelnen unternehmerischen Elementen und

15 | Eine klare Definition dessen, was unter Vitalpolitik genau zu verstehen ist, liefert Rüstow letztlich aber nicht, sondern er bleibt abstrakt bei der Forderung nach einem ganzheitlichen Denken bei der Erarbeitung wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Lösungsansätze. (Vgl. Hegner 2000, 52ff.) Bemerkenswert ist allerdings eine gewisse – nicht nur begriffliche – Nähe zu Foucaults Überlegungen zur »Bio-Politik«

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damit die Notwendigkeit der juristischen Schlichtung. Es wird also eine Neubeschreibung der Rechtsregeln erforderlich, die in einer geregelten Gesellschaft auf der Grundlage und entsprechend der Wettbewerbswirtschaft des Marktes notwendig sind. (Vgl. Foucault 2004b, S. 226) Redefinition des Rechts Für die Ordoliberalen sind das Rechtliche und die Wirtschaft aufs Engste miteinander verzahnt, insofern das Wirtschaftswesen nicht als eine Gesamtheit von Prozessen angesehen wird, zu denen ein Recht als nachgelagert und nachgeordnet hinzukäme, sondern von vornherein als eine Gesamtheit unterschiedlichster geregelter Aktivitäten (gesellschaftlicher Habitus, religiöse Vorschriften, betriebliche Regelungen, Gesetze usw.) verstanden werden soll. Die Ordoliberalen sprechen demgemäß in der geistigen Linie Max Webers von einer »wirtschaftlich-rechtlichen Ordnung«, die Eucken als das »Wirtschaftssystem« (Eucken 1940/1989, S. 79) bezeichnet, und welche die Wirtschaftsprozesse umfasst, die in der Geschichte aber nur insofern wirklich existieren, als ihnen durch einen institutionellen Rahmen und positive Regeln historisch kontingente Möglichkeitsbedingungen gegeben wurden. Das heißt also, aus Sicht der Ordoliberalen hat es nicht zu irgendeinem bestimmten Zeitpunkt eine »Wahrheit« des Kapitalismus gegeben, die dann die früheren (etwa feudalen) Rechtsregeln aus der Geschichte getilgt und an deren Stelle neue wie das Eigentumsrecht, das Patentrecht usw. gesetzt hätte, sondern der Kapitalismus wird – genealogisch – als Gebilde angesehen, innerhalb dessen sich die Wirtschaftsprozesse und der institutionelle Rahmen gegenseitig bedingen. Wenn aber die Herausbildung des Kapitals und dessen Akkumulation bloß ein auf einer ökonomischen Theorie aufbauender Prozess ist, dann gilt auch, dass der gegenwärtige historische Kapitalismus nicht der allein mögliche ist, sondern er vielmehr ökonomisch-institutionell veränderbar ist: »Es eröffnet sich ›ein Feld von Möglichkeiten‹, was bedeutet, dass wir bei dieser Schlacht um die Geschichte des Kapitalismus tatsächlich einen politischen Einsatz haben« (Foucault 2004b, S. 233).16 Und angesichts dessen, dass der Kapitalismus in den 1970ern tatsächlich als zur Disposition stehend angesehen wurde, konnte durch den Rückgriff auf die Ordoliberalen so gezeigt werden, dass man eine alternative Form für den Kapitalismus erfinden konnte, es also eine Gesamtheit

16 | In marxistischer Sicht hingegen ist der Kapitalismus durch die eine Logik des Kapitals bestimmt, so dass es in Wirklichkeit nur einen Kapitalismus geben kann, weil es nur eine Logik des Kapitals gibt. Folglich sind auch die Defizite und Sackgassen des Kapitalismus, insofern sie in letzter Instanz durch die Logik des Kapitals und seiner Akkumulation determiniert sind, historisch endgültig.

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von juridisch-ökonomischen Beziehungen gab, mit welchen man die Widersprüche, Sackgassen, Irrationalitäten des Kapitalismus überwinden und der Kapitalismus weiterexistieren konnte. Wenn man also annimmt, dass man es nicht mit dem Kapitalismus, der sich aus der Logik des Kapitals ergibt, sondern mit einem durch eine ökonomisch-institutionelle Gesamtheit konstituierten Kapitalismus zu tun hat, der folglich beeinflussbar ist, stellt sich die Frage wie, wo und wodurch, diese Einflussnahme stattfinden kann bzw. stattfindet (bzw. wo man ansetzen müsste, um die gegenwärtigen Formen des Kapitalismus zu verändern). Aus Sicht des Neoliberalismus offensichtlich nicht durch den Markt selbst, denn der Markt muss sich per definitionem so verhalten, dass seine reinen Mechanismen an sich selbst das Ganze regeln. Vielmehr müssen die Institutionen so ausgestaltet werden, dass die Gesetze des Marktes – und nur diese – das Prinzip der allgemeinen wirtschaftlichen und damit auch gesellschaftlichen Regulation darstellen. Man muss hierzu daher bewusst untersuchen, inwieweit sich die Institution, die Rechtsregeln und die Wirtschaft gegenseitig bedingen, und daraus dann Konsequenzen ziehen, um das ökonomisch-juridische System entsprechend zu modifizieren.17 Und zu dieser »Wirtschaftsordnung« (Eucken 1940/1989) gelangt man, so die Ordoliberalen, durch die Einführung von allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzipien in die Wirtschaftsgesetzgebung. Dies bedeutet, dass der Staat nicht bloß reaktiv auf die Gegebenheiten hin jeweils konkrete Maßnahmen ergreift, oder laissez-faire die Wirtschaft sich selbst überlässt, sondern der Staat hat im Vorfeld formale Prinzipien der Wirtschaftsordnung aufzustellen, die aber kein spezielles Ziel wie etwa Wachstum, die Bevorzugung eines bestimmten Konsums, die Verringerrung von Einkommensunterschieden o.Ä. verfolgen dürfen; die öffentliche Gewalt darf nicht, wie etwa bei der Planwirtschaft, als einzig wissender ökonomischer Oberhirte die Rolle des wirtschaftlichen Entscheidungsträgers übernehmen oder gar selbst wirtschaftlicher Akteur sein. Es muss stattdessen ein »Rahmen« festgelegt sein, innerhalb dessen jeder ökonomische Akteur in voller Freiheit entscheiden kann: (Foucault 2004b, 242f. vgl. a. Hayek 1960/1991) »die Regierung [beschränkt] sich auf die Festsetzung von Richtlinien, die die Bedingungen bestimmen, unter denen die vorhandenen Produktionskräfte verwendet werden dürfen, wobei sie den Individuen die Entscheidung darüber, für welche Zwecke sie sie verwenden wollen, überläßt.« (Hayek 1971, S. 59) Die Wirtschaft soll also, so die auch hier von Foucault bemühte Metapher »ein Spiel«

17 | Der Vorwurf lautet also, die Ökonomen hätten bis dato dem Institutionswesen nicht genug Beachtung geschenkt – interessanterweise das genaue Gegenteil Foucults Vorwurfs, es gebe eine Fixierung auf die Institutionen.

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sein, zu dem der Rechtsstaat die »Spielregeln« gibt, die bestimmen, auf welche Weise die Spieler das Spiel spielen sollen, die jedoch selbst in ihrem Spiel frei blieben, und dessen Ausgang am Ende niemand kennt. 7.1.4 Die »grenzenlose Verallgemeinerung der Form des Marktes« In der deutschen ordoliberalen Konzeption zielt die Gesellschaftspolitik, wie gezeigt, auf eine an der Verfassung des Marktes ausgerichtete Organisation der Gesellschaft als Unternehmensgesellschaft, welche die empfindlichen Mechanismen des Marktes nicht behindert, sondern ihnen zur Entfaltung verhilft. Dieser Konzeption von Gesellschaftspolitik liegt jedoch noch immer eine Differenz von Ökonomie und Sozialem zugrunde, die Unklarheiten und Abgrenzungsprobleme zwischen erlaubten und erwünschten Interventionen einerseits und verbotenen und dysfunktionalen Eingriffen in Wirtschaftsprozesse andererseits bedingt: So impliziert die deutsche ordoliberale Gesellschaftspolitik ja die Neuformierung der Gesellschaft nach dem Modell des Unternehmens und der Unternehmen, und zwar bis in die kleinste Einzelheit, also das Individuum. Bei dieser Verallgemeinerung der Form des »Unternehmens« geht es einerseits natürlich darum, das ökonomische Modell von Angebot und Nachfrage im großen Maßstab zur Anwendung zu bringen, um daraus ein Modell für die sozialen Beziehungen zu machen. Andererseits soll dies im Kontext der Vitalpolitik aber auch dazu führen, moralische und kulturelle Werte, die sich gerade antithetisch zum »kalten« Mechanismus des Wettbewerbs verhalten, wieder herzustellen und dafür zu sorgen, dass sich das Individuum seinem Arbeitsmilieu, seiner Existenz und seiner Umgebung gegenüber nicht »entfremdet«. Wichtig sind aus seiner Perspektive »Familie, Gemeinde, Staat, alle sozialen Integrationsformen überhaupt bis hinauf zur Menschheit insgesamt, ferner das Religiöse, das Ethische, das Ästhetische, kurz gesagt das Menschliche, das Kulturelle überhaupt« (Rüstow 1960, S. 8). Wir haben es also mit einer Politik der Ökonomisierung des ganzen gesellschaftlichen Bereichs und zugleich mit einer Vitalpolitik zu tun, die einen Ausgleich für das Kalte und Rationale gerade dieser Ökonomisierung bietet: es ist gleichzeitig »eine Gesellschaft für den Markt und eine Gesellschaft gegen den Markt, eine Gesellschaft, die sich am Markt orientiert, und eine Gesellschaft, die derart ist, dass die Auswirkungen auf die Werte, auf die Existenz, die durch den Markt hervorgerufen werden, durch sie selbst ausgeglichen werden.« Dieser »politische und moralische Rahmen« soll »den Zusammenhalt der Gemeinschaft« gewährleisten und schließlich eine Kooperation zwischen den »natürlich verwurzelte[n] und sozial eingebetteter Menschen« garantieren. (Röpke 1979, S. 292; vgl. Foucault 2004b, S. 336)

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Gegenüber dieser »ökonomisch-ethische[n] Zweideutigkeit« der Ordoliberalen (Foucault 2004b, S. 336) weist der US-Neoliberalismus eine viel deutlichere Radikalität auf: Dort geht es immer darum, die ökonomische Form des Marktes zu verallgemeinern und sie im ganzen Gesellschaftskörper und im ganzen Sozialsystem zu vollziehen. Diese »grenzenlose Verallgemeinerung der Form des Marktes« fungiert »jenseits der monetären Tauschhandlungen als Prinzip der Verständlichkeit, als Prinzip der Deutung sozialer Beziehungen und individueller Verhaltensweisen« (ebd.). Das heißt, das Schema der ökonomischen Analyse in Begriffen von Angebot und Nachfrage wird auch auf nicht-wirtschaftliche Bereiche angewandt, so dass die Differenz zwischen Ökonomie und Sozialem – zwischen Arbeit und Leben überhaupt – eliminiert wird. Radikal zu Ende gedacht gilt es, diese Verallgemeinerung des Marktes genauso auch in Bezug auf die Regierung anzuwenden: Durch die Überprüfung sämtlicher Handlungen der öffentlichen Gewalt in Begriffen des Spiels von Angebot und Nachfrage und der Kosten, die ein bestimmter Eingriff impliziert, wird jenseits einer politischen oder juridischen Kritik eine permanente immanente Kritik gegenüber der wirklich ausgeübten Gouvernementalität implementiert: »[I]m klassischen Liberalismus verlangte man von der Regierung, die Form des Marktes zu achten und die Marktteilnehmer handeln zu lassen. Hier kehrt man nun das Laissez-faire in eine Beschränkung des Regierungshandelns um, und zwar im Namen eines Marktgesetzes, das ermöglicht, jede Regierungshandlung einzuschätzen und zu bewerten. Das Laissez-faire wird somit umgekehrt, und der Markt ist nicht mehr ein Prinzip der Selbstbeschränkung der Regierung, sondern ein Prinzip, das man nun gegen sie wendet. Er ist eine Art von ständigem ökonomischen Tribunal gegenüber der Regierung.« (Ebd., S. 340f.)

Ergebnis dieser strategischen Umkehrung ist eine enorme systematische Erweiterung des ökonomischen Bereichs: Das Feld der Ökonomie ist nun nicht mehr ein bestimmter begrenzter gesellschaftlicher Bereich neben anderen Bereichen mit eigenen Gesetzmäßigkeiten und Technologien, vielmehr fällt nun der gesamte Bereich menschlichen Handelns und Sich-Verhaltens (sofern es um die konkurenzielle Verteilung knapper Ressourcen geht) prinzipiell unter den Bereich des Ökonomischen. (Vgl. ebd., S. 308 sowie Lemke 1997, S. 248) Diese Generalisierung des Ökonomischen hat damit zwei bedeutsame Funktionen: Zum einen dient sie als Analyseprinzip, indem sie nicht-ökonomische Bereiche und Handlungsformen (z.B. soziale Beziehungen oder individuelles Verhalten) mittels ökonomischer Kriterien und innerhalb eines ökonomischen Intelligibilitätshorizonts untersucht; und zum anderen ermöglicht die Generalisierung des Ökono-

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mischen auch eine Bewertung von Verhaltensweisen und Regierungspraktiken, stellt also einen Urteilsmaßstab zur Verfügung und eröffnet so programmatische Handlungsleitlinien. In Bezug auf die Regierung heißt dies eben, dass diese nun nach dem Spiel von Angebot und Nachfrage auf das rechte Maß hin geprüft werden kann. Der Ordoliberalismus scheint zunächst recht weit entfernt von der in diesem Abschnitt dargelegten analytischen Ausweitung des ökonomischen Handlungsmodells der Chicago School. Die tatsächliche Nähe zeigt sich jedoch gerade in der Betonung der Wettbewerbsordnung als einer nicht nur für den Markt konstitutiven Rahmenbedingung, die sich bei beiden neoliberalen Schulen findet. Die neoliberale Wirtschaftspolitik ist damit genau genommen gar keine Wirtschaftspolitik mehr; sie ist bei den Freiburgern wie bei der Chicago School Ordnungs- und Gesellschaftspolitik, die auch außerhalb der Sphäre der Ökonomie angewandt wird. Aus diesem Grund gibt es für beide Schulen des Neoliberalismus keinen klar eingegrenzten Bereich mehr, der als rein ökonomischer eine ihm entsprechende Politik nach sich ziehen kann. Alles ist prinzipiell ökonomisierbar oder in ökonomischen Kategorien analysierbar, so dass sich auch in allen Bereichen eine aktive Politik etablieren lässt, »die das Ökonomische exterritorialisiert und das Soziale ökonomisiert« (Gertenbach 2007, S. 83). Diese Ökonomisierung des Sozialen wird im folgenden Abschnitt näher beleuchtet.

7.2 N EOLIBERALE P OLITIK Im vorigen Abschnitt wurde deutlich, dass sich der Neoliberalismus wie der klassische Liberalismus als eine eigene Form der Problematisierung der Regierungspraxis artikuliert und sich dabei in Form einer Infragestellung der Befugnisse und Aufgaben des Staates einerseits zum sozialstaatlichen Dirigismus und andererseits zum klassischen Liberalismus abgrenzt. Zwar fordert er wie der klassische Liberalismus auch, nicht direkt in den ökonomischen Mechanismus zu intervenieren, etabliert jedoch eine Art »indirekter Intervention«, indem er etwa über die Unternehmerisierung der Subjekte prophylaktisch den Marktprozess sicherzustellen sucht. Diese permanente Sorge um den Markt wird zum konstitutiven Moment einer neoliberalen Politik, deren Kriterium eben nicht mehr wie im klassischen Liberalismus die Abwehr eines Eingriffs in die autonome Sphäre des Marktes ist, sondern die Herbeiführung von Rahmenbedingungen, in denen der Markt seine Eigengesetzlichkeit entfalten kann. (Vgl. Gertenbach 2007, S. 80f.) Die theoretischen Grundlagen des Neoliberalismus stammen, wie gezeigt, aus den 1950er und 1960er Jahren. In Deutschland wurden die Ideen der Ordoliberalen zwar im Umfeld des damaligen Wirtschaftsministers Ludwig Erhard auf politischer Ebene

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diskutiert (vgl. z.B. Peter 1953 oder Nawroth 1961), trotzdem war die Nachkriegszeit und Zeit des Kalten Krieges wesentlich von einer anderen Rationalität, der der Gesellschaft geprägt. Erst in den 1970ern kam dann mit dem Diskurs um eine kriselnde Wirtschaft (zunehmende Arbeitslosigkeit, drohende Inflation, steigende Haushaltsdefizite) der sozialstaatliche keynesianische Interventionismus auf breiter Ebene in die Kritik, da dessen fiskalpolitische Instrumente die angestrebten Beschäftigungseffekte offensichtlich verfehlten, wohingegen sich dadurch die Inflationsgefahr erhöhe und, so die Kritiker, der sogenannte »Klassenkompromiss« aus wohlfahrtsstaatlicher Umverteilung, Vollbeschäftigungspolitik und staatlicher Regulierung der Arbeitsbeziehungen umgekehrt letztlich selbst Ursache der strukturellen Krise sei. Mit dieser Kritik am Keynsianismus und dessen beschäftigungsorientierter Zinspolitik ebnete sich der Weg für die neoliberale »Gegenrevolution« (Milton Friedman) und die Durchsetzung des von Milton Friedman und der Chicago School geprägten Monetarismus, also der wirtschaftspolitischen Fokussierung auf die Sicherung der Preisniveaustabilität mittels von den Staaten möglichst unabhängiger Zentralbanken. (Vgl. Friedman 1973 sowie Butterwege, Lösch und Ptak 2008, 83ff.) Wichtiger Meilenstein in diesem Kontext ist insbesondere die Aufkündigung der 1944 auf der Konferenz von Bretton Woods festgelegten politischen Regulierung für Währungen und Kapitalmärkte, also die sogenannte Liberalisierung der Finanzmärkte, womit die Bildung von Wechselkursen und Zinssätzen nun dem nach Rendite strebenden Wechselspiel aus Angebot und Nachfrage überlassen und damit der auf politische Ziele hin ausgerichteten Steuerung durch staatliche Institutionen enthoben war.18 Aus subjektorientierter Perspektive wesentlich zentraler als diese finanzpolitischen Verschiebungen ist, da unmittelbarer in der Wirkung, jedoch die neoliberale Sozialpolitik, die als das Instrument zur Schaffung der subjektbezogenen Rahmenbedingungen für das Funktionieren des Markts angesehen wird, und damit auch Grundlage für die im nächsten Abschnitt behandelten neoliberalen Subjektivierungstechnologien ist. Im Nachkriegsdeutschland hatte die Sozialpolitik, wie gezeigt, unter den Prämissen einer Rationalität der Gesellschaft gestanden, d.h., es war eine Politik, die sich danach richtete, die Konsequenzen von allem, was dem einzelnen zustößt, im Namen der nationalen Solidarität von der Gesellschaft zu tragen. Aus Sicht der Neoliberalen ist diese Sozialpolitik wie dargelegt nichts anderes als eine Politik, die sich einen relativen Ausgleich im Zugang eines jeden zu den Konsumgütern zum Ziel setzt; sie ist, anders formuliert, gerade der kontraproduktive Versuch, ein Gegengewicht zu den

18 | Vgl. Butterwege, Lösch und Ptak 2008, 83f. sowie vertiefend Altvater 2005.

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Wirtschaftsprozessen und deren Wirkungen auf die Gesellschaft zu schaffen. Hauptinstrumente einer solchen Sozialpolitik sind entsprechend zum einen die Vergesellschaftung bestimmter Konsumelemente (z.B. Medizin, Kultur), und zum anderen die Übertragung von Einkommenselementen. (Vgl. Foucault 2004b, 201f.) All diese Instrumente hat der Neoliberalismus infrage gestellt, denn damit eine auf dem Spiel der Differenzen aufbauende Wirtschaftspolitik produktiv wirksam werden kann, darf die Sozialpolitik nicht als ihr Gegengewicht und Ausgleich wirken. Maximal ist es möglich, einen Teil des für zusätzlichen Konsum bestimmten Teils der höchsten Einkommen auf jene zu übertragen, die sich in einem Zustand des Unterkonsums befinden, um für jene das Existenzminimum sicherzustellen, die entweder dauernd oder vorübergehend ihre Existenz nicht selbst sichern können. Auch ist statt auf Vergesellschaftung des Konsums und der Einkommen auf Privatisierung zu setzen; d.h., es darf gerade nicht von der ganzen Gesellschaft verlangt werden, den einzelnen gegenüber Risiken abzusichern, sondern die Wirtschaft muss vielmehr schlicht so funktionieren, dass jedes Individuum ein ausreichend hohes Einkommen hat, so dass es entweder selbst und direkt durch vorhandene Rücklagen oder aber über ein (privates) Versicherungswesen sich gegenüber bestehenden Risiken absichern kann. Denn es geht in dieser »sozialen Marktwirtschaft«19 insgesamt nicht wie im Sozialstaat darum, den Individuen eine soziale Deckung von Risiken zu gewähren, sondern vielmehr darum, den Individuen einen wirtschaftlichem Raum zuzugestehen, innerhalb dessen sie Risiken eingehen (oder vermeiden) können. (Vgl. Foucault 2004b, 202ff.) Dies wird nicht zuletzt auf materielle Gründe zurückgeführt, insofern das nach dem Zweiten Weltkrieg breit eingeführte Sozialversicherungssystem eine deutliche Verteuerung der Arbeit nach sich zog, und dadurch, so wurde kritisiert, auch eine negative Wirkung auf die Beschäftigungszahlen gehabt habe. (Vgl. ebd., S. 279) Die wirtschaftlichen Konsequenzen dieser sozialstaatlichen Politik führen in der neoliberalen Kritik aber nicht nur zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, sondern die Art und Weise, wie die Beiträge nach oben begrenzt sind, d.h., wie sich die verschiedenen Prozentsätze der Beitragszahlungen unterscheiden, wird über den Markt hinaus Auswirkungen auf die Verteilung der Einkommen mit sich bringen: von den Jungen zu den Alten, von den Ledigen zu den Familien, von den Gesunden zu den Kranken. Waren diese wirtschaftlichen Konsequenzen in der Rationalität des Versicherungsstaats durchaus beabsichtigt, so gilt unter der Prämisse des Neoliberalismus, dass die Modalitäten der Finanzierung der Sozialversicherung ökonomisch neutral

19 | Der Begriff stammt von Müller-Armack, siehe Artikel »Soziale Marktwirtschaft«, in Müller-Armack 1976, S. 243–248.

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bleiben sollen, weil sie sonst wie beschrieben das Gesetz des Marktes verfälschen. (Vgl. ebd., S. 281) Um trotzdem zu verhindern, dass einer der Teilnehmer am »Wirtschaftsspiel« (ebd., S. 282) alles verliert und aufgrund dessen nicht mehr weiterspielen kann (und aus dem Spiel aussteigt oder es gar sabotiert), gilt es durch Bargeld-Beihilfen denjenigen, die ein bestimmtes Einkommensniveau nicht erreichen, den Grundkonsum zu ermöglichen. Diese zusätzliche Beihilfe muss jedoch mit ausreichend Frustrationen verbunden sein, so dass sie nicht als einfache Art, das Leben ohne Arbeit zu genießen, genutzt wird, sondern die Beihilfe-Empfänger motiviert bleiben, sich eine Arbeit zu suchen. Wichtig ist hier zu bemerken, dass durch diese »negative Steuer« keineswegs gegen die Ursache der Armut angegangen werden soll, sondern lediglich die absoluten Auswirkungen der Armut gemildert werden sollen. Denn die Existenz von Armen ist aus neoliberaler Sicht durchaus wünschenswert – ob als Drohpotenzial oder Arbeitskräfte-Reserve –, womit bemerkenswerterweise gerade ein Diktum wiederaufgenommen wird, das durch die Politik der Versicherungsrationalität wegzuwischen versucht wurde. (Vgl. Foucault 2004b, 285f.) Oberhalb dieser Armutsschwelle wird den ökonomischen Mechanismen des Wettbewerbs und des Unternehmens freies Spiel gelassen – jeder soll hier für sich ein Unternehmen sein; die um die Schwelle herum flotierende Bevölkerung wird dabei als eine für eine Wirtschaft – welche gerade auf das Ziel der Vollbeschäftigung verzichtet hat – permanent bereit stehende Reserve gehalten, auf die man je nach Marktsituation bei Bedarf zurückgreifen kann: »Am Ende läßt man den Menschen die Möglichkeit zu arbeiten, wenn sie wollen oder nicht. Man hält sich vor allem die Möglichkeit offen, sie nicht zur Arbeit zu zwingen, wenn man kein Interesse daran hat, sie arbeiten zu lassen.« (Ebd., S. 290) In Deutschland wie in vielen anderen Ländern auch hat es noch bis in die 1970er Jahre gedauert, bis – vor dem Hintergrund einer sich zuspitzenden Wirtschaftskrise – konkret damit begonnen wurde, die Sozialpolitik neoliberal einzufärben; endgültig vollzogen wurde sie bezeichnenderweise erst durch eine sozialdemokratische Regierung mit der Einführung von der 2002 von Peter Hartz geleiteten Kommission Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ausgearbeiteten Maßnahmen zur Reform des Arbeitsmarktes. Im Zentrum der 13 »Innovationsmodule« steht unter dem Stichwort »Fördern und Fordern« die Aktivierung20 der Eigenleistung der Arbeitslosen; die Module sind damit, so heißt es im Ausblick des Kommissions-Berichts, zu verstehen als »ein wichtiger Diskussionsbeitrag zu einer marktwirtschaftlich orientierten

20 | Vgl. zu »Aktivierung« und der darüber erfolgenden Subjektivierung grundlegend Lessenich 2003 sowie a. Kocyba 2004 und Abschnitt 7.4.3.

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europäischen Arbeitsmarktpolitik, die die Selbstverantwortung der Akteure der Arbeitsmarktpolitik nachhaltig herausfordert.« (Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit 2002) Ausgang nehmend bei diesen Reformen, hat der Neoliberalismus in den letzten Jahren weite Bereiche der Gesellschaft geprägt; geistig ist er als scheinbare »Selbstverständlichkeit« fest verankert und hat auch die materielle Realität vieler Menschen verändert – die Legitimität der sozialstaatlichen Rationalität ist auf breiter Ebene erschüttert. Dabei unterscheidet der deutsche Neoliberalismus sich deutlich von der brachialen Konfrontation, mit der Margaret Thatcher ihre Politik in Großbritannien ab Ende der 1970er Jahre durchgesetzt hat; die Umsetzung neoliberaler Politik hat sich in der Bundesrepublik eher schleichend – als Sachzwang – vollzogen. Nichtsdestotrotz sind die Auswirkungen des neoliberalen Projekts spürbar, v.a. im Bereich der Arbeit bzw. des Arbeitsmarktes. Und auch wenn diese Politik vielleicht nicht »Rückfälle in frühkapitalistische Verhältnisse« (Buntenbach 2008, S. 11) bedingt, so bringt sie doch zahlreiche Härten und Prekarisierungen mit sich, die auch weithin beschrieben und kritisiert werden – von der Erosion der tariflich und sozial tragfähig abgesicherten Beschäftigungsverhältnisse hin zu befristeten Arbeitsverhältnissen, sog. Minijobs, der Ausweitung der Leiharbeit und den sog. Aufstockern. Zu der Ausweitung prekärer Beschäftigung kommt die massive Absenkung der Lohnersatzleistungen im Fall von Arbeitslosigkeit durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe im Rahmen der »Hartz-Gesetze«, aber auch über die Kürzung des Arbeitslosengeldes I sowie die Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln und so weiter und so fort. (Vgl. ebd., S. 9ff.) Bei allen derartigen Maßnahmen verlief die Durchsetzungsstrategie nach einem ähnlichen Muster: Per Gesetz wurden einzelne Stellschrauben verändert, »um der Wirtschaft auf die Füße zu helfen«. Es ist ein Denken, das i.W. über »Sachzwänge« operiert, also eine primär auf das Ökonomische hin fokussierte Rationalität bemüht: Man könne, so heißt es, sich den Gesetzen der Ökonomie nicht entgegenstellen, denn wenn es der Wirtschaft gut gehe, gehe es allen gut. Das Bestechende dieser Logik hat, so scheint es, die Kritik wenn nicht verstummen, so doch ihres Ansatzpunktes beraubt: Denn wie kann Kritik an etwas geübt werden, das die Rationalität auf seiner Seite hat? Die zentrale Technologie des Neoliberalismus ist jedoch weniger dieses Operieren über die Rationalität des Sachzwangs, sondern vielmehr die Zurichtung des Subjekts zum »Unternehmer seiner selbst« (Foucault, Bröckling) oder Arbeitskraftunternehmer. (Voß / Pongratz) In dieser Zurichtung wird die Basis geschaffen für ein nicht mehr nur äußerliches Regieren über eben den Sachzwang, sondern über die Verinnerlichung der Ausrichtung an der Produktivität und das Akzeptieren von Selektion und Wettbewerb.

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7.3 N EOLIBERALE S UBJEKTIVIERUNG Die oben beschriebene Generalisierung des ökonomischen Bereichs geht weit über die engere Sozialpolitik hinaus und umfasst auch die unmittelbare Unterordnung des Subjekts unter ökonomische Erfordernisse. Nun stand wie gezeigt bereits in Staatsräson und Liberalismus die Subjektivierung der Individuen unter der Prämisse der Ausrichtung an Rationalität und Produktivierung. Dennoch weist die neoliberale Subjektivierung gegenüber der liberalen und sozialstaatlichen Zurichtung zur Arbeitskraft und Produktivkraft eine entscheidende Erweiterung und Intensivierung auf insofern der Neoliberalismus zum einen weit stärker über eine internalisierte Subjektivierung operiert, die sowohl in punkto Effektivität als auch Intensität die vorausgegangenen Subjektivierungen übertrifft, und zum anderen auch deutlich stärker auf die Ökonomisierung spezifisch subjektiver Kompetenzen abzielt. 7.3.1 Die Ökonomisierung der Arbeit Zentraler Ausgangspunkt für die neoliberale Subjektivierung ist eine veränderte Betrachtung der Arbeit, die eng im Zusammenhang mit der bereits angesprochenen marginalistischen Revolution des späten 19. Jahrhunderts und deren Fortführung im 20. Jahrhundert steht: Mit der Hinwendung zum subjektivistischen Nutzenbegriff und der konsequenten Fundierung der Ökonomie auf den Markt verschob sich die Bedeutung und Stellung des Faktors Arbeit innerhalb des Diskurses der politischen Ökonomie, wodurch die Möglichkeit eines anderen theoretischen Zugriffs auf das arbeitende Subjekt eröffnet wird. (Vgl. Gertenbach 2007, S. 105) Natürlich beginnt wie gezeigt auch schon die Ökonomie Adam Smiths insofern mit der Arbeit, als die Arbeitsteilung und ihre Spezialisierung für Smith den Schlüssel darstellte, mit dessen Hilfe er seine ökonomische Analyse ausbilden konnte (vgl. Smith 1776/2007 sowie Abschnitt 4.3.3). Aber abgesehen davon wurde – so der Vorwurf v.a. der US-Neoliberalen –, obwohl stets darauf hingewiesen wurde, dass die Güterproduktion von den drei Faktoren Land, Kapital, Arbeit abhing, die Arbeit von der klassischen politischen Ökonomie ausgeblendet und in der Folge Ricardos ihre Natur eher neutralisiert, indem die Ökonomen sie i.W. auf den rein quantitativen Faktor der Zeit reduzierten. Dies gilt für Ricardo ebenso wie auch noch für Keynes, bei dem die Arbeit ein reiner Produktionsfaktor ist, der an sich passiv ist und nur aufgrund einer bestimmten Investitionsrate Verwendung findet. In Kapitel 5 wurde dargelegt, wie schon die Arbeiterbewegung in ihrem Kern sich den praktischen Auswirkungen dieser Engführung entgegensetzte und wichtige Impulse bzgl. eines umfassenderen Arbeitsbegriffs gab. So machte etwa Marx

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(der interessanterweise an dieser Stelle von den neoliberalen Theoretikern weitgehend ausgeblendet wird) die Arbeit zu einem der wesentlichen Angelpunkte seiner Analyse und kritisiert gerade die »Abstraktion« der Arbeit: Die Arbeit, die der Arbeiter leistet, generiert einen Wert, von dem ein Teil dem Arbeiter entrissen wird, und wird so »abstrakt«; d.h. dadurch, dass die in Arbeitskraft verwandelte konkrete Arbeit, die zeitlich gemessen, auf den Markt gebracht und durch einen Lohn vergütet wird, ist sie ihrer ganzen menschlichen Wirklichkeit und all ihrer qualitativen Variablen entledigt; sie wird zu einem Handelsprodukt und behält nur die Wirkungen des produzierten Werts zurück. Während jedoch Marx hier auf den »Entfremdungscharakter« der modernen Arbeit abhebt, bestand das »Problem« der Neoliberalen darin, die Arbeit wieder in den Bereich der Wirtschaftsanalyse einzuführen.21 So war auch die wesentliche Veränderung dieses Bruchs keine qualitative Kritik an der Form der Arbeit, sondern eine auf den Gegenstand der Ökonomie bezogene erkenntnistheoretische Veränderung, nämlich den Gegenstandsbereich und allgemeinen Bezugsrahmen der ökonomischen Analyse zu modifizieren: Hatte Smith’s ökonomische Analyse bis ins 20. Jahrhundert hinein den Untersuchungsgegenstand auf die Produktionsmechanismen, Tauschmechanismen und den Konsum sowie deren Wechselwirkungen innerhalb einer vorhandenen Sozialstruktur gelenkt, so zielte die ökonomische Analyse der Neoliberalen auf die Untersuchung der Natur und der Folgen von möglichen zu treffenden (austauschbaren) Entscheidungen. (Vgl. Becker 1976 sowie Foucault 2004b, 305ff.) 7.3.2 Die Theorie des Humankapitals Es stellt sich in diesem Zusammenhang für die Neoliberalen insbesondere die Frage, was aus einer solchen Perspektive die Arbeit für den Arbeiter bedeutet: Für die Neoliberalen ist sie das Mittel, einen Lohn zu erhalten – und zwar Lohn verstanden nicht als Preis für den Verkauf der Arbeitskraft, sondern als persönliches Einkommen, was wiederum nichts anderes ist als das Ergebnis oder der Ertrag eines Kapitals, d.h. von allem, was in irgendeiner Form eine Quelle zukünftigen Einkommen sein kann (im Gegensatz zum vergangenheitsbezogenen Lohn). Und in dem speziellen Fall, wo das Einkommen des Kapitals der Lohn ist, ist das »Humankapital« die Gesamtheit aller physischen, psychischen usw. Faktoren, die jemanden in die La-

21 | An erster Stelle ist hier der Chicagoer Ökonom und Wirtschaftsnobelpreisträger 1979 Theodore Schultz zu nennen, der mit seinem Aufsatz The Emerging Economic Scene and its Relation to High School Education (Schultz 1958) die Humankapital-Forschung begründete. Weitere wichtige Autoren sind Gary Becker und Jacob Mincer.

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ge versetzen, einen bestimmten Lohn zu verdienen, und damit – im Gegensatz zum sonstigen Kapital – praktisch untrennbar an die Person gebunden, die es besitzt:22 »Das besondere Kennzeichen des Humankapitals besteht darin, daß es ein Teil des Menschen ist. Es ist human, weil es im Menschen verkörpert ist, und Kapital, weil es eine Quelle zukünftiger Befriedigung oder zukünftiger Erträge oder eine Quelle von beidem ist.« (Schultz 1971, S. 48) Damit ist vom Standpunkt des Arbeiters aus die Arbeit keine Ware, die sich durch Abstraktion auf die Arbeitskraft und die gearbeitete Zeit reduziert, sondern einerseits eine Fähigkeit bzw. eine Kompetenz und andererseits eine Gesamtheit von Löhnen, ein »Earnings stream« (ebd., S. 75). Mit diesem Perspektivenwechsel entfernt sich die Politische Ökonomie deutlich von der Vorstellung der Arbeit als (normalisierte) Arbeitskraft, die als mehr oder weniger austauschbares Produktionsmittel zum Marktpreis verkauft wird. Als auf eine Person bezogene Kompetenz erscheint diese vielmehr eben als Kapital, das in Abhängigkeit von verschiedenen – personalen und wissenschaftlich analysierbaren – Variablen ein bestimmtes Einkommen hervorbringt. Zum ersten Mal in der ökonomischen Analyse ist der Arbeiter damit kein Objekt mehr, das Objekt eines Angebots und einer Nachfrage in Form von Arbeitskraft, sondern ein aktives Wirtschaftssubjekt. (Vgl. ebd., Foucault 2004b, 309ff. sowie a. Gertenbach 2007, 105f.) Das unternehmerische Selbst Als Konsequenz dieser Analogie mit dem Kapital findet sich der Arbeiter auch in einer diesem vergleichbaren Struktur der Zukünftigkeit und Unsicherheit, die ihre paradigmatische Ausformung in der unternehmerischen Rationalität erfährt. So erscheint der Arbeiter selbst als ein bestimmtes Unternehmen, und zwar nicht nur für das Kapital oder den Unternehmer, sondern in allererster Linie für sich selbst. (Vgl. Gertenbach 2007, S. 106) Der entscheidende Schritt hin zu dieser Entkoppelung des Unternehmers von seiner spezifischen Funktion und Rolle im kapitalistischen Wirtschaftsprozess findet

22 | Typischerweise wird zwischen den (kostenlosen) angeborenen und den erworbenen Elementen des Humankapitals unterschieden, wobei sich die Neoliberalen naheliegenderweise v.a. dem insbesondere durch Bildungsinvestitionen erworbenen Humankapital zuwenden. Solche Bildungsinvestitionen beziehen sich nicht nur auf die schulische oder berufliche Ausbildung, sondern umfassen sämtliche kulturellen Reize, mit denen der einzelne in Berührung kommt – die Zeit, welche die Eltern ihren Kindern widmen, ergriffene Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge, Mobilität usw. All diese Faktoren lassen sich bzgl. ihrer Ertragsfähigkeit analysieren und entsprechend politisch beeinflussen. Vgl. hierzu die in Schultz 1971 auf S. 191 zitierten Arbeiten sowie Foucault 2004b, 115ff.

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sich bereits bei Ludwig von Mises, der jedoch auch hier noch insofern dem Diskurshorizont des klassischen Liberalismus verhaftet bleibt, als er an der strikten funktionalen Trennung festhält. So sind für ihn nach wie vor und in der Diktion der Klassiker »die Unternehmer, Kapitalisten, Grundbesitzer, Arbeiter und Verbraucher [. . . ] nicht Menschen, wie man ihnen im Leben und in der Geschichte begegnet«, sondern vielmehr Personifizierungen »von Funktionen im Ablauf der Marktvorgänge«. (Mises 1980/1940, S. 245) Dennoch findet sich bereits eine Seite weiter eine Passage, in der diese funktionale Trennung zugunsten eines einheitlichen Unternehmensbegriffs nivelliert werden und alles und jedermanns Handeln als unternehmerisches Handeln verstanden wird: »Jedes Handeln ist in diesem Sinne Spekulation: der Erfolg jedes Handelns wird durch die Veränderung der Daten beeinflusst. [. . . ] Im Gedankenbild der gleichmäßigen Wirtschaft ist niemand Unternehmer, in jeder anderen Wirtschaft sind alle Wirte notwendigerweise Unternehmer und Spekulanten.« (Ebd., S. 246) Indem von Mises hier den Unternehmer gleichzeitig als ökonomische Funktion wie als generalisierten Handlungstyp konstruiert, treffen bei ihm klassischer Liberalismus und Neoliberalismus zusammen. Eine eigenständige Logik des »unternehmerischen Selbst« beginnt sich aber erst im von Mises nachfolgenden Neoliberalismus zu etablieren und ist insbesondere mit von Mises’ beiden Schülern Israel M. Kirzner und Friedrich A. von Hayek verknüpft. Die Theorie Kirzners (vgl. v.a. Kirzner 1978) geht dabei von einer zweifachen Form des unternehmerischen Handelns aus: Zum einen benötigt unternehmerisches Handeln permanente Aufmerksamkeit für neue Gelegenheiten: »Thus, alertness is a necessary feature of human action. Because we cannot step into the same river twice, all our actions contain an element of improvisation. Such improvisation would be impossible without alertness to new opportunities.« (Koppl und Minniti 2003, S. 88) Zum anderen ist unternehmerisches Handeln untrennbar mit dem Ergreifen dieser Gelegenheit verbunden: »if the entrepreneur does not act on an opportunity, he has not ›discovered‹ it at all.« (Ebd.; vgl. Gertenbach 2007, S. 108) Es ist diese Dualität, in der zugleich das zentrale Paradox der unternehmerischen Anforderung steckt: Auf der einen Seite ist das Subjekt der Struktur nach immer unternehmerisches Selbst, da dies ja die maßgebliche Struktur seines Verhaltens ausmacht. Auf der anderen Seite kann die Anforderung, unternehmerisches Selbst zu sein, aber unmöglich universal sein, da dieses an den erfolgreichen Abschluss einer innovativen Handlung gebunden ist, der unmöglich allen vergönnt sein kann: »unternehmerisch handelt man nur, sofern und solange man innovativer, findiger, wagemutiger, selbstverantwortlicher und führungsbewusster ist als die anderen. Die Beschwörung des Unternehmergeistes erweist sich somit als eine paradoxe Mobilisierung: Jeder soll Entrepreneur

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werden, aber wären es tatsächlich alle, wäre es keiner. Jeder könnte, aber nicht alle können.« (Bröckling 2004, S. 275)

Folglich ist die neoliberale Aussage zum unternehmerischen Selbst auch nicht einfach eine Beschreibung der Realität und das unternehmerische Selbst ist nicht einfach eine universale anthropologische Gegebenheit, sondern die Figur des unternehmerischen Selbst ist vielmehr an alles andere als universal vorhandene Bedingungen bzw. deren bei allen unternehmerischen Selbsten gleichermaßen überdurchschnittliches Vorhandensein geknüpft – an Innovations- und Kalkulationsfähigkeit, an Risikobereitschaft, Effizienz und Effektivität usw. Zwischen diesen Polen aus Anforderungsprofil und tatsächlichem Vorhandensein eröffnet sich ein Bereich, der eine subjektivierende Anrufung in sich trägt,23 nämlich eine »Kultur des Unternehmens« befördert, welcher der einzelne im Sinne des Marktprozesses auch folgen muss. Denn: »the market process cannot emerge [. . . ] unless entrepreneurship operates.« (Koppl und Minniti 2003, S. 88; vgl. a. Gertenbach 2007, 108f.) Die ökonomische Lehre des »entrepreneurship« enthält folglich, indem sie den wirtschaftlichen Erfolg auf bestimmte Handlungstypen zurückführt, »zugleich ein normatives Modell der Lebensführung.« (Bröckling 2004, S. 274) Seines funktionalen Status enthoben wird der Unternehmer somit »zum Existenzmodus der liberalen Gesellschaft, die darin zugleich den Weg zu einer ›Kultur des Unternehmens‹ beschreitet«. (Gertenbach 2007, S. 111) Das unternehmerische Subjekt ist also in einen appellativen Modus, in ein »Diktat des Komparativs« (Bröckling 2004, S. 275) eingeschrieben, denn »ein unternehmerisches Selbst ist man nicht, man soll es werden« (ebd., S. 294) – schon um dem Problem der Innovationen zu begegnen: So hatte u.a. Joseph Schumpeter (Schumpeter 1911/2006) festgestellt, dass im Gegensatz zu den Vorhersagen von Marx und der klassischen Ökonomie das tendenzielle Sinken der Profitrate nicht eintrat, und dass dies nicht allein auf den Imperialismus zurückgeht, sondern auf Innovation, d.h. auf die Entdeckung neuer Produkte, neuer Produktionsmethoden, neuer Absatzmärkte oder neuer Rohstoffquellen (hier wäre etwa auch die Subjektivität zu subsumieren), und diese Innovationen, so Schumpeter, für das Funktionieren des Kapitalismus unabdingbar seien. (Vgl. Schumpeter 1942/2005) Aus Sicht der Neoliberalen sind nun diese Innovationen aber kein Automatismus des Neoliberalismus, sondern Ertrag des Humankapitals, d.h. der Gesamtheit der auf der Ebene des Menschen getätigten Investitionen. Eine Wachstumspolitik darf sich folglich nicht bloß an materiellen Inves-

23 | Vgl. zur subjektivierenden Anrufung auch Butler 2001 sowie Abschnitt 7.4.

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titionen einerseits und an der Zahl der Arbeiter andererseits orientieren, sondern muss ebenso Investitionen in das Humankapital und die Unternehmerisierung der Subjekte tätigen. (Vgl. Foucault 2004b, 321ff.) Die Regierbarkeit des Homo oeconomicus Bezeichnend ist dabei, dass dieser normative Appell, Unternehmer zu werden, an einer dezidierten Regierbarkeit der Subjekte ansetzt, was ein ganz anderes Verständnis des Menschen als Homo oeconomicus impliziert als das des klassischen Liberalismus. So ist der Homo oeconomicus des Neoliberalismus gerade nicht mehr das von seinen eigenen, absolut subjektiven und unberührbaren Interessen geleitete Objekt des Laissez-faire, das entsprechend seiner Bedürfnisse durch Tausch einen Nutzen zu erzielen sucht und damit qua des Mechanismus’ der unsichtbaren Hand automatisch dem Wohl aller dient. (Vgl. Abschnitt 4.2) Stattdessen erscheint der Homo oeconomicus der Neoliberalen gerade als etwas Handhabbares:24 »Der Homo oeconomicus ist der Mensch, der in eminenter Weise regierbar ist. Von einem unberührbaren Partner des Laissez-faire ausgehend, erscheint der Homo oeconomicus nun als das Korrelat einer Gouvernementalität, die auf die Umgebung Einfluß nehmen und systematisch die Variablen dieser Umgebung verändern wird.« (Foucault 2004b, S. 372) So gesehen, ist der Homo oeconomicus also gerade nicht ein dem Regierungshandeln definitiv unzugänglicher Bereich und eine gegenüber allen Bedingungen und Gesetzen einer möglichen Regierung unteilbare Einheit der Freiheit. Der neoliberale Homo oeconomicus ist vielmehr Basiselement der neuen gouvernementalen Vernunft und Gegenstand entsprechender Subjektivierungen; die Freiheit des Individuums, eigene Ziele festzulegen und geeignete Wege ihrer Umsetzung zu suchen, wird beschränkt auf die Sphäre des Marktes, in der es sich als Marktteilnehmer zwischen der Rolle als Konsument und Produzent bewegen kann. Dies impliziert nicht notwendig eine anthropologische Assimilierung jedes beliebigen Verhaltens an ein ökonomisches Verhalten, sondern vielmehr ist das Erklärungsraster, unter dem man das Verhalten eines Individuums betrachtet, eben das des Homo oeconomicus. Dies bedeutet zugleich aber auch, dass das Individuum nur insofern gouvernementalisierbar, Gegenstand von (externer) Regierung sein kann, als es ein Homo oeconomicus ist. Damit haben wir hier nicht nur die Schnittstelle von Neoliberalismus und Regierungspraktiken, sondern auch die Schnittstelle von Neoliberalismus und Widerstand. Wenn nämlich die Kontaktfläche zwischen Individuum und Macht das Raster des Homo oeconomicus ist, dann impliziert dies zugleich, dass ein Individuum, auf das die Raster

24 | Entsprechend wundert es nicht, dass zeitnah mit dem Neoliberalismus auch die Verhaltenstechniken im Kontext des Behaviourismus in Mode kamen.

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des Homo oeconomicus nicht anwendbar sind, das also nicht als Homo oeconomicus agiert, sich dem Zugriff der Macht entzieht. Wie dies im Konkreten aussehen kann, wird weiter unten in Kapitel 8 beschrieben.

7.4 T ECHNOLOGIEN

DER

S UBJEKTIVIERUNG

Das aus den eben aufgezeigten Technologien hervorgehende Subjekt ist durch und durch als »Unternehmer seiner Selbst« proklamiert, der sein Handeln und Sein v.a. an der (Fort-)Entwicklung seines Humankapitals ausrichtet. Hierzu – und nur hierzu – wird der einzelne zum Agenten seiner selbst bemächtigt. Es ist also eine sehr spezifische, auf die Verwertung des Humankapitals ausgerichtete Freisetzung – es wird gefordert, einen sehr spezifischen Gebrauch von seinen Freiheiten zu machen, so dass die Freiheit zum Handeln sich eher als Zwang zu einem ganz bestimmten Handeln äußert, wobei zugleich die Folgen dieses Handelns – da die gewählte Handlungsoptionen ja frei war – sich die Einzelnen selbst zuzurechnen haben. (Vgl. Krasmann 1999, Lemke, Krasmann und Bröckling 2000) Die vom Neoliberalismus so hoch gehaltenen Kategorien Selbstbestimmung, Verantwortung und Wahlfreiheit begrenzen somit nicht das Regierungshandelns, sondern sind Werkzeug und Anforderungsprofil, mit dem die Subjekte gerade regiert werden. Um diesen (bei Foucault nur angerissenen) Aspekt zu verdeutlichen wird im Folgenden ein Diskursstrang präsentiert, der in der Arbeits- und Industriesoziologie unter den Labeln »Subjektivierung von Arbeit« bzw. »Entgrenzung« firmiert. In den dort dargelegten Forschungsergebnissen zeigt sich deutlich das Zusammengehen von Selbst- und Fremdbeherrschung, also die gouvernementale Regierungstechnologie des Neoliberalismus. Elementar für den arbeits- und industriesoziologischen Subjektivierungs-Diskurs ist die Diagnose eines – gegenüber der tayloristisch-fordistischen Arbeitswelt – veränderten historischen Stellenwerts von menschlicher Subjektivität in der Arbeitswelt. War im Sozialstaat die Subjektivität der Arbeitenden – sowohl im Hinblick auf die Entfaltungs- und Gestaltungsmöglichkeiten in der Arbeit wie auf die eigenen Ansprüche an die Erwerbstätigkeit – weitgehend als die Produktion gefährdender Störfaktor »stillgelegt«, gilt in den Zeiten des Neoliberalismus die Subjektivität vielmehr als »neue« Ressource und Moment gesteigerter Produktivität, die es bestmöglich zu nutzen und abzugreifen gilt. Dass hier durchaus ein gängiger Kritikpunkt am Taylorismus und eine typische Emanzipationsbestrebung gegen die sozialstaatliche Rationalität aufgegriffen wird, verstärkt nur die Wirksamkeit. Denn es sind, wie im Weiteren noch deutlich werden wird, nicht zuletzt die Subjekte selbst, die bestrebt sind, sub-

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jektive Ansprüche in der Arbeit geltend zu machen, ihre Subjektivität in die Arbeit hineinzutragen und alles in allem letztlich sich selbst zu vernutzen. Somit ergibt sich, wie auch Manfred Moldaschl und Günter Voß darstellen, »eine höchst widersprüchliche Ausgangslage für die Individuen« (Moldaschl und Voß 2003, S. 15): Einerseits erhalten die Arbeitenden durch die Entgrenzung der Arbeitsstrukturen und die neuen Managementstrategien neuartige Möglichkeiten und Freiräume zu subjektivem Handeln, die andererseits von den Betroffenen aber auch subjektiv genutzt werden müssen, um die steigenden Anforderungen überhaupt erfüllen zu können – und die damit auch in einer ganz bestimmten Weise subjektiv genutzt werden müssen. »Entscheidend«, so in diesem Sinne auch Nicolas Rose, »ist die Durchsetzung einer ›autonomen‹ Subjektivität als gesellschaftliches Leitbild, wobei die eingeklagte Selbstverantwortung in der Ausrichtung des eigenen Lebens an betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien und unternehmerischen Kalkülen besteht.« (Rose 2000, S. 95) Autonomie wird so zu einer neuen effizienteren Regierungstechnologie; eine ungeahnte Instrumentalisierung der Subjektivität wird möglich – durch SelbstRationalisierung, Ökonomisierung der eigenen Lebenswelt und Vermarktlichung der eigenen Fähigkeiten und der eigenen Person. Die Subjekte werden Ziele einer neuen Form der kapitalistischen Nutzung von Arbeitskraft, indem sie selbst »vom Objekt zum Subjekt von Rationalisierung« (Moldaschl und Schultz-Wild 1994) werden. Die sich aus einer genealogischen Perspektive stellende Frage ist in diesem Zusammenhang aber nicht einfach inwieweit diese Entwicklung neue Chancen für Selbstentfaltung und Selbstbestimmung eröffnet, oder sie nicht, wie in vielen Veröffentlichungen zur Subjektivierung betont, v.a. Risiken der Selbstüberlastung und des Scheiterns mit entsprechenden depressiven Erschöpfungs- und Angstsymptomen mit sich bringt. Vielmehr geht es im Folgenden insbesondere darum, inwieweit die beschriebenen Prozesse der Entgrenzung und Subjektivierung eine neue Subjektivität bedingen und wenn ja, welche Subjektivität: Was ist der Arbeitskraftunternehmer oder das Unternehmerische Selbst für ein Subjekt? Es ist damit nicht zuletzt auch die Frage nach den Existenzformen und Wirkungsweisen von Macht (und damit Widerstand) in mehr oder weniger enthierarchisierten, scheinbar »zwanglosen« Verhältnissen. Denn, so scheint es, vielleicht sind die Subjekte befreit und ermächtigt, so zu arbeiten wie sie wollen; zugleich aber richten sie sich selbst zu einer bestimmten Form des Arbeitens zu und unterwerfen sich disziplinarischen Regeln und Technologien. (Vgl. Moldaschl 2003, 149f.) Bereits Max Weber oder dann auch Adorno und natürlich auch Foucault haben (in je abgewandelter Form) diese Fragen gestellt: »Was für Menschen prägt die moderne Industrie kraft ihrer immanenten Eigenart ??« heißt es 1908 bei Weber (Weber 1908/1988, S. 37), der damit auf die säkularisierte Form der innengesteuerten

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protestantischen Ethik abzielte. Seitens der Kritischen Theorie identifiziert vor allem Adorno eine neue Form der Selbstkontrolle, die sich zur »zweiten Natur« entwickle, da sie »in Fleisch und Blut« übergegangen sei und den Individuen die ihr innewohnenden Zwangsmechanismen schon nicht mehr bewusst sind (Adorno 1979, S. 451); die bürgerliche Gesellschaft habe die Individuen zwar befreit, jedoch nur, damit diese sich nun »selbst in Zucht halten« (Marcuse 1965, S. 83; vgl. a. Jürgens 2009, S. 72). Die von Foucault diesbezüglich diagnostizierten, auf der Vermittlung von Fremd- und Selbstherrschaft aufbauenden Subjektivierungsprozesse wurden im Verlauf dieser Arbeit bereits breit dargelegt; ihm gelingt es gewissermaßen, im Konzept der »gouvernementalité« Stärken der Herrschaftssoziologie Webers mit den zivilisationstheoretischen Erkenntnissen der Frankfurter Schule (und auch Elias) zu verbinden (ohne Letztere tatsächlich zu rezipieren). Durch die Betrachtung des arbeitsund industriesoziologischen Subjektivierungs- und Entgrenzungsdiskurses aus einer daran angelehnten spezifisch genealogischen Perspektive kann nun zudem deutlich gemacht werden, welche Machtwirkungen Diskurse etwa der Befreiung und des Empowerment in der heutigen Sphäre der Arbeit haben, und somit aufgezeigt werden, wie die Paradoxie zu verstehen ist, »daß ausgerechnet die Anerkennung der Arbeitenden ein bislang undenkbares Nutzbarmachen ihrer Subjektivität für Zwecke der Arbeit ermöglichen soll« (Moldaschl 2003, S. 153). Hierzu werden im Folgenden zunächst kurz die Diskurse um Subjektivierung und Entgrenzung vorgestellt und deren wichtigste Begriffe eingeführt, bevor im Anschluss zentrale Erkenntnisse dieser Diskurse aus einer spezifisch Foucaultschen Perspektive beleuchtet werden. Dabei soll insbesondere deutlich gemacht werden, dass viele der in den Subjektivierungsdiskursen thematisierten Mechanismen auf der Verbindung von Selbst- und Fremdherrschaft basieren und damit explizit als Regierungstechnologien beschrieben werden können, die auf die Ausformung einer bestimmten Subjektivität abzielen, die letztlich im Konstrukt des »Arbeitskraftunternehmers« kulminiert. 7.4.1 Der arbeits- und industriesoziologische Diskurs um Entgrenzung und um die Subjektivierung der Arbeit Empirische Studien weisen in der Arbeits- und Industriesoziologie bereits seit den 1990er Jahren vermehrt auf neuartige Formen der betrieblichen Nutzung von Arbeitskraft hin – infolge neuartiger inhaltlicher Ansprüche breiter Beschäftigtenschichten an die Erwerbsarbeit (so insb. Baethge 1991), v.a. aber auch infolge der Einrichtung marktförmiger Beziehungen innerhalb der Unternehmen (z.B. Pongratz und Voß 2003; Pongratz und Voß 2004; Kratzer 2003). Diese »Vermarktlichung« führt, so

7. DER NEOLIBERALISMUS | 261

die These, zu einer breiten Delegation von Verantwortung für Arbeitsergebnis und -abläufe auf die Beschäftigten auch jenseits Hochqualifizierter bzw. jenseits des Managements und in den unterschiedlichsten Erwerbsbereichen. Ziel dieser Neuausrichtung sei, so die Studien, subjektive Kompetenzen wie auch private Ressourcen für die Erwerbsarbeit zu mobilisieren, um so neue Rationalisierungs- und Produktivitätspotenziale zu erschließen. In der Folge erscheinen zahlreiche Artikel und Monografien (z.B. Schönberger und Springer 2003, Lohr und Nickel 2005, Arbeitsgruppe SubArO 2005, Lohr 2003), welche die These einer »Subjektivierung von Arbeit« (so etwa Moldaschl und Voß 2002) unter unterschiedlichen Gesichtspunkten beleuchten, sie empirisch untermauern (z.B. Böhle, Stöger und Weihrich 2014, Dunkel und Kratzer 2016, Frey 2009, Koch-Falkenberg, Handrich und Voß 2016, Huchler, Voß und Weihrich 2007, Moosbrugger 2008, Nickel, Hüning und Frey 2008) und auch mit anderen zeitgenössischen soziologischen Diskursen wie etwa denen zur Flexibilisierung (Keller und Seifert 2007, Kronauer und Linne 2005), zur Entgrenzung von Arbeit (Minssen 1999; Kratzer 2003) oder dem zum Arbeitskraftunternehmer (Voß und Pongratz 1998, Pongratz und Voß 2003, Pongratz und Voß 2004) bzw. zum unternehmerischen Selbst (Bröckling 2007) in Zusammenhang bringen.25 Denn auch wenn natürlich schon immer in gewisser Weise betrieblicherseits auf die Subjektivität der Arbeitenden zugegriffen wurde und die Arbeitenden schon immer ihre Subjektivität funktional in die Arbeit eingebracht und so dafür gesorgt haben, dass die betrieblichen Abläufe funktionieren,26 so war, wie die Studien verdeut-

25 | Vgl. zur Verortung des Diskurses um die »Subjektivierung der Arbeit« insb. Kleemann 2012, Moldaschl 2003, Kleemann, Matuschek und Voß 1999, Kleemann, Matuschek und Voß 2002, Kleemann, Matuschek und Voß 2003. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass, obwohl es zahlreiche gegenseitige Bezugnahmen innerhalb der deutschsprachigen Diskussion zur Subjektivierung gibt, diese dennoch kaum auf ein eindeutiges oder gar gemeinsames Konzept von Subjektivität rekurrieren. Das bzw. ein gemeinsames Verständnis von »Subjektivität« wird vielmehr implizit vorausgesetzt. Theoretisch ist dies sicherlich nicht unproblematisch, andererseits eröffnet dies aber auch erst das breite Feld, in dem Prozesse der Subjektivierung vonstatten gehen, geht es doch gerade um das, was sich jenseits einer konkreten Subjektivität befindet. Solchermaßen offen gehalten ermöglicht es der Begriff, gewissermaßen als übergreifendes Konzept auf die Rolle des Subjekts bezogene Entwicklungstendenzen innerhalb der Arbeit zu bündeln und zueinander zu relationieren. 26 | Vor allem die Arbeiten von Fritz Böhle (Böhle 1994, Böhle 1999) liefern zahlreiche Beispiele für Tätigkeiten und Fähigkeiten, die seit längerem Subjekte nutzen, um einen reibungslosen Ablauf von Arbeit zu gewährleisten.

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lichen, dies im Gegensatz zum neoliberalen Zugriff auf die Subjektivität der Arbeitenden maximal implizites Erfordernis, das keineswegs im Mittelpunkt der Tätigkeit stand oder aktiv eingefordert wurde; im Gegenteil, es wurde vieles dran gesetzt, die Prozesse auch ohne subjektive Momente am Laufen zu halten und die subjektiven Anteile so weit wie möglich zu reduzieren. Wenn heute von Subjektivierung gesprochen wird, wird demgegenüber nun explizit auf die »gezielte betriebsseitige Vernutzung von menschlicher Subjektivität für den Arbeitsprozess« (Kleemann 2012, S. 7) abgehoben, und dies in Verbindung mit einer gezielten Produktion einer ganz bestimmten Subjektivität, nämlich einer hochgradig »unternehmerischen« rational-produktiven Subjektivität. Dass diese Subjektivierung vom Einzelnen durchaus auch positiv aufgefasst werden kann bzw. subjektiven normativen Anforderungen entspricht, erhöht nur die Funktionalität. Denn zentral ist, dass sich dadurch im gouvernementalen Sinne geradezu prototypisch Fremd- und Selbstherrschaft miteinander verbinden. So gesehen erweitern die beschriebenen Mechanismen der Subjektivierung den klassischen betrieblichen, auf direkte Steuerung durch Herrschaft ausgelegten (und nicht effizient weiter ausbeutbaren) hierarchischen Steuerungsmechanismus um einen wirklich ökonomischen, auf den Marktprinzipien beruhenden Steuerungsmechanismus; erst wenn die Subjekte diese Art der Subjektivierung sich selbst zum Ziel machen, funktioniert die Vernutzung der Subjektivität auch wirklich effektiv und ökonomisch. (Voß und Weiß 2005, S. 143) Eng verbunden mit dem Diskurs um die Subjektivierung ist der – sich auf die Strukturebene beziehende – Diskurs um eine erweiterte »Entgrenzung«: Dieser, etwa seit den 1990er Jahren in der arbeits- und industriesoziologischen Forschung diskutierten Annahme zufolge verlieren im Zuge der sogenannten »Globalisierung«, also der Internationalisierung von Produkt-, Dienstleistungs- und Finanzmärkten, sowie infolge einer Vermarktlichung unternehmensinterner Beziehungen nicht nur nationalstaatliche Grenzen an Bedeutung, vielmehr befänden sich in den unterschiedlichsten Bereichen etablierte strukturelle Bindungen und soziale Gewissheiten in Auflösung: Arbeitszeiten und -orte, Berufsstrukturen, begrenzende Strukturen innerhalb nationaler Ökonomien, zwischen Betrieb und Markt, sozialpolitische Sicherungen, Abgrenzungen zwischen Geschlechts- und Rollenidentitäten bzw. die Konturierung fester personaler »Identitäten« überhaupt, Abgrenzungen zwischen sozialen Schichten, Klassen, Milieus oder Lebensstilen bis hin zum Topos einer »Entgrenzung von Arbeit und Leben« insgesamt. (Vgl. Voß 1998a, Gottschall und Voß 2003 sowie a. Jürgens 2009) Nicht zuletzt im engeren Kontext der Arbeit führen derartige Entgrenzungen dazu, dass »bisher als relativ stabil und verbindlich angesehene Strukturen der Organisation erwerbsförmiger Arbeit und Beschäftigung auf allen Ebenen [. . . ] in Bewegung

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[geraten].« (Voß 2010a, S. 4). Leitbild der Gestaltung von Arbeit ist insgesamt immer weniger eine möglichst enge Beschränkung von Handlungsoptionen, um die Ziele mittels möglichst strikt vorgegebener Abläufe zu erzielen, sondern im Gegenteil die grobe Strukturierung anhand »diffuse[r] Handlungsrahmen« (Voß 1998a, S. 477), die von den Beschäftigten eigenverantwortlich zur Erreichung nach oben offener Zielsetzungen ausgeschöpft werden müssen.27 Insofern aber jedes Handeln auf begrenzenden Strukturen fußt und, wo diese erodieren und sich auflösen, neue Strukturen und Begrenzungen erforderlich werden– erzwingt jede Entgrenzung immer auch eine Neu-Begrenzung, und diese Neu-Begrenzung ist gerade die im Folgenden näher beschriebene Subjektivierung und Zurichtung der Subjekte zu sich selbst kontrollierenden, sich selbst ökonomisierenden und sich selbst rationalisierenden »Arbeitskraftunternehmern«: Durch die entgrenzten Strukturen sind die Subjekte ein Stück weit frei gesetzt worden, die Arbeit sich aktiv anzueignen und diese zu formieren und selbst zu strukturieren; zugleich werden die Subjekte aber dazu angehalten, diese Freiheit in einer ganz bestimmten Weise zu gebrauchen, sich nämlich ganz der Ökonomie zu öffnen. (Gottschall und Voß 2003, 18f.) Denn die Grenz-Setzungen sind zwar ein Ergebnis individuellen Handelns, unterliegen jedoch, wie auch die Autoren rund um den Entgrenzungs-Diskurs betonen, ebenso Prozessen der Vergesellschaftung wie auch den aktuellen strukturellen Anforderungen an und Zwängen zur Rationalisierung und Ökonomisierung. Günter Voß spricht in diesem Sinne von der Notwendigkeit einer »reflexiven Handlungsstrukturierung« (Voß und Weiß 2005, S. 479): Gibt es weder für Erwerbsarbeit noch für die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben kollektive Orientierungsmuster und institutionelle Rahmungen, müssen die Subjekte »in neuer Qualität eigene Strukturen schaffen und individuelle Neubegrenzungen vornehmen« (ebd.) und sowohl Arbeit als auch Leben »aktiv re-strukturieren« (ebd., S. 476).28 Das heißt, die

27 | In eine ähnliche Richtung geht auch Richard Sennett, der in seinem Buch Der flexible Mensch (Sennett 1998) aufzeigt, dass die Arbeit im flexiblen Kapitalismus weit stärker als bislang die Fähigkeit und Bereitschaft zu Flexibilität, Teamfähigkeit, Mobilität, Verantwortungsübernahme usw. erforderlich macht. Wie die deutschsprachigen Autoren der Subjektivierungsdebatte betont auch er die Ambivalenz dieser Entwicklung und sieht als eine Folge der Flexibilisierung von Arbeit eine neue Qualität der Gefährdung von Subjektivität und insbesondere ein Nachlassen sozialer Bindungen und Kontinuitäten. (Vgl. Voß und Weiß 2005, S. 145) 28 | Voß verweist hier auf die empirischen Ergebnisse zur »alltäglichen Lebensführung«. In den diesbezüglichen Arbeiten werden Formen von Lebensführung innerhalb von Beschäftigtengruppen untersucht, die in vielfacher Hinsicht von Flexibilisierung und Deregulierung betroffen sind. (Vgl. Projektgruppe ›Alltägliche Lebensführung‹ 1995, S. 3)

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Subjekte müssen sich nicht nur in der Arbeit, sondern in ihrem gesamten Dasein als Arbeitskraftunternehmer verhalten, sie müssen in der Arbeit wie auch in der Freizeit, im Leben, (1) sich selbst kontrollieren, d.h. eine selbständige Planung, Steuerung und Überwachung der eigenen Tätigkeit vornehmen; (2) sich selbst ökonomisieren, also die eigenen Fähigkeiten, Leistungen und Potentiale weiterentwickeln und dies vermarkten, und (3) sich selbst rationalisieren, also all ihre Aktivitäten, den gesamten Alltag, effizienzorientiert durchorganisieren. (Voß und Pongratz 1998 sowie Jürgens 2009, 61f.) Insbesondere die Selbst-Rationalisierung entspricht der »Verbetrieblichung« der gesamten Lebensführung, also einer »gezielt alle individuellen Ressourcen nutzende[n] systematische[n] Organisation des gesamten Lebenszusammenhangs« (Voß und Pongratz 1998, S. 143), und damit einer umfassenden Entgrenzung von Arbeit und Leben: Die Unternehmen greifen nicht nur auf direkte berufsbezogene Qualifikationen zurück, sondern auch auf ehemals private Potenziale und Ressourcen wie Netzwerke29 und Freundschaften, Unterstützungsleistungen der Partner und allgemeine finanzielle Ressourcen für technologische Ausstattung oder den Zukauf eigener personeller Ressourcen (Babysitter, Reinigungskräfte etc.). Indem die Subjekte gefordert sind, alle vorhandenen Kompetenzen und Ressourcen auf eine möglichst optimale Nutzung von Arbeitskraft hin einzusetzen, breitet sich die Logik von Effizienzsteigerung und Ökonomisierung zunehmend auch in der privaten Lebenssphäre aus und der Alltag wird immer mehr »zum Betrieb des Arbeitskraftunternehmers« (Jürgens 2009, S. 62).30

29 | Auf die Relevanz von Netzwerken haben insbesondere Boltanski/Chiapello aufmerksam gemacht, die in ihrer Studie Der neue Geist des Kapitalismus (Boltanski und Chiapello 1999/2006) aufzeigen, dass wir uns im Übergang zu einem »netzwerkbasierten Kapitalismus« befinden, was sich in den Betrieben dadurch zeigt, dass als Organisationsform verstärkt teamförmige und vertrauensbasierte »Projekte« eingesetzt werden, die den Autoren zufolge einerseits zwar eine erweiterte Selbstverwirklichung und Individualisierung der Arbeitskräfte ermöglicht, andererseits aber auch eine neue Stufe der Nutzung und Ausbeutung von Arbeitskraft bedeutet. 30 | Natürlich ist die »Vermischung« von Arbeit und Leben kein gänzlich neues Phänomen; schon immer haben Unternehmen auch auf »private« Ressourcen, wie bspw. soziale Netzwerke, den Partner, der sich um Haus- und Familienarbeit kümmert, oder über rein fachliche Qualifikationen hinausgehende Fähigkeiten zurückgegriffen (s. exemplarisch Schmiede 1988; Deutschmann 2001, Deutschmann 2002). Auch kann »Entgrenzung von Arbeit und Leben« nur konstatiert werden, wenn man, wie in der Rationalität der Gesellschaft geschehen, die Trennung der Lebensbereiche als Kennzeichen einer vorherigen Form der Arbeitsorganisation konstruiert.

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Zu Beginn des Bruchs zum Neoliberalismus und in der Folge der Wirtschaftskrise der 1970er Jahre war zunächst gerade auch bei Vertretern der institutionalisierten Arbeiterbewegung die Hoffnung aufgekommen, aus der offenbar zunehmenden Zeit der Nicht-Beschäftigung mit Einführung der 35-Stunden-Woche eine neue Quelle der Emanzipation zu machen. Das Subjekt könne sich hier, so die daran anschließende Überlegung, in der Arbeitssphäre verdrängte Freiräume wieder aneignen. Mit der Heraufkunft der neoliberalen Rationalität ist es jedoch ganz offensichtlich geglückt, dieses Potential vom dissidenten zum affirmativen Konzept zu wandeln und die »Freizeit« als wichtigen Rohstoff zu besetzen. Das Konstrukt des »Arbeitskraftunternehmers« (Voß und Pongratz 1998) ist gewissermaßen der Prototyp des solchermaßen entgrenzten Subjekts, nämlich ein neuer Typus der Warenform von Arbeitskraft, »der das eigene Leistungspotenzial in unternehmerischer Weise für Erwerbszwecke einsetzt und damit in systematisch erweiterter Qualität der betrieblichen Verwertung erschließt.« (Pongratz 2005, S. 61) Während der fordistische Normal-Arbeitnehmer i.d.R. lediglich auf direkt vorgegebene Aufgaben nach Anweisung reagiert, wird der Arbeitskraftunternehmer mittels neuer organisatorischer Konzepte indirekter Steuerung wie Zielvereinbarungen, Teamarbeit oder Cost- und Profit-Center-Strukturen aktiv und eigenverantwortlich in die Arbeitsorganisation eingebunden, was letztlich einen unternehmerischen Umgang mit der eigenen Arbeitskraft voraussetzt. (Vgl. Pongratz 2005, S. 61) Um beispielhaft zu beleuchten, wie bestimmte Managementtechniken und Sozialpraktiken dazu führen, dass sich Arbeit und Leben zunehmend entgrenzen und mit dem Arbeitskraftunternehmer eine Form der Subjektivität nach sich ziehen, in der letztlich das gesamte Leben Arbeit geworden ist, werden in den folgenden Abschnitten nun geeignete Elemente aus dem arbeits- und industriesoziologischen Subjektivierungs- bzw. Entgrenzungsdiskurs herausgegriffen und vor dem Hintergrund einer Foucaultschen Perspektive eruiert, wie hier – auf den Ebenen der Subjektivierung der Arbeit (7.4.2) und der Subjektivierung der Sozialpolitik (7.4.3) – Selbst- und Fremdpraktiken ineinandergreifen und sich diese Elemente damit als Regierungstechnologien ausweisen, die auf die Zurichtung zu einer spezifischen Subjektivität hinzielen. In der Summe bilden diese Praktiken die Grundlage für die Hervorbringungen des Arbeitskraftunternehmers als dem Subjekt der neoliberalen Subjektivierung, der da-

Gerade die Frauenforschung hat seit langem auf die Relevanz von Arbeiten auch jenseits der Erwerbssphäre hingewiesen (z.B. Bahrdt 1982). Nichts desto trotz zeichnet sich gegenwärtig eine neue Dynamik und neue Qualität dieses Zugriffs auf private Ressourcen ab, insofern als diese nun systematisch zu ökonomisch werthaltigen Arbeitsmitteln verobjektiviert werden, vgl. Abschnitt 7.5.

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her in Abschnitt 7.4.4 noch einmal näher, gewissermaßen als Kulminationspunkt der aufgeführten Praktiken, dargelegt wird. 7.4.2 Die Subjektivierung der Arbeit Die neoliberale Subjektivierung der Arbeit wird vor allem deutlich anhand des Bruchs von den tayloristischen zu den posttayloristischen Managementkonzepten, die daher hier vordringlich behandelt werden. So war die Rationalität der Gesellschaft geprägt von einer insbesondere mit den Namen Frederick Winslow Taylor und Henry Ford verbundenen Managementlehre, dem Taylorismus bzw. dem Fordismus. Ausgerichtet an industriellen Großbetrieben waren die zentralen Leitbegriffe von Unternehmen, aber auch von gesellschaftlich-öffentlichen Einrichtungen »Bürokratie« und »Verwissenschaftlichung«, mittels derer ein bürokratischer Verwaltungsapparat Massen an Arbeitern koordinieren, anleiten und überwachen sollte – mit dem Ziel der »Steigerung nationaler Wettbewerbsfähigkeit« (Taylor 1911/1995, S. 2) und der »Schaffung von tauglichen Menschen« (ebd., S. 3; vgl. a. Moldaschl 2010, S. 266 sowie Kapitel 6): Der tayloristischen Rationalisierung ging es darum, die Subjektivität von Arbeitskräften, und damit eventuelle Abweichungen von den vorgegebenen Arbeitsschritten (aber auch eventuelle Widerstandsmöglichkeiten) weitest möglich auszuschalten, um eine größtmögliche Berechenbarkeit und Kontrolle von Arbeitsabläufen sicherzustellen. Anders formuliert geht es um die Normalisierung von »freien« Arbeitskräften in handhabbare »Objekte«. In Bezug auf die Arbeitswelt wurde dieses Leitbild jedoch quasi von Anfang an v.a. aufgrund der damit verbundenen schlechten Arbeitsbedingungen kritisiert. Unter dem Stichwort »Humanisierung der Arbeitswelt« wurden mehrere Offensiven gestartet, die zum Ziel hatten, mehr Raum für Persönlichkeitsentwicklung und Selbstverwirklichung zu schaffen und so die Arbeitsbedingungen in den Betrieben insgesamt zu verbessern.31 Insbesondere die in den 1970er Jahren virulent werdende Debatte um den »Wertewandel«, die einen Wandel der Arbeitswerte und der -motivationen sowie eine allgemein kulturell veränderte Einstellung gegenüber der Erwerbsarbeit

31 | Das Bundesforschungsministerium hatte damals unter der Regie von Hans Matthöfer eine Vielzahl von Projekten initiiert, die sich mit Fragen der Arbeitsorganisation, der Arbeitsplatzgestaltung, aber auch der Arbeitssicherheit befassten und diesbezügliche Besserungen den Weg zu ebnen suchten. (Vgl. hierzu beispielsweise Wachtler 1979 oder rückblickend Oehlke 2004).

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diagnostizierte,32 zeigte deutlich, wie stark das Bestreben nach anderen Modi des Arbeitens gewachsen war. Spätestens in den 1980er Jahren wurde der Nutzen des bis dahin dominierenden tayloristischen bzw. fordistischen Rationalisierungsleitbilds dann auch seitens des Managements massiv in Frage gestellt, denn, so nun die These, die Schwierigkeiten westeuropäischer und nordamerikanischer Unternehmen (Produktivitätsrückstände, Qualitätsmängel, Innovationsbarrieren etc.) seien weniger Ergebnis fehlender technischer Innovationen, sondern vielmehr Resultat eines »falschen Umgangs mit dem ›Faktor Arbeit‹« (Marrs 2010, S. 339): Nur durch eine wesentlich weitergehende und intensivere Ausschöpfung der Ressource Humankapital seien noch Wettbewerbsvorteile zu erzielen. (Breisig 1997) Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Motivation und Leistungsbereitschaft, aber auch bislang kaum genutzte spezifisch subjektive Fähigkeiten und Potenziale wie Innovativität, Kreativität, Flexibilität, soziale und kommunikative Kompetenzen etc. von rigiden Kontrollformen behindert werden. Zudem verursacht eine immer extensivere Kontrolle natürlich auch immer höhere Strukturierungs- bzw. Verwaltungskosten und zahlreiche, etwa im Dienstleistungsbereich neu geschaffene Tätigkeiten entziehen sich ohnehin generell einer de-

32 | Die wichtigsten Thesen dieser Diskussion waren die gesellschaftliche Neuausrichtung von materiellen zu postmateriellen Orientierungen (Inglehart 1989), eine ansteigende Individualisierung (Beck 1986) sowie eine Verschiebung von Pflicht- und Akzeptanzwerten zu Selbsterhaltungswerten (Klages 1984). Kreiste die Debatte anfänglich v.a. darum, ob es sich bei dem diagnostizierten Wandel um einen generellen Verlust der Arbeitsmotivation und eine tendenzielle Auflösung des abendländischen Wertekanons handelte (so Kmieciak 1976 und NoelleNeumann 1978 – mit durchaus kulturkritischer Intention), oder er nicht eher ein (positiv zu bewertender) Prozess der zunehmenden Entfaltung individueller Neigungen und Ansprüche sei (vgl. v.a. Inglehart 1979), so wurden diese Annahmen anschließend von Bolte und Voß (Bolte und Voß 1988) durch die Feststellung relativiert, dass es sich nicht um eine Auflösung der grundlegenden Wertebasis der Moderne handele, sondern vielmehr um Veränderungen der Verwirklichungsmöglichkeiten dieser Grundwerte und um eine Erweiterung des »ArbeitenMüssens« um Aspekte der »Selbstentfaltung« aufgrund materieller und sozialer Wandlungsprozesse. (Vgl. Kleemann, Matuschek und Voß 2003, S. 86 sowie Klages 2001). Baethge umschreibt dieses neue gesellschaftliche Phänomen der Geltendmachung eigener Ansprüche an die Arbeit mit dem Terminus »normative Subjektivierung von Arbeit« (Baethge 1991, 6f.) und schuf so den Startpunkt für die weitere, den normativen oder Werte-Aspekt schnell übersteigende Subjektivierungsdebatte innerhalb der deutschen Arbeits- und Industriesoziologie. (Vgl. Kleemann, Matuschek und Voß 2003, S. 85ff. Hauff 2008, S. 53 sowie Klages 2001)

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taillierten Vorstrukturierung und Kontrolle. (Vgl. Sauer 2005; Boltanski und Chiapello 1999/2006 sowie Marrs 2010) »Verantwortliche Autonomie« Mit unterschiedlichsten neuen Managementkonzepten wurde nun auf neue Produktivitätsgewinne durch die Nutzung bislang brachliegender subjektiver Ressourcen abgezielt. Geradezu diametral zu den bis dahin dominierenden tayloristischen und fordistischen Prinzipien streben entsprechend die Unternehmen seitdem konsequent die Delegation von Kompetenzen und Verantwortlichkeiten auf die operative Ebene an, und damit eine Erweiterung der Handlungsspielräume und allgemein der Möglichkeiten zu »subjekthaftem« Handeln der Arbeitenden.33 Dazu gehören die zeitliche, räumliche, sachliche, soziale, sinnhafte usw. Selbstorganisation der Arbeit wie auch erweiterte Freiräume in der Ausführung der Arbeit selbst, wie es sie bis dato maximal für Führungskräfte und einzelne höhere Angestellte gegeben hatte. Jedem einzelnen Mitarbeiter wird nun die Verantwortung für das Ergebnis seines Tuns übertragen; als »unselbständig Selbständiger« (Peters 2001) ist er für die Zielerreichung komplett selbst verantwortlich und kann sich nicht mehr auf die pflichtgemäße Bearbeitung übertragener Aufgaben zurückziehen. (Vgl. Kocyba 2005, S. 85, Kleemann, Matuschek und Voß 2003, S. 71 sowie Marrs 2010, S. 340) Insofern erbringen, wie Voß/Pongratz betonen, die Arbeitenden selbst nun die vormals mit großem (Kosten-)Aufwand betrieblicherseits geleistete Transformation von Arbeitskraftpotential in konkretes Arbeitshandeln und konkrete Arbeitsleistung (vgl. Voß und Pongratz 1998, S. 132)34 – das Problem (und zugleich die Kernfunk-

33 | Zwar gibt es auch heute noch Bereiche, Branchen und Berufsgruppen, die i.W. nach (neo-) tayloristischen Prinzipien gestaltet werden, aber insgesamt ist die Tendenz, von einer rigiden Detailsteuerung und starren Kontrolle von Arbeitstätigkeiten abzurücken, doch offensichtlich – v.a. in solchen Bereichen, denen wie bspw. dem Dienstleistungsbereich künftig eine wachsende Bedeutung zugesprochen wird. (Vgl. Kleemann, Matuschek und Voß 2003, 69f.) 34 | Hier nehmen die Autoren Bezug auf das von Henry Bravermann (Braverman 1980) aus den Arbeiten von Marx extrahierte Transformationstheorem, wonach ein Unternehmen mit der Einstellung von Mitarbeitern (in der Regel) nicht eine vertraglich eindeutig definierte Tätigkeiten (fertige Arbeitsleistung) kauft, sondern lediglich für bestimmte Zeiträume das Potential der Personen, Arbeit verrichten zu können (potentielle Arbeits-Kraft). Um sicherzustellen, dass die Arbeitenden aus ihren Potentialen sinnvolle Tätigkeiten erzeugen, sind organisatorische Maßnahmen erforderlich, wie eben beispielsweise Taylors System der rigiden Kontrolle oder Fords Fließband-System, das auf der Ebene der Arbeits-Technik diese Transformation sicherstellt. Die Verlagerung dieses Transformationsproblems auf die Arbeitenden selbst durch die Ergeb-

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tion kapitalistischer Unternehmen) wird durch die gelöst, die es erzeugen: die »Veredelung von Arbeitskraft« nimmt das Subjekt bei sich selbst vor durch die rationale Aufbereitung und gezielte, dauerhafte Entwicklung des eigenen Arbeitsvermögens zum Zweck der Vermarktung (Voß und Pongratz 1998, 142f.). Dies führt nicht zuletzt dazu, dass selbst zum Schutz der Arbeitskräfte etablierte Gesetze von den Arbeitenden selbst unterlaufen werden. So sind beispielsweise im Arbeitszeitgesetz zwar Höchstgrenzen der Arbeitszeit und Mindesturlaubszeiten definiert, die bei Nicht-Einhaltung sogar Gefängnisstrafen für den Arbeitgeber zur Folge haben können. Insofern als durch die eben geschilderten Mechanismen aber u.U. einerseits eine Leistung eingefordert wird, die in der normalen Arbeitszeit nicht zu schaffen ist, andererseits aber die Verantwortung für die Arbeitszeit auf die Beschäftigten delegiert wurde, »richten sich plötzlich die Drohungen des Arbeitszeitgesetzes auch gegen die Beschäftigten« (Glißmann 2003, S. 259): Was eigentlich ein Schutz sein sollte, erweist sich vor dem Hintergrund, dass der Mitarbeiter gleichzeitig für unternehmerischen Erfolg wie auch für die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen verantwortlich gemacht wird, als höchst problematisch. »Das eigene Handeln verselbständigt sich und tritt mir als eine scheinbar fremde Macht entgegen. [. . . ] Durch mein eigenes Tun und mein eigenes Denken realisiere ich das Interesse des Arbeitgebers gegen mich selbst.« (Ebd., S. 265) Bemerkenswerterweise wird in diesem Zusammenhang sogar explizit auf die Solidarität der Arbeitenden untereinander zugegriffen, um sie produktiv zu nutzen – und damit auf gerade das, was bisher für die Unternehmen als Problem und Hort der Widerständigkeit gesehen wurde (und dies auch war), nämlich die Kooperation der Arbeitenden. (Vgl. Krömmelbein 2005, S. 191; Voß und Weiß 2005, S. 144) Denn damit die miteinander verflochtenen, aber hierarchisch entgrenzten unterschiedlichen Funktionsbereiche reibungslos funktionieren und die gesetzten Ziele auch erreicht werden, bleibt den Arbeitenden oft gar keine andere Wahl als an die gegenseitige Solidarität zu appellieren und sich untereinander zu unterstützen, um in anderen Situationen ggf. selbst Unterstützung zu erhalten: Die Solidarität der Arbeitskräfte ist zur Ressource geworden und der sozialmoralische, aus der Solidarität gespeiste Anspruch auf Unterstützung und Konformität zwischen den Gruppenmitgliedern ist nun Teil der Ar-

nissteuerung kann in diesem Sinne als moderne Lösung des Transformationsproblems angesehen werden. (Vgl. Voß und Pongratz 1998) Eine Fortführung des Diskurses um das Transformationstheorem findet sich in der sog. Labour Process Debate (vgl. als Überblick Knights und Willmott 1990; Hildebrandt und Seltz 1987; Jermier, Knights und Nord 1994).

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beit des einzelnen Beschäftigten.35 Es sind Konzepte der kooperativen Führung wie »psychologische Verträge« (z.B. Kotthoff 1997 oder Marr 2003) oder »Vertrauen als Organisationsprinzip« (Gondek, Heisig und Littek 1992), die in diesem Sinn die angestrebte eigenständigen Strukturierung der Arbeitsausführung durch die Mitarbeiter ermöglichen und entsprechend soziale Beziehung im Betrieb als »sozialen Tausch« (Blau 1955) konzeptionalisieren: Die Unternehmen gehen auf die (angenommenen) Interessen und Bedürfnisse – die Subjektivität – der Beschäftigten ein und räumen ihnen z.B. Autonomiespielräume, Beschäftigungssicherheit oder Karrierechancen ein, und erwarten im Gegenzug, dass die Beschäftigten Leistungsbereitschaft, Flexibilität und Loyalität gegenüber dem Unternehmen erbringen. (Vgl. Voß und Pongratz 1998, Krömmelbein 2005 sowie Marrs 2010) Es gibt zusammengefasst also, wie auch von Autoren der Labor Process Debate hervorgehoben wurde, zwei Pole in Bezug auf Kontrolle: Zum einen die auf Misstrauen zwischen den Unternehmern und ihren Beschäftigten gründende, sich hauptsächlich bei taylorisierter Arbeit findende direkte Kontrolle mit möglichst detaillierten Anweisungen, Bewertungen und Sanktionierungen und möglichst ausgeschalteter Subjektivität der Arbeitenden wie sie für die sozialstaatliche Rationalität typisch war; und zum anderen die sogenannte »verantwortliche Autonomie« (Friedman 1987), die sich typischerweise überall da findet, wo direkte Kontrolle nicht möglich, zu teuer oder gar kontraproduktiv ist und das Engagement, die Kooperation und Kreativität – die Subjektivität – der Beschäftigten gefragt ist. Hinter all diesen Entwicklungen steht letztlich ein verändertes Verständnis des Managements von der Arbeitskraft »als Subjekt«, dessen subjektive Eigenschaften nun gewissermaßen »vom ›Störfaktor zum Potenzial‹« (Marrs 2010, S. 342) befördert wurden – wobei natürlich sichergestellt sein muss, dass das Subjekt (selbst)diszipliniert genug ist, auch im Sinne des Unternehmens zu handeln: Die Arbeitenden befinden sich in von formalen Strukturen (zeitlich, räumlich, sachlich, sozial usw.) weitgehend befreiten Arbeitssituationen, müssen im Gegenzug aber dafür diese Strukturen selbst schaffen, um die gestellten Aufgaben (die gesetzten Arbeitsergebnisse) auch zu erfüllen (vgl. Kleemann, Matuschek und

35 | Diese indirekten Formen der Kontrolle bedeuten nicht, dass nicht doch Herrschaft akkumuliert und Asymmetrien geschaffen werden können. Indem beispielsweise gezielt Informationen, die zentrale Ressource von Kommunikationsarbeit, zurückgehalten oder Fehlinformationen verbreitet werden, bilden sich informelle Hierarchien von Informierten und nicht oder schlecht Informierten, die eigene Positionierungen und Regeln schaffen. Im Mobbing eskalieren diese inneren Konkurrenzen dann zum offenen, für das Organisationsziel oft auch dysfunktionalen Kampf. (Vgl. Eichler 2005, S. 213)

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Voß 2003, S. 71): Was zählt ist, dass das Ziel, der Arbeitserfolg, erreicht wird; wie dieses Ziel erreicht wird, bleibt dem Einzelnen praktisch selbst überlassen. Entscheidend ist dabei – und dies ist auch der Unterschied zu den früheren Humanisierungskonzepten –, dass die Abkehr von Kontrolle verbunden ist mit steigender Leistungsanforderung wie auch mit einer verstärkten Überwachung der Erfüllung der vorgegebenen Arbeitsergebnisse – der z.B. in Zielgesprächen vereinbarten Ziele (s.u.) – sowie einer prinzipiellen Überprüfbarkeit der einzelnen Arbeitsschritte, also einer Transparenz und Dokumentation des Arbeitshandelns auch in Bezug auf die Durchführung. Durch diese Verknüpfung gibt es weiterhin verhaltenssteuernde Wirkungen; diese resultieren aber nicht mehr aus der unmittelbaren personellen oder technischen Überwachung; entscheidend ist vielmehr die ganz grundsätzliche Möglichkeit, Fehlhandlungen zu identifizieren und dann natürlich auch zu sanktionieren, wodurch letztlich eine Sogwirkung entsteht, die gewissermaßen von alleine die wachsende Vernutzung bzw. die Subjektivierung des Subjekts durch sich selbst realisiert. (Vgl. Böhle 2003, S. 140 sowie Matuschek, Arnold und Voß 2007, S. 323 und Marrs 2010, 335f.) Von daher zielen beispielsweise Strategien wie das Qualitätsmanagement nicht allein auf eine Objektivierung und Überprüfung von Qualitätsstandards, sondern richten sich auch darauf, den jeweils individuellen Beitrag eines Mitarbeiters zu einem bestimmten (Gesamt-)Ergebnis bezifferbar zu machen, und damit den Mitarbeiter dazu zu bringen, sich selbst in einer ganz bestimmten Weise auf die Ziele des Unternehmens hin aufzustellen. Ob und wie dies konkret kontrolliert wird, ist wie bei einem Panoptikum letztlich irrelevant, wichtig ist nur, dass dies prinzipiell möglich ist: »Die Verankerung der Gewißheit über [die Möglichkeit der Kontrollierbarkeit, K.M.] wie auch deren Demonstration wird daher zu einem zentralen strategischen Instrument betrieblicher Arbeitspolitik.«36 (Böhle 2003, S. 140) Wie Knights und Sturdy (Knights und Sturdy 1989) in einer Studie über den Einsatz von Informationstechnologie in Versicherungsunternehmen betonen, begrüßen die Angestellten oft sogar diese Technologien, weil ihre Leistung sichtbar(er) und individuell zurechenbar(er) wird.

36 | Hier erscheint die »panoptische« Kontrolle allerdings v.a. als Resultat der Anwendung neuer Beobachtungstechnologien und weniger als sozialisatorisches Produkt einer vorgängigen Disziplinierung. Von daher ist diese Form der Beobachtungskontrolle natürlich auch nur ein vorgängiger Schritt zur tatsächlichen Selbst-Kontrolle des die dahinterliegende Zielsetzung dann bereits verinnerlichthabenden Subjekts. Denn erst wenn Leistungserbringung tatsächlich zu einer Selbstverpflichtung der Arbeitenden geworden ist, kann man wirklich von neuer Subjektivität sprechen, die mehr ist als temporäre Konditionierung. (Vgl. Moldaschl 2003, S. 177)

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Eng verbunden mit diesen neuen Strategien der Arbeitssteuerung ist nicht zuletzt der Leitgedanke einer Führung durch Zielvereinbarung (vgl. auch dazu Staehle 1991, 785ff.), wo in typischerweise jährlichen Zielvereinbarungsgesprächen Ziele festgelegt werden, die, wie Voß/Pongratz analysieren, eine Art »Quasi-Auftrag« sind, »dessen Ausführungsmodus dem Mitarbeiter weitgehend freigestellt ist«. (Voß und Pongratz 1998, S. 134) Durch die (zumindest prinzipielle) Mitbestimmung bei der Zielformulierung und die Beschränkung von Kontrollen auf das Erreichen von (Zwischen-)Ergebnissen ergeben sich für die Mitarbeiter idealerweise motivierende Freiräume.37 Vor diesem Hintergrund kann die Selbstorganisation mit steigenden Anforderungen verbunden werden, ohne dass diesen mit einer Verweigerungshaltung begegnet werden würde. Gewissermaßen automatisch etabliert sich so eine neue, subtile Herrschaftstechnik, die immer mehr von Fremd- zu Selbstherrschaft wird und anhand von Techniken wie Zielvereinbarungen zudem sicherstellt, dass man sich auch in der richtigen Weise und auf die richtige Zielsetzung hin selbst beherrscht. (Vgl. Pongratz und Voß 1997, Voß und Pongratz 1998, Wolf 1999, Matuschek, Kleemann und Voß 2003) Steuerung über Kennzahlen Die beschriebene Umstellung auf einen stärkeren Rückgriff auf die Subjektivität der Arbeitenden ist von einer Reihe von Instrumenten abhängig, die es erlauben, das Handeln Einzelner trotz deren Autonomie in die gewünschte Richtung zu lenken. Das zentrale Instrument in diesem Kontext sind wie Peter Miller in Kalulierende Subjekte. Ökonomie der Subjektivität – Subjektivität der Ökonomie (Miller 2005) zeigt, die kalkulativen Praktiken des sog. Management oder Cost Accounting. Grundlage dieses Ansatzes ist das in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte Konzept der Standardkosten, mittels dessen Kosten im Voraus und v.a. Abweichungen der tatsächlichen gegenüber den durchschnittlichen bzw. unterstellten und als Norm vorgegebenen Kosten kalkuliert werden konnten. War es bis dahin lediglich möglich gewesen, Kosten dann genau zu bestimmen, wenn sie aufgetreten waren, so ermöglicht das Konzept der Standardkosten, Standards zu formulieren und so Kosten im Voraus zu bestimmen. Für jeden einzelnen Posten in einem Unternehmen kann nun eine ökonomische Norm definiert werden, an der sich die Individuen auszurichten haben – und zwar unabhängig davon, ob es sich um Abläufe in der Produktion, im Marketing oder im Vertrieb, oder ob es sich um die Automobilfertigung oder die Verwaltung des

37 | Dass die Mitbestimmung meist in enge Regularien eingefasst ist und nur sehr bedingt eigene Interessen des Mitarbeiters bei der Zielvereinbarung berücksichtigt werden, soll nicht unerwähnt bleiben.

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Gesundheitswesens handelt. In dieser Orientierung an der Norm zeigt sich auch der zentrale Unterschied gegenüber der sich am Normalen orientierenden Rationalität der Gesellschaft: Das spezifisch neue unter dem Vorzeichen der neoliberalen Rationalität ist erst die permanente Überbietung des Normalen und die explizite Zurichtung der Individuen auf eine das Normale übersteigende (und immer weiter nach oben schraubbare) Norm. Accounting-Praktiken werden nicht nur zur Kostenkalkulation oder zur Bewertung von Investitionsmöglichkeiten herangezogen, sondern ganz generell, wenn es darum geht, die Effektivität zu erhöhen, Wirtschaftswachstum zu fördern, Entscheidungsprozesse zu verbessern, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern etc. Ursprünglich für die Fertigungsindustrie entwickelt und angewendet, finden diese Praktiken insofern inzwischen in den unterschiedlichsten Bereichen Anwendung bis hin zu wohlfahrtsstaatlichen Institutionen. Indem überall hier unterschiedliche und komplexe Prozesse in einzelne Kennziffern übersetzt werden, lassen sich letztlich das Handeln der Individuen und die Kosten dieses Handelns einer Vergleichbarkeit und damit abstrakten Kontrolle unterwerfen: Management Accounting bietet somit »einen universellen Werkzeugkasten, mit dem sich jede beliebige Organisation in derselben Weise wie ein Unternehmen kontrollieren lässt, und das sowohl Individuen als auch Abteilungen als standardisierte Einheiten zur Erzielung einer bestimmten Gewinnrate betrachtet.« (Miller 2005, S. 20) Anstatt den Einzelnen seinen persönlichen Annahmen und Vorlieben zu überlassen, werden ihm »objektiv« kalkulierte Standards der Aufgabenerfüllung vorgelegt, ggf. begleitet von der Aussicht auf Belohnung für besonders effiziente Leistungen. Die kalkulativen Praktiken des Management Accounting eröffnen dadurch neue Möglichkeiten der Beeinflussung und Formung individuellen Handelns und können somit durchaus als »Regierungstechnologien« im Sinne von Foucault verstanden werden: Indem das Handeln der Individuen unter das Dach vorgegebener Ziele gestellt wird und diese durch die Übertragung von Verantwortlichkeit für die Erfüllung dieser Ziele dazu gebracht werden, sich selbst als kalkulierende Subjekte zu sehen, fungiert das Accounting als »Kontrollinstanz« und beeinflusst das Handeln der Individuen auf eine Art und Weise, »die sie frei, aber dennoch in Übereinstimmung mit den jeweiligen ökonomischen Normen agieren lässt« (ebd.). Statt direkter Kontrolle nimmt das Accounting Einfluss auf das Handeln der Subjekte bzw. auf deren Entscheidungsprämissen, die diesem Handeln zugrunde liegen. Das Bestechende dabei ist nicht zuletzt, dass mit dem Gebrauch von Zahlen die Annahme von Objektivität und Neutralität verbunden ist – dadurch dass die Kennziffern ja durch rationale kalkulative Praktiken berechnet sind, erwecken sie den Anschein, völlig objektiv und frei von Interessen und Kontroversen zu sein. (Vgl. Miller

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2005, S. 23) Selbst wenn es konkret nicht unmittelbar zur Anwendung wissenschaftsbasierten Wissens kommt, so entspricht doch die Objektivierung und Formalisierung von Informationen und Verfahren diesen Wahrheitsprozessen, in denen die Subjekte diskursiv verfangen sind. Anders als bei der wissenschaftlichen Betriebsführung Taylors werden nicht mehr sämtliche Details des Arbeitshandelns von außen objektiviert, sondern die Objektivierung erfolgt nun »durch die Setzung von Rahmenbedingungen, durch die eine ›Selbstobjektivierung‹ des Arbeitshandelns gefordert wie auch erzwungen wird« (Böhle 2003, S. 135). Zentral ist, dass in dem Moment, in dem das individuelle Handeln mit dem gesamtbetrieblichen Geschehen gekoppelt wird, dieses an die ökonomischen bzw. betrieblichen Prämissen angepasst und entsprechend transformiert wird, was, so die These Fritz Böhles »nicht folgenlos für die Selbststeuerung des Arbeitshandelns [bleibt]; vielmehr werden die durch äußere Rahmenbedingungen vorgegebenen Transformationsprozesse nun auch zu einer von den Arbeitskräften geforderten ›Eigenleistung‹« (ebd.): Durch die Verknüpfung von Kalkulation mit individueller Verantwortlichkeit werden die Subjekte in kalkulierende ökonomische Subjekte verwandelt – Subjektivität bzw. subjektives Handeln in Objektivität bzw. objektiviertes Handeln transformiert. Die Praktiken des Management Accounting eröffnen zahlreiche Instrumente und Technologien, die diese Form der Subjektivierung letztlich bestärken: »Return on Investment«, die Entwicklung von Steuerungsinstrumenten wie z.B. den »Break-EvenCharts« oder auch bestimmte Organisationsformen und Produktionssysteme (z.B. »cellular manufacturing« oder die »Just-in-time-Logistik«), die durch die AccountingPraktiken generiert werden, sind Beispiele für die Durchsetzung kalkulativer Regierungspraktiken; Instrumente wie »Profit Center«, »Cost Center« oder strategische »Business Units« usw. sind ohne die kalkulativen Praktiken des Accounting genauso wenig denkbar wie »Incentive«- und andere Anreiz-Systeme zur Gewinnmaximierung und Kostenreduzierung. All diese Praktiken und Technologien sind konstitutiv für eine Vielzahl sozialer Formen, Prozesse und Subjektivitäten; sie verändern den Typus der sozialen Realität, in der wir leben, und die Art und Weise, in der wir die Möglichkeiten für unser individuelles wie kollektives Sein wahrnehmen: Die kalkulativen Praktiken des Accounting stellen eine bestimmte Sichtweise und Darstellung gesellschaftlicher Vorgänge als auch entsprechende Steuerungsmöglichkeiten her und bringen damit Formen der Regierung hervor, mittels derer Individuen und deren Handeln in Übereinstimmung mit den jeweiligen ökonomischen Normen gebracht werden. (Vgl. Miller 2005, 29f.) Ein gutes Beispiel für den zunehmenden Einsatz von Accounting Instrumenten sind die diversen Audit-Praktiken, die insbesondere auch im öffentlich-rechtlichen Sektor zunehmend eine bedeutende Rolle spielen: An Universitäten bspw. werden

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die »klassischen Audits« wie Prüfungen der Studienleistungen und Finanzcontrolling zunehmend ergänzt durch Lehrevaluationen, interne Audits, Akkreditierungsverfahren, Zertifizierungen, Alumni-Befragungen, Mittelzuweisungsaudits durch Ministerien und Universitätsleitungen, Journal-Rankings, Citation Indices, Hochschulrankings usw. (vgl. Moldaschl 2005, 267f.), die je für sich dazu führen, beim betrachteten Subjekt ein bestimmtes Handeln und Verhalten zu evozieren. Ähnliche Bewertungsmodelle finden sich aber auch bei privatwirtschaftlichen Unternehmen, wobei es nicht nur interne Audits wie bspw. das 360-Grad-Feedback (siehe auch Seite 279) oder die bereits erwähnten Zielgespräche gibt, sondern auch nach außen gerichtet diverse Bewertungsportale, über die Kunden etwa ein Hotel, Teilnehmer eine Konferenz oder ganz allgemein Käufer ein Produkt bewerten sollen, und welche die zuständigen Beschäftigten entsprechend zu einem marktkonformen Verhalten anleiten sollen. Auf den ersten Blick erscheinen all diese Praktiken als »avancierte Beichtpraktik« oder »multilateraler, ohne Zentrum operierender Panoptizismus einer fortgeschrittenen Überwachungsgesellschaft« (ebd., S. 268). Der zentrale Unterschied zu den früheren Überwachungsmechanismen ist aber, dass diese heutigen »Rituals of Verificarion« (Power 1999) nicht einfach nur auf die Mikromechanismen des Verhaltens abzielen, sondern – wesentlich effizienter – auf die Ergebnisse dieser Verhaltensweisen, und damit auf die gesamte Subjektivität, das Sein.38 Das Besondere der heutigen Technologien ist dabei nicht zuletzt, dass sie sich, indem die Kontrolle beteiligter Subjekte und das wissensbasierte Monitoring der Ange-

38 | Auf eine neue Stufe gehoben werden diese unternehmensinternen Beichtpraktiken durch digital-öffentliche Beichten in den diversen sozialen Netzwerken des Internet. Verschärft durch die Möglichkeit, im Rahmen der sog. »Big Data«-Technologien gewaltige digitale Datenmengen zusammenzutragen, zu analysieren und auszuwerten, eröffnen sich ungeahnte Regierungspraktiken. Big Data digitalisiert die Spuren analoger Praktiken von Gesundheitsdaten, über Kaufverhalten, Freizeitaktivitäten bis hin zu Bewegungsprofilen und schafft so statistische Zusammenhänge, die – als avancierte Variante Horst Herolds Rasterfahndung – am Ende etwa potentielle Käufer bestimmter Produkte, aber auch gesellschaftliche, gesundheits- und kreditbezogene Risikogruppen zu benennen in der Lage sind. Das regierungstechnologisch bedeutsame dabei ist, dass ein Großteil dieser Daten nicht einfach unintendierte, mehr oder weniger unvermeidbare Spuren sind, die der Einzelne beim Surfen hinterlässt, sondern vielmehr aus freiwilligen Selbstauskünften bestehen: das (vielleicht noch von Krankenkassen geförderte) Selbstmonitoring des Gesundheitsverhaltens, die Selbstauskünfte über den eigenen Alltag, über den eigenen Standort und so weiter in Social Networks oder aber die permanente Kommentierung von allen möglichen Einträgen und Vorkommnissen im Netz. Aktuelle soziologische Arbeiten zum Thema »Big Data« sind z.B. Brödner 2015 oder Reichert 2014.

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messenheit von Praktiken ein »›pathologisches‹ Maß« und den »Charakter kultischer Handlungen« angenommen haben, gegenüber ihrem Sinn verselbständigt und die Reflexion über ihren Sinn verdrängt haben. (Ebd., S. 281; vgl. a. Power 1999, S. 14) Erst durch diese Permanenz und Selbstverständlichkeit, so lässt sich schließen, wirken sie auf das Sein und die Subjektivität selbst ein: Die Subjekte hören gewissermaßen auf, über die Praktiken und deren Sinn nachzudenken und verhalten sich von vorneherein so wie es die Praktiken nahe legen – es erfolgt »eine selbstgesteuerte Anpassung an äußere Gegebenheiten, die als objektive, interessenneutrale ›Sachnotwendigkeiten‹ in Erscheinung treten« (Böhle 2003, S. 140). Praktiken des Human Ressource Managements Eine im Bereich der Personalpolitik mit den Accounting Praktiken eng verknüpfte neoliberale Managementtechnologie ist das »Human Resource Management« (HRM). In Abschnitt 7.3.2 wurde mit dem »Humankapital« bereits das dem HRM zugrundeliegende, aus den 1960er Jahren stammende Konzept dargelegt, wohingegen hier nun explizit die neoliberale Verwendung und Ausformung dieses Konzepts aufgezeigt werden soll. Das HRM unterscheidet sich von der klassischen Personalpolitik im Wesentlichen darin, dass (1) die Ausrichtung der Personal- und Qualifizierungspolitik an den Unternehmensstrategien betont wird, (2) der Mitarbeiter als wertschöpfende und an das Unternehmen zu bindende Ressource verstanden wird und (3) die Personalfunktion als primäre Managementaufgabe betrachtet wird, um die Lern- und Anpassungsfähigkeit der Organisation zu gewährleisten. (Vgl. Weitbrecht und Braun 1999; Ridder u. a. 2001)Als übergreifendes personalpolitisches Steuerungsinstrument soll das HRM das Vorhandensein der benötigten Qualifikationen und Kompetenzen sicherstellen, also die Grundlage für einen optimalen Einsatz des betrieblich vorhandenen »Humanpotenzials« bilden, was konkret folgende vier Praktiken bewirkt: (vgl. Kels und Vormbusch 2005, 39ff.) •

Subjektorientierte Kompetenzentwicklung: Seit der im Zusammenhang mit der Subjektivierung von Arbeit vielfach konstatierten Trendwende »von der Wissensvermittlung zur Kompetenzentwicklung« (Hof 2002) zielt die betriebliche Weiterbildung nicht mehr so sehr auf die Vermittlung spezifisch berufsförmigen Wissens (auf Qualifizierung), sondern v.a. auf die personenbezogenen Kompetenzen des einzelnen Mitarbeiters, also auf subjektive Fähigkeiten, wie etwa reflexive Problemlösung, selbstgesteuertes Lernen und Arbeiten oder ökonomisch verantwortliches Handeln. Kompetenzen sind entsprechend stärker als Qualifikationen an das jeweilige Subjekt, an dessen Handlungsdispositionen, Haltungen und Interessen,

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gebunden, die es für die Arbeit und das Unternehmen zu nutzen und weiterzuentwickeln gilt.39 (vgl. Kels und Vormbusch 2005, 40f.) Arbeitsprozessbezogene Lernformen: Im Zusammenhang mit der Zunahme von auf kooperative, reflexive Optimierung und Selbststeuerung setzende Arbeitsformen wie Gruppen- und Projektarbeit gibt es auch einen Übergang von einer berufsund funktionsorientierten zu einer »prozessorientierten Weiterbildung«. Diese impliziert v.a. eine stärkere Fokussierung auf den betrieblichen Leistungserstellungsprozess und dessen spezifische Anforderungen, so dass über reines tätigkeitsbezogenes Fachwissen hinausgehende Anforderungen an Methoden-, Lern- und sozialkommunikative Handlungskompetenzen an Bedeutung gewinnen. (Kels und Vormbusch 2005, S. 41) Wertschöpfungsorientierung Auf breiter Ebene hat sich inzwischen eine kostenorientierte Betrachtung der Bildungsaktivitäten in den Betrieben etabliert, bei der innerbetriebliche Bildungsaufwendungen unmittelbar an ökonomische Erfolgskriterien rückgebunden werden: finanzielle Mittel für Qualifizierungsmaßnahmen sollen kostenbewusst und effizient eingesetzt werden und einen klar bezifferbaren Beitrag zum Geschäftserfolg des Gesamtunternehmens aufweisen (»Wertschöpfungsbeitrag« oder »Return on Investment«). Das sog. »Bildungscontrolling« soll zu

39 | Vielfach werden in diesem Zusammenhang Prozesse der Entberuflichung oder Entqualifizierung von Arbeit diagnostiziert. Dabei geht es nicht um das historisch bekannte Phänomen, dass Berufe veralten oder aussterben, sondern, wie Demszky von der Hagen und Voß betonen, »um ein möglicherweise grundlegendes Funktionalitätsproblem der bisherigen Form von Beruflichkeit als solcher« (Demszky von der Hagen und Voß 2010, S. 767). Hintergrund ist auch hier die Veränderung der geschäftspolitischen Strategien von der Orientierung an der Produktion hin zu einer Orientierung verstärkt an der Markt- bzw. Kundenseite, was eine entsprechende Umorientierung der Organisation der innerbetrieblichen Abläufe bedingt: Insofern als die Unternehmen bestrebt sind, schnellstmöglich neue Kundenbedürfnisse zu befriedigen, rücken die schnelle Entwicklung, Produktion und Bereitstellung neuer oder modifizierter Produkte und Dienstleistungen in den Vordergrund, wodurch fachliche Kenntnisse immer schneller veralten und fachunspezifische Fähigkeiten (»Schlüsselqualifikationen«) an Bedeutung gewinnen. So reduziert sich das fachliche Berufs- und Erfahrungswissen auf einen vergleichsweise engen fachlichen Kern, der maximal noch Ausgangspunkt für weitere Qualifikationen ist, zunehmend aber von spezifischen Qualifikationen und sozial-kommunikativen Fähigkeiten überlagert wird, bei denen es sich letztlich um »basale Lebens- und Persönlichkeitskompetenzen« (Voß 1998a) handelt, die nun i.e.S. arbeitsfunktionale Bedeutung erlangt haben. (Vgl. Demszky von der Hagen und Voß 2010, 767ff. Baethge und Baethge-Kinsky 1998, 464ff., Kleemann, Matuschek und Voß 1999, 6f.)

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einer eine kosten-, erfolgs- bzw. wertschöpfungsorientierten Steuerung des gesamten Prozesses betrieblicher Qualifizierung beitragen, wobei es oft nicht mehr nur um die Feststellung der Kosten-Nutzen-Relationen geht, sondern idealerweise der gesamte Bildungsprozess kontinuierlich verbessert werden soll. (Vgl. ebd., S. 42) Verschärfte Segmentation: Zunehmend zeichnet sich derzeit zudem eine nach unterschiedlichen Beschäftigtengruppen und deren »strategischem Wert« differenzierte Qualifizierungs- und Weiterbildungspolitik ab. So beschränkt sich das Ziel einer langfristigen Personalbindung auf die Leistungs-, Wissens- und Potenzialträger; geringqualifizierte, Teilzeit- oder befristet Beschäftigte werden demgegenüber marginalisiert und sind kaum in Weiterbildungsangebote integriert. (vgl. ebd.)

Es wird deutlich, dass das HR-Management auf eine methodisch-rationale Entwicklung der Humanressourcen abzielt. Nicht anders als Produktionsabläufe oder Marketingmaßnahmen auch, ist das Humankapital somit Gegenstand betrieblicher Strategie. Im Gegensatz zum »Schürfmodell« des Frühkapitalismus (obgleich es auch damals schon Kämpfe um gelernte Arbeiter gab) sollen (geeignete) Arbeitskräfte heute nicht einfach kurzfristig ausgebeutet, sondern (bei entsprechendem Potential) langfristig an das Unternehmen gebunden und »nachhaltig bewirtschaftet« und entwickelt werden – es geht also um einen »kalkulierten ökonomischen Umgang mit knappen Ressourcen«. (Ebd, S. 48) In Bezug auf Weiterbildungsmaßnahmen heißt das, dass die Beschäftigten keinesfalls mehr v.a. nach eigenen Vorlieben aus einem Katalog möglicher Weiterbildungsmaßnahmen auswählen sollen. Ziel ist vielmehr, jeden einzelnen Beschäftigten planvoll und nachhaltig zu entwickeln, so dass er oder sie optimal für das Unternehmen genutzt werden kann. Das Ideal ist dabei, dass die Techniken und Instrumente des HR-Managements den Beschäftigten nicht mehr als Fremdzwang entgegen treten und die Eröffnung neuer Handlungspotentiale durch den unternehmerischen Appell an Fortbildung, Lernen und Kompetenzgewinn als übereinstimmend mit den eigenen Sinnansprüchen und dem eigenen Identitätkonzept empfunden werden, also die Entwicklung der eigenen Kompetenzen und der eigenen Beschäftigungsfähigkeit von Unternehmen wie Beschäftigtem gleichermaßen angestrebt werden: »Die innere und die äußere Bewirtschaftung des Subjektiven ist hier zielorientiert im Subjekt verknüpft.« (Ebd., S. 49) Bedeutsam für diese Subjektivierung durch das HRM sind vor allem die diskursiven Verfahren der Leistungsbewertung und der Beschwerdebearbeitung. Dazu gehört insbesondere das sog. 360-Grad-Feedback, regelmäßige, standardisierte Bewertungsgespräche, bei denen, z.T. noch ergänzt um die Ergebnisse aus Kundenbefragungen zu namentlich zu nennenden Beschäftigten, Beschäftigte und Management sich selbst

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wie auch gegenseitig bewerten und sich Ziele für den folgenden Zeitraum erarbeiten, wobei auf herkömmliche Verfahren der Mitarbeiterbefragung, des Führungsaudits und der Selbsteinschätzung zurückgegriffen wird, die miteinander kombiniert und verallgemeinert werden. Bezeichnend ist dabei v.a., dass die Kontrolleure in einem System wechselseitiger Sichtbarkeit gleichermaßen selbst die Kontrollierten sind und denselben Bewertungskriterien unterliegen wie ihre Untergebenen – ein, wie Ulrich Bröckling schreibt, »demokratischer Panoptismus«. (Bröckling 2007, S. 236) In diesen Feedback-Systemen kulminiert sehr klar die Verbindung von Herrschaftsund Selbstherrschaftsinstrumenten und sie erweisen sich entsprechend deutlich als typische Elemente der neoliberalen Machttechnologie. Gerade im sog. 360-GradFeedback wird, wie Bröckling betont, wie schon in Benthams Gefängnisentwurf ein »auf seine ideale Form reduzierte[r] Machtmechanismus« sichtbar, »eine Gestalt politischer Technologie, die man von ihrer spezifischen Verwendung ablösen kann und muß.« (Foucault 1975/1998, S. 264, siehe auch Bröckling 2007, S. 245) Dabei wirkt auch hier allein schon das Wissen, dass Bewertungen durchgeführt werden, konditionierend. Das eigentliche Ziel der Feedback-Systeme ist auch hier wieder weniger die Fremdbeurteilung und daraufhin zu ergreifende extern veranlasste Maßnahmen, sondern die »Nötigung zur Selbstreflexion«, durch die letztlich eine bessere Selbststeuerung, um die es eigentlich geht, realisiert werden soll. Denn wo die unmittelbare Disziplinierung einen unökonomisch hohen Kontrollaufwand nach sich zöge, zeigt die im 360-Grad-Feedback realisierte Rückkopplung lediglich die Normabweichungen auf, überantwortet die nötigen Anpassungen aber dem Einzelnen selbst. Wir haben es hier somit mit einer Art »kybernetische[m] Modell« zu tun, in dem der Einzelne »als informationsverarbeitendes System [erscheint], das sich selbst flexibel an die Erwartungen seiner Umwelt anpasst, wenn es nur regelmäßig mit differenzierten Rückmeldungen gefüttert wird.«40 Kontrolle bedeutet hier nicht wie bei den Disziplinierungen, die Kontrollierten auf eine optimierte Norm hin zuzurichten, und auch nicht wie bei der Normalisierung die zu weit von einem Normalen abweichenden Ränder einzuebnen, sondern implementiert vielmehr »eine unabschließbare Dynamik der Selbstoptimierung« (Bröckling 2007, S. 239), die letztlich auf »der Verbindung einer Verheißung mit einer Drohung« fußt, nämlich einerseits dem Versprechen, durch die so angeleitete Selbststeuerung seine Potentiale voll entfalten zu können, und andererseits der Drohung, auf der Strecke zu bleiben, wenn man im Gegensatz zu anderen im Stillstand verharrt.

40 | Bröckling 2007, S. 239; siehe zum kybernetischen Modell auch Wiener 1952.

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Ihre Legitimität bezieht diese »Evaluationsmacht« (ebd., S. 241) dabei wie die Accounting-Praktiken auch aus ihrer scheinbaren Objektivität: Die Evaluation beruht nicht auf dem subjektiven Empfinden der Führungskraft, sondern auf einheitlichen, für alle und auch die Führungskräfte analog geltenden Maßstäben. »Die Feedbacks schaffen so erst die Wirklichkeit, die sie zu bewerten vorgeben« (ebd.), und stellen damit gleichermaßen eine gewisse Konformität, zumindest mit der Logik des Kapitalismus, sicher. Somit wird eine Subjektivität befördert, welche zwar durchaus Autonomieaspekte und inkonformes Verhalten enthalten darf, dieses aber auch nur, solange es produktiv verwertbare Autonomie ist; denn diese Form der Autonomie ist stets an das Urteil anderer gebunden und bewegt sich somit stets innerhalb der vorgegebenen Rationalität. Das Verfahren des 360-Grad-Feedbacks bietet so eine Technologie, widerstreitende Interessen in die Verpflichtung auf gemeinsame unternehmerische Ziele zu überführen: »Wo alle zu Unternehmern promoviert sind, existieren weder Herren noch Knechte, weder Arbeitgeber, noch Arbeitnehmer, Herrschaft verschwindet im Postulat der Selbstbeherrschung, Ausbeutung in der Beschwörung allfälliger Winwin-Situationen und Synergieeffekte.« (Ebd., S. 246f.) Die Ausrichtung an den Marktprinzipien Anhand der eben beschriebenen Praktiken ist deutlich geworden, dass deren Funktion letztlich darin besteht, über eine Entgrenzung von Strukturen die im Neoliberalismus nun als zentral identifizierte Ressource Subjektivität in neuer Qualität und Intensität betrieblich zu nutzen: menschliche Fähigkeiten und Möglichkeiten werden systematisch ökonomisch ausgebeutet. (Vgl. Voß und Weiß 2009, S. 46) Dies geschieht aber nicht mehr über direkte Steuerungsmechanismen, sondern die Subjekte sind vielmehr wie gezeigt gezwungen, selbst aktiv ihre gesamten persönlichen Potenziale zu mobilisieren und in der passenden Weise einzusetzen, es geht »um einen völlig entgrenzten Zugriff auf ihre gesamte ›lebendige‹ Subjektivität« (Voß und Weiß 2013) – auf Innovativität, Kreativität, Sozialkompetenz, Emotionalität usw. Um diese Kompetenzen aber nutzen zu können, ist es unabdingbar, dass sie auch in der vom Markt benötigten Form zur Verfügung stehen. Beispielsweise sind Solidarität, Bildung, selbstmächtiges »empowertes« Handeln oder die gleich exemplarisch behandelten Kompetenzen Kreativität und Emotionalität keineswegs per se geeignete Produktionsfaktoren. Im Gegenteil, sie bergen durchaus auch dysfunktionales oder gar widerständiges Potenzial. Es gilt also sicherzustellen, dass die Subjekte etwa ihre Kreativität in der »richtigen« Weise einsetzen und entwickeln, und dies möglichst optimal. Die »Freiheit« Subjekt zu sein, ist eben, wie schon mehrfach dargelegt, eine ganz bestimmte Freiheit, eine klar umrissene Freiheit, und keineswegs ein breit geöffneter Möglichkeitshorizont; die über die gegebene Form hinausgehenden Momente

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werden, indem sie aus dem Diskurs herausgenommen sind, sabotiert und durch ein Idealbild ersetzt, auf das hin die Individuen zugerichtet werden – es geht, so pointiert Matuschek, Arnold und Voß 2007, S. 325, »um eine gleichsam subjektlose Subjektivierung«. Im Rahmen der Subjektivierung der Arbeit ist diese »subjektlose Subjektivierung« letztlich im Wesentlichen die marktförmige Zurichtung der Subjekte. Dies geschieht bei dem gegenüber Taylorismus und Fordismus veränderten neoliberalen Rationalisierungsmodus insbesondere durch einen Rückgriff auf marktähnliche Mechanismen für die innere Organisation der Unternehmen bzw. die Organisation der Arbeitskräfte untereinander. So nutzen Unternehmen und andere Institutionen zunehmend Mechanismen, mit denen Anforderungen und Zwänge des Marktes in die Betriebe bzw. Institutionen hineinverlegt und damit der Marktdruck bis hin zum einzelnen Arbeitsplatz, also zum Subjekt, unmittelbar wirksam gemacht werden kann (vgl. Voß und Weiß 2005, S. 144): Nicht nur das Management, sondern auch die Beschäftigten auf den operativen Ebenen sollen, etwa durch die Ausrichtung an Profitabilitätsgesichtspunkten, die Organisation in Profit und Cost Center oder durch die Implementierung internen Wettbewerbs zwischen Abteilungen und Standorten, möglichst unmittelbar mit den Anforderungen des Marktes konfrontiert und für die Bewältigung des permanenten Marktdrucks verantwortlich gemacht werden. (Vgl. Marrs 2010, S. 343, Peters 2001 und Peters und Sauer 2005) Indem marktradikal der Fortbestand einzelner Arbeitsplätze wie auch ganzer Abteilungen und Standorte an den Erfolg im firmeninternen wie externen Wettbewerb gekoppelt wird, sind die Beschäftigten genötigt, ihren Beitrag zur Wertschöpfung permanent als profitabel zu rechtfertigen und entsprechend sich selbst so aufzustellen, dass sie möglichst optimal den Marktanforderungen entsprechen. (Vgl. Glißmann 2003, S. 259) Dies gilt noch unmittelbarer für die zahlreichen (schein-)selbständigen Subunternehmer oder Freelancer, die häufig als Ein-Personen-Betrieb sich selbst auf dem Markt anbieten. Bei beiden Gruppen, den unselbständigen Selbständigen wie auch den quasi-selbständigen abhängig Beschäftigten, zielen diese Mechanismen darauf ab, die Interessen der Subjekte mit denen des Unternehmens in Übereinstimmung zu bringen und die Leistungsdynamik von Selbständigen zu aktivieren.41 (Vgl. Moldaschl 1997, S. 233) Doch trotz der damit einhergehenden Rücknahme von Hierarchie erfolgt das Arbeiten natürlich weiterhin in einem herrschaftlichen Kontext, das Unternehmen bzw. das Management gibt den Beschäftigten bzw. Auftragnehmern weiterhin sowohl die Rahmenbedingungen als auch die Ziele vor. Diese Abhängig-

41 | Vgl. zur ökonomisch-politischen Formation des »aktivierenden Sozialstaats« allgemein Lessenich 2008, Lessenich 2012a.

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keit wird jedoch systematisch verdeckt, denn die Leistungsanforderungen entstehen und erhalten ihre Legitimität »nicht mehr in erster Linie aus dem Herrschaftsanspruch des Unternehmens, sondern sollen sich gewissermaßen ›von selbst‹ aus den Marktund Kundenerfordernissen ergeben, mit denen die Beschäftigten in diesen Organisationsformen direkt konfrontiert werden« (Marrs 2010, S. 346). Die Ziele wie auch die Rahmenbedingungen erscheinen nicht mehr als von der Unternehmensleitung diktiert, sondern als anscheinend objektiver Imperativ des Marktes – ungeachtet dessen, dass der Markt bei all dem natürlich stets ein soziales Konstrukt bleibt, das die Unternehmen in bestimmter Absicht jeweils für sich interpretieren. Dieser Sog zur Herbeiführung bestimmter Verhaltensweisen gilt selbst für auf den ersten Blick genuin an die einzelne Person gebundene Eigenschaften wie Gefühle oder Kreativität, die es ebenfalls marktförmig zu gestalten und zu bearbeiten gilt, und die im Folgenden als Beispiele für die marktförmige Zurichtung der Subjekte behandelt werden: Gefühlsarbeit Die Arbeit an den »eigenen Gefühlen«, die sogenannte Gefühlsarbeit, besteht, wie v.a. Arlie Hochschild herausgearbeitet hat,42 im Unterdrücken und im Hervorrufen sozial erwarteter bzw. situationsadäquater Gefühle – die nicht notwendigerweise mit der momentanen eigenen Gefühlslage übereinstimmen müssen und insbesondere auch eine Subjektivierung hin zu v.a. ökonomisch sinnvollen Gefühlen hervorrufen. (Vgl. Dunkel und Weihrich 2010, S. 184) Auf der einen Seite gibt Gefühlsarbeit, und damit die Möglichkeit sich in die Arbeit einzubringen und den Arbeitsprozess »lebendig« zu gestalten, den Arbeitenden die Chance, aus ihrer Dienstleistungsqualität Ansporn und Zufriedenheit zu schöpfen. Andererseits steht diese Subjektivierung aber gleichermaßen für den verstärkten Zugriff auf personale Qualitäten, die zudem, um den Anforderungen zu entsprechen, in einer ganz bestimmten Weise eingebracht werden müssen. Dies gilt umso mehr, wie Matuschek, Arnold und Voß 2007 anhand des Beispiels der Arbeit in Call Centern43 zeigen, als der Zugriff auf personale Qualitäten begleitet ist von kleinteiligen

42 | So etwa in ihrem an den Arbeiten von Erwing Goffman orientierten Konzept der »Emotion Work« (Hochschild 1979) und in ihrer Studie über die Gefühlsarbeit von FlugbegleiterInnen (Hochschild 1983). Diese Arbeiten haben eine Vielzahl weiterer Studien nach sich gezogen – z.B. James 1989, Williams 2003, Rafaeli und Sutton 1987, u.v.a.m. Für die deutschsprachige Debatte bedeutsam sind v.a. die Arbeiten von Wolfgang Dunkel, siehe z.B. Dunkel 1988 und Dunkel 1994 43 | Call Center sind in besonderer Weise für diese Subjektivierte Taylorisierung prädestiniert: Da sie – ob formal oder tatsächlich – vom eigentlichen Unternehmen organisatorisch getrennt sind, bilden Call Center gewissermaßen einen eigenen Handlungsraum, in dem flexibel eigene

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Prozessvorgaben und umfassenden Kontrollformen und daraus entstehenden Handlungszwängen. Diese Kontrollen und Vorgaben beziehen sich dabei, wie für posttayloristische Konzepte typisch, weniger auf akkurate Handlungsanweisungen als auf die Ergebnisse des Handelns, oft gepaart mit einem wachsenden Konkurrenzdruck innerhalb der Belegschaften. Wie man gesetzte Ergebnisse erreicht, ist offen und bleibt prinzipiell jedem selbst überlassen, aber indem das Ergebnis klar vorgegeben ist, legt dieses Ergebnis letztlich doch ein bestimmtes Handeln nahe, nämlich das auf dem Markt Erfolgversprechende. Konkret formuliert wird keiner »gezwungen« beispielsweise dem Kunden etwas aufzuschwatzen, was dieser nicht will; um das geforderte Ergebnis zu erreichen, bleibt am Ende aber oft kaum etwas anderes übrig: Dem Einzelnen ist eine größere Verantwortung für den betrieblichen Erfolg zugewiesen, so dass er, um dieser Verantwortung zu entsprechen, gar nicht anders kann als marktförmig zu handeln. So ist beispielsweise bei Call Centern prinzipiell in hohem Maße die Möglichkeit gegeben, eigene, von den Unternehmenszielen abweichende Ziele zu verfolgen – etwa unangenehme Telefonate zu unterlassen, sich allen Kunden mit großer Empathie lang und umfassend zu widmen etc. Da sich solches abweichendes Verhalten nur sehr bedingt durch Direktiven des Arbeitgebers vermeiden lässt, suchen die Unternehmen das für sie optimale Arbeitsverhalten durch die Orientierung an Kennzahlen herzustellen, wie z.B. durch die Erfassung der Gesprächsdauer, der Dauer der Nachbearbeitung und der Anzahl der Gespräche. Für die Agents zeigt sich in dieser oft bis auf den einzelnen Kundenkontakt rückführbaren Durchdringung mit quantitativen Messpunkten eine immense Leistungs- und Verhaltenskontrolle, die wesentlich effektiver wirkt als jede direkte Anweisung. Es ist offensichtlich, dass eine solche Arbeitsorganisation weniger darauf abzielt, restriktiv standardisierte Dienstleistungen in ihrem Vollzug zu schaffen als vielmehr die Arbeitsleistung messbar und individuell zurechenbar zu gestalten um so aus dem einzelnen das optimale Ergebnis herauszuholen. (Vgl. Matuschek, Arnold und Voß 2007, S. 24) Die Gestaltung der konkreten Dienstleistung, die viel beschworene subjektive Komponente solcher Dienstleistungsarbeit, dient letztlich lediglich dazu, mittels Authentizität und Hinwendung die ansonsten hoch standardisierten Lösungsangebote der Unternehmen scheinbar zu individualisieren: »Das Zugeständnis definierter Frei-

Strategien und Praktiken verfolgt werden können. (Vgl. Matuschek, Arnold und Voß 2007, S. 19)

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räume geschieht in der Erwartung eines flexiblen und der jeweiligen Situation angepassten Engagements der Arbeitenden.« (Ebd., S. 323)44 Kreativität Noch deutlicher werden die Mechanismen der Vermarktlichung der Subjektivität in Bezug auf »Kreativität«.45 Der aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stammende Kreativitätsbegriff ist zunächst in Abgrenzung von der romantischen Verklärung des nur wenigen vorbehaltenen schöpferischen Genies zu verstehen: Steht das Genie immer auch in Verbindung mit Wahnsinn und Ausgesondertheit, so können – und sollen – hingegen grundsätzlich alle kreativ sein; während das Genie sich in der Sphäre jenseits der Norm bewegt und daher immer auch etwas pathologisches beinhaltet, ist Kreativität etwas Normales, das sich damit auch entsprechend einer Gaußschen Normalverteilung verhält. (Vgl. Bröckling 2007, 160f.) In dieser Verbindung zur Normalität zeigt sich der Ursprung des Kreativitätsbegriffs in der Rationalität der Gesellschaft, jedoch ist die im Neoliberalismus damit verbundene Subjektivierung eine ganz andere als eine bloße Normalisierung. Denn das Augenmerk im Zusammenhang mit der Kreativität richtet sich v.a. auf die Möglichkeiten, diese mit bestimmten Techniken zu fördern, und damit gerade auf die Steigerung über das Normale hinaus: Die Normalverteilung reicht hier offenbar letztlich doch nicht aus, vielmehr gilt es, das Gesamtniveau im Sinne einer Effizienzsteigerung in Hinblick auf eine bessere ökonomische Verwertbarkeit anzuheben – dabei aber zugleich das normale Maß nicht in Richtung genialem Wahnsinn zu überschreiten oder in eine andere als die intendierte marktkonforme Richtung (bspw. mit destruktiver Wirkung) zu lenken. (Vgl. ebd., S. 159ff.) Erreicht wird dies – nicht anders als bei der Emotionalität oder der Flexibilität46 – dadurch, dass, da es sich bei Kreativität um eine per se unabschließbare Anforderung handelt, ein Sog des Strebens nach Kreativität eröffnet wird, dem man nie wird gerecht werden können. Kreativität offenbart sich hier deutlich als ein gouvernementales Programm, ein Modus der Fremd- und Selbstführung, wobei sich, wie Bröckling betont, das Problem dadurch verschärft, dass die Frage, ob etwas kreativ ist, letztlich von der Bewertung anderer abhängt. Es reicht daher nicht, dass etwas

44 | Ein weiterer Aspekt, der hier aber nicht näher beleuchtet werden kann, ist, dass Gefühlsarbeit sehr stark genderspezifisch ausgeformt und damit auch bedeutsam für die geschlechtsspezifische Segregation von Dienstleistungsarbeit ist. 45 | Siehe zur Kreativität als Imperativ und allgemeingültigem kulturellen Modell v.a. Reckwitz 2012. 46 | Vgl. zu »Flexibilität« auch Sennett 1998 sowie, mit explizitem Bezug auf die Gouvernementalitätstechnologien, auch Lemke 2004.

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Neues hervorgebracht wird, sondern dieses Neue muss sich zugleich auf dem Markt als etwas nützliches und angemessenes erweisen, also auf entsprechende Resonanz stoßen. (Vgl. Bröckling 2007, 159ff.) Hier haben wir tatsächlich – in einem kybernetischen Schulterschluss – wieder den Nexus zur Normalisierung: Es gilt, das kreative Potenzial im Einzelnen über das »normale« Maß zu steigern, aber nur so, dass es sich nach wie vor innerhalb einer Normalität bewegt und nicht seine bedrohlichen Potentiale entfaltet – es gilt, die produktiven Seiten der Kreativität nutzbar zu machen und zugleich ihre destruktiven einzudämmen: Kreativität muss auf die Lösung bestimmter Probleme – auf den Kunden – ausgerichtet werden, und darf sich nicht in künstlerisch-zweckfreiem, allein der Selbstverwirklichung dienendem Handeln verlieren. (Vgl. ebd.) Die über die ökonomische Verwertbarkeit hinausgehenden Aspekte fehlen hier völlig. Stattdessen wird die Maxime auferlegt, permanent kreativ zu sein, denn da die Konkurrenz kaum schlafen wird, drohen die Gewinne zu sinken, weshalb es permanenter Anstrengungen bedarf, kreativer zu sein als die anderen. Hierfür bedarf es »keiner besonderen Begabung, sondern nur bestimmter Techniken, einer inneren Einstellung« – es ist eine Haltung, eine »Art zu leben«, geprägt dadurch, das zu sein, was man für den Markt sein muss. (Vgl. ebd., S. 170) Es ist somit eine vierfache Verankerung, die die Kreativität als Gegenstand von auf die Ausrichtung am Markt zielenden Selbst- und Fremdtechnologien manifestiert: Kreativität ist (1) ein anthropologisches Vermögen, also etwas, das jeder besitzt; sie ist (2) eine Norm, etwas, das jeder haben soll; (3) ein unabschließbares Telos, etwas, von dem man nie genug haben kann; sowie schließlich (4) eine erlernbare Kompetenz, etwas, das man durch methodische Übung und Anleitung steigern kann. (Vgl. ebd., S. 154) Durch die Verbindung dieser vier Kennzeichen wird Kreativität – aller Emanzipationsversuche, die damit zunächst verbunden waren, zum Trotz – zur Regierungstechnologie und zum wichtigen Beitrag zur Unternehmerisierung des Selbst. 7.4.3 Die Subjektivierung der Sozialpolitik Neben der eben anhand der Mechanismen der sog. Verantwortlichen Autonomie, der Praktiken des Cost Accounting und des HR Managements sowie der Ausrichtung an den Marktprinzipien beschriebenen Subjektivierung der Arbeit umfassen die neoliberalen Subjektivierungstechnologien aber auch die Ebene des Sozialen, von der Schaffung einer marktkonformen und auf die Aktivierung der Bürger zielenden Sozialpolitik, über die Ausweitung des psychologischen Diskurses zur Herstellung von Handlungsfähigkeit bis hin zur Neu-Definition von Gesundheit als erlernbarer subjektiver Kompetenz; all diese Mechanismen sind dazu geeignet, den Einzelnen zu

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konditionieren, die auf den Markt hin ausgerichtete Ausgestaltung und Aufrechterhaltung seines Humankapitals selbstverantwortlich und aktiv selbst in die Hand zu nehmen. Die Schaffung einer marktkonformen Sozialpolitik Die für den Neoliberalismus so konstitutive Übertragung von Marktmechanismen auf die Subjekte findet nicht nur wie eben geschildert im engeren Arbeitskontext statt. Im Gegenteil, es ist Kennzeichen der neoliberalen Gouvernementalität, dass auch sozialpolitisch die Bedingungen des Marktes – der »Rahmen« – gesichert und unterstützt werden. Zwar fordert der Neoliberalismus wie der klassische Liberalismus auch, nicht direkt in den ökonomischen Mechanismus zu intervenieren, er etabliert jedoch, wie in Abschnitt 7.1 gezeigt, eine Art »indirekter Intervention«, indem er quasi prophylaktisch den Marktprozess sicherzustellen sucht. Aus subjektorientierter Perspektive zentral ist in diesem Kontext vor allem die neoliberale Sozialpolitik, die als das Instrument zur Schaffung der subjektbezogenen Rahmenbedingungen für das Funktionieren des Markts angesehen wird, und die damit auch Grundlage für die neoliberalen Subjektivierungstechnologien ist. So verschärfte sich vor dem Hintergrund der in Abschnitt 7.2 beschriebenen Neuausrichtung der Sozialpolitik in Richtung eines Arbeitsplätzewettbewerbs und anknüpfend an die Diagnose einer überbordenden Arbeitslosigkeit, deren Ursachen in einer mangelhaften Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes an veränderte wirtschaftliche und produktionstechnisch/organisatorische Rahmenbedingungen gesehen wurde, in Deutschland zu Beginn der 1980er Jahre die Diskussion um die DeRegulierung des Arbeitsmarktes. (Vgl. hierzu insb. Kress 1998, 494ff.) Aus Sicht der Deregulierungsbefürworter hatten der sektorale Strukturwandel hin zu insbesondere der Dienstleistungsgesellschaft, veränderte Konsumentenwünsche, forcierter Kostendruck und Nachfrageschwankungen im Zuge der Globalisierung der Wirtschaft dazu geführt, dass die bestehenden, aus der Rationalität des Sozialstaats stammenden staatlichen aber auch tariflichen Regulierungen des Arbeitsmarkts nicht mehr den aktuellen Anforderungen genügten, was langfristig in einem unbezahlbar hohen Anteil Arbeitsloser resultiere. Ziel müsse sein, dass sich der Arbeitsmarkt flexibler an sich verändernde Marktbedingungen anpassen kann. Dabei wird Regulierung nicht grundsätzlich abgelehnt, sie dürfe lediglich nicht »marktwidrig« sein, d.h. durch sie darf nicht ein Lohnniveau (oder eine Lohnstruktur) entstehen, das zu einem dauerhaften Überangebot an Arbeit führt, welches nicht durch neue Verhandlungen beseitigt werden kann. (Vgl. Soltwedel u. a. 1990, S. 116). Gegenwärtig nähmen jedoch die bestehenden arbeitsrechtlichen Schutznormen »den Charakter von Besitzstandsgarantien zugunsten der Arbeitsplatzbesitzer« an, wo-

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durch sich »zwangsläufig die Beschäftigungschancen der Arbeitsuchenden verschlechtern«. (Reichling 1993, S. 256). Daher gelte es, bestehende Arbeitsmarkt- und Vertragsgrenzen aufzuheben und zu flexibilisieren und staatliche Interventionen zu reduzieren, so dass die Arbeitsbedingungen besser an individuelle bzw. betriebliche Besonderheiten und an die Erfordernisse des Marktes angepasst werden können: (Henssler 1994) »Konkret soll Deregulierung eine Situation herbeiführen, die Selbstbestimmung der Arbeitsmarktakteure ermöglicht und deren Anpassungsfähigkeit erhöht. Bestimmend wären danach die von den beteiligten Akteuren gewollten und einzelvertraglich vereinbarten Regelungen und nicht – oder nur weniger – staatlich und tarifvertraglich oktroyierte Verhaltensvorschriften.« (Walwei 1996, S. 220)

Die Deregulierungsabsichten beziehen sich aber nicht nur auf den Arbeitsmarkt, sondern sind Teil einer umfassenden wirtschafts- und rechtspolitischen Strategie, die das Versicherungs- und Verkehrswesen, Stromwirtschaft, technisches Prüfungs- und Sachverständigenwesen, das Handwerk usw. gleichermaßen wie den Arbeitnehmerschutz betrifft, und letztlich die Angebotsbedingungen der Unternehmen verbessern soll, um so mehr Beschäftigung zu erreichen. Hierzu gehören die Flexibilisierung (oder Entgrenzung) des Arbeits- und Kündigungsschutzes, der Arbeitszeiten, der Löhne, der Tarifautonomie bis hin zur Monopolstellung der Bundesanstalt für Arbeit, wodurch »marktkonformere«, etwa befristete, Arbeitsverhältnisse mit eingeschränkterem Kündigungsschutz und liberalere Regelungen für Sonn- und Feiertagsarbeit sowie Nachtarbeit ermöglicht werden sollen. Dies betrifft aber auch die Senkung der Lohnnebenkosten und eine stärkere Differenzierung der Lohnstruktur nach Qualifikationen, Regionen und Sektoren47 sowie sozialgesetzlich erweiterte Zumutbarkeitsgrenzen in Bezug auf den Arbeitsweg bzw. die räumliche Mobilität, so dass sich Arbeitskräfte flexibel in Bezug auf ihren Arbeitsweg bzw. ihren Wohnort zeigen müssen, und für den Erhalt des Arbeitsplatzes oder die Aufnahme einer Beschäftigung den Wohnort zu wechseln, zu pendeln oder lange Arbeitswege in Kauf zu

47 | Da bei der Lohnbildung Tarifautonomie herrscht, beschränkten sich die gesetzlichen Initiativen auf die Lohnnebenkosten. So wurden im Rahmen des Beschäftigungsförderungsgesetzes von 1996 die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall eingeschränkt; seitens der Tarifpartner wurden diverse Öffnungsklauseln und Differenzierungsbestimmungen zur Lohnhöhe vereinbart, wie bspw. Härteklauseln bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die ein befristetes Abweichen von Tarifbestimmungen zur Vergütung ermöglichen, oder die Einführung reduzierter Einstiegstarife für Langzeitarbeitslose und Berufsanfänger. (Vgl. Kress 1998, S. 495)

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nehmen haben.48 (So z.B. Soltwedel 1984, Deregulierungskommission 1991, Held 1993, Zöllner 1997; vgl. a. Jürgens 2009, 255f. und Kress 1998, S. 495) Die durch all diese Maßnahmen installierte Unsicherheit um den Arbeitsplatz und die damit verbundene materielle Unsicherheit sind ein wichtiges Element einer neuen »Ökonomie der Unsicherheit« (Beck 1999), welche die Subjekte nötigt, ein insgesamt marktkonformeres Verhalten an den Tag zu legen. Die Unsicherheit wird dabei nicht nur durch den direkten Druck, bei Fehlern oder schlechter Leistung entlassen zu werden, erzeugt, sondern insbesondere auch durch die allgemeine Drohung, aufgrund der angespannten Marktsituation Betriebe zu schließen oder Produktionsstätten in andere – »günstigere« – Länder zu verlagern. So gleicht, wie Marrs formuliert, »der Arbeitsprozess für die Beschäftigten einer permanenten Bewährungsprobe, bei der immer auch ein Teil ihrer zukünftigen Arbeitsplatzsicherheit im Unternehmen zur Disposition steht«. (Marrs 2010, S. 351) Die Institutionalisierung der Unsicherheit beruht aber nicht allein auf schlechter Arbeitsmarktlage – ob tatsächlich vorhanden oder nur diskursiv »herbeigeschworen«. Vielmehr ist ein zentrales Element die fehlende bzw. nur sehr bedingt vorhandene soziale Absicherung bei Arbeitslosigkeit sowie damit verbundene soziale Demütigungen wie sie oft mit der empfundenen Willkür auf Ämtern erfahren wird. Spätestens seit den Hartz-Sozialreformen wird Arbeitslosigkeit durch den beschleunigten

48 | Verstärkt wird dieser Druck in Bezug auf die Mobilität durch einen generell veränderten Blick auf Mobilität: Gerade bei Standortverlagerungen fungieren, wie Jürgens betont, Mobilitätsanforderungen auch als Instrument, die Loyalität und Einsatzbereitschaft eines Mitarbeiters zu prüfen: »Die Bereitschaft der Beschäftigten zur Mobilität gilt gleichsam als Beleg auch für die Bereitschaft, Unternehmensinteressen Priorität gegenüber privaten Belangen einzuräumen«. (Jürgens 2009, S. 255) Zudem gilt Mobilität seitens der Personalleitungen auch als Indiz für Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und geistige Mobilität: »Die fortgeschrittene Moderne inszeniert nachgerade in einem regelrechten Mobilitätshype eine kulturelle Überhöhung von allem, was mit Mobilität zu tun hat. Die Botschaft lautet: Nur »mobile« Menschen sind modern und damit leistungs-und zukunftsfähige Mitglieder der Gesellschaft.« (Voß 2010a, S. 85) Auch Kesselring und Vogl (Kesselring und Vogl 2010) weisen darauf hin, dass Mobilität einer »Normalisierung« unterliegt, Mobilität also zunehmend zur Selbstverständlichkeit wird und sich von einer Chance zum Imperativ »sei mobil!« entwickelt. Im gleichen Maße wie Mobilität zur Selbstverständlichkeit wird, gerät Mobilität auch zunehmend unter Zwang und Verdichtung: Immer dichter werden Termine aneinandergereiht und die Reisen zu und von Terminen mit Telefonaten und Arbeit am Laptop gefüllt, so dass Mobilität an Freiraum und Gestaltungsspielräumen verliert. Vgl. zur Verbindung von Mobilität/Mobilisierung mit der aktuellen arbeitssoziologischen Subjektivierungs-Diskussion auch Voß 2010a.

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Abstieg auf Sozialhilfeniveau zur existenziellen Bedrohung, wobei das so generierte Drohpotenzial der Arbeitslosigkeit noch verstärkt wird durch die diversen Kreditangebote, die Beschäftigten permanent angedient werden und die, so man sich darauf einlässt, natürlich das Gefühl, die Arbeit unbedingt behalten und entsprechend unbedingt und permanent seine maximale Leistung geben zu müssen, um den Verpflichtungen nachzukommen, noch bestärken. Insofern beschränkt sich dieser Prozess der Prekarisierung auch nicht auf die tatsächlich Betroffenen und sich tatsächlich in prekären Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen Befindenden. Vielmehr flößt das scheinbare Wissen um das Vorhandensein einer beträchtlichen Reservearmee »jedem Arbeitnehmer das Gefühl ein, dass er keineswegs unersetzbar ist und seine Arbeit, seine Stelle gewissermaßen ein Privileg darstellt, freilich ein zerbrechliches und bedrohtes Privileg« (Bourdieu 2002, S. 108). Stets droht, aus einem Normalarbeitsverhältnis in ein atypisches Beschäftigungsverhältnis bzw. aus der Kern- in die Randbelegschaft, in Zeitarbeit, oder gar Arbeitslosigkeit gedrängt zu werden: (Zilian und Flecker 1998, S. 105) Die beschriebene Konfrontation mit dem Markt im Unternehmen ist vor diesem Hintergrund somit stets auch die Konfrontation mit dem Arbeitsmarkt und den eigenen Beschäftigungschancen. (Marrs 2010, 349f.) Der Arbeitslose oder prekär Beschäftigte ist in diesem Konstrukt gewissermaßen Antipode zum unternehmerischen Selbst und Drohpotenzial für die eben beschriebenen Subjektivierungstechniken: er ist das unzureichende Subjekt, dessen Humankapital nicht ausreichte, einen »guten« Arbeitsplatz zu erlangen bzw. zu halten. Diese Kategorie als negatives ist zutiefst Bestandteil des neoliberalen Machtdiskurses. Die repressive Politik gegenüber diesen Überflüssigen – denen weniger wie im Liberalismus der Wille zur Arbeit fehlt als das erforderliche Humankapital – ist der Ausweg aus einer Situation, aus der es gar keinen Ausweg gibt oder geben soll, denn was soll man mit Subjekten anfangen, die nicht das Subjekt sind, das auf dem Markt gefragt und das Voraussetzung ist, um integraler und integrierter Bestandteil der Gesellschaft zu sein, andererseits aufgrund ihrer subjektiven Unzulänglichkeit dieses Subjekt aber auch nicht sein und ihren Platz auf dem Markt bzw. in der Gesellschaft nicht finden können. Vergleichbar dem Vagabunden im Mittelalter, der seinen Platz verloren hat, rührt die Problematik offenbar daher, dass die heutige Gesellschaft so gestaltet ist, dass sie nicht allen Platz bietet: Erst wenn es eine Anzahl Überzählige oder Verlierer gibt, entfaltet das Drohpotenzial, mit dem der Neoliberalismus operiert, seine Wirkung.49

49 | Von Karl Marx wurden diese Überzähligen als »disponible industrielle Reservearmee« bezeichnet, »die dem Kapital ganz so absolut gehört, als ob es sie auf seine eignen Kosten groß-

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Das Perfide hierbei ist die Doppeldeutigkeit von »alle«, das nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ zu verstehen ist: »Alle« bedeutet nicht einfach, dass aufgrund der Maschinisierung und Informatisierung der Arbeitsgesellschaft die »Arbeit ausginge«. Vielmehr bietet die neoliberale Gesellschaft nur ganz bestimmten Subjekten Arbeit, nämlich den entsprechend subjektivierten und sich an den Erfordernissen des Marktes erfolgreich ausrichtenden. Angesichts der großen Zahl an Arbeitslosen verliert, wie Chiapello/Boltanski betonen, insbesondere der auf die Subjektivierung zur Produktivkraft verweisende marxistische »Ausbeutungsbegriff«, der nicht zuletzt auch wichtiger Bezugspunkt für die gewerkschaftliche Politik war, an Bedeutung. Denn die Ausbeutung war vor allem eine Ausbeutung in der Arbeit. In den Sozialwissenschaften wird daher zunehmend der Begriff der »Ausgrenzung« herangezogen, der die verschiedenen Formen der Absonderung aus der Sphäre der Arbeitsbeziehungen besser in den Blick bekommt. Als sozial ausgegrenzt erscheinen dabei vor allem jene, die nicht willens oder fähig sind, dem Modell des unternehmerischen Selbst zu entsprechen. Neben den Langzeitarbeitslosen gehören hierzu auch Männer und Frauen mit diversen sozialen oder natürlichen Handicaps (Kinder aus sozial schwachen Familien, Alleinerziehende, Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung, »Schwerintegrierbare« usw.), bei denen die Eingliederungsmaßnahmen nicht greifen bzw. deren Eingliederung zu große Kosten verursachen würde. In dieser Perspektive sind dabei nur die eigenen Unzulänglichkeiten und nicht etwa andere, egoistisch handelnde Gruppen dafür verantwortlich, dass manche ausgeschlossen sind und am wachsenden Wohlstand nicht teilhaben. Hier lässt sich eine Negativität aufzeigen, ohne jemandem (anderen) die Schuld dafür geben zu müssen, schließlich kann, da auch niemand von der Ausgrenzung profitiert, niemandem die Verantwortung für die soziale Ausgrenzung anderer zugewiesen werden, höchstens dem ungenügenden und/oder unwilligen Ausgeschlossenen selbst. (Vgl. Boltanski und Chiapello 1999/2006, 381ff.) Das Zentrale, das sich mit der Existenz dieser Gruppe zeigt, ist dass zum ersten Mal seit der Verknüpfung von Arbeit und Reichtum, die Existenz von NichtArbeitenden wieder erträglich geworden ist und damit ganz offensichtlich sich der Modus der Macht von der Arbeit gelöst hat. Entsprechend ist die Frage des Umgangs mit dieser Personengruppe keine einfache Frage der Sozialmaßnahmen, sondern ein Zeichen für den gewandelten Umgang mit der Arbeit. War unter der Rationalität des Sozialstaats der Gesellschaft die Möglichkeit gegeben, dem Individuum ein Verhalten vorzuschreiben, das die Gesellschaft nicht belastet, so ist das neoliberale Individuum

gezüchtet hätte. Sie schafft für seine wechselnden Verwertungsbedürfnisse das stets bereite exploitable Menschenmaterial« (Marx 1867/1974, S. 661).

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von dieser Beschränkung »befreit«. Stattdessen unterliegt es der Verpflichtung, jegliche Konsequenzen selbst zu tragen, und zwar weitgehend unabhängig davon, ob es sie selbst zu verantworten hat. Seitens der Allgemeinheit ist maximal Unterstützung zur Wiedereingliederung und zur Behandlung der hinderlichen Defizite, »Hilfe zur Selbsthilfe« im Rahmen eines »Förderns und Forderns« (siehe folgenden Abschnitt) zu erwarten. Inwieweit solche Maßnahmen tatsächlich greifen, ist letztlich jedoch weitgehend irrelevant. Denn der eigentliche Mechanismus hinter dieser Logik ist die Gestaltung einer Gesellschaft, die darauf aufbaut, dass es solche »Überzählige« (Castel 2008) gibt, um das Drohpotenzial und den Sog entfalten zu können, mit dem der Neoliberalismus operiert und auf dem seine Wirkung beruht: Erst wenn die Gesellschaft so gestaltet ist, dass einerseits die Forderung besteht, dass »alle« zu arbeiten haben, andererseits aber de facto es immer eine Anzahl Menschen gibt, die keine Arbeit haben, kann die Subjektivierung greifen. Denn tatsächlich bietet die Gesellschaft nur insofern allen Arbeit als diese alle die auf dem Markt geforderte Subjektivität aufweisen, wobei die geforderte Subjektivität natürlich immer weiter wandert und die Forderungen immer ausgefeilter werden, so dass stets eine Anzahl »Überzähliger« zurückbleibt: Die neoliberale Gesellschaft bietet immer nur ganz bestimmten Subjekten Arbeit, nämlich denen, die bereit sind, sich der subjektiven Logik des unternehmerischen Selbst zu unterwerfen und die dazu besser als der »Bodensatz«, das Drohpotential, in der Lage sind. (Vgl. Castel 2011, S. 228) Der Umbau des Sozialstaats zur Aktivierung der Bürger Wie im vorigen Abschnitt schon angedeutet, ist das neben der De-Regulierung und Vermarktlichung des Umgangs mit der Arbeitslosigkeit zentrale Dogma des Neoliberalismus, die Arbeitslosen im Rahmen eines »Forderns und Förderns« zu aktivieren, sich selbst zu helfen, und aus den maximal reaktiven Sozialstaatsbürgern durch sozialpolitische Intervention (pro)aktive Subjekte zu machen. Zentrale Frage sei, so der damalige Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Walter Riester im Februar 2002 (FAZ v. 15.2.2002, S. 18), die Folgende: »Wie bekomme ich die arbeitsfähigen Bedürftigen möglichst schnell und gut wieder in den ersten Arbeitsmarkt. Aus dieser Frage muss alles Weitere abgeleitet werden.« Als Antwort auf diese Frage wurde eine neue »Balance« zwischen Hilfsleistungen des Gemeinwesens einerseits und der Bereitschaft zu eigenverantwortlicher Selbsthilfe andererseits gesehen (Schulze-Böing 2000, S. 54), d.h., öffentliche Hilfe soll nicht in Form der »rentenähnlichen Daueralimentierung« durch erwerbsarbeitsunabhängige Einkommenstransfers gewährleistet werden, sondern vermittelt über die eigenverantwortliche, aktive Bemühung um Teil-

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nahme am Erwerbsleben erfolgen (Baureithel 2002, S. 1; Dahme und Wohlfahrt 2001, S. 11; vgl. a. Lessenich 2003). Politisch realisiert wurde dieses Konzept des »Forderns und Förderns« insbesondere in der Novellierung des Arbeitsförderungsrechts aus dem Jahr 2000 sowie den Novellierungen des Sozialgesetzbuchs 1998 (SGB III) und 2005 (SGB II). Das neue Dritte Buch des Sozialgesetzbuches betont nun nicht mehr den öffentlichen Auftrag, Arbeitslosigkeit und »unterwertige Beschäftigung« zu bekämpfen, sondern die Pflicht der Arbeitnehmer, »jede zumutbare Möglichkeit bei der Suche und Aufnahme einer Beschäftigung zu nutzen« (§ 2 SGB III; Trube und Wohlfahrt 2001, S. 29ff.). Getreu der Prämisse der beiden wissenschaftlichen Berater im Bündnis für Arbeit, Wolfgang Streeck und Rolf Heinze, »(Fast) jeder Arbeitsplatz ist besser als keiner« (Streeck und Heinze 1999, S. 159) wird jede wiederholte Verweigerung der Annahme einer – nach mehrfach verschärften Kriterien – »zumutbaren« Arbeit mit dem automatischen, vollständigen Verlust jeglichen Anspruchs auf Geldleistungen sanktioniert. Derselben Logik folgt auch das zum 1. Januar 2002 in Kraft getretene »JobAQTIV-Gesetz« (»AQTIV« steht hier für Aktivieren, Qualifizieren, Trainieren, Investieren, Vermitteln), das u.a. schriftliche Eingliederungsvereinbarungen mit Arbeitslosen vorsieht, denen im Falle von Pflichtverletzungen oder »unangepasstem Verhalten« Leistungsentzug droht (Trube 2002, S. 21f. Trube 2003, Kölzer 2002; vgl. a. Lessenich 2003, S. 215f.). In der Neufassung des SGB II 2011 wurde dieses zudem explizit mit den Grundsätzen »Fördern und Fordern« verbunden. Ansprüche auf finanzielle Leistungen hängen nun davon ab, dass erwerbsfähige Leistungsberechtigte die offerierten Fördermöglichkeiten annehmen und auch »aktiv an allen Maßnahmen zu ihrer Eingliederung in Arbeit mitwirken«, also etwa sich selbst aktiv bewerben und um eine Stelle bemühen. (Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) 2016) Diese Programme des »Förderns und Forderns«, die über die Arbeitslosigkeit hinaus auf alle möglichen Bereiche übertragbar sind (Behinderte, Verunfallte, »auf die schiefe Bahn Geratene« . . . ), bezeichnen letzten Endes einen höchst widersprüchlicher Prozess individualisierender Vergesellschaftung, im Zuge dessen Werte wie Selbstbestimmung und Eigenverantwortung einseitig in den Dienst gesellschaftlicher Ansprüche an das Individuum genommen werden, deren Nichterfüllung wiederum sozial geächtet wird: Vom einzelnen wird ein bestimmtes gemeinwohlkompatibles – unter den Vorzeichen neoliberaler Steuerung eben rational-vorsorgendes, selbstverantwortliches – Handeln eingefordert. In genau diese Richtung geht das Konzept des »Empowerment«, das die eben skizzierten neuen staatlichen Regularien gewissermaßen flankiert und das im nächsten Abschnitt näher behandelt wird.

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Neue Psychotechniken – Empowerment Anhand der Verbreitung von Programmen des »Förderns und Forderns« zeigt sich, dass die unternehmerische Aufforderung, »Subjekt« zu sein, eng einher geht mit Orientierungen nach Selbstverantwortung, Selbsttätigkeit, Selbstbestimmung etc., die uns beinahe schon zur »Lebensform geworden« sind; wir leben »mit der Wahrheit und dem Glauben, dass jeder die Möglichkeit haben müsse, sich sein Leben zu gestalten, anstatt es als Schicksal auf sich zu nehmen« (Ehrenberg 2000, S. 126, S. 124). Vor diesem Hintergrund erscheint es geradezu als naheliegend, dass sich gegenwärtig eine Renaissance der sog. Psychotechniken abzeichnet. (Vgl. Rau 2005, S. 154) Hierzu gehören die zahlreichen Ratgeber, Seminare und Trainings zu Work Life Balance, Kreativitätstechniken, diversen Bewältigungstaktiken wie etwa dem Umgang mit Stress, zu Zeit- und Selbstmanagement, Entscheidungs- und Resilienz-Trainings, soziale und emotionale Kompetenz- und Persönlichkeitstrainings usw. Diese Programme zielen sowohl auf erfolgreiche bzw. etablierte Arbeitskraftunternehmer, als auch auf jene, denen dieser Schritt (noch) nicht gelungen ist und die durch bestimmte Programme dazu ermächtigt werden sollen, sich zum erfolgreichen Arbeitskraftunternehmer zu subjektivieren.50 Der allgemeine Hintergrund für all diese Programme ist dabei, wie Rau aufzeigt (Rau 2005) die Ausweitung des psychologischen Diskurses über die Grenzen des »Unnormalen« hinaus auf das Feld des »Normalen«, das nun als Arbeitsfeld »entdeckt« wird, und damit der Übergang der diagnostizierenden hin zu einer therapeutisierenden Psychologie. Hierzu gehört auch eine Privatisierung psychologischen Wissens über die engere Psychotherapeutik hinaus in den Alltag sowie eine Psychologisierung auch anderer therapeutischer Bereiche wie Medizin, Pädagogik und insbesondere der Sozialarbeit, deren Ansätze immer mehr auch in eine psychologische Semantik überführt werden. (Vgl. Castel, Castel und Lovell 1982, 39ff. sowie Rau 2005, S. 155). Dieser breite Rückgriff auf psycho-therapeutische Programme im Zusammenhang neoliberaler Selbsttechnologien liegt vermutlich nicht zuletzt daran, dass die Psychotherapie, obwohl ein Experte nötig ist, immer auch von Anfang an auf der

50 | Umgekehrt deutet auch die Zunahme an psychomentalen und -somatischen Krankheiten, insbesondere von Depression und Burn-out-Symptomen darauf hin, dass es die Psyche ist, mittels derer regiert wird – geklagt wird nicht mehr über physische Anstrengung und Zwang auf der Arbeit als über psychischen Druck und Stress. (Vgl. Glißmann und Peters 2001 und Pickshaus 2000)

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Selbsttätigkeit der Klienten aufbaut und darauf setzt, dass diese die eigenen inneren und äußeren Bedingungen erkennen und verändern können.51 So geht es bei all den diesbezüglichen Trainings, Programmen und Ratgebern, bei medizinischen wie sozialpädagogischen Maßnahmen stets darum, »dem Selbst auf die Spur zu kommen, um es zu verwirklichen, zu entfalten, zu sich selbst zu verhelfen« (Rau 2005, S. 156). Die Psychotechniken sind in diesem Sinne Strategien und Praktiken, die auf eine bestimmte Bearbeitung der Selbstbezüge zielen. Damit aber sind sie immer auch mit Herrschaftstechniken verknüpft: Sie bauen darauf, dass der Mensch gelernt hat, sich selbst zu bearbeiten und zu führen. Ihre besondere Wirksamkeit entfalten sie dabei dadurch, dass ihre Klienten nicht einfach mit einer auferlegten Praxis und Seinsform konfrontiert sind, sondern diese sich eben gleichzeitig »ermächtigt« und »selbstverwirklichter« fühlen – die emanzipatorische Idee der Selbstbestimmung wird verknüpft mit der Aufforderung und dem Anreiz die eigene Handlungsfähigkeit herzustellen: »Die Norm verletzen heißt von nun an weniger ungehorsam sein, als vielmehr handlungsunfähig.« (Ehrenberg 2000, S. 10) Ein geradezu prototypisches Beispiel für diese Psychotechniken ist das sogenannte Empowerment. Wie viele andere Subjektivierungstechnologien auch, stellt das Empowerment eine Technik dar, die ursprünglich aus einem Emanzipationsstreben52 hervorging und gegen eine bestimmte Form der Ökonomisierung gerichtet war. Mit Empowerment werden gemeinhin Strategien bezeichnet, die beim als ohnmächtig angesehenen Selbst ansetzen und zum Ziel haben, dieses so weit zu bemächtigen, dass es in der Lage ist, sein Leben in die Hand zu nehmen und selbständig zu führen. Naheliegenderweise bleibt dieses Konzept aber nicht auf das Private beschränkt, sondern findet nicht zuletzt auch im Bereich des betrieblichen Managements Anwendung, wo wie gezeigt ganz ähnlich auf Selbstverpflichtung statt auf formale Autorität, auf Eigenverantwortung statt auf hierarchische Kontrolle aufbauende Führungsmodelle im Vordergrund stehen. (Vgl. Bröckling 2007, 181ff.) Zentral für das Konzept des Empowerment ist bezeichnenderweise, dass asymmetrische Machtverhältnisse nicht als ein für allemal gegeben, sondern als Gegenstand fortwährender Auseinandersetzungen angesehen werden. Etwaige (wirtschaftliche, rassistische, strukturelle usw.) Ursachen dieser Asymmetrien werden dabei wie die Machtverhältnisse selbst völlig ausgeblendet; stattdessen steht im Vordergrund das

51 | Worin letztlich auch eine Widerstandsmöglichkeit der Subjekte gegen ihre Subjektivierung liegt: Die durch Herrschaftstechniken hervorgebrachten Selbstführungstechniken bergen notwendig in sich die Freiheit, dazu genutzt zu werden, Widerstand zu leisten, um nicht so regiert zu werden. Siehe hierzu Abschnitt 8.2 52 | So etwa in der Graswurzelbewegung, siehe z.B. Kahn 1982 oder Kraft und Speck 2000.

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Subjekt und das dieses lähmende Gefühl der Ohnmacht, das dazu führt, dass bei den Machtlosen verbliebene Autonomie und Partizipationspotentiale ungenutzt bleiben und das es daher mittels entsprechender Programme zu überwinden gilt. (Vgl. ebd., S. 192f.) Dass hierbei die tatsächlichen Machtmomente außen vor bleiben, ist nur eine Konsequenz; wichtiger ist, dass auch hier »Telos, Theorie und Technologie der Führung zur Selbstführung miteinander verschmelzen« und »[d]as planmäßige Einwirken auf andere (»to empower people«) wie auf sich selbst (»Self-empowerment«) sowie die beidem zugrundeliegende Ratio [. . . ] einen Modus des Regierens [konstituieren], der sich dadurch definiert, dass all seine Interventionen die Fähigkeit zur Selbstregierung steigern sollen« (ebd., S. 184). Gesundheitskompetenz In eine ganz ähnlich Richtung zielt die ebenfalls an der Selbstverantwortung ansetzende Etablierung einer »neu[en] Kultur von Gesundheit« (Brunnett 2009). Folgt man Ilona Kickbusch, einer wichtigen Meinungsführerin innerhalb der gegenwärtigen Gesundheitsdiskussion, so leben wir heute im Zeitalter der »dritten Gesundheitsrevolution« (Kickbusch 2006, S. 104): »Gesundheit ist grenzenlos, Gesundheit ist überall, Gesundheit ist machbar, und jede Entscheidung ist zugleich immer auch eine Gesundheitsentscheidung.« (Ebd., S. 10). Entsprechend umfangreich ist die Zahl der Gesundheitsratgeber, TV-Sprechstunden, Informationssendungen oder anderer gesundheitsbezogener Fernsehformate; neben den Arzt ist eine Vielzahl von »Gesundheitsingenieure[n]« (Lemke 1997, S. 136) getreten – von Feng-Shui-Beratern und ThaiChi-Lehrern über Ernährungs-Coaches oder Fitness-Trainer bis hin zu Psychologen, (Sozial-) Pädagogen und Sozialarbeitern –, die allesamt als Priester und Pastoren im gouvernementalen Sinn fungieren: »Sie [alle] geben nicht nur Antworten auf die Frage ›Was soll ich tun?‹, sondern vermitteln detaillierte Anweisungen, wie ich das, was ich tun soll, auch tun kann.« (Bröckling 2007, S. 10) Zentral für diesen Bedeutungszuwachs von Gesundheit als »neuer Alltagsreligion« (Redaktion 2004, S. 8) ist eine Ausweitung von Gesundheit über den Gegenpol Krankheit hinaus. In der Verabschiedung der Ottawa Charter for Health Promotion der World Health Organization im Jahre 1986 (WHO 1986), in der die präventive Förderung von Gesundheit zum neuen Leitbild der Gesundheitspolitik bestimmt wird, manifestiert sich dieser »Paradigmenwechsel von der individuumszentrierten Krankheitsheilung zur ressourcenorientierten Gesundheitsförderung« (Schmidt und Kolip 2007, S. 9) im globalen Maßstab. (Vgl. Lang 2013, 48f.) An die Stelle einer bloß reaktiven Behandlung konkreter körperlicher oder psychischer Leiden tritt vor diesem Hintergrund eine präventive Medizin, die auf die aktive Vermeidung von Krankheiten ausgerichtet ist und entsprechend verstärkt um die Selbstverantwortlich-

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keit der Subjekte wie auch um die Diagnose von Dispositionen und Risiken zentriert ist. Eine solche Perspektive erlaubt es, den Krankheitsbegriff massiv auszuweiten und auch gesunde Menschen als Risikopersonen und potentiell Kranke zu beschreiben – Krankheit stellt nicht mehr nur einen Ausnahmezustand dar, sondern wird geradezu zum Regelfall, in jedem Fall aber zu etwas, das bereits vor und außerhalb der »eigentlichen« Krankheit eintritt und entsprechend permanent des aktiven Handelns der Subjekte bedarf. Diese Ausrichtung der Gesundheitspolitik an einer allumfassenden und omnipräsenten Prävention, die etwa auch von der rot-grünen Bundesregierung in ihrer Gesundheitsreform von 2000 als eine der vier Grundsäulen von Gesundheitspolitik ausgewiesen wurde, ist insofern machttechnologisch aufs engste verbunden mit der Selbstverantwortung der Subjekte, die sich gezielt mit ihren physischen und psychischen Dispositionen, Ressourcen und Potenzialen auseinandersetzen sollen. (Vgl. Jürgens 2009, 231ff.) So gesehen erscheint Gesundheit, wie auch Thomas Lemke mit Bezug auf die Medizinsoziologin Monica Greco zeigt, als Gegenstand einer rationalen Wahl und zugleich eines persönlichen Willens, und damit weniger als Folge einer individuellen Fähigkeit denn als Funktion moralischer Qualitäten: »So wie die Vorsorge in Bezug auf körperliche Risiken auf ein selbstbestimmtes Leben verweist (etwa negativ: Aufgabe des Rauchens oder positiv: Beachten von Diätplänen), so zeugt umgekehrt die Untätigkeit in dieser Hinsicht von einer Form der Irrationalität, von einem mangelnden Willen, einer Unfähigkeit oder – warum nicht? – von Fremdbestimmung und Abhängigkeit. Die erfolgreiche »Selbstregierung« ist daher eine Voraussetzung für die Gesundheit, ihr Fehlen ist umgekehrt eine »Krankheit«, die den tatsächlichen psychischen und physischen Beschwerden vorausgeht. In diesem Sinn gibt es keine Trennungslinie mehr zwischen Prävention und Heilung: Die Prävention ist bereits eine Form der Therapie, und die Heilung beginnt schon bei der Vorsorge. [. . . ] Wenn in dieser Konzeption Gesundheit als Gegenstand einer rationalen und freien Wahl erscheint, so folgt daraus, dass Gesundheit nicht mehr nur etwas ist, dass wir haben oder nicht haben. Sie ist zum sichtbaren Zeichen eines »richtigen Lebens« geworden wie umgekehrt das Ereignis der Krankheit zum Augenblick der Wahrheit über die fehlenden moralischen Qualitäten eines individuellen Körpers wird.« (Lemke, Krasmann und Bröckling 2000, S. 405)

In diesem Sinne wird mit den auch für den Präventionsdiskurs zentralen Stichwörtern wie »Aktivieren«, »Fordern und Fördern« oder auch »Empowerment« das Subjekt nicht als Unterworfener bzw. Ausgelieferter, sondern als »freies«, und damit aktives und mitgestaltendes Subjekt angesprochen. Wie bei vielen anderen Bereichen auch geht es hier aber natürlich um eine ganz bestimmte Form von »Freiheit«, die es angemessen zu gebrauchen gilt – im Kontext Gesundheit ist dies eine »gesundheits- bzw.

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leistungsgerechte Lebensweise«, die anstelle eines »genuss- und lustorientierten und ggf. gesundheitsriskanten Lebensstils« treten soll: »Die Menschen sollen nicht zu autonomer Lebensführungsfreiheit befähigt werden, sondern gefordert und gefördert wird die folgsame Umsetzung gesundheitlicher Normvorstellungen und Handlungsregularien« (Schmidt 2010, S. 24) Vor diesem Hintergrund erscheint jede Krankheit als Folge inadäquater Vorbeugung bzw. Vorsorge und eines ungenügenden Risikomanagements (ggf. auch der Eltern53 ). Insofern als Krankheit hier in den Kontext von Risiko gestellt ist, bleiben Vorsorge und Risikomanagement stets eine unabschließbare Aufgabe – »Vorbeugen kann man nie genug und nie früh genug.« (Bröckling 2008, S. 42) Ziel dieser Verknüpfung von Prävention und Aktivierung ist die »gesunde Persönlichkeit«, die über Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen verfügt, kommunikationsund kontaktfähig ist, und in soziale Beziehungen eingebunden ist, was wiederum, so die Annahme, eine höhere emotionale Stabilität und ein gesundheitsförderliches Gefühl subjektiver Handlungsfähigkeit bedingt. Die Gesundheitsforschung fokussiert sich entsprechend in den letzten Jahren verstärkt auf subjektive Kompetenzen. Eine bei den Subjekten verankerte »Gesundheitskompetenz« gilt als wichtiger Baustein einer präventiven Gesundheitsförderung. Folglich zielen zahlreiche Initiativen auf eine entsprechende (vor allem in Betrieben und Schulen) »gesundheitliche Bildung«, also Kenntnisse über gesunde Ernährung, »richtige« Bewegung und gesundheitliche Vorsorgemöglichkeiten, bei breiten Schichten der Bevölkerung ab. Über derartige Lernprozesse und Kompetenzen sollen Subjekte, so die Annahme, zu einem gesundheitszuträglichen Handeln motiviert werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Kompetenz-Begriff, der impliziert, dass »Gesundheit« weniger von individuellen Dispositionen, Arbeits- und Lebensbedingungen oder Umwelteinflüssen, sondern v. a. von individuellem Verhalten abhängig ist, das – sofern es nur »richtig« ist – auch Gesundheit erhalten bzw. herstellen könne. »Krankheit« erhält insofern den Beigeschmack eines (auch) selbstverschuldeten Zustandes in Folge von mangelnder Kompetenz. (Vgl. a. Jürgens 2009, S. 235) Ein wichtiges aktuelles Konzept im Kontext »Gesundheitskompetenz« ist die sog. »Work Life Balance«, ein Begriff, der aus US-amerikanischen Personalentwicklungskonzepten zum »Human Resource Management« Eingang in die wissenschaftliche Debatte auch Deutschlands gefunden hat. Wie in den USA wurde »Work Life Balance« hierzulande zunächst auf der betrieblichen Ebene in den Personalabteilungen

53 | Etwa vor dem Hintergrund der Aufforderung, in pränatalen Untersuchungen genetische Dispositionen auch des ungeborenen Kindes zu erkunden, um so ggf. präventiv Maßnahmen ergreifen zu können.

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thematisiert. Dort gilt der Gedanke, die Anforderungen aus unterschiedlichen Lebensbereichen mit eigenen Bedürfnissen in ein harmonisches Gleichgewicht zu bringen, als grundlegend für den langfristigen Erhalt der Leistungsfähigkeit, Motivation und Kreativität von (v.a. hochqualifizierten) Mitarbeitern. Die Beschäftigten sollen lernen, auftretende Erfordernisse selbst so zu steuern und zu regulieren, dass sie ihr Leistungsniveau auf hohem Niveau halten bzw. weiter ausbauen; sie sollen die mit den Restrukturierungen verbundenen Belastungen bewältigen, ohne sich dauerhaft physisch oder psychisch zu überfordern oder Erwartungen zu vernachlässigen: Die Subjekte sollen selbst aktiv die Balance herbeiführen. »Work Life Balance« firmiert hier also als eine erlernbare Gesundheitskompetenz der Person, sich den steigenden Anforderungen in den Lebensbereichen zu stellen und die Aufgaben nachhaltig auszutarieren. (Vgl. ebd., S. 167f.) Ein breites Angebot an Ratgebern, Seminaren und Volkshochschulkursen zu Work-Life-Balance und verwandten Themen wie Zeit- und Stressmanagement, Mentaltraining, Selfcare-Trainings oder Burnout-Prävention, die sich, auch über die Krankenkassen, buchen lassen,54 . sollen vor diesem Hintergrund helfen, den Einzelnen kompetenter zu machen hinsichtlich der Identifikation von Bedürfnissen, der Prioritätensetzung oder auch der Durchsetzung von Interessen. Gesundheitspolitische Aufklärungsinitiativen – etwa zu Belastungen am Arbeitsplatz und dem richtigen Umgang damit, oder auch über eine gesunde Lebensweise – ergänzen diese Programme und zielen darauf ab, dass Krankheiten vermehrt präventiv begegnet wird. (Vgl. ebd., S. 217) Zudem werden betrieblich wie auch gesellschaftlich Gesundheitsbewusstsein und sogar Gesundheit selbst als Kennzeichen eines »modernen«, ökonomisch erfolgreichen Lebensstils inszeniert. Vor diesem Hintergrund wirkt eine Verweigerungshaltung in Bezug auf Prävention nicht nur wie eine »Entscheidung gegen den Zeitgeist«, sondern wird als »individuelles Unvermögen gedeutet, mit den Anforderungen Schritt zu halten« (ebd., S. 221) – es wird deutlich, dass eine entsprechende Anpassung der Subjekte »nicht nur [. . . ] das Ergebnis einer individuellen Bewältigung strukturell widersprüchlicher Anforderungen [ist], sondern sie ist stets gleichzeitig auch Ausdruck eines Zwangs der Verhältnisse« (ebd., S. 222). Dieser Zwang nimmt Einfluss auf die dem Handeln zu Grunde liegenden Orientierungen der Subjekte und begrenzt entsprechend den Rahmen individueller Handlungsoptionen. Vor dem Hintergrund dieser Neuorientierung konnte nicht zuletzt die Deregulierung und Privatisierung des

54 | So zum Beispiel https://firmenangebote.barmer-gek.de/barmer/web/Portale/Firmenangebote /Gesundheitsangebote-fuer-Beschaeftigte/Seminare-Workshop/Seminarkalender/Work-LifeBalance/Work-Life- Balance.html

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Sozialstaats im Bereich Gesundheit massiv vorangetrieben werden, und damit jene Regierungsstrategien, die darauf abzielen, die Behandlungskosten bei den Krankheitsverursachern aufzuhängen, und im Zuge dessen Gesundheit von einem sozialstaatlich verankerten und rückversicherten Gut in das ökonomische Feld überführt wurde – und sich heute nicht mehr »[. . . ] von anderen Gütern [unterscheiden lässt]: Sie wird durch den Einsatz von ökonomischen Ressourcen beeinflusst.« (Lang 2013, S. 51) 7.4.4 Der Arbeitskraftunternehmer – das Subjekt der neoliberalen Subjektivierung Von G. Günter Voß und Hans J. Pongratz wurde dieses solchermaßen durch die Subjektivierung der Arbeit wie der Sozialpolitik neu kreierte Subjekt pointiert unter dem Begriff »Arbeitskraftunternehmer« gefasst.55 Dieser ist als strukturell neuer Typus der Ware Arbeitskraft gekennzeichnet, die sich in ihrem Arbeits- und Berufsverhalten sowie insgesamt in ihrem Selbstverständnis gegenüber dem »proletarisierten Lohnarbeiter der Frühindustrialisierung« und dem »verberuflichten Massenarbeiter des For-

55 | Die Konzeption von Beschäftigten als »Arbeitskraftunternehmer« oder »Unternehmer ihrer selbst« findet sich neben Voß/Pongratz und Bröckling auch in der Ratgeberliteratur, wo dies als Erfolg im Beruf garantierende Lebenseinstellung angepriesen wird (Wabner 1997; s. a. Huber 1996). Ein gutes Beispiel für die Verkörperung der Tugenden des Arbeitskraftunternehmers ist Merit Schambach, mit der als Betreiberin des als Ich-AG auf die Beine gestellten SenfSalons, ein Online-Versand für exotische Senfsorten, Anfang der 2000er auf Plakaten, in Anzeigen, online usw. Werbung für die unter dem Stichwort »Ich-AG« zusammengefasste Existenzgründerförderung für Arbeitslose gemacht wurde. So liest sich Merit Schambachs online gestelltes »Gründertagebuch« »wie ein Tugendkatalog für das heute geforderte Subjekt« (Bröckling 2009, S. 218). Aufgezeigt wurde in diesem Gründertagebuch u.a., wie aus äußerem Druck, eigener Anstrengung und der Fähigkeit, Chancen zu erkennen und zu ergreifen, eine Geschäftsidee entstehen kann, die dann mit sehr viel harter Arbeit, Durchhaltevermögen und allen Widrigkeiten wie unzuverlässigen Lieferanten und bürokratischen Hindernissen zum Trotz erfolgreich umgesetzt wird. Dazu kommen noch unerlässliche Soft Skills wie ein gutes Zeitmanagement, d.h. die Fähigkeit widersprüchliche Anforderungen, wie das Management von Ich-AG und Familie, zu koordinieren, Haushalten mit dem (wenigen) Geld, Zuverlässigkeit gegenüber den paar Kunden, die man hat. Zentral ist eine gewisse Härte gegen sich selbst – getragen von dem »unabstellbare[n] Gefühl des Ungenügens, die dauernde Sorge, nicht genug oder nicht das richtige getan zu haben, [die] zur Firmengründung wie das eigene Briefpapier und der Webauftritt [gehören]« (ebd.).

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dismus« grundlegend neu definiert (Voß und Pongratz 1998, S. 150). »Neue Strategien der betrieblichen Vernutzung von Arbeitsfähigkeiten« haben, so Pongatz/Voß, zu einem »grundlegenden Wandel der gesellschaftlichen Verfassung von Arbeitskraft« geführt; als Folge einer »systematischen erweiterten Selbst-Kontrolle der Arbeitenden« und stärker marktförmig ausgestalteter Arbeitsbeziehungen wandelte sich der »verberuflichte Arbeitnehmer« zum »Arbeitskraftunternehmer«, was nicht einfach ein »Mitunternehmer« bedeutet, wie es etwa in der Managementliteratur behandelt wird (vgl. etwa Kuhn 1997), sondern zentral ist das nun unternehmerische Verhältnis der Arbeitskräfte zu ihrer eigenen Arbeitskraft: Die Beschäftigten seien gezwungen, eigenständig einen möglichst effizienten Einsatz und einen aus betrieblicher Sicht möglichst großen Nutzen ihrer eigenen Arbeitskraft zu realisieren.56 (Vgl. Schumann 1999, S. 59) Kennzeichen dieses Arbeitskraftunternehmers sind nach Voß/Pongratz die folgenden drei in den vorigen Abschnitten bereits akzentuierten Merkmale: »eine systematisch erweiterte Selbst-Kontrolle der Arbeitenden, [ein] Zwang zur forcierten Ökonomisierung ihrer Arbeitsfähigkeiten sowie eine entsprechende Verbetrieblichung der alltäglichen Lebensführung« (Voß und Pongratz 1998, S. 132; vgl. a.Voß und Weiß 2013, Voß und Pongratz 1998, Voß 1998a sowie Abschnitt 7.5): •

Selbst-Kontrolle: Aufgrund der Rücknahme direkter Steuerung von Arbeit sind die Arbeitenden wie gezeigt gezwungen, mehr als bislang die Ausgestaltung ihrer konkreten Arbeitstätigkeit selbst zu übernehmen. »Arbeiten« ist damit nicht mehr nur die »reaktive Erfüllung fremdgesetzter Anforderungen«, sondern beinhaltet nun gleichermaßen die »aktive Selbststeuerung im Sinne allgemeiner Unternehmenserfordernisse bei oft nur noch rudimentären Strukturvorgaben«. Das (bislang mittels Kontrollmechanismen angegangene) »Transformationsproblem« der Betriebe – die Überführung des bloßen Potentials zu arbeiten in tatsächliche Arbeitsleistung – wird damit an die Arbeitenden selbst zurückgespielt. Diese Externalisierung dieser Transformationsfunktion auf die Arbeitenden führt nicht nur zu einem verminderten Kontrollaufwand für die Betriebe, sondern hilft diesen auch, neue Leistungspotentiale zu erschließen, befördert sie doch die für die Produktivität immer wichtiger werdende Innovativität und Flexibilität der Arbeitenden. Dabei ist, wie

56 | Kritiker der These vom Arbeitskraftunternehmer monieren einen (zu) verallgemeinernden Charakter des Ansatzes, zugrunde liegende Linearitätsannahmen sowie die Konzeption von Arbeitskraft als Ware. Zur Debatte vgl. u.a. Bosch 2000 und Deutschmann 2001; inzwischen liegt eine Replik und empirische Prüfung durch die Autoren vor (Pongratz und Voß 2003, Pongratz und Voß 2004). Vgl. a. Jürgens 2009, S. 62.

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Voß/Pongratz bemerken, diese Art der »Veredelung von Arbeitskraft [. . . ] etwas völlig anderes als die Aufwertung von Arbeitskraft durch fachliche Qualifizierung« (Voß und Pongratz 1998, S. 141). Denn eine fachliche (Weiter-)Qualifizierung bezieht sich auf die bloß latente Aufwertung des Arbeitsvermögens, wohingegen die Implementierung von Selbstorganisation und Selbstkontrolle der Arbeitskraftverausgabung den Zugriff auf eine in wesentlich gesteigerter Qualität manifeste »lebendige« Leistung eröffnet. Selbst-Ökonomisierung: Wichtige Folge des Übergangs auf Selbst-Kontrolle ist, dass sich, so Voß und Weiß 2013, »auch das Verhältnis der Beschäftigten gegenüber den eigenen Fähigkeiten als ökonomische ›Ware‹« verändert. Statt eines eher reaktiv und nur teilweise gezielt ökonomisch agierenden Arbeitskraftbesitzers ist nun ein strategisch handelnder Akteur gefragt, der seine Fähigkeiten gezielt auf eine wirtschaftliche Nutzung hin und kostenbewusst entwickelt und flankiert von konsequenter »Selbstvermarktung« verwertet – also auch eine Nachfrage für die eigenen Leistungen findet. Die Entwicklung und der Verkauf von Fähigkeiten war natürlich auch beim verberuflichten Arbeitnehmer erforderlich, nun aber muss dies in neuer Qualität permanent systematisch und in Eigenregie weiterentwickelt werden: »Aus nur begrenzt ökonomisch ausgerichteten und insoweit eher passiven Arbeitnehmern werden – in unterschiedlichen Formen – gezielt wirtschaftende ›Unternehmer der eigenen Arbeitskraft‹.« (Voß 1998b, S. 478) Selbst-Rationalisierung: Infolge des beschriebenen Übergangs von Fremd- auf Selbstkontrolle, Selbst-Vermarktung und Selbst-Ökonomisierung verändert sich der gesamte Lebenszusammenhang von Arbeitenden in Richtung einer »aktiv zweckgerichtete[n], letztlich alle Lebensbereiche umfassende[n] sowie alle individuellen Ressourcen gezielt nutzende[n] systematische[n] Organisation des gesamten Lebenszusammenhangs« (Voß und Pongratz 1998, S. 143). Die für die Rationalität der Gesellschaft so prägende Unterteilung von Arbeitszeit und Freizeit wird ersetzt durch die sämtliche individuellen Ressourcen abschöpfende rationalisierte Gestaltung des in neuer Qualität auf den Erwerb ausgerichteten Lebens: Das gesamte Leben wird einer effizienzorientierten Alltags-Organisation unterlegt und gerät selbst unter die Rationalität von Arbeit (vgl. Abschnitt 7.5).

Dieser »Arbeitskraftunternehmer« besitzt strukturelle Ähnlichkeiten mit dem Inhaber eines privat-wirtschaftlichen Unternehmens, insofern als beide Kapital produktiv einsetzen und verwerten. Trotzdem heißt das nicht, dass durch die Umstellung auf Selbstkontrolle und Selbstorganisation des Arbeitskraftunternehmers Herrschaft und Ausbeutung verschwinden. Denn natürlich sind Unternehmen nach wie vor keine herrschaftsfreien Räume, sondern explizit herrschaftlich organisierte Bereiche, in

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denen Menschen zu bestimmten Handlungen und einem bestimmten Verhalten veranlasst werden und wo die entscheidenden Rahmungen, Ziele und Prozesse vorgegeben sind. Der Unterschied zum fordistischen oder auch frühindustrialistischen Unternehmen liegt daher v.a., wie Voß/Pongratz betonen, »in der Substitution direkter durch indirekte Kontrolle des Handelns, die durch die systematische Nutzung und Zurichtung der menschlichen Fähigkeiten, sich eigenverantwortlich zu steuern, erzeugt wird« (ebd., S. 151): Die Menschen werden dazu gebracht, sich auf eine ganz bestimmte Weise zu verhalten, sich selbst in einer ganz bestimmten Weise zu beherrschen, um so zu handeln, dass sie die durch den Betrieb gesetzten Ziele möglichst optimal erreichen, und dies auch noch effizienter und kostengünstiger als es jede direkte Kontrolle vermocht hätte – Fremdherrschaft geht in Selbstherrschaft über. Die Individuen »installieren in sich (oder für sich) einen Herrschaftszusammenhang, der in einen fremden Herrschaftszusammenhang eingebunden bleibt« (ebd).57 Dabei geht es für die Unternehmen auch nach wie vor um die Ausbeutung der Potentiale der Beschäftigten. Da diese Ausbeutung nun durch die Individuen selbst vorgenommen wird, erfolgt sie wesentlich systematischer, umfassender und zugleich auch kostengünstiger als dies durch Fremdherrschaft zu realisieren wäre: Wo konventionelle betriebliche Kontrolle an ihre Grenzen stößt, weil widerständiges Verhalten auftritt, greift das sich selbst ausbeutende Subjekt auf verdeckte und externer Direktive nicht zugängliche, weil genuin subjektive Ressourcen zurück – auf Kreativität, Phantasie, Wille zur Leistung, Solidarität usw. Erst wenn das Subjekt sich selbst unter die Fittiche nimmt und sich ein Ziel (auch wenn es betrieblich gesetzt ist) wirklich zu eigen macht, gelingt der Zugriff auch auf diese Potentiale und damit der komplette Zugriff auf die Arbeitskraft. Damit ergibt sich, so Voß/Pongratz, auch eine bedeutsame Veränderung in Bezug auf den klassischen Interessenkonflikt von »Kapital und Arbeit«. Dadurch dass der Arbeitskraftunternehmer derart weitreichend betriebliche Kontroll- und Führungsfunktionen übernimmt, ist zum einen seine Interessenlage als Arbeitskraft nicht mehr klar erkennbar, und zum anderen hat sich auch die gemeinsame Interessenlage der Arbeitenden zunehmend aufgelöst – der Interessenkonflikt hat sich, wie Voß/Pongratz festhalten, gewissermaßen in das Subjekt selbst hinein verlagert: Es ist gleichzeitig abhängige und im Sinne des Unternehmens handelnde und denkende Arbeitskraft, so dass die »Fremd-Ausbeutung« in jeglicher Hinsicht zur »Selbst-Ausbeutung« wird.

57 | Ähnliches gilt übrigens auch für kleinere Unternehmen, die an Kredite gebunden sind, und damit dem Einfluss von Banken unterliegen, die gleichermaßen Druck ausüben, in einer bestimmten Weise zu agieren. Vgl. hierzu z.B. die Beiträge in Kienbaum und Gerhard und Lore Kienbaum Stiftung 2003 sowie Meister 2004.

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(Vgl. Voß und Pongratz 1998, S. 152) Dies bleibt natürlich nicht ohne Folgen für die kollektiven Interessenvertretungen, was in Kapitel 8 näher erörtert wird. In Bezug auf die Gesellschaft kann man mit Voß/Pongratz den Arbeitskraftunternehmer auch als Repräsentant einer neuen Verfasstheit von Gesellschaftlichkeit sehen: Basierte die Rationalität der Gesellschaft auf einer v.a. normativ verfassten Gesellschaftlichkeit, so steht der Arbeitskraftunternehmer für eine i.W. auf »Selbstvergesellschaftung« (ebd., S. 153) aufbauende subjektivierte Form der Sozialregulierung und -integration: die aufgezeigten Formen der Selbstdisziplinierung und Selbstrationalisierung führen letztlich zu einer sozialen Selbstintegration der disziplinierten und rationalisierten Subjekte, was zugleich aber natürlich auch den Druck impliziert, sich aktiv selbst zu vergesellschaften, und nicht bloß passiv auf Integrationsangebote zu reagieren: »Der Mensch ist nicht mehr der eingeschlossene, sondern der verschuldete Mensch« (Deleuze 1990/2010, S. 13) – verschuldet gegenüber der Gesellschaft, die ihm zu seinem Humankapital verholfen hat.58 Die Konsequenzen dieser Subjektivierung zum Arbeitskraftunternehmer sind zweischneidig. Einerseits erhält er eine größere und flexiblere Handlungsvielfalt, also die Möglichkeit und das Potential, seine Arbeit und sein Leben selbstbestimmt zu gestalten. Zugleich aber unterliegt er auch dem Zwang, dies auf eine bestimmte, nämlich möglichst rationale Weise tun zu müssen. Insgesamt bleibt offen, inwieweit dies alles in allem eine erweiterte Autonomie darstellt, insbesondere da die Freisetzung von erhöhtem Termindruck, Ressourcenbegrenzungen, Ergebniskontrollen, sozialem Druck usw. auf die Beschäftigten begleitet ist. Auch in der weiteren Perspektive der Gestaltung des Lebens selbst findet sich diese Ambivalenz, die als etwas Positives oder als etwas Negatives erfahren werden kann – auch abhängig davon, inwieweit der einzelne in der Lage ist, seine Arbeitskraft als attraktives Angebot auf dem Arbeitsmarkt zu platzieren. Die Grenze zwischen diesen beiden Gruppen verläuft, so vermuten Voß/Pongratz entlang der bekannten die soziale Lage markierenden Merkmale – Geschlecht, Qualifikation, Branche, Region usw. –, ergänzt um die in Abschnitt 7.4.2 beschriebenen überfachlichen persönlichen Kompetenzen wie Sozial- und Kommunikationsqualifikationen, Kreativität, Flexibilität usw. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Veränderungen statt der Befreiung von fremdbestimmenden Momenten paradoxe neue Zwänge, und oft auch daraus hervorgehende Überlastungserscheinungen bedingen – Nicht-Taylorismus erscheint nicht mehr per se als »human«. Darauf, dass es durchaus auch Verlierer gibt, deutet die in kurzer Zeit deutliche Zunahme psychischer Erkrankungen mit einem Schwer-

58 | Wobei natürlich trotzdem rund drei Viertel der Menschheit in extremem Elend leben: »zu arm zur Verschuldung und zu zahlreich zur Einsperrung« (Deleuze 1990/2010, S. 15).

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punkt bei depressiven Syndromen hin, die von allen gesetzlichen Krankenkassen festgestellt wurde: Lag 1990 der Gesamtwert der durch psychische Erkrankungen verursachten Arbeitsunfähigkeitstage noch bei 130 Tagen Krankschreibung pro 100 BKK-Versicherte, so beläuft sich dieser Wert 2010 auf 196 Arbeitsunfähigkeitstage – bei gleichbleibender durchschnittlicher Krankschreibungsdauer und insgesamt sinkendem bzw. stagnierendem Gesamtkrankenstand. (BKK-Bundesverband 2012, zit. nach Voß und Weiß 2013) Auch wenn es letztlich schwierig ist zu unterscheiden, inwieweit dieser Anstieg real ist oder er nicht (zumindest zum Teil) auch Folge einer größeren Sensitivität von Ärzten und Patienten oder gar eines medialen Hypes sein könnte, so ist der in jedem Fall vermehrte Diskurs um diese Zunahme von Depressionen und Burn-out Indikator zumindest für neue Formen von Belastungen – was auch plausibel ist angesichts des Wandels der Arbeitswelt: Da ein Arbeitskraftunternehmer sich nie sicher sein kann, genug gearbeitet zu haben, droht er ständig, sich selbst zu überfordern – ohne sich zu genügen – Kurz, das »erschöpfte Selbst« (Ehrenberg 2004) ist »die typische Pathologie des Arbeitskraftunternehmers« (Voß und Weiß 2013).

7.5 D IE E NTGRENZUNG

VON

A RBEIT

UND

L EBEN

In den vorigen Abschnitten ist deutlich geworden, dass die sich im Zuge einer massiven Entgrenzung vollziehenden Subjektivierungsprozesse letztlich für eine systematisch erweiterte und intensivierte »›Subsumtion‹ [. . . ] der ›Lebendigkeit‹ von Menschen« (Voß und Weiß 2013, S. 28) unter ökonomische Verwertungsinteressen stehen, wobei der Rückgriff auf die Subjektivität letztlich durch die Subjekte selbst erfolgt: »Die Menschen werden veranlasst, wesentlich systematischer und tiefgehender als bisher ihre gesellschaftliche Nutzung und Verwertung aktiv selbst zu betreiben – und sie tun es weithin und oft mit großem Einsatz.« (Voß und Weiß 2013, S. 29) Dem Neoliberalismus geht es also nicht mehr nur um den Zugriff auf und über die Arbeit. Stattdessen gerät nun das ganze Sein inklusive des Verhältnisses des Einzelnen zu sich selbst in den Zugriff der Macht.59 Wurde in der Rationalität des Sozialstaats die

59 | Auf diese Verbindung von Arbeit und Leben wies bereits das vor allem durch Autoren aus dem Umfeld des ehemaligen SFB 333 in München erarbeitete Konzept der »Alltäglichen Lebensführung« hin. Dieses Konzept grenzt sich explizit von einer dichotomisierenden Konzeption der Trennung der Lebensbereiche ab und rückt das Subjekt und die »Arbeit des Alltags« (Jurczyk und Rerrich 1993), also die alltäglichen Koordinations- und Integrationsleistungen, mit denen widersprüchliche Anforderungen aus den Lebensbereichen aufgelöst

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Entfremdung am Arbeitsplatz diskutiert, so blieb diese doch auf die Zeit am Arbeitsplatz beschränkt; die neoliberalen Machttechnologien dagegen verlangen permanente und absolute Verfügbarkeit – die totale Identifikation mit der Arbeit, gewissermaßen die Gleichsetzung von Sein und Arbeit. In letzter Konsequenz heißt dies insbesondere auch, dass die für die Rationalität der Gesellschaft so konstitutive und lange Zeit als irreversible Entwicklung (und sogar als fundamentale zivilisatorische Errungenschaft) angesehene Trennung in (fremdbestimmte) Arbeitszeit und (eigenbestimmte) Freizeit aufgehoben wird: Zunehmend zeigt sich, dass die private Lebenswelt von Beschäftigten relevant auch für die Arbeitswelt ist, insofern als dort zum einen für die Erwerbsarbeit relevante Kompetenzen entwickelt werden, und zum anderen aber auch produktiv verwertbare Ressourcen mobilisiert und in die Erwerbswelt eingespeist werden sollen. (Vgl. Jürgens 2009, S. 60) Ähnlich beschreiben Hardt und Negri in Empire diesen Prozess als universellen biopolitischen Zusammenhang, der den Wandel der Arbeit, Migration und die Vergesellschaftung der Natur umfasst, und mit der Biomacht auf eine Produktionsweise zugreift, die alle menschlichen Lebensäußerungen im Sinne der Profitmaximierung produktiv zu machen versucht. Der »Arbeitende Kunde« Ein sehr gutes Beispiel für die Verbindung von Arbeit und Leben ist der von Günter Voß und Kerstin Rieder in ihrem vielbeachteten gleichnamigen Werk beschriebene »Arbeitende Kunde« (Voß und Rieder 2005). Entlang des Phänomens, dass Konsumenten anscheinend immer mehr in den betrieblichen Produktionsprozess einbezogen werden (etwa bei den Self-Service-Portalen und -Automaten im Bankensektor, bei der Bahn, der Post, dem Self-Scanning in Supermärkten und v.a. natürlich den diversen Internet-Firmen von Amazon bis zu Immoscout), untersuchen die beiden Autoren, wie damit auch eindeutig ökonomische Mechanismen in das Privatleben Einzug erhalten und so eine neue Technologie der betrieblichen Steuerung von Arbeit zur Umsetzung kommt. Systematisch werden, wie Rieder/Voß herausarbeiten,

werden, ins Zentrum der Analyse, wodurch das Konzept eine einseitige Fixierung auf Erwerbsarbeit umgeht und einem erweiterten Arbeitsbegriff Rechnung trägt. (Vgl. Jürgens 2009, S. 148) Jedoch unterbleibt eine Verortung des Konzepts innerhalb der aufgezeigten strukturellen Zwänge und gesellschaftliche Machtverhältnisse, die eben, wie gezeigt, die Betroffenen dazu zwingt, ihre gesamte Lebensführung zunehmend effizienz-orientiert zu gestalten. Siehe zum Konzept der »Alltäglichen Lebensführung« insbesondere Voß 1991, Voß 1993, Voß 1994, Voß 1998a, Jurczyk und Rerrich 1993, Projektgruppe ›Alltägliche Lebensführung‹ 1995 sowie http://www.arbeitenundleben.de.

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die immer schon im Privaten enthaltene Produktivität der Subjekte von Betrieben als Ressource und Produktivitätsfaktor genutzt und Kunden bzw. Konsumenten so in einen unmittelbaren Arbeitszusammenhang gebracht. Die Entgrenzung von Arbeit und Leben wird dadurch weiter vorangetrieben, wobei hier nun auch das private Handeln in ganz neuer, nämlich bislang nur aus den Betrieben gekannter Weise durch Regeln und Restriktionen bestimmt wird. Bemerkenswert ist dabei, dass wie bei vielen in diesem Abschnitt beleuchteten Technologien auch die Grundlage dieser Vernutzung des Subjekts letztlich das Bemühen um mehr Emanzipation, um den Gewinn neuer Handlungsmöglichkeiten etwa durch den Zugriff auf Informationen, durch eine größere (zeitliche, räumliche) Flexibilität oder auch durch die Produktion individuellerer Produkte war, die dann produktiv gewandelt wurde. Diese neue Einbeziehung des Konsumenten geht aber letztlich, wie Voß und Rieder darstellen, über bloße Rationalisierungsmaßnahmen hinaus: »Es ist vielmehr der explizite Zugriff auf ein bislang noch weitgehend ungenutztes Produktivitätspotenzial – und das ist theoretisch wie praktisch etwas ganz anderes: Die Kunden werden dabei mit ihren aktiv produktiven Leistungen und Kompetenzen nicht nur (um auf sie partiell Kosten zu verlagern) organisatorisch angebunden, sondern produktionsbezogen betrieblich eingebunden.« (Ebd., S. 123)

Denn der Konsument bringt sich nicht nur im Rahmen seines eigenen Konsums ein, sondern auch, etwa bei Foren oder Bewertungsportalen, faktisch für ein fremdes Unternehmen – »[d]ie Arbeitenden selbst verankern das Fremde (die Interessen und Handlungsforderungen von Unternehmen) im Eigenen und beides wird untrennbar verbunden« (ebd., S. 192f.). Damit aber ist dieses Konsumieren für den Kunden keine rein private, arbeitsfreie Angelegenheit mehr, sondern ihm werden zunehmend Verbindlichkeiten und Rücksichtnahmen, aber auch fachliche Qualifikationen und eine gewisse Disziplin (bspw. beim Homebanking) abverlangt – es ist der »Druck zur umfassenden zweckrationalen und damit letztlich ökonomischen Ausgestaltung aller seiner Aspekte und Dimensionen« (ebd., S. 150). In Verbindung mit dem »Arbeitskraftunternehmer« bzw. dem »Unternehmerischen Selbst« eröffnet sich so, wie Voß/Rieder erarbeiten, eine Matrix aus vier Teilprozessen, die im Bereich des Privaten ebenso wie im Bereich der Arbeit, also im ganzen Sein der Subjekte in neuer Qualität Produktivität einfordern: (vgl. ebd., S. 154f.)

• •

Arbeitskraft wird in die »›Freiheit‹ des Marktes« entlassen; die Sicherung der ökonomischen Verwertbarkeit muss das Subjekt privat organisieren;

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die produktiven Potenziale des Privaten werden der betrieblichen Herrschaft unterworfen mit dem Ziel ihrer ökonomischen Verwertung; die Subjekte müssen auch ihr Privates betrieblich organisieren.

So wie der Arbeitskraftunternehmer gezwungen ist, sich systematisch selbst zu steuern und so eigenständig seine Zurichtung zur Produktivkraft voranzutreiben, wird dem Arbeitenden Kunde komplementär dazu abgefordert, die Produktion und Bereitstellung von Konsumgütern selbst zu organisieren. Und wie schon beim Arbeitskraftunternehmer auch verschwimmt hier die Grenze zwischen Arbeit und Leben: Wird im Rahmen des unternehmerischen Selbst (betriebliche) Arbeit dem Privaten überantwortet, wird über den Arbeitenden Kunden Privates (der Konsum) »verarbeitlicht« und in den Zugriff betrieblicher Steuerung gestellt – das gesamte Leben wird zum Ort der Arbeit und entsprechend der Prämisse der Rationalität und Produktivität mit all den damit verbundenen Zwängen und Einschränkungen unterlegt. (Vgl. ebd., S. 161ff.) Wurden wie gezeigt Konsum und Produktion und damit Arbeit und Leben seit dem Liberalismus, nachdem sie bis zur Neuzeit eine »existenzielle Einheit« (ebd., S. 178) gebildet hatten, getrennt, bis sie schließlich im Sozialstaat zwei weitgehend separate Einheiten mit eigenen Machtmechanismen und -Zugriffsmöglichkeiten darstellten, so haben sich nun beide Bereiche wieder deutlich aufeinander zu bewegt: Als »Arbeitskraftunternehmer« bzw. »unternehmerisches Selbst« ist der einzelne gezwungen, Arbeit mit ins Private zu nehmen, auch zuhause ständig erreichbar zu sein und sich privat fortzubilden etc. und umgekehrt muss der einzelne als Arbeitender Kunde sein privates Handeln in betriebliche Abläufe einbinden und an diesen ausrichten – Fremdes und Eigenes werden unter die Herrschaft des Fremden subsumiert und das ganze Leben gerät in den Zugriff der Arbeit, wird der Arbeit und damit den Zwängen der Macht unterworfen. Das Dasein als Arbeit: die Engführung der Möglichkeiten Es ist offensichtlich, dass heutige Erwerbsarbeit und »Privates« in neuer Art ineinandergreifen, wenn sich Arbeitszeiten in die Freizeit ausdehnen, Beschäftigte auch im Home Office arbeiten können oder, wie eben gezeigt, Unternehmen die Konsumenten immer mehr und immer unmittelbarer in den betrieblichen Produktionsprozess einbeziehen. Indem die Subjekte die Dominanz der Erwerbsarbeit akzeptieren, sich selbst disziplinieren und das Privatleben einer Ökonomisierung unterwerfen, wird die Trennung als Leitbild überflüssig, ja sie erweist sich sogar als hinderlich: Sie bewirkte eine Begrenzung des Zugriffs, die nun fallen soll, weil Beschäftigte selbst als zuständig und fähig gehalten werden, notwendige Reproduktionsleistungen zu erbringen bzw.

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durchzusetzen und eine »Verwahrlosung« abzuwenden: Grenzziehungen gegenüber dem Zugriff auf Arbeitskraft müssen die Arbeitenden selbst erbringen, indem sie ihre je individuelle Toleranzgrenze erkennen und auch einhalten. Das rechtzeitige Abgrenzen gegenüber Anforderungen ist in diesem Sinn eine Kompetenz, die Beschäftigte im Kontext deregulierter und flexibilisierter Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse sowie steigender »Eigenverantwortung« dringend benötigen.60 Denn statt in kollektiven Standards soll die Begrenzung des Zugriffs auf Arbeitskraft in »individuellen Lösungen« stattfinden, um Unterschiede in der Belastungsfähigkeit ausreizen zu können. (Jürgens 2009, 114ff.) Zentral für das solchermaßen entgrenzte neue Subjekt ist die Fähigkeit, »sein ›Ich als Ressource‹ zu verwerten: der ›flexible Mensch‹, der sich selbst vermarkten muss und alle Risiken seines Tuns allein zu verantworten hat«, entsteht (Matuschek, Arnold und Voß 2007, S. 330). Letztlich etabliert sich ein Verhältnis, in der »Selbstoptimierung zum Kern der Verfasstheit von Arbeit wird« (ebd.). Die Subjekte werden, wie von Foucault aufgezeigt, dabei aber weniger »unterworfen« als dass ihnen Techniken und Schemata an die Hand gegeben werden, mit denen sie das eigene Leben im Sinne der Ökonomie maximieren. Denn die Möglichkeit, die eigene Subjektivität in den Arbeitsprozess einbringen zu können, bedeutet zugleich den Zwang, sie zu ökonomisieren, also die Subjektivität an den ökonomischen Zielen des Betriebes auszurichten und diese zu internalisieren. (Vgl. a. Minssen 2006, S. 132) Diese Entwicklung einer »Entgrenzung von Arbeit und Leben« (Voß 1994, Voß 1998a) wird durch langfristige soziokulturelle Prozesse verstärkt: Im Zuge des Wertewandels lehnen viele eine allzu starre Abgrenzung von Erwerbsarbeit und ihren anderen Lebensaktivitäten ab und suchen nach individuellen und flexibel gestaltbaren Formen deren Verbindung. Vor allem Frauen sehen in einer diesbezüglichen Flexibilisierung Möglichkeiten einer besseren Vereinbarkeit von »Beruf und Familie«. (Vgl. Kleemann, Matuschek und Voß 2003, S. 73) Vor diesem Hintergrund wird auch noch einmal deutlich, dass die Trennung von Arbeit und Leben letztlich selbst ein Konstrukt ist: Die dichotomische Annahme, dass »Leben« nicht der Oberbegriff für alles menschliche Handeln ist, sondern sich »lediglich« auf Tätigkeiten bezieht, die jenseits von kapitalistischer Erwerbsarbeit stattfinden, – also die Vorstellung zweier voneinander getrennter, sich gegenüberstehender Handlungskontexte – ist keine

60 | Gleichzeitig findet dies jedoch im Rahmen betrieblicher und gesellschaftlicher Bedingungen statt, die solche eigenlogischen Grenzziehungen in Frage stellen: Unsicherheit, Rationalisierung, Leistungs- und Konkurrenzdruck, Deregulierung und Massenarbeitslosigkeit schaffen ein Klima der Angst, das Subjekte eher dazu veranlasst, Grenzverteidigungen gegenüber externen Zugriffen aufzugeben.

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Notwendigkeit. Die eigene Erfahrung zeigt, dass wir auch bei der Arbeit leben (uns verwirklichen, Beziehungen knüpfen usw.) und umgekehrt auch im Leben einiges an Arbeit anfällt (z.B. Hausarbeit, Sorgearbeit für Kinder und Kranke oder ehrenamtliches Engagement). (Vgl. Jürgens 2010, S. 484) Der wesentliche Zweck der neoliberalen Formen der Macht – das, was ihre Wirksamkeit und ihre Beständigkeit ausmacht – beschränkt sich in diesem Sinn nicht mehr auf die Arbeit und Arbeitsfähigkeit, sondern liegt nun darin, die Individuen zu zwingen, alles das zu erhöhen, was für ihre Verwendung im Produktionsapparat der Gesellschaft notwendig ist: ihren Körper zu bearbeiten, ihre Subjektivität so einzusetzen, wo und wie sie jeweils am nützlichsten ist, sich auch jenseits der Lohnarbeit weiterzubilden, um neue Fertigkeiten zu erlangen oder vorhandene besser ausüben zu können – es geht um die Selektion, Verwaltung und ökonomisch-rationale Zurichtung der gesamten »Lebensformen« (Jaeggi 2013). Dies ist nicht Ergebnis einer repressiven Politik, und schon gar nicht jene irgendeiner herrschenden Gruppe/Person/Klasse. Vielmehr ist die solchergestalt produktive Aufbereitung der »Lebensformen« Ergebnis der Rationalität einer sich der Produktivität verschriebenen anonymen Macht, deren Kennzeichen es gerade ist, dass die Machtmittel nicht von außen, repressiv an das Subjekt herangetragen werden, sondern von innen jeder einzelne an sich selbst heranträgt, um sich »dem Empire« oder der Produktivität kompatibel zu machen – und das genau aus diesem Grund so schwer zu fassen und anzugreifen ist. Statt offensiver Angriffe auf den einzelnen findet sich im Neoliberalismus eine »molekulare Verteilung« (Tiqqun 2012, No. 66, vgl. a. Hardt und Negri 2000/2002) von Zwängen, und letztlich ist es gerade die dadurch bewirkte Allgegenwärtigkeit, die eine Unsichtbarkeit der Zwänge und damit deren Unangreifbarkeit bewirkt. Mit der Unternehmerisierung des Selbst ist so die Grundlage für einen totalen Zugriff auf das Sein geschaffen worden. Denn die neoliberale Regierung ist eine Regierung, die weniger darauf achtet, die Freiheit des einzelnen vor Angriffen zu bewahren, die andere auf sie unternehmen könnten, als sich der Art und Weise anzunehmen, in welcher der einzelne sein Leben plant, und dieses Planen auf die Rationalität und Produktivität hin zurichtet. Über die Verankerung des Unternehmertums als Modus der Selbstregierung verwaltet der einzelne sein Leben genau in dem Sinn, dass es der Entfaltung der in ihm schlummernden ökonomischen Potentialitäten dient – er nutzt Technologien wie Empowerment oder Feedback-Schleifen, wendet sie auf sich selbst an und wird so zu seinem eigenen Unternehmer.

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Die Ausrichtung des Seins auf Produktivität In Abschnitt 4.3 wurde gezeigt, wie mit der Moderne die Arbeit als Quelle des Reichtums anerkannt wurde und damit zunehmend in das Zentrum der auf produktive Rationalität aufbauenden Machttechniken rückte: Der Zugriff der Macht setzte am Arbeiten an und suchte das Arbeiten im Sinne der Macht zu modifizieren. Aus der Analyse des Seins der Arbeiter in Kapitel 5 ging dann hervor, dass deren GegenVerhalten genau an diesem Punkt anknüpfte und die mit dieser Machttechnologie verbundene Subjektivierung zur Arbeitskraft zurückwies. Den Arbeitern ging es dabei um die Abschaffung nicht der Arbeit (der auch positive Aspekte zugesprochen werden), sondern der Abschaffung dieser, mit solchen Subjektivierungen verbundenen und entsprechend eng-geführten »kapitalistischen« Arbeit, was einen Kampf des Tuns gegen die Arbeit, des Inhalts gegen seine gouvernementale Form implizierte – Teil der Arbeiterbewegung zu sein, hieß, für die Insubordination des Tuns gegen die Arbeit, für die Emanzipation des Tuns von der Arbeit zu kämpfen. Es galt gewissermaßen den Möglichkeitsraum für Arbeit zu öffnen und das Arbeiten in ein auch anderes, nicht einfach nur an Produktivität und Rationalität ausgerichtetes Handeln zu überführen. Dass dies nur bedingt gelang, nämlich im Rahmen des Sozialstaats anstelle der Rettung des Möglichen in der Arbeit und der Versöhnung von Arbeit und Sein letztlich die Separierung des Arbeitens vom sonstigen Handeln vollzogen wurde und die solidarischen Freiheitspraktiken der Arbeiterbewegung in die Rationalität des Gesellschaftlichen überführt und institutionalisiert wurden, ist in Kapitel 6 deutlich geworden. Der Neoliberalismus nun operiert, so wurde in diesem Kapitel gezeigt, mit einer ganz anderen Machttechnologie als der Liberalismus. Nicht nur realisiert er die Vereinigung von Ökonomie und Sozialem über die Zentralstellung des Marktes und etabliert eine Regierungstechnologie, die alles Handeln vor dem ökonomischen Prinzip des Marktes durchleuchtet, sondern vielmehr bestimmt er das Subjektive selbst als Quelle des Reichtums: Seine Kreativität und seine Entrepreneurship machen es zu dem Produktionsfaktor schlechthin; das Kapital seiner Existenz soll Innovationen und damit die Ankurbelung der kriselnden Wirtschaft realisieren. Und insofern nun nicht mehr die Arbeit, sondern das Subjektive Quelle des Reichtums ist, ist Ort und Ziel der Macht auch nicht mehr das Arbeiten und das Subjekt als Arbeitskraft, sondern das Subjektive selbst als bloß ökonomisches Subjekt, als »unternehmerisches Selbst« (Foucault und Bröckling) oder »Arbeitskraftunternehmer« (Voß/Pongratz) bis hin zum »Arbeitenden Kunden« (Voß/Rieder) als neuem, betrieblich genutztem und gesteuertem Konsumententypus. Somit ist im Neoliberalismus die sozialstaatliche Trennung von kapitalistischer Arbeit und Sein aufgehoben und deren von der Arbeiterbewegung geforderte Versöhnung tatsächlich vollzogen. Aber natürlich in ei-

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nem anderen als von der Arbeiterbewegung intendierten Sinn, nämlich unter dem Primat nicht eines möglichkeitsoffenen Seins, auch dessen, das nicht Arbeitscharakter hat, sondern unter dem Primat der Ökonomie bzw. des rationalen Arbeitens. Das Sein als solches soll im Neoliberalismus Arbeit werden und der einzelne soll nicht mehr nur während der 35 oder 40 Stunden, für die er oder sie Lohn erhält, rational und produktiv sein, sondern ganz genauso in dem, was man früher »Freizeit« nennen konnte. War bislang die Unterwerfung unter die kapitalistische Arbeit noch eingeschränkt, da der Arbeiter noch nicht mit der Arbeit identisch war, so fällt nun der Verwertungsprozess immer mehr mit dem Subjektiven und Gesellschaftlichen zusammen. Und insofern der einzelne sich selbst Produktionsmittel und Quelle der Produktivität geworden ist, die Macht nicht mehr an der Arbeit, sondern am Selbst ansetzt, finden Konflikte auch nicht mehr in der und über die Arbeit (ihre Art, Dauer, Entlohnung) statt, sondern betreffen alle Bereiche des Seins, von denen die Arbeit eben nur einer ist. Und von daher scheint es auch nicht verwundern zu können, dass die Arbeiterbewegung parallel zur Heraufkunft des Neoliberalismus endgültig in die Defensive geraten ist und die alten Programme sich nicht mehr sinnvoll fortschreiben lassen. Ob, und wenn ja, wie dennoch so etwas wie Gegen-Verhalten im Neoliberalismus aussehen könnte, wird im folgenden Kapitel beleuchtet.

8. Widerständigkeit im Neoliberalismus

Nach dem Zusammenbruch des realsozialistischen Staatenblocks Anfang der 1990er wurde der Neoliberalismus endgültig in Deutschland, zum bestimmenden Referenzpunkt der Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik, und bisher dem Neoliberalismus kritisch gegenüber Stehende, wie weite Teile der SPD, suchten in einer programmatischen Neuorientierung Anschluss an einen mehr oder weniger gemäßigten Neoliberalismus. In der Tat schien dem von dem US-amerikanischen Neokonservativen Francis Fukuyama prognostizierten »Ende der Geschichte« (Fukuyama 1992) der Weg geebnet zu sein. Erst mit den Krisen Anfang der 2000er Jahre kamen auf breiterer Ebene Zweifel an den mit dem Neoliberalismus verbundenen wirtschaftspolitischen Instrumenten auf. Diese Ungewissheit eröffnete Räume für laut und mit revolutionärem Habitus vorgetragene Kritik am Neoliberalismus oder, so der häufig synonym verwendete Begriff, an der Globalisierung, und deren offensichtlichen »Kollateralschäden« wie wachsender Unsicherheit und der Vergrößerung der Schere zwischen Arm und Reich. Bücher wie Empört Euch! (Hessel 2010/2011) oder Empire (Hardt und Negri 2000/2002) fanden den Weg auf Bestsellerlisten, kaum ein Wirtschaftsforum oder eine internationale Regierungskonferenz kam ohne angegliederte Protestbewegung oder zumindest Demonstration aus und »NGO-Bewegungen« wie Attac, Occupy Wall Street oder Anonymos gelang es wenigstens temporär, breitere Beachtung und größere Teilnehmerzahlen zu mobilisieren. Ganz offenbar hatte sich ein gewisses Unbehagen breit gemacht, wenn auch eine aktive Opposition oder explizite politische Ablehnung höchstens marginalisiert an den extremen Rändern stattfand. Dennoch blieb all diese Kritik, ob gemäßigt oder extrem, seltsam starr und gehemmt und verschwand früher oder später »wie ein Gesicht im Sand«1 , ohne dem Neoliberalismus und dessen Subjektivierungen auch nur annähernd etwas anhaben gekonnt zu haben.

1 | So Foucault in Bezug auf den Menschen (Foucault 1966/1971, S. 462).

314 | ARBEIT, SUBJEKT, WIDERSTAND

Die Institutionen der Arbeiter sind in diesem Umfeld in Westeuropa weitgehend in der Bedeutungslosigkeit verschwunden und wirken entweder als dem neoliberalen System gleichgeschaltet oder, v.a. die Reste der aus marxistisch-sozialistischer Perspektive Argumentierenden, maximal anachronistisch als vergeblicher Versuch, dem Neoliberalismus frontal entgegenzutreten; keiner Strömung ist es gelungen, sich den Realitäten, die sie verändern wollten, zu stellen und etwas Wesentliches zu einer wirklichen Veränderung beizutragen. Mit dem Ende der Sowjetunion ist innerhalb der Staaten des »real existierenden Sozialismus« mehr oder weniger der komplette Marxismus-Leninismus verschwunden,2 womit zugleich alle Hoffnungen versiegten, irgendwie doch noch einen anderen und besseren Sozialismus – mit »menschlichem« Antlitz, wie es zu Zeiten des Prager Frühlings geheißen hatte – hervorbringen zu können; es war zu offensichtlich, dass die theoretisch von den Marxisten und Sozialisten ausgearbeiteten Voraussagen zur historischen Zukunft nicht eingetroffen waren. Beide Varianten, die reformistische wie die revolutionäre marxistisch-sozialistische Perspektive, verharren damit letztlich nur selbst in der Fixierung auf den Neoliberalismus, ohne wirkliche eigene Perspektive oder Ausweg. Denn wenn die revolutionäre Perspektive nicht mehr glaubhaft ist, wirkt die Option der Revolution selbst als Position des Rückzugs, mit welcher der eigentlichen Grundfrage, wie im Neoliberalismus so etwas wie Gegen-Verhalten möglich ist, ausgewichen wird. Die Logik des Neoliberalismus, die »Maschen« seines Machtnetzes (Foucault 1977/2002d, S. 546) scheinen in der Tat total und undurchdringlich. Aus den neoliberalen Machttechnologien gibt es offenbar kein Entrinnen, zumal sie sich, wie gezeigt, eben gerade dadurch auszeichnen, Kritik und Widerstände nicht einfach an sich abprallen zu lassen, sondern in sich aufzunehmen und in nur neue marktfähige Produkte zu transformieren: Praktiken, die Teile der ebenso totalitären wie dynamischen neoliberalen Struktur untergraben, führen nicht zu deren Zerfall, sondern werden entweder selbst unwirksam oder aber ihrer ursprünglichen Intention enthoben und in das neoliberale Raster integriert. Angesichts der alles umfassenden Logik des Neoliberalismus stützt sogar die bloß abstrakte Annahme eines revolutionären Antagonismus – wie Klassenkampf oder wir gegen die, oben gegen unten etc. – letztlich lediglich die Macht, indem die Annahme solcher Antagonismen und die Kritik daran geradezu zum Motor für Veränderungen und »Verbesserungen« des neoliberalen Rasters werden: Sie treiben einen immer avancierteren Neoliberalismus voran, aber bleiben zugleich selbst verfangen in der

2 | Sofern er nicht in asiatischen Parteien verankert war, in denen der Kommunismus (die »Partei als Avantgarde«) als Doktrin für eine ausgewählte Minderheit von Führungskadern und Aktivisten konzipiert war, und nicht als Glaube mit dem Anspruch auf universelle Bekehrung.

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Metaphysik und Teleologie der Rationalität und Produktivität; ihre Perspektive ist von Grund auf die einer – wenn auch vielleicht sozialeren – Ökonomie. »Und allenthalben«, schreibt in diesem Sinn Lyotard bereits 1979, »werden die Kritik der politischen Ökonomie [. . . ] und die Kritik der entfremdeten Gesellschaft, die deren Entsprechung war, unter welchem Vorwand auch immer als Faktoren in die Programmierung des Systems eingebracht.« (Lyotard 1979/2012, S. 48) Dieses Phänomen der Adaption von Kritik gilt wie gezeigt im Besonderen für ursprünglich eigentlich als widerständig angelegte subjektive Verhaltensweisen und Zielsetzungen, wie Solidarität, Kreativität, Empowerment, Selbstmächtigkeit, aber auch Kunden-Foren oder das Selfmade-Prinzip. All diese zunächst emanzipatorischen Konzepte und Instrumente wurden vom Neoliberalismus so re-moduliert, dass sie sich funktional zu den Verwertungsinteressen des Kapitals ausrichten – die Subjektivierung wird gerade nicht unterdrückt, sondern zugelassen und für den eigenen Fortbestand sublimiert. Es scheint daher, als sei der Neoliberalismus imstande, das gesamte subversive Potential, das in den Widersprüchen seiner Subjektivierung mit der prinzipiellen Kontingenz des menschlichen Daseins angelegt ist, in einer Weise für das System handhabbar zu machen, wie es bisher weder Repression, Disziplinierung, Normalisierung noch Ideologie gelungen ist: Jegliche Kontingenz der Subjekte wird produktiv gewendet und selbst zur Ware bzw. zum Produktionsfaktor. Ergebnis ist nicht eine statische Unbeweglichkeit wie bei den Disziplinierungen und auch nicht eine auf das Durchschnittliche und die tolerierten Abweichungen davon begrenzte Normalität, sondern »eine Art Magnet, der all die in uns angelegten Subjektivitäten auf eine bestimmte Funktion hin ausrichtet«. (Makropoulos und Müller 1978, S. 32) Auch in den arbeits- und industriesoziologischen Untersuchungen zu Subjektivierung und Entgrenzung wurden, so kritisch sie oft den neoliberalen Mechanismen und Technologien gegenüberstehen, Widerständigkeiten kaum thematisiert und (aktive) Begrenzungen des Zugriffs auf die Subjektivität nur sehr rudimentär behandelt. (Vgl. a. Jürgens 2009, S. 64) Wohl gibt es diverse empirische Sekundäranalysen zur These vom »Arbeitskraftunternehmer«, die Hinweise auf Strategien des Sich-Entziehens liefern (Jürgens 2004, Böhm, Herrmann und Trinczek 2004), eine systematische Auseinandersetzung mit dieser Frage findet jedoch oft nicht statt und Begrenzungen von »Subjektivierung« bleiben weitgehend vernachlässigt – es dominiert die Auflistung der negativen Begleiterscheinungen der Subjektivierungen: Überlastungen, Burn-out, Depressionen etc.3 Erst Kerstin Jürgens bietet in Arbeits- und Lebenskraft. Reproduk-

3 | So etwa Negt und Kluge 1981, Lüdtke 1993, Schimank 1983, Böhle 1994, Wolf 1999 sowie die Beiträge in Böhle, Pfeiffer und Sevsay-Tegethoff 2004. Auch Kritiker der These zum »Arbeitskraftunternehmer« bemängeln eine fehlende Berücksichtigung von möglichen Wider-

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tion als eigensinnige Grenzziehung (Jürgens 2009) bemerkenswerte Ansätze für ein Gegen-Verhalten im Rahmen der neoliberalen Subjektivierung. Ebenfalls zu nennen ist in diesem Kontext die Forschungsarbeit von Mathias Heiden und Kerstin Jürgens (Heiden und Jürgens 2013), die im Rahmen einer empirischen Erhebung, die in drei Betrieben aus unterschiedlichen Branchen durchgeführt wurde, Praktiken zur Erhaltung von Arbeits- und Lebenskraft nachspüren und hierbei explizit auch Widerständigkeiten als wichtigen Beitrag zu diesem Ziel ausmachen. Diesen geht insbesondere auch Heiden in seiner auf dem Projekt aufsetzenden Dissertation nach (Heiden 2014), in der er heutige Arbeitskonflikte untersucht und dabei gerade auch verborgene Auseinandersetzungen jenseits von organisierten (Tarif-)Konflikten und Streiks als typisch für aktuelle Formen von Konflikten um Arbeit ausmacht. Im Folgenden wird entsprechend mehrfach auf diese Arbeiten Bezug genommen.

8.1 I NSTITUTIONEN

DER

A RBEITER

IM

N EOLIBERALISMUS

Die Arbeiterbewegung ist, wie dargelegt, ein Phänomen der Moderne, das langsam aus den jahrhundertealten Traditionen der Volks- und Bauernaufstände sowie des organisierten Handwerkertums herauswuchs. Mit der Industrialisierung und der Entstehung von Kapitalismus und Liberalismus begann eine neuartige Disziplinierung hin zu rationaler Arbeit, die massiv Einfluss nahm auf die bisherige Lebenswelt breiter Bevölkerungsschichten und in deren Folge sich die Arbeiter dann zu übergreifenden Massenbewegungen herausbildeten. Diese ersten Arbeiterbewegungen waren dabei, so wurde gezeigt, Bewegungen nicht nur gegen die mit Dequalifizierung und Armut verbundene Lohnarbeit, sondern auch gegen in Manufakturen und Fabriken herrschende Disziplinierung und herrschenden Anpassungsdruck. Der Blick in die Fabrikordnungen der 1840er Jahre hat deutlich gemacht, wie viel Energie die ersten Fabrikanten aufwenden mussten, um die Unangepasstheit ihrer Arbeiter zu brechen, um ihnen ein lineares, von Jahres- und Festzeiten unabhängiges Zeitregime anzugewöhnen und sie als Arbeitskraft in einen standardisierten Produktionsprozess zu zwängen. Die sich im Anschluss an diese Kämpfe um Form und Art der Arbeit bildende Rationalität des Sozialstaats beinhaltete die Inkorporation der in den Gewerkschaften institutionalisierten Arbeiterbewegung in den Staat auf der Grundlage des sog. wohl-

setzungen der Beschäftigten, bleiben jedoch ihrerseits ebenfalls einem begrenzten Arbeitsverständnis verhaftet, wenn sie hauptsächlich belastende Erwerbsbedingungen als Ursache von Verweigerungshaltungen in Betracht ziehen.

8. WIDERSTÄNDIGKEIT IM NEOLIBERALISMUS | 317

fahrtsstaatlichen Klassenkompromisses. Gemeinsam mit dem Sozialstaat etablierten die Gewerkschaften sich hier als Garant sozialer Stabilität und Sicherheit und erlangten als »bürokratisch gefestigte und für die Volkswirtschaft als unentbehrlich angesehene Massenorganisation« nicht nur die »volle Anerkennung durch Gesetzgebung, Arbeitgeber und öffentliche Meinung« (Briefs 1952, S. 87), sondern wurden als »intermediäre« Gewerkschaft4 auch wichtiges Element einer korporatistischen Kooperation zwischen Kapital und Arbeit. Die institutionalisierte und intermediäre Gewerkschaft wurde so zum integralen Bestandteil der sozialstaatlichen Rationalität, in der Arbeiterinteressen von den Gewerkschaften, wie zusätzlich auch von den Arbeitsverwaltungen/Sozialversicherungen und den betrieblichen Interessenvertretungen repräsentiert werden. Ihren klassentheoretisch untermauerten Bewegungscharakter wie auch die Offenheit für Mikrokämpfe gaben die Gewerkschaften zugunsten einer eher pragmatischen Mittlerrolle zwischen Kapital- bzw. Systeminteressen auf der einen sowie Lohnarbeiterbzw. Mitgliederinteressen auf der anderen Seite auf – aus den einstigen »Schulen für den Sozialismus« sind Stützen der wohlfahrtsstaatlichen Rationalität der Gesellschaft geworden (Müller- Jentsch 2008, S. 78). Der solchermaßen institutionalisierte »Klassenkonflikt« findet in der Folge anhand quantifizierbarer Forderungen im Rahmen der Tarifautonomie5 statt, wobei qualitative Arbeitsinteressen in den Hintergrund gerückt sind bzw. in die Freizeit verschoben wurden und maximal noch ansatzweise Angelegenheit der betrieblichen Interessenvertretung sind. Auch wenn es – vor allem aus dem Umfeld der so genannten »Marburger Schule« (Hautsch und Pickshaus 1979) – deutliche Kritik an dieser kooperativ-integrativen Ausrichtung gab, so belegen die gesellschaftlichen Entwicklungen der Nachkriegszeit doch de facto, dass die Arbeiterbewegung sich in einem evolutionären Prozess der Institutionalisierung, Ausdifferenzierung und intermediären Regulation kollektiver Arbeitsinteressen nivellierte und normalisierte – ganz im Sinn der sozialstaatlichen Realität. (Vgl. Dörre 2010, 886ff.) Mit der Wirtschaftskrise 1973 und zunehmender Kritik am Sozialstaat – von rechts wie von links – begann dann jedoch die

4 | Vgl. zur »intermediären Gewerkschaft« z.B. die Diskussionen in: Industrielle Beziehungen. Jahrgang 12, Heft 2, Mering 2005. 5 | Gemeinhin bezeichnet Tarifautonomie das Recht der Tarifpartner, die Ausgestaltung der kollektiven Arbeitsbeziehungen ohne staatliche Einmischung selbst zu regeln; seitens des Staats wird lediglich der institutionelle Rahmen aufgestellt und überwacht, dass die zwischen den Tarifparteien ausgehandelten Ergebnisse nicht mit anderen, gleichrangigen Grundrechten kollidieren. Die Tarifautonomie ist rechtlich gesehen also eine bloß relative Autonomie, die praktisch stets auch eine Interaktion mit dem Staat beinhaltet. (Vgl. Fehmel 2010, S. 7)

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Rationalität der Gesellschaft zu bröckeln und die fordistische Konstellation den oben beschriebenen veränderten Regierungs- und Subjektivierungsstrategien Platz zu machen: Die Unternehmen hatten in gewisser Weise die »Künstlerkritik« der 1968erBewegung aufgegriffen und die hierarchische Kontrolle des Fordismus durch subjektivierte Formen der Arbeitsgestaltung ersetzt; die Arbeitsformen bestehen, wie in Abschnitt 7.4 gezeigt, nun immer mehr aus durch von Autonomie, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung bestimmter projektbasierter Gruppenarbeit mit flexibilisierten Arbeitszeit- und -ortmodellen. Die dem zugrunde liegende subjektivierte »Kontrolle durch Selbstkontrolle« (Boltanski und Chiapello 1999/2006) scheint das kollektive Handlungsmodell der Arbeiterbewegung ebenso zu unterminieren, wie es auch deren klassische »Sozialkritik« neutralisiert. Hinzu kamen Faktoren wie die Internationalisierung der Produktion, industrieller Wandel und damit das Wachstum des Dienstleistungssektors, die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse sowie die Erosion des vormals dominierenden »Normalarbeitsverhältnisses«, die ebenfalls die Institutionen der Arbeiterbewegung wie anscheinend auch die Arbeiter selbst in die Defensive drängten und drängen. (Vgl. Nachtwey 2012, 88f.) Auf eine detaillierte Darstellung dieser aus Foucaultscher Sicht eher »sekundären« Faktoren für den Niedergang der Arbeiterbewegung muss hier verzichtet werden. Verwiesen werden kann auf Müller-Jentsch 2006 oder Schroeder 2014. Erklärungsansätze für die Erosion der Arbeiterbewegung aus spezifisch Foucaultscher Perspektive werden nun in den folgenden Abschnitten beleuchtet und zusammengefasst dargelegt. Als zentral erweist sich dabei das Festhalten an überkommenen Mustern, die ihre Passgenauigkeit und damit auch Wirksamkeit zusammen mit der Heraufkunft einer neuen Rationalität verloren haben: Versteht man Widerständigkeit als Teil der Macht, kann Widerständigkeit auch stets nur Aspekt der herrschenden Rationalität sein, andernfalls läuft sie unweigerlich ins Leere und ist letztlich nichts anderes als ein wirkungsloser, auf ein anderes Spiel abgestimmter Handlungsstrang. 8.1.1 Die Ausrichtung an Markt- und Konkurrenzprinzip Anhand der in Abschnitt 7.4 verdeutlichten, im Arbeitsktaftunternehmer kulminierenden Subjektivierungspraktiken ist klar geworden, dass sich ein grundlegender Wandel der gesellschaftlichen Verfassung von Arbeitskraft ergeben hat. Zentral ist das nun unternehmerische Verhältnis der Arbeitskräfte zu ihrer eigenen Arbeitskraft: Die Beschäftigten sind gezwungen, ihre Arbeitskraft möglichst effizient an den Erfordernissen der Ökonomie bzw. des Marktes aus- und darauf zuzurichten, was zugleich die Einbindung der Beschäftigten in die Interessenlage der Unternehmen bedingt. Dieses solchermaßen veränderte Verhältnis der Arbeitskräfte zu ihrer eigenen Ar-

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beitskraft zieht natürlich zugleich ein verändertes Verhältnis der Arbeitskräfte zu den Resten der Arbeiterbewegung nach sich, bedeutet es doch, dass die einstige eindeutige Frontlinie zwischen Arbeitern und Gewerkschaften unten und Unternehmensleitungen und Kapital oben gesprengt ist. So führen zwar auf der einen Seite die Interessenkonkordanz von Beschäftigten und Unternehmen – zusammen mit neuen Arbeitsformen wie Projekt- und Teamarbeit, wie auch dem Rückgang fester Strukturen – zu einer verstärkten Zusammenarbeit der Beschäftigten im Betrieb: Die Kommunikation zwischen Abteilungen und Koordination von Arbeitsabläufen hat deutlich zugenommen und führt dazu, dass die Beschäftigten »gezwungen« sind, solidarisch zusammenzuarbeiten und sich zu »solidarisieren«. Zugleich aber erschwert der durch institutionalisierten Wettbewerb und allgemein durch die Internalisierung von Marktmechanismen in die Unternehmensorganisation aufgebaute Konkurrenzdruck der Beschäftigten untereinander wie auch die Individualisierung allgemein, dass gemeinsame Erfahrungszusammenhänge und damit eine echte Solidarität der Beschäftigten untereinander entstehen. Der Wegfall gemeinsamer Pausen, gerade wenn ein Teil der Arbeit im Home Office oder auf Reisen erledigt wird, aber auch Wohnortwechsel oder Pendeln verhindern tendenziell, dass Erfahrungen ausgetauscht oder Belastungen offen thematisiert werden und damit ein Wissen um deren kollektiven Charakter entsteht und stattdessen vom einzelnen Beschäftigten individuell angegangen werden. Auch die Tatsache, dass die einzelnen Arbeitsplätze als solche stark differenziert sind, heterogene Anforderungen aufweisen, in Teilzeit und Vollerwerbszeit unterschieden sind, aber natürlich auch die Belastungen je nach individuellem Arbeits- und Reproduktionsvermögen oder persönlichen Ressourcen variieren, führt zu Interessendivergenzen und Asymmetrien selbst innerhalb – qua formaler Qualifikation – homogener Beschäftigtengruppen, was entsprechend gemeinsame Aktionen problematisch macht. (Vgl. Jürgens 2009, 223ff. sowie Dörre 2010, 895f.) Je stärker das Konkurrenzprinzip in den Unternehmensstrukturen verankert ist, umso eher gelingt es, Arbeiter- bzw. Arbeitnehmerschaft, Betriebsräte und Gewerkschaften unter Druck zu setzen. So wird unter diesen Bedingungen seitens der Unternehmensleitungen häufig versucht, die Interessenvertretungen einzelner Standorte in sog. »Co-Management-Konzepte« einzubinden und gemeinsam mit ihnen – und nicht gegen sie – eine »marktkonformere« Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen und Kostensenkungspotenziale zu realisieren. (Vgl. Urban 2007, S. 20) Indem Maßnahmen der Deregulierung, Einkommenseinbußen, Arbeitszeitverkürzungen und Leistungsanhebungen oder eben gar Standortentscheidungen als notwendige Anpassungen und Reaktionen auf Marktveränderungen dargestellt werden, erscheinen diese Entscheidungen als objektiver Sachzwang und losgelöst von individuellen Verant-

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wortlichkeiten und betrieblichen Interessen, gegen die man gemeinsam ankämpfen könnte. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass die Angst um den Arbeitsplatz, mit Arbeitslosigkeit verbundene Sanktionierungen (vgl. Abschnitt 7.4.3) und allgemein eine um das Prinzip »Eigenverantwortung« zentrierte Sozialpolitik die abhängig Beschäftigten bestärken, die Forderungen der Unternehmen zu erfüllen, auch wenn sie den eigenen Interessen vielleicht eigentlich zuwiderlaufen: die Differenzen zwischen den eigenen Interessen und denen der Unternehmen verwischen, so dass der Mechanismus ohne strikte und offene Befehle funktioniert und es zugleich entsprechend schwierig ist, v.a. betriebsübergreifend solidarische Praktiken entstehen zu lassen. (Vgl. ähnl. auch Jürgens 2009, S. 223) Flankiert wird dies dadurch, dass, verstärkt durch die Implosion der staatssozialistischen Systeme, aber auch allgemein durch die Normalisierungen des Sozialstaats die Perspektive eines grundlegenden gesellschaftlichen Umbruchs geschwunden ist. So pflegte vor dem Kollaps der sozialistischen Systeme ein Großteil gerade der gewerkschaftlich organisierten Arbeitskräfte einen dezidiert antikapitalistischen, klassenkämpferischen Gestus. Auch wenn das praktische Handeln weniger von Systemkritik bestimmt war, als manche ritualisierten Forderungen vermuten ließen, so verlieh er Vertrauensleuten und anderen Aktiven doch das Gefühl, an etwas Großem teilzuhaben. Dieses Gefühl scheint heute weitgehend verschwunden – das, was früher Authentizität stiftete, das Wissen und die Sonderstellung der Aktiven, ist der Ohnmacht gewichen, angesichts der Dominanz der neoliberalen Rationalität die Lage nicht grundlegend verändern zu können. (Vgl. Brinkmann u. a. 2008, 40f.) Während es dabei den Aktiven teilweise schwer fällt, sich von dichotomischen Denkmustern zu lösen, und konforme Arbeiter als »Schleimer« (Beaud und Pialoux 2004, S. 272) betrachten, sehen diese die Aktivisten als Leute, »die immer dieselbe Platte auflegen«6 . Vor diesem Hintergrund entwickelt sich die Vertretung von Interessen immer mehr zur Aufgabe des Einzelnen: Subjektivierungsprozesse, Internalisierung von Marktlogik und die Verlagerung von Verantwortung für Arbeitsergebnisse und -abläufe auf den einzelnen Arbeitnehmer legen nahe, damit auch die Verantwortung für die Durchsetzung der eigenen Interessen selbst zu übernehmen. (Vgl. a. Jürgens 2009, S. 223, Trautwein-Kalms 1995, Pongratz 2005, 59ff.) In der Tat geht, wie im folgenden Abschnitt deutlich gemacht werden wird, diese Verlagerung der Interes-

6 | Zitiert wird hier die beeindruckende Studie Beaud und Pialoux 2004, S. 276, in der über zwanzig Jahre hinweg die Entwicklung in einem großen Peugeot-Werk analysiert und in diesem Kontext der Verfall einer militanten Organisationskultur vornehmlich ungelernter Arbeiter nachgezeichnet wurde.

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senvertretung auf den einzelnen Beschäftigten einher mit einer generellen Neuausrichtung bzw. Neuverortung der Konflikte um die Arbeit: Hat sich in der Rationalität des Sozialstaats und der diesen prägenden fordistischen Arbeitsgesellschaft die konkrete Austragung von Arbeitskonflikten immer stärker vom Unternehmen als eigentlichem Ort des Arbeitskonflikts und den Arbeitenden als eigentlichen Subjekten der Konflikte entkoppelt und immer stärker auf v.a. die Tarifebene und konfliktpartnerschaftlichen Verhandlungen der intermediär eingebundenen und institutionalisierten Gewerkschaften verlagert (vgl. Euler 1973, Euler 1977, Göckenjan 1985, Dahrendorf 1992, 161ff. Müller-Jentsch 1997, Lessenich 2008, 32ff. Vogel 2009), so stellt sich heute unter neoliberalen Vorzeichen, wie i.F. in Anlehnung an Heiden 2014 herausgearbeitet wird, wieder eine deutliche Veralltäglichung und Rückverlagerung der Konflikte und damit auch der Widerständigkeiten in den Alltag bzw. in die konkrete Arbeitssituation und auf die Arbeitenden selbst ein, wohingegen jedoch die Gewerkschaften nach wie vor an der der sozialstaatlichen Rationalität entstammenden intermediären Konfliktregulation festhalten. Aus Foucaultscher Sicht ist es letztlich auch genau dieses Verharren in auf eine andere Rationalität abgestimmten Praktiken, das als der zentrale Grund für die Erosion der Gewerkschaftsmacht angesehen werden muss. 8.1.2 Veralltäglichung der Arbeitskonflikte Zur Zeit der Entstehung der Arbeiterbewegung hatten sich Auseinandersetzungen um die Arbeit wie gezeigt vorwiegend unmittelbar innerhalb der Fabrik in Mikrokonflikten im direkten Verhältnis von Lohnarbeitern und Fabrikbesitzern geäußert (Abschnitt 5.2). In der Folge der sozialstaatlichen Rationalität entstand dann ein stark feinmaschiges Rechts- und Institutionensystem, das auf den tayloristisch-bürokratischen Großbetrieb und den fordistischen Massenarbeiter als sozialer Normalitätskonstruktion ausgerichtet war und das den Arbeitskonflikt weitgehend jenseits des Arbeitsalltags dem Repräsentationsprinzip folgend in normierte und verrechtlichte Arenen kanalisierte, was zu einer weitgehenden »Pazifizierung des Klassenkonflikts« (Habermas 1987, Bd. 2, S. 510) führte: Im Vordergrund stand eine konfliktpartnerschaftliche Verarbeitung des Arbeitskonflikts, mit der Perspektive, die Funktionalität und die Produktivität tayloristisch-bürokratischer Arbeitsorganisationen aufrechtzuerhalten und im Gegenzug die Arbeitenden ein Stück weit an der daraus resultierenden Prosperität teilhaben zu lassen – bei aller symbolischen Inszenierung wurden Arbeitskonflikte typischerweise im Kompromiss gelöst. (Vgl. Schmidt und Braczyk 1984, Braverman 1980, Edwards 1981, Weltz 1977 sowie Heiden 2014, S. 29). Vor diesem Hintergrund hatten die verbliebenen Arbeitskonflikte im Alltag den Charakter

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verdeckter Widerständigkeiten, die sich zumeist unterhalb der betrieblichen oder gar öffentlichen Wahrnehmungsschwelle manifestierten und als eine Art Rest- bzw. Fortsetzungskonflikt der industriellen Beziehungen im Kleinen galten (Hoffmann 1981, Müller-Jentsch 1997, 34ff.) und auch kaum untersucht wurden. (Vgl. Heiden 2014, 156ff.) Zugleich wurden die institutionalisierten Streitgegenstände von Arbeitskonflikten relativ eng begrenzt; obwohl Arbeitskonflikte potenziell eine Vielzahl von Streitgegenständen haben können, waren im Sozialstaat vor allem die Lohn- und Gehaltsentwicklung, die Arbeitszeitdauer sowie Fragen der rechtlich-sozialen Anerkennung von Beschäftigten Gegenstand von Arbeitskämpfen. (Vgl. Heiden 2014, 29, 47f. sowie a. Schmidt und Braczyk 1984, Braverman 1980, Edwards 1981, Weltz 1977) Darauf zugespitzt, waren die widerstreitenden Interessen von der unmittelbaren Arbeitssituation entkoppelt, so dass der einzelne Arbeitende von der Austragung der Arbeitskonflikte gewissermaßen »entlastet« war, zugleich aber alle anderen Belange unberücksichtigt blieben. Die im vorigen Kapitel beschriebenen Veränderungen, die Verschiebung der Rationalität und damit der Machtkonstellation im Neoliberalismus, führen nun dazu, dass diese Verarbeitung des Arbeitskonflikts zunehmend aufbricht; so ist an die Stelle der eindeutig definierten Konfliktgegner (bzw. -partner) die anonymisierte Herrschaft des Markts und des Konkurrenzprinzips getreten und die Arbeitskonflikte spielen sich in einer völlig neuen Machtlogik ab: Statt herrschaftlicher Kontrollformen hat sich die Hegemonie einer Rationalität etabliert, die über Unternehmensleitbilder, Corporate Identity, Human-Ressource-Management, 360-Grad-Feedbacks usw. auf die latenten Einstellungen und Haltungen von Beschäftigten Einfluss nimmt und daher auf unmittelbare Anweisungen und Verhaltenskontrollen verzichten und auf neue Selbstorganisations- und Partizipationsofferten an Beschäftigte setzen kann. Beschäftigte werden dazu angeleitet, ein unternehmerisches Denken und Handeln herauszubilden, das sich mit den Zielen und Verfahrensweisen des Betriebs identifiziert und damit auch die Arbeitskonflikte begrenzt. (Vgl. Heiden 2014, 79f.) Im Kontext dieser Veränderungen verlieren nun die überindividuellen und institutionellen Ebenen der Konfliktaustragung zunehmend ihre prägende Kraft für den Arbeitsalltag (siehe auch Haipeter 2004; Lehndorff 2006; Jürgens 2009, 241ff.) und es zeichnet sich ein deutlicher Wandel in Bezug auf Austragungsort wie auch auf Art und Form der Konflikte ab: Die für den Sozialstaat typischen kollektiven Arbeitskonflikte – von tarifpolitischen Auseinandersetzungen bis zu Streiks und Demonstrationen – haben stark an Bedeutung verloren, stattdessen treten immer mehr wieder die alltäglichen Arbeitskonflikte und Widerständigkeiten, in denen die subjektiven Interessen der Beschäftigten unmittelbar zur Geltung kommen, in den Vor-

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dergrund (vgl. Heiden 2014, S. 21) – eine neoliberale Rationalität, die zentral darauf abzielt, das Subjekt zu einer rationalen, produktiven und marktfähigen Ressource zuzurichten, kann nicht ohne Einfluss bleiben für das Konfliktpotenzial von Arbeit: In einem subjektivierenden Umfeld kann dieses immer weniger in die institutionalisierten Konfliktarenen kanalisiert und normiert werden, sondern muss sich analog auf die Ebene des Subjekts verlagern – was in der sozialstaatlichen Rationalität seitens der Gewerkschaften kollektiv entlang rechtlich-institutionalisierter Prinzipien reguliert wurde, wird heute von den Arbeitenden selbst ausgefochten. In der Folge haben wir es nun mit einer qualitativen wie quantitativen Veränderung der Konflikte zu tun: der Zunahme von Konfliktthemen wie auch der Zunahme der Anzahl der Konflikte bzw. von Widerständigkeiten selbst. So gibt es gerade angesichts der zahlreichen sog. atypischen Beschäftigungsverhältnisse neue individuelle Konflikte um die Verkaufsbedingungen von Arbeitskraft, etwa wie, wo und zu welchen Zeitpunkten zu arbeiten ist, es geht um Ungerechtigkeitserfahrungen, Respekt, aber auch um die konkrete Nutzung von Arbeitskraft, also insbesondere in welchem Ausmaß Arbeitskraft genutzt wird, ob Sinn-Aspekte berücksichtigt sind, wie das Verhältnis von Arbeits- und Privatsphäre justiert ist usw. Immer stärker diffundieren die Konflikte dabei ins Private hinein und es vermischen sich Arbeits- und Lebenskonflikte – in der Summe der Konflikte geht es letztlich um nichts anderes als um die Art der Arbeit und das eigene Leben, als Resultat der durch die Prozesse der Subjektivierung forcierten Pluralisierung und Erweiterung der Konfliktbereiche über den engeren Kontext der Arbeit hinaus auch auf das Leben. (Vgl. a. ebd., S. 91) Über alle Segmente hinweg führt dieser Trend in Richtung einer zunehmenden »Individualisierung des Arbeitskonflikts« (grundlegend Böhle 1994) somit dazu, dass sich der klassische Widerspruch zwischen Verwertungsinteressen einerseits und Reproduktionsinteressen andererseits von den normierten Konfliktarenen immer mehr in das Subjekt hinein verlagert. (Vgl. Heiden 2014, S. 59) Diese Verlagerung der Konfliktebene von den institutionalisierten Kollektivorganen der Interessenvertretungen auf das Subjekt heißt aber jedoch nicht notwendigerweise, wie es zahlreiche Arbeiten der Arbeits- und Industriesoziologie nahelegen, dass die Widerständigkeiten und Konfliktpotenziale verpuffen oder das Subjekt alles mit sich selbst ausmachen muss, sondern vielmehr verändert sich der Schauplatz der Austragung, nämlich in den konkreten Arbeitsalltag hinein: Dieser ist im Gegensatz zu den normierten Konfliktarenen der »Tarifpartner« nicht durch institutionelle Prinzipien abgesteckt. Auch findet der Konflikt unmittelbar, ohne Repräsentanten durch die Träger der Interessen selbst statt (vgl. ebd., S. 22) – es lässt sich nicht mehr von dem (fordistischen) Arbeitskonflikt sprechen, sondern man hat es nun mit (postfordistischen) Arbeitskonflikten im Plural zu tun. Es findet keineswegs nur eine Internalisierung gesellschaftlicher Wi-

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dersprüche, ein passives In-sich-Hineinfressen von Widerspruchserfahrungen statt, sondern viele Hinweise sprechen dafür, dass die Konfliktpotenziale und damit auch Widerständigkeiten im Alltag präsent bleiben und eine Vielzahl von Interaktionen und Beziehungen vorstrukturieren: Die Arbeitenden sind nicht nur passive Betroffene, sondern gleichermaßen auch aktive Akteure der Konflikte. Diese veränderte, auf den ersten, sozialstaatlich geprägten Blick kaum mehr wahrnehmbare Form der Widerständigkeit vermag nicht zuletzt auch den Widerspruch zu erklären, dass auf der einen Seite die im vorigen Kapitel beschriebenen Subjektivierungsprozesse in der Arbeit nicht nur neue Freiheiten und Selbstverwirklichungschancen, sondern vor allem auch gravierende Unsicherheiten und Überforderungen und damit ein gewaltiges Konfliktpotenzial mit sich gebracht haben, andererseits sich aber kaum kollektive Arbeitskonflikte wie Streiks und Demonstrationen um die Richtung und die Folgen des Wandels manifestieren. (Vgl. ebd., S. 17) So weisen Forschungsergebnisse deutlich darauf hin, dass Beschäftigte trotz des im vorigen Abschnitt beschriebenen tendenziellen Konformitätsdrucks hinsichtlich betrieblicher Interessen kritischer werden, bewusst Konflikte thematisieren und ihre Interessen selbstbewusster artikulieren (z.B. Boes, Kämpf und Marrs 2006, Dubet 2008, Detje, Menz und Nies 2011, Heiden und Jürgens 2013): Es sind eben nicht die großen klassenbasierten Konflikte, welche die Gesellschaft heute prägen (wenn sie es denn jemals taten), als vielmehr »Mikrokonfrontationen« (Mau 2012, S. 176), bei denen es um das gesamte Leben geht. Deutlich wird hieran nicht zuletzt, dass, reduziert man den Wandel von Arbeitskonflikten lediglich auf den abnehmenden Grad seiner Kollektivität sowie auf veränderte Machtressourcen der institutionalisierten Arbeiterbewegung, entscheidende Entwicklungen aus dem Blick geraten! (Vgl. Heiden 2014, S. 160) In der gewerkschaftlichen Politik und den tarifpolitischen Auseinandersetzungen findet dieser Wandel jedoch kaum Berücksichtigung, natürlich auch weil sich individuelle Arbeitsbedürfnisse und damit eben individuelle Konfliktthemen nur sehr bedingt im Sinne der Beschäftigten kollektiv regulieren lassen (u.a. Jurczyk und Voß 2000, Haipeter 2004, Seifert 2005, Lehndorff 2006) – kollektive Arbeitsauseinandersetzungen wie Streiks und Tarifkämpfe sind kein Mittel, mit dem individuelle, das Subjekt unmittelbar betreffende (Mikro-)Konflikte effektiv angegangen werden können. Denn in einer Rationalität, die auf die marktförmige Nutzung der Potentiale des einzelnen setzt, müssen natürlich auch die Rahmenbedingungen dieser Nutzung auf den einzelnen abgestimmt sein. Wie angesichts dieser veränderten Vorzeichen nun konkret Widerständigkeit gegen die neoliberale Subjektivierung zum Arbeitskraftunternehmer aussehen kann, wird in den folgenden Abschnitten beschrieben, wobei zunächst die subjektive Per-

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spektive der Arbeitenden beleuchtet wird, und dann daran anschließend mögliche Ansatzpunkte für die Gewerkschaften als verbliebener Hauptbezugspunkt einer Bewegung von Arbeitenden eruiert werden.

8.2 S UBJEKTORIENTIERTER W IDERSTAND – P ERSPEKTIVE DER A RBEITENDEN Ganz offensichtlich wirkt, das ist im vorigen Abschnitt deutlich geworden, die Ausbreitung der neoliberalen Rationalität keineswegs als Katalysator institutionalisierter Arbeitermacht. Tatsächlich scheint die Arbeiterbewegung wie auch die Kritik allgemein ihre Themen und ihre Adressaten verloren zu haben; oft genug werden die Subjektivierungen als Zwang des Marktes und Erwartungshaltung der Kunden akzeptiert, gegen die auch das Management selbst nichts mehr unternehmen könne und gegen welche die »klassischen« Konfliktaustragungsformen entsprechend nicht mehr zu greifen scheinen. Vor dem Drohpotenzial der Arbeitslosigkeit und wachsender (sozialer) Unsicherheit sind es oft genug die Beschäftigten selbst, die den Fokus auf die eigene Verwertung und die Anforderungen der Ökonomie richten und die zu ihrem Schutz von den Gewerkschaften erkämpften Regelungen freiwillig unterlaufen und oft auch unattraktive Arbeitsbedingungen und stagnierende Löhne akzeptieren und generell Konflikte eher selbst austragen als auf die institutionalisierten Interessenvertretungen zu bauen. Indem zudem nicht nur auf betrieblicher Ebene, sondern im gesamten Alltagsleben ehemals widerständige, nun aber als ökonomisch relevant erkannte Faktoren wie Flexibilität, Mobilität, Kreativität usw. als Kennzeichen eines »modernen«, erfolgreichen Lebensstils inszeniert werden, wird jede diesbezügliche Verweigerung – von der Umwelt wie auch oft vom Subjekt selbst – als gestrig und individuelles Unvermögen angesehen, mit der Zeit Schritt zu halten. (Vgl. Jürgens 2009, S. 221f.) Unweigerlich wird sich jeder, der angesichts dessen nach Handlungschancen für Widerständigkeiten im Allgemeinen wie nach einer Perspektive für eine Bewegung der ja weiterhin solchermaßen subjektivierten Arbeiter im Besonderen fragt, mit Voluntarismus-Vorwürfen konfrontiert sehen, läuft doch die Suche nach neuen, innovativen Praktiken und Programmatiken stets Gefahr, den einen Strohhalm zu suchen, der Licht am Ende des Tunnels verheißt. Hier hilft in der Tat der Rückgriff auf Foucault, mögliche Perspektiven aufzuzeigen. Denn aus Foucaultscher Blickrichtung, vor dem Hintergrund einer unhintergehbaren Gleichzeitigkeit von Macht und Widerstand, bringt der tradierte Formen von Arbeitermacht unabweisbar schwächende Neoliberalismus immer zugleich auch neue Machtquellen für Widerständigkeiten hervor, die

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sich möglicherweise auch für eine Revitalisierung einer Arbeiterbewegung nutzen lassen. 8.2.1 Widerständigkeit als Haltung und Handeln Die neoliberale Rationalität hält den Einzelnen also offenbar in einer Weise gefangen, die selbst massiven Widerspruch gegen dieses Gefangensein zu einem konstitutiven Element der herrschenden Ordnung macht. Und ein Gegen-Verhalten gegen diese Rationalität kann offenbar nicht zur Wirkung kommen, solange es sich gegen die konkreten Seinsweisen des Neoliberalismus als Widerspruch oder Kritik artikuliert, denn, wie Makropoulos und Müller ausführen, »das Prinzip des Widerspruchs liegt selbst innerhalb des Territoriums dieser Ordnung, somit ihrer spezifischen Logik und Rationalität, es weist nicht über sie hinaus, nicht weil das Widersprechen eo ipso die Spielregeln dieser Rationalität anerkennt und reproduziert, sondern weil der Widerspruch eines der konstitutiven Elemente dieser Ordnung ist«. (Makropoulos und Müller 1978, S. 15)

Widerständigkeit als Möglichkeit Letztlich ist es jedoch gerade auch die sich in dieser Offenheit gegenüber Widerständen zeigende Unabgeschlossenheit der Macht, die, wie in Abschnitt 3.4 ausgeführt, die Ansatzpunkte für Widerständigkeiten überhaupt eröffnet. Denn zwar ist die Macht »immer schon da« und es gibt zwischen den anscheinend totalitären »Maschen« des Machtnetzes »keine Inseln elementarer Freiheiten« (Foucault 1977/2002d, S. 546). Aber dies bedeutet nicht, »dass man so oder so in der Falle sitzt« (Foucault 1984/2002c, S. 916). Wie alle Machtnetze besitzt hingegen auch das neoliberale Lücken zwischen dem Maschendraht, ohne solche wären die Machtverhältnisse starr, unflexibel, unproduktiv – »[w]eil alles einfach eine Frage des Gehorchens wäre« (ebd.). Insofern bilden Macht und Freiheit für Foucault keine Gegensätze, die einander ausschließen, sondern »Freiheit« ist vielmehr eine Voraussetzung für das Funktionieren der Macht, denn zur Ausübung von Macht, bedarf es der Freiheit der Subjekte: »Macht kann nur über ›freie Subjekte‹ ausgeübt [werden], insofern sie ›frei‹ sind« (Foucault 1981/2002d, S. 287). Freiheit ist aber nicht nur eine Existenzbedingung der Macht, sondern zugleich auch gerade das, was sich der Macht entgegenstellt und sich ihr widersetzt: Gerade weil es Machtbeziehungen ohne vorausgehende Freiheiten nicht geben kann, kann es auch kein Machtverhältnis ohne die Möglichkeit von Widerstand geben. Jede Macht-

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beziehung impliziert – »gezwungenermaßen« – Widerstandsmöglichkeiten, die nicht von außen auf die Machtverhältnisse einwirken und sich ihnen gegenüberstellen, sondern vom Inneren der Macht heraus wirken und deren Form bestimmen: »Machtbeziehungen lösen ständig Widerstand aus, sie provozieren und ermöglichen Widerstand« (Foucault 1977/2002c, S. 525) – wenn es keine Widerstandsmöglichkeiten gäbe, gäbe es also auch keine Machtbeziehungen. In Bezug auf das Subjekt heißt dies, dass auch das Subjekt gerade nicht komplett in der Macht aufgeht und von der Macht produziert ist, sondern selbst aktiv, produzierend ist: Einerseits wirkt die Macht auf das Subjekt ein und ist diesem vorgängig, andererseits kann Macht aber auch nur gegenüber Subjekten ausgeübt werden, setzt diese also voraus und beruht damit letztlich auf der Offenheit gegenüber Handlungsmöglichkeiten und damit auf einem absoluten Moment von Freiheit (vgl. Bröckling 2007, 19f.): Auch wenn man sich also von der Vorstellung eines mit sich identischen Selbst verabschiedet, den »Tod des Subjekts [. . . ] als Ursprung und Grundlage des Wissens der Freiheit, der Sprache und der Geschichte« (Foucault 2009b, S. 351) einläutet, so heißt dies keineswegs, dass dieses Subjekt nicht mehr wäre als ein bloßer »Effekt« im »Kerkergewebe der Gesellschaft« (Foucault 1975/1998, S. 393) und »widerstandslos gestaltbare[s] und manipulierbare[s] Wesen« (Honneth 1985, S. 221). Natürlich gibt es auch offensichtliche Formen der Machtausübung, die offene Kämpfe hervorgebracht haben, wie etwa Kämpfe gegen koloniale oder sonstige Gewaltherrschaften, oder auch Teile der Kämpfe der Arbeiter in der Frühzeit der Industrialisierung. Dies sind, wie Foucault betont, lokal verfestigte Formen von Macht mit eigenen Techniken und Funktionsweisen. Unter solchen Herrschafts-Beziehungen sind Praktiken der Freiheit nur sehr eingeschränkt möglich und die Befreiung von dieser Herrschaft ist historische Bedingung für Praktiken der Freiheit. (Vgl. Foucault 1984/2002a, S. 878) So gab es seitens der Arbeiter zahlreiche Kämpfe auch gegen die ökonomische Unterdrückung und Abhängigkeit. Daneben aber auch, wie oben ausgeführt, die Kämpfe gegen die Moralisierung und Disziplinierung zur Produktivkraft, wodurch offenkundig wurde, dass innerhalb der liberalen Rationalität eine Widerstands-Form entstehen konnte, die diese Rationalität von innen heraus infrage stellt und mit der Praxis der Solidarität die liberale Subjektivierung gewissermaßen unterläuft. Wenn auch die Rationalität der Arbeiterbewegung neue, eigene Hegemonien und Subjektivierungen bedingt, so konnte in der vorliegenden Arbeit doch klar herausgearbeitet werden, dass eine einmal gegebene Rationalität nicht geschichtslos und unabänderlich ist.

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Wahrnehmung des Unerträglichen Foucault gehört in diesem Sinn zu jenen Denkern der »gebrochenen Aufklärung«, für welche die Aufklärung eben nicht quasi »von selbst« zu Freiheit führt, sondern diese selbst stets neue Unfreiheiten produziert, die immer wieder aufs Neue erkannt und bekämpft werden müssen. Dies gilt in Bezug auf den Neoliberalismus umso mehr, stellt sich hier doch die Frage, wovon man sich befreien soll, wenn anscheinend ein tiefes inneres Verlangen nach Freiheit und die Suche nach unkonformem AndersSein letztlich der Antrieb unternehmerischen Handelns ist. (Vgl. a. Bröckling 2007, S. 285) Diese Frage ist gerade der Ausgangspunkt für ein genealogisches Vorgehen, das sich eben nicht (wie die meisten klassischen Kritikformen) auf etwas richtet, das eindeutig als Schaden oder Übel erkannt ist, sondern auf etwas, »an dessen Sinn und Geltung geglaubt wird, obwohl es seine Versprechungen nicht einlöst oder gar schadet«. (Saar 2007, S. 292) Es gilt hier gewissermaßen, einen im Verborgenen stattfindenden, unsichtbaren Kampf genealogisch wieder sichtbar zu machen, das Eindringen der Macht in unsere Existenzen aufzudecken, und damit überhaupt erst einmal die Grundlage zu schaffen, auf der sich ein Gegen-Verhalten entwickeln kann. Denn die Genealogie zielt gerade darauf ab, dass man etwas eigentlich Unerträgliches, das man aber bislang ertragen hat, nun als unerträglich wahrnimmt, um dann – idealerweise – den Wunsch auszulösen, nicht so ein Subjekt sein zu wollen, und entsprechend den bislang fehlenden Anstoß zum Handeln zu geben. (Vgl. ebd.) Genealogische Geschichtsschreibung ist in diesem Sinne wie gezeigt (Kapitel 2) Instrument zur Verfremdung und Defamiliarisierung des Gewohnten und Selbstverständlichen und zeigt so auf, dass die gegenwärtige Ordnung des Wissens weder notwendig noch die einzige ist und schafft so die Voraussetzung, sich gegen diese Unterwerfung zu wehren. Die Genealogie zielt damit insbesondere auf jene Fälle, in denen unsere alltäglichen Praktiken und Handlungen dazu beitragen, an Ordnungen zu glauben und diese aufrechtzuerhalten, obwohl uns diese Ordnungen eigentlich schaden. Wir werden in diesen Fällen gewissermaßen zu »Komplizen« (ebd., S. 331) der schädlichen Ordnungen, sei es weil uns die Distanz fehlt, ihre Schädlichkeit zu erkennen, oder auch weil uns der Preis, die Ordnungen zu verwerfen als zu hoch erscheint. So gesehen ist genealogische Kritik immer auch Selbst-Kritik, impliziert die Aufforderung zu reagieren doch auch, dass man bislang – wissentlich oder unwissentlich – nicht reagiert und das Schädliche hingenommen und erduldet hat. Wenn solchermaßen Ordnungen problematisch werden und Subjektivierungsweisen ihren schädlichen Charakter zeigen, wird die Art und Weise, wie und als was man bislang gelebt hat, brüchig – und dass es nun als etwas Unerträgliches wahrgenommen wird, ist letztlich, wie Saar

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schreibt, schmerzhaft für jeden, der Teil dieser Ordnung war: »es weckt das Gefühl, bei seiner eigenen Unterwerfung beteiligt zu sein« (ebd., S. 333). Dieses Gefühl kommt allerdings nur dann überraschend, wenn die eigene Identität nicht ohnehin schon, etwa aufgrund von Diskriminierungserfahrungen, problematisch geworden ist. Daher »schockiert« die genealogische Erzählung auch lediglich Personen mit als sicher und natürlich angesehenen Selbstverständnissen. Für all jene, deren Art zu sein ohnehin von der gesellschaftlichen Ordnung infrage gestellt worden ist, erscheint der genealogische Text nicht als Auslöser der Zweifel am So-Sein, sondern eher als Erklärung dieser Zweifel: Die Selbstzweifel und das Gefühl »anormal« zu sein können so zu der Einsicht werden diskriminiert zu werden, und zu einer Politisierung des Unbehagens am Sein führen. (Vgl. ebd., S. 333f.) In diesem Sinn ist auch die vorliegende Arbeit wie schon zu Beginn angekündigt, gewissermaßen als Anwendung und Ergebnis ihrer eigenen Methodik zu sehen: als Versuch nämlich, apokryphisch die Geschichte des Widerstands der Arbeiter und deren Einbettung in eine Geschichte der Gegenwart zu erzählen, und dadurch die Notwendigkeit dieser Geschichte als kontingent zu erzählen, die neoliberale Rationalität als nur vorläufiges Resultat einer Dynamik zu präsentieren, um so Zweifel an der Notwendigkeit des Neoliberalismus als »Endpunkt« der Geschichte zu nähren, und damit schließlich gerade keinen Fatalismus heraufzubeschwören, sondern die prinzipielle Möglichkeit eines anderen Machtspiels aufzuweisen. Solche Genealogie als Kritik ist, wie Saar darlegt, »kein Prüfungsverfahren mit vorhersagbarem Ausgang« (ebd., S. 342); sie besteht nicht aus einem Set Kriterien oder einem klar vorgegebenen Prozedere, sondern ist eine Technik, mit der durch ein bestimmtes Erzählen eine Selbstreflexion eingeleitet wird, welche den Einzelnen mit sich selbst, seiner Identität, seinen Haltungen und seinen Überzeugungen konfrontiert, diese infrage stellt und so die bestehenden Selbstverständnisse in Bewegung setzt und vielleicht sogar zum Erschüttern bringt. Wozu diese Erschütterungen dann am Ende führen und ob sie überhaupt eine Verhaltensänderung nach sich ziehen, lässt sich genealogisch aber nicht präjudizieren oder auch nur vorhersagen; dies liegt wiederum jeweils beim Einzelnen selbst. (Vgl. ebd.) Denn wie Freiheit und Macht ist auch die Wirkung dieses genealogischen Vorgehens kontingent und nicht zuletzt abhängig vom »Möglichkeitssinn«7 des Lesers, der sich wiedererkennen soll und sich auf die gegebenen Beschreibungen einlässt: Die genealogische Kritik versucht, »aus der Kontingenz, die uns zu dem gemacht hat, was wir sind, die Möglichkeit heraus [zu] lösen, nicht mehr das zu sein, zu tun

7 | Musil 1930/1994, vgl. zum Terminus »Möglichkeitssinn« a. Blumenberg 1964, Plessner 1928/1975, Makropoulos 2009.

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oder zu denken, was wir sind, tun oder denken« (Foucault 1984/2002f, 702f.). Der kritische Einsatz der Genealogie besteht entsprechend nicht darin, neue und neutrale Normen zu generieren, sondern einen »Sinn für das Nichtnotwendige zu erzeugen, d.h. für das, was nur ist, weil eine bestimmte Macht wirkt.« Das Lesen genealogischer Texte ist dabei selbst schon unmittelbare Selbstkritik und Selbstveränderung – was zwar nicht wenig ist, aber auch keine totale Befreiung darstellt. Denn letztlich bleibt offen, ob es ein »Jenseits der Regierungen des Selbst gibt« (Bröckling 2007, S. 44), aber die Genealogie besteht darauf, zumindest die Zumutungen aufzuzeigen, die den Einzelnen durch die Subjektivierungen auferlegt werden. So ist, abgesehen von der Möglichkeit, sich selbst zu verändern, keine Orientierung gegeben, in welche Richtung oder auf welches Ziel hin diese Veränderung stattfinden könnte. Und mehr noch: Jede mögliche Veränderung bleibt bezogen auf die herrschende Gouvernementalität und die vorhandene Subjektivität, insofern dadurch der Rahmen des Verfügbaren vorgegeben ist. (Vgl. ebd., S. 285f.) Zudem besteht, wie auch Ulrich Bröckling darlegt, stets die Gefahr, dass die Kritik und das Hinwirken auf Veränderungen jenseits der herrschenden Regierungsrationalität am Ende in einer Art und Weise zu deren Modifikation beitragen, dass die Regierungsrationalität im selben Zug neu stabilisiert und verfestigt wird – avancierter und besser funktioniert: »In dem Maße, in dem Widerstände gegen die Zurichtung des Selbst sich selbst rationalisieren und ein Subjektivierungsregime durch subversive Strategien und Taktiken zu konterkarieren versuchen, etablieren sie selbst eine andere Form des Regierens und Sich-selbst-Regierens – ein Gegenregime, dessen Funktionsweise und Ratio wiederum in der gleichen Weise zu untersuchen wäre wie das bekämpfte.« (Bröckling 2007, S. 41)

Nichts garantiert somit, dass dieser abstrakt-strukturelle Widerstand wirklicher Widerstand wird. Jede Weise, sich selbst zu führen, unterliegt dem Risiko, vom Neoliberalismus aufgenommen und funktionalisiert zu werden. (Vgl. ebd., S. 40f.) Aber auch wenn dies damit letztlich eine Schlacht ist, in der man keinerlei Möglichkeit eines finalen Sieges sieht, so erscheint die Teilnahme an dieser Schlacht doch die einzige Möglichkeit zu sein, heute Gegen-Verhalten auszuüben und das evtl. vorhandene Gefühl des Unbehagens am Neoliberalismus in ein Handeln zu überführen. Ethos des Möglichen Wie aber könnte ein solches Handeln aussehen, wo muss es konkret ansetzen? Fluchtbewegungen können die neoliberale Gouvernementalität nur von jenen Stellen her disqualifizieren, an denen die Maschen der Macht löchrig sind, an denen sich der

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Neoliberalismus in der Position des Reagierenden und nicht des Agierenden befindet – man muss also an dem prinzipiellen Punkt des Foucaultschen Machtbegriffs ansetzen, dass die Subordination keine totale ist und der Neoliberalismus wie jede Macht entsprechend permanent gefordert ist, Fluchtversuche zu blockieren, zu behindern, zu unterdrücken. Denn das prinzipielle Entziehen aus dem neoliberalen Spiel ist mit Foucault eben nicht möglich. So ist die Geschichte des Neoliberalismus eine Geschichte, in der Macht und Gegen-Verhalten demselben Netz angehören, nicht wie bei Herrschaftsverhältnissen sauber getrennt in ein Oben und Unten, sondern so eng ineinander verwoben, dass sie sich kaum voneinander unterscheiden lassen. Deshalb führen auch Massenrevolten kaum zum Ziel – die »Gegner« sind viel zu diffus, als dass sie einfach greifbar und »aufs Schafott« zu bringen wären. Die Beziehungen zur Macht fehlen oder sind zu sehr Teil der eigenen Subjektivität als dass man sie direkt angreifen könnte. Anstelle des strikten Neins und der umfassenden Verweigerung bzw. der großen Konfrontation mit dem »Hauptfeind« (dem Kapital, der Globalisierung etc.) gilt es folglich viele kleine unmittelbare Kämpfe zu kämpfen, die auf den nächstgelegenen und auf den Einzelnen unmittelbar einwirkenden Gegner abzielen. (Vgl. Foucault 1981/2002d, S. 274) Entsprechend ist die Lösung der Probleme nicht irgendwo in der Zukunft (in der Revolution, dem Ende des Klassenkampfs und der endgültigen Befreiung) gesucht, sondern im Hier und Jetzt, in vielen kleinen temporären Verweigerungen und widerständigen Gesten, in einer Politik der Nadelstiche aus zahllosen Alltagskonflikten, dem Sich-nicht-einnehmen-Lassen von der ökonomischen Verwertung, Sich-Absetzen, Nutzen von Fluchten, wie es sich etwa auch in den kleinen widerständigen Momenten der frühen Arbeiterbewegung fand, deren »blaue Montage«, Ausschweifungen und Disziplinverstöße, die das produktive Spiel der bourgeoisen Macht konterkarierten und herausforderten. Hierzu gehören die Gleichgültigkeit gegenüber Brüchen und Diskontinuitäten, das Setzen auf Gestaltungsspielräume und auf Vertrauen, das Negieren oder eigene Interpretieren von äußeren Zwängen und Vorgaben, die Offenheit für Neuformierungen ohne zentralen Plan oder ideologischen Anker, die Egopreneurship, wie sie unter dem Terminus Generation Y für eine Generation an Arbeitnehmern beschrieben werden kann, die loyal gegenüber dem Team, aber nicht gegenüber ihrem Arbeitgeber sind (siehe S. 346ff.). Es ist in gewissem Sinn eine »anarchische Subjektivität« (Schäfer 1995), ein prinzipieller Skeptizismus, der auch das Selbst mit umfasst und der keiner Lebensweise verpflichtet ist, sich »kritisch gegen jede Form des Daseins« wendet, also letztlich das Ziel hat, »der Welt nicht verfallen zu wollen« (ebd., S. 54). Es geht hier um die Einsicht in die Situiertheit des eigenen Seins, seines Denkens und Handelns, und

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damit um ein inneres Freisein, um die »Befreiung von der Selbstzwangapparatur« (Moldaschl 2003, S. 162). Daher bleibt der Prozess oder Kampf der Kritik auch ein unabschließbarer. Der schlaraffische Zustand der »heilen Welt« wird sich niemals einfinden und kann auch nicht durch die eine große Revolution herbeigeführt werden: Es gibt »keinen anderen, ersten und letzten Punkt des Widerstands gegen die politische Macht [. . . ] als die Beziehung seiner selbst zu sich« (Foucault 1982/2004, S. 313). Aber ohne diese permanente Anstrengung wird sich an den bestehenden Machtverhältnissen auch nichts ändern: (vgl. Saar 2007, S. 342) »Kritik darf nicht die Prämisse einer Deduktion sein, an deren Ende steht: Das ist es, was getan werden muß. Sie sollte ein Instrument sein für jene, die kämpfen, Widerstand leisten und nicht mehr länger wollen, daß es bleibt, wie es ist. Sie sollte in Prozessen von Auseinandersetzungen und Kämpfen und Versuchen von Widerstand eingesetzt werden. Es ist nicht ihre Aufgabe, das Gesetz für das Gesetz zu machen. Sie ist nicht eine Stufe in einem Programm. Sie ist eine Kampfansage gegen das, was ist.« (Foucault 1980/2002a, S. 32)8

Damit ist das auf solcher Kritik aufbauende Gegen-Verhalten von »klassischeren« Widerstandsformen abzugrenzen, die gewissermaßen zu ent-disziplinieren sind: Es gilt nicht, Kritik zu üben um zu (ver-)urteilen, sondern Kritik zu üben und Alternativen zu leben, die man scheinbar nicht hat. Diese Kritik ist insbesondere von der vom Neoliberalismus eingeforderten Kritik zu unterscheiden. Wie gezeigt ist es Teil der neoliberalen Regierungstechnik, Kritik positiv zu belegen und einzufordern – ob zur Selbstoptimierung oder auch zur Produktverbesserung wie etwa im Kontext des arbeitenden Kunden. Diese Kritik hat sich jedoch innerhalb eines ganz bestimmten

8 | Diese Bestimmung von Kritik erinnert an das, was Marx angesichts der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland in Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie die »Kritik im Handgemenge« genannt hat: »Die Kritik, die sich mit diesem Inhalt befaßt, ist die Kritik im Handgemenge, und im Handgemenge handelt es sich nicht darum, ob der Gegner ein edler, ebenbürtiger, ein interessanter Gegner ist, es handelt sich darum, ihn zu treffen. Es handelt sich darum, den Deutschen keinen Augenblick der Selbsttäuschung und Resignation zu gönnen. Man muß den wirklichen Druck noch drückender machen, indem man ihm das Bewußtsein des Drucks hinzufügt, die Schmach noch schmachvoller, indem man sich publiziert. Man muß jede Sphäre der deutschen Gesellschaft als die partie honteuse der deutschen Gesellschaft schildern, man muß diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, daß man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt! Man muss das Volk vor sich selbst erschrecken lehren, um ihm Courage zu machen«. (Marx 1844/1974, S. 381)

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und klar umrissenen Rahmens zu bewegen: Sie darf nicht das Unternehmen/die Person/das System als solches infrage stellen, sondern muss stets konstruktiv und an der Sache orientiert sein, um dieser zu dienen. Wirklich widerständig ist Kritik dementgegen bspw. erst dann, wenn sie, wie Jens Badura schreibt, in einer absoluten »Nichtung« des Kritisierten mündet und so jedes Zurückverweisen auf dieses Kritisierte nachhaltig unmöglich macht, denn andernfalls bleibt die Kritik stets selbst im Kritisierten verhaftet und von diesem bestimmt. (Vgl. Badura 2006, S. 150) Es geht Badura zufolge also nicht darum, dass mit Kritik eine andere Welt möglich ist, also diese bestimmte andere Welt, sondern darum, dass eine andere Welt möglich ist: Es geht nicht um irgendwelche konkrete Alternativen, sondern um die Erhaltung von Optionen überhaupt, »um DAS ALTERNATIVE selbst«, also einen »Alternativen-Plural« (ebd., S. 152; Kapitälchen i. Org.). Zentral ist hier der »Akt der Öffnung für das anders Mögliche«, wodurch man diese Art der Kritik in Anlehnung an Derrida als »dekonstruktive« Kritik (Derrida 1967/2003) bezeichnen könnte, die weder konstruktiv noch einfach negativ destruktiv ist (das Andere, Neue wird schließlich permanent produziert). Solche dekonstruktive Kritik ist kein aufgrund besseren Wissens oder anderer Maßstäbe legitmiertes Beurteilen, sondern eine »kultivierte Unterstellung von Kontingenz gegenüber allem, was Geltung in Anspruch nimmt«, basierend auf einer »Kontingenzkultur des Denkens«, in der realisierte Wirklichkeiten als verwirklichte Möglichkeiten (und nicht Notwendigkeiten) interpretiert werden und der »Raum des ANDERS MÖGLICHEN als Teil des Lebensraumes« (Badura 2006, S. 153; Kapitälchen i. Org.) gesehen und v.a. eingefordert wird. Erst so wird Kritik zu mehr als einer leeren, vom bloßen Wunsch nach Distinktion getragenen Geschmacksbehauptung: Die Welt zu interpretieren und sie zu verändern ist nicht das Gleiche, so organisch die beiden Dinge auch zusammenhängen mögen. Kritik repräsentiert somit also weniger ein neutral-theoretisches Wissen, ist nicht die Einsicht in die notwendigen Grenzen des Wissens oder die Folge einer richtigen Erkenntnis der Dinge, sondern ein Ethos des Möglichen, das sich selbst begründet, ohne sich durch den Rekurs auf ein ihm äußerliches Wissen legitimieren zu müssen. In diesem Sinne ist auch Widerstand kein totaler Ausstieg aus der Selbstoptimierung (was kaum möglich wäre), sondern vielmehr eine permanente Anstrengung, den neoliberalen Zumutungen gegenüber wachsam zu sein und sich, wenn auch nur zeitweilig, spontan und so weit wie möglich von diesem abzusetzen und zu entziehen, freien Zugang und Kontrolle über sich selbst zurückzugewinnen, um seine Würde zu kämpfen und auf eine Zeit hinzuarbeiten, »an die wir unser Herz verlieren.« (Unsichtbares Komittee 2010, S. 62). Es ist dieses Ethos, auf das auch Foucault abzielt: Für ihn realisiert sich Freiheit erst in der Handlung, also der Ausübung. Entsprechend fordert er eine kritische Ar-

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beit »von uns selbst an uns selbst« (Foucault 1984/2002f, 703f.), eine »endlose Arbeit der Freiheit« (ebd., S. 703), die jedoch prinzipiell unabgeschlossen und immer nur für bestimmte historische Situationen zu leisten ist. Angetrieben wird diese Arbeit durch das Zurückweisen der Fremdbestimmungen durch vermeintlich unvermeidliche oder natürliche Gegebenheiten und Zwangsläufigkeiten. Insofern fußt diese Arbeit nicht auf einer etwa philosophischen Theorie, sondern ihr Impuls muss einem Ethos folgen, eine ethisch-politische Haltung, eine »Tugend« (Foucault 1990, S. 9) sein: »eine moralische und politische Haltung, eine Denkungsart, welche ich nenne: die Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden bzw. die Kunst, nicht auf diese Weise und um diesen Preis regiert zu werden« (ebd., S. 12). In seinem berühmten Text über Kant stellt Foucault dieses und sein Vorgehen explizit in die Tradition der Aufklärung und bestimmt es dabei weniger als Theorie oder Lehre, sondern dezidiert als Haltung oder Ethos.9 Sucht man die Gegenwart nicht mehr von einer (bspw. christlichen oder marxistischen) Totalität oder einer zukünftigen Vollendung her zu definieren, sondern nimmt sie als Ausgangspunkt, impliziert dies auch eine Aufgabe und Pflicht, von seiner Vernunft Gebrauch zu machen und sich aus einer bestimmten Subjektivierung – Kant spräche von »Unmündigkeit« – zu befreien. Es geht um eine »Art und Weise zu denken und zu fühlen, und auch eine Art und Weise zu handeln und sich zu verhalten, die zugleich eine Zugehörigkeit bezeichnet und sich als eine Aufgabe darstellt.« (Foucault 1984/2002f, S. 695) Die Einnahme eines solchen »reflexiven Verhältnisses zur Gegenwart« (ebd., S. 700) und einer solchen Haltung ist eine »freiwillige Wahl« (ebd., S. 695), und damit letztlich eben eine Frage des Ethos: Man muss reflektieren, welcher Anteil an dem als universal, notwendig und obligatorisch Gegebenen singulär, kontingent und willkürlichen Zwängen geschuldet ist, um dann in der Folge die »Kritik in eine praktische Kritik in der Form möglicher Überschreitung umzuwandeln«. (Foucault 1984/2002f, S. 702) 8.2.2 Praktiken der Freiheit Insofern als die neoliberalen Machtbeziehungen zentral am Subjekt ansetzen, zugleich aber Macht und Widerstand eins sind, kann auch Widerstand nur aus dem Subjekt selbst kommen. Es gilt folglich, die vom Neoliberalismus nahegelegte Identität

9 | Foucault unterscheidet dieses Ethos allerdings auch klar von dem Kantischen Programm der Konstitution eines übergreifenden, sich selbst begründenden Geltungs- und Kompetenzbereichs der reinen Vernunft. An dem Ethos der Aufklärung können und sollen wir festhalten; das transzendentale Begründungsprogramm dagegen ist hinfällig und sollte preisgegeben werden. (Vgl. Geuss 2003, S. 150)

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zurückzuweisen: Die oben beschriebenen Subjektivierungstechnologien konvergieren über den Modus der Selbststeuerung höchst effizient darin, dass sie »das Individuum nützlich machen«, um es unter umfassendem Rückgriff auf seine Subjektivität für die Ökonomie wirksam werden zu lassen: »Diese Form von Macht wird im unmittelbaren Alltagsleben spürbar, welches das Individuum in Kategorien einteilt, ihm seine Individualität aufprägt, es an seine Identität fesselt, ihm ein Gesetz der Wahrheit auferlegt, das es anerkennen muß und das andere in ihm anerkennen müssen« (Foucault 1981/2002d, S. 275) So gesehen, ist Identität bzw. Subjektivierung hier nichts anderes als eine besondere Form des Unterworfenseins, nämlich des Unterworfenseins gegenüber den internalisierten Disziplinierungen, gegenüber sich selbst, und dies gilt es abzuweisen. Hauptzielscheibe ist also die Selbstverständlichkeit der gegebenen Lebensform und die (angebliche) Naturwüchsigkeit bzw. Notwendigkeit oder Unveränderlichkeit der gegebenen Identität.10 Wie aber sieht nun der Widerstand gegen die neoliberale Identität des Arbeitskraftunternehmers konkret aus? In der Rationalität der Gesellschaft ließ sich, wie gezeigt, Subjektivierung im Wesentlichen beschreiben als Prozess der Normalisierung, wobei sich in den von den Gewerkschaften durchgesetzten Regulierungen in Bezug auf Arbeitszeit, Lohnbildung, allgemein Arbeitsgestaltung, wie auch im Versicherungswesen die Identität des Arbeiters als schutzbedürftige, normalisierte (Massen-) Arbeitskraft widerspiegelt. Der Arbeiter, der den im Sozialstaat gesetzten Raum des Normalarbeitsverhältnisses verlassen hat, verkörpert in diesem Sinne gewissermaßen das, was sich der Subjektivierung zum fordistischen Normalarbeitnehmer widersetzt. Und in der Tat war es nicht zuletzt auch dieser Widerstand, der die sozialstaatliche Rationalität zum Fall gebracht hat. Setzt man an die Stelle des normalisierten Lohnarbeiters den neoliberalen Arbeitskraftunternehmer, wäre auf den ersten Blick das Gegenüber derjenige, der selbstzerstörerisch Sabotage an dem Unternehmen, das er ist, betreibt. Vor allem im klinischen Bild der Depression und des Burn-out11 kehrt das Anforderungsprofil des Neoliberalismus gewissermaßen als Negativbild wider: antriebslos, emotional erstarrt statt flexibel, zurückgezogen statt vernetzt, ohnmächtig statt ermächtigt, selbstzweifelnd statt selbstbewusst – konstitutionell überfordert. (Vgl. Bröckling 2007, 289ff.) Ähnliches gilt für den Süchtigen, der als abhängiger nie »frei« genug ist, selbständig und eigenverantwortlich sein Leben zu meistern. Näher betrachtet sind aber beide

10 | Vgl. Geuss 2003, S. 151 sowie zur »Kritik von Lebensformen« Jaeggi 2013. 11 | Siehe hierzu auch Voss 2013.

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Modi nicht wirklich geeignet, den Maschen der subjektivierenden Macht zu entkommen, denn beide bleiben letztlich genau jenen Kategorien verhaftet, die durch die genannten Diskurse und Technologien vorgegeben sind.12 Zudem ist das unzulängliche Individuum ja nicht Gegenüber des unternehmerischen Selbst, sondern vielmehr gerade dessen Gegenstand und Zielscheibe der neoliberalen Subjektivierungstechnologien. Wenn es Burn-out oder Depressionen erleidet, ist dies bloß Symptom, kein Verhalten, und damit maximal Signal an den Neoliberalismus, seine Technologien ggf. feiner zu justieren. Es ist die Autoimmunkrankheit des Neoliberalismus, der vorgebeugt werden muss und die daher auch Teil des Diskurses sein darf. Selbst der Rückzug in Faulheit und Nichts-Tun, wie etwa Ende der 1990er von den »Glücklichen Arbeitslosen« propagiert,13 kann dem Neoliberalismus nicht wirklich etwas anhaben. Zwar widersetzen sie sich dem neoliberalen Arbeitsethos, doch kann sich der Neoliberalismus darauf verlassen, dass genügend Potential vorhanden ist, deren Tätigkeit aufzufangen – die bloße Arbeitskraft steht, das wurde oben gezeigt, im Neoliberalismus nicht mehr im Fokus der Machttechnologien. (Vgl. Bröckling 2007, 289ff.) Auf der Gegenseite von Depression und Arbeitslosigkeit wiederum steht die »liberale Ironikerin« (Rorty 1989), die die Gesetze des Marktes und ihre paradoxen Anforderungen an Individuen kennt, weiß, was ihr zugemutet wird – aber eben auch mitspielt und sich vernutzen lässt. So führt die ironische Distanzierung den Neoliberalismus bloß zu immer neuen Höhen, bis diese selbst wieder ironisch gebrochen und auf eine andere Ebene gehoben werden. (Vgl. Bröckling 2007, 289ff.) Jedoch ist das prinzipielle Entziehen aus dem neoliberalen Spiel in einer Foucaultschen Perspektive wie dargelegt genauso wenig möglich. Um die Machtspie-

12 | Vgl. zu »durcheinander gebrachten« Körpern wie etwa dem depressiven oder drogensüchtigen Körper als möglichem Widerstandsmoment auch Gilles Deleuze’ Ansatz des »organlosen Körper« (z.B. Deleuze und Guattari 1980/2010). 13 | »Die Glücklichen Arbeitslosen« nannte sich eine Gruppe, die Ende der 1990er mit »Faulheitspapieren«, »Propaganda durch Tat, Untat und vor allem Nicht-Tat.« und anderen Aktionen einige Provokationen auslöste. Die »Müßiggängster«, so der Titel einer ihrer Veröffentlichungen, widersprachen der Annahme, dass Arbeitslose ein trauriges Dasein hätten, mit dem sie hadern müssten. Vor diesem Hintergrund kreierten sie »Ohnemich-AGs, »Bündnisse für Simulation« (»Ihr tut so, als ob ihr Arbeitsplätze schafft, wir tun so, als ob wir arbeiten«), postulierten »kreative Passivität« und praktizierten damit – ganz im Foucaultschen Duktus – eine Form von Kritik, die sich der unternehmerischen Ratio, insbesondere ihrem Arbeitsethos, widersetzte, ohne zugleich ein explizites, utopisches, Gegenmodell zu präsentieren. (Vgl. Paoli 2002 sowie Bröckling 2007, 294f.)

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le zu verändern, muss man das Spiel mitspielen; wir kommen daran nicht vorbei. Aber gerade weil wir keine andere Wahl haben, »machen wir diese Tatsache zum Ausgangspunkt der Wahl, dies nicht zu akzeptieren« (Lemke 1997, S. 369). Ulrich Bröckling schlägt an dieser Stelle die Potenzierung des Anders-Seins vor – anders anders zu sein: »Der Markt ›verarbeitet‹ unentwegt Alteritäten, indem er sie entweder als Alleinstellungsmerkmale privilegiert oder sie als unverwertbar aus dem gesellschaftlichen Verkehr ausschließt. Die Kunst, anders anders zu sein, ist der Versuch, immer wieder die Unausweichlichkeit dieser Alternative in Frage zu stellen und Wege jenseits von Einverleibung und Aussonderung aufzutun. Sie verlangt deshalb immer neue Absetzbewegungen, ein geschicktes Ausnutzen von Chancen, den Mut zur Zerstörung, Beweglichkeit, Eigensinn – und damit selbst durchaus unternehmerische Tugenden. Gleichwohl erschöpft sie sich nicht in Mimesis. Die Künstler des Andersanders-Seins beschleunigen nicht einfach nur den Wettbewerb der Alteritäten und präsentieren sich keineswegs bloß als geschicktere Unternehmer in eigener Sache. Beharrlich setzen sie vielmehr dem Distinktionszwang ihre Indifferenz entgegen, dem Imperativ der Nutzenmaximierung die Spiele der Nutzlosigkeit und bestehen darauf, dass es jenseits der Nötigung zu wählen und der Unfreiheit, nicht wählen zu dürfen, noch etwas Drittes gibt: die Freiheit, nicht wählen zu müssen. Doch auch das Nichtentscheiden und Nichttun erheben sie keineswegs zur alleinigen Maxime. Anders anders zu sein, schließt Verweigerung ebenso ein wie Verweigerung der Verweigerung.« (Bröckling 2007, S. 286)

In diesem Sinne ist Widerstand kein totales Gegen-Verhalten gegen die neoliberale Subjektivierung, kein Ausstieg aus der Selbstoptimierung, sondern vielmehr eine permanente Anstrengung, eine eigensinnige, widerspenstige oder subversive, aber vielleicht auch wie bei Melvilles Bartleby sanfte Praxis eines »I would prefer not to«,14 eben ein Ethos, den neoliberalen Zumutungen gegenüber wachsam zu sein und sich, wenn auch nur zeitweilig, so weit wie möglich diesen zu entziehen: Indem Bartleby sich weigert, das Spiel mitzuspielen, enthüllt er dessen trügerische Substanzlosig-

14 | »Bartleby der Schreiber« (Melville 1853 /2004) ist ein schweigsamer Kanzleiangestellter, der nach und nach immer mehr der ihm aufgetragenen Tätigkeiten mit der Formel »I would prefer not to« ablehnt und sich sukzessive in einer Nische der Kanzlei einrichtet ohne anscheinend überhaupt noch etwas zu tun. Um der zersetzenden Wirkung von Bartlebys höflicher Weigerung zu entkommen, zieht der Anwalt schließlich um, woraufhin Bartleby vom Nachmieter aus dem Zimmer geworfen wird und schließlich im Gefängnis landet, wo er letzten Endes aufgrund der gleichermaßen formelhaft verweigerten Nahrungsaufnahme stirbt. Vgl. zur Interpretation v.a. Deleuze 1994 und Agamben 1998.

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keit. Seine Formulierung des »lieber nicht Mögens« ist weder eine klare Verneinung oder demonstrative Verweigerung, noch enthält sie eine konkrete Alternative: »diese Formel schwebt im Unentschiedenen, im Möglichkeitsraum der Kontingenz« (Holl 2014) und enthält so die Utopie von Zwischenräumen in einem auf reibungsloses Funktionieren angewiesenen System. Es ist eine Utopie, insofern als sie Kompromisse ablehnt – Bartleby stirbt am Ende – und folglich nicht die Lösung, aber ein Symbol für die Möglichkeitsarmut des Daseins, und für das Infragestellen, dass die »einfache« Erfüllung von Anforderungen zu einem gelingenden Leben führen kann, ohne aufzuzeigen, wie dies sonst geschehen kann. Mikro-Widerständigkeiten So verstanden äußert sich Widerstand also eben nicht in der einen großen Revolte, auf die manche Teile der Arbeiterschaft vielleicht noch immer hinhoffen, sondern Widerstand heute besteht wie bereits beschrieben aus vielen kleinen temporären Verweigerungen und Fluchten. Und in der Tat finden sich in empirischen Studien bereits – wenn auch meist eher implizit – diverse Hinweise auf alltägliche (verdeckte oder auch offene) Verweigerungshaltungen, die sich von latenten Abwehrhaltungen, in der »Devianz von der Arbeitsrolle« (Ungenauigkeiten, Willkür oder Protest) oder in »Distanzierungen« durch Nebenbeschäftigungen (Unterhaltungen, Körperkontakte, Tagträume, Unterbrechungen, Radiohören oder Lesen) bis hin zur Verweigerung einzelner Arbeitsanforderungen, »Dienst nach Vorschrift«, »innerer« oder auch faktischer Kündigung des Arbeitsverhältnisses erstrecken.15 (Vgl. Jürgens 2009, 264f.). Die vielfach diagnostizierte Abnahme an Kämpfen um die Arbeit ist vor diesem Hintergrund somit nur eine scheinbare. Tatsächlich haben sich mit der Verschiebung der Rationalität und damit der Machtkonstellation im Neoliberalismus, wie in Abschnitt 8.1.2 dargelegt, vielmehr Austragungsort, wie auch Art und Ausdrucksform der Konflikte und Widerständigkeiten grundlegend gewandelt und diese in einen völlig veränderten Kontext gesetzt: Was in der sozialstaatlichen Rationalität seitens der Gewerkschaften kollektiv entlang rechtlich-institutionalisierter Prinzipien und vom Unternehmen als eigentlichem Ort des Arbeitskonflikts und den Arbeitenden als eigentlichen Subjekten der Konflikte entkoppelt reguliert wurde, wird heute von den Arbeitenden selbst und in neuen Formen ausgefochten (vgl. Heiden 2014, S. 88 sowie Euler 1973, Euler 1977, Göckenjan 1985; Dahrendorf 1992, 161ff. Müller-Jentsch

15 | Explizit mit Formen von Widersetzungen beschäftigt sich Heiden 2014; Untersuchungen zu Abgrenzungsstrategien und damit zumindest implizite Hinweise auf Widersetzungsmöglichkeiten finden sich u.a. bei Koch-Falkenberg, Handrich und Voß 2016, Jürgens 2009, Boxall und Macky 2014, Gapp-Bauß 2014, Jürgens 2009, Kratzer u. a. 2011, Reid 2015.

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1997; Lessenich 2008, 32ff. Vogel 2009, 69ff):16 Es zeigt sich, wie auch Heiden 2014 herausarbeitet, eine deutliche Zunahme nicht-normierter Arbeitskonflikte und damit wieder eine deutliche Veralltäglichung und Rückverlagerung von Widerständigkeiten in den Alltag bzw. in die konkrete Arbeitssituation und auf die Arbeitenden selbst.17 Diese »wilden« Konflikte sind dabei kein immer weiter eskalierender Dauerzustand, sondern haben, wie Mathias Heiden darlegt, eher einen Prozesscharakter, bei dem Auseinandersetzungen nach situativen Manifestationen wieder in die Latenz treten – ohne notwendigerweise (auf)gelöst zu sein.18 (Vgl. Heiden 2014, 343ff.) Dieser Prozesscharakter verdeutlicht sich auch gut in dem Beispiel um die Auseinandersetzung um die Prinzipien der Verteilung einer Einmalzahlung an die Belegschaft in einem Dienstleistungsbetrieb, das in Heiden und Jürgens 2013 bzw. Heiden 2014 als exemplarisch für aktuelle Formen von Arbeitskonflikten aufgeführt wird. In diesem Beispiel entzünden sich an der Tatsache, dass eine einmalige Bonuszahlung an nur ein anhand einer Leistungsbeurteilung bestimmtes Drittel der Belegschaft entrichtet wird, eine Reihe aufeinander folgende Widerständigkeiten, die letztlich deutlich machen, dass das Subjekt heute keineswegs bloß passiv Betroffener neoliberaler Subjektivierungen ist, sondern durchaus auch aktiv Eigensinn zeigt und sich seiner eigenen

16 | In Anlehnung an Crouch 2013 ließe sich somit auch von postdemokratischen Arbeitskonflikten sprechen, da sich die Veränderungen innerhalb eines weitgehend intakten (formalen) Institutionensystems vollziehen. 17 | So kommen diverse neuere Forschungsergebnisse zu dem Ergebnis, dass bei vielen Beschäftigten derzeit wieder stärker Kritik an der gegenwärtigen Form der Arbeit wie auch an den Unternehmen geübt wird. (So etwa Boes und Trinks 2006; Dubet 2008; Detje, Menz und Nies 2011, Detje u. a. 2013; Hürtgen und Noswinkel 2012; Tullius und Wolf 2012; Heiden und Jürgens 2013; Dörre, Happ und Matuschek 2013; Heiden 2014) 18 | Derartige manifeste, nicht-normierte Konflikte sind bislang auffällig unterbelichtet geblieben und nur vereinzelt in Publikationen als Fortsetzungs- und Restkonflikt der institutionellverrechtlichten Auseinandersetzungen (Müller-Jentsch 1997; Hoffmann 1981) thematisiert, vermutlich nicht zuletzt weil es aus der sie weithin prägenden theoretischen Traditionslinie der marxistischen Kapitalismusanalyse heraus zum Selbstverständnis vieler Arbeits- und Industriesoziologen gehört, Arbeit v.a. aus dem Konflikt zwischen den Verwertungsinteressen des Kapitals und den Reproduktionsinteressen von Arbeitskräften heraus zu analysieren. Das diesbezügliche empirische Forschungsprojekt von Heiden und Jürgens (Heiden und Jürgens 2013), das sich mit der Reproduktion von Arbeits- und Lebenskraft befasst und dabei auch Arbeitskonflikte auf verschiedenen sozialen Ebenen in den Blick genommen hat, ist hier eine äußerst beachtenswerte Ausnahme.

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Unterwerfung zu widersetzen weiß und hierzu sogar auf kollektive Elemente zurückgreift. In dem Beispiel begannen in der Folge der angekündigten Sonderzahlung die Beschäftigten bald, sich in Pausen- und Flurgesprächen über mögliche Reaktionsweisen zu beraten und zu koordinieren, sie verfassten gemeinsam wütende E-Mails, führten intensive Diskussionen mit Vorgesetzten, Management und Betriebsrat, gingen dazu über, ihren Arbeitseinsatz auf das Nötigste zu reduzieren und ähnliche Widerständigkeiten mehr. Diese gemeinsamen Reaktionen haben zwar nicht den Charakter eines organisierten Widerstands, die zahlreichen abteilungsübergreifenden Abstimmungsprozesse unter den Beschäftigten, wie auf den Vorfall zu reagieren sei, lassen sich jedoch durchaus als kollektiver Protest verstehen, was umso bemerkenswerter ist, als immerhin ein Drittel der Belegschaft zu den Begünstigten der Verteilungspraxis zählte. Es fand also insofern ein kollektives Handeln statt, als die Beschäftigten aus demselben Anlass und der gleichen Motivation heraus ein gemeinsames Ziel verfolgten, nämlich ihrer Empörung und ihrem Gefühl der Ungerechtigkeit und Missachtung ihrer Leistung Ausdruck zu verleihen. So war, wie Heiden aufzeigt, den arbeitspolitischen Akteuren des Betriebs durchaus klar, es nicht mit einzelnen Protestierenden zu tun zu haben, sondern mit einer ganzen protestierenden Belegschaft. (Vgl. Heiden 2014, S. 303, 344) Auch wenn letztlich die betriebsöffentlich wahrnehmbaren Proteste schnell wieder nachließen und einer leiseren Empörung wichen, so wird dieser Konflikt, so Heiden, doch »als ein einschneidendes Erlebnis« wahrgenommen, das die Beschäftigten »zur Annahme einer neuen Perspektive auf ihren Betrieb bewegte« und bei diesen dauerhaft dazu führte, sich stärker abzugrenzen und beispielsweise auch das bisheriger hohe Engagement für den Betrieb deutlich zurückzufahren: »Beginnen die einen, geleistete Überstunden in Tabellen zu dokumentieren und ohne schlechtes Gewissen auch mal nur die Kernarbeitszeit einzuhalten, lehnen andere zusätzliche Einbindungen in Projekte ab und drängen sehr viel offensiver auf einen Ausgleich von Überstunden. Die vormals verbreitete Praxis, auch krank zur Arbeit zu gehen, ist vorerst begrenzt. Bei allen Beschäftigten hat der Konflikt dazu geführt, einen sehr viel kritischeren Blick auf den Betrieb einzunehmen und sehr viel offensiver die kleineren und größeren ›Aufreger‹ und Skandale im Kreis der Kollegen und zum Teil mit Vorgesetzten und Führungskräfte zu diskutieren. Die Belegschaftsstimmung wird entsprechend stärker als zuvor durch eine Art Protest- und Empörungskultur mit viel Sarkasmus und Ironie bestimmt.« (Ebd., S. 305)

Widerständigkeiten befinden sich somit nun zwar eher unterhalb der betriebsöffentlichen Wahrnehmungsschwelle, sind, so Heiden, offensichtlich jedoch weiterhin prä-

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sent und dokumentieren sich nicht nur in Zielvereinbarungsgesprächen, sondern auch in einer neuen generellen, sich vorwiegend in den Teeküchen abspielenden Kritikund Protestkultur. Ausgangspunkt war dabei nicht so sehr die (durchaus vorhandene) hohe Arbeitslast, sondern der Moment, als diese Überlastung auch als Ungerechtigkeit erfahren wurde: nicht die je individuelle Überlastung galt als illegitim, sondern die Normverletzung, diese nicht generell, sondern nur punktuell anzuerkennen. (Vgl. ebd., S. 346) Ein anderes von Heiden präsentiertes Beispiel bezieht sich auf Fließbandangestellte in einem Betrieb in der Automobilindustrie. Dort finden sich umfassende Widerständigkeiten, die sich i.W. um Rationalisierungsreserven drehen: Sucht auf der einen Seite das Management Tätigkeiten und Arbeitsgänge zu verdichten und zu beschleunigen, um Personaleinsatzkosten zu reduzieren und Arbeitsergebnisse qualitativ zu verbessern, streben auf der anderen Seite die Beschäftigten danach, Überlastungen zu begrenzen und Rationalisierungen abzuwehren. So arrangieren die Beschäftigten, wenn sie von mit der Rationalisierung beauftragten Unternehmensberatern begleitet werden, unnötige Wege und Verrichtungen, die sie dann ohne Beobachtung zur Entspannung, zum Schreiben von SMS, für Unterhaltungen oder zum Trinken nutzen, oder sie inszenieren bei Probeversuchen beschleunigter Arbeitsgänge an sich vermeidbare Fehler. Auch wird in einigen takt-, aber nicht fließbandgebundenen Bereichen versucht, Stückzahlen so vorzuarbeiten, dass sich zusätzliche Pausen ergeben. Auch hier finden sich dabei etwa durch diesbezügliche Absprachen mit den jeweiligen Gegenschichten oder das Unter-Druck-Setzen von »Ausreißern« der eigenen Gruppe, dieses Wissen um Rationalisierungsreserven nicht preiszugeben, klare kollektive Elemente. Ansonsten haben wir es auch hier v.a. um Abwehrstrategien und das Schaffen von Nischen zu tun, mit denen die Arbeit im eigenen Sinn gestaltet und kleinere Entscheidungsgewalten zurückgewonnen werden bzw. die ein Gefühl der Beherrschbarkeit, das das ansonsten dominierende Gefühl des Beherrscht-Seins mindert, entstehen lassen. (Vgl. ebd., S. 309f.) Alles in allem können die Widerständigkeiten ein breites Spektrum unterschiedlicher Ausdrucksformen annehmen, die bislang empirisch kaum systematisch erforscht wurden (zum Überblick Müller-Jentsch 1997, 34ff.). Die Analyse der Ausdrucksformen dieser alltäglichen Widerständigkeiten jenseits institutionalisierter Auseinandersetzungen darf sich dabei nicht an formgleichen Pendants zum Kollektivkonflikt orientieren, sondern muss der Eigenständigkeit dieser subjektivierten Arbeitskonflikte Rechnung tragen. Hierzu gehört insbesondere auch, dass es sich bei diesen Widerständigkeiten stärker um unmittelbares, spontanes, affektives, und weniger um rein strategisch-zweckrationales Handeln handelt. (s.a. Neckel 1999 sowie Neckel und Sutterlüty 2005) So reagieren, wie Heiden darlegt, die Beschäftigten auf die syste-

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matische Überreizung ihrer Arbeits- und Lebenskraft mit Fatalismus, Enttäuschung, Frustration, Empörung und Wut und sie üben teils massive Kritik nicht nur an den arbeitspolitischen Akteuren, sondern auch an den Geschäftsmodellen und Profitstrategien, die den betrieblichen Arbeitsorganisationen und Regulierungsstrukturen zugrunde liegen. (Vgl. Heiden 2014, S. 295) Die Folge sind klare Grenzziehungen der Arbeitenden gegenüber den Zugriffen auf ihr Arbeitsvermögen, wobei die Ausdrucksformen dieser Widerständigkeiten von Sarkasmus und Ironie bis hin zur inneren Kündigung, einhergehend mit Krankschreibungen oder Tätigkeitseinschränkungen reichen – etwa der Verweigerung von Mehr-, Wochenend- oder Schichtarbeit, das bewusste (Aus-)Nutzen von Vertrauensarbeitszeit; Strategien der Entschleunigung, d.h. Verzögerungstaktiken (das sog. »Bremsen« oder »Bummeln«), die Entdichtung des Arbeitsprozesses, etwa durch das Setzen eigener Prioritäten bei der Erledigung von Aufgaben, das Setzen individueller Ziele anstelle der Orientierung an Einkommens- und Karrieremotiven, das Nutzen von in Gruppen- oder Teamarbeit gewonnener sozialer Bindungen für persönliche Ziele, z.B. um sich von belastenden Aufgaben zu entlasten (durch Delegieren) oder um wichtige informelle Informationen zu bekommen, die emotionale Bindung eher an das Team als an den Arbeitgeber und so weiter und so fort. Insofern als die Entgrenzungen, wie gezeigt, letzten Endes vor allem auf das Subjekt selbst abzielen, sind neben diesen eher »technischen« Möglichkeiten der Begrenzung gezielt subjektbezogene Begrenzungen zu ergänzen, also eine aktive Grenzsetzung durch das Subjekt (und damit die Begrenzung des vom Neoliberalismus aufgeworfenen Kontingenzraums so weit wie möglich entlang der eigenen Interessen und Bedürfnisse): Hierunter ist insbesondere die Übernahme von Verantwortung für sich selbst, d.h. die Entwicklung einer systematischen Aufmerksamkeit für sich selbst und die eigenen Bedürfnisse, also beispielsweise die Fähigkeit, Druck als solchen zu registrieren und dann etwa ihn zu ignorieren oder zu ironisieren, wozu auch ein nachhaltiger Selbstumgang (oder eine aktive »Selbstsorge«) sowie »Achtsamkeit« und Selbstrespekt gehören, was die Einsicht in die faktische Selbst-Begrenztheit einschließt. Dazu gehört nicht zuletzt ein balancierender und begrenzender Umgang mit widersprüchlichen Erwartungen, gerade auch in Bezug auf die berufliche Leistungsqualität und die persönliche Lebensqualität, was insbesondere auch die Kunst der pragmatischen Selbstbeschränkung und die gezielte Abwehr eines fremden oder eigenen Anspruches an eine sachliche Alleinverantwortlichkeit umfasst. Auch wenn solche Widersetzungen, sich insgeheim Freiräume zu schaffen, Leistungsvorgaben zu umgehen und sich partiell der Kontrolle zu entziehen, nicht unbedingt heißen, heteronome Zwänge zu durchbrechen, sondern eher einen paradoxen Modus darstellen, diese in Gestalt des eigenen Widerstrebens unfreiwillig anzuer-

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kennen, so sind sie doch Beleg dafür, dass trotz aller neoliberaler Subjektivierung durchaus Grenzen struktureller Prägung und Nischen für eigensinniges Handeln, das sich nicht in der Anpassung an erweiterte Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen erschöpft, bestehen.19 So auch Jürgens: »Entziehen sich Subjekte trotz einer kulturellen Hegemonie von Erwerbsarbeit den damit verbundenen Handlungslogiken, so verweist dies auf ein Gespür für eigene Bedürfnisse, die sich nicht in die Ökonomisierung der Lebensbereiche einfügen.« Durch Kreativität und Gewitztheit unterlaufen die Subjekte damit die »Grenzsetzung von Erlaubtem und Verbotenem« und zeigen so eine »Widerspenstigkeit gegenüber Zähmungsversuchen« und eine Begrenzung der Subjektivierung zum Arbeitskraftunternehmer. (Becker-Schmidt 1987, S. 17; siehe ähnlich auch Fraser 1994b) Das Gegenmodell des Arbeitskraftunternehmers Der »Eigensinn«20 menschlichen Handelns beharrt also auch im Neoliberalismus in Form von Gegenbewegungen, Trägheitsmomenten und Neutralisierungstechniken. Nicht anders als zu Beginn der Industrialisierung oder unter tayloristischen Arbeitsbedingungen sind diese Widersetzungen von daher nicht nur Ausdruck eines Protests gegen direkte Arbeitsanforderungen, sondern umfassen auch auf allgemeiner Ebene Renitenzen gegen die neoliberale Subjektivierung, die sich z.B. im Anspruch auf »eigenen Raum« und eigene bzw. andere Interessen Bahn brechen. (Siehe z.B. Schumann u. a. 1982, 377ff. sowie Volmerg, Senghaas-Knobloch und Leithäuser 1986) Das von den Unternehmen angesetzte spezifisch subjektzentrierte Arbeitsverständnis wendet sich hier gewissermaßen gegen diese selbst. Wenn die Versprechungen auf Selbstverwirklichung und Sinngebung nicht eingelöst werden oder auch Prosperitätsverheisungen sich nicht erfüllen, und die Beschäftigten entsprechend mit labilem

19 | Gleichwohl verweisen die negativen Sanktionen, die mit solchen Versuchen der Abgrenzung in der Regel einhergehen, auf die nach wie vor wirksamen Herrschaftsverhältnisse, in die auch neue betriebliche Arbeitsformen eingebunden bleiben. 20 | Verwiesen werden kann in Bezug auf den Terminus »Eigensinn« auf Oskar Negt und Alexander Kluge, die in Geschichte und Eigensinn (Negt und Kluge 1981) allerdings auf eine explizite Definition von »Eigensinn« verzichten. Der Text legt nahe, Eigensinn keineswegs als nur die Subjekte und ihre Interessen betreffend zu verstehen, sondern als – durchaus auch destruktive – Eigenlogik, die ebenso auch Gruppen, Institutionen oder Strukturen innewohnt. Mit Bezug darauf wird hier der Begriff »Eigensinn« für Deutungen und Handlungen verwendet, die auf die Realisierung solcher Bedürfnisse und Interessen zielen, die sich nicht in einer Anpassung an externe Anforderungen erschöpfen.

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Leistungsverhalten reagieren, können die Unternehmen gleichermaßen in einen Sog und eine Optimierungsschraube getrieben werden, wie zuvor die Beschäftigten. Verstärkt werden kann dies durch die Überhöhung der Tugenden des Arbeitskraftunternehmers und deren Einsatz gegen die Unternehmen: Denn die Fähigkeiten, welche die Beschäftigten durch und für die neue Art des Arbeitens erwerben, wie z.B. Selbstkontrolle, Kommunikations- oder Konfliktlösungskompetenzen, können sie natürlich gleichermaßen für sich selbst, für die Durchsetzung ihrer Interessen und eine an den eigenen Bedürfnissen ausgerichtete Regulierung der Nutzung ihrer Arbeitskraft verwenden. Wenn sich die Organisation für eine Nutzung reflexiver Handlungsfähigkeiten der Arbeitenden öffnen muss, so werden sich diese Kompetenzen zwangsläufig nicht auf Aspekte instrumenteller Problemlösung und die Optimierung des Handelns für betriebliche Ziele reduzieren lassen. Auch wenn sich Kompetenzentwicklung und das Selbstmanagement im Rahmen betriebsökonomischer Funktionalität und der Verwertbarkeit des Arbeitsvermögens bewegen, führen sie so doch nicht zwangsläufig zu einer Unterwerfung oder Zurichtung von Subjektivität. Selbst eine ausschließlich auf Leistung und Wertschöpfungsbeitrag ausgerichtete (Weiter)Bildungspolitik ließe sich so gesehen ohne Bezug auch auf die eigenen, nicht notwendig ökonomischen Interessen und Motive der Beschäftigten nicht umsetzen. (Vgl. Kels und Vormbusch 2005, S. 47 und Jürgens 2009, S. 266) Tatsächlich ist der betriebliche Aushandlungsprozess in der Praxis ein Prozess, bei dem es zwar grundsätzlich ein strukturell bedingtes Macht- und Herrschaftsübergewicht des Managements gibt, die Arbeitnehmerseite jedoch ebenfalls über Machtund Herrschaftsressourcen verfügt und die betriebliche Machtkonstellation im betrieblichen Alltag auch zugunsten der Beschäftigten ausfallen kann. Letztlich ist die jeweilige konkrete Gestalt betrieblicher Arbeitsbeziehungen ein interaktiver Aushandlungsprozess zwischen den Betriebsparteien. Gerade die in den postfordistischen Arbeitsprozessen zunehmend offen gehaltenen Arbeitsprozesse bilden eine Art Unsicherheitszone, die explizit auch von den Beschäftigten genutzt werden kann – auch bei Auseinandersetzungen im Betrieb. Weitere Machtquellen für die Subjekte generieren sich aus der Kontrolle von Expertenwissen durch die Beschäftigten, etwa über den Arbeitsablauf, über rechtliche Regeln usw.; aus der Kontrolle von Informationsund Kommunikationskanälen, wie etwa guten Kontakten zu Beschäftigten anderer Abteilungen oder Standorte, aber auch zu Zulieferern, Abnehmern, Verbänden usw. oder aus der Kontrolle organisatorischer (formeller wie informeller) Regeln – alles

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strategische, unmittelbare, hervorbringende Aspekte, ganz ähnlich denen der herrschenden Rationalität selbst.21 In der Tat scheinen die Beschäftigten in vielerlei Hinsicht zunehmend ihre Machtoptionen zu nutzen und selbstbewusster mit ihrem Marktwert und ihrer Loyalität gegenüber dem Unternehmen umzugehen und sich in ihren Entscheidungen stärker an eigenen Interessen zu orientieren (vgl. Frieling u. a. 2001), was sich durch den demographischen Wandel noch verstärken dürfte.22 Eine bedeutende Rolle scheint in diesem Zusammenhang insbesondere die betriebliche Leistungspolitik zu spielen, die als zentraler Legitimationszusammenhang für berufliche Anerkennung (grundlegend Honneth 1992, 148ff. siehe auch Dröge, Marrs und Menz 2008) zum »Gravitationszentrum von Arbeitskonflikten jenseits klassischer Konfliktarenen« (Heiden 2014, S. 75) zu werden scheint: Das Mitarbeitergespräch wird immer mehr als Aushandlungssituation in Anspruch genommen, bei dem man die eigenen Leistungen auflistet und es vermeidet, Schwächen oder Unsicherheiten preiszugeben; insbesondere natürlich Leistungsträger scheuen sich kaum mehr, ihre Belastungssituation zu thematisieren, erhöhte Unterstützungsressourcen einzufordern oder sich informell über einige betriebliche Regelungen hinwegsetzen zu dürfen. (Vgl. ebd., S. 313f.) Im schlechtesten Falle stellen die Zielgruppen des HRM eine Belegschaft kühl und tatsächlich unternehmerisch kalkulierender Akteure dar, die an die Stelle des unternehmerischen Erfolgs der Unternehmung die unternehmerische Entwicklung des Tauschwerts ihres Arbeitsvermögens setzen – und damit in einem neuen Sinn Eigensinn dokumentie-

21 | Vergleichbare Beschreibungen für die Machtprozesse innerhalb der Betriebe finden sich seitens des Arbeitspolitik-Ansatzes, wie er insbesondere am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) von der Forscher-Gruppe um Frieder Naschold – wesentlich auch unter Bezug auf die Labour Process Debate – entwickelt wurde (z.B. Jürgens und Naschold 1984). Zentral für diesen Ansatz war, den Betrieb als politische Arena zu fassen, in der die verschiedensten Akteure mit ihren ganz unterschiedlichen Machtressourcen (mehr oder weniger) strategisch agieren. Damit wurde sowohl die Vorstellung eines »allmächtigen« Managements als auch die einer unabwendbaren Rationalisierungslogik infrage gestellt; die betriebliche Praxis wurde vielmehr als Ergebnis eines vielfältigen arbeitspolitischen Bargaining-Prozesses verstanden. So ist beispielsweise die Festlegung einer bestimmten Managementstrategie Ergebnis mikropolitischer Machtspiele zwischen verschiedenen Managementfraktionen, aber auch zwischen Management und Betriebsrat. Es gibt also einen gewissen Optionsraum betrieblichen Handelns, der unterschiedlich genutzt und sich angeeignet werden kann – ggf. durchaus auch quer zu den »klassischen« Fraktionen. (Vgl. Trinczek 2010, S. 851) 22 | Zwischen 2010 und 2035 geht die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter um 15 Prozent zurück. (Börsch-Supan 2009, S. 25)

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ren. Es zeigt sich, dass gerade die jüngere Generation selbstbewusst Ansprüche an sich selbst und den Job formulieren, die auch die Pflege sozialer Kontakte und die Sicherung eigener Interessen umfassen, so dass für diese Generation die Maxime gilt »sowohl Gute Arbeit als auch Gutes Leben«. (Frerichs 2015, S. 462) Mittlerweile wird diese Generation der zwischen 1980 und 2000 Geborenen, die nun in den Unternehmen einsteigen, unter dem Stichwort »Generation Y« geführt – Generation Y, zum einen weil unmittelbar nach der desillusionierten BabyboomerKohorte der Generation X geboren und zum anderen weil man Y für »Why« setzen kann und diese Generation dadurch gekennzeichnet ist, alles zu hinterfragen – Herrschaftswissen, Kontrolle, zentrale Steuerung, Machtspielchen, aber auch äußere Zwänge, gesetzliche Vorgaben oder allgemein gesellschaftlich akzeptierte Regeln.23 Dieser Generation ist es vor allem wichtig, sich mit der eigenen Arbeit zu identifizieren; selbständiges Arbeiten, Selbstverwirklichung und Gestaltungsspielräume erscheinen bedeutsamer als »Karriere zu machen«. Hierzu gehören nicht zuletzt auch die Flexibilität, selbst zu entscheiden, wann und wo man arbeitet; dass dies auch die Vermischung von Arbeit und Freizeit beinhaltet, wird durchaus positiv gesehen, was umgekehrt bedeutet, dass die Arbeit Freude machen und Sinn stiften soll – was letztlich auch als wichtiger gewertet wird als höhere Gehälter und Boni – in gewisser Weise ist somit gerade die Verschmelzung von Freizeit und Arbeit das Lebensmodell der Generation Y. Im Gegensatz zu ihren Eltern, die oft genug mit dem Versuch, Familien- und Privatleben mit ihrer Arbeit zu vereinbaren, gescheitert sind und oft trotz hohen Engagements für die Arbeit nicht vor Entlassungen und Restrukturierungen sicher waren, gilt für die Ypsiloner dabei aber, dass man arbeitet, um zu leben, und nicht mehr umgekehrt. Solange ein bestimmter Job in ihr aktuelles Lebensmodell passt, ist er willkommen, ansonsten wird neu verhandelt oder anderweitig gesucht. Es sind anspruchsvolle Beschäftigte, »die alles möchten und am liebsten alles auf einmal: Beruf plus Freude plus Sinn. Karriere und Familie – und zwar für beide Partner.« (Bund 2014) Dabei sind die Ypsiloner aber eben auch durchaus bereit, hohen Einsatz zu leisten: So stimmten bei einer repräsentativen Umfrage des Zukunftsinstituts (Huber und

23 | Von der »Generation Y« spricht man seit 1993. In einem Artikel beschrieb die USamerikanische Marketing- und Media-Zeitschrift Advertising Age seinerzeit maximal zwölf Jahre alte Jugendliche als »anders« in ihren Charakteristika und gab ihnen damit den Status einer neuen Generation. Die Argumentation fußte auf einem Buch, das der Historiker William Strauss zusammen mit dem Ökonomen und Demografen Neil Howe 1991 veröffentlichte (Howe und Strauss 1991, vgl. a. Howe und Strauss 2000). Die Autoren prägten darin den Begriff der »Millennials« für diese Generation, der heute meist synonym verwendet wird.

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Rauch 2013) 77 % der Aussage zu, »Wenn der Job Spaß macht, bin ich bereit, alles zu geben«; 66 % stehen auf dem Standpunkt, dass ihnen ein hohes Arbeitspensum nichts ausmacht, wenn die Anerkennung für ihre Leistung vorhanden ist, und ähnlich viele empfinden »positiven Stress« als zusätzliche Motivation (61 %). »Karriere« darf hieraus gerne resultieren – sie ist aber kein Selbstzweck mehr. Es geht den 20- bis 35-Jährigen vielmehr darum, tatsächlich etwas gestalten, bewirken und verändern zu können. Dabei stehen auf dem Weg zum Karriereziel berufliche Parameter gleichberechtigt neben privat-persönlichen: Zur Selbstverwirklichung gehört nicht allein die berufliche Erfüllung, wie dies bei früheren Generationen eher der Fall war. Den YMitarbeitern ist die Balance zwischen den verschiedenen Lebensbereichen wichtig, zu denen die Freizeit sowie die Sinnfindung und Werteorientierung gehören. Ein wichtiger Aspekt hierbei sind soziale Beziehungen. Die Ypsiloner erkennen inmitten der hoch fragmentierten Gesellschaft, dass sie als reine Einzelkämpfer nicht bestehen werden. Das erklärt, weshalb die Anbindung an ein interessantes Netzwerk von Kollegen, eine gute Arbeitsatmosphäre und funktionierende Teamstrukturen junge Menschen im Job heute mehr motivieren als höheres Gehalt und eine üppige Ausstattung mit Sonderleistungen, Firmenwagen und teurem Firmenhandy. Gute Kommunikation, Vertrauen und allgemein eher gemeinschaftliche Formen des Miteinanders in der Arbeit wie auch im Privaten – Communities, Peer Groups, Netzwerke, geteiltes Wissen der Open-Source-Bewegung – sind nun zentral, ein Stück weit natürlich auch, weil diese informellen Kontakte im Berufskontext umso wichtiger werden, je mehr sich Arbeitnehmer aus der langfristigen Bindung an einen Arbeitgeber lösen. Bei all dem geht es darum, die eigene Person im Einklang mit der Peer Group und dem Netzwerk zu verorten. In diesem Sinne sind die Ypsiloner weniger konfrontativ als konsensorientiert, auch in Bezug auf Führungskräfte: man erwartet, sich mit diesen auf Augenhöhe auseinandersetzen zu können, was nach einer anderen Definition von Autorität als der klassischen Lösung ruft, diese an eine von oben verliehene Position zu koppeln. Hier spiegelt sich erneut der Umbruch wider, den die Generation Y aus den ihnen so vertrauten sozialen Netzwerken mitbringt: Was man ist, ergibt sich aus dem, was man ins Netzwerk einbringt, immer wieder neu; einen Bestandsschutz für eine offiziell verliehene Bedeutung gibt es nicht. Generell ist Unsicherheit ein weiteres Kennzeichen, das zur Generation Y dazu gehört: Aufgewachsen mit zahlreichen Bedrohungen und Krisen – globaler Erwärmung, Umweltverschmutzung, Fukushima und anderen Naturkatastrophen, dem 11. September, Terrorismus, dem Beinahe-Zusammenbruch des Weltfinanzsystems nach der Lehman-Pleite, Burn-out etc. – begleitet sie ein permanentes Krisengefühl, dass in der Welt »alles möglich, aber nichts ist von Dauer« (Bund 2014) ist – ob Lebensabschnittsgefährte, Beruf, Gesundheit oder Rente. Alles ist permanent in Be-

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wegung, ein gemeinsames codiertes Weltbild gibt es nicht, morgen schon kann alles ganz anders sein als heute. Umbrüche und Neuausrichtungen, das Nachjustieren und Navigieren im eigenen Lebensverlauf ist notwendig und normal geworden: »Nüchtern blicken die Ypsiloner auch auf ihre Karriereaussichten. Sie verschwenden erst gar keinen Gedanken daran, die Lage auf dem Arbeitsmarkt politisch zu verändern.« (Hurrelmann und Albrecht 2016, S. 34) Diese fortwährende Unsicherheit zwingt zu ständigen Anpassungen und sorgt dafür, dass die Ypsiloner Neuem gegenüber aufgeschlossen bleiben. Denn die Krisen haben auch gezeigt: trotz alledem geht es immer irgendwie weiter – man blickt pragmatisch und optimistisch auf sein Leben. Brüche und Diskontinuitäten in der Biografie sind somit nicht mehr nur unfreiwillig, etwa in Folge von Arbeitslosigkeit. Sie werden gerade für Jüngere immer selbstverständlicher – nicht selten steigen sie freiwillig und auf eigenen Wunsch aus dem Unternehmen aus, um den Arbeitgeber zu wechseln, sich selbstständig zu machen oder noch einmal ganz neue Wege zu gehen. In einer Welt, die dynamisch ist und sich ständig verändert, in der die Anpassung an neue Gegebenheiten zur Grundforderung geworden ist, verändert sich eben auch die Einstellung zur Arbeit insgesamt. Somit stellt die Generation Y eine Art Gegenentwurf zum Arbeitskraftunternehmer dar, indem nicht die Arbeitsanforderungen und Subjektivierungen seitens der Unternehmen im Mittelpunkt stehen, sondern die Subjekte selbst und die Humankapitalinvestitionen, die von den Erwerbstätigen aktiv eingefordert werden. Typische Arbeitskraftunternehmer geben, überspitzt formuliert, alles, um hohe Arbeitsanforderungen zu erfüllen, und stellen sich und ihren Reproduktionsbedarf hinten an. Die Generation Y hingegen erfüllt zwar die Arbeitsanforderungen, aber vor allem insoweit sie ihren Vorstellungen entsprechen (dann auch mit hohem Einsatz), achtet aber zugleich stets darauf, dass die eigenen Bedürfnisse und Wünsche erfüllt werden – ihr Eigensinn gewahrt ist –, was auch bedeuten kann, dass sie ihren Job in ihrem Sinne eigenmächtig umgestalten: Solches »Job Crafting«24 umfasst beispielsweise die Erweiterung des eigenen Aufgabenbereich in einem bestimmten – interessanten – Gebiet, um dafür andere Aufgaben, die ihnen nicht so sehr liegen bzw. die sie nicht so gerne machen, zu vernachlässigen; Job Crafting kann aber auch bedeuten, die vorgesehenen sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz zu verändern, indem sie die Art oder die Häufigkeit der Interaktionen mit anderen Mitarbeitern verändern (beispielsweise

24 | Der Begriff geht letztlich zurück auf einen Aufsatz von Amy Wrzesniewski und Jane E. Dutton (Wrzesniewski und Dutton 2001), in dem eben dieses Phänomen erstmals umfassend beschrieben wird. Seitdem sind diverse weitere Aufsätze erschienen, die darauf Bezug nehmen, vor allem allerdings im angelsächsischen Raum und seitens der Management- und arbeitspsychologischen Literatur.

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Mitarbeitern aus anderen Abteilungen Hilfestellung bei IT-Fragen geben); oder auch dem Job einen Sinn zuzuschreiben, wie etwa bei Dienstleistungsunternehmen seine Aufgabe darin zu sehen, Kunden zu helfen, und nicht sie als »Fall« abzuwickeln. Das Ergebnis ist damit tatsächlich eher eine Subjektivierung der Arbeit durch die Subjekte statt einer Subjektivierung der Subjekte durch die Arbeit: Der Job ist immer seltener einfach ein Zwang zur Sicherung des Lebensunterhalts, sondern soll eine Tätigkeit sein, die Sinn stiftet und die man gern ausführt. Erwerbsarbeit wird nicht mehr als ein vom übrigen Leben abgelöster Prozess verstanden, sondern ist integraler Bestandteil eines erfüllten Lebens – Arbeitszeit wird zu Lebenszeit. Von der Generation Y wird folglich der sozialstaatliche Kompromiss, der simple Tausch von Arbeitszeit gegen Lohn, nicht mehr bedingungslos akzeptiert: Auch die Zeit, die mit der Arbeit verbracht wird, will als sinnvoll, erfüllend und anregend empfunden werden. Der Beruf soll nicht in Konkurrenz zum Privatleben treten, sondern nach Möglichkeit mit ihm harmonieren. Dank des demographischen Wandels, in dessen Folge (qualifizierte) Arbeitskräfte zunehmend knapp werden, stehen die Chancen für eine entsprechende Verwirklichung dieser Forderung zumindest für gute qualifizierte Ypsiloner nicht schlecht, zumal sie durchaus in der Lage und bereit sind etwas zu leisten: Sie sind gut ausgebildet und willens, permanent weiter zu lernen; solange die Ansprüche erfüllt werden, sind sie 150-prozentig loyal. Auch wollen sie durchaus Verantwortung übernehmen, wenn auch stärker für Inhalte und Sachthemen. Führungsverantwortung oder ein Aufstieg in der Hierarchie sind für sie nicht mehr so erstrebenswert wie für die Generationen vor ihr. Hier soll natürlich nicht unkritisch einem blind affirmativen Standpunkt das Wort geredet werden, zumal die Befunde zur Generation Y von Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten gekennzeichnet sind und nähere Untersuchungen noch ausstehen. Auch darf nicht vergessen werden, dass verschiedene Beschäftigtengruppen sehr unterschiedliche Möglichkeiten der Interessenwahrnehmung haben; v.a. Un- und Angelernten sowie gering Qualifizierten drohen sowohl Statusverlust, Prekarisierung und gesellschaftliche Marginalisierung als auch der Ausschluss von den Bildungs- und Emanzipationsmöglichkeiten, die mit dem Erwerb neuer Kompetenzen in der Regel einhergehen. Dennoch wird anhand der Beschreibungen deutlich, dass, wie von Foucault formuliert, Machtbeziehungen nie absolut und unausweichlich sind, sondern immer auch mit von innen heraus wirkenden Widerständigkeiten einhergehen: Das Subjekt geht nicht komplett in der Macht auf, sondern wird hier selbst aktiv und bringt eine Veränderung der Machtwirkung hervor! Anhand der Generation Y gelingt es klar aufzuzeigen, dass es durchaus Optionen gibt, sich die neoliberale Rationalität ein Stück weit »zurechtzubiegen«, das Spiel »anders« zu spielen, und dies bei einer so

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dynamischen Rationalität wie eben dem Neoliberalismus letztlich weiterführender ist als der frontale Angriff von vorn.25 In diesem Sinn schreiben etwa auch Hurrelmann und Alberts über ein Gespräch mit einer jungen Politikstudentin: »Wie so viele in der Generation Y glaubt auch sie nicht an eine realistische Alternative zum Kapitalismus. Doch sie ist überzeugt, dass das System mit seinen eigenen Waffen zu schlagen ist.« (Hurrelmann und Albrecht 2016, S. 128). Das kollektive Moment subjektivierter Konflikte Es gibt seitens der Arbeiterbewegung (aber auch in weiten Teilen der Arbeits- und Industriesoziologie) traditionell eine Hoffnung auf kollektive Formen von Widerstand26 und es gibt auch gute Gründe anzunehmen, dass der einzelne Arbeitende bei einem Konflikt mit dem ihn beschäftigenden Betrieb tendenziell unterlegen ist und seine Interessen nicht ohne Weiteres alleine durchsetzen kann. So schließt sich an die These der Individualisierung von Arbeitskonflikten zumeist das arbeitspolitische Anliegen an, gesellschaftliche Potenziale zu identifizieren, mit denen sich Arbeitskonflikte und damit Widerständigkeiten re-kollektivieren und re-institutionalisieren lassen. Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die eigentliche Relevanz dieser einzelnen Widerständigkeiten nicht im singulären Ereignis liegt, sondern in dessen zahlreicher Wiederholung einer Art »Politik der Nadelstiche« (Beck 1994, S. 56, grundlegend Collins 2012, 61ff.), die in Summe durchaus Wirkung zeigen und die einen Betrieb nicht einfach so »kalt lassen«. Ökonomisch gesprochen kosten diese zahllosen Mikrokämpfe (zu denen durchaus auch das Mobbing als besonders destruktive Ausdrucksform eines Konflikts zu rechnen ist) den Betrieb genauso Ressourcen und Energie – Opportunitätskosten – wie den einzelnen, sind hinderlich für etwa Rationa-

25 | Diese Widerständigkeiten werden letzten Endes auch den Neoliberalismus nicht unbeeinflusst lassen – »Der Widerstand nötigt mit seiner Wirkung die Machtverhältnisse dazu, sich zu verändern.« (Foucault 1984/2002c, S. 916). Wie konkret die dann entsprechend veränderte Rationalität aussehen könnte, wäre eigens zu untersuchen. 26 | Bis heute basieren die Gewerkschaftspolitik und im Anschluss daran das kollektive Arbeitsrecht auf der Annahme einer auf der Marktmacht des Arbeitgebers beruhenden strukturellen Asymmetrie zwischen Kapital und Arbeit, (Sinzheimer 1916/1977) die durch das Kollektivrecht und kollektive Handeln der Arbeitnehmer in den Gewerkschaften kompensiert werden soll: Die Beschäftigten sollen, da sie unter Marktbedingungen als Einzelne unterlegen sind, ihre Arbeitsbedingungen nicht jeweils selbst regeln, sondern sich durch das Kollektiv als Schutzund Gegenmacht vertreten lassen, was dazu führte, dass individuelles Handeln und Partizipation von den Gewerkschaften stets eher zu begrenzen versucht wurde, um das Kollektiv nicht zu schwächen.

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lisierungsmaßnahmen, beeinträchtigen die Qualität von Arbeitsprozessen und können ab einem bestimmten Ausmaß die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens gefährlich in eine Schieflage bringen – selbst restriktive Betriebe können es sich heute kaum mehr erlauben, massive Unmutsbekundungen ihrer Belegschaft oder auch nur eines Teils davon einfach völlig zu ignorieren (exemplarisch Artus 2008). (Vgl. Heiden 2014, S. 19) Die Verlagerung der Widerständigkeit auf das Subjekt bedeutet somit nicht, dass einer v.a. individualistischen Konsequenz, die keine überindividuellen Ordnungen akzeptiert, der Weg geebnet ist. Denn Basis, auch des neoliberalen Zugriffs auf das Subjekt ist, dass dieses nicht eine Entität ist, sondern ein Gerundium, das sich innerhalb einer bestimmten Umwelt befindet und erst aus dieser heraus selbst koordiniert und entscheidet, wie es sich in diese Umwelt einfügt und wie es sich sich selbst gegenüber aufstellt. Insofern jede Selbstfestlegung immer auch eine soziale Handlung ist, besteht zugleich stets auch ein Impuls für Solidarität bzw. an der Gemeinschaft orientierte kollektive Elemente der Widerständigkeit. Dies wie auch die beschriebene Ausrichtung an einem »Ethos« ist somit keine bloß individuelle Option, sondern eine kollektive Erfahrung, die auf die praktische Veränderung der sozialen Verhältnisse zielt. So wird mit Foucault, so auch Saar, nicht eine existenzialistische »Ästhetik der Existenz« angestrebt, denn die Praktiken der Freiheit sind auch im Neoliberalismus keine bloß individuellen Angelegenheiten. (Vgl. Saar 2007, S. 335) Vielmehr richtet sich stets die Perspektive vom Selbst her auf soziale Ordnungen, von denen und deren Strukturierungen ja auch im Neoliberalismus die Subjekte abhängen. Subjekte und soziale Ordnung bilden so einen gemeinsamen Raum, und jede freiheitliche Praktik findet gleichermaßen innerhalb dieses gemeinsamen Raums statt wie sie sich auf diesen Raum auswirkt, muss also diesen Raum besetzen – muss Wissens-, Macht- und Selbstpraktiken umwidmen und neu legitimieren, auf Erziehungspraktiken, Wissensvermittlungs- und Tradierungstechniken abzielen, Wahrnehmungsschemata, Sprach- und Diskurspraktiken neu justieren, Zugänge und Verhaltensregulationen, Körper- und Reproduktionspraktiken, Vor- und Selbstbilder, Traditionen, Gewohnheiten, Habitus und Rollenverständnisse hinterfragen. Widerständigkeiten sind entsprechend nicht nur das Ergebnis eines gesellschaftlichen Wandels, sondern wirken auch selbst auf die Gesellschaft bzw. die herrschende Rationalität zurück. So haben die Widerständigkeiten und Arbeitskonflikte der Frühindustrialisierung wie gezeigt letztlich auf die liberale Rationalität gewirkt und zu deren Modifikation in Richtung Sozialstaat beigetragen. Ebenso ist davon auszugehen, dass die neu sich manifestierenden subjektiven Arbeitskonflikte auch die neoliberale Rationalität nicht unbeeinflusst lassen: Das kollektive Gegen-Verhalten der Arbeiterbewegung hatte stets ein emanzipatives Moment; es galt als ein Medium der

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Übersetzung von Beschäftigteninteressen in politische Prozesse und stellten damit gleichzeitig die Grundlage für die Weiterentwicklung des Sozialstaats dar. Wie sich die derzeitigen subjektiven Widerstände auf die neoliberale Rationalität auswirken, und ob sie die neoliberale Rationalität nicht letztlich vielleicht nur auf eine neue Stufe heben, ist derzeit nicht absehbar. Es scheint jedoch Sinn zu haben, den emanzipativen Widerstandsbegriff der Arbeiterbewegung auch für die heutigen Konflikte zu bewahren, weil er nach wie vor wichtige Perspektiven auf Arbeitskonflikte eröffnet, nämlich insbesondere zeigt, dass Konflikte unterschiedliche Funktionen haben können. Sie sind einerseits sicherlich eine Belastung, gleichzeitig aber auch ein Ventil für Veränderungen, etwa in Richtung einer Erweiterung der Arbeitskonflikte im engeren Sinn auf Lebenskonflikte und damit der Arbeiterbewegung im engeren Sinn auf eine Lebensbewegung. (Vgl. ähnl. Heiden 2014, S. 164) Aber auch noch in einem anderen Sinn weisen die eben beschriebenen Widerständigkeiten und Mikrokonflikte ein wichtiges kollektives Moment auf, das sich für eine Reaktivierung der Gewerkschaften nutzen lässt: Zwar können diese Widerständigkeiten und Mikrokonflikte nicht von den Institutionen der Arbeiterbewegung für die und an Stelle der Subjekte geführt werden: Vor dem Hintergrund einer neoliberalen Rationalität, die zentral darauf abzielt, das Subjekt zu einer rationalen, produktiven und marktfähigen Ressource zuzurichten, können die damit einhergehenden Konflikte nur da geführt werden, wo die Interessen der Arbeitenden unmittelbar zur Geltung kommen und konkret mit der herrschenden Rationalität kollidieren – also auf der Ebene des Subjekts. Dennoch haben bereits die Beispiele zu den Widerständigkeiten gegen die Sonderzahlungen und gegen die Rationalisierungsbestrebungen deutlich gemacht, dass die Alltagskonflikte (auch über die eben beschriebene eher prinzipielltheoretische Verbindung von Subjekt und Sozialem hinaus) eine unmittelbar kollektive Komponente haben und Tendenzen einer Kollektivierung aufweisen, eben wenn mehrere Beschäftigte etwa mit ähnlichen Motiven und aus vergleichbaren Anlässen den Konflikt gemeinsam oder parallel führen. Solche Kollektivierungen reichen von Gesprächen, in denen Arbeitskollegen auf die eigene Seite gezogen werden und man so das Bewusstsein erhält, nicht alleine dazustehen, über gemeinsam oder parallel durchgeführte Aktionen, wie etwa in gemeinsamen E-Mails an Vorgesetzte einen Unmut zum Ausdruck zu bringen oder gemeinsam beschlossenen und umgesetzten »Dienst nach Vorschrift« bis hin zu Aktionen, die darauf abzielen, eine betriebsöffentliche oder gar öffentliche Wahrnehmung zu erreichen. (Vgl. Heiden 2014, S. 115) Individual- und Kollektivkonflikt sind somit nicht einander ausschließende Optionen, sondern können in unterschiedlichem Ausmaß individuelle und, auch wenn sie nicht von den kollektiven Organen der Arbeiterbewegung initiiert und angeleitet wurden, kollektive Momente haben, wobei sich der Kollektivcharakter dieser Arbeitskonflik-

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te nicht so sehr an den Ausdrucksformen, wie gemeinsam artikulierter Kritik oder Betriebsratsgründung, zeigt, sondern insbesondere an den den Konflikten zugrunde liegenden gemeinsamen, homogenen Interessen und Anliegen und strukturellen Verursachungszusammenhängen sowie v.a. auch an den gemeinsamen Gegnerschaften und Koordinationsweisen zwischen all jenen, die zumindest ein Unbehagen an den neoliberalen Subjektivierungen verspüren. (Vgl. ebd., S. 345) Insofern als solche kollektiv geführten Auseinandersetzungen genau da stattfinden, wo sich die konkrete Nutzung von Arbeitskraft vollzieht und die neoliberalen Subjektivierungstechnologien sehr direkt auf die Subjekte treffen, setzen sie anders als die abstrakten (und zunehmend auch an Bedeutung verlierenden) gewerkschaftlichen Tarifkonflikte genau an der für das Wirken der Macht zentralen Stelle an, sind also trotz der bei jeder Kollektivierung stattfindenden Abstraktion noch unmittelbare Konflikte, durchbrechen zugleich jedoch die für das reibungslose Funktionieren der neuen Herrschaftsform so wichtige Vereinzelung. Diese Kollektivierungen stellen betriebliche Öffentlichkeit her, so dass das (scheinbar) Individuelle unmittelbar politisch werden kann und beispielsweise etwa auch Solidarität wirklich für die Subjekte und nicht (allein) für die neoliberale Rationalität wirksam wird.27 Diesbezüglich wird im nächsten Abschnitt in diesem Sinn die kollektive Dimension neoliberalen Widerstands erörtert.

27 | Eine solche Rolle hat in der Vergangenheit vor allem der Betriebsrat eingenommen, der jedoch trotz der Verlagerung der Regulierung von Arbeitsbedingungen auf die betriebliche Ebene, etwa im Rahmen von »Standortsicherungsabkommen«, »betrieblichen Bündnissen für Arbeit« (Rehder 2003) oder durch die Übernahme vieler ehemals tariflicher Aushandlungen – wie etwa der Gestaltung der Arbeitszeit –, zunehmend von atypischen Beschäftigungsverhältnissen, wie Freelancertum, Crowd- und Cloudworking sowie durch den wirtschaftsstrukturellen Wandel hin zu einer Dienstleistungs- und Wissensökonomie mit v.a. Kleinst- und Kleinbetrieben und damit gerade jenen Bereichen, die typischerweise durch eine unterdurchschnittliche Verbreitung von Betriebsräten gekennzeichnet sind, in die Defensive gedrängt wird und wohl in immer mehr Bereichen an Relevanz verlieren wird. (Bereits jetzt ist der Anteil aller Beschäftigten, die in Betrieben ab 5 Beschäftigten durch einen Betriebsrat vertreten werden, in der Privatwirtschaft Westdeutschlands von 51 % (1993) auf 44 % (2011), in Ostdeutschland von 43 % (1996) auf 36 % (2011) gesunken (Ellguth und Kohaut 2014, S. 302). Zudem werden auch durch die diversen Reorganisationsmodi von Unternehmen (etwa strategische Dezentralisierung, Aufbau von Unternehmensnetzwerken etc.) Strukturen geschaffen, die oft eher quer zu den Betrieben als Basis der Betriebsräte verlaufen, so dass hier die Handlungsmöglichkeiten von Betriebsräten beschränkt werden. (Vgl. Trinczek 2010, 855ff.)

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8.3 S UBJEKTORIENTIERTER W IDERSTAND – P ERSPEKTIVE EINER A RBEITERBEWEGUNG Im vorigen Abschnitt ist bereits deutlich geworden, dass die Verlagerung des Widerstands von der Bewegung auf das Subjekt alles andere als eine allein individuelle Angelegenheit ist und dass die hier vertretene genealogische Fokussierung auf das Selbst nicht zu einem »Individualismus« aufruft, für den die Frage nach sozialen bzw. gemeinschaftlichen Ordnungen zweitrangig ist. Die Praktiken der Freiheit sind auch im Neoliberalismus keine bloß individuellen Angelegenheiten; auch hier bestehen beachtliche kollektive Aspekte und das Subjekt ist auch hier in ein soziales Kräfte- und Machtgeflecht (von dem ja die Subjektivierungspraktiken ausgingen) eingebunden, so dass eine direkte Verbindung vom Subjekt zum Sozialen und Politischen existiert, und damit auch de facto Perspektiven für eine Arbeiterbewegung bestehen – denn gerade eine Bewegung, die explizit an der Arbeit als dem zentralen Moment der Subjektivierung ansetzt, kann es schaffen, die persönlichen Interessenkonflikte der Betroffenen aufzunehmen und mit denen anderer Arbeitskraftunternehmer in Kontext zu bringen und so die Vereinzelung zu durchbrechen. Mit dem Bruch und Wandel zur neoliberalen Rationalität kommen die gegenwärtigen Institutionen der Arbeiter um einen Paradigmenwechsel jedoch nicht herum: Die beschriebenen Subjektivierungsprozesse wie die breite Verlagerung von Verantwortlichkeiten auf die Arbeitenden selbst, der verstärkte Rückgriff auf spezifisch subjektive Kompetenzen etc. erfordern eine konsequente »Subjektorientierung« auch der Gewerkschaften, d.h. die Berücksichtigung subjektiver Perspektiven und die Orientierung am subjektivierten und der neoliberalen Zurichtung unterworfenen Selbst: Entscheidend ist, die spezifische Situation des Arbeitskraftunternehmers als Unternehmer seiner selbst aufzugreifen und zur Basis des Handelns zu machen. Um den (nicht gering zu schätzenden) Kampf gegen Herrschaft zu übersteigen und Praktiken der Freiheit wirksam werden zu lassen, gilt es entsprechend nicht nur die gewandelten Arbeitsbedingungen wie Arbeitsverdichtung, Verschwimmen von Arbeitswelt und privater Welt, psychische Belastungen, neue Arbeitszeitmodelle usw. im Allgemeinen, sondern v.a. die Perspektive der und des Einzelnen im Besonderen zu berücksichtigen. Auch Gewerkschaftsarbeit muss in einer subjektorientierten Arbeitsumgebung im Konkreten, beim einzelnen Mitarbeiter ansetzen, um wirklich wirksam zu werden. Hierzu gehört die Unterstützung bei sich kollektivierenden Mikro-Widerständigkeiten, wie bspw. den beschriebenen Konflikten um die Bonuszahlung, aber auch die ganz »banal«-praktische Ebene, den Mitarbeitern in ihren beruflichen Veränderungsprozessen zu helfen: ihre Positionen für den Arbeitsmarkt auch jenseits des gegenwärtigen Betriebes zu stärken oder auch der bloße Schutz vor

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dem Druck im Arbeitsleben. Denn Entgrenzungs- und Subjektivierungsprozesse finden auf der Ebene des einzelnen Mitarbeiters statt; und so wirken auch die Ergebnisse von Entgrenzung und Subjektivierung höchst individuell – stärkere Arbeitsbelastung genauso wie auch erweiterte Freiräume ergeben sich für den einzelnen Mitarbeiter abhängig von dessen jeweiliger persönlicher Disposition. Für die Gewerkschaften als zentrale Institution der Arbeiter- bzw. Arbeitnehmerschaft gilt es entsprechend hieraus resultierende divergierende Interessenlagen zu verhandeln: Auf der einen Seite müssen Beschäftigte vor Arbeitsverdichtung, übermäßigen betrieblichen Flexibilitatsanforderungen und einem zu starken Zugriff auf ihre Subjektivität bewahrt werden; auf der anderen Seite müssen Freiräume entsprechend der gewünschten individuellen Arbeitsorganisation gestaltbar bleiben – und dies kann nur auf Basis des einzelnen Mitarbeiters erfolgen. (Vgl. Kluge und Maschke 2015, 215f.) Wichtiger Aspekt dieser »Subjektorientierung der Gewerkschaften« und damit einer »Gewerkschaft der Arbeitskraftunternehmer« ist nicht zuletzt, wie im folgenden Abschnitt deutlich werden wird, Arbeit und Leben als Einheit zu denken, d.h. die Perspektive nicht am Feierabend (den es so ohnehin immer weniger gibt) enden zu lassen, sondern gerade auch die im Privaten mit Hinblick auf die Arbeit – die produktive Verwertbarkeit des eigenen Selbst – erfolgenden Subjektivierungen zu berücksichtigen. Als zweiter zentraler Aspekt gewerkschaftlichen Handelns innerhalb einer neoliberalen Rationalität werden dann in Abschnitt 8.3.2 die Loslösung vom Intermediaritätsparadigma, also die Ent-Institutionalisierung der Gewerkschaften und deren Öffnung für neue Konfliktformen und Koalitionen präsentiert. Denn bislang haben sich in der Rationalität des Neoliberalismus die kollektiven Arbeitsauseinandersetzungen wie Streiks und Tarifkämpfe in keinster Weise als geeignete Praxis erwiesen, Mikrokonflikte wie auch das engere Arbeitsumfeld übersteigende, diese vor dem Hintergrund einer Vermischung von Arbeit und Leben aber doch prägende »Reproduktions«interessen in politische Prozesse zu überführen: Auch dort, wo starke Tarifverträge existieren, Tarifpartner tief verwurzelt sind und enge Maschen betrieblicher Vereinbarungen vorherrschen, ist es bislang nicht gelungen, echte qualitative Themen zu plazieren, so dass es als überaus entscheidend scheint, über diese normierten Konfliktformen hinausgehende Perspektiven zu eröffnen. 8.3.1. Gewerkschaft der Arbeitskraftunternehmer Eines ist in Abschnitt 8.1 deutlich geworden: Um der neoliberalen Gouvernementalität zu widerstehen, kann man sich weder darauf zurückziehen, Elemente der sozialstaatlichen Rationalität zu verteidigen, noch mit auf den Liberalismus zugeschnittenen Widerständigkeiten operieren. Stattdessen wird es künftig v.a. darum gehen, mit-

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tels einer die neoliberale Subjektivierung übersteigenden Subjektivität Gegenkräfte zu entwickeln, d.h. etwa, sich zum Unternehmer seiner eigenen Sache zu machen – nicht nur im Sinne einer Optimierung dessen, was einen zum rational-produktiv verwertbaren Arbeitskraftunternehmer macht, sondern vielmehr im Sinne einer generellen Möglichkeitsoffenheit, die auch anderes als die rational-produktive Verwertbarkeit des eigenen Selbst umfasst (was auch immer das dann ist). Auf gewerkschaftliche Politik übertragen bedeutet dies konkret, einen Rahmen zu schaffen, der das zum Arbeitskraftunternehmer subjektivierte Selbst mit seinen Erfordernissen und Wünschen aufnimmt und nicht behindert. Das normative Dispositiv gewerkschaftlicher Politik ist jedoch nach wie vor der Normalarbeitnehmer. Vor diesem Hintergrund gibt es starke Vorbehalte der Gewerkschaften, die Erosion dieses Normalarbeitsverhältnisses positiv zu sanktionieren, und die Individualisierung der Arbeitnehmerinteressen wurde entsprechend als schwierige Herausforderung wahrgenommen, der die Gewerkschaften zunächst mit einer »Ideologie der Geschlossenheit« (Wiesenthal 2014, S. 403) beizukommen versuchten. Im Grundsatzprogramm von 1996 zeigen sich zwar erste vorsichtige Ansätze, die neuen Rationalitäten zu akzeptieren und den »unterschiedlichen Interessen der Beschäftigten bei der Regelung ihrer Arbeitsverhältnisse zukünftig stärker gerecht werden« zu wollen. (DGB-Bundesvorstand 1996, S. 10, vgl. Wiesenthal 2014, S. 403) In der praktischen Umsetzung jedoch spiegelt sich dieser Anspruch auch 20 Jahre nach dem Beschluss des noch immer geltenden Grundsatzprogramms kaum wider. Und auch wenn der (mit großer Mehrheit angenommene) Leitantrag des DGBBundeskongresses 2014 Für eine Neue Ordnung der Arbeit immerhin zumindest in Bezug auf den Titel Hoffnung macht, dieses Schlüsselthema neoliberaler Widerständigkeit ins Auge gefasst zu haben, so bezieht sich bei näherer Betrachtung der Terminus »Gute Arbeit« letztlich doch auf ein eher fordistisches Verständnis von Arbeit, das eben nicht über die rational-produktiven Aspekte von Arbeit hinausweist und Arbeit und Leben eben nicht als Teil eines gemeinsamen Komplexes begreift: »Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften haben ›Gute Arbeit‹ zu ihrem Leitbild für die Entwicklung der Arbeitswelt gemacht. Gute Arbeit bedeutet: faires Einkommen, berufliche und soziale Sicherheit sowie Arbeits- und Gesundheitsschutz, der hilft, gesund das Rentenalter zu erreichen. Weitere Aspekte Guter Arbeit sind ein respektvoller und wertschätzender Umgang zwischen den Beschäftigten einschließlich der Vorgesetzten, umfassender und klarer Informationsfluss, ausgewogene Arbeitszeiten und gute betriebliche Qualifizierungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Auch Arbeitnehmermitbestimmung ist elementarer Bestandteil des Leitbilds.« (Deutscher Gewerkschaftsbund, Bundeskongress 2014)

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Es geht um Arbeitsbedingungen, Sicherheit und Auskommen – alles Elemente der sozialstaatlichen Rationalität und sicherlich sinnvolle Forderungen, diese Art der Arbeit erträglicher – »humaner« – zu gestalten. Praktiken zur Öffnung des »Möglichkeitsraums« der Arbeit, die auf eine Freiheit zu handeln hindeuten, finden sich hierin jedoch nicht. Wie steht es um das Verhältnis von Arbeit und Leben, wo geht es um spezifisch subjektive Aspekte, wo finden sich Attribute von Arbeit, die über reinen Einkommenserwerb und Lebensunterhalt hinausweisen? Solche eher qualitative Themen bleiben im Leitantrag außen vor, sind jedoch dringend erforderlich, um in der neoliberalen Rationalität effektiv zu agieren: Es muss um das gehen, was Arbeit heute ist, vor allem aber auch um all das, was Arbeit heute nicht ist – statt über die Befreiung von der Arbeit zu debattieren, muss die Befreiung in der Arbeit thematisiert werden. (Vgl. Hoffmann 2015, S. 11) Auch sonst enthalten weder der Leitantrag noch sonstige Publikationen und Äußerungen aus dem engeren gewerkschaftlichen Umfeld wirklich Neues, sondern speisen sich insbesondere aus zwar auf neue Gegebenheiten angepassten, aber doch klassischen, wie bisher auch am Rechtssystem ansetzenden »Verbesserungsvorschlägen«. So geht es um die Schaffung eines »stabilen gesetzlichen Rahmen[s]« zur Sicherung von Tarifautonomie und Arbeitnehmerrechten, um die »gesetzliche Einschränkung des Umfangs und der Anlässe von Mehr-, Nacht- und Schichtarbeit sowie Sonnund Feiertagsarbeit« oder auch um das Auf-den-Weg-Bringen einer »AntistressVerordnung, die Kriterien für psychisch belastende Tätigkeiten benennt«. (Deutscher Gewerkschaftsbund, Bundeskongress 2014) All diese Punkte beinhalten wichtige Schutzfunktionen für Arbeitnehmer und entsprechen erwartbaren Forderungen einer Lobbygruppe für Beschäftigte. Eine Perspektive für die Arbeitskraftunternehmer bildet sich hierin jedoch nicht ab; der Arbeitnehmer als Subjekt bleibt weiterhin außen vor und erscheint nach wie vor in der Perspektive des unmündigen fordistischen Massenarbeitnehmers. Was fehlt, ist den Arbeitskraftunternehmer anzuerkennen und ihn dabei zu unterstützen, die Subjektivierungstechnologien wie auch die Subjektivierungen selbst im eigenen Sinn zu nutzen – ob durch die Übertragung der Entscheidungsgewalt in Bezug auf etwa Sonn- und Feiertagsarbeit, durch Schulungen etwa im Bereich Softskills, Informationsaustausch, z.B. über gezahlte Gehälter, oder allgemein durch Unterstützung in Bezug auf Employability. Offenbar behindert die starke Fixierung der aktuellen Gewerkschaftspolitik auf den Normalarbeitnehmer die Erkundung möglicher Potenziale der Entgrenzungsprozesse und unterschlägt damit mögliche Impulse eines Wandels gesellschaftlicher Verhältnisse, an die Gewerkschaften anknüpfen könnten. Die Gewerkschaften sind mittlerweile für die mit dem Wandel zum Arbeitskraftunternehmer einhergehenden Schwierigkeiten stärker sensibilisiert und machen es

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sich (in unterschiedlicher Ausprägung) zur Aufgabe, Initiativen, Projekte und Unterstützungsmaßnahmen im Betrieb zu implementieren, welche die Arbeitsqualität verbessern und Reproduktion – den Erhalt von Arbeits- und Lebenskraft – flankieren sollen. Der genauere Blick auf Umsetzung und Erfolg der gestarteten Programme macht jedoch deutlich, dass die Gewerkschaften oft keinen wirklichen Einblick in die Arbeits- und Lebenssituationen von Beschäftigten haben und es entsprechende Diskrepanzen und gegenseitige Vorbehalte gibt. So sind die arbeitspolitischen Akteure zwar durchaus darum bemüht, sich ein Bild von den Belastungen, denen Beschäftigte heute ausgesetzt sind, zu machen und Überlegungen anzustellen, welche Ressourcen diese unterstützen könnten. Oft erfolgt dies jedoch – ob aus Berührungsängsten heraus oder aufgrund von Zeitmangel – weniger in offenen (und damit natürlich zeitintensiven) Gesprächen mit Beschäftigten selbst, sondern mit quantifizierenden Erhebungsinstrumenten, die entsprechend eher Althergebrachtes reproduzieren als eine Basis für neue Lösungen und Ansätze schaffen. (Vgl. a. Heiden und Jürgens 2013, 145ff., 263ff.). Der oben zitierte Leitantrag ist insofern exemplarisch für eine Vielzahl an Diskussionen, Beschlüssen und Veröffentlichungen der deutschen Gewerkschaften; kaum ein Ansatz, der über »klassische« Interessenpolitik hinausgeht und als Ansatzpunkt für etwas qualitativ Neues gewertet werden könnte. So sind auch die Themen, für welche die Gewerkschaften derzeit stehen, nach wie vor vor allem solche, die mit eigenen organisationspolitischen Interessen einhergehen, wie z. B. die Ablehnung der »Rente mit 67«, die Begrenzung von Leiharbeit oder die angestrebte Austrocknung des Niedriglohnsektors durch einen gesetzlichen Mindestlohn. (Wiesenthal 2014, S. 404) Wie viele andere Veröffentlichungen der jüngeren Zeit seitens der Gewerkschaften steht der DGB-Leitantrag damit für ein immer noch i.W. sozialstaatlich-fordistisches enges Bild von Arbeit, bei der jemand »oben« sitzt und Befehle erteilt und »unten« die Gewerkschaft (zunehmend vergebens) versucht, Mindestanforderungen zu normieren. Was insbesondere fehlt, ist die positive, über bloßen Schutz vor Belastungen und den Erhalt von Arbeits- und Lebenskraft hinausgehende Perspektive: Wie steht es in Bezug auf den Sinn-Aspekt, was ist mit einem Verständnis von Arbeit, das nicht nur mit Belastungen assoziiert ist, sondern »Freude« bereitet, Raum für gemeinsame Erfahrungen bietet, Erfolge ermöglicht, hilft sich weiterzuentwickeln usw.? Es ist bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar, dass der DGB in seiner Politik gerade auch auf die prekären Arbeitsplätze nicht oder nur gering Qualifizierter abzielt, bei denen es zunächst einmal gilt, Belastungen zu reduzieren. Wenn dabei jedoch das Gros der besser Qualifizierten, der Arbeitskraftunternehmer, komplett außen vor bleibt, drohen die Gewerkschaften den Graben zwischen den besser und den schlechter Qualifizierten zu vertiefen. Denn erst durch die Ansprache auch der am

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oberen Ende der Beschäftigungsskala Stehenden kann es gelingen, diese Gruppe zu mobilisieren, beispielsweise auch um für die am unteren Ende Stehenden einzutreten. Insofern als die Ypsiloner wie in diversen Studien gezeigt gemeinschaftliche Formen des Miteinanders in der Arbeit hoch gewichten, darf auch davon ausgegangen werden, dass Bereitschaft zur Solidarisierung vorhanden wäre bzw. umgekehrt es sich die Unternehmen zunehmend weniger leisten können, einen Teil ihrer Beschäftigten bzw. auch extern Zuarbeitenden zu prekarisieren, wollen sie nicht Gefahr laufen, Fachkräfte aufgrund schlechten Images zu verlieren. Denn immerhin ist, wie aus einer Studie zur Generation Y hervorgeht, der Anteil derer, die dazu beitragen wollen, »die Welt ein wenig besser zu machen« höher als der Anteil jener, für die der Umstand, sich viel leisten zu können, als erstrebenswert gilt (vgl. Huber und Rauch 2013, S. 18). Diese Arbeitskraftunternehmer brauchen keine Fabriken mehr, um sich zu finden und zu vernetzen, denn schon längst sind die Unternehmen nicht mehr die Orte, an denen sie arbeiten und somit existieren. So werden Beschäftigte auch kaum mehr dafür bezahlt, was sie im Rahmen eines Produktionsprozesses verrichten – für ihre Arbeitskraft – als für das, was sie sind (bzw. darstellen): für Teamfähigkeit, für die Beherrschung der sozialen Codes, für das erarbeitete Netzwerk, die Art, sich zu präsentieren usw – für ihre Subjektivität. Folglich geht es nicht zuletzt um die Förderung der benötigten Qualifikationen, also jener Kompetenzen, die heute in den Unternehmen als Schlüsselqualifikationen nachgefragt werden – Selbstorganisation, Flexibilität, Kreativität, soziale und kommunikative Kompetenzen, Lernfähigkeit usw. bis hin zur Fähigkeit zur Begrenzung der Selbstausbeutung. Denn auch wenn in der neoliberalen Gouvernementalität kaum mehr denkbar (und vielleicht auch gar nicht mehr wünschbar) ist, dass die eigene Erwerbsfähigkeit dauerhaft sichergestellt ist, so ist darin doch in jedem Fall auch das Moment der Selbstbestimmung enthalten – ein Faktum, dass nur deutlich gemacht und vielleicht gefördert werden muss. Die Förderung solcher, geradezu klassischer persönlichkeitsbildender bzw. bürgerlicher Fähigkeiten ist bislang jedoch nicht wirklich in dem ansonsten so breiten Bildungsangebot der Gewerkschaften enthalten und sie findet sich auch nicht in den berufsfunktional verschlankt und ausgedünnten Lehrplänen von Schule und Ausbildung. Dabei wäre gerade hier ein Ansatzpunkt, die neoliberalen Subjektivierungstechniken zu nutzen und gewissermaßen gegen diese selbst in Stellung zu bringen. (Vgl. a. Voß und Pongratz 1998) Zur Akzeptanz der Realität des Arbeitskraftunternehmers gehört nicht zuletzt, dass gewerkschaftliche Politik sich nicht nur auf die Erwerbsarbeit im engeren Sinne – Arbeitszeit, Arbeitsort, Entgelte, den Arbeitsprozess als solchen, den Erhalt von Beschäftigung, die Senkung von (Personal-)Kosten oder neue Restrukturierungen usw. – fokussieren darf, sondern die ökonomische Strukturierung insgesamt, also das gan-

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ze Leben einschließen muss. Denn wie in den vorangegangenen Abschnitten dargelegt setzt die Machttechnologie des Neoliberalismus nicht allein an der Arbeit an, sondern umfasst das gesamte Sein. Insofern heute also in gewisser Weise alles Arbeit geworden ist, ist die Ausrichtung auf die Zeit in den Unternehmen, wie von den Gewerkschaften vorgenommen, zu wenig: Ohne Berücksichtigung auch der über die Erwerbsarbeit hinausreichenden, das Leben insgesamt tangierenden Momente, lassen sich die aktuellen Verschiebungen des betrieblichen Zugriffs auf das Subjekt nicht erfassen und nicht verändern. Ziel muss sein, die Konfliktpotenziale subjektivierter und entgrenzter Arbeits- und Lebenswelten zum Streitgegenstand zu machen, von denen auch Veränderungsimpulse im Interesse der Beschäftigten zu erwarten wären. So führt gerade das Ignorieren der Verbindungslinien und zunehmenden Entgrenzung zwischen den Bereichen der Arbeit und der Freizeit zum Verlust der Chance, neue Entwicklungen in der Erwerbssphäre in ihren Folgen für das gesamte Sein zu thematisieren. Bleibt der Bereich von Nicht-Erwerbsarbeit bei der Interessenvertretung außen vor, können auch die neuen Anforderungen und Zumutungen nicht identifiziert werden, die mit der neoliberalen Subjektivierung von Arbeit verbunden sind. Gerade wenn der Zugriff auf den »ganzen Menschen« erfolgt, ist zu klären, wie dieser Zugriff begrenzt oder zumindest kanalisiert werden kann, und was für Auswirkungen er auf das Subjekt hat. (Vgl. Jürgens 2009, S. 92) Das Konzept der »Alltäglichen Lebensführung« (vgl. Fußnote auf S. 304) könnte hier ein guter Ansatzpunkt sein, insofern als es explizit den für den Arbeitskraftunternehmer so typischen Koordinations- und Synchronisationsbedarf im Alltag in den Fokus rückt und so eine einseitige Fixierung auf Erwerbsarbeit vermeidet und einem erweiterten Arbeitsbegriff Rechnung trägt. Indem mithilfe des Konzepts deutlich gemacht werden kann, dass der Zwang, das Verhältnis von Erwerbstätigkeit und anderen Aktivitäten im Alltag aktiv durch die Subjekte selbst zu gestalten, eine bestimmte Lebensführung bedingt, kann zugleich aufgezeigt werden, dass hier strukturelle Zwänge herrschen: eine Politisierung wird möglich, und damit zugleich ein Ansatzpunkt für gewerkschaftliche Interessenpolitik. (Vgl. Voß 1991, S. 82) Das gleiche gilt in Bezug auf Widersetzungen: Beschränkt sich die Analyse von Subversivem und Eigensinnigem auf Erwerbsarbeit, wird es auch nicht gelingen, die Potenziale von Widerstand einzuschätzen. Denn die Entgrenzung des Arbeitens über den engeren Rahmen des Unternehmens hinaus bedingt eben nicht nur Belastungen, sondern eröffnet auch Freiräume. Neben der eben beschriebenen Ausrichtung am Arbeitskraftunternehmer und der damit einhergehenden Notwendigkeit, die Perspektive nicht nur auf die Arbeitssphäre, sondern auf das gesamte Leben zu richten, muss man noch einen weiteren Aspekt als wesentlich für ein Fortbestehen der Gewerkschaften auch in einer neoliberalen

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Rationalität ansehen, nämlich die Öffnung für Konfliktpraktiken jenseits der festgefahrenen sozialstaatlichen Formen. Auch hier liegt, so wird sich im folgenden Abschnitt zeigen, der zentrale Ansatzpunkt in der Erweiterung der Perspektive über den engeren Kontext der Arbeitssphäre hinaus. 8.3.2. Optionen jenseits normierter Konflikte Nach wie vor fokussieren weite Teile der Gewerkschaften auf kollektive bzw. kollektiv geführte Konflikte (Minssen 2006, 47ff.) und tun sich offensichtlich schwer damit, den Arbeitskampf des Sozialstaats als Idealbild von Arbeitskonflikten fallen zu lassen; manifeste Konflikte wie die oben beschriebenen sind hingegen bei den Gewerkschaften kaum anerkannt und auffällig unterbelichtet geblieben.28 (Vgl. Heiden 2014, 358f.) Zwar haben, auch wenn die Datenlage in Bezug auf tatsächliche Streiktage unklar ist und insgesamt das Arbeitskampfvolumen seit den 1980er Jahren deutlich abgenommen hat (Dribbusch 2010; siehe auch Streeck 2013, S. 67), organisierte Arbeitskonflikte in den normierten Konfliktarenen und entsprechend der dortigen rechtlich-institutionellen Regulierungsstrukturen (grundlegend Müller-Jentsch 1997) nach wie vor eine Bedeutung für die Regulierung von Arbeitsbedingungen und in einigen Bereichen wie bei Piloten, Lokführern oder im Bereich der Kinderbetreuung kann man sogar eine gewisse »Renaissance« kollektiver Konfliktformen ausmachen.29 Dennoch ist der Bedeutungsverlust dieser Konfliktformen eklatant und es spricht vieles dafür, dass auch zukünftig keine Arbeitskämpfe im Ausmaß der 1970er und 1980er Jahre zu erwarten sind. Bleiben die Gewerkschaften auf diese Formen organisierter Kollektivkonflikte fokussiert, wird es schwer, die soziale Relevanz einer erstarkenden subjektiven Widerständigkeit oder zunehmender Mikrokonflikte in den Blick zu nehmen. (Vgl. ebd., S. 334) Und dann verkaufen die Gewerkschaften nicht nur ihr eigenes Potenzial unter Wert, ihnen entgeht zudem die Einsicht, dass der ge-

28 | Aber auch in der Arbeits- und Industriesoziologie findet sich kaum eine empirische Untersuchung oder theoretische Erörterung, die den Arbeitskonflikt nicht von den Interessen her, sondern ausgehend von manifesten Auseinandersetzungen in den Blick genommen hat. 29 | Hierin deutet sich nicht zuletzt auch ein Wandel an, hin zu einer Verberuflichung und einer Diversifizierung des Arbeitskampfs (vgl. Dribbusch 2009): So haben vor dem Hintergrund des Anstiegs der Mitgliedschaften ohne Tarifbindung, Verbandsaustritten und Tariffluchten in vielen Branchen jenseits der klassischen Kampfgebiete wie (Metall- und Elektro-) Industrie oder im öffentlichen Dienst Konflikte zugenommen und finden eben auch im Erziehungs- und Gesundheitswesen, Luftfahrt, Bahn usw. statt und drehen sich hier häufig auch um neue Themen, wie vorzeitiger Ruhestand usw. (Vgl. Heiden 2014, S. 112)

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genwärtige Wandel von Arbeit zu teils massiven gesellschaftlichen Auseinandersetzungen führt, die auch für Gewerkschaften bemerkenswerte Anschlussmöglichkeiten eröffnen. Dies gilt umso mehr als, wie gezeigt, in einer Rationalität, die über die Verbindung von Herrschafts- und Selbstherrschaftstechnologien operiert, die gesellschaftliche Relevanz von alltäglichen Widerständigkeiten nicht in erster Linie von organisationalen oder institutionalisierten Machtressourcen abhängt, sondern v.a. auch von der Summe individueller, subjektiver Machtressourcen. Diese sind jedoch (im Vergleich zu institutionellen oder organisationalen Machtressourcen) zu variabel und unbeständig, als dass sie Ausgangspunkt eines klassischen kollektiven Klassenkampfs sein könnten. Wesentlich entscheidender als die Frage, wie man eine solche (Re-) Kollektivierung erreichen könnte, ist daher, ob überhaupt und wofür Macht im Alltag und das Unbehagen am Neoliberalismus mobilisiert wird – welche Art gesellschaftlicher Auseinandersetzung sich formiert, worum es in den alltäglichen Widerständigkeiten im Kern geht und welche Funktionen diese Widerstände erfüllen. Anders formuliert: Erkennt man die heutigen zahlreichen subjektivierten Widerständigkeiten als eine Politik vieler kleiner Nadelstiche an, ist die Länge und Stärke dieser Nadelstiche eher irrelevant. Zentraler ist die Frage, ab wann sie lästig oder gar unerträglich werden, und v.a. gegen wen oder was sie sich richten. Denn aus Foucaultscher Perspektive muss Widerstand, um zu widerstehen, »wie die Macht sein« – so beweglich und produktiv wie diese. »Er [der Widerstand, K.M.] muss sich organisieren, zusammenballen und zementieren wie sie. Er muss wie sie von unten kommen und sich strategisch verteilen« (Foucault 1977/2002e, S. 351): Die Bekämpfung einer dezentralen Macht verlangt vor diesem Hintergrund insbesondere den Einsatz dezentraler Mittel, was eine Neu- oder Re-Orientierung der Gewerkschaftspolitik einschließt, nämlich die Organisierung etwa in kleineren »Zellen«, die es erlauben, viele und unterschiedliche Ausgangspunkte zu nehmen, statt sich auf Konstrukte wie das Kapital, den Staat bzw. den einen (und vielleicht falschen) Hauptgegner zu fokussieren. Gerade in einer Zeit, in der die Macht sich nicht mehr so sehr auf die Fabriken konzentriert und nationale Grenzen in Bezug auf Arbeit ihren prägenden Charakter verlieren, gilt es in diesem Sinn, den sozialen Raum als solchen zu besetzen und sich wieder anzueignen – und darin der Macht gleich diffus, dynamisch und nicht greifbar zu sein. Charakteristisch hierfür ist nicht zuletzt, dass man sich nicht über ein Drinnen und ein Draußen, über Personen, aus denen er sich zusammensetzt, oder gar über eine »Klasse« definiert, sondern über die Dichte der jeweiligen Beziehungen im Inneren. Denn angesichts der Tatsache, dass es anscheinend nicht gelingen kann, die neoliberalen Machttechnologien frontal anzugreifen,

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erscheinen Diskontinuitäten und plötzliche lokale oder regionale Bewegungen als effektivere Option.30 Organizing und Strategic Unionism Einer der wichtigsten in diese Richtung zielenden Ansätze der jüngeren (inner-) gewerkschaftlichen Diskussion sind die v.a. im angelsächsischen Raum wie auch in Frankreich unter den Labeln Strategic Unionism oder Labor Revitalization Studies (LRS) intensiv diskutierten Bemühungen um eine »strategische Wahl« von Gewerkschaften. Die mittlerweile zahlreichen Studien und Publikationen, die auch in Deutschland rezipiert werden (vgl. Frege und Kelly 2004; Tait 2005; Hälker und Vellay 2006; Schmalz und Dörre 2013), eruieren unter verschiedensten Gesichtspunkten (Mitgliederpartizipation, Bündnispolitik, Kampagnen, Kollektivvereinbarungen, politischer Tausch usw.) Möglichkeiten einer Revitalisierung von Gewerkschaften und Arbeiterbewegungen und suchen nach innovativen Strategien und Praktiken, die einen Beitrag zu einer Erneuerung deren Handlungs- und Konfliktfähigkeit leisten könnten. (Vgl. Brinkmann u. a. 2008, S. 16) Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang insbesondere auch auf den sog. »Jenaer Machtressourcenansatz«: Vor dem Hintergrund der Frage nach der Strategiefähigkeit von Gewerkschaften in Deutschland stellen die Vertreter dieses Ansatzes die Machtmittel von Beschäftigten und kollektiven Interessenvertretungen in den Vordergrund, um veränderten institutionellen und ökonomischen Rahmenbedingungen zu begegnen.31 Ausgangspunkt dieses wie auch der anderen, teilweise recht unterschiedlichen Ansätze im Bereich Labour Revitalization ist das Bestreben, die lähmenden Implikationen einfacher Modernisierungsdefizit-Theorien zu vermeiden und

30 | Vor dem Hintergrund dieser Bilanz haben nicht zuletzt die Schriften und Ansätze Rosa Luxemburgs zum Wechselspiel von Reform und Revolution (insb. Luxemburg 1899) eine gewisse Relevanz, auch wenn Luxemburgs Ideen wesentlich zeitgebundener sind als etwa die grundsätzlichen Analysen des Kapitals von Marx/Engels. Vor allem Luxemburgs undogmatisches Zusammendenken von Organisation und Spontaneität, von Tagesforderungen und Endzielen und ihr Versuch einer Verbindung von Partei und Bewegung, von organisiertem und unorganisiertem Protest ist hochaktuell angesichts der immer wieder zu beobachtenden Tendenzen zu Verselbständigung und Integration bei Großorganisationen wie Parteien und Gewerkschaften. Bedeutsam ist insbesondere, dass Luxemburg die Organisation nie als Selbstzweck ansah und in den politischen Auseinandersetzungen ihrer Zeit Rechenschaft darüber forderte, ob diese Organisationen ihren ursprünglichen Zweck noch erfüllen. (Vgl. zu Luxemburg etwa Geras 1979) 31 | Vgl. zum Jenaer Machtressourcenansatz z.B. Urban 2015, Schmalz und Dörre 2014, Schmalz und Dörre 2013.

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stattdessen das Hauptaugenmerk auf die Möglichkeit einer »strategischen Wahl« zu lenken, also Handlungsalternativen auszuloten, die es den Gewerkschaften ermöglichen, sich auf neue Bedingungen einzustellen und ihre Handlungs- und Konfliktfähigkeit zu erneuern. (Vgl. Brinkmann u. a. 2008, S. 47) Als besonders vielversprechender Zugang innerhalb der LRS kann man, auch aus einer Foucaultschen Perspektive, den ursprünglich aus den neuen Arbeiterbewegungen und erstarkenden Gewerkschaften in einigen Ländern des Südens stammenden Social Movement Unionism ansehen.32 Die dortigen, nur gering institutionalisierten Bewegungsgewerkschaften zeichnen sich dadurch aus, dass sie über eine umfassende Beteiligungskultur innerhalb ihrer Mitglieder verfügen und für ihre Kämpfe auf Mobilisierung über die Fabrik- bzw. Gewerkschaftsgrenzen hinaus setzen. Hierzu schließen sie Bündnisse mit sozialen Bewegungen jenseits der Arbeitssphäre und bemühen sich insbesondere um die Verbindung auch mit jenen Gruppen, die zu eigenständiger Mobilisierung aus sich heraus nicht in der Lage sind, also etwa das moderne Proletariat Arbeitsloser oder prekär Beschäftigter oder vielleicht auch die sich spontan aufgrund eines konkreten Vorfalls bildenden Widerständigkeiten unorganisierter Mitarbeiter in einem Betrieb (ähnlich dem Beispiel auf S. 339). (Vgl. Dörre 2010, 899f.) Teilweise begreifen sich diese Gewerkschaften selbst als eine soziale Bewegung und setzen so auch auf eine wieder stärkere gesellschaftliche Verankerung, da dies aus ihrer Sicht der beste Weg ist, die erforderliche Menge an Mobilisierung zu erreichen, um die maximale wirtschaftliche Hebelwirkung zu erreichen: »[Social movement unionism] is militant in collective bargaining in the belief that retreat anywhere only leads to more re-treats. It seeks to craft bargaining demands that create more jobs and aid the whole class. It fights for power and organisation in the workplace or on the job in the realisation that it is there that the greatest leverage exists, when properly applied. It is political by acting independently of the retreating parties of liberalism and social democracy, whatever the relations of the union with such parties. It multiplies its political and social power by reaching out to other sectors of the class, be they unions, neighbourhood-based organisations, or other social movements. It fights for all the oppressed and enhances its own power by doing so.« (Moody 1997, S. 5).

32 | Als wissenschaftliche Konzept ist Social Movement Unionism Ende der 1980er Jahre als Versuch entstanden, die lebendigen Gewerkschaftsbewegungen in einigen Ländern des Südens, darunter Südkorea und Südafrika, zu verstehen. Vgl. zum Social Movement Unionism allgemein Brinkmann u. a. 2008, S. 64 sowie Voss 2013.

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Unabhängig davon, ob man dies als Herausbildung eines neuartigen, sich jenseits korporativer Einbindung formierenden Gewerkschaftstyps ansieht (so bspw. Moody 1997) oder lediglich als Neuauflage des alten »political unionism« interpretiert (so z.B. Neary 2002), so zeigt sich darin doch eine deutliche Abwendung vom Intermediaritätsparadigma: Wie oben dargelegt gelingt es Gewerkschaften, die, relativ eng an das Management und den Staat angelehnt, vor allem nach mit diesen gemeinsamen Lösungen suchen, offensichtlich kaum, der Dynamik des Neoliberalismus etwas entgegenzusetzen und organisationspolitisch erfolgreich zu sein – in der Rationalität des Neoliberalismus greifen eben die Mechanismen des Sozialstaats nicht mehr wirklich. (Vgl. Dörre 2010, 899f.) In dem für die Debatte wichtigen und inzwischen als klassische Studie innerhalb des LRS geltenden Aufsatz Breaking the Iron Law of Oligarchy nennen Kim Voss und Rachel Sherman (Voss und Sherman 2000) – ausgehend von einer Untersuchung des Erneuerungsprozesses einiger US-Gewerkschaften – »Organizing« als zentralen Ansatz sowohl zur Werbung und Einbeziehung von Mitgliedern in die Gewerkschaftsarbeit als auch zur Organisationsentwicklung in Richtung einer partizipationsorientierten Mitgliederorganisation. Eine am Organizing-Ansatz ausgerichtete Gewerkschaftspraxis fordert Voss/Sherman zufolge die Überwindung bürokratischer Strukturen und eingeschliffener Praktiken in den Gewerkschaften und setzt sich sowohl von einer an Serviceleistungen für die Mitglieder orientierten Dienstleistungsgewerkschaft ab als auch von einer aktionsorientierten über militante und konfrontative Praktiken und mit breiter politischer Agenda operierenden Bewegungsgewerkschaft. (Vgl. Voss und Sherman 2000, S. 316 und Brinkmann u. a. 2008, S. 72) Strategisch bedeutet Organizing dabei, die Organisationsmacht der Gewerkschaften ins Zentrum aller Aktivitäten zu rücken. Organizing-Konzepte zielen, sofern man sie nicht einfach auf eine Methode zur Rekrutierung neuer Mitglieder reduziert, auch darauf, eine primär passive Repräsentation aufzubrechen und die Einzelnen z.B. auf der Betriebsebene aktiv zu integrieren, um so die Mobilisierungsfähigkeit und die direkte Partizipation zu erhöhen (Frege 2000, S. 268; Fiorito 2004). Konstitutives Element eines solchen »weiten« Organizing-Ansatzes ist folglich ein nachhaltig verändertes Verhältnis zwischen Funktionären bzw. aktiven Gewerkschaftern auf der einen und einfachen Mitgliedern auf der anderen Seite, denn verbesserte Partizipation und Mitbestimmung bei wichtigen Entscheidungen gelten nicht nur als Schritte hin zu einer allgemeinen Demokratisierung von Gewerkschaften, sondern werden von vielen Autoren auch als zentral für eine erfolgreiche Ansprache nicht gewerkschaftlich organisierter Beschäftigter betrachtet. (Etwa Clawson 2005, S. 41 oder Fantasia und Voss 2004, 127f. vgl. a. Brinkmann u. a. 2008, 79ff.).

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Beispiele für Organizing in Deutschland In der Tat werden Elemente dieses Ansatzes von deutschen Gewerkschaften bereits ansatzweise erprobt, wobei v.a. die IG Metall, ver.di sowie die IG BAU mit Organizing-Strategien experimentieren, wenn auch bisher in bescheidenem Umfang (vgl. z. B. die Berichte in Bremme, Fürniß und Meinecke 2007 sowie Birke 2010 und Scholz 2013).33 Ein frühes Beispiel für eine Organizing-Kampagne – ohne dass dieser Name für solche Art Kampagnen bereits herangezogen worden wäre – sind die Streiks der sog. »Neuen Beweglichkeit« in den Jahren 1980 bis 1983, die an Erfahrungen der »alten« Arbeiterbewegung anknüpften und angesichts leerer Streikkassen nach harten »klassischen« Arbeitskämpfen von der IG Metall entwickelt worden war. Dieses Konzept der Neuen Beweglichkeit basierte neben gewerkschaftlich organisierten Warnstreiks und Demonstrationen v.a. auf diversen öffentlichkeitswirksamen Aktionen, die das Ziel hatten, »öffentlichen und politischen Druck auf die Arbeitgeber auszuüben, die Kampfbereitschaft der organisierten Arbeitnehmer zu demonstrieren und damit einen annehmbaren Kompromiss in einer Tarifauseinandersetzung zu erzielen« (Lang 1982, S. 549). Die Anwendung des Konzepts zeigte beachtliche Erfolge, so beteiligten sich 1980/81 fast 3 Millionen Arbeitnehmer aus knapp 8.000 Betrieben an über 7.000 Einzelaktionen, die neben Infoständen und Warnstreiks auch Autokorsos, Hausfrauennachmittage, Jugendfeten und Unterschriftensammlungen, bis hin zu betrieblichen Aktionen und Theateraufführungen umfassten – allesamt öffentliche und betriebliche Aktionen, bei denen die Spaltung der Gewerkschaftsmitglieder in »Aktive« und »Passive« verschwamm. (Vgl. Boll und Kalass 2014, 560ff.) Zugleich zeigten diese Aktionsformen aber auch starke Elemente früher Arbeitskampfformen, die geprägt waren von Spontanität, Ausgelassenheit und Gefühlen der Zusammengehörigkeit und Stärke (vgl. Abschnitte 5.2 und 5.3). Als zentrale neuere Kampagnen gelten etwa die Schlecker-Kampagne, die LIDLKampagne oder das Projekt »Call Center«. Die Schlecker-Aktion der Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV) 1994/1995 war eine der ersten auch als solche bezeichneten Kampagnen überhaupt und richtete sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen und v.a. die extreme Betriebsratsfeindlichkeit der Drogeriemarktkette: Schlecker, der mit bundesweit über 11.000 Filialen und rund 40.000 Beschäftigten etwa 75 % der Drogeriemärkte in Deutschland auf sich vereinigte, hatte eine Arbeitsorganisation geschaffen, die auf der Beschäftigung von v.a. Teilzeitbeschäf-

33 | Gewerkschaften, bei denen die Idee der Sozialpartnerschaft besonders dominant ist, wie die IG Bergbau, Chemie, Energie verhalten sich hingegen gegenüber dem Organizing-Ansatz eher reserviert (vgl. Rehder 2014, 250f.).

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tigten und Aushilfen (überwiegend junge, ungelernte Frauen) aufbaute und sich dadurch auszeichnete, dass typischerweise jeweils nur eine dieser Angestellten in einer Filiale anwesend war. Dadurch dass die Filialen als im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes jeweils eigener Betrieb geführt wurden – unabhängig davon, dass Produktplanung, Standortentscheidungen, Marketing usw. zentral vom Firmensitz aus gesteuert wurden – waren aufgrund der geringen Betriebsgröße einzelbetrieblich keine Betriebsratsbildungen realisierbar. Wo Betriebsratsgründungen denkbar gewesen wären, wurden diese systematisch bekämpft und endeten typischerweise mit Kündigung der Initiatorinnen. Vor diesem Hintergrund und der damit zusammenhängenden schlechten Arbeitsbedingungen in den Filialen und tarifvertragswidrigen Bezahlung führte die HBV 1994/95 über sechs Monate hinweg eine öffentlich angelegte Kampagne, die auf eine starke Beteiligung der Beschäftigten setzte und in Verbindung mit der öffentlichen Skandalisierung der Zustände bei Schlecker Forderungen nach Betriebsräten vorbrachte. Nicht zuletzt aufgrund des wachsenden öffentlichen Drucks musste die Unternehmensleitung nachgeben und unterzeichnete im April 1995 einen Tarifvertrag, im Rahmen dessen der Weg frei war für die Gründung von filialübergreifenden Flächenbetriebsräten (nach §3 BetrVG). In der Folge kam es tatsächlich bundesweit zu etwa 100 Betriebsratsgründungen bei Schlecker. (Vgl. Bormann 2008 und Dribbusch 2007, 145f.) In eine ähnliche Richtung zielte das vom Hauptvorstand der Deutschen Postgewerkschaft (DPG) 1999 ins Leben gerufene und von ver.di bis 2003 weitergeführte Projekt »Call Center«. Ziel dieses, von der DPG mit einer eigenen Organisationsstruktur und mit eigenen personellen und finanziellen Ressourcen ausgestatteten Projekts war ebenfalls, die bis dahin weitgehend »vertretungsfreien« Call-Center in der Telekommunikationsbranche gewerkschaftlich zu organisieren. Zwar gelang es der DPG und später ver.di, über dieses Projekt Betriebsräte in vielen größeren unabhängigen Dienstleistungsunternehmen zu etablieren, aber nicht, ausreichend Mitglieder zu rekrutieren, um als Gewerkschaft handlungsfähig zu werden. (Vgl. Brinkmann u. a. 2008, 117ff.) Aus gewerkschaftlicher Sicht erfolgreicher verlief die kampagnen- und bündnisorientierte LIDL-Kampagne von ver.di, die eine ungeahnte Medienresonanz und Öffentlichkeit hervorgerufen und der Gesamtorganisation einen immensen positiven Imagezugewinn beschert hat. Hintergrund dieser Kampagne waren fehlgeschlagene Versuche, sich in der expandierenden Einzelhandelsbranche zu verankern, wobei die Rahmenbedingungen im filialisierten Einzelhandel für Gewerkschaften extrem ungünstig waren, da der hohe Konkurrenzdruck in der Branche sich in niedrigen Personalkosten und einer Ausweitung von prekären Beschäftigungsverhältnissen niederschlägt. (Vgl. ebd., S. 120)

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Bewusst bezugnehmend auf den Organizing-Ansatz amerikanischer Gewerkschaften, beschreitet ver.di mit der LIDL-Kampagne neue Wege der Kampagnen- und Organisierungspolitik (Schreieder 2005). Gestartet wurde die LIDL-Kampagne im Dezember 2004 mit der Veröffentlichung des Schwarzbuch LIDL (Hamann und Giese 2004), in dem die Autoren Hamann und Giese die Arbeitsbedingungen der rund 30.000 Beschäftigten offen legten. Parallel dazu und in der Folge wurden aktive und potentielle Mitglieder, Sympathisanten, Medien, Konsumenten und auch hauptamtliche Gewerkschaftler in Bewegung gesetzt, um den LIDL-Konzern und dessen Personalpolitik in aller Härte zu brandmarken. In einem Bündnis mit Attac, christlichen Gruppen und anderen NGOs wurde eine groß angelegte Presse- und Öffentlichkeitskampagne gegen LIDL initiiert, in der Bürger anhand des Themas »Menschenwürde am Arbeitsplatz« auf ihre aktive Rolle als Konsumenten angesprochen wurden. Eine besondere Form von Bündnispolitik stellte das Patenschaftskonzept dar, bei dem sich lokale oder überregionale Prominente zu Paten erklärten und öffentlich ihre Unterstützung für die Kampagne demonstrierten. Ehrenamtlich Aktive, Betriebsräte oder Beschäftigte aus anderen Unternehmen sowie Mitglieder aus anderen Gewerkschaften übernahmen ebenfalls Partnerschaften, die, z.B. durch regelmäßige Besuche, dem Aufbau von Vertrauensbeziehungen zu Beschäftigten in den Filialen dienen sollten. Ein zur Kampagne eingerichteter Online-Blog diente dabei sowohl als Forum für LIDL-Beschäftigte als auch als Informationsquelle für Interessierte. Neu war zudem die bewusst europaweite Ausrichtung der Kampagne, was sich in der Veröffentlichung des Schwarzbuchs LIDL Europa 2006 und einer konkreten Zusammenarbeit mit Handelsgewerkschaften in Europa sowie mit der UNI Handel ausdrückt. (Vgl. Brinkmann u. a. 2008, 120f.) Ebenfalls hervorzuheben ist auch der im Zusammenhang mit der LIDL-Kampagne von ver.di Ende 2007 per SMS und anderer Medien initiierte Flashmob: Die Teilnehmer – gewerkschaftlich Organisierte wie Nicht-Organisierte – beluden in der Filiale ihre Einkaufswagen, ließen dann aber die Wagen stehen oder bezahlten die Produkte an der Kasse mit Kleingeld und störten oder verzögerten dadurch die Betriebsabläufe – nicht anders als bei einem klassischen Arbeitskampf auch.34 Auch wenn es sich bei diesem Flashmob letztlich um eine einmalige Aktion handelte, so macht die starke Öffentlichkeitswirksamkeit der Kampagne wie auch das Einbeziehen von (einfachen) Mitgliedern und sogar Nicht-Mitgliedern doch deutlich, dass typische Organizing-

34 | Diese Aktion beschäftigte auch die Arbeitsgerichte bis zum Bundesarbeitsgericht, das in seiner Entscheidung vom 22. 9. 2009 entschied, dass Flashmobs unter gewissen Bedingungen von der Kampfmittelfreiheit im Arbeitskampfrecht gedeckt und dabei auch externe Teilnehmer zugelassen seien (1 AZR 972/08 vom 22. 9. 2009).

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Strategien auch in Deutschland funktionieren können. (Vgl. Rehder 2014, S. 251 und Boll und Kalass 2014, S. 570) Anders als bei vielen anderen Kampagnen und Projekten war die Mitgliedergewinnung bei LIDL kein direktes Ziel; lediglich vermittelt über die Gründung von Betriebsräten sollte Mitgliederwerbung erfolgen. Dennoch war seit Beginn der Kampagne eine positive gewerkschaftliche Mitgliederentwicklung nicht nur bei LIDL, sondern auch bei Schwarz-Unternehmenstöchtern zu beobachten. So wird, auch wenn das genannte Ziel der Etablierung von Betriebsräten nur teilweise erreicht wurde, die Kampagne von ver.di als Erfolg gewertet, v.a. weil auch erste Verbesserungen der Arbeitsbedingungen durchgesetzt werden konnten. (Vgl. Brinkmann u. a. 2008, 121ff.) In jedem Fall kann das Beispiel als konsequenter Versuch der Implementierung einer neuen, sich am Organizing-Ansatz orientierenden Kampagnenpolitik gesehen werden, die nicht zuletzt auch das mobilisierbare Potential und die ungeahnten Möglichkeiten, die eine Organisation wie ver.di sich erschließen könnte, deutlich macht: Die LIDL-Kampagne zeigt, dass bei ver.di zumindest teilweise ein Krisenbewusstsein vorhanden ist und es gegenüber neuen Kampagnenkonzepten eine größere Offenheit gibt. Ein weiteres Beispiel, das auf Betriebsebene den Rückgriff auf Organizing-Praktiken aufzeigt (ohne dass tatsächlich explizit auf den Organizing-Ansatz Bezug genommen wurde), ist der Kampf um den Kieler Standort der Firma Heidelberger Druckmaschinen. Dort wurde im März 2003, obwohl erst 2002 eine Standort- und Beschäftigungssicherungs-Vereinbarung abgeschlossen worden war, die zur Sicherung der Arbeitsplätze erhebliche Verzichtsleistungen für die Beschäftigten beinhaltete, durch die Firmenleitung angekündigt, die Produktion digitaler Druckmaschinen in die USA zu verlagern, was den Abbau von 770 von knapp 1.500 Arbeitsplätzen am Standort Kiel bedeutete. Anstelle nun wie üblich über einen Sozialplan mit der Geschäftsführung einen Interessenausgleich zu verhandeln, bezog der Betriebsrat vor Ort die Beschäftigten unmittelbar mit ein und beteiligte sie direkt an der Auseinandersetzung. Als Ergebnis der gemeinsamen Diskussionen wurde beschlossen, keine erneute Betriebsvereinbarung abzuschließen, sondern gemeinsam mit der Gewerkschaft eine tarifliche Auseinandersetzung zu führen, was rechtlich nicht unproblematisch war, da das Arbeitsrecht nicht vorsieht, dass die Beschäftigten einer einzelnen Firma während der Friedenspflicht Tarifforderungen stellen.35 Forderungen der betrieblichen Tarifkommission waren u.a. eine deutliche Verlängerung der Kündigungsfristen (um den Zeitpunkt der Schließung hinauszuzögern) sowie Qualifizie-

35 | Später bestätigte das Arbeitsgericht in Kiel die Rechtmäßigkeit des Streiks.

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rungsmaßnahmen, die Fortzahlung der Vergütung für zwei volle Jahre sowie Abfindungen in Höhe von zwei bis drei Monatsentgelten pro Beschäftigungsjahr. (Vgl. ebd., S. 125) Zur Durchsetzung der Forderungen wurde schließlich ein Streik gefahren (was mindestens ungewöhnlich ist, schließlich wird eine Firma von Beschäftigten bestreikt, die ja anscheinend ohnehin gar nicht mehr benötigt werden), wodurch auch öffentlicher Druck aufgebaut werden konnte. Zusätzlich wurden Bündnisse mit Kirchen und Kommunalpolitikern geknüpft und etwa eine Demonstration organisiert, an der sich immerhin 7.000 Menschen beteiligten. Letzten Endes verhinderten diese Aktionen die Entlassungen nicht; jedoch wurden einige der Forderungen realisiert, und v.a. eine neue »Kultur der Beteiligung« gezeigt, die auch Orientierung für andere Konflikte bot und bietet. So gingen, als 2005 der Chiphersteller Infineon in München und Electrolux (AEG) in Nürnberg ebenfalls mit Verlagerungen und Werksschließungen drohten, Gewerkschafter und Betriebsräte einen ähnlichen Weg und beteiligten die Beschäftigten an der Auseinandersetzung und organisierten Solidarität in den jeweiligen Städten um den Abschluss von Sozialtarifverträgen zu erreichen, was tatsächlich auch gelang. (Vgl. ebd., S. 126f.) Organizing als Perspektive für Deutschland Die vorigen Abschnitte haben gezeigt, dass sich Praxisformen entwickeln, denen durchaus eine innovative Qualität bei der Erneuerung der Widerstandsfähigkeit der Gewerkschaften in einem neoliberalen Kontext zugesprochen werden kann. Insofern als die deutschen Gewerkschaften nach wie vor ins politische System eingebunden sind und vielfach mit am Verhandlungstisch sitzen, sind allzu konfliktorientierte Strategien wie in Lateinamerika oder den USA, wo die Gewerkschaften nicht viel zu verlieren haben, natürlich nicht zu erwarten.36 Bei allen Besonderheiten dieses v.a. in den Ländern Südamerikas entstandenen Union Revivals gegenüber mitteleuropäischen Gegebenheiten wird anhand der genannten Beispiele aber doch deutlich, dass ein weiterer linearer Niedergang gewerkschaftlicher Organisationsmacht nicht zwangsläufig ist, sondern die Entstehung neuer Praktiken innerhalb bestehender Arbeiterbewegungen ganz offensichtlich eine reale Möglichkeit darstellt. Diese Praktiken und innovativen, über die strukturierenden Bedingungen hinausweisenden For-

36 | Ein bisschen in diese Richtung geht die auf dem 50. Bundeskongress des DGB intensiv geführte Diskussion um »Zivilen Ungehorsam«. Auf einen entsprechenden Antrag der DGB-Jugend hin wird dieser seitdem als »legitime Aktionsform des DGB« bei »gesellschaftlichen und betrieblichen Auseinandersetzungen« gewertet. (Vgl. einblick vom 23.5.14, http://einblick.dgb.de/++co++f3147faa-e288-11e3-b34b-52540023e f1a)

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men individuellen, dann aber auch kollektiven Handelns zeigen, dass es inzwischen bereits für die Arbeitermacht bedeutsame Entwicklungsprozesse jenseits des institutionellen Rahmens organisierter Arbeitsbeziehungen gibt – offenbar ermöglicht die Erosion und Aushöhlung des institutionellen Rahmens zumindest in gewissem Maße einen Transfer von Praktiken und somit Lernprozesse, die sich hergebrachten Arbeiterinstitutionen verschließen. So sieht auch der für Organisationspolitik zuständige 2. Vorsitzenden der IG Metall Detlef Wetzel Organizing als Möglichkeit, Mitglieder-, Beteiligungs- und Konfliktorientierung zu verbinden: »Im Zentrum steht dabei die Frage: Warum schließen sich Menschen in Gewerkschaften zusammen? Es geht um eine Wiederbelebung gewerkschaftlicher Aktivitäten. Es geht darum, unsere Werte Solidarität, Gerechtigkeit, Würde und Freiheit erfahrbar und erlebbar zu machen: Mitgliederaktivierung statt passiver Mitgliedschaft, Mitgliederbeteiligung und Selbstbestimmung statt Stellvertreterpolitik. Die Philosophie ist, dass wir die Beschäftigten dabei unterstützen, ihre Rechte selbst in Anspruch zu nehmen und so am Arbeitsplatz zu einem selbstbewusst handelnden Subjekt zu werden. Es geht um Emanzipation und nicht um Reklame, und deswegen stehen im Zentrum der Organizingaktivitäten nicht die allgemeinen Themen der Gewerkschaft, sondern die Themen, die den Beschäftigten unter den Nägeln brennen. Organizing braucht einen Anlass, der in den Problemlagen der Beschäftigten selbst zu finden ist. Diesen Anlass erfahren wir nur durch Beteiligung. Das unterscheidet Organizing von herkömmlicher Mitgliederwerbung, die natürlich weiterhin unverzichtbar ist, aber in aller Regel auf ein passives Bewerben der Leistungen der Organisation für ein Mitglied abzielt. Organizing geht an die Wurzeln der gewerkschaftlichen Organisation zurück. Techniken aus der Zeit, als die Gewerkschaften noch ursprüngliche soziale Bewegungen waren, werden wiederbelebt.« (Wetzel 2014, S. 53)

Auch wenn es hierzulande bislang lediglich vereinzelt Experimente mit neuen Mobilisierungskonzepten und Kampagnen gibt, bei denen in Anlehnung an OrganizingStrategien sehr viel stärker als bei klassischen Streiks auf eine aktive Beteiligung der Beschäftigten gesetzt wurde und die Beschäftigten damit ganz offensichtlich nicht mehr nur als Organisationsmitglied gesehen, sondern sie als aktiv handelnde Subjekte angesprochen wurden, so ist doch anzuzweifeln, dass sich die Gewerkschaften in Deutschland langfristig wirklich zu Bewegungsgewerkschaften transformieren, v.a. weil ihnen in Deutschland dafür institutionell zu sehr die Rolle einer Ordnungsmacht zugewiesen wird und hierin auch ihr Selbstverständnis gründet. (Vgl. Heiden 2014, S. 359) Obwohl somit noch offen ist, in welchem Rahmen Gewerkschaften in Deutschland ihre Strategien umstellen und inwieweit sich hierzulande über Organizing und Kampagnen neue wirksame Widerstands-Praktiken implementieren lassen,

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ist in jedem Fall doch festzuhalten, dass bei diesen Ansätzen die Unterschiede zwischen kollektiven und subjekt-bezogenen Arbeitskonflikten zu verwischen beginnen und damit stärker Arbeitskraftunternehmer-bezogene Gewerkschaftsarbeit betrieben wird. Das alleinige Fixieren auf eine (nicht mehr zeitgemäße) Taylorismuskritik und Ausblenden der neoliberalen Subjektivierungen verhindert dementgegen jedoch, die Mechanismen der neuen Managementkonzepte aufzuzeigen, wodurch den Gewerkschaften letztlich ihr gesellschaftskritischer Anspruch abhanden kommt. Zur Problematik gehört auch, dass die Gewerkschaften trotz einzelner weiterführender wie der gezeigten Ansätze nach wie vor v.a. auf politische Lobbyarbeit setzen, diese jedoch in postkorporatistischen Zeiten ihre Wirksamkeit mehr und mehr verliert. Um an Einfluss zu gewinnen, ist es daher wichtig, dass Gewerkschaften wieder zu Laboratorien für neue Ideen werden, was eine Offenheit auch für abweichende Ideen voraussetzt, die sich mitunter in einem Spannungsverhältnis zur gewerkschaftlichen Programmatik bewegen; es geht um eine Art Neuerfindung der Gewerkschaften mit anderen Strukturen, Organisationsmustern, Erfahrungs- und Lernprozessen und v.a. neuen dynamischeren politischen Praktiken. Denn ihre gesellschaftstheoretische Relevanz werden Gewerkschaften nur erhöhen können, wenn sie sich auch mit Optionen jenseits normierter Konflikte und kollektiver Aushandlungen auseinandersetzen. Eine adäquate Berücksichtigung der Veränderungen der Arbeitsbeziehungen im Neoliberalismus steht bislang noch aus. Hierzu wäre es v.a. erforderlich, organisations- und institutionenzentrierte Analysen organisierter Arbeitsbeziehungen wieder stärker auf ihre ursprünglichen sozioökonomischen Kontexte rückzubeziehen und Machtsressourcen und -asymmetrien, nichtnormierte Konflikte und soziale Bewegungen wieder in den Blick zu nehmen. Dies bedeutet auch, dass Interessenvertretung nicht mehr ausschließlich als intermediäre Interessenregulierung betrieben werden kann; stattdessen muss berücksichtigt werden, dass Konflikte um die Arbeit heute in eine Vielzahl differenzierter, klassenunspezifischer Momente eingebettet sind, die eine Verbindung von Arbeitermacht mit anderen Machtquellen und -ressourcen ermöglicht. Ein solcher Formwandel von Arbeitermacht lässt sich jedoch nur vollziehen, wenn auch neue Akteure (Konsumentengruppen, Frauenorganisationen, Umweltverbände, NGOs, aber v.a. auch spontane, unorganisierte Protestgruppen und -bewegungen) einbezogen werden und eine Perspektive eingenommen wird, die über die Wahrung von Besitzständen hinausgeht. Ohne den Mut zu konzeptionellen Innovationen jenseits des Intermediaritätsparadigmas dürfte ein Fortbestand mit messbaren Ergebnissen nur schwer möglich sein. (Vgl. Dörre 2010, 900f.)

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Tatsächlich gibt es, wie anhand der LIDL- oder der Schlecker-Kampagnen deutlich wurde, auch schon erste Ansätze neuer organisationaler, stärker subjektbezogener Gewerkschaftspraktiken, die sich dadurch auszeichnen, dass sie offener, flexibler und reversibler gehandhabt werden, als dies in den Verhandlungsbeziehungen und Aushandlungsaktivitäten der traditionellen Interessenvertretung der Fall bzw. überhaupt möglich war. Hier wurden Ansätze zu kollektiven Strategien deutlich, die nicht eingegrenzt sind auf die traditionellen Akteure industrieller Beziehungen und die klassischen Verhandlungsfelder und Verhandlungsgegenstände. Auch gibt es bereits vorsichtige Ansätze, andere Formen der Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit auszuprobieren, etwa wenn neue Arbeitsweisen wie Projektmanagement und Projektarbeit anstelle von Ausschussarbeit, stärker dialog-und diskursorientierte Betriebs- und Mitgliederversammlungen, Plattformen zum Erfahrungsaustausch eingerichtet werden (vgl. Martens 2001). Das von ver.di als »Netzwerk für Medienschaffende« mit umfangreichen Service-Angeboten initiierte Projekt connexx.av beispielsweise ist der Versuch einer eher informellen Form von Interessenvertretung mit Fokus auf Dienstleistungen für Mitglieder etwa in Form von individuellen Beratungsangeboten in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten, für die Karriereplanung etc. (Siehe http://www.connexx-av.de/) Vor allem aber finden sich in diesem Sektor zahlreiche neuartige, die kollektive Interessenvertretung ergänzende oder ersetzende Formen individueller Beteiligung in Form arbeitskräftebezogener Vereinbarungen zur Arbeitszeit (vgl. z.B. Böhm, Herrmann und Trinczek 2002, Sauer 2002), zu erfolgsbezogener Entlohnung (Heidemann 2000) usw. In eine ähnliche Richtung gehen nicht bis kaum institutionalisierte, meist rein anlassbezogen eingerichtete Ansätze der Vermittlung von Mitarbeiterinteressen (Städler, Feseker und Lange 2004), wie die Bereitstellung von »Mentoren« oder »Coaches« oder die Einrichtung und Organisation von »Runden Tischen« oder von Projektnetzwerken. (Vgl. Deiß und Schmierl 2005, S. 306) An diesen Beispielen zeigt sich, dass die Auflösung der Strukturen und Grenzziehungen, die das System der industriellen Beziehungen in Deutschland bislang geprägt haben, zumindest teilweise eine neue Richtung eingeschlagen haben, die nun allerdings auch beschleunigt weiter verfolgt werden müsste. Im folgenden, diese Arbeit beschließenden Kapitel 9 wird nun noch einmal der Verlauf der vorliegenden Arbeit rekapituliert und im Zuge dessen dann auch Implikationen dieser Arbeit für die Arbeiterbewegung, für die Arbeits- und Industriesoziologie sowie für sich in einem Foucaultschen Kontext verortende Arbeiten aufgezeigt.

9. Rück- und Ausblick: Eine Zukunft des Gegen-Verhaltens

Macht ist im Foucaultschen Verständnis wie gezeigt eine komplexe strategische Situation innerhalb einer Gesellschaft. Sie wirkt als auf Handeln gerichtetes Handeln, weshalb im Schnittpunkt der Wirkungen der Macht das Subjekt liegt: die Macht formt das Handeln der Subjekte. So verstanden markiert Subjektivität nicht eine äußerliche Grenze der Machtbeziehungen. Subjektivität ist aber auch kein bloßes Anwendungsfeld für Machttechnologien; vielmehr funktionieren moderne Machtmechanismen gerade mittels spezifischer Subjektivierungsformen. Vor diesem Hintergrund wird als das wesentliche Ziel Foucaults Arbeiten hier das Beschreiben einer historischen und kritischen »Ontologie unserer selbst« angesehen, und damit der Versuch, unsere Subjektivität, unser Verhältnis zu uns selbst zumindest ein Stück weit zu befreien. Als ein solcher Versuch ist nun auch die vorliegende Arbeit einzuordnen. Die Beschreibung begann dabei in Teil II mit dem, was gemeinhin als Beginn der europäischen Moderne bezeichnet ist, also dem Zeitpunkt als sich »die Grenze zwischen dem Menschenmöglichen und dem Natürlich-Unverfügbaren verschob« mit der Folge, dass nun fortan »der Bereich, der der Macht des Menschen unterliegt, tendenziell offen war« (Makropoulos 1990, S. 411). Mit dieser gewaltigen Entgrenzung eröffnete sich, so Michael Makropoulos These, der Raum für die Realisierung einer ganz neuen Machttechnologie, die über Rationalitäten operiert und mit spezifischen, einander ebenso ablösenden wie sich ergänzenden Regierungs- und Subjektivierungstechnologien einhergeht. In Anlehnung an Foucaults zwei Bände der Geschichte der Gouvernementalität wurde in Kapitel 4 mit der Staatsräson eine erste solche Regierungsrationalität beschrieben, die sich dadurch auszeichnete, dass das Ziel der Regierung der Staat selbst ist, also konkret die Vergrößerung und Stärkung der Kräfte des Staates, die mittels umfassender Reglementierung durch die Policey als ihr wesentliches Organ realisiert werden soll. Bemerkenswerterweise tritt parallel zu den Auseinandersetzun-

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gen, in denen sich die Regierungstechnologie der Staatsräson konturiert, der Begriff der Arbeit in geradezu eigenartiger Weise in den Vordergrund, und es zeichnet sich hier ein wichtiger, in Foucaults Geschichte der Gouvernementalität außen vor gelassener Aspekt der Regierungstechnologie ab: Arbeit wird nun nicht mehr nur negativ als Zwang und wirtschaftliche Notwendigkeit und als moralische Verpflichtung, »Korrektiv gegen die Laster des Volkes« und Strafe für den Sündenfall stigmatisiert, sondern positiv zum Mittel der Stärkung des Staats bestimmt. Der arbeitende bzw. der nicht-arbeitende Mensch ist so auch der eigentliche Gegenstand der Policey, die sicherzustellen hat, dass die Menschen in möglichst großer Zahl existieren und arbeiten können, und vor allem dies auch tun. Entsprechend wird nun erstmalig jenseits einer bloß moralischen Disqualifizierung das Problem der zwar erwerbsfähigen, jedoch nicht arbeitswilligen Personen virulent, die zur hauptsächlichen Zielscheibe der sozialdisziplinären Maßnahmen des staatsraisonalen Staats werden. Mit der Heraufkunft der liberalen Regierungstechnologien weicht nun die starre staatsraisonale Reglementierung dem Laissez-faire, und damit der Einrichtung einer »interne[n] Regelung der gouvernementalen Vernunft« (Foucault 2004b, S. 25), die entlang der Frage verläuft, wie man es anstellt, »nicht zu viel zu regieren« (ebd., S. 29). Die grundsätzliche Infragestellung der Reglementierung im Laissez-faire bezieht sich auch auf den Umgang mit der Arbeit und es kommt zur allgemeinen Durchsetzung von Lohnarbeit, d.h. »freier«, marktförmig organisierter Arbeit. Diese Lohnarbeit ist nicht zuletzt dadurch gekennzeichnet, dass Arbeit unabhängig von Person und Produkt gedacht und damit völlig abstrahiert von außerhalb der Ökonomie stehenden Zwecken verrichtet werden kann. Ergebnis ist der nun hemmungslos erfolgende Zugriff auf die rationale, von allen nicht-ökonomischen Anforderungen »befreite« Arbeit. Zugleich ereignet sich ein wichtiger Perspektivwechsel von der Produktivkraft der Arbeit als solcher zur Wertschöpfung durch Arbeit und entsprechend tritt die Frage nach den Möglichkeiten zur Verbesserung eben dieser Wertschöpfung in den Vordergrund ökonomischer Betrachtungen: Primäres Ziel der disziplinären Technologien ist nun nicht mehr nur die Arbeit als solche, also das In-Arbeit-Setzen der Arbeitsunwilligen, sondern die Effizienz und Rationalität in der Arbeit, das »richtige« Arbeiten. Dies spiegelt sich klar in den nun zahlreich entstehenden Einrichtungen der Zucht-, Arbeits- und Werkhäuser wider, in denen durch »Zerlegung« und »Zusammenschaltung« der Körper (Foucault 1975/1998) die Arbeitsleistung quantitativ wie qualitativ zu steigern gesucht wurde. Ebenso zeigt sich – in diesen Einrichtungen genauso wie im Alltagsleben – eine enge Verknüpfung von Produktivität und Moral: Beruflicher Erfolg und Wohlstand sind der Lohn für eine moralisch einwandfreie Lebensführung, so wie man umgekehrt nur dann Erfolg haben kann, wenn man eine moralisch einwandfreie Lebensführung

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an den Tag legt. Arbeit entwickelt sich so stetig zum Selbstwert, der für das sittlich Gute steht, wohingegen Armut gleichermaßen als Maß der erfolgten Subjektivierung wie als Drohpotenzial für sich dieser Subjektivierung widersetzendes Verhalten dient. Denn was auch immer dem liberalen Menschen widerfährt kann er nur sich selbst zuschreiben; jeder ist für sein Los und natürlich auch für ein Dasein in Armut selbst verantwortlich. Es sind, wie dargelegt werden kann, i.W. diese Subjektivierungen, gegen die sich Widerständigkeiten in Form zahlloser Mikrokämpfe seitens der Arbeiter formieren, die den Liberalismus v.a. auch deswegen nicht unberührt lassen können, als die mit diesen Subjektivierungen in Verbindung gebrachten Verheißungen des Liberalismus sich nicht erfüllen: Zwar ergibt sich mit der Durchsetzung der liberalen Rationalität ein nie dagewesenes Wirtschaftswachstum, zugleich tritt mit dem Pauperismus jedoch auch eine von unbeschreiblichem Elend und gewaltigen Härten begleitete neuartige Massenarmut hervor, die gerade auch die zu Produktivität und Rationalität disziplinierten und moralisierten Arbeiter trifft – und sie trotz dieser Subjektivierung trifft: Not und das mit der Armut einhergehende Risiko, dauerhaft aus der Gesellschaft herauszufallen, finden sich nun nicht mehr v.a. bei den Arbeitsscheuen und den der Disziplinierung sich Widersetzenden, sondern werden zu einem Risiko, das die Lage der Arbeitenden als solche und trotz Arbeitens betrifft. Orientiert an einem Verständnis von Arbeit, das diese nicht allein als rational im Dienst der Produktivität stehendes Element ansieht und das entsprechend über die Ausrichtung an Produktivität und Rationalität, wie es die liberalen Subjektivierungen nahelegen, hinausweist, vollzieht sich vor diesem Hintergrund die Herausbildung einer Arbeiterbewegung, die weit mehr ist als nur historische Elendskultur und der es nicht einfach darum geht, den eigenen Rechten im Frühkapitalismus zu mehr Respekt zu verhelfen oder einen größeren Teil von den Gewinnen der Industrialisierung abzubekommen. Vielmehr öffnen die solidarischen Praktiken und das gruppen- statt leistungsbezogene Arbeitsethos der Arbeiter den durch den Liberalismus auf die Produktivität zugespitzten Kontingenzraum und zeigen eine Freiheit an, die über den Austausch reziproker Interessen hinausgeht, und in der Arbeit nicht als Arbeitsteilung, sondern als Prinzip gemeinsamen Handelns und Gestaltens und als Voraussetzung für eine Freiheit zu handeln erfahren wird. Im Vordergrund steht entsprechend nicht die Abkehr vom liberalen Laissez-faire, sondern die Abkehr von der liberalen Moral – moralisch gut ist nicht das, was rational-produktiv ist, sondern Fairness, ein Auskommen, Sozialität. Und insofern waren die Kämpfe der Arbeiter vor allem gegen die Form der Arbeit gerichtet, die das Subjekt zur rationalen Produktivkraft macht. Sie galten nicht einfach allein der Ausbeutung, sondern stets auch

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den liberalen Subjektivierungen und dem damit einhergehenden Ausschluss anderer Möglichkeiten zu sein. Es ist diese De-Subjektivierung, die aufzeigt, dass eine einmal gegebene Subjektivierung bzw. Rationalität nicht unabänderlich ist und das Subjekt nicht als widerstandslos gestaltbares Wesen völlig in der Macht aufgeht, sondern durchaus die Möglichkeit besteht, das Spiel auch anders zu spielen. Denn verstärkt durch die sich im Pauperismus manifestierende innere Widersprüchlichkeit des Liberalismus erweist sich diese der Bewegung der Arbeiter eigene Rationalität als nicht in den Liberalismus integrierbar und stellt den Liberalismus letztlich in einer Weise zur Disposition, die ein Fortfahren nicht mehr möglich macht. Und so stehen am Ende entscheidende Modifikationen der liberalen Gouvernementalität und die Heraufkunft einer neuen Rationalität. Diese neue Rationalität ist keine einfache Fortentwicklung des Liberalismus, aber auch nicht die Übernahme der von den Arbeitern verkörperten Rationalität, sondern ein eigenes Machtdiagramm, das Elemente beider Rationalitäten perpetuiert und entsprechend mit eigenen Technologien und Subjektivierungsmechanismen operiert. In dieser neuen Rationalität, der auf der Objektivität des Sozialen basierenden Rationalität des Sozialstaats, wird die Gesellschaft durch ihre Objektivierung und die Entwicklung einer genuinen Sozialmoral in die Lage versetzt, sich selbst zu regieren. Es ist die Idee einer prinzipienlosen, auf eine reine Pragmatik der Sozialbeziehung reduzierten Regierungsstrategie: Die Verfolgung meines eigenen Wohls verpflichtet mich dazu, auch das Wohl der anderen zu wollen, wodurch die Gesellschaft sich unmittelbar selbst regieren und verwalten kann, ohne Bezugnahme auf irgendeine äußere Instanz. Diese Rationalität bewirkt folglich eine Objektivierung des Verhältnisses zwischen dem Ganzen und seinen Teilen, zwischen Gesellschaft und Individuen und umgeht somit die beiden Alternativen aus revolutionärer Brüderlichkeit und liberalem Individualismus, und bietet mit dem Sozialstaat stattdessen eine dritte Rationalität, die das Individuum weder als subsidiär zur Gesellschaft betrachtet noch es gegen die Gesellschaft stellt. Die Gesellschaft wird auch nicht mehr als aus zwei einander gegenüberstehenden Klassen bestehend angesehen, sondern als empirische Größe, zusammengesetzt aus einem statistisch bestimmten optimalen Mittel mit einer festzulegenden Bandbreite an tolerierbaren Abweichungen. Dieses Konzept befreit zugleich von der Notwendigkeit einer permanenten Überwachung und Bestrafung einer widerspenstigen Arbeiterklasse einerseits, und ersetzt andererseits die liberalbürgerliche Moralisierung durch eine Moralisierung der Gesellschaft aus sich heraus und bewirkt so eine »Normalisierung«, welche die Zurichtung zur Rationalität effektiv realisiert.

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Hatten die Arbeiter bzw. die Arbeiterbewegung versucht, die Freiheitspraktiken und die Möglichkeiten des modernen Kontingenzraums in der Arbeit und durch die Arbeit zu retten, so ist mit dem Sozialstaat somit nun stattdessen erneut die Grundlage für einen Zugriff auf das Subjekt geschaffen worden. Denn der Sozialstaat ist ein Staat, der weniger darauf achtet, die Freiheit des einzelnen vor Angriffen zu bewahren, die andere auf den einzelnen unternehmen könnten, als sich der Art und Weise anzunehmen, in der der einzelne sein Leben plant, und dieses dann in Form des Lebenslaufs als Strukturvorgabe in die Gesellschaft bzw. in die Erwerbssphäre zu integrieren. Über Institutionen wie die Sozialversicherungen oder das Ausbildungssystem kann der Sozialstaat das Leben der Bevölkerung als solcher verwalten, um sie besser vor sich selbst zu bewahren und ihr die Entfaltung der in ihr schlummernden Potentialitäten zu ermöglichen. Arbeit ist hierbei einerseits Modus der gesellschaftlichen Integration, andererseits aber auch, durch die Festlegung auf die von privater, Haus- oder ehrenamtlicher Arbeit klar unterschiedene Lohnarbeit, das »Normalarbeitsverhältnis«, eigener, von der Freizeit separierter Bereich. In diesem unterwirft sich das Subjekt völlig der Rationalität und Produktivität, wohingegen subjektive Bedürfnisse und Interessen dem Privaten, der Freizeit, vorbehalten bleiben. Ganz im Sinn dieser Trennung fokussiert sich die Arbeiterbewegung nun nahezu völlig auf die »Lohnarbeit« und setzt auf diesbezügliche und diese Trennungen manifestierende Forderungen wie höheren Lohn, bessere Arbeitsbedingungen oder Verringerung der Arbeitszeit. Forderungen nach einem Systemwandel bzw. nach anderen Formen des Arbeitens treten demgegenüber in den Hintergrund – die Arbeiterbewegung ist festgefahren auf ihre institutionalisierte Form – die Gewerkschaften –, über diese intermediär in das System eingebunden und damit selbst Teil des Sozialstaats. Die Reste jenseits ihrer Institutionalisierung sind in Auflösung – in Verbindung mit dem sich entwickelnden Wohlstand greifen zunehmend die Normalisierungsstrategien breite Teile der klassischen Arbeiterschaft ab und transformieren diese in »Mitarbeiter«, die sich zumeist explizit von proletarischen Praktiken und Seins-Formen abzugrenzen suchen. Gegen-Verhalten ist in der Rationalität der Gesellschaft eher an den nun neuen Rändern auszumachen, bei den A-Normalen – »Arbeitsscheuen«, »Asozialen«, »Individualisten« und »Nonkonformisten« –, die sich der Normalisierung verweigern und mit ihren individualistisch geprägten Lebenseinstellungen die Normalität herausfordern. Hauptzielpunkt der Kritik dieser Nonkonformisten ist der Staat als »Herrschafts- und Unterdrückungsapparat«, v.a. aber auch der Verlust an Autonomie und Kreativität usw. sowie der Wunsch nach Emanzipation von den starren Hierarchien des tayloristisch-fordistischen Arbeitssystems.

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Letzten Endes ist es genau diese Kritik, mit der sukzessive Veränderungen in der Rationalität eingeleitet werden: So werden im sich entwickelnden Neoliberalismus nun gerade die von der anti-autoritären Kritik eingeforderten Attribute wie Kreativität, Flexibilität und Subjekt-Bezogenheit herangezogen, um neue Produktivitätspotenziale zu erschließen: Auf das Gegen-Verhalten und den Wunsch nach Differenzierung und Entmassung Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre antwortete letztlich der Neoliberalismus, indem er diese Forderung in Form einer Ökonomisierung vereinnahmte. So erfolgte in diesem Zusammenhang die Ausweitung des Machtzugriffs über die Arbeit i.e.S. hinaus und die Kolonisierung all dessen, was sich im Sozialstaat außerhalb der Produktionssphäre im eigentlichen Sinne befand. Dies betrifft, wie gezeigt wurde, im Besonderen das Subjekt, dessen Unterwerfung unter die Arbeit bis dahin noch eingeschränkt war, insofern als aufgrund der sozialstaatlichen Separierung der Arbeitssphäre von der Freizeit der Arbeiter noch nicht mit seiner Arbeit gänzlich identisch war: Erst die neoliberale Subjektivierung zum unternehmerischen Subjekt fördert und fordert die auf Produktivität und Rationalität gerichtete Funktionalität praktisch des gesamten Seins, so dass der Verwertungsprozess nun tatsächlich mit dem Gesellschaftlichen zusammenfällt und Wert mit Verwertung gleichgeschaltet ist. Den Hintergrund für diese Ausweitung des Machtzugriffs bilden drei wesentliche Bestimmungsfaktoren des neoliberalen Projekts: (1) Das Setzen der Freiheit des Marktes als Regulations- und Organisationsprinzip des Staats; (2) die Trennung der Marktwirtschaft vom politischen Prinzip des Laissez-faire, und damit insbesondere die Entwicklung einer Gesellschaftspolitik, welche auf die Regierung der Gesellschaft hin zu einer Unternehmensgesellschaft abzielt; sowie (3) die grenzenlose Verallgemeinerung der Form des Marktes: Das Schema der ökonomischen Analyse in Begriffen von Angebot und Nachfrage wird nun auch auf nicht-wirtschaftliche Bereiche angewandt, so dass die Differenz zwischen Ökonomie und Sozialem ebenso wie zwischen Arbeit und Leben eliminiert wird. In dieser Logik sind die Wirtschaft und der Staat nicht mehr eigenständige, voneinander abgegrenzte und einander gegenüberstehende Bereiche, sondern vielmehr setzen sie einander voraus und bauen aufeinander auf. So ist insbesondere auch die Entwicklung einer Gesellschaftspolitik erforderlich, die über den sozialstaatlichen Transfer von Leistungen hinausgeht, sondern die historischen und sozialen Bedingungen des Marktes aktiv produziert: Gesellschaftspolitik darf nicht den Ausgleich zum Ziel haben, um etwa die anti-sozialen Effekte der ökonomischen Freiheit auszugleichen, sondern soll vielmehr gerade die anti-konkurrenziellen Mechanismen verhindern, welche die Gesellschaft hervorbringen kann – die Politik soll so auf die Gesellschaft einwirken, dass die Wettbewerbsmechanismen ihre Wirkungen entfalten können.

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Dies umfasst an erster Stelle die Universalisierung der Unternehmensform, die Zurichtung des Subjekts zum »Unternehmer seiner Selbst«, der sein Handeln und Sein v.a. an der (Fort-)Entwicklung seines Humankapitals ausrichtet. Hierzu – und nur hierzu – wird der einzelne zum Agenten seiner selbst bemächtigt: Es wird gefordert, einen sehr spezifischen Gebrauch von seinen Freiheiten zu machen, sodass die vom Neoliberalismus so hoch gehaltenen Kategorien Selbstbestimmung, Verantwortung und Wahlfreiheit weniger eine Begrenzung des Regierungshandelns darstellen, als vielmehr Werkzeug und Anforderungsprofil, mit dem die Subjekte gerade regiert werden. Solchermaßen zugerichtet, lässt sich die Subjektivität als avancierte Ressource und Moment gesteigerter Produktivität im Arbeitsprozess nutzen und abgreifen. Dem Neoliberalismus geht es also nicht mehr nur um den Zugriff auf und über die Arbeit. Stattdessen gerät nun das ganze Sein inklusive des Verhältnisses des Einzelnen zu sich selbst in den Zugriff der Macht. Wurde in der Rationalität des Sozialstaats die »Entfremdung« am Arbeitsplatz diskutiert, so blieb diese doch auf die Zeit am Arbeitsplatz beschränkt; die neoliberalen Machttechnologien dagegen verlangen permanente und absolute Verfügbarkeit – die totale Identifikation mit der Arbeit, gewissermaßen die Gleichsetzung von Sein und Arbeit. Die für die Rationalität der Gesellschaft so konstitutive Trennung in Arbeitszeit und Freizeit wird aufgehoben und gerade auch die private Lebenswelt von Beschäftigten wird relevant für die Arbeitswelt. Indem die Subjekte die Dominanz der Erwerbsarbeit akzeptieren, sich selbst disziplinieren und das Privatleben einer Ökonomisierung unterwerfen, wird die Trennung als Leitbild überflüssig, ja sie erweist sich sogar als hinderlich: Sie bewirkte eine Begrenzung des Zugriffs, die nun fallen soll. Parallel zur Heraufkunft des Neoliberalismus (und trotz der durchaus negativen Begleiterscheinungen wie der Zunahme von Prekarisierungen und Belastungen) haben die Arbeiterbewegung bzw. die Gewerkschaften als deren ins Heute hinüber gerettete Institutionalisierung und damit zeitgenössische Verkörperung massiv an Bedeutung verloren und befinden sich seitdem fortwährend in der Defensive gegen Bestrebungen, Löhne, Arbeitsbedingungen und Sicherheiten zu begrenzen bzw. abzusenken und damit zentrale sozialstaatliche gewerkschaftliche Errungenschaften zurückzufahren – die Arbeiterbewegung konnte dem Vordringen der neoliberalen Rationalität nichts wirklich entgegensetzen, sondern suchte teilweise sogar in einer programmatischen Neuorientierung Anschluss an einen mehr oder weniger gemäßigten Neoliberalismus. Die sich hierin widerspiegelnde Erosion der Arbeitermacht resultiert dabei, wie deutlich wurde, nicht einfach aus organisatorischen Problemen und Einbußen der politischen Glaubwürdigkeit oder aus einem Wertewandel in Richtung einer Individualisierung, welche die Solidaritäten ausgehöhlt hat. Vielmehr bildet aus spezifisch

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Foucaultscher Perspektive das Festhalten der Arbeiter-Institutionen an überkommenen Mustern, die ihre Passgenauigkeit und damit auch Wirksamkeit zusammen mit der Heraufkunft einer neuen Rationalität verloren haben, den zentralen Hintergrund für deren »Machtkrise« (Schroeder 2014, S. 41): Versteht man Widerständigkeit als Teil der Macht, kann Widerständigkeit auch selbst stets nur Aspekt der herrschenden Rationalität sein, andernfalls läuft sie unweigerlich ins Leere und ist letztlich nichts anderes als ein wirkungsloser, auf ein anderes Spiel abgestimmter Handlungsstrang: So hatte sich wie gezeigt die Arbeiterbewegung in der sozialstaatlichen Rationalität der Gesellschaft in einem evolutionären Prozess der Institutionalisierung, Ausdifferenzierung und intermediären Regulation kollektiver Arbeitsinteressen zunehmend nivelliert und normalisiert und sich zusammen mit dem Wohlfahrtsstaat letztlich als Stütze und integraler Bestandteil der sozialstaatlichen Rationalität etabliert. Arbeitskonflikte waren hier weitgehend jenseits des Arbeitsalltags dem Repräsentationsprinzip folgend in normierte und verrechtlichte Arenen kanalisiert und von der unmittelbaren Arbeitssituation entkoppelt, so dass der einzelne Arbeitende von der Austragung der Arbeitskonflikte gewissermaßen »entlastet« war, zugleich aber auch etwaige subjektive Interessenlagen unberücksichtigt blieben: Die jenseits der quantifizierbaren Forderungen im Rahmen der Tarifautonomie verbliebenen Arbeitskonflikte und Widerständigkeiten im Alltag hatten den Charakter eines verdeckten Rest-Konflikts, dem praktisch keine Relevanz zugesprochen wurde. Die beschriebene Verschiebung der Rationalität und damit der Machtkonstellation im Neoliberalismus führt nun dazu, dass diese Verarbeitung des Arbeitskonflikts zunehmend aufbricht; die Etablierung des Konkurrenzprinzips und die Verallgemeinerung der Form des Marktes, v.a. aber auch die Unternehmerisierung des Subjekts lässt die Arbeitskonflikte sich in einer völlig neuen Machtlogik abspielen: Die Beschäftigten zeichnen sich nun dadurch aus, dass sie ein dezidiert unternehmerisches Verhältnis zu ihrer eigenen Arbeitskraft einnehmen – sie sind gezwungen, ihre Arbeitskraft möglichst effizient an den Erfordernissen der Ökonomie bzw. des Marktes aus- und darauf zuzurichten, was zugleich einerseits deren Einbindung in die Interessenlage der Unternehmen bedingt, und sie andererseits zur unmittelbaren Durchsetzung ihrer je individuellen Interessen zwingt bzw. ermächtigt. Als Konsequenz verlieren die überindividuellen Ebenen der Konfliktaustragung zunehmend ihre prägende Kraft für den Arbeitsalltag, wohingegen immer mehr wieder die alltäglichen Arbeitskonflikte und Widerständigkeiten, in denen die subjektiven Interessen der Beschäftigten unmittelbar zur Geltung kommen, in den Vordergrund treten – eine neoliberale Rationalität, die zentral auf die Selbst-Kontrolle, Selbstökonomisierung und Selbst-Rationalisierung der Subjekte abzielt, kann eben nicht ohne Einfluss bleiben für das Konfliktpotenzial von Arbeit: Dieses kann nun nicht mehr in die institutionali-

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sierten Konfliktarenen der Tarifakteure ausgelagert werden, sondern muss sich analog auf die Ebene des Subjekts verlagern. Entsprechend lässt sich wie von Heiden und Jürgens 2013 aufgezeigt tatsächlich ein deutlicher Trend in Richtung einer Individualisierung des Arbeitskonflikts und einer qualitativen wie quantitativen Veränderung der Widerständigkeiten feststellen: Zu konstatieren ist sowohl eine Zunahme der Anzahl der Konflikte als auch eine Zunahme der Konfliktthemen, v.a. da die Konflikte immer stärker ins Private hinein diffundieren und die Konfliktbereiche sich über den engeren Kontext der Arbeit hinaus auch auf das Leben erweitern. Es gibt also keineswegs, wie vielfach angenommen, zusammen mit der Schwächung der Institutionen der Arbeiter ein Verschwinden der Konflikte um die Arbeit und damit ein Nachlassen der Widerständigkeiten, sondern vielmehr hat sich der Schauplatz der Konflikte verlagert, und zwar in den konkreten Arbeitsalltag hinein, und die großen normierten und institutionalisierten Kollektivkonflikte haben sich vervielfältigt in eine unmittelbare, aktive und auf den ersten, sozialstaatlich geprägten Blick kaum mehr wahrnehmbare Form der Widerständigkeit durch die Träger der Interessen selbst, die, wie beschrieben, trotz des Konformitätsdrucks hinsichtlich betrieblicher Interessen ihre eigenen Belange immer selbstbewusster artikulieren. Es sind viele kleine temporäre Verweigerungen und widerständige Gesten, in denen sich diese veralltäglichten Arbeitskonflikte und Widerständigkeiten manifestieren und die bei einer so dynamischen Rationalität wie dem Neoliberalismus auch weiterführender sind als der frontale Angriff von vorn. Bedeutsam für solche subjektbezogenen Begrenzungen und Widerspenstigkeiten sind dabei gerade die spezifisch subjektzentrierten Attribute, die den neoliberalen Arbeitskraftunternehmer auszeichnen – Eigenständigkeit, Kreativität, Emanzipation, Flexibilität, Verantwortungsbewusstsein usw. –, die sich dann gewissermaßen gegen den Neoliberalismus selbst wenden, im Bestreben die Begrenzung des vom Neoliberalismus aufgeworfenen Kontingenzraums so weit wie möglich entlang der eigenen Belange und Bedürfnisse auszureizen. Hierzu gehört in Anbetracht der Verschmelzung von Freizeit und Arbeit vor allem die Umkehrung der neoliberalen Kausalität in zu arbeiten, um zu leben, anstelle der Unterordnung des Lebens unter die Erfordernisse der Arbeit, wobei sich am Beispiel der Generation Y zeigen lässt, dass v.a. jüngere Beschäftigte bereits aktiv die Subjektivierung zum Arbeitskraftunternehmer begrenzen und sich zumindest ein Stück weit der Herrschaft der neoliberalen Rationalität entziehen: Ganz offensichtlich besteht durchaus die Option, die neoliberale Rationalität im eigenen Sinn zu nutzen und das Spiel anders zu spielen. Die Institutionen der Arbeiterbewegung bleiben, obwohl Arbeitskonflikte in der neoliberalen Rationalität also unter ganz anderen Vorzeichen als im Sozialstaat geführt werden, dennoch auf die normierten Konfliktthemen und -arenen und die dorti-

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gen rechtlich-institutionellen Regulierungsstrukturen fixiert. Dabei finden sich in den Alltagskonflikten und Mikro-Widerständigkeiten, wie gezeigt, durchaus auch Tendenzen einer Kollektivierung – durch gemeinsam artikulierte Kritik, aber auch durch die den Konflikten zugrunde liegenden gemeinsamen Zielrichtungen und Anliegen und strukturellen Verursachungszusammenhänge sowie gemeinsamen Gegnerschaften und Koordinationsweisen zwischen den Beschäftigten. Die eigentliche Relevanz dieser einzelnen »Mikrokonfrontationen« liegt vor diesem Hintergrund somit nicht im singulären Ereignis, sondern in dessen zahlreicher Wiederholung einer Art Politik der Nadelstiche, wodurch die Arbeitskonflikte auch selbst auf die Gesellschaft bzw. die herrschende Rationalität zurückwirken: Sie sind einerseits sicherlich eine Belastung, gleichzeitig aber auch ein Ventil für Veränderungen. Insofern als also die Verlagerung des Widerstands von der Bewegung auf das Subjekt alles andere als eine allein individuelle Angelegenheit ist, sondern das Subjekt auch im Neoliberalismus in ein soziales Kräfte-und Machtgeflecht (von dem ja die Subjektivierungspraktiken ausgingen) eingebunden ist, bestehen beachtliche kollektive Aspekte und damit auch de facto Perspektiven für eine Arbeiterbewegung. Voraussetzung hierfür sind jedoch zwei zentrale Umorientierungen seitens der bestehenden Institutionen: Erstens eine konsequente Subjektorientierung hin zu einer »Gewerkschaft der Arbeitskraftunternehmer« sowie zweitens die Loslösung vom Intermediaritätsparadigma und die Öffnung für neue Konfliktformen und Koalitionen: (1) Eine konsequente Subjektorientierung bedeutet, dass die Gewerkschaften anfangen müssen, die subjektiven Perspektiven der Beschäftigen wesentlich stärker als aktuell zu berücksichtigen und in ihrem Handeln und in ihrer Politik den Arbeitskraftunternehmer als das der neoliberalen Zurichtung unterworfene Selbst zur Basis ihres Handelns zu machen, d.h., einen Rahmen zu schaffen, der das zum Arbeitskraftunternehmer subjektivierte Selbst mit dessen spezifischen Erfordernissen und Wünschen anerkennt und es etwa dabei unterstützt, die Subjektivierungen im eigenen Sinn zu nutzen. Hierzu gehört insbesondere, dass etwa gewerkschaftliche Politik sich nicht nur auf die Erwerbsarbeit im engeren Sinn – Arbeitszeit, Arbeitsort etc. – fokussieren darf, sondern die ökonomische Strukturierung insgesamt, also das ganze Leben einschließen muss. Denn wie dargelegt setzt die Machttechnologie des Neoliberalismus nicht allein an der Arbeit an, sondern umfasst das gesamte Sein. Insofern heute also in gewisser Weise alles Arbeit geworden ist, ist die Ausrichtung auf die Zeit in den Unternehmen, wie von den Gewerkschaften vorgenommen, zu wenig: Ohne Berücksichtigung auch der über die Erwerbsarbeit hinausreichenden, das Leben insgesamt tangierenden Momente lassen sich die aktuellen Verschiebungen des Zugriffs auf das Subjekt nicht erfassen und nicht verändern. Zentral ist, sich nicht auf eine »Humanisierung« der Arbeit oder eine Reduzierung der nominellen Wochenarbeitszeit zu

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kaprizieren, sondern auch wirklich die Arbeit als neoliberale Existenzform zum Thema zu machen: das, was Arbeit heute alles ist, und ebenso all das, was Arbeit und Sein heute nicht ist. (2) Die Gewerkschaften des Sozialstaats und deren Strategien waren ebenso wie die ursprüngliche Arbeiterbewegung zu Beginn der Industrialisierung jeweils Element eines historisch abgeschlossenen Rahmens, so dass eine bloße Übernahme damals vielleicht funktionierender Strategien und Technologien nicht zielführend ist; erst wenn die Gewerkschaften und Arbeiter-Institutionen sich der Aktualität des Neoliberalismus stellen, sich vom Intermediaritätsparadigma lösen und sich für neue Konfliktformen und Koalitionen öffnen, haben sie eine Chance, verändernd auf die herrschende Rationalität einzuwirken und diese zu konfrontieren. Denn aus Foucaultscher Perspektive muss eben Widerstand, um zu widerstehen, »wie die Macht sein« – so diffus, dynamisch und produktiv wie diese: Die Bekämpfung einer dezentralen Macht wie der neoliberalen verlangt den Einsatz dezentraler Mittel, was eine Neuoder Re-Orientierung des Widerstands erforderlich macht: Anstelle der starren Institutionen die Organisierung in kleineren Zellen, die dem Widerstand ermöglichen, von mehreren verteilten Punkten zu agieren, statt sich auf einige wenige große »Schlachten« zu konzentrieren. (Vgl. Ensemble 1998, S. 213) Dies bedeutet nicht zuletzt, das Hauptaugenmerk auf die Möglichkeit einer »strategischen Wahl« zu lenken und hierbei die gegebenen Machtmittel in den Vordergrund zu rücken, was etwa Bündnisse mit sozialen Bewegungen jenseits der Arbeitssphäre und allgemein eine breitere gesellschaftliche Verankerung umfasst, aber auch das Inbetrachtziehen von Optionen jenseits normierter Konflikte und Aushandlungsformen. Unter dem Stichwort Organizing werden derartige Strategien international bereits seit einigen Jahren diskutiert, und auch in Deutschland gibt es erste Ansätze und Kampagnen, die in diese Richtung gehen oder sogar explizit auf »Organizing« als Konzept Bezug nehmen. Insofern als die Arbeiter-Institutionen in Deutschland so stark ins politische System eingebunden sind, ist realistischerweise nicht mit allzu konfliktorientierten Strategien zu rechnen, dennoch muss es als zentral angesehen werden, auch die Vielzahl differenzierter, nicht-normierter Konflikte und sozialer Bewegungen wieder in den Blick zu nehmen, was insbesondere bedeutet, Interessenvertretung nicht mehr ausschließlich als intermediäre Interessenregulierung zu betreiben. Ein solcher Formwandel von Arbeitermacht lässt sich jedoch nur vollziehen, wenn auch der Arbeitskraftunternehmer als Subjekt anerkannt und einbezogen wird, und damit eine Perspektive eingenommen wird, die über die Wahrung der Besitzstände der verbliebenen Normalarbeitnehmer hinausgeht. Ziel für die Gewerkschaften muss sein, sich der Aktualität zu stellen, sich von den Paradigmen des Sozialstaats zu lösen und stattdessen den Arbeitskraftunternehmer zur Ausgangsbasis ihres Handelns zu machen.

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Es ist elementares Ergebnis dieser Arbeit zu zeigen, dass die Gewerkschaften der Nachkriegszeit und deren Strategien Teil eines historisch inzwischen abgeschlossenen Rahmens waren, so dass ein Fortbestehen ohne einen fundamentalen Wandel in Bezug auf Institution und Praktiken nicht möglich ist. Wichtiges Ergebnis der vorliegenden Arbeit ist aber auch, dass konkret gezeigt werden konnte, dass auf Basis einer Foucaultschen Sichtweise Widerstand im Neoliberalismus möglich ist und auch existiert: Die beschriebenen alltäglichen Mikrokonflikte erscheinen in der Dynamik und Spontanität ihres Entstehens und Wirkens, aber auch in ihrem anarchischen und plebejischen Duktus in der Tat als geradezu prototypisch für Widerständigkeit gegen eine Macht, die ihrerseits zwar ubiquitär wirkt, aber eben sich auch nicht frontal entgegen stellt und somit nicht für groß angelegte Aktionen greifbar ist. Dabei haben die aktuellen Mikrokonflikte, dies ist bedeutsam, zugleich in ihrer Potenzierung zu einer Art »Politik der Nadelstiche« das Potenzial, den Neoliberalismus als herrschende Rationalität nicht unberührt zu lassen – wobei allerdings derzeit noch offen ist, wie die Neuformierung des Neoliberalismus konkret aussehen könnte.1 Auf dem Weg zu dieser Beschreibung hat sich die im Kontext der Gouvernmentality Studies neu eröffnete Kategorie der Arbeit als wichtiges analytisches Instrument erwiesen, da so erst deutlich gemacht werden konnte, wie zentral einerseits die Bestimmung der Arbeit für die Technologien der Subjektivierung ist und andererseits dass die neoliberale Entgrenzung der Arbeit auf das Leben zugleich einen erweiterten Zugriff auf das Subjekt bedingt, indem eben die Praktiken der Subjektivierung dadurch selbst eine Erweiterung erfahren haben. Der Rückgriff auf diese Kategorie dürfte entsprechend auch für andere Arbeiten, die sich in einem Foucaultschen Kontext verorten, fruchtbare Ansatzpunkte eröffnen. Vielversprechende Ansatzpunkte bestehen in diesem Zusammenhang aber auch in Bezug auf die Arbeits- und Industriesoziologie. Insofern diese Arbeiten v.a. auf Phänomene wie unvollkommene Freiheit und unmerkliche Fremdbestimmung abzielen, können durch den Rückgriff auf Foucaults Werkzeugkiste die Bedingungen aufgezeigt werden, durch die mit Werten, Praktiken und Institutionen verwobene Identifikationen und Subjektivierungen wirken, und durch die annähernd unmerklich soziale Teilhabe reguliert und kanalisiert, die Unterscheidungen in ein Dabei und Nicht-Dabei vorgenommen wird. Zudem ermöglicht die Bezugnahme auf Foucaults Konzept der Gouvernementalität, die teilweise doch recht singulären arbeitsund industriesoziologischen Studien um Entgrenzung und Subjektivierung in einem

1 | Möglicherweise ist das Auftreten teils repressiv anmutender Kontrollstrategien ein erstes Anzeichen für den Beginn einer solchen Neuformierung.

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größeren Zusammenhang zu verorten, und damit auch, diese stärker als bislang miteinander in Beziehung zu setzen. Nicht zuletzt könnte so der kritische Impetus der arbeits- und industriesoziologischen Studien ausgeweitet werden. Denn die Frage, inwieweit man gegen ein System, das wie der Neoliberalismus die Rationalität auf seiner Seite hat, Widerständigkeit realisieren kann, hängt nicht zuletzt davon ab, inwieweit es gelingt, diese umfassende Rationalität sichtbar zu machen; deren Aufweis ist Voraussetzung dafür, die Verwicklungen von Macht und Selbst aufzuzeigen und aus diesem »Skandal« dann auch Energien für die Entwicklung von Gegenmacht zu gewinnen und diese in ein Handeln zu überführen: Der Schlagabstausch muss da stattfinden, wo du dich gerade befindest.

Literatur1

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1 | Bei klassischen Arbeiten ist neben dem Jahr der zitierten Publikation in der Regel auch das Jahr der Erstveröffentlichung aufgeführt.

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Soziologie Robert Seyfert, Jonathan Roberge (Hg.)

Algorithmuskulturen Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit 2017, 242 S., kart., Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3800-4 E-Book kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-3800-8 EPUB: ISBN 978-3-7328-3800-4

Andreas Reckwitz

Kreativität und soziale Praxis Studien zur Sozial- und Gesellschaftstheorie 2016, 314 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3345-0 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3345-4

Ilker Ataç, Gerda Heck, Sabine Hess, Zeynep Kasli, Philipp Ratfisch, Cavidan Soykan, Bediz Yilmaz (eds.)

movements. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies Vol. 3, Issue 2/2017: Turkey’s Changing Migration Regime and its Global and Regional Dynamics 2017, 230 p., pb. 24,99 € (DE), 978-3-8376-3719-9

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