Arabische Präsenzen in Deutschland um 1900: Biografische Interventionen in die deutsche Geschichte 9783839454114

Die Präsenz arabischer Menschen in Deutschland ist kein neues Phänomen. Personen wie Sayyida Salme (Emily Ruete) oder Ha

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Arabische Präsenzen in Deutschland um 1900: Biografische Interventionen in die deutsche Geschichte
 9783839454114

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
1. Deutschlands »Orient« – Kartografie des Erinnerbaren
2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen
3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen
4. Eigensinn und Eigenzeit
5. Geschichte/n an der Grenze
Bibliografie
Anhang
Dank

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Aischa Ahmed Arabische Präsenzen in Deutschland um 1900

Global- und Kolonialgeschichte  | Band 3

Für Tarek und für Anouk

Aischa Ahmed ist Historikerin. Sie setzt ihre akademische Arbeit u.a. in der politischen und historischen Bildungsarbeit ein. Professionell ist sie im Rahmen der Stadtteilarbeit in Berlin tätig.

Aischa Ahmed

Arabische Präsenzen in Deutschland um 1900 Biografische Interventionen in die deutsche Geschichte

Diese Dissertation wurde finanziell gefördert durch ein Stipendium der HeinrichBöll-Stiftung und des Berliner Programms zur Förderung der Chancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre. Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 2019.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustim­ mung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Verviel­ fältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Lektorat: SILBENSCHLIFF, Silke Leibner, Berlin Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5411-0 PDF-ISBN 978-3-8394-5411-4 https://doi.org/10.14361/9783839454114 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Einleitung ................................................................................ 7 1. Deutschlands »Orient« – Kartografie des Erinnerbaren ............................ 29 Deutsche Geopolitik und die Entstehung eines »deutschen Orients« ....................... 30 Arabische Andere: Bilder und Repräsentationen .......................................... 52 Orientalistische Kolonialinstitute ......................................................... 60 Projektionen ............................................................................. 68 2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen ........................ 71 Hassan Taufik: Deutschlandbilder I ........................................................ 71 Sayyida Salme/Emily Ruete: Deutschlandbilder II ........................................... 91 Familiäre Diskontinuitäten ............................................................... 112 Antonie Brandeis-Ruete............................................................. 115 Rudolph Said-Ruete................................................................ 122 Die Ruetes ........................................................................ 140 Die Solimans ............................................................................ 142 Mohamed Soliman ................................................................. 143 Eine »Ägypterin« auf der Bühne: Hamida Soliman .................................. 150 Anwesenheiten .......................................................................... 151 3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen ............................... 155 »Völkerschauen« ........................................................................157 »Kairo in Berlin« .................................................................. 160 »Tripolis in Berlin« ................................................................ 173 Ein Minarett im Treptower Park, eine Moschee im Zoo............................... 178 Kolonialsoldaten in Deutschland: registriert, islamisiert, rassifiziert ...................... 182 Nachrichtenstelle für den Orient (NfO) ............................................. 187 Lagerordnung: ein deutscher Islam ................................................ 193 Rheinland ......................................................................... 208 Über-Gänge ............................................................................. 218

4. Eigensinn und Eigenzeit .......................................................... 223 Politische Kämpfe diesseits und jenseits der archivalischen Ordnung ..................... 223 (Selbst-)Orientalisierung und transnationale Vernetzungen in Handel und Gewerbe ........ 251 Kunst und Literatur: Formen der Transgression im Leben und Werk von Jussuf Abbo und Asis Domet .............................................. 266 Orientalisierung des Bildes und der Person: Jussuf Abbo (Joseph Yussuf Abbu)...... 267 Asis Domet: »Ein Zwitterding zwischen Araber und Deutschen« .................... 272 5. Geschichte/n an der Grenze ...................................................... 285 Jenseits des Orientalismus: Zeit-Räume und biografische Interventionen ................. 285 Biografische Signaturen: Wegmarkierungen arabisch-deutscher Geschichte .............. 288 Der Islam – Inszenierung, Glaube oder Gemeinschaft? .................................... 290 Ethnisierung und Rassifizierung ......................................................... 292 Ausblick: Der Nationalsozialismus und Spuren bis in die Gegenwart....................... 295 Bibliografie............................................................................. 305 Quellen- und Literaturverzeichnis........................................................ 305 A. Archivmaterial .................................................................. 305 B. Gespräche/Informationen ....................................................... 306 C. FILM ............................................................................ 306 D. Publizierte Quellen .............................................................. 306 E. Sekundärliteratur ............................................................... 313 Anhang ................................................................................. 345 Arabischsprachige Quellen und Literatur................................................. 345 Dank ................................................................................... 347

Einleitung Die Vergangenheit muss vom Historiker nicht nur objektiv (oder auch subjektiv) wiederhergestellt werden, sie sollte auch in prophetischer Manier erträumt werden, wenn es sich um Menschen, Gemeinschaften oder Kulturen handelt, deren Vergangenheit im Dunkeln gehalten wird.1   Thus beginnings confirm, rather than discourage, a radical severity and verify evidence of at least some innovation – of having begun.2

Nach der Silvesternacht 2015/16 erinnerte das Medienecho auf die Vorkommnisse in Köln an fast 100 Jahre zurückliegende Ereignisse. Männer hatten am Kölner Domplatz Gewalt gegenüber Frauen ausgeübt, die von verbalen Attacken bis hin zu Vergewaltigungen reichte. Medien benannten teilweise die Täter, eine Debatte um Frauen und ihre Rechte, Rassismus und die deutsche Politik gegenüber geflüchteten Menschen erregte die Öffentlichkeit. Am 21. Januar 2016 titelte die taz »Die Erfindung des Nordafrikaners« und setzte hinzu: »Als Menschentyp sind sie seit Silvester neu erfunden worden, weil die Opfer der zahlreichen Übergriffe in Köln die Täter als ›nordafrikanisch‹ oder ›arabisch‹ aussehend beschrieben.«3 Diese »Erfindung des Nordafrikaners« war nicht neu. Sie liest sich wie die Aktualisierung einer Debatte, die in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg stattfand und Ausmaße einer Kampagne einnahm: die Kampagne gegen die sogenannte Schwarze Schmach. Am Ende des Ersten Weltkrieges initiierte ein Bündnis aus Einzel-

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Glissant, Édouard: Kultur und Identität. Ansätze zu einer Poetik der Vielheit, Heidelberg: Das Wunderhorn 2005, S. 60. Said, Edward: Beginnings. Intention & Method, New York: Cornell University Press 1985, S. xvii. Sander, Lalon: »Die Erfindung des Nordafrikaners«, in: taz, die tageszeitung, 20.01.2016, https://taz.de/!5266467/ (17.07.2017).

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Arabische Präsenzen in Deutschland um 1900

personen und Pressevertretungen mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes eine Pressekampagne, die internationale Ausmaße hatte. Medien hetzten populistisch und rassistisch gegen Schwarze4 Soldaten, die der französischen Armee angehörten und das Rheinland besetzten. Die Aktualisierung der Debatte berührt in mehrfacher Hinsicht den Inhalt dieses Buches. Im Fokus steht die historische Rekonstruktion der Präsenz arabischer und arabisch-deutscher Menschen während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Welche Aushandlungen und Auseinandersetzungen unternahmen Menschen arabischer Herkunft als Teil der deutschen Gesellschaft vor dem Hintergrund orientalistischer, geschlechterspezifischer und statusbezogener Grenzziehungen und Vorstellungswelten? Medien und Politiker_innen interpretierten die in der Silvesternacht 2015/2016 ausgeübte Gewalt gegenüber Frauen als Angriff auf die Nation. In den Debatten um die Ereignisse von Köln Anfang 2016 wurde damit der Diskurs der Vergewaltigung der deutschen Nation reifiziert. Es wurden ähnliche ethnosexistische Stereotype verwendet, wie sie Anfang der 1920er Jahre weitverbreitet waren. Die Weiße Frau stand schon in der Propaganda nach dem Ersten Weltkrieg stellvertretend für das Rheinland und dieses wiederum stellvertretend für das gesamte Kaiserreich.5 Der Weißen Frau gegenüber wurde das rassistische Stereotyp des Schwarzen Kolonialsoldaten gestellt. Der größte Teil der von Frankreich rekrutierten Kolonialsoldaten, die im Rheinland stationiert waren, kam aus Senegal und aus Nordafrika. Insgesamt kamen die Soldaten der sogenannten Besatzungsarmee aus verschiedenen Ländern, zum Beispiel aus Tunesien, Algerien, Marokko, Senegal, Vietnam. Das Stereotyp des »Nordafrikaners« als vermeintlich besonders gewalttätig festigte sich innerhalb der Kampagne. Obwohl nach dem Ersten Weltkrieg noch nicht so benannt, sondern als »Marokkaner« oder »Halbaraber« bezeichnet, war der »Nordafrikaner« spätestens seitdem innerhalb der deutschen Öffentlichkeit bekannt.6

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»Schwarz« und »Weiß« als menschliche Attribute werden in dieser Arbeit fortlaufend großgeschrieben, um auf den Konstruktcharakter dieser Kategorien zu verweisen. »Schwarz« ist eine politische Selbstbezeichnung, die Hierarchien kenntlich macht. Vgl. Ha, Kien Nghi, Lauré al-Samarai, Nicola, Mysorekar, Sheila: »Einleitung«, in: dies. (Hg.), re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland, Münster: Unrast 2007, S. 9-21, S. 13. Vor allem Wigger und Maß belegen diese These: Vgl. Wigger, Iris: Die »Schwarze Schmach am Rhein«. Rassistische Diskriminierung zwischen Geschlecht, Klasse, Nation und Rasse, Münster: Westfälisches Dampfboot 2007, sowie Maß, Sandra: Weiße Helden, schwarze Krieger. Zur Geschichte kolonialer Männlichkeit in Deutschland 1918-1964, Köln u.a.: Böhlau 2006. Auf diese Zusammenhänge gehe ich in Kap. 3 »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen, S. 212ff. ein.

Einleitung

Ein gutes Jahr nach der Silvesternacht 2015/16 rekapitulierte die Autorin und Journalistin Mely Kiyak in einer Kolumne auf Zeit Online die Meldungen der Kölner Polizei und zitierte den Kölner Polizeipräsidenten, der über »nordafrikanisch beziehungsweise arabisch aussehende junge Männer« gesprochen hatte, die im Polizeijargon auch »Nafris« genannt wurden.7 Kiyak resümierte: Die Polizei hat nun doch verraten, wie Nafris aussehen. Nämlich arabisch. Des Weiteren wurde bekannt gegeben, dass es sich bei den 2.000 registrierten Männern der Kölner Silvesternacht 2016 nicht nur um »Nafris« aus Nordafrika, sondern auch um »Nafris« aus dem Irak, Afghanistan und Syrien handelte, eine Art neues Nafristan.8 Das stereotype Bild des »Arabers« lässt sich unter anderem auf die Präsenz der Kolonialsoldaten in der Zeit von 1918 bis circa 1929 in Deutschland zurückführen. Der »Nordafrikaner« diente auch in den Debatten 2016 »abendländischer Selbstaffirmation«. Das heißt, er funktionierte als das imaginierte sexistische und gewaltvolle Gegenüber, als arabischer Anderer, zur Weißen deutschen Männlichkeit.9

Arabische Andere als historische Subjekte in der Forschung Die zuvor zitierte Berichterstattung der Medien fand zu der Zeit statt, in der dieses Buch langsam eine Form annahm. In historischen Studien zum Kaiserreich und zur Weimarer Republik sind arabische Menschen als Akteur_innen und handlungstragende Subjekte zumeist nicht sichtbar. Ebenso existieren kaum auto-/biografische Texte. Auch nicht vorhanden ist ein narrativer Rahmen, der die Erfahrungen und Handlungsweisen arabischer Subjekte in Deutschland vor 1933 umfasst und sie jenseits orientalistischer Vereinheitlichungen zueinander in Beziehung setzt. Dieser Leerstelle entgegenzuwirken ist ein Ansatz dieses Buches. Der besagte »arabisch« oder »nordafrikanisch« aussehende »Menschentyp«, wie er in den Medien 2016 mehrfach benannt wurde, hat eine Geschichte, die zwischen Projektion, Inszenierung und realer Präsenz schwankt. Um sich dieser Geschichte zu nähern, muss die rassistische, orientalistische und koloniale Konstruktion der arabischen Anderen fortwährend dekonstruiert werden. Eine

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Kiyak, Mely: »Durchs wilde Nafristan«, in: Zeit online, 18.01.2017, www.zeit.de/kultur/201701/silvesternacht-koeln-polizei-nafris-kiyaks-deutschstunde (17.07.2017). Ebd. Gabriele Dietze benennt diesen Gegensatz als »Ethnosexismus« und damit als subjektivierte Differenzmarkierung zwischen dem »westlichen Mann« und dem »arabischen Mann«. Vgl. Dietze, Gabriele: »Ethnosexismus. Sex-Mob-Narrative um die Kölner Silvesternacht«, in: movements 2 (2016), Nr. 1, S. 1-16, S. 11, 13.

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Arabische Präsenzen in Deutschland um 1900

Orientierung bieten in dieser Hinsicht Forschungsarbeiten zu muslimischen oder orientalisierten Anderen.10 Arabische Menschen tauchen vereinzelt in lokalhistorischen Kontexten auf, und zwar im Rahmen ereignisgeschichtlich ausgerichteter Forschungen oder in Abhandlungen, die sich mit der Repräsentation des »Orients« und möglichen Formen eines deutschen Orientalismus befassen.11 Eine Ausnahme bilden die Forschungsarbeiten von Gerhard Höpp,12 der früh verstarb und einen umfassenden Nachlass hinterließ.13 Darin sind, neben den allgemeineren politischen und historischen Informationen, zahlreiche Biografien und biografische Fragmente enthalten. Die vielen biografischen Angaben sind für dieses Buch von unschätzbarem Wert. Bei der Systematisierung des Nachlasses stellte sich die Frage, wer als arabisch oder muslimisch bezeichnet oder dem gesamten Nahen oder Mittleren Osten als zugehörig zugeordnet werden kann. Dies wird auch in diesem Buch diskutiert. Denn die Akteur_innen, die hier beschrieben sind, verstanden sich nicht ohne weiteres als arabisch und/oder arabisch-deutsch. Sie bildeten nicht von sich aus eine Gemeinschaft, auch wenn es zu unterschiedlichen Zeiten entsprechende Bemühungen gab. Jedoch verweist ihre Präsenz auf Verwobenheiten in der deutschen Geschichte: Sie deutet erstens auf koloniale, imperiale und orientalistische Kontexte hin. Diese Zusammenhänge sind beispielsweise sowohl erkennbar an Formen der Mobilität als auch am Rechtsstatus arabischer Menschen innerhalb des Deutschen Reichs, des

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Es existieren einige Untersuchungen zur Konstruktion muslimischer oder orientalisierter Anderer, zum Beispiel: Attia, Iman: Die »westliche Kultur« und ihr Anderes. Zur Dekonstruktion von Orientalismus und antimuslimischem Rassismus, Bielefeld: transcript 2009, Shooman, Yasemin: »… weil ihre Kultur so ist«. Narrative des antimuslimischen Rassismus, Bielefeld: transcript 2014. Und zuletzt die Aufsatzsammlung von Schirin Amir-Moazami. Amir-Moazami, Schirin: Der inspizierte Muslim. Zur Politisierung der Islamforschung in Europa, Bielefeld: transcript 2018. Die Studie von Annette Katzer (Katzer, Annette: Araber in deutschen Augen. Das Araberbild der Deutschen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Paderborn u.a.: Schöning 2008) widmet dem 19. Jahrhundert nur einen Ausblick und umgeht eine umfassende Orientalismuskritik. Zum zweiten Punkt vgl. zum Beispiel: Berman, Nina: Orientalismus, Kolonialismus und Moderne. Zum Bild des Orients in der deutschsprachigen Kultur um 1900, Stuttgart: M & P, Verlag für Wissenschaft und Forschung 1996, sowie Marchand, Suzanne L.: German Orientalism in the Age of Empire. Religion, Race, and Scholarship, Cambridge u.a.: Cambridge University Press 2009. Prof. Dr. Gerhard Höpp (1942-2004). Vgl. zu seiner Person: Ende, Peter: »Nachwort, zugleich ein Nachruf«, in: Höpp, Gerhard, Wien, Peter, Wildangel, René (Hg.), Blind für die Geschichte? Arabische Begegnungen mit dem Nationalsozialismus, Berlin: Klaus Schwarz 2004, S. 365-371. Leibniz Zentrum Moderner Orient, Nachlass Prof. Dr. Gerhard Höpp, https://www.zmo.de/biblio/sammlung_hoepp.htm (25.06.2018). Der Nachlass wurde im Rahmen dieser Arbeit erhoben, als er noch nicht digitalisiert und systematisiert war. In der Folge zitiert als: Nachlass Höpp, Kiste xx.xx. Eine Auswahl der Publikationen Höpps findet sich unter: Höpp, Gerhard: »Publikationen, Weitere Publikationen«, in: Leibniz Zentrum Moderner Orient, o.J., https:// www.zmo.de/publikationen/lit_Hoepp.html (10.02.17).

Einleitung

imperialen Deutschlands. Zweitens beeinflussten koloniale, imperiale und orientalistische Zusammenhänge das Quellenmaterial und die Art und Weise, wie die Anwesenheit arabischer Menschen erinnert werden kann. Und drittens schließlich sind es national-, global- und transnationalgeschichtliche Perspektiven, die die unterschiedlichen Repräsentationen arabischer Menschen ebenso beeinflussten wie die Diskurse, innerhalb derer die Zeugnisse arabischer Menschen in Deutschland eingebettet und rekonstruierbar sind.

Repräsentationen und Bilder: Arabische Andere Sind arabische Menschen, die von 1871 bis 1933 in Deutschland präsent waren, in historischen Quellen und damit auch in den unterschiedlichen Erinnerungsnarrativen so repräsentiert, dass sie im Raum der gesellschaftlich Anderen bleiben?14 Für diese These spricht, dass Vorstellungen vom »Orient« existierten, die sich über Jahrhunderte entwickelt hatten und das Leben derer beeinflussten, die diesen Bildern zugeordnet wurden. Mehr noch, viele Menschen arabischer Herkunft übernahmen solche Bilder. Anhand exemplarischer Biografien werden im weiteren Verlauf des Buches zum einen die persönlichen Dimensionen der Erfahrungen, als gesellschaftlich Andere zu agieren, erkennbar. Dies geschieht insbesondere über den alltagsgeschichtlichen Zugang zu den Biografien. Zum anderen wird auch die kollektive Dimension in der Zusammenschau unterschiedlicher Biografien deutlich. Diese historischen Zusammenhänge, die sowohl auf der individuellen wie auch der kollektiven Ebene wirkten, werden über Generationen weitergegeben und kreieren eigene diasporische Zeitlichkeiten und Räume.15 Noch bevor eine größere Zahl von Menschen arabischer Herkunft ihren Weg nach Deutschland fand, existierten von ihnen Bilder und Vorstellungen. Der »Orient« mit seinen unbestimmbaren territorialen Grenzen diente als symbolisch aufgeladenes, ornamentreiches Reservoir für Fantasien und war durch eine über Sprache und Religion definierte Grenze vom (westlich-)christlichen Europa getrennt.16 Der Begriff »arabische Präsenzen« umfasst somit beides: die Gegenwart bzw. Anwesenheit arabischer Menschen in Deutschland sowie die präfigurierten Bilder, Vorstellungen und Grenzziehungen zum Anderen. Wer sich um 1900 auf »den Orient« und »die Araber« bezog, konnte auf Vorstellungen zurückgreifen, auf ein Archiv von Bildern und Sinnzusammenhängen, die Susanne Zantop als »national-

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Vgl. Attia, Die »westliche Kultur« und ihr Anderes. Mayer, Ruth: Diaspora. Eine kritische Begriffsbestimmung, Bielefeld: transcript 2005. Vgl. Hall, Stuart: »Cultural Identity and Diaspora«, in: Williams, Patrick, Chrisman, Laura (Hg.), Colonial Discourse and Post-Colonial Theory. A Reader, New York: Harvester Wheatsheaf 1994, S. 392-403. Darauf, dass sich auch erst Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts ein Begriff von Europa etablierte, wird in Kapitel 1 eingegangen. Vgl. Osterhammel Jürgen: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München: Beck 2009, S. 144f.

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kulturelle kollektive Bewusstseinslagen« bezeichnete.17 Diese Bewusstseinslagen bilden ein Narrativ, das stereotype Projektionen und Imaginationen umfasst und orientalistisch, das heißt imperial und kolonial, geprägt war.18 Mit der Genese und Herstellung solch wirkmächtiger Projektionen und Imaginationen befasst sich dieses Buch jedoch nur sekundär; es widmet sich in erster Linie den Personen, denen diese Bilder galten. Denn die zumeist diskurstheoretischen Untersuchungen zu Genese und Herstellung orientalisierter Fantasien (re)produzieren weitere Leerstellen und bleiben auf der Ebene der Repräsentation des »Orients« gefangen. Dementsprechend werden arabische Menschen in Deutschland nicht als Subjekte beschrieben. Sie sind in historischen Studien keine handlungstragenden Akteur_innen und bleiben erneut unsichtbar. Um diese Leerstellen auszufüllen, sollen arabische Menschen in Deutschland in ihrer historischen Anwesenheit und Handlungsfähigkeit kenntlich gemacht werden. Nicht um essenzialistisch arabische Akteur_innen innerhalb eines nationalen Geschichtsrahmens festzuschreiben, sondern um den binären Gegensatz zwischen offizieller, mehrheitsgesellschaftlich kanonisierter und persönlicher Geschichte aufzubrechen. Ziel dieses Vorgehens ist es, eine arabisch-deutsche Geschichte zu schreiben. Aus miteinander verwobenen Informationen und Zeugnissen wird ein Narrativ erstellt, das auch eine kollektive Dimension der Geschichte arabischer Menschen im Deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik verdeutlicht. Biografien und biografische Fragmente enthalten Lebensgeschichten, die in ihrem jeweiligen sozialen Umfeld verwoben sind. Ihnen gilt es, nachzuspüren, um aus Erinnerungen Einzelner einen diskursiven Zusammenhang zu erzeugen: die Lebensgeschichten und Präsenzen arabischer Menschen in Deutschland von 1871 bis 1933. Werden die Erinnerungen arabischer Menschen in Deutschland systematisch untersucht, sind dies biografische Interventionen, die zeigen, welche »Vielheit« und Verwobenheit existierte und welche unterschiedlichen Perspektiven auf die Geschichte möglich sind.19 Die Menschen arabischer Herkunft in Deutschland, die hier im Fokus stehen, sind kein Einzelfall. Viele Gruppen spielen in der deutschen Geschichtsschreibung keine oder nur eine verschwindend kleine Rolle. Dies ist immer noch der Fall, auch nach dem Aufbrechen der historischen Sozialwissenschaft und dem Wandel der

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Zantop, Susanne M.: Kolonialphantasien im vorkolonialen Deutschland (1770-1870), Berlin: Erich Schmidt Verlag 1999, S. 12. Said, Edward: Orientalism, London u.a.: Penguin Books 1995. Vgl. Rothberg, Michael: Multidirectional Memory. Remembering the Holocaust in the Age of Decolonization, Stanford: Stanford University Press 2009. Der Begriff »Vielheit« ist Beate Thills Übersetzung von Édouard Glissants Kultur und Identität entnommen. Vgl. Glissant, Kultur und Identität.

Einleitung

Alltags- und Mikrogeschichte hin zu einer Vielzahl von Geschichten.20 Umfassende Studien zur Geschichte türkischer Jüdinnen und Juden in Deutschland, Sinti und Roma sowie Schwarzer Deutscher entstanden erst in den letzten drei Jahrzehnten.21 Beispielhaft und richtungsweisend ist die Erarbeitung Schwarzer deutscher Geschichte. In ihr werden zumeist akteurszentriert Impulse für eine Reihe von Perspektivwechseln vorgenommen,22 zum Beispiel die Fokussierung auf Handlungsmöglichkeiten historischer Subjekte oder die Dekonstruktion rassifizierender Repräsentationen. Dies geschieht, damit Geschichte jenseits der vermeintlichen Norm erzählbar wird. Kurzum: Solche Forschungsarbeiten stellen diejenigen Akteur_innen in den Mittelpunkt, die zuvor selten einen Subjektstatus innerhalb historiografischer Analysen eingenommen haben. Sie befassen sich direkt oder indirekt mit Rassismus, Antisemitismus und anderen Formen gesellschaftlicher Diskriminierung und Marginalisierung. Arabische Präsenzen in Deutschland um 1900 knüpft an diese Untersuchungen an und ergänzt sie um eine weitere Perspektive. Die Bezeichnung »arabische Präsenzen« enthält eine identitäre Zuschreibung, die bewusst mit der schon seit geraumer Zeit geäußerten Forderung spielt, »Beyond ›Identity‹«23 zu analysieren und Gruppenzuschreibungen sehr genau und kritisch zu betrachten. Mit dem Verweis auf Stuart Hall bestätigen Brubaker und Cooper, dass einige Kernthemen nicht adressiert werden können, wenn Ethnizität als ein Konzept unberücksichtigt bleibt, das immer wieder auch kritisch zu analysie-

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Iggers, Georg G.: Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein kritischer Überblick im internationalen Zusammenhang, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1993, S. 75f. Vgl. Guttstadt, Corry: Die Türkei, die Juden und der Holocaust, Berlin/Hamburg: Assoziation A 2008, Bonillo, Marion: »Zigeunerpolitik« im Deutschen Kaiserreich 1871-1918, Frankfurt a.M.: Lang 2001. Eine kleine Auswahl dieser Studien umfasst: Oguntoye, Katharina, Opitz, May, Schultz, Dagmar (Hg.): Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte. Berlin: Orlanda, 1986. Oguntoye, Katharina: Eine afro-deutsche Geschichte. Zur Lebenssituation von Afrikanern und Afro-Deutschen in Deutschland von 1884 bis 1950, Berlin: Hoho Verlag 1997, El-Tayeb, Fatima: Schwarze Deutsche. Der Diskurs um ›Rasse‹ und nationale Identität 1890-1933, Frankfurt a.M./New York: Campus 2001, Campt, Tina: Other Germans. Black Germans and the Politics of Race, Gender, and Memory in the Third Reich, Ann Arbor: University of Michigan Press 2004, Campt, Tina: Image Matters. Archive, Photography, and the African Diaspora in Europe, Durham/London: Duke University Press 2012 sowie Aitken, Robbie, Rosenhaft, Eve: Black Germany. The Making and Unmaking of a Diaspora Community, 1884-1960, Cambridge u.a.: Cambridge University Press 2014, Lewerenz, Susann: Geteilte Welten. Exotisierte Unterhaltung und Artist*innen of Color in Deutschland 1920-1960, Wien u.a.: Böhlau 2017. Vgl. Brubaker, Rogers, Cooper, Frederick: »Beyond ›Identity‹«, in: Theory and Society 29 (2000), S. 1-47, sowie Brubaker, Rogers: »Ethnicity without groups«, in: European Journal of Sociology/Archives Européennes de Sociologie/Europäisches Archiv für Soziologie 43 (2002), Nr. 2, S. 163-189.

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Arabische Präsenzen in Deutschland um 1900

ren ist.24 Hall bezeichnet diasporische Bevölkerungsgruppen als »new ethnicities« und verbindet sie mit einem neuen Verständnis von Diaspora: The diaspora experience as I intend it here is defined not by essence or purity, but by the recognition of a necessary heterogeneity and diversity; by a conception of ›identity‹ which lives with and through, not despite, difference; by hybridity. Diaspora identities are those which are constantly producing and reproducing themselves anew, through transformation and difference.25 Arabische Präsenzen, die sich für den Zeitraum von 1871 bis 1933 in Deutschland rekonstruieren lassen, können nicht als homogene Gruppe, die eine umfassende, gemeinsame Migrationsgeschichte hat, beschrieben werden. Auch besteht ein Unterschied zu afrikanischer und zu jüdischer Diaspora, die beide durch gewaltvolle Vertreibungs- und Entrechtungszusammenhänge gekennzeichnet sind, und den Erfahrungen arabischer Menschen. Dennoch weisen auch die in diesem Buch untersuchten Biografien arabischer und arabisch-deutscher Menschen Formen auf, die Hall beschreibt: Formen der Transformation und Differenz. Beide ergeben sich in den Auseinandersetzungen um Identität. Halls Verständnis von Diaspora hängt eng zusammen mit seiner Definition von kultureller Identität als Werden und Sein, die sich transformiert oder transformiert wird, und zwar abhängig von Zeit und Ort.26 Tina Campt folgt Halls Argumentation und hält für die Schwarze deutsche Diaspora fest: Indeed, as a group of individuals, many of whom share neither a partial nor a collective relationship to an originary homeland »elsewhere«, Afro-Germans and their experience make clear that diaspora cannot be seen as a historically given or universally applicable analytic model for explaining the cultural and community formations of all black populations.27 Campt beschreibt eine Schnittstelle, die auch die arabisch-deutsche Geschichte kennzeichnet: das Moment, das mit der Präsenz arabischer Menschen in Deutschland entstand und sich von Erfahrungen und Zusammenhängen in anderen Ländern oder von anderen Communitys unterscheidet. Ausgehend von einem erweiterten informellen Kolonialismusbegriff (siehe vor allem Kapitel 1 Deutschlands »Orient«, S. 29) sind solche Unterschiede auf den kolonialen Kontext, aber auch auf Modi der Rassifizierung und Formen der Sichtbarkeit und des Umgangs mit Sichtbarkeiten zurückzuführen. Dennoch gibt es in verschiedenen Zusammenhängen ara-

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Brubaker, Cooper, »Beyond ›Identity‹«, S. 9. Hall, »Cultural Identity and Diaspora«, S. 401f. Hall, »Cultural Identity and Diaspora«, S. 392: »Cultural identity […] is a matter of ›becoming‹ as well as of ›being‹.« Vgl. Campt, Image Matters, S. 17, Fn. 16. Campt, Image Matters, S. 24.

Einleitung

bisch-deutscher und Schwarzer deutscher Geschichte Schnittmengen geteilter und damit unterschiedlicher und gemeinsamer Erfahrungen.28

Zeit und Verwobenheit Der Untersuchungszeitraum 1871 bis 1933 bildet eine ereignis- und mehrheitsgeschichtlich orientierte Klammer. Angesichts der unterschiedlichen biografischen Interventionen kann sie jedoch nicht als absolut gelten. Die Gründung des Deutschen Kaiserreichs im Jahr 1871 und der Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft 1933 sind politische Zäsuren. Sie markieren Übergänge, in die die prozessorientierte Rekonstruktion biografischer Wege, Räume und Zeiten nur grob einzupassen ist.29 Auch ließen sich andere Zäsuren festsetzen, zum Beispiel den Berliner Kongress von 1878, der nahezu die Form eines Kolonialkongresses zur Aufteilung des Osmanischen Reiches annahm (siehe Kapitel 1 Deutschlands »Orient«, S. 30f.), oder das Jahr 1937, in dem im Rahmen einer Geheimaktion über 400 Kinder aus Beziehungen zwischen mehrheitlich Weißen deutschen Müttern und Schwarzen Kolonialsoldaten überwiegend marokkanischer und algerischer Herkunft sterilisiert wurden. Die Zeit nach 1933 wird in Ansätzen betrachtet, zum einen im Rahmen der biografischen Spurensuche zu Yussuf Abbo und Asis Domet (Kapitel 5 Eigensinn, S. 266-284), zum anderen im Ausblick (Kapitel 5 Geschichte/n an der Grenze, S. 285-303), in dem ich weiteren Biografien nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten folge. Brubaker betont, dass das deutsche Nationsverständnis seit Beginn des 19. Jahrhunderts »volks-zentriert und auf Differenz« ausgelegt war.30 Aus dieser Stilisierung einer »Volksgemeinschaft« resultierte eine Auffassung von »Nationalität«, die »eine ethnisch-kulturelle, keine politische Tatsache« darstellen sollte.31 Wie beeinflusste das nationalistische Denken in Kategorien der Zugehörigkeit und des Ausschlusses sowohl die Narrative zur Anwesenheit arabischer und arabischdeutscher Menschen in Deutschland als auch deren eigene Handlungsspielräume? Dafür werden arabische Subjekte mit eigener Handlungsfähigkeit und damit auch eigener Historizität beschrieben und sowohl die Spezifik deutschen orientalistischen Denkens als auch die Möglichkeit eigener Narrative zur arabischen Präsenz in Deutschland im genannten Zeitraum offengelegt. Diese Präsenz lässt sich vor dem Hintergrund eines transnationalen Geschichtsverständnisses nicht allein als Migrationsgeschichte verstehen, sondern muss auch als komplexe Geschichte von 28 29 30 31

Ein Beispiel der geteilten Zusammenhänge bildet die Biografie von Hans Hauck, dessen Vater Algerier war. Vgl. Campt, Other Germans, S. 25. Vgl. Hoerder, Dirk: »Europäische Migrationsgeschichte und Weltgeschichte der Migration: Epochenzäsuren und Methodenprobleme«, in: IMIS-BEITRÄGE 20 (2002), S. 135-167, S. 164. Brubaker, Rogers: Staats-Bürger. Deutschland und Frankreich im Vergleich, Hamburg: Junius 1994, S. 24. Ebd.

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Verflechtungen erzählt werden, als gemeinsame/geteilte Geschichten (»entangled histories«), die in ihrer Verwobenheit stets Differenzen, Ungleichheiten und Gemeinsamkeiten umfassen.32 Anhand eines biografisch orientierten Vorgehens lassen sich keine allgemeingültigen Aussagen treffen. In dieser Untersuchung werden Ansätze einer dezentrierten Geschichtsschreibung angewandt, »in der Erfahrungen und Verhaltensweisen eine entscheidende Rolle spielen«.33 Die biografischen Interventionen verdeutlichen die Verwobenheit individueller Lebensgeschichten und schaffen Anhaltspunkte der Narration arabisch-deutscher Geschichte. Verwobenheit entsteht in den Bereichen, für die Mary Louise Pratt den Terminus »Kontaktzonen« (»contact zones«) geprägt hat.34 Pratt beschreibt den »Raum imperialer Begegnungen« (»space of imperial encounters«) von Menschen, die sonst geografisch und zeitlich voneinander getrennt waren.35 Kontaktzonen markieren möglichen Zwang, Ungleichheit und unlösbaren Konflikt, in anderen Worten ein Aufeinandertreffen, das die Beteiligten wie auch den Raum ihrer Zusammenkunft verändert. Dies lässt sich nicht allein in Bezug auf außereuropäische koloniale Gebiete feststellen, Kontaktzonen fanden sich auch innerhalb Europas, insbesondere in den Metropolen.36

Koloniale und imperiale Kontexte Die untersuchten Biografien sind mit kolonialen Vorstellungswelten eng verbunden.37 Wie mehrfach angemerkt, wird von einem erweiterten Kolonialismusbegriff

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Vgl. Conrad, Sebastian, Randeria, Shalini: »Einleitung. Geteilte Geschichten – Europa in einer postkolonialen Welt«, in: dies. (Hg.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M.: Campus 2002, S. 9-49, Randeria, Shalini: »Geteilte Geschichte und verwobene Moderne«, in: Rüsen, Jörn (Hg.), Zukunftsentwürfe. Ideen für eine Kultur der Veränderung, Frankfurt a.M.: Campus 1999, S. 87-96. Vgl. auch Rothbergs Diskussion von shared memories: Rothberg, Multidirectional Memory, S. 15. Iggers, Geschichtswissenschaft, S. 95. Pratt, Mary Louise: Imperial Eyes. Travel Writing and Transculturation, London/New York: Routledge 2008, S. 8. Wörtlich spricht sie von »the space in which peoples geographically and historically separated come into contact with each other«, vgl. ebd. Zwar nicht in historischer Perspektive, aber anhand einer Kritik der Idee der »europäischen Stadt« wendet Noa Ha das Konzept der contact zone direkt auf Berlin an: Ha, Noa: »Perspektiven urbaner Dekolonisierung: Die europäische Stadt als ›Contact Zone‹«, in: sub/urban.zeitschrift für kritische stadtforschung 2 (2014), Nr. 1, S. 27-48. Vgl. auch Goebel, Michael: Anti-Imperial Metropolis. Interwar Paris and the Seeds of Third World Nationalism, New York: Cambridge University Press 2015. Vgl. insbesondere die kulturgeschichtlichen Ansätze in: Kundrus, Birthe (Hg.), Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus, Frankfurt a.M.: Campus 2003, sowie Friedrichsmeyer, Sara, Lennox, Sara, Zantop, Susanne (Hg.): The Imperialist Imagination. German Colonialism and Its Legacy, Ann Arbor: University of Michigan Press 1998.

Einleitung

ausgegangen.38 In ihn einbezogen sind: a) Machtsphären, die es während der formellen deutschen Kolonialherrschaft gab, b) kolonialrevisionistische Haltungen in der Weimarer Zeit und c) die europäische koloniale Situation. Arabische Menschen waren damals Teil kolonialer Verhältnisse. Ihr Weg in das Deutsche Reich wurde von diesen Verhältnissen ebenso beeinflusst wie ihre Handlungsmöglichkeiten vor Ort. Sie sind Teil dieses Age of Entanglement, wie Kris Manjapra die geteilten Erfahrungen auf Indien und Deutschland bezogen nennt.39 Wie aus diesen Ausführungen deutlich wird, wird hier nicht strikt zwischen imperialen und kolonialen Zusammenhängen getrennt. Es geht um die Wirkung imperialer und kolonialer Verhältnisse auf metropolitane Kontexte, um die Praxis, die Theorie und die Haltungen eines dominierenden Zentrums selbst.40 Auch der Begriff des Imperialismus wird im Folgenden als erweitert verstanden. Imperialismus ist nicht allein die Praxis der Macht, sondern zum Beispiel auch der paternalistische Anspruch darauf, »den Anderen« zu kennen und ihn repräsentieren zu können, ohne dass ein reales Machtverhältnis im Sinne imperialer Herrschaft vorliegt.41 Die besonders in den Kapiteln 1 Deutschlands »Orient« und 4 Eigensinn dieses Buches beschriebenen orientalistischen Wissensarchive und Strategien sind ein Beispiel für diese Formen imperialistischen Denkens. In diesem Sinn basieren beide Phänomene – Imperialismus und Kolonialismus – auf massiven ideologischen Formationen, die hierarchische Grenzziehungen zwischen einem »Wir« und den »Anderen« festhalten.42

Lesarten und methodische Ansätze Es gibt durchaus Arbeiten zur deutschen Kolonialzeit, zu Kolonialsoldaten und migrant_innen und außereuropäischen Akteur_innen in Deutschland, die unterschiedliche Zugänge zu marginalisierten Geschichten ermöglichen; aber es sind wenige.43 Zuletzt entstanden zwei Studien, die Räume der Überlappung, kosmo38 39 40 41

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Vgl. Conrad, Sebastian: Deutsche Kolonialgeschichte, München: Beck 2008, S. 15. Siehe auch Kap. 1 Deutschlands »Orient«, S. 29, in dieser Arbeit. Manjapra, Kris: Age of Entanglement. German and Indian Intellectuals across Empire, Cambridge/London: Harvard University Press 2014. Vgl. Edward Saids zweite Imperialismusdefinition: Said, Edward: Culture and Imperialism, New York: Vintage Books 1994, S. 9. Chrisman, Laura: »Imperial Space, Imperial Place: Theories of Empire and Culture in Fredric Jameson, Edward Said and Gayatri Spivak«, in: New Formations, 34 (1998), S. 53-69, S. 59. Vgl. auch Rothberg, Multidirectional Memory. Said, Culture and Imperialism, S. 9. Z. B. Amenda, Lars: Fremde – Hafen – Stadt. Chinesische Migration und ihre Wahrnehmung in Hamburg 1897-1972, München/Hamburg: Dölling und Galitz 2006, Höpp, Gerhard (Hg.): Fremde Erfahrungen. Asiaten und Afrikaner in Deutschland, Österreich und der Schweiz bis 1945, Berlin: Das Arabische Buch 1996, Oguntoye, Eine afro-deutsche Geschichte, Grosse, Pascal: »Zwischen Privatheit und Öffentlichkeit: Kolonialmigration in Deutschland, 1900-1940«, in: Kundrus, Phan-

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politane Zentren und ihre Diversität oder Gemeinschaftsgeschichten thematisieren.44 Auch dieses Buch beruht auf der akribischen Sammlung etlicher Einzelzeugnisse, die zueinander in Beziehung gesetzt werden. Im Unterschied zu den meisten Studien durchziehen diese Untersuchung jedoch zwei grundlegende Diskussionen: die Frage der Erinnerungsmodi und -narrative sowie deren Lesart. Mit anderen Worten: Die Quellenlage ist Ausdruck hegemonialer Verhältnisse. Sie erfordert einen spezifischen Umgang mit dem Material und setzt alternative Lesarten voraus. Erinnerungsparadigmen verdecken historische Narrative arabischer Menschen in Deutschland von 1871 bis 1933; wie bereits erwähnt, resultieren diese Formen der Erinnerung aus kolonialen, orientalistischen und deutschnationalen Perspektiven. Sie verdecken die Zeugnisse arabischer Präsenz in Deutschland und beeinflussen dementsprechend die Narrative, die aus solchen Zeugnissen entstehen können. In einem Großteil des Quellenmaterials lässt sich »a structure of attitude and reference«45 nachweisen, die der zuvor beschriebenen Reichweite des imperialen Denkens entspricht. Im Folgenden wird versucht, die im hegemonial verfassten Quellenmaterial vorhandenen Perspektiven deutlich zu machen. Dies bedeutet, die erkenntnisleitenden, das heißt epistemischen Denkstrukturen zu markieren, die diese Perspektiven hervorriefen. Um eigenständige Handlungsmöglichkeiten innerhalb der beschriebenen Verwobenheit kenntlich zu machen, wird der erweiterte Kolonialismusbegriff angewendet und eine Setzung vorgenommen, die sich mit einem »strategischen Essenzialismus«46 vergleichen lässt. Mit dieser Strategie werden essenzialistische Identitätsbeschreibungen übernommen, um Handlungsmöglichkeiten von Subjekten sichtbar zu machen.47 Die Benennung und Erzählbarkeit der vorliegenden Ge-

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tasiereiche, S. 91-109, Bechhaus-Gerst, Marianne, Klein-Arendt, Reinhard (Hg.): AfrikanerInnen in Deutschland und schwarze Deutsche – Geschichte und Gegenwart, Münster: Lit 2004, Lewerenz, Geteilte Welten. Aitken, Rosenhaft, Black Germany, Manjapra, Age of Entanglement. Said, Culture and Imperialism, S. xxiii. Spivak, Gayatri Chakravorty: »In a Word: Interview«, in: dies., Outside in the Teaching Machine, New York/London: Routledge 1993, S. 1-23. Spivak fordert in ihren frühen Texten einen strategischen Essenzialismus vor allem für die Kenntlichmachung der Geschichte/n subalterner Frauen. Vgl. Spivak, »In a Word«, S. 3-6. Die Äußerung der subalternen Frau ist, entsprechend Spivaks Analyse, im vorhandenen Referenzsystem nicht vorstellbar, sie wird nicht gehört. Das heißt, dass ihre Handlungen nur entsprechend der Logik des imperialen Diskurses rekonstruierbar sind. Spivak analysiert diese Form der epistemischen Gewalt anhand des Beispiels der Witwenverbrennung (sati): siehe Spivak, Gayatri Chakravorty: »Can the Subaltern Speak?«, in: Williams, Patrick, Chrisman, Laura (Hg.), Colonial Discourse and Post-Colonial Theory. A Reader, New York: Harvester Wheatsheaf 1994, S. 66-111, S. 90ff., besonders S. 94. Vgl. auch: Spivak, Gayatri Chakravorty: »12. Subaltern Studies: Deconstructing Historiography«, in: dies., In Other Worlds. Essays in Cultural Politics, London/New York: Methuen 1985, S. 197-222. In diesem Text weist Spivak auf die historiografische Relevanz des strategischen Essenzialismus hin, siehe ebd., besonders S. 205.

Einleitung

schichte arabischer Präsenzen hängt mit Fragen der Macht, der Repräsentation und der Handlungsoptionen der Subjekte zusammen. Im Folgenden wird das mehrheitlich hegemonial geprägte Quellenmaterial48 somit auch auf die Möglichkeit geprüft, dass sich, wie Hito Steyerl schreibt, »in den hegemonialen Medien, Archiven, Diskursen und Geschichten Beispiele von Zeugnissen [finden], die es eigentlich gar nicht geben dürfte«.49 Es werden Subtexte aufgespürt, Bruchstücke und Erinnerungsfragmente, die sich aus den offiziellen Quellen herauslesen lassen und die einzeln für sich genommen wenig aussagekräftig wären, in ihrer konkreten Zuordnung zu Personen und Ereignissen aber ihre eigene historische Dimension entfalten. Damit folgt die Vorgehensweise solchen Ansätzen, die den Gegensatz zwischen einer vermeintlich sanktionierten »offiziellen Geschichte« und alternativen Modi der Erinnerung hervorheben.50 Um diese verborgenen und palimpsestartig von verschiedenen Schichten der Erinnerung überdeckten Geschichten sichtbar, kenntlich und verständlich zu machen, wird an Edward Saids Methode des »kontrapunktischen Lesens« (»contrapuntal reading«) angeknüpft, die er in seinem Werk Kultur und Imperialismus umsetzt.51 Said wendet diese Methode vorwiegend auf literarische Werke der metropolitanen Zentren an. Ausgehend von dem »In-der-Welt-Sein« (»worldliness«) von Texten weist er hegemoniale Momente nach, denen in imperialen Zusammenhängen jede kulturelle Formation unterliegt.52 Wenn dieser Methode entsprechend unterschiedliche Perspektiven zusammengelesen werden, wobei eine für die jeweilige Geschichte federführend sein kann und muss, lassen sich diese Zusammenhänge aufdecken und dekonstruieren. In Saids eigenen Worten: »In reading a text, one must open it out both to what went into it and to what its author excluded.«53 Von diesen Auslassungen, diesen Formen des Schweigens, die sich nicht allein in literarischen Texten nachweisen lassen, wird im Folgenden noch genauer zu sprechen sein. Die hier angewandte Herangehensweise folgt auch Kris Manjapras Forderung, über die schiere Analyse kultureller Repräsentationen und Perzeptionen hinauszugehen und die historischen Interaktionen ins Auge zu fassen.54 Dies wird anhand

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Campt, Other Germans, S. 14. Steyerl, Hito: Die Farbe der Wahrheit. Dokumentarismen im Kunstfeld, Wien/Berlin: Turia+Kant 2015, S. 23. Campt, Other Germans, S. 14. Said, Culture and Imperialism, S. 66f. Said, Culture and Imperialism. Vgl. auch die fundierte Kritik und Weiterführung der Ansätze Saids Schmitz, Markus: Kulturkritik ohne Zentrum. Edward W. Said und die Kontrapunkte kritischer Dekolonisation, Bielefeld: transcript 2008. Said, Culture and Imperialism‹ S. 67. Manjapra, Age of Entanglement, S. 6.

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unterschiedlicher biografischer Beispiele und Interventionen in verschiedene historische Kontexte gezeigt, um angesichts der dabei ins Blickfeld rückenden Vielheit der Frage nach einer möglichen kollektiven Dimension der betrachteten Biografien nachzugehen. Anders ausgedrückt: Gibt es Gemeinsamkeiten, die in den unterschiedlichen Lebenswegen und biografischen Fragmenten deutlich werden und die sie von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden? Kien Nghi Ha hat für dieses Phänomen den Begriff der »biographischen Signatur« verwendet.55 Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch der Begriff der Präsenz, mit dem die Anwesenheit arabischer Personen in Deutschland gefasst wird. Er orientiert sich an Toni Morrisons Verwendung des Terminus »Africanlike (or Africanist) presence«,56 mit dem sie die Rolle Schwarzer Personen innerhalb der Weißen amerikanischen Literatur analysiert. Imaginierte Schwarze Personen sind in aus einer Weißen Perspektive geschriebenen Texten anwesend, sie sind dabei aber häufig nicht handlungstragend und/oder personalisierbar, sondern dienen vielmehr dazu, bestimmte Funktionen im Text zu erfüllen. So dienen Schwarze Nebenfiguren zum Beispiel oftmals dazu, die Handlung voranbringen, ohne dass ihre eigene Handlungsfähigkeit benannt bzw. fassbar wird. Es gibt in den entsprechenden Texten aber immer auch etwas, das darüber hinaus mitschwingt. Toni Morrison nennt dies Subtexte, die weitere Informationen enthalten, die in der hegemonialen Lesart unbeachtet bleiben.57 Eine solche Perspektive lässt sich auch bei der Analyse nichtliterarischer Texte einnehmen. Im Zusammenhang dieses Buches lässt sich von orientalistischen Präsenzen sprechen, von orientalistischen Vorstellungswelten, die selbst auto-/biografische Texte überlagern. Solche orientalisierten Ausdrucksweisen finden sich zum Beispiel in den Reisebeschreibungen Hassan Taufiks oder in Sayyida Salmes Memoiren einer arabischen Prinzessin (siehe Kapitel 2 Zeit-Räume). Aber es finden sich nicht nur hegemoniale Perspektiven. Widerständige und eigensinnige Aspekte lassen sich ebenso aus dem Material herausarbeiten wie auch »leftover«,58 wie Campt den unausgefüllten Aspekt der Repräsentation nennt, also weitere Informationen, deren Weitergabe nicht intendiert war. Das heißt, der imaginierte »Orient« ist Teil der biografischen Spurensuche und ist »gegen den Strich« zu lesen und zu dekonstruieren. Der Begriff der Präsenz beinhaltet mehrere Referenzpunkte: Erstens umfasst er einen Bezug zur jeweils individuell erfassten Gegenwart und Gegenwärtigkeit, 55

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Der Begriff der »biographischen Signatur« wird von Kien Nghi Ha besonders auf die Erfahrungen türkischer Migrant_innen in der Bundesrepublik in den 1960 und 1970er Jahren angewendet. Vgl. Ha, Kien Nghi: Ethnizität und Migration Reloaded. Kulturelle Identität, Differenz und Hybridität im postkolonialen Diskurs, Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin 2004, S. 18. Morrison, Toni: Playing in the Dark. Whiteness and the Literary Imagination, New York: Vintage Books 1993, S. 6-9. Morrison, Playing in the Dark, S. 66f. Campt, Other Germans, S. 14.

Einleitung

die sich durch den biografischen Zugang ergibt. Zweitens verweist er mit jeder Anwesenheit implizit oder explizit auch auf Abwesenheiten oder Leerstellen, die sich nicht rekonstruieren lassen. Und drittens ist er in hohem Maße durch Ambivalenzen geprägt, die Homi Bhabha zufolge durch das Überlappen und Deplatzieren von Differenzbereichen entstehen, in denen »intersubjektive und kollektive Erfahrungen von nationalem Sein (nationness), gemeinschaftlichem Interesse und kulturellem Wert verhandelt« werden.59 Postkoloniale Ansätze haben auf die Wichtigkeit hingewiesen, das Schweigen zu messen (»measuring silences«60 ). Spivak fordert dies insbesondere für Texte des Imperialismus, die die Möglichkeit ausschließen, die handlungstragenden Subjekte in ihren Aktivitäten narrativ kenntlich zu machen. Der einzelne an einem Aufstand beteiligte Bauer existiert demnach in den historischen Beschreibungen nicht. Es ist allein der Aufstand, der narrativ festgehalten wird.61 Drei Formen des Schweigens umgeben auch arabische Präsenzen in der deutschen Geschichte: das Schweigen in einer Fülle von Aussagen, das Schweigen der Archive, in denen bestimmte Aussagegruppen überhaupt nicht auftauchen, und eines, das aus tendenziösen Sekundärinterpretationen resultiert. Die erste Form des Schweigens ist zum Beispiel bei Quellen zu Kolonialsoldaten gegeben, die im Truppenzusammenhang nicht individualisierbar sind, oder bei Quellen zu in prekären Verhältnissen situierten Personen, die kein eigenständiges Narrativ besitzen und deren persönliche Individualität nur in Ausnahmefällen rekonstruierbar ist.62 Kolonialsoldaten, aber auch Teilnehmende an »Völkerschauen« verfügten über Handlungsmöglichkeiten, die sich rekonstruieren lassen. Im Kontext abstrakter Beschreibungen oder Äußerungen über Kollektive wie zum Beispiel »die schwarzen Truppen« lassen sich mitunter auch Zeugnisse finden, »die es eigentlich gar nicht geben dürfte«63 . Die tatsächlichen Taten und Handlungsentscheidungen lassen sich jedoch gemeinhin nicht rekonstruieren. Das Schweigen der Archive wird besonders in der Geschichte von Frauen wahrnehmbar, auf deren Anwesenheit es Anspielungen und Hinweise gibt, jedoch kaum Zeugnisse, die (umfassende) Auskünfte über einzelne Frauen geben würden. Im Rahmen dieser beiden Formen des Schweigens existieren kaum auto-/biografische Zeugnisse ihrer Präsenz. Der dritte Modus des Schweigens zeigt

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Bhabha, Homi: Die Verortung der Kultur, Tübingen: Stauffenburg 2000, S. 2. Spivak, »Can the Subaltern Speak?«, S. 82. Ebd., vgl. auch Chakrabarty, Dipesh: Provincializing Europe, Princeton/Oxford: Princeton University Press 2000, S. 13f. Michels spricht in Bezug auf Askari in Deutsch-Ostafrika von einer »komplexen Repräsentations- und Erinnerungstopografie«, die sich auch in Bezug auf die in Deutschland stationierten und kämpfenden französischen undbritischen Kolonialsoldaten feststellen lässt. Vgl. Michels, Stefanie: Schwarze deutsche Kolonialsoldaten. Mehrdeutige Repräsentationsräume und früher Kosmopolitismus in Afrika, Bielefeld: transcript 2009, S. 11. Steyerl, Farbe der Wahrheit, S. 23.

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sich vor allem in tendenziösen Interpretationen historischer Zusammenhänge, die eurozentrische Perspektiven offenbaren und differente Erfahrungen in ihrer eigenen Sinnhaftigkeit auslassen. Besonders exemplarisch für diesen dritten Modus des Schweigens ist die Revolutionierung muslimischer (vor allem arabischer) Soldaten im Ersten und Zweiten Weltkrieg und ein vermeintlich spezifisch arabischer Antisemitismus, der historisch an deutsch-europäische Formen des Antisemitismus angegliedert wird.64 Judenfeindschaft bis hin zum Antisemitismus in mehrheitlich arabischen Gesellschaften wird damit ebenso wenig historisch rekonstruierbar wie die spezifischen Momente arabisch-jüdischer Geschichte.65 Der in diesem Buch verfolgte Ansatz, der spezifischen Präsenzen nachspürt, setzt sich bewusst von migrationshistorischen Studien ab, die vornehmlich mit sozialwissenschaftlich-quantitativen Ansätzen die Mobilität und Migration von Gruppen untersuchen.66 Im Unterschied zur Migrationsgeschichtsschreibung liefert die vorliegende Studie Ansatzpunkte, um anhand der Präsenz arabischer Menschen zwischen 1871 und 1933 in Deutschland und anhand beispielhafter biografischer Interventionen Möglichkeiten kollektiver Zusammenhänge aufzuzeigen und die vorhandene Verwobenheit der einzelnen Geschichten zu ergründen. Ein besonderes Augenmerk gilt im Folgenden auch der Kenntlichmachung eigensinniger Handlungsweisen im Sinne Alf Lüdkes: Eigensinn nimmt die Fährte in die Unübersichtlichkeiten der Verhaltensweisen der einzelnen auf – jenseits aller Fixierung auf eine umfassende Logik ›der‹ Geschichte oder eine immer schon »strukturierende Struktur« (P. Bourdieu). Es ist eine Perspektive, die versucht, dicht an den Praktiken und (Selbst-)Deutungen der Einzelnen zu bleiben.67

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Ein handwerklich mangelhaftes, da auch auf falschen Zitationen beruhendes aktuelleres Beispiel für diese Form der tendenziösen Argumentation ist Rubin, Barry, Schwanitz, Wolfgang: Nazis, Islamists, and the Making of the Modern Middle East, New Haven/London: Yale University Press 2014. Vgl. Frank Schellenbergs Rezension zu Rubin, Barry, Schwanitz, Wolfgang G.: Nazis, Islamists, and the Making of the Modern Middle East, New Haven 2014, in: H-Soz-Kult, 17.07.2014, www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-21745 (14.05.2018). Nirenberg, David: Anti-Judaism. The Western Tradition, London/New York: W.W. Norton & Company 2013. Vgl. verschiedene Studien von Ella H. Shohat zu arabisch-jüdischer Geschichte und Präsenz, zum Beispiel Shohat, Ella: »Rupture and Return. Zionist Discourse and the Study of Arab Jews«, in: Social Text 75 (2003), Nr. 2, S. 49-74. Zum Beispiel: Bade, Klaus J.: Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München: Beck 2000, Oltmer, Jochen: Migration und Politik in der Weimarer Republik, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005, Oltmer, Jochen (Hg.): Handbuch Staat und Migration in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert, Berlin/Boston: de Gruyter 2016. Lüdtke, Alf: »Geschichte und Eigensinn«, in: Berliner Geschichtswerkstatt (Hg.), Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte, Münster: Westfälisches Dampfboot 1994, S. 139-156, S. 146.

Einleitung

Der Begriff bietet sich besonders an, um die vielfach auftauchenden ambivalenten Positionierungen der hier betrachteten Menschen in ihrer Komplexität und »ein Verhalten, das sich nicht der Logik des Entweder-oder von Herrschaft und Widerstand fügt«68 erklären zu können. Migration wiederum – verstanden als freiwillige oder unfreiwillige Änderung des Lebensmittelpunkts – ist ein Teil dieser Geschichten. Die Untersuchung von »Migrations- beziehungsweise Integrationsstrategien einzelner Kollektive, Familien oder Individuen«69 ist in der deutschen historischen Forschung ein noch recht junges Phänomen und die spezielle Kenntlichmachung lebensgeschichtlicher Verortungen, ohne über einen größeren Korpus an auto-/biografischem Material zu verfügen, bedarf der dargelegten spezifischen Herangehensweise. Jochen Oltmer schreibt zu dieser Problematik: In aller Regel entstammen diese Überlieferungen den Diskursen und Diskurssystemen von Herrschenden und von Eliten, erfordern also spezifische hermeneutische Herangehensweisen, um beispielsweise die Aspirationen sowie die Weltund Situationsdeutungen, die das Handeln von Migrantinnen und Migranten formierte, erschließen zu können. Darüber hinaus ermöglicht dieses in der Regel in recht großem Umfang vorzufindende Material die Rekonstruktion des Agierens und Regierens institutioneller Akteure, darunter insbesondere staatlicher Machtund Amtsträger.70 Im Fokus der vorliegenden Untersuchung steht, wie erwähnt, die historische Rekonstruktion der Präsenz arabischer und arabisch-deutscher Menschen während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Dabei wird weniger die transnationale Mobilität der einzelnen Akteur_innen analysiert als vielmehr die Aushandlungen und Auseinandersetzungen als Teil der deutschen Gesellschaft vor dem Hintergrund orientalistischer, geschlechterspezifischer und statusbezogener Grenzziehungen und Vorstellungswelten.

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Ebd., S. 146f. Oltmer, Jochen: »Einleitung: Staat im Prozess der Aushandlung von Migration«, in: ders. (Hg.), Handbuch Staat und Migration in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert, Berlin/Boston: de Gruyter 2016, S. 1-42, S. 3f. Oltmer fordert an dieser Stelle konkret ein, dass die Motive der Migration nicht außer Acht gelassen werden sollten. Dies wird insbesondere in der Erläuterung der Rahmenbedingungen von Migration in Kap. 1 Deutschlands »Orient« gegenüber den individuellen, biografischen Zugängen in Kap. 2 Zeit-Räume diskutiert. Ebd., S. 4f.

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Aufbau des Buches »Arabische Präsenzen« zeigt, dass binäre Trennungen und die Aufteilung in kolonisierende und kolonisierte Subjekte oder in den »Westen« und den »Rest«71 sich nicht aufrechterhalten lassen, wenn ein direktes Zusammentreffen in der Metropole, das heißt in Deutschland, stattfindet und verschiedene Erfahrungskontexte zusammenbringt. Daher werden unter der Überschrift Deutschlands »Orient« — Kartografie des Erinnerbaren« in Kapitel 1 die geopolitischen Hintergründe von Mobilität und Migration sowie die unterschiedlich ausgeprägten Machthierarchien beschrieben, die arabische Präsenzen um 1900 beeinflussten. Grundlegende These dieses Kapitels ist, dass die deutsche Geopolitik und damit verknüpfte Diskurse und Strukturen eine Kartografie des Erinnerbaren hervorbrachten. Die hegemonialen Ausgangspunkte dieser Kartografie, von denen aus sich arabische Menschen auf den Weg machten, werden in diesem Kapitel beschrieben. Anhand der Herausbildung der deutschen Orientalistik im 19. Jahrhundert lassen sich die epistemischen Vorgaben nachvollziehen, die spezifisch deutsche Vorstellungen vom »Orient« schufen. Diese waren gleichzeitig beeinflusst von realen Interventionen wie zum Beispiel der Bagdadbahn, den Reisen Wilhelms II. nach Jerusalem oder militärischen, siedlerischen und wirtschaftlichen Unternehmungen des Kaiserreichs. Der koloniale Kontext bildet den Erklärungszusammenhang für die Figur des/der »arabischen Anderen«, die ebenfalls in Kapitel 1 Deutschlands »Orient« (S. 52-60) eingeführt und anhand von Studien zur Geschichte des Rassismus in seiner Verwobenheit mit Diaspora, Ethnizität und Gender theoretisch fundiert wird. Vorstellungen von »edlen Beduinen« oder »gierigen Fellachen« beeinflussten nicht allein die reale Anwesenheit von Menschen arabischer Herkunft in Deutschland, deren Handlungsweisen sie dementsprechend prägten. Sie flossen auch in Tradierungen und Erinnerungsnarrative ein. In der anglophonen Literatur wird dieser Prozess auch mit »othering« umschrieben und ist dabei nicht allein auf eine einfache binäre Teilung zu reduzieren,72 sondern beschreibt, wie schon erwähnt, einen Prozess, bei dem die Zuweisung bzw. Markierung von der Differenz ausschlaggebend ist.73 Zuschreibungen wie »Araber«, »Orientale«, »Moslem« waren dem zeitgenössischen Verständnis nach austauschbar, folgten jedoch zunehmend 71 72

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Hall, Stuart: »The West and the Rest: Discourse and Power«, in: Hall, Stuart, Gieben, Bram, Formations of Modernity, Cambridge u.a.: Polity Press 1992, S. 275-320. So das Verständnis des Begriffs von Wiedemann. Vgl. Wiedemann, Felix: »Zwischen Völkerflut und Heroismus. Zur Repräsentation der Beduinen in kulturhistorischen Deutungen des Vorderen Orients um 1900«, in: Becker, Judith, Braun, Bettina (Hg.), Die Begegnung mit Fremden und das Geschichtsbewusstsein, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012, S. 207-227, S. 227. Grundlegend zu dem Begriff »othering«: Minh-ha, Trinh T.: Woman, Native, Other. Writing Postcoloniality and Feminism, Bloomington: Indiana University Press 1989; für das orientalistische

Einleitung

einem Begriffsinstrumentarium, das auf bereits vorhandenen Vorstellungen und Stereotypen basierte und die erwähnte Differenz reifizierte. Zeugnisse der Präsenz arabischer Menschen in Deutschland sind von Beginn an eng verbunden mit den Orientwissenschaften. Sie sind verwoben mit populären Orientbildern und mit gesamtgesellschaftlichen Diskursen, die auf die akademische Wissensproduktion Bezug nahmen. Die Spezialisierung von Wissenschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert fand vor dem Hintergrund der Etablierung bzw. des Ausbaus kolonialer Ordnungen statt. Fächer wie Ethnologie, Anthropologie und Geografie74 waren davon ebenso geprägt wie die in dieser Untersuchung näher betrachteten Zweige der Orientalistik.75 Nicht allein die Forschung in den Kolonien diente als Versuchsfeld und – vielfach so beschrieben – als »Laboratorium der Moderne«,76 auch in der Metropole wurden erkenntnistheoretische und anwendungsorientierte praktische Grundlagen entwickelt, die wiederum ihren Einfluss auf informelle und formelle Kolonialzusammenhänge hatten. Das Seminar für Orientalische Sprachen an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin (siehe hierzu auch Kapitel 1 Deutschlands »Orient«, S. 60-68) sowie das Hamburgische Kolonialinstitut, Vorläufer der Universität Hamburg, dienen im Kontext der Arbeit als institutionelle Beispiele und sind auch mit einigen der Akteure verbunden, deren Biografien exemplarisch untersucht werden. Bilder vom »Orientalen«, der fern und fremd imaginiert wurde, trafen bisweilen auf die konkrete Präsenz vor Ort im Kaiserreich. Dies ist eines der Themen des folgenden Kapitels. In Kapitel 2 Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen, werden ausgewählte biografische Zeugnisse von Menschen arabischer Herkunft untersucht und ihre Handlungsräume und Perspektiven auf (ihr Leben in) Deutschland analysiert. Sie werden in dieser Rekonstruktion als eigenständige Akteur_innen sichtbar. Anhand dieser arabisch-deutschen (Familien-)Geschichten wird damit ein größtmöglicher Zugang zur Alltagsgeschichte gesucht. Die Quellenlage bringt allerdings gewisse Einschränkungen mit sich. Es überwiegen aus mehrheitsgesellschaftlicher Perspektive stammende Zeugnisse zu arabischen Präsenzen, auto-/biografische Quellen hingegen sind für die Zeit bis 1933 rar. Eine Nähe zum Themenfeld

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Beispiel »Indien« vgl. Murti, Kamakshi P.: The Seductive and Seduced ›Other‹ of German Orientalism, Westport u.a.: Greenwood Press 2001. Vgl. Chickering, Roger: Imperial Germany. A Historiographical Companion, Westport (Connecticut)/London: Greenwood Press 1996, Evans, Andrew D.: Anthropology at War: World War I and the Science of Race in Germany, Ann Arbor: UMI Dissertation Services 2002, sowie Ruppenthal, Jens: Kolonialismus als »Wissenschaft und Technik«. Das Hamburgische Kolonialinstitut 1908 bis 1919, Stuttgart: Franz Steiner 2007, besonders S. 20ff. Vgl. auch Fabian, Johannes: Time and the Other. How Anthropology makes its Object, New York: Cornell University Press 2014. Marchand, German Orientalism in the Age of Empire. Vgl. Laak, Dirk van: »Kolonien als ›Laboratorien der Moderne‹?«, in: Conrad, Sebastian, Osterhammel, Jürgen (Hg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871-1914, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, S. 257-279.

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der Orientalistik ist in allen analysierten Beispielen gegeben. Obwohl neuere Studien zum deutschen Orientalismus77 umfassende Differenzierungen im Feld der Orientalistik eingeführt haben und in Teilen auch die Akteursebene dieser Fächer berücksichtigen, existiert weiterhin eine Trennung zwischen den Studienobjekten der Fächergruppe und »lives, political aspirations, and cultural preoccupations of real-existing ›orientals‹«78 . Was lässt sich aus Zuschreibungen und Projektionen zum einen und auto-/biografischen Texten zum anderen herausarbeiten? Wie kann mit Quellen umgegangen werden, in denen mehrere Perspektiven miteinander verbunden sind? Eine für meine Untersuchung ergiebige Quelle sind die Reisebeschreibungen Hassan Taufiks. Sie stellen ein seltenes Zeugnis des imperialen Deutschlands aus einer außereuropäischen Perspektive betrachtet dar, das – mitunter gegen den Strich gelesen – kritische Einsichten bietet. Taufik kam als Lektor an das neu gegründete Seminar für Orientalische Sprachen zu Berlin und bietet mit seinen Reisebeschreibungen, ergänzt durch soziologische und historische Analysen, eine Bestandsaufnahme der deutschen Gesellschaft zur Zeit seines Aufenthalts. Die Geschichten der Familien Sayyida Salmes und Mohamed Solimans sind exemplarisch für Migrationsgeschichten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Entsprechend geschlechterspezifischen Unterschieden zeigen sich Brüche innerfamiliärer Wissensweitergabe. Die Herkunft wird unterschiedlich verhandelt und taucht im Fall von Sayyida Salme entweder als kolonialer Bezug auf oder wie bei der Familie Soliman als orientalisierte Erinnerungsspur. Die Geschichte der Generation der Kinder bietet wiederum eine eigene Perspektive arabisch-deutscher Präsenz. Die kolonialen Einflusssphären sind bei allen in diesem Kapitel behandelten Geschichten präsent und damit auch die Ambivalenz, die sie umfängt und die sich insbesondere in der Übernahme hegemonialer Perspektiven und Handlungsweisen äußert. In Kapitel 3 »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen wird die größte arabische Präsenz im Untersuchungszeitraum diskutiert. Stereotype Vorstellungen von arabischen Truppen und Massen oder »Völkern«, die in Ausstellungen präsentiert wurden, sind eng verbunden mit Menschen, die als Darsteller_innen an »Völkerschauen« teilnahmen oder als Kolonialsoldaten dienen mussten. Einzelne Biografien lassen sich in diesen Zusammenhängen nur in Ausnahmefällen rekonstruieren. Vorstellungen von den »Töchtern der Wüste« oder »wilden Turkos«, wie Kolonialsoldaten bezeichnet wurden, werden in diesem Kapitel diskutiert und es wird der Frage nachgegangen, ob sich trotz dieser stereotypen und häufig gewaltvollen Repräsentationen eigene Handlungsoptionen von Kolonialsoldaten und »Völkerschau«-Teilnehmer_innen finden lassen. Die mit den Gruppenzuschreibungen 77 78

Besonders Marchand, German Orientalism in the Age of Empire. Ebd., S. 427.

Einleitung

verhafteten Bilder formten bzw. setzten bestimmte Stereotypen fort, die bis heute wirkmächtig sind. Der »edle« Beduine der Völkerschauinszenierungen gegenüber dem »wilden« Kolonialsoldaten, der schon damals auch als Marokkaner benannt und – wie eingangs geschildert – als »Nafri« eine Aktualisierung erhält, sind Aspekte dieser komplexen Kontinuität der Objektivierung und Veranderung (»othering«). Die extremste Form der Rassifizierung fand gegenüber Kindern von Kolonialsoldaten statt, die bereits in den 1920er Jahren als spezifische Gruppe behördlich registriert wurden. Diese Verflechtung von Rassifizierung, eugenischem Denken und sozialem Status wird in dem Kapitel analysiert. Anhand von Beispielen »Völkerschau« ähnlicher Szenarien im Rahmen der Berliner Gewerbeausstellung und der 1927 ebenfalls in Berlin veranstalteten Schau »Tripolis in Berlin« werden eurozentrische Perspektiven offenbar, die unter anderem auf Denkstrukturen fußen, die Anne McClintock als »panoptical time« und »anachronistic space« bezeichnet hat.79 »Panoptical time« bezeichnet ihr zufolge das global eingeführte Verständnis einer Zeit, die von einem verborgenen und zugleich privilegierten – panoptischen – Punkt aus gemessen unterschiedliche Wertigkeiten und unterschiedliche »Entwicklungen« festlegte. Die die Blickrichtung vorgebende Person blieb unsichtbar. Die Festlegung einer normativen Zeit, die allgegenwärtig und allgemein gültig wurde, lässt sich besonders in kolonialen Zusammenhängen dementsprechend klassifizieren.80 Die anachronistische Raumzuweisung wiederum legte geografisch aus einer eurozentrischen Perspektive eingeteilte Gebiete und Räume als im Hinblick auf »die menschliche Entwicklung« »zurückgeblieben« oder gar außerhalb der Geschichte stehend fest. Trotz dieser das hegemonial geprägte Quellenmaterial beeinflussenden Perspektiven und Festlegungen lassen sich auch innerhalb der kollektivierten Präsenzen von Teilnehmer_innen an »Völkerschauen« und von Kolonialsoldaten spezifische Handlungsräume einzelner Personen erkennen, die in dem Kapitel offengelegt und in einen narrativen Zusammenhang gesetzt werden. Unter der Überschrift Eigensinn und Eigenzeit werden in Kapitel 4 erneut biografisch lokalisierbare Präsenzen in den Vordergrund gestellt. Während, wie in Kapitel 2 Zeit-Räume gezeigt, familiäre oder institutionelle Rahmenbedingungen dazu führten, dass arabische Menschen ihren Lebensmittelpunkt für gewisse Zeit im Deutschen Reich fanden, verfolgten die Protagonisten des Unterkapitels Politische Kämpfe (S. 223-251) – Studenten, Journalisten, nationalistische Aktivisten und Künstler – eigene Agenden, die sowohl die Auseinandersetzungen mit ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld widerspiegeln als auch zeitgenössische globale Themen verhandeln. Formen der Selbstorganisation und eigene Ausdrucksweisen 79 80

McClintock, Anne: Imperial Leather. Race, Gender and Sexuality in the Colonial Contest, London/New York: Routledge 1995, S. 36-42. Vgl. auch Fabian, Time and the Other.

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Arabische Präsenzen in Deutschland um 1900

dieser gesellschaftspolitisch und künstlerisch tätigen arabischen Menschen stehen in diesem Kapitel im Fokus. Einzelnen Biografien wird in die Zeit nach 1933 gefolgt. Zusammenfassend widmet sich das fünfte und letzte Kapitel Geschichte/n an der Grenze Kontinuitäten, möglichen Formen eigener Narrative wie auch der Verwobenheit der zusammengetragenen Geschichte(n) arabischer Präsenzen. Anhand der Suche nach einer »biographischen Signatur«81 wird diskutiert, inwiefern sich nicht allein »geteilte Geschichten/entangled histories« in der Mehrheitsgesellschaft finden lassen, sondern inwiefern es Orte, Erfahrungen und Ereignisse gab, die arabische Präsenzen in der Zeit von 1871 bis 1933 in Deutschland teilten und die »shared memories« bilden, die sich von anderen Narrativen unterscheiden. Ein Ausblick auf die Zeit nach 1933 zeigt anhand einzelner biografischer Beispiele unterschiedliche Erfahrungen arabischer Personen während der Zeit des Nationalsozialismus.

Schreibweisen Studien, die auf mehrsprachigem Quellenmaterial beruhen, müssen sich immer mit der Frage der Übertragbarkeit beschäftigen. Was das Arabische betrifft, ist vor allem die unterschiedliche Schrift ein Thema für sich. Im Gegensatz zu Studien aus dem Fachbereich der Orientalistik werden in den folgenden Ausführungen nicht die Regeln der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft befolgt. Die verwendete Umschrift arabischer Namen und Titel verwendet eine einfache Variante der Transkription, ohne den Gebrauch diakritischer Zeichen. Titel in arabischer Schrift sind im Anhang angegeben. Wo bereits eine zeitgenössische latinisierte Schreibweise vorhanden ist, wird die in Quellen und Dokumenten am meisten genutzte Variante verwendet. Eine weitere Herausforderung birgt die in der deutschen Sprache wirkmächtige Ebene der Vergeschlechtlichung, die schwer zu umgehen ist. Wenn es aus den Quellen in irgendeiner Form ableitbar ist, werden beide Geschlechter genannt. Handelt es sich bei den Akteuren um Männer, wird dies sprachlich mit dem Maskulinum erfasst, es handelt sich hierbei nicht um das sogenannte generische Maskulinum. Begriffe wie »Rasse«, »Völkerschauen« o.Ä., deren Bedeutung auf Konstruktionen bestehen, werden in doppelte Anführungszeichen gesetzt.

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Vgl. Ha, Ethnizität und Migration Reloaded, S. 18.

1. Deutschlands »Orient« – Kartografie des Erinnerbaren

Geschichte als Prozess, als Bewegung von Subjekten innerhalb eines Zeit-Raums mit bestimmten Handlungsoptionen lässt sich aus unterschiedlichen Perspektiven erzählen. Mit der Gründung des deutschen Nationalstaates erhält die Idee des Deutschen Reichs eine räumliche Begrenzung, die sich im Lauf des 19. und 20. Jahrhunderts kontinuierlich änderte. Die Idee des Deutschtums, einer Nation,1 ist älter als der 1871 entstandene Staat. Dementsprechend existierte auch die Vorstellung eines gemeinsamen deutschen Interesses, das räumlich nicht klar begrenzt war, also auch über die Grenzen eines Staates hinausgehen konnte. Während sich Forschungen zur deutschen Kolonialgeschichte zumeist mit den Gebieten befassen, die ab 1884 auch formell als Kolonien unter deutscher Herrschaft standen, gibt es, wie schon dargelegt, Ansätze, die von einem erweiterten Kolonialismusbegriff ausgehen und die informellen Einflussgebiete Preußens und des Deutschen Reiches im 19. Jahrhundert berücksichtigen.2 Dieser Zugang ermöglicht es, deutsche Interessen am und Fantasien vom »Orient« als Teil eines geopolitischen3 Rahmens zu fassen und Prozesse, die innerhalb dieses diskursiven und realen Felds stattfanden, zueinander in Beziehung zu setzen. Vorstellungen über geografische Räume waren mit Stereotypen und Biologismen verbunden und bildeten gedankliche und

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Brubaker, Staats-Bürger, S. 24. Fuhrmann, Malte: Der Traum vom deutschen Orient. Zwei deutsche Kolonien im Osmanischen Reich 1851-1918, Frankfurt a.M.: Campus 2006. Vgl. Conrad, Deutsche Kolonialgeschichte, S. 15: »Es spricht daher einiges dafür, einen weiteren Kolonialismusbegriff zu verwenden, der über das etablierte Kolonialreich hinausgeht und in der Lage ist, etwa auch den deutschen Einfluss im Osmanischen Reich, die kolonialen Phantasien und Imaginationen, die Orientreisen des Kaisers und die kolonialen Herrschaftsstrukturen im Osten Europas mit einzubeziehen.« Das Konzept der Geopolitik als fächerübergreifende Denkströmung, die ausgehend von der Geografie den Raum als Ausgangspunkt der Analyse setzte, ist besonders mit dem Namen Friedrich Ratzel (1844-1904) verbunden. Vgl.zum Beispiel Sprengel, Rainer: Kritik der Geopolitik. Ein deutscher Diskurs 1914-1944, Berlin: Akademie 1996.

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Arabische Präsenzen in Deutschland um 1900

faktische Grenzen, die die Handlungsspielräume der in dieser Arbeit untersuchten Akteur_innen beeinflussten.4 Vor diesem Hintergrund erkunde ich, welche Macht- und Einflusssphären die – teils erzwungene, teils selbstbestimmte – Mobilität von Menschen arabischer Herkunft in Deutschland prägten oder sogar hervorriefen. Anhand der im Folgenden untersuchten Biografien sollen dabei erste Kontaktzonen (im Sinne Pratts) gezeigt werden. Entsprechend der kontrapunktischen Lesart werden nicht allein der mächtige Part von Deutschlands Einflusssphären im imaginierten und realen »Orient«, sondern eben auch die Orte und Zeiten beschrieben, von bzw. zu denen sich Menschen in Bewegung setzten, um ihren Lebensmittelpunkt zu ändern. Die zentrale These ist in diesem Kontext, dass die deutsche Geopolitik und die damit verknüpften Diskurse und Strukturen eine Kartografie des Erinnerbaren hervorbrachten, deren hegemoniale Ausgangspunkte in diesem Kapitel umrissen werden.

Deutsche Geopolitik und die Entstehung eines »deutschen Orients« Vier Bereiche werden im Folgenden genauer betrachtet, um die deutschen Interessen im »Orient« zu verdeutlichen: a) das Militär und die deutsch-osmanischen Beziehungen, b) Siedlungen und Missionen, c) der wirtschaftliche Einfluss und schließlich d) Wissensproduktion und Wissenschaft.

a) Das Militär und die deutsch-osmanischen Beziehungen Spätestens sieben Jahre nach seiner Gründung war das Deutsche Reich an europäischen Fragen der Grenzziehung und der Aufteilung von Einflusssphären beteiligt. 1878 fanden sich das Vereinigte Königreich, das Osmanische Reich, Frankreich, Österreich-Ungarn, Russland und Italien auf Einladung Bismarcks zum Berliner Kongress zusammen. Das Osmanische Reich, von europäischen Medien im 19. Jahrhundert gerne mit dem Beinamen »kranker Mann vom Bosporus« versehen,5 war zunehmend einem Wandel durch äußere Einflussnahmen und innere Auseinandersetzungen ausgesetzt. Seit der Pariser Konferenz von 1856, welche das

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Zur Kritik der Kulturkreislehre vgl. Smith, Woodruff D.: Politics and the Sciences of Culture in Germany 1840-1920, New York/Oxford: Oxford University Press 1991, besonders S. 155-159, und Joch, Markus: »Deutsche Anti-Evolutionisten? Konzeptionen der Kulturkreislehre um 1900«, in: Honold, Alexander, Scherpe, Klaus R. (Hg.), Das Fremde. Reiseerfahrungen, Schreibformen und kulturelles Wissen, Bern u.a.: Peter Lang 1999, S. 83-103. Die arabische Übersetzung dieser Bezeichnung lautete sinnigerweise »kranker Mann Europas«.

1. Deutschlands »Orient« – Kartografie des Erinnerbaren

Ende des Krimkriegs markierte, wurde es, wenn auch mit starken Einschränkungen, als Teil Europas anerkannt.6 Der Berliner Kongress widmete sich vordergründig der Beilegung der sogenannten Balkankrise, de facto wurde eine fortschreitende Gebietsaufteilung osmanischer Provinzen vorgenommen. Dabei ging es nicht allein darum, Grenzen zu ziehen und territoriale Einheiten zu schaffen. Verhandelt wurden Einflusssphären und der Zugang zu Märkten, Rohstoffen, Ressourcen, die im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung zunehmend umkämpft waren. Dies war nicht neu. Deutsche Interessen wurden schon lange vor der Reichsgründung im Osmanischen Reich vertreten. Deutsch-osmanische Kooperationen in wirtschaftlichen oder auch militärischen Fragen lassen sich für das gesamte 19. Jahrhundert belegen.7 Nina Berman verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass sich die Entwicklungen im »Mittleren Osten« und in Deutschland zu Anfang des 19. Jahrhunderts nicht stark unterschieden, zumindest bis das Deutsche Reich Phasen einer stärkeren Industrialisierung durchlief und selbst in die Reihe der Kolonialmächte eintrat.8 Besonders bekannt aus dieser Zeit sind die 1841 erstmals veröffentlichten Briefe von Helmuth von Moltke, die über die »Zustände und Begebenheiten in der Türkei« in den Jahren 1835 bis 1839 Auskunft geben.9 Moltke war Generalfeldmarschall und nach seiner Zeit in der Türkei Chef des Generalstabs der preußischen Armee. Die Reihe der deutschen Generäle, die in dieser Form nicht allein über militärische Fragen Texte verfassten und von denen einige sogar ihre Karrieren in der osmanischen Armee weiterführten, lässt sich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts und darüber hinaus erweitern.10 Auch wenn von Moltkes erste Mission ohne den ge6

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So galt der osmanische Sultan seit der Konferenz offiziell als Mitglied der Gemeinschaft europäischer Monarch_innen, Hourani, Albert: Die Geschichte der arabischen Völker, Frankfurt a.M.: Fischer 1992, S. 339. Schon 1975 zweifelt Jehuda Wallach das von einer Mehrzahl der Historiker_innen unkritisch übernommene Credo des Bismarckschen Desinteresses an der »orientalischen Frage« an: Wallach, Jehuda L.: »Bismarck and the ›Eastern Question‹ – a Re-Assessment«, in: ders. (Hg.), Germany and the Middle East 1835-1939. International Symposium April 1975, Tel Aviv: Tel Aviv University, Faculty of Humanities 1975, S. 23-28. Vgl. die ausgiebige Diskussion zur deutschen Einflussnahme mit Bezug auf die Bagdadbahn bei McMurray, Jonathan S.: Distant Ties. Germany, the Ottoman Empire, and the Construction of the Baghdad Railway, Westport/London: Praeger 2001. Berman, Nina: German Literature on the Middle East. Discourses and Practices, 1000-1989, Ann Arbor: University of Michigan Press 2014. Helmuth Carl Bernhard Graf von Moltke (1800-1891). Zu seiner militärischen Mission im Osmanischen Reich vgl. Berman, German Literature, S. 147f. Seine persönlichen Erlebnisse schildert er in Moltke, Helmuth von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835-1839, Berlin u.a.: Ernst Siegfried Mittler 1841. Vgl. McMurray, Distant Ties, zum Beispiel das Beispiel von Colmar Freiherr von Goltz. Ältere Forschungen zu dem Thema entstanden wiederum im Umfeld von Wallach: vgl. Trumpener, Ulrich: »German Officers in the Ottoman Empire – 1880-1918: Some Comments on their Back-

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Arabische Präsenzen in Deutschland um 1900

wünschten Erfolg blieb und er nach der osmanischen Niederlage gegen Russland 1839 letztendlich nach Preußen zurückgeschickt wurde,11 waren die Einflüsse doch so stark, dass sie auch in einzelnen Provinzen des Osmanischen Reichs nachweisbar waren.12 Die Kriege gegen Serbien und Russland und die aus ihnen resultierenden massiven Gebietsverluste im Balkan 1878 bildeten einen gravierenden Wendepunkt für das Osmanische Reich. Aber auch schon das Ende der Tanzimat-Ära (1839-1876) zwei Jahre zuvor markierte eine Zäsur. Über einen Zeitraum von mehr als drei Jahrzehnten hatte das Osmanische Reich weitreichende Verwaltungsreformen vollzogen und einen Prozess der Nationalisierung durchlaufen.13 Es suchte einen Mittelweg zwischen Modernisierungsprozessen, die sich an anderen europäischen Staaten orientierten, und eigenen osmanisch-türkischen Nationalisierungsbestrebungen. Im Rahmen dieser Bestrebungen wurde der Islam mehr und mehr zum gemeinsamen Identifikationspunkt des in religiöser und gemeinschaftlicher Hinsicht in sich diversen Reiches. Die osmanischen Eliten wiederum waren bestrebt, ihre Position als herrschende Klasse aufrechtzuerhalten.14 Wie Ussama Makdisi treffend beschreibt: »But Ottoman reform distinguished between a degraded Oriental self – embodied in the unreformed pre-modern subjects and landscape of the empire – and the Muslim modernized self represented largely (but not exclusively) by an Ottoman Turkish elite who ruled the late Ottoman Empire.«15 Die im Juni und Juli 1878 in Berlin tagende Zusammenkunft ließe sich mit Einschränkungen auch als Kolonialkongress einordnen,16 auf dem europäische Regierungsvertreter die Machtsphären im Osmanischen Reich festlegten.17 Das Osma-

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grounds, Functions, and Accomplishments«, in: Wallach, Germany and the Middle East 18351939, S. 30-44. McMurray, Distant Ties, S. 16. Mitchell, Timothy: Colonising Egypt, Cambridge u.a.: Cambridge University Press 1988, S. 36f. Grundlegend: Dawn, Ernest C.: From Ottomanism to Arabism. Essays on the origins of Arab nationalism, Urbana: University of Illinois Press 1973, vgl. Makdisi, Ussama: »Ottoman Orientalism«, in: The American Historical Review 107 (06/2002), Nr. 3, S. 768-796, Rogan, Eugene: The Arabs: A History, London u.a.: Penguin Books 2012, S. 108ff. Es existiert eine Reihe von Arbeiten zum osmanischen Imperialismus/Orientalismus: vgl. u.a. Deringil, Selim: The Well-Protected Domains. Ideology and Legitimation of Power in the Ottoman Empire 1876-1909, London/New York: I.B. Tauris 1998, Makdisi, Ussama, »Ottoman Orientalism«, sowie Gürpinar, Dogan: Ottoman Imperial Diplomacy. A Political, Social and Cultural History, London/New York: I.B. Tauris 2014. Makdisi, »Ottoman Orientalism«, S. 769f. Cardini, Franko: Europa und der Islam. Geschichte eines Mißverständnisses, München: Beck 2004, S. 272. Auf dem Onlineportal Lebendiges Museum Online (LeMO), zu dessen Kooperationspartnern auch das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin zählt, findet sich bezeichnenderweise eine ganz andere Situierung des Kongresses: »Da das deutsche Kaiserreich auf dem Balkan keine Interessen hatte und Reichskanzler Otto von Bismarck sich im Februar 1878 vor

1. Deutschlands »Orient« – Kartografie des Erinnerbaren

nische Reich trat selbst als Kolonialmacht auf, insofern ist das Machtgefälle gegenüber der Berliner Kongokonferenz von 1884/85 genauestens zu berücksichtigen. 1878 war ein Kongress unter vielen, die sich im 19. Jahrhundert mit der Aufteilung von Territorien befassten. Und je nach Perspektive auf die Regelwerke und Dekrete, die hierbei verabschiedet wurden, lassen sich unterschiedliche Interessen und Entscheidungsträger benennen. Das Deutsche Reich hatte schon 1876/77 auf einer Konferenz in Konstantinopel eine Aufteilung des Osmanischen Reiches vorgeschlagen, nach der ehemals osmanische Gebiete im Balkan zwischen Österreich und Russland aufgeteilt werden sollten, Syrien an Frankreich und Ägypten sowie eine Reihe von Mittelmeerinseln an Großbritannien gehen sollten.18 Diese Vorschläge wurden zunächst nicht berücksichtigt, kamen 1878 aber wieder auf den Tisch und wurden zum Teil umgesetzt. Bismarcks Politik in diesem Kontext wird zumeist mit seiner Zielsetzung der Wahrung der europäischen Mächtebalance erklärt, sie bedeutete aber auch eine dauerhafte Einflussnahme des jungen Kaiserreichs auf die Kartografie und Interessenverteilung im sogenannten Nahen Osten. Für die arabischen Provinzen, von denen schon zu Anfang des 19. Jahrhunderts Tunesien und Ägypten über weiterreichende autonome Verwaltungsstrukturen verfügten, war die Schwächung des Osmanischen Reiches während des gesamten Jahrhunderts ein vielschichtiger Prozess. Die arabischsprachigen Eliten der Provinzstädte, wie Beirut, Kairo oder Damaskus, kooperierten mehrheitlich mit den osmanischen Eliten.19 Für die breite Bevölkerung verursachten viele der Reformen große Verunsicherungen. Ländereien wurden vermessen und neu aufgeteilt, Volkszählungen wurden durchgeführt und vorheriges Gemeingut in Privatbesitz übergeben. Das Millet-System mit seinen religiösen Gemeinschaften als Repräsentantinnen einzelner Bevölkerungsgruppen innerhalb des Gesamtstaats unterlag Transformationen, die je nach Region unterschiedlich weitreichend implementiert wurden. Der informelle Einfluss europäischer Mächte manifestierte sich auch in Form spezieller Gerichtsbarkeiten, was auch – obwohl Pankaj Mishra es in dem folgenden Zitat nicht erwähnt – die Deutschen betraf: But the Capitulations, a system of legal privileges granted to foreigners in the Ottoman Empire, made leading European powers – the French, Russians and British, in particular – the formal protectors of ethnic minorities in the Ottoman Empire.

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dem Reichstag bereit erklärt hatte, als ›ehrlicher Makler‹ einen Friedenskongress zu leiten, einigten sich die Großmächte auf Berlin als Tagungsort.« Vgl. Asmuss, Burkhard: »Der Berliner Kongress 1878«, in: LeMO, 08.06.2011, https://www.dhm.de/lemo/kapitel/kaiserreich/aussenpolitik/berliner-kongress-1878.html (12.07.2018). Rogan, The Arabs, S. 148f. Osterhammel geht so weit zu behaupten, dass die Eliten innerhalb des Osmanischen Reiches jeglichen Kontakt zur einfachen Bevölkerung verloren und eher Französisch oder Türkisch als Arabisch gesprochen hätten. Vgl. Osterhammel, Die Verwandlung der Welt, S. 1058.

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Furthermore, the Capitulations made Europeans immune to litigation or trial in Muslim courts, no matter how severe their crime.20 Teile der Bewohner_innen in den Provinzen reagierten auf die Reformen, indem sie sich den Vorgaben der Verwaltung entzogen.21 Andere begaben sich nach zunehmenden Feindseligkeiten zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zu Hundertausenden auf die Flucht und migrierten, vor allem vom LibanonGebirge ausgehend, vorwiegend in den Norden und Süden Amerikas.22 Neben den umfassenden Gebietsverlusten aufseiten des Osmanischen Reiches23 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen. Besonders die in der deutschen Presse vorwiegend als Christenverfolgung dargestellten gewaltvollen Auseinandersetzungen in Aleppo und Damaskus 1850 respektive 1860,24 aber auch die Verfolgung von Armenier_innen, die zum Ausgang des 19. Jahrhunderts und während des Ersten Weltkriegs in Genozide an der Bevölkerungsgruppe mündeten, fanden – trotz Pressezensur – eine größere Resonanz in den deutschsprachigen Zeitungen.25 1830 begannen die Franzosen die Kolonisation Algeriens, 1881 geriet Tunesien unter französische Herrschaft, ab 1882 unterstand Ägypten einer quasikolonialen

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Mishra, Pankaj: From the Ruins of Empire. The Revolt against the West and the Remaking of Asia, London u.a.: Penguin Books 2013, S. 61f. Wie umfassend die »Capitulations« waren, beschreibt Ahmad, Feroz: »Ottoman Perceptions of the Capitulations 1800-1914«, in: Journal of Islamic Studies, 11 (01.01.2000), Nr. 1, S. 1-20. Rogan, The Arabs, S. 110. Abu-Laban, Baha, Zeadey, Faith T. (Hg.): Arabs in America. Myths and Realities, Wilmette: The Medina University Press International 1975, Abraham, Sameer Y. (Hg.): Arabs in the New World. Studies on Arab-American Communities, Detroit: Wayne State University 1983, Salaita, Steven: Arab American literary fictions, cultures, and politics, New York u.a.: Palgrave Macmillan 2007. 1878 wurden Rumänien, Serbien und Montenegro unabhängig, Bulgarien innerhalb des Osmanischen Reiches selbständig und Bosnien sowie Herzegowina unter österreichische Besatzung gestellt, obwohl noch nominell zum Osmanischen Reich gehörend. Des Weiteren ging Makedonien wiederum an das Osmanische Reich; Russland erhielt Bessarabien und Teile Armeniens und England Zypern. Vgl. Rogan, The Arabs, S. 149, Berman, German Literature, S. 149f. Insgesamt: Shaw, Stanford J., Shaw, Ezel Kural: History of the Ottoman Empire and Modern Turkey, Volume II: Reform, Revolution, and Republic: The Rise of Modern Turkey, 1808-1975, Cambridge: Cambridge University Press 1977. Abdul-Karem Rafeq analysiert die 1860er-Vorfälle in Damaskus nach sozioökonomischen Kriterien und zeigt unterschiedliche Machtkämpfe auf, die sich nicht allein gegen eine konfessionelle Gruppe richteten. Vgl. Rafeq, Abdul-Karim: »New Light on the 1860 Riots in Ottoman Damascus«, in: Die Welt des Islams 28 (1988), Nr. 1/4, S. 412-430. Deringil, The Well-Protected Domains. Ficiciyan stellt eine unkommentierte deutschsprachige Presseschau zusammen: Ficiciyan, Yetvart: Der Völkermord an den Armeniern im Spiegel der deutschsprachigen Tagespresse 1912-1922, Bremen: Donat 2015.

1. Deutschlands »Orient« – Kartografie des Erinnerbaren

Okkupation durch Großbritannien.26 All dies geschah im Vorfeld der Berliner Kongokonferenz (1884/85), mit der das Deutsche Reich insofern offiziell in den Kreis der Kolonialmächte eintrat, als die Grenzen der von ihm besetzten Gebiete (Togo, Teile Kameruns) mit der Konferenzzusage anerkannt wurden.27 Auch das Osmanische Reich wurde zur Konferenz eingeladen, um mit den anderen Kolonialmächten über Freihandelszonen am Verlauf des Kongos zu verhandeln.28 Vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 kamen Vertreter von 13 europäischen Staaten (einschließlich des Osmanischen Reichs) und der USA in Berlin zusammen. Neben Vertretungen Griechenlands und einzelner Regionen auf dem Balkan fehlten auch Machthaber vom afrikanischen Kontinent.29 Die Konferenz wird als Ausgangspunkt weiterer europäischer kolonialer Besitznahmen wahrgenommen. In der Folge setzte sich zunächst das Prinzip fort, neue Kolonialgebiete mittels Handelsniederlassungen, Entdeckungsreisen oder Kolonialgesellschaften zu »erwerben«, statt sie militärisch zu erobern. Die kolonialen Strategien der verschiedenen beteiligten europäischen Staaten wirkten sich auch auf benachbarte Regionen aus, zum Beispiel auf das Osmanische Reich. Die arabischen Provinzen des Osmanischen Reichs wiederum und die umliegenden arabischen Gebiete waren unterschiedlichen, miteinander verwobenen Einflusssphären ausgesetzt. Makdisi beschreibt das Spannungsfeld der Umwälzungen innerhalb des Osmanischen Reiches als »intersection of nineteenth-century European colonialism and Ottoman modernization«, um zu folgern, dass das Ergebnis der Transformationen und Interventionen die Neuformierung der kulturellen und politischen Karte der Region – des sogenannten Nahen und Mittleren Ostens – beinhaltete.30 Zeitgleich bildeten sich in den arabischen Provinzen und den umliegenden protostaatlichen arabischen Regionen unterschiedliche nationalistische und soziale Bewegungen, die verschiedene Agenden verfolgten. Panarabische und panislamische Strömungen konfigurierten sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eben26 27

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Conrad, Sebastian: »Kolonialismus und Postkolonialismus«, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 62 (29.10.2012), Nr. 44-45, S. 3-9, S. 4. Suret-Canal, Jean: »Einleitung«, in: Gatter, Frank Thomas (Hg.), Protokolle und Generalakte der Berliner Afrika-Konferenz 1884-1885, Bremen: Übersee-Museum 1984, S. 8-52. Die Konferenz lässt sich als Fortsetzung früherer Kongresse wie dem Wiener Kongress (1814/15), dem Kongress von Paris (1856) oder dem zuvor erwähnten Berliner Kongress (1878) bezeichnen. Deringil, Selim: »Les Ottomans et le partage de l’Afrique 1880-1900«, in: ders., The Ottomans, The Turks, and World Power Politics. Collected Essays, Istanbul: The Isis Press 2000, S. 43-55. Weder die von Europa anerkannten Herrschaftsdynastien von Madagaskar und Sansibar noch die Repräsentanten Kameruns aus den Familien der Duala, des späteren Namibias, der Ovambo oder Herero und Nama, noch der Ewe, Ashanti oder Yoruba waren eingeladen. Tunesien, Ägypten und Algerien spielten keine weitere Rolle in den Verhandlungen. Makdisi, Ussama: The Culture of Sectarianism. Community, History, and Violence in Nineteenth-Century Ottoman Lebanon, Berkeley u.a.: University of California Press 2000, S. XI.

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so wie beginnende lokale und nationalstaatlich fokussierte Unabhängigkeitsbewegungen.31 Dabei waren diese zunächst nicht massiv gegen das Osmanische Reich gerichtet, das Aufkommen nationaler Bestrebungen und die Fokussierung auf die Gründung eigener Nationalstaaten war vielmehr ein schleichender Prozess. Die zuvor geschilderten Entwicklungen zeigen die dauerhafte direkte oder indirekte Einflussnahme des Deutschen Reiches auf den europäischen Wettkampf um Ressourcen, Gebietsaufteilungen und Eroberungen außerhalb Europas. Sie mündeten in konkrete Einflüsse des 1871 gegründeten Staates auf die geopolitische Kartografie des Osmanischen Reichs und der umliegenden protostaatlichen Gebilde.

b) Siedlungen und Missionen Der deutsche Einfluss im »Orient« wird zumeist als informeller Kolonialismus eingestuft.32 Schon vor der Gründung des Deutschen Reichs verfolgten deutsche Akteure dort politische und wirtschaftliche Interessen und etablierten Einflusssphären. Malte Fuhrmann macht eine ab 1821 einsetzende Kolonialpropaganda aus, die nicht allein Träume von einem Deutschland bis zum Schwarzen Meer verbreitete, sondern für die konkrete Ansiedlung Deutscher in Südosteuropa warb.33 Kleinere, aber beständige Ansiedlungen fanden zwischen 1885 und 1915 in Makedonien (Mazedonien) statt, nach etlichen gescheiterten Versuchen – vermutlich darunter auch viele, zu denen sich in den Archiven keine Dokumente mehr finden lassen.34 Andere Formen der Einflussnahme gab es in den arabischen Provinzen des Osmanischen Reichs sowie in Marokko: Insgesamt waren dort deutsche Missionen, Unternehmen und Bildungseinrichtungen in die lokale Politik involviert. Deutsche Unternehmer waren am Bau des Sueskanals (1859-1869) beteiligt. In Marokko hatte sich spätestens seit 1873, dem Jahr der Einrichtung eines deutschen Konsulats in Tanger, eine Kolonie von »Marokko-Deutschen« etabliert, vor allem Kaufleute, Ärzte, Diplomaten, Ingenieure und Landwirte, oft mit ihren Familien.35 Bis zu 600 Deutsche gehörten ihr im Jahr 1914 an.36 Die deutschen Kirchen gründeten etwa 31

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Einen Überblick zu den unterschiedlichen Richtungen der historiografischen Analyse zum arabischen Nationalismus bietet Khalidi, Rashid: »Arab Nationalism: Historical Problems in the Literature«, in: The American Historical Review 96 (12/1991), Nr. 5, S. 1363-1373. Khalidi vertritt das überzeugende Argument, dass im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert weniger übergreifende Panzusammenschlüsse, sondern vielmehr lokale Bewegungen nationalistische Agenden beeinflussten, vgl. ebd. S. 1365. Vgl. Schöllgen, Gregor: Das Zeitalter des Imperialismus, München: R. Oldenbourg 1994, S. 48. Fuhrmann, Der Traum vom deutschen Orient, S. 42. Zur weiteren Befürwortung von Siedlungen und den Aktivitäten des alldeutschen Verbandes: Türk, Fahri: »Deutsche Siedlungspläne im Osmanischen Reich«, in: German Studies Review 33 (2010), Nr. 3, S. 641-656. Fuhrmann, Der Traum vom deutschen Orient, S. 65ff. Makedonien wurde nach 500 Jahren osmanischer Herrschaft im Zuge der Balkankriege von Griechenland erobert. Mai, Gunther: Die Marokko-Deutschen, 1873-1918, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014. Ebd., S. 49.

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zur selben Zeit Gemeinden in Ägypten, so im Jahr 1857 die erste evangelische Gemeinde in Alexandria, eine weitere dann 1864 in Kairo. 1861 und 1873 kam es zur Eröffnung deutscher Schulen.37 Der missionarische Aneignungscharakter einiger christlicher Akteure wird in einer zeitgenössischen Quelle anschaulich resümiert. Der Fürstenfelder Pfarrer Julius Boehmer warnte 1910 im gleichen Zug vor der Missionstätigkeit des Islams in Europa und Nordamerika, um zu resümieren: »[…] Ägypten dem Evangelium!«38 Die katholische Kirche ernannte schon 1847 – »for the first time since the Crusades«39 – einen Patriarchen in Jerusalem und in der Folge nahmen Pilgerfahrten aus Europa in das Heilige Land zu. Die deutschsprachigen Kirchen organisierten »Volkswallfahrten« und auch in Palästina gab es bereits 1861 erste Besiedlungsversuche durch deutsche Templer_innen, die etwas später umgesetzt wurden.40 Wie Berman schreibt, ist ihr Einfluss für die Geschichte Palästinas nicht zu unterschätzen, trotz der überschaubaren Zahl der sich ansiedelnden Templer_innen.41 Solche Unternehmungen förderte Wilhelm II. explizit ab Ende des 19. Jahrhunderts. Der Kaiser selbst wurde als »Orientfreund« beschrieben und stilisierte sich auch in diesem Sinne. Nicht allein die Templer_innen stellten eine deutschsprachige Siedlungsbewegung dar, auch die sich um die Jahrhundertwende transnational erweiternde zionistische Bewegung hatte mit der Gruppe um Theodor Herzl konkrete Siedlungsinteressen, für die sie unter anderem die Unterstützung Wilhelms II. suchte.42 Der Kaiser entzog jedoch nach anfänglichen Sympathien weitere Zusagen zur Förderung der jüdischen Auswanderung aus Deutschland, vorgeblich, nachdem der osmanische Sultan Abdülhamid nicht auf die zionistischen Forderungen nach Landnahme eingegangen war.43 In der deutschen Öffentlichkeit fungierten besonders die vielzitierten und prestigeträchtigen Reisen Wilhelms II. 1898 nach Palästina/Syrien und 1905 nach Marokko als Machtbekundungen, die über die ebenso vielbeschworene Freundschaft zwischen Abdülhamid und dem Kaiser hinausgingen.44 37 38 39 40

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Hanisch, Ludmila: Die Nachfolger der Exegeten. Deutschsprachige Erforschung des Vorderen Orients in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Wiesbaden: Harrassowitz 2003, S. 30. Boehmer, Julius: Kreuz und Halbmond im Nillande. Nach Studienreisen und Reisestudien, Gütersloh: Bertelsmann 1910, S. 156. Berman, Nina: »Thoughts on Zionism in the Context of German-Middle Eastern Relations«, in: Comparative Studies of South Asia, Africa and the Middle East 24 (2004), Nr. 2, S. 132-144, S. 142. Carmel, Alex: Die Siedlungen der württembergischen Templer in Palästina 1868-1918, Stuttgart: W. Kohlhammer 1997. Vgl. auch Murre-van den Berg, Helen (Hg.): New Faith in Ancient Lands. Western Missions in the Middle East in the Nineteenth and Early Twentieth Centuries, Leiden/Boston: Brill 2006. Berman, »Thoughts on Zionism«, S. 142. Bülow, Bernhard Fürst von: Denkwürdigkeiten, Bd. 1 (Vom Staatssekretariat bis zur MarokkoKrise), Berlin: Ullstein 1930, S. 254f. Berman, »Thoughts on Zionism«, S. 142. Honold, Alexander: »Nach Bagdad und Jerusalem. Die Wege des Wilhelminischen Orientalismus«, in: Honold, Alexander, Simons, Oliver (Hg.), Kolonialismus als Kultur. Literatur, Medien,

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c) Der wirtschaftliche Einfluss Die wirtschaftlichen Einflusssphären des Kaiserreichs beruhten in der Hauptsache auf Kooperationen international agierender Unternehmen.45 Solche Kooperationen können als Ausdruck der Beschleunigung, der Globalisierung, der Ausweitung von Verkehrswegen und Absatzmärkten verstanden werden. Sie sind aber ebenso Markierungspunkte von Räumen, Grenzen, Mobilität und Interaktionen. Die folgenden Beispiele zu Sansibar, Ägypten und Marokko sowie dem Bau der Bagdadbahn verdeutlichen, inwiefern ökonomisches Handeln ein wichtiger Faktor bei der Etablierung und beim Ausbau kolonialer Einflusssphären war. Und Sansibar, Ägypten sowie Marokko bildeten als koloniale oder semikoloniale Handelszentren zugleich die Ausgangspunkte für jene Routen, die arabische Menschen nach Deutschland brachten. Im Laufe der Arbeit werden verschiedene solcher Wege nachgezeichnet: Sayyida Salme, die in Europa auch den Namen Emily Ruete trug, begab sich von Sansibar auf die Überfahrt, Mohammed Bel-Arbi, der sowohl für das Seminar für Orientalische Sprachen als auch die Nachrichtenstelle für den Orient arbeitete, schloss Kontakte zum deutschen Konsulat in Tanger und Mohamed Soliman kam aus Ägypten ebenso wie weitere Männer, die als Teil der ägyptischen Nationalbewegung vorgestellt werden. Gemeinsam ist diesen Beispielen, dass deutsche Handelsinteressen, akademische Einflusssphären sowie die damit verbundene deutsche Präsenz vor Ort die Immigration der beschriebenen Personen in das Deutsche Reich beeinflussten. Sansibar 1859 schlossen die Hansestädte Bremen, Lübeck und Hamburg einen sogenannten Freundschaftsvertrag mit dem sansibarischen Sultanat.46 Die Hamburger Firmen O’Swald und Hansing initiierten einen profitorientierten Handelsvertrag. Sultan Majid Ibn Sa’id gewährte zunächst nur einen Freihandelsbrief und gewisse Zugeständnisse zur Konsulargerichtsbarkeit. Wichtig für den deutschen Einfluss war die Einsetzung eines Konsuls, eine Position, die zunächst von einem Repräsentanten der Firma O’Swald besetzt wurde.47 Noch bevor der afrikanische Kontinent mit

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Wissenschaft in der deutschen Gründerzeit des Fremden, Tübingen/Basel: Francke 2002, S. 143166. Vgl. zu den deutsch-osmanischen Wirtschaftsbeziehungen Kössler, Armin: Aktionsfeld Osmanisches Reich. Die Wirtschaftsinteressen des deutschen Kaiserreichs in der Türkei 1871-1908, New York: Arno Press 1981; Mejcher, Helmut: »Die Bagdadbahn als Instrument deutschen wirtschaftlichen Einflusses im Osmanischen Reich«, in: Geschichte und Gesellschaft 1 (1975), Nr. 4, S. 447-481. Möhle, Heiko: »Öl für Harburgs Mühlen. Die Jagd nach Rohstoffen an Afrikas Küsten beginnt«, in: ders. (Hg.), Branntwein, Bibeln und Bananen. Der deutsche Kolonialismus in Afrika – eine Spurensuche, Hamburg: Libertäre Assoziation 1999, S. 19-23, S. 22. Bückendorf, Jutta: »Schwarz-weiß-rot über Ostafrika!« Deutsche Kolonialpläne und afrikanische Realität, Münster: LIT 1997, S. 82.

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dem Lineal gezogene Grenzen erhielt, hatten europäische Firmen ihre Handelsgebiete markiert. O’Swald und Hansing waren nicht die ersten, die den Handelsknoten Sansibar für sich entdeckten. Der Hamburger Kaufmann John E. Hertz, unterwegs mit einer Flotte auf dem Indischen Ozean, erkannte, dass die Gewinnmarge beim Handel mit Kaurimuscheln enorm hoch war. Hansing und O’Swald machten ihm jedoch Konkurrenz und setzten sich in Sansibar fest. Sie erschlossen weitere Handelszweige. Hamburger Unternehmen kooperierten mit dem omanischen Königshaus, das seit 1833 über die Insel herrschte und sowohl Handelsbeziehungen über den Indischen Ozean hinweg pflegte, als auch Stützpunkte an der ostafrikanischen Küste und im Landesinneren hatte.48 Der europäische Wettlauf um lukrative Handelsgebiete in Ostafrika und verteilt über den Indischen Ozean war nicht neu. Schon im 16. und 17. Jahrhundert wurden Handelswege um den Golf von Aden herum etabliert, wobei portugiesische, holländische, französische und britische Handelsunternehmen mit lokalen Herrschaftshäusern kooperierten.49 Neu war im 19. Jahrhundert, dass ganze Verwaltungseinheiten im Zuge kolonialer Eroberungen eingerichtet wurden. Gebietsansprüche wurden in Form von Verträgen als Teil kolonialer Landnahme geltend gemacht. 1885 gab es ein erstes Fest für die »deutsche Kolonie« auf Sansibar. »Deutsche Kolonie« bedeutet in diesem Zusammenhang die kleine Gruppe Deutscher, die auf Sansibar lebten, denn die Insel selbst war nie Teil des später unter deutsche Herrschaft gestellten deutschen »Schutzgebietes«.50 Sansibar war bis 1890 ein omanisches Sultanat. Erst 1891 wurde Deutsch-Ostafrika offiziell als »Schutzgebiet« unter die Verwaltung des Deutschen Reiches gestellt.51 Ein Jahr zuvor wurde Sansibar im Vertrag zwischen Deutschland und England über die Kolonien und Helgoland vom 1. Juli 1890 Teil des bilateralen Abkommens, gemäß dem die Insel im Indischen Ozean unter britisches Protektorat und die kleinere Nordseeinsel unter deutsches Hoheitsrecht fiel.52 48 49 50 51

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Möhle, »Öl für Harburgs Mühlen«, S. 22. Abd al-Hamid Nasr, Nasr al-Din: Die Beziehungen europäischer Länder zu der Region des arabischen Golfes, Kairo: al-Hayat al-masriyya 2007. [Arabische Zitation siehe Anhang] Guenther, Konrad: Gerhard Rohlfs. Lebensbild eines Afrikaforschers, mit 70 Abbildungen und einer Karte sowie einem Anhang von Rudolph Said-Ruete, Freiburg i.Br.: Fehsenfeld 1912, S. 230. Pesek beschreibt ausführlich, wie deutsche Reisende zu Kolonisierenden wurden und wie sie in das Machtgefüge eingriffen, sich quasi ihre eigenen Herrschaftsinseln wie auch ihre Vertragspartner schufen. Der in der Folge über den Zeitraum von mehr als zehn Jahren entstehende koloniale Staat blieb ein »schwacher Staat« aus mehr oder minder zusammenhängenden Herrschaftsbereichen: Pesek, Michael: Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika. Expeditionen, Militär und Verwaltung seit 1880, Frankfurt a.M.: Campus 2005, besonders S. 182189. Schneppen, Heinz: »Der Helgoland-Sansibar-Vertrag von 1890«, in: Heyden, Ulrich van der, Zeller, Joachim (Hg.), Kolonialismus hierzulande. Eine Spurensuche in Deutschland, Erfurt: Sutton 2007, S. 185-189.

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Das Sultanat Oman, das seinen Herrschaftssitz sowohl auf Sansibar als auch in einzelnen Küstenstädten auf dem Festland hatte, wurde von lokalen Herrschern für die Abtretung von Gebieten an das Deutsche Reich kritisiert. Um Abushiri ibn Salim al-Harthi, einen Plantagenbesitzer vom Festland, in der deutschen Presse »Bushiri« genannt, formierte sich Ende 1888 eine Widerstandsbewegung,53 die eine Koalition zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gegen die 1889 einmarschierenden Truppen unter Hermann von Wissmann54 und in einer weiteren Entwicklung auch gegen den Sultan von Sansibar formte.55 Die in der deutschen Öffentlichkeit als »Araberaufstand« benannten Kämpfe waren weitaus komplexer, als diese einfache Bezeichnung suggeriert. Die ostafrikanische Küste wurde schon seit Jahrhunderten von Menschen unterschiedlicher Herkunft bewohnt und es gab mächtige arabische Einflüsse ebenso wie lokale Herrschaftseliten vom Festland. Teil der kolonialen Einflussnahme war es, die Bevölkerung zu typologisieren und zwischen Schwarzen und arabischen Menschen zu unterscheiden.56 In einigen Darstellungen wurden Muslime oder auch der Islam als treibende Kraft der Widerstandskämpfe benannt.57 Diese herrschaftsorientierten Segregierungen, die auch in die Praxen des kolonialen Staates einflossen, fußten auf unterschiedlichen Informations- und Wissenstransfers. Der koloniale Staat – und damit Struktur und Praxis deutscher Kolonialherrschaft – baute somit auf schon vorhandenen Machtstrukturen und -auseinandersetzungen auf.58 Ägypten Max Eyth kam im Auftrag des englischen Unternehmens Fowler 1863 nach Ägypten. Eigentlich befand er sich auf dem Weg nach Indien, um Dampfpflüge in die britische Kolonie zu transportieren. Doch der Techniker, der später als »Poet der Technik« oder auch »Dichter-Ingenieur« bekannt werden sollte, blieb für drei Jahre am Nil und stieg zum Chefingenieur von Halim Pascha auf, dem Onkel des seinerzeitigen Vizekönigs und letztem Sohn des langjährigen Gouverneurs von Ägyp53 54

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Bushiri bin Salem, vgl. zu seiner Person Michels, Schwarze deutsche Kolonialsoldaten, S. 38f. Hermann von Wissmann (1853-1905), Offizier und Kolonialbeamter, ging äußerst brutal gegen die Bevölkerung vor. Er war von 1895 bis 1896 Gouverneur von Deutsch-Ostafrika. Vgl. Michels, Schwarze deutsche Kolonialsoldaten, S. 158, vgl. auch Pesek, Michael: Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika, S. 268ff. Spalding, R. v., »Araberaufstand«, in: Schnee, Heinrich (Hg.), Deutsches Kolonial-Lexikon, Bd. 1, Leipzig: Quelle & Meyer 1920, S. 68ff. Ebd. In Bezug auf die spätere Mekka-Brief-Affäre fasste Pesek die Ansprüche der unterschiedlichen Gruppierungen gut zusammen: Pesek, Michael: »Islam und Politik in DeutschOstafrika«, in: Wirz, Albert, Eckert, Andreas, Bromber, Katrin (Hg.), Alles unter Kontrolle. Disziplinierungsprozesse im kolonialen Tansania (1850-1960), Köln: Rüdiger Köppe 2003, S. 99-140. Pesek, Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika, S. 26f.

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ten, Muhammad Ali.59 Er bewunderte das alte Ägypten und die von Herodot beschriebene »gewaltigste Bewässerungsanlage« der Pharaonen.60 Eyth kam zur Zeit des Baumwollbooms nach Ägypten. Wirtschaftliche Kooperationen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts standen oft unter staatlicher Ägide. Als Ingenieur arbeitete er für eine Firma aus Leeds und stärkte die britischen Einflusssphären am Nil. Eyth schrieb eine Reihe von Büchern, die über Jahrzehnte in hoher Auflage erschienen und wiederum das Ägyptenbild in Deutschland beeinflussten.61 In ihnen kritisierte er die imperialistische Ausbeutung des Landes, doch ebenso ließ er sich über die seiner Ansicht nach zu zivilisierenden Bewohner_innen Ägyptens aus.62 Das Land am Nil gilt mit Blick auf die Invasion Napoleons 1798 vielen als Ausgangspunkt imperialistisch-kolonialer Invasionen, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ihre Hochphase erreichten. Unter dem 1801 als Soldat eingewanderten Mazedonier Muhammad Ali, ab 1806 Statthalter der osmanischen Provinz, erhielt Ägypten eine verwaltungstechnisch quasi unabhängige Stellung innerhalb des Osmanischen Reiches.63 Ali strukturierte Verwaltung und Armee um. Das um 1822 eingeführte neue System – »nizam djadid« – orientierte sich an osmanischen Vorgaben. Diese wiederum wiesen ältere preußische Einflüsse auf, die damit indirekt die militärischen Strukturen Ägyptens mit beeinflussten.64 Auch mehrere deutsche Firmen hatten sich in Ägypten niedergelassen und wurden durch die innereuropäischen Auseinandersetzungen um koloniale Einflusssphären beeinflusst. Ägypten lag aus britischer Sicht strategisch günstig auf dem Weg nach Indien. Durch die Zunahme des – verstärkt in Monokultur betriebenen – Anbaus von und Handels mit Baumwolle geriet das Land zusehends in wirtschaftliche Abhängigkeit und zum Terrain für industrielle Exportversuche unterschiedlicher europäischer Mächte. Geldanleihen wurden aufgenommen, Ägypten 59

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Vgl. Eyth, Max: Das Agricultur-Maschinenwesen in Aegypten, (nach seinen Hauptbestandtheilen dargestellt von Max Eyth, Chef-Ingenieur des Erbprinzen Halim Pascha Königl. Hoheit in Cairo), Stuttgart: Verlag der Metzler’schen Buchhandlung 1867. Zu Max Eyth vgl. Schölch, Alexander: »Wie die ›Dampfcultur‹ an den Nil kam: Max Eyth und Ägypten«, in: Die Welt des Islams 28 (1988), Nr. 1/4, S. 513-520. Vgl. Berman, Nina: Impossible Missions? German Economic, Military, and Humanitarian Efforts in Africa, Lincoln/London: University of Nebraska Press 2004. Eyth, Max: Der Kampf um die Cheopspyramide. Geschichte und Geschichten eines Ingenieurs, Bd. 1, Heidelberg: Carl Winter’s Universitätsbuchhandlung 1902, S. 17f. Landes, David S.: Bankers and Pashas. International Finance and Economic Imperialism in Egypt, New York/Evanston: Harper Torchbooks 1958, S. 125, Schölch, »Wie die ›Dampfcultur‹ an den Nil kam«, S. 514. Schölch, »Wie die ›Dampfcultur‹ an den Nil kam«, S. 517f. Fahmy, Khaled M.: Mehmed Ali: from Ottoman governor to ruler of Egypt, Oxford: Oneworld 2009. Mitchell, Colonising Egypt, S. 36f. Bei Mitchell mit nizam jadid umschrieben, ebd. Mitchell führt die Reaktion zeitgenössischer ägyptischer Kommentatoren auf die Militärreform an. Preußen hatte demnach im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) eine neue Praxis der Militärführung entwickelt, die in der Folge von weiteren europäischen Mächten und dem Osmanischen Reich übernommen wurde.

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geriet in zunehmende Zahlungsnot gegenüber europäischen Gläubigern. Deutsche Unternehmen und – wie am Beispiel von Max Eyth gezeigt – Einzelpersonen waren beteiligt. Im Zusammenhang mit dem Bau des Sueskanals (1859-1869) kam es zu einem vermehrten Engagement deutscher Bauunternehmen in den ägyptischen Zentren.65 Auch der Aufbau einer Khedivial-Bibliothek in Kairo um 1870 wurde von deutschen Wissenschaftlern beeinflusst.66 So arbeitete etwa der spätere Bibliothekar des Seminars für Orientalische Sprachen an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bernhard Moritz, von 1896 bis 1911 in der Khedivial-Bibliothek. Zwischenzeitlich wurde er als »Sklave des Mahdi« im Sudan festgehalten und gelangte zu profaner Berühmtheit in den deutschen Medien.67 Die 1884 gegründete Deutsche Schule der Borromäerinnen in Alexandria wurde für deutsche und österreichische Töchter der Familien von Arbeitern und Ingenieuren eingerichtet, die am Ausbau des Hafens von Alexandria beteiligt waren.68 Marokko 1878 besuchte eine marokkanische Gesandtschaft um den Gouverneur von Asafi, Täib ben Hima,69 eine Gußstahlfabrik der Firma Krupp in Berlin. Am 6. Juni gelangte sie mit dem Schnellzug nach Altenessen, wo sie von dem jungen Friedrich Alfred Krupp empfangen und in die Villa Hügel eingeladen wurde.70 Mit dabei war auch ein Militärattaché aus Berlin. Das Unternehmen hatte ein Jahr zuvor begonnen, Handelsbeziehungen zu dem marokkanischen Sultanat aufzubauen, das anders als Ägypten kein Teil des Osmanischen Reiches war.71 Marokko verfolgte eigene Expansionspolitiken und drang im 16. Jahrhundert zeitweise bis in den westlichen Sudan vor. Schon in dieser Zeit wurden Handelsbeziehungen zu Portugal und England aufgenommen. Ab 1860 suchte Spanien, einen

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Huber, Valeska: Channeling Mobilities: Migration and Globalization in the Suez Canal Region and Beyond, 1869-1914, Cambridge: Cambridge University Press 2013. Mangold, Sabine: »Die Khedivial-Bibliothek zu Kairo und ihre deutschen Bibliothekare (18711914)«, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, 157 (2007), Nr. 1, S. 49-76. Heine, Peter: »Die Nachrichtenstelle für den Orient«, in: Spektrum Iran 19 (2006), Nr. 2, S. 8-13, S. 12. Vgl. die schuleigene Webseite: Deutsche Schule der Boromäerinnen, Alexandria, Ägypten: Deutsche Schule der Boromäerinnen, Alexandria, http://dsb-alexandria.de/uber-uns/ die-dsb-alexandria/(01.06.2018). Ben Abdelhanine, Abdellatif: Deutsch-marokkanische Beziehungen 1873-1914. Geschichte der internationalen Beziehungen, Aachen: Shaker 1998. Rauchenberger, Dietrich: »Ein besonderer Aspekt des Marokko-Bildes der Kaiserzeit: der Holzstich als Vehikel für Information und Vorurteil«, in: Popp, Herbert (Hg.), Die Sicht des Anderen – Das Marokkobild der Deutschen, das Deutschlandbild der Marokkaner, Passau: Universitätsverlag 1994, S. 13-29, S. 26f. Hourani, Die Geschichte der arabischen Völker, S. 120.

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verstärkten Einfluss auszuüben und sich Handelsstandorte zu sichern.72 Ähnlich wie in Ägypten, wenn auch nicht ganz mit denselben fatalen Folgen, bemühte sich die regierende Elite um Geldanleihen aus Europa und setzte das Land auch in finanzieller Hinsicht der europäischen Einflussnahme aus.73 Frankreich schloss 1882 einen Vertrag mit dem Sultanat von Marokko und ging fortan eigenen Interessen nach. Marokko lag nach offizieller Darstellung zunächst außerhalb formeller deutscher Kolonialunternehmungen, war jedoch seit den 1890er Jahren immer wieder Thema möglicher Interventionen, angeheizt von der öffentlichkeitswirksamen kolonialen und nationalistischen Propaganda des Alldeutschen Verbands.74 Das Auswärtige Amt verfolgte primär die Sicherung der Handelssphären deutscher Firmen, neben Krupp war das gegen Ende des 19. Jahrhunderts vor allem das Unternehmen Mannesmann, das sich im Bergbau und in der Minenarbeit betätigte. Eine Kolonie Marokko-Deutscher entstand, der, wie erwähnt, um die 600 Menschen angehörten.75 Die Reiseberichte Gerhard Rohlfs,76 die Berichterstattung über die Reise Wilhelm II. im Jahr 1905 und die beiden Marokkokrisen 1905 und 1911 wie auch die kontinuierlichen wirtschaftlichen Unternehmungen der Firmen Krupp und Mannesmann trugen dazu bei, in der deutschen Öffentlichkeit Vorstellungen über Marokko im Sinne »nationalkultureller Bewusstseinslagen«77 zu evozieren. Der kaiserliche Dragoman78 Karl Emil Schabinger Freiherr zu Schowingen sprach in seinen Aufzeichnungen von »einheimischen landwirtschaftlichen Produzenten« als »Schutzgenossen« des Reiches und verwendete damit einen Begriff, der in der Konsulargerichtsbarkeit signifikant war für die Unterscheidung zwischen »Eingeborenen«, »Schutzgenossen« sowie Europäern.79 In dem 1880 geschlossenen Vertrag von Madrid verwendeten europäische Mächte – das Deutsche Reich war beteiligt 72 73

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Ceuta und Melilla unterliegen bis heute dem spanischen Hoheitsrecht. Müller, Herbert Landolin: Islam, ğihād (»Heiliger Krieg«) und Deutsches Reich. Ein Nachspiel zur wilhelminischen Weltpolitik im Maghreb 1914-1918, Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang 1991, S. 136f. Vgl. Sasse, Dirk: Franzosen, Briten und Deutsche im Rifkrieg 1921-1926. Spekulanten und Sympathisanten, Deserteure und Hasardeure im Dienste Abdelkrims, München: Oldenbourg 2006, S. 23. Vgl. Chickering, Roger: We Men Who Feel Most German. A Cultural Study of the Pan-German League, 1886-1914, Boston u.a.: George Allen & Unwin 1984. Mai, Die Marokko-Deutschen, S. 49ff. Diese »Kolonie« umfasste zeitweilig »nur« circa 40 deutsche Kaufleute und ihre Familien. Mai weist die politische Einflussnahme mit dem Ziel der Kolonisierung zumindest eines Teils des Landes nach. Zu Gerhard Rohlfs (1831-1896) vgl. Guenther, Gerhard Rohlfs. Zu seinen Schriften vgl. Rohlfs, Gerhard: Reise durch Marokko, Uebersteigung des grossen Atlas, Norden: Hinricus Fischer 1884. Zantop, Kolonialphantasien im vorkolonialen Deutschland, S. 12. Dragoman leitet sich ab von turdjuman und bezeichnet in diesem Fall einen Übersetzer im kaiserlichen, diplomatischen Dienst. »Schutzgenossen«, in: Schnee, Heinrich (Hg.), Deutsches Kolonial-Lexikon, Leipzig: Quelle & Meyer 1920, Bd. 3, S. 319f.

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– den Begriff »Schutzgenossen« für diejenigen Marokkaner, die in niedergelassenen Verwaltungseinrichtungen und Wirtschaftsunternehmen in Marokko arbeiteten.80 Nach der zweiten Marokkokrise 1911 erfolgte ein deutsch-französisches Abkommen, das dem Reich eine Vergrößerung des Kolonialgebietes um 295.000 Quadratkilometer zusicherte: »Neukamerun«, angrenzend an den bisherigen deutschen Kolonialbesitz. In der Folge verhängte Frankreich 1912 endgültig den Protektoratsstatus über Marokko.81 Die genannten Beispiele dieses und des vorherigen Unterpunkts zeigen, dass es neben den wirtschaftlichen Einflussnahmen zugleich einen Ausbau der Infrastruktur gab, der die Ansiedlung deutscher »Kolonien« ermöglichte. Sowohl in Alexandria als auch in Tanger und Sansibar fanden sich deutsche Emigrant_innen zusammen. Auch bei der Bagdadbahn waren Ansiedlungen von auswanderungswilligen Deutschen an der Schienenstrecke geplant. Die reale Umsetzung jenseits der großen städtischen Zentren, Bagdad zum Beispiel, blieb jedoch begrenzt. Die Bagdadbahn Als transnational angelegtes Prestigeprojekt wurde die Bagdadbahn in der deutschen Öffentlichkeit langjährig beworben. Deutsche Firmen und Wissenschaftler waren dabei im Auftrag des Osmanischen Reiches an Konzeption und Bau der Schienentrasse von Istanbul nach Bagdad beteiligt.82 Noch heute zeugen die beiden Istanbuler Bahnhöfe Haydarpaşa und Sirkeci von der Idee deutscher Ingenieure, die unterschiedlichen Perspektiven der Reiserichtung kenntlich zu machen: Für Reisende, die aus dem Osten kommen, zeigt sich eine der griechisch-klassischen Architektur nachempfundene Fassade, für Reisende aus dem Westen eine islamisch geprägte.83 Die ersten Konzessionen für den Bau der Bagdadbahn wurden 1888 vom Osmanischen Reich an ein Konsortium der Deutschen Bank vergeben, die letzten im Jahre 1911.84 Der Bau der Bahn begann 1903 und bis zum Ersten Weltkrieg waren deutsche Unternehmen dabei federführend. Nach dem Krieg bzw. dem Ende des Osmanischen Reichs gingen die fertiggestellten Teilstücke in

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Schabinger von Schowingen, Karl Emil: Weltgeschichtliche Mosaiksplitter. Erlebnisse und Erinnerungen eines kaiserlichen Dragomans, Baden-Baden: o. A. 1967, S. 20. Vgl. zum Vertrag von Madrid: Wesseling, Hendrik L.: Teile und herrsche. Die Aufteilung Afrikas 1880-1914, Stuttgart: Franz Steiner 1999, S. 311. Gründer, Horst: Geschichte der deutschen Kolonien, Paderborn u.a.: Schöningh UTB 2004, S. 101. Vgl. Grosse, Pascal: Kolonialismus, Eugenik und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland 1850-1918, Frankfurt/New York: Campus 2000, S. 20. Kritisch den Stellenwert der Bahn einordnend: McMurray, Distant Ties. Osterhammel, Verwandlung der Welt, S. 439f. Angesichts der massiven Umstrukturierung der Stadt ist es eine Frage der Zeit, wie lange die Bauten in der Form bestehen bleiben. Schmidt, Hermann: Das Eisenbahnwesen in der asiatischen Türkei, Berlin: Franz Siemenroth 1914, S. 5f. Vgl. Schöllgen, Das Zeitalter des Imperialismus, S. 62.

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den Besitz der kemalistischen Türkei bzw. der britischen und französischen Mandatsregierungen über.85 Berichte, die sich während des Baus mit dem Fortschritt der Strecke befassten, entwarfen häufig – nicht allein bei Kolonialenthusiasten wie Paul Rohrbach – ein Bild unbewohnter Gebiete, die durch deutschen Einfluss zum Blühen gebracht werden müssten, sowie einer arabischen Bevölkerung, deren Zivilisierungsgrad gehoben werden müsste.86 Zu Beginn des Weltkriegs zeugte die Berichterstattung vom imperialen Stellenwert des Streckenbaus. In einer Zeitungsschau der Welt des Islams87 fasste der Autor H. Kutzner beispielsweise die diesbezüglichen Artikel des bekannten Journalisten der Vossischen Zeitung Karl Figdor wie folgt zusammen: »So blüht denn, was die Artikel lehren wollen, dem Deutschen nicht nur im Gebiet der anatolischen Hochebene, sondern vor allem in El-Gesireh, in Mesopotamien, eine verheißungsvolle Zukunft.«88 Am Vorabend des Ersten Weltkrieges behauptete Deutschland den dritten Platz im Handel mit dem Osmanischen Reich – nach Großbritannien und Frankreich.89 Die Beispiele zeigen politische, wirtschaftliche und kulturelle Aktivitäten deutscher Akteure, die dazu beitrugen, nicht allein ein Bild vom »Orient« in der deutschen Öffentlichkeit zu prägen, sondern zwischen 1880 und 1914/18 auch ganz konkret imperiale Knotenpunkte und Einflusssphären zu sichern. Wie Dirk van Laak zusammenfasst: »Damit avancierte die ›friedliche Durchdringung‹ mit Hilfe von Kapitalanlagen, Zollbündnissen oder des Baus von Verkehrs- und Kommunikationsträgern zu einem offen imperialistischen Unternehmen im ›nationalen Interesse‹ des Deutschen Reiches.«90 Flankiert wurden diese Aktivitäten durch wissenschaftliche Forschungen. Insbesondere die Fächergruppen der Anthropologie, Geografie und Orientalistik waren direkt oder indirekt mit im Rahmen des kolonialen Projekts aufkommenden Themen und Problemen befasst.

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McMeekin, Sean: The Berlin-Baghdad Express. The Ottoman Empire and Germany’s Bid for World Power 1898-1918, London: Penguin Books 2010, S. 357. Als uneingeschränkt kolonialpropagandistisches Werk einzustufen ist auch Rohrbachs Buch zu dem Projekt: Rohrbach, Paul: Die Bagdadbahn, Berlin: Wiegandt & Grieben 1902. Eine kritische und differenzierte zeitgenössische Darstellung des Kampfs um die Konzessionen der Teilstrecken, die unter Beteiligung deutscher Firmen im Osmanischen Reich gebaut wurden, findet sich hingegen in Schmidt, Das Eisenbahnwesen. Organ der 1912 gegründeten Deutschen Gesellschaft für Islamkunde. Siehe Kap. 1, Deutschlands »Orient«, S. 60-67. Kutzner, H.: »Zeitungsschau«, in: Die Welt des Islams 2 (1914), Nr. 2-4, S. 372-381, S. 379. Schwanitz, Wolfgang G.: »Paschas, Politiker und Paradigmen: Deutsche Politik im Nahen und Mittleren Orient 1871-1945«, in: ders. (Hg.), Deutschland und der Mittlere Osten, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2004, S. 22-45, S. 25. Vgl. auch Mejcher, »Die Bagdadbahn als Instrument deutschen wirtschaftlichen Einflusses im Osmanischen Reich«. Laak, Dirk van: Über alles in der Welt. Deutscher Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert, München: Beck 2005, S. 55.

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d) Wissensproduktion und Wissenschaft In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verfestigten sich stereotype Vorstellungen vom »Orient« in Diskursen »westlicher« Populärkultur. Zeitgleich fand eine Spezifizierung der Themengebiete statt, die im Zuge der Ausdifferenzierung der Wissenschaften mit dem »Orient« assoziiert wurden. Es folgte die Einteilung in unterschiedliche Forschungsbereiche. Neben dem breiten Fächerspektrum, das sich unter dem Titel Orientalistik verbarg, befassten sich die zum Ende des Jahrhunderts etablierten Disziplinen Ethnologie, Anthropologie und »Rassenkunde« mit dem »Orient« und seinen Bewohner_innen. Die Ausrichtung der orientalistischen Fächer wird unterschiedlich eingeschätzt. Während Andrea Polaschegg und Suzanne Marchand davon ausgehen, dass es zumindest um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert im Bereich der deutschen Literatur ein erkenntnisgeleitetes, quasi machtfreies Interesse am »Orient« gab,91 belegen Markus Schmitz und in Teilen auch Nina Berman, dass Vorstellungen vom »Orient« immer schon ein »MachtWissen« darstellten, das sich – und in diesem Punkt sind sich alle Genannten einig – zur Hochzeit des Imperialismus ab den 1880er Jahren konkretisierte und ausdifferenzierte.92

Die akademische Entwicklung des »Orients« in Deutschland Das Studium der arabischen Sprache galt Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts an deutschen Universitäten als Hilfswissenschaft der Bibelexegese93 und war mehrheitlich den neu formierten philologischen Fakultäten zugeordnet. Der mit der Aufklärung in Verbindung gebrachte Prozess, säkulare Wissenschaften jenseits des kirchlichen Einflusses zu etablieren, beeinflusste dann auch die Herausbildung der seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch als orientalische Seminare bezeichneten Einrichtungen. Im gleichen Zuge, in dem die Anbindung des Studiums des »Orients« an theologische Fakultäten ihre Dominanz verlor, entwickelte sich ein weiterer säkularer Zugang, der Sprachen nach Sprachfamilien aufteilte. Diese mit Wertigkeiten versehene Anordnung der Sprachgruppen war mit biologistischen Attributen versehen und eng mit der Konstruktion von »Rassen« verbunden. Am eindrücklichsten waren diese sich entwickelnden Taxonomien sicher erkennbar in der

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Vgl. Polaschegg, Andrea: Der andere Orientalismus. Regeln der deutsch-morgenländischen Imagination im 19. Jahrhundert, Berlin/New York: de Gruyter 2005, sowie Marchand, German Orientalism in the Age of Empire. Vgl. Schmitz, Markus: »Orientalismus, Gender und die binäre Matrix kultureller Repräsentationen«, in: Göckede, Regina, Karentzos, Alexandra (Hg.), Der Orient, die Fremde. Positionen zeitgenössischer Kunst und Literatur, Bielefeld: transcript 2006, S. 39-66, sowie Berman, Nina: »Orientalism, Imperialism, and Nationalism: Karl May’s Orientzyklus«, in: Friedrichsmeyer, Sara, Lennox, Sara, Zantop, Susanne (Hg.), The Imperialist Imagination. German Colonialism and Its Legacy, Ann Arbor: University of Michigan Press 1998, S. 51-67. Marchand, German Orientalism in the Age of Empire, S. 26.

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Einteilung semitischer Sprachen und die sie sprechenden »Semitinnen« und »Semiten«.94 Während Leipzig und Halle als frühe Zentren orientalistischer Lehre gelten können, wurde ein universitäres Institut für Orientalistik an der Universität Leipzig erst 1901 gegründet.95 In der Messestadt lassen sich die Anfänge der 1845 gegründeten Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (DMG) finden, die seit 1846 die Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft herausgab.96 Berlin verfügte, trotz seiner im Folgenden näher dargestellten außeruniversitären Einrichtungen, erst seit 1929 über ein orientalistisches Institut an der Friedrich-WilhelmsUniversität: das Institut für Semitistik und Islamkunde.97 Mehr als die Hälfte der Gründungsmitglieder der DMG sollen nach Paris zu Sylvestre de Sacy98 gereist sein, um ihre Kenntnisse auszubauen.99 Gleichwohl galt die deutsche Orientalistik Mitte des 19. Jahrhunderts international als federführend, sodass britische und französische Orientalisten nach Deutschland kamen, um sich fortzubilden.100 Die DMG bekundete schon in der ersten Ausgabe ihrer Zeitschrift, dass sie auch zeitgenössische Berichte aus dem »Morgenland« veröffentlichen wolle: Correspondenz-Artikel und Berichte über die gegenwärtigen Zustände des Morgenlandes, namentlich über die Entwicklung seiner Beziehungen zu Europa und die Arbeiten und Entdeckungen dort wohnender oder reisender Europäer […]. Einige unserer correspondirenden Mitglieder, die theils im Morgenlande selbst, theils in dessen Nähe leben, haben uns in dieser Beziehung bereits die erfreulichsten Zusicherungen gegeben, deren Erfüllung, zusammengenommen mit der besondern Beihülfe einiger ordentlichen Mitglieder, uns in den Stand setzen wird, nicht bloss durch Zuverlässigkeit, gute Auswahl und anziehende

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Dieses treffende Beispiel bringt Floris Biskam im Zuge seiner Said-Kritik. Vgl. Biskam, Floris: Orientalismus und demokratische Öffentlichkeit, Bielefeld: transcript 2016, S. 126. Gemäß seiner Kritik hätte Said verdeutlichen können, dass die »Aufteilung in Sprachfamilien projektiv aufgeladen und dann zur Grundlage für die Konstruktion von Menschenrassen und letztlich für Vernichtungspolitik wird (Poliakov 1993)«. Vgl. Mosse, George L.: Toward the Final Solution, Madison: The University of Wisconsin Press 1985, S. 35-50. 95 Hanisch, Die Nachfolger der Exegeten, S. 58. Marchand betont, dass die außeruniversitäre Lehre der Orientalistik im 19. Jahrhundert überwog und die Institutionalisierung innerhalb universitärer Fachbereiche erst gegen Ende des 19., zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzte. Vgl. Marchand, German Orientalism in the Age of Empire, S. 162ff. 96 Preissler, Holger: »Die Anfänge der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft«, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, 145 (1995), Nr. 2, S. 241-327, S. 320. Weitere frühe Zentren der Orientalistik lagen in Heidelberg (1874), Göttingen (1901) und München. 97 Hanisch, Die Nachfolger der Exegeten, S. 57. 98 Antoine-Isaac Sylvestre (auch: Silvestre) de Sacy (1758-1838), französischer Philologe und Orientalist. 99 Preissler, »Die Anfänge der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft«. 100 Wiedemann, Orientalismus, S. 11.

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Darstellung, sondern auch durch Neuheit der Nachrichten unsere Zeitschrift ihren ausländischen Schwestern allmälig […] gleichzustellen, im Vaterlande selbst die Theilnahme an ihr über den Kreis der Gesellschaft hinaus zu erweitern und auch die Blicke der Staats- und Geschäftsmänner auf sie zu lenken.101 Hier findet sich schon recht früh der Anspruch eines prestigeträchtigen Engagements im »Orient«, um die »Zeitschrift ihren ausländischen Schwestern allmälig […] gleichzustellen«.102 Die Nähe zur Politik wurde anfänglich zwar offiziell gemieden, auch wenn hochrangige Geheimräte Mitglieder der DMG waren.103 Die Gesellschaft verstand sich als Vereinigung deutscher und internationaler (mehrheitlich westlicher) Orientalisten.104 Im Jahr 1905 gab es 50 Institute der Orientalistik.105 Das ist keine hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass die Fächergruppe sich in so unterschiedliche Disziplinen wie Japanologie, Indologie, Assyrologie und Arabistik unterteilte. Orientalistik blieb ein Fach, das zunächst wenige Spezialisten ausbildete, deren Einfluss jedoch weit verzweigt war. Ende des 19. Jahrhunderts gab es den Anspruch, das Fach als Wissenschaft an deutschen Universitäten zu etablieren. Diese als rein akademische, nicht praxisbezogene Ausrichtung wurde formal klar unterschieden von dem 1887 gegründeten Seminar für Orientalische Sprachen und ähnlichen Institutionen, an denen auch – wie in zeitgenössischen Texten mehrfach betont wurde – »Orientalen« die Sprachlehre unternahmen.106 Der akademische Austausch fand ganz überwiegend nur zwischen den großen Zentren in Europa statt. Europäische Wissenschaftler bestimmten die dem Fach zugrunde liegenden epistemologischen Prämissen und die Methoden der Orientalistik. Arabische Aka-

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Rödiger, Pott, Fleischer, Brockhaus: »Vorwort«, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 1 (1847), S. III–VI, S. IVf. Prätorius, Fr.: »Rede gehalten am 2. October 1895«, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 49 (1895), S. 531-549. Im weiteren Verlauf der Rede gibt es die zurückhaltende Warnung, sich selbst (von Europa ausgehend) nicht als Maß aller Dinge zu nehmen, und ein Plädoyer für den »Weltbürger«. Dennoch bleibt der eurozentrische Fokus erhalten. Preissler schildert, ohne diesen Punkt zu betonen, die unterschiedlichen Netzwerke: Preissler, »Die Anfänge der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft«. Beispielhaft hierfür sind die Ausgaben der ZDMG, die während des Ersten Weltkriegs erschienen und jeweils am Anfang unter den Nachrichten über Angelegenheiten der DMG den Zusatz aufführten: »Bemerkung. Der geschäftsführende Vorstand hat beschlossen, das sonst am Anfange jedes Jahres veröffentlichte Mitgliederverzeichnis vorläufig nicht zu bringen, da der Kriegszustand die nötigen Feststellungen unmöglich macht.« Siehe zum Beispiel: »Nachrichten über Angelegenheiten der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft«, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 69 (1915), S. I–XXIV, S. IV. Marchand, German Orientalism in the Age of Empire, S. 163. »Orientalistische Seminare«, in: Orientalistische Litteraturzeitung 1 (1898), Nr. 7, S. 193-196.

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demiker fungierten bei alledem – wie arabische Menschen insgesamt – in erster Linie als Forschungsobjekte, Wissenszuträger und Informanten.107 Mit der räumlichen Erweiterung dessen, was unter dem Begriff »Orient« subsumiert wurde, blieben die diskursiven Grenzen ambivalent. Wurden zur Zeit der Gründung der DMG in den 1840er Jahren die Begriffe »Morgenland« und »Orient« noch synonym genutzt, erweiterte sich zu dieser Zeit auch schon die Ausdehnung des »Morgenlandes«.108 China und Japan wurden sukzessive dem »Orient« zugeordnet. Bildete Anfang des 19. Jahrhunderts der Islam aus theologischer Sicht einen Gegenpart oder eine »Hilfsthematik«, um die Bibel besser zu verstehen, bot die akademische Beschäftigung mit dem Islam Anfang des 20. Jahrhunderts eine thematische Klammer zur Erweiterung des Faches der Orientalistik um die Gebiete, die – wie es neuerdings pauschalisierend heißt – »islamisch geprägt« waren.109 Mit dieser Ausrichtung ließ sich auch die imperiale Ausbreitung des Kaiserreichs wissenschaftlich begleiten. Denn den Islam gab es nicht allein in den mehrheitlich arabischsprachigen Gebieten Nordafrikas und Westasiens. Das Themenfeld der Orientalistik und der sich in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts herausbildenden Islamwissenschaft schuf Möglichkeiten, sich im Rahmen dieser Forschungen mit den formellen deutschen Kolonien zu befassen.

Räume und Zeiten Jürgen Osterhammel mahnt an, Raumvorstellungen zu historisieren.110 Der »Orient« war in seiner geografischen Lage weitaus weniger eindeutig als die ihn beherbergenden Kontinente.111 Er war nahezu grenzenlos. Ende des 19. Jahrhunderts umfasste er nicht nur den östlichen Mittelmeerraum. Der »Orient« existierte als geopolitisches Gebilde – variabel einsetzbar von Marokko bis nach Japan – und wurde dementsprechend mit Fantasien von völlig unterschiedlichen

107 Die Schnittmenge zwischen im Bereich orientalistischer Institutionen tätigen Akademikern und in Kolonialverwaltungen, konsularischen Vertretungen oder weiteren diplomatischen Institutionen tätigen Gelehrten, die einen national-kulturellen Einfluss ausübten, findet bisher wenig Beachtung, ähnlich wie die personellen Überschneidungen und Kooperationen zwischen den Fächergruppen der Humangeografie, der Anthropologie, der Ethnologie und nicht zuletzt der um die Jahrhundertwende populären »Rassenkunde«. Dieses kann auch im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden, an geeigneter Stelle wird jedoch darauf verwiesen. 108 Preissler, »Die Anfänge der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft«. 109 So zum Beispiel die Selbstbeschreibung des Zentrums Moderner Orient. Vgl. Leibniz Zentrum Moderner Orient (ZMO): »Wir über uns, Leitbild«, in: Leibniz Zentrum Moderner Orient (ZMO), 2004, https://zmo.de/wirueberuns/index.html (15.07.2017). 110 Osterhammel, Die Verwandlung der Welt, S. 149. 111 Mishras einleitender Verweis auf die Einteilung in der griechischen Antike, nach der Asien bis zum Nil reichte, relativiert diese Aussage ein wenig. Vgl. Mishra, From the Ruins of Empire, S. 8.

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Bevölkerungsgruppen ausgestattet.112 Was sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem (Selbst-)Verständnis von Europa entwickeln sollte, beruhte in Zeiten zunehmender kolonialer Expansionen auf einem recht differenten, wenn nicht widersprüchlichen Verständnis dessen, was Europa sein sollte und bedeutete.113 Gleichzeitig etablierte sich dieses (Selbst-)Verständnis in Abgrenzung zu dem, was als nicht dazugehörig definiert wurde. Die europäische Imagination von Asien verschob sich im Laufe des 18. Jahrhunderts: Die Entzauberung Asiens im späten 18. Jahrhundert war mit einer Neubewertung verbunden. Erschien manchen Europäern noch in den mittleren Dekaden des Jahrhunderts einiges an Asien, besonders an China und Japan, manchmal aber auch an den Bewohnern der arabischen Wüste, lobenswert oder gar für Europa vorbildlich zu sein, so wurde im europäischen Bewußtsein die kulturelle Hierarchie auf der Welt neu geordnet, den Asiaten dabei ein Platz unterhalb der Europäer zugewiesen.114 Asien wurde als geschichtsloser Kontinent zunehmend ebenso deklassiert wie der afrikanische Kontinent,115 der sich nach dieser bis heute verbreiteten Vorstellung, wie Fatima El-Tayeb überzeugend darlegt, in einen »eigentlichen« und einen »uneigentlichen« Part aufteilt.116 Der Norden des Kontinents wurde gedanklich vom übrigen Afrika abgekoppelt, nahm dieser Sicht entsprechend eine »uneigentliche«, ambivalente Position ein. Ägypten wurde wiederum gemäß dieser Sicht noch weiter außerhalb imaginiert, ausgehend vom eurozentrischen Anspruch, eine Kontinuität zwischen dem ägyptischen Altertum und der griechischen bzw. europäischen Antike gedanklich herzustellen. Der »Orient« war, entsprechend dieser im 19. Jahrhundert sich verbreitenden Denkart, irgendwo dazwischen oder mittendrin. Die Kritik an Edwards Saids Versäumnis, sich mit der deutschen Orientalistik zu befassen und einen spezifischen Orientalismus derjenigen Nation zu belegen, aus deren Reihen die Vorreiter des Faches hervorgingen, ist vielfach geäußert 112

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Polaschegg vermerkt für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts die räumliche Vorstellung eines »Orients«, der sich von Südosteuropa über den gesamten asiatischen Kontinent, ausgenommen Russland, bis hin ins südliche Afrika erstreckte. Vgl. Polaschegg, Der andere Orientalismus, S. 276. Berman hingegen konstatiert, dass Ende des 19. Jahrhunderts der »Orient« in der deutschen Literatur kleiner imaginiert wurde und besonders im wissenschaftlichen Bereich die verallgemeinernde »Dichotomisierung« zwischen »Orient« und »Okzident« vorherrschte. Vgl. Berman, Orientalismus, Kolonialismus und Moderne, S. 16f. Osterhammel, Die Verwandlung der Welt, S. 144f. Osterhammel, Jürgen: Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert, München: Beck 2010, S. 413f. Mudimbe, V. Y.: The Invention of Africa. Gnosis, Philosophy and the Order of Knowledge, Bloomington u.a. 1988, S. 28. Fatima El-Tayeb, Schwarze Deutsche, S. 39.

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worden.117 Allerdings merkte Said an, dass der Orientalismus in Deutschland denselben Anspruch einer intellektuellen Autorität über den »Orient« pflegte wie in Großbritannien und Frankreich.118 Diese Positionierung generierte sich aus der Entwicklung der Fächergruppe heraus und vertrat Perspektiven, die im weiteren Verlauf dieser Arbeit immer wieder eine Rolle spielen werden: Der »Orient« war entsprechend dieser Sichtweise etwas Fernliegendes, ein gedankliches Gebilde, das einer Vorstellung entsprach, die von einer eurozentrischen Norm aus gedacht wurde – sei es in Bezug auf die christliche Religion, auf Rassekonstruktionen, auf Geschlechterrollen und nicht zuletzt auf die Festlegung von Grenzen. Zum anderen war der »Orient« ein zeitlich zurückliegendes Gebilde, das sich nur schwerlich vom Altertum abtrennen ließ und zu einer zeitgenössischen Daseinsform gelangen konnte. Schließlich wurde der »Orient« um 1900 herum zwar weitaus öfter bereist – auch von Lehnstuhlgelehrten –, die besuchten Länder und ihre Bevölkerungen blieben jedoch zumeist in einem bebilderten Objektstatus, dem ein positivistisches Forschungsinteresse entgegengebracht wurde.119 Sich verändernde Raum- und Zeiteinteilungen liefen parallel zur Ausdifferenzierung der Wissenschaften, zur Aufteilung von Menschen in Nationen und »Rassen« ebenso wie zur Verbreitung populärer Bilder des »Orients«, die sich in bestimmten Stereotypen verfestigten. Im Folgenden wird das Bilderrepertoire des 19. Jahrhunderts diskutiert, das sich in populären und akademischen Vorstellungen vom »Orient« und den dort lebenden Bevölkerungen etablierte.

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Vgl. Berman, Orientalismus, Kolonialismus und Moderne, Polaschegg, Der andere Orientalismus, Wokoeck, Ursula: German Orientalism. The study of the Middle East and Islam from 1800 to 1945, London/New York: Routledge 2009, Fuhrmann, Malte: »Den Orient deutsch machen. Imperiale Diskurse des Kaiserreichs über das Osmanische Reich«, in: Kakanien reloaded, 28.7.2002, www.kakanien.ac.at/beitr/fallstudie/MFuhrmann1.pdf (06.01.2018), Marchand, German Orientalism in the Age of Empire. Einen guten Überblick über die Forschungsliteratur bietet auch Wiedemann, Felix: »Orientalismus, Version: 1.0«, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 19.04.2012, http://docupedia.de/zg/Orientalismus (17.02.2017). Said, Orientalism, S. 19. Said ist für seine Herangehensweise umfassend kritisiert worden, eine Übersicht bietet zuletzt Biskam, Orientalismus und demokratische Öffentlichkeit, der akribisch die Auseinandersetzung um Saids Werk vorwiegend in den USA diskutiert und Beispiele für Saids Herangehensweise als »subsumptionslogischen Reduktionismus« beschreibt. Ähnlich kritisch verfährt Biskam mit Autor_innen, die Islamfeindlichkeit im deutschen Kontext analysieren. Dieser Kritik folgt die vorliegende Arbeit nicht und bietet genügend Beispiele, die die von Said so genannten »structures of attitude and reference« orientalistischer und kolonialer Perspektiven belegen. Haridi, Alexander: Das Paradigma der »islamischen Zivilisation« oder die Begründung der deutschen Islamwissenschaft durch Carl Heinrich Becker (1876-1933), Würzburg: Ergon Verlag 2005, S. 9ff., Said, Orientalism, S. 205f.

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Arabische Andere: Bilder und Repräsentationen Teil des kolonialen Narrativs ist die Vorstellung von entlegenen unbewohnten Räumen. Zugleich existiert ein Bildarchiv, das im 19. Jahrhundert in der Literatur, in Reiseberichten und zunehmend auch im sich ausdifferenzierenden Feld der Orientalistik, der Anthropologie und allgemein der mit dem »Orient« befassten akademischen Literatur entstand und gesellschaftlich weitverbreitete Vorstellungen von »Arabern«, »Orientalen«, »Muslimen« generierte. Zeitgenössische Quellen beschreiben »die Araber« immer wieder unterschiedlich. Bezogen europäische Reisende die Bezeichnung Anfang des 19. Jahrhunderts vornehmlich auf Beduinen,120 mischten sie hinsichtlich der Stadtbevölkerungen die aus ihrer Sicht austauschbaren Begriffe »Orientalen« und »Mohammedaner«, »Muselmänner«, »Mosleme.«121 Zunächst wurden diejenigen als Araber beschrieben, die auf der Arabischen Halbinsel lebten. Demgegenüber galten viele als Osmanen oder wurden nach Länderbezeichnungen eingeordnet. Darüber hinaus hatten sich über die Jahrhunderte Bezeichnungen wie »Sarazenen« oder »Mauren« festgesetzt. Eng mit dem Begriff des »Mauren« verbunden war der im deutschen Sprachraum weitverbreitete Terminus des »Mohren«.122 Bezeichnungen für Frauen ordneten sich den genannten Begriffen zu oder wurden in speziellen Abhandlungen, vorwiegend unter dem Themenfeld Harem beschrieben, auf das in der Folge näher eingegangen wird. Es kann an dieser Stelle keine kritische Analyse der literarischen Werke des ausgehenden 18. sowie des 19. Jahrhunderts mit einem »Orient«-Bezug geleistet werden, wobei dieser Zeitraum voll mit entsprechenden Texten ist. Zu nennen wären zum Beispiel die romantische Verklärung des »Orients« und vor allem die Indiensehnsucht eines Friedrich von Hardenberg (Novalis) oder Ludwig Tieck, die klassizistische Einteilung in »Orient« und »Okzident« durch Johann Wolfgang von Goethe oder die seichtere, aber bis heute wirkmächtige Märchenliteratur eines Wilhelm Hauff, der mit dem kleinen Muck oder Kalif Storch Figuren schuf, die das Bild vom »Orient« in deutsche Kinderzimmer trugen und es bis heute prägen.123 Der visuelle, figur- und motivhafte Bezug auf den »Orient« nahm im Verlauf des 120 Katzer, Araber in deutschen Augen, S. 390. 121 Vgl. Anidjar, Gil: The Jew, The Arab. A History of the Enemy, Stanford: Stanford University Press 2003, S. 140ff. 122 Arndt, Susan, Hamann, Ulrike: »Mohr_in«, in: Arndt, Susan, Ofuatey-Alazard (Hg.), (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster: Unrast 2015, S. 649-653. 123 Diese Aufzählung ließe sich leicht erweitern, zum Beispiel um den »Sarotti-Mohren«. Vgl. Hinrichsen, Malte, Hund, Wulf D.: »Metamorphosen des ›Mohren‹. Rassistische Sprache und historischer Wandel«, in: Hentges, Gudrun, Nottbohm, Kristina, Jansen, Mechthild M., Adamou, Jamila (Hg.), Sprache – Macht – Rassismus, Münster: Unrast 2015, S. 69-96, Kettlitz, Eberhardt: Afrikanische Soldaten aus deutscher Sicht seit 1871: Stereotype, Vorurteile, Feindbilder und Rassismus, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2007, S. 175ff.

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19. Jahrhunderts zu und war um 1900 über die Literatur hinaus auch in der Architektur, in der Werbung und Vermarktung von Konsumgütern, im jungen Medium Film sowie in weiteren Kunst- und Kulturproduktionen sicht- und spürbar.124 Mit Blick auf arabische Präsenzen, wie sie in dieser Arbeit untersucht werden, sind drei Figuren paradigmatisch: a) der Beduine125 , b) der Kolonialsoldat, c) die Frau im Harem. a) In zeitgenössischen (und oft bis heute anhaltenden) Vorstellungen galten Beduinen als die »ursprünglichen« Araber. In Zelten lebend, sesshaft oder nomadisch, wurde dieses Bild nicht allein im Westen, sondern auch in der arabischen Welt selbst geprägt.126 Im Bereich der orientalistischen Studien finden sich zahlreiche Expertisen zu Beduinen und ihren Familien sowie ethnografische Betrachtungen ihrer Gesellschaftsform. Max von Oppenheim127 rühmte sich ebenso, unter Beduinen gelebt zu haben,128 wie auch weitere Reiseschriftsteller des 19. Jahrhunderts. Karl Mays Schriften schufen den Prototyp des imaginierten Beduinen, zum Beispiel die zweite Hauptfigur der Kara-Ben-Nemsi-Geschichten, Hadschi Halef Omar, der im Laufe der Handlungen vom einfachen Beduinen zum »Scheik« aufsteigt, mit dem sich der Protagonist, Mays Alter Ego, natürlich anfreundet.129 Diese Populärliteratur erreicht bis heute ein breites Publikum und prägt bzw. prägte den Prototyp des Beduinen/Arabers in der deutschen Literatur.130 Der Hierarchie exotisierender Vorstellungen entsprechend verfügte der Beduine im Gegensatz zum vermeintlich kulturlosen »Naturmenschen« über Kultur, er war gastfreundlich, besaß Heldenmut und Kampfgeist. Allerdings kippte dieses Bild in einigen Darstellungen in das Bild des arabischen Despoten, des bedrohlichen Kämpfers. Diese Bilder verschränkten sich, besonders deutlich wird dies in der Reiseliteratur. Stereotypen zu Beduinen wurden tradiert und flossen in historiografische und orientalistische Studien ein. Assoziiert wurde mit dem Bild des

124 Vgl. Attia, Die »westliche Kultur« und ihr Anderes. 125 Im Grunde genommen handelt es sich, wie erwähnt, um eine vorwiegend männlich, das heißt androzentrisch imaginierte Figur. 126 Wiedemann, Felix: »The North, the Desert, and the Near East: Ludwig Ferdinand Clauß and the Racial Cartography of the Near East«, in: Studies in Ethnicity and Nationalism 12 (2012), Nr. 2, S. 326-343, S. 332. Vgl. Berman, Orientalismus, Kolonialismus und Moderne, S. 115ff. 127 Zu Max von Oppenheim (1860-1946) vgl. Kap. 3 »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen, S. 188ff. Er war Jurist, Diplomat und Hobbyorientalist. 128 Beispielhaft ist Oppenheims mehrbändiges Werk Die Beduinen, in dem er retrospektiv seine Freundschaft zu unterschiedlichen Beduinengemeinschaften beschreibt und es nicht unterlässt, sich selbst als Abenteurer und Experte der Verhältnisse hervorzuheben. Vgl. Oppenheim, Max von: Die Beduinen, Leipzig: Harrassowitz 1939. 129 Zum Beispiel May, Karl: Von Bagdad nach Stambul. Karl Mays Werke, Abt. IV, Bd. 3, hg. v. Wiedenrot, Hermann, Nördlingen: Greno 1988. 130 Vgl. Berman, »Orientalism, Imperialism, and Nationalism«.

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Beduinen auch der Begriff des Nomadentums, der im Kaiserreich unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zugeschrieben wurde. Im Kontext von Antisemitismus und Antiromaismus wurde nomadisches Leben als sozial unverträglich eingeordnet. Diese Verwobenheit kulturalisierender, antisemitischer und rassistischer Vorstellungen bildete eine Verbindung der Bilder vom fernliegenden »Orient« und seinen Bewohner_innen zum einen und nach innen gerichteten, innergesellschaftlichen Diskursen des Antisemitismus, Kulturalismus und Rassismus im Kaiserreich zum anderen. Felix Wiedemann schreibt in diesem Zusammenhang: Dass »der Orient« mitnichten als homogener Raum vorgestellt wurde, zeigen insbesondere die Figuren des »innerorientalischen Anderen«. Diese spielten schließlich insbesondere für den aufkommenden Antisemitismus eine wichtige Rolle. So bot der Nomadendiskurs sowohl Platz für die Negativfigur des heimatlosen und kulturfeindlichen Schmarotzers als auch für die dem edlen Beduinen entgegengesetzte Figur des degenerierten städtischen Krämers – beide Imaginationen aber waren im antisemitischen Diskurs von konstitutiver Bedeutung.131 Der Orientalist und Schriftsteller Adolf Wahrmund132 ist für diese Denkart exemplarisch. In großen Teilen seines im antisemitischen Duktus verfassten Buches Das Gesetz des Nomadentums und die heutige Herrschaft jüdischer Kader 133 finden sich diverse Verschwörungstheorien. Neben Juden klassifizierte er auch Araber – das heißt bei ihm: die überwiegend nicht sesshaften Beduinen – als »Urkern des Semitismus«, den er mit einer Vielzahl rassistischer Attribute versah.134 Während die Araber/Beduinen ihm als nicht entwicklungsfähig und als räuberisch galten, verwendete er für Juden, wie im Titel vermerkt, das antisemitische Attribut der »Herrschaft jüdischer Kader«.135 Beiden Gruppen spricht er »das natürliche Gefühl der Verschwörung« sowie »Spioniersinn« zu. Aus seiner Sicht brächte »beim Muslim wie Juden der religiöse Gegensatz gegen den herrschenden Christen unter allen Umständen die Vorbereitung eines neuen Feldzuges im heiligen Kriege durch die Verschwörung« hervor.136

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Wiedemann, »Zwischen Völkerflut und Heroismus«, S. 227 Adolf Wahrmund (1827-1913), Orientalist und Schriftsteller. Wahrmund, Adolf: Das Gesetz des Nomadentums und die heutige Herrschaft jüdischer Kader, München: Deutscher Volksverlag 1919. Ebd., S. 9f. Ebd. Wahrmund erstellte im Übrigen auch ein Handwörterbuch der neu-arabischen und deutschen Sprache, das 1877 erstmals erschien und bis heute im Bereich der Arabistik verwendet wird. Ebd., S. 21.

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Diese Vorstellungen prägten das Bild des »Arabers« (des »Beduinen«, des »Muslim«)137 – sowohl in Bezug auf dementsprechend kategorisierte Frauen als auch Männer – im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert in Deutschland und verwiesen auf die Relationalität der Kulturalisierungen und Rassifizierungen. Zu dieser Zeit kam es zur Etablierung der modernen Rassentheorien, die vermeintlich biologische Unterschiede mit sozialen Attributen versahen und Hierarchien und Taxonomien entwickelten, gemäß denen Menschen sogenannten »Rasse«-Kategorien zugeordnet und nach bestimmten Merkmalen klassifiziert wurden.138 b) Eine weitere Vorstellung vom Araber als kriegstreibendem Despoten139 manifestierte sich in der Figur des Kolonialsoldaten. In diesem Zusammenhang waren die Assoziationen ereignisgeschichtlich geprägt. Die größte Zahl von Menschen arabischer Herkunft, die zwischen 1871 und 1933 nach Deutschland kamen, bildeten die von Frankreich und Großbritannien für den Ersten Weltkrieg rekrutierten Kolonialsoldaten und Kriegsarbeiter_innen.140 Schon im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 wurden sogenannte »Turkos« einberufen. Diese »tirailleurs algériens«, die ihren Namen vielleicht aufgrund einer Verwechslung erhielten – sie wurden im Krimkrieg (1854-1856) von den russischen Gegnern für Türken gehalten141 –, vielleicht aber auch einfach aufgrund fehlender Differenzierungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen innerhalb des Osmanischen Reiches, waren

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Wie zitiert, waren diese Bezeichnungen bisweilen austauschbar. Vgl. Kaiwar, Vasant: »The Aryan Model of History and the Oriental Renaissance: The Politics of Identity in an Age of Revolutions, Colonialism, and Nationalism«, in: Kaiwar, Vasant, Mazumdar, Sucheta (Hg.), Antinomies of Modernity. Essays on Race, Orient, Nation, Durham/London: Duke University Press 2003, S. 13-61, Kaiwar, Vasant, Mazumdar, Sucheta: »Race, Orient, Nation in the Time-Space of Modernity«, in: dies. (Hg.), Antinomies of Modernity, S. 261-298, sowie Hinrichsen, Malte: Racist Trademarks. Slavery, Orient, Colonialism & Commodity Culture, Wien/Berlin: LIT 2012. 139 Auch der Begriff des Despoten ist als Herrschaftsbezeichnung (despotes – Hausherr) circa seit dem 18. Jahrhundert orientalisiert und sowohl auf Jüdinnen und Juden als auch auf Musliminnen und Muslime angewandt worden. Vgl. Anidjar, Gil: The Jew, The Arab, S. 125ff. 140 Kriegsarbeiter_innen werden in diesem Zusammenhang die von den Kolonialmächten, vor allem Frankreich und Großbritannien, zwischen 1914 und 1918 rekrutierten Arbeitskräfte aus den Kolonien bezeichnet, die in Europa für kriegsnahe Dienste eingesetzt wurden. Koller betont, dass die Nähe der männlichen Kriegsarbeiter zu den Kolonialsoldaten fließend gewesen sei. Vgl. Koller, Christian: »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«. Die Diskussion um die Verwendung von Kolonialtruppen in Europa zwischen Rassismus, Kolonial- und Militärpolitik (19141930), Stuttgart: Franz Steiner 2001, S. 90. 141 So die These Höpps: Höpp, Gerhard: Muslime in der Mark. Als Kriegsgefangene und Internierte in Wünsdorf und Zossen, 1914-1924, Berlin: Das Arabische Buch 1997, S. 5, Fn. 2. Vgl. auch Kap. 3 »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen, S. 186 der vorliegenden Arbeit.

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die ersten arabischen Kolonialsoldaten im deutschsprachigen Raum.142 Christian Koller analysiert die Auswirkungen des Einsatzes Schwarzer Kolonialsoldaten in Europa gründlich und zitiert schon zu der ersten Präsenz 1870/71 lokale Chroniken, die vor den »wilden Turkos« warnen, die »die Pfalz und Baden überziehen und verwüsten«.143 Auch Otto von Bismarck äußerte sich in dieser Frage: Die von den Turkos und Arabern an den Verwundeten verübten Grausamkeiten und geschlechtlichen Bestialitäten sind ihnen selbst nach dem Grade ihrer Zivilisation weniger anzurechnen, als einer europäischen Regierung, welche diese afrikanischen Horden mit aller Kenntnis ihrer Gewohnheiten auf einen europäischen Kriegsschauplatz führte.144 Die geografischen Zuordnungen, die von den schon genannten »wilden Turkos« bis zu den »afrikanischen Horden« reichten, evozierten Vorstellungen von unbekannten und fremden Massen. Demgegenüber stand ein weiterer Diskurs, der besonders mit der kolonialen Vorherrschaft in Deutsch-Ostafrika verbunden war: die bis zum Ersten Weltkrieg sich etablierende Figur des treuen Askaris, des deutschen Kolonialsoldaten, der außerhalb Europas kämpfte. Besonders in den 1920er Jahren und im Zuge des Kolonialrevisionismus wurde dieser Mythos visuell und inhaltlich aufgerufen und diente als Symbol des erneut eingeforderten deutschen Großmachtanspruchs.145 Die Anfang der 1920er Jahre lancierte Kampagne gegen die sogenannte Schwarze Schmach, die ich bereits in der Einleitung erwähne, fußte auf Vorurteilen, die eine längere Vorgeschichte haben. Die Figur des Kolonialsoldaten wird gemeinhin nicht als arabisch erinnert. In Kapitel 3 »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen zeige ich, auf welche Art und Weise die berüchtigte Hetzkampagne sich auch gegen arabische Soldaten im Rheinland richtete. Und welche einzelnen biografischen Spuren sich finden lassen, trotz der Leerstellen, die in dem Quellenmaterial zu dieser Gruppe überwiegen. Die Verwobenheit der unterschiedlichen rassistischen Ebenen, die gegenüber Kolonialsoldaten eine Rolle spielten, ist eng mit fehlenden Erinnerungsnarrativen zu dieser Gruppe verbunden. 142 Zum Einsatz der »tirailleurs algériens« in europäischen Kriegen siehe Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 48. Koller versteht – entgegen der zeitgenössischen Terminologie – ausschließlich »nichtweisse Einheiten aus den Kolonien und Dominions« als Kolonialtruppen (siehe ebd., S. 14, Fn. 5). Vgl. hierzu weiter: Michels, Schwarze deutsche Kolonialsoldaten, S. 15. Ich folge im Weiteren Michels’ Begriffsverwendung und differenziere in geeigneten Zusammenhängen, um das arabische Moment kenntlich zu machen. 143 Volks-Kalender, zitiert nach Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 49. 144 Völkerrecht im Weltkrieg, zitiert nach Koller,»Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 49. 145 In Bezug auf das Zerrbild, das um den Mythos des »treuen Askari« herum inszeniert wurde, vgl. Moyd,Michelle: »Askari and Askari-Myth«, in: Poddar, Prem, Patke, Rajeev S., Jensen, Lars (Hg.), A Historical Companion to Postcolonial Literatures – Continental Europe and its Empires, Edinburgh: Edinburgh University Press 2008, S. 208-209.

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c) Haremsfantasien und Vorstellungen von der »orientalischen« Frau waren schon vor dem 18. Jahrhundert Bestandteil westlicher Differenzdiskurse und Exotismen. In der bildenden Kunst, der Oper, in Reiseberichten und Memoiren tauchen Bilder vom Harem sowie verschleierter – oder exhibitionistisch nackt dargestellter – Frauen auf. Beispielhaft sind die Haremsszenen des französischen Malers Jean-Auguste-Dominique Ingres,146 aber auch Mozarts Oper Entführung aus dem Serail. Helmuth von Moltke widmete ein Kapitel seiner Erlebnisse in der alten Türkei den Frauen und beschreibt unter der Überschrift »Die Frauen und die Sklaven im Orient« ihr aus seiner Sicht abgeschirmtes Leben. Dies jedoch nicht, ohne zu differenzieren und sowohl die Versklavung als auch die Stellung der Frau aus der türkisch-osmanischen Gesellschaftsform heraus zu erklären.147 Bereits Leila Ahmed hat in ihrer Grundlagenstudie Women and Gender in Islam darauf hingewiesen, dass westliche Diskurse zur Befreiung der Frau in nichtwestlichen Gesellschaften von früh an mit der geforderten Aufgabe der »ursprünglichen« (nativen) Kultur der Kolonisierten verbunden sind und damit im Kontext kolonialer (Vor-)Herrschaft stehen.148 Über Auseinandersetzungen zur Position der Frau innerhalb der Gesellschaft wurden nicht allein mit Bezug auf arabische und islamische Gesellschaften Themen wie Nation, Migration, Gender und Ethnizität diskutiert. Für die Nationenbildungsphase des 19. Jahrhunderts waren diese Dispute konstitutiv. Fungierte der »Orient« als die räumliche Imagination des Fremden und Anderen, galt »die orientalische Frau« entsprechend dieser Sichtweise als unerreichbar, verborgen hinter Schleiern und Haremsmauern. Diese mit dem Ort verbundenen Zuschreibungen beinhalten weitere Motive, die auf die Frauen projiziert wurden: Passivität, Ohnmacht und bis heute existierende Stereotype der unfreien, unterdrückten Frau. Um die Jahrhundertwende wurden die Befreiung und Zivilisierung der kolonisierten Frau in Wissenschaft und Öffentlichkeit zunehmend diskutiert.149 Eine Frau, die in diesem Diskurs einem orientalisierten Kontext zugeordnet wurde, war zumeist eine unter vielen Frauen eines despotischen Ehemanns. Ein Bericht der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte (BGAEU) von 1896 zeigt anschaulich, wie verwoben die stereotypen Darstellungen waren und wie wenig sich eine akademische von einer populären Perspektive unterscheiden ließ. Am 28. März 1896 wurde eine besondere Aufführung für die BGAEU geboten:

146 Lemaire, Gérard-Georges: Orientalismus. Das Bild des Morgenlandes in der Malerei, Köln: Könemann 2000, S. 198ff. 147 Moltke, Helmuth von: Unter dem Halbmond. Erlebnisse aus der alten Türkei 1835-1839, hg. v. Arndt, Helmut, Tübingen u.a.: Erdmann 1979, S. 76-84. 148 Ahmed, Leila: Women and Gender in Islam. Historical Roots of a Modern Debate, New Haven/London: Yale University Press 1992, S. 129. 149 Vgl. Grosse, Kolonialismus, Eugenik und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland 1850-1918, S. 138f.

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die »Vorführung eines tunesischen Harems« durch das Passage Panoptikum. Alfred Maaß, Gründungsmitglied der Gesellschaft, dankte in seiner Begrüßung dem Direktor des Passage Panoptikums, Richard Neumann, und erläuterte die Vorgeschichte der Aufführung.150 Demnach habe ein reicher Einwohner Kairowans all sein Geld und damit »seinen ganzen Harem mit den dazu gehörigen Kindern, Sclavinnen, Haremswächtern, dem arabischen Koch und anderen Dienern, kurz seinen ganzen arabischen Haushalt« verloren. Über diese Vorgeschichte wird mehrfach die Echtheit des Zur-Schau-Gestellten betont.151 Die Motive der Undurchdringlichkeit eines für – nicht allein – europäische Männer verschlossenen Raums waren verbunden mit der Geschichte einer jungen, versklavten Frau am Hof von Tunis: Aziza. Sie lebte in der Inszenierung mit der verarmten Haremsfamilie zusammen. Und sie war die »Lieblingssclavin« des Sohns des Beys von Tunis, der Richard Neumann gebeten haben soll, sie für ein paar Monate mitzunehmen, da sein Vater ihm zürne.152 Beschrieben wurde in dem Bericht sowohl die Kommodifizierung der Ausgestellten als auch der männliche Blick: »Der Inhalt der ganzen Vorstellung ist nicht als eine Theatervorstellung, sondern nur als ein entsprechendes lebendes Bild anzusehen.«153 Der Blick auf dieses lebende Bild lässt sich als »colonial/Orientalist gaze« bezeichnen, der das Sichtbare zur Objekthaftigkeit verurteilte und sexualisierte Machtfantasien beinhaltete.154 Es war ein Starren, das viele Facetten kolonialer Machtfantasien beinhaltete, wie die folgenden Ausführungen belegen. Die Körper der Teilnehmenden wurden zunächst direkten Untersuchungen ausgesetzt: […] es war nun den meisten der Anwesenden Gelegenheit gegeben, die jungen, meist sehr hübschen, Frauen und Kinder und ihre, manchmal höchst eigenthümlichen Tätowirungen auf den Armen (meist Koransprüche) und im Gesicht zu studiren.155 Die Darstellung im akademischen Gewand überspielte schaustellerische Gepflogenheiten, die beinhalteten, besonders die teilnehmenden Frauen »zu studiren«. Neumann war als Direktor mehrfach darum bemüht, eben diese Nähe und Berüh-

150 »Ausserordentliche Sitzung vom 28. März 1896 im Passage-Panopticum. Vorführung eines tunesischen Harems«, in: Zeitschrift für Ethnologie 28 (1896), Nr. 3, S. 237f. Es gibt unterschiedliche Schreibweisen des Panoptikums, im Fließtext wird die in den Quellen am Häufigsten erscheinende einheitlich verwendet. 151 Ebd. 152 Ebd., S. 237. 153 Ebd. 154 Vgl. Pratt, Imperial Eyes, sowie Lewis, Reina: Gendering Orientalism, Race, Feminity and Representation, London: Routledge 1996. 155 »Ausserordentliche Sitzung«, S. 238.

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rungsmöglichkeiten als Teil der Inszenierungen einzubauen.156 Bei der Vorstellung für eine akademische Gesellschaft verschränkten sich verschiedene Ebenen. Zum einen wurde ein Bezug zur Wissenshoheit der Betrachter hergestellt, die »Tätowirungen« und damit die ausgestellten Koranverse157 wurden entschlüsselt. Die Männer erhielten somit nicht allein einen Zugang zu den Körpern der Frauen, sondern entschlüsselten auch das Unbekannte, das Undurchdringliche und erlangten die Definitionsmacht über das vorgeprägte Bild. Denn die Frauen des »tunesischen Harems« blieben auch nach der Inszenierung in dem Stereotyp verhaftet. Die Frauen unterlagen in diesem Beispiel einer doppelten Objektifizierung, die paradigmatisch für die Kartografien des Erinnerbaren sind. Es ist ein System der Raumzuweisung, das kulturalistische und rassistische Elemente beinhaltet.158 Menschen arabischer Herkunft funktionierten in mehrfacher Hinsicht als Andere der Gesellschaft, die fortdauernd ambivalente, uneindeutige Positionen einnahmen und zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten differenten Bebilderungen und Zuschreibungen ausgesetzt waren. Dabei spielte es weniger eine Rolle, wie groß die Zahl derer war, die sich in Deutschland aufhielten und denen diese stereotypen Konstruktionen nach damaliger Auffassung galten. Vielmehr waren es »nationalkulturelle kollektive Bewusstseinslagen«, die ein sich wandelndes, aber in bestimmten Punkten gleichbleibendes Archiv von Vorstellungen vom »Orient« innerhalb der Gesellschaft des Kaiserreichs festhielten. Und diese »Orientfantasien« beeinflussten – dies ist, wie bereits in der Einleitung erwähnt, das für dieses Buch weiterführende Argument – das Leben derer, die repräsentativ diesen Bildern zugeordnet wurden oder sie in einem hegemonialen Setting selbst übernahmen. Markus Schmitz fasst die Verwobenheit dieser Stereotype treffend zusammen: Das strukturelle Zweckbündnis zwischen der kolonialen Konstruktion des KulturAnderen und der patriarchalen Konstruktion der Geschlechts-Anderen findet seine Voraussetzung in der Hegemonie eines normativen Paradigmas metropolischer Männlichkeit, das nach innen und außen der Inszenierung seiner schattenhaften Antithese bedarf. So erhalten orientalische Männer und Frauen entgegen des wiederholten Verweises auf die männlich dominierten Strukturen orientali-

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Anne Dreesbach hat dies am Beispiel einer Samoerinnenschau nachgewiesen. Vgl. Dreesbach, Anne: Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung »Exotischer Menschen« in Deutschland 18701940, Frankfurt a.M./New York: Campus 2005, S. 171. »Koransprüche«, von denen im zitierten Bericht die Rede war, gibt es natürlich nicht, entweder waren Aussprüche des Propheten gemeint – auch Hadithe genannt – oder Koranverse bzw. Suren. Vgl. Said, Orientalism, S. 229.

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scher Familien und Gesellschaften im Verhältnis zum westlichen Modell eine feminine Subjektposition.159 Diese Komplexität beinhaltet Uneindeutigkeiten und Ambivalenzen.160 Die »Kultur-« und »Geschlechts-Anderen« waren nicht passiv, wie die vorliegende Studie zeigen wird. Bevor die verdeckten Geschichten dieser »Anderen« zusammengetragen und zueinander in Beziehung gesetzt werden, wird abschließend die Institution vorgestellt, die diese zuvor beschriebenen Ansätze zusammenfasste: das 1887 und damit nur wenige Jahre nach der Berliner Kongokonferenz gegründete und zunächst als Sprachakademie ausgewiesene Seminar für Orientalische Sprachen.

Orientalistische Kolonialinstitute Das Seminar für Orientalische Sprachen (SOS) An der Spitze des 1887 gegründeten Seminars für Orientalische Sprachen (SOS) stand von 1887 bis 1920 Eduard Sachau (1845-1930), studierter Arabist und Iranist sowie Spezialist für aramäische und altsyrische Schriften. Er war seit 1869 erst Professor in Wien, 1875 dann an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, wo er zunächst kommissarischer Leiter, dann Direktor des Seminars wurde.161 Darüber hinaus war er Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften.162 1912 veröffentlichte Sachau eine Denkschrift, in der er die Gründungsgeschichte des Seminars für Orientalische Sprachen rekapitulierte.163 Er verwies auf eine frühere Denkschrift, vom 3. April 1886, in der ein Abkommen zwischen dem Reichskanzleramt, dem Unterrichtsministerium sowie weiteren Ministerien zitiert wird, und in dem es heißt: Bei der fortschreitenden Entwickelung unserer Beziehungen zu Asien und Afrika hat sich in Deutschland in neuerer Zeit ein vermehrtes Bedürfniß nach Erweiterung der Kenntniß der Sprachen des Orients und Ostasiens, und zwar sowohl im Interesse des Dolmetscherdienstes als auch für andere Berufszweige, dringend

159 Schmitz, »Orientalismus, Gender und die binäre Matrix kultureller Repräsentationen«, S. 45. 160 So kann der Harem etwa auch als Raum verstanden werden, in dem Frauen unter sich bleiben (können), und damit auch als eigenständiger Ort, getrennt von männlichen Sphären. Ahmed, Leila: »Western Ethnocentrism and Perceptions of the Harem Feminist Studies (FS)«, in: Feminist Studies 8 (1982), Nr. 3, S. 521-534. 161 Ellinger, Ekkehard: Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945, EdingenNeckarhausen: deux mondes 2006, S. 521. 162 Hanisch, Die Nachfolger der Exegeten, S. 204. 163 Sachau, Eduard: Denkschrift über das Seminar für Orientalische Sprachen an der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin von 1887 bis 1912, Berlin: Reichsdruckerei 1912.

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fühlbar gemacht. Es ist in Aussicht genommen, dasselbe nach Analogie der in Wien und Paris bestehenden orientalischen Sprachschulen durch eine ähnliche Einrichtung in Deutschland zu befriedigen und zu diesem Zweck bei der hiesigen Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität ein Seminar für Orientalische Sprachen in das Leben zu rufen.164 Im Jahr 1912 bekundete Sachau, dass die koloniale Ausrichtung erst ein Jahr nach den ursprünglichen Verhandlungen zur Gründung des Seminars deutlicher wurde, sonst hätte es wahrscheinlich von Anfang an »etwa ›Seminar für orientalische und koloniale Studien‹ oder ›Orientalische und Kolonial-Akademie‹« geheißen.165 Der Lehrauftrag der neuen Einrichtung war praktisch ausgerichtet und sollte auf den auswärtigen Dienst in einem außereuropäischen Land vorbereiten. Es ging um nicht weniger als »das gesamte Interesse der deutschen Nation in fremden, besonders asiatischen und afrikanischen Ländern«166 . Die Sprachpalette des Unterrichtangebots umfasste von Beginn an Suaheli, Arabisch, Persisch, Indisch, Chinesisch und Japanisch.167 Dieses ausgedehnte Verständnis »orientalischer Sprachen« war ein grundlegender Bestandteil des Institutsprogramms. Die Einrichtung war die erste in dieser Weise strukturierte Lehranstalt im Deutschen Kaiserreich. Auch der langjährige Mitarbeiter Sachaus, Martin Hartmann (1851-1918),168 verfolgte das Ziel einer praktischen Anwendung der am Institut gelehrten Sprachen und gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Einrichtung. Der Orientalist war ausgebildeter Dragoman und als solcher von 1886 bis 1887 in Beirut tätig.169 Hartmann war Teil einer seinerzeit neuen Richtung der »Orientalischen Studien«, die sich für die Forschung über den zeitgenössischen Islam einsetzte und den geschichtswissenschaftlich und theologisch-exegetisch orientierten Hauptrichtungen des Fachs entgegenstand. Er lehrte ab 1887 Arabisch am SOS und war Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Islamkunde (DGI). Hartmann verfügte – ebenso wie Sachau – über Reise- und Berufserfahrungen in arabischen Ländern und Gebieten.170 Viel zitiert ist sein Ausspruch »Wer besitzen will, muss wissen!«171 . 164 Ebd., S. 45. 165 Ebd., S. 18. 166 Sachau, Eduard: »Das Seminar für Orientalische Sprachen«, in: Lenz, Max (Hg.), Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Halle/Saale: Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses 1910, S. 239-247, S. 239. 167 Ebd., S. 240. 168 Vgl. Fück, Johann: Die Arabischen Studien in Europa. Bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts, Leipzig: Otto Harrassowitz 1955, S. 269 ff, sowie Hanisch, Die Nachfolger der Exegeten, S. 189, Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945, S. 487. 169 Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945, S. 487. 170 Hanisch, Die Nachfolger der Exegeten, S. 40, Fn. 124. 171 Hanisch, Ludmila (Hg.): Islamkunde und Islamwissenschaft im deutschen Kaiserreich. Der Briefwechsel zwischen Carl Heinrich Becker und Martin Hartmann (1900-1918), Leiden: Rijksuniversiteit 1992, S. 13.

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Er war erklärter Anhänger kolonialer Expansionen des Deutschen Reiches. Laut Ekkehard Ellinger war der Arabist und Islamwissenschaftler als »Türkenhasser« bekannt und bewies in seinen Texten, dass zu dem theologisch, national, ökonomisch, philologisch und rassisch definierten deutschen Hegemoniedenken nun ein weiteres dazugekommen war: die sozialwissenschaftlich begründete Überlegenheit europäischer Gesellschaftsordnungen, denen das Deutsche Reich zuzurechnen war, gegenüber solchen des Orients.172 Hartmann war nicht der einzige, der die Gründung des Instituts ideell und inhaltlich vorbereitete. Auch Carl Peters, der ungefähr zeitgleich einen »Schutzvertrag« für Gebiete in Ostafrika vom Reich erwirkt hatte, forderte im Zuge der Gründung des Seminars die Einrichtung eines Lehrangebots für »Bantusprachen«, das der kolonialen Neuausrichtung des Reiches Genüge täte.173 Das Interesse an der Einrichtung und der Betriebsamkeit des Seminars durchzog die unterschiedlichen, ungefähr zeitgleich entstandenen Kolonialgesellschaften, allen voran die ebenfalls 1887 gegründete Deutsche Kolonialgesellschaft, aber auch mehr als zehn Jahre später die Deutsche Orientgesellschaft, welche eine besondere Förderung des Kaisers genoss.174 Im Vorfeld der Gründung des SOS wurde ein eigenes Reichsgesetz erlassen,175 das die paritätische Verantwortung von Reich und Land und die Struktur der neuen Institution festhielt. Für den Bereich der Orientalistik bedeutete dies, nicht allein philologische oder exegetische Studien vorzunehmen, sondern kombiniert mit geopolitischen Fragen oder anderen soziologischen Themen den zeitgenössischen »Orient« immer mehr zu erkunden und zu durchdringen sowie Wissenschaft, Politik und die koloniale Praxis zusammenzubringen. Dies lässt sich auch aus den Vorlesungsverzeichnissen des Instituts rekonstruieren, in denen ab dem Wintersemester 1889/1890 die Frage auftauchte, ob sich die Bewerber für den »Dragomanatsdienst des Reiches oder einen anderen Zweck« interessierten.176 Und 172 173 174

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Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945, S. 288. Pugach, Sara: Africa in Translation. A History of Colonial Linguistics in Germany and Beyond, 18141945, Ann Arbor: University of Michigan Press 2012, S. 60f. Marchand nennt dies »drei Koinzidenzien von Staatszielen und wissenschaftlichen Zielen«, Marchand, Suzanne L.: Down from Olympus. Archaeology and Philhellenism in Germany, 17501970, Princeton: Princeton University Press 1996, S. 195. »[…] veröffentlicht im Reichsgesetzblatt vom 2. Juni 1887, Nr. 16, und im Hauptetat des preußischen Staatshaushaltes für das Jahr 1887/1888 vom 30. März 1887«, siehe Mittwoch, Eugen: »Das Seminar für Orientalische Sprachen an der Universität zu Berlin«, in: Weltpolitische Bildungsarbeit an Preußischen Hochschulen, Festschrift aus Anlaß des 50. Geburtstages des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Herrn Professor Dr. C.H. Becker, Berlin: Hobbing 1926, S. 12-22, S. 14. Seminar für Orientalische Sprachen (Hg.): Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen/Seminar für Orientalische Sprachen an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin: Universitäts-

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ab dem Sommersemester 1897 wurden »Aspiranten des Kaiserlichen Dolmetscher Dienstes und Kolonial-Dienstes« explizit in die Studierendenanwerbung aufgenommen.177 Die verstärkte Hinwendung zum Aufbau von Kolonialinstituten und die Verbindung von Theorie und Praxis lässt sich am SOS beispielhaft beobachten. Es gab mehrere Lehranstalten, die ein ähnliches Programm anboten.178 Auch die 1899 in Witzenhausen gegründete Deutsche Kolonialschule und spezielle Frauenkolonialschulen in Carthaus bei Trier und in Bad Weilbach bei Wiesbaden (1911)179 widmeten sich kolonialen Themen und boten unterschiedliche Sprachkurse an.180 Eine nicht unbedeutende Anzahl von Kolonialkursen an unterschiedlichen deutschen Universitäten sowie das 1908 gegründete Hamburger Kolonialinstitut können mit der Ära Dernburg in Verbindung gebracht werden.181 Der linksliberale Bankier Bernhard Dernburg, von 1907 bis 1910 Staatssekretär im Reichskolonialamt, wird öfter mit einer vermeintlich »humaneren« Kolonialpolitik in Verbindung gebracht.182 Pascal Grosse stellt jedoch ausführlich dar, wie wenig human Dernburgs Ansatz war und wie sehr die »Kolonialreformer« sich weiterhin bemühten, »eine Balance zwischen den Kategorien von ›Rasse‹ und ›Nation‹ herzustellen, die eine neue Koexistenz zwischen Kolonialmacht und kolonialen Untertanen ermöglichte und zugleich den umfassenden Machtanspruch der Kolonialmacht

druckerei 1887-1936, Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen welche im Wintersemester 1889, 15. Oct.–1890, 15. März im Seminar für Orientalische Sprachen (Berlin C. Am Lustgarten 6) gehalten werden, S. 4. 177 Ebd., Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen welche im Sommersemester 1897, 20. April – 15. August im Seminar für Orientalische Sprachen (Berlin C. Am Zeughause 1) gehalten werden, S. 4. 178 Im deutschen Kolonial-Lexikon wird explizit betont, dass in Deutschland – anders als in Frankreich – keine Kolonialschulen für die Ausbildung im Zuge einer besonderen KolonialBeamtenlaufbahn vorhanden seien. Vgl. »Kolonialschulen«, in: Schnee, Heinrich (Hg.), Deutsches Kolonial-Lexikon, Leipzig: Quelle & Meyer 1920, Bd. 2, S. 341. 179 Walgenbach, Katharina: »Die weiße Frau als Trägerin deutscher Kultur«. Koloniale Diskurse über Geschlecht, »Rasse« und Klasse im Kaiserreich, Frankfurt a.M./New York: Campus 2005, S. 97. 180 Zumeist wurde als erste außereuropäische Sprache Suaheli eingeführt, in Witzenhausen kam später auch Arabisch hinzu. Vgl. Wildenthal, Lora: German Women for Empire, 1884-1945, Durham/London: Duke University Press 2001, S. 166f., Rommel Mechthild, Rautenberg, Hulda: Die Kolonialen Frauenschulen von 1908-1945, Witzhausen: Selbstverlag des Verbands der Tropenlandwirte 1983. 181 So Jens Ruppenthal, der sich in diesem Punkt Karin Hausen anschließt, die die Zeit von 1900 bis 1907 extra ausweist. Vgl. Ruppenthal, Kolonialismus als »Wissenschaft und Technik«, S. 11ff. 182 Vgl. zum Beispiel Gründer, Horst: »Zum Stellenwert des Rassismus im Spektrum der deutschen Kolonialideologie«, in: Becker, Frank (Hg.), Rassenmischehen – Mischlinge – Rassentrennung. Zur Politik der Rasse im deutschen Kolonialreich, Stuttgart: Franz Steiner 2004, S. 27-41, S. 33f. Auch Gründer gibt zu, dass die Umsetzung einer »humanen« Kolonialpolitik nicht gelang.

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einlöste«.183 Dieses als »Dernburg Turn« bekannte Unterfangen setzte auf den Einsatz kolonialer Untertanen zur Hebung der Wirtschaftskraft in den Kolonien gemäß den Zielen einer »bürgerlichen Sozialreform«.184 An dieser Schnittstelle sollte es, aus Dernburgs Sicht, zum Einsatz wissenschaftlicher Expertise kommen und dies beeinflusste auch Orientalisten.185 So war etwa der zuvor vorgestellte Martin Hartmann ein Anhänger dieser Politik, von der er sich im kolonialen Zusammenhang eine fortschreitende Säkularisierung und die aus seiner Sicht notwendige Anleitung zur Arbeitsdisziplin erhoffte.186 Das Paradoxon an Hartmanns Herangehensweise war in diesem Zusammenhang, dass er den Islam, wie Religionen insgesamt, ablehnte und ihn gleichzeitig zu seinem Forschungsfeld machte.187 Die enge Verstrickung von Politik und Wissenschaft hervorzuheben, entsprach nicht dem vorherrschenden Selbstbildnis der Gelehrten dieser Zeit. Vielmehr gehörte hierzu die Trennung zwischen beiden Feldern, wie Briefwechsel zwischen Orientalisten anschaulich belegen.188 Man traf sich im wissenschaftlichen Austausch und hielt Abstand sowohl zur politischen Sphäre als auch zu den Auslösern des wissenschaftlichen Interesses, zu den Forschungsobjekten. Ausgehend von dieser hegemonialen Position lassen sich unterschiedliche Strömungen und Ausrichtungen der Lehrmeinungen nachzeichnen. Allein für den Bereich der Anfang des 20. Jahrhunderts neu aufkommenden Islamwissenschaft verfolgten Orientalisten wie Carl Heinrich Becker, Ignaz Goldziher und eben Martin Hartmann recht unterschiedliche Ansätze. Becker vertrat, wie im Folgenden noch genauer erläutert wird, den Standpunkt, der Islam sei gegenüber dem Christentum in der Entwicklung zurückgeblieben und würde daher nie an die zivilisatorische Größe Europas – als Sinnbild des Christentums – reichen.189 Hartmann wiederum bemühte sich zunächst, ungeachtet seiner Ablehnung alles Türkisch-Osmanischen, einen sozialwissenschaftlichen Zugang zum Islam zu finden und das Fach als entsprechend ausgerichtete Disziplin zu etablieren.190 Goldziher schließlich verstand sich als Brückenbauer, indem er ein positives Islamverständnis gegenüber einem mehrheitlich christlichen akademischen Umfeld vermittelte. Er trat gegen eine Herab183 Grosse, Kolonialismus, Eugenik und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland 1850-1918, S. 122. 184 Ebd. 185 Marchand, German Orientalism in the Age of Empire, S. 347, vgl. Grosse, Kolonialismus, Eugenik und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland 1850-1918, S. 122f. 186 Marchand, German Orientalism in the Age of Empire, S. 358. 187 Ebd., S. 159f. Hartmann trat mit 53 Jahren aus der Kirche aus. Vgl. Hanisch, Ludmila (Hg.): »Machen Sie doch unseren Islam nicht gar zu schlecht«. Der Briefwechsel der Islamwissenschaftler Ignaz Goldziher und Martin Hartmann, Wiesbaden: Harrassowitz 2000. 188 Hanisch, Ludmila: »Gelehrtenselbstverständnis, wissenschaftliche Rationalität und politische ›Emotionen‹: Ein Nachtrag«, in: Die Welt des Islams 32 (1992), Nr. 1, S. 107-123, S. 113. 189 Ausführlich dargelegt bei Haridi, Das Paradigma der »islamischen Zivilisation«. 190 Hanisch, Islamkunde und Islamwissenschaft im deutschen Kaiserreich.

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setzung des Islam ein. So schrieb er beispielsweise an Hartmann, dieser möge doch »unseren Islam nicht gar zu schlecht« machen.191 Und er trat mit emanzipatorischem Anspruch für eine gesellschaftliche Hebung des Judentums als gleichberechtigt ein.192 Hartmann mag in seiner politischen Ausrichtung Ende des 19. Jahrhunderts noch als Ausnahme in der Wissenschaft gegolten haben. Aber die Grundeinstellung der Überlegenheit Weißer europäischer Forschender über ihre außereuropäischen Forschungsobjekte teilten viele seiner orientalistischen Zeitgenossen. Dem SOS in Berlin wurde nachgesagt, »den sprachlichen Anforderungen der Kolonialausbildung gerecht zu werden«,193 nicht aber einer wirklich praktisch fundierten Ausbildung zum Kolonialbeamten. Diese Kritik kam vonseiten der Konkurrenz, dem hanseatischen Institut, das von Beginn an seine koloniale Affinität betonte.

Das Deutsche Kolonialinstitut und die Entstehung der Islamwissenschaft Das zweite deutsche Institut, das eine große Nähe zur Kolonialpolitik aufwies, war das 1908 in Hamburg gegründete Deutsche Kolonialinstitut, der Vorläufer der Hamburger Universität.194 Mit seiner speziellen Ausrichtung auf den »modernen Orient« unterschied es sich von den stärker philologisch und historisch arbeitenden orientalistischen Einrichtungen in Deutschland.195 Hamburg hatte als Hafenstadt den Ruf, das »Tor zur Welt« zu sein. Ein Großteil der deutschen Emigrant_innen, die das Land im 19. Jahrhundert in mehreren großen Bewegungen verließen, trat die große Überfahrt von der Hansestadt aus an. Und Hamburg war als Hafenstadt auch Zielort global eingesetzter Arbeitskräfte, die zum Teil – trotz Restriktionen – ihren Lebensmittelpunkt in der nach Berlin »zweiten Kolonialmetropole«196 des Reichs aufbauten.197 Der erste Direktor des ebenfalls 1908 als Teil des Kolonialinstituts gegründeten Seminars für Kultur und Geschichte des Vorderen Orients in Hamburg war der bereits genannte Carl Heinrich Becker (1876-1933).198 Er verband seine akademische

Hanisch, »Machen Sie doch unseren Islam nicht gar zu schlecht«. Marchand, German Orientalism in the Age of Empire, S. 323-332. Beneke, Max: Die Ausbildung der Kolonialbeamten. Im Auftrage der deutschen Kolonialgesellschaft unter Benutzung amtlicher Quellen, Berlin: Heymanns 1894, S. 70. Vgl. Ruppenthal, Kolonialismus als »Wissenschaft und Technik«, S. 21. 194 Ausführlich zur Gründung und Ausrichtung: Ruppenthal, Kolonialismus als »Wissenschaft und Technik«. 195 Vgl. Hagen, Gottfried: »German Heralds of the Holy War: Orientalists and Applied Oriental Studies«, in: Comparative Studies of South Asia, Africa and the Middle East 24 (2004), Nr. 2, S. 145162. 196 Ruppenthal, Kolonialismus als »Wissenschaft und Technik«, S. 13. 197 Amenda, Fremde – Hafen – Stadt; Küttner, Sibylle: Farbige Seeleute im Kaiserreich. Asiaten und Afrikaner im Dienst der deutschen Handelsmarine, Erfurt: Sutton 2000. 198 Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus, S. 465f. 191 192 193

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mit einer politischen Karriere. Als Sohn einer reichen Familie konnte er sich ein ausgiebiges Studium leisten und kam über die Theologie und Semitische Philologie199 dazu, von 1900 bis 1902 Arabisch in Ägypten zu lernen. Nach einem kurzen Studium am Seminar für Orientalische Sprachen200 promovierte er 1902 über Tuluniden und Fatimiden, zwei Herrschaftsdynastien in Ägypten.201 1906 folgte ein Extraordinat in Heidelberg, von wo aus er 1908 an das neu gegründete Kolonialinstitut in Hamburg kam und daselbst die erste islamwissenschaftliche Professur in Deutschland erhielt.202 1913 baute er nach einem erneuten Wechsel in Bonn ein weiteres Institut für Islamwissenschaft auf.203 Zu Beginn des Ersten Weltkriegs setzte er seine Fachkenntnisse in der Nachrichtenstelle für den Orient (NfO) ein, einer eigens im Krieg gegründeten Propagandastelle.204 Ab 1916 agierte er als Referent im Kultusministerium, schließlich in der Weimarer Republik als Staatssekretär und Kultusminister. Bis 1930 hatte er einen direkten Einfluss auf die Besetzung von Lehrstühlen in Preußen.205 Becker gilt als einer der Gründer der deutschen Islamwissenschaft. Aber nicht er allein war mit der seit 1910 am Hamburger Kolonialinstitut erscheinenden Zeitschrift Der Islam Teil dieser vermeintlich neuen Ausrichtung orientalistischer Studien. Denn der Konnex zwischen einer epistemologischen Ausrichtung der sozialwissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Islam und kolonialpolitischen Erwägungen findet sich auch schon zur Zeit der ersten Kolonialkongresse. 1905 standen in diesem Sinne »Islam and the colonial policy towards it« ganz oben auf der Agenda.206 Als zwei der zentralen Akteure, die diese Agenda vorantrieben, bereiteten Becker und Hartmann Studien über den Islam und Kolonialismus vor. Hartmann verfasste schon 1899 den kurzen Artikel »Islamologie«, in dem er die Machtverhältnisse im kolonialen Zeitalter festhielt, und bekundete, dass von zweihundertsechzig Millionen Muslimen weltweit die Hälfte unter europäischer Herrschaft lebe.207 Vor diesem Hintergrund plädierte er für islamwissenschaftliche Institute an deutschen Universitäten.208 Ebenso beispielhaft für die akademische Beschäftigung mit »dem

199 Ebd. 200 Becker war von 1898 bis 1900 Student des Seminars. Siehe Mittwoch, »Das Seminar für Orientalische Sprachen an der Universität zu Berlin«, S. 12. 201 Haridi, Das Paradigma der »islamischen Zivilisation«, S. 15 202 Ebd., Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus, S. 465f. 203 Haridi, Das Paradigma der »islamischen Zivilisation«, S. 15. 204 Vgl. Kap. 3 »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen, S. 187-192. 205 Hagen, »German Heralds«, S. 19f. 206 Weiss, Holger: »German Images of Islam in West Africa«, in: Sudanic Africa 11 (2000), S. 53-93, S. 54. 207 Hartmann, Martin: »Islamologie«, in: Orientalistische Litteraturzeitung 2 (1899), Nr. 1, S. 1-4, S. 1. Vgl. Marchand, German Orientalism in the Age of Empire, S. 344. 208 Hartmann, »Islamologie«, S. 2f.

1. Deutschlands »Orient« – Kartografie des Erinnerbaren

Islam« ist die von Hartmann 1912 gegründete Deutsche Gesellschaft für Islamkunde und ihre Zeitschrift Die Welt des Islams. Anders als Becker räumte Hartmann den Muslimen die Möglichkeit ein, sich zu emanzipieren, wenn sie bei den »Kulturträgern« quasi in die Lehre gingen und den gleichen Prozess durchmachten wie die Christenheit während der Reformation 400 Jahre zuvor.209 Hartmann schrieb Muslimen eine Kultur der Rechtsfreiheit zu und konstatierte, dass Fortschritt nur von außen kommen könne.210 Damit befand er sich direkt in prokolonialen Argumentationsmustern. Becker wiederum schrieb über die kolonialpolitische Verwendung des Islam; aus seiner Sicht diente der Islam als Werkzeug für die Kolonisierung Afrikas.211 Nach seinem Dafürhalten gab es einen »[g]emeinsamen islamisch-christlichen Kulturkreis, dessen einigendes Band die geteilte Erfahrung des Hellenismus sei«212 . Jedoch sei der Islam im antiken Hellenismus verhaftet geblieben und habe nie den Humanismus der Aufklärung und den Fortschritt des christlichen Europa erreicht.213 Die Ausrichtung orientalistischer Bildungseinrichtungen hin zur religiös konnotierten Fachdefinition als »Islamwissenschaft« war kein Rückschritt in die Zeit orientalistischer Studien als Hilfswissenschaft der Bibelexegese. Sie verwies vielmehr auf eine räumliche und geopolitische Erweiterung des Forschungsgegenstands und eine dezidiert kolonial ausgerichtete »angewandte Wissenschaft«214 . Der Erste Weltkrieg selbst führte – im Rahmen der Erweiterung der Auslandsstudien insgesamt – zu einer umfassenden Einrichtung orientalistischer Institute an deutschen Universitäten.215 Während des Krieges fand sich unter den Orientalisten kaum jemand, der sein Wort gegen den vom Deutschen Reich initiierten Krieg erhoben hätte. Im Gegenteil glänzten die Orientalisten durch ihre Kooperationsbereitschaft sowohl auf wissenschaftliche als auch auf praktische Art und Weise. Die ersten Kampfschrif-

209 Haridi, Das Paradigma der »islamischen Zivilisation«, S. 84. 210 Ebd. 211 Becker, C. H.: »Islampolitik«, in: Die Welt des Islams 3 (08/1915), Nr. 2, S. 101-120. Vgl. Haridi, Das Paradigma der »islamischen Zivilisation«, S. 29f. 212 Haridi, Das Paradigma der »islamischen Zivilisation«, S. 10. 213 Vgl. Marchand, German Orientalism in the Age of Empire, S. 364. Vgl. Haridi, Das Paradigma der »islamischen Zivilisation«, S. 10. 214 Von diesem Terminus wird sich in vielen orientalistischen Publikationen kritisch distanziert. Vgl. zum Beispiel Hanisch, : Gelehrtenselbstverständnis, wissenschaftliche Rationalität und politische ›Emotionen‹, S. 107. 215 Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus, S. 23.

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ten tauchten auf, und Becker war mit seinem Beitrag »Deutschland und der Islam« einer ihrer Autoren […].216 Nicht allein die Universitäten, auch die Bibliotheken profitierten von der Kriegsbegeisterung und erweiterten ihre fachliche Ausrichtung sowie ihre Bestände.217 Zuvor als unzivilisiert oder zumindest zurückgeblieben bezeichnete Studienobjekte avancierten zu Waffenbrüdern, besonders deutlich in der Zusammenarbeit des zuvor erwähnten Martin Hartmann im Rahmen der Nachrichtenstelle für den Orient (siehe Kapitel 3 »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen, S. 187-192). Der Erste Weltkrieg erweiterte den Tätigkeitsradius nicht nur imaginativ und ideell, sondern auch materiell durch die Zunahme an »orientalischer« Literatur, Handschriften und Drucken. Wie Pascal Grosse nachgewiesen hat, wurde Ende des 19. Jahrhunderts die Kategorie der »Rasse« zum zentralen Kriterium hinsichtlich einer Ordnung kolonialer Bevölkerungen. Dies beeinflusste die Metropolen ebenso wie die kolonialen Peripherien oder semikolonialen Gebiete. Der dem Konzept der »Rasse« inhärente Biologismus war »ein Aspekt des komplexen Prozesses, in dem sich Politik, Gesellschaft und Wissenschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts im Sinne der ›Verwissenschaftlichung des Sozialen‹ miteinander rückkoppelten«.218

Projektionen Bis hierhin wird deutlich, dass der deutsche Orientalismus als übergreifende diskursive Ordnung sowohl populäre als auch akademische Wissensbestände umfasste und beeinflusste. Die Geschichte arabischer Präsenz im Kaiserreich und der Weimarer Republik zu skizzieren ist sowohl hinsichtlich des Quellenmaterials als auch der möglichen Erinnerungsnarrative geprägt von diesen »structures of attitude and reference«, wie Edward Said sie nennt.219 Sie bilden die Kartografie des Erinnerbaren und werden uns in den folgenden Annäherungen an arabisches Leben in Deutschland zwischen Reichsgründung und Nationalsozialismus noch mehrfach begegnen. In der Einleitung habe ich auf den Konnex zwischen Projektion, Inszenierung und realer Präsenz verwiesen. Projektionen basieren auf Stereotypen wie auch auf willkürlichen Zuschreibungen, denen eines gemein ist: der Rückgriff auf ein Archiv von Bildern und Vorstellungen, die Susanne Zantop treffend als »national-

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Ebd., S. 24. Vgl. Becker, C. H.: Deutschland und der Islam, Stuttgart u.a.: Deutsche VerlagsAnstalt 1914. Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus, S. 24-27. Grosse, Kolonialismus, Eugenik und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland 1850-191, S. 18. Said, Culture and Imperialism, S. 52.

1. Deutschlands »Orient« – Kartografie des Erinnerbaren

kulturelle Bewusstseinslagen« bezeichnete.220 Eine Inszenierung greift in diesem Sinn auf ein bereits vorhandenes Narrativ zurück, das immer wieder abrufbare Zuschreibungen und Imaginationen beinhaltet. »Völkerschauen« sind ein Beispiel für Inszenierungen, die diese bereits bekannten »Bewusstseinslagen« nutzten. Diese Denkstrukturen waren auch geprägt von den sich im kolonialen Zusammenhang immer weiter ausdifferenzierenden Rassentheorien. Die Kategorisierung arabischer Menschen war im hier gewählten Untersuchungszeitraum durchgehend ambivalent. In orientalistischen Studien kam es zu Anfang des 20. Jahrhunderts wie schon erwähnt zu einer verbreiteten Gleichsetzung arabischer Menschen mit Muslim_innen. Der Islam wurde zu einer sozialen Kategorie. Alexander Haridi hat den bis heute anhaltenden Versuch, »das Religiöse weltlich zu erklären«, als »anhaltendes methodisches Dilemma«, nicht allein der Orientalistik problematisiert.221 Im Bereich anthropologischer und dezidiert rassenkundlicher Untersuchungen finden sich verschiedene Tendenzen: »Die Araber« wurden dort nun insgesamt als »Semiten« bezeichnet. Für den bekannten Antisemiten Housten Stewart Chamberlain galten sie – zumindest die Beduinen – als die »echten Semiten«. So schrieb er in seinem 1899 zuerst veröffentlichten Werk Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts: […] denn es bildet geradezu ein Kennzeichen dieses Homo arabicus, dass er erst dann mitwirkend in die menschliche Geschichte eintritt, wenn er nicht mehr ein echter Semit ist. So lange er in seiner Wüste bleibt (und seiner Seelengrösse und -Ruhe wegen sollte er stets da bleiben), gehört er eigentlich der Geschichte gar nicht an; es ist auch sehr schwer, um nicht zu sagen unmöglich, dort Eingehendes über ihn zu erfahren; wir hören nur, er sei tapfer, gastfreundlich, fromm, auch rachsüchtig und grausam – lauter Charaktereigenschaften, nichts, was uns über seine intellektuellen Anlagen Aufschluss gäbe. Burckhardt, der Jahre lang Arabien bereiste, schildert den Beduinen als geistig absolut müssig, sobald nicht Krieg oder Liebe den schlaffen Bogen – dann allerdings sofort auf das Äusserste – spannt. Bricht er aber gewaltsam heraus in die Kulturwelt, so geschieht es, wie unter Abu Bekr und Omar, oder wie heute in Zentralafrika, um zu morden und zu brennen. Sobald er weithin alles verwüstet hat, verschwindet der echte Semit, wir hören nichts mehr von ihm; überall, wo er in der Kulturgeschichte wieder auftaucht, hat inzwischen Vermischung stattgefunden – denn kein Menschentypus scheint sich schneller und erfolgreicher zu vermischen als gerade dieser in einer Jahrtausende währenden, gezwungenen Inzucht Gezeugte.222

220 Zantop, Kolonialphantasien im vorkolonialen Deutschland, S. 12. 221 Haridi, Das Paradigma der »islamischen Zivilisation«, S. 9. 222 Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts, München: F. Bruckmann 1904, S. 379. Vgl. Katzer, Araber in deutschen Augen, S. 470.

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Die theoretischen Grundierungen, die solchen Rassifizierungen und Kulturalisierungen wie die Chamberlains unterlagen, waren wandelbar. Die linguistische Einteilung in Sprachgruppen korrespondierte in Teilen mit rassischen Taxonomien. Der Gegensatz zwischen semitischen und indogermanischen Sprachen entwickelte seine stärksten Ausprägungen in der Kontinuität antijüdischer Feindseligkeiten bis hin zum rassistischen Antisemitismus.223 Auch die Figur des Beduinen beruhte in Teilen auf dem Stereotyp des »Semiten«. Sie blieb jedoch uneinheitlich, mal als »heroisch« und »ursprünglich«, mal als unzivilisiert imaginiert. Und sie blieb nach außen gerichtet, ein Ressentiment gegenüber einer als weit entfernt vorgestellten Menschengruppe.224 Sowohl das SOS als auch das Hamburger Kolonialinstitut befassten sich inhaltlich mit (häufig sowohl räumlich als auch zeitlich) fernliegenden Realitäten, die sie gleichermaßen selbst mit hervorbrachten. Dies änderte sich auch durch eine größere Präsenz arabischer Menschen in der Metropole nicht. Und natürlich ist es schwierig, auf der Grundlage des fragmentierten Quellenmaterials, Alltagserfahrungen der betreffenden Menschen und biografische Kontinuitäten zu rekonstruieren. Orientalistische diskursive Formationen prägten und prägen sowohl das zeitgenössische Verständnis der zuvor beschriebenen Ausgangsorte und ihrer Bewohner_innen wie auch die möglichen Erinnerungsnarrative. Es ist dies ein Phänomen, das sich als »orientalistische Matrix« beschreiben lässt. An diesem Punkt findet eine strategische Setzung statt, um eine Geschichte des »Entanglement« erzählbar zu machen, die einzelnen Biografien nachspürt und damit eine kollektive Dimension ermöglicht, die in ihrer Verwobenheit eine weitere Vielheit innerhalb der deutschen Geschichte kenntlich macht: eine arabisch-deutsche Geschichte. Die präsentierten Fäden der Kartografie des Erinnerbaren werden im Folgenden wieder aufgegriffen und mit einzelnen Lebensgeschichten oder biografischen Fragmenten verbunden.

223 Dietrich, Anette: Weiße Weiblichkeiten. Konstruktionen von »Rasse« und Geschlecht im deutschen Kolonialismus, Bielefeld: transcript 2007, S. 107f. 224 Anidjar, Gil: »Fotografien des Unsichtbaren: Claudio Langes ›Feindbild‹«, in: Lange, Claudio (Hg.), Der nackte Feind. Anti-Islam in der romanischen Kunst, Parthas 2004, S. 19-27, S. 26.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

Hassan Taufik: Deutschlandbilder I »Früher brauchten sie [im Westen] uns, um Wissen zu erlangen, nun brauchen wir [im Osten] sie.«1 Hassan Taufik

The West is a career?2 Als Scheich Hassan Taufik3 am 3. Juni 1904 in Cambridge im Alter von 42 Jahren4 plötzlich verstarb, war er im Zentrum der kolonialen Macht angekommen, die ihren Einfluss auf sein Heimatland Ägypten seit mehr als zwei Jahrzehnten ausübte. Hassan Taufik hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als sechs Jahre im europäischen Ausland verbracht, fünf davon in Berlin, auf Reisen durch Deutschland und die Schweiz. Seine Karriere in Europa fand an orientalistischen Instituten statt. Als Lektor für »Aegyptisch-Arabisch« arbeitete er von 1887 bis 1892 am Seminar für Orientalische Sprachen (SOS) in Berlin. In Cambridge war er aufgrund seines frühzeitigen Todes nur für ein knappes Jahr: von 1903 bis 1904.5 Während in England

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Taufiq al-Adl, Hasan: Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi, 1887-1892, Reise nach Berlin, Frohe Nachrichten von der Urlaubsreise durch Deutschland und die Schweiz, hg. v. Abd al-Munim Muhammad Said, Kairo: Dar al-Kutub 2008, S. 30, [arabische Zitation siehe Anhang], nachfolgend zitiert als Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008). In Anlehnung an das Benjamin-Disraeli-Zitat zu Beginn von Edward Saids Orientalism. Die Schreibweise seines Namens orientiert sich an der von Taufik selbst gewählten, wie sie sich zum Beispiel auf Briefbögen und Stempeln finden lässt. Korrekt müsste die Umschrift seines Namens ohne diakritische Zeichen Hasan Taufiq lauten. Vgl. Hassan Taufik an Eduard Sachau: Korrespondenzen. Nachlass Höpp, Kiste 07.01. Vgl. In einem zeitgleich erschienenen Nachruf wird sein Alter mit circa 40 Jahren angegeben, vgl. E. G. B.: »Shaykh Ḥasan Tawfi’q«, in: Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain and Ireland (07/1904), S. 523-529. Taufiq al-Adl, Hasan: Frohe Nachrichten von der Urlaubsreise durch Deutschland und die Schweiz. Die Reise eines Arabers von und nach Berlin, hg. v. Al Jarrah, Nouri, Abu Dhabi: Dar al-Swidi 2005,

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seiner durchaus in Nachrufen gedacht wurde und er dort auch als Akademiker erinnert wird, hinterließ er in Deutschland wenig Spuren. Demgegenüber steht seine Veröffentlichung Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi, 1887-1892, Reise nach Berlin, Frohe Nachrichten von der Urlaubsreise durch Deutschland und die Schweiz, die einen Einblick in das Kaiserreich gibt. Das über 400 Seiten starke Werk umfasst zwei Bücher, die ursprünglich getrennt voneinander erschienen.6 Hassan Taufik, ein ägyptischer, arabischer, muslimischer Mann, bereiste in den Jahren 1887 bis 1892 Deutschland und die Schweiz und dokumentierte, was er sah. Es war eine elitäre Sicht. Taufik hatte an der renommierten Azhar Universität in Kairo und am unter Muhammad Ali daselbst neu gegründeten »Haus der Wissenschaften« (»Dar al-Ulum«) studiert und gehörte somit zur ägyptischen Bildungselite. Er verfasste eine Reihe von Büchern zu unterschiedlichen Themen: Neben einer arabischen Literaturgeschichte gehörten dazu pädagogische, politische und soziologische Abhandlungen.7 In Berlin arbeitete Taufik wie erwähnt am SOS als Lektor für »Aegyptisch-Arabisch« – oder, wie es genauer hieß, für Arabisch »unter besonderer Berücksichtigung des Dialektes für Aegypten«.8 Die Festlegung auf unterschiedliche Landessprachen unter dem Titel Neuarabisch zeugte von einem Richtungswandel in der akademischen Lehre, nämlich von einer Abkehr vom Hocharabischen, das wissenschaftlich interessierte, hin zur praxisorientierten Lehre einer zeitgenössischen Sprache, die Deutsche auf das Leben oder den Einsatz vor Ort, also etwa in arabischsprachigen Regionen, vorbereiten sollte. Welchen Blick hatte Taufik auf das imperiale Deutschland? Wie sehr beeinflussten die kolonialen und orientalistischen Diskurse des späten 19. Jahrhunderts seine Schriften? Welcher Handlungsraum blieb einem »Besucher aus dem Nahen Osten«9 , der mehrere Jahre im Kaiserreich verweilte und einer Arbeit nachging? Diesen Fragen geht das vorliegende Kapitel nach. Timothy Mitchell stellt die These auf, dass der »Orient« in Europa einzig als Ausstellung seiner selbst funktionierte und diese »Welt-als-Ausstellung« durch das »Organisieren des Blicks« Regeln unterworfen war.10 Er führt aus, dass europäi-

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S. 121, [arabische Zitation siehe Anhang], nachfolgend zitiert als Taufiq, Die Reise eines Arabers von Berlin nach Berlin (2005). Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008). Vgl. Al Jarrah, Nouri: »Die Reise eines Arabers von Berlin nach Berlin. Die Reise von Hasan Taufiq al-Adl nach Deutschland und der Schweiz«, in: Fikrun wa Fann 89 (2008), S. 71-75, [arabische Zitation siehe Anhang]. Seminar für Orientalische Sprachen (Hg.): Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen, Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen welche im Wintersemester 1889, 15. Oct.–1890, 15. März im Seminar für Orientalische Sprachen (Berlin C. Am Lustgarten 6) gehalten werden, S. 2. Mitchell, Timothy: »Die Welt als Ausstellung«, in: Conrad, Sebastian, Randeria, Shalini (Hg.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M.: Campus 2002, S. 148-176, S. 154. Ebd., S. 154.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

sche Reisende, die Ägypten im 19. Jahrhundert besuchten, irritiert gewesen seien, dass das, was sie vorgefunden hätten, nicht mit den vorgeprägten Bildern übereingestimmt hätten. Mitchell beschreibt die Versuche, eine Ordnung zu schaffen, die die »externe Realität« als etwas Verständliches, schon Vertrautes zusammenfasste. Auch die Ordnung des »modernen« und »kolonialen« Staates funktioniere dementsprechend, so Mitchell, nach europäischen Vorgaben. Ausgangspunkt seines Arguments ist, dass Europa selbst ebenfalls als Ausstellung funktionierte, als Ordnungsmatrix, an deren Regeln und Vorgaben sich die Welt orientierte. Dies zeichnet er anhand ägyptischer Reisebeschreibungen des späten 19. Jahrhunderts nach, die sich mehrheitlich auf Weltausstellungen oder Orientalistenkongresse bezogen. Schon Jahre vor Mitchells Studie von 1988 hatte Ibrahim Abu Lughod Texte ägyptischer Europareisender des 19. Jahrhunderts als »westernized« beschrieben.11 Reisende trafen auf eine »Maschinerie der Repräsentation«, die jedoch nicht auf ein spezielles Ereignis beschränkt war: »Fast überall, wohin Besucher aus dem Nahen Osten kamen, schienen sie diesem Verfahren zu begegnen, das die Welt als ein zu betrachtendes Ding zurechtmachte.«12 Mitchell hebt bei zeitgenössischen ägyptischen Literaten und Intellektuellen ein hohes Maß an Selbstorientalisierung hervor. Demnach übernahmen arabische Autoren nicht allein orientalistische Ausdrucksweisen, sondern auch eurozentrische, orientalistische Denkweisen. Er nennt zum Beispiel Qasim Amin, der mit seinem Hauptwerk Tahrir alMar’a (Die Befreiung der Frau) orientalistisch-koloniale Diskurse reproduziert habe und die zugeschriebene Unfreiheit ägyptischer/arabischer Frauen unhinterfragt als wesenhaften Bestandteil »orientalischer« Gesellschaften behauptet und dementsprechend auch abgelehnt habe.13 Und auch Taufik erscheint bei Mitchell als Beispiel für die Übertragung und Implementierung orientalistischen Wissens in die ägyptische Gesellschaft.14 Im Folgenden versuche ich Mitchells einseitiges Fazit der Selbstorientalisierung ägyptischer Autoren zu relativieren und zu hinterfragen. Taufik rekurrierte nicht einfach auf das statische Paradigma einer »Welt als Ausstellung«. Er reifizierte zwar bestimmte Modernisierungsvorstellungen, diskutierte sie aber in Teilen auch kritisch. Zudem war seine Realität keine externe und abstrakte, er verwies immer wieder auch – implizit oder explizit – auf die Realitäten seines Her11 12 13

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Abu-Lughod, Ibrahim: Arab Rediscovery of Europe. A Study in Cultural Encounters, Princeton: Princeton University Press 1963. Mitchell, »Die Welt als Ausstellung«, S. 154. Mitchell, Colonizing Egypt, S. 112f. Mitchell bezieht sich auf andere Texte Qasim Amins (zum Beispiel al-Mar’a al-jadida – Die neue Frau). Vgl. zu Qasim Amin: Ahmed, Women and Gender in Islam, S. 155-164. Mitchell, Colonizing Egypt, S. 170. Selbstorientalisierung als affirmativer Akt jüdischer Intellektueller der Zwischenkriegszeit beschreibt Berman, Orientalismus, Kolonialismus und Moderne, S. 343.

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kunftslands. Ich argumentiere darüber hinaus, dass sich neben den Passagen, die als selbstorientalisierend verstanden werden können, immer auch Ausführungen, die darüber hinausgehen und einen gewissen Eigensinn in sich tragen, in Taufiks Schriften finden lassen. Das Werk wird daher einer Lesart unterzogen, die im Sinne von Spivak versucht, über die binäre Gegenüberstellung hinauszugehen und Texte nach dem folgenden Prinzip zu interpretieren: »not only to narrative and counter-narrative but also to the rendering (im)possible of (another) narrative.«15 Die nachfolgenden Abschnitte nehmen aus dieser Perspektive Taufiks Beschreibungen seiner ersten Zeit in Deutschland, von Berliner Museen, vom Alltag in Deutschland sowie seine Gedanken zur Nation in den Blick. Anekdotenhaft stellt Taufik, der über ein nahezu enzyklopädisches Wissen bezüglich der deutschen Geschichte verfügte, das Deutsche Kaiserreich in vielfältigen Facetten als junge Nation dar und seine Aufzeichnungen weisen ihn als gut informierten Kenner der gesellschaftlichen Zusammenhänge und zeitgenössischen Diskurse aus.

Reiserouten nach Deutschland: Repräsentation und Eigensinn Taufik war nicht der erste ägyptische Gelehrte, der eine Reise in Richtung Europa unternahm. Die sogenannten Studienmissionen gehen in ihrer staatlich16 organisierten Form in die Zeit Muhammad Alis (1769-1849) zurück.17 Sie hatten den Anspruch, Ägypten – das zwar seit 1517 eine Provinz des Osmanischen Reichs war, unter Alis Herrschaft (1805-1848) und im Laufe des 19. Jahrhunderts aber immer weitgehendere Autonomie erlangte – vor allem durch technische, aber auch geisteswissenschaftliche Neuerungen voranzubringen.18 Die Reisen, die hochrangige Gelehrte antraten, um das eigene Wissen zu erweitern, brachten eine eigene Gattung innerhalb der arabischen Literatur hervor.19 Die arabischsprachigen Reisenden agierten im 19. Jahrhundert zunehmend im Auftrag nationalstaatlicher Agenden und suchten besonders ab den 1870er Jahren ihr Verhältnis zu Europa neu zu bestimmen – sei es durch Abgrenzung oder durch Nachahmung.20 Auch Taufik erhielt den Auftrag, nach Berlin zu reisen. Er fuhr auf Anweisung des Khediven Taufiq21 und verließ Ägypten mit einer feierlichen 15 16

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Spivak, Gayatri Chakravorty: A Critique of Postcolonial Reason. Toward a History of the Vanishing Present, Cambridge/London: Harvard University Press 1999, S. 6. Es ist umstritten, ob Ägypten zu der Zeit Muhammad Alis als eigenständiger Staat gelten kann, der Auftrag der Studienmissionen lässt sich aber zumindest innerhalb eines protostaatlichen Rahmens verstehen. Abd al-Ghaniy Qasim, Abd al-Hakim: Geschichte der ägyptischen Studienmissionen nach Europa in der Epoche Muhammad Alis, Kairo: Madbuli 2010, [arabische Zitation siehe Anhang]. Vgl. Abu-Lughod, Arab Rediscovery of Europe. Ebd. Ebd., S. 155ff. Taufiq Pascha regierte von 1879 bis 1892 als Khedive, ein Titel, der 1867 eingeführt wurde und Oberhaupt bzw. Fürst bedeutet. Vgl. Rogan, The Arabs, S. 151ff.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

Verabschiedung.22 Tatsächlich positionierte sich Taufik in seinen Schriften explizit in der Tradition arabischer Reisender: All dies, was ich in diesen Ländern und Gebieten sah und was ich Ihnen, meine Herren, in aller Kürze vorgestellt habe, folgt den europäischen Touristen ebenso wie unseren reisenden Vorfahren, den arabischen Touristen, die zu den Ersten gehörten, die das Wissen der Geografie und der Staatengepflogenheiten erweiterten. Ihrem Beispiel, das zu erkunden, was verborgen war, folgten die Europäer, bis sie es selbst schafften, zu entdecken und zu reisen.23 Schon hier wird deutlich, dass Taufik von einer Genealogie der Wissenstradierung ausging, die den »europäischen Touristen« zwar eine zeitgenössisch gleichrangige Position einräumt, die Anfänge des Reisens und Entdeckens aber entschieden den »arabischen Touristen« zuordnet. Ibn Battuta im 14. Jahrhundert und Wazzan al-Fasi (Leo Africanus, gest. circa 1550) im 16. Jahrhundert hatten wesentlich dazu beigetragen, das geografische Wissen über die Welt zu vergrößern.24 Erläuternd nannte Taufik einen der ersten Kartografen, Abu Ishaq al-Istakhri (gest. circa 957), sowie den erwähnten Historiker Leo Africanus. Er vermerkte, dass eine Schrift von al-Istakhri sich in Gotha befinde und Kopien seiner Schriften in Berlin vorhanden seien.25 Er verwies damit auf die europäische Rezeption arabischer Reisender und stellte darüber hinaus fest, dass europäische Geografen grundlegend auf die früheren Schriften arabischer Gelehrter zurückgriffen.26 In dieser Form zeichnete er die Netzwerke der Wissenstradierung und des Wissenstransfers zwischen der arabischen Welt und Europa nach, die über die Jahrhunderte existiert hatten. Hassan Taufiks fast 400 Seiten starkes zweibändiges Werk hatte für arabische Reisebeschreibungen des 19. Jahrhunderts einen außergewöhnlichen Fokus – Reisende wie Faris al-Shidyaq oder Rifaa al-Tahtawi machten vor allem Paris zum Mittelpunkt ihres Interesses, das Deutsche Kaiserreich wurde in den meisten Berichten nur am Rande erwähnt.27 Die meisten arabischen Besucher statteten Berlin 22 23

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Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 28, 30ff. Taufiq, Die Reise eines Arabers von Berlin nach Berlin (2005), S. 105. Wie in der Einleitung bereits erwähnt, sind, wenn nicht anders vermerkt, alle Zitate aus den arabischsprachigen Texten meine Übersetzungen. Vgl. Davis, Natalie Zemon: Trickster Travels. A Sixteenth-Century Muslim Between Worlds, New York: Hill and Wang 2006. Taufiq, Die Reise eines Arabers von Berlin nach Berlin (2005), S. 105. Die zwei Genannten lassen sich als frühe globalgeschichtliche Geografen bezeichnen. Zu Leo Africanus hat besonders Natalie Zemon Davies gearbeitet: Davis, Trickster Travels. Taufiq, Die Reise eines Arabers von Berlin nach Berlin (2005), S. 108f. Euben, Roxanne L.: Journeys to the Other Shore. Muslim and Western Travelers in Search of Knowledge, Princeton/Oxford: Princeton University Press 2006. Vgl. als Überblick: Zolondek, Leon: »Nineteenth-Century Arab Travelers to Europe: Some Observations on their Writings«, in: The Muslim World 61 (01.01.1971), Nr. 1, S. 28-34, und Abu-Lughod, Arab Rediscovery of Europe.

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und anderen deutschen Städten nur kurze Besuche ab.28 Taufik dagegen blieb fünf Jahre in Deutschland. Und in diesem Punkt unterschied er sich von den üblichen Reisenden: Er hatte einen Auftrag, er trat die Reise an, um eine Arbeit anzunehmen, wie im Folgenden geschildert wird. Ziel seiner Reisebeschreibungen sei es, wie er bekundet, den Unterschieden zwischen den »Völkern« nachzugehen.29 Die Resonanz auf arabischsprachige Reisende, die sich in den deutschsprachigen Raum begaben, blieb sowohl zeitgenössisch als auch in der historischen Aufarbeitung rudimentär.30 Dabei bietet Taufiks Bericht umfassende Eindrücke aus seinem fünfjährigen Aufenthalt. Er beginnt mit einer genauen Dokumentation der einzelnen Stationen seiner Reise von Kairo nach Berlin. Am Samstag, den 10. September 1887, fuhr er morgens in Begleitung von Vater und Bruder mit der Vapour, der Dampfeisenbahn, nach Alexandria, wo er von einem hochrangigen Komitee mit einer Feier nach Europa verabschiedet wurde. Der Direktor einer renommierten Schule, der Zeremonienmeister des Khediven und sogar der Khedive selbst gaben ihm alle möglichen Wünsche und natürlich auch Anweisungen für die Fahrt mit. Eine zehntägige Reise begann, entsprechend den zuvor genannten Koordinaten. Am 20. September 1887 kam Hassan Taufik in Berlin an.31 Am Bahnhof wurde er vom Direktor des neu gegründeten Seminars für Orientalische Sprachen, Eduard Sachau, persönlich empfangen und zu seiner Unterkunft gebracht.32 Das Seminar sollte offiziell im Oktober eröffnet werden und Taufik gehörte somit zu den ersten Lektoren, die ihre Landesprache in ihrer zeitgenössisch gesprochenen Form lehrten. Taufik kam in einem »von Ausländern«33 bewohnten Haus unter, das von einer Wirtin geführt wurde. Die »gemischte Schule«34 , wie er das Haus an einer Stelle seines Berichts bezeichnete, da die meisten der darin Wohnenden zum Lernen gekommen waren, war damit auch Treffpunkt für Menschen unterschiedlichster Herkunft. Spätere Korrespondenzen zwischen ihm und dem Direktor des SOS zeugen davon, dass er zwischenzeitlich unzufrieden mit seiner Unterkunft

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Bestes Beispiel hierfür ist Muhammad Amin Fikris Buch Ratgeber des klugen Mannes über die Schönheiten Europas. Fikri widmet Berlin ganze neun Seiten des über 850 Seiten zählenden Werkes, um seinen sechststündigen Aufenthalt in der Stadt zu beschreiben: Fikri, Muhammad Amin: Ratgeber des klugen Mannes über die Schönheiten Europas, Elharam (Kairo): Ein 2008 (1892), S. 831-840, [arabische Zitation siehe Anhang]. Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 27f. Al Jarrah, »Die Reise eines Arabers von Berlin nach Berlin«. Vgl. auch Höpp, Gerhard: »Ein Bild vom anderen: Berlin in arabischen Reisebeschreibungen des 19. Jahrhunderts«, in: Wunsch, Cornelia (Hg.), XXV. Deutscher Orientalistentag, Stuttgart 1994, S. 167-173. Leider ordnet Höpp die drei Werke, die er bespricht – Taufiks Schriften waren ihm nicht zugänglich – als nicht weiterführende Literatur ein und enthebt sie so einer genaueren Analyse. Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 76. Sachau wird nicht namentlich genannt, war aber zu der Zeit Direktor. Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 76. Ebd.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

und vor allem der – wie er in einem Brief vom 3. Dezember 1888 klagt – unangemessenen Miete für das Zimmer war.35 Ihm wurde ein Begleiter an die Seite gestellt, der über ein paar Arabischkenntnisse verfügte und ihn in der Folge durch Berlin führte. Seine von Taufik selbst als Reise deklarierte Zeit in Berlin und Deutschland lässt sich auch als eine Form der Arbeitsmigration fassen, in der sich globale politische Hierarchien niederschlugen. Wie Korrespondenzen belegen, war Taufiks Tätigkeit als Lektor bilateral abgestimmt.36 Die Vereinbarung sah Folgendes vor: Die Kosten für die Hinfahrt trug Ägypten, jene für die Rückfahrt das Deutsche Kaiserreich. Die einzelnen Stationen der Reise über Triest und Wien wurden ebenso festgehalten, inklusive der konsularischen Würdenträger, die für Taufiks Empfang zuständig sein sollten. Das jährliche Gehalt von »3000 Marcs« sollte monatlich im Voraus bezahlt werden: »Son traitement annuel sera fixée à 3000 Marcs, payables d’avance par le Gouvernement de S. M. en termes mensuels.«37 Die Hälfte der Summe musste im Kaiserlichen Deutschen Generalkonsulat in Kairo verwahrt werden. Es war geplant, dass Taufik seinen Posten in Berlin mindestens für drei Jahre zu besetzen habe, die Reichsregierung hatte jedoch jederzeit die Möglichkeit, ihn von seinen Aufgaben zu entbinden. Taufik unterstand der Dienstaufsicht des Direktors des SOS, der zugleich für sein Wohlergehen zuständig sein sollte.38 Suggeriert die Aufteilung der Kosten noch, dass es sich um ein Abkommen zwischen gleichgestellten Partnern handelte, machen die Regelungen zu Vertragsdauer und Weisungsbefugnis deutlich, dass es die deutsche Seite war, die die Bedingungen diktierte. Auch die personelle Organisation des Lehrkörpers am SOS bildete diese Hierarchie ab: In einer Denkschrift aus dem Jahr 1886, vor der Gründung des Seminars von einer Vorbereitungskommission verfasst, heißt es: »Für jede Sprache wird ein mit den Landesverhältnissen und der Landessprache vertrauter deutscher Lehrer bestellt und demselben ein aus den Eingeborenen des Landes entnommener Assistent beigegeben.«39 Hassan Taufik zählte zu den letztgenannten Assistenten – der für ihn zuständige Hochschullehrer war Martin Hartmann. Wie andere arabische oder auch chinesische Lektoren wurde er zwar in den Vorlesungsverzeichnissen 35

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Nachlass Höpp, Kiste 07.01. Schreiben Tigrane Pascha an den deutschen Generalkonsul von Alexandria, Ludwig Aloys von Arco auf Valley vom 10.08.1887. Der Briefwechsel fand zwischen dem deutschen Generalkonsul von Alexandria, Ludwig Aloys von Arco auf Valley, und dem ägyptischen Außenminister Tigrane Pascha statt. Nachlass Höpp, Kiste 07.01, ebd. Nachlass Höpp, Kiste 07.01, ebd. Pugach diskutiert die unterschiedlichen Zahlungen für chinesische, arabische und »sub-saharische« Lektoren und konstatiert, dass letztere am schlechtesten bezahlt wurden. Hassan Taufiks Gehalt lag bei den angegebenen Zahlungen etwa in der Mitte. Vgl. Pugach, Africa in Translation, S. 146f. Nachlass Höpp, Kiste 07.01. Dokument des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten vom 01.10.1887. Sachau, Denkschrift, S. 45.

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namentlich erwähnt, aber seine wissenschaftliche Tätigkeit blieb im Hintergrund. Die Sprachassistenten waren ausschließlich für die Vermittlung von Sprachübungen zuständig und verfügten nicht über den gleichen Status wie ihre deutschen Kollegen.40 Zu guter Letzt heißt es in dem Vertrag, dass Taufik, wenn er mit Professoren und Studenten des Seminars zusammen sei, seine orientalische Tracht zu tragen habe.41 Hier wird die erwähnte »Maschinerie der Repräsentation« deutlich.42 Der Rahmen und die Szenerie sind vorgegeben. Die vereinbarte Kleiderordnung weist darauf hin, dass Taufik nicht allein als Sprachlehrer fungierte, sondern es Teil seines Auftrags war, Vorstellungen vom »Orient« auch visuell zu repräsentieren. Eine »external reality«43 wurde in den Seminarräumen an der Alten Börse am Spreeufer kreiert, dem Standort des Seminars für Orientalische Sprachen zu der Zeit, als Taufik dort unterrichtete. Die Strukturierung des Lehrkörpers und die Visualisierung von Herkunft bildeten eine Seite der Regulierung und Ortszuweisung. Die orientalische Tracht stand im Programm der visuellen Raumzuweisung und war Teil der Verdinglichung und Kommodifizierung seiner Person. Die Eröffnung des SOS am 27. Oktober 1887 wurde breit in der lokalen und überregionalen Presse erwähnt. Und auch in diesem Zusammenhang fiel Taufik auf. Wir erfahren genau, was er an dem Tag um 12 Uhr mittags trug: »Unter den Dozenten befanden sich einige exotische Erscheinungen, so die des Egypters Hasan Taufik im langen blauseidenen Kaftan und weißer Kappe, so die der Chinesen Knei-Liu und Fei-Ching in ihrem Nationalkostüm.«44 Die andere Seite der Reglementierung von Taufiks Alltag war durch zeitgenössische sicherheitsstaatliche Konventionen geprägt. Taufik beschrieb eine für ihn bemerkenswerte Situation wie folgt: Am zweiten Tag meines Aufenthaltes in Berlin kam ein Sicherheitsbeamter der Polizei zu uns. Er war von hoher, breiter Gestalt und fragte mich mit lauter Stimme: »Wer bist du? Aus welchem Land kommst du? Warum bist du hier? Wie alt bist du? Was ist deine Religion?« Er kam mir in dem Moment wie ein Todesengel vor. Ich antwortete ihm und er schrieb alles in ein Heft, das er bei sich trug, und verschwand.45

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Pugach, Africa in Translation, S. 146. Nachlass Höpp, Kiste 07.01, Schreiben Tigrane Pascha an deutschen Generalkonsul von Alexandria. Laut Pugach war Taufik der Einzige, bei dem diese Kleidungsordnung vertraglich festgelegt wurde, siehe Pugach, Africa in Translation, S. 145. Mitchell, »Die Welt als Ausstellung«, S. 154. Mitchell, Colonizing Egypt, S. 21. »Die Eröffnung des Seminars für orientalische Sprachen«, in: Berliner Tageblatt v. 27.10.1887, Nr. 545, S. 3. Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 79.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

Kein anderes europäisches Land habe solch eine Ordnung, bemerkte Taufik. Ihn beeindruckte das System der Polizeiarbeit und die Akribie, mit der der Sicherheitsbeamte seine Daten festhielt – gemeinhin ging es so weit, dass auch das Einkommen, die Arbeitsstelle und weitere persönliche Daten aufgenommen wurden. Er merkte an, dass sowohl Aus- als auch Inländer registriert wurden. Seine Beschreibung wirkt zunächst unkritisch, zumal in Ägypten selbst mit dem »nizam djadid« (»neues System«) ab den 1820er Jahren Reglementierungen eingeführt worden waren, zu denen zumindest für die ländliche Bevölkerung auch ein Passsystem gehörte.46 Er folgerte im Anschluss an die zitierten Überlegungen, so könne selbst ein fehlerhaft adressierter Brief seinen Empfänger erreichen.47 Bemerkenswert ist Taufiks positive Wertung der Kontrolle durch den Beamten, der – wie der Begriff des Todesengels unterstreicht – ihn durchaus eingeschüchtert hatte. Seine Ausführungen zur Begegnung mit dem Polizisten schließen unmittelbar an eine Beschreibung des Besuchs der Berliner »Waffenkammer« an, des Zeughauses, das vornehmlich von jungen Ordnungshütern und Soldaten besucht und bewundert wurde.48 In der Waffenkammer wurde die Wehrhaftigkeit des jungen Staates beschworen und Hassan Taufik reihte sich in die Reihe der durch Berlin wandelnden Ausstellungsbesucher_innen ein. Nach der Waffenschau gelangte Taufik in eine Ausstellung, die er zunächst nicht als eine solche erkannte. Er trat mit einer Gruppe von Menschen in einen Saal ein und sah einen großen Tisch, an dem die »Mitglieder der mächtigen Staaten in ihren prächtigen Uniformen saßen […] und in ihrer Mitte ›Prinz Bismarck‹«.49 Tatsächlich erkannte Taufik erst später, dass es sich um ein Gemälde handelte. Er kommentierte verwundert und amüsiert: Dieses Bild erinnert an jenen Madjlis [Zusammenkunft], der in Berlin zur Unterzeichnung des Berliner Kongresses stattfand. Ich wunderte mich in zweifacher Hinsicht: erstens über die schöne und genaue Darstellung der Personen und Körper und zweitens über ihre Absicht der Darstellung, die Stolz und Prahlerei darüber zeigt, dass ihre Länder das politische Zentrum der europäischen Welt darstellen. Eine Darstellung, die der Erinnerung an diesen Tag dienen soll.50 Die Verwunderung über den Großmachtanspruch des Deutschen Reichs und die leichte Kritik an der Prahlerei gingen einher mit der mehrfachen Betonung, wie wichtig Erinnerung für ein »Volk« sei: Erinnerung an für die deutsche Nation bedeutsame Orte, Ereignisse und Persönlichkeiten, von denen Taufik auch in seinen Reisebeschreibungen berichtete – wie etwa in der mehr als 70 Seiten umfassenden Abhandlung über Bismarck. 46 47 48 49 50

Vgl. Mitchell, Colonizing Egypt, S. 36-41. Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 80. Ebd., S. 79f. Ich danke Dörte Lerp und Susann Lewerenz für den Hinweis. Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 81. Ebd.

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Dies alles kann als unkritische Verwestlichung, als Übernahme westlicher Ideen bzw. europäischer Ordnungskonzepte gelesen werden.51 Jedoch vernachlässigt eine solche Lesart den Handlungsspielraum des Lektors, interessierten Wissenschaftlers sowie verdeckten Nationalisten. Das Prinzip der »Welt als Ausstellung« war kein abgeschlossener Prozess, denn Taufik schaffte es in seinen Texten immer wieder auch, eine Distanz zu dem Beschriebenen einzunehmen. Dies geschah schon durch den dokumentarischen Duktus, in dem er zum Beispiel das Bild vom Berliner Kongress beschrieb. Die von ihm erkannte »Absicht der Darstellung«, sich stolz und prahlerisch als politisches Zentrum Europas zu verstehen, zeigte gleichzeitig die Grenzen dieses Anspruchs auf. Was außerhalb Europas darüber gedacht wurde oder werden sollte, gab Taufik nicht vor. Er verkörperte somit nicht allein den lehrenden »Orientalen«, der – nach orientalistischer Lesart – unkritisch alles übernahm, was ihm präsentiert wurde. Wie im Folgenden gezeigt wird, fügte er explizit oder implizit einige eigensinnige Passagen ein, die verdeutlichen: Er setzte erstens sein Wissen bewusst ein und fungierte nicht willenlos als »native informant«52 , und er übernahm zweitens ein am Westen orientiertes Fortschrittsdenken, zeigte aber ebenso einen kritischen Umgang damit.

Die Welt im Museum – Deutschland als Museum? Keineswegs zurückhaltend, sondern ganz offen drückte sich Hassan Taufiks Kritik am Kaiserreich in seinen Beobachtungen der Berliner Museumslandschaft aus. In der Institution Museum fanden sich im 19. Jahrhundert mit einer deutlich erkennbaren nationalistischen Agenda unterlegte Selbstinszenierungen Deutschlands bzw. der Deutschen. Diese Funktion zeigte sich auch in den Museen, die Taufik während seiner Zeit in Berlin besuchte. Die Entstehung einzelner Sammlungen und Ausstellungen war eng mit Personen verbunden, die reisten, Kulturgüter nach Berlin brachten und wiederum ganze Forschungszweige und Institutionen mit ihren Ideen und Fundstücken prägten. Zunächst wäre hier die Ägyptische Sammlung zu nennen. Carl Richard Lepsius’ Ägyptenexpedition (1842-1845), die erste berühmte Expedition nach Ägypten und Äthiopien im Auftrag Friedrichs IV., begründete die Ägyptische Sammlung.53 Lepsius selbst setzte sich mit Aufbau und

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Vgl. Mitchell, Colonizing Egypt, Abu-Lughod, Arab Rediscovery of Europe. Die Bezeichnung cultural oder auch native informants verweist auf unterschiedliche Perspektiven und die Übernahme kolonialer oder hegemonialer Sichtweisen durch subordinierte oder kolonisierte Personen. Vgl. Pratt, Imperial Eyes, S. 9. Zur Übertragung des Begriffs aus dem Bereich der Ethnologie in philosophische Überlegungen, gemäß denen dem/der »native informant« eine eigenbestimmte Handlungsfähigkeit zuerkannt wird, wenn auch außerhalb »der Geschichte«, vgl. Spivak, A Critique of Postcolonial Reason, S. 5f. Marchand, German Orientalism in the Age of Empire, S. 89. Vgl. die kleinteilige Beschreibung bei: Weitmann, Pascal: Klassische Antike in den Berliner Museen 1797-1930. Exempla für Kunst, Kommerz, Wissenschaft und Weltgeschichtsbild, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2011.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

Konzeption der Ausstellung im Neuen Museum durch.54 Den Grundstock bildeten 1.500 »Aegyptica«, die Lepsius als Schenkung von Muhammad Ali mit nach Berlin brachte.55 Lepsius prägte eine Reihe von Museen und Sammlungen europäischer Metropolen. Der gebürtige Österreicher wurde außerordentlicher Professor für Ägyptologie in Berlin, Leiter des Ägyptischen Museums und war schließlich bis zu seinem Tod Direktor der Königlichen Bibliothek zu Berlin.56 In den 1880er Jahren änderte sich die Ausrichtung der Berliner Museumslandschaft. Trotz Einfuhreinschränkungen wurden die Museumsbestände erweitert. Zur Zeit von Taufiks Aufenthalt in Berlin war das Neue Museum schon mehr als drei Jahrzehnte eröffnet. Die Ägyptische Sammlung – auch Ägyptisches Museum genannt – hatte unter der Ägide von Adolf Ermann, einem Ägyptologen, eine Transformation durchlaufen.57 Dieser systematisierte die Sammlung gemäß den zeitgenössischen Standards des Fachs.58 Das Neue Museum, darin die Skulpturensammlung und das 1886 eröffnete Königliche Museum für Völkerkunde, wurden spätestens ab den 1880er Jahren dem internationalen Trend angepasst, Museen als Orte des Sammelns, Ordnens und Systematisierens von Welt zu verstehen, und bildeten in dieser Funktion imperialistische und nationalistische Denkströmungen ab.59 Taufik urteilte aus seiner eigenen Perspektive über diese systematisierten Anordnungen und Präsentationen. Während er beim Besuch der Skulpturensammlung noch etwas wehleidig die fehlende Referenz zu ägyptischen Persönlichkeiten 54

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Schön in Bezug gesetzt bei Roman, Ines: Exotische Welten – Die Inszenierung Ägyptens in der Sonderausstellung der Berliner Gewerbe-Ausstellung von 1896, unveröff. Magisterarbeit, Westfälische Wilhelms-Universität Münster 2010, S. 20. Ebd., S. 19. Vgl. Wildung, Dietrich: Preussen am Nil, Berlin: G + H Verlag Berlin 2002, S. 38. Zu Lepsius vgl. Hafemann, Ingelore (Hg.): Preußen in Ägypten – Ägypten in Preußen, Berlin: Kulturverlag Kadmos 2010 und ebd. den Artikel von Mehlitz, Harmut: »Richard Lepsius und Ignaz von Olfers. Planung und Gestaltung des neuen Ägyptischen Museums«, in: Hafemann, Ingelore (Hg.), Preußen in Ägypten – Ägypten in Preußen, Berlin: Kulturverlag Kadmos 2010, S. 253-266. Roman, Exotische Welten, S. 21ff. Ebd., S. 19f. Ermann war wiederum auch ein Mahner gegen die zu starke Popularisierung der Ausstellungslandschaften. Wie Ines Roman nachweist, zog jedoch die populärere Variante à la Lepsius, die eine Nähe zum Schaugewerbe und nicht zuletzt zu den »Völkerschauen« aufwies, gegen Ende des Jahrhunderts mehr Publikum an. Roman, Exotische Welten, S. 23. Vgl. zu Ermann: Bernal, Martin: Black Athena. The Afroasiatic Roots of Classical Civilization, New Brunswick: Rutgers University Press 1987 (Bd. 1: The Fabrication of Ancient Greece 1785-1985), S. 262f. Ein schönes Beispiel – wenn auch aus einem anderen Museumsbereich – gibt Kaiser, Katja: »Exploration and exploitation: German colonial botany at the Botanic Garden and Botanical Museum Berlin«, in: Geppert, Dominik (Hg.), Sites of Imperial Memory: Commemorating Colonial Rule in the Nineteenth and Twentieth Centuries, Manchester: Manchester University Press 2015, S. 225-242.

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bemängelte,60 bemerkte er im Neuen Museum, dass es sich bei vielen ägyptischen und griechischen Statuen lediglich um Gipsnachbildungen handelte. Das kann zunächst als Bedauern und als Wunsch nach mehr ägyptischen Objekten in Berliner Museen gelesen werden. Taufiks Beschreibung des Ägyptischen Museums allerdings eröffnet eine gänzlich andere Lesart: Beim Eintritt in die Ägyptische Sammlung beschreibt er die Anordnung von Sarkophagen und mumifizierten Menschen und Tieren und die auf Lepsius zurückgehenden Wandmalereien altägyptischer Bauten, den Pyramiden und der Sphinx, und erinnert dann an ein Gespräch:61 Ein mich dankenswerterweise beauftragter Begleiter fragte im Scherz: »Wie gefallen ihnen ihre Schätze hier bei uns?« Ich antwortete: »Sie sind wunderbar ausgestellt und deuten von ihren Bemühungen um eine angemessene Präsentation. Es freut mich, dass sie bei ihnen sind und sie sich der alten Ägypter erinnern, auch wenn wir eigentlich zuerst einen Anspruch auf sie haben.« Er antwortete: »Warum verbieten sie dann die Ausfuhr aus ihren Ländern? Es wäre besser, wenn wir die Anzahl erhöhen könnten, um die Erinnerung zu vergrößern!« Da sagte ich lachend: »Ja, wenn es sich um wahre Freundschaft handelte, müsste weniger zur Erinnerung Genüge tun.«62 Hier wird offenbar, dass Taufik einen ägyptischen Anspruch auf die Sammlungsstücke geltend machte. Auf der einen Seite sah er Ausstellungsformen, die ihm nicht rechtmäßig erschienen. Auf der anderen Seite formulierte er ein frühes Zeugnis der Provenienzthematik, indem er den erstrangigen ägyptischen Anspruch benannte. Ein weiteres Beispiel deutet zurückhaltend sein Unbehagen gegenüber dem Umgang mit ägyptischen Ausstellungsstücken an. Es handelt sich um ein religiöses Ausstellungsstück. Taufik wurde aufgefordert, die Inschriften auf zwei Felsen zu übersetzen. Er erkannte erst bei näherem Hinsehen, dass es sich bei den Felsen um das Tor einer Moschee und den Raum der Waschung handelte. Seine Verwunderung über dieses Objekt wird aus dem Text deutlich. Er folgte der Aufforderung, wie er selbst schreibt: »Ich las es ihnen vor und übersetzte. So, wie sie es wünschten.«63 Der kleine Zusatz, der betont, dass er mit der Übersetzung einem Wunsch nachkam, verweist auf seine Kritik an den Sammlungen. Taufik konnte die Anordnung an vielen Punkten nicht nachvollziehen und nahm Abstand von dem von ihm Verlangten. 60 61

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Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 77. Vgl. zur Anordnung: Weitmann, Klassische Antike in den Berliner Museen. Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 287. Vgl. Tawfiq al-‘Adl, Hasan: »1887 Die Reise des Herrn Hasan Taufiq al-‘Adl«, in: Savoy, Bénédicte, Sissis, Philippa (Hg.), Die Berliner Museumsinsel: Impressionen internationaler Besucher (1830-1989), Wien u.a.: Böhlau, S. 103-107, S. 105. Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 288. Ebd.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

Die aktuell wieder in Berlin geführte Diskussion zu Provenienzfragen war also bereits im 19. Jahrhundert virulent. 1835 wurde die Ausfuhr von Altertümern in Ägypten verboten; das Verbot wurde in der Praxis aber nur leidlich befolgt. Taufik erwähnte eine Reihe von Kulturgütern, unter anderem Teile des Pergamonaltars, die er im Alten Museum sah und die »sie« – gemeint sind die Deutschen bzw. die Europäer – in Besitz genommen hatten.64 Er erklärte seinem Lesepublikum den Begriff »Antiquitäten« und nannte Beispiele aus Ägypten wie die Sphinx (»Abu Haul«), aus Griechenland und Rom. Weiter führte er umfassend aus, was die Ägypter alles hervorgebracht hätten, vor allem im Bereich der Architektur, und wie wichtig dieses Wissen für die folgenden Kulturen gewesen sei.65 An dieser Stelle führte er das Beispiel Mexikos an, ein Land mit »alter Schrift- und Baukunsttradition«,66 dessen Eroberung und Verwüstung durch die Spanier er scharf kritisierte: »Sie zerbrachen die Statuen und zerstörten die Felsinschriften und zerrissen, was sie an Geschichtsbüchern fanden, die, wären sie erhalten, eines der großartigsten Zeugnisse der Geschichte dieser Länder wären.«67 Die Eroberung Mexikos lag weit zurück, aber er kritisierte an dieser Stelle auch deutlich koloniale Eroberungen und Zerstörungen jüngeren Datums: Als die Europäer zur Besinnung kamen, begannen sie in alle Richtungen nach Altertümern zu forschen und reisten immer mehr. Der Ehrgeiz führte sie, sie wollten Gewinn machen. Sie wechselten Dirhame und Dinare und bauten Firmen in ihren Königreichen dafür auf. Wie spähten sie in allen Himmelsrichtungen unsere Häuser aus! Wir verspotteten sie und hielten sie für leichtsinnig und begierig. Bis sie aus unseren und anderen Ländern unermesslich viel einheimsten, hätten sie gekonnt, sie hätten sogar die Pyramiden mitgenommen. Aber Gott sei es gedankt, seitdem registrieren und verwahren wir die übrigen Altertümer, um es ihnen gleich zu tun.68 Taufik stellte eine Analogie zu Mexiko her, einem Land mit »Schrift- und Baukunsttradition« – und Pyramiden. Damit prangerte er auch den Raub von Gütern aus seinem Heimatland an. Er erläuterte die Anordnung und Systematisierung von Museumssammlungen. Er übernahm diese jedoch nicht unhinterfragt, sondern betonte die eigenen Rechte als Ägypter, dessen Kulturgüter er in Berliner Museen ausgestellt sah. So auch in seiner Beschreibung einer Ausstellung »moderner außereuropäischer Länder und Staaten«, womit er vermutlich das 1886 gegründete

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Königliche Museum für Völkerkunde meinte.69 Er kritisierte die Ausstellungsstücke aus Ägypten und fragte, ob nichts Besseres hätte gefunden werden können, etwas Repräsentativeres.70 Seine Einschätzungen berührten dabei die zeitgenössische Auseinandersetzung über die Einteilung der Museumsexponate in Kunstwerke und kulturelle Artefakte und die dahinterstehende Unterscheidung zwischen dem Feld der Kunst und dem der Völkerkunde, damit aber auch zwischen geschichtsmächtigen Völkern und jenen, denen eine eigenständige historische Entwicklung abgesprochen wurde.71 Bekannte Vertreter der Ethnologie, Anthropologie und Orientalistik, mit denen Taufik vermutlich im Austausch stand, nutzten Museen für ihre Studien. An einer Stelle hob er die Funktion des Museums als Lehrraum hervor und fügte zynisch hinzu, dass einige Lehrer diesen wohl bräuchten, da sie selbst nicht genug im Kopf hätten.72 Taufik beschrieb Untersuchungen an Gehirnen, die zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten vorgenommen worden waren, und verwies auf anthropologische Forschungen zu Körpern und Sprachen. Er war bei einer dieser Untersuchungen dabei, als die Kehlköpfe menschlicher Überreste untersucht wurden, um zu prüfen, wie nah die Sprache der jeweiligen Person am Semitischen war. Bei einem herabgesenkten Kehlkopf, so Taufik, sei die Nähe zum Semitischen virulent und die Sprache damit »erhaben«.73 Er fasste zusammen, dass Archäologen, je nachdem, wie die Körper gebaut gewesen seien, über die Sprache und den Status der untersuchten Personen geurteilt hätten.74 Auf diese Art der Untersuchungen beriefen sich auch Rassenforscher wie der bereits erwähnte Chamberlain,75 aber auch Orientalisten und Anthropologen wie Paul de Lagarde76 oder Felix von Luschan. Auffällig ist, dass Taufik die zuvor genannten Untersuchungen menschlicher Kehlköpfe beschrieb, ohne zu kommentieren. In einer distanzierten Weise hielt er fest, 69 70 71

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Vgl. Kamel, Susan: Wege zur Vermittlung von Religionen in Berliner Museen. Black Kaaba meets White Cube, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004, S. 40ff. Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 289f. Die Ausdifferenzierung der Sammlungen und den damit verbundenen Streit zwischen Kunstwissenschaftler_innen und Ethnolog_innen diskutiert kurz und präzise: Kamel, Wege zur Vermittlung von Religionen in Berliner Museen, S. 40ff. Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 290. Ebd., S. 279. Ebd. Der Kontakt zu von Luschan wird an anderer Stelle in den Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte erwähnt. Vgl. Thode-Arora, Hilke: »Afrika-Völkerschauen in Deutschland«, in: Bechhaus-Gerst, Klein-Arendt, (Hg.), AfrikanerInnen in Deutschland, S. 25-40, S. 30. Hassan Taufik ist identisch mit Hasan Tewfik, der Äußerungen von »Völkerschau«-Teilnehmenden übersetzte. Zu Chamberlains Antisemitismus siehe Marchand, German Orientalism in the Age of Empire, S. 315-321. Zu Lagarde vgl. Palmer, Gesine: »The Case of Paul de Lagarde«, in: Cancik, Hubert, Puschner, Uwe (Hg.), Antisemitismus, Paganismus, Völkische Religion, München: K. G. Saur 2004, S. 37-53.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

welche Parameter die Wissenschaftler festlegten, um Körper zu vermessen und zu kategorisieren. Er erklärte, dass dies der Grund sei, warum »Antikiyyat« (»Altertümer«) gesammelt wurden: um die »Entwicklung der Völker« nachzuweisen.77 Das Museum war die Institution, die die verwissenschaftlichten Formen des Sammelns, Vermessens und Ausstellens vereinte und dieses nach Ordnungsprinzipien präsentierte Wissen wiederum popularisierte und im ausgehenden 19. Jahrhundert auch zunehmend als Spektakel inszenierte.78 Es war das Wissen seiner Zeit, das Taufik in Teilen übernahm und zugleich weiter tradierte. An Stellen, an denen er die ihm präsentierte Zusammenstellung nicht nachvollziehen konnte, kommentierte er sie. Er kritisierte die ihm nicht plausible Ordnung und Auswahl der Ausstellungsstücke und reihte sich damit ein in das »Organisieren des Blicks« (»intizam al-manzar«), wie es von Kritikern bemängelt worden ist79 – jedoch nicht aus der passiven Perspektive der unhinterfragten Selbstorientalisierung heraus. Im Gegenteil, er verwehrte sich gegen eine umfassende Musealisierung des »Orients« und nahm eine eigene Bewertung der zur Schau gestellten Objekte vor.

Alltagsbeschreibungen Beschreibungen von Gepflogenheiten, Traditionen und Verhaltensweisen spielen in Taufiks Reisebeschreibungen eine wichtige Rolle. Diese sind bemerkenswert, denn in ihnen offenbart sich ein offen kritischer Blick auf Europäer_innen als »Andere«, ein Blick, der ägyptische Verhältnisse als Maßstab nahm und sich nicht an orientalistischen oder europäischen Vorgaben orientierte. Dieser Blick drückte sich etwa in unscheinbaren Erklärungen zum sonntäglichen Feiertag in verschiedenen europäischen Ländern aus. Taufik verglich den Sonntag mit dem »Freitag bei uns«, also dem islamischen Feiertag in Ägypten, der für ihn die Norm darstellte.80 Auch in Taufiks offenem Bedenken gegenüber zeitgenössischen Ressentiments im Kaiserreich manifestierte sich sein Eigensinn. Dazu gehört, dass er den jahrhundertelang im deutschsprachigen Raum weitverbreiteten Antijudaismus81 nicht nachvollziehen konnte. Die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zunehmenden Feindseligkeiten gegenüber Jüdinnen und Juden erfuhren mit der deutschen Begriffsprägung »Antisemitismus« eine Systematisierung, die sowohl eng mit der Rassifizierung des Sozialen als auch der Etablierung einer diskriminierenden Ideo-

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Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 279. Vgl. zum Thema Spektakel und Rassismus Hall, Stuart: »Das Spektakel des ›Anderen‹«, in: ders., Ideologie. Identität. Repräsentation. Ausgewählte Schriften 4, Hamburg: Argument 2004, S. 108-166. Mitchell, »Die Welt als Ausstellung«, S. 154. Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 71f. Vgl. Nirenberg, Anti-Judaism.

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logie und Weltanschauung zusammenhing.82 Der Gegensatz zwischen »Semiten« und »Ariern« wurde in dieser Zeit ideologisch begründet und mit biologistischen und sozial definierten Attributen nach Wertigkeiten hierarchisiert. Taufik dokumentierte alltägliche Formen einer »starken Feindschaft« gegenüber Jüdinnen und Juden anhand der Auseinandersetzungen jüdischer und christlicher Händler, die er im Straßenbild in Berlin sah: Man sieht einen jüdischen Händler, der Ware zu niedrigen Preisen verkauft. Sofort wird er neidvoll von einem christlichen Händler unterboten. Es geht so weit, dass die Herzen der Christen eine starke Feindschaft gegen die Juden in sich tragen, eine Feindschaft gegenüber der Religion. Ich kenne einen Laden in Berlin, einen Großhandel, der einem sehr reichen Christen gehört. Dieser schwor sich, dass er nie einen Juden bei sich beschäftigen würde. Man findet bei ihm 300 christliche Bedienstete und Unregelmäßigkeiten in der Buchführung und im Verkauf. Mir kommt gerade in den Sinn, dass diese nie einem Juden etwas verkaufen würden, auch wenn er den doppelten Preis zahlen würde. Mit dieser angeborenen Art zu denken zersetzen sich die Händler gegenseitig.83 Taufik dokumentierte das diffamierende Verhalten christlicher Händler, beschrieb die Feindschaft als religiös konnotiert und verwies in der konkreteren Beschreibung der Unternehmenspolitik eines christlichen Großhändlers darauf, wie grundlegend diese »angeborene[] Art zu denken« sei.84 Dass Taufik mit einer kritischen Distanz seine Umgebung analysierte, zeigt sich auch an anderer Stelle: indem er sein Umfeld charakterisierte. Taufiks Beschreibungen von Europäer_innen ließe sich als Blick zurück interpretieren, als einer, der dem ähnelt, was in Kapitel 1 Deutschlands »Orient« (S. 58) als »colonial gaze« beschrieben worden ist, als von kolonialen Machtasymmetrien geprägter Blick von Europäer_innen auf Nichteuropäer_innen, als minutiöser, auf Körper fokussierter, objektivierender Blick, jedoch in die umgekehrte Richtung.85 Taufiks Beschreibung der Bewohner_innen des Landes, durch das er reiste, liest sich wie folgt: Die meisten Bewohner Deutschlands [Almania] sind dickleibig, haben kräftige Gliedmaßen, weiße Haut, blaue Augen, sehr streng, sie haben unendliche Geduld, scheuen keine Mühe, arbeiten unaufhörlich, machen sich keinen Kopf

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Geulen, Christian: Geschichte des Rassismus, Bonn: Beck 2007, S. 87. Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 270f. Ebd., S. 271. Vgl. Stemmler, Susanne: Topografien des Blicks. Eine Phänomenologie literarischer Orientalismen des 19. Jahrhunderts in Frankreich, Bielefeld: transcript 2004. Vgl. verschiedene Artikel zum Thema des Zurückblickens in vergeschlechtlichen und rassifizierten Machtverhältnissen: Lewis, Reina, Mills, Sara (Hg.): Feminist Postcolonial Theory. A Reader, London/New York: Routledge 2003.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

über das Wohlbefinden [wörtl.: die Körper] der Arbeiter. Und dafür gibt es einen Grund.86 Wie er weiter ausführte, seien es vor allem zwei Einflüsse, die das Wesen und die Gestalt der Deutschen ausmachten: Der erste Einfluss sei »das kalte und heiße Wetter in seinem Wechsel der Winde«, der zweite seien die Anforderungen an den Körper, da »die Umwelt so herausfordernd« sei, müsse der Körper reagieren, »um Essen, Wohnung und das Leben bewältigen zu können«.87 Vielleicht zeigen sich an dieser Stelle die zeitgenössischen Einflüsse der Akklimatisierungsdebatten, die sich zur Zeit von Taufiks Aufenthalt in Deutschland vor allem im Umfeld von Rudolf Virchow um einen biologisch-geografischen Determinismus drehten und in denen diskutiert wurde, wie sehr die im zeitgenössischen Denken neu konstruierten menschlichen »Rassen« mit Fragen der geografischen Lokalisierung zusammenhingen.88 Es ist der bereits zuvor erwähnte rassifizierende Diskurs, der sich mit der Verwissenschaftlichung des Sozialen ausweitete. Die Expansionspläne des Kaiserreichs wurden dahingehend diskutiert, ob seine Bewohner_innen für die unterschiedlichen klimatischen Verhältnisse gewappnet seien. Zu Taufiks Objektivierung der Deutschen passt auch, dass sich in seinem Buch nur wenige Ausführungen zu Reaktionen auf seine Person finden. Diese entlarven zudem nicht etwa ihn, sondern im Gegenteil den europäischen Blick auf ihn als naiv und wenig weltgewandt. So erzählte er, dass er bei einem Auftritt Bismarcks in Berlin, dem die Menge zujubelte, Passanten auffiel, vielleicht aufgrund seines für Berliner Augen ungewohnten Tarbuschs.89 Auf einer Reise in die Gegend von Rüdesheim wiederum besuchte er die Familie eines Friseurs, »einfache Leute«, wie er erklärte, die ihn fragten, ob alle Menschen in Berlin schwarze Augen und Haare hätten.90

Nationen und Nationalismen Ab den 1870er Jahren galt Ägypten als das Zentrum der arabischen Reisenden, die nach Europa aufbrachen.91 Dem Reisen »fi talab al-ilm« (»um Wissen zu erlangen«) unterlag ein Fortschrittsgedanke, der sich jedoch nicht auf affirmative Weise auf den Westen bezog, sondern in dem eine Erzählung über das eigene Land entfaltet wurde, ein nationalistisch-ägyptisches Narrativ.92 Das illustriert eine Begegnung, die Taufik genauer schilderte. Sie spielte sich in jenem »gemischten Haus« ab, in dem er in Berlin lebte: Eines Tages saß Taufik, ein Buch über »Zivilpolitik« lesend, 86 87 88 89 90 91 92

Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 85. Ebd., S. 86. Grosse, Kolonialismus, Eugenik und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland 1850-1918, S. 56f. Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 99f. Taufiq, Die Reise eines Arabers von Berlin nach Berlin (2005), S. 50ff. Abu-Lughod, Arab Rediscovery of Europe, S. 158f. Eisenstadt, S. N.: »Multiple Modernities«, in: Daedalus 129 (2000), Nr. 1, S. 1-29.

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in seinem Zimmer und erhielt Besuch. Mit islamischem Gruß trat ein Mann in sein Zimmer, der ihm seinen Ausweis zeigte: al-Sayyid Karama Hussayn al-Hindi lautete der Name. Der Gast war aus London angereist, um in Berlin politisches Recht zu studieren. Wie sein Beiname »al-Hindi« andeutet, war er aus Indien, genauer dem indischen Bundesstaat Narsangar, nach London geschickt worden. In Berlin beabsichtigte er, die Königliche Bibliothek zu besuchen. Die beiden tauschten sich aus und Taufik führte den Gast herum, half ihm bei der Recherche.93 Gemeinsam untersuchten sie die Unterschiede zwischen »Orient« und »Okzident« (zwischen »Maschriq« und »Maghrib«) und kamen zu dem Schluss, dass allein die Bildung der jungen Menschen im »Orient« »Unwissenheit« (»Djahiliyya«) vermeiden helfen könne und dass sie durch Bildung den Abstand zu ihren Nachbarn im Westen aufholten.94 Diese Anekdote entspricht zunächst linearen Fortschrittserzählungen. Europa habe eine fortschrittliche Lebensweise in seinen Königreichen etabliert und erscheint so auf den ersten Blick als unhinterfragtes Vorbild. Taufik ordnete dieser Darstellung aber auch eine grundlegende ökonomische Kritik der Verhältnisse zu. Selbst wenn in den Herkunftsländern Taufiks und seines Kollegen der Wissensstandard gehoben werde und sie ein ähnliches Niveau erreichten wie die europäischen Länder, werde ihnen das nötige Geld fehlen, um gleichwertig agieren zu können.95 Es offenbaren sich weitere Perspektiven in Hassan Taufiks Überlegungen zum Bildungssystem in Deutschland, wenn sie in einen Zusammenhang mit seinen sprachwissenschaftlichen Schriften gestellt werden. Denn Taufik, der sich mit der Nation als gedanklichem Modell auseinandersetzte und dessen Schriften sich wie Lehrbücher des Nationalismus lesen, betonte neben Symbolen und Erinnerungsgütern insbesondere den Stellenwert der Bildung für eine funktionierende Gesellschaft. Seine Ausführungen zum »berühmten Lehrer Jahn«96 – gemeint war der als »Turnvater Jahn« bekannte Pädagoge Ludwig Jahn – und viele weitere Anekdoten in seinem Werk über die Reisen durch Deutschland und die Schweiz, die unter anderem das deutsche Schulsystem und den unterschiedlichen Zugang von Jungen und Mädchen zu Wissensressourcen aufführen, sind nationalistisch ausgerichtet.97 Die Erinnerung an Jahn war zu der Zeit, als sich Taufik in Berlin aufhielt, schon einseitig auf den militaristischen Kurs gestimmt, wie Wolfgang Hardtwig

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Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 174. Ebd. Ebd., S. 177f. Ebd., S. 251. Vgl. Hardtwig, Wolfgang: »Bürgertum, Staatsymbolik und Staatsbewußtsein im Deutschen Kaiserreich 1871-1914«, in: Geschichte und Gesellschaft 16 (1990), Nr. 3, S. 269-295, S. 283. Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008). Weitere Stellen zum Thema Bildung finden sich auf S. 88ff., S. 154ff., S. 160ff., S. 178f.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

ausführt.98 Seine frühe demokratisch-liberale Fürstenkritik wurde in der weiteren Rezeption zumeist nicht einbezogen. In dem Rekurs auf Jahn bezog sich Taufik auf ihn als denjenigen, der das Schulturnen eingeführt hatte. Aber auch darauf, dass Jahn in strenger Weise seine Schüler die Nationalgeschichte lernen ließ und zum Beispiel bei einer Besichtigung des Brandenburger Tors auf den Raub der Quadriga durch die Franzosen verwies.99 Ob Taufik an dieser Stelle Analogien zum kolonialen Raub von Kulturgütern aus Ägypten herstellen wollte, muss offenbleiben. Taufik gilt bis heute als einer der Gründer der ägyptischen Erziehungswissenschaften.100 Fünf Jahre nach seinem Aufenthalt in Deutschland erschien in einem Kairoer Verlag das erste Heft seiner Untersuchungen über vulgäre Wörter, die er – so sein im Vorwort festgehaltener Anspruch – als Fortsetzungsreihe plante.101 Mit dem Titel Ursprünge der Umgangssprache bot das kleine Buch eine lexikalische Zusammenfassung des gesprochenen Ägyptisch. Das Ägyptische hatte zu jener Zeit in Abgrenzung zum Hocharabischen schon eine nationalsprachliche Ausrichtung.102 An einer Stelle dieses Lehrbuches der Umgangssprache äußerte sich Taufik sehr positiv über die »jungen Leute« der »Nahda«, der Erhebungsbewegung, die in ihrem Bestreben, dem Arabischen eine moderne und nationalbezogene Form zu verleihen, dezidiert nationalstaatliche Agenden verfolgten.103 So liest sich die zuvor geschilderte Begegnung mit al-Hindi in Berlin als ein Austausch, in dem der Gegensatz zwischen »Orient« und »Okzident« lediglich einen Teil der Erzählung bildet. Die Kritik an Europa, das seinen Fortschritt auch nur unter spezifischen Voraussetzungen erreichen konnte, ist der andere Part. Vor dem Hintergrund der britischen Okkupation Ägyptens kann dieses Zusammentreffen auch als ein frühes Zeugnis antikolonialer Haltungen interpretiert werden.104 Die Zusammenkunft mit al-Hindi lässt sich auch als ein Zeugnis von Ende der 1880er

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Vgl. Hardtwig, Wolfgang: »Bürgertum, Staatsymbolik und Staatsbewußtsein im Deutschen Kaiserreich 1871-1914«, S. 283. Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 251. Vgl. Al Jarrah, »Die Reise eines Arabers von Berlin nach Berlin«, S. 71. Taufiq al-Adl, Hasan: Ursprünge der Umgangssprache, Untersuchungen über vulgäre Wörter, Heft 1, Kairo: Matbaat al-Turqi 1899, [arabische Zitation siehe Anhang]. Fahmy, Ziad: Ordinary Egyptians: Creating the Modern Nation through Popular Culture, Stanford: Stanford University Press 2011. Taufiq al-Adl, Ursprünge der Umgangssprache, S. 3. Khaled Fahmy widerlegt den in Teilen der ägyptischen Historiografie vorherrschenden Diskurs, gemäß dem »Mehmed Ali« den Grundstock der ägyptischen Unabhängigkeit legte. Vgl. Fahmy, Khaled: All the Pasha’s men. Mehmed Ali, his army and the making of modern Egypt, Cambridge u.a.: Cambridge University Press 1997.

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Jahre aufkommenden panislamischen und nationalistischen Ideen unter den außereuropäischen Intellektuellen verstehen.105 Hassan Taufiks Ausführungen zeigen, dass die »Welt-als-Ausstellung« funktionierte und gleichzeitig nicht funktionierte. Diese Repräsentationslogik gelang insofern, als sie »einen Mechanismus zur Stiftung von Ordnung und Bedeutung« schuf.106 So folgte Taufik dem Prinzip in einem gewissen Maße, denn weite Teile seiner Reisebeschreibungen lassen sich wie ein Lehrbuch der Nationsbildung lesen, das sich am deutschen Vorbild orientierte. Demgegenüber setzte er eigene Akzente: Während er zum Beispiel den deutschen Polizeistaat durchaus positiv bewertete, kritisierte er den Antijudaismus in breiten Teilen der Bevölkerung. Er wehrte sich gegen bestimmte Formen des Sammelns und Ausstellens, gegen Ordnungen, die ihm nicht nachvollziehbar erschienen. Taufik zeigte selbst, dass er die Europäer, oder genauer die Deutschen, als »Andere« betrachten konnte. Taufiks Buch ist ein Lehrbuch, das eine kritische Erörterung zur Durchführung des nationalistischen Projekts in Ägypten bietet. Es liest sich keineswegs allein als ein Dokument der Selbstorientalisierung oder als eine Kopie des Prinzips der »Welt-als-Ausstellung«. Seine Ausführungen weisen eine Reihe von Bestandsaufnahmen auf, die kritisch auf einzelne Machtverhältnisse reagieren. Zum Beispiel die Analogie zwischen Mexiko und Ägypten, die vor dem Hintergrund des britischen Einflusses in Ägypten auch als Vorläufer antikolonialer Positionen verstanden werden kann. Das nächste Kapitel widmet sich mit Sayyida Salme alias Emily Ruete einer herausragenden Biografie, beginnend in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ihre »Deutschlandbilder« bilden den Anfang einer Familienbiografie, der die Lebensgeschichten zweier ihrer Kinder folgen.

105 Vgl. Mishra, From the Ruins of Empire sowie Aydin, Cemil: »The Question of Orientalism in PanIslamic Thought: The Origins, Content and Legacy of Transnational Muslim Identities«, in: Mazumdar, Sucheta, Kaiwar, Vasant; Labica, Thierry (Hg.), From Orientalism to Postcolonialism. Asia, Europe and the Lineages of Difference, London/New York: Routledge 2009, S. 107-128. 106 Mitchell, »Die Welt als Ausstellung«, S. 150.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

Sayyida Salme/Emily Ruete: Deutschlandbilder II Mit der Kultur scheint auch die Einbildungskraft und bei manchen auch die Überhebung Hand in Hand zu gehen.107 Emily Ruete/Sayyida Salme Einer der zahlreichen Herausgeber von Sayyida Salmes Memoiren einer arabischen Prinzessin listet in seiner Einleitung eine Auswahl von Übersetzungen und Kritiken ihres 1886 erstmals erschienenen Buches auf, um unter anderem über dessen Urheberschaft zu sinnieren.108 Sollte die zu jener Zeit fast 42-jährige Frau, die 1866/67 von Sansibar über Aden nach Hamburg migriert war, allein dazu imstande gewesen sein, ein solches Werk zu verfassen? Die Frage ist exemplarisch für die Rezeption der in unterschiedlichen Sprachen und Textformaten existierenden Erinnerungen, die Salme schon in der Mitte ihres langen Lebens – sie wurde 80 Jahre alt – veröffentlichte. Eine vielschichtige Matrix umgibt ihre Memoiren, in der orientalistische, kolonialistische und androzentrische Textebenen einander überlagern. Eine Frau schrieb Ende des 19. Jahrhunderts ihre Memoiren – das war ungewöhnlich. Eine Frau, die aus einem afrikanischen Land kam und auf Deutsch schrieb, die sich selbst »arabische Prinzessin« nannte und unterschiedliche Herkunftserfahrungen in sich vereinte, diese Frau wurde auf der einen Seite als Versinnbildlichung der »orientalischen Frau« wahrgenommen. Auf der anderen Seite durchbrach sie dieses Bild. Die zweifelnde Frage, ob sie die Memoiren selbst geschrieben habe, kennzeichnet die Schwierigkeiten der unterschiedlichen Kritiker_innen, Salmes Lebenserinnerungen einzuordnen. Kurz nach der deutschen Erstveröffentlichung ihrer Memoiren109 erschienen zwei Ausgaben auf Englisch, im Jahre 1905 folgte die erste auf Französisch. Die zeitgenössischen Kritiken von Salmes Lebenserinnerungen fielen überwiegend negativ aus, die Urteile reichten von »romantisiert« bis »barbarisch«.110 Salme kehrte in ihren Memoiren das Innere nach außen, indem sie Teile ihres privaten Lebens der Öffentlichkeit zugänglich machte. Ihre Biografie und ihre Schriften sind exemplarisch für spezifische Ambivalenzen, die arabische Präsenzen umfingen. Hier

107 Ruete, Emily, geb. Prinzessin Salme von Oman und Sansibar: Briefe nach der Heimat, hg. u. mit e. Nachwort v. Heinz Schneppen, Berlin u.a.: Philo 1999, S. 9. 108 Donzel, E. van: »Introduction«, in: Salme, Sayyida/Ruete, Emily: An Arabian Princess Between Two Worlds. Memoirs, Letters Home, Sequels to the Memoirs. Syrian Customs and Usages, hg. v. E. van Donzel, Leiden u.a.: Brill 1993, S. 1-140, S. 7. 109 Zuerst wurden die Memoiren im Verlag H. Rosenberg 1886 herausgegeben, ab der vierten Auflage dann bei Friedrich Luckhardt. Die hier verwendete ist Ruete, Emily: Memoiren einer arabischen Prinzessin, Berlin: Luckhardt, 1886. 110 Salme, Sayyida/Ruete, Emily: An Arabian Princess Between Two Worlds. S. 6f.

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lassen sich die in der Einleitung dieser Studie genannten Differenzbereiche nachweisen, die nach Homi Bhabha eine fortlaufende Aushandlung und Auseinandersetzung zu gemeinschaftlichen Interessen und kulturellen Werten ausmachen.111 Salme übernahm in ihren Memoiren und in ihren Briefen hegemoniale Perspektiven, die besonders durch orientalistische und kulturalistische Paradigmen geprägt waren. Dies betrifft Passagen der Selbstorientalisierung und kritiklosen Übernahme zeitgenössischer westlicher Narrative. Allerdings weisen ihre Texte auch Passagen auf, in denen sie eben jene hegemonialen Verhältnisse und ihr Umfeld offen kritisierte und aufgrund derer sie einigen Zeitgenoss_innen als politische Zumutung galt.112 Salmes Briefe entstanden im Zeitraum zwischen 1867 und circa 1884 und bieten erweiterte Perspektiven – auch in ihrer fiktionalisierten Fassung – auf ihren Alltag in Deutschland.113 Die Briefe waren an eine oder mehrere unbenannte Empfängerinnen adressiert und lesen sich wie tagebuchähnliche Aufzeichnungen. Im Rahmen dieser Arbeit stellen ihre Schriften vor allem ein frühes Zeugnis arabischer Präsenz und ein seltenes autobiografisches Zeugnis einer Frau dar, die ihre Herkunfts- und Migrationsgeschichte erzählte und Differenzmarkierungen vornahm und diskutierte. Sie bieten im Rahmen dieser Studie nach Hassan Taufiks Reisebeschreibungen die zweite Sicht auf Deutschland im ausgehenden 19. Jahrhundert. Auch ihre Perspektive auf ihr Lebensumfeld ist eine privilegierte. Sie war zum einen mit ihrem Herkunftskontext verbunden – als Prinzessin des omanisch-sansibarischen Herrschaftshauses – und zum anderen gehörte sie auch in Deutschland den gehobenen Schichten an, neben der Heirat mit einem Hamburger Kaufmann sind hier die Kontakte zu Adelskreisen bis hin zu Reichskanzler Bismarck zu nennen. Ihre Texte wurden in einem kolonialen Setting verfasst und beinhalten Gegenüberstellungen: Deutschland–Sansibar, Christentum–Islam, Arabisch–Deutsch und Suaheli–Deutsch. Ihre Memoiren bilden den Anfang einer Familiengeschichte, die sich bis 1933 (und darüber hinaus) nachverfolgen lässt. Ausgehend von der Frage, welche diskursiven und konkreten Grenzen den Lebensweg Salmes prägten, werden diese Ambivalenzen im Folgenden diskutiert. Welche eigensinnigen Sichtweisen lassen sich in ihren Ausführungen finden, die außerhalb des Gegensatzpaares eines kolonialen Narrativs verbleiben, das sich aus Geschichte und Gegengeschichte zusammensetzt? Die Auseinandersetzung mit der Erzählbarkeit ihrer eigenen Anwesenheit, die immer auch eine Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Umfeld bedeutete, wird in ihren Schriften sehr deutlich. Weitere Fragen ergeben sich, wenn ihre Migration im Hinblick auf 111 112

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Bhabha, Die Verortung der Kultur, S. 2. Melman, Billie: »Sayyida Salme/Emily Ruete: An Arabian Princess between Two Worlds: Memoirs, Letters Home, Sequels to the Memoirs, Syrian Customs and Usages by E. Van Donzel«, in: International Journal of Middle East Studies 26 (08/1994), Nr. 3, S. 525-527, S. 526. Ruete, Briefe nach der Heimat. Vgl. »Letters Home«, in: Salme/Ruete, An Arabian Princess Between Two Worlds, S. 407-510.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

Geschlecht diskutiert wird. Wie thematisierte sie ihre Position als Frau innerhalb der unterschiedlichen sie umgebenden Gesellschaften und in welchem Kontext stand diese Selbstpositionierung? Salme rekurrierte in ihren Memoiren auf ihre sansibarische Herkunft und tat dies offensichtlich für ein europäisches bzw. deutsches Publikum. Ihre Argumentation nahm in den entsprechenden Passagen eine auf den ersten Blick vor allem defensive, wenn nicht apologetische Haltung ein, doch auch hier lassen sich Mehrdeutigkeiten finden. Einer kurzen Übersicht über die Stationen ihres Lebens folgt eine Diskussion der Frage nach ihrer Rolle in Bezug auf deutsche kolonialpolitische Planungen, die sowohl Sansibar als auch Deutsch-Ostafrika betrafen. Im Zentrum dieses Unterkapitels steht dann Salmes Auseinandersetzung mit dem imaginären Gegensatzpaar bzw. den diskursiven Hemisphären »Orient und Okzident« im Kontext ihrer Ausführungen zum Deutschen Kaiserreich.

Orte und Zeiten Sayyida Salme wurde im August 1844 auf Sansibar als Tochter des regierenden Sultans Said ibn Sultan und seiner Nebenfrau Jilfidân114 geboren. Die Inselgruppe war 1806 unter die Herrschaft des jungen Said bin Sultan (1791-1856) gelangt, der als Herrscher der omanischen Dynastie Al Bu Said die Auseinandersetzungen mit Wahhabiten und Portugiesen weiterführte und die größte Ausdehnung des omanischen Machteinflusses erreichte.115 Salme verlebte ihre ersten 21 Lebensjahre auf Sansibar und die Beschreibung dieser Zeit nimmt den größeren Teil ihrer Memoiren ein. Sie wuchs in verschiedenen Herrschaftspalästen auf, sprach Arabisch, Suaheli und, wie sie in einigen Briefen angab, auch »Hindustani«.116 Zu ihrem älteren Bruder Majid (Sultan von Sansibar von 1856 bis 1870), in dessen Palast sie ab 1851 mit ihrer Mutter wohnte,117 hatte sie ein enges Verhältnis, sie lernte von ihm Reiten und Jagen. Sie brach einige der vorgegebenen konventionellen Grenzen und beschrieb sich in ihren Memoiren als »wildes, unerfahrenes Mädchen«.118 Neben der Kriegskunst, die sie nach eigenen Worten wie eine Amazone beherrschte, lernte sie heimlich schreiben, was für Mädchen nicht vorgesehen war.119 114

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Jilfidân war eine gebürtige Tscherkessin, die im Kindesalter versklavt wurde und so in den Besitz von Said gelangte. Durch die Geburt von Salme (Salima) erhielt sie ebenso wie ihre Tochter – gemäß der islamischen Rechtsprechung – die formelle Freiheit. Vgl. Said-Ruete, Rudolph: Said bin Sultan (1791-1856), London: Alexander-Ouseley 1929. Salme/Ruete, An Arabian Princess Between Two Worlds, S. 417, 430. Noch andere Sprachen waren ihr vermutlich geläufig: Persisch, Türkisch, Nubisch sowie weitere Sprachen Äthiopiens, ebd., S. 10. Ebd. Ruete, Emily, geb. Prinzessin Salme von Oman und Sansibar: Leben im Sultanspalast. Memoiren aus dem 19. Jahrhundert, hg. und mit einem Nachwort versehen v. Annegret Nippa, Berlin/Wien: Philo 2000, S. 127. Ebd., S. 46f., S. 70.

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Ihre Eltern starben beide, als Salme noch jung war. 1856 wurde Majid nach dem Tod ihres Vater Said ibn Sultan dessen Nachfolger, 1859 starb Salmes Mutter während einer Cholera-Epidemie. Salme galt von da an als mündig und war an unterschiedlichen Machtkämpfen und -intrigen beteiligt. Schon früh wurde sie in solchen Zusammenhängen von ihren Geschwistern für Korrespondenzen und Übersetzungen engagiert, so auch bei einer Revolte durch ihren Bruder Barghash 1859.120 Nach diesen Turbulenzen suchte Salme verstärkt den Kontakt zu auf Sansibar lebenden Europäer_innen. Ein britischer Geistlicher merkte in einem seiner Briefe an, Salme könne ein wenig Englisch und bemühe sich fortwährend, sich zu europäisieren.121 Um 1865 lernte sie den deutschen Kaufmann Rudolph Heinrich Ruete kennen, der für das Hamburger Unternehmen Hansing & Co. und später als Partner von Ruete und Koll auf Sansibar arbeitete.122 Seine Wohnung befand sich gegenüber ihrem Haus und die beiden begannen eine Liebesbeziehung, die dazu führte, dass Salme schwanger wurde und im August 1866 ein britisches Schiff nach Aden bestieg, um dort auf Heinrich Ruete zu warten und ihn zu ehelichen.123 In den meisten Darstellungen ihres Lebens wird diese Abreise als Flucht beschrieben. Auch sie selbst gab an, dass ihre Ehe mit Ruete gesellschaftlich nicht sanktioniert worden wäre.124 Warten musste sie ein dreiviertel Jahr, erst am 30. Mai 1867 ist Heinrichs Ankunft in Aden vermerkt und dies ist gleichzeitig das Datum von Salmes Taufe und ihrer gemeinsamen Hochzeit. Durch ihre Konversion zum Christentum trug sie fortan zwei Namen: den europäisierten und offiziellen, Emily Ruete, und ihren vorherigen, Sayyida Salme, Prinzessin von Oman und Sansibar. Die spätere Sehnsucht nach ihrer Herkunftsreligion deutet auf die innere Zerrissenheit hin, die sie nach dem Wechsel empfunden haben mag. Bezeichnenderweise zählt eine 2009 erschienene Publikation sie zu den ersten Musliminnen, die in Deutschland lebten.125 Nach der Heirat in Aden reisten Heinrich und Emily Ruete über Ägypten 120 Waldschmidt, Julius: Kaiser, Kanzler und Prinzessin. Ein Frauenschicksal zwischen Orient und Okzident, Berlin: trafo 2005. 121 Salme/Ruete, An Arabian Princess Between Two Worlds, S. 12. 122 Ruete, Briefe nach der Heimat, S. 147. 123 Ruete, Memoiren, Bd. 2, S. 142f. 124 Ebd. 125 Diaz, Tink: »Eine Hand voll Sand aus Sansibar. Emily Ruete geb. Salme Prinzessin von Oman und Sansibar (1844-1924)«, in: Bake, Rita (Hg.), Hamburg – Sansibar. Sansibar – Hamburg. Hamburgs Verbindungen zu Ostafrika seit Mitte des 19. Jahrhunderts, Hamburg: Landeszentrale für politische Bildung 2009, S. 20-35, S. 25. Salme gehörte jedoch nicht zu den ersten Musliminnen, wenn die Zwangsmigration muslimischer höfischer Bediensteter in den deutschen Kleinstaaten des 18. Jahrhunderts berücksichtigt wird. Vgl. Quakatz, Manja: »›Gebürtig aus der Türckey‹: Zur Konversion und Zwangstaufe osmanischer Muslime im Alten Reich um 1700«, in: Schmidt-Haberkamp, Barbara (Hg.), Europa und die Türkei im 18. Jahrhundert, Bonn: V&R Unipress Verlag 2011, S. 417-432.

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nach Marseille. Über die Geburt und das kurze Leben ihres ersten Sohnes gibt es nur wenige und widersprüchliche Angaben. Er soll auf ihrer Reise nach Deutschland gestorben sein, wie im Sterberegister des Hamburger Standesamtes am 30. Juni 1867 vermerkt ist, auf der Zugfahrt von Marseille nach Paris.126 1867 schließlich gelangte Emily Ruete nach Hamburg, haderte, wie sie schrieb, mit der Kälte des Nordens und sprach außer von den neuen Eindrücken und ihrer Neugier auch von Furcht und Einsamkeit, die sie in dieser Zeit empfand.127 Sie lebte sich in ihr Leben als bürgerliche Ehefrau ein. Rasch nacheinander wurden die Kinder Antonie Thawka (1868), Rudolph Said (später Rudolph SaidRuete, 1869) und Rosalie Ghuza (1870) geboren.128 Doch im August 1870 starb ihr Ehemann bei einem Pferdetramunfall. Als Witwe und damit alleinerziehend stand sie mit noch geringen Deutschkenntnissen vor großen Herausforderungen, die sie in den folgenden Jahren auf eine Odyssee durch Deutschland führten. Sie verlor Teile ihres Erbes, stieg sozioökonomisch immer weiter ab, bis sie selbst einer Erwerbsarbeit nachgehen musste. In ihren Schriften kontempliert sie über diesen sozialen Abstieg, der Zwang zur Arbeit war für sie eine Zumutung, die sie als nicht standesgemäß betrachtete.129 Um 1872 erhielt sie als Bürgerswitwe zertifiziert, dass sie dem Hamburgischen Staatsbund angehörte und damit als Angehörige des Deutschen Reichs galt.130 Sie zog mit ihren Kindern nach Dresden, nach eigener Aussage, weil es in der sächsischen Hauptstadt günstiger war und sie den Hamburger Kreisen entgehen wollte.131 In Dresden freundete sie sich mit Baronin von Tettau132 an und soll von da an beharrlich versucht haben, ihr noch ausstehendes Erbe von ihrem Bruder, Sultan Barghash, dem regierenden Sultan Sansibars, einzufordern. Ihre finanzielle Situation machte es alsbald notwendig, dass sie erneut den Wohnort wechselte. 1877 zog sie mit den Kindern nach Rudolstadt in Thüringen. Erst hier erfuhren diese von der Herkunft der Mutter, fragten stolz nach ihrem Leben als Prinzessin.133

Schneppen, Heinz: »Nachwort«, in: Ruete, Briefe nach der Heimat, S. 145-190, S. 174. Möglicherweise starb er schon in Aden. Vgl. Waldschmidt, Kaiser, Kanzler und Prinzessin, S. 23. 127 Waldschmidt, Kaiser, Kanzler und Prinzessin, S. 15. 128 Donzel, »Introduction«, S. 1. 129 Ruete, Briefe nach der Heimat, S. 126. 130 Salme/Ruete, An Arabian Princess Between Two Worlds, S. 22 131 Ruete, Briefe nach der Heimat, S. 90. 132 Schneppen, »Nachwort«, S. 159, Fn. 34: »Louise Friederike Ottilie Freifrau von Tettau, Rittergutsbesitzers-Witwe; Schwester des Kgl. Preußischen Kammerherrn Otto Baron von Tettau.« 133 Salme/Ruete, An Arabian Princess Between Two Worlds, S. 44. 126

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Schließlich ging Emily Ruete Ende der 1870er Jahre mit dem Vorhaben, Arabischstunden zu geben, nach Berlin (vgl. Abb. 01).

Abbildung 01: Emily Ruete, Aufnahme um 1880 (bpk-Bildagentur)

Ausführlich beschreibt sie die vielen Versuche, für ihre kleine Familie ein Auskommen zu schaffen, und die vielen Niederlagen, die sie dabei einstecken musste. Schweren Herzens schickte sie ihren elfjährigen Sohn auf eine Kadettenschule in Bensberg bei Köln – eine Option, die sie nur durch Beziehungen erhielt – und zog ihm übergangsweise mit den Töchtern an den Rhein nach.134 1885 fuhr sie das erste Mal nach 19 Jahren zusammen mit ihren Kindern wieder nach Sansibar. Doch trotz eines persönlichen Briefes an Barghash, der ihn vermutlich nie erreichte, schaffte 134

Ruete, Briefe nach der Heimat, S. 161f.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

sie es auch diesmal nicht, sich mit ihm zu versöhnen. Nach dem zweiten Versuch einer Aussöhnung mit ihrem Bruder, den sie mit ihrer Tochter Rosalie 1888 unternahm, kehrte sie Deutschland den Rücken und ließ sich für 25 Jahre in Beirut nieder. Einzelne Besuche in Berlin sind dokumentiert. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg zog die fast 70-Jährige zurück nach Deutschland zu ihrer Tochter Rosalie, die mit General Martin Troemer verheiratet war. Die Troemers lebten zunächst in Bromberg (Bydgoszcz) und später in Jena,135 wo Emily Ruete 1924 verstarb. Ihre Urne wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg neben dem Grab ihres Mannes beigesetzt.136 Sayyida Salmes/Emily Ruetes Leben ist durch mehrere Stationen besonders geprägt: erstens ihre privilegierte Herkunft und die auch nach ihrem Weggang aus Sansibar fortdauernde Auseinandersetzung mit ihrem Bruder, die sie in Deutschland gleichzeitig zum Objekt und zur Akteurin in der deutschen Kolonialpolitik machte, zweitens ihre innere Zerrissenheit oder auch »Heimatlosigkeit«, die ihren Blick auf den vermeintlichen Gegensatz von »Orient« und »Okzident« prägte, und schließlich drittens ihr Leben als arabische Frau und ihr sozialer Status inklusive des sozialen Abstiegs nach dem Tod ihres Mannes, die ihre Erfahrungen und Schilderungen stark beeinflussten.

Die Reichweite des Kolonialen: Sansibar oder eine ganz persönliche Angelegenheit Wie kam es dazu, dass Salme das Interesse sowohl der britischen als auch der deutschen Kolonialpolitik hervorrief? Sie war die Tochter Said ibn Sultans, der zu seiner Zeit über Sansibar und den Oman herrschte, und Schwester des ab 1870 regierenden Sultans von Sansibar, Sultan Barghash. In den Auseinandersetzungen zwischen dem Kaiserreich und Großbritannien wurde sie – zumindest kurzzeitig – für die Kolonialpolitik beider Länder interessant und sie selbst wiederum nutzte deren Versuche, über sie einen exklusiven Zugang zum sansibarischen Herrscherhaus zu erhalten, für ihre eigenen Interessen. Viele Spekulationen rankten sich um Salmes Erbe. Laut Julius Waldschmidt habe sie durch ihren Bruder Majid ihren Erbanteil vor ihrer Abreise aus Sansibar erhalten.137 Nach anderen Versionen – sowohl zeitgenössischen als auch aktuellen – soll sie Sansibar an Bord eines britischen Schiffs heimlich verlassen haben.138 In viele Lesarten spielt hinein, dass 135 136 137

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Ebd., S. 101. Ebd., S. 107. Waldschmidt, Kaiser, Kanzler und Prinzessin, S. 23. Obwohl sowohl Donzel als auch Waldschmidt angeben, Salme habe sich vor ihrer Abreise mit ihrem Bruder versöhnt, sprechen sie von Flucht, vgl. Donzel, »Introduction«, S. 1; Waldschmidt, Kaiser, Kanzler und Prinzessin, S. 22. »Am Familientische. Eine afrikanisch-europäische Liebesgeschichte«, in: Daheim. Ein deutsches Familienblatt mit Illustrationen 7 (1871), Nr. 47, S. 751f., Schneppen, »Nachwort«, S. 147.

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gemäß islamischem Recht eine Person, die sich vom Islam abwendet, ihre Erbansprüche verliert.139 Inwiefern diese Rechtssprechung auch umgesetzt wurde, ist weitaus weniger bekannt. Salme selbst gab in den 1905 verfassten Nachträgen zu ihren Memoiren an, dass sie weiterhin einen Anspruch auf Erbanteile ihrer bis zu dem Zeitpunkt verstorbenen Verwandten, darunter fünf Brüder und fünf Schwestern, habe. Sie schätzte die Höhe auf mehrere Hunderttausend Mark.140 1872 versuchte Salme erstmals, Kontakt zu ihrem Bruder Barghash aufzunehmen, um ihr Erbe ausgezahlt zu bekommen. Mit ihrem Bruder Majid, der bis 1870 Sultan war, schien sie versöhnt gewesen zu sein. Dieser ließ auch Heinrich Ruete noch seine Geschäfte in Sansibar abwickeln,141 sprach sich aber in der Zeit nach dessen Abreise dem englischen Konsul gegenüber offen gegen eine erneute Einreise des deutschen Kaufmanns aus – aus persönlichen Gründen.142 Majid war im selben Jahr wie Salmes Mann gestorben und Barghash hatte das Sultanat übernommen. Über Otto von Bismarck wandte Salme sich an Wilhelm I., aber die deutsche Regierung hatte Anfang der 1870er Jahre noch keine offiziellen kolonialen Ambitionen an der ostafrikanischen Küste. Anders sah es jedoch, wie in Kapitel 1 Deutschlands »Orient« geschildert, im Bereich Handel und Verkehr aus. Hamburger Unternehmen hatten sich schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf Sansibar niedergelassen.143 Sie bildeten eine eigene Fraktion, die ihre speziellen Beziehungen zum Sultan ausbaute und auch später ihre eigenen Interessen sowohl gegenüber der Politik der Regierung als auch gegenüber den ab den 1880er Jahren einsetzenden Aktionen von Kolonialabenteurern und -vereinen behauptete.144 Obwohl Salme über ihren Mann eigentlich Kontakte zu dieser Fraktion gehabt haben müsste, ging sie den höheren Weg über die Regierung des Kaiserreichs. Salme bat jedoch nicht nur die deutsche Regierung um Unterstützung, sondern verfolgte mehrere Strategien. Durch ihren Umzug 1872 nach Dresden und ihre Bekanntschaft mit Baronin von Tettau knüpfte sie Kontakte zu adligen Kreisen, die bis nach England reichten, und rief schließlich das Interesse der Kronprinzessin Victoria hervor, der ältesten Tochter von Queen Victoria. Neben diesen adligen Kontakten wandte sie sich kontinuierlich an das Auswärtige Amt und involvierte sowohl Reichskanzler Bismarck als auch dessen Sohn Herbert, der seit 1873 für das Auswärtige Amt tätig war, in ihre Bemühungen. Über den deutschen Konsul auf Sansibar, Theodor Schultz, versuchte sie, Barghash direkt zu erreichen. Sogar der

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Schneppen, »Nachwort«, S. 169f. Salme/Ruete, An Arabian Princess Between Two Worlds, S. 512. Waldschmidt, Kaiser, Kanzler und Prinzessin, S. 23. Ruete, Briefe nach der Heimat. Vgl. Möhle, »Öl für Harburgs Mühlen«. Brahm, Felix: »Handel und Sklaverei am ›Tor zu Ostafrika‹. Hamburger Kaufleute auf Sansibar, 1844-1890«, in: Bake, Hamburg – Sansibar, S. 45-67.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

ägyptische Khedive Ismail Pascha wurde kontaktiert und schrieb einen Vermittlungsvorschlag an Barghash.145 Das britische Foreign Office schickte diese Korrespondenzen nach Sansibar, inklusive eines weiteren persönlichen Briefes Salmes. Sie erreichten ihren Empfänger jedoch nicht. Es blieb dabei, Barghash weigerte sich, seiner Schwester irgendeine Unterstützung zu geben.146 Bis hierhin funktioniert das sowohl in den Quellen als auch von Salme konstruierte und entsprechend rezipierte Bild, das ihre privaten Belange zu einem öffentlichen Interesse im Rahmen der deutschen Kolonialpolitik stilisierte. Das heißt auch, ihre eigene Handlungskompetenz auf die Rückgewinnung ihres Erbes zu reduzieren. Denn für den Zeitraum von 1872 bis 1888 spiegeln ihre Reisen den langsamen Aufbau der Einflusssphären in der ab 1885 zunächst mit einem Schutzbrief gegründeten Kolonie Deutsch-Ostafrika wider.147 An einer Stelle ihrer Memoiren gibt Salme selbst eine Einschätzung darüber ab, welche Rolle sie gehabt haben mag. Als sie 1875 erfuhr, dass ihr Bruder eine Reise nach London plante, quartierte sie sich ebenfalls in der Hauptstadt des Empire ein und lernte für diesen Aufenthalt extra Englisch. Ohne Erfolg, denn während Salme weiterhin Unterstützung von adligen Kreisen erhielt, setzte das Foreign Office alles daran, ein Treffen der beiden Geschwister zu unterbinden.148 In ihren Memoiren reflektierte Salme, welche Motive der britischen Regierung dabei eine Rolle gespielt haben könnten: Nachträglich ist es mir genauer bekannt geworden, warum man in London gerade damals es sehr ungern gesehen hätte, wenn die von mir so heiß ersehnte Versöhnung mit meinem Bruder zustande gekommen wäre. Da der Sultan weder einer europäischen Sprache mächtig ist, noch sich auf die Raffiniertheiten der europäischen Diplomatie versteht, so wünschten die Engländer nur zu gern, ihn in dieser vollständigen Unkenntnis zu belassen, damit er nicht noch zuguterletzt bei der Unterzeichnung gewisser Traktate Schwierigkeiten mache. Und falls ich mich mit ihm wirklich versöhnte, nahmen sie an, daß ich ihm mit meiner immerhin etwas größeren Kenntnis europäischer Dinge vielleicht über dies und jenes eine Auskunft würde erteilen können, welche für ihn und Sansibar allerdings vorteilhaft, desto mehr aber den Wünschen der englischen Regierung zuwider sein würde. Ich war also, ohne es zu ahnen, einfach das Opfer dieser »humanen« Politik geworden.149

145 Donzel, »Introduction«, S. 38f. 146 Ebd., S. 36. 147 Pesek beschreibt Sansibar als Ausgangspunkt der deutschen Einflussnahme. Pesek, »Islam und Politik in Deutsch-Ostafrika«, S. 102. 148 Donzel, »Introduction«, S. 40f. 149 Ruete, Leben im Sultanspalast, S. 246.

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Salmes Blick auf die britische Kolonialpolitik war kritisch, den ab den 1880er Jahren zunehmenden deutschen Kolonialplänen stand sie jedoch zunächst positiv gegenüber oder versuchte zumindest, sie für ihre Interessen zu nutzen. Enttäuscht kehrte sie aus London nach Deutschland zurück und es sollte zehn Jahre dauern, bis sie einen erneuten Versuch wagte, an ihren Bruder heranzutreten. Diesmal hatten sich die geopolitischen Vorzeichen verändert. Schon 1883 richtete sie ein Schreiben an Barghash, in dem sie für die deutschen Interessen warb und ihm nahelegte, mit dem Kaiserreich zusammenzuarbeiten. Sie bot sich selbst als Ratgeberin an und teilte ihm mit, wie sehr sie und ihre Kinder von den europäischen Königshäusern geehrt würden. 1885 erhielt sie schließlich die Mitteilung vom Auswärtigen Amt, sie solle sich binnen weniger Tage zur Abreise nach Sansibar bereithalten.150 Ihre verwandtschaftliche Nähe zum Sansibarischen Herrschaftshaus wurde von deutscher Seite aus als Vorteil eingestuft. Auch ihr Sohn (Rudolph) Said151 konnte, dieser Sicht entsprechend, als potenzieller männlicher Nachfolger des Sultans Berücksichtigung finden. Bismarck wies Admiral Knorr, den Befehlshaber des Geschwaders, das nach Sansibar vordringen sollte, ohne Salmes Wissen an, dass der Junge in der Auseinandersetzung seinen Anspruch als Thronerbe geltend machen könne, sollte es zu Unstimmigkeiten mit Barghash kommen.152 Im Juli 1885 reiste Salme gemeinsam mit ihren Kindern inkognito über Korfu, Alexandria und nach einem Wechsel in Port Said von Ägypten aus mit einem Schiff des »ostafrikanischen Geschwaders«, der Adler, nach Sansibar.153 In der Schilderung dieser Passage in ihren Memoiren klärte sie ihr deutsches Lesepublikum nebenbei über den Hass der Ägypter auf die Briten auf, die Alexandria in Trümmer gebombt hatten – »ein Denkmal englischer ›Humanität‹«, wie sie sarkastisch anfügte.154 Die Adler lag einige Tage vor Sansibar, bis die restlichen Schiffe des deutschen Geschwaders eintrafen. Während Salme auf eine deutsche Unterstützung baute und hoffte, die noch ausstehenden Teile ihres Erbes einzufordern zu können, war die Bereitschaft des Reichskanzlers, sie dabei zu unterstützen, außenpolitisch motiviert. Bismarck musste auf einen Zusammenschluss von Kolonialenthusiasten und deren expansive Unternehmungen an der ostafrikanischen Küste reagieren. Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft (DOAG) unter Carl Peters hatte sogenannte Schutzverträge mit lokalen Herrschern von der Küste geschlossen und so dem Sultan von Sansibar Teile seines Machtgebietes streitig gemacht.155 Weitere Interessen

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Ruete, Memoiren, Bd. 2, S. 158. Zu der Zeit war Said der Rufname. Waldschmidt, Kaiser, Kanzler und Prinzessin, S. 60. Ruete, Memoiren, Bd. 2, S. 162. Ruete, Leben im Sultanspalast, S. 249f. Brahm, »Handel und Sklaverei am ›Tor zu Ostafrika‹«, S. 61.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

wurden durch die bereits erwähnten deutschen Handelsniederlassungen formuliert. Dies widersprach zunächst der offiziellen Linie des Auswärtigen Amtes. Im Reichstag wurde eine Debatte über die »Ostafrikanische Vorlage«, speziell über das »Gesetz betreffend Bekämpfung des Sklavenhandels und Schutz der deutschen Interessen in Ostafrika«, geführt.156 Bismarck legte die unterschiedlichen Anliegen in der Reichstagsdebatte dar und ordnete die deutsche politische Zielsetzung den seit der Berliner Kongo-Konferenz von 1884/85 erklärten gemeinsamen Erklärungen Frankreichs und Englands zu, »an der Zivilisierung und Christianisierung dieses großen Weltteils Anteil zu nehmen«.157 Das vielfach beschriebene europäische Machtgefüge, das sich in der Auseinandersetzung um Sansibar und die Ostküste Afrikas widerspiegelte, musste aus Bismarcks Sicht ausgeglichen werden und sein Handeln orientierte sich vor allem an einem Auskommen mit England. Nachdem Sultan Barghash eingewilligt hatte, die deutschen Annexionen an der Küste anzuerkennen, verlor auch der Einsatz für Sayyida Salmes Belange an strategischer Bedeutung.158 Ein Telegramm aus Berlin machte es deutlich: »Mit den Erfolgen sehr zufrieden. Frau Rütes Angelegenheit völlige Privatsache, darf unsere Beziehungen zum Sultan nicht infrage stellen.«159 Das geplante Machtspiel beinhaltete, mit dem Sultan auszukommen, und keine weiteren möglichen Differenzen aufkommen zu lassen. Unverrichteter Dinge reiste Salme im Oktober 1885 mit ihren Kindern wieder ab. Das letzte Kapitel ihrer Memoiren, in dem sie diese Reise beschreibt, endet mit einer Kritik am britischen Konsul auf Sansibar und an Barghash, der aus ihrer Sicht nur in unwichtigen Fragen entscheide, während Ersterer die eigentlichen Regierungsgeschäfte führe.160 Admiral Knorr und der deutsche Konsul sollten sich weiter für ihr Erbe einsetzen. Barghash übergab den Deutschen eine Geldsumme, die Salme jedoch als zu gering ablehnte und die von da an im Auswärtigen Amt lagerte.161 Drei Jahre später fuhr Salme erneut nach Sansibar, diesmal gegen den Willen der deutschen Regierung und nur in Begleitung ihrer Tochter Rosalie. Inzwischen war Barghash verstorben und der gemeinsame Bruder Khalifa hatte seinen Platz eingenommen, aber auch dieser weigerte sich, Salme zu empfangen. Und auch »[s]eitens der deutschen Colonie wurden ihr von Anfang an wenig Sympathien

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»26. Januar. (Reichstag: Ostafrikanische Vorlage.)«, in: Delbrück, Ernst (Hg.), Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender, Verlag der C.H. Beck’schen Buchhandlung 1887, S. 13-24, besonders S. 13. 157 Ebd., S. 21. 158 Ruete, Briefe nach der Heimat, S. 179. 159 Donzel, E. van: »Sayyida Salme, Rudolph Said-Ruete und die deutsche Kolonialpolitik«, in: Die Welt des Islams 27 (1987), Nr. 1/3, S. 13-22, S. 21, Fn. 28. 160 Ruete, Leben im Sultanspalast, S. 263. 161 Waldschmidt, Kaiser, Kanzler und Prinzessin, S. 77.

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entgegengebracht«162 . Sie ließ dennoch nichts unversucht und wandte sich Anfang Juli 1888 erneut an das deutsche Staatsoberhaupt, an Wilhelm II., der kurz zuvor den Thron seines Vaters, Friedrich III., übernommen hatte.163 Sie bezeichnete sich selbst als Christin und deutsche Staatsbürgerin, klagte jedoch, es mangle gerade vonseiten der Kirche und des Reichs an Unterstützung.164 Ohne irgendetwas für sich und ihre Familie erreicht zu haben, verließ sie Deutschland im November enttäuscht. Zunächst ließ sie sich in Jaffa nieder, später in Beirut und klagte in Briefen an ihre Kinder: »Ich habe keine Heimat mehr auf dieser Erde.«165 In ihren Memoiren ging Salme nach einem Hohelied auf ihre Unterstützung deutscher Kolonialunternehmungen quasi im Nachsatz auf die Ostafrikanische Gesellschaft166 ein, über die sie in der Bevölkerung Sansibars nichts Gutes hörte, und fragte: Es liegt mir fern, dem noch so jungen Unternehmen irgend einen Vorwurf zu machen, wo doch die meisten Vertreter desselben den dortigen Verhältnissen völlig fremd gegenüberstehen und an Jahren wie an Erfahrungen nicht reich sind. Aber weshalb schickt man denn keine bewanderten und erfahrenen Leute hin, welche etwas mehr verstehen?167 In der zitierten Aussage sprach sie den deutschen Akteuren in Sansibar ihre Kompetenzen ab und erhob sich mit dieser Einschätzung über sie. Salme war kein Spielball der deutschen Kolonialpolitik.168 Ihre eigene Handlungsfähigkeit wird an dieser Stelle deutlich, ihr eigenes Sich-Einschreiben in den kolonialen Diskurs, indem sie die Deutungsmacht für sich beanspruchte.169 Auf mehrere der Themen, die Grenzmarkierungen bilden, wird im Folgenden genauer eingegangen: auf den konstatierten Gegensatz zwischen »Orient« und »Okzident« und die Rolle der Frau sowie auf ihre arabische Herkunft und ihre Auseinandersetzungen damit in Deutschland.

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Zanzibar National Archives (ZNA), zitiert nach Schneppen, »Nachwort«, S. 185. Schneppen, »Nachwort«, S. 184. Ebd. Ebd., S. 186. Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft wurde zunächst von Carl Peters als Gesellschaft für deutsche Kolonisation gegründet und 1888 in Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft umbenannt. Vgl. »Deutsch-ostafrikanische Gesellschaft«, in: Schnee, Heinrich (Hg.), Deutsches Kolonial-Lexikon, Leipzig: Quelle & Meyer 1920, Bd. 1, S. 408f. 167 Ruete, Memoiren, Bd. 2, S. 188. Die Kritik richtete sich höchstwahrscheinlich auch gegen Carl Peters selbst. 168 Häufig behauptet unter anderem von Donzel, »Sayyida Salme, Rudolph Said-Ruete und die deutsche Kolonialpolitik«, S. 21, sowie Waldschmidt, Kaiser, Kanzler und Prinzessin, S. 60. 169 Waldschmidt zitiert und interpretiert die Zusammenhänge anders und zitiert eine Stelle aus den Memoiren, nach der Salme es von sich wies, ihren eigenen Interessen nachgegangen zu sein. Vgl. Waldschmidt, Kaiser, Kanzler und Prinzessin, S. 51.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

»Orient und Okzident« In der ersten Ausgabe ihrer Memoiren von 1886 gab Sayyida Salme an, sie habe sie primär für ihre Kinder geschrieben, da sie nicht wusste, ob sie lang genug leben würde, um diese über ihre Herkunft aufzuklären.170 In der zwei Jahre später veröffentlichten englischen Edition wichen die Angaben über ihre Motive dann von denen in der deutschen Ausgabe ab, versprach Salme nun doch, den Schleier über verborgenen Dingen zu heben und ihre »oriental experiences« mitzuteilen. All dies mit dem Anspruch, »in removing many misconceptions and distortions current about the East«171 . Sie tat dies, indem sie sich auf die Wahrnehmungen ihres europäischen Publikums einließ und eine Vielzahl von Perspektiven übernahm, mit denen sie sich selbst orientalisierte oder als »unzivilisiert« beschrieb. Ihre Lebensbeschreibungen lassen sich mit Louise Pratt als »autoethnography« bezeichnen,172 in der sie sich mit den Diskursen der Kolonisierenden auseinandersetzte. Sie übernahm eine Reihe von Sichtweisen, um an anderer Stelle die eigenen Beobachtungen bezüglich ihres Umfelds in Deutschland kritisch zu formulieren. Besonders in ihren Briefe[n] nach der Heimat wird dies deutlich, die vermutlich an eine fiktive Person gerichtet waren und tagebuchähnlich ihre persönlichen Erfahrungen in Deutschland dokumentieren.173 Sie lassen sich auch – obwohl zeitlich vor ihren Memoiren verfasst – als ergänzender Kommentar zu diesen lesen. Ihre Ausführungen spiegeln zeitgenössische Diskurse zu kolonialen und orientalistischen Themen wider. Die Teile, in denen sie ihre ersten Eindrücke schildert, besonders jene aus ihren ersten Tagen in Hamburg, lassen sich wiederum als eine Ethnografie der Metropole lesen. In ihren Memoiren handelt Salme in einer Reihe von Kapiteln »Sitten und Gebräuche« auf Sansibar ab und kommt zunächst »zur wichtigsten aller dieser Fragen, zur Darstellung der Stellung der Frau im Orient«.174 Diese kleine Anmerkung ist bezeichnend für die Einsichten Salmes, die europäische Perzeptionen der »arabischen Frau« kritisierte und auf die Oberflächlichkeit verwies, mit der Reisende in arabischen Ländern diese wahrnahmen: Der Orient ist eben trotz der erleichterten Verbindungen noch viel zu sehr das alte Fabelland und über ihn darf man ungestraft erzählen, was man will. Da geht ein Tourist auf einige Wochen nach Konstantinopel, nach Syrien, Aegypten, Tunis oder Marokko und schreibt dann ein dickleibiges Buch über Leben, Sitten und 170 Salme, Memoiren, Bd.1, Vorwort, o. S. 171 Salme/Ruete, An Arabian Princess Between Two Worlds, S. 405, Fn. 98. 172 Melman, »Sayyida Salme/Emily Ruete«, S. 527. Vgl. Pratt, Imperial Eyes, S. 9: »This term […] refers to instances in which colonized subjects undertake to represent themselves in ways that engage with the colonizer’s terms.« 173 Vgl. Donzel, »Introduction«, S. 4. Schneppen: »Einleitung«, in: Ruete, Briefe nach der Heimat, S. 7-8, S. 7. 174 Ruete, Memoiren, Bd. 1, S. 179ff.

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Gebräuche im Orient. Er selbst kann nur wenig Aeußerliches sehen und niemals in das wirkliche Familienleben einen tieferen Blick thun. […] Wenn sein Buch nur amüsant und interessant geschrieben ist, so wird es sicher mehr gelesen, als wahrheitsliebendere, die weniger Pikantes bieten, und beherrscht dann das Urtheil der großen Menge.175 Treffsicher kritisierte sie die Repräsentationsmechanismen, die das zeitgenössische Bild des »Orients« schufen. Sie gestand dabei ein, dass auch sie sich zuerst habe »blenden« lassen, als sie nach Deutschland kam, und zwar von der vermeintlich heilen und geregelten Welt europäischer Ehen, »die aber in Wirklichkeit nur den Zweck zu haben schienen, den beiden aneinander Gefesselten bereits in dieser Welt höllische Qualen zu bereiten«.176 Sie erklärte, die Zurückgezogenheit der arabischen Frauen sei nicht mit Schwäche und Rechtlosigkeit zu verwechseln, und betonte, dass das Maß an Verschleierung und Abgeschirmtheit ein Zeichen des Ranges sei, je weniger eine Frau für die Öffentlichkeit sichtbar sei, desto höher ihre gesellschaftliche Stellung.177 Salme rekurrierte auf die Vorurteile, die ihr gegenüber geäußert wurden, und verglich europäische und arabische Frauen. Sie wies das in Deutschland weitverbreitete Mitleid mit letzteren von sich und stellte sowohl die Verschleierung als auch die knappe Bekleidung einer »Dame im Ballkostüm« als Übertreibung dar.178 Salme äußerte sich zu diesen Themen zu einer Zeit, in der die Rolle der Frau in der metropolitanen Gesellschaft in Deutschland rege verhandelt wurde. Der 1865 gegründete Allgemeine Deutsche Frauenverein (ADF)179 forderte den Zugang von Mädchen zu (höherer) Bildung und – mit Einschränkungen – den Zugang von Frauen zur Erwerbstätigkeit. Gleichzeitig kam es zur verstärkten Anwerbung von Frauen für die Kolonien und über diesen Einsatz wurden zunehmend Themen verhandelt, deren Durchsetzung wiederum innerhalb der Metropole verfolgt wurde.180 Die Kolonialaktivistin Frieda von Bülow, die Carl Peters nach Ostafrika folgte und in ihren Schriften emanzipatorische Ziele mit rassistischen, deutschnationalen und antisemitischen Positionen unterlegte, warb für das Leben in den Kolonien und daselbst besonders für die Krankenpflege. In ihren nur zwei Jahre nach Sal-

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Ebd., S. 179f. Ebd., S. 181. Ebd., S. 182. Ebd., S. 183. Dietrich, Weiße Weiblichkeiten, S. 78. Vgl. Walgenbach, »Die weiße Frau«, Dietrich, Weiße Weiblichkeiten sowie Wildenthal, German Women for Empire. Vgl. auch: Kundrus, Birthe: Die imperialistischen Frauenverbände des Kaiserreichs. Koloniale Phantasie- und Realgeschichte im Verein, Working Paper 3, Basel: Basler AfrikaBibliographien, 2005.

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mes Memoiren erschienen Reisescizzen und Tagebuchblättern aus Deutsch-Ostafrika181 erwähnte sie »Frau Ruete, ›Bibi Salime‹«, um zu konstatieren, dass diese schon genug über den Harem geschrieben habe.182 An anderer Stelle nutzte sie das Haremsbeispiel, um sich abzugrenzen: Dem Menschenmann allein beliebte es, zu dem Weibe zu sagen: Du sollst Weibchen sein und weiter nichts. Diesen Grundsatz hat der Mann allerdings nur im Orient konsequent durchgeführt, wo die Weibchen, in den Harems verborgen, einzig ihrer Körperpflege leben. Soll die Frau wirklich nichts als Weibchen sein, so ist die Haremseinrichtung der Orientalen und ihre Vielweiberei, die jede Frau zeitig zur Ausübung ihres Berufes führt, zweifellos die einzig taugliche.183 Salme wiederum versuchte das arabische Leben in ihren Memoiren so zu erklären, dass ein europäisches Lesepublikum es nachvollziehen und achten konnte. Sie begab sich damit genau in die Auseinandersetzung zwischen Geschichte und Gegengeschichte. Und kritisierte die Logiken des kolonialen Diskurses, die das Verhalten von Frauen mit kulturellen Codes und ihrer Funktion verbanden. Leila Ahmed bringt diese Zusammenhänge auf den Punkt: The idea (which still often informs discussions about women in Arab and Muslim cultures and other non-Western world cultures) that improving the status of women entails abandoning native customs was the product of a particular historical moment and was constructed by an androcentric colonial establishment committed to male dominance in the service of particular political ends.184 Salmes Kritik war bestimmt und ambivalent. Dies zeigte sich zum Beispiel an ihrem Umgang mit dem Thema »Polygamie«, die ihrer Meinung nach de facto kaum praktiziert wurde, da sie zu kostspielig oder zu anstrengend für die Männer sei. Auf ihre eigene familiäre Herkunft und damit auf die vielen Frauen, die ihr Vater hatte, kam sie in diesem Zusammenhang nicht zu sprechen. In einer polemischen Gegenüberstellung von Christentum und Islam resümierte sie: Mir möchte fast als der einzige Unterschied in der Lage einer orientalischen und einer europäischen Frau erscheinen, daß die Erstere die Zahl und wohl auch das Wesen und den Charakter ihrer Nebenbuhlerinnen kennt, während die Letztere hierüber in liebevoller Unkenntnis gehalten wird.185

Bülow, Frieda Freiin von: Reisescizzen und Tagebuchblätter aus Deutsch-Ostafrika, Berlin: Walther & Apolant 1889. 182 Ebd., S. 61. 183 Bülow, Frieda Freiin von: »Das Weib in seiner Geschlechtsindividualität«, in: Die Zukunft 18 (27.03.1897), S. 596-601, S. 600. 184 Ahmed, Women and Gender in Islam, besonders S. 165. 185 Ruete, Memoiren, Bd. 1, S. 185. 181

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Gleichzeitig betonte sie die Eigenständigkeit arabischer Frauen, besonders in der Verwaltung ihrer eigenen Güter, aber auch am Beispiel ihrer Tante Asche, die stellvertretend für Salmes Vater Said einige Jahre die Regierungsgeschäfte in Sansibar leitete, als er noch zu jung war.186

Arabischsein Salme verteidigte das Leben auf Sansibar, das sich – mit wenigen Ausnahmen – auf die gesamte »mohammedanische Welt« übertragen lasse.187 Die Stellung der Frau war ein Oberthema, ein weiteres war ihre von ihr selbst hochgeschätzte arabische Herkunft. In diesem Zusammenhang grenzte sie sich insbesondere von Schwarzen Personen ab. Sie beschrieb das System der Sklaverei auf Sansibar, das sie als lebensnotwendig verteidigte, und reproduzierte anhand von Beispielen rassistische Zuschreibungen gegen Schwarze Menschen wie ihre vermeintliche Infantilität oder ihre mangelnde Bildungsfähigkeit.188 Diese rassistischen Paradigmen fanden sich auch schon in ihren Erläuterungen der Machtverhältnisse in einem Harem. In ihnen beschrieb sie die Einteilung in »Rassen« und nach Hautfarben, sie erklärte, dass sich die tscherkessischen versklavten Frauen ihrer Schönheit bewusst waren, besonders gegenüber den abessinischen versklavten Frauen.189 In ihren Briefen wurde deutlich, wem gegenüber sie sich rechtfertigte: Es ist doch verwunderlich, mit welch geringer Objektivität man in Europa über die Sklaverei urteilt. Viele sentimentale Naturen – und in dieser Richtung wird oft ganz Unglaubliches geleistet – stellen, wie mir scheint, das Sklavenhalten und die Menschenfresserei fast auf die gleiche Stufe. Dabei sind sie meist so kurzsichtig, daß man unwillkürlich an die biblische Geschichte vom Balken und Splitter erinnert wird. Als ob unsere Feld- und Haussklaven sich nur die Hälfte so anzustrengen brauchten wie die sogenannten freien Menschen bei der Berg- und Fabrikarbeit in Europa! Dabei darf man auch die allgemeine Wehrpflicht, welche in ganz Europa – mit Ausnahme von England – herrscht und die von besonderer Freiheit der einzelnen Individuen sicherlich nicht viel zu erzählen weiß, nicht vergessen. Man kommt unwillkürlich zu der Auffassung, daß es hier wie drüben Sklaverei gibt: hier Weiße, dort Schwarze. Also überall dasselbe.190 Wiederum über einen Vergleich versuchte Salme so, die Verhältnisse in Sansibar (und der gesamten arabisch-islamischen Welt) und in Europa auf einer Stufe zu diskutieren. Ihre Ausführungen zeigen, dass sie sich der Diskreditierung der gesellschaftlichen Ordnung, in der sie aufgewachsen war, bewusst war. Sie schrieb 186 187 188 189 190

Ebd. S. 194ff. Ebd., S. 181. Ruete, Memoiren, Bd. 2, S. 76. Ruete, Leben im Sultanspalast, S. 34. Ruete, Briefe, S. 132f.

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dagegen an, indem sie die Sklaverei in arabisch-islamischen Ländern mit den Arbeitsverhältnissen in Europa verglich und über den Hinweis auf die harten Arbeitsbedingungen für viele europäische Arbeiter_innen zu legitimieren suchte. Gleichzeitig kritisierte sie die Palette der negativen Bilder – Sklaverei und Menschfresserei –, die in Europa auf außereuropäische Gesellschaften projiziert wurden. Sie wehrte sich gegen die einfache Übernahme europäischer Zivilisationsvorstellungen und verteidigte wiederum ihre eigene rassifizierte Sprecherinnenposition, indem sie ihre Superiorität gegenüber Schwarzen versklavten Menschen betonte.191 Sie berief sich hierbei nicht allein auf koloniale Tradierungen – wobei mit Blick auf den gegebenen Zeitpunkt eher von Neuerungen gesprochen werden müsste –, sondern auch auf die Tradition der Sklaverei im Islam und markierte in diesem Zusammenhang den Unterschied zwischen Versklavung in Nordamerika und Brasilien mit den Worten: »Der Sklave eines Muslim befindet sich in einer ganz anderen, unvergleichlich besseren Lage.«192 Wie eng verknüpft hierbei die Gegensätze Christentum – Islam, individuelle Freiheit – Tradition waren, verdeutlichte Salme in ihrer Kritik an dem Kirchenbau auf dem Sklavenmarkt in Sansibar, direkt nach dem Verbot der Sklaverei durch die Engländer.193 Sie vermutete, »daß wir es hierbei durchaus nicht blos mit echt humanen Bestrebungen seitens der Europäer zu thun haben, daß vielmehr im Hintergrunde politische Interessen versteckt liegen«194 . Sie verteidigte die alte, ihr vertraute Gesellschaftsordnung, oder wie Billie Melman es treffend zusammenfasst: »Western humanist evangelicalism, with its emphasis on ›equality‹ and ›human progress‹, was to Ruete impractical and hypocritical.«195 Salmes Kritik berührte die Punkte, anhand derer die europäische Einflussnahme als Konstruktion und Implementierung neuer Gesellschaftsordnungen deutlich wird. Auch wenn die Kolonialherrschaft in Deutsch-Ostafrika erst um 1908, also mehr als 20 Jahre nach Erscheinen ihrer Memoiren, als gesichert galt und die Nutzung des Islam als koloniales Instrument ebenfalls erst im frühen 20. Jahrhundert eine größere Rolle spielte, deutete ihre Kritik auf ähnliche, ältere Auseinandersetzungen hin.196 Vgl. zum Themenkomplex Rassismus und Kolonialherrschaft: Nagl, Dominik: Grenzfälle. Staatsangehörigkeit, Rassismus und nationale Identität unter deutscher Kolonialherrschaft, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2007, sowie Brahm, »Handel und Sklaverei am ›Tor zu Ostafrika‹«. 192 Ruete, Memoiren, Bd. 2 S. 77. 193 Ebd., S. 81. Vgl. zum Kirchenbau und dem Umgang mit dem Islam zum Beispiel Pesek, »Islam und Politik in Deutsch-Ostafrika«. 194 Ruete, Memoiren, Bd. 2, S. 75. 195 Melman, »Sayyida Salme/Emily Ruete«, S. 527. 196 Bekannt ist in diesem Zusammenhang die sogenannte Mekkabrief-Affäre von 1908 sowie die Diskussion im 1907 gegründeten Reichskolonialamt und in den damit verbundenen politischen und akademischen Vertretungen darüber, inwiefern der Islam in Ostafrika eine Gefahr für die deutsche Kolonialpolitik darstellte. Vgl. Michels, Schwarze deutsche Kolonialsoldaten, S. 87f. sowie Pesek, »Islam und Politik in Deutsch-Ostafrika«, S. 104ff. 191

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Deutschland Salmes Briefe entstanden, wie erwähnt, im Zeitraum zwischen 1867 und circa 1884 und begleiteten damit nicht allein die Herausbildung konkreter staatlich getragener Kolonialunternehmungen, sondern auch die frühen Auseinandersetzungen um Fragen der Staatsbildung und der Nation. Herausragend ist vor allem ihre Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen im metropolitanen Deutschland. So monierte Salme an verschiedenen Stellen die Bevormundung durch den Staat, etwa anhand eines Vorfalls während der Zeit, als sie mit ihren Kindern in Berlin lebte. Als ein Polizist an ihre Haustür kam und sie nach der Meldung ihrer Kinder fragte, fühlte sie sich in ihrer Privatsphäre gestört und kontrolliert. Sie verglich das Kaiserreich »mit einer streng organisierten Anstalt«, nicht mit »einem großen Staate«.197 Nachdem ihr Sohn auf die Kadettenschule bei Köln kam, wurde sie noch konkreter in ihren Ausführungen: Alles ist hier schablonenmäßig, und der einzelne Mensch ist nichts als eine Nummer unter den Millionen. Von hundert Einwohnern sind 95 Prozent lauter Streber, und weh dem, der ihnen nicht folgt, denn er wird einfach überflutet. Jeder von ihnen muß so und so viel lernen, um im großen und ganzen leistungsfähig befunden zu werden, gleichviel ob er es mag oder kann. Jeder steht unter dem Gesetz und wird scharf überwacht. Jede Nation gleicht hier einer großen Anstalt, und ihre Bürger bilden die Zöglinge, natürlich ohne es nur zu ahnen. Dabei ist das Wort »Freiheit« in jedes Kindes Munde. Wer nicht gerade zeitlebens Zeitungsträger, Straßenkehrer oder Steinklopfer bleiben will, der muß sich hier auch gehörig rüsten, um etwas gelten zu können. Es existieren für die Kinder einer arabischen Mutter weder gesetzliche noch gesellschaftliche Ausnahmegesetze, und diese haben das Gleiche zu leisten, wie andere Kinder von echt germanischen Eltern und Traditionen.198 Der letzte Part ließe sich als wehleidige Klage einer »arabischen Prinzessin« lesen, die ihre Privilegien infrage gestellt sah. Es war aber auch eine Kritik am Gemeinwesen und an den gesellschaftlichen Verbindlichkeiten, die im Zuge von Industrialisierung und Modernisierung reglementiert wurden. Verglichen mit einer ähnlichen Situation, die Hassan Taufik schilderte, als er von einem Polizisten registriert wurde (siehe Kapitel 3 Zeit-Räume, Hassan Taufik, S. 78f.), war Salme weitaus kritischer gegenüber dem Staat und seinen ausführenden Organen. An anderer Stelle nahm sie die Kritik wieder auf, wenn sie in einem ihrer Briefe schrieb:

197 Ruete, Briefe nach der Heimat, S. 144. 198 Ebd., S. 139f.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

Daß eine Araberin einen Deutschen geheiratet hat und eine Mohammedanerin Christin wurde, ist etwas so Gleichgültiges, daß sich kein Mensch darum kümmert. Ihr seid zu sehr vom europäischen Schauplatze entfernt, um die wahren Verhältnisse zu beurteilen. Denn hier heißt es überall: Selbst ist der Mann! Bist Du das zufällig nicht, so hilft Dir die bloße Nationalität Deines Mannes herzlich wenig.199 In ihren Ausführungen, sowohl in den Briefen als auch in ihren Memoiren, spiegeln sich die zeitgenössischen Diskurse zur Einteilung der Menschen in »Rassen«, zur Möglichkeit der »Zivilisierung« der Kolonisierten und zur kolonialen Missionsbewegung wider. Während sie selbst die Araber, »wie fast alle Orientalen«, als konservativ, traditionsverbunden und nicht leicht umzuerziehen beschrieb,200 kritisierte sie gleichzeitig, dass der ihnen zugeschriebene »Religionshaß« nicht existiere. Sie als Christin habe bei ihrem Besuch nach 19 Jahren keine Ablehnung gespürt, ihr sei kein Vorwurf aufgrund ihrer Konversion gemacht worden.201 Demgegenüber beschrieb sie ihre eigenen Erfahrungen der Ausgrenzung in Deutschland wiederum vor dem Hintergrund der kolonialen Verhältnisse in Sansibar. Beispielsweise erklärte sie zu Beginn ihrer Briefe, warum sie die deutsche Sprache lernte: Erstens habe sie dies getan, um ihre Haushaltsbücher selbst führen zu können, und zweitens aus Furcht für Euch daheim, indem man hier leicht meine persönliche Inkapazität als die Eigentümlichkeit der Araber ansehen könnte. Versuchen wollte ich alles, die Sitten und Gebräuche des Landes, wo ich jetzt wohne, nach Möglichkeit schnell zu erlernen, um unsere nach vieler Meinung primitive Erziehung nicht auch zum Gegenstand des allgemeinen Mitleids stempeln zu lassen.202 Sie übernahm die gegen »die Araber« gerichtete Zuschreibung einer kulturellen Inferiorität vielfach, um sie dann entschieden von sich zu weisen. Besonders aus ihren Anfangsjahren in Hamburg schilderte sie Erfahrungen der eigenen Rassifizierung und Kulturalisierung. Sie kommentierte die Vorurteile der Hamburger Gesellschaft: Denn ohnehin hatte man schon die tollsten Geschichten von der Araberin zu erzählen gewußt. Unter anderm, ich sei so dick wie ein Faß, obgleich ich zu jener Zeit eher einer Bohnenstange ähnlich sah. Ich hätte die Haare und die Gesichtsfarbe einer Negerin. Meine Füße sollten so klein sein wie die Füße einer Chinesin, so daß ich infolgedessen natürlich auch nicht gehen konnte. Daß die angebliche

199 200 201 202

Ebd., S. 79. Ruete, Memoiren, Bd. 2, S. 81. Ebd. Ruete, Briefe nach der Heimat, S. 19.

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Chinesin Fußtouren von Reinbek nach Bergedorf oder um die Alster herum machte, ahnten die guten Leute wahrscheinlich nicht.203 Ihr Mann verlangte von ihr, bei Veranstaltungen »etwas Orientalisches« anzuziehen.204 Sie befolgte seine Forderungen, sich möglichst – aus deutscher Sicht – exotisiert zu präsentieren. Sie selbst beschrieb und fühlte sich als Afrikanerin. Nach dem Besuch einer Aufführung von Giacomo Meyerbeers Oper Die Afrikanerin kontemplierte sie kritisch: Afrika ist ja bekanntlich sehr groß; noch größer aber schien mir die europäische Phantasie zu sein. Dem seligen Meyerbeer ist vielleicht zu Lebzeiten der Kummer glücklich erspart worden, eine solche leibhaftige Afrikanerin als Zuschauerin seines Stückes zu erleben, welche doch so wenig Verständnis für seine Kunst besitzt.205 Sie kritisierte ihre Position als Andere der Gesellschaft, wie in diesen Ausführungen aus ihren Anfangsjahren in Hamburg deutlich wird: »Da es in Deutschland noch zu jener Zeit so wenige exotische Menschen zu sehen gab – im Verhältnis zu England und Frankreich –, so hatte ich in den ersten Jahren auch unglaublich viel darunter zu leiden.«206 Während sie auf Sansibar als Tochter einer tscherkessischen Mutter als Weiß galt – eine ihrer Schwestern nannte sie »weißer Affe«207 –, wurde sie in Deutschland anders markiert, wie das folgende Beispiel zeigt: Bevor sie mit ihren Kindern 1872 nach Dresden zog, erwog sie auch Darmstadt als neuen Wohnort und quartierte sich dort in einem Hotel ein, dessen Wirtin sie prüfend anstarrte. Salme erklärte in ihren Briefen, die Frau treffe »gewiß nicht alle Tage mit Leuten, die wie meine Wenigkeit unweit des Äquators geboren sind und deren Hautfarbe ziemlich braun ist«,208 zusammen. Sie gab sich der Wirtin gegenüber als Südamerikanerin aus und deutete durch diese Strategie auf die zu jener Zeit geltenden unterschiedlichen Wertigkeiten exotisierender Zuschreibungen. Ihre Ausflucht, sich selbst nicht als afrikanisch oder arabisch zu erkennen zu geben, lässt sich auch als eine Form des Passings beschreiben und verdeutlicht, wie sehr rassifizierte Kodierungen während der 1870er Jahre in Deutschland vorhanden waren.209

203 204 205 206 207 208 209

Ebd., S. 28. Ebd., S. 34. Ebd., S. 34f. Ebd., S. 27. Ruete, Leben im Sultanspalast, S. 113. Ruete, Briefe nach der Heimat, S. 92f. Vgl. zum Thema Passing in Geschichte und Gegenwart: Ahmed, Aischa: »›Na ja, irgendwie hat man das ja gesehen‹. Passing in Deutschland – Überlegungen zu Repräsentation und Differenz«, in: Eggers, Maureen Maisha, Kilomba, Grada, Piesche, Peggy, Arndt, Susan (Hg.), Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschungs in Deutschland, Münster: Unrast 2005, S. 270-282.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

Vielerorts wurde Salme gefragt, wo sie denn herkomme und ob sie auch Bekannte habe, die für sie bürgen könnten, und sie klagte: Diese Art von Mißtrauen gegen Nichtvollblutdeutsche habe ich auch später vielfach in Deutschland erfahren. Oft habe ich ganz unwillkürlich bei mir denken müssen, wie verletzend es wirken muß, wenn jemandem von vornherein (wie der Fall in Darmstadt so genügend bewies) ein solches Mißtrauen entgegengebracht wird. Später klagte mir eine Ungarin in Dresden genau die gleiche Erfahrung, dasselbe auch eine Russin.210 Salme selbst konnte sich anfänglich nicht an die »vielen Blondhaarigen« in Hamburg gewöhnen, die für sie eine visuelle Herausforderung darstellten.211 Sie monierte mehrfach die Unfreundlichkeit der Menschen »Fremden« gegenüber und verglich erneut mit Sansibar, wo die Europäer_innen so leben könnten, wie sie wollten, und man freundlich mit ihnen umgehe.212 Salme übernahm Hierarchien, die sie aus ihrer Kindheit und Jugend in Sansibar gewohnt war. Dass ihre Mutter auch eine versklavte Frau war, bevor sie sie zur Welt brachte, dass diese Unfreiheit von allen versklavten Frauen und Männern geteilt wurde, thematisierte sie nicht. Ihre eigene Position reflektierte sie nur in Ausschnitten, um gleichzeitig die Momente, die sie selbst zur Anderen der deutschen Gesellschaft machten, erneut zu bestätigen: At the very moment in which the world in which she lived no longer counted her as »white,« Salme repeatedly argues that black people are slow, lazy, childlike, forgetful, irreligious, in need of discipline and supervision, and are in any case inferior to lighter-colored slaves who are brighter and more alert.213 Sie erwähnte, ihr Mann habe am Anfang Mühe gehabt, den »Nordländern begreiflich zu machen, daß zwischen Arabern und Negern ein großer Unterschied besteht und daß im großen Afrika auch andere Völker als die letzteren wohnten.«214 Als dann eine Frau ihr in die Haare griff, um diese zu befühlen, war sie empört. Die Erfahrung, in Deutschland als Schwarze Person eingeordnet und verandert zu werden, stieß bei ihr auf Ablehnung.

Heimatlos an vielen Orten? Sayyida Salmes Schriften gehören zu den wenigen auto-/biografischen Zeugnissen von Frauen des 19. Jahrhunderts und ragen auch aus den literarischen Publikationen heraus, die arabische diasporische Erfahrungen zusammentragen und ge210 211 212 213 214

Ruete, Briefe, S. 93. Ebd., S. 18. Ebd., S. 93. Euben, Journeys to the Other Shore, S. 171. Ruete, Briefe, S. 28.

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sellschaftskritische Beobachtungen zu verschiedenen Ländern beinhalten. Sie war involviert in die deutsche Kolonialpolitik und setzte sich mit ihr auseinander. Ihre persönlichen Betrachtungen des Lebens in Deutschland und auf Sansibar, ihre vielen Ortswechsel und das Bekenntnis, heimatlos zu sein, bieten Beispiele für die eingangs erwähnten Überlegungen zu sich überlappenden und deplatzierenden Differenzbereichen. Salme kam aus einem äußerst privilegierten gesellschaftlichen Zusammenhang nach Deutschland, der seine eigenen Hierarchien und Ausschlussmechanismen hatte. Besonders in ihren Ausführungen zur Sklaverei, aber auch in ihrer Herabsetzung Schwarzer Personen wird dies deutlich. In Deutschland machte sie Erfahrungen, die sie selbst degradierten, zur Anderen machten. Ihre Abwehrhaltung gegenüber Schwarzen Personen, oder besser gesagt, ihre Unterscheidung zwischen Schwarzen Menschen und Araber_innen, orientierte sich an der Perspektive eines mehrheitlich Weißen Lesepublikums, vor dem sie die Differenz zu betonen versuchte. In ihren Texten wird der in Kapitel 1 Deutschlands »Orient« (S. 68ff.) bereits erwähnte Bezug zur kolonialen Erzählweise deutlich, für den Said, wie erwähnt, den Begriff der »structures of attitude and reference« geprägt hat.215 Es waren und sind Strukturen, die den dominanten Diskurs einer metropolitanen Gesellschaft stützen. Salme selbst blieb in dem Bild von sich gefangen, das sie auf der einen Seite zu dekonstruieren versuchte, auf der anderen Seite reifizierte. Sie war ein »native informant«, sie erklärte das, was vermeintlich schon bekannt war. Mit diesem »double bind«216 schaffte sie eine Kontinuität der Ambivalenz, die sie an ihre Kinder – wie im Folgenden gezeigt wird – weitergab.

Familiäre Diskontinuitäten Die Kinder der Eheleute Sayyida Salme/Emily Ruete und ihres Mannes Rudolph Heinrich Ruete bildeten eine erste arabisch-deutsche Nachfolgegeneration. Rudolph Said-Ruete, der als Erwachsener in verschiedenen Orten in Ägypten, der Schweiz und England lebte, gab nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten seine deutsche Staatsangehörigkeit ab und nahm stattdessen die britische an. Eigentlich als Rudolph Said Ruete geboren, ließ er, »[d]urch Erlass des Senates der Freien und Hanse-Stadt Hamburg vom 11.VII.1906 (unter Einziehung des bisherigen Rufnamens) zur Führung des Familiennamens SAID-RUETE berechtigt«,217 215 216 217

Said, Culture and Imperialism, S. 52. Spivak, Gayatri Chakravorty: »Three Women’s Texts and a Critique of Imperialism«, in: Critical Inquiry, 12 (Herbst 1985), Nr. 1, S. 243-261, S. 245. Said-Ruete, Rudolph: Eine auto-biographische Teilskizze, Luzern: C.J. Bucher AG 1932, S. 13. Die auto-biographische Teilskizze beinhaltet eine »Stammtafel der Familie Said-Ruete« (ebd., S. 12f.), einen Vortrag Said-Ruetes mit dem Titel, »Die Al-Bu-Said-Dynastie in Arabien und

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

seinen einen Vornamen als Familiennamen eintragen. Er war mit Maria Theresa Mathias verheiratet, einer deutschen Frau aus Köln. Und er führte die männliche Linie der Al Bu Said weiter. Die beiden Töchter der Ruetes, Antonie Thawka und Rosalie Ghuza, hatten Suaheli-Zweitnamen, ein Verweis auf die zu dieser Zeit geläufige Hauptsprache Sansibars. Beide heirateten deutsche Männer. Antonie Thawka war von 1898 bis zu ihrer Scheidung mit Eugen Brandeis verheiratet, der von 1898 bis 1906 Landeshauptmann auf Jaluit war. Das Atoll der Marshallinseln stand, beginnend 1885 mit einer Handelsniederlassung, später als Teil der Kolonie Samoa, bis 1914 unter deutscher Herrschaft.218 Rosalie Ghuza, die jüngste Tochter der Ruetes, heiratete 1902 Martin Troemer, General der Königlich-Preussischen Armee.219 Die Kontakte der Mutter zu militärischen und kolonialen Kreisen wurden so innerfamiliär weitergeführt. Wie diese Beziehungen sich im ausgehenden 19. Jahrhundert entwickelten, lässt sich nicht genau rekonstruieren. Erst mit dem 2000 implementierten Staatsbürgerschaftsgesetz wurde in Deutschland das Ius sanguinis von 1913 durch das Ius soli erweitert, nach dem das Geburtsortprinzip fakultativ als ebenso bestimmend gelten kann wie das Abstammungsprinzip. Zur Zeit der Staatsgründung des Deutschen Reichs galt als Deutsche/r, wer einen deutschen Vater hatte.220 Sayyida Salme alias Emily Ruete wurde, wie zuvor erwähnt, 1872 erst Hamburger Staatsbürgerin und damit automatisch Bürgerin des Deutschen Reichs.221 Ihre Kinder wurden als Angehörige des Stadtstaates Hamburg geboren und gehörten damit ebenso wie sie mit der Integration Hamburgs in den Gesamtstaat dem Deutschen Reich an. Ausgehend von der eingangs erläuterten These Brubakers, dass Nationalität im Deutschen Reich Ende des 19. Jahrhunderts weniger als politische denn als »ethnisch-kulturelle Tatsache« verstanden wurde,222 wird im Folgenden analysiert, wie

Ostafrika« (ebd., S. 15-27) (Sonderdruck aus »Der Islam«, Band XX, Heft 3 (08/1932)) sowie die von Said Ruete verfassten »Meilensteine meines Lebenslaufes« nebst Veröffentlichungsverzeichnis Said-Ruetes (ebd., S. 26-35). 218 Mückler, Hermann: Die Marshall-Inseln und Nauru in deutscher Kolonialzeit. SüdseeInsulaner, Händler und Kolonialbeamte in alten Fotografien, Berlin: Frank & Timme 2016, S. 48, S. 59. Zu Brandeis vgl. ebd., S. 54. 219 Vgl. Buyers, Christopher: Oman. The Al-Busaid Dynasty. Genealogy, in: The Royal Ark, 07/200104/2017, www.royalark.net/Oman/oman5.htm (18.07.2018). 220 »Frauen gehörten dem Staatsverband nicht wie der Mann direkt, sondern mittelbar durch ihre Familienbeziehung an.« Vgl. Trevisiol, Oliver: Die Einbürgerungspraxis im Deutschen Reich 1871-1945, Göttingen: V&R Unipress Verlag 2006, S. 170. Vgl. Frevert, Ute: »Soldaten, Staatsbürger. Überlegungen zur historischen Konstruktion von Männlichkeit«, in: Kühne, Thomas (Hg.), Männergeschichte – Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne, Frankfurt a.M.: Campus 1996, S. 69-87, S. 84f. 221 Schneppen, Heinz: Sansibar und die Deutschen. Ein besonderes Verhältnis, Münster u.a.: LIT 2003, S. 77. 222 Brubaker, Staats-Bürger, S. 24.

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dies das Leben arabisch-deutscher Menschen beeinflusste. Wie wirkten Fragen der Identität auf Menschen, die sich auf mehr als einen innereuropäischen Herkunftskontext beziehen konnten? Dabei werden nicht die Zuschreibungen untersucht, sondern vielmehr die jeweils individuellen Lebenswirklichkeiten. Wie wurde Deutschsein – im Sprachgebrauch der Zeit »Deutschtum« – von Menschen verstanden und verhandelt, deren Zugehörigkeit nicht als selbstverständlich erachtet wurde und die sich daher immer wieder als Zugehörige behaupten mussten? Wie beeinflussten identitäre Deutungsmuster die Biografien arabisch-deutscher Menschen? Der Versuch, die Perspektiven der Kinder Sayyida Salmes historisch zu rekonstruieren, ist nicht allein aufgrund der Quellenlage ambitioniert. Die Gefahr besteht, aktuelle Debatten um Identität, Staatsangehörigkeit und Ethnizität im Rahmen einer historischen Rekonstruktion auf Gegebenheiten zu projizieren, die wiederum anderen Diskursen unterlagen. Trotzdem argumentiere ich hier, dass nationale Herkunfts- und Identitätsvorstellungen das Leben von Rudolph SaidRuete und Antonie Brandeis-Ruete grundlegend beeinflussten und – auf unterschiedliche Weise – ihre Handlungsweisen bestimmten.223 Sayyida Salme entwirft in ihren Memoiren ein komplexes Bild einer arabischen Prinzessin und beruft sich immer wieder auf ihre Herkunft, um sich von bestimmten deutschen Haltungen – seien sie politisch oder gesellschaftlich – abzugrenzen. Im Falle ihrer Kinder lässt sich dagegen eine noch stärkere Nähe zum kolonialen Establishment und zu Diskursen feststellen, die ein weltweit verbreitetes »Deutschtum« als positives Ziel formulieren. Bei Rudolph Said-Ruete könnte noch weiterführend von einer Vorstellung Europas – Deutschlands, Englands und Frankreichs zumindest – gegen den »Rest« der Welt gesprochen werden. Der arabisch-islamische Raum fungierte bei ihm vor allem als Teil möglicher kolonialer Unternehmungen. Diese kolonialen Zusammenhänge lassen sich besonders aus den Publikationen und Quellen zum Leben von Antonie Brandeis-Ruete und Rudolph Said-Ruete herausarbeiten. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, inwiefern sich diese Positionierungen und Perspektiven auch als eine Form affirmativer Einschreibung verstehen lassen, um die eigenen persönlichen Bindungen zum Deutschen Reich zu betonen und den Bezug zu einem national-kulturellen Verständnis von Deutschsein zu behaupten.

223 Es ist zu vermuten, dass diese Aussage auch für Rosalie Troemer galt, jedoch lässt sie sich aufgrund des spärlichen Quellenmaterials anhand ihres Beispiels nicht veranschaulichen.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

Antonie Brandeis-Ruete224 Wie sehr die koloniale Matrix das Leben der Kinder Sayyida Salmes und Heinrich Ruetes beeinflusste, zeigt sich besonders in der Vita ihrer ältesten Tochter Antonie Thawka Ruete, die am 24. März 1868 in Hamburg geboren wurde. Anhand ihrer Biografie lässt sich ein großer Teil der deutschen kolonialen Frauenbewegung nacherzählen, denn sie war eine ihrer Protagonistinnen, wenn auch wenig bekannt und eher im Hintergrund agierend. Neben ihren Publikationen, auf die im Folgenden genauer eingegangen wird, bilden ihre Briefe an den niederländischen Orientalisten Christiaan Snouck Hurgronje einen wichtigen Quellenfundus für die gesamte Familiengeschichte. Die Briefe waren vom Duktus her an einen Vertrauten adressiert und geben Aufschluss über einzelne Stationen sowohl der Kinder der Ruetes als auch ihrer Mutter. Antonie teilte Snouck Hurgronje 1888 mit, dass die Mutter nach Sansibar reise, und später, dass sie nicht nach Deutschland zurückkomme und Antonie ihr nachreise. Ihre Kindheit und Jugend waren geprägt von den mehrfachen Ortswechseln. Dies zum einen, da sich Sayyida Salme nach dem Tod ihres Mannes um ein Auskommen für die Familie bemühte. Zum anderen zog Antonie Ruete aber auch aufgrund der militärischen Erziehung ihres Bruders mehrfach um.225 Sie lebte bis zu ihrer Heirat an wechselnden Orten mit ihrer Mutter zusammen und folgte ihr, nachdem Salme Deutschland den Rücken zugewandt hatte, nach Jaffa und später nach Beirut.226 In Beirut heiratete sie 1898 Eugen Brandeis. Brandeis war mehr als 20 Jahr älter als Antonie, ein deutscher Ingenieur, geboren 1846 in Freiburg i.Br.. Schon vor der Gründung deutscher Kolonien arbeitete er als Verwaltungsbeamter für das kaiserliche Konsulat in Haiti. Er beteiligte sich am Eisenbahnbau auf Kuba ebenso wie am Bau des Panamakanals. Bevor er 1898 mit seiner Frau nach Jaluit reiste, einem Atoll der Marshallinseln, war er daselbst schon als kommissarischer Sekretär tätig. Er trat auf Jaluit seine Stelle als Landeshauptmann an und arbeitete für die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts.227 1906 wurde er aufgrund seines gewaltsamen Vorgehens gegen die indigene Bevölkerung Jaluits in den Ruhestand versetzt und

224 Formal hieß Antonie bis 1898 Ruete mit Nachnamen und nach ihrer Heirat Brandeis. Die hier verwendete Schreibweise folgt van Donzels Einleitung zu Sayyida Salmes Memoiren. Vgl. Donzel, »Introduction«, S. 101. Sie selbst verwendete den Doppelnamen vermutlich nach ihrer Scheidung. 225 Vgl. die Kurzbiografie bei Walgenbach, »Die weiße Frau«, S. 290. 226 Said-Ruete, Rudolph: »Persönliche Erinnerungen an Gerhard Rohlfs«, in: Guenther, Konrad, Gerhard Rohlfs. Lebensbild eines Afrikaforschers, Freiburg i.Br.: Fehsenfeld 1912, S. 344-352, S. 349, Fn. 1. 227 »Brandeis, Eugen«, in: Schnee, Heinrich (Hg.), Deutsches Kolonial-Lexikon, Leipzig: Quelle & Meyer 1920, Bd. 1, S. 236.

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lebte danach in Berlin.228 Antonie begleitete ihn nach Jaluit. Dort bekam sie zwei Töchter, Marie Margarethe (1900) und Julie Johanna (1904).229 Antonie Brandeis-Ruete ließ die Öffentlichkeit an ihren Erfahrungen teilhaben und publizierte in verschiedenen Kolonialzeitschriften. Ihre Artikel waren dabei von zwei Aspekten geprägt: von der Frauenfrage und ihrem ethnologischen Interesse. Ihr frauenbewegtes Engagement richtete sich dabei in der Frühzeit bis 1910 vor allem darauf, Werbung für den Dienst deutscher Frauen in den Kolonien zu machen.230 Antonie Brandeis-Ruete war ein Beispiel dafür, wie Kolonialismus, so Anette Dietrich, »als identitätsstiftendes Moment wirkte und sich deutsche Frauen – auch innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung – über die Kolonialfrage als weiße bürgerliche Subjekte konstituierten«.231 In Brandeis-Ruetes Fall ist es eine Aneignung und Affirmation. Sie gehörte von Geburt her dem Hamburger Bürgertum an. Nach dem Tod des Vaters jedoch tauchten in den Briefen und Schriften ihrer Mutter mehrfach Klagen darüber auf, nicht selbst über ihr Vermögen verfügen zu können und einer Erwerbsarbeit nachgehen zu müssen.232 Die Affirmation von Frauen als »weiße bürgerliche Subjekte« lässt sich bei Brandeis-Ruete anhand der Perspektive ihrer Schriften nachzeichnen. Sie erklärte dem deutschsprachigen Lesepublikum das aus dieser Sicht Unbekannte und Fremde der Südsee und tat dies, ohne sich selbst zu erklären. Besonders deutlich wird diese Perspektive in ihren Südsee-Erinnerungen, in denen sie sich am Ende wünschte, »ihre braunen und weißen Freunde« bald wiederzusehen.233 Brandeis-Ruete thematisierte die eigene Herkunft in ihren Texten nicht explizit – eine auffällige Leerstelle. Bei ihrem Bruder stellte sich dies anders dar, wie noch zu zeigen sein wird. Brandeis-Ruetes Schilderungen ihres Lebens auf Jaluit spiegeln den kolonialen Alltag in einer Region fern ihrer Heimat wider. Sie beschrieb die Gepflogenheiten auf der Insel, auf der sie – wie sie selbst angab – für zunächst zwei und dann noch einmal für drei Jahre ohne Unterbrechung lebte.234 Sie erklärte, was nach ihrer eigenen Anschauung zum »Pflichtenkreis« der deutschen Hausfrau gehörte und 228 Vgl. Wildenthal, German Women for Empire, S. 111, Fn. 190. 229 Evangelisches Zentrum für entwicklungsbezogene Filmarbeit, EZEF: »Die Prinzessin von Sansibar/Wir hatten eine Dora in Südwest«, (Tink Diaz, Arbeitshilfe), 07.10.2015, in: EZEF, Agentur für Filme aus dem Süden, https://www.ezef.de/publikationen/die-prinzessin-vonsansibar-wir-hatten-eine-dora-suedwest/2857, (18.07.2018). 230 Brandeis, Antonie: »Die deutsche Hausfrau in den Kolonien: Vom Pflichtenkreis der Frau«, in: Kolonie und Heimat 1 (1907), Nr. 4, S. 13. 231 Dietrich, Weiße Weiblichkeiten, S. 17. 232 In den 1880er Jahren galt die Erwerbsarbeit weithin noch als nicht standesgemäß für Frauen aus den oberen Schichten. 233 Brandeis, Antonie: »Südsee-Erinnerungen«, in: Deutsche Kolonialzeitung 25 (1908), Nr. 1-3, S. 6f., 21f., 36ff., S. 6, S. 38. 234 Ebd., S. 6f., 21f., 36ff., S. 6.

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was von deutschen Frauen in den Kolonien gefordert wurde. Dazu gehörte eine widerstandsfähige Hingabe, den Haushalt auch unter schwierigen klimatischen Verhältnissen führen zu wollen und dem Manne eine tatkräftige Unterstützung zu sein.235 Sie vertrat ein nationalkonservatives Frauenbild, das den Schriften anderer Protagonistinnen des Kolonialen Frauenbundes wie Hedwig Heyl oder Agnes von Boemcken ähnelte.236 Den Gegensatz zwischen den Zielen der Frauenbewegung in Europa und den Bedürfnissen in den Kolonien hob sie sehr deutlich hervor: Auch in unseren Kolonien haben wir eine »Frauenfrage«. Und zwar im umgekehrten Sinne wie hier in Europa. Während wir hier die Erfolge bewundern, die tatkräftige Frauen errungen haben, indem sie der Frau den Weg geebnet haben zur selbständigen Existenz, so kann in den Kolonien nur eine Frau, die in ihrer Häuslichkeit wurzelt und in der Betätigung häuslicher Pflichten ihre Befriedigung findet, sich auf die Dauer wohl fühlen. Ich möchte behaupten, in den Händen der Frau, im buchstäblichen Sinne, liegt zum guten Teil die Zukunft der deutschen Kolonien. Dort wo die Frau dem Manne eine Mitarbeiterin sein kann, dort wird eine Kolonie gedeihen, dort werden sich alle Mitglieder wohl fühlen.237 Die Hingabe zu ihrer Tätigkeit als Hausfrau wurde gestützt durch ihre Beschäftigung mit ethnologischen Themen und ihrem Leben als Frau eines Landeshauptmanns auf den Marshallinseln. Was genau die hauswirtschaftlichen und repräsentativen Teile dieses Leben ausmachten, beschrieb sie in ihren Texten. Worauf sie jedoch an keiner Stelle verwies, war die Machtstellung ihres Mannes auf der kleinen Insel und seine Brutalität. Brandeis-Ruete gab einen Einblick in ihr privates Leben wie auch in das gesellige Zusammensein der Kolonialgemeinschaft, zu der auch Weiße deutsche Männer und einheimische Frauen gehörten: »Häufig ist die kleine Kolonie abends vereint, manchmal wurde dann musiziert; mitunter gaben Hochzeiten und Taufen unter den Mischlingsfamilien Veranlassung zu vergnügten Stunden, auch für die weißen Bewohner Jaluits.«238 Sie stellte die Hierarchie zwischen den Kolonisierten und den Kolonisierenden deutlich heraus, schilderte aber auch in Ansätzen Perspektiven der indigenen Inselbevölkerung, indem sie zeigte, was sich seit der Ankunft Weißer Menschen auf der Insel verändert hatte und was Auslöser verschiedener Änderungen war. Ihre »Südsee-Erinnerungen« geben in dieser Hinsicht auch interessante Aufschlüsse über mögliche eigensinnige Handlungsweisen in der »contact zone«:

235 236 237 238

Brandeis, »Die deutsche Hausfrau«, S. 13. Vgl. zu beiden Frauen: Wildenthal, German Women for Empire. Brandeis, »Die deutsche Hausfrau«, S. 13. Ebd., S. 36.

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Aber die zur Trägheit neigenden Eingeborenen neigen nicht dazu, das Gelernte längere Zeit zu verwerten. Sie arbeiten nur so lange, bis sie sich eine Nähmaschine, Ziehharmonika und dergleichen kaufen können. Mit diesen und anderen Schätzen beladen kehren sie auf ihre Insel zurück und arbeiten erst wieder, wenn sich neue Wünsche regen oder die erworbenen Gegenstände an Verwandte verschenkt sind; die Eingeborenen sind unter sich ungemein freigiebig.239 Die Figur des »lazy native«, die schon von ihrer Mutter mehrfach in diffamierender Weise gegenüber Schwarzen Menschen verwendet wurde, erreichte bei BrandeisRuete eine neue Dimension.240 Sie behauptete, wie das Beispiel zuvor zeigt, ihre Positionierung als Weiße Frau durch ihre Schriften ähnlich performativ wie ihre Mutter. Und sie schrieb sich als Kennerin der Verhältnisse mit einem wissenschaftlichen Duktus auch in ethnologische und koloniale Debatten ein. Dies zu einer Zeit, als es Frauen noch mehrheitlich verwehrt war, an Universitäten zu studieren. Ihre ethnologischen Beschreibungen thematisieren die unterschiedlichen Handlungsweisen der kolonisierten und kolonisierenden Inselbewohner_innen.241 Sie konstatierte zwar eine eigenständige »agency« der Bewohner_innen der Marshallinseln, gleichzeitig versah sie sie jedoch mit kindlichen Attributen und stellte ihre eigene Anwesenheit auf der Inselgruppe nicht infrage.242 Eine weitere Auslassung fällt in ihren Texten zum Leben in den Kolonien auf. Sie ging an keiner Stelle auf Debatten zu »Mischehen« ein. In DeutschSüdwestafrika und Deutsch-Ostafrika wurden 1905 bzw. 1906 sogenannte »Mischehenverbote« verabschiedet. Für Samoa wurde ein entsprechendes Verbot 1912 beschlossen.243 Es war von dem jeweiligen Zeitpunkt an Weißen deutschen Kolonisierenden nicht erlaubt, Einheimische aus den Kolonien zu heiraten. Diesem Verbot ging eine anhaltende Debatte zur Auswanderung Weißer deutscher Frauen in die Kolonien voraus. Um die Jahrhundertwende versuchte dann »die deutsche Staatsmacht, […] die öffentliche wie die private Sphäre im Dienst der kolonialen Rassenpolitik zu regulieren«244 . Im Vorfeld des 1913 verabschiedeten Staatsbürgerschaftsgesetz kamen Forderungen zum Beispiel vonseiten der Alldeutschen auf, das Gesetz um die »Mischehenverbote« zu erweitern.245 239 Brandeis, »Südsee-Erinnerungen«, S. 7. 240 Vgl. zu diesem Themenkomplex: Alatas, Syed Hussein: The Myth of the Lazy Native. A Study of the Image of the Malays, Filipinos and Javanese from the 16th to the 20th Century and its Function in the Ideology of Colonial Capitalism, London: Frank Cass 1977. 241 Brandeis, »Südsee-Erinnerungen«, S. 7. 242 Ebd. 243 Wildenthal, German Women for Empire, S. 84. Wie wenig diese Verbote in Deutsch-Ostafrika zum Beispiel mit dem Vorkommen tatsächlicher Eheschließungen zusammenhingen, zeigte anschaulich Wildenthal, vgl. ebd., S. 109. 244 Grosse, »Zwischen Privatheit und Öffentlichkeit«, S. 95. 245 Grosse, Kolonialismus, Eugenik und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland 1850-1918, S. 167.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

Die erwähnte Auslassung Antonie Brandeis-Ruetes zu der »Mischehendebatte« fällt besonders auf, da sie ansonsten sehr empathisch und detailgetreu über das Leben auf Jaluit berichtete. Sie beschrieb sowohl kolonialpolitische Ereignisse wie die Rückführung des »Obersten der Samoaner« Maatafa als auch das alltägliche Leben auf dem Atoll. Zu Maatafa unterhielt sie einen regen nachbarschaftlichen Kontakt.246 Ihre Schilderung ist insofern bemerkenswert, als sie mit diesem Thema tagespolitische und in den Zeitungen breit diskutierte Inhalte aufnahm und ihre eigene Zeuginnenschaft, ihre eigene Beteiligung an diesen kolonialpolitisch wichtigen Ereignissen festhielt. Sie stellte Maatafa mit einem in gewisser Weise verklärenden Blick als heroischen Älteren seines Volkes dar. Und sie hielt fest, wie sich das Leben der Einheimischen durch den europäischen Einfluss änderte: So brachte ich denn im Laufe der Zeit für mehrere Museen zum Teil umfangreiche Sammlungen zustande, die schon jetzt nicht mehr in dieser Vollständigkeit zu machen sind, denn die Eingeborenen geben leider ihre Gewohnheiten mehr und mehr auf und vernachlässigen ihre alten Beschäftigungen. Sie trocknen lieber Kokosnüsse und tauschen dagegen Gegenstände europäischen Ursprungs beim Händler ein.247 Antonie Brandeis-Ruete führte noch weitere Gepflogenheiten der »Eingeborenen«, wie sie sie nannte, aus, und gab an, dass sie deren Sprache lernte. Sie war neben den Alltagsbeschäftigungen auch in der Krankenpflege tätig. Es ist nicht ganz deutlich, ob sie neben Weißen Kolonialfrauen, die sie zur Pflege auch bei sich zu Hause aufnahm, auch einheimischen Frauen half. Sie gilt als eine der Gründerinnen des Deutschen Frauenvereins vom Roten Kreuz für Deutsche über See, der 1909 aus dem 1888 gegründeten Deutschen Frauenverein für Krankenpflege in den Kolonien hervorging.248 Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland 1906 wurde sie Mitbegründerin des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft, betätigte sich also weiterhin im Bereich kolonialer Frauenorganisationen und wurde Vorsitzende des Bundes der Auslandsdeutschen, Hauptgruppe Hamburg.249 1911 bereitete sie eine Kolonialausstellung als Teil der Deutschen Hygieneausstellung in Dresden vor.250 So war sie 1926, nach ihrer Scheidung und dem Tod ihrer Mutter, als zweite Frau neben Agnes

246 Auch an dieser Stelle zeigt Brandeis Empathie, als sie die älteren Herren beschrieb, die »nach Verhandlungen mit deutschen Offizieren Tränen in den Augen haben, aufgrund der Vorfreude ihre Heimat doch noch zu Lebzeiten wieder zu sehen«. Vgl. Brandeis, »SüdseeErinnerungen«, S. 21. 247 Ebd., S. 37f. 248 Mamozai, Martha: Schwarze Frau, weiße Herrin, Reinbek: Rowohlt 1989, S. 199. 249 Olpp, G.: Hervorragende Tropenärzte in Wort und Bild, München: Verlag der Ärztlichen Rundschau Otto Gmelin 1932, S. 51. 250 Ebd.

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von Boemcken Mitglied im Aufsichtsrat der in Berlin gegründeten Gesellschaft Koloniale Frauenschule m.b.H.251 Und sie war am Aufbau der Kolonialen Frauenschule Rendsburg beteiligt, deren Leitungsbeirat sie wiederum neben von Boemcken angehörte.252 In dem 1932 erschienen biografischen Lexikon Hervorragende Tropenärzte wird besonders ihre umfangreichste Publikation hervorgehoben: das Kochbuch für die Tropen. In ihm vermittelte sie neben einer Reihe von Rezepten, die sich für die klimatischen Verhältnisse in heißen Ländern eigneten, Informationen zur Beschaffenheit der Küche, zu gesundem Essen und weiteren Grundlagen, die im kolonialen Alltag wichtig erschienen.253 Sie betrieb somit Wissensvermittlung im kolonialen Zusammenhang und übernahm mitunter »die typische überlegene Haltung der weißen Kolonisatoren«254 . Jedoch wird ihr gleichermaßen ein differenziertes ethnologisches Interesse bescheinigt. Ihre Publikationen in den verschiedenen Kolonialzeitschriften betonen – neben ihren ethnologischen Überlegungen – fortwährend den »Pflichtenkreis« der Hausfrau. Brandeis-Ruetes Veröffentlichungen weisen in der Zeit von 1904 bis 1926 einen zunehmend nationalistischen Charakter auf. Der von vielen rechtsnationalen Gruppen vertretene Kolonialrevisionismus, der nach dem Ersten Weltkrieg einsetzte und die im Krieg verlorenen Kolonien zurückforderte,255 findet sich auch in ihren Texten. 1926 formulierte sie pathetisch: »Möchte es uns älteren Kolonialpionieren vergönnt sein, einen seelisch und körperlich gesunden Nachwuchs heranreifen zu sehen, der dem Deutschland in Uebersee zur Ehre gereicht. Dafür mitzuarbeiten soll unser aller Bestreben sein.«256 Für die Zeit Anfang der 1930er Jahre nehmen die Informationen zu Antonie Brandeis-Ruetes ab. Laut Rommel und Rautenberg musste sie den Leitungsbeirat der Kolonialen Frauenschule Rendsburg nach dem Machtantritt der National-

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Rosenfeld, Annette: »›Ein Segen dem fernen Lande‹. Frauen und Kolonialismus«, in: Möhle, Heiko (Hg.), Branntwein, Bibeln und Bananen. Der deutsche Kolonialismus in Afrika – eine Spurensuche, Hamburg: Libertäre Assoziation 1999, S. 75-80, S. 78f. Wildenthal, German Women for Empire, S. 185. Vgl. auch eine ihrer Publikationen in diesem Zusammenhang: Brandeis-Ruete, Antonie: »Koloniale Frauenschule in Rendsburg«, in: Der Kolonialdeutsche 6 (1926), Nr. 15, S. 261. Brandeis, Antonie: Kochbuch für die Tropen. Nach langjährigen Erfahrungen in den Tropen und Subtropen zusammengestellt von Antonie Brandeis, Berlin: Reimer 1907. So die Interpretation bei Brüll, Margarete: »Kolonialzeitliche Sammlungen aus dem Pazifik«, in: Gerhards, Eva (Hg.), Als Freiburg die Welt entdeckte: 100 Jahre Museum für Völkerkunde, Freiburg i.Br.: Promo 1995, S. 109-145, S. 135. Vgl. zu dem Themenfeld: Linne, Karsten: Deutschland jenseits des Äquators? Die NSKolonialplanungen für Afrika, Berlin: Ch. Links 2008. Brandeis-Ruete, »Koloniale Frauenschule in Rendsburg«.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

sozialisten verlassen.257 Lora Wildenthal vermutet, dass ihre Herkunft ein Grund ihrer Entlassung war.258 Ihre Verbindungen zur Universität Hamburg, dem früheren Kolonialinstitut, bieten einige wenige weitere Informationen zu ihrem Leben nach 1933. Brandeis-Ruete war seit den 1920er Jahren in Hamburg ansässig. Ihr Engagement für eine jüdische Doktorandin, Hedwig Klein, ist mit der Universität Hamburg verbunden. Hedwig Klein schrieb ihre Doktorarbeit über den Oman und die Familie Bu-Said. Sie hatte sowohl zu Rudolph Said-Ruete als auch zu Antonie Brandeis-Ruete Kontakt aufgenommen, und beide versuchten, ihr noch Ende der 1930er Möglichkeiten für eine Ausreise aus Deutschland zu vermitteln.259 Ein Versuch, der fehlschlug, Hedwig Klein starb vermutlich 1942 nach ihrer Deportation nach Auschwitz.260 Antonie Brandeis-Ruetes Leben war geprägt durch ihre Herkunft. Sie setzte die Beziehungen fort, die ihre Mutter zum kolonialen Establishment aufgebaut hatte, bezog sich jedoch in ihrer Selbstpositionierung nicht auf das Bild der »arabischen Prinzessin«, das die Mutter in ihrer Selbstdarstellung pflegte. Sie begeisterte sich für die gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend populärer werdende Frauenbewegung und entwarf das Bild der deutschen »Hausfrau in den Kolonien«. Diesem hing sie auch in der Metropole an und es ist ihre Form der Affirmation als »deutsche« Hausfrau, über die sie eine Zugehörigkeit konstruierte, die »Heim, Gemeinde, Volk«261 pries und sich damit eines Narrativs des Deutschtums bediente. Dass sie auf diesem Weg auch eigensinnige Auseinandersetzungen führte, lässt sich nur vermuten. Ihre geschiedene Ehe war für die Zeit ungewöhnlich. Das Fehlen eines Rekurses auf ihre arabische Herkunft – anders als ihr Bruder es für sich behauptete, wie im Folgenden deutlich wird – fällt besonders vor ihrem kolonialen Engagement auf. Der möglicherweise mit dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft zusammenhängende Austritt aus dem Aufsichtsrat der Kolonialen Frauenschule Rendsburg deutet auf weitere Hintergründe hin, die sich ebenso wie die Unterstützung von Hedwig Klein, der jüdischen Studentin, die über den Oman ihre Doktorarbeit schrieb, nicht abschließend aufklären lassen.

257 Rommel, Rautenberg, Die Kolonialen Frauenschulen von 1908-1945, S. 38. Wildenthal, German Women for Empire, S. 185. 258 Wildenthal, German Women for Empire, S. 185. 259 Freimark, Peter: »Promotion Hedwig Klein – zugleich ein Beitrag zum Seminar für Geschichte und Kultur des Vorderen Orients«, in: Krause, Eckart, Huber, Ludwig, Fischer, Holger (Hg.), Hochschulalltag im ›Dritten Reich‹. Die Hamburger Universität 1933-1945, Berlin: Reimer 1991, S. 851-864. 260 Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus, S. 499. 261 Brandeis-Ruete, »Koloniale Frauenschule in Rendsburg«, S. 261.

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Rudolph Said-Ruete In einem Zensus aus dem Jahr 1911, erstellt in Kensington, London, taucht der Name Rudolph Said-Ruete auf, verbunden mit einer noblen Adresse: 39 Bramham Gardens, ein Wohnhaus, das 18 Zimmer umfasste. Der 1869 geborene Sohn, zweites Kind der Eheleute Emily und Rudolph Heinrich Ruete, war 1911 schon Bankier im Ruhestand, verheiratet mit Theresa, geborene Mathias. Er war Vater zweier Kinder, Werner (geb. 1902) und Olga (geb. 1910). Seine Lebensgeschichte ist beispielhaft für arabisch-deutsche Zusammenhänge in der Zeit von 1871 bis 1933. Rudolph Said-Ruete wurde ein Jahr vor dem Unfalltod seines Vaters geboren. Nach der gemeinsamen Zeit mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern in Dresden, besuchte er in Rudolstadt das Gymnasium. Seine schulische Laufbahn ging nach einem weiteren Umzug auf dem Wilhelms-Gymnasium zu Berlin weiter und schließlich im Preußischen Kadettenkorps in Bensberg bei Köln.262 Er war 16 Jahre alt, als er mit der Mutter und den Schwestern erstmals sansibarischen Boden betrat. Die innerhalb der bereits erwähnten Auto-biographischen Teilskizze von 1932 erschienen Meilensteine meines Lebens verweisen auf den militärischen Kontext: »Als Kadett der Hauptanstalt zu Gross-Lichterfelde war ich in Begleitung meiner Mutter und Schwestern auf Veranlassung der kaiserlichen Regierung im Jahre 1885 auf einem dem dort stationiertem deutschen Geschwader zugeteilten Schiffe vor Zanzibar […].«263 Rudolph begann eine Offizierslaufbahn, 1888 trat er in die preußische Armee ein –– »Thüringische Feldartillerie-Regiment Nr. 19 und FeldartillerieRegiment Nr. 15«. Er wurde im Kaiserlichen Konsulat für Syrien zu Beirut und in der Kriegsakademie eingesetzt.264 Zehn Jahre blieb er in der Armee. Mitte der 1890er Jahre begann er zu schreiben und seine Texte zu veröffentlichen. Bis in die 1930er Jahre lassen sich zahlreiche Publikationen von ihm finden: Zeitungsartikel, Aufsätze und kommentierte historische Editionen.265 Said-Ruete wurde, wie er weiter in seiner Auto-biographischen Teilskizze angab, »zur Kriegsakademie kommandiert«, ohne konkretere Angaben zu diesem Studium zu machen.266 Die Militärinstitution war eng mit dem Seminar für Orientalische Sprachen (vgl. Kapitel 1 Deutschlands »Orient«, S. 60-65) verbunden. Und Said-Ruete muss sich in diesem Bereich orientalistische Kenntnisse erworben haben, denn in der Folge wurde er zum Experten für arabisch-islamische Länder und verfolgte die Kolonialinteressen Deutschlands, später dann die britischen Interessen. Seine hohe Herkunft aus der Familie Bu-Said mütterlicherseits mag ihm Kontakte zu Persönlichkeiten aus dem deutschen Adel und Militär ermöglicht 262 263 264 265 266

Said-Ruete, Eine auto-biographische Teilskizze, S. 27. Ebd., S. 27. Ebd. Ebd., S. 31ff. Ebd., S. 27.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

haben. Rudolph Said-Ruete besuchte 1893 den ehemaligen Reichskanzler Otto von Bismarck in seinem damaligen Landsitz Friedrichsruh.267 Bismarck soll den Helgoland-Sansibar-Vertrag »trostlos« genannt und angemerkt haben, Said-Ruete hätte ohne dieses Abkommen Sultan werden können. Der junge Kadett habe die Idee zurückgewiesen und seine Zufriedenheit darüber bekundet, dass er in Torgau stationiert sei.268 Diese Anekdote gibt einen kleinen Einblick in die Stellung des Offiziersanwärters, die er jedoch hinsichtlich seiner Militärlaufbahn nicht weiter kommentierte, sondern die persönliche Beziehung zum »Afrikaforscher« Rohlfs hervorhob. Während seiner Militärzeit wurde Said-Ruete noch an verschiedenen anderen Orten eingesetzt und mit unterschiedlichen Missionen betraut. Die Offizierslaufbahn vollendete er bis zu seinem Austritt aus der Armee 1898 jedoch nicht, er verließ diese – auf sein eigenes »Ansuchen«, wie er schreibt – im Rang eines »Premierlieutenant«.269 Seine letzten Einsatzgebiete befanden sich in Syrien und Palästina. Said-Ruete selbst stellte diese »Reisen«, wie er sie in einem Vortrag von 1898 nannte, in einen dezidiert kolonialen Zusammenhang: Ich werde im Laufe meines Vortrages eine kurze Beschreibung der einzelnen Kolonien geben und hoffe, dass mein Vortrag ein wenig dazu beitragen möge, erneut das Interesse für jene Länder wach zu rufen, welche – ganz abgesehen von ihrer kulturhistorischen und religiösen Bedeutung – für viele hunderte deutscher Bürger eine neue Heimat geworden sind. Für Länder, wo deutscher Fleiss und deutsches Wesen bereits Bedeutendes geleistet haben, und vor allem bei thatkräftiger Förderung weit mehr leisten könnten.270 Said-Ruete war zum Zeitpunkt des Vortrags 28 Jahre alt und warb für deutsches Engagement in Gebieten, die (noch) unter osmanischer Herrschaft standen, um deren koloniale Beherrschung sich aber bereits europäische Mächte, allen voran Großbritannien und Frankreich, bemühten. Er sprach sich in diesem Zusammenhang für »weit mehr« deutsche Einflussnahme aus.

267 Donzel, »Introduction«, S. 111 sowie S. 513. 268 So geschildert in Said-Ruete, Eine auto-biographische Teilskizze, S. 27. Said-Ruete schildert die Szene ebenfalls in seinen Erinnerungen an Gerhard Rohlfs, ohne jedoch den von Bismarck bekundeten Anspruch auf das sansibarische Sultanat zu erwähnen. Vgl. Said-Ruete, »Persönliche Erinnerungen an Gerhard Rohlfs«, S. 347. 269 Said-Ruete, Eine auto-biographische Teilskizze, S. 27. 270 Ruete, Said: Meine Reisen in Syrien und Palästina mit besonderer Berücksichtigung der dortigen Deutschen Tempelgemeinden, (mit einer Karte, Vortrag, gehalten in der Abteilung BerlinCharlottenburg der Deutschen Kolonial-Gesellschaft, mit daran anknüpfenden Ausführungen des Herrn Konsuls, Freiherr von Münchhausen), Berlin: Reimer 1898, S. 238.

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Koloniale Aufgaben: stationiert in Syrien und Palästina Ein Jahr nach seinem Besuch bei Otto von Bismarck absolvierte Said-Ruete einen einjährigen Einsatz in Beirut. Er reiste als Deutscher in Begleitung eines einheimischen Dragomans, der sein Arabisch ergänzte oder, wenn notwendig, für ihn übersetzte. Ob er die Sprache zu Hause durch seine Mutter vermittelt bekam oder später im Zuge seiner Ausbildung, geht aus seinen Schriften nicht hervor. Seine Mutter war mit ihm und seinen Schwestern 1879 nach Berlin gezogen, um dort Arabischunterricht zu geben. Es ist zu vermuten, dass sie zu Hause auch Suaheli oder Arabisch mit den Kindern sprach. Noch in den 1930er Jahren bezeichnete Said-Ruete seine Arabischkenntnisse jedoch als unzureichend.271 Said-Ruete selbst betonte den kolonialen Bezug seiner Reise: »Begreiflicherweise wird sich manchem die Frage aufdrängen, welcher Zusammenhang zwischen jenen Ländern [Syrien und Palästina] und der deutschen Kolonialbestrebung eigentlich besteht.«272 Er fuhr fort: Wir alle wissen, dass unser einiges Vaterland mit der Stunde, wo weitsehende Männer auf der Dünenküste von Angra-Pequena [= Lüderitzbucht, heutiges Namibia] das deutsche Banner entrollten, in den Kreis der Kolonialmächte Europas eingetreten ist. Noch sind seit jenem denkwürdigen Tage keine 2 Jahrzehnte verflossen, und ein jeder Deutscher, der einen Atlas zur Hand nimmt, kann mit berechtigtem Stolze ersehn, welche grossen Gebiete des Erdkreises wir heute zu unseren Kolonien zählen. […] Vielmehr habe ich am heutigen Abend die Absicht, Ihre geneigte Aufmerksamkeit auf jene deutschen Kolonien zu lenken, welche innerhalb fremdländischer Grenzpfähle die Vorposten deutscher Kultur und Gesittung darstellen, und welche wohl wert sind, die Sympathien des Heimatlandes in hervorragender Weise zu geniessen. Tausend und Abertausende von Deutschen verlassen alljährlich mit Weib und Kind die vaterländische Scholle, um in fernen Weltteilen ihrem Glücke nachzujagen oder um sich eine neue Existenz zu gründen.273 Said-Ruete warnte seine Zuhörer davor, dass diese »Leute dem Deutschtum verloren gehen« könnten. Er war Kolonialenthusiast und stellte die palästinensischen Templergemeinden als positive Kolonisationsbeispiele in »fremdländischen Gebieten« dar. Er verglich sie mit Südbrasilien, wo sich ebenso wie in Syrien und Palästina »lebenskräftige rein deutsche Ansiedlungen finden«.274

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Leiden University Library, Collection Snouck Hurgronje, Cod. Or. 8952 A: 900, Said-Ruete, R., Brieven van Rudolph Said-Ruete (1869-1946) aan Christiaan Snouck Hurgronje (1857-1936), Brief vom 06.02.1935. 272 Ruete, Meine Reisen in Syrien und Palästina, S. 236. 273 Ebd., S. 237. 274 Ebd.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

Said-Ruete stellte seine orientalistischen Interessen in einen größeren kolonialen Zusammenhang. Gegen Ende des Jahrhunderts befand er sich im Grand Hotel in Luxor, Theben, wo er ein Fremdenbuch vorfand, das auf Richard Lepsius zurückging.275 1900 veröffentlichte Ruete das Fremdenbuch aus Theben mit Erlaubnis von Mohareb Todrous, dem »deutschen Consularagenten« vor Ort in der Berliner Verlagsanstalt Liebheit & Thiesen.276 Das Fremdenbuch liest sich wie ein Who is Who nicht allein der deutschen Kolonialbewegung. Begonnen wurde es 1844 durch den Gründer der deutschen Ägyptologie, Carl Richard Lepsius, der in seinem Eintrag das Vorhaben bekundete, Ägypten von einem »aus seinem anderthalbtausendjährigen Schlummer zu erwecken und für die Wissenschaft der Gegenwart neu zu erobern!«277 . Said-Ruete präsentierte die verschiedenen Einträge bis zum Jahr 1892. Zu den zuletzt in dem Buch auftretenden Akteuren gehörten Gerhard Rohlfs, Dr. Gustav Nachtigal, »genannt Edris Effendi elSauach auf seiner Rückreise aus Central Afrika«, »Dr. G. Schweinfurth aus Cairo auf einer Landreise durch und um Oberägypten herum« wie auch Hermann von Wissmann.278 Said-Ruete schrieb über das alte Theben und kommentierte die unterschiedlichen Einträge des Fremdenbuchs. Er veröffentlichte weitere Artikel zur Lage in Ägypten, später standen Mesopotamien und die Türkei im Mittelpunkt seiner Interessen. Aus den Artikeln und Korrespondenzen wird nicht deutlich, wo genau seine Tätigkeitsgebiete lagen. Er war an verschiedenen Projekten beteiligt, aber weder seine Auto-biographische Teilskizze noch seine privaten Korrespondenzen geben einen genauen Hinweis auf einen konkreten Bildungsabschluss jenseits seiner Offizierslaufbahn.279 Said-Ruetes Artikel über koloniale Themen bilden gleichwohl eine geopolitische Landkarte und verbinden wie ein roter Faden seine Interessensgebiete. 1898 verließ er die Armee und begann als »inspecteur général des chemins de fer économiques de l’Est« in Ägypten zu arbeiten.280 1905 und 1910 nahm er an Deutschen Kolonialkongressen281 in Berlin teil und publizierte jeweils einen Aufsatz in den umfangreichen Katalogen. Beide Artikel enthalten Plädoyers für ein deutsches Auskommen mit Großbritannien. Und beide Artikel beinhalten erneut 275 Der bereits in Kapitel 2 Zeit-Räume, Hassan Taufik erwähnte Carl Richard Lepsius, hier nur mit Richard Lepsius genannt, auf den die Gründung des Ägyptischen Museums zurückgeht. 276 Ruete, Said: Ein Fremdenbuch aus Theben, Berlin: Liebheit & Thiesen 1900. 277 Ebd., S. 4. 278 Ebd., S. 36. 279 Auch seine Auto-biographische Teilskizze lässt genaue Angaben zu diesem Thema aus. Vgl. Said-Ruete, Eine auto-biographische Teilskizze, S. 27f. 280 Donzel, »Introduction«, S. 113. Donzel betont, dass es nicht bekannt ist, wie Said-Ruete diesen hohen Posten erhalten hat. Ebd. 281 Zu den drei deutschen Kolonialkongressen: Grosse, Pascal: »Die Deutschen Kolonialkongresse in Berlin 1902, 1905 und 1910«, in: Heyden, Ulrich van der, Zeller, Joachim (Hg.), »… Macht und Anteil an der Weltherrschaft«. Berlin und der deutsche Kolonialismus, Münster: Unrast 2005, S. 95-100.

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ein dezidiert geopolitisch und kolonial ausgerichtetes Verständnis der Aufteilung der Welt und ihrer Mächteverhältnisse. Wie später zu zeigen sein wird, sah er nach 1917 Großbritannien allein auf dem Vormarsch im Nahen Osten. 1905 beschrieb er die Lage Mesopotamiens jedoch noch wie folgt: Pflicht der Billigkeit ist es, zu betonen, dass die gegenwärtigen Machthaber bereits einen Zustand völligen Verfalles vorfanden, als sie in den Besitz Babyloniens gelangten; so trifft die Osmanen keine Verantwortung für den Wandel der Verhältnisse – anderseits haben sie sich auch als machtlos erwiesen, das Land seiner alten Blüte erneut entgegenzuführen. Für eine derartige umfassende Aufgabe gebricht es dem schwerfälligen Orientalen an Einsicht und wirtschaftlicher Stärke; es bedarf der fördernden Hand des Abendlandes um ein dem Verlöschen nahes Produktionsgebiet von aussergewöhnlich reichem inneren Werte zu frischem Leben zu erwecken. An der Lösung dieser schönen Aufgabe mitzuwirken, ist Deutschland Dank seiner seit Jahrzehnten im nahen Osten verfolgten Politik und gestützt auf die bisher in dieser Richtung erzielten ermutigenden Erfolge in erster Linie mitberufen.282 Deutschland sei also, so Said-Ruetes Einschätzung zu jener Zeit, »mitberufen« den »schwerfälligen Orientalen« zu helfen. Um sie schien es dem Autor jedoch gar nicht direkt zu gehen, im Zentrum seines Interesses stand vielmehr die Vorherrschaft des »weissen Mannes« in der Region, die nach seiner Sicht gewahrt bleiben müsse – und dies vor allem aufgrund wirtschaftlicher Interessen: Wenn England in den weiten Grenzen der mohammedanischen Welt schon rücksichtlich seiner Stellung in Indien und Aegypten – die sich, wie nachdrücklich hervorgehoben werden muss, mit der Stellung des weissen Mannes in den Ländern des Islam deckt und deren Schwächung somit zu einer Gefährdung des europäischen Prestige im allgemeinen führen würde –, wenn England dort neben hochentwickelten kommerziellen Interessen bis zu einem gewissen Grade berechtigte politische Aspirationen verfolgt und verfolgen muss, so können die nicht minder berechtigten deutschen Bestrebungen nimmermehr andere als rein wirtschaftliche sein.283 Diese Verlautbarung entstand 1910 noch vor der zweiten Marokkokrise – im selben Jahr, als Said-Ruete sich in London niederließ. Schon hier wird das Plädoyer deutscher Zurückhaltung gegenüber England deutlich. Doch auf einem Gebiet seien

282 Ruete, Said: »Die wirtschaftlichen Verhältnisse Babyloniens«, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1905, Berlin: Reimer 1906, S. 975-989, S. 977. 283 Ruete, Said: »Die gemeinsamen Interessen Deutschlands und Englands in der Kolonialpolitik und auf dem Weltmarkte«, in: Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1910, Berlin: Reimer 1910, S. 1044-1049, S. 1046.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

die deutschen Interessen weiterhin dauerhaft zu verfolgen: auf dem wirtschaftlichen. Zu dieser Zeit, wie auch nach dem Ersten Weltkrieg, plädierte er für einen Konsens zwischen den europäischen Staaten, und vor allem zwischen Deutschland und England, die er – unter Einbeziehung Frankreichs – mit einem aufgeladenen Begriff versah: »Kulturblock«.284

Wirtschaftliche Unternehmungen Wirtschaftliche Themen nahmen ab ungefähr 1903 in seinen Publikationen zu.285 Nach der Beendigung seiner militärischen Laufbahn und dem Ende seiner Tätigkeit bei der Eisenbahngesellschaft in Ägypten war er 1900 nach Deutschland zurückgekehrt, um »eine Anstellung im Orientalischen Bureau der Deutschen Bank (Eisenbahnen in der europäischen und asiatischen Türkei, DeutschOstafrikanische Eisenbahngesellschaft)«286 zu finden. Die Deutsche Bank war seit 1888 mit Konzessionen am Bau der Anatolischen Eisenbahn beteiligt und bildete ein deutsches Finanzmonopol im Osmanischen Reich.287 Doch schien Said-Ruete in diesem Bereich zunächst nicht weiterzukommen und verließ die Deutsche Bank 1902, womöglich weil ihm keine Aufstiegschancen in Aussicht gestellt wurden.288 Zwischendurch, wieder in Deutschland, heiratete er in Berlin 1901 Maria Theresa Mathias,289 die einer jüdischen Familie aus Köln entstamm-

284 Said-Ruete, Rudolph: Politische Korrespondenzen und Friedfertige Kriegsaufsätze 1914-1918, Zürich: Orell Füssli 1919, S. 20. 285 Said-Ruete, Eine auto-biographische Teilskizze, S. 31ff. 286 Ebd., S. 27. 287 Vgl. Mejcher, »Die Bagdadbahn als Instrument deutschen wirtschaftlichen Einflusses im Osmanischen Reich«. Mejcher diskutiert differenziert die verschiedenen imperialistischen Einflussnahmen von Wirtschaft und Hochfinanz vor dem Hintergrund der Fischer-These. Vgl. weiter: Oberhaus, Salvador: »Zum wilden Aufstande entflammen«. Die deutsche Propagandastrategie für den Orient im Ersten Weltkrieg am Beispiel Ägypten, Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller 2007, S. 38. 288 Vgl. Barth, Boris: »Politische Bank wider Willen: Die Deutsche Orientbank vor dem Ersten Weltkrieg«, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 42 (1997), Nr. 1, S. 65-88. Siehe auch Gross, Nachum T.: »Die Deutsche Palästina-Bank 1897-1914. Ein Forschungsfragment«, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 33 (1988), Nr. 3, S. 149-177, S. 172, Fn. 70, 71. 289 Maria Theresa Mathias (auch Matthias), geboren 1872. Auf der Webseite der omanischen Dynastie wird ihre Herkunft ausführlich festgehalten, so auch Angaben über ihre Eltern, Mathissen Mathias, Kaufmann aus Köln und dessen Frau Mathilde, Tochter von Meyer Baer Mond. Alfred Mond, Industrieller und Politiker sowie der erste Baron Melchett, war demnach der Cousin von Maria Theresa Mathias. Vgl. Buyers, Christopher: Oman. The Al-Busaid Dynasty. Genealogy, in: The Royal Ark, 07/2001-04/2017, www.royalark.net/Oman/oman5.htm (18.07.2018). Vgl. Donzel, »Introduction«, S. 114.

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te.290 Said-Ruete knüpfte zeitgleich Kontakte zur zionistischen Bewegung und zu Theodor Herzl.291 Um die Jahrhundertwende pflegte Said-Ruete auch Kontakte zur Deutschen Palästina-Bank. Jedoch war diese in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts immer wieder von Liquidation bedroht und musste 1913 schließlich tatsächlich ihren Bankrott bekanntgeben.292 Die Statuten der Bank deuten darauf hin, dass sie eine christliche, dem »Deutschtum« verpflichtete Personalpolitik verfolgte.293 Dies mag kein Ausschlusskriterium für Said-Ruete gewesen sein, auch wenn sich darüber an dieser Stelle nur spekulieren lässt. Er tauchte zumindest als Informant auf, der Mitgliedern des Jewish Colonial Trust interne Informationen über die Verfasstheit der Deutschen Palästina-Bank mitteilte.294 Nachum Gross zitiert in diesem Zusammenhang zwei Korrespondenzen, die der zionistischen Organisation vorlagen und die Ruetes Einschätzung der Stellung der Bank dokumentieren.295 Said-Ruete war demnach Anfang des 20. Jahrhunderts auf der Suche nach Arbeit.296 Bei Van Donzel wiederum werden Korrespondenzen zwischen Theodor Herzl und Said-Ruete erwähnt, die darauf hinweisen, dass er auf eine Anstellung in der Palästinabank spekulierte und grundlegend nichts gegen zionistische Pläne einer Ansiedlung in Nordsyrien einzuwenden hatte.297 Immer wieder ist in Said-Ruetes Ausführungen von Aufenthalten in arabischen Ländern zu lesen, so auch im Winter 1902/03, den er am Golf von Suez verbrachte, wo er für die National Bank of Egypt im Bereich des Petroleumhandels tätig war.298 1906 schließlich wurde er zum Direktor der neu gegründeten Orient-Bank, die aus einem Zusammenschluss der zuvor schon kooperierenden Dresdener Bank und des A. Schaaffhausenschen Bankvereins sowie der Nationalbank für Deutschland 1906 entstanden war.299 Ägypten befand sich seit den 1870er Jahren finanziell kontinuierlich am Rande des Staatsbankrotts. Frankreich und Großbritannien setzten das Land finanziellen Zwängen aus und übten über weite Bereiche eine ökonomische Kontrolle aus. Mit der britischen Besetzung 1882, nach der Niederschlagung der Urabi-Bewegung,300 290 291 292 293 294 295 296 297

Donzel, »Introduction«, S. 13, Tafel VI, S. 114. Entsprechend Donzel, »Introduction«, S. 114. Gross, »Die Deutsche Palästina-Bank«, S. 158. Ebd., S. 170-172. Ebd., besonders S. 172, Fn. 70, 71. Ebd. Ebd., S. 172, Fn. 71. Ebd. Im Rahmen dieses schriftlichen Austauschs soll er sich jedoch auch zurückhaltend geäußert haben, die zionistischen Interessen bei der Deutschen Bank einzubringen. Vgl. ebd., S. 115. 298 Ebd. 299 Barth, »Politische Bank wider Willen«, S. 69. 300 Als Urabi-Bewegung wird eine 1881 um den gebürtigen Ägypter Ahmad Urabi entstandene Bewegung benannt, die mit einer Petition und der Forderung nach einer Umstrukturierung des ägyptischen Heeres zunächst begann. Der Eingriff der Briten 1882 wurde mit der Nie-

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übernahm das britische Empire Formen indirekter Herrschaft in Ägypten, die einer formalen kolonialen Einflussnahme ähnelten.301 Die europäische Einflussnahme funktionierte im Rahmen einer wechselnden Bündnispolitik und nach dem Motto »divide et impera«. Die Nachfolger des bis 1879 regierenden Khediven Ismail (1867 formell zum Khediven ernannt) und besonders dessen Sohnes Taufiq (1879-1892) sahen sich selbst durch die 1881er-Proteste der Urabi-Bewegung angegriffen und ließen sich auf Konzessionen mit den europäischen Gläubigern ein.302 Die deutsche Haltung war zunächst unter Bismarck darauf ausgerichtet, ein Auskommen mit Großbritannien zu finden. Diese außenpolitische Strategie wurde als »bâton egyptien« (»ägyptischer Knüppel«) bekannt. Das Empire sollte von deutscher Unterstützung abhängig gemacht werden und seine Interessen auch gegen Frankreich verteidigen – ein Schachzug, der spätestens 1904 mit der Entente Cordiale zwischen Frankreich und Großbritannien, in der beide Länder eine Abstimmung ihrer Machtsphären festlegten, obsolet wurde.303 Diese geopolitischen Zusammenhänge waren, wie in Kapitel 1 Deutschlands »Orient« (S. 40-42) dargestellt, eng mit der deutschen Einflussnahme in Ägypten verbunden. Said-Ruetes Tätigkeit für die Orient-Bank fand in einer Zeit statt, in der das Auswärtige Amt die Versuche der Kolonialabteilung, deutsche Privatinvestitionen in koloniale Unternehmungen zu fördern, durch besondere Anreize zu forcieren versuchte.304 Nicht nur stieg die Dresdner Bank Anfang des 20. Jahrhunderts in die Orient-Bank ein, auch die Gründungen der Deutsch-Westafrikanischen Bank im Jahr 1904 für Togo und Kamerun und, erneut zusammen mit dem A. Schaaffhausenschen Bankverein und der Deutsch-Südamerikanischen Bank bildeten Versuche, sich international finanzpolitische Einflusssphären zu sichern.305

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derschlagung dieser Bewegung und dem Zuhilfekommen des Khediven Muhammad Taufiq Pascha begründet. Vgl. Rogan, The Arabs, S. 152ff. sowie Vgl. Muhammad Salim, Latifa: Urabi und seine Gefährten in Djannat Adam (Ceylon), Kairo: Dar al-Schuruq 2009, Latifa, [arabische Zitation siehe Anhang]. Wie Oberhaus treffend festhält, war die 1882 einsetzende britische Herrschaft völkerrechtlich nicht legitimiert. Das Land unterstand bis 1914 formell dem Osmanischen Reich, de facto setzte der britische und französische Einfluss schon in den 1870er Jahren zur Zeit des Khediven Ismail (1863-1879) ein. Vgl. Oberhaus, »Zum wilden Aufstande entflammen«, S. 37ff. Die Übergänge zwischen formeller und informeller Kolonialherrschaft waren fließend. Vgl. Conrad, »Kolonialismus und Postkolonialismus«. Die Abfolge der Ereignisse und vor allem die Koalitionenbildungen der vorwiegend fellachischen Rebellierenden, die jedoch zu der Zeit noch keine Loslösung vom Osmanischen Reich forderten, beschrieb umfassend Schölch, Alexander: Ägypten den Ägyptern! Die politische und gesellschaftliche Krise der Jahre 1878-1882 in Ägypten, Freiburg i.Br.: Atlantis 1972. So ausführlich bei Oberhaus dargestellt: Oberhaus, »Zum wilden Aufstande entflammen«, S. 43f. Vgl. Hamed, Raouf Abbas: »Germany and the Egyptian Nationalist Movement 18821918«, in: Die Welt des Islams 28 (1988), Nr. 1-4, S. 11-24. Barth, »Politische Bank wider Willen«, S. 67f. Ebd.

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Die Linie der Orient-Bank war genauestens festgelegt. Neben Verhandlungen und Absprachen mit der Deutschen Bank gab es konkrete Vorgaben für die jeweiligen Direktionen vor Ort. Auch Said-Ruete musste sich an die Politik des Mutterhauses halten. Dies schien er nicht zu dessen Zufriedenheit gemacht zu haben, denn schon 1907 musste er seinen Posten in Kairo wieder räumen. Nach der Darstellung von Boris Barth aus dem folgenden Grund: Zumindest ein Fall ist bekannt, in dem ein Direktor, Rudolf Said Ruete, entlassen werden mußte. Der ehemalige preußische Artillerieoffizier Ruete stammte aus Sansibar und hatte kurze Zeit im Orientbüro der Deutschen Bank gearbeitet. Dort war er 1902 aber ausgeschieden, weil ihm keine leitende Stellung in Aussicht gestellt werden konnte; 1905 wechselte er zur Orientbank, die ihm, auch wegen seiner perfekten arabischen Sprachkenntnisse, den Posten eines Direktors in Ägypten anbot. Doch bewährte er sich in seiner neuen selbständigen Stellung nicht: Er übertrat eigenmächtig Instruktionen, pflegte gegenüber seinen Angestellten einen herrischen Führungsstil, so daß sich Beschwerden hierüber in Deutschland häuften, und ging entgegen dem Willen der Zentrale allzu sehr auf die politischen Offerten des Khediven ein. Dem Auswärtigen Amt gelang es nur mit erheblicher Mühe, einen Rechtsstreit vor deutschen Gerichten über seine Entlassung zu verhindern, da dies den deutschen Interessen in Ägypten abträglich gewesen wäre: Zu viele Interna auch aus dem Bereich des betriebswirtschaftlichen Kalküls der Bank wären dann öffentlich debattiert und damit auch der britischen Konkurrenz bekannt gemacht worden.306 Wenn auch Said-Ruete gebürtiger Hamburger war und mit der Reichsgründung die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt, so ist die angedeutete Zusammenarbeit mit dem Khediven hervorzuheben, besonders vor dem Hintergrund der kolonialpolitischen Strategien. Sie deutet auf Beziehungen Said-Ruetes hin, die über die einfache Anstellung als Direktor der Zweigstelle einer international etablierten deutschen Bank hinausgehen. Die Nähe der Familie Ruete zu den Khediven von Ägypten, von denen Ismail Pascha schon in die Angelegenheiten von Said-Ruetes Mutter involviert war, lassen hier weitere Verbindungen vermuten. Vielleicht hatte auch Said-Ruete einen engeren Kontakt zum ägyptischen Herrschaftshaus. Vielleicht fußte seine nächste Tätigkeit aber auch eher auf Beziehungen zu den Briten. Nach seiner Entlassung gab Said-Ruete zumindest an, dass er 1908 von der mit Eisenbahnbau befassten Corporation of Western Egypt zur Eröffnung einer 194 Kilometer langen Verbindung zwischen der Oase Khargeh und dem Niltal eingeladen wurde und bei dieser Gelegenheit auf Spuren der Kolonialforscher Gerhard Rohlfs und Georg Schweinfurth stieß.307 306 Ebd., S. 73. 307 Said-Ruete, »Persönliche Erinnerungen an Gerhard Rohlfs«, S. 350f.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

Die falsche Herkunftszuschreibung Said-Ruetes als aus Sansibar stammend mag auch schon in zeitgenössischen Einschätzungen eine Rolle gespielt haben.308 Die Beziehungsmuster im kolonialen Umfeld und die relativ privilegierte Stellung Said-Ruetes deuten darauf hin, dass er nicht allein aufgrund seines wirtschaftlichen Fachwissens eine Stellung im Bankengeschäft erhielt. Erst für 1910 gibt Said-Ruete in seiner Auto-biographischen Teilskizze wieder eine Tätigkeit an: Er war »im Auftrage der Deutschen Bank für eine wirtschaftliche Sondermission in Persien«309 . Im gleichen Jahr bezog er seinen Wohnsitz in London.

Deutschland in der Welt – Kriegsaufsätze im Ersten Weltkrieg Als Deutscher, der ich durch lange Jahre im Auslande lebte, und eingedenk dessen, was meinen Landsleuten und mir jenseits der eigenen Grenzpfähle an Gutem und Nützlichem stets in liberalster Weise geboten wurde, empfand ich es von Kriegsbeginn an als eine nationale Pflicht, im Rahmen meines Könnens aufklärend, versöhnend und vorbeugend zu wirken. […] Luzern, Ende Dezember 1918.310 Ähnlich wie seine Mutter veröffentlichte Rudolph Said-Ruete in der Mitte seines Lebens ein größeres Werk, in seinem Fall allerdings keine Memoiren, sondern eine Reihe von Artikeln, die vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges seine weltanschaulichen Perspektiven verdeutlichten. Während die zehn Jahre später veröffentlichte Auto-biographische Teilskizze gerade anderthalb Seiten umfasst,311 in denen er wichtige Stationen seines Lebens aufführte und ebenso wichtige wegließ,312 berichten die Politischen Korrespondenzen und Friedfertigen Kriegsaufsätze auf 193 Seiten über Said-Ruetes Kontakte zu adligen und hochrangigen politischen Kreisen, die Erfahrungen aus seinen verschiedenen Tätigkeitsbereichen und nicht zuletzt seine politische Einstellung. Er gab in der Einleitung vorab freimütig zu, dass seine »Anregungen kein positives Ergebnis im Sinne eines den deutschen Interessen dienlichen Friedens zeitigten« und seine »Ratschläge in den schlammigen Fluten unheilvollen Machtgefühles, der Unkenntnis, des Hasses und der Verhetzung nur 308 309 310 311 312

Barth, »Politische Bank wider Willen«, S. 73. Said-Ruete, Eine auto-biographische Teilskizze, S. 27. Said-Ruete, »Einleitung«, in: ders., Politische Korrespondenzen, o. S. Said-Ruete, Eine auto-biographische Teilskizze, S. 27f. Wie das Beispiel der Orientbank zeigt. Seine Kündigung ist in der Lebenskizze nicht erwähnt. Vgl. ebd., S. 27.

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wenig Beachtung fanden«.313 Jedoch wollte er aufzeigen, dass sein Pessimismus noch verhalten war und die Realität sich letztendlich noch viel desaströser als zuvor gedacht gestaltete. Said-Ruete dokumentierte selbst sein Kalkül, die intellektuelle, herrschaftliche und politische Elite seines Heimatlandes zu beraten und vor den Kriegsunternehmungen zu warnen.314 Zu Beginn des Weltkrieges floh er mit seiner Familie aus London und nahm Exil in der Schweiz:315 »Der Ausbruch des Weltkrieges fand mich mit meiner Familie in der Schweiz, wo ich mich, von meiner Frau tatkräftig unterstützt, soweit es das fluchwürdige Beginnen gestattete, der Pflege internationaler Beziehungen und Liebestätigkeit widmete.«316 Diese Aufgaben waren eng verbunden mit den Themen, mit denen er sich zuvor schon kontinuierlich beschäftigt hatte: den kolonialen und orientalistischen Aspekten der deutschen Außenpolitik. Diese sah er als Fortführung »Bismarckscher Gedankengänge, mit starkem, durch den Wandel der Verhältnisse gebotenem liberalem Einschlag«.317 Eines von Said-Ruetes Hauptthemen war die deutsche Türkeipolitik, zu der er sich in Briefen an Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg, dessen Vorgänger Bernhard von Bülow, von 1914 bis 1915 Sonderbotschafter in Rom, und weitere Persönlichkeiten schrieb. Bethmann-Hollweg erhielt 1916 ein Schreiben, in dem Said-Ruete sich gegen ein gegen England gerichtetes Bündnis mit der Türkei aussprach und riet: »Eine in Asien territorial gut verkleinerte, aber politisch und wirtschaftlich auf internationaler Basis gestärkte, dauernd-lebensfähige Türkei«318 sei eine Möglichkeit, »von Reibungen freie Absatzgebiete im Osten zu gewährleisten.«319 Während der Reichskanzler zu Kriegszeiten ein Treffen mit ihm aus terminlichen Gründen ablehnte, war der Kontakt zu von Bülow persönlicher. Said-Ruetes Motiv schien zu sein, dass ein Auskommen mit Großbritannien gefunden werden könnte, anstatt in Konkurrenz zu den britischen Nahostplänen zu treten. Dafür waren aus seiner Sicht auch die deutschen Wirtschaftsinteressen sowohl hinsichtlich der Bagdadbahn als auch in Bezug auf Ägypten dem positiven kolonialen Einfluss des Empires hintanzustellen. Diesem Bemühen, die politischen Entscheidungsträger von seiner Position zu überzeugen, ging er ausdauernd nach. 313 314 315

316 317 318 319

Said-Ruete, »Einleitung«, in: ders., Politische Korrespondenzen, o. S.  Ebd. In einem Brief an den Orientalisten Snouck Hurgronje gibt Said-Ruete an, gerade noch der Gefangennahme entkommen zu sein: Leiden University Library, Collection Snouck Hurgronje, Cod. Or. 8952 A: 884, Said-Ruete, R., Brieven van Rudolph Said-Ruete (1869-1946) aan Christiaan Snouck Hurgronje (1857-1936), Brief vom 28.05.1915. Vgl. Donzel, »Introduction«, S. 119, Fn. 276. Said-Ruete, Eine auto-biographische Teilskizze, S. 27. Said-Ruete, Politische Korrespondenzen, S. 90. Ebd., S. 6. Ebd.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

Er versuchte über Arnold Wahnschaffe, Unterstaatssekretär der Reichskanzlei, an Bethmann-Hollweg heranzutreten, und ließ diesem eine Denkschrift zukommen. Darin verwies er erneut auf die Bedeutung Ägyptens und fasste zusammen: Eine deutsche Dauerverwaltung wird den Ägyptern unliebsamer sein als die gegenwärtige englische Administration; eine türkische Regierung würden sie als Rückschritt verabscheuen. »Ägypten den Ägyptern« ist jedoch ein Unding; damit würde den bis zum Kriegsausbruch bedeutenden und gutgesicherten deutschägyptischen Handelsbeziehungen, soweit dieselben noch der Wiederbelebung fähig sind, der sichere Todesstoss gegeben.320 Wahnschaffe räumte Said-Ruete jedoch keine Erfolgsaussichten für seine Bemühungen ein. Er erklärte, dass unterschiedliche Ressorts mit den Themen befasst seien und das Auswärtige Amt nicht die Kapazitäten habe, auf Said-Ruetes Vorschläge einzugehen. Said-Ruete veröffentlichte in seinen Politischen Korrespondenzen die von ihm protokollierten Gespräche mit verschiedenen Vertretern des Auswärtigen Amts. Neben Wahnschaffe war dies vor allem Arthur Zimmermann, zunächst Unter-, dann Staatssekretär des Auswärtigen Amtes.321 Während er mit Wahnschaffe vor allem geo- und damit kolonialpolitische Fragen erörterte und erneut auf die Bedeutung Ägyptens verwies, legte er Zimmermann insbesondere die respektvolle Behandlung englischer Kriegsgefangener nahe.322 Gegenüber Zimmermann betonte er zudem: [I]ch drückte meine ernste Besorgnis betreffs der Unzweckmässigkeit und Ergebnislosigkeit des »Heiligen Krieges« aus. Ich wies darauf hin, wie besten Falles nur Unruhen in Gebiete getragen würden, die bisher seitens Englands zum Nutzen des Weltkreises auf das beste verwaltet seien. Dass es unmöglich sein dürfte, etwas Gleichwertiges von dritter Seite an die Stelle zu setzen. Ich gewann den Eindruck, dass der Unterstaatssekretär der Materie fernstand.323 Mehr noch, Zimmermann berufe sich auf »Autoritäten« (bei Said-Ruete in Anführungszeichen), hinter die er seine »Ansichten zurückstelle«.324 Mit dieser Kritik befand sich Said-Ruete auf einer Linie mit dem bereits erwähnten niederländischen Orientalisten Snouck Hurgronje, der einen weiteren Mitarbeiter des Aus-

320 Ebd., S. 10. 321 Arthur Zimmermann war bekannt durch die sogenannte Zimmermann-Depesche, die auf die eine oder andere Art zum Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg führte. Vgl. Gathen, Joachim von zur: »Zimmermann Telegram: The Original Draft«, in: Cryptologia 31 (2007), S. 237. 322 Said-Ruete, Politische Korrespondenzen, S. 11ff. 323 Ebd., S. 12f. 324 Vgl. ebd., S. 13.

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wärtigen Amtes als Hochstapler bezeichnete.325 Ein Teil des Auswärtigen Amtes trat während des Krieges für eine offen orientalistische Politik ein, die beinhaltete, Propaganda unter muslimischen Kriegsgefangenen zu betreiben, eng mit dem Seminar für Orientalische Sprachen zusammenzuarbeiten und in den im Berliner Umland eingerichteten Kriegsgefangenenlagern unter Zuhilfenahme bekannter Kräfte panislamischer und arabisch-nationalistischer Bewegungen die eigene Kriegspropaganda voranzutreiben.326 Said Ruete lehnte diese Revolutionierungspolitik ab. Von Positionen, die von Akteuren wie Max von Oppenheim und Otto Günther von Wesendonk327 vertreten wurden, grenzte er sich damit deutlich ab. Für Said-Ruete waren die Vertreter dieser Fraktion der deutschen Außenpolitik im »Kriege entstandene[] Fachmänner[] für den Orient«.328 Im Weiteren lehnte er Carl Peters und die Alldeutschen wegen ihrer aggressiven England- und Kolonialpolitik ab.329 Noch mit einem weiteren Protagonisten der deutschen Kolonialbemühungen führte Said-Ruete einen Briefwechsel: Albert Ballin,330 dem Vorsitzenden des Direktoriums der Hamburg-Amerika Linie (HAPAG). Ihn unterrichtete er im September 1918 kurz vor Ende des Krieges und kurz vor dem vermutlichen Selbstmord des Reeders: Exzellenz Solf fand leider erst jetzt Gelegenheit, das öffentlich zu sagen, was er auf Grund reicher Erfahrungen und offenen Blicken seit Jahren zu seinem Glaubenssatze gemacht hatte; Czernin streicht nunmehr die gleiche Note, und auch die türkischen Staatsmänner desavourieren die Waffen der Macht: Von der Utopie des durch weltfremde Koran- und Talmudkenner entdeckten, sowie von politischen Abenteurern gemünzten »Heiligen Krieg« ernüchtert.331

325 Ebd. 326 Vgl. Kap. 3 »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen, S. 193-208. 327 Max von Oppenheim war im Ersten und Zweiten Weltkrieg eng mit orientalistischen Plänen eines aus deutscher Sicht kriegsdienlichen »Djihads« verbunden. Marchand stellt ihn als opportunistisch und außerhalb des orientalistischen Establishments tätig dar. Vgl. Marchand, German Orientalism in the Age of Empire, S. 340f. Vgl. zur Person auch Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus, S. 226. Wesendonk war während des Krieges Legationssekretär im Auswärtigen Amt. Vgl. den Eintrag Wesendonks, Otto-Günther von, in: Auswärtiges Amt, Historischer Dienst (Hg.): Biographisches Handbuch des Auswärtigen Dienstes: 1871-1945, Bd. 5: T–Z, Nachträge, bearbeitet von Isphording, Bernd, Keiper, Gerhard, Kröger, Martin, Paderborn u.a.: Schöningh 2014, S. 256f. 328 Vgl. Said-Ruete, Politische Korrespondenzen, S. 13, Fn. 1. 329 Said-Ruete, Politische Korrespondenzen, S. 61, 65. 330 Ritter, Gerhard A.: »Der Kaiser und sein Reeder. Albert Ballin, die HAPAG und das Verhältnis von Wirtschaft und Politik im Kaiserreich und in den ersten Jahren der Weimarer Republik«, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 42 (1997), Nr. 2, S. 137-162. 331 Said-Ruete, Politische Korrespondenzen, S. 56. Wilhelm Solf (1862-1936) stand als Staatssekretär ab 1911 dem Reichskolonialamt vor, vgl. Kundrus, Birthe: »Das Reichskolonialamt zwi-

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

Ballin war Jude und patriotisch gesinnt.332 Said-Ruetes Kontakt zu dem Reeder ist ein weiteres Beispiel der unterschiedlichen Beziehungen, die er aufgebaut hatte. Er pflegte Kontakte zu Adelskreisen, zu Diplomaten (was sich in vielen Bereichen überschnitt), zum gehobenen Bürgertum und zu jüdischen Kreisen. Wie SaidRuete zu dem besonders in Adelskreisen und damit auch im Auswärtigen Amt verbreiteten Antisemitismus stand, lässt sich nur vermuten. Dass er mit den zuvor zitierten Worten »weltfremde Koran- und Talmudkenner« oder »politische[] Abenteurer[]« direkt von Oppenheim meinte, scheint naheliegend. Es ist wahrscheinlich, dass die Familie Ruete zu dem in Kapitel 3333 näher beschriebenen Anhänger einer Revolutionierung von Soldaten in Form des »Heiligen Krieges« Kontakt hatte.334 Said-Ruete war weiterhin nicht gegen deutsche Kolonialpläne, im Gegenteil, er diskutierte zum Beispiel ausführlich Publikationen des zum Ende des Ersten Weltkriegs populären Emil Zimmermann.335 In dem Artikel mit der Überschrift »Deutsch-Mittelafrika« zu einigen Schriften Zimmermanns stand Said-Ruete dessen Ideen zwar nicht prinzipiell ablehnend gegenüber, er verwies jedoch auf die mangelnde Rentabilität. Zimmermann argumentierte, so gab er wieder, dass die Bagdadbahn keine Gewinnaussichten aufweise und sich die »Auslandsdeutschen« daher in »Mittelafrika ansiedeln sollten«.336 Die Idee von einem »Deutsch-Mittelafrika« ging auf einen Kolonialplan zurück, der schon lange vor dem Krieg seine ersten Ansätze fand und während des Krieges von einem Kreis um Wilhelm Heinrich Solf, Staatssekretär im Reichskolonialamt, zu einem offiziellen Kriegsziel erklärt wurde.337 Said-Ruete gab zu bedenken, dass Deutschland im Jahr 1917 seinen Kolonialbesitz bereits verloren hatte. Daher sei das Vorhaben, sich im lukrativen Mesopotamien und weiter im asiatischen Raum festzusetzen, durch die Vorstöße der Briten gescheitert. Said-Ruete fokussierte zu Vorkriegszeiten

schen nationalem Geltungsbewusstsein und Weltbürgertum. Die Staatssekretäre Friedrich von Lindequist und Wilhelm Solf«, in: Heyden, Zeller, »… Macht und Anteil an der Weltherrschaft, S. 14-21. 332 Ritter, »Der Kaiser und sein Reeder«, S. 137f. 333 Siehe Kap. 3 »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen, S. 188ff. 334 Donzel, »Introduction«, S. 133. Donzel geht davon aus, dass dieser Kontakt nicht intensiv war. Dennoch gab von Oppenheim an, Salme am Ende des 19. Jahrhunderts in Tel Aviv besucht zu haben. Vgl. ebd. 335 Nicht zu verwechseln mit dem zuvor genannten Arthur Zimmermann. Zu Emil Zimmermann vgl. van Laak, Über alles in der Welt, S. 101. Vgl. Smith, Woodruff D.: The Ideological Origins of Nazi Imperialism, New York/Oxford: Oxford University Press 1986. 336 Said-Ruete, Politische Korrespondenzen, S. 143f. 337 Linne, Deutschland jenseits des Äquators?, S. 16.

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besonders Mesopotamien und widmete sich erst später verstärkt einer deutschen Ansiedlung in »Mittelafrika«.338 Der Artikel zu »Mittelafrika« ist mit »Rudolph Said-Ruete, membre de l’institut colonial international« unterschrieben und deutet auf einen weiteren einflussreichen Kreis hin, zu dem er Zugang hatte. Dieses Institut gründete sich 1895 in Brüssel und schlug in Teilen um 1910 eine dezidiert praktische Ausrichtung ein.339 Romain Betrand bezeichnet die Zeit zwischen 1890 und 1920 als »›pan-colonialisme‹ européen«, der sich gerade in der Arbeit des Instituts widergespiegelt habe.340 Snouck Hurgronje341 gehörte zu den Gründungsmitgliedern und es ist zu vermuten, dass Said-Ruete über diesen Kontakt zu dem Institut stieß, das fortdauernd höchstens 200 Mitglieder haben durfte.342

Die Aufteilung der Welt in »Rassen« und der »Kulturblock« Einerseits befürwortete Said-Ruete die geopolitischen Expansionen des Deutschen Reichs, andererseits war der Mittelpunkt seiner Welt in Europa verortet und er stand deutlich in der Tradition einer gemeinhin mit Bismarck assoziierten Außenpolitik. Said-Ruete kritisierte einen überbordenden Patriotismus und übertriebenen Nationalismus und schwenkte an anderer Stelle zu einem ganz eigenen Verständnis seiner Herkunft. In einem Aufsatz mit dem Titel »Vaterland und Heimat«, der ein Abdruck eines Vortrags vor Zürcher Studenten aus dem Jahr 1917 ist, warnte er direkt vor einem falsch verstandenen Patriotismus und zitierte Friedrich Meinecke: »Der Berliner Historiker Friedrich Meinecke unterstreicht diese Auffassung mit den Worten: ›Gerade der aufgeklärte Staatsmann muss aus Staatsraison gegen den Nationalismus sein, der die Kultur der Nation verengt und verärmt.‹«343 Said-Ruete zählte die Erfahrungen unterschiedlicher Gemeinschaften auf, die ihr »Vaterland« verlassen mussten – neben Hugenotten in Deutschland, Templern in

338 Auch ein Bezug zu Brasilien wurde in der Diskussion hergestellt, diesmal von Zimmermann, dem Said-Ruete in diesem Punkt beipflichtete. Vgl. ebd., S. 145. 339 Bertrand, Romain: État colonial, noblesse et nationalisms à Java. La Tradition parfaite, Paris: Édition Karthala 2005, S. 419f. 340 Ebd., S. 314. 341 Zu Snouck Hurgronje vgl. Buskens, Léon: »Christian Snouck Hurgronje, ›Holy War‹ and Colonial Concerns«, in: Zürcher, Erik-Jan (Hg.), Jihad and Islam in World War I. Studies on the Ottoman Jihad on the Centenary of Snouck Hurgronje’s ›Holy War Made in Germany‹, Leiden: Leiden University Press 2016, S. 29-51. 342 Eine konkrete Mitgliedschaft lässt sich jedoch aus den Quellen nicht belegen. Said-Ruete ist zu jener Zeit ebenfalls Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Islamkunde und der Royal Asiatic Society. Siehe»Nachrichten über Angelegenheiten der Deutschen Gesellschaft für Islamkunde«, in: Die Welt des Islams 5 (03.1918), Nr. 4, S. 1-19, S. 16; der Royal Asiatic Society trat er 1904 bei, siehe: »Notes of the Quarter (October, November, December, 1904)«, in: Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain and Ireland, 01/1905, S. 209-212, S. 209. 343 Said-Ruete, Politische Korrespondenzen, S. 166.

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Palästina auch die sunnitischen und schiitischen »Siedlungen« in Mekka und Medina und im Zweistromland –, um in Anschluss daran direkt deutschnationale Positionen zu kritisieren: »Fürwahr: Wie es im Spiegel der Geschichte nie ein ›auserwähltes Volk‹ gegeben hat, so ist auch keine Nation dazu berufen, an ihrer Art den Weltenkreis genesen zu lassen.«344 Trotzdem wird deutlich, dass ihm viel an den Werten des »Europäertums« lag und er als friedensschaffendes Moment dafür plädierte, sich auf den »Kulturblock«, den England, Frankreich und Deutschland bilden sollten, zu besinnen: Woraufhin aber schon heute die führenden Geister beider Länder sich orientieren sollten, ist die unumstössliche Tatsache, dass Deutschland und England mit Einschluss Frankreichs – ich will nicht erörtern, welches der Reiche in höherem Masse – auf intellektuellem und wirtschaftlichem Gebiete, wie auch immer das Kriegserlebnis sich gestalten möge, engstens aufeinander angewiesen bleiben werden. Sie haben unter Zurückschraubung allzu selbstsüchtiger Bestrebungen den »Kulturblock« zu bilden, sich in gemeinsamer Abwehr gegen das fortschrittfeindliche Slawentum, gegen die Expansionsgefahr der gelben Rasse und gegen die wirtschaftliche Konkurrenz Amerikas zusammenzuschliessen, um ihre sonst schwerbedrohte Zukunft weitsichtig sicherzustellen.345 Es ist dies eine europäisch-universalistische Haltung, die »die europäische Kultur« »den Anderen« gegenüberstellte und rassistische Stereotype wie das »fortschrittsfeindliche Slawentum« und die »Expansionsgefahr der gelben Rasse« mobilisierte sowie zugleich vor dem wirtschaftlichen Aufstieg der USA warnte. Diese Abgrenzungsmarkierungen lassen sich affirmativ interpretieren ebenso wie die immer wieder verwendeten orientalistischen und kulturalistischen Bilder. Einerseits versuchte Said-Ruete sich nicht allein gegenüber »im Kriege entstandenen Fachmännern«346 abzugrenzen und betonte seine eigene Expertise, andererseits trug er mit Artikeln fortwährend zu einem kolonial-orientalistischen Diskurs bei. All dies, ohne selbst eine erkenntliche Ausbildung in dem Bereich erhalten zu haben. Said-Ruete war kritisch gegenüber ungebrochenem »Deutschtum«, gegenüber einem Großmachtanspruch des Deutschen Reichs, das einem Auskommen mit Großbritannien entgegenstand. Er übte Kritik und versuchte zugleich, seine deutsche Herkunft zu behaupten. Die zuvor erwähnte Korrespondenz mit Ballin zeigt dies anschaulich. Er titulierte den Ersten Weltkrieg in einem Schreiben an den Reeder als »orientalisch«: Zum Schlusse möchte ich im Zusammenhange mit dem Vorstehen vom »Moratorium der Wahrheit« auf die Schliessung der Börsen, der Austauschzentren des 344 Ebd., S. 171. 345 Ebd., S. 20. 346 Ebd., S. 13, Fn. 1.

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internationalen Verkehrslebens überlenken, um vergleichend zu sagen, dass wie diese kluge Massnahme einer völligen Desorganisation der materiallen Werte so wirksam vorbeugte, so hätte – wäre die Hypothese durchführbar – eine rechtzeitige Suspendierung der Auswärtigen Ämter und deren Organe (Carlton House Terrace nicht in letzter Linie) dem 20. Jahrhundert und der Welt diesen europäischen Massenkrieg mit stark orientalischem Einschlag – in einer Konstellation aller gegen einen – zweifellos erspart.347 Meinte er mit dieser Bezeichnung die teilnehmenden Soldaten, die den »Massen« zu einem »stark orientalischem Einschlag« verhalfen? Sah er das Zentrum des Krieges in der Auseinandersetzung um das Osmanische Reich, die fehlgeschlagene Außen- (»der Auswärtigen Ämter«) und Finanzpolitik (»Carlton House Terrace«) oder stellte der »orientalische Einschlag« seiner Meinung nach eine Überzeichnung der Unbotmäßigkeit »aller gegen einen« dar? Kämpfte aus seiner Sicht sein »Vaterland« allein gegen den Rest der Welt? Zum Ende des Briefes bezog er sich selbst in die stereotype Beschreibung mit ein und schloss mit einem Fazit über die Unsinnigkeit des Krieges: »Wird die Zukunft daraus heilsame Lehren ziehen und auf Staatsmänner, mit denen man Staat machen kann, hinarbeiten? Mein orientalisches Ich – das andere ist gut hamburgisch – antwortet mit: Inscha allah! Gott geb’s.«348 Said-Ruetes Duktus zeugt von seinem Bestreben, sich als dazugehörend einzuschreiben. Gleichzeitig wird nicht ganz deutlich, wohin und wozu zugehörig. Deuteten seine Aktivitäten um die Jahrhundertwende auf eine stark kolonial ausgerichtete Befürwortung deutscher Einflusssphären hin, änderte sich dieser Fokus während des Ersten Weltkriegs und Said-Ruete berief sich zunehmend auf sein »orientalisches Ich« und seine lokale, das heißt Hamburger Herkunft. Welchen Stellenwert hatte nun aber seine arabische Herkunft für ihn?

Das arabische/»orientalische« Ich In den 1920er Jahren schrieb Said-Ruete einerseits zunehmend über die Stellung Deutschlands aus britischer Perspektive. Andererseits widmete er sich vermehrt Palästina und plädierte für ein arabisch-jüdisches Auskommen. Seine Friedensbemühungen verschoben sich von Europa ausgehend nach Palästina, wobei er weiterhin kein Kritiker des Kolonialismus war, auch nicht der britischen Vorgehensweise im palästinensischen Mandatsgebiet. Aber er gab zu bedenken, die BalfourDeklaration zu ändern, und verwies in einem Artikel in der Times darauf, dass schon Theodor Herzl nicht notwendigerweise in Palästina eine »Heimstätte für

347 Ebd., S. 49, Schreiben vom 06.10.1914. 348 Ebd., S. 49.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

die Juden« gesucht, sondern ebenso Ostafrika oder Teile Großsyriens dafür in Betracht gezogen habe.349 In diesem Artikel betonte er seine arabische Herkunft und forderte ein Auskommen mit der arabischen Welt ein, mit der er, wie er schrieb, verbunden sei »by consanguinity and sympathy«.350 Die Betonung seiner familiären Herkunft spiegelte sich in seiner 1929 erschienenen zweiten großen Publikation noch stärker wider: Said bin Sultan (1791-1856), einem Standardwerk über die Al Bu Said, die Familie seiner Mutter, und spezieller über die Herrschaft seines Großvaters.351 Er hob die Errungenschaften seiner omanischen Familie empor, betonte die Ausweitung des Herrschaftsraumes und erläuterte, wie sein Großvater an die Macht kam, indem er als 15-Jähriger zum Herrscher über Oman und Sansibar wurde. Said-Ruete erklärte dem anglophonen Lesepublikum die Spezifika dieses Herrschaftshauses. Er stellte Überlegungen an, die zeitgenössischen ethnologischen und anthropologischen Diskursen nahestanden, und endete damit, dass er Saids Persönlichkeit und seinen Charakter beschrieb.352 Said-Ruetes Annäherung an das sansibarische Herrschaftshaus begann schon vor dem Tod seiner Mutter im Jahr 1924. Diese hatte nach jahrzehntelangen Streitigkeiten einer Rente zugestimmt, die ihr vom sansibarischen Herrschaftshaus ausgezahlt wurde.353 In der Folge ihres Todes bemühte sich Said-Ruete weiterhin um eine Anerkennung seiner Herkunft durch die sansibarische Al Bu Said. Mit seinen »Vettern, den Sultanen von Oman und Zanzibar«, trat er nach eigenem Bekunden »in nähere persönliche Beziehungen, als dieselben einer Einladung der englischen Regierung folgend in 1928 bzw. 1929 in London waren«.354 1930 reiste seine Tochter Olga nach Sansibar und wurde vom Sultan Khalifa ibn Harub empfangen.355 Said-Ruete baute den Kontakt zu seiner sansibarischen Familie kontinuierlich wieder auf und folgte damit auch Zielsetzungen der britischen Kolonialpolitik. Im Jahr 1932 erkannte Sultan Khalifa ibn Harub Rudolph als Teil der sansibarischen Königsfamilie an.356 Im Jahr 1934 wurde Rudolph Said-Ruete britischer Staatsbürger, nachdem er zuvor seine deutsche Staatsbürgerschaft abgegeben hatte. Said-Ruete änderte 1906 nicht allein seinen Nachnamen, auch der Rufname änderte sich von Said zu Rudolph. Ähnlich dieser persönlichen Veränderung schien 349 Said-Ruete, »The Future of Palestine«, zitiert nach Donzel, »Introduction«, S. 127. Simon Sebag Montefiore beschreibt, dass es mindestens 35 Pläne gegeben habe, die andere Ansiedlungsorte als Palästina vorsahen. Siehe Montefiore, Simon Sebag: Jerusalem. Die Biographie, Frankfurt a.M.: Fischer Verlag 2013, S. 539. 350 Ebd. 351 Said-Ruete, Rudolph: Said bin Sultan. 352 Ebd. 353 Donzel, »Introduction«, S. 125. 354 Said-Ruete, Eine auto-biographische Teilskizze, S. 27. 355 Ebd. 356 Donzel, »Introduction«, S. 125.

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sich auch die Haltung gegenüber seinem Geburtsland zu ändern. Die Frage, warum er die Militärlaufbahn aufgab und sich zunächst in die ungewisse Zukunft des Bankgeschäfts begab, bleibt offen. Ein Bruch in seiner Haltung zum Kaiserreich mag schon vor dem Ersten Weltkrieg stattgefunden haben, aber vielleicht war London auch nur ein angemessenerer Ort zum Leben. Als Nachkomme eines arabischen Herrschaftshauses an der ostafrikanischen Küste ist besonders der Kontakt zu Persönlichkeiten der deutschen Gesellschaft und Politik bemerkenswert. Rudolph Said-Ruete starb 1946 in London.357 Seine Schwester Antonie kam 1945 bei einem Bombenangriff auf Hamburg zu Tode.358

Die Ruetes Über das Leben der jüngsten Tochter Sayyida Salmes, Rosalie Thawka Ruete, ist am wenigsten zu erfahren. Rosalie lebte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts mit ihrer Mutter zusammen. Sie wohnte bis zu ihrer Verlobung in Beirut. Um 1900 war sie in Berlin und lernte vermutlich zu dieser Zeit ihren Mann, General Martin Troemer, kennen. Im Testament ihrer Mutter von 1910 wurde sie mit der einen Hälfte des Erbes bedacht, die anderen beiden Geschwister teilten sich die andere Hälfte.359 Rosalies Briefe aus dieser Zeit um 1910 an den niederländischen Orientalisten Christiaan Snouck Hurgronje wurden in Spandau verfasst.360 Rosalie Toemer unterschrieb die Briefe an den niederländischen Professor stets mit Rosalie Troemer, geb. Ruete. Sie war das einzige der drei Ruete-Kinder, die auch einige Sätze auf Arabisch verfasste.361 Sie nahm Sayyida Salme im Vorfeld des Ersten Weltkriegs zu sich nach Jena, ihrem Wohnort zu der Zeit. Rosalie Trömer verstarb an diesem Ort im Jahr 1948. Während die Deutschlandbilder Emily Ruetes und damit die Auseinandersetzung der Mutter mit den vorhandenen Orientbildern im imperialen Deutschland und ihren eigenen Herrschafts- und Zugehörigkeitsvorstellungen changierten, waren es in der Generation ihrer Kinder Aushandlungen von Zugehörigkeit, politischer und sozialer Positionierung. Salme kreierte die Konstruktion der »arabischen Prinzessin« entsprechend europäischen Vorstellungen und durchbrach sie gleichzeitig. Sie arbeitete sich an kursierenden »Orient«-Bildern ihrer Zeit ab und bediente sie gleichermaßen. Gleichzeitig findet sich eine Vielzahl eigensinniger Haltungen, die ihre eigene Handlungsfähigkeit unterstreichen. Sie war sich ihrer 357 358 359 360

361

Ebd., S. 140. Hartmann, Lukas: Abschied von Sansibar, Zürich: Diogenes 2013, S. 326. Donzel, »Introduction«, S. 101. Leiden University Library, Collection Snouck Hurgronje, Cod. Or. 8952 A:1018, Troemer-Ruete, R., Brieven van R. Troemer-Ruete aan Christiaan Snouck Hurgronje (1857-1936), Brief vom 26.04.1909 sowie Brief vom 17.02.1912. Ebd., Brief vom 29.06.1929.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

Position innerhalb der deutschen Gesellschaft bewusst, kritisierte sie und nutzte – wie das Beispiel des Passings zeigt – ihre eigenen Strategien, um sich zu behaupten und durchzusetzen. Sie war »frauenbewegt«, behauptete ihre Stellung als arabische Frau innerhalb der deutschen Gesellschaft, noch bevor die Frauenbewegung größere Verbreitung fand. Und sie nutzte nicht – anders als ihre Tochter Antonie – die Verbindungen zu kolonialen Verbänden, um ihre Anliegen durchzusetzen. Ihre Versuche, sich auf Sansibar Unterstützung der dortigen deutschen Kolonie zu holen, schlugen fehl. Sie war auf ihre Art und Weise enttäuscht vom kolonialen Gebaren des Kaiserreichs. Für Antonie Brandeis-Ruete funktionierte der Kolonialismus als identitätsstiftendes Moment, ohne dass sie in ihren Veröffentlichungen explizit ihre Herkunft thematisiert. Sie formulierte den »Pflichtenkreis« der deutschen Hausfrau. Ihre Texte zeugen von der Wertschätzung deutscher Ideale und gleichzeitig hält sie sich mit Ressentiments gegenüber anderen Gesellschaften oder Bevölkerungsgruppen im Vergleich zu ihren feministischen Zeitgenossinnen zurück. Ihre Beschreibungen des Lebens auf Jaluit weisen sensible Beobachtungen auf, die den Wandel kolonisierter Gesellschaften detailliert beschreiben. Rudolph Said-Ruete nutzte zunächst die von seiner Mutter ermöglichten Kontakte und erhielt eine renommierte Ausbildung beim Militär. Seine Beziehungen zu Persönlichkeiten wie Bethmann-Hollweg oder dem Reeder Ballin und vor allem der lebenslange Briefwechsel und Kontakt zum Orientalisten Snouck Hurgronje, der zur gesamten Familie bestand, deuten auch darauf hin, dass er sich in einem etablierten Umfeld mit prokolonialen und adeligen Protagonist_innen bewegte. Gegen Ende der 1920er Jahre verstand er sich zunehmend als Nachkomme der Al Bu Said und stellte seine familiären Verbindungen wieder in einen kolonialen Zusammenhang, in diesem Fall der britischen Kolonialpolitik. Er blieb kolonialen Ideen bis an sein Lebensende treu. Die Kriegsaufsätze bildeten eine Zäsur in seinem Leben und wiesen zugleich eine kontinuierlich orientalistisch geprägte Perspektive auf. Interessant ist seine Haltung gegenüber den im »Kriege entstandenen Fachmännern für den Orient«362 , die seinen eigenen Wissensanspruch gegenüber den von ihm nicht namentlich erwähnten Personen verdeutlicht. Die beiden älteren Geschwister, Antonie Brandeis-Ruete sowie Rudolph SaidRuete, hatten zeitweise – bevor sie verheiratet waren – eine Wohnung in der Calvinstraße 10 in Berlin. Ihre Schwester Rosalie merkte in einem ihrer Briefe an, sie hätten sie »wie im Orient« eingerichtet.363 Dies muss um 1890 gewesen sein, unge-

362 Said-Ruete, Politische Korrespondenzen, S. 13, Fn. 1. 363 Leiden University Library, Collection Snouck Hurgronje, Cod. Or. 8952 A:1018, Troemer-Ruete, R., Brieven van R. Troemer-Ruete aan Christiaan Snouck Hurgronje (1857-1936), Brief vom 05.09.1891.

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fähr zehn Jahre bevor Mohamed Soliman in das Kaiserreich kam, um eine weitere deutsch-arabische Familiengeschichte zu begründen.

Die Solimans Die Familiengeschichte der Solimans ist eng mit Berlin verbunden. Sie beruht zum Teil auf einer mehrgenerationalen mündlichen Weitergabe der Geschichte des Ägypters Mohamed Soliman, der im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts als Artist und Unternehmer reüssierte und eine deutsch-ägyptische Familiengeschichte begründete. In einer Kombination aus archivalischen Spuren und Gesprächen mit Angehörigen von Mohamed Soliman wurden bereits unterschiedliche Narrative zusammengetragen.364 Diese werden im Folgenden auf der Grundlage von Gesprächen, die ich mit Solimans Enkelin Miriam Mahdi geführt habe, erweitert und zugleich einer kritischen Lesart unterzogen.365 Drei Bereiche stehen hierbei im Vordergrund: erstens die Biografie eines Artisten, der in der deutschen Hauptstadt vor dem Hintergrund metropolitaner Kunst und Kultur des beginnenden 20. Jahrhunderts eine Existenz als Unternehmer aufbaute, die zu jener Zeit unausweichlich auch koloniale Bezüge aufwies;366 zweitens die transnationalen Beziehungen und Bezugnahmen eines Ägypters in Berlin, der Kontakte zur antikolonialen und nationalistischen ägyptischen Elite hatte und an frühen kosmopolitanen Bündnissen der Zwischenkriegszeit beteiligt war; und schließlich die Geschichte von Mohamed Solimans Tochter Hamida Soliman, die das darstellerische Vermächtnis ihres Vaters als Sängerin weiterführte und deren Biografie einen Exkurs in die Nachkriegszeit nach 1945 erlaubt.

364 Grundlegend zur Person: Gesemann, Frank, Höpp, Gerhard: »Araber in Berlin (bis 1945)«, in: Ausländerbeauftragte des Senats (Hg.), Araber in Berlin, Berlin 2002, S. 7-46, S. 33f., sowie Gesemann, Frank: »Ein Jahrhundert im Spiegel einer multikulturellen Familie«, in: Ausländerbeauftragte des Senats (Hg.), Araber in Berlin, Berlin 2002, S. 48f. 365 Die Gespräche mit Miriam Mahdi fanden am 25.10.2016 und 14.11.2016 statt: Mahdi, Miriam, Gespräch mit Aischa Ahmed, 25.10.2016, Mahdi, Miriam, Gespräch mit Aischa Ahmed, 14.11.2016. 366 Vgl. zu diesem Themenkomplex: Blanchard, Pascal, Lemaire, Sandrine (Hg.): Culture coloniale. La France conquise par son Empire, Paris: Éditions Autrement 2003, Kundrus, Phantasiereiche, Honold, Simons, Kolonialismus als Kultur sowie Honold, Alexander, Scherpe, Klaus R. (Hg.): Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit, Stuttgart: Metzler 2004, und die Aufsätze in dem Teil »Szenarien kolonialer Kultur« in: Heyden, Ulrich van der, Zeller, Joachim (Hg.): Kolonialmetropole Berlin, Berlin: Berlin Edition 2002, S. 163-202.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

Mohamed Soliman Mohamed Soliman (1878-1929) kam um 1900 nach Berlin. Wie es in einem Sonderdruck der Zeitschrift Unsere Zeit über ihn heißt, war ihm die »Heimat […] bald zu eng und und er schloß sich einer Arabergruppe an, die Europa bereiste und die erste dieser Art war«.367 Er lernte in Berlin die noch junge Martha Westphal (1885-1952) kennen und reiste mit ihr und ihrer Schwester als Zauberkünstler durch Deutschland. Nach einer Erzählung der Enkelin musste sich Soliman lange bemühen, die Erlaubnis der Mutter der beiden Schwestern zu erhalten, mit ihnen die gemeinsamen Kunststücke aufzuführen. Er entwickelte mit den Schwestern eine Schwebenummer, die sie auch später noch auf die Bühne brachten.368 1904 heiratete er Martha Westphal und als im selben Jahr die erste Tochter Hamida auf die Welt kam, ließ sich die Familie fest in Berlin nieder.369 Soliman eröffnete ein Stummfilmkino in Rummelsburg und gehörte damit zu den Filmpionier_innen der Stadt.370 1906 und 1908 wurden die beiden Töchter Adila und Myriam geboren.371 Soliman etablierte sich in unterschiedlichen Bereichen als Unternehmer. Neben dem Kino führte er im Lunapark, einem seit 1910 so betitelten Vergnügungspark am Halensee, ein orientalisches Café.372 Im Lunapark gab es Schaustellungen und Attraktionen, die bereits auf der Berliner Gewerbeausstellung von 1896 zu sehen gewesen waren, zum Beispiel Teile des Ausstellungsareals »Kairo in Berlin«, die unter dem Titel »Straße von Kairo« auch an die »Rue du Caire« in Paris erinnerten.373 Soliman war im Lunapark für die »Leitung der orientalischen Abteilung« verantwortlich und ging dort jeweils in der Sommersaison seinen Geschäften nach.374 Neben diesen Unternehmungen trat Soliman weiterhin als Artist auf. 1911 ist er als solcher erstmals mit dem Wohnsitz in der Auguststraße 5 im Berliner Adressbuch eingetragen.375 Ein Jahr später lautete seine Berufsbezeichnung dann »Impresario« – ein Verweis darauf, dass er nunmehr als Unternehmer für Schaustel367 Nachlass Höpp, Kiste 07.02, Mohamed Soliman, in: Unsere Zeit, Berlin (o.J.), Sonderdruck. 368 Mahdi, Miriam, Gespräch mit Aischa Ahmed, 14.11.2016. 369 Kamel, Susan: »Hamidas Lied. Die 100 Jahre einer Muslimin an der Spree«, in: Kröger, Jens, Islamische Kunst in Berliner Sammlungen, Berlin: Parthas 2004, S. 180-186, S. 180. 370 Gesemann, »Ein Jahrhundert im Spiegel einer multikulturellen Familie«, S. 48. 371 Ebd. 372 Nachlass Höpp, Kiste 07.02, Mohamed Soliman, in: Unsere Zeit. Vgl. Kirschnick, Sylke: »Halbmond im Luna-Park. 26. Januar 1906: Else Lasker-Schüler präsentiert Ached Bey«, in: Honold, Alexander, Scherpe, Klaus R. (Hg.), Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit, Stuttgart: Metzler 2004, S. 338-346, S. 344. 373 Kirschnick, »Halbmond im Luna-Park«, S. 343f. 374 Nachlass Höpp, Kiste 07.02, o. A., Mohamed Soliman, in: Unsere Zeit. 375 Berliner Adreßbuch: für das Jahr 1911, Berlin: Scherl 1870-1943, Teil I, S. 2849. Frau Mahdi gab im Gespräch die Oranienburger Str. 65 als ständigen Wohnsitz der Familie des Großvaters an. Beide Häuser lagen einander gegenüber. Mahdi, Miriam, Gespräch mit Aischa Ahmed, 14.11.2016.

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lungen und speziell für »Völkerschauen« tätig war.376 1915 übernahm er dann die Leitung des Passage Panoptikums, das unter anderem ein Wachsfigurenkabinett beherbergte und auch für die Zurschaustellung von »Abnormitäten« und »Völkerschauen« bekannt war, sowie die des Linden-Cabarets und des Passage Theaters in der Behrenstraße 52.377 An dieser prominenten Adresse an der Ecke Friedrichstraße/Behrenstraße konnte er auch während des Ersten Weltkrieges weiter Unterhaltungsveranstaltungen organisieren.378

Das Passage Panoptikum: Bilderwelten zwischen »Völkerschau« und Theater Das Passage Panoptikum war nicht irgendeine beliebige Adresse in der rasant wachsenden Reichshauptstadt. Es war Teil der Kaisergalerie, einer Passage, in der sich das metropolitane Großmachtstreben baulich manifestierte und die einen renommierten Ort in der Mitte Berlins bildete. Passagen als im 19. Jahrhundert entstandener Bautyp stellten erste Konsumzentren dar, die sowohl für die gesellschaftliche Etablierung des Bürgertums als auch die Ausdifferenzierung des Kapitalismus paradigmatisch waren.379 Die Übernahme des Passage Panoptikums zeugte von Mohamed Solimans geschäftlichem und gesellschaftlichem Aufstieg. Das Panoptikum in der 1873 eröffneten Kaisergalerie wurde zunächst von der Familie Castan geleitet.380 Ab 1888 wurden dann unter wechselnder Leitung unterschiedliche Formen von Schaustellungen in der ersten Etage der Passage geboten.381 Das Panoptikum wiederum war neben Panoramen und Dioramen exemplarisch für Blickregime, die sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Europa verbreiteten und sowohl eng mit nationalstaatlichen als auch biopolitischen Raumzuweisungen verbunden waren.382 Die von dem Philosophen und Juristen

376 Auf seine Tätigkeit als Organisator von »Völkerschauen« verweist auch der Sonderdruck Mohamed Soliman, in: Unsere Zeit (Nachlass Höpp, Kiste 07.02). 377 Geist, J. F.: Die Kaisergalerie. Biographie der Berliner Passage, München/New York: Prestel 1997, S. 48. Geist nennt ihn fälschlicherweise Achmed Soliman. 378 Ebd. 379 Geist, J. F.: Passagen ein Bautyp des 19. Jahrhunderts, München: Prestel 1979, Osterhammel, Die Verwandlung der Welt, S. 341ff., vgl. Benjamin, Walter: Das Passagen-Werk, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1983, Leonhardt, Nic: Piktoral-Dramaturgie: visuelle Kultur und Theater im 19. Jahrhundert (1869-1899), Bielefeld: transcript 2007. 380 Geist, Die Kaisergalerie, S. 102. 381 Einen Eindruck der Passage zu jener Zeit bietet Joachim Schlör anhand der Beschreibungen von Moritz Goldstein. Schlör, Joachim: Das Ich der Stadt. Debatten über Judentum und Urbanität, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005, S. 72ff. 382 Vgl. Corbey, Raymond: »Ethnographic showcases, 1870-1930«, in: Nederveen Pieterse, Jan, Parekh, Bhikhu (Hg.), The Decolonization of Imagination. Culture, Knowledge and Power, London (NJ): Zed Books 1995, S. 57-80.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

Jeremy Bentham Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte Gefängnisanlage des »Panopticons« gab dieser Form der Betrachtungsweisen den Namen: »Die panoptische Anlage schafft Raumeinheiten, die es ermöglichen, ohne Unterlaß zu sehen und zugleich genau zu erkennen.«383 Die Perspektive ging von einem unsichtbar privilegierten (panoptischen) Punkt aus.384 Diese Hierarchie der Blickrichtung war Teil der Zurschaustellung von Menschen im Panoptikum. Szenen aus »Völkerschauen« fanden hier ihren Aufführungsort, wobei die Grenze zwischen dem »Abnormitätenkabinett« und der Zurschaustellung »fremder« bzw. »exotischer« Völker fließend war. Eine Unterscheidung zwischen exotisierten Aufführungsformen, »Völkerschauen« und Artistik ließ sich ebenfalls häufig nicht genau treffen. Während Solimans Leitung des Passage Panoptikums sind einige Aufführungen registriert, die auf eine Dramaturgie ähnlich denen von »Völkerschauen« schließen lassen: ein »Somali-Dorf«, eine »Sudanesen-Truppe« und »Die wilden Igorroten«.385 Soliman selbst hatte sich wie erwähnt vor seiner Ankunft in Deutschland einer »Arabergruppe« angeschlossen.386 Es ist nicht übermittelt, um welche Gruppe es sich handelte, und es erscheint recht unwahrscheinlich, dass sie, wie es in dem Sonderdruck heißt, die »erste ihrer Art war«.387 Bis Ausbruch des Ersten Weltkriegs soll er mit »seinem Karawanenunternehmen« 22 Länder bereist haben.388 Auch als Direktor des Passage Panoptikums trat er noch selbst auf, unter anderem in einem Programm, in dem er sich als Feuerschlucker präsentierte – oder wie es in einer offensichtlich wenig wohlwollenden Beschreibung des Kabarettisten Willy Prager hieß, als »Soliman, der Feuerfresser«, eine zu jener Zeit übliche Bezeichnung für einen Feuerschlucker:389 Mit seiner Feuerfressertätigkeit im Passage-Panoptikum hatte er, gerissener Geschäftsmann, der er war, eine Unmenge Geld verdient. In dem kleinen Raum, den er sich gemietet hatte, konnte er alle Einnahmen in die eigene Tasche stecken, und Programmsorgen hatte er auch nicht. Auf der Rennbahn in Karlshorst existierte auch ein Rennstall auf den Namen Soliman, und kein Mensch hat damals

383 Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1976, S. 257. 384 McClintock, Imperial Leather, S. 37. 385 Ebd., S. 20. Vgl. Kap. 3 »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen, S. 157-181. 386 Nachlass Höpp, Kiste 07.02, o. A., Mohamed Soliman, in: Unsere Zeit. 387 Vgl. zum Beispiel die Auflistung von »Völkerschauen« bei Hilke Thode-Arora, die schon für 1885 Gruppen unter dem Titel »Sudanesen« und 1890/91 unter dem Titel »Beduinen« vermerkt. Vgl. Thode-Arora, Hilke: Für fünfzig Pfennig um die Welt. Die Hagenbeckschen Völkerschauen, Frankfurt a.M./New York: Campus 1989, S. 176. 388 Nachlass Höpp, Kiste 07.02, o. A., Mohamed Soliman, in: Unsere Zeit. 389 Prager, Willy: Sie werden lachen. Nichts erfunden – alles erlebt, Berlin: Capriccio-Musikverlag 1948, S. 102.

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vermutet, daß der Karlshorster Rennstallbesitzer gleichzeitig Feuerfresser in der Passage war.390 In Pragers Lebenserinnerungen taucht Soliman noch einmal auf, allerdings handelt es sich dabei um eine Verwechslung. Prager vermeinte, ihn ein paar Jahre später in Breslau wiedergesehen zu haben, wo Soliman sich angeblich auf dem Rummelplatz im Schweidnitzer Park als »Manager eines großen Liliputanerdorfes« verdingte.391 Nach Aussage von Solimans Enkelin handelte es sich hierbei jedoch um dessen Bruder Asis Soliman, der ebenfalls nach Berlin gezogen war.392 »Die wilden Feuerfresser«, wie der Titel eines Programms lautete, das um 1914 im Panoptikum lief,393 reihte sich in spezifische Aufführungskonventionen der kolonialen Hochzeit ein. Teil dessen waren exotisierte Darstellungen, die als »orientalische Ausstellungen über Jahrzehnte Konjunktur« hatten.394 Schon für das Stummfilmkino in Rummelsburg ließ Soliman 1906 Männer mit einem Tarbusch als orientalisierender Requisite bekleidet auf der Straße Werbung machen.395 Diese typische Kopfbedeckung von Angehörigen der gehobenen Schichten im Osmanischen Reich und den angrenzenden Gebieten sorgte für Aufsehen. In seiner doppelten Rolle als Artist und Unternehmer verkörperte Soliman selbst ebenfalls die Ambivalenz der orientalisierten Bilderwelt.396 Die Aktivitäten Solimans sind beispielhaft für die Ambivalenz der imperialen Situation, die er allein als Person in mehrfacher Hinsicht verdeutlichte. Er ließ »Völkergruppen« auftreten und beteiligte sich an der Praxis der »Völkerschauen«, die bestimmte Bilder und Vorstellungen von als »fremd« und »exotisch« klassifizierten Gemeinschaften verbreiteten. Er selbst überschritt die Grenze zwischen »Völkerschau« ähnlichen Zurschaustellungen und professionalisierten, kunstaffinen Formen von Artistik, Theater und zirkusnahen Aufführungskonventionen. Auch wird deutlich, dass Soliman tatsächlich in vielen Sparten der Unterhaltungskultur tätig war und hier – besonders als Kinobesitzer – zu seiner Zeit innovative Techniken anwendete. Er leitete ein Theater an einer renommierten Berliner Adresse und führte zugleich neue Attraktionen

Prager, Sie werden lachen, S. 102f. Ebd., S. 103. Mahdi, Miriam, Gespräch mit Aischa Ahmed, 25.10.2016. »Das neue Panoptikum in Castan’s Räumen«, in: Castan’s Panopticum 23 (2015), hg. v. Friederici, Angelika, S. 14. 394 Kirschnick, Sylke: »Koloniale Szenarien in Zirkus, Panoptikum und Lunapark«, in: Heyden, Zeller, »… Macht und Anteil an der Weltherrschaft«, S. 174. 395 Gesemann, »Ein Jahrhundert im Spiegel einer multikulturellen Familie«, S. 48. 396 Ausführlich diskutiere ich diese Ambivalenz in diesem Artikel: Ahmed, Aischa: »›Die Sichtbarkeit ist eine Falle‹ – Arabische Präsenzen, Völkerschauen und die Frage der gesellschaftlich Anderen in Deutschland (1896/1927)«, in: Brunner, José, Lavi, Shai (Hg.), Juden und Muslime in Deutschland. Recht, Religion, Identität, Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 37 (2009), Göttingen: Wallstein 2009, S. 81-102.

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und Techniken – wie zum Beispiel das Kino – in den städtischen Raum ein. Er gehörte somit zu den Ersten, die Stummfilme zeigten, und zu der ersten Generation von Kinobesitzern in Berlin.397 In der Passage übernahm er 1913 das Anatomische Museum sowie das Passage-Theater und ließ 1917 das alteingesessene Café Keck in eine »orientalische Diele« umbauen. Er eröffnete in den Räumen des früheren Passage-Theaters ein Kino,398 in dem weiterhin Figuren aus dem Wachsfigurenkabinett standen, und bot während des Kriegs ermäßigte Filmvorführungen für Soldaten.399 Im Zuge der Inflation von 1923 verlor Mohamed Soliman seine Geschäfte in der Kaisergalerie. Er verließ daraufhin das Unterhaltungsgewerbe und wurde 1925 leitender Geschäftsführer des Karosseriebauunternehmens Hintze und Co. Damit erschloss er sich ein weiteres Terrain unternehmerischer Neuerungen.

Der politische und antikoloniale Geschäftsmann Wie zweigeteilt sowohl die Erinnerung als auch die historische Repräsentation verläuft, wird besonders mit einem Blick auf Mohamed Solimans weitere Aktivitäten deutlich. Zwar war er in der familiären Erinnerung als Geschäftsmann mit Verbindungen zu Vertreter_innen der ägyptischen Elite, die sich schon während des Ersten Weltkriegs und der Zwischenkriegszeit auch in Berlin und Deutschland aufhielt, präsent, doch über seine Unterstützung explizit antikolonial eingestellter ägyptischer Politiker und damit sein eigenes – wahrscheinlich indirektes – antikoloniales Engagement wurde in der Familie offenbar wenig gesprochen. In der von seiner Tochter Hamida Soliman so genannten »Orientdiele« der Familienwohnung hingen Bilder ägyptischer Persönlichkeiten aus der Politik, mit denen Soliman befreundet war,400 ohne dass seiner Tochter bekannt gewesen wäre, wen diese Bilder darstellten. Tatsächlich war Soliman ein Unterstützer des langjährigen Vorsitzenden der Ägyptischen Nationalpartei, Mohamed Farid (1868-1919).401 In den ersten zwei Dekaden des 20. Jahrhunderts hielten sich die politisch unterschiedlich ausgerichteten antikolonialen Eliten Ägyptens mehrheitlich in Europa auf, vor allem in Paris und Genf, sowie teilweise – insbesondere zur Zeit des Ersten Weltkriegs und in der Zwischenkriegszeit – auch in Berlin. Um 1912 lebten circa 20 Ägypter

397 Vgl. Stratenwerth, Irene, Simon, Hermann: »Eine Zukunft wird entdeckt – Juden in der frühen Filmbranche«, in: dies. (Hg.), Pioniere in Celluloid. Juden in der frühen Filmwelt, Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung im Centrum Judaicum Berlin vom 2. Februar bis Mai 2004, Berlin: Henschel 2004, S. 8-25, S. 11. 398 Das Programm, 28 (29.09.1929), Nr. 1434, S. 12. Laut Stratenwerth/Simon gab es 1906 21 Lichtspielhäuser, 1907 bereits 142. Vgl. Stratenwerth/Simon, Pioniere in Celluloid, S. 11. 399 Geist, Die Kaisergalerie, S. 48. 400 Kamel, »Hamidas Lied«, S. 5 401 Ausführlich zu in Deutschland organisierten arabischen politischen Aktivisten, besonders in der Zwischenkriegszeit vgl. Kapitel 4 Eigensinn, S. 223-251.

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in Berlin.402 Und schon 1911 wurde unter Mahmud Labib Muharram (18??–1913) der Ägyptische Bund gegründet. Dieser Zusammenschluss bot Studenten und vielfach Antikolonialisten einen Anlaufpunkt und war einer der ersten arabischen Treffpunkte im Kaiserreich. Labib Muharram hatte in Wien in den 1880er Jahren Medizin studiert.403 Danach ging er zurück nach Ägypten, um sich an der frühen Organisation der Ägyptischen Nationalpartei um Mustafa Kamil zu beteiligen. Als er 1910 nach Deutschland kam, versuchte er dort, Politiker und einflussreiche Personen zur Unterstützung der Unabhängigkeit Ägyptens zu gewinnen. Er heiratete eine deutsche Frau und blieb bis zu seinem frühen Tod 1913 in Berlin.404 Das Milieu um Muhammad Farid zeugte von den elitären Zusammenhängen, in denen die Ägypter in Deutschland sich zu jener Zeit bewegten. Die meisten Studenten gehörten einer gehobenen sozialen Schicht an und Mohamed Soliman war Teil dieser Kreise. Die Koalitionsbildungen und die Suche nach politischer Unterstützung gegen die Kolonialmacht Großbritannien waren vor 1922, dem Jahr der formellen Unabhängigkeit Ägyptens, immer wieder von wechselhaften Entscheidungen geprägt.405 Die unterschiedliche politische Ausrichtung der verschiedenen politischen ägyptischen Strömungen zur Zeit der Weimarer Republik entsprach nicht den Richtungskämpfen der deutschen Parteienlandschaft (siehe Kapitel Eigensinn, Politische Kämpfe). Soliman zumindest soll nach Aussage seiner Enkelin sehr »kaisertreu« gewesen sein.406 Ein deutscher Zeitgenosse nannte ihn in seinen Erinnerungen »Sollmann« und schrieb, Soliman sei ein »tüchtiger Feuerfresser und Ringkämpfer wie später ein großzügiger und populärer Unternehmer, der auch hohe Politiker duzte«.407 Dies ist eine der wenigen Aussagen, die auf die politischen 402 Gesemann, Höpp, »Araber in Berlin«, S. 13. Vgl. die spätere Entwicklung ab 1918: Höpp, Gerhard: »›Die ägyptische Frage ist in Wirklichkeit eine internationale‹. Zur politisch-publizistischen Tätigkeit ägyptischer Antikolonialisten in Berlin (1918-1928)«, in: Asien, Afrika, Lateinamerika 15 (1987), Nr. 1, S. 87-98. 403 Chahrour, Marcel: »›Vom Morgenhauch aufstrebender Cultur durchweht‹. Ägyptische Studenten in Österreich 1830-1945«, in: Sauer, Walter (Hg.), Von Soliman zu Omofuma. Afrikanische Diaspora in Österreich 17. bis 20. Jahrhundert, Innsbruck: Studienverlag 2007, S. 131-149, S. 141. Chahrour gibt an, Muharram habe Suizid begangen, ohne eine Quelle für diese Aussage anzugeben. Farid erwähnt in seinen Memoiren den Tod Labibs und dessen vorherige Einweisung in ein Krankenhaus. Vgl. Farid, Muhammed: The Memoirs and Diaries of Muhammad Farid, an Egyptian Nationalist Leader (1868-1919), hg. v. Arthur Goldschmidt, San Francisco: Mellen University Research Press 1992, S. 51. 404 Farid, The Memoirs and Diaries of Muhammad Farid, S. 51. 405 Vgl. Höpp, Gerhard: »Zwischen allen Fronten. Der ägyptische Nationalist Mansūr Mustafā Rif’at 1883-1926 in Deutschland«, in: Atek, Wageh, Schwanitz, Wolfgang G. (Hg.), Ägypten und Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert im Spiegel von Archivalien, Kairo: Dar al-Thaqafa 1998, S. 53-64. 406 Mahdi, Miriam, Gespräch mit Aischa Ahmed, 14.11.2016. 407 H. S.: »Passage – Spaziergang«, in: Geist, J. F.: Die Kaisergalerie. Biographie der Berliner Passage, München/New York: Prestel 1997, S. 131.

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Beziehungen Solimans hinweisen, und sie zeigt, dass er über Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten verfügte. Als Farid 1919 in Berlin starb, wurde er auf dem islamischen Friedhof am Columbiadamm beerdigt.408 Anhänger des Verstorbenen bemühten sich, den Leichnam nach Ägypten zu überführen. Auch Soliman, der in Berlin als großzügiger Unterstützer des islamischen Friedhofs bekannt war, beteiligte sich an diesen Bemühungen.409 In einer Biografie über das Leben Farids wird erwähnt, dass Soliman die Überführung des Leichnams nach Ägypten im Mai 1920 finanziell unterstützte.410 Es gab verschiedene ägyptische Persönlichkeiten, die in den 1920er Jahren ihren Weg nach Deutschland fanden. Besondere mediale Aufmerksamkeit erhielt der vom Auswärtigen Amt umfassend vorbereitete Besuch König Fuads im Jahr 1929.411 Mohamed Soliman besaß einen Besucherausweis, um die polizeilichen Absperrungen anlässlich des Besuchs Königs Fuad I. von »Egypten« passieren zu können.412 Der Ausweis war auf »Herrn Direktor Mohamed Soliman« ausgestellt. Die Vossische Zeitung kommentierte den Besuch des ägyptischen Monarchen unter der Überschrift »Der erste Koenig Aegyptens«: Die Hauptstadt des Deutschen Reiches begrüßt heute den ersten Herrscher Aegyptens, der seit den Tagen der Cleopatra wieder den Titel eines Königs des Nillandes führt, den ersten Herrscher seit vielen Jahrhunderten, der über ein völkerrechtlich als unabhängig anerkanntes Aegypten regiert.413 Die Darstellung des Besuchs König Fuads in der Vossischen Zeitung ist exemplarisch für zeitgenössische Vorstellungen von Ägypten innerhalb der deutschen Öffentlichkeit. Die Zusammenfassung der Herrschaftsperioden vom Alten Ägypten zur Zeit Cleopatras bis zu einem formal unabhängigen Ägypten des Jahres 1922 klang wie eine allegorische Verkürzung. Trotz der Unabhängigkeit blieb das Land weiterhin insbesondere dem britischen Einfluss ausgesetzt. Mohamed Soliman sollte die Entwicklungen der folgenden Jahre nicht mehr erleben. Nur drei Monate nach dem Königsbesuch, am 21. September 1929, starb er eines plötzlichen Todes. In der Artistenzeitschrift Das Programm hieß es dazu: »Direktor Mohamed Soliman ist, erst 51 Jahre alt, […] in seiner Berliner Wohnung ge-

408 Höpp, Gerhard, Mattes, Norbert (Hg.): Berlin für Orientalisten. Ein Stadtführer, Berlin: Das Arabische Buch 2001. 409 Mahdi, Miriam, Gespräch mit Aischa Ahmed, 25.10.2016. 410 Zum Tod Farids vgl. Al-Rafii, Abd al-Rahman: Muhammad Farid, Kairo: Dar al-Maarif 1984, S. 410ff., besonders S. 420, [arabische Zitation siehe Anhang]. 411 Kassim, Mahmoud: Die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu Ägypten 1919-1936, Münster u.a.: LIT 2000, S. 244ff. 412 Nachlass Höpp, Kiste 07.02., Besucherausweis »Herrn Direktor Mohamed Soliman«. 413 Nachlass Höpp, Kiste 07.02.,»Der erste Koenig Aegyptens«, in: Vossische Zeitung, 10.06.1929, Abendausgabe.

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storben.«414 In dem Nachruf wird seine Tätigkeit als Kabarettleiter und Kinobesitzer gewürdigt. Soliman wurde auf dem islamischen Friedhof am Columbiadamm beerdigt.415 Solimans Frau Martha machte sich nach seinem Tod selbständig. Sie übernahm zunächst die Geschäftsführung von Hintze & Co.416 und besaß Anfang der 1930er Jahre drei Kinos in der Stadt, von denen sie eines, in der Schönhauser Allee, bis in die 1950er Jahre leitete. Martha Soliman starb 1952 und wurde neben ihrem Mann auf dem Islamischen Friedhof am Columbiadamm in Berlin bestattet. Auch die Töchter der Solimans suchten ihr Glück in der Selbständigkeit, wie als Nächstes dargestellt wird.

Eine »Ägypterin« auf der Bühne: Hamida Soliman Die älteste Tochter der Solimans, Hamida, führte das Erbe des Vaters am offensichtlichsten weiter. Sie erhielt als Kind Musik- und Gesangsunterricht und wuchs im Umfeld der Kabarett- und Theaterwelt auf, in der ihr Vater als Direktor und Artist agierte. 1933 erwarb Hamidas Mutter Martha Soliman die Mila-Lichtspiele in der Schönhauser Allee.417 Hamida Soliman war zum Zeitpunkt des Todes ihres Vaters 25 Jahre alt und unterstützte einige Jahre später mit ihren Schwestern ihre Mutter als Kinoinhaberin. Trotzdem der Vater sehr streng gewesen sein soll und, laut Aussage der Enkelin, Hamida und ihre Schwestern nicht ohne Begleitung ausgehen durften, lebten sie nach seinem Tod eigenständig und hielten unterschiedliche Unternehmensbereiche in familiärer Hand.418 Martha Soliman und ihre Töchter lebten als Ägypterinnen in Berlin. Die Mutter hatte 1917, nachdem die entsprechenden Papiere vom Kaiserlich Türkischen Generalkonsulat zu Berlin ausgestellt worden waren, die osmanische Staatsangehörigkeit erhalten, die dann 1922 mit der formellen Unabhängigkeit Ägyptens in eine ägyptische Staatsangehörigkeit umgewandelt wurde.419 Ihre Staatsangehörigkeit hatte bis 1939 keine weiteren Konsequenzen für die Familie. Außer dass es schon vor Kriegsbeginn in einem Schreiben des Königlichen Ägyptischen Generalkonsulats vom 26. August 1939 hieß:

414 Das Programm, 28 (29.9.1929), Nr. 1434, S. 12. 415 Gesemann, Höpp, »Araber in Berlin«, S. 34. 416 Beglaubigte Abschrift aus dem Handelsregister Abteilung B, Nr. 36322, Privatarchiv Miriam Mahdi. 417 Kamel, »Hamidas Lied«, S. 182. 418 Mahdi, Miriam, Gespräch mit Aischa Ahmed, 25.10.2016. 419 Ausweis Martha Soliman und Kinder vom 26.03.1917, Privatarchiv Miriam Mahdi.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

Das Koenigl. Aegyptische Generalkonsulat zu Berlin gibt allen Aegyptern den Rat, infolge der gegenwaertigen internationalen Lage, Deutschland sobald als moeglich zu verlassen, um in ein neutrales Land oder nach Aegypten zu gelangen.420 Die Solimans blieben jedoch ungeachtet dieser Warnung in Deutschland und mussten sich in der Folge wöchentlich im Schöneberger Rathaus bei den Behörden melden.421 Trotz dieser Schikanen trat Hamida Soliman während des Zweiten Weltkrieges in kleineren Opernhäusern auf und sang bei ihren Auftritten Lieder von Edvard Grieg und Richard Strauss. Auch »Götter erbarmt huldvoll euch mein« aus Giuseppe Verdis Oper Aida gehörte zu ihrem Repertoire. Verdi hatte die Oper als Auftragswerk zur Eröffnung des Suezkanals für den Khediven von Ägypten komponiert.422 Hamida Soliman wurde in den Konzertankündigungen als Ägypterin bezeichnet und erfuhr über diese Benennung eine Exotisierung ihrer Person. Allerdings entsprach die Zuordnung rein staatsrechtlich den Tatsachen, behielten die Töchter von Martha Soliman doch bis zu ihrem Lebensende ihren ägyptischen Pass.423 Nur eine von ihnen, Adila Soliman, besuchte das Geburtsland ihres Vaters. Ab Mitte der 1950er Jahre leitete Hamida Soliman die Wannsee-Lichtspiele in Berlin, die sie im Zuge des großen Kinosterbens in den 1960er Jahren jedoch schließen musste. Dies war das Ende der Kinotradition der Familie Soliman. Hamida starb 2006.424 Zwei Jahre zuvor konnte sie ihren 100. Geburtstag im Islamischen Museum in Berlin feiern, das ihr zu Ehren eine Ausstellung mit dem Titel »Hamidas Lied. 100 Jahre einer Muslimin an der Spree« zeigte.425

Anwesenheiten Im diesem Kapitel wurden exemplarisch die Biografien dreier Menschen betrachtet, die vor und um 1900 in das Kaiserreich kamen. Hassan Taufiks Blick auf das imperiale Deutschland war geprägt durch seinen privilegierten Status, seinen professionellen Auftrag als Lektor und Lehrer für Ägyptisch-Arabisch und seine Rolle als »cultural informant«. Die unterschiedlichen Facetten seiner eigenen Handlungsfähigkeit auch jenseits der einfachen Übernahme westlicher Muster lassen sich, 420 Schreiben des Koeniglichen Aegyptischen Generalkonsulats vom 26.08.1939, Privatarchiv Miriam Mahdi. 421 Kamel, »Hamidas Lied«, S. 183. 422 Said, Culture and Imperialism, S. 112-132. Das Stück wurde jedoch erst 1871, zwei Jahre nach der offiziellen Eröffnung des Kanals, uraufgeführt Vgl. auch: Robinson, Paul: »Is ›Aida‹ an Orientalist Opera?«, in: Cambridge Opera Journal 5 (1993), Nr. 2, S. 133-140. 423 Mahdi, Miriam, Gespräch mit Aischa Ahmed, 14.11.2016. 424 Ebd. 425 Kamel, »Hamidas Lied«.

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wenn auch vielfach verborgen, aus seinen Reisebeschreibungen und Aufzeichnungen zu Deutschland und Berlin herauslesen. Sie weisen Strategien eines ägyptischen Akademikers auf, die seine Auseinandersetzungen um Wissenshoheiten widerspiegeln, und stellen mitnichten bloße Zeugnisse der kritiklosen Übernahme westlicher Muster dar.426 Sayyida Salmes/Emily Ruetes Memoiren und Briefe sind das seltene Zeugnis einer Frau, die in den 1860er Jahren von Sansibar nach Hamburg migrierte und sich in der Zeit des Kaiserreichs in verschiedenen deutschen Städten niederließ. Ihre Memoiren sind grundsätzlich dem orientalistischen Denken verhaftet und hinterfragen es doch stellenweise auch. Ihre Briefe wiederum sind ein seltenes kritisches Zeugnis alltagsgeschichtlicher Erfahrungen einer alleinerziehenden arabischen Frau im Deutschen Reich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Trotz der relativ privilegierten Lebenslage Taufiks und Salmes/Ruetes können ihre Blicke auf Deutschland und ihre Erfahrungen der Differenz als beispielhaft für diasporische Ambivalenzen gelten, die arabische Präsenzen in der Metropole prägten und die sich durch eigensinnige Koalitionen sowie spezifische Zeitlichkeiten und Einstellungen auszeichneten. Dies lässt sich auch über Mohamed Soliman sagen, dessen Biografie hier als Drittes nachgezeichnet wurde. Soliman hat – anders als Taufik und Salme/Ruete – kein auto-/biografisches Zeugnis hinterlassen. Das heutige Wissen über ihn basiert auf einer heterogenen Quellenbasis, zu der ganz wesentlich auch die Familienerinnerung zählt. Die 29 Jahre seines Lebens, die er in Deutschland verbrachte, zeigen ihn als Artisten und Unternehmer, der sich im schaustellerischen Gewerbe an der Grenze zwischen Zurschaustellung und Selbstdarstellung aufhielt, zwischen der Übernahme von Klischees und Rollenbildern sowie den eigenen Agenden als Geschäftsmann und Unterstützer antikolonialer ägyptischer Kräfte. Alle drei hier betrachteten Biografien sind in ihrer Zersplitterung Beispiele geteilter/gemeinsamer Geschichten.427 Sie stehen für eine Verwobenheit, die von Differenzen, Ungleichheiten und Gemeinsamkeiten sowohl der verschiedenen Lebenswege als auch ihrer historischen Rekonstruktion kündet. Um auf die in der Einleitung formulierte These zurückzukommen, nach der die Präsenz arabischer Personen in Deutschland von 1871 bis 1933 Repräsentationen aufweist, die sie im Raum der gesellschaftlich Anderen verbleiben lassen, bestätigt sich ein weiterer Aspekt. Ihre Position als Andere der Gesellschaft beeinflusste sowohl die zeitgenössischen Beschreibungen ihres Lebens als auch die Formen, wie ihrer gedacht werden kann. Sayyida Salme kam 20 Jahre früher als Hassan Taufik nach Deutschland, im Jahr 1867. Sie erlebte die Gründung des Kaiserreichs und formulierte in ihren Brie426 Diese Position vertritt vor allem Mitchell, vgl. Mitchell, Colonizing Egypt, S. 170ff. 427 Vgl. Einleitung, S. 15f. sowie Conrad/Randeria, »Einleitung«, S. 9-49.

2. Zeit-Räume: Biografische Routen – koloniale Ambivalenzen

fen eine kritische Haltung gegenüber der deutschen Nation. Wenn sie betonte: »Jede Nation gleicht hier einer großen Anstalt«, lässt sich dies auch als Kritik am westlichen Nationalstaat lesen. Salme übte keine explizite Kolonialismuskritik. Sie benannte jedoch recht deutlich deutsche bzw. westliche Vorurteile, besonders in Bezug auf mehrheitlich muslimische Gesellschaften, und kritisierte die nach ihrer Einschätzung weitgehende Unkenntnis der deutschen Öffentlichkeit hinsichtlich der sansibarischen Verhältnisse. Taufik und Salme kamen auch deshalb nach Deutschland, weil Kontakte existierten, die über das koloniale Umfeld entstanden waren: Salmes Mann war wirtschaftlich in Sansibar engagiert, Taufik erhielt eine Anstellung am SOS. Es sind kleine Details, die die Grenzen der Raumzuweisungen verdeutlichen. Beiden wurde in unterschiedlichen Zusammenhängen auferlegt – oder anempfohlen –, ihre »orientalische Tracht« zu tragen. Beide fielen in der Öffentlichkeit auf und wurden aufgrund ihres Äußeren adressiert. Beide diskutierten kritisch die Zugehörigkeit zu einer Nation, sicherlich auf ganz unterschiedliche Weise, aber mit dem gleichen Anspruch, bestimmte Gepflogenheiten innerhalb des Kaiserreichs zu hinterfragen. Beide gaben Arabischstunden – Sayyida Salme nicht an einer Universität, aber ihre Kontakte zeigen die Verbindungen zu orientalistischen und kolonialwissenschaftlichen Kreisen. Beide betrieben demnach Wissensvermittlung. Und beide übernahmen Formen der Selbstorientalisierung und Stereotypisierung und schufen gleichzeitig ihre eigenen Wissensräume. Beide Biografien sind nur unter Berücksichtigung der orientalistischen Matrix rekonstruierbar und durchbrechen diese dennoch fortwährend. Mohamed Soliman lässt sich hier einreihen, insofern auch er Formen der Selbstorientalisierung übernahm, um sie unternehmerisch zu nutzen. Als Leiter des Panoptikums und als Artist trat er in bestimmten Bereichen der Schaustellerei auf. Die Wandlung vom »Feuerfresser« zum Direktor des Passage Panoptikums verdeutlicht auch seine eigene Handlungskompetenz. Als kaisertreuer, gegen die Briten eingestellter Unterstützer ägyptischer Nationalisten agierte er ebenso wie als Unternehmer und Kinobesitzer. So gilt für Soliman in noch stärkerem Maße, was grundsätzlich aber auch für Sayyida Salme und Hassan Taufik gilt: Ihre Position der Ambivalenz resultierte aus – wie Bhabha es nennt – dem »Aufbrechen der Zeitbarriere einer kulturell zusammenhängenden ›Gegenwart‹«,428 es gibt für alle drei keinen Raum der Artikulation, der jenseits des kolonial-orientalistischen Stereotyps funktioniert. Wie Bhabha an anderer Stelle genauer erläutert: Denn es ist die Macht der Ambivalenz, die für die Verbreitung und Akzeptanz des kolonialen Stereotyps sorgt: sie sichert seine Wiederholbarkeit in sich wandelnden historischen und diskursiven Zusammenhängen; sie bestimmt die Form sei-

428 Bhabha, Die Verortung der Kultur, S. 13.

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ner Strategien der Individuation und Marginalisierung und bringt den Effekt der probabilistischen Wahrheit und Vorhersehbarkeit hervor, die zur Untermauerung des Stereotyps immer mehr behaupten müssen, als empirisch bewiesen oder logisch befolgt werden kann. Aber die Funktion der Ambivalenz als eine der wichtigsten diskursiven und psychischen Strategien diskriminatorischer Macht – sei diese nun rassistischer oder sexistischer, peripherer oder metropolitaner Natur – muß erst noch ausgelotet werden.429 Die biografischen Wege der drei vorgestellten frühen Ein- und Zuwanderungsgeschichten Hassan Taufiks, Sayyida Salmes und Mohamed Solimans sind nur in ihrer Fragmentierung und Überlagerung zu rekonstruieren. Etwas von den Migrationserfahrungen ihrer Eltern führten sowohl die Kinder von Sayyida Salme als auch die von Mohamed Soliman fort. Antonie BrandeisRuete und Rudolph Said-Ruete bewegten sich beide auf unterschiedliche Weise in kolonialen Kreisen. Ihre Auseinandersetzungen mit deutschnationalen und kolonialen Paradigmen weist eine betonte Übernahme machtorientierter Positionen auf: im Fall von Antonie besonders deutlich als Mitglied kolonialer Frauenorganisationen. Bei ihrem Bruder sind vor allem seine Kontakte zu exponierten politischen und kolonialwissenschaftlichen Kreisen zu nennen. Said-Ruetes Briefe während des Ersten Weltkriegs waren geprägt – trotz seiner Kritik an der deutschen Politik – von einer uneingeschränkten Identifikation mit dem Deutschen Reich. Gleichzeitig müssen Brüche stattgefunden haben, denn er kehrte auch nach dem Krieg nicht nach Deutschland zurück. Und er gab seine deutsche Staatsangehörigkeit nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten auf. Antonie Brandeis-Ruete musste den Leitungsbeirat der Kolonialen Frauenschule Rendsburg, vielleicht aufgrund ihrer Herkunft, verlassen und sie versuchte einer jüdischen Studentin zu einem Zeitpunkt zu helfen, als die nationalsozialistische Verfolgung von Juden und Jüdinnen Techniken der Vernichtung einsetzte. Hamida Soliman setzte die Kinotradition der Familie mit ihrer Mutter und den Schwestern fort. Sie trat selbst auf die Bühne. Sie lebte weiter als Ägypterin in Berlin. Diese biografischen Routen und kolonialen Ambivalenzen zeigen einen Teil arabischer Erfahrungen innerhalb des Untersuchungszeitraums, der individuell rekonstruierbar und damit individualisierbar ist. Das folgende Kapitel beginnt umgekehrt und geht von kollektivierten – häufig stereotypisierten – Präsenzen aus und sucht innerhalb dieser Zeugnisse der Anwesenheiten einzelne Spuren herauszuschälen. Arabische Menschen als Teilnehmende von »Völkerschauen« und Kolonialsoldaten bilden den Hauptfokus des Kapitels 3 »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen.

429 Ebd., S. 108.

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

Sowohl Kolonialsoldaten als auch Teilnehmende an »Völkerschauen« wurden von der deutschen Gesellschaft als Kollektive wahrgenommen. Zu ihrer Präsenz bildeten sich zwei unterschiedliche und miteinander verbundene Narrative: Kolonialsoldaten sind in der Erinnerung eng mit ereignisgeschichtlichen Zusammenhängen des Ersten Weltkriegs verbunden und mit stereotypen Vorstellungen von »Massen«, »Horden« und »Wellen«, die als Schreckbilder Verbreitung fanden. Demgegenüber ist mit »Völkerschauen« gleichzeitig ein Narrativ der Welteroberung und Entdeckung verknüpft: »Völkerschauen lassen sich zu den sozialen Technologien zählen, mittels derer sich Europäer_innen als Norm konstituierten: Sie etablierten rassistische Blickregime, in denen sich die Zuschauer_innen in ein hierarchisches Verhältnis zu den Ausgestellten setzen konnten.«1 In »Völkerschauen« wurden Vorstellungen von »fremden« bis hin zu »fremdgemachten Völkern« präsentiert. Das deutsche Publikum konnte bzw. sollte sich als fortschrittlich und zivilisiert erleben gegenüber als Anderen markierten Teilnehmenden der »Völkerschauen«, deren Repräsentation für Rückständigkeit oder Wildheit, Schwäche oder Bedrohlichkeit stand.2 Besonders die Schauen von Carl Hagenbeck, aber keineswegs nur sie, hatten einen erzieherischen Charakter und verbreiteten hierarchische Verständnisse von unterschiedlichen Menschengruppen.3

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Lewerenz, Susann: »Völkerschauen und die Konstituierung rassifizierter Körper«, in: Junge, Torsten, Schmincke, Imke (Hg.), Marginalisierte Körper. Beiträge zur Soziologie und Geschichte des anderen Körpers, Münster: Unrast 2007, S. 135-153, S. 135f. Corbey, »Ethnographic showcases«. Vgl. auch: Honold, Alexander: »Ausstellung des Fremden – Menschen- und Völkerschauen um 1900. Zwischen Anpassung und Verfremdung: Der Exot und sein Publikum«, in: Conrad, Sebastian, Osterhammel, Jürgen (Hg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871-1914, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, S. 170-190. Zu »Völkerschauen« im deutschen Kontext siehe unter anderem: Dreesbach, Gezähmte Wilde, Thode-Arora, Für fünfzig Pfennig um die Welt, Thode-Arora, »Afrika-Völkerschauen in Deutschland«, Ames, Eric: »Wilde Tiere. Carl Hagenbecks Inszenierung des Fremden«, in: Honold, Alexander, Scherpe, Klaus R. (Hg.), Das Fremde. Reiseerfahrungen, Schreibformen und kulturelles Wissen, Bern u.a.: Peter Lang 1999, S. 123-148.

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Die Auseinandersetzungen um den Einsatz von Kolonialsoldaten, die nicht allein als »fremd« und feindlich, sondern auch als »wild«, naturverhaftet und rückständig wahrgenommen und markiert wurden, waren grundiert von weiteren Narrativen hierarchischer Raumzuweisungen.4 Diese umfassten sowohl die Kreation eines »deutschen Islam«, inszeniert in einem Gefangenenlager während des Ersten Weltkriegs, als auch die rassistische Kampagne gegen im Rheinland stationierte Kolonialsoldaten. Dieses Kapitel geht von der These aus, dass Vorstellungen und Imaginationen, die sich als kolonial-orientalistisches Denken bezeichnen lassen, die Handlungsoptionen arabischer Menschen in Deutschland beeinflussten. Dies gilt sowohl für den Diskurs der Zurschaustellungen im Rahmen von »Völkerschauen« und »Völkerschau« ähnlichen Ausstellungen Ende des 19. Jahrhunderts als auch für die im Kontext des Ersten Weltkrieges meist namenlos bleibenden Kriegsarbeiter_innen5 und Kolonialsoldaten, die während des Krieges und in der Zwischenkriegszeit nach Deutschland kamen. Diese Ordnungen unterlagen Vorstellungen von »panoptical time« und »anachronistic space«, wie Anne McClintock die säkularen Kategorien, in denen Weltgeschichte gedacht wurde, nennt.6 Wie bereits in der Einleitung dargelegt, wurde Zeit demnach im Zuge der Orientierung an sozialdarwinistischen Taxonomien als global anwendbare Maßeinheit implementiert, die mit Wertigkeiten verbunden war. Die vorgegebene, sich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert als normativ etablierende Zeitvorstellung war gleichsam von einem unsichtbaren Punkt aus gedacht allgegenwärtig und allgemein gültig. Das Denken in Kategorien einer Weltgeschichte ließe sich dementsprechend als ein Denken von einem unsichtbaren privilegierten (panoptischen) Punkt aus bezeichnen.7 Daran schloss sich die anachronistische Raumzuweisung an, die geografische Räume als Einheiten zu etablieren suchte, die als rückschrittlich, prähistorisch oder außerhalb »der Geschichte« liegend festgeschrieben wurden.8 In den folgenden zwei Unterkapiteln wird aufgezeigt, welchen Einfluss diese Art, die Welt zeitlich und räumlich zu denken, auf die Handlungsräume arabischer Personen in Deutschland hatte. Es

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Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«. Vgl. auch Mergenthaler, Volker: Völkerschau – Kannibalismus – Fremdenlegion. Zur Ästhetik der Transgression (1897-1936), Tübingen: Niemeyer 2005, sowie Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger und Wigger, Die »Schwarze Schmach am Rhein«. Zum Begriff der Kriegsarbeiter_innen vgl. Kapitel 1 Deutschlands »Orient«, S. 55. Frankreich setzte auch Frauen ein, besonders aus Nordafrika. Vgl. Le Naour, Jean-Yves: La honte noire. L’Allemagne et les troupes coloniales françaises, 1914-1945, Paris: Hachette Littératures 2003, S. 44-48. McClintock, Imperial Leather, S. 36-42. Ebd. 37. Ebd.

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

wird untersucht, wie sie das Leben derer beeinflusste, die diesen Raum- und Zeitzuweisungen zugeordnet wurden. Dabei wird auch immer wieder deutlich, wie brüchig und ambivalent, wie uneinheitlich und austauschbar diese Zuweisungen waren und wie häufig sie von den vermeintlichen Objekten dieses Weltdenkens unterlaufen wurden oder wie diese als Objekte klassifizierten Personen einen eigensinnigen Widerstand an den Tag legten.

»Völkerschauen« Anhand von Mohamed Solimans Wirken als Artist und Geschäftsführer des Passage Panoptikums wurde zuvor die Ambivalenz der imperialen Situation gezeigt (vgl. Kapitel 2 Zeit-Räume). Der Ägypter nutzte den Markt der Zurschaustellungen und befand sich an der Schnittstelle zwischen den objektivierten Teilnehmenden von »Völkerschauen« oder »Völkerschau« ähnlichen Inszenierungen, die vornehmlich auf Jahrmärkten und in Zoos stattfanden, und dem Theater und zirkusnahen Milieu, in dem sich besonders im Bereich der Artistik eine eigene Professionalität ausbildete.9 Soliman trat damit als Individuum aus der größeren Gruppe derer heraus, die nach Europa kamen und im Bereich des Schaustellgewerbes Arbeit fanden. »Völkerschauen« brachten mehrheitlich außereuropäische Männer, Frauen und Kinder nach Europa, um sie dort in aufwendigen Vorstellungen zur Schau zu stellen. Besonders die Hagenbeck’schen »Völkerschauen« in Hamburg erhoben den Anspruch der Authentizität ihrer Darstellung.10 »Völkerschauen« bildeten einen Teil der Alltagskultur des Deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Zurschaustellungen von Menschen, die in den Vorführungen in hohem Maße exotisiert wurden, fanden in Zoos, Zirkussen, Panoptiken, Gewerbeausstellungen und bei speziellen Festivitäten statt. Die Schausteller_innen präsentierten dabei einzelne Szenen und imaginierte Bräuche, mitunter auch in der Form nachgestellter Gemälde.11 Welt- und Gewerbeausstellungen hatten in diesem Kontext zwar einen eigenen Stellenwert, insofern sie nationale Größe und imperiale Ambitionen

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Lewerenz, Susann: Die Deutsche Afrika-Schau (1935-1940). Rassismus, Kolonialrevisionismus und postkoloniale Auseinandersetzungen im nationalsozialistischen Deutschland, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2006, S. 65ff. Ebd., S. 66f. Die Übergänge zwischen postuliert wissenschaftlich-anthropologischen Ausstellungen und »Völkerschauen« mit einer eigens imaginierten Dramaturgie des »natürlichen Lebens« der Teilnehmenden waren fließend. Vgl. Lewerenz, Die Deutsche Afrika-Schau (1935-1940), S. 66. Vgl. zum Thema inszenierter Menschenbilder im Kaiserreich: Lange, Britta: Echt. Unecht. Lebensecht. Menschenbilder im Umlauf, Berlin: Kadmos 2006.

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verhandelten.12 Diese größeren Ausstellungen zeigten jedoch zumeist auch »Völkerschauen«, die als einzelne Elemente im Ausstellungsbereich oder im Rahmen größerer Aufführungen in die Veranstaltungen integriert wurden. »Völkerschauen« waren vornehmlich ein Phänomen der Großstädte, aber auch auf dem Lande wurden Schauen durchgeführt und fanden regen Anklang.13 Es gab eigens choreografierte Abläufe, die größtmögliche Authentizität vermitteln sollten. Carl Hagenbeck (1844-1913), der Direktor des Hamburger Zoos, begann in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts Menschen im Rahmen von »Völkerschauen« auszustellen. Er verfügte über ein Netz von Verbindungen, die es ihm ermöglichten, auch in Städten wie Leipzig und Berlin Veranstaltungen zu organisieren. Seine autobiografischen Erinnerungen Von Tieren und Menschen geben Auskunft über diese Zeit der Zurschaustellungen.14 Die in dem Titel deutliche Gleichsetzung von Tier und Mensch ist ein Aspekt, der in den Inszenierungen immer wieder auftauchte.15 Carl Hagenbeck war jedoch nur einer von vielen Akteuren, die sich an der langen Kette europäischer Repräsentationen des »Fremden« beteiligten, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr auch als Inszenierungen des »Wilden«, des »Exotischen« vermarktet wurden.16 Themen von »Völkerschauen«, die einen direkten Bezug zu den in Kapitel 1 Deutschlands »Orient« (S. 52-60) benannten Stereotypen arabischen Lebens im Kaiserreich um 1900 hatten, waren vor allem Beduinen sowie arabischen Ländern zugeordnete »Orientszenen« wie zum Beispiel der »tunesische Harem«.17 Aus dem Raster etwas heraus fielen demgegenüber akrobatische Nummern, häufig marokkanischer Artisten, die einen eigenen zirkusnahen Markt bedienten.18 Die Zahl orientalisierter Inszenierungen im Rahmen von »Völkerschauen« lässt sich nur grob 12

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Vgl. allgemein zu Welt- und Gewerbeausstellungen: Greenhalgh, Paul: Ephemeral Vistas. The Expositions Universelles, Great Exhibitions and World’s Fairs, 1851-1939, Manchester: Manchester University Press 1988, Blanchard, Lemaire, Culture coloniale, Celik, Zeynep, Displaying the Orient: Architecture of Islam at Nineteenth-Century World’s Fairs, Berkeley/Oxford 1992 und Geppert, Alexander C. T.: Fleeting Cities. Imperial Expositions in Fin-de-Siecle Europe, Basingstoke u.a.: Palgrave Macmillan 2010. Vgl. Honold, »Ausstellung des Fremden«, S. 180. Hagenbeck, Carl: Von Tieren und Menschen. Erlebnisse und Erfahrungen, Berlin: Vita Deutsches Verlagshaus 1909. Ames, »Wilde Tiere«. Vgl. Thode-Arora, Für fünfzig Pfennig um die Welt. Dreesbach, Gezähmte Wilde. Vgl. Blanchard, Pascal, Bancel, Nicolas, Boëtsch, Gilles, Deroo, Éric, Lemaire, Sandrine (Hg.): Zoos humains et exhibitions coloniales, Paris: Éditions La Découverte 2011. Vgl. Kap. 1 Deutschlands »Orient«, S. 57-60 . Vgl. Escher, Anton: »Les acrobates marocains dans les cirques allemands«, in: Berriane, Mohamed, Popp, Herbert (Hg.), Migrations internationales entre le Maghreb et l’Europe – les effets sur les pays de destination et d’origine. Actes du 4ème colloque maroco-allemand de München 1997, Passau: L.I.S. 1998, S. 249-258. Lewerenz, Susann: Geteilte Welten. Lewerenz merkt an, dass die Überschneidungen von Völkerschau« ähnlichen Inszenierungen und theaternahen, artistischen

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

schätzen. Zwischen 1874 und 1931 fanden nach Hilke Thode-Arora circa 120 Veranstaltungen im deutschsprachigen Raum statt, von denen sich bei 22 arabisierte Exotismen finden lassen.19 Diese Liste umfasst jedoch nur einen Teil20 der Aufführungen an verschiedenen Orten, darunter auch außerhalb Deutschlands. Programme wie das »Sudanesendorf« (1909) oder »Am Nil« (1912) waren ebenso wie die »Mahdi-Krieger« (1898) und der bereits beschriebene »tunesische Harem« (1896) wirkungsvolle Inszenierungen, mit denen orientalistische Fantasiewelten verbreitet und »nationalkulturelle Bewusstseinslagen« geprägt wurden.21 Die Darbietungen arabisierter Szenen im Rahmen von »Völkerschauen« lassen sich demnach als »Kolonialphantasien« bezeichnen.22 Schon 1890 befand sich eine größere Zahl von Akteur_innen arabischer Herkunft auf dem Hamburger Geistfeld, die dort als »Beduinentruppe«, arabische Musiker und Kellnerinnen auftraten. Es heißt, Willy Möller, der 1896 auch künstlerischer Leiter der Sonderausstellung »Kairo in Berlin« war und auf den später noch näher eingegangen wird, sei mit einer ägyptischen Frau verheiratet gewesen.23 Welche weiteren engen – auch familiären – Beziehungen und Verflechtungen existierten, lässt sich in vielen Bereichen nicht rekonstruieren, deutet jedoch auf weitere Ebenen hin, die über den schieren Bereich der schaustellerischen Präsenz hinausgehen. Anhand zweier Zurschaustellungen sollen diese Zusammenhänge im Folgenden exemplarisch verdeutlicht werden: der halbjährigen Ausstellung »Kairo in Berlin« auf der Berliner Gewerbeausstellung von 1896 und der Schau »Tripolis in Berlin«, die im Jahr 1927 im Berliner Zoo gezeigt wurde. Drei Fragen wird hierbei im Besonderen nachgegangen: erstens, inwiefern die Inszenierung, das heißt in diesem Zusammenhang die Art der Verkleidung arabischer Personen und die Dramaturgie einzelner Szenen, auf vorgefassten Schemata und Stereotypen beruhten und in Form der Schauelemente den im Kapitel 1 beschriebenen deutschen »Orient« in

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Aufführungen fließend sein konnten. Siehe Lewerenz, Die Deutsche Afrika-Schau (1935-1940), S. 66, Fn. 177. Thode-Arora, Für fünfzig Pfennig um die Welt, S. 168-178. Dreesbach spricht von mindestens 300 »außereuropäischen Menschengruppen«, die von 1870 bis 1940 in Deutschland auftraten, ohne jedoch eine konkrete Auflistung zu bieten. Die Zahl der Auftritte wird sich auf ein Vielfaches belaufen haben. Vgl. Dreesbach, Gezähmte Wilde, S. 11. An anderer Stelle spricht sie von 400 Gruppen, ebd., S. 79. Vgl. Thode-Arora, Für fünfzig Pfennig um die Welt, S. 168-178. Dreesbach hat in ihrer Studie »Völkerschau«-Plakate untersucht und sieben »Völkerschaugruppen« markiert, die spezifische Stereotypen bedienen: »Urmenschen«, »Afrikaner«, »Araber«, »Menschen aus dem hohen Norden«, »Inder«, »Singhalesen«, »Indianer« und »Südseeinsulaner«, vgl. Dreesbach, Gezähmte Wilde, S. 134-149. Zantop, Kolonialphantasien im vorkolonialen Deutschland. Thode-Arora, Für fünfzig Pfennig, S. 55

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der Metropole verbreiteten.24 Zweitens wird analysiert, welches Raum- und Zeitverständnis den Inszenierungen unterlag, inwiefern und in welcher Weise Vorstellungen von Rückschrittlichkeit und Veranderung (»othering«) die »Völkerschauen« prägten. Und drittens wird der Frage nachgegangen, wie sehr diese Inszenierungen zugleich immer wieder unterlaufen wurden oder nicht wie geplant funktionierten bzw. sogar Kritik und Widerstand bei den Teilnehmenden auslösten. Mein Argument ist, dass sich bei jeder Form der hegemonialen Inszenierung – und das betrifft beide Schauen – immer auch eine transgressive Aktionsebene der Auftretenden finden lässt.25 Darüber hinaus werden anhand der unterschiedlichen Reaktionen auf die beiden Zurschaustellungen Unterschiede in der Gemeinschaftsbildung arabischer Präsenzen in Deutschland verdeutlicht.

»Kairo in Berlin« »Und alles das, die ganze Stadt doch nur ein Sommertagtraum. Wo jetzt die Moscheen stehn und die krummen Straßen Kairos sich hinziehen, grünen im nächsten Frühjahr die Kornfelder und wo der Muezzin zum Gebet rief, singt die Lerche.«26 Das Jahr 1896 sticht hervor durch den Erfolg der jahrelangen Bemühungen Berliner Kaufleute, mit der Gewerbeausstellung im Treptower Park – einem an den östlichen Stadtrand angrenzenden Volkspark – eine eigene Weltausstellung in der Hauptstadt des Kaiserreichs stattfinden zu lassen. Um sich gegenüber anderen Metropolen wie London oder Paris zu behaupten und dem noch jungen deutschen Staat eine Prestigeveranstaltung zu bescheren, war ihr Ansinnen, eine halbjährige Veranstaltung zu organisieren, deren Größe und Pracht internationales Renommee hervorrufen sollte. Zunächst ohne die Unterstützung des Kaisers, der schon 1892 den Vorschlag Caprivis27 abgewiesen hatte, eine Weltausstellung nach Pariser Vorbild zu genehmigen: »Paris ist nun mal das große Hurenhaus der Welt, daher die Anziehung auch außer der Ausstellung. In Berlin ist nichts, was den Fremden festhält als die paar Museen, Schlösser und Soldaten.«28 Bezeichnend ist in diesem

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Vgl. Kap. 1 Deutschlands »Orient«, S. 29-70. Mergenthaler, Völkerschau – Kannibalismus – Fremdenlegion. Stinde, Julius: Hotel Buchholz. Ausstellungs-Erlebnisse der Frau Wilhelmine Buchholz, Berlin: Freund & Jeckel 1897, S. 208f. Leo von Caprivi, Reichskanzler von 1890-1894. Zitiert nach Röhl, John C. G.: Wilhelm II. Der Aufbau der Persönlichen Monarchie 1888-1900, München: C. H. Beck 2001, S. 514.

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

Zusammenhang, dass Wilhelm II. anfänglich auch gegen die Ausstellung votierte, da er das »Arbeiter-Zusammenströmen nach Berlin« befürchtete.29 Später jedoch nutzte der Kaiser öffentlichkeitswirksame Auftritte bei der Eröffnung und im Verlauf der Berliner Gewerbeausstellung, die als »verhinderte Weltausstellung« in die Geschichte einging.30 Die städtebaulichen und architektonischen Neuerungen und Errungenschaften wurden lobend in der Presse hervorgehoben und die einzelnen Ausstellungsbereiche müssen geradezu als wahre Publikumsmagneten gewirkt haben. Wie es in einem Band des Heimatmuseums Treptow heißt, besuchten »[t]rotz des überaus verregneten Sommers […] über 7,4 Millionen Menschen die Ausstellung, die vom 1. Mai bis zum 15. Oktober 1896 geöffnet war«.31 Berlin umfasste zu jener Zeit über anderthalb Millionen Einwohner.32 Für die Sonderausstellung »Kairo in Berlin« wurden allein um die 400 Personen33 an die Spree gebracht: Mehrere Hunderte von ägyptischen Eingeborenen und eine Beduinentruppe bevölkern »Kairo« in Berlin. Es ist auch weitgehende Sorge dafür getragen, dass die Leute vollauf Gelegenheit finden, ihren rituellen und sonstigen Eigenthümlichkeiten nachzuleben: sie haben ihre Moschee, Schlafräume und Küche für sich und die Gebetsrufer lassen, ganz wie daheim, von den Minarets herab zur bestimmten Zeit ihre Sprüche laut erschallen.34 Von Beginn an wurde suggeriert, dass das ausgestellte »Kairo« bewohnt war. Die Vorstellung eines vermeintlichen ägyptischen Alltags sollte die artifizielle Inszenierung mit größtmöglicher Normalität überdecken. Zu der Ausstellung gehörten eine Moschee und die eigene Küche der Bewohner_innen »Kairos«, um die Inszenierung als möglichst wahrheitsgetreu erscheinen zu lassen und so zu legitimieren. Und wenn die Teilnehmenden auf dem Ausstellungsgelände übernachteten, war dies Teil ihrer Arbeit und Teil ihres Auftrags. 29 30

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Ebd., S. 513. Bezirksamt Treptow von Berlin (Hg.): Die verhinderte Weltausstellung. Beiträge zur Berliner Gewerbeausstellung 1896, Berlin: Berliner Debatte Wissenschaftsverlag 1996. Den Eröffnungstag beschreibt ausführlich Kerr, Alfred: Wo liegt Berlin? Briefe aus der Reichshauptstadt, hg. v. Günther Rühle, Berlin: Aufbau 1999, Brief vom 03.05.1896, S. 148ff. Heimatmuseum Treptow (Hg.): Die Berliner Gewerbeausstellung 1896 in Bildern, Berlin: Berliner Debatte Wissenschaftsverlag 1997. Laut der Volkszählung vom 2. Dezember 1895 hat Berlin 1.577.304 Einwohner_innen, in den Vororten lebten darüber hinaus weitere 541.000 Menschen, siehe Berlin Chronik, 2. Dezember 1895, in: Berlin.de, www.berlin.de/chronik/index.php?date=1895-12-02 (18.02.2018). Krug, Carl: »Die Sonder-Ausstellung Kairo«, in: Berlin und seine Arbeit. Amtlicher Bericht der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, hg. v. Arbeits-Ausschuss (Kühnemann, Fritz, Felisch, B., Goldberger, L. M.), Berlin: Reimer 1898, S. 867-873, S. 871. Krug, Carl: Offizieller Führer durch die Special-Abtheilung der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, Berlin: Verlag des kleinen Journalisten 1896, S. 4.

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Willy Möller,35 der bereits erwähnte künstlerische Leiter der Sonderausstellung, ließ die ersten Teilnehmenden im März 1896 mit einem Schiff von Alexandria nach Hamburg kommen. Am 20. April kamen die übrigen Frauen, Männer und Kinder, die am Rande des zu dem Zeitpunkt noch im Bau befindlichen Ausstellungsgeländes in eigens dafür eingerichteten Unterkünften wohnten.36 Mit einigen wenigen Ausnahmen durften sie das Festivalgelände während der Zeit der Gewerbeausstellung nicht verlassen und wurden – von Carl Krug an dieser Stelle durchaus kritisch hervorgehoben – an einem Kontakt zur Außenwelt gehindert.37 Krug, in Kürschners zeitgenössischem Literaturkalender als Orientalist eingetragen, verfasste unter anderem »Studien zum alten Orient« und Altertumsforschungen zu Ägypten, Babylonien und Assyrien.38 Die Ankunft der Teilnehmenden fand ein breites Medienecho. Fast noch mehr Aufmerksamkeit wurde den gleichzeitig eintreffenden Tieren gezollt. Die journalistischen Beschreibungen spiegelten die gesteigerte Begeisterung für die exotisierten Tier- und Menschenwelten wider, die Teil der Ausstellung waren: Am Montag, dem 20. April, erfolgte die Ankunft der großen Araberkarawane, die nunmehr mit al’ dem exotischen Gethier, den silbergrauen Mekkaeseln, egyptischen Büffeln und Dromedaren, mit Pelikanen, Ichneumons, Wildkatzen und ähnlichen Ungeheuern das interessante Stück Orient belebt.39 »Kairo in Berlin« wurde zu einem viel beschriebenen Ereignis. Der offizielle Führer durch die »Special-Abtheilung«40 erläuterte die aufwendigen Bauarbeiten und Konstruktionen, die über ein Jahr andauerten. »Kairo« war ein privat organisiertes Unternehmen, für das Verhandlungen zum Kauf der auszustellenden Kollektionen auf höchster Ebene geführt wurden. Nicht allein die »Waffensammlung aus dem ägyptischen Staatsschatze«, sogar die »Leibkapelle« des Khediven sollte mit dessen Zustimmung zunächst für die Dauer der Ausstellung nach Berlin überführt werden – was jedoch nicht geschah, da sie aufgrund anderer Verpflichtungen nicht teilnehmen konnte.41 35

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Willy Möller arbeitete als Impresario und veranstaltete »Völkerschauen«. Er trat teilweise in Konkurrenz zu Hagenbeck. Vgl. zur Person: Thode-Arora, Für fünfzig Pfennig um die Welt, S. 55, Dreesbach, Gezähmte Wilde, S. 52. Roman, Exotische Welten, S. 43. Krug, »Die Sonder-Ausstellung Kairo«, S. 873. Carl Krug verfasste unter dem Namen Carl Niebuhr (nicht zu verwechseln mit Carsten Niebuhr) Studien über das alte Ägypten. Vgl. Roman, Exotische Welten, S. 10. Klenz, Heinrich (Hg.): Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1904, Leipzig: G. J. Göschen’sche Verlagshandlung 1904, S. 725. Berliner Illustrirte Zeitung, zitiert nach Roman, Exotische Welten, S. 43. Carl Krug, Offizieller Führer durch die Special-Abtheilung der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, S. 4. Krug, »Die Sonder-Ausstellung Kairo«, S. 869.

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

Das Besondere an »Kairo« war die historische Dimension der Bauten und Darbietungen. Nicht nur das zeitgenössische Kairo wurde nachgebildet, auch Teile des pharaonischen Ägyptens fanden architektonisch wie auch darstellerisch ihren Ort. Krug konstatierte in dem zwei Jahre später erschienenen »Amtlichen Bericht« zur Ausstellung: War das benachbarte »Alt-Berlin« ein lokalhistorischer Wiedererweckungsversuch, bot die Kolonial-Ausstellung reiches Material zum Studium unserer deutschen Schutzgebiete und ihrer erst künftig hin zu kultivierenden Einwohner, so stellte »Kairo« die technisch und materiell nicht zu übertreffende Wiedergabe eines Kulturcentrums der islamischen Welt vor uns hin.42 Schon anhand dieser Beschreibungen wird deutlich, wie Zeiten und Räume scheinbar willkürlich miteinander vermengt wurden. So war die Ausstellung »Alt-Berlin« etwa um die Mitte des 17. Jahrhunderts und damit die Zeit des »Großen Kurfürsten« angesiedelt.43 Alexander Geppert hebt bei der Beschreibung der Ausstellung vor allem die zeitorientierte Bezugnahme hervor, die wiederum aufgrund ihrer konstatierten Ungenauigkeit vom »Verein für die Geschichte Berlins« kritisiert wurde.44 Mit Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg als wichtiger Bezugsperson für die Konzeption von »Alt-Berlin« ist natürlich auch schon ein kolonialer Bezug vorhanden, baute dieser doch die Festung Groß-Friedrichsburg auf dem Gebiet des heutigen Ghana auf und etablierte damit eine der ersten kurbrandischen kolonialen Unternehmungen.45 Der Journalist Paul Lindenburg verwies in seinem »Pracht-Album« der Gewerbeausstellung direkt auf den »nicht unbedeutenden brandenburgischen Kolonialbesitz in Afrika« und stellte koloniale Kontinuitäten zwischen dem Ausstellungsteil »Alt-Berlin« und der »Kolonial-Ausstellung« her. Nicht zuletzt betitelte er die Teilnehmenden als »Landsleute«.46 Für »Kairo in Berlin« galt die »Rue de Caire« auf der Pariser Weltausstellung von 1869 als Vorbild.47 »Aber«, so Krug, »die deutsche Gründlichkeit in Verbin42 43 44 45

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Ebd., S. 867. Geppert, Fleeting Cities, S. 54. Ebd. Kopp, Christian: »›Mission Moriaen‹ – Otto Friedrich von der Gröben und der brandenburgisch-preußische Sklavenhandel«, in: afrika-hamburg.de, o.J., www.afrika-hamburg.de/PDF/kopp_groeben.pdf (05.06.20). Lindenberg, Paul: Pracht-Album Photographischer Aufnahmen der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896 und der Sehenswürdigkeiten Berlins und des Treptower Parks, Berlin: The Werner Company 1896 (Text von Paul Lindenberg u.a.), S. 52. Krug, »Die Sonder-Ausstellung Kairo«, S. 868. Vgl. Badenberg, Nana: »Zwischen Kairo und Alt-Berlin. Sommer 1896: Die deutschen Kolonien als Ware und Werbung auf der GewerbeAusstellung in Treptow«, in: Honold, Alexander, Scherpe, Klaus R. (Hg.), Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit, Stuttgart: Metzler 2004, S. 190199, S. 190f.

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dung mit dem ihr anerzogenen Hochsinn« hätten eine weniger kleinliche Bebauung hervorgebracht: Das »neue Ägypten« umfasste die »Kait-Bey-Moschee«, die »El-Muaijad-Moschee«, die große Pforte der »El-Azhar« sowie das »Fellahdorf ElKafr«.48 Auch die »Wiedergabe von Bauten der ältesten Zeit«, der Tempel des Gottes Horus, eine 3.200 Jahre alte Felsenkapelle sowie die in Miniatur nachgebaute Cheops-Pyramide, waren Teil der Ausstellungsstadt. Die reale Stadt Kairo existiert als Gründung der Fatimiden seit dem 10. Jahrhundert.49 Die nachgebaute Stadt mit ihren Pyramiden auf der Berliner Gewerbeausstellung rekurrierte auf eine mindestens 3.000-jährige Geschichte.50 An dieser Stelle wird deutlich: »Kairo in Berlin« wurde zur Nachahmung einer mehrere tausend Jahre alten Geschichte, ein ganzes Land verkürzt auf eine Stadt, einen Ort, ein Ausstellungsgelände. Das Ausmaß der »Special-Ausstellung Kairo« sticht in mehrfacher Hinsicht aus den gängigen Völkerschauen heraus. Eine ganze Lebenswelt mit ihrer urbanen Architektur, ihren zusammengestellten Fragmenten und ihren teilweise originalen Ausschmückungen wurde vom realen Kairo direkt nach »Kairo in Berlin« transplantiert.51 Die drei Ausstellungen »Alt-Berlin«, »Kairo« und die »Kolonialausstellung« funktionierten unabhängig voneinander und wurden von unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessensgruppen gefördert. Vom Hauptgebäude der Gewerbeausstellung gelangte man linksseitig der Köpenickerstraße zunächst zur »Kolonialausstellung«, dahinter war »Alt-Berlin« gelegen. Auf der anderen Seite der Landstraße befand sich das verhältnismäßig größere Ausstellungsgelände »Kairos«. Die Beschreibung Kairos als »Kulturcentrum der islamischen Welt« war jedoch nicht deutlich – zumindest aus der Sicht der Besucher_innen der Ausstellung: Noch immer wird im Publikum die Kolonial-Ausstellung mit »Kairo« verwechselt, trotzdem beide von Charakter ganz verschieden sind und mit einander gar nichts zu thun haben. Sehr oft glauben die Besucher des durchaus ernst und vornehm gehaltenen erstgenannten Unternehmens, daß die Plakate »Zur Araberstadt«, die auf dem linksseitigen, lediglich ethnologischen Theil der KolonialAusstellung angebracht sind, darauf hinweisen, sollen, daß die Verbindungsbrücke nach »Kairo« führt.52

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Krug, »Die Sonder-Ausstellung Kairo«, S. 868. Hourani, Die Geschichte der arabischen Völker, S. 68. Vgl. zum wissensgeschichtlichen Hintergrund dieser zeitlichen Konstruktionen den Exkurs »Ägypten« in: El-Tayeb, Schwarze Deutsche, S. 37-45. Ahmed, »›Die Sichtbarkeit ist eine Falle‹«, S. 91. Berliner Neueste Nachrichten Nr. 232, Abendausgabe, 19.05.1896. Vgl. Roman, Exotische Welten, S. 34f.

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»Kairo« wurde demnach als »Araberstadt« wahrgenommen. Die Teilnehmenden der »Kolonialausstellung« wiederum wurden als »eigene« koloniale Subjekte inszeniert, die von anderen Vorführungen »edler Wilder«, wie Pascal Grosse nachweist, deutlich zu unterscheiden waren.53 Denn die »Kolonialausstellung« wurde von der Kolonialverwaltung selbst organisiert und diese suchte umzusetzen, was sie – allerdings vergeblich – auch von kommerziellen Veranstaltern einforderte: »Völkerschauen in den Dienst der nationalen kolonialen Propaganda zu stellen«54 und die Auftretenden als »produktive und domestizierte Untertanen des Deutschen Reichs«55 vorzustellen. Die zuvor von Carl Krug formulierte vermeintliche Rückständigkeit der »zu kultivierenden Einwohner« der »deutschen Schutzgebiete« folgte dem Zivilisierungsgedanken des ab den 1890er Jahren zunehmenden Ausbaus der kolonialen Bürokratie und Infrastruktur.56 Dazu gehörte, 1896 Großmachtanspruch zu behaupten, der den nationalen Rahmen transzendierte und mit der »Kolonialausstellung« klare Abgrenzungen zu London und Paris deutlich machte.57 Das Verwirrspiel des Publikums in der Vermischung der Einzelausstellungen »Kairo« und der »Kolonialausstellung« mag der unsachgemäßen Kenntlichmachung der Wege geschuldet gewesen sein. Es mag aber auch sein, dass gerade nicht unterschieden wurde zwischen den unterschiedlichen Einflusssphären, die das Deutsche Reich in Ägypten und in Sansibar, Neu-Guinea und anderen in der »Kolonialausstellung« inszenierten Teilen der Welt verfolgte. Für die privat betriebene Sonderausstellung »Kairo« hatten sich auch deutsche Unternehmer aus dem tatsächlichen Kairo eingesetzt, die bereits längere Zeit ihre Handelsinteressen am Nil verfolgten.58 »Kairo in Berlin« war schließlich groß: 36.577 Quadratmeter umfasste die auf der anderen Seite der Köpenicker Landstraße und damit von der eigentlichen Gewerbeausstellung getrennt gelegene Ausstellungsfläche.59 Und die Schau beinhaltete »Massenaufführungen«: Eine große Arena diente der Aufführung von Hochzeitszügen, Mekka-Karawanen und religiösen Festen, die – so Krug – weitaus mehr Begeisterung beim Publikum hervorriefen als Schwertfechtkünste und Bauchtanz.60 Die Inszenierungen durchdrangen alle Be53 54 55 56 57 58

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Grosse, »Zwischen Privatheit und Öffentlichkeit«, S. 97. Ebd. Ebd. Vgl. die Aufsätze in: Barth, Boris, Osterhammel, Jürgen (Hg.), Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert, Konstanz: Universitätsverlag Konstanz 2005. Geppert, Fleeting Cities, S. 49. Vgl. Wörner, Martin: Vergnügung und Belehrung. Volkskultur auf den Weltausstellungen 1851-1900, Münster u.a.: Waxmann 1999. Geppert, Alexander C. T.: »Weltstadt für einen Sommer: Die Berliner Gewerbeausstellung im europäischen Kontext«, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 103 (01/2007), Nr. 1, S. 434-448, S. 441. Vgl. Roman, Exotische Welten S. 35. Krug, »Die Sonder-Ausstellung Kairo«, S. 873. Bei Lindenberg sind sogar 60.000 Quadratmeter als Ausstellungsgröße angegeben. Vgl. Lindenberg, Pracht-Album, S. 44. Krug, »Die Sonder-Ausstellung Kairo«, S. 870f.

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reiche des sozialen Lebens – sogar die Geburt eines Kindes wurde im Nachhinein öffentlichkeitswirksam inszeniert. Während es positive Beschreibungen der Ausstellungsstadt »Kairo« insbesondere aufgrund ihrer Größe und ihrer Prachtbauten gab, klang es anders, wenn die Akteure von »Kairo in Berlin« zur Sprache kamen: Nicht nur die Inhaber und Vertreter der bekanntesten europäischen und arabischen Geschäfte aus Aegyptens Hauptstadt haben sich mit ihren Waaren eingefunden und setzen den Handel hier in getreuen Nachbildungen der originalen Räume fort, sondern es gelang auch den umsichtigen Bemühungen der beiden Herren Direktoren, die meisten der vorhin genannten Strassentypen in zahlreichen Exemplaren hierher zu verpflanzen. Diese Aufgabe ist keine leichte gewesen; handelt es sich doch vorwiegend um lauter ungebildete Bekenner des Islam!61 Bei genauerer Betrachtung zeigt sich also, wie sehr die Teilnehmenden »Kairos« objektifiziert und kategorisiert wurden. Die »Strassentypen« wurden sowohl in den unterschiedlichen Ausstellungsführern und Begleitpublikationen als auch der Tagespresse beschrieben. Vereinzelt kam auch die vermeintliche Realitätsnähe der Inszenierung zur Sprache und wurde hinterfragt. Am 3. Mai 1896 schrieb Alfred Kerr, der die Ausstellung besucht hatte, in einem seiner essayistischen Briefe, die in der Breslauer Zeitung erschienen: Es ist wahr: im Grunde genommen ist »Kairo« nur ein enormes Tingeltangel. Aber eines, das die Phantasie in ungeahntem Maße anregt. Hier ist der leibhaftige Orient. Beduinen, Derwische, Kairenser, Türken, Griechen und die dazugehörigen Weiberchen und Mägdlein sind in unbestreitbarem Originalzustand vorhanden. […] und alle diese östlichen Männer und Weiber, von der gelben bis zur tiefschwarzen Gesichtsfarbe, sind vom Orient unmittelbar nach Berlin transportiert worden. Sie sind sich der Schaustellung, die ihr Amt ist, wohl bewusst und posieren wahrscheinlich grenzenlos. Das Ganze ist, wie angedeutet, ein starker Mumpitz – aber doch unleugbar ein sehr geistvoller und ein sehr anregender Mumpitz.62 Auch Kerr verblieb in einer Sprache, mit der er die Auftretenden als Andere beschrieb. Obwohl er die Inszenierung kritisierte, deckte er in dieser Schilderung doch nur bedingt die Künstlichkeit »Kairos« auf. Der von ihm festgestellte »Originalzustand«, der »leibhaftige Orient«, bekräftigte die von ihm konstatierten wesenhaften Unterschiede, die er nicht hinterfragte.63 Auch könnten Begriffe wie »Tin-

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Krug, Offizieller Führer durch die Special-Abtheilung der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, S. 3f. Kerr, Wo liegt Berlin?, Brief vom 03.05.1896, S. 151f. Vgl. die Diskussion Dreesbachs zu Kerrs Schilderung der Kolonialausstellung: Dreesbach, Gezähmte Wilde, S. 200ff.

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

geltangel« und »Mumpitz« einen abwertenden Verweis auf Varieté und andere Zurschaustellungen bedeuten. Kerr war Schriftsteller, Journalist und besonders Theaterkritiker.64 Jedoch lässt sich der Widerspruch, den er mit dem Oxymoron »geistvoller und […] anregender Mumpitz« aufbaute, nicht abschließend klären. An einer weiteren Szene zeigen sich erneut stereotype Zuschreibungen, wenn Kerr eine Gruppe von Beduinen in weißen Gewändern vor der großen Pyramide beschreibt und ihnen folgende Wesenszüge stereotyp zuschreibt: »in den dunklen Augen zugleich Phlegma, Müdigkeit und latentes Feuer.«65 Die Inszenierung von »Kairo« mit großen Prachtaufzügen entsprach der Gegenüberstellung der Beduinen als »bedrohliche[r] Masse« und dem »edle[n] Herren- und Eroberervolk«.66 Beduinen lebten im Allgemeinen nicht in der Stadt. Sie verkörperten in dieser Vorstellung das Stereotyp »des Arabers«. Die Zuschreibungen von »Phlegma« und »Müdigkeit« und zugleich die von einem »latenten Feuer« reihen sich ein in die Bilderwelt von Kriegern und Beduinen, also nicht sesshaften »Arabern«.67 Kerr übernahm dies alles mit der ihm typischen Ironie und sprach im Weiteren davon, dass »Tausende und Zehntausende von Fremden und Berlinern […] durch den Wüstensand [wogten], der mit dem märkischen eine so auffallende Ähnlichkeit« hatte.68 Mit einem Hinweis traf er den Hintergrund einiger Inszenierungen vermutlich genau: Die an den Aufführungen Beteiligten waren sich ihrer Zurschaustellung durchaus bewusst. Davon zeugt auch ihre Kritik – diese ließ sich in der Tagespresse nachverfolgen – an unzumutbaren Auftrittskonditionen. Schon im Mai, dem ersten Monat der Ausstellung, kam es zu »beklagenswerten Schlägereien […], welche einige Söhne des Ostens sogar ins Gefängnis geführt haben«.69 Krug schloss auf Unzufriedenheit vor allem aufgrund des Fehlens von »europäischen Hilfskräften«, die den »Besuchern wie den Arabern zu gleichmässigem Nutzen« hätten ihre Plätze anweisen sollen.70 Es schien zu Grenzüberschreitungen gekommen zu sein, vor allem dazu, so Krug, »dass der Orientale hier den ihm anerzogenen Respekt vor jedem Europäer vernachlässigen lernte«.71 Bekannt sind die Fälle des großwüchsigen Hassan Ali,72 der als »Riese« in »Kairo« auftrat, und trotz eines Rückenleidens zur Arbeit gezwungen worden 64 65 66 67 68 69 70 71 72

Vgl. Rühle, Günther: »Alfred Kerr und die Berliner Briefe«, in: Kerr, Alfred: Wo liegt Berlin? Briefe aus der Reichshauptstadt, hg. v. Günther Rühle, Berlin: Aufbau 1999, S. 643-662. Kerr, Wo liegt Berlin?, S. 162. Wiedemann, »Zwischen Völkerflut und Heroismus«, S. 226. Vgl. ebd., besonders S. 227 sowie Kap. 1 Deutschlands »Orient«, S. 52-60. Kerr, Wo liegt Berlin?, S. 162. Krug, »Die Sonder-Ausstellung Kairo«, S. 871. Ebd. Ebd. Kisch, Egon Erwin: »Geheimkabinett des anatomischen Museums«, in: ders., Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Der rasende Reporter, Berlin/Weimar: Aufbau 1972, S. 170-174, S. 172 (zuerst in: Kladderadatsch, Nr. 27, Berlin, 05.07.1896).

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sein soll.73 Weitere sieben Ägypter, die als »tanzende Derwische« das Publikum amüsierten, klagten ebenso.74 Hassan Ali klagte vor dem Berliner Gewerbegericht gegen die Arbeitsbedingungen auf der Sonderausstellung, nachdem der Impresario Möller ihn als arbeitsunwillig entlassen hatte, ohne seinen Lohn auszuzahlen.75 Die Klage wurde aufgrund fehlender Zuständigkeit abgewiesen. Ein Arzt bestätigte die Krankheit Hassan Alis.76 Die sieben Ägypter klagten vor demselben Gericht, dass Möller seine Versprechungen nicht eingehalten habe. Das Gericht gab der Klage statt und verurteilte die Gesellschaft »Kairo«, die ausstehenden Schulden zu begleichen.77 Jedoch führte der Ausgang zu keinem Erfolg für die Kläger, die danach durch Berlin irrten und keine Unterkunft fanden. Weder die osmanische Botschaft noch der Veranstalter sorgten sich darum, wo die Männer verblieben. Am 1. Juli wurden die Ägypter abgeschoben, ohne dass sie ihren Lohn erhalten hatten.78 Ähnliche Klagen gegen Möller hatte es schon 1890 durch die Teilnehmenden an einer »Beduinen-Karawane« auf dem Münchner Oktoberfest gegeben, die damit endeten, dass Möller die Klagenden auszahlen musste.79 Die Ausstellungsstadt »Kairo« war nicht auf Ägypten beschränkt. Sie ging darüber hinaus, und zwar in Form einer kleinen »Palästina-Ausstellung«. In der Allgemeinen Zeitung des Judenthums vom 5. Juni 1896 hieß es dazu:80 »Wer Kairo nicht gesehen, der hat die Welt nicht gesehen«, sagt der Aegypter von seiner Landeshauptstadt mit gerechtem Stolz. Man kann wohl auch behaupten, daß wer »Kairo« nicht gesehen, die Ausstellung nicht gesehen habe. Wenn wir durch die Thore und Straßen ziehen, dann bietet sich uns ein echt orientalisches Bild, das uns an so viele biblische Szenen gleicher Art erinnert. Auf dem Palmenbestandenen Platze, seitwärts der Cheops-Pyramide, gegenüber dem großen Edfu-Tempel, dem Gott der Horus gewidmet, und neben der Kait-Bai-Moschee mit ihrem schlanken Minaret ist die Palästina-Ausstellung von Herrn Baumeister Wohlgemuth in einem Bau sehr glücklich untergebracht, der in gelungener Nachahmung an den Davids-Thurm in Jerusalem erinnert.81 Der namenlose Autor des Artikels in der Allgemeinen Zeitung des Judenthums entwarf hier ein »orientalisches Bild«, dessen Künstlichkeit nicht hinterfragt wurde. 73 74 75 76 77 78 79 80 81

Roman, Exotische Welten, S. 68. Gesemann, Höpp, »Araber in Berlin«, S. 10-12. Nachlass Höpp, Kiste 07.01. Vgl. Roman, Exotische Welten, S. 68f. Gesemann, Höpp, »Araber in Berlin«, S. 10. Ebd. Gesemann, Höpp, »Araber in Berlin«, S. 11f. Ebd., vgl. Nachlass Höpp, Kiste 07.01. Dreesbach, Gezähmte Wilde, S. 236ff. »In der Berliner Gewerbeausstellung«, in: Allgemeine Zeitung des Judenthums 60 (05.06.1896), Nr. 23, S. 275f. Ebd.

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

Er identifizierte sich mit dem Ausgestellten, indem er »der glorreichen Vergangenheit und der traurigen Gegenwart« seines »Volkes« gedachte.82 Im Ausstellungsführer war die »Palästina-Sammlung« Teil der Ausstellung zur »Kait Be-Moschee«, die gleichzeitig als Grabmahl diente, und bildete ein Ensemble, das von einem »arabischen Café« und einem »arabischen Theater« umringt war.83 Obwohl »Palästina« demnach ein kleiner Teil einer künstlichen Moschee war, maß der zuvor genannte namenlose Autor der gesamten Szenerie, mit all ihren Bildern und dem Wein, der daselbst ausgeschenkt wurde, den Stellenwert eines Sehnsuchtsortes zu, der nur zum Blühen gebracht werden müsste, um den 2.000-jährigen Untergang zu überwinden (vgl. Abb. 02).

Abbildung 02: Ka’it – Bei – Moschee/Gewerbeausstellung 1896 in Berlin, Sonderausstellung Kairo (bpk-Bildagentur)

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Ebd. Ansichten von Kairo in der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, Berlin: Kunstdruck A. u. C. Kaufmann 1896.

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Narrative des im späten 19. Jahrhundert entstehenden Zionismus wurden hier direkt mit Reminiszenzen der christlichen Templerbewegung vermischt.84 Neben der großen Arena befand sich auf einer der Längsseiten, hinter Tribüne III, ein weiterer spezieller Bereich, der ebenfalls vom Publikum eingesehen werden konnte: der Harem.85 Schon die Vorgeschichte des Aufbaus von »Kairo in Berlin« rankte sich um Haremsszenen. So erläuterte Krug die schwierigen Verhandlungen zum Aufbau des Harems und das Ringen der Veranstalter um den Kauf der begehrten Holzläden, »muschrabijen«, die die Räumlichkeiten des »Harems« nach Vorstellung der Organisatoren verzieren sollten. Die Frauen der Hauseigentümer, denen man die Holzläden abkaufen wollte, setzten sich zur Wehr und protestierten gegen den Verkauf bzw. stimmten erst nach dem Zugeständnis eines entsprechenden Gegenwertes in Form von Glasfenstern für den Verkauf.86 Diese Frauen der Hauseigentümer waren höchst wahrscheinlich nicht die Teilnehmerinnen der Schau im Treptower Park. Die narrative Szenerie, die Krug entwarf, bot stereotype Wiederholungen austauschbarer Haremsfantasien. Ähnlich dem bereits geschilderten »tunesischen Harem« (vgl. Kapitel 1 Deutschlands »Orient«, S. 57-60), der im Rahmen einer Sitzung der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte zur Vorführung gelangte, war der »ägyptische Harem« als Teil der Ausstellung »Kairo in Berlin« inszeniert und führte den vermeintlichen Alltag arabischer Frauen vor.87 Besucher_innen konnten durch Gitter zuschauen. Wie beim »tunesischen Harem« war ein reicher Kaufmann Teil der Hintergrundgeschichte.88 Diesmal gab er seinen Harem großzügig »frei«, ließ die Frauen und Kinder in Berlin »ausstellen« und von einem »Eunuchen« bewachen. Wenig war – trotz der mehrfachen Nennung in der Tagespresse – über die tatsächliche Inszenierung zu erfahren.89 Es ist ein fortdauernder Widerspruch,

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Die missionsrevisionistische Publikation Carmel, Die Siedlungen der württembergischen Templer in Palästina 1868-1918, gibt einen guten, wenn auch unkritischen, Einblick in diese Zusammenhänge. Harem von Arabisch haram heißt unter anderem verboten, abgetrennt, einem besonderen Schutz unterliegend, heilig. Vgl. Ahmed, »Western Ethnocentrism«, S. 529. Vgl. auch: Harnisch, Antje: »Der Harem in Familienblättern des 19. Jahrhunderts: Koloniale Phantasien und Nationale Identität«, in: German Life and Letters 51 (07/1998), Nr. 3, S. 325-341. Krug, »Die Sonder-Ausstellung Kairo«, S. 869f. Es könnte – trotz der kategorischen Betonung der jeweiligen Authentizität – sein, dass es sich bei den beiden Haremsvorführungen um dieselben Teilnehmenden handelte. Der »tunesische Harem« wurde Ende März im Passage Panoptikum aufgeführt, also zu einer Zeit, zu der Willy Möller die ersten Gruppen bereits von Alexandria hatte einschiffen lassen, vgl. »Ausserordentliche Sitzung«, S. 237f. Vgl. zu der Hintergrundgeschichte des Kaufmanns von »Kairo in Berlin«: Krug, Offizieller Führer durch die Special-Abtheilung der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, S. 70 sowie Ansichten von Kairo, S. 7, 10 (ohne Seitenzählung). Roman, Exotische Welten, S. 63f.

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der in den Inszenierungen von Haremsszenen lag: Ein geschützter, verborgener Raum, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sollte gezeigt, ausgestellt und damit für nicht zur Familie gehörige Personen zugänglich gemacht werden. Der Harem und die Verborgenheit von Frauen bildeten ein gängiges koloniales Narrativ der Erkundung und Entdeckung in orientalistischen, literarischen und populärliterarischen Schriften.90 Das Stereotyp der unfreien arabischen bzw. muslimischen Frau war schon 1896 etabliert, wie beim fiktionalen Besuch der Ausstellung Frau Wilhelmine Buchholz – die Titelfigur einer Publikation aus Stindes populärliterarischer Reihe – ihrer Begleitung deutlich machte: »Ich zeigte ihnen die vergitterten Haremsfenster.« Erika, die Frau von Wilhelmines Onkel Fritz, kommentierte: »›Arme Frauen‹.«91 In der Ausstellung waren die Rollen unterschiedlich verteilt. Frauen waren nicht nur im Harem von »Kairo« vertreten: »Esel traben wie verrückt mit Ägypterinnen, Berberinnen und Weißen durch die winkligen Gassen«92 , während »männliche Bewohner in süssem Nichtsthun umherliegen, [holen] die Frauen in rundbäuchigen Thonkrügen das Wasser vom nahen Teiche«.93 Die Objektifizierung von Frauen in der Ausstellung fand nicht allein in der Nische des Harems unterhalb der Tribüne III statt. »Kairo in Berlin« verblieb in diesem Widerspruch zwischen der Inszenierung des »Fremden« und Geheimnisvollen und der panoptischen Gewissheit einer allumfassenden Durchdringung privater Sphären.94 Die Geburt eines Kindes während der Ausstellung passte in dieses Schema. Eine der teilnehmenden Frauen erwartete ein Kind und nachdem die Errechnung des genauen Geburtstermins verpasst wurde – der Wunsch der Ausstellungsmacher war es tatsächlich, die Geburt zu zeigen –, gab es eine andere Form der öffentlichkeitswirksamen Vermarktung: Als Teil einer großen Reiterschaft ritt die Mutter Alidscha mit ihrer neugeborenen Tochter bei Gewehrfeuer durch die Arena und die Direktoren Wohlgemuth und Möller konnten einen Extraeintritt erheben.95 Es war Teil der Szenerie von »Kairo in Berlin«, wissenschaftlich legitimierte Vorstellungen über den »Orient« und seine Bewohner_innen abzubilden.

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Vgl. Lewis, Gendering Orientalism, Hörner, Katrin: »Verborgene Körper – verbotene Schätze. Haremsfrauen im 18. und 19. Jahrhundert«, in: Gernig, Kerstin (Hg.), Fremde Körper. Zur Konstruktion des Anderen in europäischen Diskursen, Berlin: Achims Verlag, Achim Freudenstein 2000, S. 176-207. Stinde, Julius: Frau Buchholz im Orient, Berlin: Eulenspiegel Verlag 1989, S. 208. Kerr, Wo liegt Berlin?, S. 152. Lindenberg, Pracht-Album, S. 43. Corbey, »Ethnographic showcases«, S. 72. Roman, Exotische Welten, S. 65.

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Die Unternehmer von »Kairo« haben jedoch in bewusster Absicht die Leute samt ihrem Lande nach Berlin verpflanzt, und zwar die schönsten Religien des alten, historischen Aegyptens neben den belebten Bauten des modernen stellend.96 »Kairo in Berlin« sei aber bewusster aufgebaut, stellte erneut Krug in seinem Bericht zur »Sonder-Ausstellung Kairo« fest, insofern Land und Leute nach Berlin »verpflanzt« worden waren. Und er verwies auf einen zeitgenössischen Berichterstatter, der den Besucher_innen von »Kairo« einen anschließenden Rundgang durch die »ägyptische Abteilung« der »Königlichen Museen« nahelegte.97 Ein abschließendes Beispiel verdeutlicht den Konnex eines Anspruchs an Wissenschaftlichkeit und populärer Zurschaustellung. Neben einer Schule für die teilnehmenden Kinder, die auch vom Publikum begutachtet werden konnte, waren auch »Schechs«98 und weitere »schriftkundige Araber« bei der Ausstellung zugegen. Sie seien von »gelehrten Herren« interviewt worden, wie es im amtlichen Bericht zur Gewerbeausstellung heißt.99 »Scheich« ist im Arabischen die respektvolle Bezeichnung für ältere Herren, Würdenträger oder Gelehrte. In Krugs Bericht werden »die anscheinend kindischen Besucher aus dem Süden«, die »merkantiles Talent« an den Tag legten und »mit ziemlicher Geschwindigkeit genug deutsch«100 lernten, beschrieben – wobei sowohl die Verkindlichung als auch das Moment der Geschäftstüchtigkeit als stereotype Festlegungen zu werten sind. Bei den »gelehrten Herren« auf der anderen Seite handelte es sich um Angehörige des Seminars für Orientalische Sprachen, welche die Ausstellung besuchten und versuchten, ihre eigenen Sprachkenntnisse in Form von »Idiomstudien« abzugleichen.101 Die in den einleitenden Kapiteln geschilderte »Welt als Ausstellung« wird an dieser Schnittstelle konkret und komplexer. Aus dem künstlichen Arrangement »Kairos« heraus wurden von den ansässigen Orientalisten Wissensarchive ergänzt. Der Anspruch auf Wissenshoheit und Authentizität traf dabei auf Profitinteressen, die sich zunehmend an sich globalisierenden Vorgaben orientierten. Das Verhalten der Schauteilnehmenden auf der Gewerbeausstellung im Treptower Park wurde im Hinblick auf potenzielle Auswirkungen auf das Leben von Europäer_innen in Ägypten betrachtet.102

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Krug, »Die Sonder-Ausstellung Kairo«, S. 870. Ebd. »Schech« bedeutet in diesem Zusammenhang »Scheich«. Krug, »Die Sonder-Ausstellung Kairo«, S. 870. Ebd. Ebd. Krug, Offizieller Führer durch die Special-Abtheilung der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, S. 5.

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Ein Teil der Kolonialausstellung wiederum wurde im Anschluss vom 1899 gegründeten Kolonialmuseum in Berlin Moabit übernommen.103 Felix von Luschan,104 der spätere Leiter des Völkerkundemuseums, untersuchte Teilnehmende der Kolonialausstellung, wobei diese Untersuchungen auch anthropologische Vermessungen von Körpern umfassten, und verfasste darüber einen Bericht.105 Das Zusammenspiel von Wissenschaft und Zurschaustellung spielt auch in dem folgenden Beispiel eine Rolle. Gut drei Jahrzehnte nachdem »Kairo« auf der Berliner Gewerbeausstellung inszeniert wurde, kam es zu einer weiteren, in Berlin stattfindenden »Völkerschau«: »Tripolis in Berlin«.

»Tripolis in Berlin« Am 3. Juni 1927 eröffnete im Berliner Zoo die »Völkerschau« »Tripolis in Berlin«, die mit ähnlichen Szenerien aufwartete, wie das zuvor beschriebene »Kairo« im Treptower Park.106 »Die Stadt des Malers Griebel zeigt das orientalisch bunte Leben der nordafrikanischen Küste.«107 So hieß es einen Tag später in einem Beiblatt des Berliner Tageblatts. Griebel hatte die Bauten und Szenarien der Ausstellung gestaltet. Demnach führten die »Bewohner […] hier das Leben ihrer Heimat weiter. Beduinen ziehen mit ihren Dromedaren durch die Stadt. Die Handwerker, nordafrikanische Juden und Araber, arbeiten in der Basarstraße an Lederstickereien, bunten Krügen und Töpferwaren.«108 »Viermal am Tag wird die Tochter des Kaids den Sohn des fremden Kaids in Tripolis heiraten […].«109 Der Artikel ist mit Karikaturen unterlegt, die sowohl einen »tanzenden Derwisch« als auch weitere stereotype Bebilderungen zeigten – einen kleinwüchsigen Mann und eine Person in einem 103 Zeller, Joachim: »›Das Interesse an der Kolonialpolitik fördern und heben‹ – Das Deutsche Kolonialmuseum in Berlin«, in: Heyden, Zeller, Kolonialmetropole Berlin, S. 143-149, besonders S. 143; sowie Corbey, »Ethnographic showcases«, S. 61. 104 Felix von Luschan (1854-1924), Professor für Anthropologie/Ethnologie an der Berliner Universität und Direktor der Abteilung Afrika und Ozeanien des Völkerkundemuseums; ebenso Kontakte zur 1869 gegründeten Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. Vgl. Lange, Britta: Ein Archiv von Stimmen. Kriegsgefangene unter ethnografischer Beobachtung, Berlin: Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte 2006, S. 5. 105 Luschan, Felix von: Beiträge zur Völkerkunde der Deutschen Schutzgebiete, Berlin: Reimer 1897, S. 9 (209). Siehe auch Badenberg, »Zwischen Kairo und Alt-Berlin«. Vgl. den frühen Hinweis auf das Kolonialmuseum in Deutschland und seine Kolonien im Jahre 1896: Amtlicher Bericht über die erste deutsche Kolonialausstellung, hg. v. dem Arbeits-Ausschluss der Deutschen KolonialAusstellung Graf von Schweinitz, C. von Beck und F. Imberg, Berlin: Reimer 1897, S. 361. 106 »Tripolis in Berlin. Die große Schau im Berliner Zoo«, in: Berliner Tageblatt 56, 04.06.1927, Morgenausgabe. 107 Otto Griebel (1895-1972), Maler. Vgl. Griebel, Otto: Ich war ein Mann der Straße. Lebenserinnerungen eines Dresdner Malers, Frankfurt a.M.: Röderberg 1986. 108 »Tripolis in Berlin.« 109 Ebd.

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weiten Gewand, einer »Djalabiyya« –, die die Imaginationsebene der »Völkerschau« verdeutlichten.110 Teil der täglichen Aufführungen waren immer wiederkehrende Motive wie Reiter auf »Araberhengsten« und eine Moschee, von der der »Muezzin« zum Gebet aufrief.111 Eine besondere Bewandtnis hatte es dabei auch mit dem Ausstellungsort, wurde die »Tripolis in Berlin« doch, wie schon gesagt, im Berliner Zoo aufgebaut. In der Zeitschrift Film-Kurier heißt es: »Gleich hinter dem Gitter des Zoo beginnt ein bescheidenes Stück Arabien.«112 Die Inszenierung kulminierte somit in der (inszenierten) Ausübung religiöser Praktiken in einer Moschee in einem Zoo. Als eine von vielen müsste diese »Völkerschau« kaum mehr einer Erwähnung wert sein, war sie doch eine der üblichen Zurschaustellungen jener Zeit, die der Berliner Bevölkerung in ritualisierten Szenerien vermeintlich authentisches, als »fremd« oder »exotisch« präsentiertes Leben nahebringen sollte. Doch diese Schau hatte ein politisches Vorspiel. Eine Reihe von in den 20er Jahren gegründeten Vereinen wie dem Arabischen Studentenbund an der Technischen Hochschule oder die Islamia 1924 protestierte in einem gemeinsamen Schreiben an den deutschen Außenminister Gustav Stresemann gegen die geplanten »Vorführungen und Entstellungen der religiösen Handlungen des Islam«.113 Weiter heißt es dort: Diese Schaustellungen würden eine grosse Verletzung unserer heiligsten Gefühle bedeuten und bei der deutschen Oeffentlichkeit ein vollkommen falsches Bild vom Islam, in der islamischen Welt aber grosse Empörung hervorrufen und auf ihre sympat[h]ischen Gefühle für Deutschland vernichtend wirken.114 Federführend bei der Protestaktion war die Islamische Gemeinde zu Berlin. Zu den Unterzeichnern gehörten sowohl nationalistische als auch religiöse Vereinigungen. Das Auswärtige Amt ging binnen einer Woche auf die Vorwürfe ein. Gesandtschaftsrat Dr. Grobba,115 Mitarbeiter am SOS und selbst Unterzeichner des Schreibens, stellte sich persönlich zur Schlichtung des Vorfalls zur Verfügung. Er

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Ebd. Ebd. Ulu [Hans Nathan Feld]: »Tripolis im Zoo«, in: Film-Kurier, 07.07.1927, Nr. 158. PA-AA, R 78240, Abteilung III, Akten betreffend: Religions- und Kirchenwesen – Islam. Vom 1. Januar 1924 bis 30. April 1928, Bd. 1, Schreiben vom 10.05.1927. Ebd. Fritz Grobba (1886-1973) wirkte vor allem in der NS-Zeit an einer revolutionierenden Propaganda mit, die sich an der des Ersten Weltkriegs orientierte. Grobba war vor allem für die Gebiete des heutigen Iraks zuständig. Vgl. Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus, S. 484f., sowie Höpp, Muslime in der Mark, S. 57, Schwanitz, Wolfgang G.: »›Der Geist aus der Lampe‹: Fritz Grobba und Berlins Politik im Nahen und Mittleren Osten«, in: ders. (Hg.), Deutschland und der Mittlere Osten, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2004, S. 126150.

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berichtigte Vorabmeldungen der deutschen Presse, nach denen die Vorführung eines Grabwächters geplant sei, der stündlich seine Gebete an einem heiligen Grabe verrichten sollte, und erklärte: Die Italienische Regierung hat die Gestattung der Ausreise der Mitglieder der Tripolis-Schau nach Deutschland an die Bedingung geknüpft, daß den Leuten in Deutschland Gelegenheit gegeben werde, ihren religiösen Verpflichtungen und Neigungen nachzukommen. Aus diesem Grunde ist unter den für die TripolisSchau vorgesehenen Anlagen auch eine kleine Moschee mit einem Minaret errichtet worden.116 Die Einbeziehung der italienischen Kolonialmacht, die Libyen seit 1912 okkupierte, schien ihm Legitimation genug, um die rechtmäßige Vorgehensweise zu begründen. Darüber hinaus zitierte Grobba die Verwaltung des Zoologischen Gartens, die »den Wunsch hege, bei dieser völkerkundlichen Schau alles zu vermeiden, was die religiösen Gefühle der Mohammedaner verletzen oder in Deutschland ein falsches Bild des Islams hervorrufen könne«.117 Ob die Zooverwaltung Änderungen an der Ausstellung vornahm, ist nicht bekannt. Die islamisch-arabischen Vereinigungen stellten ihre Proteste gegen die Schau ein. Die Wogen schienen sich geglättet zu haben, sodass die Schau Anfang Juni beginnen konnte. Im Anschluss daran ist kein weiterer Protest bekannt – allein eine Aktennotiz besagt, dass die Teilnehmenden der Tripolis-Schau zu dem im Juni 1927 abgehaltenen Opferfest eingeladen wurden.118 Ein Echo fand diese »Völkerschau« auch in den deutschlandweit bekannten »Feuilletons« des monarchistisch-konservativen Journalisten Adolf Stein alias Rumpelstilzchen, der in seinem »Plauderbrief unter dem Strich« vom 9. Juni 1927 auf die »Tripolitaner im Zoo« einging: Die Sonne mimt Afrika. Und die Tripolitaner mimen sich selbst. Es sind diesmal nicht Gaukler und Artisten von Beruf, wie im Vorjahr die Leute der Indienschau, sondern Leute »aus dem Volk« von Tripolis. Vom schweifenden Beduinen zum seßhaften Städtischen Kunsthandwerker. Araber und Juden. Dazu die üblichen Negerweiber, die den Bauchtanz exekutieren, nur erheblich sittsamer als daheim. Jüdische Tänzer, Spielleute, Kafedschis, Töpfer, Lederarbeiter werden ob ihres malerischen Aussehens von den Berlinern angestaunt.119

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Politisches Archiv des Auswärtigen Amts (PA-AA), Berlin, R 78240, Schreiben vom 10.05.1927. Vgl. Nachlass Höpp, Kiste 07.02. Ebd. Nachlass Höpp, Kiste 07.02., handschriftliche Aktennotiz, »Id al-Adha Juni 1927«. Rumpelstilzchen [Adolf Stein]: Berliner Funken, Berlin: Brunnen-Verlag/Karl Winckler 1926/27, S. 327.

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Steins Beschreibungen wechselten zwischen stereotypen Zuschreibungen und einer ansatzweisen Einsicht in die Inszenierung der Schau. Er schrieb polemisch und nahm unterdessen auch das Berliner Publikum aufs Korn: »Wie schön steht diesen Leuten die orientalische Tracht! Wenn sie sich europäisch kleiden, begehen sie eine Sünde wider die Ästhetik, das zeigt einem der Vergleich, wenn man die Männer auf dem Podium und die Zuschauer aus Berlin W abwechselnd ansieht.«120 Diese Stelle ist bemerkenswert. Denn Stein schilderte nicht allein seinen Blick auf die Leute in ihrer »orientalische[n] Tracht«, die er zuvor als »Jüdische Tänzer, Spielleute, Kafedschis, Töpfer, Lederarbeiter« beschrieb. Er kommentierte auch das Berliner Publikum und mehr noch, setzte die »Zuschauer aus Berlin W« – aus den postalischen Verwaltungsbezirken Charlottenburg-Wilmersdorfs sowie Schönebergs – unter ästhetischen Gesichtspunkten gegenüber den Darsteller_innen aus Tripolis herab. Er betonte, dass die Schau »ethnographisch echt« sei, wenn auch nicht jenen märchenhaften Vorstellungen entspreche, die sie beim Berliner Publikum evozierten. Die Auftretenden seien nämlich schon erheblich von der Zivilisation beleckt, obgleich Tripolitanien noch kein halbes Menschenalter lang italienische Kolonie ist. Die meisten dieser Leute sprechen italienisch oder radebrechen es wenigstens. Viele haben fünf bis sechs Jahre Schulbildung hinter sich.121 Die Einordnung der »Gäste im Zoo« war damit erneut deutlich. Sie erreichten einen höheren zivilisatorischen Standard nur über die Anpassung an die Kolonialmacht. Durch diese hierarchische Anordnung konnte Stein auch die »Tragik aller solcher Menschen« konstatieren und so schrieb er weiter: »[…] im Grunde haben sie doch ein Käfigleben, solange sie sich zur Schau stellen. Sie werden ein paar Monate lang gefüttert, aber sie müssen die paar Monate lang täglich vier Mal ihre Vorführungen machen und dazwischen sich ständig angaffen lassen.«122 In Steins Ausführungen werden die Ambivalenz und auch der performative Charakter der Schauveranstaltung deutlich. Die Tripolitaner »mimen sich selbst« – dies klingt wie ein enttäuschtes Begehren nach »authentischer Fremdheit«, das nicht eingelöst wird. Auch der Filmkritiker Hans Nathan Feld,123 der häufig unter dem Pseudonym »Ulu« schrieb, stellte den Konstruktionscharakter der Schau heraus, indem er ihre

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Ebd. Ebd., S. 328. Ebd. Hans Nathan Feld (1902-1992), deutscher Filmkritiker, floh 1933 zunächst über Prag nach London ins Exil, wo er 1947 die britische Staatsbürgerschaft erhielt. 2011, 19 Jahre nach seinem Tod, wurde seine Depromotion aufgehoben. Vgl.Aurich, Rolf, Jacobson, Wolfgang: »Der Journalist Hans Feld im Exil«, in: FILMEXIL 22 (10/2005), S. 5-21, besonders S. 18, Fn. 2.

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»Oriententzauberung« und somit ihre mangelnde Authentizität betonte. Auf seinem samstäglichen Spaziergang durch die Schau konnte er allein den tanzenden Derwischen »orientalische Echtheit« attestieren. Die »Araber« dagegen, so Feld weiter, »schleichen auf Kreppgummisohlen umher, sie rauchen billige deutsche zwei Pfennig Zigaretten, die einheimischen sind zu teuer«.124 Feld suchte nach dem Authentischen, das er in einer langhalsigen Flinte zu finden meinte, die einem richtigen »Araber« nie fehlen dürfe. Er unterschied in seinen Beschreibungen zwischen Juden und Arabern, zwischen einer »mohammedanisch[en]« und »jüdisch[en]« Küche. Mit diesen Beschreibungen war er nah an den Beschreibungen von Alltagsgepflogenheiten, die schon die Teilnehmer_innen von »Kairo in Berlin« in ihren Inszenierungen präsentieren mussten. Auch bei »Tripolis in Berlin« wurde suggeriert, dass der Alltag der Teilnehmenden aus dem realen Tripolis nach Berlin übersetzt wurde. Feld schilderte ein Gespräch mit dem »arabischen Cafetier« der Schau und positionierte sich mit einer leichten Ironie selbst. Nachdem Feld die Frage des »Cafetiers«, ob er Jude sei, bejaht hatte, sagte dieser: »›Fromm können Sie aber nicht sein. Die Juden von Tripolis rauchen am Sabbat nicht.‹« Der Autor schloss den Artikel mit dem Resümee: »Tripolis im Zoo. Nicht viel, aber immerhin: Besser als gar kein Kaffee.«125 Das Gespräch mit dem Cafébesitzer – wobei Feld nicht erklärte, wie jener zu seiner Frage kam – weist auf eine gewisse Form der Grenzüberschreitung hin. Diese wird nicht allein durch die Herstellung einer Beziehung des frommen Juden aus Tripolis mit dem rauchenden Juden aus Berlin etabliert, sondern auch dadurch, dass der »arabische Cafetier« – ein Teilnehmer der Schau – Feld seine Frömmigkeit abspricht. Dies ist eine der wenigen dokumentierten Begebenheiten, bei der die transgressive Perspektive eines Ausstellungsteilnehmers benannt wird, der mit seiner Äußerung den Zuschauer kritisiert und mit Bezug auf dessen vermeintlich fehlende Religiosität damit auch kategorisiert. In den Zeitungen wurde einerseits die mangelnde Authentizität und das immer wiederkehrende Spektakel moniert, das – angesichts der Vielzahl an »Völkerschauen« – entweder nichts Neues mehr brächte oder einfach irreal erschien. Andererseits ist besonders der eingangs dieses Unterkapitels erwähnte Widerspruch der religiösen und nationalistischen Vereine ein Zeichen dafür, dass die von der Schau bedienten Formen der Repräsentation als »Muslime«, »Araber« oder »Orientalen« auch vonseiten der so Bezeichneten nicht unhinterfragt blieben. Gleichwohl wurden auch in der Kritik der Vereine bestimmte Vorstellungen aufrechterhalten. Der Streit um die Verunglimpfung religiöser Bräuche hinterfragte nicht grundlegend die Form der Aufführung in einem Berliner Zoo. Arabisches, muslimisches Leben in Deutschland wurde als artifizielle Inszenierung präsentiert.

124 Ulu, »Tripolis im Zoo«. 125 Ebd.

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Ein Minarett im Treptower Park, eine Moschee im Zoo Auch 1927 wurden die Teilnehmenden der Schau für wissenschaftliche Zwecke eingespannt: es fanden Sprach- und Musikaufnahmen statt, die bis heute im Berliner Phonogrammarchiv unter dem Titel »Tripolitaner im Zoo« archiviert sind.126 1927 nahm der Musikethnologe Robert Lachmann unterschiedliche Ton- und Sprachdokumente auf.127 Sechs Walzen mit Gesängen wurden archiviert.128 In einem 2005 erschienen Artikel hebt Mohand Tilmatine hervor, dass diese Tondokumente zu den wenigen gehören, auf denen die autochthonen Sprachen Nordafrikas heute noch nachzuhören seien.129 In dem hier betrachteten Fall geht es um die Sprache der Amazigh. Tilmatines Artikel beinhaltet keine Kritik an der Aufnahmesituation, sondern trauert vielmehr Sprachen nach, die in der Gegenwart immer mehr verschwinden oder im Zuge von Nationalbildungsprozessen unterdrückt wurden. Lachmann selbst war zur Zeit des Ersten Weltkriegs als Dolmetscher in dem Gefangenenlager im Berliner Umland tätig, das in Kapitel 3 »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen (S. 193-208) näher analysiert wird.130 Schon zu Beginn des Jahrhunderts wurden diese Lautaufnahmen im Rahmen von »Völkerschauen« angefertigt. So entstanden 1.900 Lautaufnahmen von einer thailändischen Artistengruppe, die als »Siamesisches Theater Ensemble« im Berliner Zoo auftrat.131 Ein eigenständiges Narrativ der Teilnehmenden zu den besprochenen »Völkerschauen« findet sich nicht. Dennoch lassen sich in Beschreibungen aus dem Feuilleton bisweilen widerständige Handlungen oder Verlautbarungen finden. So äußerte sich ein namenlos bleibender Gesprächspartner von Adolf Stein: Unter vier Augen sagt mir einer der braunen Gesellen: »Jetzt im Winter ist es in Deutschland natürlich kalt und naß, aber wir freuen uns auf den Sommer. Nur

Ziegler, Susanne: Die Wachszylinder des Berliner Phonogramm-Archivs, Berlin: Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz 2006, S. 189. Zu der Aufteilung der unterschiedlichen nordafrikanischen Laut- und Sprachbeispiele vgl. Tilmatine, Mohand: »Das Lautarchiv von Berlin. Bemerkungen zu einer unbekannten Quelle für arabische und masirische (berberische) Sprachen«, in: Bauer, Thomas, Stehli-Werbeck, Alltagsleben und materielle Kultur in der arabischen Sprache und Literatur. Festschrift für Heinz Grotzfeld zum 70. Geburtstag, Wiesbaden: Harrassowitz 2005, S. 327-340. Derzeit werden Phonogramm- und Lautarchiv in den Ausstellungen des Humboldt Forums zusammengelegt. 127 Lachmann floh 1935 nach Palästina, nachdem er aufgrund des nationalsozialistischen »Berufsbeamtengesetzes« von der Staatsbibliothek zu Berlin entlassen wurde. Vgl. Davis, Ruth F.: »Ethnomusicology and Political Ideology in Mandatory Palestine: Robert Lachmann’s ›Oriental Music‹ Projects«, in: Music and Politics 4 (Sommer 2010), Nr. 2, S. 1-14, S. 2-3. 128 Ziegler, Die Wachszylinder des Berliner Phonogramm-Archivs, S. 189. 129 Tilmatine, »Das Lautarchiv von Berlin«. 130 Davis, »Ethnomusicology and Political Ideology«. 131 Ziegler, Die Wachszylinder des Berliner Phonogramm-Archivs, S. 94.

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wollen wir auch Berlin sehen. Bis jetzt sind wir Gefangene im Zoologischen Garten. Wenn man uns wirklich nicht hinausläßt, dann schlagen wir alles in Scherben!«132 Die wütende Äußerung des Schauteilnehmers ist eine eigensinnige Kritik, die sich in bereits geschilderte, andere Formen des Protestes oder stillen Widerstands einreiht. Ähnlich der zuvor im Zusammenhang der Berliner Gewerbeausstellung zitierten Berichte über Proteste gegen die Arbeitsbedingungen – wie die des großwüchsigen Hassan Ali oder der sieben als »Derwische« auftretenden Männer – zeugen sie von einem eigenwilligen Verhalten einiger Teilnehmer_innen. Die beiden analysierten Schauen zeigen unterschiedliche Zeiten und Formen der Inszenierung, die mit ähnlichen Bildern arbeiteten und zugleich deutlich unterschiedliche Reaktionen und Situationen hervorriefen. »Kairo in Berlin« wurde als fremde, weit entfernte Stadt in all ihrer zeitlichen und räumlichen Reduzierung im Treptower Park zusammengefasst dargestellt. Die proklamierte Wissenshoheit sowohl über das Alte Ägypten wie auch über die aus verschiedenen Zeiten und Räumen zusammengesetzte Stadt »Kairo« spiegelt zeitgenössische wissenschaftliche Diskurse wider, die mit der Ausdifferenzierung unterschiedlicher Fachgruppen Ende des 19. Jahrhunderts in einen imperialen Zusammenhang zu stellen sind. Die Empfehlung, den Besuch der Ausstellung »Kairo« mit einem Besuch der »ägyptischen Abteilung der Königlichen Museen« zu verbinden, zeugt ebenso davon wie die »Idiomstudien« und weitere Besuche der Ausstellung, die von Mitarbeitern des Seminars für Orientalische Sprachen unternommen wurden. Die Ausstellung »Kairo in Berlin« beinhaltete »Völkerschau«-Elemente und wirkte vor allem durch die zeitliche, räumliche und bauliche Verkürzung ägyptischer Geschichte auf ein Ausstellungsgelände. Pyramiden, Moscheen und die Palästinaausstellung passten sich ebenso wie die »echten Typen des Arabertums«133 und weitere Figuren des alltäglichen Lebens, das in »Kairo« gezeigt wurde, in eine Perspektive des »kolonialen Blicks« ein. »Tripolis in Berlin« dagegen fand von vornherein hinter Gittern, in einem Zoo, statt. Der Protest gegen die Schau wurde zunächst nicht von den Teilnehmer_innen selbst geäußert. Es war ein gemeinschaftlicher Widerspruch gegen die Schau, der von arabischen, antikolonialen und muslimischen Gruppen getragen wurde, die in erster Linie eine Diffamierung des Islam kritisierten. Es waren kosmopolitane Eliten, die protestierten, und die zu jener Zeit in die Metropolen der ehemaligen wie auch zeitgenössischen Kolonialmächte zogen. Die Teilnehmenden der Schau wiederum waren sich wahrscheinlich ihrer Zurschaustellung bewusst, wie sich aus den

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Rumpelstilzchen, Berliner Funken, S. 328. Krug, »Die Sonder-Ausstellung Kairo«, S. 686.

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wenigen genannten Anspielungen im Bereich des Feuilletons ableiten lässt. Der zitierte Kommentar des namenlos bleibenden Gesprächspartners Steins zu »Tripolis in Berlin« deutet dabei auf einen direkteren Widerstand gegen die Schau hin als die zuvor genannte gemeinschaftliche Kritik der unterschiedlichen Gruppierungen. Die Aussage »[w]enn man uns wirklich nicht hinausläßt, dann schlagen wir alles in Scherben!«134 ist eine konkrete Unmutsbekundung gegen die Bedingungen, denen die Teilnehmenden der Schau »Tripolis in Berlin« ausgesetzt waren. Laut Eric Ames war »[d]er Hang zu den Wilden […] im Wilhelminischen Reich mehr als bloße Faszination, er wurde zu einer Erfahrung«.135 Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Zurschaustellung von »Menschen aus den Schutzgebieten« verboten,136 wie ein »Runderlass des Reichskanzlers vom 3. Mai 1900« verfügte.137 Die Unterteilung war deutlich darauf ausgerichtet, zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten zu unterscheiden und die dementsprechend errichteten Grenzen zu sichern. Daher folgten Einreisebeschränkungen für Kolonisierte aus deutschen Kolonialgebieten und weitere Restriktionen, wie zum Beispiel die sogenannten Mischehenverbote in den Kolonien selbst. Arabische Menschen unterlagen diesen Zwängen zumeist nicht, es sei denn, sie fielen in den Kolonien – und in diesem Zusammenhang zumeist in Deutsch-Ostafrika – unter sogenannte Eingeborenenverordnungen. Was fortdauerte, war sowohl die Kontinuität stereotyper Vorstellungen zu »Afrika« und seinen Bewohner_innen als auch die Bebilderung von Orientfantasien und den dazugehörigen Menschen. Die Bilder des eingangs geschilderten »tunesischen Harems«, die Schaustellungen Mohamed Solimans »Kairo in Berlin« sowie »Tripolis in Berlin« zeigen die Kontinuitäten kolonial-orientalistischer Raumzuweisungen und Blickregime. Stereotype wurden besonders in der Figur des Beduinen bzw. des Kriegers sowie anhand von Frauen als Darstellerinnen von Haremsszenen wiederholt aufgerufen. Die »panoptische Zeit« wurde durch die Reproduktion von Stereotypen fixiert. Zeit und Raum funktionierten hierarchisch und unterlagen in den Inszenierungen der Deutungsmacht der Ausstellenden, die sowohl »Kairo« als auch »Tripolis« als »fremd«, »exotisch« und »rückschrittlich« konstruierten. Dieser Aspekt verweist am deutlichsten auf das Verständnis von »panoptical time« und »anachronistic space«.138 Im Zuge von Ausstellungen vor Ort, im Treptower Park und im Berliner

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Rumpelstilzchen, Berliner Funken, S. 328. Ames, »Wilde Tiere«, S. 123. Vgl. Bruckner, Sierra A.: The Tingle-Tangle of Modernity. Popular Anthropology and the Cultural Politics of Identity in Imperial Germany. Ph.D. Dissertation, University of Iowa 1999. Vgl. Lewerenz, Die Deutsche Afrika-Schau (1935-1940), S. 77f. Dreesbach, Gezähmte Wilde, S. 269, Fn.132. McClintock, Imperial Leather, S. 36-42.

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Zoo, wird besonders deutlich, wie koloniale Perspektiven sich in Alltagserfahrungen formierten: External reality is constructed from and around a central position, that of the onlooker, the photographer, the narrator – and also that of the citizen roaming the world fair. These spectators by their very activity seem to be panoptic, omniscient […].139 Die Perspektiven des Berliner Publikums sollten Differenz zu den Ausgestellten sichern und sowohl die Teilnehmenden der Schauen als auch die architektonische Ausgestaltung wurden entsprechend angeordnet. »Kairo« und »Tripolis« wurden dabei zu fernen Orten eines »anachronistischen Raums«, der vor Ort im Hier und Jetzt als Inszenierung funktionierte. Die mit der Zurschaustellung gezogenen Grenzen wurden zwar wiederholt überschritten, doch die Bebilderungen und Hierarchisierungen blieben bestehen: das Bild der reitenden Beduinin oder Haremsdame bestätigte ebenso existierende Stereotype »der arabischen Frau« wie die fortwährend heiratende Tochter des Kaids von Tunis. Die einseitig verteilte Wissenshoheit wird sowohl anhand der mit kindlichen Attributen beschriebenen Gelehrten (»Schechs«) wie auch insgesamt anhand des »Originalzustands« der Bewohner_innen »Kairos« in Berlin, wie Alfred Kerr sie vornahm, deutlich. Auch die Moschee im Zoo kann als Kontinuität verstanden werden, die im folgenden Unterkapitel eine weitere Facette annehmen wird.

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Corbey, »Ethnographic showcases«, S. 74.

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Kolonialsoldaten in Deutschland: registriert, islamisiert, rassifiziert »The one fell because he was the enemy, the other became the enemy because he had fallen.«140   »Es wird schwer halten, die gesamte serbische Nation als ein Volk von Bösewichten und Mördern zu brandmarken und ihm dadurch […] die Sympathien des gesitteten Europas zu entziehen; noch schwerer aber die Serben […], auf dieselbe Stufe zu stellen mit den Arabern in Ägypten und in Marokko oder mit den Indianern in Mexiko.«141 Fürst Lichnowsky, deutscher Botschafter in London zu Beginn des Ersten Weltkriegs142 Der Erste Weltkrieg veränderte die »koloniale Ordnung« sowohl in den Peripherien als auch den Metropolen.143 Kolonialsoldaten kamen während des Krieges und in der Folge der Rheinlandbesatzung nach Deutschland. Arabische Kolonialsoldaten waren Teil der französischen und britischen Armee. Trotz unterschiedlicher Zahlen, die sowohl für die Zeit des Krieges als auch für die sich anschließende Besetzung des Rheinlands zur Stationierung französischer und britischer Kolonialsoldaten angegeben werden, wird deutlich, dass im Zuge des Krieges die größte Zahl arabischer Menschen zwischen 1880 und 1937 nach Deutschland gelangte. Sie kamen mehrheitlich aus den französischen Gebieten Algeriens, Marokkos und Tunesiens sowie aus Ägypten.144 Die Zahl derjenigen, die in Deutschland blieben, lässt sich nicht ermitteln. Eine quantitative Erhebung, wie viele Soldaten aus arabischen Regionen am Ersten Weltkrieg insgesamt teilnahmen, bleibt ungenau. Koller geht von einer Zahl von über einer Million Kolonialsoldaten und Kriegsarbeitern während des Krieges 140 Gordon, Avery: »›I’m already in a sort of tomb‹: A Reply to Philip Scheffner’s The Halfmoon Files«, in: The South Atlantic Quarterly 110 (Winter 2011), Nr. 1, S. 121-154, S. 144. 141 Geiss, Julikrise und Kriegsausbruch 1914, zitiert nach Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 103. 142 Ebd. 143 Pesek, Michael: Das Ende eines Kolonialreiches: Ostafrika im Ersten Weltkrieg, Frankfurt a.M.: Campus 2010. 144 Koller gibt Ägypter als Teil der britischen Kriegsarbeiter an und vermerkt, dass die Grenzen zwischen Soldaten und Kriegsarbeitern fließend waren. Vgl. Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 90, sowie ebd., Fn. 13.

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

insgesamt aus.145 Nach einer Statistik waren davon 172.800 Algerier, 60.000 Tunesier und 37.200 Marokkaner.146 Über eine halbe Million Schwarzer Soldaten kämpfte auf der französischen Seite.147 Zimmerer gibt die doppelte Gesamtzahl von Kolonialsoldaten an, also zwei Millionen, und geht davon aus, dass allein 250.000 von ihnen starben.148 Die Anwesenheit von Kolonialsoldaten stellt eine eigene Chronologie kollektiver Präsenz dar, die wiederum in sich divers war. Schwarze und arabische Soldaten bildeten große Kontingente dieser Truppen. Schon 1870/71 im deutsch-französischen Krieg wurden Kolonialsoldaten eingesetzt. Im Ersten Weltkrieg nahmen sie einen beträchtlichen Anteil der britischen und französischen Armeen ein und lösten durch ihre Präsenz, besonders als Teil der französischen Besatzung des Rheinlands, eine über Deutschland hinausgehende Gegenwehr aus, die die Stationierung Schwarzer Truppen als Angriff auf »Weiße Vorherrschaft« verstand. In Form einer Kampagne gegen die sogenannte Schwarze Schmach wurde eine Gegenpropaganda initiiert, die neue internationale Bündnisse »Weißer Vorherrschaft« zu behaupten suchte.149 Eine Verbindung zwischen internierten Kolonialsoldaten in deutschen Gefangenenlagern während des Krieges und den Schwarzen Soldaten der Rheinlandbesatzung wird zumeist nicht hergestellt.150 Arabische Kriegserfahrungen in Europa 145 Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 96. 146 Ebd., S. 95. In einem neueren Artikel spricht Koller von 37.300 Kolonialsoldaten aus Marokko. Aus Westafrika kamen nach dieser Zählung 134.300 Kolonialsoldaten. Vgl. Koller, Christian: »Deutsche Wahrnehmungen feindlicher Kolonialtruppen«, in: Roy, Franziska, Liebau, Heike, Ahuja, Ravi (Hg.), Soldat Ram Singh und der Kaiser. Indische Kriegsgefangene in deutschen Propagandalagern 1914-1918, Heidelberg: Draupadi 2014, S. 145-164, S. 152. 147 Koller zählt Kriegsarbeiter und Soldaten zusammen. Vgl. Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 20. Zimmerer geht von der doppelten Zahl aus, zählt aber auch die britischen Streitkräfte hinzu. Zimmerer, Jürgen: »Schwarzafrika«, in: Hirschfeld, Gerhard, Krumeich, Gerd, Renz, Irina (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn u.a.: Schöningh 2004, S. 824f. Vgl. Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, S. 77f. 148 Zimmerer, »Schwarzafrika«, S. 824f. 149 Lebzelter, Gisela: »Die ›Schwarze Schmach‹. Vorurteile – Propaganda – Mythos«, in: Geschichte und Gesellschaft 11 (1985), S. 37-58, Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, S. 71ff., Wigger, Die »Schwarze Schmach am Rhein«, Campt, Tina, Grosse, Pascal, Lemke-Muniz de Faria, YaraColette: »Blacks, Germans, and the Politics of Imperial Imagination, 1920-60«, in: Friedrichsmeyer, Sara, Lennox, Sara, Zantop, Susanne (Hg.), The Imperialist Imagination. German Colonialism and Its Legacy, Ann Arbor: University of Michigan Press 1998, S. 205-229, El-Tayeb, Schwarze Deutsche, S. 158ff., Nagl, Tobias: »›Die Wacht am Rhein‹: ›Rasse‹ und Rassismus in der Filmpropaganda gegen die ›schwarze Schmach‹ (1921-1923)«, in: Hertzfeld, Hella (Hg.), Kultur, Macht, Politik. Perspektiven einer kritischen Wissenschaft, Zweites Doktorandenseminar der Rosa-Luxemburg-Stiftung, 10/2003, Berlin: Dietz 2003, S. 135-154. 150 Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, geht in einem Exkurs auf die Gefangenenlager während des Ersten Weltkriegs ein und verbindet damit beide Diskursstränge, ohne dies jedoch in seine Thesen einzubeziehen. Vgl. ebd., S. 125ff. Die Artikel von Höpp zu muslimischen Deserteuren aus der französischen und britischen Armee verbinden demgegenüber

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und im Besonderen in Deutschland werden fast immer getrennt vom Bezugsrahmen Schwarzer deutscher Geschichte betrachtet. Im Folgenden wird die ereignisgeschichtlich aufeinanderfolgende Anwesenheit arabischer Soldaten während des Krieges und in den Anfangsjahren der Weimarer Republik zusammen in einem analytischen Kontext betrachtet. Ich argumentiere erstens, dass sowohl die Sonderbehandlung von Kriegsgefangenen am Beispiel des Halbmondlagers in Wünsdorf als auch die Kampagne gegen die »Schwarze Schmach« Versuche darstellten, kolonial-orientalistische Ordnungsvorstellungen und Differenzmarkierungen innerhalb Deutschlands zu installieren.151 Zweitens stelle ich heraus, dass diese Versuche durch Desertionen und andere eigensinnige Handlungsweisen arabischer Akteure ansatzweise unterlaufen wurden. Insgesamt lässt sich erkennen, dass die Versuche, Kriegsgefangene zur Revolutionierung aufzuhetzen, insbesondere aufgrund des Konstruktionscharakters dieser Idee zum Scheitern verurteilt waren. An dieser Stelle tritt die Verwobenheit von Klasse, Rassifizierung und verborgenen Präsenzen besonders deutlich hervor. In welchen Zusammenhängen ist die Anwesenheit der arabischen Kolonialsoldaten überhaupt erinnerbar? Mit dieser Frage folge ich in Teilen der Vorgehensweise von Sandra Maß, die, methodisch an Homi Bhabha orientiert, das »Wahrheitssystem« kolonialer Macht rekonstruiert, um die »produktive Ambivalenz des Objekts des kolonialen Diskurses zu verstehen«.152 Jedoch unternehme ich keine Diskursanalyse der Debatten zu den Gefangenlagern oder der Propaganda gegen die Rheinlandbesatzung. Vielmehr wird die Präsenz arabischer Kolonialsoldaten und Kriegsarbeiter in beiden genannten Kontexten rekonstruiert, um vereinzelte Spuren kenntlich zu machen. Sowohl bei der Initiierung eines deutschen »Djihads« – in seiner Planung und Umsetzung erkennbar als deutsch-osmanische Strategie – als auch bei der Kampagne gegen die sogenannte Schwarze Schmach handelte es sich um administrativ gesteuerte Propagandastrategien, an denen unterschiedliche Akteure beteiligt waren. Jenseits dieser Kontexte lassen sich kaum Zeugnisse eines eigenen Narrativs der Kolonialsoldaten finden

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beide Präsenzen. Vgl. Höpp, Gerhard: »Die Schuldigkeit des Mohren. Muslimische Deserteure im Deutschland der Zwischenkriegszeit, 1919-1926«, in: Etudes Germano-Africaines 1516 (1997/98), S. 192-202, Höpp, Gerhard: »Frontenwechsel: Muslimische Deserteure im Ersten und Zweiten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit«, in: ders., Reinwald, Brigitte (Hg.), Fremdeinsätze. Afrikaner und Asiaten in europäischen Kriegen, 1914-1945, Berlin: Das Arabische Buch 2000, S. 129-142. Vgl. Conrad, Sebastian: »›Eingeborenenpolitik‹ in Kolonie und Metropole. ›Erziehung zur Arbeit‹ in Ostafrika und Ostwestfalen«, in: ders., Osterhammel, Jürgen (Hg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871-1914, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, S. 107-128. Vgl. für ostafrikanische Kontexte: Stefanie Michels Überlegungen zur Aufrechterhaltung der kolonialen Ordnung: Michels, Schwarze deutsche Kolonialsoldaten. Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, S. 21f.

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

und ebenso schwierig ist es, einzelne Biografien zu rekonstruieren.153 Es existieren bisher nur einige wenige Studien zu Kriegserfahrungen von Muslimen und Arabern während des Ersten Weltkriegs.154 Zuletzt entstanden in diesem Zusammenhang vor allem Studien zu Kriegsgefangenen.155 Die Kritik am Einsatz Schwarzer Truppen gegen das Kaiserreich zeigte sich in allen gesellschaftlichen Bereichen. Besonders die intellektuellen bürgerlichen Schichten protestierten vehement schon während des Krieges gegen den Einsatz von Kolonialsoldaten und beschworen demgegenüber eine »Kulturgemeinschaft der weissen Rasse«156 . Bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts war im Deutschen Reich der Einsatz von Kolonialsoldaten in Europa durch England und Frankreich debattiert worden.157 Zwar baute auch das Deutsche Reich Kolonialtruppen auf und setzte sie im Ersten Weltkrieg ein, jedoch nur außerhalb Europas.158 Koller weist 153

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Ausnahmen bilden zwei Studien: Reinwald, Brigitte: Reisen durch den Krieg. Erfahrungen und Lebensstrategien westafrikanischer Weltkriegsveteranen, Berlin: Klaus Schwarz 2005 und Lunn, Joe: Memoirs of the Maelstrom: A Senegalese Oral History of the First World War, Portsmoth u.a.: Heinemann 1999; vgl. Bajart, Sophie: »Die wiedergefundenen Stimmen der muslimischen Gefangenen«, in: Burkard, Benedikt, Gefangene Bilder. Wissenschaft und Propaganda im Ersten Weltkrieg, unter Mitarbeit von Céline Lebret, Petersberg: Imhof 2014, S. 118-121. Vgl. die vorwiegend orientalistischen Studien von Höpp und Kahleyss: Höpp, Muslime in der Mark, ders., »Die Schuldigkeit des Mohren«, Höpp, »Frontenwechsel«; Kahleyss, Margot, Kaden, Michael: Halbmond über der Mark. Muslimische Kriegsgefangene im Ersten Weltkrieg. 24 Dias, Potsdam: MPZ 1997, Kahleyss, Margot: Muslime in Brandenburg. Kriegsgefangene im 1. Weltkrieg. Ansichten und Absichten, Berlin: Museum für Völkerkunde 1998; dies., »Muslimische Kriegsgefangene in Deutschland im Ersten Weltkrieg – Ansichten und Absichten«, in: Höpp, Reinwald, Fremdeinsätze, S. 79-118, sowie Farschid, Olaf, Kropp, Manfred, Dähne, Stephan (Hg.): The First World War as Remembered in the Countries of the Eastern Mediterranen, Würzburg: Ergon 2006. Burkard, Benedikt: Gefangene Bilder. Wissenschaft und Propaganda im Ersten Weltkrieg, unter Mitarbeit von Céline Lebret, Petersberg: Imhof 2014, Hinz, Uta: Gefangen im Großen Krieg. Kriegsgefangenschaft in Deutschland, Essen: Klartext 2006, sowie die zahlreichen Studien von Britta Lange, zum Beispiel: Lange, Britta: Die Wiener Forschungen an Kriegsgefangenen 1915-1918. Anthropologische und ethnografische Verfahren im Lager, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2013. Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 103. Maß, Das Trauma, S. 11. Koller weist nach, dass der Aufbau einer »armée noire« in Frankreich auch erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts tatsächlich einsetzte. Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 68. Koller, »Deutsche Wahrnehmungen«, S. 145-164. Koller vermerkt letztendlich einzig, die »Mittelmächte, auf der anderen Seite, waren aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage, koloniale Einheiten in Europa einzusetzen«, ebd., S. 150. Stefanie Michels nutzt eine andere Definition von »Kolonialtruppen« als Koller und betont in ihrer Studie, dass sehr wohl zwischen »weißen« und »schwarzen Kolonialsoldaten« unterschieden wurde. Die Schwarzen Soldaten, die Teil der deutschen Kontingente innerhalb Europas waren, waren vornehmlich als Militärmusiker oder für die Marine tätig. Vgl. Michels, Schwarze deutsche Kolonialsoldaten, S. 14ff. sowie S. 77 zu »Schwarze[n] Soldaten in deutschen Armeen«. Höpp wiederum weist darauf hin, dass das Osmanische Reich selbst und als Bündnispartner über außereuropäische

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nach, dass es in allen europäischen Kolonialmächten Diskussionen über den Einsatz Schwarzer Truppen in Europa gab.159 Im Deutschen Reich war diese Diskussion spätestens seit dem Krieg von 1870/71 von rassistischen Argumentationslinien durchzogen, die sich auch dezidiert gegen »Turkos« und Araber wandten.160 Ambivalent war die öffentliche Diskussion in Deutschland besonders während des Ersten Weltkriegs, als Kolonialsoldaten einerseits als gefährliche Bestien, andererseits als von den Kolonialstaaten ausgebeutete Opfer stilisiert wurden.161 Während auf der einen Seite der Einsatz von Kolonialsoldaten als »negativer Einfluss auf die Zukunft des Kolonialsystems«162 eingestuft und rassistische Diffamierungen der »Hilfstruppengesindel aller Farben«163 die Öffentlichkeit aufhetzten, fanden sich entgegengesetzte Darstellungen, die den Einsatz von Kolonialsoldaten als inhuman verurteilten und die Strategie, muslimische Soldaten zum Übertritt in die osmanische Armee zu bewegen, zu legitimieren suchten.164 Am 28. Juli 1914 erklärte Österrreich-Ungarn Serbien den Krieg. Daraufhin erklärte das Deutsche Kaiserreich am 1. August Russland den Krieg und marschierte am 2. August in Luxemburg ein.165 Am 6. November dann folgte die Kriegserklärung Frankreichs an das Osmanische Reich.166 Während Togo, Deutsch-Südwestafrika und weitere von Deutschland kolonisierte Gebiete bis 1916 von anderen Kolonialmächten erobert wurden, entspann sich in DeutschOstafrika ein Kolonialkrieg, der bis zum Kriegsende hohe menschliche Verluste und weitere Opfer durch Folgeerscheinungen wie Seuchen und Hungersnöte nach

Truppenkontingente verfügte. Vgl. Höpp, Muslime in der Mark, S. 20. Umfangreich zu »African soldiers« im Dienste deutscher Kolonialtruppen hat Michelle R. Moyd geforscht. Vgl. Moyd, Michelle R.: Violent Intermediaries. African Soldiers, Conquest and Everyday Colonialism in German East Africa, Athens, Ohio: Ohio University Press 2014. 159 Ebd. sowie Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 82ff. Koller vergleicht die Diskussion in Frankreich, Großbritannien und Deutschland. 160 Ebd., S. 49. Die Herkunft des Begriffs »Turkos« geht vermutlich auf den Krimkrieg zurück, währenddessen sich unter russischen Kontingenten die Bezeichnung »Turko« für die Schwarzen Soldaten der französischen Armee etabliert hatte. Vgl.Becker, Frank: »Fremde Soldaten in der Armee des Feindes. Deutsche Darstellungen der französischen ›Turko‹-Truppen im Krieg von 1870/71«, in: Geulen, Christian, Heiden, Anne von der, Vom Sinn der Feindschaft, Berlin: Akademie 2002, S. 167-181. 161 Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 125. 162 Koller, »Deutsche Wahrnehmungen«, S. 155. 163 Ebd. 164 Ebd., S. 156. 165 Pöhlmann, Markus: »Kriegserklärungen«, in: Hirschfeld, Krumeich, Renz (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, S. 637f. 166 Ebd.

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

sich zog.167 Ein Mythos über die »treuen Askari« in Deutsch-Ostafrika, die bis 1918 unter Lettow-Vorbeck168 gegen Kolonialtruppen der Briten und weitere alliierte Kolonialregimenter kämpften, hielt sich bis in die Zeit des Nationalsozialismus und spielte für revisionistische Kreise eine große Rolle.169 Doch zurück zu den Anfängen des Ersten Weltkriegs: am 2. August 1914 wurde ein Geheimabkommen zwischen dem Deutschen und dem Osmanischen Reich abgeschlossen, das Bündnistreue und Neutralität besiegelte. Der Eintritt des Osmanischen Reichs in den Weltkrieg am 29. Oktober 1914 war zumindest für einen kleinen Kreis von Eingeweihten zu diesem Zeitpunkt voraussehbar.170 Die arabischen Regionen des Osmanischen Reichs gerieten während des Kriegs unter europäische Herrschaft, besonders im Bereich der Provinzen Syrien, Libanon und Palästina kam es zu neuen Gebietsaufteilungen in Form von Mandaten und Protektoraten. Aus den von Frankreich okkupierten Gebieten Algerien, völkerrechtlich als Teil Frankreichs selbst deklariert, und den Protektoraten Tunesien und Marokko wurde ein Großteil der im Ersten Weltkrieg eingesetzten Kolonialsoldaten rekrutiert.171 Mit dem Beginn des Krieges nahm auch die Propaganda zu.172

Nachrichtenstelle für den Orient (NfO) Im Februar 1914, also ein halbes Jahr vor Beginn des Ersten Weltkrieges, wurde in den Reihen der Gesellschaft für Islamkunde auf die Folgen der Balkankriege der beiden Jahre zuvor und auf die »Umwälzungen auf dem Balkan« verwiesen,

Zimmerer, Jürgen: »Kolonialkrieg«, in: Hirschfeld, Krumeich, Renz (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, S. 617-620. Eine ausführliche und komplexe Darstellung findet sich bei Pesek, Das Ende eines Kolonialreiches. 168 Vgl. zu Paul von Lettow-Vorbeck (1870-1967): Michels, Eckard: »Der Held von DeutschOstafrika«. Paul von Lettow-Vorbeck. Ein preußischer Kolonialoffizier, Paderborn: Schöningh 2008. 169 Vgl. Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, S. 28ff., Pesek, Das Ende eines Kolonialreiches. Der Mythos wurde mittlerweile in einer Reihe von Arbeiten widerlegt. Einen schönen Einblick in die Komplexität der Beweggründe und Zwänge, denen Askari ausgesetzt waren, bietet Moyd, Michelle: »›We don’t want to die for nothing‹: Askari at War in German East Africa, 1914-1918«, in: Das, Santanu (Hg.), Race, Empire and First World War Writing, Cambridge u.a.: Cambridge University Press 2011, S. 90-107. Vgl. auch Linne, Deutschland jenseits des Äquators?. 170 Hagen, »German Heralds«. Hagen diskutiert die Frage des Kriegseintritts nicht. Vgl. Zürcher, Erik-Jan: »Osmanisches Reich«, in: Hirschfeld, Gerhard, Krumeich, Gerd, Renz, Irina (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn u.a.: Schöningh 2004, S. 758-762. 171 Cornelissen, Christoph: »Nordafrika«, in: Hirschfeld, Krumeich, Renz (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, S. 745-748. Vgl. Farschid, Kropp, Dähne, The First World War. 172 Farah, Irmgard: Die deutsche Pressepolitik und Propagandatätigkeit im Osmanischen Reich von 1908-1918 unter besonderer Berücksichtigung des »Osmanischen Lloyd«, Beiruter Texte und Studien, Bd. 50, Stuttgart: Franz Steiner 1993. Vgl. Oberhaus, »Zum wilden Aufstande entflammen«. 167

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die »auch für den Islam von weittragender Bedeutung« seien.173 Der Islam wurde seit der Jahrhundertwende sowohl in Fachkreisen als auch in der medialen Öffentlichkeit zunehmend als geopolitisch wirkmächtiger Faktor benannt.174 Vor diesem Hintergrund ist auch die Zusammenarbeit zwischen dem Auswärtigen Amt, dem Seminar für Orientalische Sprachen und der am 1. November 1914 mit Unterstützung der Sektion Politik des Großen Generalstabs gegründeten Nachrichtenstelle für den Orient (NfO) zu sehen.175 Die Gründung der NfO ging auf eine Initiative Max von Oppenheims (18601946) zurück, der der Nachrichtenstelle bis 1915 selbst vorstand. Der bekannte Jurist, Archäologe und Hobbyorientalist war von 1896 bis 1909 in Kairo als Angehöriger des Auswärtigen Dienstes tätig.176 Der direkte Einstieg in den diplomatischen Dienst wurde dem aus einer jüdischen Familie kommenden Oppenheim aufgrund antisemitischer Ressentiments im Auswärtigen Amt erschwert.177 Er schaffte es jedoch, im Rahmen außenpolitischer Unternehmungen in arabischen Ländern tätig zu sein.178 Schließlich wurde er 1900 zum Legationsrat berufen und erstellte unablässig Berichte über »orientalische Verhältnisse«, allen voran über die arabische Presse, geopolitische Fragen und deutsche Interessen in der Region.179 Oppenheim erarbeitete auch eine Denkschrift, fertiggestellt im Oktober 1914, mit dem Titel Die Revolutionierung der Islamischen Gebiete unserer Feinde, welche die Strategie empfahl, den »Djihad« unter muslimischen Kriegsgefangenen auszurufen und sie zur Kollaboration mit den Mittelmächten bzw. zum Übertritt zu deren Armeen zu

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»Nachrichten über Angelegenheiten der Deutschen Gesellschaft für Islamkunde«, in: Die Welt des Islams 2 (12/1914), Nr. 2-4, S. 1-37. Vgl. Kap. 1 Deutschlands »Orient«, S. 65-68, zur Entstehung der Islamwissenschaft und zum Einsatz des Islam als Mittel der Kolonialpolitik. Oberhaus, »Zum wilden Aufstande entflammen«, S. 134f. Vgl. Bragulla, Maren: Die Nachrichtenstelle für den Orient. Fallstudie einer Propagandainstitution im Ersten Weltkrieg, Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller 2007. Vgl. Schwanitz, Wolfgang G.: »Max von Oppenheim und der Heilige Krieg. Zwei Denkschriften zur Revolutionierung islamischer Gebiete 1914 und 1940«, in: Sozial.Geschichte 19 (2004), Heft 3, S. 28-59. Oberhaus, »Zum wilden Aufstande entflammen«, S. 52ff. Vgl. Teichmann, Gabriele: »Grenzgänger zwischen Orient und Okzident. Max von Oppenheim 1860-1946«, in: Teichmann, Gabriele, Völger, Gisela (Hg.), Faszination Orient. Max von Oppenheim, Forscher, Sammler, Diplomat, Köln: DuMont 2001, S. 11-105, S. 27ff. Teichmann bezeichnet Oppenheims Tätigkeit für das Auswärtige Amt als »Lebenslüge«, insofern er in seinen Erinnerungen seine Position überhöht habe, obwohl er formal nicht in den Auswärtigen Dienst aufgenommen worden sei. Vgl. Bragulla, Die Nachrichtenstelle für den Orient, S. 20. PA-AA, R 14554 bis R 14565, Berichte des Freiherrn von Oppenheim über orientalische Verhältnisse, Orientalia Generalia Nr. 9, Nr. 1. Bragullazählt 467 Berichte und Denkschriften, die Oppenheim ab 1896 von Kairo aus nach Berlin sendete. Bragulla, Die Nachrichtenstelle für den Orient, S. 20.

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bewegen.180 Das übergeordnete Ziel der Denkschrift war es, mithilfe einer ausgeweiteten Propaganda in der islamischen Welt die Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien zu schwächen und das Osmanische Reich als Bündnispartner zu stärken. An seinen Vorgaben orientierte sich sowohl die Kriegsführung als auch die Propagandamaschinerie bei dem Versuch, muslimische Soldaten der EntenteMächte zum Übertritt zu bewegen.181 Die Denkschrift war nicht die erste, die Oppenheim verfasste. Schon 1896 hatte er ähnliche Überlegungen formuliert, jedoch ohne die notwendige Resonanz, die zu Beginn des Ersten Weltkriegs möglich war. Insgesamt ist seine Rolle und damit auch seine tatsächliche Einflussnahme gleichwohl nicht zu hoch zu bewerten.182 Oppenheims Denkschrift zielte darauf, den Islam zur tatkräftigen Waffe hochzustilisieren: »Das Eingreifen des Islam in den gegenwärtigen Krieg ist besonders für England ein furchtbarer Schlag. Tun wir alles, arbeiten wir […] vereint mit allen Mitteln, damit derselbe ein tötlicher [sic!] werde!«183 Am 11. November 1914 rief Sultan Mehmed V. Reşad184 Muslime auf der gesamten Welt auf, sich am »Djihad« gegen Briten, Franzosen und Russen zu beteiligen. Salvador Oberhaus beschreibt diese Zusammenhänge, die von der NfO mit vorbereitet wurden, jedoch ebenso Eigeninteressen der Türkei verdeutlichten, als Propagandacoup.185 Eine größere Wirkung des Aufrufs blieb aus.186 Nur wenige folgten dem Appell, er hatte in erster Linie Effekte auf die Überlegungen der europäischen

180 Oppenheim, Max von: Die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde, in: Epkenhans, Tim: »Geld darf keine Rolle spielen«, in: Archivum Ottomanicum 19 (2001), S. 121-163. Oppenheims Denkschrift Die Revolutionierung der Islamischen Gebiete unserer Feinde wurde in dieser Publikation vollständig übernommen. Vgl. Farah, Die deutsche Pressepolitik und Propagandatätigkeit im Osmanischen Reich von 1908-1918, Hagen, Gottfried: Die Türkei im Ersten Weltkrieg. Flugblätter und Flugschriften in arabischer, persischer und osmanisch-türkischer Sprache aus einer Sammlung der Universitätsbibliothek Heidelberg, eingeleitet, übersetzt und kommentiert, Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang 1990. Schwanitz zufolge enthielt die Denkschrift bezeichnenderweise »keine Hirngespinste aus dem akademischen Elfenbeinturm. Der Djihad-Plan war vom Kriegswahn geprägt.« Schwanitz, »Max von Oppenheim«, S. 36. 181 Höpp, Muslime in der Mark, S. 21, besonders Fn. 26, sowie Hagen, Die Türkei im Ersten Weltkrieg, S. 30-36. 182 Vgl. Marchand, German Orientalism in the Age of Empire, S. 439f. Vgl. auch Oberhaus, »Zum wilden Aufstande entflammen«, S. 60f. 183 Oppenheim, Die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde, S. 163. 184 Sultan Mehmed V. Reşad (1844-1918, Sultan 1909-1918). 185 Oberhaus, »Zum wilden Aufstande entflammen«, S. 113f. 186 Lüdke, Tilman: »(Not) Using Political Islam: The German Empire and its Failed Propaganda Campaign in the Near and Middle East, 1914-1918 and Beyond«, in: Zürcher, Erik-Jan (Hg.), Jihad and Islam in World War I. Studies on the Ottoman Jihad on the Centenary of Snouck Hurgronje’s ›Holy War Made in Germany‹, Leiden: Leiden University Press 2016, S. 71-94, vgl. ausführlich: Lüdke, Tilman: Jihad made in Germany. Ottoman and German Propaganda and Intelligence Operations in the First World War, Münster: LIT 2005.

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Mächte: »Though the sultan’s call had little effect on the international community of believers, who were preoccupied with their own daily concerns far from the European theatres of war, it did raise serious concern in Paris and London.«187 Besonders britische und französische Strategen warben wiederum um muslimische Persönlichkeiten, um gegen den ausgerufenen »Djihad« vorzugehen.188 Es wird im Folgenden noch häufiger darauf verwiesen, an welchen Stellen die Propagandavorstellungen und ihre realen Auswirkungen weit auseinanderlagen, die geplante Mobilisierung also nicht funktionierte. An dieser Stelle reicht es, zu betonen, dass die Idee eines »Djihads« als umfassender Kriegsstrategie in dieser Form eine europäische Erfindung war, die vornehmlich in den Auseinandersetzungen zwischen dem Deutschen Kaiserreich und Großbritannien, Frankreich sowie Russland eine Rolle spielte.189 Das Osmanische Reich rekrutierte breite Teile der kriegstauglichen Bevölkerung in den arabischen Provinzen, sodass es sich bis zum Ende des Krieges wehrhaft – besonders auch im Gebiet der Bagdadbahn – gegen Großbritannien und Frankreich behaupten konnte.190 Obwohl sich ein Teil der arabischen Eliten der städtischen Zentren auch gegen das Osmanische Reich positionierte, führte die zunehmende mandatorische oder koloniale Einflussnahme, besonders Frankreichs und Großbritanniens, zu Koalitionen zwischen den arabischen antikolonial eingestellten Eliten und den Mittelmächten. Das Osmanische und das Deutsche Reich avancierten somit, aus dieser Sicht, zu Bündnispartnern. Schon vor dem Krieg gab es diverse Anlaufstellen in Europa, an denen sich arabische Nationalisten trafen, um sich zu organisieren. Schließlich kam es auch zu einer Reihe von – zum Teil nur zeitweiligen – Kollaborationen mit bestimmten Fraktionen arabischer Nationalisten, die sowohl die Nähe zum Osmanischen als auch zum Deutschen Reich suchten. Die Propaganda, die zum Übertritt in die deutsche oder die osmanische Armee aufrief, fokussierte dabei fast nur Schauplätze in Indien und Nordafrika, in denen Deutschland keine formelle Kolonialherrschaft aufgebaut hatte.191 Vor diesem Hintergrund fand die deutsch-osmanische Propaganda statt, die sowohl die einfachen arabisch-muslimischen Kolonialsoldaten als auch die politisch bereits aktiven antikolonialen und antiimperialistischen Gruppen zu errei-

187 Rogan, The Arabs, S. 184. 188 Ebd. 189 Oberhaus nennt dies in Anlehnung an Fritz Fischer einen »Orientkrieg der Illusionen«, vgl. Oberhaus, Salvador: »Orientkrieg der Illusionen. Die deutsche Djihad-Strategie 1914-1918«, in: Nakath, Detlef, Stephan, Gerd-Rüdiger, Deutsche Außenpolitik im Nahen Osten, Potsdam: Rosa Luxemburg Stiftung Brandenburg 2011, S. 125-147. 190 Rogan, The Arabs, S. 185. 191 Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 125.

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chen suchte. Karl Schabinger von Schowingen,192 der ab 1915 als Nachfolger von Oppenheim der NfO ein Jahr lang vorstand, fasste seinen Auftrag wie folgt zusammen: Die Propagandatätigkeit der Nachrichtenstelle für den Orient erstreckt sich auf vier Betätigungsfelder: 1) Die feindlichen Fronten, soweit dort orientalische Hilfstruppen zur Verwendung gelangen, 2) die orientalischen Gefangenen in Deutschland, 3) die Heimatländer dieser Hilfstruppen, 4) die verbündeten und neutralen Länder, insbesondere des Orients.193 Anhand der NfO lässt sich überaus prägnant das Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik und damit der Einfluss orientalistischer Gelehrsamkeit auf kriegerische Unternehmungen verdeutlichen. Der Indologe Helmuth von Glasenapp194 resümierte in seinen Lebenserinnerungen: »Die Nachrichtenstelle für den Orient […] hatte zur Aufgabe, wertvolle Nachrichten über die Länder des Nahen und Fernen Ostens zu sammeln, propagandistisch zu verwerten und sich der in Berlin weilenden Orientalen anzunehmen.«195 Dieser kleine letzte Halbsatz mag in diesem Zusammenhang nur eine Nebenbemerkung sein, deutet aber auf eine sich tatsächlich ändernde Ausrichtung im breiteren Umfeld orientalistischer Studien und weiterer akademischer Fächergruppen hin, die sich mit außereuropäischen Personengruppen befassen. Das Interesse galt nicht allein mehr den weit entfernten Ländern und ihren Bevölkerungen, sondern auch den »in Berlin weilenden Orientalen«, was im Folgenden genauer dargestellt wird. Auch personell zeigte sich eine Nähe zum SOS. Insbesondere durch die Verbindung zu Martin Hartmann, dem bereits ausführlicher vorgestellten Lektor und Professor des Arabischen am Seminar (vgl. Kapitel 1 Deutschlands »Orient«, S. 61f.), sowie dem späteren Direktor des SOS, Eugen Mittwoch, lassen sich diese personellen Überschneidungen nachweisen.196

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Karl Emil Schabinger Freiherr von Schowingen (1877-1967), Orientalist, Jurist, Diplomat, lernte bei Martin Hartmann am SOS, von 1901 bis 1914 war er im diplomatischen Dienst vor allem in Marokko. Siehe Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus, S. 522. 193 Schabinger von Schowingen, Weltgeschichtliche Mosaiksplitter, S. 143. 194 Zu von Glasenapps Tätigkeiten im Rahmen der NfO vgl. McGetchin, Douglas T.: »IndoGerman Connections, Critical and Hermeneutical, in the First World War«, in: The Comparatist 34 (05/2010), S. 95-126. 195 Glasenapp, Helmuth von: Meine Lebensreise. Menschen, Länder und Dinge, die ich sah, Wiesbaden: Brockhaus 1964, S. 71. 196 Eugen Mittwoch (1876-1942) war Lehrer für äthiopische Sprachen am SOS. Er wurde 1928 Direktor des Seminars. 1935 wurde er infolge des Inkrafttretens der Nürnberger Gesetze von der Universität entlassen und migrierte 1938 über Frankreich nach England, wo er auch starb. Vgl. Hanisch, Die Nachfolger der Exegeten, S. 198.

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Hartmans Mitarbeit war zunächst aufgrund seiner erklärten Antipathie gegenüber »den Türken« umstritten.197 Nach Oppenheim und Schabinger hatte Mittwoch die Leitung der Nachrichtenstelle bis zum Ende des Krieges inne.198 Deutlich wird – nicht zuletzt – die Nähe der NfO zum Seminar darüber hinaus auch durch die primärsprachlichen Lektoren des SOS, allen voran Mohammed Bel-Arbi und Ahmed Waly, die direkt bei der Nachrichtenstelle tätig waren.199 Insgesamt sollen 20 »fremdländische Mitarbeiter« bei der NfO beschäftigt gewesen sein.200 In Berlin wurden Männer unterschiedlicher Herkunft in Komitees zusammengefasst, aus denen heraus sich wiederum nationale Organisationen bildeten, die mit der NfO vernetzt blieben.201 Da ein großer Anteil der nationalistischen, antikolonialen und panislamischen Gruppierungen und Akteure sich schon seit der Vorkriegszeit in europäischen Städten aufhielten, wurden diese Zentren dezidiert einbezogen. So eröffnete eine Zweigstelle der NfO in Genf, da sich insbesondere ägyptische Nationalisten in der Schweiz niedergelassen hatten.202 Weitere Büros gab es in Istanbul. In »Nachrichtensälen« wurde die Propaganda in den Herkunftsländern der Soldaten selbst verbreitet und es wurden Zeitungsschauen betrieben.203 In Deutschland führte die Nachrichtenstelle, wie schon erwähnt, ihre Propaganda unter muslimischen Kriegsgefangenen durch. Wiederum einer Idee Oppenheims folgend, sollten diese in bestimmten Gefangenenlagern konzentriert und durch eine besonders »zuvorkommende« Behandlung zur Desertion und damit zum Überlaufen ins osmanische Heer bewegt werden. Zwei dieser »Sonderlager« befanden sich im Umland von Berlin in der Nähe von Zossen: das sogenannte Halbmondlager in Wünsdorf und das Weinbergslager.204

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Laut Oberhaus opponierte der Universitätsprofessor und Mitarbeiter der NfO Oskar Mann, »Leiter der Abteilung für die Angelegenheiten Persiens in der NfO« gegen Hartmanns Beteiligung. Vgl. Oberhaus, »Zum wilden Aufstande entflammen«, S. 138, Fn. 164. Schabinger nennt jedoch seinen früheren Arabischlehrer am SOS als Mitarbeiter unter seiner eigenen Leitung. Vgl. Schabinger von Schowingen, Weltgeschichtliche Mosaiksplitter, S. 72. Eine Übersicht der internen Struktur der NfO bietet Lüdke, »(Not) Using Political Islam«, S. 84f. GStArchB, zitiert nach Höpp, Muslime in der Mark, S. 68, Fn. 189. Bragulla, Die Nachrichtenstelle für den Orient, S. 28. Ebd., S. 24. Vgl. Trefzger, Marc: Die nationale Bewegung Ägyptens vor 1928 im Spiegel der schweizerischen Öffentlichkeit, Basel/Stuttgart: Helbing & Lichtenhahn 1970. Hagen, Die Türkei im Ersten Weltkrieg, S. 41. Umfassend zu dem Thema: Höpp, Muslime in der Mark. Vgl. Kahleyss, »Muslimische Kriegsgefangene in Deutschland«.

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

Lagerordnung: ein deutscher Islam Das Halbmondlager und das Weinbergslager waren zwei von ungefähr 175 Kriegsgefangenenlagern im Deutschen Reich,205 die während des Ersten Weltkriegs errichtet wurden. Circa 2,5 Millionen Gefangene waren im Verlauf des Krieges insgesamt in allen Lagern inhaftiert.206 Schon zu Beginn des Krieges wurden insgesamt 625.000 Kriegsgefangene der gegnerischen Staaten in Lagern interniert.207 Etwa 4.000 Gefangene wurden 1916 im Halbmondlager in Wünsdorf festgehalten, im Weinbergslager waren um die 12.000 Gefangene inhaftiert.208 Oppenheim hatte in seiner Denkschrift angeregt, die Unterbringung muslimischer Kriegsgefangener auf wenige Lager zu konzentrieren: Jedenfalls sollten die sämtlichen französischen muhammedanischen Kriegsgefangenen, die jetzt schon in Deutschland sind und später noch eintreffen, raschest in einem einzigen Lager, wo sie von Berlin aus möglichst leicht zu erreichen wären, also in Zossen […] oder Döberitz, vereinigt werden, derart, daß sie allen anderen Gefangenen gegenüber unbedingt abgeschlossen für sich, ohne die Möglichkeit irgendeiner Einwirkung durch Franzosen, Engländer etc. leben können.209 Oppenheims Ausführungen verdeutlichen an dieser Stelle die systematische Unterscheidung zwischen Muslimen (»französischen muhammedanischen Kriegsgefangenen«) und (anderen) »Franzosen, Engländer[n]«.210 Die praktische Umsetzung seines Plans sah in der Realität jedoch anders aus. Neben Kriegsgefangenen aus dem französischen Heer waren auch britisch-indische Soldaten unterschiedlicher Religionen in dem dezidiert als »muhammedanisch« ausgewiesenen Lager interniert. Gegen Ende des Krieges sank die Zahl der Gefangenen im Wünsdorfer Lager

205 Lange, Ein Archiv von Stimmen, S. 6f. 206 Diese Zahl wird in den meisten Studien zu dem Thema angegeben. Vgl. Herbert, Ulrich: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2003, S. 88. 207 Evans, Anthropology at War, S. 201. 208 Höpp, Muslime in der Mark, S. 44. Koller nennt 2.500 Algerier, 500 Tunesier und 200 Marokkaner im Halbmondlager, von denen 2.500 zur Zwangsarbeit nach Rumänien verschickt wurden. Vgl. Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 127. Doegen gibt in einer zeitgenössischen Quelle die Zahl von 4.192 für das Halbmondlager an, zusammengesetzt aus 342 Zivilpersonen, einem Offizier, 434 britischen und 3.415 französischen Soldaten: Doegen, Wilhelm: Kriegsgefangene Völker, Bd. 1: Der Kriegsgefangenen Haltung und Schicksal in Deutschland, Berlin: Verlag für Politik und Wirtschaft 1919, S. 12f. 209 Oppenheim, Die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde, S. 121-163, S. 155. 210 Ebd.

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rapide, die NfO ließ einen Großteil zur Zwangsarbeit nach Rumänien bringen.211 Was mit ihnen nach ihrer Freilassung geschah, ist weitestgehend unbekannt.212 Der Alltag im Halbmondlager war gemäß der »Djihad«-Propaganda ausgerichtet. Durch verschiedene Maßnahmen sollte eine Unterstützung Deutschlands unter den Gefangenen evoziert werden.213 Neben einer Moschee, nach einigen Darstellungen die erste Moschee in Deutschland, in der religiöse Praktiken stattfanden,214 gab es ein durchstrukturiertes Programm, das unterschiedliche Angebote für die Gefangenen beinhaltete. Die Strategie einer Nutzung des Islam als Propagandainstrument beinhaltete mehrere Facetten: Nicht allein die Gefangenen mussten vom »Djihad« im Namen des Osmanischen und des Deutschen Reichs überzeugt werden, auch die deutsche Öffentlichkeit wurde über die positiven Seiten des Islam aufgeklärt. Das »Id al-Adha« – das Opferfest – wurde 1915 mit Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft gefeiert und dabei medial inszeniert.215 Gefangene des Halbmondlagers besuchten auf einer Rundfahrt durch Berlin am 7. September 1915 das Hindenburg-Denkmal (»Eiserner Hindenburg«216 ) in Tiergarten und wurden angehalten, ihre prodeutsche Gesinnung zu demonstrieren, indem sie in patriotischer Geste Nägel einschlugen.217 Die Zeitungen berichteten vielfach nicht allein über die deutsch-osmanische Waffenbruderschaft, sondern auch über einen Islam, der während und nach dem Krieg den jeweiligen Bedürfnissen nach interpretiert und geformt wurde. Die spezielle deutsche Islampolitik, die auf die Rekrutierung muslimischer Überläufer abzielte, wurde von den Kriegsgegnern der Mittelmächte stark kritisiert.218 Auch innerhalb der Orientalistik kam es zu Auseinandersetzungen, die sich – neben den unterschiedlichen Positionen zum Krieg – auch um Deutungshoheiten drehten. Eine (bis heute breit rezipierte) zeitgenössische Debatte zwischen zwei der führenden Orientalisten der Zeit, dem niederländischen Professor Christiaan Snouck 211 212 213 214

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Doegen, Kriegsgefangene Völker, S. 30. Vgl. Höpp, Muslime in der Mark, S. 45f. Höpp, Muslime in der Mark, S. 35f. Hagen, Die Türkei im Ersten Weltkrieg, S. 36. Höpp, Muslime in der Mark, S. 113ff. Vgl. zur propagandistischen Architektur Gussone, Martin: »Architectural Jihad. The ›Halbmondlager‹ Mosque of Wünsdorf as an Instrument of Propaganda«, in: Zürcher, Erik-Jan (Hg.), Jihad and Islam in World War I. Studies on the Ottoman Jihad on the Centenary of Snouck Hurgronje’s ›Holy War Made in Germany‹, Leiden: Leiden University Press 2016, S. 179-221. Farah, Die deutsche Pressepolitik und Propagandatätigkeit im Osmanischen Reich von 1908-1918, S. 249. Siehe auch Sinno, Raouf: »The Role of Islam in German Propaganda in the Arab East during the First World War: Aims, Means, Results and Local Reactions«, in: Farschid, Kropp, Dähne, The First World War, S. 391-414, S. 398f., Fn. 41. Eine karikierende Darstellung des Hindenburg-Denkmals von Hugo Ball findet sich in Ball, Hugo: Der benagelte Hindenburg, in: Freie Zeitung, 04.05.1918. Höpp, Muslime in der Mark, S. 55, Fn. 156. Meynier, Gilbert: L’Algérie révélée. La guerre de 1914-1918 et le premier quart du XXe siècle, SaintDenis: Éditions Bouchéne 2015, S. 262-282.

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

Hurgronje und dem späteren deutschen Kultusminister Carl Heinrich Becker, zum Thema »Djihad made in Germany« (so der englische Titel eines Aufsatzes des Niederländers) macht diese Zusammenhänge deutlich. Wer verstand den »Djihad« richtig und war es legitim, ihn mit akademischer Absolution im Krieg einzusetzen?219 Snouck Hurgronje selbst hatte 17 Jahre lang als Kolonialbeamter in Indonesien gearbeitet220 und beschrieb den deutschen Umgang mit dem »Djihad«, einem – nach seiner Einschätzung – mittelalterlichen Instrument, als fahrlässig.221 Aufgabe »moderner Staaten«, deren Staatsbürger, Schutzbefohlene oder Alliierte Muslime seien, sei es, die hohe Konzeption humaner Gesellschaften zu lehren.222 Becker wiederum förderte die deutsch-türkischen Kriegskooperationen und war als Mitarbeiter der NfO ein Befürworter der »Djihad«-Strategie.223 Auch die Lagerordnung in den Kriegsgefangenenlagern für Muslime war orientalistischen Vorstellungen angepasst. Das vermeintlich umfassende Wissen über den »Orient« bot die Vorlage, nach denen die Gefangenen sowohl in Bezug auf Sprachen und Herkunftskontexte als auch – und insbesondere im Zuge der Politisierung des Islam – auf Religionen kategorisiert wurden. Der teils willkürlich erscheinende Umgang mit verschiedenen Gefangenengruppen, die im Rahmen der sogenannten Sonderbehandlung exotisiert und kulturalisiert wurden, etablierte gängige Formen der Inszenierung. Besonders deutlich wurde dies im Umgang mit religiösen Praktiken, wie dem »Djihad«. Ursprünglich als innerer und äußerer »Djihad« (Anstrengung) verstanden, war diese Glaubenspraxis eine Auseinandersetzung der Gläubigen mit sich selbst – nach innen und außen. Die deutsche Seite instrumentalisierte, nicht unumstritten und auch nicht als Erste, die Idee als Mittel der kriegspolitisch motivierten Revolutionierung.224 Die Verwobenheit akademischer, kriegs- und kolonialpolitischer Direktiven wurde besonders in den Lagerordnungen der sogenannten Sonderlager deut-

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Interessant ist an den folgenden Literaturangaben auch, wie sehr die genannte Debatte mit einem besonderen Blick auf die jeweils eigene Fachdisziplin implizit weitergeführt wird. Vgl. Heine, Peter: »C. Snouck Hurgronje versus C. H. Becker. Ein Beitrag zur Geschichte der angewandten Orientalistik«, in: Die Welt des Islams 23 (1984), Nr. 24, S. 378-387. Müller, Islam, ğihād (»Heiliger Krieg«) und Deutsches Reich, Schwanitz, »Max von Oppenheim«. Vgl. auch Oberhaus, »Zum wilden Aufstande entflammen«, S. 45f. Ein aktuellerer Artikel, in dem auch der koloniale Kontext diskutiert wird, findet sich bei Buskens, »Christian Snouck Hurgronje«. Berg, C. C.: »The Islamisation of Java«, in: Studia Islamica 4 (1955), S. 111-142, S. 111. Snouck Hurgronje, Christiaan: The Holy War »Made in Germany«, London/New York: G. P. Putnam’s Sons 1915, S. 80. Vgl. zu der Debatte: Hanisch, »Gelehrtenselbstverständnis«. Snouck Hurgronje, The Holy War »Made in Germany«, S. 82. Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus, S. 466. Es gab natürlich eine Reihe von Vorbildern für diesen Versuch der Revolutionierung und die Deutschen waren mit dieser Idee nicht allein. Auch von muslimischer Seite gab es die unterschiedlichen Interessen. Vgl. Lüdke, Tilman: Jihad made in Germany, S. 33.

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lich. Der Gymnasiallehrer Wilhelm Doegen beschrieb die Zuordnung der beiden speziell für Muslime eingerichteten Lager im Berliner Umland: Die Mohammedaner wurden unterschieden als Tataren im Tatarenlager ZossenWeinberge, während die Nordafrikaner sich in Wünsdorf bei Zossen zusammenfanden. Eigene Blocks wurden dort für die Zentralafrikaner (Bantu- und Sudanneger) usw. eingerichtet. Auch die Inder durften für sich in Wünsdorf-Inderlager hausen. Ende 1917 überführte man die Inder und einen großen Teil Afrikaner aus klimatischer Notwendigkeit nach dem von Deutschland besetzten Rumänien. […] Hier leisteten diese Völker leichte Landarbeit. Es gab in Wünsdorf auch einen kleinen selbständigen Mongolenblock der Anamiten und Koreaner.225 Doegen war ab November 1915 als Koordinator für die Königlich Preußische Phonographische Kommission zu Forschungen in deutschen Kriegsgefangenenlagern tätig.226 Schon vor dem Krieg beschäftigte er sich intensiv mit einem neuen Medium, der Schellackplatte, die er zur Vermittlung von Sprachen verwendete. Zwar ließ die NfO schon zu Anfang des Krieges verlautbaren, dass sie die Gefangenen anständig behandle: »Die Nachrichtenstelle für den Orient bittet im Interesse der grossen Sache, der wir alle dienen, in allen Presseäußerungen die Gefühle der Orientalen soweit als irgend möglich zu schonen.«227 In diesem Zusammenhang kritisierte sie auch einen Artikel im Berliner Lokal-Anzeiger, der einen Vergleich zwischen dem »Völkergemisch« im Gefangenenlager in Wünsdorf und den »Völkerschauen« in Hagenbecks Tierpark gezogen hatte.228 Doch diese von der NfO geforderte anfängliche Rücksichtnahme wich bald einem starken Interesse vor allem in anthropologischen und weiteren akademischen Kreisen: Leo Frobenius publizierte 1916 Der Völkerzirkus unserer Feinde,229 eine Kritik an Großbritannien, die auch eine Sammlung von Bildern von Kriegsgefangenen und Soldaten im Feld umfasste. Felix von Luschan gab den anthropologischen Fotoband Kriegsgefangene. Ein Beitrag zur Völkerkunde im Weltkrieg«230 heraus und mahnte in besitzergreifender Manier: »Kriegsgefangene sind keine Menagerien und können nur wenigen Auserwählten zu Studienzwecken zugänglich gemacht werden.«231

Doegen, Kriegsgefangene Völker, S. 30. Lange, Die Wiener Forschungen an Kriegsgefangenen 1915-1918, S. 70f. Rundschreiben der NfO, zitiert nach Kahleyss, Muslime in Brandenburg, S. 18. Berliner Lokal-Anzeiger vom 01.05.1915, zitiert nach Kahleyss, Muslime in Brandenburg, S. 156160. 229 Frobenius, Leo: Der Völkerzirkus unserer Feinde, Berlin: Eckart 1916. Leo Frobenius (1873-1938) war Ethnologe. Vgl. Marchand, Suzanne L.: »Leo Frobenius and the Revolt against the West«, in: Journal of Contemporary History 32 (1997), Nr. 2, S. 153-170. 230 Luschan, Felix von: Kriegsgefangene. Ein Beitrag zur Völkerkunde im Weltkriege. Einführung in die Grundzüge der Anthropologie, Berlin: Reimer 1917. 231 Ebd., S. 2. 225 226 227 228

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

Diese Publikationen zeigten nicht allein, wie ähnlich Teilnehmende von »Völkerschauen« und der Kolonialsoldaten stereotyp dargestellt wurden. Auch die Vermischung animalischer Attribute beförderte die Gleichsetzung von Mensch und Tier in Bezug auf beide Gruppierungen. Die Vorstellung, dass die Kriegsgegner Kolonialsoldaten wie Zirkustiere »dressieren« könnten – von Luschans »Völkerzirkus unserer Feinde« kann so verstanden werden –, liest sich einerseits als Kritik an der feindlichen Kolonialpraxis, andererseits aber auch als ein Hinweis darauf, dass Kolonialsoldaten keine gleichwertigen Soldaten waren, sondern »dressiert« werden müssten –, dass sie herabgesetzt und in die Nähe zu Tieren gerückt wurden. Otto Stiehl, ein als Hauptmann im Halbmondlager tätiger Architekt, der die Kriegsgefangenen fotografierte, fasste in seinem Buch Unsere Feinde zusammen: »In den Gefangenenlagern finden wir daher die Proben der verschiedenen Rassen und Völker zum Kennenlernen bequemer nebeneinander gestellt.«232 Nicht allein Bilder von Gefangenen wurden erstellt und gesammelt und fanden Eingang in diverse, sowohl an ein Fachpublikum gerichtete als auch populäre Publikationen, auch Filmaufnahmen fanden im Halbmondlager statt.233 Darüber hinaus wurden dort Lautproben aufgenommen. Um die Lautproben aufzubewahren, wurde 1920 das Berliner Lautarchiv eingerichtet, zunächst unter der Bezeichnung Lautabteilung an der Preußischen Staatsbibliothek.234 Es beherbergte sowohl die im Kriege angefertigten Stimmaufnahmen Kriegsgefangener als auch die fortlaufend erstellten Aufnahmen, die zum Teil von denselben Akademikern angefertigt wurden, die schon vor dem Krieg und zu Kriegszeiten solche Aufnahmen gemacht hatten.235 Während des Kriegs war die von der Phonographischen Kommission unternommene Arbeit zunächst geheim.236 Die Kommission, die sich aus Akademikern unterschiedlicher Disziplinen zusammensetzte, stellte den ersten systematisch-wissenschaftlichen Zugang zu den Lagern her.237 Neben Carl Stumpf,238 dem Vorsitzenden der Kommission, der 1900 begann, phonografische Aufnahmen zu

232 Stiehl, Otto: Unsere Feinde. 96 Charakterköpfe aus deutschen Kriegsgefangenenlagern, Stuttgart: Verlag Julius Hoffmann 1916, S. 5f. 233 Barkhausen, Hans: Filmpropaganda für Deutschland im Ersten und Zweiten Weltkrieg, Hildesheim u.a.: Olms Presse 1982. 234 Lange, Die Wiener Forschungen an Kriegsgefangenen 1915-1918, S. 53f. Vgl. Mahrenholz, JürgenKornelius: »Zum Lautarchiv und seiner wissenschaftlichen Erschließung durch die Datenbank IMAGO«, in: Bröcker, Marianne (Hg.), Berichte aus dem ICTM-Nationalkomitee Deutschland XII, Bamberg: Universitätsbibliothek 2003, S. 131-152. 235 Ziegler listet die Aufnahmeleiter auf: Ziegler, Susanne: »›Musikproben von allen Völkern der Erde‹. Das Berliner Phonogramm-Archiv«, in: Heyden, Zeller, »… Macht und Anteil an der Weltherrschaft«, S. 197-201. Vgl. Ziegler, Die Wachszylinder des Berliner Phonogramm-Archivs. 236 Lange, Ein Archiv von Stimmen, S. 7. 237 Evans, Anthropology at War, S. 208. 238 Carl Stumpf (1848-1936) war Philosoph, Psychologe und Musikwissenschaftler. Vgl. Ziegler, »›Musikproben von allen Völkern der Erde‹«, S. 197.

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machen und damit den Grundstock des Berliner Phonogramm-Archivs legte,239 war der bereits erwähnte Wilhelm Doegen als Koordinator vertreten. Darüber hinaus waren die Professoren Sachau – für »orientalische Sprachen« –, Meinhof – für »afrikanische Sprachen« – und von Luschan für den Bereich »Völkerkunde« an der Kommission beteiligt.240 Circa 215 verschiedene Sprachen und Dialekte wurden zwischen 1915 und 1918 auf über tausend Phonographen-Walzen aufgenommen.241 Nach eigenen Angaben bereiste Doegen während des Kriegs mehr als 70 Lager, um Sprachaufnahmen zu machen.242 Gemäß seiner Vorstellung sollten »kulturierte«243 Originaltöne aufgenommen werden. »Fixiert werden sollte weniger das akustisch Individuelle der Probanden, als vielmehr das akustisch ›Typische‹ einer Ethnie in Form von Sprache oder Musik.«244 Im Lautarchiv lassen sich heute noch mehr als 65 arabische Lautaufnahmen finden, die teils während des Krieges in den Gefangenenlagern und teils in der Nachkriegszeit entstanden.245 In Wünsdorf wurden für die Aufnahmen einzelne Gefangene vor einen Trichter geführt, wo sie vorher abgesprochene Texte, Wörter, Zahlenreihen und Ähnliches rezitieren sowie Lieder singen sollten. Nach einer Schätzung Britta Langes sind zwei Drittel sprachliche sowie ein Drittel musikalische Aufnahmen.246 Weiterführende Rückschlüsse auf die Identität der gefangenen Soldaten sind dabei nur noch in Ausnahmefällen möglich.247 Auf einem Personalbogen fand sich zum Beispiel die folgende Angabe: Unter der Lautarchiv-Signatur PK 257 sind Kriegsgedichte, gesprochen und gesungen von Sadak Berresid, 37 Jahre alt, geboren in Monastir,

239 Das Phonogramm-Archiv war zunächst in der Psychologie angesiedelt und ging nach einer wechselvollen Odyssee in die Sammlung des Ethnologischen Museums über. Vgl. Ziegler, »›Musikproben von allen Völkern der Erde‹«, S. 197. Eine ausführliche Bibliografie zum Lautarchiv ist unter Bibliografie zum Lautarchiv, in: Lautarchiv, Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, Wissenschaftliche Sammlungen an der Humboldt-Universität zu Berlin, o.J., https:// www.lautarchiv.hu-berlin.de/einfuehrung/bibliografie/(10.07.2018) einsehbar. 240 Lange, Die Wiener Forschungen an Kriegsgefangenen 1915-1918, S. 70f. 241 Hartmann, Thomas, Lange, Britta, Hennig, Jochen: Du hast mein Wort. Juristische und kulturethische Kriterien für die Nutzung der Aufnahmen aus dem Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin – Dossier zum interdisziplinären Forschungsseminar, Berlin: Humboldt Universität zu Berlin 2015, http://edoc.hu-berlin.de/oa/reports/rejodi2SoHKos/PDF/20eHbxvECqlY.pdf (17.11.2015). 242 Doegen, Kriegsgefangene Völker, S. III. 243 Zitiert nach Lange, Ein Archiv von Stimmen, S. 4. 244 Ebd. 245 Lautarchiv, Humboldt-Universität zu Berlin. 246 Lange, Ein Archiv von Stimmen, S. 7. 247 Die Suche nach dem britischen Kolonialsoldaten Mall Singh, von dem Lautaufnahmen unter der Signatur PK 619 zu finden sind, ist von Philip Scheffner in seinem Film Dokumentarfilm The Halfmoon Files dokumentiert worden: The Halfmoon Files. A Ghost Story … (D 2007, R.: Philip Scheffner). Vgl. Scheffner, Philip, Lange, Britta: The Halfmoon Files. Webseite zum Film The Halfmoon Files, 2006, http://halfmoonfiles.de/de (20.05.2018).

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

Tunesien, festgehalten.248 Die Aufnahme fand am 30. Mai 1916, um 1.15 Uhr in der Ehrenbaracke statt. Notiert wurde der Inhalt: Drei Kriegsgedichte gesprochen, in einer zweiten Aufnahme gesungen, als Sprache ist »Tunisisches Arabisch« angegeben. Einzig der letzte Vers könnte eine Sehnsucht ausdrücken und auf die Situation im Gefangenlager verweisen: »O Gott, führe mich zurück«, heißt es da.249 Berresid, so ist weiter auf dem Personalbogen angegeben, war schon 1907 der französischen Armee beigetreten. Als Beruf ist »Landarbeiter und Volksdichter« vermerkt, als Religion muslimisch. Er sei ein »Stadtaraber« gewesen, heißt es weiter. Laut Hans Stumme war die Aufnahme »von ausgezeichneter Deutlichkeit«, während Doegen Berresid eine undeutliche Aussprache »wegen der Stimmbildung in der Kehle« attestierte.250 Hans Stumme war ein Orientalist,251 der sich während des Krieges das Pseudonym Fritz Klopfer zulegte und arabische Kriegslieder für die Propaganda verfasste. Neben der Anfertigung von Lautaufnahmen durch die Kommission fanden auch anthropologische und »rassenkundliche« Untersuchungen statt. In den Worten von Andrew D. Evans: »German anthropologists fully mobilized their discipline for war.«252 Dabei wurden auch zuvor ungewohnte Positionen eingenommen, zum Beispiel von Frobenius, der sich als Fürsprecher der Kolonialsoldaten präsentierte und in einem Vortrag über »unsere farbigen Gefangenen« bekundete, die »farbige Bevölkerung« der anderen Kolonialmächte werde einzig als »Kanonenfutter« eingesetzt.253 Teil der deutschen Propaganda in den Lagern war die Herausgabe zweier speziell auf die Gefangenen ausgerichteter Medien El Dschihad. Zeitung für die muhammedanischen Kriegsgefangenen und die Lagerzeitung des Halbmondlagers Wünsdorf.254 Erstere erschien ab März 1915 vermutlich bis 1917 in mehreren Sprachen, darunter

248 Lautarchiv, PK 257/1-2, Personalbogen und Lautliche Aufnahme Sadak Berresid. 249 Ich interpretiere den Ausruf anders als die Aufnahmeleiter, deren Übersetzung Irene Hilden in ihrer Dokumentation folgt, vgl. Hilden, Irene: »Schellackplatte mit einem Tondokument des Kriegsgefangenen Sadak Berresid, 1916«, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.), Deutscher Kolonialismus. Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart, Darmstadt: Theiss 2016, S. 197. 250 Lautarchiv, PK 257/1-2, Personalbogen und Lautliche Aufnahme Sadak Berresid. Vgl. Hilden, »Schellackplatte«. 251 Hans Stumme (1864-1936), Orientalist. Vgl. Heine, »C. Snouck Hurgronje versus C. H. Becker«, S. 386. 252 Evans, Anthropology at War, S. 147. 253 Frobenius, Leo: »Unsere farbigen Gefangenen« (Vortrag), in: Vossische Zeitung, 02.05.1917, in: Nachlass Höpp, Kiste 06.04. 254 Speziell zu El Dschihad: Heine, Peter: » Al-Ǧihād: eine deutsche Propagandazeitung im Ersten Weltkrieg«, in: Die Welt des Islams 20 (1980) Nr. 3-4, S. 197-199 sowie Höpp, Gerhard: Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915-1945. Geschichtlicher Abriss und Bibliographie, Berlin: Das Arabische Buch 1994, S. 9-13.

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Arabisch, Urdu und Tatarisch, und sollte nur innerhalb der Lager verteilt werden.255 Demgegenüber enthielt die ab 1916 erscheinende Lagerzeitschrift neben Kriegsberichten vor allem Heimaterinnerungen der Gefangenen, die vermutlich selbst an der Abfassung der von Dezember 1916 bis Ende Februar 1917 erschienenen Zeitung beteiligt waren.256 An der Konzeption von El Dschihad waren vornehmlich Mitarbeiter der NfO beteiligt, ausgebildete Diplomaten ebenso wie Journalisten. Herbert L. Müller hat bereits 1991 ausführlich beschrieben, wie künstlich und in Teilen absurd die »Djihad«-Pläne der NfO anmuteten und wie deutlich dies in ihren Publikationen wurde.257 Aber El Dschihad brachte nicht nur Orientalisten und Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes zusammen, auch die unterschiedlichen arabischen Mitarbeiter trafen sich unabhängig von ihren vorherigen politischen Verbindungen.258 Die mit der Lagerverwaltung betrauten NfO-Mitarbeiter gaben Sprachkurse (Deutsch wie auch Arabisch) und Bildungskurse.259 Es gab Beschwerden, die Gefangenen ständen den extra für die Lager konzipierten Blättern kritisch gegenüber oder die Artikel seien zu kompliziert und hochsprachlich formuliert.260 Die Unterschiede der verschiedenen Sprachebenen des Arabischen klingen hier ebenso wie das Unvermögen durch, die gesprochenen Alltagssprachen zu verschriftlichen. Unterdessen wurden im Halbmondlager gezielt Kriegsgefangene ausgewählt, die sich an der Erstellung von Flugblättern, Rundfunkaufrufen und weiteren propagandistischen Mitteln beteiligen sollten. Die Annahme, dass die arabischen bzw. muslimischen Insassen in Wünsdorf und Zossen eine »Sonderbehandlung« genossen, also vermeintlich besser als andere Kriegsgefangene behandelt wurden, ist vermutlich auf entsprechende propagandistische Darstellungen zurückzuführen. So lassen sich sowohl aus den Lautaufnahmen als auch aus Briefen nordafrikanischer Gefangener Rückschlüsse auf »eine andere Realität« ziehen: Aber die Aussagen der Gefangenen liefern uns auch noch eine andere Realität als die der Propagandabilder, jene der harten Lebensumstände – sowohl im Hinblick auf den Alltag als auch in Verbindung mit dem auf sie ausgeübten Druck, der sie dazu bringen sollte, sich nach Konstantinopel verlegen zu lassen und für den Heiligen Krieg einzutreten. Während die deutschen Fotos Opfergaben von Hammel und Lamm zeigen, erzählen die Gefangenen von Hunger und beschweren sich über die unzureichenden Essensrationen und die schlechte Qualität der

255 Heine, »Al-Ǧihād «. 256 Lagerzeitung des Halbmondlagers Wünsdorf, Wünsdorf 1916-1917. Vgl. Höpp, Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915-1945, S. 11. 257 Vgl. Müller, Islam, ğihād (»Heiliger Krieg«) und Deutsches Reich, S. 214-228. 258 Höpp, Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915-1945, S. 10. 259 Höpp, Muslime in der Mark, S. 56. 260 Höpp, Muslime in der Mark, S. 103. Vgl. Heine, » Al-Ǧihād «, S. 198f.

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

Nahrung: »In diesem Lager war die Nahrung sehr schlecht. Man gab uns 1,5 kg Brot für fünf Tage. Das Brot war schwarz und aus Kartoffeln und Gemüseschalen gemacht.«261 (Vgl. Abb. 03) Auch wenn die Lautaufnahmen erzwungen waren, die dazugehörigen Personalbögen nach vorgefassten Mustern wenig Auskunft über die Gefangenen enthielten und die Lagermedien zensiert wurden, lassen sich somit einzelne, bruchstückhafte biografische Facetten des Erlebens der Gefangenen rekonstruieren. Abbildung 03: Friedhof der Araber (bpk-Bildagentur/Museum Europäischer Kulturen, SMB/Otto Stiehl)

Die arabischsprachigen Mitarbeiter der NfO waren demgegenüber in einer ganz anderen Position als die Kolonialsoldaten. Mohammed Bel-Arbi begleitete im ersten Kriegsjahr Ende Oktober 1914 und damit fast zeitgleich mit dem Eintritt des Osmanischen Reichs in den Weltkrieg im November desselben Jahres eine Gruppe algerischer, marokkanischer und tunesischer Kriegsgefangener im Zug nach Istanbul. Dort unterstützten sie – medial aufbereitet und zu Propagandazwecken genutzt – die Ausrufung des »Djihad« gegen die Ententemächte am

261

Bajart, »Die wiedergefundenen Stimmen der muslimischen Gefangenen«, S. 121. Bajart zitiert auf Arabisch verfasste Briefe und Postkarten aus dem Pariser Archiv des französischen Verteidigungsministeriums, ebd., S. 119.

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14. November.262 Die Gefangenen wurden vom NfO-Leiter Schabinger in einem Lager in Senne ausgewählt.263 In seinen Lebenserinnerungen erläutert er die sozialen Hintergründe der Gefangenen und bietet damit einen Einblick in die unterschiedlichen Kolonialpolitiken der Franzosen in den verschiedenen nordafrikanischen Ländern.264 Bezeichnenderweise fuhren die vierzehn Kriegsgefangenen als Zirkusartisten verkleidet durch das zu jener Zeit neutrale Rumänien, um unbemerkt nach Istanbul zu gelangen und nicht für diplomatische Verstimmungen zu sorgen. Das Bild arabischer Artisten war offenkundig so verbreitet, dass die so Kostümierten nicht auffielen.265 Hier ist wieder die Nähe zwischen Kriegspolitik und Unterhaltungskultur auffällig. Während Schabinger die Gruppe in der ersten Klasse begleitete, fuhren der Lektor Bel-Arbi und ein deutscher Offizier, der wiederum als Zirkusdirektor verkleidet war, in der zweiten und die Gefangenen schließlich in der dritten Klasse mit.266 Ähnliche Fahrten unternahmen einige der in diplomatischen Diensten stehenden deutschen Mitarbeiter der NfO und unterschiedliche muslimische, aber auch hinduistische und andere indische Gefangenenkleingruppen, die zum Überlaufen und zur weiteren Kollaboration gebracht und in den britischen oder französischen Kolonial- oder Mandatsgebieten eingesetzt werden sollten.267 Zwar deutete Schabinger selbst an, dass er nicht viel vom »Heiligen Krieg« erwarte.268 Doch die Maschinerie orientalistischer Propaganda lief ungeachtet dessen in etlichen Bereichen weiter. Das Seminar für Orientalische Sprachen war den Krieg über unter anderem dafür zuständig, die Post muslimischer Kriegsgefangener zu zensieren. Darüber hinaus wurden einzelne Korrespondenzen für Propagandazwecke verwendet.269 1917 wurde das Seminar wegen Überlastung zum Teil von der Postzensur entbunden und nur noch ausgewählte Kommandobehörden sowie Dienststellen durften sich an das SOS wenden.270 Die Tätigkeit der Lektoren stellt ein weiteres Beispiel für die Ambivalenz der kolonialen Situation dar. Die Lektoren agierten als »cultural in-

262 Vgl. Hagen, Die Türkei im Ersten Weltkrieg, S. 3f. Vgl. ders. »German Heralds«. 263 Höpp weist akribisch nach, wie die Absprachen zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Kriegsministerium unter Beobachtung des Kaisers vor sich gingen. Vgl. Höpp, Muslime in der Mark, S. 35f. 264 Schabinger von Schowingen, Weltgeschichtliche Mosaiksplitter, S. 102f. 265 Vgl. Escher, »Les acrobates marocains dans les cirques allemands«, sowie Lewerenz, Geteilte Welten. 266 Schabinger von Schowingen: Weltgeschichtliche Mosaiksplitter, S. 106f. 267 Vgl. die unterschiedlichen Schilderungen von Schabinger von Schowingen: Weltgeschichtliche Mosaiksplitter, S. 102, und dem Indologen Helmuth von Glasenapp: Meine Lebensreise, S. 83f. 268 Schabinger von Schowingen: Weltgeschichtliche Mosaiksplitter, S. 108. 269 Höpp, Muslime in der Mark, S. 58. 270 Ebd., S. 59, Fn. 191.

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

formants«271 und standen dabei selbst fortwährend unter Beobachtung. Einer von ihnen war der bereits erwähnte Mohammed Bel-Arbi, der Schabinger Jahre zuvor am deutschen Konsulat in Tanger als Sohn eines kollaborierenden Soldaten positiv aufgefallen war. Seine Empfehlung an das SOS kam vonseiten der KaiserlichDeutschen Gesandtschaft in Marokko.272 Der seit 1907/08 am SOS tätige Orientalist Georg Kampffmeyer – zuständig für Ägyptisch und Marokkanisch – setzte sich für ihn ein. 1910 begann Bel-Arbis Lehrtätigkeit für Marokkanisch-Arabisch. Noch im Vorfeld des Weltkriegs tauchte er mit dem Zusatz »Hadj« im Vorlesungsverzeichnis auf, was vielleicht ein Kennzeichnen dafür ist, dass er nach Mekka gepilgert war, vielleicht aber auch ein weiterer Teil seiner Inszenierung als muslimischer Lektor war, der zumindest vorgab, schon nach Mekka gepilgert zu sein.273 Bel-Arbi scheint der Mitarbeiter in der NfO gewesen zu sein, der seine im Halbmondlager tätigen Kollegen überwachte und Bericht erstattete. Als Anerkennung und unterstützt durch Sachau, den Direktor des SOS, der ein Empfehlungsschreiben verfasste, erhielt er 1917 das Verdienstkreuz in Silber.274 Dies war nicht seine erste Auszeichnung. Schon 1914 hatte er – zusammen mit Schabinger – den osmanischen Medjedje-Orden erhalten.275 Neben Bel-Arbi arbeitete auch Ahmed Waly, der Sprach- und Schreibübungen am Seminar für Orientalische Sprachen anbot, für die NfO.276 Auch Waly kam 1910 an das SOS, aber seine Position war eine andere als die seines marokkanischen Kollegen. Er war wohlhabender, studierte Medizin und profitierte von einem ägyptischen Stipendienprogramm. Zuvor hatte er schon eine Ausbildung an der Al-Azhar und dem Dar-al-Ulum absolviert, den renommierten ägyptischen Hochschulen, an denen schon Hassan Taufik ausgebildet wurde. Für die NfO arbeitete er als Übersetzer und Autor propagandistischer Artikel wie auch als Feldarzt auf einer einjäh-

271 Vgl. Pratt, Imperial Eyes, S. 9. 272 Schmid, Larissa: Das Berliner Seminar für Orientalische Sprachen in der Weimarer Republik, unveröff. Magisterarbeit, Freie Universität Berlin, Berlin 2010, S. 54f. Schabinger behauptete von sich, Bel-Arbi als Lehrer ausgebildet zu haben. Vgl. Schabinger von Schowingen: Weltgeschichtliche Mosaiksplitter, S. 16. 273 Seminar für Orientalische Sprachen (Hg.): Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen/Seminar für Orientalische Sprachen an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin: Universitätsdruckerei 1887-1936, Wintersemester vom 15. Oktober 1910-15. März 1911, S. 3. 274 Nachlass Höpp, Kiste 06.04, Königliches Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, Schreiben Weller, Berlin, den 20.03.1917. 275 Nachlass Höpp, Kiste 06.04, L’Ambassade Impériale Ottomane, Note Verbale, Berlin, 28.12.1914. 276 Waly arbeitete von 1910 bis 1931 am SOS, Bel-Arbi von 1910 bis 1924. Siehe Schmid, Das Berliner Seminar für Orientalische Sprachen in der Weimarer Republik, S. 54. Vgl. Seminar für Orientalische Sprachen, Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen/Seminar für Orientalische Sprachen an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin.

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rigen U-Boot-Expedition vor Tripolis.277 Es ist wahrscheinlich, dass Waly schon zu dieser Zeit Kontakte zu Exil-Ägyptern pflegte und sich in nationalistischen Kreisen aufhielt. Beziehungen wie diese, die vor allem in den Kolonien stationierte Offiziere sowie Soldaten aus dem osmanischen Heer für die Zusammenarbeit mit der NfO prädestinierten, brachten Männer wie Said Mamun Abu’l-Fadl (1891–?)278 aus Medina, aber auch al-Scharif al-Tunisi (1869-1920)279 und Abd al-Aziz al-Schauisch (18761929)280 zur Zusammenarbeit mit der NfO.281 Der Krieg beförderte die bereits zuvor existierenden Möglichkeiten für antikoloniale und nationalistische Kräfte, sich überregional und über Statusgrenzen hinweg zu vernetzen. In Kapitel 4 Eigensinn (S. 223-251) werden die nationalistischen Kooperationen, die während des Krieges begannen, noch genauer betrachtet. An dieser Stelle interessieren die beabsichtigte Propaganda und die Vorstellungen, die von deutscher Seite damit verbunden waren. Waly ist nur ein Beispiel innerhalb eines Netzes unterschiedlicher Informationsträger, die vor allem kontinuierlich die arabische Presse observierten und selbst unter Beobachtung standen. Die Kritik eines Artikels Walys über »Vergangenheit und Gegenwart des Islams«, der zunächst auf Arabisch in der Gefangenenzeitung El Dschihad erschien und dann in Konstantinopel in der Zeitung El-Adl veröffentlicht werden sollte, verdeutlicht dies.282 Der Text nahm eine klare Einteilung in Freund und Feind vor: »Die Gelegenheit ist günstig. Unsere Feinde kämpfen einen Weltkrieg aus, der sie völlig in Anspruch nimmt. Darum wollen wir den Moment ergreifen und uns erheben, um die Länder des Islam wiederzugewinnen.«283 Er beinhaltete also einen propagandistischen Aufruf entsprechend der lancierten Idee eines »Heiligen Krieges«. Schabinger kommentierte den Artikel und merkte an: »Vorliegendes Schreiben ergeht auf ausdrückliche Bitte des Verfassers, wiewohl 277 Nachlass Höpp, Kiste 07.10. Vgl. Schmid, Das Berliner Seminar für Orientalische Sprachen in der Weimarer Republik, S. 55. 278 Höpp, Gerhard: Texte aus der Fremde. Arabische politische Publizistik in Deutschland, 1896-1945. Eine Bibliographie, Berlin: Das Arabische Buch 2000, S. 10. Abu’l-Fadl stammte aus dem Higaz und kam 1915 als Offizier der osmanischen Armee nach Deutschland. 279 Der in Tunesien geborene algerische Religionsgelehrte setzte sich für die Unabhängigkeit Algeriens und Tunesiens ein. Er kam 1914 nach Berlin und zur NfO und migrierte 1918 in die Schweiz, wo er starb. Zur Person und weiteren Literaturangaben vgl. Höpp, Texte aus der Fremde, S. 80. 280 Abd al-Aziz al-Schauisch (eigentlich Djauwisch) war ein ägyptischer Religionsgelehrter, der unter anderem in Oxford als Professor für arabische Sprachen arbeitete. Er kam 1915 nach Deutschland und war von 1919 bis 1922 Vorsitzender der deutschen Sektion der Ägyptischen Nationalpartei (zu dieser Organisation vgl. Kap. 4 Eigensinn, S. 226ff.). Vgl. Höpp, Texte aus der Fremde, S. 84f. 281 Höpp, Texte aus der Fremde, S. 10. Sowie Gesemann, Höpp, »Araber in Berlin«, S. 14f. 282 Schreiben Schabinger an von Wesendonk vom 27.07.1915, darin: Waly, Ahmed: »Vergangenheit und Gegenwart des Islams«, in: PA-AA, R 1510. 283 Ebd.

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ich nicht verschweigen kann, dass der Artikel besonders Wichtiges nicht weiter enthält […].«284 Ahmed Waly war bis Anfang der 1930er Jahre am SOS tätig. Er versuchte zwischenzeitlich, sich als Arzt niederzulassen, und verließ dann 1931 das Land. Sein in Berlin geborener Sohn Mustafa Waly lernte Tontechnik und arbeitete in der Filmbranche. Er war Mitte der 1930er Jahre maßgeblich am Aufbau der Filmindustrie in Kairo beteiligt.285 Mohammed Bel-Arbi wiederum bemühte sich nach dem Ersten Weltkrieg, nach Marokko zurückzukehren. Laut Weller286 , einem Indologen und Mitarbeiter der NfO, hatte Bel-Arbi »während seiner fast 2 jährigen Tätigkeit im Halbmondlager stets reges Interesse und dankenswerten Fleiß gezeigt«287 . Über die Gründe Bel-Arbis für seine zeitnahe Abreise ist weiter nichts bekannt. Allerdings beklagte er sich in einem Schreiben an das Auswärtige Amt darüber, dass er weniger Lohn als seine deutschen Kollegen erhalte und insgesamt über weniger Rechte verfüge. Wie er es selbst ausdrückte: »Denn die Regierung hat einem Teil von ihnen [i.e. den deutschen Kollegen] aufgebessert und den Angehörigen ihres Landes Rechte gegeben, die Fremden aber bei Seite gelassen, ohne Recht.«288 Die deutsche Propaganda des Ersten Weltkriegs, die darauf abzielte, muslimische Soldaten zum Überlaufen zu bewegen, wurde in der Zwischenkriegszeit nicht weitergeführt. Dennoch ließ das Auswärtige Amt die im Krieg »deutschlandfreundlich« tätigen Mitarbeiter der NfO ungern gehen. Zugleich drohten ihnen Verfolgung und Restriktionen. Eine Vielzahl von Einreisegesuchen von NfOMitarbeitern in ihre Herkunftsländer wurde vonseiten der französischen bzw. der britischen Kolonialmacht abgelehnt, weil ihre Aktivitäten in Deutschland zur Zeit des Krieges als Verrat betrachtet wurden. Ähnlich erging es einer Reihe arabischer Nationalisten, die sich in Deutschland für ihr politisches Anliegen engagierten, zum Beispiel Rabah Bukabuya und Salih al-Scharif al-Tunisi. Rabah Bukabuya,289 der aus einer Notablenfamilie in Constantine in Algerien stammte und Oberstleutnant der französischen Armee war, desertierte 1915. Als Grund dafür gab er einen rassistischen Vorfall an.290 Er schloss sich dem deutschen 284 Ebd. 285 Gesemann, Höpp, »Araber in Berlin«, S. 34f. 286 Es handelt sich vermutlich um Friedrich Weller, 1889-1980. S. Wokoeck, German Orientalism, S. 272. 287 Nachlass Höpp, Kiste 06.04., Schreiben Weller, 20.03.1917. 288 Schreiben Bel-Arbi an Mittwoch vom 11.09.1920, in: GStArch, zitiert nach Schmid, Das Berliner Seminar für Orientalische Sprachen in der Weimarer Republik, S. 57. 289 Autobiografische Angaben zu seiner Person finden sich in Bukabuya-Raba: Kriegseindrücke eines mohammedanischen Offiziers der französischen Armee, Berlin: Nachrichtenstelle für den Orient 1915, siehe auch Müller, Islam, ğihād (»Heiliger Krieg«) und Deutsches Reich, S. 292ff., sowie zu seiner Desertion aus der französischen Armee siehe Meynier, L’Algérie révélée, S. 408ff. 290 Meynier, Gilbert: »Les Algériens dans l’Armée française, 1914-1918«, in: Höpp, Reinwald, Fremdeinsätze, S. 35-56, S. 41.

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Heer an und beteiligte sich unter dem Pseudonym El Hadj Abdallah als Mitarbeiter der NfO an der Kriegspropaganda.291 Seine Schriften müssen einen gewissen Einfluss gehabt haben, da sich die Gegenseite bemüßigt sah, Gegendarstellungen zu seinem Werk L’Islam Dans L’Armée Francaise in gedruckter Form zu verbreiten.292 Höpp führt ein Geheimpapier an, das auf eine vom Auswärtigen Amt gezahlte Abfindung und eine geplante Abschiebung nach Ägypten hinwies.293 Jedoch wurde Bukabuya dort an der Grenze abgewiesen und kam zurück nach Deutschland.294 Über seinen weiteren Verbleib ist nichts bekannt, allerdings findet sich in der Berliner Arbeitslosenstatistik des Jahres 1940 ein Vermerk, dass Bukabuya erwerbslos gemeldet war.295 Auch Salih al-Scharif al-Tunisi (1869-1920) erfreute sich gegen Ende des Ersten Weltkrieges eines gewissen Bekanntheitsgrades.296 Der Kommandeur der 6. Armee, Kronprinz Rupprecht von Bayern, berichtete über den Tunesier und dessen Propagandatätigkeiten.297 1919, ein Jahr vor seinem Tod, veröffentlichte der tunesische Nationalist im Berliner Verlag für Sozialwissenschaften einen Aufruf zur Befreiung der kolonisierten Völker in Asien und Afrika.298 Eugen Mittwoch, zu der Zeit Leiter der NfO, versuchte 1916 die »Berufung eines mohammedanischen Gelehrten nach Berlin« beim Kultusministerium durchzusetzen.299 Das seinem Antrag beigefügte Memorandum listete die Vorzüge der durch islamische Gelehrte vermittelten »islamischen Disziplinen« auf, mit dem Ziel, jungen Orientalisten »intime Kenntnisse islamischer Dinge« zu vermitteln.300 Die Hervorhebung eines »wahren Islam«, der von muslimischen Gelehrten vermittelt werde, wurde von Mittwoch wiederum primär für wissenschaftliche Zwecke wie die Übersetzung von Koran und Hadith oder die Interpretation schwieriger Textpassagen anvisiert. Die Anstellung sollte am SOS oder dem Hamburger Kolonialinstitut erfolgen. Sowohl der von Mittwoch in dem Schreiben benannte al-Scharif al-Tunisi wie auch al-Schauisch erhielten jedoch keine derartige Anstellung.301

291 Höpp, Texte aus der Fremde, S. 29. 292 Boumezraq El-Quennoughi, Mokrani, Abderrahmane, Katrandji (Übersetzer): L’Islam Dans L’Armée Francaise. Traduction, o. O. [um 1917]. 293 Höpp, »Frontenwechsel«, S. 136. 294 Höpp, Muslime in der Mark, S. 154. 295 Höpp, Texte aus der Fremde, S. 29. 296 Zu seiner Person vgl. Müller, Islam, ğihād (»Heiliger Krieg«) und Deutsches Reich, S. 270ff. 297 Bayern, Kronprinz Ruprecht von: Mein Kriegstagebuch, hg. v. Frauenholz, Eugen von, Berlin: Mittler 1929, S. 277f. 298 Vgl. Höpp, Texte aus der Fremde, S. 83. 299 Nachlass Höpp, Kiste 06.04., Schreiben Mittwoch an Ministerialdirektor Dr. Schmidt, 27.04.1916. 300 Ebd. 301 Bei Mittwoch Saleh asch-Scherif [al-Tunisi] und Abdul Aziz Tschawisch geschrieben. Ebd.

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Während des Krieges bemühten sich das Auswärtige Amt und ihm angegliederte Stellen im Einklang mit der dargestellten Propaganda, eine positive Sicht auf den Islam und Muslim_innen in ihren unterschiedlichen Herkunftskontexten zu popularisieren. Die Moschee in Wünsdorf und die mit ihr zusammenhängenden öffentlichen Inszenierungen islamischen Lebens in Deutschland waren Teil dieser Bemühungen. Diese Moschee in einem Gefangenenlager wurde über das Kriegsende hinaus als geweihter Ort für die religiöse Praxis genutzt. Sie stand bis circa 1930 und wurde in den 1920er Jahren von unterschiedlichen Gruppen frequentiert.302 Der Umgang mit den zu revolutionierenden Muslimen war jedoch ambivalent. Schon während des Krieges gab es eine bildreiche Propaganda, die sich direkt gegen Schwarze Kolonialsoldaten wandte. Der Versuch, den Islam zu Kriegszwecken positiv zu präsentieren, wurde dementsprechend von Negativdarstellungen von Muslimen unterlaufen. Der »Große Krieg der weißen Männer«303 war empfindlich gestört. Aus der weitverbreiteten Sicht Hindenburgs gefährdeten »schwarze Wellen«304 Europa. Das dementsprechend konstruierte Feindbild außereuropäischer, insbesondere Schwarzer Kolonialsoldaten widersprach der Revolutionierung von Muslimen, die mehrheitlich eben genau dieser Gruppe angehörten. Man hatte sich mit akademisch wohlwollender Unterstützung so sehr in komplexe Freund-Feind-Schemata verstrickt, dass die Instrumentalisierung des Islam und damit die Propaganda zum »Djihad« aus Sicht der Initiatoren sowohl unter den in deutschen Lagern internierten Gefangenen als auch unmittelbar an der Kriegsfront im Großen und Ganzen fehlschlug.305 Gab es gegenüber den Kriegsgefangenen im Halbmondlager eine paternalistisch-orientalisierende Bebilderung und entsprechende Umgangsweisen, herrschten im durch französische Truppen besetzten Rheinland der Nachkriegszeit andere Verhältnisse. Deutschland hatte den Krieg verloren und der Versailler Vertrag regelte die Nachkriegsordnung, die wiederum durch die Präsenz von Kolonialsoldaten, darunter viele arabischer bzw. nordafrikanischer Herkunft, geprägt war. Im

302 Höpp, Gerhard: »Die Wünsdorfer Moschee: Eine Episode islamischen Lebens in Deutschland, 1915-1930«, in: Die Welt des Islams 36 (07/1996), Nr. 2, S. 204-218. 303 Frei nach dem Romanzyklus von Arnold Zweig. 304 Vollständig heißt es bei Hindenburg: »Wo Panzerwagen fehlten, hatte der Gegner uns schwarze Wellen entgegengetrieben, Wellen aus afrikanischen Menschenleibern.« Hindenburg, Paul von: Aus meinem Leben. Illustrierte Volksausgabe, Leipzig: S. Hirzel Verlag 1934, S. 274. Vgl. Maß, Sandra: »Das Trauma des weißen Mannes. Afrikanische Kolonialsoldaten in propagandistischen Texten, 1914-1923«, in: L’Homme 12 (2001), Nr. 1, S. 11-33, S. 28f. 305 Hagen, Die Türkei im Ersten Weltkrieg, S. 6ff., vgl. auch Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 127. Die angegebenen Zahlen der Überläufer sind vage und variieren. Während Höpp von circa 2.000 Überläufern spricht, die sich in das türkische Heer begeben haben sollen (Höpp, »Frontenwechsel«, S. 135), geht Kahleyss von circa 1.800 Überläufern allein aus dem Wünsdorfer Gefangenenlager aus, Kahleyss, Muslime in Brandenburg, S. 26.

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Folgenden wird gezeigt, dass es zwei rassifizierende Diskurse gab, einen orientalisierenden und einen afrikanisierenden, die sich gegenseitig überlagerten.

Rheinland Die Rheinlandbesetzung nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ist als Teil der Schwarzen deutschen Geschichte mittlerweile in Bezug auf Kolonialismus, Nation, Rassifizierung und Geschlecht analysiert worden.306 Wie die entsprechenden Studien zeigen, hörten die Kämpfe und Auseinandersetzungen um politische und militärische Vorherrschaft in Europa und den Kolonialgebieten nach dem Krieg nicht auf. Ein Teil der Nachkriegsregelungen, die zwischen den Siegermächten und dem Kriegsverlierer Deutschland die Kriegsschuldfrage anhand konkreter Wiedergutmachungen vonseiten des Kaiserreichs festlegten, betraf das Rheinland. Ein spezielles Abkommen, das Rheinlandabkommen vom 28. Juni 1919, verfügte in Bezugnahme auf den Versailler Vertrag, »die militärische Besetzung der Rheinlande« nach Kriegsende fortzuführen.307 Die Zahl der Kolonialsoldaten in den französischen Truppen, die das Rheinland besetzt hielten, variierte von 1919 bis 1921 zwischen 30.000 und 40.000 Männern, anderen zeitgenössischen Angaben zufolge zwischen 20.000 und 25.000.308 Diese in sich differenten Truppen hatten etwas gemein: Sie entstanden in einem kolonialen Zusammenhang und wurden von Frankreich zur Aufstockung der eigenen Streitkräfte rekrutiert.309 Mit Versprechungen wurden insbesondere Soldaten aus ärmeren Schichten angeworben. Es gab aber auch Zwangsmaßnahmen und 1921 wurde die Wehrpflicht in einigen französischen Kolonien eingeführt.310 Im besetzten Rheinland waren vor allem algerische, marokkanische, senegalesische, madagassische und vietnamesische Soldaten stationiert.311 Diese Schwarzen Truppen sorgten für eine starke mediale Gegenwehr von deutscher, aber auch von in-

306 Campt, Other Germans, El-Tayeb, Schwarze Deutsche, Grosse, Kolonialismus, Eugenik und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland 1850-1918, Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, Wigger, Die »Schwarze Schmach am Rhein«. 307 Das Rheinlandabkommen und die Ordonnanzen der Interalliierten Rheinlandkommission in Coblenz (Nr. 1-257, in Französisch und Deutsch), Berlin: Heymanns 1924, S. 5-9, S. 5, in: Nachlass Höpp, Kiste 06.04. 308 Wigger führt die unterschiedlichen Angaben auch auf die Jahreszeiten zurück. Vgl. Wigger, Die »Schwarze Schmach am Rhein«, S. 9f., sowie ebd. Fn.3. Vgl. auch Höpp, »Die Schuldigkeit des Mohren«, S. 192. Höpp geht von bis zu 45.000 Kolonialsoldaten aus und benennt verschiedene Truppenstärken zu unterschiedlichen Zeiten. 309 Ageron, Charles-Robert: Les Algériens musulmans et la France, 1871-1919, Bd. 2, Paris: Presses Universitaires de France 1968, Michel, Marc: L’Appel à L’Afrique. Contributions et réactions à l’effort de guerre en A.O.F. 1914-1919, Paris: Publications de la Sorbonne 1982, Meynier, L’Algérie révélée. 310 Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, S. 78f., Fn. 32. 311 Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 90.

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ternationaler Seite. Die von deutscher Seite aus gesteuerte Kampagne gegen die sogenannte Schwarze Schmach hatte ab April 1920 eine verstärkte Öffentlichkeitswirksamkeit.312 Diesen ersten Höhepunkt erreichte die Kampagne in Reaktion auf Schüsse, die im April 1920 von einer Gruppe marokkanischer Soldaten auf Frankfurter Demonstrierende abgefeuert worden waren.313 Tatsächlich entfachte ein im englischen Daily Herald erschienener Leitartikel von Edmund Dene Morel314 mit dem Titel »Black Scourge in Europe« eine Diskussion, die sich bis in Debatten des Reichstags ausweitete und extreme rassistische und sexistische Formen annahm. Sechs DNVP-Abgeordnete bezogen sich in einer Anfrage direkt auf Morels Artikel.315 Die sich ausweitende Kritik monierte, dass Schwarze Truppen Macht über eine Weiße Bevölkerung ausübten. Mit Argumenten, die dem Diskurs zur Akklimatisierungsfrage entlehnt waren, wurden Anfang Juni 1920 die westafrikanischen und ein Jahr später die ostafrikanischen Truppenkontingente abgezogen.316 Ob der Abzug der überwiegend senegalesischen Truppenkontingente als Reaktion auf die sich international ausweitende Hetzkampagne stattfand und Frankreich die Kolonialtruppen primär aus diesem Grund nach Syrien verlegte, muss an dieser Stelle offenbleiben.317 Während der 1920er Jahre wurden fortlaufend koloniale Truppenkontingente abgebaut: 1925 kamen nach der Unterzeichnung des LocarnoVertrages weitere koloniale Regimenter nach Syrien und Marokko, wie es heißt, zur Widerstandsbekämpfung.318 1927 waren noch circa 2.000, 1929 noch um die 1.000 Kolonialsoldaten im Rheinland stationiert.319 Galt der Versailler Vertrag in weiten Teilen der deutschen politischen Öffentlichkeit als ungerechtfertigtes Diktat, wurde die Besatzung durch Schwarze Soldaten noch als Steigerung der Unterwerfung des gesamten deutschen Volkes angesehen. Schon nach dem Waffenstillstand von 1918 hatte eine Delegation deutscher Friedensunterhändler die Möglichkeit einer Besatzung durch »farbige Truppen« heftig kritisiert.320 Die »Schwarze Schmach«, verstanden als ein Akt der »französi-

312 313 314

Lebzelter, »Die ›Schwarze Schmach‹«, S. 207. Vgl. Lebzelter, »Die ›Schwarze Schmach‹«, S. 38. Reinders, Robert C.: »Racialism on the Left. E.D. Morel and the ›Black Horror on the Rhine‹«, in: International Review of Social History 13 (1968), S. 1-28. 315 Nachlass Höpp, Kiste 06.04. 316 Lauter, Anna-Monika: Sicherheit und Reparationen. Die französische Öffentlichkeit, der Rhein und die Ruhr (1919-1923), Essen: Klartext 2006. Vgl. auch Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 237f., sowie zur Akklimatisierungsfrage Grosse, Kolonialismus, Eugenik und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland 1850-1918, S. 53-95. 317 Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, S. 80, Le Naour, La Honte, S. 80f. 318 Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, S. 80. Höpp verbindet den Abzug weiterer Kolonialtruppen aus dem Rheinland mit dem französischen Krieg gegen die Rif-Republik Abdelkrims. Vgl. Höpp, »Die Schuldigkeit des Mohren«, S. 193. 319 Wigger, Die »Schwarze Schmach am Rhein«, S. 23. 320 Lebzelter, »Die ›Schwarze Schmach‹«, S. 37.

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schen Gewaltherrschaft«, wurde von allen Parteien mit Ausnahme der USPD und der KPD mit Protesten bedacht. Institutionen und Vereine, darunter das Auswärtige Amt, der Reichsheimatdienst, die Rheinische Volkspflege, die Rheinische Frauenliga und die Pfalzzentrale, beteiligten sich an der Kritik.321 Die Kampagne als solche ebbte zwischenzeitlich zwar immer wieder ab, verstummte aber während der Besatzung nie gänzlich und lässt sich in ihren Grundzügen bis in die Zeit des Nationalsozialismus hinein verfolgen. Kritische Studien haben den Stellenwert der Kampagne in der deutschen Nachkriegsöffentlichkeit und im Rahmen der Schwarzen deutschen Geschichte analysiert und sie als Kompensation für den Zusammenbruch von Institutionen, die militärische Niederlage, den generellen Wertewandel und die damit einhergehenden national(istisch)en Ängste interpretiert.322 Der Kolonialsoldat, auf den die männlichen Traumata des Krieges projiziert wurden, galt in diesem Zusammenhang als Symbol der Niederlage.323 Nach dieser Lesart, gemäß der die kollektive Kränkung in der Kampagne gegen die sogenannte Schwarze Schmach kulminierte, wurde das unterlegene Kaiserreich sinnbildlich mit der Weißen deutschen Frau gleichgesetzt, die vermeintlich permanent Gefahr lief, von Kolonialsoldaten vergewaltigt zu werden. Damit konnten in dieses nationale Narrativ »sowohl die männlichen Traumata des Krieges als auch die traumatische Deutung der Niederlage eingeschrieben« werden.324 Im Folgenden soll insbesondere untersucht werden, inwieweit sich diese Kampagne auch auf Kolonialsoldaten arabischer Herkunft bezog, und inwiefern sie sich auf andere Menschen arabischer Herkunft in Deutschland auswirkte. Welche Bedeutung hat die damalige Präsenz großer Kontingente von Soldaten marokkanischer, algerischer, tunesischer sowie ägyptischer Herkunft im Kontext einer arabisch-deutschen Geschichte? Lassen sich individuelle Zeugnisse finden, die über die Kriegszusammenhänge hinausgehen?

Rassifizierte Ordnungen Der kolonial-orientalistische Zusammenhang zeigt sich auch darin, dass arabische Soldaten im Rahmen der rassistischen Kampagne als Teil Schwarzer Truppen angefeindet wurden. Die Besatzung des Rheinlands unter anderem durch Schwarze Soldaten wurde dabei, wie mehrfach erwähnt, als Zerstörung der »weißen Vorherrschaft« imaginiert.325 Die kolonial-orientalistische Ordnung innerhalb der Metropole war zerstört, aber auch der zuvor unternommene Versuch einer Propaganda

321 322 323 324 325

Wigger, Die »Schwarze Schmach am Rhein«, S. 11. Campt, Grosse, Lemke-Muniz de Faria, »Blacks, Germans«, S. 209f. Vgl. auch Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, S. 21. Ebd., S. 21, Vgl. Campt, Grosse, Lemke-Muniz de Faria, »Blacks, Germans«, S. 205-229. Lebzelter, »Die ›Schwarze Schmach‹«, S. 41.

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

unter muslimischen Kriegsgefangenen – ihrerseits auch Kolonialsoldaten – spielte nun keine Rolle mehr. Jean-Yves Le Naour diskutiert die ambivalente Haltung des französischen Militärs und der französischen Regierung gegenüber den Schwarzen Soldaten, die – je nach politischer Direktive – versuchten, West- und Nordafrikaner gegeneinander auszuspielen. Er kommt zu dem Schluss, dass es keinen gravierenden Unterschied zwischen den rassistischen Diskursen gegenüber beiden Gruppen gab: […] le discours tenu à l’égard des tirailleurs nord-africains est le même que celui concernant les Noirs: ce sont des enfants absolument étrangers aux passions sexuelles, ils sont naïfs et attachés à leur mère avec ›un amour de gosses‹.326 Zwei Merkmale der Kampagne gegen die »Schwarze Schmach« wurden auf die recht heterogene Gruppe der arabischen und vorwiegend westafrikanischen Kolonialsoldaten angewandt: die Infantilisierung der Männer und die ihnen zugeschriebene erhöhte sexuelle Triebhaftigkeit. Die Kampagne wurde auch nach dem Abzug der senegalesischen Truppenkontingente fortgesetzt – ein Hinweis darauf, dass sich die rassistische Hetze nicht nur gegen westafrikanische »tirailleurs sénegalais«, sondern auch gegen Soldaten aus Nordafrika richtete.327 Der patriarchale Diskurs gegenüber Weißen deutschen Frauen und der rassistische Diskurs gegenüber Schwarzen, darunter arabischen Kolonialsoldaten hingen zusammen. Iris Wigger hat in ihrer Studie umfassend dargestellt, dass die Weiße Frau im Kontext der »Schwarze Schmach«-Kampagne als Grenzmarkierung diente, insofern sie die »Reinheit« des »Volkskörpers« symbolisierte. Ließ sie sich mit Schwarzen Soldaten ein, wurde dies als »Rassenschande« und als Verrat am deutschen »Volk« stigmatisiert.328 Wiederholt wird in der Literatur auf den integrativen Charakter der »Schwarzen Schmach«-Kampagne verwiesen: Die politische Ordnung war zerstört und es bedurfte neuer Formen der Identitätsstiftung und des Zusammengehörigkeitsgefühls.329 Die bekannte Metaphorik, in der die Frau symbolhaft für die Nation stand, fand in höchst sexualisierten und rassenhygienischen Debatten, die die Kampagne begleiteten, ihre Ausprägung. Die Verknüpfung rassistischer und sexistischer Ausdrucksweisen wurden schon in den ersten Zeitungsartikeln, die der Kampagne zugerechnet werden können,330 wie auch in einer Reichstagsdebatte zum Thema im Mai 1920 deutlich, die in der Forschung 326 327 328 329 330

Le Naour, La honte noire, S. 173. Ebd., S. 80f. Wigger, Die »Schwarze Schmach am Rhein«, S. 118. Lebzelter, »Die ›Schwarze Schmach‹«, S. 48, Wigger, Die »Schwarze Schmach am Rhein«, S. 20. Nachlass Höpp, Kiste 06.04. Darin zum Beispiel »Farbige Truppen in Düsseldorf«, in: Vossische Zeitung vom 31.01.1919, Morgenausgabe, »Kolonialtruppen im Elsaß?«, in: Germania v. 21.03.1919, Abendausgabe, »Im besetzten Gebiet«, in: Kieler Zeitung vom 15.01.1919, Abendausgabe.

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bereits eingehend analysiert worden ist.331 Nachdem bereits der Versailler Vertrag als »Vergewaltigung« des »deutschen Volkes« beschrieben worden war, galten nun die von der Kampagne behauptete Gewalt Schwarzer Kolonialsoldaten gegenüber Weißen Frauen als Steigerung und personifizierte Durchführung dieser Vergewaltigung. Christian Koller wies in seiner umfassenden Quellenstudie nach, dass sich keine vermehrten Übergriffe von Kolonialsoldaten auf die deutsche Zivilbevölkerung nachweisen ließen.332 Aber die meisten Zeitungsartikel, Pamphlete und Hetzschriften stellten genau diese Behauptung auf. Die Kolonialsoldaten wurden als animalische, wollüstige Kreaturen diffamiert, denen unter anderem auch Anthropophagie zugeschrieben wurde.333 Plakate, welche die »Schwarze Schmach« visualisieren sollten, bildeten hauptsächlich Kolonialsoldaten ab, die rassistische Stereotype des »(West)Afrikaners« reproduzierten. Pamphlete und andere Hetzschriften wandten sich jedoch gegen unterschiedliche Gruppen: Als Feindbilder traten Marokkaner und allgemein auch »Araber« in Erscheinung, etwa in Guido Kreutzers Roman Die Schwarze Schmach, in dem die Rede von »Halb-Arabern«334 sowie von »Marokkanern« war, die mit »schwarzen Raben Allahs« verglichen wurden.335 Zwar wurden einige dieser Schriften von den Besatzungsbehörden verboten,336 jedoch wirkten sie auf breiter Ebene. Und es gab eine weitere mediale Wirksamkeit, zum Beispiel im Bereich des Films. Einen Monat nach der Erstausgabe von Kreutzers Roman wurde der Film »Die Schwarze Schmach« öffentlichkeitswirksam uraufgeführt.337 Auf politischer Ebene bildeten sich unterschiedliche Fraktionen, die die Situation im Rheinland und die Reaktionen darauf debattierten. Die bereits erwähnte Parlamentsdebatte vom 20. Mai 1920 reagierte auf eine Interpellation zum Thema »farbige Truppen in den besetzten Gebieten«338 . Mehrere Abgeordnete, darunter 331

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Nachlass Höpp, Kiste 06.04, Nationalversammlung. – 177. und 178. Sitzung. Donnerstag, den 20.05.1920, Interpellation Löbe: farbige Truppen in den besetzten Gebieten (Nr. 2995 der Anlagen), S. 5689-5697. Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 203. Ein Karikaturbeispiel aus dem Simplicissimus zu diesem Thema findet sich ebd., S. 102. Bezeichnenderweise tauchte dieser Vorwurf auch innerhalb der linken französischen Propaganda gegen die Rheinlandbesetzung auf. Vgl. Le Naour, La honte noire, S. 82. Kreutzer, Guido: Die Schwarze Schmach. Der Roman des geschändeten Deutschland, Leipzig: Leipziger Graphische Werke 1921, S. 204. Kreutzer, Die Schwarze Schmach, S. 145, S. 171 sowie S. 191f. Vgl. Wigger, Die »Schwarze Schmach am Rhein«, S. 67ff., Nagl, »›Die Wacht am Rhein‹«, S. 143. Nagl geht nicht auf die wiederkehrende Einsetzung des Stereotyps des marokkanischen Vergewaltigers ein. Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 264, Fn. 10. Nagl, Tobias: Die unheimliche Maschine. Rasse und Repräsentation im Weimarer Kino, München: edition text & kritik 2009, S. 169ff. Nachlass Höpp, Kiste 06.04., Nationalversammlung. – 177. und 178. Sitzung. Donnerstag, den 20.05.1920, Interpellation Löbe: farbige Truppen in den besetzten Gebieten (Nr. 2995 der Anlagen), S. 5689-5697.

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

die Eröffnungsrednerin Elisabeth Röhl (SPD), betonten, »daß wir uns nicht gegen den Schwarzen Menschen als solchen wenden«.339 Nichtsdestotrotz beschrieb auch Röhl ausführlich die vermeintlichen Gefahren, die Frauen und Mädchen, aber auch der Jugend insgesamt von Schwarzen Kolonialsoldaten drohten, um dann wiederum die Schuld daran den Alliierten zu geben: Aber wir sind klug genug, um zu wissen, daß Sitten und Gebräuche bei uns im Abendlande, daß die Kultur und die Moral des Abendlandes sich sehr unterscheidet von den Sitten und Gebräuchen der Araber, der Marokkaner, der Senegalesen und der vielen anderen Völker, die hier Verwendung finden. […] Aber, geehrte Versammlung, wir wenden uns deshalb gegen Frankreich und Belgien: diese beiden Mächte sind schuldig und werden schuldig an den Vergehen, an den Verbrechen, die sich die Farbigen an uns zu schulden kommen lassen.«340 Dies sind die gleichen Töne, die von Frobenius und anderen während des Weltkrieges bekannt waren. Das Argument lautete auch hier, dass die Soldaten selbst nichts für ihren Einsatz könnten, die »französische Kulturnation« sei an dieser Stelle zu rügen.341 Einzig Luise Zietz, eine Abgeordnete der USPD, verwies auf die allgemeine Gewalttätigkeit von Soldaten und sprach sich dagegen aus, speziell Schwarze Soldaten verantwortlich zu machen. Sie warnte in ihren – retrospektiv für ihre Voraussicht bemerkenswerten – Ausführungen vor »Rassen- und Völkerhaß«, kritisierte in diesem Zusammenhang auch die Demagogie gegen Juden sowie die deutsche Kolonialpolitik. Diese Position blieb jedoch eine Ausnahme. Das zeigt sich im weiteren Verlauf der Debatte, die lautstark gegen Zietz anging und an deren Ende eine an die Reichsregierung gerichtete Interpellation der Nationalversammlung verabschiedet wurde, die sich strikt gegen die Besatzung durch Schwarze Soldaten wendete.342 Im Zuge der Rassifizierungen im Rahmen der »Schwarzen Schmach«-Kampagne kam es zu Verallgemeinerungen und Spezifizierungen. So notierte die Leipziger Tageszeitung: »Ob diese Wilden nun ganz schwarz, oder dunkelbraun oder gelb sind, macht keinen Unterschied. Das Prestige der europäischen Kulturgemeinschaft ist in Gefahr.«343 Die Bezeichnung der Soldaten als Senegalesen, Marokkaner, Algerier, Madagassen, Vietnamesen (»Anamiten«) etc. war willkürlich. Häufig wurden die Soldaten unabhängig von ihrer tatsächlichen Herkunft

339 Ebd. 340 Nachlass Höpp, Kiste 06.04., Nationalversammlung. – 177. und 178. Sitzung. Donnerstag, den 20.05.1920, Interpellation Löbe: farbige Truppen in den besetzten Gebieten (Nr. 2995 der Anlagen), S. 5689-5697, S. 5691f. 341 Ebd., S. 5696. 342 Nachlass Höpp, Kiste 06.04., Nationalversammlung. – 177. und 178. Sitzung. Donnerstag, den 20.05.1920, Interpellation Löbe: farbige Truppen in den besetzten Gebieten (Nr. 2995 der Anlagen), S. 5689-5697. Vgl. Wigger, Die »Schwarze Schmach am Rhein«, S. 12, besonders Fn. 19. 343 Leipziger Tageszeitung vom 21.05.1921, zitiert nach Campt, Other Germans, S. 242, Fn. 45.

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einfach Marokkaner genannt. Besonders in der Trivialliteratur taucht diese Verallgemeinerung immer wieder auf.344 Die eugenische Ausrichtung der Kampagne zeigte sich in einer Pathologisierung und damit verbundenen fortwährenden Sexualisierung der Kolonialsoldaten und ihrer Beziehung zu Weißen Frauen.345 In diesem Zusammenhang tauchten auch Bilder der Seuchengefahr auf. So hieß es, marokkanische Soldaten brächten die Syphilis ins Land. In weiteren Szenarien wurde eine »Degeneration« der gesamten deutschen Gesellschaft – oder zumindest der Untergang des Bürgertums – herbeifantasiert.346 Um drei miteinander verbundene Dimensionen rankten sich die Auseinandersetzungen: Nation, Rassifizierung und Gender. Das Rheinland, das in den Verhandlungen zum Versailler Vertrag beinahe Frankreich zugeteilt worden wäre, erhielt im Zuge der Kampagne gegen die »Schwarze Schmach« eine metonymische Bedeutung: Es stand für die geschlagene Nation. In unmittelbarem Zusammenhang mit der »Schwarze Schmach«-Kampagne entfachte sich eine weitere Debatte, und zwar über Kinder aus Beziehungen zwischen Weißen deutschen Frauen und Kolonialsoldaten. Die Diffamierung der Kinder als »Rheinlandbastarde« weist Einflüsse und Kontinuitäten rassistischen bzw. eugenischen Denkens auf, das im Nationalsozialismus seinen Kulminationspunkt fand.347 Die Markierung eines Schwarzen Stigmas übertrug sich auf die Kinder der Kolonialsoldaten und schuf damit – nicht nur in rechten Kreisen – einen andauernden Bezug zur »Schwarzen Schmach«.348 1923 begann die Erfassung Schwarzer deutscher Kinder durch Regierungsstellen.349 Die Ämter fragten offiziell nach »Besatzungskindern«, die Kinder Weißer Soldaten wurden jedoch nicht registriert.350 Zum Teil tauchten auch Schwarze deutsche Kinder in den Statistiken auf, deren Väter nicht den Besatzungstruppen angehörten.351 Bereits ein Jahr zuvor forderte Hans F. K. Günther in seiner Rassenkunde des deutschen Volkes, dass Weiße deutsche 344 Wigger, Die »Schwarze Schmach am Rhein«, S. 13f. 345 Klaus Mann gibt in seinen Lebenserinnerungen, »Der Wendepunkt« einen plastischen Eindruck der Hetzkampagne. Er beschreibt den Einfluss der Plakate mit »Schauergeschichten über die farbigen Besatzungstruppen« und schildert den Fall eines Marokkaners, der »angeblich nicht nur Dutzende von Jungfrauen und Knaben vergewaltigt hatte, sondern auch noch – Höhepunkt der Verderbtheit! – eine schmucke Stute […].« Mann, Klaus: Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht, Reinbek: Rowohlt 2006, S. 113. 346 Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, S. 206ff. 347 Höpp, »Die Schuldigkeit des Mohren«, S. 194. 348 Reinders, »Racialism on the Left«. Vgl. zur Kontinuität der Rassifizierung Schwarzer deutscher Kinder: Lemke Muniz de Faria, Yara-Colette: Zwischen Fürsorge und Ausgrenzung. Afrodeutsche »Besatzungskinder« im Nachkriegsdeutschland, Berlin: Metropol 2002. Darin auch ein Rückblick auf diejenigen anthropologischen Studien, die rassistische Theorien der »Rassenmischung« akademisch flankierten: ebd., S. 48-52. 349 Pommerin, Sterilisierung, S. 24ff. 350 El-Tayeb, Schwarze Deutsche, S. 170. 351 Ebd., sowie Pommerin, Sterilisierung, S. 60.

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

Mütter, die von Kolonialsoldaten schwanger waren, abtreiben sollten.352 1927 wurden die Registrierungen umfassender bearbeitet und es wurde öffentlich darüber diskutiert, die als Bedrohung des »Volkskörpers« diffamierten Kinder sterilisieren zu lassen. Ein Zwickauer Amtsarzt hatte schon 1925 zugegeben, 63 dieser Kinder sterilisiert zu haben.353 Zunächst blieb es jedoch von behördlicher Seite bei statistischen Datenerhebungen, die 1934 erneuert und ausgeweitet wurden. Im gleichen Jahr setzte der preußische Minister des Innern die Zahl der als »Mischlinge« stigmatisierten Kinder auf 500 bis 600 an. Besonders bei Kindern marokkanischer Herkunft wurde zu jener Zeit geprüft, ob das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« angewandt werden könnte.354 Das am 1. Januar 1934 in Kraft getretene Gesetz richtete sich zunächst gegen Menschen mit Behinderung, psychisch Kranke sowie weitere als erbkrank definierte Menschen. Das rassistische Moment des Gesetzes wurde dabei nicht explizit definiert, war aber von Beginn an Teil des eugenischen Diskurses und wurde auch vor 1933 schon dementsprechend formuliert.355 Eine Studie des österreichischen Anthropologen und Rassentheoretikers Wolfgang Abel356 diente dann als Basis für eine geheime Aktion der Gestapo im Frühjahr 1937, bei der mehr als 400 der Schwarzen deutschen Kinder und Jugendlichen zwangssterilisiert wurden.357 Auch arabisch-deutsche Kinder, vor allem marokkanisch-deutsche Kinder, zählten zu den Betroffenen. Kinder von Kolonialmigrant_innen wurden zu dieser Zeit noch »ausdrücklich von der Sterilisation ausgenommen«.358 Die Gründe hierfür waren vor allem außen- bzw. kolonialpolitische.359 Ab 1943 wurden auch Kinder von Menschen aus den ehemaligen deutschen Kolonien sterilisiert.360

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Günther, Hans F. K.: Rassenkunde des deutschen Volkes, München: Lehmann 1923, S. 136. Pommerin, Sterilisierung, S. 38, El-Tayeb, Schwarze Deutsche, S. 175. Pommerin, Sterilisierung, S. 58. Bock, Gisela: Zwangssterilisation im Nationalsozialismus – Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik, Opladen: Westdeutscher Verlag 1986, S. 82. Abel, Wolfgang: »Über Europäer-Marokkaner und Europäer-Annamiten-Kreuzungen«, in: Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie 36 (1937), S. 311-329. Pommerin, Die Sterilisierung, S. 78. Grosse, »Zwischen Privatheit und Öffentlichkeit«, S. 102, zitiert nach Pommerin, Die Sterilisierung, S. 63f. Lewerenz, Die Deutsche Afrika-Schau (1935-1940), S. 53, Vgl. EL-Tayeb, Schwarze Deutsche, S. 183ff. Vgl. Lewerenz, Die Deutsche Afrika-Schau (1935-1940), S. 49f. Die unterschiedlichen Phasen kolonialpolitischer Planungen, vor allem die zwischen 1937 und 1942, finden sich bei Linne, Deutschland jenseits des Äquators. Lewerenz, Die Deutsche Afrika-Schau (1935-1940), S. 53f., vgl. Campt, Other Germans, S. 79f., sowie El-Tayeb, Schwarze Deutsche, S. 196-200.

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Biografische Spuren In den Gefangenenlagern des Ersten Weltkriegs wurden auf Personalbögen die Daten alliierter Kolonialsoldaten erfasst, um ihre Herkunft, die »Beschaffenheit« ihrer Stimmen und ihre Sprache zu kategorisieren. Die Aufnahmen sind bis heute im Lautarchiv festgehalten.361 Die Kinder aus den Beziehungen zwischen Weißen deutschen Frauen und mehrheitlich marokkanischen Kolonialsoldaten wurden statistisch erfasst und die entsprechenden Daten in Karteien zusammengefasst. Eine weitere Datensammlung des deutschen Verwaltungsstaates stellten die Akten über straffällig gewordene »Ausländer« dar, genauer: Akten zu Deserteuren und Überläufern aus der französischen Armee, die in den 1920er Jahren entstanden. War es während des Krieges noch Teil der Propaganda, besonders in den Gefangenenlagern von Wünsdorf und Zossen, Kolonialsoldaten zum Überlaufen zu bewegen, gab es in der Zwischenkriegszeit keine spezielle Agitation, aber – trotz der geringen Zahl von Überläufern – ein gesteigertes Interesse deutscher Behörden an entsprechenden Vorkommnissen.362 Die vorliegenden Polizeiakten bilden dabei wiederum ein hegemoniales Archivmaterial, das jedoch auch Hinweise auf Alltag und Netzwerke der genannten Personen enthält. Anhand der Überläufer wird die Doppelstrategie des Auswärtigen Amtes deutlich, das während des Krieges und besonders durch die ihm inkorporierte NfO mehrfach forderte, keine Propaganda gegen Muslime – respektive »Araber« oder auch »Orientalen« – zu unternehmen. Gleichzeitig beteiligte sich das Auswärtige Amt von Beginn an der Kampagne gegen die »Schwarze Schmach«. So unterstützte das Amt Journalist_innen wie zum Beispiel den durch die Kampagne berühmt gewordenen Morel, der von der Behörde Materialien für seine Broschüre Black Horror on the Rhine erhielt.363 Auch der Deutsche Notbund gegen die Schwarze Schmach wurde zeitweilig vom Auswärtigen Amt unterstützt.364 Die Überläufer unterlagen in der Zwischenkriegszeit unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen. Wurden die ersten Deserteure aus der Rheinlandarmee noch den Besatzern überstellt, kam es nach der Ruhrbesetzung vom Januar 1923, bei der französische und belgische Truppen ins Ruhrgebiet einmarschierten, um die linksrheinischen Industrie- und Abbaugebiete zu besetzen und so deutsche Reparationszahlungen zu forcieren,365 zu

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Britta Lange betitelt ein Kapitel überzeugend mit »Gefangene Stimmen.« Vgl. Lange, Die Wiener Forschungen an Kriegsgefangenen 1915-1918. Nachlass Höpp, Kiste 06.04. Vgl. Höpp, »Frontenwechsel«, S. 131. Lebzelter, »Die ›Schwarze Schmach‹«, S. 44, Fn. 19. Der Deutsche Notbund gegen die schwarze Schmach wurde vom auslandsdeutschen Journalisten Heinrich Distler, der schon 1922 der NSDAP beitrat, ins Leben gerufen. Vgl. Nagl, Tobias: »›Die Wacht am Rhein‹«, S. 139. Vgl. Krumreich, Gerd, Schröder, Joachim (Hg.), Der Schatten des Weltkriegs: die Ruhrbesetzung 1923, Essen: Klartext 2004.

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

einem Stopp dieser Praxis.366 Dennoch folgte daraufhin keine bereitwillige Aufnahme der Deserteure. Einzelne Landesregierungen gingen offenbar nicht davon aus, dass »sich die fahnenflüchtigen Muslime ›jemals in Deutschland assimilieren und brauchbare Mitglieder der Volksgemeinschaft werden‹« könnten.367 Bereits Korrespondenzen des Auswärtigen Amtes aus dem Jahr 1919 deuten auf die Schwierigkeit hin, die zum Deutschen Heer übergelaufenen Kollaborateure, die an verschiedenen Propagandaunternehmungen beteiligt waren, in ihre Herkunftsländer zurückzuführen. Gerhard Höpp erläutert hierzu: »Man konnte sie nicht wie die übrigen Kriegsgefangenen ohne weiteres repatriieren […]. Da Einbürgerungen für ›Farbige‹ nicht vorgesehen waren, wurden die muslimischen Überläufer nach finanzieller ›Abfindung‹ in der Regel abgeschoben.«368 Eugen Mittwoch, ab Anfang 1916 Leiter der NfO und ab 1920 kommissarischer Leiter des SOS, war es, der nach dem Krieg Überlegungen zu einer finanziellen Abfindung der Überläufer anstellte. Er schlug dem Auswärtigen Amt vor, die »indische Frage« wie auch die der »Afghanen, Ägypter und Araber« durch finanzielle Abfindungen zu lösen.369 Nach der damaligen Rechtsprechung straffällig gewordene Kolonialsoldaten wurden erkennungsdienstlich erfasst.370 Die Diskussion zu dieser relativ kleinen Gruppe von Menschen zeigt, wie unterschiedlich und ambivalent der Umgang mit Personen arabischer Herkunft im Kaiserreich und der Weimarer Republik war. Im Kaiserreich wurde zwischen Menschen aus den formellen deutschen Kolonialgebieten und anderen außereuropäischen Zuwandernden streng unterschieden. Die Einbürgerung Schwarzer Menschen wiederum war prinzipiell nicht vorgesehen: »The invention of a national myth accordingly did not concentrate on an actually shared cultural and political history, but on an idealized German ›spirit‹, passed on not by nationality or culture but by blood.«371 Wie die Akten zu den erkennungsdienstlich erfassten Deserteuren zeigen, spielte dies auch schon eine Rolle bezüglich des schieren Aufenthalts der ehemaligen Soldaten im Deutschen Reich. Und in all diesen Zusammenhängen spielte der soziale Status der Personen eine große Rolle. Desertionen von Kolonialsoldaten aus den Besatzungstruppen im Rheinland geschahen unter ganz anderen Voraussetzungen als die Desertionen namhafter Nationalisten während des Ersten Weltkriegs, wie die des zuvor erwähnten Bukabuya. Die Überläufer im Rheinland waren nicht Kolonialsoldaten, die auf »höchster

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Höpp, »Die Schuldigkeit des Mohren«, S. 195f. Ebd., S. 197. Höpp, »Frontenwechsel«, S. 135. Vgl. auch Trevisiol, Die Einbürgerungspraxis, S. 144ff. Nachlass Höpp, Kiste 06.04. Vgl. Höpp, »Frontenwechsel«, S. 135. Nachlass Höpp, Kiste 06.04. Höpp, »Die Schuldigkeit des Mohren«, S. 200. El-Tayeb, Fatima: »›Blood is a Very Special Juice‹: Racialized Bodies and Citizenship in Twentieth-Century Germany«, in: International Review of Social History 4 (1999): Complicating Categories: Gender, Class, Race and Ethnicity, S. 149-169, S. 151.

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Ebene« mit den Deutschen kollaborierten. Bei den meisten aktenkundigen Personen handelte es sich um einfache Soldaten marokkanischer Herkunft. In den Akten sind selten politische Gründe für den Übertritt aufgeführt. Die meisten Soldaten klagten über Heimweh, schlechte Behandlung durch Vorgesetzte oder große Strapazen. Die biografischen Splitter dieser Gruppe von Deserteuren bieten einen spezifischen Einblick in die Kolonialtruppen der französischen Armee. Wie erwähnt handelte es sich nur um eine kleine Gruppe. 1926 meldete das preußische Innenministerium 100 Fälle von Desertion.372 Die Reaktionen auf diese Überläufe variierten von der Forderung nach sofortiger Abschiebung bis hin zu Überlegungen, wie einzelne Soldaten, die nach militärrechtlichem Verständnis straffällig geworden waren, in die Gesellschaft integriert werden könnten.373 Zeitweilig wurde ein Lager in Magdeburg eingerichtet, das sich speziell dieser Fälle annahm.

Über-Gänge Eine kleine Auswahl dieser biografischen Fragmente von Kolonialsoldaten, mehrheitlich marokkanischer Herkunft, soll hier vorgestellt werden: Der Marokkaner Rays Ben Mustaffa gab laut einem Bericht des Polizeipräsidiums Dresden vom 24. November 1926 in seiner Vernehmung als Beruf Artist an.374 Der 1899 geborene Algerier diente seinen Angaben zufolge von 1918 bis 1923 in der französischen Fremdenlegion. Im September 1923 habe er sich in Frankfurt der deutschen Polizei gestellt. Von da an liest sich sein Vernehmungsprotokoll wie eine Irrfahrt durch die verschiedenen deutschen Länder. Der Versuch, in die Türkei zu kommen, scheiterte. Mustaffa wanderte von einem Land ins andere, wurde ausgewiesen, schlug sich als Gelegenheitsarbeiter durch und übernachtete bei Ali Ben Ali, einem Bekannten in Berlin.375 Der 1905 in Casablanca geborene Galil ibn Muhammad (Djelleli ben Mohammed) desertierte im März 1924 und meldete sich im Dezember 1928 im Braunschweiger Polizeipräsidium obdachlos. Festgehalten wurde, dass er im Besitz von

372 Höpp, Gerhard: »Die Privilegien der Verlierer. Über Status und Schicksal muslimischer Kriegsgefangener und Deserteure in Deutschland während des Ersten Weltkrieges und der Zwischenkriegszeit«, in: ders. (Hg.), Fremde Erfahrungen. Asiaten und Afrikaner in Deutschland, Österreich und der Schweiz bis 1945, Berlin: Das Arabische Buch 1996, S. 185-203, S. 194. 373 So zum Beispiel ein Schreiben des Reichsministeriums des Innern an die Badische Gesandtschaft zu Berlin, in dem die Rede davon ist, den Überläufern Schutz zu gewähren. Nachlass Höpp, Kiste 06.04. Vgl. Höpp, »Die Privilegien der Verlierer«, S. 196 374 Nachlass Höpp, Kiste 06.04, geheimes Schreiben vom 24.11.1926, Betrifft: französischen Deserteur Rays Ben Mustaffa. 375 Nachlass Höpp, Kiste 06.04. Ebd.

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

Ausweis- und Arbeitspapieren war und damit nach Uelzen zum Kanalbau gefahren sei.376 Said Nekkar (Said Naqqar) floh mithilfe eines in Deutschland lebenden Bekannten namens Allouane im Februar 1925 aus der französischen Armee. Ein von der Fremdenpolizei Hamburg aufgenommenes Vernehmungsprotokoll vom 1. Juli 1925 gibt die Stationen seiner Flucht an. Der 1891 im Department Algier geborene Nekkar erhielt von Allouane, einem Ladenbesitzer und Unternehmer in Kreuznach, zunächst Zivilkleidung. Er blieb zwei Monate in Kreuznach, dann schickte ihn Allouane nach Berlin, um Teppiche zu verkaufen. Auch der Partner von Allouane, Bedidi, der eine Zweigstelle ihres Unternehmens Allouane und Bedidi in Griesheim führte, mit einer Deutschen verheiratet war und mit dieser zwei Kinder hatte, war arabischer Herkunft. Nekkar traf auf seiner Reise durch Deutschland auf weitere Landsleute, darunter auch zwei weitere Deserteure. In dem Polizeibericht heißt es weiter: Allouane gehört einer Verbindung in Marokko an, deren Ziel ist »Afrika den Afrikanern«, weshalb er die Desertion unter den Eingeborenen in der Besatzungsarmee fördert und die Ueberläufer mit Geld und Zivilkleidung unterstützt. Unter den eingeborenen Truppen befinden sich ebenfalls viele, die dieser Verbindung angehören. Allouane ist aus Tunis. Die Geldmittel fliessen ihm von der Verbindung zu.377 Dieser in der Akte fast beiläufig bemerkte Hinweis auf einen Zusammenschluss, dessen Ziel »Afrika den Afrikanern« war, deutet auf einen hohen Grad der Selbstorganisation auch in Deutschland selbst hin. Nekkar profitierte davon, dass seine Landsleute voneinander wussten und sich vernetzt hatten. Elf weitere Überläufer, die im Lager in Magdeburg inhaftiert waren, baten um Reisegeld in die Türkei. Sie gaben an, dass sie »das Klima nicht vertragen können und die Deutsche Sprache auch nicht beherrschen«378 . Einer von ihnen, ein Mann namens Muhammad Darani, blieb in Deutschland und tauchte 1933 als lediger Landarbeiter unbekannter Staatszugehörigkeit in den polizeilichen Akten auf.379 Eine gewitzte Finte versuchte der 1908 in Fes geborene Abd al-Salam ibn Muhammad: Er floh 1924 in die unbesetzten Gebiete, arbeitete bei einem Gutspächter in Starsiedel als Kutscher und gab sich als Pflegesohn des Kabylenanführers Abdelkrim aus.380 Mohammed bin Abdelkrim al-Khattabi (1881/82-1967) führte zwischen

376 Höpp, »Die Schuldigkeit des Mohren«, S. 202. 377 Nachlass Höpp, Kiste 06.04, Abschrift des Protokolls über die Vernehmung des französischen Überläufers Said Nekkar vom 01.07.1925. 378 Nachlass Höpp, Kiste 06.04. Höpp, »Die Schuldigkeit des Mohren«, S. 202. 379 Ebd. 380 Ebd.

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1921 und 1926 verschiedene Gruppen im marokkanischen Rif-Gebirge, mehrheitlich spanisch besetzt, in eine kurzzeitige Unabhängigkeit, die mit der Ausrufung der Rif-Republik 1922 begann.381 Abdelkrim war besonders in der deutschen Öffentlichkeit medial präsent und bekannt. Die Reihe der Desertionen aus der Armee des Rheinlands ließe sich noch weiterführen. Der Algerier Ali Bouzet (Ali Bu Zaid) tauchte in den Akten auf, nachdem er eine Frau in Berlin ermordet hatte. Er erhielt ein relativ mildes Urteil von sechs Jahren Haft und wurde mit einem guten Führungszeugnis entlassen. Die ermordete Frau soll eine Prostituierte gewesen sein. Zwei weitere Männer flohen nach Österreich. Einer nannte sich Othmar Ben Mohamed (geb. 1903) und ließ sich 1929 katholisch taufen. Er heiratete eine Österreicherin und arbeitete im Lavanttal im Straßenbau. Aktenkundig wurde er 1940 wegen »kommunistischer Umtriebe«, aufgrund der er zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt wurde.382 Der Marokkaner Ali ben Mohammed (geb. 1903) wurde 1939 zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Vor seiner Verhaftung arbeitete er als Artist.383 Einige Deserteure verdingten sich augenscheinlich sowohl vor ihrem Militärdienst als auch danach in der Unterhaltungsbranche. Die Zahl der in Deutschland lebenden Artisten oder Zeltarbeiter marokkanischer Herkunft war zu jener Zeit verhältnismäßig hoch und die Betreffenden verfügten wohl des Öfteren – wie das Beispiel von Nekkar und Allouane zeigt – über gut funktionierende Netzwerke.384 Diese Kommunikationswege von Menschen arabischer Herkunft in Deutschland blieben den offiziellen Stellen weitgehend verborgen. Schlug sich ein Großteil der Deserteure mit Gelegenheitsjobs durch und lebte in prekären Verhältnissen, wobei wohl nicht wenige eine Ausreise in die Türkei planten, finden sich in den Akten durchaus auch Einträge zu Eheschließungen oder zu festen Stellen. Die Situation der Kinder von Kolonialsoldaten und Weißen Müttern lässt sich demgegenüber häufig nicht näher aus den offiziellen Akten eruieren. Eine Ausnahme bildet die Biografie von Hans Hauck, die Tina Campt zusammen mit der Lebensgeschichte der Liedermacherin und Aktivistin Fasia Jansen in ihrer Studie Other Germans basierend auf Interviews und einer umfassenden Akteneinsicht analysiert. Hans Hauck wurde 1920 in Frankfurt a.M. geboren, als Sohn einer Weißen deutschen Frau und eines Algeriers überlebte er in der Zeit des Nationalsozialismus zuletzt als 1942 eingezogener Soldat in russischer Gefangenschaft, die bis 1949

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Sasse, Franzosen, Briten und Deutsche im Rifkrieg, S. 31ff. Höpp, »Frontenwechsel«, S. 137. Ebd. Vgl. Lewerenz, Geteilte Welten. Ein weiteres Beispiel eines Deserteurs, der zum Schausteller für »Völkerschauen« wurde, ist Mohamed Ben Ahmed, zu dem Theodor Michael mit seiner Schwester Juliane als Pflegekind kam. Vgl. Michael, Theodor: Deutsch sein und schwarz dazu. Erinnerungen eines Afro-Deutschen, München: dtv 2014.

3. »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen

andauerte.385 In Interviewpassagen thematisierte er alltägliche Erfahrungen der Rassifizierung, dass er als Sohn eines »Feindes« von Nachbarskindern gehänselt wurde. Nach 1933 war er zunächst Mitglied der Hitlerjugend, dann wurde er später bei einer Musterung 1939 als »wehrunwürdig« eingestuft.386 Hans Hauck gehörte zu den mehr als 400 jungen Menschen, die in der erwähnten Geheimaktion 1937 sterilisiert wurden. Sein Zeugnis ist eines der wenigen, die diese gewaltvollen Zusammenhänge dokumentieren. Rassentheoretische und eugenische Diskurse gegenüber den Kolonialsoldaten und ihren Kindern schwankten zwischen Vereinheitlichung und Spezifizierung. Wie verwoben die Rassifizierungen gegenüber Schwarzen und arabischen Menschen in diesem Zusammenhang war, veranschaulicht ein Zeitungsausschnitt aus der Dokumentensammlung des Reichskommissars für die besetzten rheinischen Gebiete: […] »Neger« also im strengen Sinne des Wortes […] sind sonach in geschlossenen Verbänden nicht mehr anwesend, jedoch sind die Braunen von Nord-Afrika, die Algerier, die Tunesen und Marokkaner stark mit Negern vermischt und die Madagassen, die Eingeborenen von Madagaskar, haben vielfach einen negerähnlichen Typus. Aber es handelt sich auch gar nicht um die Schattierung in der Hautfärbung, sondern um die schmähliche Demütigung, die Frankreich durch die Verwendung unzivilisierter farbiger Truppen geflissentlich dem deutschen Volke im besetzten Gebiet antut. Dagegen allein wendet sich der deutsche Protest.387 Die Propaganda gab, wie erwähnt, fälschlicherweise vor, die meisten Frauen seien vergewaltigt worden. Darüber hinaus sind äußerst wenige Fälle bekannt, in denen eine Mutter von sich aus versuchte, ihr Kind wegzugeben. Im Falle der Kinder, die in Heime abgeschoben wurden, waren meist Verwandte oder Behörden an solchen Maßnahmen beteiligt.388 Formen des Widerstands gegen die rassistische Hetzkampagne gegen die »Schwarze Schmach« sind bisher nur am Beispiel von Deserteuren und ihren biografischen Fragmenten umrissen worden. Die genauen Triebkräfte der einzelnen Protagonisten, deren Spuren bis heute rückverfolgt werden können, sind äußerst schwierig zu rekonstruieren. Einige arabische Studenten und Nationalisten protestierten gegen die Rheinlandbesetzung und solidarisierten sich mit dem Deutschen Reich gegen die französische Kolonialmacht. Zum anderen stießen die antikolonial ausgerichteten Proteste aber auch auf Gegenwehr, besonders vonseiten deutschnationaler Akteure. Diese Zusammenhänge werden in Kapitel 385 Campt, Other Germans, S. 217f. 386 Ebd. 387 BArchP, Reichskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete, zitiert nach Campt, Other Germans, S. 51f., Fn. 44. 388 El-Tayeb, Schwarze Deutsche, S. 173.

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4 Eigensinn (S. 238-241) genauer behandelt. Die noch weitaus fragmentierteren Geschichten arabischer Frauen, die im Zuge des Krieges nach Europa und auch nach Deutschland kamen, konnten bisher aus dem überlieferten Archivmaterial nicht herausgearbeitet werden. Frankreich setzte vor allem marokkanische und algerische Frauen als Kriegsarbeiterinnen oder auch als Prostituierte ein.389 Die Instrumentalisierung des Islam als Propagandamittel während des Ersten Weltkriegs schlug fehl. Der Umgang mit den inhaftierten arabischen und muslimischen Gefangenen mündete nach dem Krieg darin, diese möglichst schnell zu repatriieren. Zwei Konsequenzen hatte dieses Vorgehen des Auswärtigen Amts: Erstens ließen sich die meisten der Kolonialsoldaten – besonders diejenigen von ihnen, die desertiert waren – nicht ohne Weiteres in ihre Herkunftsländer zurückschicken. Der Versuch, eine Gruppe von Soldaten nach Ägypten auszuweisen, scheiterte. Was blieb, ist – zweitens – eine kulturalisierte Form im Umgang mit dem Islam, der in der Nachkriegszeit unterschiedlichen Prägungen und Einflüssen unterlag. Im folgenden Kapitel 4 Eigensinn wird auch diesen Zusammenhängen genauer nachgegangen. Die fragmentierten Informationen zu Deserteuren der Rheinlandarmee deuten auf Netzwerke arabischer Menschen in Deutschland hin, die sich auf der Grundlage der überlieferten Quellen allerdings nur ansatzweise beschreiben lassen. Die Kampagne gegen die sogenannte Schwarze Schmach war nicht allein eine populistische und medienwirksame rassistische Kampagne zur Rehabilitierung der »geschlagenen Nation«. Sie führte Diskurse weiter, die ein völkisches Verständnis von »Deutschtum« in komplexer Weise zum Ausschlusskriterium sozialer Beziehungen etablierte. Dass Vorstellungen von »Rasse« und Formen der Rassifizierung in Bezug auf Menschen arabischer Herkunft eine Rolle spielten, wurde anhand der in diesem Kapitel angeführten Beispiele unterschiedlich dargelegt. Neben der Kulturalisierung des Islam als Propagandastrategie im Ersten Weltkrieg sowie der typologischen Erfassung von Kriegsgefangenen und dem Umgang mit Deserteuren, war die Erfassung und Sterilisierung der Kinder aus Beziehungen zwischen Weißen Deutschen Frauen und arabischen sowie Schwarzen Kolonialsoldaten eine äußerst gewaltvolle und nachwirkende Form rassistischen Denkens.

389 Le Naour, La honte noire, S. 44-48.

4. Eigensinn und Eigenzeit1

Politische Kämpfe diesseits und jenseits der archivalischen Ordnung Spätestens seit dem Ersten Weltkrieg war das Deutsche Reich eine Adresse für ägyptische, syrische und algerische Nationalisten und Antikolonialisten. Wie im vorigen Kapitel dargestellt, versuchten das Auswärtige Amt und besonders die zu Anfang des Ersten Weltkriegs eingerichtete Nachrichtenstelle für den Orient (NfO), diese Gruppen im Rahmen der Kriegsführung für ihre Belange zu nutzen. Nach dem Krieg ließ dieses Interesse jedoch nach. Dennoch boten die während des Krieges entstandenen Netzwerke Anlaufpunkte und Berlin bildete in den 1920er Jahren ein Zentrum antikolonialer und antiimperialer Bestrebungen. Vor dem Hintergrund des aus deutscher Sicht verlorenen Kriegs, der Rheinlandbesetzung und einer Reihe von Solidaritätsbekundungen antikolonialer Vereinigungen war die Hauptstadt der Weimarer Republik eine Alternative zu anderen metropolitanen Zentren wie London und Paris. Nach einem Artikel in der Roten Fahne, dem Zentralorgan der Kommunistischen Partei Deutschlands, lebten 1926 rund 5.000 sogenannte Kolonialmigrant_innen in der deutschen Hauptstadt.2 In den letzten Jahren entstand eine Reihe von Studien zu antikolonialen bzw. kosmopolitanen Bewegungen in der Zwischenkriegszeit.3 Wenige dieser Arbeiten fokussieren jedoch auf kosmopolitane Zusammenhänge in Deutschland, wie sie

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Der in der Physik gängige – und in dieser Studie übertragen verwendete – Begriff der »Eigenzeit« wird treffend beschrieben von Carlo Rovelli: »Jedes sich ereignende Phänomen hat seine Eigenzeit, seinen eigenen Rhythmus. Einstein hat uns gelehrt, die Gleichungen zu erstellen, die beschreiben, wie eine Eigenzeit jeweils in Bezug zu einer anderen abläuft.« Vgl. Rovelli, Carlo: Die Ordnung der Zeit, Reinbek: Rowohlt 2018. Nachlass Höpp, Kiste 07.09, »Die Kolonialbewegungen in Berlin«, in:Die Rote Fahne, 04.02.1926, Nr. 26, S. 2. Die Volkszählung von 1925 gibt 507 Ägypter_innen in ganz Deutschland an, von denen 157 Deutsch als Muttersprache hatten. Aus Afrika insgesamt kamen 803 Personen, aus Asien 4.743. Für die Türkei allein sind 2.472 Menschen angegeben. Vgl. Oltmer, Migration und Politik in der Weimarer Republik, S. 401f. Vgl. Manjapra, Age of Entanglement, Goebel, Anti-Imperial Metropolis, Amenda, Fremde – Hafen – Stadt.

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sich vor allem für Berlin oder Hamburg nachweisen lassen.4 Anhand der arabischdeutschen Publizistik, die sich spätestens in den Anfängen der Weimarer Republik als eine solche benennen lässt, lässt sich diese Forschungslücke schließen. Einen ergiebigen Quellenkorpus stellt in diesem Zusammenhang eine im Archiv des Auswärtigen Amts aufbewahrte Sammlung von Artikeln dar, die auf Max von Oppenheims Sichtung der »muhammedanischen Presse« beruht.5 Eine weitere Sammlung, die in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre einsetzt, befasst sich mit dem »Religions- und Kirchenwesen – Islam«.6 In diesen archivalischen Sammlungen lassen sich Spuren von Biografien finden, die – gegen den Strich gelesen – eigenständige Netzwerke und Zusammenhänge erkennbar werden lassen. Schon im Sommer 1906 erhob Oppenheim, später der erste Leiter der NfO, die Forderung nach einer »Stelle« innerhalb des Auswärtigen Amtes, die sich mit den »ganz oder teilweise muhammedanischen Staaten«7 beschäftigen sollte, insbesondere mit der Presselandschaft dieser zum Großteil unter kolonialer Vorherrschaft stehenden Länder. Knapp anderthalb Jahre später, am 8. Januar 1908, wandte er sich mit einem ausführlichen Schreiben an Reichskanzler Bernhard von Bülow und bekräftigte darin erneut, wie wichtig es sei, der »muhammedanischen Presse« größere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen: Die muhammedanische Presse hat aufgehört, eine quantité négligeable zu sein. Es kann nicht mehr bezweifelt werden, dass sie jetzt schon für eine grosse Reihe islamischer Staatsgebilde eine politische Macht bedeutet. Ich glaube, dass sie berufen ist, noch eine sehr grosse Rolle im Orient zu spielen.8 Oppenheim legte die Grundsteine einer kartografischen Sichtung der »muhammedanischen Presse«, die bis 1945 in verschiedenen Teilen des Auswärtigen Amtes

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Kuck, Nathanael: »Anti-colonialism in a Post-Imperial Environment – The Case of Berlin, 191433«, in: Journal of Contemporary History 49 (2014), Nr. 1, S. 134-159, Aitken, Rosenhaft, Black Germany, vgl. aber auch: Böer, Ingeborg, Haerkötter, Ruth, Kappert, Petra (Hg.): Türken in Berlin 1871-1945. Eine Metropole in den Erinnerungen osmanischer und türkischer Zeitzeugen, Berlin/New York: de Gruyter 2002, Reed-Anderson, Paulette: Berlin und die afrikanische Diaspora. Rewriting the Footnotes, hg. v. der Ausländerbeauftragten des Senats, Berlin: Die Ausländerbeauftragte des Senats 2000, Gesemann, Höpp, »Araber in Berlin«. PA-AA, R 14566 bis R 14573, Muhammedanische Presse, Orientalia Generalia Nr. 9, Nr. 2. PA-AA, R 78240, Abteilung III, Akten betreffend: Religions- und Kirchenwesen – Islam. Vom 1. Januar 1924 bis 30. April 1928, Bd. 1,R 78241, Abteilung III, Akten betreffend: Religions- und Kirchenwesen – Islam. Vom 1. Mai 1928 bis 31. Dez. 1931, Bd. 2, R 78242, Abteilung III, Akten betreffend: Religions- und Kirchenwesen – Islam. Vom 1. Januar 1932 bis 10. März 1936, Bd. 3. Oppenheim, Max von: Schreiben an von Bülow zur Lage in den »muhammedanischen Ländern«, Schreiben vom 08.08.1906, F64626, PA-AA R 14566. Konkret sollte eine solche Stelle sich »mit fast allen Teilen Afrikas und Asiens beschäftigen, ferner mit den Balkanstaaten und Russland, soweit es sich um islamische Gebiete handelt« (ebd.) PA-AA R 14566.

4. Eigensinn und Eigenzeit

und seiner assoziierten Institutionen weiterverfolgt wurde. Die daraus hervorgegangene umfassende Sammlung beinhaltete auch einen großen Teil an arabischen Zeitungen und Zeitschriften aus Deutschland selbst.9 Seit 1908 sammelten die unterschiedlichen Vertretungen des Deutschen Reichs Informationen zu den unterschiedlichen Presseerzeugnissen in unterschiedlichen Ländern und Gebieten, ein Netz von Korrespondenzmöglichkeiten, die über die unterschiedlichen Aktivitäten im Bereich der arabischen Publizistik informierte.10 Ähnlich funktionierten die Sammlungen zu »Akten betreffend: Religions- und Kirchenwesen – Islam«, die sich mit Gruppierungen und Gemeinwesen in Deutschland befassten.11 Dieses Kapitel folgt der vorgegebenen archivalischen, orientalistischen Logik Oppenheims und weiterer Personen, die am Aufbau der Sammlungen beteiligt waren. Die unterschiedlichen journalistischen Beiträge weisen im gleichen Zuge eine Vielzahl selbstbestimmter und eigener Ausdrucksweisen auf, die sich als politische Formierung einer arabischen Presse in Deutschland bezeichnen lassen. Welchen Einblick geben die Aktivitäten arabischer Journalisten und Nationalisten in der Weimarer Republik in die Lebensverhältnisse arabischer Präsenz während der Zwischenkriegszeit? Für die Zeit von 1915 bis 1945 sind allein 20 in Deutschland erscheinende arabische und/oder islamische Periodika12 belegt, die vorwiegend in Berlin veröffentlicht wurden. Zwischen 1896 und 1945 lassen sich über 100 Autoren13 und publizierende Vereinigungen im deutschsprachigen Raum finden.14 Die arabische Presse in Deutschland entstand an den Schnittpunkten verschiedener Einflüsse und Interessen. Im kolonialen Zusammenhang häufig die Rolle einer Exilpresse übernehmend, war sie ein Sprachrohr nationalistischer, religiöser und

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Höpp, Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915-1945, sowie ders., Texte aus der Fremde. Oppenheim, Max von: Die muhammedanische Presse, PA-AA R 14566. Er selbst untersuchte nach eigenen Angaben »543 Zeitungen und Zeitschriften«, davon »344 von Muhammedanern herausgegebene und 135 von nichtmuhammedanischen Orientalen geschriebenen Zeitungen sowie 64 andere Blätter des muhammedanischen Orients«. Für den vorliegenden Zeitraum vor allem PA-AA R 78240 und R 78241. Höpp zählt auch zwei englischsprachige Journale indischer Herausgeber hinzu, die für meinen Kontext keine größere Rolle spielen. Tarrazi zählt in seiner zwischen 1913 und 1933 entstandenen Studie sieben in Deutschland erschienene Zeitungen und Magazine auf:Tarrazi, Phillipe de: Geschichte des arabischen Zeitungswesens, Beirut: al-Matbaa al-Adabiyya 1913-33 [Nachdruck 1967], S. 368f., 400f., [arabische Zitation siehe Anhang]. Grundlegend muss ich leider auch hier anmerken, dass ich in meiner Recherche nur auf männliche Akteure gestoßen bin. Dies ist umso bedauerlicher, wenn bedacht wird, dass zum Beispiel die ägyptische Presselandschaft seit ihren Anfängen maßgeblich von Frauen mitgeprägt wurde. Vgl. Bräckelmann, Susanne: »Wir sind die Hälfte der Welt!«: Zaynab Fawwaz (1860-1914) und Malak Hifni Nasif (1886-1918) – zwei Publizistinnen der frühen ägyptischen Frauenbewegung, Würzburg: Ergon 2004. Höpp, Texte aus der Fremde.

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sozialer Bewegungen. Gleichzeitig wurde sie von deutscher Seite genauestens geprüft und – wie die bereits erwähnten Beispiele aus dem Ersten Weltkrieg zeigten – beeinflusst. Orientalistische Wissenschaftler ebenso wie arabische Akteure waren an dieser hegemonialen Beziehung beteiligt.15 Die Beobachtung der arabischen Pressepublikationen in Deutschland durch das Auswärtige Amt war Teil seiner Bemühungen, eine gewisse Kontrolle über nationalistische und antikoloniale Kräfte aufrechtzuerhalten. Um die Bedeutung dieser Publikationen ermessen zu können, ist es wichtig, zu wissen, dass Arabisch in der Zwischenkriegszeit eine Lingua franca der antikolonialen Bewegungen war. Zum Beispiel verwendeten indische Nationalisten in ihren Publikationen Arabisch als Haupt- und Urdu als Nebensprache.16 Im Folgenden untersuche ich, wie die während des Ersten Weltkriegs entstandenen Netzwerke, die sich insbesondere um arabische nationalistische Persönlichkeiten und die Idee, den Islam als strategisches Propagandainstrument zu nutzen, gruppierten, in der Zwischenkriegszeit weitergeführt bzw. wiederbelebt wurden. Die Auseinandersetzung mit lokalen Themen in Deutschland stellt ein spezifisches Zeugnis arabischer Präsenz nach dem Weltkrieg und bis in die 1930er Jahre dar. Die politischen Ausrichtungen arabischer Gruppierungen in Deutschland waren prozesshaft und folgten mitnichten einer linear rekonstruierbaren Logik. Vielmehr konnten Vertretungen politischer Parteien im Exil ganz anders agieren als in ihren Herkunftsländern. Transnationale sowie -regionale Zusammenschlüsse konnten unterschiedliche politische Ausrichtungen haben. Zum Beispiel schlossen einzelne nationale Forderungen, wie die der Exilägypter nach einem unabhängigen Ägypten, internationale Bündnisse nicht aus.17 Im Vordergrund der folgenden Ausführungen stehen daher die spezifischen politischen Auseinandersetzungen vor Ort in Deutschland.

Anfänge Ägyptische Nationalisten hielten sich vermehrt schon seit Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland auf und machten bis Mitte der 1920er Jahre die größte Exilgruppe arabischer Nationalisten aus. Einer der berühmtesten war Mustafa Kamel Pascha (1874-1908), Mitbegründer der Ägyptischen Nationalpartei (ÄNP, al-Hizb alwatani), in der sich 1907 nationalistische Kräfte sammelten und die vor dem Ersten Weltkrieg eine der progressivsten Parteibildungen in Ägypten darstellte. Kamel weilte bereits vor der Jahrhundertwende in Berlin und sein Kontakt zu Wilhelm II.

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Vgl. Hagens differenzierten Artikel über deutschsprachige Orientalisten und ihre politischen Aktivitäten: Hagen, »German Heralds«. Wie in der Zeitschrift al-Islah, die vermutlich von 1925 bis 1926 in Deutschland erschien. Vgl. Höpp, S. 32. Goebel, Anti-Imperial Metropolis, S. 251f.

4. Eigensinn und Eigenzeit

erfuhr eine gewisse öffentliche Aufmerksamkeit.18 Im Berliner Tageblatt vom 23. Oktober 1905 erschien unter der Überschrift »Kaiser Wilhelm II. und der Islam« ein Artikel von ihm, der die »egyptische Frage« in den Vordergrund stellte und um die deutsche Unterstützung der ägyptischen Nationalbewegung im Kampf gegen die britische Besatzung warb.19 Er betonte das positive Echo in der islamischen Welt auf die Tanger-Reise Wilhelm des II. im März 1905.20 Vonseiten der Zeitung wurde die kaiserliche geopolitische Interessenslage deutlich formuliert. In einer Anmerkung der Redaktion zu dem Artikel hieß es: »Alle diese Erwägungen sind es, die uns veranlassen, den patriotischen Pascha an dieser Stelle zum Wort zu verstatten, damit man auch an den Ufern der Themse erfahre, daß der egyptische Publizist nicht nur ein Prediger in der Wüste ist.«21 Zwei von Kamels engsten Vertrauten, Muhammad Farid und Mahmud Labib Muharram, organisierten sich vor und während des Ersten Weltkriegs auch in Berlin. Muharram, den – wie in Kapitel 2 Zeit-Räume, Die Solimans erwähnt – vermutlich auch Mohamed Soliman kannte, war Kamels politischer Freund und Weggefährte. Er war Anhänger des deutsch-osmanischen Bündnisses, schrieb diverse Zeitungsartikel, um auf die – wenn auch informelle – britische koloniale Herrschaft in Ägypten und die italienische Invasion in Libyen von 1911 aufmerksam zu machen.22 Muhammed Farid betonte in seinen Memoiren, wie wichtig Muharram für die ägyptische Gemeinschaft in Deutschland war.23 Der von Muharram 1911 in Berlin gegründete Ägyptische Bund – teilweise auch Arabischer Bund genannt – gilt als eine der ersten arabischen Vereinigungen in Deutschland. Die antikolonialen ägyptischen Gruppierungen in Europa waren gut vernetzt und mobil. Schon 1909 und 1910 hatten sich Jungägypter zu Kongressen in Genf und Brüssel getroffen.24 Muharram nahm 1910 an einem Kongress der ÄNP in Paris teil, in Begleitung von »some German Reichstag members«.25 Muharram wie auch Kamel und Farid

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Kamel veröffentlichte bereits vor der Jahrhundertwende die ersten Artikel in deutschen Tageszeitungen, vgl. zum Beispiel: Kamel, Mustafa: »Egypten und England«, in: Die Post, 2. Beilage, 17.10.1896. Vgl. zu Urabi Kap. 2 Zeit-Räume, S. 128 . Die Briten besetzten seit dem Urabi-Aufstand 1882 das Land und hatten zu der Zeit durch den eingesetzten Generalkonsul Evelyn Barning de facto die Herrschaft über die Geschicke des Nillandes inne. Vgl. Oberhaus, »Zum wilden Aufstande entflammen«, S. 73f. Kamel Pascha, Moustafa: »Kaiser Wilhelm II. und der Islam«, in: Berliner Tageblatt, 23.10.1905. Die Bemühungen Kamels um eine Annäherung an das Deutsche Kaiserreich begannen bereits um 1896. Vgl. Hamed, »Germany and the Egyptian Nationalist Movement«, S. 12ff. Nachlass Höpp, Kiste 07.09. Vgl. Höpp, Texte aus der Fremde, S. 64. Vgl. auch Sauer, Von Soliman zu Omofuma. Al-Rafii, Muhammad Farid, S. 341-344. Trefzger, Die nationale Bewegung Ägyptens vor 1928 im Spiegel der schweizerischen Öffentlichkeit, S. 38f. Farid, The Memoirs and Diaries of Muhammad Farid, S. 100.

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verfügten über gute Beziehungen zu einflussreichen Kreisen der deutschen Öffentlichkeit. Muharrams früher Tod im Jahr 1913 ließen ihn die weiteren Entwicklungen der arabischen politischen Gruppierungen in Europa nicht mehr erleben.26

Studieren und arbeiten in der Ferne: arabischer Nationalismus in der Weimarer Republik Asiatische und afrikanische Studentinnen und Studenten machten in den 1920er Jahren circa 15 Prozent aller in Berlin eingeschriebenen ausländischen Studierenden aus.27 Diese Gruppe war, neben den bereits im Ersten Weltkrieg im Zuge des deutsch-osmanischen Kriegsbündnisses nach Deutschland gelangten Nationalisten und Antikolonialisten, die größte, aus der sich politisch Aktive zusammenfanden. Während ein Teil der kooperierenden namhaften Nationalisten des Ersten Weltkriegs, wie in Kapitel 3 »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen geschildert, daran scheiterte, nach dem Krieg in ihre Herkunftsländer zurückzukehren, war der Studienort Deutschland zu Beginn der 1920er Jahre für viele einreisende Studierende aus arabischen oder afrikanischen Ländern das erklärte Ziel, vor allem Berlin, Hamburg und Würzburg. Die in den Gefangenenlagern des Ersten Weltkriegs aufeinandertreffenden unterschiedlichen Fraktionen der arabischen Nationalisten wiederum verfügten bereits über eigene Netzwerke. Die verschiedenen, teils gesteuerten, teils eigenständigen politischen Aktivitäten der einzelnen Akteure fanden im Anschluss des Krieges eine Fortsetzung – vor einem grundlegend veränderten politischen Hintergrund. Die hier untersuchten Nationalisten, die ihre Anstrengungen oftmals fernab ihrer Herkunftsländer unternahmen, taten dies dabei aus einer zugleich privilegierten und prekären Position heraus. Besonders die ägyptischen Nationalisten und Studenten waren in den 1920er Jahren in materieller Hinsicht relativ wohlhabend, brachten sie doch Devisen in das inflationsgeschwächte Deutsche Reich.28 Trotzdem waren sie wie alle »Ausländer« der sogenannten Ausländerpolitik ausgesetzt, die ihre gesellschaftliche Position, ihre Rechte und Pflichten beeinflusste. Ihr

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Vgl. Trefzger, Die nationale Bewegung Ägyptens vor 1928 im Spiegel der schweizerischen Öffentlichkeit, S. 41f., Fn. 31. Vgl. Manjapra, Age of Entanglement, S. 94: »For example, of 2,578 foreign students matriculated at Berlin University in 1923, one-third studied either medicine or dentistry. Asian and African students (426 in total) made up about 15 percent of all foreign students studying at Berlin University in the 1920s.« Trefzger beschreibt in seiner Studie Die nationale Bewegung Ägyptens vor 1928 im Spiegel der schweizerischen Öffentlichkeit die unterschiedlichen Herkunftsschichten ägyptischer Nationalisten. Dass nicht alle aus wohlhabenden Verhältnissen stammten, weist er anhand biografischer Beispiele nach. Ali al-Ghaijati zum Beispiel finanzierte mit seiner journalistischen Tätigkeit sein Studium in der Schweiz. Vgl. Trefzger, Die nationale Bewegung Ägyptens vor 1928 im Spiegel der schweizerischen Öffentlichkeit, S. 109ff.

4. Eigensinn und Eigenzeit

eigenes politisches Handeln war darüber hinaus auch von der jeweiligen außenpolitischen Positionierung der Republik beeinflusst. Vor diesem Hintergrund fanden sich im Deutschland der 1920er Jahre ganz unterschiedliche Szenen zusammen, die sich antikolonial, panislamisch, panarabisch oder – nach eigener Bezeichnung »panorientalisch« – verstanden und sich mit den lokalen politischen Gegebenheiten der Weimarer Republik auseinandersetzten. 1919 erhoben sich die Ägypter_innen gegen die britische Kolonialherrschaft über Ägypten und den Sudan. Unterschiedliche Bevölkerungsgruppen nahmen an der ersten ägyptischen Revolution teil, aus der die Wafd unter Saad Zaghlul zum Ende hin 1921 gestärkt hervorgehen sollte. Der Ägyptische Bund in Berlin erfuhr nach 1919 einen verstärkten Zulauf.29 Drei zentrale Personen der Ägyptischen Nationalpartei befanden sich gegen Ende des Ersten Weltkriegs in Berlin: Abd al-Aziz al-Schauisch (1876-1929),30 Muhammad Farid (1868-1919) und Mansur Rifat (1883-1926?). Alle drei hatten während des Krieges Kontakte zur NfO und waren direkt oder indirekt an der deutschen »Orient«-Propaganda beteiligt. Ihre politische Ausrichtung unterschied sich allerdings. Farid war als Vorsitzender der ÄNP und Nachfolger Mustafa Kamils sicher der exponierteste unter den dreien. Während er und Rifat zunächst vor allem für das ägyptische Recht auf Selbstbestimmung und damit die Unabhängigkeit des Landes auch vom Osmanischen Reich kämpften, sah Schauisch, der auch der ÄNP angehörte, in ihr aber eine andere Fraktion vertrat, die Zukunft Ägyptens im islamischen und damit auch osmanischen Kontext.31 Deutlich wird diese unterschiedliche Orientierung auch in zwei Parolen: Farids Nationalpartei warb mit »Ägypten den Ägyptern«, in der Fraktion der Partei, zu der Schauisch gehörte, hieß es hingegen »Ägypten den Muslimen«.32 Schauisch33 , ein gebürtiger Tunesier, war schon in Ägypten journalistisch tätig. Nach seiner Ausbildung an renommierten Hochschulen in Kairo und einer achtjährigen Lehrtätigkeit als Sprachlehrer für Arabisch in Oxford wurde er 1908 zum Chefredakteur von al-Liwa, dem Organ der ÄNP, berufen. Laut Herbert L. Müller soll ihn »die Veröffentlichung von Unwahrheiten und die Kopten beleidigenden Artikeln« bei den Briten in Schwierigkeiten gebracht haben.34 Nach wiederholten Festnahmen verließ Schauisch 1911 Ägypten und schloss sich nach 29 30 31

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Nachlass Höpp, Kiste 07.09. Vgl. Kap. 3 »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen, S. 204. Kassim, Die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu Ägypten 1919-1936, S. 37. Laut Amira Sonbol soll Schauisch den eigentlichen Vorsitz innerhalb der Partei schon vor dem Ersten Weltkrieg innegehabt haben. Vgl. Sonbol, Amira (Hg., Übers.): The Last Khedive of Egypt. Memoirs of Abbas Hilmi II, Reading: Ithaca Press 1998, S. 136, Fn. 13. Al-Said, Rifat: Geschichte der sozialistischen Bewegung in Ägypten 1900-1925, Teil 1, Beirut: Dar al-Farabi 1972, S. 36f., [arabische Zitation siehe Anhang]. Vgl. Farid, The Memoirs and Diaries of Muhammad Farid, S. 11-13, sowie Oberhaus, »Zum wilden Aufstande entflammen«, S. 178, Fn. 18. Müller, Islam, ğihād (»Heiliger Krieg«) und Deutsches Reich, S. 280ff. Ebd., S. 281.

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Aktivitäten in unterschiedlichen Ländern circa 1912 den Jungtürken um Enver Pascha an. Dieser war ab 1914 Kriegsminister des Osmanischen Reichs.35 Mit ihm kam Schauisch nach Konstantinopel und nahm dort 1914 Kontakt zur deutschen Botschaft auf.36 Erstmals tauchte er im Mai 1915 in Berlin auf, um im September desselben Jahres dort seinen Wohnsitz einzunehmen.37 Seine publizistischen Tätigkeiten – er gab schon in Konstantinopel eine Zeitschrift mit dem Titel Al-Alam al-Islami (Die Islamische Welt) heraus, die höchstwahrscheinlich als Vorläufer für das auf Deutsch erscheinende gleichnamige Magazin gelten kann – sorgten für einige Skepsis in der deutschen Gesandtschaft. Schauischs Rolle im Umfeld der NfO ist in mehrerlei Hinsicht interessant. Martin Hartmann, der bereits mehrfach erwähnte Orientalist und Mitarbeiter des SOS als auch der NfO, verfasste einen Bericht über den vermutlich auf Schauisch zurückzuführenden Leitartikel der ersten Ausgabe der Al-Alam al-Islami in Konstantinopel.38 Titel des Artikels war: »Der Islam und die verschiedenen Arten von Menschen gegenüber dem gegenwärtigen Krieg«.39 Hartmann bekundete, Schauisch sei Europa gegenüber sehr kritisch eingestellt. Auch nähme »Deutschland keine Sonderstellung ein«, sondern sei, so Hartmanns Wiedergabe von Schauisch, »ein Ungläubigenreich wie die andern auch«.40 Mehr noch, Schauisch habe von den Deutschen als »Entzündern« des Krieges gesprochen.41 Noch gegen Ende des Krieges konstatierte NfO-Leiter Mittwoch: »Zur Sache selbst darf ich noch bemerken, dass es eine Leichtigkeit wäre, aus den literarischen Veröffentlichungen von Scheich Tschawisch [i.e. Schauisch] eine Blütenlese europafeindlicher Stellen zu veranstalten.«42 Dementsprechend betrachteten es zuvor auch manche Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes sehr kritisch, dass Schauisch sich anschickte, auch in Berlin eine Islamische Welt auf Deutsch herauszugeben. Dies geschah erstmalig am 19. Oktober 1916 in Berlin.43 Zunächst fand sich eine ähnliche Konstellation an Redakteuren

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Zu Enver Paschas Aufenthalt in Berlin: Böer, Haerkötter, Kappert, Türken in Berlin, S. 69-78. Laut Müller ging die Zusammenarbeit noch weiter, denn Schauisch war auch Teil der Geheimorganisation Envers, Teskіlat-i Mahsusa, die »ihren deutschen ›Kollegen‹ immer einen Schritt voraus« waren. Müller, Islam, ğihād (»Heiliger Krieg«) und Deutsches Reich, S. 240. Müller, Islam, ğihād (»Heiliger Krieg«) und Deutsches Reich, S. 281f. Ebd. S. 282f. So die Vermutung sowohl von Mittwoch als auch Hartmann, vgl. PA-AA 14569, Schreiben Mittwoch an von Wesendonk, 29.06.1916, inklusive des Berichts von Hartmann, Hartmann, Martin: »Bericht« (über die Zeitschrift Scheich Schauischs, Al-Alam al-Islami). Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. Höpp, Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915-1945, S. 15. PA-AA R 14570, Schreiben Mittwoch, »Ganz Geheim« zu A 35033, Berlin, 16.01.1917. Höpp, Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915-1945, S. 13.

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zusammen, die für den Bereich der Lager und Propaganda zuständig waren. Neben Anthropologen und Orientalisten wie Felix von Luschan und Eugen Mittwoch sowie arabischen Nationalisten unterschiedlicher Herkunft wurden auch Autoren wie Carl Peters für Beiträge angefragt und so die Nähe zum kolonialen Establishment gesucht. Herausgeber des von 1916 bis 1918 erscheinenden Blattes war neben Schauisch Abd al-Malik Hamza, der von 1912 bis 1914 Sekretär und später Generalsekretär der ÄNP war;44 er kehrte über die Schweiz 1920 nach Ägypten zurück. Schriftleiter des Blattes war Rudolf Rotheit, ein Auslandskorrespondent der Vossischen Zeitung.45 Die für ihre Zeit außergewöhnlich edle Aufmachung unterschied Die Islamische Welt von anderen Magazinen. Dass an ihrem Erscheinen wohlhabende Leute beteiligt waren, zeigte sich auch bei der Gründungsfeier am 19. November 1916 im Berliner Hotel Esplanade, bei der hochrangige türkische Politiker und Militärs zugegen waren. Schauisch hielt zu diesem Anlass eine Rede, die, wie es in dem Artikel »Fuenfuhrtee« der folgenden Januarausgabe der Zeitschrift hieß, wiederum eine Facette seiner speziellen Orientierung verdeutlichte: Nicht als Verteidiger einer bestimmten Religion stellte sich der Redner den Anwesenden vor, sondern als Vorkämpfer des heiligen Grundsatzes der Menschenund Völkerannäherung, als einer, der darnach strebe, völkertrennende Scheidewände zu beseitigen. Gegenseitiges Verstehen, gegenseitiges Erkennen ist seine Parole. Ererbte Vorurteile beklagend, äußerte er Freud und Genugtuung über die neue Zeit der islamisch-mittel-europäischen Freundschaft und Waffenbrüderschaft.46 Die euphemistische Beschreibung entsprach dem Selbstverständnis der Islamischen Welt, die sich für die Unabhängigkeit verschiedener kolonial unterdrückter, vor allem arabischer Länder einsetzte. Mit dem Fokus auf Ägypten wandten sich die Autoren an eine Weltöffentlichkeit, die eindeutig geteilt war. Denn seit dem Kriegseintritt der USA 1917 galt Woodrow Wilson für einen Teil, besonders einen Teil der ägyptischen Nationalisten, als »Barnum des westlichen Zusammenschlusses unter englischer Leitung« und repräsentierte koloniales Kalkül.47 Die »antiwestli44

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Höpp, Texte aus der Fremde, S. 48. Vgl. Trefzger, Die nationale Bewegung Ägyptens vor 1928 im Spiegel der schweizerischen Öffentlichkeit, S. 313, der einen Artikel der Neuen Zürcher Zeitung aus dem Jahr 1921 zitiert, in dem »Abd-el-Malek Hamsa Bei« als Generalsekretär der Ägpytischen Nationalpartei vorgestellt wird. Bezeichnenderweise gab Rotheit 1915 ein Buch zur deutschen Presse mit der Forderung heraus, selbige nachrichtendienstlich zu unterstützen: Rotheit, Rudolf: Die Friedensbedingungen der deutschen Presse. Los von Reuter und Havas!, Berlin: Puttkammer & Mühlbrecht 1915. »Fünfuhrtee«, in: Die Islamische Welt. Illustrierte Monatsschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur 1 (Jan. 1917), Nr. 2, S. 63f. Vgl. Farid, Mohammed: »1917-1918«, in: Die Islamische Welt 2 (01/1918), Nr. 1, S. 14f. Der Artikel war brandaktuell, denn Wilson hielt seine berühmte Rede zum 14-Punkte-Programm am 08.01.1918 vor dem Vereinigten Kongreß.

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che« Haltung war zu diesem Zeitpunkt noch eine Momentaufnahme, die nicht auf eine eindeutige und unverrückbare Positionierung schließen ließ. Die Koalitionsbildungen der nationalistischen Vertreter der noch kolonisierten Länder wechselten in den nächsten Jahren immer wieder und nahmen unterschiedliche politische Ausrichtungen ein. Auch die Haltung der unterschiedlichen arabischen politischen Gruppierungen zum Kaiserreich war alles andere als eindeutig. Die Islamische Welt war ebenso wie die Lagerzeitung El Dschihad ein Produkt des Krieges, das diesen nicht überdauerte. Der Mitherausgeber des Blattes beklagte 1919, die Druckkosten nicht begleichen zu können.48 Schauisch blieb nach dem Krieg in Berlin und gründete das Im- und Exportgeschäft Wadi al-Nil (Niltal), aus dessen Einkünften er seine weiteren politischen Aktivitäten finanzierte. Er war an der Herausgabe einer weiteren Zeitschrift beteiligt, bevor er Deutschland verließ: Die erste mehrheitlich von ägyptischen Nationalisten selbst getragene Zeitschrift war die Aegyptische Korrespondenz, die von März 1921 bis 1924 zunächst vierzehntägig, dann monatlich erschien.49 Dieses Organ der ägyptischen Nationalpartei in Deutschland, so der Untertitel, hatte eine relativ eigenständige Position und trug sich durch Investitionen des Herausgebers Schauisch sowie durch Spenden der »reichen ägyptischen Nationalpartei, für die bei dem gegenwärtigen Stande des ägyptischen Pfundes, das höher steht als das englische, die Herausgabe einer Berliner Korrespondenz eine verhältnismäßig geringfügige Ausgabe bedeutet«.50 Abd al-Aziz al-Schauisch hatte den Redaktionsvorsitz bis 1922 inne.51 Im selben Jahr verließ er Deutschland und ging in die Türkei, um als Berater Mustafa Kemals (Atatürk) zu arbeiten. Ein Jahr später kehrte er nach Ägypten zurück und war bis zu seinem Tod 1929 im Bildungsministerium tätig.52 Die Aegyptische Korrespondenz bezog eine antikoloniale und damit hauptsächlich antibritische Position. Nicht nur ägyptische Nationalisten publizierten in dem Halbmonatsblatt, auch der syrische Politiker Schakib Arslan53 oder der Ire Chat48 49

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Höpp, Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915-1945, S. 15. Eine namentliche Vorläuferin mit dem Titel Aegyptische Korrespondenz, die inhaltlich vermutlich jedoch keine Übereinstimmungen hat, soll in einer deutsch-nationalistischen Variante von Hans Resener herausgegeben worden sein. Vgl. Kutzner, »Zeitungsschau. Höpp, Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915-1945, S. 20. Ebd., S. 19f. Ebd., S. 84. Schakib Arslan (1869-1946), syrisch-libanesischer Politiker und Schriftsteller drusischer Herkunft, der, von der französischen Protektoratsregierung ausgewiesen, nach dem Ersten Weltkrieg in Genf lebte und eng mit in Deutschland ansässigen arabischen Nationalisten kooperierte. Er hing vorwiegend panislamischen Ideen an, die im Verlauf der Zwanzigerjahre auch von panarabischen Ansätzen beeinflusst wurden. Vgl. zu seiner Person Sajid, Mehdi: Muslime im Zwischenkriegseuropa und die Dekonstruktion der Faszination vom Westen. Eine kritische Auseinandersetzung mit Šakīb ’Arslāns Artikeln in der ägyptischen Zeitschrift al-Fath (1926-1935), Bonner

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terton Hill, der als Schriftsteller und Rassentheoretiker den Lehren von Gobineau anhing und in diesem Zusammenhang als irischer Befreiungskämpfer auftrat.54 Deutsche Stimmen waren ebenfalls in dem Magazin vertreten, unter ihnen Max Grühl, ein Laienorientalist mit einer umfangreichen Publikationsliste zu außereuropäischen Kulturen und Nationen. Als Herausgeber der Stimmen des Orients, »[h]erausgegeben in Verbindung mit mehreren Orientalen«, dem Organ der 1922 gegründeten und paritätisch besetzten Deutsch-Egyptischen Vereinigung, kooperierte er für eine gewisse Zeit vor allem mit ägyptischen Nationalisten.55 Die meisten Artikel der Aegyptischen Korrespondenz waren durch einen stark nationalistischen Charakter geprägt. Nach wiederkehrenden Protesten im Land, mit dem Höhepunkt der ägyptischen Revolution von 1919, wurde am 25. Februar 1922 die formelle Unabhängigkeit verkündet. Trotzdem war der Einfluss der Briten weiterhin nachweisbar und wurde von vielen Ägypter_innen als eine koloniale Einflussnahme betrachtet. Die Aegpytische Korrespondenz setzte sich jedoch nicht allein mit Ägypten selbst auseinander. Sie spiegelte auch eine spezifische Auseinandersetzung mit dem Land wider, in dem sie erschien, mit Deutschland. Doch zunächst spielte in den ersten zwei Jahrgängen vorwiegend eine dezidierte Ablehnung der britischen Vormachtstellung56 und eine Kritik an der zum Ende des Ersten Weltkriegs gegründeten liberal ausgerichteten Wafd (wörtlich: Delegation) eine Rolle. Die Wafd-Partei des späteren Premierministers Saad Zaghluls wurde nach einer Abordnung benannt, die zur Pariser Friedenskonferenz geschickt werden sollte. Diese Delegation kam nie in Paris an und war dadurch ein Auslöser für die folgenden Widerstandskämpfe 1919 in Ägypten.57 Während in Deutschland große Teile der ÄNP oder ihrer Abspaltungen im Zuge des Ersten Weltkriegs und der Nachkriegszeit ihre Aktivitäten ausweiteten, verlor die Partei in Ägypten selbst an Einfluss. Vor allem die Wafd übernahm in dieser Zeit die Vormachtstellung, die die ÄNP vor dem Ersten Weltkrieg innehatte.58 Zaghluls Partei war zu gewissen Zugeständnissen gegenüber den

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Islamstudien Bd. 33, Bonn: EB 2015, sowie Cleveland, William L.: Islam Against The West. Shakib Arslan and the Campaign for Islamic Nationalism, Austin: University of Texas Press 1985. Höpp, Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915-1945, S. 20. Vgl. Kassim, Die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu Ägypten 1919-1936, S. 60, 75. Weder Höpp noch Kassim gehen auf Chattertons rassistische Haltung ein. Höpp, Gerhard: »Traditionen der ägyptischen Revolution: Ägyptische Nationalisten in Deutschland, 1920-1925«, in: Schwanitz, Wolfgang G. (Hg.), Berlin – Kairo: Damals und heute. Zur Geschichte deutsch-ägyptischer Beziehungen, Berlin: DÄG 1991, S. 72-84, S. 78. Rogan, The Arabs, S. 210. Vgl. Whidden, James: »The Generation of 1919«, in: Goldschmidt, Arthur (Hg.), Re-Envisioning Egypt 1919-1952, Kairo/New York: American University in Cairo Press 2005, S. 19-45. Vgl. Oberhaus, »Zum wilden Aufstande entflammen«, S. 179f. Oberhaus merkt auch an, dass dem Auswärtigen Amt diese Machtverschiebungen offenbar nicht aufgefallen war, sonst hätte es während des Krieges nicht alles auf die Karte der Nationalpartei gesetzt. Vgl. ebd.

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Briten bereit, trotzdem sie auch für die Unabhängigkeit Ägyptens eintrat. Muhammad Farid versuchte als Vorsitzender der ÄNP ebenso kurz vor seinem Tod aus dem Exil heraus das Selbstbestimmungsrecht Ägyptens zu erreichen. Die unterschiedlichen ägyptischen Parteien debattierten miteinander somit außerhalb Ägyptens und vor dem Hintergrund der Aushandlungen des Versailler Vertrags. Im Verlauf ihres Erscheinens von 1921 bis 1924 lässt sich eine leichte Verschiebung der Schwerpunkte in der Aegyptischen Korrespondenz nachweisen. Beiträge, die sich mit Deutschland beschäftigten oder auf lokale Themen bezogen, nahmen zu. Dies hing vermutlich nur ansatzweise mit der formellen Unabhängigkeit Ägyptens im Jahr 1922 zusammen. Es ist auch möglich, dass einzelne Bündnisse mit eher konservativen bis hin zu rechtskonservativen Kreisen, von denen noch die Rede sein wird, bröckelten und sich arabische Autoren zunehmend kritisch gegenüber zeitgenössischen Auseinandersetzungen in Deutschland äußerten. So gab es unter den Exilnationalisten zunächst eine steigende Solidarität mit dem »Kriegsverlierer« Deutschland, gerade mit Blick auf die Besatzung an Rhein und Ruhr. Die letzte Ausgabe der Aegyptischen Korrespondenz erschien im Sommer 1924. Ein weiteres Erscheinen wurde von behördlichen Stellen untersagt. Laut Höpp könnte einer der Gründe des Verbotes mit dem Attentat auf Saad Zaghlul zusammenhängen, das im Juli auf den Führer der Wafd ausgeübt wurde und Auswirkungen auf die ägyptische Gemeinschaft in Deutschland hatte.59 Der ägyptischen Nationalbewegung wird nachgesagt, sie habe sich nicht mit den Widerstandsbewegungen, die sich explizit arabisch nannten, gegen das Osmanische Reich verbündet. Dies vor allem nach der erneuten Annäherung des Landes an das Osmanische Reich, nach der Besetzung durch die Briten und speziell nach der Ausrufung des britischen Protektorats Ende 1914.60 Die Beispiele der Exilnationalisten in Deutschland zeigen jedoch gerade für die beginnenden 1920er Jahre ein anderes Beispiel: eine nachweisbare Solidarität unter den verschiedenen arabischen und anderen antikolonialen Gruppierungen, erkennbar anhand von Artikeln in der Aegyptischen Korrespondenz ebenso wie anhand der unterschiedlichen transnationalen Netzwerke wie dem Orient-Klub, der im Folgenden noch beschrieben wird. So konnte es zu politischen Verschiebungen und Richtungswechseln kommen, die sich nicht mit der Entwicklung der Parteien im Herkunftsland deckten. Der Vorsitzende der Nationalpartei, Muhammad Farid, erlebte diese Exilrenaissance seiner Partei nicht mehr, er starb 1919 in einem Berliner Krankenhaus und wurde auf dem Friedhof am Columbiadamm beerdigt.61 59 60 61

Höpp, Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915-1945, S. 21. Jankowski, James: »Egypt and Early Arab Nationalism, 1908-1922«, in: Khalidi, Rashid (Hg.), The Origins of Arab Nationalism, New York: Columbia Press 1991, S. 243-270. Wie in Kap. 2 Zeit-Räume, S. 149 geschildert, wurde Farids Leichnam ein Jahr später nach Kairo überführt und er erhielt ein stattliches Begräbnis. Vgl. Trefzger, Die nationale Bewegung Ägyptens vor 1928 im Spiegel der schweizerischen Öffentlichkeit, S. 67.

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Auch Mansur Rifat zeichnete sich durch ein hohes publizistisches und politisches Engagement aus. 1883 in Ägypten geboren, studierte er in Beirut und Philadelphia (USA) Medizin. 1908 ließ er sich in Kairo als Arzt nieder und wurde ein Jahr später politischer Leiter der Zeitung al-Liwa, die unter diesem Namen zunächst das Organ der ÄNP in Ägypten selbst war. Vermutlich aufgrund der 1909 verhängten Ausnahmegesetze, die eine Einschränkung der Pressefreiheit in Ägypten nach sich zogen, verließ er das Land und ging auf Umwegen über Paris und Konstantinopel 1913 nach Genf. Schon in der Schweiz gründete er einen Club des Patriotes Égyptiennes und gab zwei Zeitschriften heraus, La Patrie Egyptienne und al-Qisas (»Die Vergeltung«), von denen nur die erste mit einer namentlich bekannten, die zweite in anonymer Herausgeberschaft erschien.62 La Patrie Egyptienne befasste sich mit dem Gemeindeleben der Exilägypter_innen in der Schweiz und machte es sich vor allem zur Aufgabe, die ägyptische Jugend mit der Forderung nach einer ägyptischen Selbstbestimmung vertraut zu machen, mit dem »but suprême qui est l’indépendance de la Patrie«.63 Rifat kooperierte mit indischen und irischen Nationalisten. Der aus den USA ausgewiesene indische Revolutionär Har Dayal64 formulierte in La Patrie »sozialistische und anarchistische« Forderungen.65 Die ägyptische Regierung hatte im Vorfeld des Ersten Weltkriegs mehrfach gegen die publizistische Tätigkeit Rifats in Genf interveniert. Die Schweizer Behörden konnten ihm aber bis zu Beginn des Krieges keine anarchistische Haltung nachweisen. Erst mit Beginn der Zensur zu Anfang des Weltkrieges konnte Rifat seine Zeitschriften nicht mehr veröffentlichen und auch der Versuch, seine Ideen und Aufrufe in Form von Broschüren zu verbreiten, wurde ihm untersagt.66 Dieser Aktivismus kann als Vorläufer von Rifats Unternehmungen in Deutschland gelten, wohin er nach Beginn des Ersten Weltkriegs aus der Schweiz ausgewiesen wurde.67 Rifat kam Anfang August 1914 nach Lindau in Süddeutschland und verursachte einige Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Auswärtigen Amtes. Oppenheim befürwortete die Mitwirkung Rifats an propagandistischen Aktionen,

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Vgl. ebd., S. 34ff.; Höpp, Texte aus der Fremde, S. 67f. Während Trefzger noch vermutet, dass der Herausgeber von al-Qisas Rifat war, schreibt Höpp ihm die Zeitschrift eindeutig zu. Trefzger, Die nationale Bewegung Ägyptens vor 1928 im Spiegel der schweizerischen Öffentlichkeit, S. 36. Lala Har Dayal (1884-1939), Gründer der Ghadar-Partei, wurde vor seinem Aufenthalt in der Schweiz von den USA aufgrund des Vorwurfs, ein Anarchist zu sein, ausgewiesen. Vgl. Trefzger, Die nationale Bewegung Ägyptens vor 1928 im Spiegel der schweizerischen Öffentlichkeit, S. 37f., Fn. 16. Ebd. vgl. Manjapras kurze Beschreibung von Har Dayals antideutscher Haltung gegen Ende des Ersten Weltkriegs, Manjapra, Age of Entanglement, S. 103. Trefzger, Die nationale Bewegung Ägyptens vor 1928 im Spiegel der schweizerischen Öffentlichkeit, S. 43. Höpp, »Zwischen allen Fronten«, S. 55.

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während der deutsche Botschafter in Istanbul von Wangenheim sie mit dem Hinweis auf Rifats angebliche Alkoholsucht und Unzurechnungsfähigkeit ablehnte.68 Oppenheim setzte sich durch und Rifat wurde nach Berlin eingeladen. Rifat war, wie andere arabischsprachige Mitarbeiter der NfO auch, daran beteiligt, auf Flugblättern und Pamphleten zum Widerstand gegen die Entente aufzurufen, Soldaten zum Desertieren zu bewegen und in den kolonisierten Ländern ein positives Deutschlandbild zu vermitteln sowie den Widerstand gegen die jeweilige Kolonialmacht zu fördern. Drei Wochen nach seiner Ausweisung aus der Schweiz kam Rifat nach Berlin, wo er vom Auswärtigen Amt mit der Aufgabe betraut wurde, propagandistische Artikel zu schreiben.69 Für ein Gehalt von 200 Mark schrieb er während des Krieges für die NfO gegen die britische Politik an.70 Nebenbei verfolgte er kontinuierlich seine eigenen Projekte, die besonders auf die Vereinigung und Zusammenführung antikolonialer Gruppen zielten. Aus Mohammed Farids Tagebuchaufzeichnungen von Ende 1917 ist das Bonmot überliefert, Rifat sei »jetzt eine Gruppe für sich«.71 Und tatsächlich hatte er sich von der Nationalpartei entfernt und gründete mit einigen Gefährten aus der Schweiz, darunter Ali Eloui und Hasan Khalifa, am 1. November 1918 die Ägyptische National-Radikale Partei. Diese benannte sich ein paar Jahre später von Partei in Gruppe um, vermutlich ein Zeichen für ihren begrenzten Radius und Einfluss. Die Partei war eine Exilgründung und hauptsächlich in Deutschland aktiv. Die drei beklagten in einem an das ägyptische Volk adressierten Manifest, dass sie weder bei der deutschen noch der osmanischen Regierung Unterstützung für ihr »Vaterland« erhielten, bekräftigten jedoch willens zu sein, Ägypten niemals aufzugeben.72 Ab 1918 musste Rifat seine Broschüren selbst veröffentlichen und erlebte damit eine ähnliche Situation wie zuvor in der Schweiz, wo er vor dem Publikationsverbot viele seiner Schriften selbst finanzierte. Nach dem Krieg publizierte Rifat zunehmend im Morgen- und Abendlandverlag, der von Zeki Kiram und seiner Frau Gertrude Kiram, geborene Neuendorff, geleitet wurde.73 Mit Kiram, einem zu der Zeit treuen Kemalisten, überwarf er

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Höpp, »Zwischen allen Fronten«, S. 55f. Höpp, »Zwischen allen Fronten«, S. 56. Rathmann, Lothar: »Ägypten im Exil (1914-1918) – Patrioten oder Kollaborateure des deutschen Imperialismus?«, in: ders. (Hg.), Asien in Vergangenheit und Gegenwart. Beiträge der Asienwissenschaftler der DDR zum XXIX. Internationalen Orientalistenkongreß 1973 in Paris, Berlin: Akademie 1974, S. 1-23, S. 6f. Zitiert nach Höpp, »Zwischen allen Fronten«, S. 59. Ebd., S. 60. Ausführlich zu Zeki Kiram: Ryad, Umar: »From an Officer in the Ottoman Army to a Muslim Publicist and Armament Agent in Berlin: Zêki Hishmat-Bey Kirâm (1886-1946)«, in: Bibliotheka Orientalis 63 (2006), Nr. 3-4, S. 237-267. Siehe auch Nachlass Höpp, Kiste 07.02.

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sich allerdings bald aufgrund seiner Ablehnung des kemalistischen Kurses der Türkei.74 Rifats Veröffentlichungen zeugten von einer fortdauernden antibritischen Haltung. Und er fokussierte Themen, die zeitgenössische Diskussionen der Mehrheitsgesellschaft widerspiegelten. Von diversen Autoren wird ihm eine zunehmend rechtskonservative Orientierung zugeschrieben.75 Er veröffentlichte zum Beispiel eine Broschüre als Beilage des Stahlhelm76 und schrieb diverse Artikel für die Mitteilungen des Bundes der Asienkämpfer.77 Die Mitteilungen lassen sich als rechtsnationale und kolonialrevisionistische Zeitschrift einordnen. Unterdessen nahm er auch eine ambivalente Haltung gegenüber Deutschland ein, wie ein Zitat aus einer seiner zahlreichen Broschüren belegt: Wir müssen leider offen gestehen, daß wir bis jetzt keine öffentliche Unterstützung, gegründet auf zukünftige Wechselseitigkeit und nicht auf leere Redensarten, vom amtlichen Deutschland erhalten haben. Die ganze deutsche Politik von Anfang an bis jetzt war durch und durch unbestimmt und verstimmend, nicht nur für die Verbündeten und Freunde Deutschlands, sondern auch in Bezug auf die deutschen inneren und äußeren Lebensfragen. […] Wir hören von der Freiheit der Meere, aber wir vernehmen nicht ein Wort von der Notwendigkeit der Befreiung Aegyptens.78 Ambivalent ist diese Haltung, weil Rifat auch immer wieder andere Positionierungen einnahm. Er verglich die Rhein- und Ruhrbesatzung und das durch die Auflagen des Versailler Vertrags aus seiner Perspektive als geknechtet und unterdrückt wahrgenommene Deutsche Reich mit den kolonisierten Staaten, allen voran Ägypten.79 Mit dieser Position stand er nicht allein da, viele Exilägypter teilten diese Haltung. Auch zwei junge Ägypter, die in den 1930er Jahren nach der Rückkehr in ihre Heimat maßgeblich am Aufbau einer sozialistischen Partei in Ägypten beteiligt waren und die im folgenden Abschnitt vorgestellt werden sollen, hingen Anfang der 1920er Jahre dieser Einschätzung an. 74 75 76 77

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Nachlass Höpp, Kiste 07.02, »Drei Religionen und ein Haß!« in: Mitteilungen des Bundes der Asienkämpfer, 01.09.1924. Vgl. Höpp, Die ägyptische Frage, S. 89. Rifat, Mansur M.: Die ägyptische nationale Bewegung. Ursprung und Ziele, Berlin 1925 (Sonderdruck aus dem Stahlhelm Nr. 6, Wochenschrift des Bundes der Frontsoldaten). Zum Beispiel Rifat, Mansur: »Zaghlul Pascha, seine Anhänger und seine Gegner«, in: Mitteilungen des Bundes der Asienkämpfer 6 (1924), Nr. 8, S. 105f. und Rifat, Mansur: »Sind Mahattma Ghandi und Zaglouhl Nationalhelden?«, in: Mitteilungen des Bundes der Asienkämpfer 6 (1924), Nr. 12, S. 149f. Die Mitteilungen lassen sich als rechtsnationale und kolonialrevisionistische Zeitschrift einordnen. Zitiert nach Oberhaus, Die deutsche Ägyptenpolitik, S. 245. Mit dieser Position war Rifat ähnlichen Äußerungen Farids noch recht nahe. Vgl. Rathmann, »Ägypten im Exil«, S. 10. Zum Beispiel in: Rifat, Mansur M.: Der Patriotismus bei den Ägyptern, Berlin: Silesia 1923 (Aus: Aegyptische Korrespondenz, Jg. 3, H. 5).

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El-Kadi und Nassif: ägyptische Sozialisten Isam Eddin Hifni Nassif (1899-1969)80 und Abd El-Fattah Mohammed El-Kadi (1896–?)81 kamen 1920 als Studenten aus Ägypten zunächst nach Berlin. Beide hatten im Gegensatz zu Rifat die Ereignisse von 1919 vor Ort miterlebt und hingen anfänglich eher der Wafd-Partei an.82 El-Kadi hatte sich nach einem Vierteljahr Deutschstudien an der Friedrich-Wilhelms-Universität für das Fach Medizin eingeschrieben, Hifni Nassif war bei den Agrarwissenschaften immatrikuliert. El-Kadi studierte zwei Semester in Berlin, machte dann seine Vorprüfung nach einem Studienjahr in Freiburg, um, wieder zurück in Berlin, 1925 das Studium mit einer Doktorarbeit abzuschließen.83 Die meisten Exilägypter in Berlin waren von der ÄNP oder ihren Abspaltungen beeinflusst und den Verhandlungen über die Unabhängigkeit, die Zaghlul seit 1921 mit den Briten führte, kritisch gegenüber eingestellt. Die formelle Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1922 wurde in Berlin von den Ägyptern weitestgehend abgelehnt. Auch El-Kadi und Hifni Nassif wandten sich von der Wafd ab und orientierten sich zunehmend an den Positionen der ÄNP. El-Kadi beteiligte sich mit einer Reihe von Artikeln in der Aegyptischen Korrespondenz wie auch in den von dem schon erwähnten Max Grühl herausgegebenen Stimmen des Orients an den Diskussionen und Auseinandersetzungen der arabischen Exilnationalisten. Seine Themen waren indes nicht nur im antikolonialen Kampf der Herkunftsländer verortet, sondern er beteiligte sich auch an Deutschland betreffende Diskussionen. Zum Beispiel reagierte er auf einen Briefwechsel Grühls mit dem »Afrikaforscher« Georg Schweinfurth, den Ersterer 1924 in seinem Blatt Der Neue Orient veröffentlichte. Es war ein Rekurs auf die Debatte über die Gleichsetzung kolonisierter Länder mit der Weimarer Republik. Schweinfurth äußerte sich in diesem Briefwechsel ablehnend und nahm eine bekannte Perspektive kolonialrevisionistischer Kreise ein: Was mich jedoch am meisten kränkt, ist die von den Jungägyptern aufgestellte Parallele mit der Ruhrbesetzung […], die doch den Ruin Deutschlands zur Aufgabe hat, während die englische Besetzung von Ägypten diesem Lande zum höchsten Gedeihen gereicht auf materieller Sphäre. Was England Ägypten bot, ist ihm noch nie geboten worden: Finanz, Prestige, Kataster, Aufhebung der Frondienste, das Fünf-Feddangesetz gegen die Ausbeutung durch den Wucher, Verhinderung

80 81 82 83

Höpp, Texte aus der Fremde, S. 64f. Eigentlich Abd al-Fattah al-Qadi. Vgl. Höpp, Texte aus der Fremde, S. 65f. Höpp, »Traditionen der ägyptischen Revolution«. Ebd., S. 75.

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der Industrie im Grossen für ein Agrikulturland! England ist unser Hauptfeind; das berechtigt uns aber nicht dazu die Ägypter durch falschen Rat zu verführen!84 In einem weiteren Brief handelte Schweinfurth den Werteverfall in deutschen Großstädten ab und die damit einhergehende fehlende Vorbildfunktion des »deutschen Familienlebens […] für den Kulturfortschritt der Aegypter«85 und kam am Ende zu dem Schluss: Die Aegypter sich selbst überlassen, würde nicht ohne fremde Hilfe den Staat zwei Jahre zusammenhalten können. […] In England selbst finden ja auch die Aegypter viele Fürsprecher. Wenn sie sich 50 Jahre lang im Verwalten des Landes geübt haben werden, können sie ganz selbständig werden. Wozu diese Eile?86 El-Kadi rekurrierte ein paar Monate später auf Schweinfurths Ausführungen. Er begann mit einer Lobeshymne auf dessen Gelehrsamkeit, widersprach jedoch seiner These, Ägypten müsse (zum eigenen Wohl) noch weitere 50 Jahre unter englischer Herrschaft verbleiben: Wenn der verehrte Herr Dr. Schweinfurth seine Ansicht auf die Ereignisse gründet, die er gelegentlich der Revolution Orabi (nicht Arabi, wie die Europäer schreiben) Paschas vor 40 Jahren in Ägypten erlebte, – aber nicht zu vergessen, fern von dem eigentlichen Schauplatz der Ereignisse inmitten der von diesen nicht berührten und auf sich widersprechende Nachrichten von anderer Seite angewiesen – so hätte Frankreich noch weit mehr als wir die Fremdherrschaft in seinem Lande wegen der vom französischen Volke während der großen Revolution verübten Greueltaten verdient. Mit demselben Rechte könnte man die Behauptung aufstellen, daß mit Rücksicht auf die im Gefolge des Weltkrieges in Deutschland und Italien ausgebrochene Revolution – zeitweiser Bürgerkrieg in ersterem Lande, Faschistenbewegung in Italien – diese beiden Völker das Recht der Souveränität verwirkt und sich der Fremdherrschaft als »würdig« erwiesen hätten.87 Zu jener Zeit war El-Kadi in der »Vertretung Ausländischer Studierender« an der Universität Berlin benannt und repräsentierte daselbst den »Ägyptischen Bund«.88 Der Duktus des öffentlichen Schreibens verdeutlicht das Selbstbewusstsein der jungen Generation arabischer/ägyptischer Student_innen in der Zwischenkriegszeit. Die Platzzuweisung des »verehrten Herr[n] Dr. Schweinfurth« war deutlich, 84 85

86 87 88

Grühl, Max: »Prof. Georg Schweinfurth und die ägyptische Frage«, in: Stimmen des Orients 1 (1924), Nr. 11-12, S. 293-296, S. 293. Eine Zusammenfassung und Kritik der Korrespondenz zwischen Grühl und Schweinfurth findet sich bei El-Kadi, A. F. M.: »Die ›Stimmen des Orients‹ und die ägyptische Frage«, in: Aegyptische Korrepondenz 4 (01/02.1924), Nr. 1-2, S. 1-5, S. 4. Ebd. Ebd., S. 1ff. Höpp, »Traditionen der ägyptischen Revolution«, S. 76.

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nicht allein durch den Hinweis auf die richtige Schreibweise des Namens des Vorkämpfers gegen die britische Kolonialherrschaft, »Orabi«.89 Doch die Debatte war noch nicht zu Ende. Max Grühl, der in den Stimmen des Orients die gesamte Auseinandersetzung in »objektiver« Form wiederzugeben beanspruchte,90 schloss sich dem paternalistischen Kurs Schweinfurths an und antwortete, wie Gerhard Höpp zusammenfasst, mit einer »Kampagne gegen Ägypter und andere Orientalen in Deutschland« auf die von El-Kadi und anderen vorgenommene Gleichsetzung Deutschlands mit Ägypten.91 Er versuchte die unterschiedlichen Positionen der Exilägypter gegeneinander auszuspielen und führte Äußerungen Rifats an, der sich, wie erwähnt, zeitweise mit gewissen neokolonialen Kreisen in Deutschland verbunden hatte. Grühls Positionen wurden ebenfalls in der Folge von rechtskonservativen Kreisen unterstützt, besonders zu nennen ist hier erneut der Bund der Asienkämpfer. 1924, also noch im selben Jahr, wendete sich das Blatt für alle Beteiligten. Die Herausgabe der Stimmen des Orients wurde eingestellt. Ebenso erschien Ende 1924 die letzte Ausgabe der Aegyptischen Korrespondenz. El-Kadi hatte sowohl Grühl als auch Rifat als »strenge Rechtsradikale[]«92 bezeichnet – beide im Übrigen aus ähnlichen Gründen. El-Kadi kritisierte an Grühl, dass dieser die Waffenlosigkeit Deutschlands nach dem Versailler Vertrag moniere und die Idee eines allgemeinen »Weltfriedens« als Utopie belächle.93 Gleichermaßen warf er Rifat vor, dass dieser Saad Zaghlul verunglimpfe, weil der dem Ideal einer gewaltfreien Politik nachstrebe.94 Über den weiteren Verlauf dieses Streits ist nichts bekannt. El-Kadi verließ das Land, um sich, nach Ägypten zurückgekehrt, mit Hifni Nassif am Aufbau einer sozialistischen Partei zu beteiligen.95 Rifat blieb seiner antikolonialen Linie treu und schien sich auch wieder Gruppen aus dem Umfeld der ÄNP anzunähern. Er kritisierte die spanische Vorgehensweise im marokkanischen Rifgebirge gegen die von 1921-1926 dauernde Unabhängigkeitsbewegung um Abdelkrim96 und den fortdauernden englischen Einfluss in Ägypten. Nach dem bereits erwähnten Attentat auf Saad Zaghlul, zu der Zeit Ministerpräsident mit eingeschränkten Machtbefugnissen, im Juli 1924 in Kairo, kam es zu Hausdurchsuchungen bei ägyptischen Studenten in Berlin.97 Der Attentäter Abd al-Latif Abd al-Khaliq al-Dabaschani hatte 89 90 91 92 93 94 95 96 97

Vgl. Muhammad Salim, Urabi und seine Gefährten [arabische Zitation siehe Anhang]. Grühl, »Prof. Georg Schweinfurth und die ägyptische Frage«, S. 294. Höpp, Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915-1945, S. 21. Vgl. Nachlass Höpp, Kiste 07.04. El-Kadi, »Die ›Stimmen des Orients‹ und die ägyptische Frage«, S. 2. Ebd. Ebd. Höpp, »Traditionen der ägyptischen Revolution«, S. 80. Sasse, Franzosen, Briten und Deutsche im Rifkrieg 1921-1926. Vgl. Kassim, Die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu Ägypten 1919-1936, S. 125ff. Vgl. Höpp, Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915-1945, S. 21.

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in Deutschland studiert und die ägyptischen Exilnationalisten, denen eine Nähe zur ÄNP nachgesagt wurde, standen nun unter dem Verdacht, an einer Verschwörung teilgenommen zu haben.98 Der ägyptische Konsul in Deutschland unternahm schon wenige Tage später eigenmächtig die Hausdurchsuchungen bei ägyptischen Studenten und wurde daraufhin von zahlreichen Vertretern der antikolonialen Bewegung beschuldigt, ein britischer Handlanger zu sein. Auch Rifat beteiligte sich an diesen Protesten und ging so weit, Beschwerdebriefe an den deutschen Außenminister, an Reichspräsident Friedrich Ebert sowie an weitere offizielle Stellen zu schreiben.99 Auch der Bund der Asienkämpfer schaltete sich in den Konflikt ein und fragte beim Auswärtigen Amt brieflich an, welche Übergriffe der ägyptische Konsul sich zu Schulden habe kommen lassen. Denn der Bund ging von nur einer Hausdurchsuchung bei »einer Berliner Familie« aus. Es war auch die Rede von »lästigen Ausländern«, die, so hoffte der Autor des Schreibens, in Kürze ausgewiesen werden würden.100 Tatsächlich kam es ein Jahr später zu Ausweisungen, denen auch Rifat zum Opfer fallen sollte. Er ging nach Österreich und das Auswärtige Amt bemühte sich, jede weitere Einreise nach Deutschland zu verhindern. Dennoch trug es der deutschen Gesandtschaft im Nachbarland auf, den Ägypter aufgrund »früherer Tätigkeit in deutschen Diensten freundlich (zu) behandeln«.101 Über sein Verbleiben dort gibt es widersprüchliche Angaben – den Mitteilungen des Bundes der Asienkämpfer zufolge nahm er sich im Dezember 1926 in Reichenau bei Wien das Leben.102

Der Orient-Klub Anfang der 1920er Jahre waren viele arabische Personen in Deutschland in politischen Organisationen aktiv.103 Verschiedene ägyptische Gruppen schlossen sich in der Ägyptischen Kolonie zusammen. Die meisten Exilägypter sollen im älteren

Kassim, Die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu Ägypten 1919-1936, S. 157ff. Vgl. Badrawi, Malak: Political Violence in Egypt 1910-1925, Richmond: Curzon 2000, S. 198. 99 Kassim, Die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu Ägypten 1919-1936, S. 163f. Wie groß die antikoloniale Solidarität mit Rifat zu der Zeit noch war, zeigt sich auch daran, dass zwei seiner indischen Kollegen Protestschreiben gegen das Vorgehen des ägyptischen Konsuls verfassten, den auch sie als Handlanger der britischen Regierung einstuften. Sie kritisierten die Gefahr eines Präzedenzfalles für weitere Widerstandsgruppen im Exil. Vgl. ebd., S. 163, Fn. 143. 100 Ebd., S. 163. 101 Höpp, »Zwischen allen Fronten«, S. 64. 102 Ebd., S. 64. 103 Es waren auch in diesem Zusammenhang vorwiegend Männer, deren Aktionen überliefert wurden. Jedoch ist die Aktivität einer namenlos bleibenden Palästinenserin bekannt, die Ende der 1920er Jahre bei der Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit aktiv war. Vgl. Nachlass Höpp, Kiste 11.4. Zu der Liga vgl. die folgenden Ausführungen. 98

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Ägyptischen Bund organisiert gewesen sein, der häufig eine andere Position vertrat als die Ägyptische Kolonie oder auch der Ägyptische Studentenverein an der Technischen Hochschule Charlottenburg und im Vergleich konservativere Haltungen einnahm.104 Einer dieser Treffpunkte unterschiedlicher Gruppen, die der selbstbekundete »Kampf gegen Fremdherrschaft« einte, war der Orient-Klub in der Kalckreuthstraße 11 in Berlin-Charlottenburg. In ihm fanden sich politische und kulturelle Gruppen und Vereine unterschiedlicher Richtungen und Herkünfte ein. Der gleichnamige eingetragene Verein Orient-Klub e. V. organisierte Themenabende und politische Veranstaltungen. Gegründet wurde der Klub vermutlich von Mehmed Talat Pascha.105 Ebenso wie Enver Pascha gehörte Talat der Bewegung der jungtürkischen Nationalisten an und war bis 1918 Innenminister (Großwesir) des Osmanischen Reichs.106 Er kehrte nach dem Waffenstillstand von 1918 nicht in die Türkei zurück. Die Türkei durchlief nach Kriegsende mehrere Regierungswechsel, bis 1923 Mustafa Kemal Pascha, später Atatürk, an die Macht kam. Talat kehrte wohl auch nicht zurück, um einer Verurteilung aufgrund seiner Schuld an der Vertreibung und Ermordung der Armenier zu entgehen.107 Talat und Enver Pascha gehörten der Fraktion der Jungtürken an, die mit dem Kaiserreich während des Krieges koalierten und direkt für die Deportations- und Vernichtungsbefehle und damit für den Genozid an den Armenier_innen verantwortlich waren.108 Mehmed Talat Pascha wurde 1921 in Berlin von einem Armenier ermordet.109 Der Aufbau des Orient-Klubs vereinte unterschiedliche Gruppierungen und sollte unter anderem, »mittellosen muslimischen Studenten […] helfen, sich in Europa zurechtzufinden«.110 Der Klub galt auch als Treffpunkt asiatischer und afrikanischer Aktivistinnen und Aktivisten. Sein erster Präsident war Schakib Arslan und dessen Stellvertreter der bereits ausführlich behandelte Schauisch.111 An diesem Ort fand am 15. November 1921 eine Gedenkfeier für Mohamed Farid statt, die ganz im Zeichen des antikolonialen Protests stand. Redner war neben Schauisch auch Hifni Nassif.112 Letzterer hielt im Orient-Klub zudem nur ein halbes Jahr 104 Höpp, »Zwischen allen Fronten«, S. 165. Vgl. Höpp, Gerhard: »Zwischen Universität und Strasse. Ägyptische Studenten in Deutschland 1849-1945«, in: Schliephake, Konrad, Shanneik, Ghazi (Hg.), Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ägypten, Würzburg 2002, S. 31-42, S. 34. 105 Mehmed Talat Pascha (1874-1921), vgl. Böer, Haerkötter, Kappert, Türken in Berlin, S. 195-202. 106 Ebd. 107 Böer, Haerkötter, Kappert, Türken in Berlin, S. 200f. 108 Gottschlich, Jürgen: Beihilfe zum Völkermord. Deutschlands Rolle bei der Vernichtung der Armenier, Berlin: Ch. Links 2015, S. 182ff. 109 Böer, Haerkötter, Kappert, Türken in Berlin, S. 200f. 110 Ebd., S. 200. 111 Höpp, »›Die ägyptische Frage‹«, S. 90, Fn. 40. 112 Ebd., S. 90.

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später eine weitere für Aufsehen sorgende Rede zur Scheinunabhängigkeit Ägyptens.113 Diese Rede spiegelte den weitverbreiteten Konsens der in Deutschland ansässigen Exilnationalisten wider, dass die Unabhängigkeit Ägyptens nur pro forma existiere und in Wirklichkeit der britische Einfluss ungebrochen weiter bestehe. Finanziert wurde der Klub bis zu seiner Ermordung 1921 von Talat Pascha, danach übernahm die afghanische Gesandtschaft die Kosten.114 Verschiedene Zeitschriften waren mit dem Klub assoziiert und standen für unterschiedliche Richtungen der antikolonialen Kräfte. Am bekanntesten war Liwa-el-Islam, die keine direkte Fortsetzung der bereits erwähnten Parteizeitschrift al-Liwa der ÄNP war, sondern eine eigenständige Exilzeitschrift, die in vier verschiedenen Sprachen erschien, herausgegeben von Ilias Bragon, einem türkischen Tierarzt.115 Sie galt als panislamisches und in erster Linie antiimperialistisches Blatt, wie in der ersten deutschsprachigen Ausgabe eindeutig betont wurde: »Wir werden in unseren Zeilen in erster Linie die Leiden der Nationen beschreiben, welche als Mitglied des Islams eine Familie bilden und heute ein Sklavenleben ertragen müssen.«116 Dass die Kollaborationen für den antiimperialistischen Kampf wechselseitig eingegangen wurden, zeigt auch der Richtungswechsel hinsichtlich der Russischen Sowjetrepublik. Wurde 1921 angesichts gemeinsamer Gegner (vor allem Großbritannien) noch Einigkeit mit Russland proklamiert, war diese Koalition 1922 nicht mehr gefragt.117

Tschelebi und das Islam-Institut 1922 gründete der Inder Abdul-Jabbar Kheiri die Islamische Gemeinde zu Berlin. Ihr trat auch ein junger Syrer bei, der in den Folgejahren zu einem der aktivsten arabischen Studenten in der Stadt zählen sollte: Mohammed Nafi Tschelebi (19021933). Der junge Mann war aus Aleppo nach Berlin gekommen und schrieb sich an der Technischen Hochschule für das Fach Maschinenbau ein. Er machte verstärkt Werbung für die Gemeinde, sodass ihr immer mehr antikolonial eingestellte und aktivistische Studenten und andere muslimische Migranten beitraten. Er war in verschiedenen Zusammenhängen politisch aktiv und übernahm 1924 zunächst den stellvertretenden, später den ersten Vorsitz der Akademisch-Islamischen Vereinigung Islamia, die 1924 gegründet wurde.118

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Höpp, »Traditionen der ägyptischen Revolution«, S. 77. Die Rede ist veröffentlicht in Azad-i Sharq 14 (1922), S. 1. Höpp, »Traditionen der ägyptischen Revolution«, S. 76. Höpp, Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915-1945, S. 25f. Ebd. Vgl. Liwa-el-Islam, 1 (1921), Nr. 2, S. 1. Höpp, Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915-1945, S. 27. Höpp, Texte aus der Fremde, S. 78.

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1924 kam es im Zuge der Abschaffung des Kalifats in der Türkei119 zu einem Bruch in der Islamischen Gemeinde zu Berlin. Die Islamia, eine Organisation, die mehrheitlich aus arabischen Studenten und Intellektuellen bestand, spaltete sich von der weiter unter Kheiris Leitung stehenden Gesellschaft für islamische Gottesverehrung ab, der hauptsächlich Perser, Tataren, Türken und Afghanen unterschiedlicher Professionen angehörten.120 Tschelebi baute die Islamia zu einer der größten religiösen Exilorganisationen in Deutschland aus, deren Ziel eine Vereinigung islamischer Lebensweisen in der Diaspora und der Kampf um nationale Selbstbestimmung war. Gleichzeitig betonte er den dezidierten Bezug zu Deutschland und die »allnationale Brüderschaft«, die auch deutsche Muslim_innen mit einbezog. Im Gegensatz zu den national organisierten Gruppierungen stellte er heraus: Die Akademisch-Islamische Vereinigung unterscheidet sich grundsätzlich von diesen [nationalen] Organisationen. Wie ihr Name zeigt, ist sie eine religiös orientierte Vereinigung; aus der Tatsache nimmt sie die Berechtigung ihrer Existenz. Sie ist also nicht nur religiös etwa im Stil der katholischen Studentenkorporationen Deutschlands, die sich auch nur wieder auf Angehörige einer Nation beschränken […], sondern wiederholt und verwirklicht in sich die konkrete Werteform der islamischen Gesellschaft, so wie sie überall ad hoc realisiert werden muß, wo drei oder mehr Muslime örtlich oder zwecklich vereinigt sind.121 Die Islamia und die zuvor erwähnte Gesellschaft für islamische Gottesverehrung vertraten wiederum unterschiedliche Positionen, wobei der zentrale Konflikt zwischen Kheiri und Tschelebi laut Gerdien Jonker darin bestand, dass Tschelebi im Gegensatz zu Kheiri nicht die muslimische Weltrevolution angestrebt habe, sondern den Aufbau muslimischer Nationalstaaten.122 Die Auseinandersetzungen zwischen Kheiri und Tschelebi wurden auch vonseiten des Auswärtigen Amts interessiert beobachtet.123 Zum einen wurde die Zusammenarbeit und Teilnahme von Deutschen angemerkt. So hieß es etwa in einem Bericht zur Islamia: »Deutsche sind in der Islamia zahlreich vertreten, Männer wie Frauen, anscheinend 119

Atatürk nahm Säkularisierungsmaßnahmen vor, die sich auf verschiedenen Ebenen über Jahre hinweg hinzogen und neben der Abschaffung des Kalifats zum Beispiel auch die Aufhebung des Islamunterrichts an Schulen beinhaltete. Vgl. Binswanger, Karl: »2. Die Türkei«, in: Ende, Werner, Steinbach, Udo (Hg.), Der Islam in der Gegenwart, Frankfurt a.M.: Büchergilde Gutenberg 1991, S. 212-220, S. 213. 120 Vgl. Gesemann, Höpp,»Araber in Berlin«, S. 27f. Zu Abdul-Jabbar Kheiri vgl. auch Manjapra, Age of Entanglement, S. 168f. 121 Tschelebi, Mohammed Abdul Nafi: »Die Bildungsbestrebungen der Akademisch-Islamischen Vereinigung ›Islamia‹«, in: Hochschule und Ausland 5 (06/08.1927), Nr. 40, S. 103-105. 122 Jonker, Gerdien: The Ahmadiyya Quest for Religious Progress. Missionizing Europe 1900-1965, Leiden/Boston: Brill 2016, S. 103. 123 Vgl. PA-AA 78240.

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meist kleinere Beamte.«124 Zum anderen interessierte sich das Amt für die Positionen von Orientalisten und Islamwissenschaftlern, die mit diesen Gruppierungen verbunden waren, wie zum Beispiel die des SOS-Mitarbeiters Georg Kampffmeyer.125 Während es für die deutschen Akteure auch Teil einer Faszination über den Eintritt in eine neue Glaubenswelt gewesen sein mag, war es für die muslimischen Aktiven zumeist eine Weiterführung ihres in ihren Herkunftskontexten praktizierten Glaubens verbunden mit antikolonialen politischen Positionen.126 Tschelebi war an vielen Aktivitäten beteiligt. Er hielt am 27. März 1928 eine Rede auf einer Veranstaltung der Ägyptischen Kolonie, die in Berlin-Halensee stattfand. Am Ende des Abends verabschiedeten die Teilnehmenden eine Resolution, in der die Forderung nach einer absoluten Unabhängigkeit Ägyptens und des Sudans gestellt wurde.127 Tschelebi kooperierte mit seinem Lehrer, Kamil Ayyad, einem der Mitbegründer der syrischen Geschichtswissenschaften,128 der in den 1920er Jahren in Berlin Soziologie studiert hatte, und verfolgte mit ihm denselben Kurs: »Mit den Arabern erfolgt der Aufbruch des Orients«, hieß es in der Zeitschrift al-Hamama, deren erste Ausgabe 1923 in Berlin erschienen war.129 Die verschiedenen Koalitionsbildungen lassen sich nicht chronologisch nacherzählen. Sie weisen jedoch eine Kontinuität auf: die Suche nach Regionen übergreifenden und transnationalen Bündnissen, die antiimperialistisch und/oder antikolonial ausgerichtet waren. Verschiedene in Deutschland ansässige Gruppierungen setzten sich im Verbund mit weiteren antikolonialen Gruppen ab 1925 zunehmend für den Unabhängigkeitskampf in Syrien ein. Die Koalition, die sich aus den unterschiedlichen Gruppen ergab, war zunächst als Komitee gegen die Greuel in Syrien bekannt.130 Dieses wurde unter Beteiligung der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) gegründet und fand die Unterstützung von Persönlichkeiten wie Clara Zetkin, Heinrich Zille

124 PA-AA R 78240, Schreiben Mo (Mittwoch), Die Islamia. 125 Ebd. 126 Vgl. Motadel, David: »Islamische Bürgerlichkeit – Das soziokulturelle Milieu der muslimischen Minderheit in Berlin 1918-1939«, in: Brunner, José, Lavi, Shai (Hg.), Juden und Muslime in Deutschland. Recht, Religion, Identität, Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 37 (2009), Göttingen: Wallstein 2009, S. 103-121. 127 »Protestkundgebung der Ägyptischen Kolonie Berlin«, in: Die islamische Gegenwart 2 (1928), Nr. 2/3, S. 35f. Vgl. Höpp, »›Die ägyptische Frage‹«, S. 95. 128 Choueiri, Youssef M.: »Arab Historical Writing«, in: Schneider, Axel, Woolf, Daniel (Hg.), The Oxford Companion of Historical Writing, New York: Oxford University Press 2011, S. 496-514, S. 497. 129 Höpp, Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915-1945, S. 23f. 130 Nachlass Höpp, Kiste 07.13, »Der koloniale Freiheitskampf. Mitteilungsblatt der Liga gegen Kolonialgreuel und Unterdrückung (erscheint in deutsch, englisch, französisch, arabisch). Hauptgeschäftsstelle in Deutschland: Fritz Danziger, Berlin W 50, Bamberger Straße 60, Nr. 1 Deutsche Ausgabe, Berlin 15. Februar 1926«, Vgl. Gesemann, Höpp, »Araber in Berlin«, S. 24.

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und Erich Mühsam.131 Mit Ahmad Matar,132 einem Journalisten sudanesischer Herkunft, war ein weiterer Aktivist in Deutschland unterwegs, der sich insbesondere dem Kampf der marokkanischen Rifkabylen verschrieben hatte. Die antikolonialen Kämpfe in Marokko wurden auch in der deutschen Öffentlichkeit verfolgt und Matar schrieb darüber etliche Artikel und hielt Vorträge in unterschiedlichen deutschen Städten.133 Später bildete sich aus dem Komitee gegen die Greuel in Syrien die Liga gegen Koloniale Unterdrückung.134 An ihr waren nicht nur arabische Vereine und Organisationen beteiligt, die antikoloniale Allianz schloss auch den Verein der Kameruner, den Hauptverband der chinesischen Studenten sowie weitere Gruppierungen mit ein.135 Die ägyptischen Nationalisten und Studenten waren Mitte der 1920er Jahre mittlerweile durch mehrere Organisationen repräsentiert: die Deutsche Sektion der Ägyptischen Nationalpartei, die Ägyptische National-Radikale Partei, das Ägyptische Nationale Verteidigungskomitee und den Ägyptischen Studentenverein an der Technischen Hochschule Charlottenburg.136 Die Vereinigung Arabischer Studierender zu Berlin (El-Arabiya) wurde vor allem von Syrern, Palästinensern und Transjordaniern frequentiert, die sich auch im Arabischen Studentenbund an der Technischen Hochschule Charlottenburg trafen. Ibrahim Youssef, Nachfolger Rifats als Vorsitzender der Ägyptischen National-Radikalen Partei und zeitweilig Schriftleiter der Aegyptischen Korrespondenz,137 bezeichnete die Zusammenkunft der unterschiedlichen Gruppierungen als »islamische Front gegen den Imperialismus«138 . Tschelebi, der seit 1925 zunächst als Sekretär, später als Vorsitzender Mitglied der Studentenvereinigung El Arabiya war, engagierte sich besonders für die Unterstützung von Studenten und war sehr an einer Institutionalisierung muslimischen Lebens in Deutschland interessiert. Er war in unterschiedlichen Gruppierungen aktiv, der Akademisch-Islamischen Vereinigung Islamia, der Hauptgemeinschaft Ausländischer Studierender sowie der El Arabiya.139 Schon in der El Arabiya war er am Aufbau eines Archivs beteiligt, in dem Informationen zu den Herkunftsländern wie auch zu der Arbeit des Vereins gesammelt wurden. Die Aktivitäten dieser Gruppe nahmen damit eine neue Ausrichtung an: Sie waren nicht mehr primär 131 132 133 134 135 136 137 138 139

Ebd. Zu Ahmad Hasan Matar (1904-1984) vgl. Höpp, Texte aus der Fremde, S. 63. Nachlass Höpp, Kiste 07.13, Dokumente zu Ahmad Matar und die Internationale Arbeiterhilfe. Höpp, »›Die ägyptische Frage‹«, S. 94f. Ebd., S. 94. Vgl. Höpp, »›Die ägyptische Frage‹«. Höpp, Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915-1945, S. 71. Youssef, Ibrahim I., »Der kommende Kalif«, in: Mitteilungen des Bundes der Asienkämpfer 7 (1925), Nr. 11, S. 155-156. Gesemann, Höpp, »Araber in Berlin«, S. 28.

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mit Fragen in den Herkunftsländern befasst, sondern betrafen konkret Fragen eines muslimischen Alltags in Deutschland.140 Der zunächst als dezidiert apolitisch deklarierte Verein141 war dennoch an tagespolitischen Auseinandersetzungen beteiligt, wie der Protest gegen die ausführlich in Kapitel »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen besprochene Schau »Tripolis in Berlin« zeigte, die 1927 im Berliner Zoo präsentierte »Völkerschau«, in der auch religiöse Zeremonien für das Publikum vorgeführt wurden. Nach der Entzweiung der Islamischen Gemeinde im Jahr 1924 wurde Tschelebis politisches Wirken immer deutlicher. Im Gegensatz zu dem in der Satzung proklamierten apolitischen Kurs trieb er die zunehmende Politisierung sowohl der studentischen als auch der religiös ausgerichteten Gruppen voran.142 Sein Engagement kam nicht zuletzt in drei kurzlebigen Zeitschriften zum Ausdruck, die jeweils von 1927 bis 1929 erschienen: Das Islam-Echo, Der Islamische Student und Die Islamische Gegenwart. Willi Münzenberg143 und Virendranath Chattopadhyaya144 wiederum hatten 1926 die Liga gegen Imperialismus mit Sitz in Berlin gegründet, der sich auch unterschiedliche panarabisch oder panislamisch ausgerichtete Gruppierungen anschlossen.145 Über die grundsätzliche Zusammensetzung der Liga schreibt Kris Manjapra in seiner Studie Age of Entanglement: It [die Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit] was a dialogic arena that convened the top leaders of anticolonial nationalist movements in the colonial and semicolonial lands across Latin America, Africa, and Asia. The

140 In einem Artikel in Die Islamische Gegenwart ist von Tschelebis Bemühungen die Rede, alte und neue Muslime in Deutschland zusammenzubringen und rechtliche Grundsätze für muslimisches Leben in Deutschland festzulegen. Vgl. »Kulturelle Umschau. Organisation der deutschen Muslime«, in: Die Islamische Gegenwart 1 (1927), Nr. 1, S. 20. 141 Vgl. Satzung der Vereinigung arabischer Studierender zu Berlin, 23.10./6.11.1925, Nachlass Höpp, Kiste 07.02. 142 Höpp, Gerhard: »Muslime unterm Hakenkreuz. Zur Entstehungsgeschichte des Islamischen Zentralinstituts zu Berlin e.V.«, in: Moslemische Revue 14 (1994) Nr. 1, 16-27, S. 18f. 143 Willi Münzenberg (1898-1940), Mitglied der Spartakusgruppe und der KPD, von 1924-1933 Reichstagsabgeordneter der KPD, 1921-1935 Generalsekretär der Internationalen Arbeiterhilfe. Mitbegründer der Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit. Vgl. Petersson, Fredrik: Willi Münzenberg, The League Against Imperialism, and the Comintern, 19251933, 2013, Bd. 1, S. 3ff., S. 1009f. 144 Virendranath Chattopadhyaya (1880-1937), indischer Nationalist, war an der antibritischen Bewegung während des Ersten Weltkriegs in Europa beteiligt. Er lebte in den 1920er Jahren in Berlin und war für die Liga gegen Imperialismus als »International Secretary« zuständig. Unter Stalin wurde er 1937 in der Sowjetunion hingerichtet. Petersson, Willi Münzenberg, The League, S. 998. 145 Manjapra, Age of Entanglement, S. 183f. Die erste Sitzung der Liga fand aufgrund der Einmischung durch offizielle Stellen in Berlin in Brüssel statt. Vgl. ebd., S. 183.

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first League against Imperialism meeting drew 174 delegates, and more than 104 of these were from the colonial world.146 Es ist belegt, dass Schakib Arslan, neben anderen, sowie die Islamia um Tschelebi bei der Gründung der Liga 1926 in Brüssel und bei weiteren Treffen zugegen waren.147 Tschelebi besuchte einen Kongress der Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit und kooperierte mit Teilen dieser Bewegung.148 Virendranath Chattopadhyaya, der zuvor genannte für die Liga aktive indische Antikolonialist, nannte Tschelebi den »aktivste(n) und intelligenteste(n) Araber in Berlin.«149 Und er anerkannte das Interesse des jungen Syrers an der Liga, trotz seiner panislamischen Ausrichtung. Tschelebi war schließlich maßgeblich an der Organisation eines panislamischen Netzwerkes beteiligt, das 1932 zur Gründung der Berliner Zweigstelle des Islamischen Weltkongresses führte.150 Obwohl die Zahl der arabischen Studenten, wie Tschelebi 1927 mit Bedauern feststellte, im Laufe der 1920er Jahre deutlich nachließ,151 war dies der Zeitpunkt, an dem es die stärkste eigene Organisation gab. Der Höhepunkt war die Gründung des Islam-Instituts in der Fasanenstraße in Berlin. Nach Tschelebis Angaben betrug die Zahl der ägyptischen Studenten, von denen zu Beginn der Dekade kontinuierlich circa 300 in Berlin studierten, um 1927 nur noch 80 Studierende, die in Berlin registriert waren.152 Tschelebi war einer der Mitbegründer des IslamInstituts, das sich zum Ziel setzte, die Studienmöglichkeiten für die »islamische Jugend« in Deutschland zu verbessern.153 Die feierliche Eröffnung dieses Instituts fand am 4. Dezember 1927 statt. Die von Tschelebi versendete Einladung nannte ihn als islamischen Vorsitzenden und Julius Bachem als deutschen Vorsitzenden. Ein Foto von den Eröffnungsfeierlichkeiten zeigt neben Tschelebi auch den Orientalisten Kampffmeyer, Professor am SOS, Schakib Arslan sowie Jahia Haschmi,

146 Ebd, S. 183. 147 Kampffmeyer, Georg: »Der Kongreß gegen Kolonialunterdrückung und Imperialismus in Brüssel 1927«, in: Die Welt des Islams 10 (06/1927), Nr. 2, S. 17-28, S. 18. Vgl. Höpp, Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915-1945, S. 40. Höpp verlegt die Gründung der Liga auf 1927. Šalabi steht in dem Text für Tschelebi. 148 Höpp, Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg 1915-1945, S. 40. 149 Höpp, »Muslime unterm Hakenkreuz«, S. 19. Vgl. zu Chattopadhyaya Manjapra, Age of Entanglement, S. 94ff. 150 Abdullah, Muhammad Salim: … und gaben ihnen sein Königswort. Berlin-PreussenBundesrepublik. Ein Abriß der Geschichte der islamischen Minderheit in Deutschland, Altenberge: CIS 1987. Vgl. Kramer, Martin: Islam Assembled. The Advent of the Muslim Congress, New York: Cornell University Press 1986. 151 Tschelebi, Mohammed Abdul Nafi: »Die Vereinigung Arabischer Studenten zu Berlin ›ElArabiya‹«, in: Hochschule und Ausland 5 (06/08.1927), Nr. 40, S. 105-106. 152 Tschelebi, H. M. Nafi: »Das Islam-Institut«, Berlin, o.J., PA-AA, R 78241. 153 Ebd.

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einen Lektor für Arabisch am SOS.154 Drei der Personen auf dem Foto trugen eine »arabische Tracht«.155 Schakib Arslan hielt eine Grußrede. In der Islamischen Gegenwart wurde betont, dass »Parlamentarier, Wirtschaftler, Wissenschaftler und Publizisten«, organisiert in Form eines Ausschusses, das Islam-Institut unterstützten.156 Am 19. Februar 1931 lud das Islam-Institut zum »Id ul Fitr«, zum Fest des Fastenbrechens, ein.157 Das dreitägige Festprogramm umfasste neben gemeinsamen Gebeten und einem Festessen der Muslim_innen auch Vorträge, etwa »Der Weltfriede als universelle Mission des Islam« von Tschelebi. Der zweite Tag war einer internen arabischen Tagung – »Die Panarabische Bewegung und ihre Freiheitskämpfe« – mit Referenten aus Ägypten, Nordafrika, dem Irak, Palästina und Syrien gewidmet. Während der erste Tag am Sitz des Islam-Instituts stattfand, traf man sich am zweiten Tag im »Hindustan-Haus« in der Uhlandstraße 179 in BerlinCharlottenburg.158 Fritz Grobba, Orientreferent im Auswärtigen Amt, gratulierte in einem Grußbrief. Die unterschiedlichen politischen Koalitionen in der Gruppe der antikolonial agierenden Personen waren wechselnd. Dies betraf nicht Tschelebi allein, es kam öfter zu politischen Richtungswechseln von links nach rechts oder umgekehrt. Tschelebi galt als religiös, er kooperierte mit Gruppierungen, die eher dem linken Spektrum der Parteienlandschaft zuzuordnen waren. Dafür kritisierte ihn sein langjähriger Unterstützer Kampffmeyer.159 Kampffmeyer war von 1908 bis 1929 als Professor und Lehrer für Ägyptisch und Marrokanisch am SOS tätig.160 Er förderte Tschelebi in vielerlei Hinsicht und er sowie Julius Bachem waren, wie Höpp hervorhebt, als »einzige nichtmuslimische Mitglieder im Stiftungsrat« des IslamInstituts vertreten.161 Doch Tschelebi veröffentlichte 1931 auch einen Artikel in Ludendorffs Volkswarte,162 der seit 1929 erscheinenden antisemitischen und rechtsextremen Zeitung, die sich zugleich scharf gegen Hitler und die Nationalsozialisten

Zu Mohammed Jahia Haschmi, Lektor am SOS von 1926 bis 1937, vgl. Höpp, Texte aus der Fremde, S. 49-51. 155 Vgl. PA-AA, R 78240, Einladungsschreiben Tschelebi zur Eröffnung des Islam-Institutes, vom 30.11.1927. 156 »Das Islam-Institut. Eine islamische Forschungs- und Lehrstätte auf deutschem Boden. Die Eröffnungsfeier in Berlin«, in: Die Islamische Gegenwart 1 (12/1927), H. 2, S. 23-24, S. 23. 157 Das Islam-Institut, Einladung zum »Id ul Fitr«, PA-AA, R78241. 158 Ebd. 159 Kampffmeyer, »Der Kongreß gegen Kolonialunterdrückung«, S. 18. 160 Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus, S. 498. 161 Höpp, Gerhard: »Orientalist mit Konsequenz: Georg Kampffmeyer und die Muslime«, in: Flasche, Rainer, Heinrich, Fritz, Koch, Carsten (Hg.), Religionswissenschaft in Konsequenz. Beiträge im Anschluß an Impulse von Kurt Rudolph, Münster u.a.: LIT 2000, S. 37-47. 162 Tschelebi, Mohammed Abdul Nafi: »Palästina unter Juden und Arabern«, in: Ludendorff ’s Volkswarte 3 (04/1931), Nr. 14, S. 2-3. 154

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wendete.163 Tschelebi zitierte in dem Artikel einen Appell Musa Kazim al-Husseinis, des Präsidenten des arabischen Exekutivkomitees in Palästina, der die britische Politik gegenüber den arabischen Palästinensern verurteilte, und sicherte ihm die Unterstützung der »arabische[n] Kolonie Berlins« zu.164 Die geschilderten politischen und religiösen Richtungswechsel der unterschiedlichen arabischen Protagonisten waren kennzeichnend für die Zwischenkriegszeit. Richtungskämpfe lassen sich nicht einfach nach dem politischen Parteienspektrum der Weimarer Republik einordnen. Es waren politische Auseinandersetzungen, die vor dem Hintergrund kolonialer Einflussnahme und kolonialer Diskursmacht stattfanden. Berlin war während der 1920er Jahre kosmopolitischer, antikolonialer Treffpunkt vieler unterschiedlicher Gruppierungen. Das Selbstverständnis panarabischer und panislamischer, manchmal auch »panorientalisch« genannter Koalitionen bewegte sich in verschiedene Richtungen. Sie war international geprägt und stand für unterschiedliche politische Ausrichtungen, eine Vielfalt, die nach 1933 im nationalsozialistischen Deutschland verschwand. Und auch die Führungseliten der unterschiedlichen islamischen Vereine änderten sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Jonker beschreibt dies für die Ahmadiyya-Gemeinde: »[…] the Nazi regime set the scene for a very different kind of Muslim leadership.«165 Schauisch kehrte nach Ägypten zurück und arbeitete von da an in der Verwaltung. Es ist nicht bekannt, ob er seinen panislamischen Ideen weiter nachging. Rifats Spuren verlieren sich in Österreich, er sah Ägypten vermutlich nicht mehr wieder. Ob er wirklich Selbstmord beging, ist nicht geklärt. El-Kadi und Nassif setzten ihre Aktivitäten in Ägypten fort und gaben die sozialistische Zeitung Ruh al-Asr (»Zeitgeist«) heraus.166 Tschelebi widerfuhr ein tragisches Ende. Er erlebte die wenig ruhmreiche Zeit des Instituts nach 1933 nicht mehr. Über diese Geschichte berichtet M. Salim Abdullah, langjähriger Direktor des aus Tschelebis Vorarbeiten entstandenen IslamArchiv-Deutschland,167 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: 1933 passierte zunächst einmal etwas. Die islamischen Gruppen in Deutschland [hatten] sich im islamischen Weltkongress vereinigt. Die Streitereien der Muslime untereinander waren den Nationalsozialisten auf den Geist gegangen, das

Wegehaupt, Phillip: »Ludendorff, Erich«, in: Wolfgang Benz (Hg.): Handbuch des Antisemitismus, Bd. 2: Personen, Berlin: de Gruyter/Saur 2009, S. 496. 164 Ebd. 165 Jonker, The Ahmadiyya Quest, S. 120 166 Höpp, »Traditionen der ägyptischen Revolution«, S. 80. 167 Muhammad Salim Abdullah (1931-2016) war jahrelang Seniordirektor des Zentralinstituts Islam-Archiv-Deutschland, das an die Universität Münster übertragen wurde. 163

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muß man einfach sagen. Ein tragischer Unfall in einem Berliner See besiegelte vorläufig eigentlich das Schicksal des Instituts, nämlich dass der Gründer des Instituts Tschelebi ertrank, obwohl er ein ausgezeichneter Schwimmer war. Wir sagen immer hinter vorgehaltener Hand, er wurde ertrunken. Auf jeden Fall war er nicht mehr da und das Institut wurde notdürftig über Wasser gehalten […].168 Mit Tschelebis Tod endete eine rege Epoche des panarabisch oder panislamisch ausgerichteten Aktivismus in Deutschland. Der Zuzug arabischer Studenten ging in den 1930er Jahren weiter zurück.169 Die unterschiedlich politisch ausgerichteten nationalistischen Bewegungen verlagerten ihre Aktivitäten vielfach zurück in ihre Herkunftsländer oder an andere Orte des Exils. Die zu Beginn des Kapitels geschilderte archivalische Ordnung, die nach einer orientalistischen Logik das Quellenmaterial kategorisierte, beeinflusst die Lesarten bis in die heutige Zeit. Dennoch konnte ich den Aktionsradius arabischer Akteur_innen kenntlich machen und eigensinnige Formen ihrer Aktivitäten aufführen. Eine weitere Kontinuität arabischer Präsenz in Deutschland existierte neben den geschilderten politischen Aktivitäten im Bereich von Handel und Gewerbe. Das folgende Kapitel geht einzelnen Beispielen arabischen Unternehmertums nach und diskutiert die Handlungsmöglichkeiten vor dem Hintergrund von Kommerz und Klischee.

(Selbst-)Orientalisierung und transnationale Vernetzungen in Handel und Gewerbe Die Berliner Gewerbeausstellung von 1896 war nicht allein ein Markstein in der exotisierenden Zurschaustellung von Menschen arabischer und außereuropäischer Herkunft. Sie war auch – wie ihr Name bereits verdeutlichte – eine Ausstellung, die Handel und Gewerbe zu ihrem Thema machte. Dies thematisierte auch Friedrich Naumann, liberaler Politiker, Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei und Befürworter imperialer Unternehmungen des Deutschen Reichs, ausführlich in seinen Ausstellungsbriefen, die er 1909 gesammelt veröffentlichte. Einerseits kritisierte er darin die Arbeitsverhältnisse im Allgemeinen: In der Ausstellung denkt man nicht an den Arbeiter. Er ist der Untergrund, aber er wird verdeckt. Hin und wieder steht ein Arbeiter und bedient vor dem Publikum 168 Aktoprak, Levent: »Mit Mohammedanern des Preußenkönigs fing es an. Die Geschichte des Islam-Archivs in Deuschland«, Abschrift der Sendung Deutschlandfunk, »Studiozeit« vom 30.09.1998, Nachlass Höpp, Kiste 07.01. 169 Wien spricht nach 1933 von 170 verbliebenen ägyptischen Studenten in ganz Deutschland. Vgl. Wien, Peter: »The Culpability of Exile. Arabs in Nazi Germany«, in: Geschichte und Gesellschaft 37 (07.–09.2011), Nr. 3, S. 332-358, S. 339.

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seine Maschine, aber der Arbeiter im Ganzen ist – glänzend vergessen! […]. Man hat Augen für alles, aber nicht für die Menschen. In dieser Hinsicht ist die Berliner Ausstellung grausam wie der ganze Kapitalismus.170 Andererseits beschrieb Naumann sowohl die »Kolonialausstellung« als auch »Kairo in Berlin« als Bereiche, die sich kategorisch vom Rest der Gewerbeausstellung unterschieden. Während er, der Ausstellungsordnung folgend, erstere in »Araberstadt« und »Wilde« aufteilte, war aus seiner Sicht »[d]ie Ausstellungsabteilung ›Kairo‹ […] eine Welt für sich«.171 Denn »unter arabischem Geschrei: ›Baba, Bakschisch!‹ (Herr, Trinkgeld!) hat man das gewöhnliche kultivierte Europa verlassen, man ist in eine andere ferne Kultur eingetreten«, in der man »Eseltreiber, Kameelreiter, Wüstenweiber, die arabischen Hengste, die streitbaren Helden mit ihren alten langen Vorderladergewehren sieht […]«.172 Der Vergleich mit der in Kapitel 3 »Fremde, Massen, »Völkerschauen« behandelten Sichtweise Alfred Kerrs auf die Ausstellung macht deutlich, dass Naumanns Beschreibung nicht außergewöhnlich war. Für die arabischen Gewerbetreibenden und Unternehmer in Deutschland, deren berufliche Handlungsspielräume bestimmt waren von ihrem rechtlichen Status als Zugewanderte sowie damit verknüpften orientalistischen Zuschreibungen, war die Gewerbeausstellung ein Betätigungsort von vielen. Auf dem Ausstellungsgelände kamen verschiedene Geschäftsinhaber zusammen, die – so suggerierte Carl Krug in seiner Beschreibung der Sonderausstellung – ihr Metier in Berlin ebenso wie in Kairo betreiben konnten.173 Tatsächlich kamen die an Weltausstellungen beteiligten ägyptischen Unternehmen vornehmlich aus dem privatwirtschaftlichen Bereich.174 Dies lässt sich auch auf die »verhinderte Weltausstellung«, die Gewerbeausstellung im Treptower Park, übertragen. Es gab in der Ausstellung die unterschiedlichsten Geschäfte: einen Teppich-Bazar der »Habis frères« aus Damaskus, arabische Cafés mit Besitzer_innen aus Beirut und Kairo, eine »arabische Färberei«, eine »arabische Wäscherei«, »Zuckerwaaren« von Elia Braka aus Kairo, einen »orientalische[n] Wahrsager« namens Ayisch Chamma aus Damaskus. Darüber hinaus waren auch »arabische Schuhmacher«, »Zeltdecken-Anfertiger«, eine arabische »Milchwirthschaft« und sogar ein arabischer Klempner vertreten.175 Das arabische Moment

170 Naumann, Friedrich: Ausstellungsbriefe, Berlin-Schöneberg: Buchverlag der ›Hilfe‹ 1909, S. 47. 171 Ebd., S. 36. 172 Ebd. Auch Dreesbach zitiert in ihrer Studie Naumanns Ausstellungsbriefe und ordnet ihn ebenso wie Kerr als kritischen Beobachter der Ausstellung ein. Vgl. Dreesbach, Gezähmte Wilde, S. 199f. 173 Krug, »Die Sonder-Ausstellung Kairo«. 174 Celik, Displaying the Orient, S. 7. 175 Krug, Offizieller Führer durch die Special-Abtheilung der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, S. 4, S. 117ff.

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war ein essenzieller Bestandteil der Ausstellung. Dass nicht alle Gewerbetreibenden in der Sonderausstellung aus Ägypten kamen, rief zuweilen Überraschung hervor.176 Die Gewerbe fanden ihren Ort in der artifiziellen Welt der Ausstellung und ihrem imaginierten und inszenierten Kairoer Alltag. Sie spiegelten gleichzeitig weitverbreitete Vorstellungen von orientalisierten Räumen, Berufen und den sie ausübenden Personen wider: Ein deutscher Klempner oder Schuhmacher war von einem »arabischen« zu unterscheiden und die deutschen Caféhausbesitzer, die ihren Platz in »Kairo« fanden, bedienten die Erwartungen an die Inszenierung, die mit den exotisierten Vorstellungen von »Kairo« verbunden waren. Die These, dass die arabischen und, allgemeiner, die orientalisierten Personen, die sich ihren Lebensunterhalt in Deutschland verdienten, dies in Bereichen taten, die mit ihrer Herkunft verknüpft waren, wird im Folgenden anhand einiger ausgewählter Beispiele belegt. Dabei sind migrationshistorisch die Bewegungen zu beachten, die das imperiale Deutschland und die Weimarer Republik maßgeblich prägten. Deutschland wurde Anfang des 20. Jahrhunderts zum »zweitgrößten Arbeitseinfuhrland der Erde«.177 Damit war der Auswanderungstrend des 19. Jahrhunderts überwunden. Allerdings ergaben sich die hohen Zahlen von nach Deutschland einwandernder Menschen vornehmlich aus der kontinentalen Zuwanderung und bezogen sich weniger auf die Immigration aus außereuropäischen Regionen. Dem vermehrten Zuzug folgten Gesetzesnovellierungen, vor allem im Hinblick auf aufenthaltsrechtliche Reglementierungen.178 Mit der Novellierung des Staatsbürgerschaftsrechts im Jahr 1913 wurde das Prinzip »Blut und Boden« weiter implementiert. In erster Linie legitimierte das Gesetz das Anrecht von seit Generationen im Ausland lebenden Deutschen auf die deutsche Staatsbürgerschaft.179 Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft unterlagen, wie schon zuvor in den Landesgesetzen, der Fremdengesetzgebung. Mit einem Nichtdeutschen verheiratete deutsche Frauen sowie die Kinder aus solchen binationalen Ehen hatten kein Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft.180 Mehrere Studien zur Migration in der deutschen Geschichte befassen sich mit dem Einfluss, den insbesondere die großen polnischen Wanderungsbewegungen seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auf Gesetze und die Verschärfungen

Geppert, Fleeting Cities, S. 50. Ferenczi, zitiert nach Bade, Klaus J., Oltmer, Jochen: Normalfall Migration: Texte zur Einwandererbevölkerung und neue Zuwanderung im vereinigten Deutschland seit 1990, Bundeszentrale für politische Bildung 2004, S. 11. 178 Vgl. Trevisiol, Die Einbürgerungspraxis im Deutschen Reich 1871-1945, besonders S. 169ff. 179 Gosewinkel, Dieter: »Wandlungen der Staatsbürgerschaft in Deutschland und Frankreich von 1871 bis heute«, in: Beier-de Haan, Rosmarie, Werquet, Jan (Hg.), Fremde? Bilder von den »Anderen« in Deutschland und Frankreich seit 1871, Dresden: Sandstein 2009, S. 38-47. 180 Trevisiol, Die Einbürgerungspraxis im Deutschen Reich 1871-1945, S. 172ff. 176 177

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des Migrationsregimes hatten.181 Welche Erfahrungen machten Menschen arabischer Herkunft, deren zahlenmäßig weitaus geringere Einwanderung keinen erkennbaren Einfluss auf Gesetze und Regelungen hatte,182 deren Handlungsspielräume jedoch von orientalisierten Vorstellungen sowie von den Bestimmungen des Ausländer- und Aufenthaltsrechts beeinflusst wurden? Meine Untersuchung analysiert aus einer Mikroperspektive heraus. Dabei lässt sie die veränderte Beschäftigungspolitik während des Ersten Weltkriegs außen vor, das heißt den zeitweiligen Einsatz von circa drei Millionen ausländischen Arbeiter_innen, davon zwei Millionen Kriegsgefangene, die – teils zwangsverpflichtet, teils regulär – in Deutschland eingesetzt wurden.183 Zur Zeit der Gewerbeausstellung von 1896 fanden sich neben der bereits thematisierten großen Gruppe der angeworbenen Zurschaugestellten vereinzelt auch arabische Personen ein, die anschließend in Deutschland blieben, vornehmlich in größeren Städten. Hassan Taufik, Lektor am Seminar für Orientalische Sprachen, ist ein Beispiel für eine nur ein paar Jahre vor der Gewerbeausstellung stattfindende noch vereinzelte Geschichte der Arbeitsmigration (vgl. Kapitel 2 Zeit-Räume, Hassan Taufik); Taufik hielt sich nur zeitweilig in Deutschland auf. Im Bereich des Schaustellergewerbes ist zwischen unterschiedlichen Gruppierungen zu unterscheiden: Auf der einen Seite gab es Truppen, die, wie die arabischen Springertruppen, als professionelle Artist_innen unter der Leitung von Menschen arabischer Herkunft standen. Auf der anderen Seite solche, die von deutschen oder anderen europäischen Impresarios außerhalb Europas zu Schaustellungszwecken angeworben wurden und vielfach unter ausbeuterischen Bedingungen arbeiteten.184 Wie in Kapitel 2 Zeit-Räume, Sayyida Salme gezeigt, bot Sayyida

Zum Beispiel Bade, Oltmer, Normalfall Migration; Dohse, Knuth: Ausländische Arbeiter und bürgerlicher Staat. Genese und Funktion von staatlicher Ausländerpolitik und Ausländerrecht. Vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik Deutschland, Berlin: Express-Edition 1985, sowie Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Dohse weist zu Recht darauf hin, dass die im Kaiserreich entstandene »Form der Ausländerpolitik« prägend bis in die Zeit der Bundesrepublik blieb. Vgl. Dohse, Ausländische Arbeiter und bürgerlicher Staat, S. 29. 182 Vgl. die Debatten zu den »Mischehenverordnungen«, die von den deutschen lokalen Kolonialbehörden unterschiedlich implementiert wurden, und dem 1913 verabschiedeten neuen Staatsbürgerschaftsrecht. Vgl. El-Tayeb, »›Blood is a Very Special Juice‹«. Siehe auch die etwas andere Argumentation bei Gosewinkel, Dieter: »Rückwirkungen des kolonialen Rasserechts? Deutsche Staatsangehörigkeit zwischen Rassestaat und Rechtsstaat«, in: Conrad, Sebastian, Osterhammel, Jürgen (Hg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871-1914, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, S. 236-256. 183 Bade, Europa in Bewegung, S. 241. 184 Zu marokkanischen Artisten: Escher, »Les acrobates marocains dans les cirques allemands«. Zu den Arbeitsbedingungen vgl. Eißenberger, Gabi: Entführt, verspottet und gestorben. Lateinamerikanische Völkerschauen in deutschen Zoos, Frankfurt a.M.: IKO-Verlag für Interkulturelle Kommunikation 1996.

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Salme/Emily Ruete zu einer Zeit Arabischkurse gegen Honorar an, in der es für eine bürgerliche Frau als nicht standesgemäß galt, erwerbstätig zu sein. Und Mohamed Soliman stach aus dem häufig anonymen Zurschaustellungsgewerbe dadurch heraus, dass er die Seiten wechseln konnte, indem er sowohl als Artist und Feuerschlucker als auch als Geschäftsmann und Unternehmer arbeiten konnte (vgl. Kapitel 2 Zeit-Räume, Die Solimans). Er trat damit aus den vielen namenlosen Darstellenden hervor, die zum Beispiel als »Araber« oder »Beduinen« stellvertretend für außereuropäische, exotisierte Regionen in den Inszenierungen ihren Platz fanden. Im Folgenden beleuchte ich anhand unterschiedlicher Beispiele verschiedene Formen temporärer Arbeitsmigration und arbeite dabei heraus, wie diese sich im Verlauf der 1920er Jahre veränderten.

»Wie sie ihr Brot verdienen« In einem Artikel der SPD-Parteizeitung Vorwärts vom 26. Februar 1922 über »Das mohammedanische Berlin«185 wird die Frage aufgeworfen, »[w]ie sie ihr Brot verdienen«. Sie, das waren die Mitglieder »starke[r] orientalische[r] Kolonien«, unter ihnen annähernd »300 Aegypter«, von denen nicht alle »mohammedanischen Glaubens« seien, da sich auch Kopten unter ihnen befänden, des Weiteren Syrer, Armenier, Türken, Perser und »Indier«. Viele dieser »Mohammedaner«, heißt es, lebten schon »seit Jahrzehnten in der Reichshauptstadt« und gehörten unterschiedlichsten Berufsständen an: So verdienen einige als Bonbonkocher ihren Lebensunterhalt, während andere Zigarettenläden haben, Teppiche verkaufen oder mit Süßigkeiten handeln. Selbstredend fanden auch Männer der Wissenschaft ihren Weg zu uns. Wieder andere Mohammedaner gehören zum Stande der Artisten und viele sind – beim Kino gelandet. Und wenn Havelschnee als Wüstensand herhalten muß und waschechter Orient für Millionenfilme gemimt wird, dann sind die Kinder des Morgenlandes sehr begehrt und recht beliebt als Statisten, denn Echtheit übertrumpft immerhin noch die Schminke.186 Dieses kurze Zitat bietet eine kleine Imagologie des »Orients«. Die »Männer der Wissenschaft« evozieren ebenso wie Süßigkeiten, Zigarettenrauch, Zirkus und Film spezifische Bilder, die sich als alltägliche Orientalismen beschreiben lassen. Die »Weisen aus dem Morgenland«, der Bonbon, der seinen »Ursprung im Orient« haben soll, die Zigaretten, die eigentlich aus Südamerika ihren Weg nach Europa fanden, aber von Anfang an orientalisiert vermarktet wurden, bilden eine

Nachlass Höpp, Kiste 07.02, »Das mohammedanische Berlin. Okzident und Orient«, in: Vorwärts 39 (26.02.1922), Nr. 27. 186 Ebd. 185

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Kette von Assoziationen.187 Die Verbreitung dieser Bilder schlug sich wiederum darin nieder, dass arabische Migrant_innen relativ häufig in orientalisierten bzw. exotisierten Rollen in Zirkus, Varieté, Musik und Film beschäftigt waren. Zu den ersten Zigarettenfabriken in Deutschland gehörte das in den 1880er Jahren gegründete Unternehmen Yenidze. Die Architektur der Dresdner Fabrik bildet ein Beispiel für die zu jener Zeit vorherrschenden Orientfantasien: Der Versuch, sich dem deutschen Zigarettenverbraucher möglichst orientalisch und damit möglichst fremd darzustellen, findet seinen Höhepunkt in der siebengeschossigen Architektur des Unternehmens Hugo Ziets, der seine »Orientalische Tabak & Zigaretten-Fabrik Yenidze« in Dresden während der 80er Jahre konsequent im orientalischen Stil mit Kuppeln und Minarett-Türmen errichten ließ.188 Der Bau, mit dessen »Moscheekuppel« gleichsam ein Dresdner Wahrzeichen entstand, wurde schließlich 1909 fertiggestellt.189 Illustre Zigarettenmarken mit Namen wie Khedive oder Salem Aleikum folgten ebenfalls der Orientalisierung als Stilvorgabe.190 Nicht nur die Zigarettenindustrie, auch der Teppichhandel hatte eine exotisierte Präsenz, die wiederum in Verbindung mit weitverbreiteten Vorstellungen vom »Orientteppich« stand. »Orientteppiche« wurden insbesondere seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zu einem Statussymbol in bürgerlichen Wohninterieurs.191 Die Bewunderung, die ihrer kunstfertigen Herstellung entgegengebracht wurde, traf sich mit populären Vorstellungen vom »fliegenden Teppich« und

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Im Sinne von Susanne Zantop ließen sie sich damit auch als okzidentalisierte Bilder (Europas Blick auf »Südamerika«) beschreiben. Vgl.Zantop, Kolonialphantasien im vorkolonialen Deutschland, S. 20ff. 188 Weisser, Michael: Cigaretten-Reclame. Über die Kunst blauen Dunst zu verkaufen. Die Geschichte der Zigarette, ihrer Industrie und ihrer Werbung, von 1860 bis 1930, Bassum: Doell 2002, S. 47. Vgl. die Selbstdarstellung der EB Group Yenizde, die heute Büroräume in dem Gebäude vermietet: EB Group: »Die Geschichte der Yenidze«, in: Yenidze, o.J., www.yenidze.eu/yenidze/historie/#.VufMrUIhvoN (13.03.2018). 189 Scherpe, Klaus R.: »Reklame für Salem Aleikum. 11. Januar 1909: Die Dresdner Cigarettenfabrik Yenidze erhält eine Moscheekuppel«, in: Honold, Alexander, Scherpe, Klaus R. (Hg.), Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit, Stuttgart: Metzler 2004, S. 381-388. 190 Ebd. 191 Vgl. Conrad, Sebastian, Osterhammel, Jürgen: »Einleitung«, in: dies. (Hg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871-1914, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, S. 7-27. Die Tatsache, dass allein Bücher über »Orientteppiche« um die Jahrhundertwende circa 400 Reichsmark kosten konnten, zeugt von ihrer Geltung als Statussymbol. Vgl. Wirth, Eugen: Der Orientteppich und Europa. Ein Beitrag zu den vielfältigen Aspekten west-östlicher Kulturkontakte und Wirtschaftsbeziehungen, Erlangen: Selbstverlag der Fränkischen Geographischen Gesellschaft 1976.

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weiteren märchenhaften Erzählungen.192 Wie austauschbar hierbei die Stereotypenbildung war, zeigte sich daran, dass die in zunehmendem Maße als Massenware produzierte, preiswertere Variante dieses Teppichs »Polenteppich« genannt wurde. Dies galt als Hinweis auf die vermeintlich geringere Qualität.193

Der Teppichhandel Eine Episode aus dem Arbeitsleben des Teppichhändlers Nessim Aslan verdeutlicht Konflikte, die sich an der Person eines zugewanderten Geschäftsmannes entzünden konnten. Berliner Kaufleute wandten sich in einem Schreiben vom 24. April 1908 an das Königlich Preußische Ministerium des Innern, um die »Ausweisung des Ausländers Nessim Aslan und einer Anzahl angeblich bei ihm beschäftigter Ausländer« zu erwirken.194 Anhand der nachfolgenden Korrespondenz, die über das Oberpräsidium der Polizei Potsdam lief und auf den Nachforschungen des Berichterstatters Polizeirat Windolff beruhte, lässt sich der Ablauf der Auseinandersetzung grob rekonstruieren. Nessim Aslan wurde nach eigenen Angaben am 15. Mai 1875 in »Alexandrien in Egypten« geboren195 und war Inhaber eines Teppichgeschäfts in der Charlottenstrasse 35a in der zentral gelegenen Berliner Friedrichstadt. Ein Jahr vor dem hier betrachteten Konflikt arbeitete er in Kassel und wurde »dort am 19. Dezember 1907 vom Königlichen Schöffengericht wegen Feilbietens von Teppichen im Umherziehen ohne Wandergewerbeschein bestraft«.196 Auch die genannten Berliner Kaufleute warfen Aslan vor, einen »Hausierhandel mit orientalischen Teppichen« zu betreiben, »ohne im Besitze eines Gewerbescheines zu sein«.197 Dabei beriefen sie sich auf einen Artikel der »Teppich- u. Möbelstoffzeitung« vom 25. Juli 1907.198 Aslan halte sich, so die Klage der Berliner Kaufleute, schon seit einigen Jahren in Deutschland auf und habe seine Teppiche in verschiedenen deutschen Städten verkauft. Trotz der Klage in Kassel betreibe er weiterhin einen »Hausierhandel«, »aber nicht nur er allein, sondern […] eine Anzahl von mindestens 10 jungen Leuten, die mit Ausnahme eines Einzigen (Katz) sämmtlich Ausländer (Oesterreicher) sind«

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Vgl. Simons, Oliver: »Orientteppich und Kunstwerk. 1895: Hugo von Hofmannsthals Märchen der 672. Nacht«, in: Honold, Alexander, Scherpe, Klaus R. (Hg.), Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit, Stuttgart: Metzler 2004, S. 182-189. 193 Wirth, Der Orientteppich und Europa, S. 307f. 194 Nachlass Höpp, Kiste 07.02, »Gesuch Berliner Kaufleute um Ausweisung des Ausländers Nessim Aslan und einer Anzahl angeblich bei ihm beschäftigter Ausländer«, Schreiben vom 09.07.1908. 195 Sein Name lässt auf eine türkische oder tscherkessische Herkunft schließen. 196 Nachlass Höpp, Kiste 07.02, »Gesuch Berliner Kaufleute«, Schreiben vom 24.04.1908. 197 Ebd. 198 Nachlass Höpp, Kiste 07.02, »Zum Hausierhandel mit orientalischen Teppichen«, in: Deutsche Teppich- u. Möbelstoff-Zeitung, Berlin 25.07.1907, S. 218f.

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und von deren Verkaufserfolgen Aslan anteilig profitiert habe.199 Besonders erbost waren die Kaufleute von dem Verhalten »dieser jungen Leute«, denn, so hieß es weiter, diese gerieren sich meist als Ausländer, indem sie nicht als von dem Berliner Hause Aslan kommend oder als Deutsche sich ausgeben, sondern sie führen die Unterhaltung mit der Kundschaft durchweg in französischer Sprache, unter der Vorspiegelung nicht deutsch zu verstehen, und suchen dadurch die Täuschung hervorzurufen, dass sie direkt aus dem Orient kommen.200 Diese Ausführungen sind in mehrfacher Hinsicht interessant. Die Beschreibung der »Oesterreicher«, die suggerierten, »direkt aus dem Orient« zu kommen, könnte tatsächlich auf diverse unterschiedliche Herkünfte innerhalb des habsburgischen Vielvölkerreichs verweisen. Die Fähigkeit, Französisch zu sprechen, deutete auf eine mehrsprachige Kompetenz hin und könnte einem tatsächlichen kolonialen französischen Einfluss geschuldet sein. Die Beschwerden der Kaufleute kulminierten in der Forderung, dass Aslans Angestellte als »lästige Ausländer«201 ausgewiesen werden sollten. Der stereotype Vorwurf des reisenden Händlers wurde in mehrfacher Hinsicht betont. Die beschriebene »Täuschung« lässt darauf schließen, dass unterstellt wurde, dass »exotische« – also exotisierte bzw. in diesem Zusammenhang: orientalisierte – Geschäftsleute einen Vorteil gegenüber den alteingesessenen, deutschen hätten. Neben diesem aus Sicht der Kaufleute unlauteren Verhalten monierten sie, »dass diese hergelaufenen Ausländer dem deutschen Staate jährlich Tausende an Steurn hinterziehen, indem sie sämmtlich hier unangemeldet in den Hotels als Reisende wohnen, und weder Gewerbe- und sonstige Einkommenssteur zahlen«202 . Diese Äußerungen ließen sich auch dem allgemeinen Trend eines in den drei Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg zunehmenden »kulturalistischem Ethno-Nationalismus«, wie Jochen Oltmer ihn benennt, zuordnen,203 der sich in einem besonderen Maße im Bereich des Arbeitsmarktes niederschlug. Das Motiv des Hausierhandels und eines damit verbundenen vermeintlich unlauteren Wettbewerbsvorteils folgt älteren Traditionen. Zuschreibungen gegenüber dem Hausierhandel knüpften oft an eine ganze Reihe von Ressentiments an, die rassistische, antiromaistische oder auch antisemitische Züge tragen konnten. Außergewöhnlich mag in diesem Zusammenhang sein, dass es sich hier um Österreicher gehandelt

199 Nachlass Höpp, Kiste 07.02, »Gesuch Berliner Kaufleute«, Schreiben vom 24.04.1908. 200 Ebd. 201 Ebd. Zum Begriff vgl. Dauks, Sigrid, Schöck-Quinteros, Eva (Hg.): Grund der Ausweisung: Lästiger Ausländer. Ausweisungen aus Bremen in den 1920er Jahren, Begleitband zu der szenischen Lesung mit der bremer shakespeare company, Bremen: Universität Bremen 2007. 202 Gesuch Berliner Kaufleute«, Schreiben vom 24.04.1908, Nachlass Höpp, Kiste 07.02. 203 Oltmer, »Einleitung«, S. 32.

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haben soll, denen vorgeworfen wurde, sich so zu präsentieren, als kämen sie »direkt aus dem Orient«. Der Berichterstatter Polizeirat Windolff konnte seinem Schreiben zufolge auch nach weiteren Nachforschungen nichts Konkretes gegen Aslan feststellen, er konnte nichts Nachteiliges herausfinden, im Gegenteil: »Nessim Aslan hat sich hier nichts zu Schulden kommen lassen, betreibt eine feste Verkaufsstelle grösseren Umfangs und steht mit angesehenen Firmen seiner Branche in Geschäftsverbindung.«204 Ein letztes Dokument vom 9. Juni 1909 belegt, dass Aslan und sein Partner sich derweil ins Ausland begeben und »ihr hiesiges Geschäftslokal aufgegeben« hatten.205 Vielleicht blieb Nessim Aslan angesichts des Gesuchs der Berliner Kaufleute oder weiterer Vorwürfe nur die Möglichkeit eines Ortswechsels nach Frankreich, um seine Geschäfte fortführen zu können. Mit welchen äußeren Bedingungen diese Episode zusammenhing, lässt sich aufgrund der fragmentierten Quellenlage nicht ergründen. Ob Aslan Deutschland aufgrund der Klagen in Richtung Paris verließ,206 wie es in Windolffs letztem Schreiben heißt, muss daher offenbleiben. Wie es ganz allgemein um die Situation ausländischer Gewerbetreibender vor dem Ersten Weltkrieg bestellt war, ist bisher wenig erforscht.207 Größere Zusammenschlüsse arabischer Gewerbetreibender sind vor dem Ersten Weltkrieg nicht belegt. Dennoch lässt ein weiteres Beispiel vermuten, dass das Deutsche Reich um die Jahrhundertwende ein attraktiver Ort war, um sich geschäftlich niederzulassen. Bezeichnenderweise geschah dies in Bereichen, die sich den bereits beschriebenen Orientbildern anpassten. Dieses Beispiel, das auf eine eigenständige, wenn nicht eigensinnige Existenz im Unternehmertum hindeutet, findet sich in der Musikbranche, bei den Pionieren der Tonaufnahmen, die um die Jahrhundertwende zusehends kommerzialisiert wurden. Die geschäftlichen Aktivitäten der Baidas, einer Gruppe von fünf Männern aus Beirut, zeigen arabische Geschäftsverbindungen und Kontinuitäten auf, die sich von der ersten bis in die vierte Dekade des 20. Jahrhunderts in Berlin nachweisen lassen. Und sie verweisen gleichzeitig auf den Aufbau eines Netzwer-

204 Nachlass Höpp, Kiste 07.02., »Betrifft Gesuch Berliner Kaufleute um Ausweisung des Ausländers Nessim Aslan und einer Anzahl angeblich bei ihm beschäftigter Ausländer«, Schreiben vom 09.07.1908. 205 Nachlass Höpp, Kiste07.02, »Betrifft Gesuch Berliner Kaufleute um Ausweisung des Ausländers Nessim Aslan und einer Anzahl angeblich bei ihm beschäftigter Ausländer«, Schreiben vom 09.06.1909. 206 Ebd. 207 Zwei Beispiele lokaler Beschreibungen von Italienern respektive Chinesen in Hamburg finden sich bei: Morandi, Elia: Italiener in Hamburg. Migration, Arbeit und Alltagsleben vom Kaiserreich bis zur Gegenwart, Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang 2003, und Amenda, Fremde – Hafen – Stadt.

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kes, das sich in den 1920er Jahren besonders um antikoloniale, nationalistische, islamische sowie weitere politisierte Bewegungen gruppierte.

Die Musikindustrie 1877 stellte Thomas Alva Edison der Öffentlichkeit seinen Phonographen vor, ein Tonaufzeichnungsgerät. Die zur Wiedergabe geeigneten Aufnahmen hatten ein großes Echo in den Printmedien, auch in der arabischsprachigen Welt.208 Ungefähr zehn Jahre später erfand Emile Berliner, ein deutscher Immigrant in den Vereinigten Staaten, die Schallplatte und ein tragbares Gerät zum Abspielen: das Grammophon.209 Parallel zu diesen Erfindungen fand eine tonale Erschließung der Welt statt, auf die schon im Bereich der Gefangenenlager des Ersten Weltkriegs eingegangen wurde (vgl. Kapitel 3 »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen, S. 196-199). Musikethnologen und Anthropologen reisten nicht nur in ferne Länder, um Sprachen aufzunehmen, sie zu systematisieren und im Zuge dessen die sie Sprechenden zu vermessen, sie nutzten auch während des Krieges in deutsche Kriegsgefangenschaft geratene europäische und außereuropäische Soldaten dazu, ihre Sammlungen zu vervollständigen.210 Auch im Bereich der Lautaufnahmen kam es zu einer Verkleinerung der Welt: das Festhalten der Realität als modellhaft artifizielles System wurde anhand der einzelnen Sprachaufnahmen und ihrer Typologisierung erstellt. Dies betraf nicht allein außereuropäische Zusammenhänge und ethnologische Erkundungen »fremder« Kulturen, auch deutsche und englische Dialekte wurden, ebenso wie historisch herausragende Ereignisse in Europa, konserviert. Beispielhaft ist der »Aufruf an mein Volk« Wilhelms II., der – ursprünglich im August 1914 gehalten – erst am 10. August 1918 auf einem Wachszylinder seinen Platz fand.211 Keine 20 Jahre nach der Erfindung des Grammophons, um das Jahr 1906, legten fünf Brüder und Cousins der christlichen Familie Baida aus dem Beiruter Musaytiba-Viertel mit einer Zweigstelle in Berlin den Grundstein für ihre Plattenfirma.212 Warum die jungen Männer Berlin als Standort wählten, ist ungewiss.213

208 Racy, A. J.: »Record Industry and Egyptian Traditional Music: 1904-1932«, in: Ethnomusicology 20 (1976), Nr. 1, S. 23-48, S. 23. 209 Ebd., S. 24. 210 Vgl. Lange, Ein Archiv von Stimmen. 211 Mahrenholz, »Zum Lautarchiv und seiner wissenschaftlichen Erschließung«, S. 139. Vgl. auch Philip Scheffners Dokumentarfilm The Halfmoon Files. A Ghost Story … (D 2007, R.: Philip Scheffner). 212 Racy, A. J.: Musical Change and Commercial Recording in Egypt, 1904-1932, Ph. D. Dissertation, University of Illinois 1977, S. 97. Vgl. Nachlass Höpp, Kiste 07.02. 213 Auch Racy stellt sich diese Frage, ebd., S. 122, Fn. 10.

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Bekannt ist, dass sie 1906 einen Vertrag mit den Lyrophon-Werken214 , der späteren Firma Lindström, schlossen und Farajallah, ein Cousin von Michel Baida, in Begleitung des berühmten Oud-Spielers Fauzi al-Durzi von Beirut nach Berlin fuhr, um erste Tonaufnahmen zu machen.215 Vielleicht war Berlin auch attraktiv, weil Michel Baida, einer der fünf Cousins und Brüder, schon zuvor als gelernter Arzt in der Stadt ansässig war.216 Die Frage, warum er seinen Beruf nicht praktizierte, lässt sich nicht abschließend klären. Möglicherweise lag dies an der Segregation des deutschen Arbeitsmarktes. Auch Ahmed Waly, Lektor am SOS und während des Krieges für die NfO tätig, erhielt erst nach massiver Unterstützung durch Eugen Mittwoch die Approbation, die für »Nichtdeutsche« nicht vorgesehen war (vgl. Kapitel 3 »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen, S. 203f.).217 Michel Baidas Cousins Jibran und Farajallah sollen ohne eine besondere Ausbildung als Bauarbeiter in Beirut tätig gewesen sein, als ihnen die Idee zum Aufbau einer Schallplatten- und Phonogrammfirma kam. Die Schallplatten wurden kurz darauf in Beirut verkauft, 1907 eröffneten die Baidas daselbst ein Ladengeschäft. Bereits vor 1912 kam es zu weiteren Aufnahmetätigkeiten in Beirut und Kairo. Die ersten Platten wurden dabei unter verschiedenen Namen veröffentlicht, wie Baid Record oder Baida Record, Beyrouth, Cairo, Berlin.218 Vermutlich kurze Zeit später wurde das Unternehmen dann in Baidaphon umbenannt.219 1912 wurde Baidaphon dann in Deutschland als Handelsmarke eingetragen.220 Eine Anzeige in der Phonographischen Zeitschrift belegt, dass die Platten mit arabischen Interpreten und Interpretinnen schon vor dem Ersten Weltkrieg nicht nur in arabischsprachigen Ländern, sondern auch in Europa und den USA verkauft wurden.221 Verschiedene Berliner Firmenadressen belegen die Existenz des Unternehmens in Berlin bis 1941, meist in Verbindung mit dem Namen Michel Baida,222 der vorwiegend als Kaufmann, zuweilen auch mit Doktortitel, genannt wurde. Neben der Gitschiner Straße war vor allem die Mittelstraße 55/Ecke Friedrichstraße angegeben, die auch

214 Braune, Gabriele: Die Qasida im Gesang von Umm Kultum. Die arabische Poesie im Repertoire der größten ägyptischen Sängerin unserer Zeit, Hamburg: Verlag der Musikalienhandlung Karl Dieter Wagner 1987, S. 9. 215 Racy, »Record Industry and Egyptian Traditional Music«, S. 40. 216 Racy, Musical Change, S. 97. Vgl. Racy, »Record Industry and Egyptian Traditional Music«, S. 40. 217 Vgl. Schmid, Das Berliner Seminar für Orientalische Sprachen in der Weimarer Republik, S. 55f. 218 Racy, Musical Change, S. 99. Einige Plattenhüllen weisen auch die Schreibweise Baidaphone auf, in Verbindung mit den Namen Pierre und Gabriel Baida, die ebenfalls im Berliner Telefonbuch von 1925 und 1927 zu finden sind. 219 Ebd., S. 96-99. 220 Gronow, Pekka: »The Record Industry Comes to the Orient«, in: Ethnomusicology 25 (1981), Nr. 2, S. 251-284, S. 270. 221 »Anzeige: ›Neue geschützte Wortzeichen.‹ ›Baidaphon‹«, in: Phonographische Zeitschrift 13 (29.08.1912), Nr. 35, S. 815. Vgl. Racy, Musical Change, S. 112. 222 Nachlass Höpp, Kiste 07.02.

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auf einzelnen Plattenhüllen vermerkt ist.223 Firmen- und Hausadressen nahe und in der Friedrichstraße zeugten von der privilegierten Lage eines prosperierenden Unternehmens, wie auch der Schriftsteller Armin T. Wegner berichtete: Seit dem Ersten Weltkrieg hat der aus Beirut stammende und in Berlin ansässige Araber Beda [= Baida, A. A.] den ganzen Orient mit Spielplatten arabischer Lieder versorgt. Er hat die besten Volkssänger, Musikanten und Sängerinnen im Lande dafür angeworben und in kurzer Zeit ein Millionenvermögen dabei verdient.224 Baidas Tätigkeiten lassen auf eine Person schließen, die Kunst und Kultur mit Unternehmergeist verband. Er war nicht nur gelernter Arzt, er war auch Kalligraf und gestaltete einige Plattencover selbst. Baida hatte Geschäftsverbindungen in fünf Kontinenten und betrieb gewinnbringende Zweigstellen Baidaphons in Teheran und Bagdad.225 Das Unternehmen expandierte in Ägypten, Persien, Marokko, Syrien und dem Irak.226 In Berlin investierte Baida in Immobilien und besaß bis in die 1930er Jahre hinein mindestens sechs Häuser.227 Eines dieser Gebäude übertrug er Schakib Arslan, dem in Kapitel Eigensinn (S. 232f.) bereits erwähnten drusischsyrischen Nationalisten, der sich bis in die 1940er Jahre hinein in Briefen darüber beklagte, dass er sich durch dieses Haus verschuldet habe.228 Im Zuge der Weltwirtschaftskrise soll Baida 1932/33 all seine Immobilien in Berlin verloren haben.229 Michel Baida ist nicht nur als Unternehmensgründer in die Geschichte eingegangen, sondern war auch politisch engagiert und hat sich an antikolonialen Projekten beteiligt. Im Januar 1926 organisierte er im Namen der zuvor genannten Vereinigung Arabischer Studierender zu Berlin (El-Arabiya) eine Feier »zu Ehren Seiner Exzellenz El Emír Chékib Arslan« und lud honorige Gäste dazu in den Kaiserhof, Berlins ältestes Grandhotel, ein. Wie der Berichterstatter für das Auswärtige Amt, Wiels, festhielt, waren »etwa 100 Personen« zugegen, darunter arabische Studenten, »auch Egypter«, wie er besonders betonte.230 Im Rahmen der Feier wurden Plädoyers für ein unabhängiges Syrien gehalten. Die Forderungen gingen insofern über Syrien hinaus, als auch panarabische Ideen vorgetragen wurden. Arslan

223 Vgl. die Sammlung von Baidaphon-Platten im Phonogramm-Archiv, Museum für Völkerkunde, Dahlem. 224 Wegner, Armin T.: Am Kreuzweg der Welten, Berlin: Wegweiser 1930, S. 176f. 225 Vernon, Paul: »Empire State. Paul Vernon recounts the course of recorded music in the last days of the Ottoman Empire«, in: FolkRoots 167, o.J., www.bolingo.org/audio/texts/fr167empire.html (29.03.2018). 226 Ebd. 227 Nachlass Höpp, Kiste, Kiste 07.02, Brief Frank Gesemann an Gerhard Höpp, 01.–03.02.1997. 228 Gesemann, Höpp, »Araber in Berlin«, S. 32. 229 Ebd. 230 Nachlass Höpp, Kiste 07.02. »Aufzeichnung«, gez. Wiels, Berlin, 22.01.1926.

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sprach sich, im Gegensatz zu seinen Vorrednern, »in allgemeinen, sehr gemässigten und verständigen Ausführungen« gegen eine europäische Vormundschaft aus und betonte zugleich, die Syrer würden »nichts von Deutschland verlangen und erwarteten auch nach seinem Eintritt in den Völkerbund nicht, dass es für Syrien eintrete, sondern nur, dass es nicht gegen Syrien stimme«231 . Baida verfolgte offensichtlich auch im Rahmen seiner musikalischen Unternehmungen panarabische Ideen.232 So organisierte er 1928 ein Aufnahmetreffen, zu dem Musizierende aus dem Irak, dem Libanon (damals Teil von Syrien), aus Ägypten und weiteren Ländern nach Berlin kamen.233 1932 war er auf dem bedeutenden ersten Internationalen Kongress der Arabischen Musik in Kairo. Spätestens zu diesem Zeitpunkt verbanden sich nationalistische, genauer panarabische Strömungen mit der Welt des Klangs: De fait, le Congrès de 1932 consacra l’avènement de ce qu’on allait appeler ensuite ›la musique arabe‹, puisque, auparavant, on ne parlait que de ›musique orientale‹ […]. De ce point de vue, la première initiative de promouvoir une musique ›panarabe‹ semble plutôt devoir être portée au crédit de la société Baidaphone.234 Das Zusammenspiel der Musiker_innen aus verschiedenen Ländern stand so auch im Zeichen panarabischer Bestrebungen.235

Netzwerke 1929 lag Deutschland vor Frankreich, den USA und Großbritannien auf Platz eins beim Export von Schallplatten nach Ägypten.236 Welchen Marktanteil Baidaphon hatte, ist zwar nicht bekannt, aber als Vertragspartner der Firma Lindström237 dürfte die Berliner Firma einen nicht unerheblichen Beitrag zu diesen Exporten geleistet haben. Denn das Unternehmen war »the biggest non-European company to record in the Middle East and North Africa during the phonograph era«238 und,

231 Ebd. 232 Vgl. Lambert, Jean: »Retour sur le congrès de musique arabe du Caire de 1932. Identité, diversité, acculturation: les prémisses d’une mondialisation«, in: Actes du Congrès des Musiques dans le Monde de l’Islam, Assilah, 08.–13.08.2007, S. 1-6, http://ligne13.maisondesculturesdumonde.org/sites/default/files/fichiers_attaches/lambertcmac-2007.pdf (14.05.2018). 233 Ebd. 234 Ebd. 235 Vgl. Frishkopf, Michael: »Nationalism, Nationalization, and the Egyptian music industry: Muhammad Fawzy, Misrphon, and Sawt al-Qahira (SonoCairo)«, in: Asian Music 39 (2008), Nr. 2, S. 28-58. 236 Gronow, »The Record Industry Comes to the Orient«, S. 283. 237 Dabei handelte es sich um die Nachfolgerin von Lyrophon. Vgl. Gutmann, Alfred (Schriftleitung und Zusammenstellung): 25 Jahre Lindström 1904-1929, Berlin: Carl Lindström A.-G. 1929. 238 Racy, »Record Industry and Egyptian Traditional Music«, S. 39.

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wie erwähnt, als deutsche Handelsmarke eingetragen. Das Beispiel der Baidas war kein einzelnes, besonders in den 1920er Jahren lassen sich Verbindungen zwischen verschiedenen arabischen Kaufleuten in Berlin nachweisen.239 In dieser Dekade nahm die Zahl arabischer Gewerbe und Unternehmen in Deutschland insgesamt zu. Einige Biografien lassen vermuten, dass Selbstständigkeit nicht nur eine Chance, sondern oft auch der einzige Weg war, um sich, ohne die deutsche Staatsangehörigkeit, einen Lebensunterhalt in Deutschland zu sichern. Dies trifft auf die arabischen Männer zu, die im Ersten Weltkrieg für eine Arbeit in der Nachrichtenstelle für den Orient oder im Auswärtigen Amt rekrutiert worden waren. Wie zum Beispiel der mehrfach erwähnte Abd al-Aziz Schauisch mit seiner Import-ExportFirma Wadi al-Nil, oder aber auch Zeki Kiram, der mit seiner deutschen Frau nach dem Krieg den Morgen- und Abendlandverlag aufbaute.240 Das in Deutschland nach dem Weltkrieg sich ausweitende Netzwerk arabischer Kaufleute, die sich mehrheitlich in Berlin niederließen, lässt sich vor allem über Zeugnisse gegenseitiger Kooperationen im Immobilienbereich rekonstruieren.241 Zu diesem Netzwerk gehörten unter anderem Georges Houri, griechisch-orthodoxer Palästinenser, der Orangen von seinen Ländereien aus Jaffa importierte und das deutschlandweite Monopol für den Geschäftszweig des Imports von Apfelsinen hatte.242 Auch der jüdische Kaufmann Rahmin Asher Salem aus Bagdad war Teil dieser arabischen Unternehmerschicht. Er übertrug seinem Sohn die Leitung seines 1922 in Berlins zentraler Prachtstraße Unter den Linden gegründeten Geschäftshauses für Ex- und Importe aller Art. Später spezialisierte sich die Firma auf landwirtschaftliche Maschinen. Abdel-Karim Sibaei aus Beirut besaß sieben Häuser vor allem in Charlottenburg und Wilmersdorf und gründete in den 1930er Jahren mit Essad Subai die Ost-West-Handelsgesellschaft mbH.243 Michel Baida ist 1941 im letzten Berliner Telefonbuch vor 1945 als Kaufmann für »Ausfuhrgeschäfte« gemeldet.244 Eine Korrespondenz mit dem Phonogrammarchiv aus dem Jahr 1939 belegt, dass Baidaphon zu dieser Zeit noch Platten von Berlin aus vertrieb. Als Handelsvertreter wird hier ein Herr Malouf genannt.245 In Ägypten soll Baida Anfang der 1940er Jahre zudem an einer Filmproduktion mit 239 240 241 242 243 244

Nachlass Höpp, Kiste 07.02, Brief Frank Gesemann an Gerhard Höpp, 01.–03.02.1997. Ebd. Ebd. Gesemann, Höpp, »Araber in Berlin«, S. 31. Ebd. Berliner Adreßbuch: für das Jahr 1943, Berlin: Scherl 1873-1943, Teil IV, S. 1573. Vgl. Kusch, Regina, Beckmann, Andreas: Namen, Nummern, Naziterror. Das Berliner Telefonbuch von 1941, Audio-CD, Berlin: Der Audio Verlag 2002. 245 Korrespondenz Phonogramm-Archiv, Dr. Marius Schneider 1939-1944. Museum für Völkerkunde, Dahlem. Malouf kam aus Syrien, geboren 14.09.1906 in Hadath/Hadad, Baalbeck, war griechisch-orthodox, verheiratet und hatte drei Kinder. Er kam als Volontär nach Berlin und arbeitete von 1928 bis zum 03.01.1940 bei Baidaphon, wo er Leiter der Exportabteilung war.

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der berühmten, früh verstorbenen Sängerin Asmahan beteiligt gewesen sein.246 Das weitere Leben des Unternehmers bleibt im Verborgenen. Während die Geschäftsleute der Berliner Gewerbeausstellung mitsamt ihren Läden quasi nach Berlin importiert worden waren und gemäß dem Szenario einer artifiziellen Ausstellungsstadt ihrem Metier nachgingen, sind Nessim Aslan und Michel Baida Beispiele für selbstbestimmte arabische Unternehmensgründungen in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Obwohl Aslan ein Ladengeschäft in Berlin hatte und von renommierten Vertretern seiner Branche anerkannt wurde, traf ihn der Vorwurf des »Hausierhandels«. Die Orientalisierung seiner österreichischen Angestellten in Verbindung mit den angenommenen oder realen Geschäftsvorteilen arabischer bzw. »orientalischer« Teppichhändler zeugt von den Verknüpfungen von Orientbildern und möglichen realen Herkunftskontexten. Die Verkäufer sprachen nicht allein eine andere Sprache, sie schienen über die Herkunft wesenhaft mit den Teppichen verbunden und direkt aus dem »Orient« gekommen zu sein. Der Geschäftsvorteil, der darin gelegen haben könnte, wäre einer, der auf die zu Beginn dieser Arbeit vorgestellten Stereotypen rekurrierte, bekannt aus den Märchen, die auf den »Orient« verwiesen, ebenso wie aus weiteren populären Kulturerzeugnissen. Es könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass diese Fremdzuschreibungen dezidiert und wissentlich eingesetzt wurden, etwa – wie im Fall Aslans – um den Betroffenen zu schaden. Die Erfolgsgeschichte Michel Baidas dagegen ist zum einen sicher der innovativen Unternehmensidee, der Nutzung neuer Techniken der Tonkonservierung sowie seinen transnationalen Beziehungen geschuldet.247 Zum anderen sind seine über die Plattenindustrie hinausgehenden Investitionen und seine Verbindungen zu nationalistischen und panarabischen Gruppierungen auch Zeichen eines Unternehmertums, das zugleich politisch involviert bzw. engagiert war. Baida nutzte die Berliner Bühne nicht allein für die Herstellung seiner Schallplatten, er pflegte Kontakte zum Auswärtigen Amt, zu einflussreichen Kreisen wie auch zu weiteren arabischen Unternehmern unterschiedlicher Herkunft. Die Verbindungen gingen über nationale und religiöse Grenzen hinaus und veranschaulichen panarabische Netzwerke, die zu jener Zeit in sich sehr divers geprägt waren.248 Michel Baida brachte mit seiner Schallplattenfirma arabische Musik in die ganze Welt. Ein genauerer Blick auf Kultur und Kreativität innerhalb der deutschen Bundesarchiv Berlin (BArch Berlin), BDC, RK L0014. Für den Hinweis danke ich Susann Lewerenz. 246 Baraka, Mohamed: »Asmahan: inspiration of legend and tragedy. Mohamed Baraka reviews the tale of the legendary singer«, in: Al-Ahram Weekly Online, 5-11 February 2009, Nr. 933, http://weekly.ahram.org.eg/Archive/2009/933/ee2.htm (14.05.2018). 247 Vgl. Frishkopf, »Nationalism, Nationalization, and the Egyptian music industry«. 248 Dawn, Ernest C.: »The Formation of Pan-Arab Ideology in the Interwar Years«, in: International Journal of Middle East Studies 20 (1988), Nr. 1, S. 67-91.

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Gesellschaft in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts führt zu zwei weiteren Künstlern: Jussuf Abbo, einem Bildhauer, und Asis Domet, einem Schriftsteller.

Kunst und Literatur: Formen der Transgression im Leben und Werk von Jussuf Abbo und Asis Domet »Palästina ist gedanklich das fernste Land der Welt.« Else Lasker-Schüler (Das Hebräerland) Die schönen Künste insgesamt haben – ob durch Abgrenzung oder Vereinnahmung – eine Affinität zum Nationalen. Und in Kunst und Literatur fand um die Wende zum 20. Jahrhundert die Auseinandersetzung mit der »bürgerlich-imperialistischen Gesellschaft«249 statt. Deutschland versuchte sich nach außen vor allem gegenüber Frankreich und Großbritannien als »Kulturnation« zu behaupten. Im Inneren kamen zunehmend kritische Stimmen zu Wort. Unter Wilhelm II. hatten bestimmte Formen der Zensur Hochkonjunktur. So wurde nicht nur der Simplicissimus – der als Satirezeitschrift ohnehin unter behördlicher Beobachtung stand – 1899 aufgrund eines Artikels zur Palästinareise des Kaisers fast verboten. Auch in der bildenden Kunst wurde ein »Sittenverfall« angeprangert, der aus Sicht der Obrigkeit die moralische Ordnung in Deutschland bedrohte.250 Nicht allein in München kam es beispielsweise um 1912 zu einer strengen Theaterzensur, die von einer Überwachung von »Ausländern« begleitet war. Frankophobie und antisemitische Stimmen gingen einher mit »Attacken gegen ›negroide‹ und ›Irrenhauskunst‹«251 . Die Festigung der Nation und ihre parallel stattfindende imperiale Entgrenzung waren Themen, die in Deutschland in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auch im künstlerischen Bereich diskutiert wurden. In diese künstlerischpolitischen Auseinandersetzungen gerieten die Künstler Jussuf Abbo (1888-1953) und Asis Domet (1890-1943), die beide um 1910 ins Kaiserreich reisten. Während Abbo bereits ab 1911 Student der Bildhauerei an der Königlichen akademischen Hochschule für die Bildenden Künste und Mitglied des Deutschen Künstlerbundes

249 Beutin, Wolfgang u.a.: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart: Metzler 1989. 250 Lenman, Robin: Die Kunst, die Macht und das Geld. Zur Kulturgeschichte des kaiserlichen Deutschland 1871-1918, Frankfurt a.M. u.a.: Campus 1994, S. 28. Zur Lex Heinze, einem Gesetzesentwurf, der den sogenannten Sittenverfall in der Kunst bekämpfen sollte, siehe ebd., S. 44ff. 251 Ebd., S. 54. Nicht allein in München kam es zu solchen Vorgängen: vgl. Stark, Gary D.: Banned in Berlin. Literary Censorship in Imperial Germany, 1871-1918, New York: Berghahn 2009.

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wurde,252 ließ sich Domet erst 1920 für eine zunächst kurze Zeit in Berlin nieder.253 Beide bewegten sich mit ihren künstlerischen Arbeiten in einem Spannungsfeld von Fremd- und Selbstdarstellungen. Welche Auswirkungen dies auf ihre Lebenswege hatte, steht im Vordergrund der folgenden Ausführungen. Der »Orient« in Kunst und Literatur war kein neues Phänomen. Schon Ende des 18. Jahrhunderts lässt sich eine Form des Orientalismus feststellen, oder, wie Andrea Polaschegg genauer ausführt, eine grundlegende Wandlung sowohl des ästhetischen als auch des wissenschaftlichen Zugriffs auf den Orient und mithin ein Wechsel zu jenem epistemologischen und künstlerischen Wahrnehmungs- und Ordnungsmodus des Morgenlandes, der unsere heutigen Denk- und Gestaltungsmöglichkeiten auf maßgeblicher Ebene noch immer prägt.254 Ende des 19. Jahrhunderts war der »Orient« in der deutschen Literatur und Kunst in einem gesteigerten Maße präsent und es kam zu einer neuen Qualität in der Auseinandersetzung mit diesem imaginierten, genauer exotisierten und kulturalisierten Außen.255 Drei Faktoren beeinflussten diese Entwicklung: Die zumeist informellen kolonialen deutschen Einflusssphären in arabischsprachigen Ländern wie beispielsweise Schulen und Missionen, aber auch wirtschaftliche Tätigkeiten; die gesteigerte Mobilität insbesondere des Bildungsbürgertums und die damit verbundenen Reiseunternehmungen; und nicht zuletzt die zunehmende Präsenz orientalisierter Personen im öffentlichen Leben, sei es im Rahmen von »Völkerschauen«, Varietés oder auch durch die seit der Jahrhundertwende verstärkte Anwesenheit arabischer Akademiker_innen, Intellektueller und Künstler_innen in Deutschland. Jussuf Abbo und Asis Domet gehörten zur letzteren Gruppe.

Orientalisierung des Bildes und der Person: Jussuf Abbo (Joseph Yussuf Abbu) Für den rechtsnationalen Publizisten Adolf Stein war Jussuf Abbo, den er Mitte der 1920er Jahre in Berlin kennenlernte, der »märchenhafte[] Jussuf aus dem Morgen-

252 Nungesser, Michael: »Jussuf (Joseph) Abbo«, in: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst Berlin (Hg.), Kunst im Exil in Großbritannien: 1933-1945, Berlin: Frölich & Kaufmann, S. 113. 253 Höpp, Gerhard: »Ein Komma zwischen den Kulturen. Der Dichter Asis Domet«, in: Das Jüdische Echo, 48 (1999), S. 156-160, S. 156. 254 Polaschegg, Der andere Orientalismus, S. 5. 255 Innerhofer, Roland: »›Mir ist so orientalisch zu Muth‹. 1897: Paul Scheerbart publiziert arabische Romane«, in: Honold, Alexander, Scherpe, Klaus R. (Hg.), Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit, Stuttgart: Metzler 2004, S. 209-216. Vgl. Honold, Simons Kolonialismus als Kultur, Stemmler, Topografien des Blicks sowie Berman, Orientalismus, Kolonialismus und Moderne.

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lande«.256 Zu jener Zeit war Abbo bereits ein erfolgreicher Bildhauer und Grafiker. Während seine Person hier märchenhaft umschrieben wurde, war sein Weg nach Deutschland grundsätzlich professioneller Natur. Abbo wurde 1888 in Safed in eine jüdische palästinensische Familie geboren und erhielt bei Steinmetzarbeiten für die preußische Auguste-Viktoria-Stiftung in Jerusalem Kontakte nach Deutschland.257 1911 kam er nach Berlin zum Studium der Bildhauerei. Und er hatte Erfolg. 1919 besuchte er das Meisteratelier an der Preußischen Akademie der Künste.258 In den 1920er Jahren stellten verschiedene renommierte Galerien wie Cassirer, Ferdinand Möller und andere seine Werke aus. Arbeiten von ihm fanden sich in der Berliner Nationalgalerie, in den Kunstmuseen in Hamburg und Mannheim sowie in weiteren deutschen Städten.259 Jussuf Abbo hatte Kontakt zu verschiedenen Gruppen von Künstler_innen. Er bewegte sich im Umkreis von Else Lasker-Schüler und tauschte sich mit anderen Kreativen aus. Auch zum Bildhauer und Keramiker Otto Douglas-Hill und Jan Bontjes van Beek, ebenfalls Keramiker, pflegte er enge Kontakte und arbeitete mit ihnen.260 Adolf Stein beschrieb ihn Mitte der 1920er Jahre als typischen Künstler, der eine gewisse Freiheit hatte, über gesellschaftliche Konventionen hinwegzugehen.261 Die mythisch orientalisierte Aura, die seine Person umgab, lässt sich einer Strömung innerhalb der deutsch-jüdischen Kultur jener Zeit zuordnen, in der unterschiedliche Formen der Selbstorientalisierung sich großer Beliebtheit erfreuten. Der von dem bekannten Autor Jakob Wassermann262 verfasste Artikel »Der Jude als Orientale«263 war in dieser Hinsicht exemplarisch. Wassermann beschrieb »den Juden« als »Orientalen«, »nicht im ethnographischen, sondern mythischen Sinne« als Ideal, als »Schöpfer«, und stellte ihm den jüdischen »Europäer« »als Kosmopoliten«, »modernen Juden« und »Entgötterten« gegenüber.264 Die Orientsehnsucht unter deutschen bzw. in Deutschland lebenden Juden und Jüdinnen unterschied 256 Rumpelstilzchen [Adolf Stein]: Mecker’ nich!, Berlin: Brunnen-Verlag/Karl Winckler 1925/26, S. 178-181, S. 179. 257 Nungesser, »Jussuf (Joseph) Abbo«, S. 113. Vgl. zum Bau der Auguste-Viktoria-Stiftung und ihrer Architektur: Meyer-Maril, Edina: »Der ›friedliche Kreuzritter‹ Kaiser Wilhelm II. – Die Kreuzfahrerrezeption in der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts«, in: Zuckermann, Moshe (Hg.), Geschichte und bildende Kunst, Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 34 (2006), Göttingen: Wallstein 2006, S. 75-97, besonders S. 82-85. 258 Ebd. 259 Rumpelstilzchen, Mecker’ nich!, S. 179. 260 Nungesser, »Jussuf (Joseph) Abbo«, S. 113. 261 Rumpelstilzchen, Mecker’ nich!, S. 179f. 262 Jakob Wassermann (1873-1934) war einer der meistgelesenen Romanautoren der Weimarer Republik; er setzte sich besonders mit der jüdisch-deutschen Geschichte auseinander. 263 Wassermann, Jakob: »Der Jude als Orientale«, [Brief an Martin Buber, o.J.], in: Kohn, Hans, Verein jüdischer Hochschüler in Prag (Hg.), Vom Judentum. Ein Sammelbuch, Leipzig: Kurt Wolff Verlag 1914, S. 5-8. 264 Ebd. S. 5.

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sich vielfach nicht von mehrheitsgesellschaftlichen Diskursen, wie sie besonders durch die romantische Literatur geprägt und bis in den Naturalismus und Expressionismus des 20. Jahrhunderts fortgeschrieben wurden. Sie unterschied sich jedoch hinsichtlich der dezidiert eingesetzten »strategische[n] Position des Andersseins«265 der jüdischen Gemeinschaft, die sich entsprechend ihrer inneren Diversität um die Jahrhundertwende besonders mit zwei gesellschaftspolitischen Phänomenen befasste: der zionistischen und der antisemitischen Bewegung. Während Wassermann für eine jüdische und zugleich deutsche Existenz plädierte, stritt der Historiker Hans Kohn anfänglich für eine jüdische Emigration nach Palästina. Diese Denkrichtungen basierten auf dichotomen Gegenüberstellungen von »Orient« und »Okzident«. Sie verwendeten verschiedene Stereotype, die positiv besetzt wurden und für eigensinnige sowie selbstbestimmte Handlungsfähigkeit standen.266 Jussuf Abbo mussten diese Auseinandersetzungen bekannt sein, spätestens seit den 1920er Jahren gehörte er dem Kreis um Else Lasker-Schüler an. Die Schriftstellerin und Künstlerin war berühmt für ihre transgressiven Arbeiten und Inszenierungen, die sowohl auf der Bühne als auch gedruckt und gemalt ihre Verbreitung fanden. Ihr Werk zeichnete sich durch vielfältige Wechsel von Orten, Zeiten, Religionen und Geschlechterrollen aus. Sie selbst nannte sich bei Gelegenheit seit circa 1910 Jussuf, was auf einen ihrer zahlreichen Rollenwechsel verweist.267 Und sie verfasste ein Gedicht über Jussuf Abbo, das erst lange nach ihrem Tod gefunden wurde.268 In ihm wird der Künstler in seinem Atelier beschrieben und ist doch gleichzeitig am Ort seiner Geburt, in Safed, im Haus seiner Mutter: »Und auf der Tonplantage seines Ateliers;/ Die weißen Menschen blicken leis vom Stein verschleiert/ Geheimnisvoll nach Osten.«269 Sprachbildlich wird hier der Blick der »weißen Menschen« »nach Osten« gerichtet. Es waren die Steinfiguren, die LaskerSchüler beschrieb. Vielleicht auch ihre eigene Perspektive, die nach Osten ging. In einer der Strophen des Gedichtes wird Abbo als Kind der Wüste beschrieben: »Und 265 Berman, Orientalismus, Kolonialismus und Moderne, S. 274. In diesem Zusammenhang sind auch Essad Bey, ursprünglich Lev Nussimbaum, und Muhammad Asad, ursprünglich Leopold Weiss, zu erwähnen, die beide in den 1920er Jahren zum Islam konvertierten und sich dem orientalisierten Ideal entsprechend inszenierten. Vgl. Reiss, Tom: The Orientalist. In Search of a Man Caught Between East and West, London: Vintage Books 2006; Schwartz, Yossef: »On Two Sides of the Judeo-Christian Anti-Muslim Front – Franz Rosenzweig and Muhammad Asad«, in: Brunner, José, Lavi, Shai (Hg.), Juden und Muslime in Deutschland. Recht, Religion, Identität, Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 37 (2009), Göttingen: Wallstein 2009, S. 63-77. 266 Vgl. das Kapitel zu Else Lasker-Schüler in Berman, Orientalismus, Kolonialismus und Moderne, S. 260-345. Berman beschreibt Kohns Haltung als Fortführung von Wassermanns Denken. Vgl. Brenner, Michael: Jüdische Kultur in der Weimarer Republik, München: Beck 2000. 267 Ob diese Namenswahl in irgendeiner Weise mit Jussuf Abbo zusammenhängt, ist ungewiss. 268 Faerber, Meir: »Ein unbekanntes Gedicht Else Lasker-Schülers«, in: Literatur und Kritik 17 (1982), Nr. 167/168, S. 84f. 269 Ebd., S. 85.

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spricht die Sprache der Beduinenfürsten,/ Die von den Wüstenvögeln ihre Laute lernten./ Als Kind ritt er auf wildem Pferde mit den Stämmen.«270 Abbo soll sich selbst seiner beduinischen Herkunft gerühmt haben. Er passte in Lasker-Schülers Welt des ständigen Wandels und Wechsels. So sprach er gemäß ihrer Darstellung nicht nur die Sprache der Beduinenfürsten, er wusste auch »den Psalm der Jemenitenpriester« zu singen. Lasker-Schüler bediente nicht allein Wüstenmotive, sie nutzte unterschiedliche exotisierte Bilder. Sie beschrieb den Künstler, dessen Herz »weiß geblieben« sei, »Doch seine Brauen urwäldlich verwachsen,/ Verfinstern seine Galiläeraugen«.271 Lasker-Schüler verband alle drei Offenbarungsreligionen in ihrem Gedicht über Abbo und umriss damit den religiös-politischen Hintergrund, der sowohl mit Abbos Person als auch mit dem »Wüstenland«272 ihrer Sehnsuchtsvorstellung zusammenhing. Abbo wurde in diesem Gedicht als arabischer und als jüdischer Mann präsentiert, dessen Herz »weiß« geblieben sei. Er wird als der Andere gekennzeichnet und doch als wesensgleich. Es lässt sich spekulieren, was diese Wesensgleichheit – das »weiße« Herz – ausmachte, das gemeinsame Jüdischsein oder die imaginierte gemeinsame Herkunft aus der Fremde. Bezüge zu orientalisierten Bildern sind in Abbos Werk nur wenige zu finden; vielmehr war es seine Person, die orientalisiert wurde. Er wurde zum »Orientalen« gemacht und nutzte auch selbst diese Zuschreibung. Im Katalog zu einer Einzelausstellung, die Anfang der 1920er Jahre in Hannover stattfand, wurde er wie folgt beschrieben: Abbo ist ein Sohn des Orients. Das gedämpfte Temperament des Orientalen leuchtet wie ein fernes Echo aus all den stillen frauenhaften Büsten. Und eigenartig berührte die verborgene Trauer, in diesen Antlitzen, die Wärme dieser zarten Glieder. Hier ist das Weibliche zum Kult, zur Gottheit geworden. Der Orientale ist es, der immer vergeistigte Sinnlichkeit kennt, das »Gott-Weib« sieht.273 Explizit war hier die Feminisierung des »Orients« benannt. Und Abbo repräsentierte mit seiner Kunst dieses »Gott-Weib« in all seinen Facetten, was ihn, so Stein, selbst wiederum zum »Orientalen« machte. In Abbos Person oszillierte damit die zuvor bereits beschriebene Feminisierung des »Orients« (Schmitz) sowie die Konstruktion eines äußeren und inneren »Orients« (Wiedemann) (vgl. Kapitel 1 Deutschlands »Orient«, S. 54-60). Adolf Stein hob neben seiner Feststellung, Abbo könne »ja ganz gut Deutsch sprechen!«, den künstlerischen Erfolg des Grafikers und Bildhauers hervor. Schon

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Ebd. Faerber, »Ein unbekanntes Gedicht«, S. 84. Ebd. Abbo, Jussuf: Jussuf Abbo: Plastik, Zeichnungen, Radierungen, Hannover: Galerie von Garvens, Hannover 1921, S. 3.

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1924 seien ihm zwei Wände in einer großen Ausstellung des Berliner Kupferstichkabinetts zur Verfügung gestellt worden, neben großen Künstlern wie Barlach und Rodin.274 Auch eine Sonderausstellung in Hannover zierte seinen Erfolgsweg. Abgüsse seiner Arbeit Mädchen in der Dämmerung fanden sich in vielen deutschen bürgerlichen Wohnungen.275 Trotzdem musste er sich zu jener Zeit, als Stein ihn im Februar 1926 besuchte, mit Zigarettenverkäufen über Wasser halten. Wobei es Abbo, so Stein, noch besser ging, als »manchem deutschen Bildhauer, der Drehscheibe und Spachtel schon verheizt hat«.276 Abbo war jüdisch und er war arabisch. Beides bekam auf unterschiedliche Weise in den nächsten Jahren in Deutschland eine zunehmende Bedeutung. 1933 lernte er seine spätere Frau Ruth kennen. Diese beschrieb nach Abbos Tod im Jahr 1953 die letzten Jahre in Deutschland und die umständliche Flucht, die die junge Familie 1934 in die Wege leitete.277 Nachdem das Paar Drohbriefe erhalten hatte, in denen Ruth Abbo ihre »Verbindung mit einem Nicht-Arier« vorgeworfen wurde, entschlossen sich die beiden, das Land zu verlassen. Abbo jedoch galt nach seiner Einreise mit einem osmanischen Pass als staatenlos und Versuche, die holländische Grenze zu übertreten, schlugen mehrfach fehl. Er löste sein Atelier in Berlin auf und übernahm kleinere Aufträge, um das Auskommen der Familie zu sichern, während sich seine Frau nach Worpswede zurückzog, wo sie 1934 ihr erstes gemeinsames Kind erwartete. Abbo schaffte es nach verschiedenen Versuchen, von der ägyptischen Botschaft einen Pass zu erhalten, womit dem Paar 1935 die Ausreise nach England gelang. Wie Ruth Abbo beschrieb, war »Monsieur Kemal Pascha« von der Botschaft »sehr an meines Mannes Arbeit interessiert und hatte volles Verständnis für die tragische Situation des Künstlers«.278 Dieses Wohlwollen beruhte auch darauf, dass Jussuf Abbos Vater »aus Ägypten gebürtig war«.279 Nach der Flucht aus Deutschland gelang es Abbo nicht, im künstlerischen Bereich zu reüssieren. Ruth Abbo beschrieb ihren Mann als empfindsamen, von seinen Schwächen geplagten Künstler. Er schaffte es zwar zwischenzeitlich noch, einige wenige Kontakte zu Galerien in Paris zu knüpfen, doch halfen ihm diese letztlich nicht weiter. Teile von Abbos in deutschen Museen verbliebenen Werken wurden auf der nationalsozialistischen Propaganda-Ausstellung »Entartete Kunst« von 1937 ausgestellt. In dem »Beschlagnahmeinventar ›Entartete Kunst‹« sind 24 seiner

Rumpelstilzchen, Mecker’ nich!, S. 180. Ebd. Ebd. Abbo, Ruth: »Über den Verlust einer künstlerischen Existenz. Jussuf Abbo im Exil«, in: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst Berlin, Red. Hartmut Krug (Hg.): Kunst im Exil in Großbritannien 1933-1945, Berlin: Frölich & Kaufmann, S. 181-184. 278 Ebd., S. 181. 279 Ebd.

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Werke aufgelistet.280 Jussuf Abbo war es noch vor der Ausstellung und vor Kriegsbeginn gelungen, sein Atelier nach London zu verschiffen. Jedoch verzögerte sich der Transport und die in London ankommenden Werke waren großenteils beschädigt. Für kurze Zeit hielt er sich in London als Antiquitätenhändler. Nach Kriegsbeginn erkrankte er jedoch und verletzte sich zudem bei einem kriegsbedingten Arbeitseinsatz. Vor dem absoluten Aus stand er, nachdem er während seines Einsatzes einen Finger verloren hatte und nicht mehr künstlerisch arbeiten konnte. Die Umstände des Krieges und die fortschreitende nationalsozialistische Beschädigung seines künstlerischen Werks wirkten sich auch auf sein Leben im Londoner Exil aus.281 Seine Frau brachte sich und ihre mittlerweile drei Kinder während des Krieges in Sicherheit und zog mit ihnen von London nach Sheffield. Jussuf Abbo zerstörte vor Wut sein letztes Atelier und konnte sich auch nach dem Krieg nicht mehr erholen. Er starb 1953 nach einer Operation.282

Asis Domet: »Ein Zwitterding zwischen Araber und Deutschen«283 Asis Domet, ein palästinensischer maronitischer Christ, reiste 1910 erstmals nach Europa und Deutschland, um seine frühen Theaterstücke zu präsentieren.284 Während des Ersten Weltkriegs zurück in Syrien und Palästina verfasste er weitere Werke.285 Seine vorherige Ausbildung zum Lehrer hatte er an einer deutschen Schule absolviert, die zum Syrischen Waisenhaus in Jerusalem gehörte, einer missionarisch-diakonischen Einrichtung. Die Verbindung seiner Familie zur deutschen Sprache sowie zu den deutschen Einflusssphären in Palästina und Deutsch-Ostafrika bestand schon vor seiner Geburt. Sein Vater, Suleiman Domet, hatte für die deutsche Kolonialmacht in Daressalam als Übersetzer gearbeitet und eine Kisuaheli-Grammatik herausgebracht, wie sein Sohn in einem Lebenslauf

280 Forschungsstelle »Entartete Kunst«, Kunsthistorisches Institut der Freien Universität Berlin: Beschlagnahmeinventar »Entartete Kunst«, in: Gesamtverzeichnis der 1937 in deutschen Museen beschlagnahmten Werke der Aktion »Entartete Kunst«, o.J.,http://emuseum.campus.fuberlin.de (16.03.2018). 281 Vgl. zur Stellung geflohener Künstler in England: Vinzent, Jutta: Identity and Image. Refugee Artists from Nazi Germany in Britain (1933-1945), Weimar: Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften 2006. 282 Abbo, »Über den Verlusteiner künstlerischen Existenz«, S. 184. 283 Brief des deutschen Generalkonsuls an den preußischen Kultusminister, GStARchB, zitiert nach Höpp, Gerhard: »Ein Komma zwischen den Kulturen. Der Dichter Asis Domet«, in: Das Jüdische Echo, Nr. 48, 1999, S. 156-160, S. 158, Fn. 34. 284 Höpp, Gerhard: »Ein Komma zwischen den Kulturen«, S. 156. 285 Ebd.

4. Eigensinn und Eigenzeit

stolz vermerkte.286 Asis Domet wurde 1890 in Kairo geboren. Der Vater besaß ein Grundstück in Kairo, verstarb jedoch früh. Nach ein paar Jahren in Daressalam ging seine Mutter mit ihm und seinem jüngeren Bruder nach Haifa, da sie – wie Domet berichtete – anfingen, Kisuaheli zu sprechen, »was den Eltern nicht recht war«.287 Die Entscheidung, auf eine deutsche Schule zu gehen, traf Domet nach eigenen Angaben im Alter von sieben Jahren selbst, eine Feststellung, die in den kurzen Lebensabriss eingebettet ist, in ein Loblied auf das »deutsche Volk« und die deutsche Sprache.288 In Kapitel 1 Deutschlands »Orient« dieser Studie wurde gezeigt, welche Einflusssphären das Deutsche Reich in unterschiedlichen Ländern und Gebieten rund um den östlichen Teil des Mittelmeeres hatte. Asis Domets Biografie ist kennzeichnend für diese Formen des informellen Kolonialismus. Sein persönlicher Werdegang ist eng verbunden mit den deutschen Einflusssphären und gibt einen Hinweis darauf, welche Kontinuitäten des kolonialen Denkens und Handelns in dieser Hinsicht über die verschiedenen Phasen staatlicher Verfasstheit bestanden. In den folgenden Ausführungen zu Domets Leben wird nicht der von Höpp in einem äußerst materialreichen Aufsatz vertretenen These gefolgt, Domet habe einen »interkulturellen, ›hybriden‹ Ansatz« vertreten und habe als äußere Referenz für das nachkriegsgebeutelte Deutschland gegolten.289 Ich argumentiere vielmehr, dass sein Agieren von Beginn an in ein hegemoniales, koloniales Machtgefälle eingebunden war, das viele seiner vermeintlichen Richtungswechsel nachvollziehbar macht und zugleich erklärt, warum sie zum Scheitern verurteilt waren. Die maronitische Familie Domet war über mehrere Kanäle eng mit missionarischen Stützpunkten der Templer in Palästina und mit der Kolonialverwaltung in Deutsch-Ostafrika verbunden.290 Ein Familienangehöriger, Ibrahim Domet, fiel 1909 in Daressalam auf, da er vergeblich versuchte, die deutsche Reichsangehörigkeit zu erhalten, und dabei erfuhr, dass »nach einem Beschluss des Bezirks286 Nachlass Höpp, Kiste 07.07, Asis Domet (Kurzer Lebensabriss), 24.06.1926, S. 1-11. Der Lebenslauf war an den Dichter Gerhart Hauptmann adressiert und befindet sich ursprünglich in dessen Briefnachlass. Die elfseitige pathetische Beschreibung seines Lebens, nach der Domet zunächst auf einer Schule der Templergemeinde in Haifa und dann auf die Schule des Deutschen Syrischen Waisenhauses ging, ist einer von mehreren im Folgenden noch angeführten Lebensläufen. 287 Nachlass Höpp, Kiste 07.07, Asis Domet (Kurzer Lebensabriss), S. 1. 288 Ebd., S. 2. 289 Höpp, Gerhard: »Ein Komma zwischen den Kulturen«, S. 157. 290 Vgl. zur deutschen Kolonie in Haifa: Carmel, Die Siedlungen der württembergischen Templer in Palästina 1868-1918. Ein Hinweis auf den maronitischen Hintergrund der Familie Domet findet sich in Asis’ Korrespondenz, Nachlass Höpp, Kiste 07.07, Warburg Brief, »Family members became involved with the German Templars […]. They were instrumental in paving their way into the Arab community of Haifa and acted as middlemen in matters such as land purchase and trade.«.

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gerichtes in Daressalam jetzt plötzlich ›Syrer zu den fremden farbigen Stämmen‹ gehören sollten und ›also auch der Eingeborenengerichtsbarkeit‹ unterstanden«.291 Die Angehörigen der Familie Domet nahmen in vielerlei Hinsicht Positionen von »cultural informants« ein. Das heißt, sie ersuchten sich in den genannten hegemonialen Zusammenhängen Vorteile zu verschaffen, die eng mit den deutschen Einflusssphären zusammenhingen. Diese ambivalente Position im Rahmen kolonialorientalistischer Strukturen prägte auch viele Etappen von Asis Domets weiterem Lebensweg, der ihn, wie erwähnt, 1920 schließlich nach Berlin führte. Nach einem Bericht, der 1921 aus Anlass eines Theaterabends Asis Domets in der Börsen-Zeitung erschien, brachte der Erste Weltkrieg ihn als »türkischen Soldaten nach Konstantinopel […], Beirut und Damaskus«.292 Die Zeitungskritik zu seinem Theaterstück Ben Sina ist nicht unbedingt wohlwollend und es fällt auf, dass seine Teilnahme am Weltkrieg hervorgehoben wird. Wiederkehrende Momente tauchen schon in dieser frühen Kritik auf, so die des Brückenbauers zwischen »Ost« und »West«. Seine Berufung sah Domet darin, arabische Theaterstücke ins Deutsche und umgekehrt deutsche Stücke ins Arabische zu übersetzen. Wie er selbst in einem seiner zahlreichen Lebensläufe festhielt, die er für unterschiedliche Institutionen und Persönlichkeiten verfasste, wollte er als »Vermittler zwischen Ost und West« arbeiten. Domet schloss kein Studium ab. 1920 ließ er sich in Berlin nieder und war im Mai desselben Jahres als Gasthörer an der Friedrich-WilhelmsUniversität eingetragen.293 Bis 1921 blieb er in der Stadt und hatte erste Erfolge als Theaterschriftsteller. Es kam zur Uraufführung seiner Stücke Haremspiel und Belsazar. Domets Stücke erhielten insgesamt sowohl wohlgesonnene Kritiken als auch kritische Anmerkungen hinsichtlich Anspruch und Qualität.294 Andere Werke Domets wurden auf Lesungen vorgetragen und zum Teil in Druckform, als Buch oder Zeitschriftenartikel, veröffentlicht. Er hatte Kontakte zur Presse und schrieb selbst für verschiedene Zeitungen, wie zum Beispiel für die Vossische Zeitung.295 Der Grundtenor der deutschen Kritiken zu Domets Theaterstücken war der der Verwunderung über einen Dichter, in dem sich, so die Tägliche Rundschau im Jahre 1921, »arabisches und deutsches Blut, morgen- und abendländische Kultur mischen«.296 Domet verfasste seine Stücke und Texte auf Deutsch und legte eine 291 292 293

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Nagl, Grenzfälle, S. 67. Vgl. auch Höpp, Nachlass, Kiste 07.07, Der Staatssekretär des ReichsKolonialamtes, Abschrift, Berlin W. 8, 31.10.1910. Nachlass Höpp, Kiste 07.07., »›Ben Sina‹ von Asis Domet«, in: Berliner Börsen-Zeitung 177, 2. Beilage, 17.04.1921. Höpp, Gerhard: »Ein Komma zwischen den Kulturen«, S. 156. In einem polizeilichen Führungszeugnis aus dem Jahr 1941 ist angegeben, dass er »nur als Hospitant« die Hochschulen von München (1910), Budapest (1915-1917) und Berlin (1920/21) besuchte. Vgl. Nachlass Höpp, Kiste 07.07, Polizeiliches Führungszeugnis Asis Domet vom 16.05.1941. Vgl. Nachlass Höpp, Kiste 07.07., »›Ben Sina‹ von Asis Domet. Vgl. Nachlass Höpp, Kiste 07.07., Domet, Asis: »El Chadr«, in: Vossische Zeitung, 21.01.1921. GStARchB, zitiert nach Höpp, »Ein Komma zwischen den Kulturen«, S. 158.

4. Eigensinn und Eigenzeit

große Bewunderung für alles Deutsche an den Tag, wie der in Jerusalem eingesetzte Konsul Erich Nord 1929 in einem Schreiben an Carl Becker, zu jener Zeit Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, formulierte: Er fiel deshalb so besonders auf, weil er eigentlich ein Zwitterding zwischen Araber und Deutschen darstellt, d.h. zwar von Geburt Araber ist, aber so in seinem Bildungsgang und Neigungen im Deutschtum aufgegangen ist, dass man ihn eigentlich als Deutschen ansprechen muss.297 Domet versuchte sich in Deutschland ein- bzw. sich »dem Deutschen« zuzuordnen. Die Frage, wo man ihn tatsächlich verortete und welche nationale und ethnische bzw. ethnisierte Zugehörigkeit er für sich behaupten konnte, wurde nicht allein für sein künstlerisches Leben bestimmend.

Arabisch-jüdische Aussöhnung oder zionistische Dichtung? Am 18. November 1920 heiratete Asis Domet Adelheid Köbke, die Tochter eines Berliner Bauunternehmers. Im Jahr darauf, auf der Höhe seines Erfolges, zog er mit seiner Frau und der ersten gemeinsamen Tochter nach Haifa.298 Hier begann er, sich für eine jüdisch-arabische Aussöhnung zu engagieren. Entsprechend wurde er als »zionistisch-arabisch-deutscher Dichter«299 bezeichnet. Israel Zangwill,300 Theaterschriftsteller und zu Theodor Herzls Zeiten Vertreter einer zionistischen Strömung,301 die sich früh für eine forcierte Umsiedlung der arabisch-palästinensischen Bevölkerung Palästinas aussprach, schrieb das Vorwort zu Domets Theaterstück Jossef Trumpeldor aus dem Jahr 1924.302 Zangwill betonte die außergewöhnlichen Zusammenhänge, die Domet umgaben: Dieser Dichter ist ein Araber, ein Araber, geschult in all der Weisheit des Westens und getränkt mit mehr als christlicher Brüderlichkeit; ein Araber, der in deutscher Sprache schreibt und doch frei ist von der deutschen Judäophobie. Ich gebrauche nicht den geläufigen Begriff Anti-Semitismus, denn er ist schwerlich ein Begriff, der auf einen Einwohner von Palästina angewendet werden kann, außer wenn er

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Höpp, »Ein Komma zwischen den Kulturen«, S. 160, Fn. 34. Nachlass Höpp, Kiste 07.07., Asis Domet, Lebensskizze [arab.], 18.10.1941. Domet, Asis: »Der Traum von Tel-Awiw«, in: Wiener Morgenzeitung, 14.05.1922. Zu Zangwills (Zangwells) politischer, antipalästinensischer und antiarabischer Haltung vgl. Montefiore, Jerusalem. Die Biographie, S. 137f. 301 Tessler, Mark: A History of the Israeli-Palestinian Conflict, Bloomington/Indianapolis: Indiana University Press 1994, S. 137. 302 Domet, Asis: »Jossef Trumpeldor. Trauerspiel in drei Akten«, in: Das Zelt. Eine jüdische illustrierte Monatsschrift 1(1924), Nr. 5, S. 168-223.

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in der Tat sorgsam auf die englischen Beamten beschränkt bleibt, da die Majoritätsrasse so semitisch ist wie die Minorität.303 Die Unterscheidung zwischen deutscher »Judäophobie« und »Anti-Semitismus« ist zu dieser Zeit bezeichnend. Doch Zangwill verbleibt im üblichen Narrativ europäischer/westlicher Überlegenheit, wenn er etwas weiter in seinem Text die »Weisheit« dem Westen zuordnete und eine Verbundenheit zwischen Arabern und Juden vor allem als eine solche »semitischen Blutes« konstatiert.304 In Palästina gab es bereits Anfang der 1920er Jahre erste Ausschreitungen gegen jüdische Siedlungen. Ab 1929 kam es zu größeren gewaltsamen Konflikten und Kämpfen.305 Zangwill war begeistert von Domet. Auch weitere Anhänger_innen der zionistischen Bewegung wollten ihn für ihre Zwecke einsetzen. Domet wiederum verlor aufgrund dieser Verbindungen zunächst seine Arbeit an einer arabischen Schule.306 Nach Vorträgen in Berlin und Wien wurde er dann wiederum auch von den dortigen Zionist_innen kritisch betrachtet, in Teilen wurden ihm opportunistische Ziele und kein Einstehen für die zionistische Sache vorgeworfen. Alles in allem wurde er alsbald für weitere propagandistische Zwecke als ungeeignet eingestuft.307 Warum er 1921 zunächst mit seiner Frau nach Haifa zurückging, ist unklar. Jedenfalls konnte er dort als Dramatiker mit seinen auf Deutsch verfassten Werken nicht Fuß fassen. Vielleicht hatte er vor, zweisprachig zu arbeiten. Domets Denken und Handeln zeigte die Auswirkungen kolonialer deutscher Einflusssphären. In vielen seiner Theaterstücke, Artikel und sonstigen Texte versuchte er, eigene arabische Traditionen stark zu machen, und verblieb zugleich in einer ungebrochenen Bewunderung alles Deutschen.308 Einige von Domets Stücken, die sich für einen jüdisch-arabischen Ausgleich einsetzten, fanden in Österreich ihre Herausgeber. 1924 veröffentlichte er Ben Sina bei Samuel Insel in Wien.309 Im selben Jahr erschien Jossef Trumpeldor in der jüdisch-österreichischen Zeitschrift Das Zelt.310 1927 übernahm er es, sein Theaterstück Raumschiffer auf eigene Kosten in der Druckerei des Syrischen Waisenhauses zu drucken.311 Domet versuchte, seine Werke von Palästina aus auf den deutschsprachigen Markt zu bringen. 303 Zangwill, Israel: »Jossef Trumpeldor. Trauerspiel in Drei Akten von Asis Domet (Einführung)«, in: Das Zelt. Eine jüdische illustrierte Monatsschrift 1 (1924), Nr. 5, S. 168-169. 304 Ebd., S. 168. 305 Tessler, A History of the Israeli-Palestinian Conflict, S. 221, 233. 306 Höpp, »Ein Komma zwischen den Kulturen«, S. 157, Fn. 23. 307 Ebd., S. 157. 308 In der Zeitung Al-Lataif al-musawara [arab.] aus Kairo wurde Domet wiederum als Kuriosum auf arabischer Seite vorgestellt: als arabischer Theaterschriftsteller, der im deutschsprachigen Raum bekannt war. Vgl. Al-Lataif al-musawara [arab.], 11.02.1929, in: Nachlass Höpp, Kiste 07.07. Im arabischsprachigen Kulturbetrieb war Domet weitestgehend unbekannt. 309 Domet, Asis: Ben Sina: dramatisches Gedicht in 5 Aufzügen, Wien: Samuel Insel 1924. 310 Domet, »Jossef Trumpeldor«. 311 Domet, Asis: Raumschiffer. Tragödie in drei Aufzügen, Jerusalem: Syr. Waisenhaus 1926/27.

4. Eigensinn und Eigenzeit

»Ein Araber – deutscher Dichter«:312 Das orientalistische Kontinuum Ein Exemplar seines Stücks Raumschiffer schickte Domet an Gerhart Hauptmann, mit dem er von Haifa aus, um 1926 »in briefliche Verbindung« trat.313 Wie Domet in einem Artikel, der mit »Ein Araber bei Gerhart Hauptmann« übertitelt ist, vermerkte, schrieb Hauptmann ihm, er werde ihn gern besuchen, wenn ihn seine »Sehnsucht, Jerusalem und das Heilige Land zu sehen«, erfülle.314 Domet traf Hauptmann dann aber nicht in Jerusalem, sondern 1928 im Hotel Adlon in Berlin. Er verglich ihn, wie so viele, mit Goethe und schwärmte von der Persönlichkeit des Schriftstellers. Er hielt ihm auf Nachfrage einen Vortrag über den zeitgenössischen »arabischen Kulturstand« und berichtete ausführlich über das Theater, denn nach Domet waren die »Araber die Jugend auf dem Gebiet des Dramas«.315 Besonders die ägyptische Entwicklung hob er hervor, die sich »[s]chon seit Ausklang des Weltkriegs […] an die germanische Auffassung des zeitgemässen Dramas« angeschlossen habe.316 Diese Einordnung ist sicher vor dem Hintergrund zu verstehen, dass Domet mit einem auch im Ausland viel gewürdigten Dramatiker sprach, der selbst immer wieder historische Bezüge in seine Stücke aufnahm. Die Betonung des Germanischen sowie der pathetisch schwärmende Ton, den er in der Nacherzählung seines Treffens mit Gerhart Hauptmann verwendete, zeugen von dem Versuch, sich an die Tradition des deutschsprachigen Theaters anzuschließen. Die Kontaktaufnahme zu Hauptmann ist einer von zahlreichen Versuchen Domets, sich in Deutschland ein Auskommen zu schaffen. So wandte er sich – zum Teil noch von Haifa aus – im Frühjahr 1927 an verschiedene Behörden bzw. Einrichtungen, die politisch oder wissenschaftlich mit dem »Orient« befasst waren, etwa das Auswärtige Amt, den preußischen Kulturminister Carl Heinrich Becker, Mitbegründer der Islamwissenschaft, sowie den Direktor des Seminars für Orientalische Sprachen, Eugen Mittwoch.317 Letzterer konnte jedoch nur eine Ablehnung schreiben, da, so seine Aussage, keine Stelle vakant sei.318

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Seiden, Rudolf: »Ein Araber – deutscher Dichter. Asis Domets Leben und Schaffen«, in: Mitteilungen des Bundes der Asienkämpfer 10 (01.01.1928), Nr. 1, S. 1. Höpp, Kiste 07.07., Brief Domet an Hauptmann vom 23.08.1927. Domet, Asis: »Ein Araber bei Gerhart Hauptmann«, S. 1-4, o.J., Nachlass Höpp, Kiste 07.07. Der Aufsatz wurde wahrscheinlich um 1928/1929 verfasst, da er mit derselben Adresse wie weitere Briefe Domets an Hauptmann aus diesen Jahren ausgewiesen ist. Vgl. Nachlass Höpp, Kiste 07.07., Brief Domet an Hauptmann vom 05.08.1928 sowie ebd., Brief Domet an Hauptmann vom 20.11.1929. Es ist nicht bekannt, ob »Ein Araber bei Gerhart Hauptmann« veröffentlicht wurde. Domet, Asis: »Ein Araber bei Gerhart Hauptmann«, S. 4. Ebd., S. 3. Zu Becker und Mittwoch vgl. Kap. 1 Deutschlands »Orient«, S. 60-68. Nachlass Höpp 07.07, Schreiben Mittwoch an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Kultur vom 21.04.1927. Vgl. Höpp, »Ein Komma zwischen den Kulturen«, S. 158, Fn. 29.

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Arabische Präsenzen in Deutschland um 1900

Im Jahr 1928 war Domet, wie schon erwähnt, zwischenzeitig wieder in Berlin. In Hermann Haussmann, zu jener Zeit Regierungspräsident von Stralsund (19191932),319 fand er einen Fürsprecher. Haussmann hatte ihn auch schon zuvor mit Gerhart Hauptmann näher bekannt gemacht. Darüber hinaus ermöglichte er Domet die Uraufführung seines Stückes Uili von Akko in Stralsund. Das Werk rief in der Presse und beim Publikum unterschiedliche Reaktionen hervor. So hieß es einerseits, das Stück habe großen Applaus geerntet, andererseits, das Publikum habe das Theater nach dem Fallen des Vorhangs eilig verlassen.320 Der Tenor der ablehnenden Kritiken, die dem Stück teilweise jegliche Qualität absprachen, war nicht allein auf die Einschätzung, es handle sich »um das Werk eines Fremden, eines besonders Fremden, eines Orientalen«, zurückzuführen.321 Vielmehr meinten einige Kritiken, Domet sei überhaupt kein Dramatiker. Als Dichter mochte er sich in Teilen etabliert haben, aber seine Theaterstücke wurden vorwiegend negativ bewertet.322 Dies war nicht das erste Mal, dass Domets Arbeiten mangelnde Qualität nachgesagt wurde. Jenseits der Verwunderung über einen arabischen Schriftsteller, der auf Deutsch schrieb, schien er wenige Zeitgenoss_innen mit der Qualität seines Werks überzeugt zu haben.

Von Bagdad nach Berlin Die Familie Domet war Ende der 1920er Jahre in Palästina, ab 1930 studierte Asis Domet evangelische Theologie in Haifa.323 Zu dieser Zeit eskalierte der Konflikt zwischen der arabisch-palästinensischen Bevölkerung und den zionistischen Siedler_innen im Mandatsgebiet: Die Kämpfe von 1929 forderten viele Opfer, mittlerweile hatten sich sowohl auf der arabischen als auch auf der jüdischen Seite Kampfeinheiten gebildet. Der steigende Zuzug besonders osteuropäischer Jüdinnen und Juden sowie die zionistische Siedlungspolitik, die ein hohes Maß an Landverkäufen nach sich zog, verstärkten die schon direkt nach dem Ersten Weltkrieg einsetzenden Konflikte.324 Domet arbeitete nach bestandener Prüfung der christlichen Theologie in Haifa als Prediger und wurde von der Kirche in Palästina 1934 nach 319

320 321 322 323 324

Zu Hermann Haussmann (auch Haußmann) vgl. Schleinert, Dirk: »Hermann Haussmann, letzter Regierungspräsident von Stralsund und Vertreter der Büroreform. Eine biographische Skizze«, in: Rischer, Henning, Schoebel, Martin (Hg.): Verfassung und Verwaltung Pommerns in der Neuzeit, Bremen: Edition Temmen 2001, S. 151-160. Höpp, »Ein Komma zwischen den Kulturen«, S. 158, Fn. 32 mit einer Auflistung einiger Kritiken. Vgl. Nachlass Höpp, Kiste 07.07. Nachlass Höpp, Kiste 07.07, Der Vorpommer 1928/29. Siehe unter anderem Berliner Börsen Zeitung, 23.12.1928. Vgl. Höpp, »Ein Komma zwischen den Kulturen«, S. 158, Fn. 32. Höpp meint, die Kritiken seien eher positiv ausgefallen. Nachlass Höpp, Kiste 07.07, Domet, Asis: »Aufzeichnung über meine Beschäftigungsverhältnisse seit dem Jahre 1930«, o .J. Vgl. die narrativ eng verwobenen biografischen Rekonstruktionen bei Segev, Tom: One Palestine, Complete. Jews and Arabs Under the British Mandate, New York: Henry Holt 2001.

4. Eigensinn und Eigenzeit

Bagdad entsandt, um der dortigen Gemeinde vorzustehen. Etwas später begann er unter Fritz Grobba als Übersetzer in der deutschen Gesandtschaft zu arbeiten.325 Grobba hatte seine eigene Karriere am SOS in Berlin begonnen und war von 1932 bis 1939 deutscher Gesandter in Bagdad.326 Wie Domet in einem seiner Lebensläufe selbst angab, erkrankte er in Bagdad und plante, erneut von der Kirche nach Haifa versetzt, mit seiner Familie Ende Mai 1939 die »Flucht nach Deutschland«.327 Im Juni 1939 war er wieder im Land und fiel wenig später – nach Kriegsbeginn September 1939 – unter die »Feindstaatenregelung«. Gemäß eines Erlasses des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda war eine Anstellung von Staatsangehörigen aus sogenannten Feindstaaten untersagt.328 Ägypten und Palästina galten unter britischem Einfluss stehend mit Kriegsbeginn als solche »Feindstaaten«.329 Domet, in Kairo geboren und in weiteren Akten als Palästinenser geführt, stand daher unter besonderer Beobachtung.330 So wurde er aufgefordert, einen »Ariernachweis« zu erbringen, den er trotz mehrfacher Versuche schuldig blieb. In einem Schreiben aus dem Jahr 1939 an die Reichsschrifttumskammer versuchte er, seinen Vater und Großvater als »Arier« zu legitimieren.331 Er stellte in dieser Korrespondenz einen weiteren Antrag zur Arbeitserlaubnis, in dem er darauf verwies, dass er unbeschnittener Christ sei und sich bereit erkläre, eine entsprechende ärztliche Untersuchung vornehmen zu lassen.332 Seine Versuche sind gleichermaßen beispielhaft für die sich fortwährend wandelnde Außenpolitik des nationalsozialistischen Staates in Bezug auf die nahöstliche Region, die besonders im Rahmen der »auswärtigen Kulturpolitik« nachzuweisen ist.333 Es gab einzelne Vorstöße, die zunächst Südosteuropa fokussierten und schließlich italienische und deutsche Truppen in Nordafrika bis 1943 kämp-

325 Nachlass Höpp, Kiste 07.07. Domet, »Aufzeichnung über meine Beschäftigungsverhältnisse seit dem Jahr 1930«, o.J. 326 Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus, S. 485. 327 Nachlass Höpp, Kiste 07.07, Domet, »Aufzeichnung über meine Beschäftigungsverhältnisse seit dem Jahre 1930«, o.J. 328 Nachlass Höpp, Kiste 07.07. Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, 16.04.1940 (Ergänzung des Runderlasses vom 29.02.1940); vgl. zur Inhaftierung von mehr als 20 Ägyptern nach Kriegsausbruch Wien, »The Culpability of Exile«, S. 338. 329 Höpp, Gerhard: »Im Schatten des Mondes. Arabische Opfer des Nationalsozialismus«, in: junge Welt, 21./22.12.2002. 330 Nachlass Höpp, Kiste 07.07, Schreiben vom 29.06.1940, gez. Habicht an das Reichssicherheitshauptamt. 331 Nachlass Höpp, Kiste 07.07, Domet, Schreiben an die Reichsschrifttumskammer, 16.11.1939. 332 Ebd. 333 Vgl. Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus, S. 233ff. sowie S .419ff. Wagenhofer setzt den außenpolitischen Wandel um 1940 an. Vgl. Wagenhofer, Sophie: »Rassischer« Feind – politischer Freund? Inszenierung und Instrumentalisierung des Araberbildes im nationalsozialistischen Deutschland, Berlin: Klaus Schwarz 2010, S. 62f.

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Arabische Präsenzen in Deutschland um 1900

fen ließen. Ein abgestimmter zusammenhängender Kriegsplan für die arabischen Gebiete fand keine Umsetzung.334 Der Grund für Domets Rückkehr nach Deutschland ist nicht gänzlich geklärt.335 Er hatte angegeben, dass ihm und seinen Angehörigen in Palästina »das Konzentrationslager« drohe.336 Zurück in Deutschland arbeitete er zunächst im Propagandaministerium für die arabische Abteilung.337 Gleichzeitig versuchte er seine Stücke an ein Theater zu bringen. Jedoch hatte er keinen Erfolg, es ist nicht bekannt, dass eines seiner Stücke Ende der 1930er Jahre in Deutschland zur Aufführung gelangte oder er weitere Texte publizierte.338 Domet befand sich kontinuierlich auf der Suche nach weiteren Arbeitsmöglichkeiten und geriet zunehmend in Schwierigkeiten. Das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda stufte seine Stücke als qualitativ unzureichend und für die Propaganda nicht zu verwenden ein. Wie zum Beispiel das Stück Annajaschleier, das abgelehnt wurde, weil darin eine jüdische Hauptfigur vorkam, die positiv und nicht nach antisemitischen Parametern dargestellt war.339 Auch an Adolf Hitler wandte sich Domet in einem persönlichen Schreiben.340 Überschrieben ist dieser Brief vom 30. November 1939 mit »Exzellenz! Bitte eines arabischen Dramatikers um die Gunst, den Führer von Angesicht zu Angesicht zu sehen«.341 In diesem Duktus fuhr Domet fort. Er wies sich aus als »Vertreter der arabischen Schriftsteller in Berlin, sowie als Zögling deutscher Schulanstalten in Palästina«342 . Auf Zarathustra rekurrierend schwelgte er in mythisch überhöhten Ausdrücken, um erneut sein Lebensziel zu formulieren: Sein Ansinnen sei es, »eine geistige goldene Brücke zwischen meinem arabischen und dem deutschen Heldenvolke herzustellen«.343 Auf ein ablehnendes Antwortschreiben, gezeichnet durch den persönlichen Referenten Hitlers, Willy Meerwald,344 reagierte Domet mit einem weiteren kurzen Schreiben, in dem er bat, sich nicht mehr wöchentlich bei der Polizei melden zu müssen.345

334 Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus, S. 244f. 335 Höpp, »Ein Komma zwischen den Kulturen«, S. 159 336 Nachlass Höpp, Kiste 07.07, Domet, »Aufzeichnung über meine Beschäftigungsverhältnisse seit dem Jahr 1930« o.J. 337 Ebd. 338 Höpp, Gerhard: »Biographien zwischen den Kulturen: Asis Domet (‘Azīz Ḍūmiṭ) und Mohammed Essad«, in: Fürtig, Henner (Hg.): Islamische Welt und Globalisierung. Aneignung, Abgrenzung, Gegenentwürfe, Würzburg: Ergon 2001, S. 149-157. 339 Nachlass Höpp, Kiste 07.07. Vgl. Höpp, »Ein Komma zwischen den Kulturen«, S. 158. 340 Nachlass Höpp, Kiste 07.07, Schreiben Domet an Hitler, Berlin, 30.11.1939. 341 Ebd. 342 Ebd. 343 Ebd. 344 Nachlass Höpp, Kiste 07.07, Schreiben Meerwald an Domet, Berlin, 06.12.1939. 345 Nachlass Höpp, Kiste 07.07, Schreiben Domet an Meerwald, Berlin, 09.12.1939.

4. Eigensinn und Eigenzeit

Anfang der 1940er Jahre hatten die weiterhin fehlenden Erfolgsaussichten als Dramatiker und Schriftsteller weitaus schwerere Konsequenzen. Die uneindeutige Zuordnung seiner Haltung und Person führten dazu, dass das Auswärtige Amt debattierte, welchen außenpolitischen Nutzen Domet haben könnte, und Domet selbst, in der deutschnationalen Tradition seines Vaters stehend, sich dem nationalsozialistischen deutschen Leitbild zuwandte. Nach 1939 schloss diese Haltung auch die Abgrenzung von Juden mit ein. Der ehemals »zionistischarabisch-deutsche Dichter« äußerte sich nun gegenüber den Behörden im Sinne des »Erlösungs-Antisemitismus«346 des »Dritten Reiches«, indem er sich als von Juden »unterdrückt«347 gerierte oder mehrfach seine christliche Herkunft betonte. Auch, dass er nicht beschnitten sei, stellte er in diesen Zusammenhängen in den Vordergrund. Gleichzeitig geriet er selbst unter Verdacht und wurde schon 1939 vom Sicherheitsdienst Württemberg-Hohenzollern observiert.348 Im Oktober des gleichen Jahres wandte Domet sich an das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Er pries seine eigenen Stücke sowie weitere Dramen arabischer Autoren als für Propagandazwecke tauglich an. Darüber hinaus schickte er eine Liste mit deutschen Stücken, die er »im Laufe der Jahre zu übertragen«, also ins Arabische zu übersetzen, gedachte.349 Doch seine Bemühungen schlugen fehl und er wurde im März 1940 nach Anzeige durch das Propagandaministerium von der Gestapo verhaftet. Nach eigenen Angaben wurde er Mitte März »ins Polizeipräsidium gerufen«, um seine Nationalität prüfen zu lassen.350 Hintergrund war der Vorwurf, er habe Geld von der amerikanischen Botschaft angenommen – eine Information, die den Behörden von einem aus Palästina stammenden Deutschen zugespielt worden war. In anderen Worten, er wurde verdächtigt, Spionage betrieben zu haben, und so weit für verdächtig eingestuft, dass er im »Internierungslager Stalag XIII A in Nürnberg« interniert werden sollte.351 Möglicherweise hatte Domet tatsächlich Geld von US-Stellen angenommen, weil er – wie seine Frau nach seiner Verhaftung gegenüber den Polizeibehörden

346 Vgl. zum Begriff des Erlösungs-Antisemitismus: Friedländer, Saul: Das Dritte Reich und die Juden. Erster Band. Die Jahre der Verfolgung 1933-1939, München: Verlag C.H. Beck 1998, S. 87. 347 Höpp, »Ein Komma zwischen den Kulturen«, S. 159. 348 Nachlass Höpp, Kiste 07.07, Höpp, Asis Domet, Biographie (unveröffentlichte Zusammenstellung), S. 1-4, S. 2. 349 Nachlass Höpp, Kiste 07.07, Schreiben Domet an Schlösser, Berlin, 08.10.1939 350 Domet, »Aufzeichnung über meine Beschäftigungsverhältnisse seit dem Jahr 1930«, Nachlass Höpp, Kiste 07.07. 351 Nachlass Höpp, Kiste 07.07., Schreiben Kröning im Auftrag der Reichsführer SS an das Auswärtige Amt vom 09.07.1940. Vgl. Höpp, »Ein Komma zwischen den Kulturen«, S. 159. Das Stalag XIII A war ein Internierungslager bei Nürnberg, in dem Dokument wird es als Stalag, nicht Ilag bezeichnet.

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Arabische Präsenzen in Deutschland um 1900

aussagte – es gewohnt war, »auf großem Fuß zu leben«.352 Verschiedene Kontaktpersonen des Auswärtigen Amtes versuchten ihm zu helfen, darunter Fritz Grobba, der sich namentlich für ihn einsetzte. Im August ersuchte auch ein Mitarbeiter der Reichsführung-SS den Polizeipräsidenten von Berlin um die Entlassung Domets mit Auflagen, der schließlich stattgegeben wurde, sodass Domet nach einem knappen halben Jahr wieder aus der Haft freikam.353 Im April 1943 wurde Domet dann in den Akten des Auswärtigen Amtes erneut als Dolmetscher im Orient-Referat geführt, einschließlich Arbeitsvertrag.354 Schon zuvor war er in einer anderen Abteilung tätig, denn von März an tauchen immer wieder krankheitsbedingte Fehlzeiten in den Unterlagen auf.355 Der Schriftsteller schien unter den Vorkommnissen gelitten zu haben. Er verstarb nach »kurzer, schwerer Krankheit« am 27. Juli 1943 an den Folgen eines Herzschlags.356 Domet wurde am »3. August 1943 um 14 Uhr 15 auf dem Trinitatis-Friedhof in Stahnsdorf beigesetzt«357 . Ein Kranz des Reichsministers des Auswärtigen sollte sein Grab schmücken und ein Vertreter der Personalabteilung an der Beerdigung teilnehmen.358

Transgression und Assimilation Asis Domet und Jussuf Abbo fanden mit unterschiedlichen Strategien und Ausgangsvoraussetzungen ihren Weg nach Deutschland und versuchten, sich dort als Künstler zu etablieren. Während Abbo dies bis 1933 mit einigem Erfolg gelang, scheiterten Domets Versuche, sich als Dramatiker und Autor in Deutschland einen Namen zu machen. Trotz der unterschiedlichen Quellenlage lässt sich festhalten, dass beide mit orientalisierten Bildern hantierten und in den 1920er Jahren Grenzüberschreitungen unternahmen, um sich anzupassen. Abbo gab sich als Beduine aus, bediente ein Bild des »Orients« und seiner Bewohner_innen, das nicht allein im Lasker-Schüler-Kreis, sondern auch in der deutschen Gesellschaft insgesamt weitverbreitet war. Abbo wurde – auch in der Darstellung seiner Frau – als schwach und empfindsam beschrieben, als Künstler, der an den harten Realitäten des Lebens zugrunde ging. Zudem war er jüdisch, was für ihn nach 1933 bedeutete, dass er immer weniger Möglichkeiten hatte, sich als Künstler in Deutschland zu 352 Nachlass Höpp, Kiste 07.07., Schreiben Der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei, gez. Kröning, an das Auswärtige Amt, Berlin, 09.07.1940. 353 Nachlass Höpp, Kiste 07.07., Schreiben Kröning im Auftrag Der Reichsführer SS an den Polizeipräsidenten in Berlin, 20.08.1940, sowie Nachlass Höpp, Kiste 07.07., Schreiben gez. Habicht an das Reichssicherheitshauptamt. 354 Nachlass Höpp, Kiste 07.07., Dienstvertrag vom 01.04.1943. 355 Ebd. Randnotiz, dass Domet bereits zuvor in einer anderen Abteilung tätig war. 356 Nachlass Höpp, Kiste 07.07., Todesanzeige Schriftsteller und Dolmetscher Asis Domet, Berlin 29.07.1943. 357 Ebd. 358 Nachlass Höpp, Kiste 07.07., Ref. Pers. M. Herrn Hausinspektor, 31.07.1943.

4. Eigensinn und Eigenzeit

behaupten. Er verließ mit einem ägyptischen Pass das Land noch vor den Nürnberger Gesetzen. Das Beispiel Domets verdeutlicht die Ambivalenz der kolonial-orientalistischen Situation arabischer Personen. Durch das Elternhaus stark von deutschkolonialen Einflüssen geprägt, spiegelt sich in seinem Denken eine Taxonomie der »Kulturnationen« wider, bei der die deutsche an erster Stelle stand. In der Weimarer Republik zeigten sich Domets vielfach fehlgeleitete Selbsteinschätzung und die daraus resultierenden Wechsel der Beschäftigungsverhältnisse. Domet war ein Dramatiker und Dichter, der weder in kreativer Hinsicht noch in seinen politischen Ansprüchen Erfolg hatte. Während Abbo sich höchstwahrscheinlich bis 1934/1935 hauptsächlich in Deutschland aufhielt, wechselte Domet mit seiner Familie immer wieder den Wohnort. Nach einer langen Zeit in Haifa ging es weiter in den Irak. Als auf Deutsch schreibender Literat, entfernte er sich zunehmend von seinem Publikum. Demgegenüber lassen sich die unterschiedlichen Phasen in Jussuf Abbos Leben nicht kontinuierlich nachzeichnen. Er schien als Bildhauer ein eher prekäres, aber in künstlerischer Hinsicht erfolgreiches Auskommen in der Weimarer Republik gefunden zu haben. Die zunehmend gesetzlich legitimierte Verfolgung von Jüdinnen und Juden nach 1933 und die Zensur im kulturellen Bereich machten ihm ein weiteres Leben in Deutschland unmöglich. In Großbritannien konnte er nicht mehr an die Erfolge der 1920er Jahre anknüpfen und besonders nach Kriegsbeginn folgte ein langsamer, aber weiterer sozialer Abstieg. Durch die Verletzungen während des Krieges wurde er um seine Lebensgrundlage gebracht. Domet nahm im Laufe der Zeit in politischer Hinsicht unterschiedliche Haltungen ein, besonders in Bezug auf die von ihm imaginierte, aber nie explizit so betitelte arabische Nation. Bemühte er sich in den 1920er Jahren um eine Aussöhnung zwischen jüdischer und arabischer Bevölkerung in Palästina, die auch auf der Annahme basierte, die neuen jüdischen Immigrant_innen brächten eine höher entwickelte Zivilisation ins Land, veränderte sich seine Einstellung gegen Ende der 1930er Jahre. Zurückgekehrt in das nationalsozialistische Deutschland hatten Domets Versuche, eine Anerkennung in literarischen Kreisen und vor allem im Theaterbereich zu erhalten, keine Erfolgsaussichten. Er geriet zunehmend in widrige Umstände, die in seiner knapp halbjährigen Festnahme kulminierten. Seine antisemitische Haltung ist vor dem Hintergrund der Uneindeutigkeiten, mit denen er sich als Person auseinandersetzen musste, ambivalent. Er fiel als Angehöriger eines »Feindstaates« unter die Beobachtung der Gestapo, was schließlich zu seiner Verhaftung führte. Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes setzten sich für ihn ein, jedoch auch aus einem außenpolitischen Kalkül heraus, das spätestens seit 1940 unterschiedliche Pläne für eine Expansion nach »Nah- und Mittelost« beinhaltete.359 359 Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus, S. 233ff.

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5. Geschichte/n an der Grenze how to write an ending?1 Migration has a beginning and an end.2

Jenseits des Orientalismus: Zeit-Räume und biografische Interventionen Die (eine und einzige) deutsche Geschichte gibt es nicht. Dies ist keine neue Erkenntnis, sie ist vielmehr seit geraumer Zeit in größeren Teilen der Historiker_innenzunft anerkannt. Dennoch existiert ein diskursiver Rahmen, der bis heute historische Rückerkundungen mit nationalen Attributen verbindet. Trotz aller Bemühungen, die höchstmögliche Komplexität und Vielheit kenntlich zu machen, trotz transnationaler und verflechtungsgeschichtlicher Ansätze, bleiben nationale Bezugspunkte, Narrative und Verlaufsformen in den meisten Analysen bestehen. Dies gilt auch für jene transnationalen oder globalgeschichtlichen Ansätze, die versuchen, eurozentrische Perspektiven aufzubrechen und alternative Sichtweisen einzuführen. Diese Arbeit hat einen strategischen Essenzialismus zum Ausgangspunkt genommen und arabische Menschen als Subjekte benannt, um ihre Präsenz in Deutschland in der Zeit von 1871 bis 1933 kenntlich zu machen und zu diskutieren. Diese Herangehensweise reagierte auf eine Quellenlage, die vornehmlich aus den »Diskursen und Diskurssystemen von Herrschenden und von Eliten«3 hervorgeht. Ich habe Lebenswege und einzelne Zeugnisse der Anwesenheit arabischer Menschen herausgearbeitet und dargelegt, wie sehr die »orientalistische Matrix« sowohl Selbstzeugnisse als auch das archivalische Quellenmaterial beeinflusst. Eine arabische Geschichte in Deutschland, eine arabisch-deutsche Geschichte lässt sich jenseits dieser Matrix nicht denken. In diesem Schlusskapitel möchte ich zunächst die herausgearbeiteten Lebenswege oder biografischen Splitter in Beziehung zueinander setzen und nach

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Minh-ha, Trinh T.: Lovecidal. Walking with the Disappeared, New York: Fordham University Press 2016, S. 5-34. Hoerder, Dirk: Cultures in Contact. World Migrations in the Second Millennium, Durham/London: Duke University Press 2002, S. 14. Oltmer, »Einleitung«, S. 4.

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Arabische Präsenzen in Deutschland um 1900

Wegmarkierungen sowie Zäsuren suchen, die Verbindungen zwischen den unterschiedlichen biografischen Beispielen bilden. Dies auch vor der eingangs formulierten Frage, die Möglichkeiten einer in sich diversen Gemeinschaftsgeschichte zu eruieren. Lassen sich »biographische Signaturen«4 finden? Wie in der Einleitung beschrieben, bezeichnen diese gemeinsame Erfahrungen und Ereignisse, die arabische und arabisch-deutsche Menschen in Deutschland miteinander teilten und die sich von der Mehrheitsgesellschaft unterschieden. Zweitens werde ich abschließend Fragen der Konstruktion eines deutschen Islam und der Ethnisierung bzw. Rassifizierung arabischer Menschen zusammenfassend diskutieren. Und drittens nehme ich anhand einzelner Biografien einen Ausblick in die Zeit des Nationalsozialismus mit Referenzen bis in die Gegenwart vor. Diese Geschichte zu schreiben, bedeutete auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Kategorisierung einer Präsenzgeschichte als Migrationsgeschichte. Meine Studie begann wie viele »Migrationsgeschichten«: ihren Ausgangspunkt nahm sie an Orten, die Anfangspunkte von Mobilitäten bildeten. Ich markierte diese unterschiedlichen Stellen auf einer Kartografie des Erinnerbaren, um die machtvollen Bezüge geopolitischer Koordinaten zu umreißen. Sansibar, Marokko und Ägypten waren in diesem Sinn nicht allein Orte und Länder, von denen aus sich konkrete Personen in Bewegung setzten. Es waren auch Einflusssphären deutscher Interessen. Das 19. Jahrhundert war ein Zeitraum, in dem Prozesse der Beschleunigung sowie die Erfindung und Verbreitung neuer Technologien stattfanden.5 Es ist damit das Jahrhundert der Verdichtung von Raum und Zeit sowie einer gesteigerten erzwungenen oder auch selbst gewählten Mobilität. Und es ist das Jahrhundert der Ausdifferenzierung eines modernen eurozentrischen Verständnisses von Wissenschaft und, damit einhergehend, einer spezifischen klassifizierenden Einteilung der Welt.6 Die in dieser Studie analysierten biografischen Interventionen sind eng verwoben mit diesen Formen des Denkens. Die drei nachgezeichneten Lebenswege von Hassan Taufik, Sayyida Salme und Mohamed Soliman sind exemplarisch, sowohl für kolonial-orientalistische Verbindungen als auch als konkrete Zeugnisse einer arabischen Präsenz im Deutschen Kaiserreich. Anhand ihrer Beispiele rekonstruierte ich die Ambivalenz zwischen dem Stereotyp einer arabisch/muslimisch/»orientalisch« perzipierten Person und ihrer realen Anwesenheit sowie Handlungsfähigkeit.

Erste biografische Routen Hassan Taufik wurde 1887 in das Kaiserreich eingeladen, um am Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin zu lehren. Er gehörte der wissenschaftlichen Elite

4 5 6

Ha, Ethnizität und Migration Reloaded, S. 18. Vgl. Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt. Vgl. Pratt, Imperial Eyes, S. 24ff.

5. Geschichte/n an der Grenze

Ägyptens an und musste in Berlin nach konkreten Vorgaben Wissen über »den Orient« vermitteln, das den bereits existierenden orientalistischen Vorannahmen und Vorstellungen in Deutschland entsprach. Als kultureller Informant war er daran beteiligt, bestimmte Formen des Wissens zu etablieren und zu kanonisieren. Taufik hielt sich zu einer Zeit in Berlin auf, als sich die Wissenschaften im Zuge des Hochimperialismus ausdifferenzierten. Seine Perspektive ist die einer ambivalenten Positionierung, sein Aufenthalt in Berlin war eine Form der Arbeitsmigration im kolonialen Zusammenhang. Das SOS wies ihn an, eine orientalische Tracht zu tragen. Als Lehrender wurde er kommodifiziert, das heißt, er vermittelte seinen Sprachunterricht in Form einer Inszenierung, die jenseits dieser speziellen Bebilderung keinen praktischen Nutzen hatte. Noch früher als Taufik und noch vor der Gründung des Kaiserreichs kam Sayyida Salme 1867 in die Hauptstadt des Norddeutschen Bundes. Als arabischdeutsche Frau – um 1872 galt sie als Angehörige des hamburgischen Staatsbunds und damit des Deutschen Reiches7 – überschritt sie verschiedene Grenzen. Sie inszenierte sich als »arabische Prinzessin« und schrieb ihre Memoiren in einer selbstexotisierenden Perspektive. Salme befürwortete deutsche koloniale Unternehmungen, sprach aber gleichzeitig den konkreten praktischen Umsetzungen auf Sansibar ihre Legitimität ab. Mohamed Soliman kam um 1900 in das Kaiserreich und baute sich eine unternehmerische Existenz auf. Er machte sich einen Namen als Artist, Feuerschlucker und Kinobetreiber. Parallel dazu schuf er unterschiedliche Veranstaltungsangebote und war im Laufe seines Lebens in Berlin an populären Orten – wie der Passage an der Friedrichstraße oder dem Lunapark – innerhalb der Millionenstadt präsent. Soliman nutzte Formen der (Selbst-)Orientalisierung und wurde zu einem wohlhabenden und innovativen Unternehmer, der auch – mit einem weiteren Geschäftsmodell, der Karosserieherstellung – die Inflation in der Weimarer Republik überstand. Darüber hinaus agierte er in transnationalen Aushandlungsprozessen und unterstützte antikoloniale ägyptische Politiker. Diese drei biografischen Routen arabischer Menschen in das Kaiserreich Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts sind beispielhaft und exzeptionell zugleich. Sie bestätigen die These einer orientalistischen Matrix, außerhalb derer ihre Handlungsfähigkeit nur bedingt fassbar ist. Die Frage, wer oder was die arabischen Menschen waren, die ich beschreibe, begleitete mich während meiner Recherchen ebenso wie das ungläubige Staunen, dass es zu dieser Zeit arabische Menschen in Deutschland gab. Sie bleiben mit ihren Handlungsweisen im Raum der Anderen verhaftet.

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Donzel, »Introduction«, S. 22.

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Arabische Präsenzen in Deutschland um 1900

Biografische Signaturen: Wegmarkierungen arabisch-deutscher Geschichte Die Kinder von Sayyida Salme und Mohamed Soliman trugen in veränderter Form die Erfahrungen ihrer Eltern weiter. Die Handlungsweisen und Referenzen von Antonie Brandeis-Ruete und Rudolph Said-Ruete sowie Hamida Soliman sind davon gekennzeichnet, dass sie nur noch auf »Schmuggelpfade[n] der Erinnerung« bruchstückhaft auf frühere Traditionen Bezug nehmen konnten.8 Dieses Phänomen in Bezug auf literarische Beispiele sozialer und kultureller Deplatzierungen wird in Homi Bhabhas »Die Verortung der Kultur« als »ver-rückt« übersetzt.9 Diese Transkription eignet sich auch zur Beschreibung der familieninternen Weitergaben, die sich im übertragenen Sinn als »ver-rückt« bezeichnen lassen, insofern als sie sich an einer anderen Stelle befanden, da sie einer anderen Ordnung und anderen Bezugssystemen folgten, die in der diasporischen Weitergabe nicht rekonstruierbar waren. Rudolph Said-Ruetes selbstbekundetes Unvermögen, perfekt Arabisch zu sprechen, Antonie Brandeis-Ruetes stetige Suche nach urtümlichen, »echten« Lebensweisen auf Jaluit und ihre feministisch-koloniale Aneignung wie auch Hamida Solimans Auftritte als Ägypterin in den 1940er Jahren sind in diesem Sinne als Reminiszenzen »ver-rückter« oder deplatzierter Bezugnahmen auf ihre jeweilige familiäre Genealogie und Tradition zu verstehen.10 Die Bezugnahme verweist auf andere Orte, die immer schon orientalisiert, das heißt stereotyp, besetzt waren. Diese komplexen Zusammenhänge wirkten sich nicht allein auf den Aktionsradius arabisch-diasporischer Realitäten in Deutschland aus, sondern auch auf die Tradierung der Anwesenheit, auf die Erinnerung und damit auch darauf, welche historischen Narrative es zu arabischen Menschen in Deutschland gibt. Erinnerungsnarrative sind immer fragmentiert – vereinzelte Bausteine, aus denen sinnhafte Zusammenhänge erschlossen werden. Und es gibt nicht die eine, allgemeingültige Geschichte, weder eine einheitliche deutsche noch eine arabische Geschichte. Ein Narrativ kann aus einzelnen Fragmenten entstehen, wenn diese in Beziehung zueinander gesetzt werden. Raumzuweisungen und Grenzziehungen sowie Stereotypisierungen und Vorurteile bedingten Bilder arabischer Menschen als Andere der Gesellschaft sowohl innerhalb akademischer Diskurse als auch in

8 9 10

Hassoun, Jacques: Schmuggelpfade der Erinnerung. Muttersprache, Vaterwort und die Frage der kulturellen Überlieferung, Frankfurt a.M./Basel: Stroemfeld 2003. Bhabha, Die Verortung der Kultur, S. 18. Ebd.

5. Geschichte/n an der Grenze

populären Zusammenhängen. Sie prägten theoretisch und praktisch die »fields of encounter«11 . Was ließe sich nun konkret als biografische Signatur, als spezifisch arabischdeutsche Erfahrungen und Ereignisse beschreiben? Es lassen sich Anhaltspunkte finden, die teils mit mehrheitsgesellschaftlich bedeutenden Ereignissen übereinstimmen, teils aber auch eigene geteilte Erfahrungen darstellen. Vor allem die geschilderten Kriegszusammenhänge führten zu einer erhöhten arabischen Präsenz in Deutschland. Als biografische Signatur teilten Kolonialsoldaten und im Kontext des Ersten Weltkriegs nach Deutschland gezogene Nationalisten bestimmte Erfahrungen. Eine solche war, dass sie nach Kriegsende das Land verlassen sollten, die Repatriierung jedoch häufig nicht möglich war. Die Produktion orientalistischen und kolonialen Wissens bildete nicht nur eine Kontinuität der narrativen, sondern auch der realen Anwesenheit arabischer Präsenzen in Deutschland. In Kolonialinstituten und der universitären Lehre zu außereuropäischen Sprachen wurden ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Sprachlehrer arabischer Herkunft eingesetzt. Das SOS war – wie auch das Hamburger Kolonialinstitut – nicht allein eine Einrichtung der Vermittlung kolonialer Lehrinhalte oder ein Ort des kooperierenden Handelns einzelner privilegierter Personen. In diesem Kontext ist es wichtig, auf eine Lesart zu verweisen, die eigene Agenden der Akteure kenntlich macht. Die genannten Kolonialinstitute waren nicht allein Orte, an denen außereuropäische Personen individuell als Wissensvermittler agierten. Es waren Orte, an denen Menschen zusammentrafen. Schon Ende der 1880er Jahre nannte Hassan Taufik einen Treffpunkt, an dem viele »ausländische« Bewohner_innen Berlins wohnten und zusammenkamen, die »gemischte Schule«. Jahre später, noch vor dem Ersten Weltkrieg, bot der »Ägyptische Bund« eine Anlaufstelle für Menschen unterschiedlicher Herkunft. Und schließlich bildeten in den 1920er Jahren der Orient-Klub in der Kalkreuthstraße oder das IslamInstitut in der Fasanenstraße in Berlin Anlaufpunkte und Orte des Austauschs, die auf eigene Räume arabischer, muslimischer und internationaler – meist außereuropäischer – Gruppen hinwiesen. Die Netzwerke, die sich in den 1920er Jahren etablierten, fußten auch auf Verbindungen, die während des Ersten Weltkriegs in den metropolitanen Zusammenhängen entstanden waren.12 Eine weitere biografische Signatur ließe sich somit weniger zeitlich als vielmehr örtlich beschreiben. 11

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So die Überschrift des zweiten Teils von Manjapras Studie, in dem er das tatsächliche Aufeinandertreffen im praktischen Tun, in thematischen Bereichen beschreibt. Vgl. Manjapra, Age of Entanglement, S. 111ff. Das Argument Michael Goebels, die meisten antikolonialen Aktivisten seien innerhalb imperialer Zentren (vor allem Paris) politisiert worden, trifft für die hier vorgestellten arabischen Akteure nur in einigen wenigen Fällen zu. Auch die Studenten, zumeist aus eher bessergestellten Schichten stammend, waren in ihren Herkunftsländern schon politisch aktiv gewesen. Vgl. Goebel, Anti-Imperial Metropolis, S. 4.

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Es sind Treffpunkte, die bestimmte Menschen zu unterschiedlichen Zeiten zusammenbrachten. Es gab noch weitere Verbindungen, die sich nur punktuell rekonstruieren lassen. Die Informationen zu erkennungsdienstlich erfassten Deserteuren geben Hinweise auf weitere Zusammenhänge, auf ein Wissen diasporischer Existenzen voneinander. Trotz des hegemonialen Hintergrunds der Quellen weisen die biografischen Splitter auf Netzwerke hin, die größer waren als die beschriebenen Zusammenhänge. Der kleine Laden des Allouane in Bad Kreuznach und die Kontakte zu einem Netzwerk, das die Forderung »Afrika den Afrikanern« erhob, deutet zum einen auf antikoloniale Zusammenhänge hin, die auf kommunaler Ebene organisiert waren. Zum anderen ist es ein Hinweis auf eine arabisch-deutsche Familiengeschichte und die Kontakte der Familie zu weiteren »Landsmännern«. Damit zeigt sich ein weiterer Radius arabischer Präsenzen im Deutschland des Kaiserreichs und der Weimarer Republik, der sich nur ansatzweise über formale schriftliche Quellen rekonstruieren lässt. Ein Wechselspiel aus konstruierter Gemeinschaft, wissenschaftlichem Interesse und versuchter Einflussnahme sowie Begeisterung entwickelte sich während des Untersuchungszeitraums auch in Bezug auf ein Phänomen, das zu einem weiteren sozialen Ordnungsprinzip wurde: der Islam.

Der Islam – Inszenierung, Glaube oder Gemeinschaft? In den vorhergegangenen Kapiteln wurde immer wieder auf Inszenierungen des Islams und muslimisches Leben innerhalb der deutschen Gesellschaft verwiesen. Was bedeutete muslimisches Leben in Deutschland während des Untersuchungszeitraums? An diesem Punkt sind erneut mehrere Ebenen von Bedeutung, zunächst die Frage nach dem zeitgenössischen Umgang mit »Arabischsein« und »Muslimischsein«. Die Übergänge zwischen »Arabischsein« und »Muslimischsein« waren in der Zeit des Hochimperialismus und zumindest bis in die Zwischenkriegszeit fließend. Cemil Aydin fasst in seinem Buch The Idea of the Muslim World treffend zusammen, dass Muslim_innen erst anfingen, sich als globale politische Einheit zu verstehen, als sich europäische Diskurse im kolonial-imperialen Kontext verbreiteten, die die rassifizierte Minderwertigkeit muslimischer Menschen behaupteten: »In other words, the Muslim world arrived with imperial globalization and its concomitant ordering of humanity by race.«13 Die Biografien von Hassan Taufik und Sayyida Salme spiegeln diese Entwicklungen wider. Hassan Taufik verwies in seinen Texten punktuell auf religiöse Zu13

Aydin, Cemil: The Idea of the Muslim World. A Global Intellectual History, Cambridge/London: Harvard University Press 2017, S. 3.

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sammenhänge, jedoch an keiner Stelle auf islamische Lebensweisen, die vorbildlich oder programmatisch für sein Lesepublikum gewesen sein könnten.14 Seine Gegenüberstellung von »Okzident« und »Orient« ist eher selten eine von Christentum und Islam. Es scheint vielmehr, dass der Islam als Grundlage seines Denkens keiner Erklärung bedurfte. Was ihm in seinen Alltagsbeobachtungen in Berlin auffiel, war das antijüdische Verhalten »christlicher Händler«, Formen eines Antisemitismus, den er um 1890 nicht als solchen benannte. Als der Lektor für Suaheli am SOS, Sleman bin Said aus Sansibar, 1890 mit 20 Jahren starb und auf dem muslimischen Friedhof in Berlin am Columbiadamm beerdigt wurde, sprach Hassan Taufik das Totengebet.15 Dies ist eine der wenigen Angaben zu alltäglicher muslimischer Praxis im Kaiserreich. Umfassende Informationen zu gelebter muslimischer Religiosität in Deutschland finden sich für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg kaum. Demgegenüber bemühte sich Sayyida Salme – als zum Christentum übergetretene Emily Ruete –, den Unterschied von Islam und Christentum herauszuarbeiten und hob die positiven Seiten des muslimischen Alltags (außerhalb Europas) hervor. Und sie kritisierte die europäische Einflussnahme auf außereuropäische, zumeist kolonisierte Gesellschaften, vornehmlich auf die arabische bzw. die sansibarische Gesellschaft. Sie tat dies besonders dann, wenn sie alte Privilegien – auch ihre eigenen als Prinzessin eines Herrschaftshauses – infrage gestellt sah. In ihren Texten findet sich das Gegensatzpaar von islamischer Tradition und christlichem Fortschritt. Sie blieb beiden Seiten gegenüber kritisch und argumentierte sowohl gegen den Modernisierungsfortschritt des Kaiserreichs als auch gegen eine aus ihrer Sicht zurückgebliebene sansibarische Gemeinschaft. Allgemeiner verhandelt wurde das Themenfeld Islam im Rahmen von »Völkerschauen«. Es gab Ausstellungselemente, zum Beispiel eine Moschee oder dem islamischen Ritus nachempfundene Szenen, die religiöse Bezüge aufwiesen. Wie in Kapitel 1 Deutschlands »Orient« (S. 57-60) geschildert, wurden innerhalb der »Vorführung eines tunesischen Harems« Koranverse auf den Körpern der teilnehmenden Frauen »studiert«. Die Mitglieder der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, die dies unternahmen, boten ein Beispiel für die Exotisierung der Religion und für die Durchdringung von Bereichen, die gemeinhin verborgen waren. Der Widerspruch zwischen einem Studium des Korans in Moscheen oder islamischen Hochschulen und innerhalb der inszenierten Aufführung eines Harems wurde anhand dieses Beispiels besonders deutlich. Schließlich wurde der Islam im Zuge des Ersten Weltkriegs zunehmend inszeniert und als Mittel der kriegspolitisch motivierten Revolutionierung von deutscher

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Taufik beschreibt die Religionen Österreichs und Deutschlands und geht auf den Islam nur innerhalb eines Rückblicks auf die arabische Geschichte ein. Vgl. Taufiq, Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi (2008), S. 294. Höpp, Mattes, Berlin für Orientalisten, S. 8.

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Seite instrumentalisiert. Die Tatsache, dass die erste Moschee, in der in Deutschland der religiöse Ritus stattfand, sich offenbar in einem Gefangenenlager befand, deutet auf einen artifiziellen und gesteuerten Umgang der deutschen Behörden und Verantwortlichen mit dieser Religion hin. Der Islam wurde inszeniert und für bestimmte Zwecke eingesetzt, der Umgang mit dem Islam unterlag unterschiedlichen Reglementierungen und war ambivalent. Die unterschiedlichen nationalistischen und antikolonialen Gruppierungen, die sich in der Nachkriegszeit vor allem in Berlin, aber auch in weiteren deutschen Städten bildeten, gingen ihren eigenen Agenden nach und beriefen sich zu unterschiedlichen Zwecken auf den Islam. Antikoloniale und panislamische Themen dienten der Gemeinschaftsbildung, jedoch häufig in einer anderen Form, als es in den zumeist unter kolonialer Herrschaft stehenden Herkunftsländern zu der Zeit möglich war. Auch in diesen Kreisen ließ sich eine gewisse diasporische Künstlichkeit eines alltäglich gelebten Islam in Deutschland feststellen. Die »Islamische Bürgerlichkeit«, die David Motadel einer bestimmten Gruppe von Muslim_innen vor allem in den 1920er und 1930er Jahren in Berlin zuschreibt, trifft meines Erachtens die Verhältnisse nur ansatzweise und nur in Bezug auf ein bestimmtes Milieu dieser Kreise.16 Denn wenn es in einzelnen deutschen Städten Treffpunkte gab, an denen auch Religiosität praktiziert wurde, blieb der Islam in Deutschland Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts fortwährend in der Ambivalenz zwischen inszeniertem und gemeinschaftlich praktiziertem, alltäglichem Glauben verhaftet.

Ethnisierung und Rassifizierung Im Laufe der vorliegenden Studie wurde eine Reihe ethnisierender und rassifizierender Zuschreibungen genannt, die arabische Präsenzen umgaben. Im Rahmen anthropologischer Forschungen wurden Araber und Araberinnen analysiert, rassentheoretische Untersuchungen ordneten sie als Semiten und Semitinnen ein. Es gab Überschneidungen in den Stereotypen jüdischer und arabischer »Orientalen«. Beduinen wurden als die »echten Semiten« klassifiziert.17 Die Positionierungen arabischer Menschen waren den gesamten Untersuchungszeitraum hinüber ambivalent und verbunden mit Fragen des sozialen Status und der politischen Beziehungen der jeweiligen Einzelpersonen. Vom deutsch-französischen Krieg von 1870/71 sind Erzählungen zu Feindbildern erhalten. Ähnlich späteren rassistischen Diffamierungen wurden »Turkos«

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Motadel, »Islamische Bürgerlichkeit«. Vgl. Kap. 1 Deutschlands »Orient«, S. 53-55.

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und Araber wie auch Schwarze Soldaten im Allgemeinen in weitverbreiteten Chroniken als »Bestien« und mit weiteren Schreckensbildern beschrieben. Narrative zum Ersten Weltkrieg griffen diese Bilder auf, die in der rassistischen Nachkriegskampagne gegen die »Schwarze Schmach« kulminierten. Während des Krieges fanden Sprachforschungen und Körpervermessungen in Gefangenenlagern statt. Die 1915 gegründete Phonographische Gesellschaft setzte ihre Studien während der Zwischenkriegszeit und darüber hinaus fort. Arabische Kolonialsoldaten und Teilnehmende der »Völkerschauen« wurden als »Massen« bzw. »Horden« bezeichnet und mit Narrativen der Welteroberung assoziiert. Ihre persönlichen Lebenszeugnisse lassen sich nur selten rekonstruieren, ihre biografischen Spuren verwischen im Kollektiv. Sie wurden häufig als »fremd«, »anders« oder »exotisch« sowie – vor allem im Fall der Kolonialsoldaten – als gewalttätig und bedrohlich markiert. Die Verflechtung von Wissenschaft und Krieg wiederum führte zu einer Zunahme des Quellenmaterials, das in taxonomischer und systematisierender Weise arabische Präsenzen erfasste. Schon im Zuge kolonialer Unternehmungen im Vorfeld des Weltkriegs wurden rassentheoretische Untersuchungen an arabischen Menschen vorgenommen, wobei diese – meist als »Semiten« eingeordnet – vor allem in nomadische »Beduinen« und sesshafte »Städter« unterteilt wurden. Der Erste Weltkrieg erweiterte diese bereits existierenden Ordnungen, ohne sie grundlegend zu verändern. Anthropologische Untersuchungen von »Rassen und Völkern« führten schon während der 1920er Jahre zu den ersten Sterilisationen an Kindern Schwarzer Kolonialsoldaten. Diese rassistischen und gewaltvollen Vorgehensweisen kulminierten 1937 in der geschilderten Geheimaktion, die auf der Grundlage der Studie von Wolfgang Abel vorgenommen wurde.18 Beide Präsenzen, die von 30.000 bis 40.000 Schwarzen Kolonialsoldaten sowie die von mehr als 400 im Rheinland geborenen Schwarzen Kindern, die erfasst und sterilisiert wurden und deren Väter zu einem großen Teil aus Marokko oder Algerien waren, sind eng verwoben mit einem Teil arabisch-deutscher Geschichte, der bislang nicht als solcher erinnert wird. Diese Formen des Vergessens währen bis in die Gegenwart. Der Zusammenhang größerer Gruppen arabischer Menschen in Deutschland, die an »Völkerschauen« teilnahmen, wird besonders im Rahmen der Berliner Gewerbeausstellung von 1896 im Treptower Park deutlich. Die Ausführungen zur Gewerbeausstellung zeigen die unterschiedlichen Ebenen kolonial-orientalistischer Raumzuweisungen. Die hierarchisierende Raumzuweisung fand vorwiegend gegenüber arabischen Menschen statt, die sich in prekären Arbeits- und Abhängigkeitsverhältnissen befanden. Auch wenn »Kairo in Berlin« nicht dezidiert als »Völkerschau« deklariert war, setzte sie sich aus einer Vielzahl von Elementen eben dieser Aufführungsformen zusammen. Die unterschiedlichen Raumzuweisungen 18

Abel, »Über Europäer-Marokkaner «, S. 311-329. Vgl. El-Tayeb, Schwarze Deutsche, S. 170-175.

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der »Araberstadt«, der »Kolonialausstellung« sowie von »Kairo in Berlin« verdeutlichen inszenierte Hierarchien zwischen den Teilnehmenden der Ausstellung. Die mehrfach auftauchende Schilderung von »Araberkarawanen« und den dazugehörigen Tieren entsprach narrativ dem Duktus, der sich auch in Hagenbecks Von Tieren und Menschen finden lässt, in dem kein Unterschied zwischen Tier und Mensch gemacht wurde. Eine perspektivische Nähe zwischen Tieren und Menschen durchzieht einen Großteil der Texte. Dies ist ein wiederkehrendes Moment, besonders im Rahmen der Inszenierungen von »Völkerschauen«. Die 1927 stattgefundene Schau »Tripolis in Berlin« ist, 30 Jahre nach der Gewerbeausstellung, nur eines von vielen Beispielen einer »Völkerschau« im Zoo. Jedoch wurden, wie gezeigt, immer auch Schnittmengen oder Transgressionen zwischen den einzelnen Inszenierungen und zwischen Publikum und den verschiedenen Gruppen der Teilnehmenden der Gewerbeausstellung deutlich. Trotzdem sich selten Spuren eigenständiger Äußerungen finden lassen, verdeutlichen auch die sekundär zitierten Verweise auf Ereignisse und Kommentare eigensinniger Akteure wie fragil die Grenzziehungen waren. Das Beispiel des Kriegsgefangenen Sadak Berresid in Kapitel 3 »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen, zeigt, das auch innerhalb des machtvollen Zusammenhangs von Tonaufnahmen in einem Kriegsgefangenenlager unterschiedliche Interpretationen möglich sind und die Eigenständigkeit der aufgenommen Stimmen zumindest ansatzweise erkennbar ist.19 Die Mehrzahl der Stimmporträts, die im Rahmen der Forschungen an Kriegsgefangenen und Teilnehmenden von »Völkerschauen« erstellt wurden, sind mit einem Personalbogen versehen. Die persönlichen Hintergründe und biografischen Zusammenhänge der Sprechenden sind nur noch fragmentiert oder zusammenhanglos erhalten. Sozialhistorische Informationen zu den einzelnen Personen oder Gruppen von Gefangenen lassen sich nur in Ausnahmefällen rekonstruieren. Trotz dieser hegemonialen Raumzuweisungen wie auch der Objektivierung von Frauen, zum Beispiel im Rahmen der Haremsinszenierungen, ließen sich gleichwohl mehrere eigene und eigensinnige Momente aus Quellen und Texten herausarbeiten. Demgegenüber verfügten arabische Präsenzen im universitären Umfeld, als Unternehmer, Künstler oder Intellektuelle über Handlungskompetenzen und Reputationen. Ägyptische Studenten besaßen zum Beispiel häufig mehr finanzielle Mittel als ihre deutschen Altersgenossen. Es zeigte sich, dass geopolitische Interessen auch in der Zwischenkriegszeit und während des Nationalsozialismus fortwirkten. Hegemoniales und völkisches Denken traf auch arabische Personen: Eine Diskussion wie die zwischen Schweinfurth und El-Kadi in der Zeitschrift Neuer Orient spiegelt die weitverbreitete Einstellung wider, derzufolge Araber (Ägypter, Mus19

Siehe Kap. 3 »Fremde«, Massen, »Völkerschauen« und Truppen, S. 198f. sowie Hilden, »Schellackplatte«, S. 197.

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lime, »Orientalen«) in ihrer Entwicklung zurückgeblieben seien und nicht mit »den Europäern« auf eine Stufe gestellt werden dürften. Dies ist ein wiederkehrendes Moment arabischen Lebens in Deutschland vor 1933: eine umfassende Ambivalenz, die arabische Präsenzen umfing und die zwischen Projektion, Inszenierung und realer Präsenz wenige Möglichkeiten einer kollektivierten Dimension ihrer Anwesenheit im Sinne gemeinschaftlicher Erfahrungen zulässt. Abschließend wird ein kleiner Ausblick auf die Zeit nach 1933 geworfen. Die zu Beginn der Studie erläuterten drei Modi des Schweigens, die das Material diese Arbeit umfingen – das Schweigen in einer Fülle von Aussagen, das Schweigen der Archive sowie jenes, das aus tendenziösen Sekundärinterpretationen entsteht – lassen sich in diesem abschließenden Part besonders deutlich nachweisen. Es besteht ein Ungleichgewicht zwischen der historischen Kenntlichmachung von Täter- und Kollaborationsgeschichten zur Zeit des Nationalsozialismus und den Perspektiven der »Opfer und Gegner des Nationalsozialismus«20 , die bis heute stark unterrepräsentiert sind. Dabei finden sich unter arabischen Personen neben Beispielen der Kollaboration mit dem NS-Regime auch Formen des Widerstands oder der Verfolgung. Im Folgenden wird diese komplexe Verwobenheit skizziert.

Ausblick: Der Nationalsozialismus und Spuren bis in die Gegenwart Wie waren die konkreten Lebensverhältnisse der in Deutschland ansässigen arabischen Männer und Frauen und ihrer Familien, deren Lebenswege in dieser Arbeit rekonstruiert wurden, in den Jahren nach 1933? Mit den zunehmenden Übergriffen auf einzelne gesellschaftliche Gruppen Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre waren auch arabische Menschen nicht vor Anfeindungen geschützt. Der Umgang mit ihnen war willkürlich und unterlag in erster Linie außenpolitischen Direktiven. Dies zeigen besonders die Beschwerden ägyptischer Studenten in Deutschland und Österreich, auf die das Auswärtige Amt mit Entschuldigungsschreiben reagierte.21 Eine systematische Verfolgung wie gegenüber Juden und Jüdinnen sowie Roma und Sinti fand bei arabischen Menschen nicht statt. Jedoch waren Anfeindungen

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Nicosia bietet schon 1985 eine differenzierte Untersuchung, die auch spezifische Kollaborationen arabischer und muslimischer Protagonisten aufführt: Nicosia, Francis R.: The Third Reich and the Palestine Question, Austin: University of Texas Press 1985. Aydin erläutert den begrenzten Aktionsradius eines Amin al-Husseinis oder auch eines Schakib Arslans. Vgl. Aydin, The Idea oft he Muslim World, S. 155-163. Vgl. auch Wild, Stefan: »National Socialism in the Arab Near East between 1933 and 1939«, in: Die Welt des Islams 25 (1985), Nr. 1-4, S. 126-173 sowie Wien, »The Culpability of Exile«. Vgl. Nachlass Höpp, Kiste 01.21. Verbalnote Auswärtiges Amt, Nr. 84-22 12/4 Fuad Hasanein Ali vom 20.04.1934 sowie 4 Anlagen.

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bis hin zur Verfolgung häufig, wie Höpp es treffend ausdrückt, »rassistisch strukturiert«.22 Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten verließen viele Menschen, die der ideologisch-rassistischen Wortwahl der Zeit entsprechend als »nichtarisch« oder »fremdrassig« galten, das Land. Dies betraf auch arabische Menschen.23

Alltag im Nationalsozialismus Nach dem frühen Tod Mohamed Solimans im Jahr 1929 führte seine Frau die Lichtspielhaustradition gemeinsam mit ihren drei Töchtern in den 1930er Jahren weiter. Eine der Töchter, Hamida, begann eine Opernkarriere. Da alle Frauen einen ägyptischen Ausweis besaßen, mussten sie sich ab Kriegsbeginn September 1939 wöchentlich bei der Gestapo in Berlin Schöneberg melden – eine Regelung der Ausländerpolizei, die besonders ab dem Kriegseintritt Großbritanniens am 3. September 1939 auch Ägypter_innen betraf. Die biografischen Beispiele Asis Domets und Yussuf Abbos in Kapitel 4 Eigensinn (S. 266-284) zeigen, wie unterschiedlich arabische Erfahrungen während der Zeit des Nationalsozialismus sein konnten. Während Abbo seine arabische Herkunft half, das Land als Jude mit einem ägyptischen Pass noch vor den »Nürnberger Gesetzen« zu verlassen, kehrte Domet mit seiner Familie Ende der 1930er Jahre nach Deutschland zurück. All seine Versuche, einen »Ariernachweis« zu erhalten und nicht unter den Verdacht der Spionage zu geraten, schlugen fehl. Er konnte dem Internierungslager bei Nürnberg zwar durch Kontakte zu einem Mitarbeiter der Reichsführungs-SS entkommen, die Ambivalenz seiner Position ist jedoch paradigmatisch für den arabischen Alltag in Deutschland nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges in Europa im September 1939.24 Die Familie von Georges Houri, dem christlich-orthodoxen Unternehmer mit dem Monopol für den Verkauf von Jaffa-Orangen während der 1920er Jahre, erlebte während des Zweiten Weltkrieges den Zusammenbruch ihres Unternehmens. Die Töchter berichteten in Interviews von Pöbeleien auf der Straße in Berlin, alle vier Familienmitglieder waren mit Schutzbriefen der britischen Mandatsmacht in Palästina ausgestattet und blieben selbst nach der britischen Kriegserklärung von einer lebensbedrohlichen Verfolgung innerhalb Deutschlands verschont.25 Nach dem

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Höpp, »Im Schatten des Mondes.« Ebd. Vgl. Höpp, Gerhard: »Der verdrängte Diskurs. Arabische Opfer des Nationalsozialismus«, in: Höpp, Gerhard, Wien, Peter, Wildangel, René (Hg.): Blind für die Geschichte? Arabische Begegnungen mit dem Nationalsozialismus, Berlin: Klaus Schwarz 2004, S. 215-268, besonders S. 223238. Gesemann, Höpp, Araber in Berlin, S. 31f., Vgl. Nachlass Höpp, Kiste 01.21. Die Eltern mussten sich wöchentlich – ähnlich wie die Solimans – in Berlin bei der Gestapo melden.

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Krieg ließen sie sich in Wiesbaden nieder und Tamara Houri führte dort unter ihrem Geburtsnamen Savabini bis in die 1960er Jahre hinein ein Kurhotel.26 Im Bereich von Kunst und Kultur kam es Mitte der 1930er Jahre noch einmal zu einem kurzen Aufleben einer internationalen Szene in Berlin, an der auch arabische Unternehmer beteiligt waren. Besonders im Umfeld der Olympischen Spiele wurde vonseiten des Regimes verstärkt auf ein internationales Äußeres zumindest der Olympiastadt Berlin geachtet. Davon profitierten kurzzeitig zwei Veranstaltungsetablissements, die jeweils von Ägyptern betrieben wurden.27 Es waren zwei Lokale, die zu einer gewissen Berühmtheit in den »besseren Kreisen« der Stadt Berlin gelangten: die Sherbini-Bar und die Ciro-Bar. Die Sherbini-Bar war in der Uhlandstraße 18/19 in Berlin, ab 1933/34 von Mustafa Sherbini und seiner Frau, Ivonne Fürstner, betrieben. Besitzer der Ciro-Bar in der Rankestraße war der Ägypter Ahmad Mustafa. Herb Flemming, ein US-amerikanischer Jazzposaunist tunesisch-ägyptischer Herkunft, besuchte um 1936 Berlin zum wiederholten Mal. Mit ihm trat auch eine Reihe jüdischer Künstler auf, die bis 1939 in einer der beiden Lokalitäten ihr Auskommen sichern konnten.28 Diese Zusammenhänge sind in einer Reihe zeitgenössischer Biografien und Monografien zur Jazzszene festgehalten und zeugen von dem Eigensinn der Lokalbetreiber Mustafa El-Sherbini und Ahmad Mustafa, die sich der zunehmenden »Arisierung« von Kunst und Kultur entgegenstellten. Herb Flemming verließ Deutschland im Sommer 1937 nach Spielverboten seiner Band und Ende der 1930er Jahre musste sowohl die Ciro-Bar als auch die Sherbini Bar durch den Druck der Reichskulturkammer schließen.29 Mustafa El-Sherbini lebte später als Hotelbesitzer in Kairo und verstarb 1975 in London.30

Zwischen Verfolgung, Kollaboration und Widerstand Nach Kriegsbeginn und dem erneuten Einsatz Schwarzer Kolonialsoldaten auf französischer Seite, von denen viele aus Nordafrika kamen, geriet die schrittweise einsetzende »Orientpolitik« aufseiten des Auswärtigen Amts in Erklärungsnot. Während unterschiedliche Ideen zu erneuten Propagandakampagnen für muslimische Soldaten kursierten,31 kam es 1940 an der Westfront zu einer rassistischen

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Gesemann, Höpp, Araber in Berlin, S. 31f. Kater, Michael: Gewagtes Spiel. Jazz im Nationalsozialismus, Köln: Kiepenheuer & Witsch 1995, S. 86f. Höpp, »Der verdrängte Diskurs«, S. 218. Gesemann, Höpp, Araber in Berlin, S. 41f. Hilmes, Oliver: Berlin 1936. Sechzehn Tage im August, München: Siedler 2016, S. 269. Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus, S. 227ff., vgl. ebd., S. 400ff. Vgl. auch mit Bezug auf Palästina Nicosia, Francis R.: The Third Reich and the Palestine Question, Austin: University of Texas Press 1985.

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Kriegspropagandakampagne gegen Schwarze Soldaten.32 Aufgrund der Kürze des Westfeldzugs erreichte die Kampagne nicht dasselbe Ausmaß wie in den 1920er Jahren und war dezidiert gegen Schwarze Soldaten gerichtet. 50 senegalesische Soldaten wurden in der Nähe von Lyon von den Weißen Mitgliedern ihrer Truppe getrennt und exekutiert.33 Ab 1941 kam es wiederum zu einer gezielten »Deutschen Propaganda im arabischen Raum«, schon zwei Jahre zuvor wurden arabischsprachige Rundfunksender eingerichtet.34 Besonders im Bereich der Medien gab es unterschiedliche Propagandaversuche, von denen einige darauf zielten, bereits vorhandene Formen von »Judenhass« zu steigern und zu radikalisieren.35 Politische Protagonisten wie der häufig genannte Amin Al-Husseini oder auch Rashid Ali al-Kailani, die der nationalsozialistischen Ideologie anhingen, nutzten sie für die eigenen antiimperialen Ziele.36 Es gab eine Reihe »muslimischer Einheiten«, zum Beispiel die bosnischen und tatarischen SS-Einheiten.37 Eine breite Revolutionierung arabischer Muslime und arabischer Kollaborateure lässt sich jedoch auch im Zweiten Weltkrieg nicht belegen.38

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Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 353ff. Koller verweist auch auf den Rückgriff auf die Kampagne gegen die sogenannte Schwarze Schmach in den 1920er Jahren. Vgl. auch Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, S. 261ff. Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«, S. 355. Wagenhofer, Sophie: »Rassischer« Feind, S. 63. Herf, Jeffrey: »Arabischsprachige nationalsozialistische Propaganda während des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust«, in: Geschichte und Gesellschaft 37 (07.–09.2011), Nr. 3, S. 359384, S. 383f. Achcar, Gilbert: The Arabs and the Holocaust. the Arab-Israeli War of Narratives, New York: Metropolitan Books 2010, S. 145ff. Bougarel, Xavier, Korb, Alexander, Petke, Stefan; Zaugg, Franziska: »Muslim SS units in the Balkans and the Soviet Union«, in: Böhler, Jochen, Gerwarth, Robert (Hg.): The Waffen-SS: A European History, Oxford u.a.: Oxford University Press 2017, S. 252-283, S. 253, 278ff. Achcar erwähnt eine Einheit der bosnischen Waffen-SS, die mehrheitlich aus Muslimen bestand. Zum großen Teil weigerten sich die Soldaten dieser Einheit, die Deportation von Jüdinnen und Juden vorzunehmen; sie wurden im späteren Verlauf des Krieges nach Frankreich geschickt, wo sie rebellierten und versuchten, sich den französischen Partisanen anzuschließen. Achcar, The Arabs and the Holocaust, S. 148. Achcar, The Arabs and the Holocaust, S. 146. Vgl. Motadel, David: Islam and Nazi Germany’s War, Cambridge: Harvard University Press 2014. In der Wehrmacht waren 130 Soldaten arabischer Herkunft im Jahr 1942, insgesamt kämpften 6.300 arabische Menschen in den deutschen militärischen Einheiten. In den britischen Armeen kämpften demgegenüber 9.000 arabische Palästinenser und mehrere hunderttausend Soldaten arabischer Herkunft waren in der französischen Armee. Vgl. Achcar, The Arabs and the Holocaust, S. 145f. Vgl. Beinin, Joel: »Reviewed Work(s): Nazi Propaganda for the Arab World by Jeffrey Herf; From Empathy to Denial: Arab Responses to the Holocaust by Meir Litvak and Esther Webman«, in: International Journal of Middle East Studies 42 (2010), Nr. 4, S. 689-692, S. 690f.

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Eine Zäsur bildete die bereits mehrfach genannte Zwangssterilisierung von über 400 Kindern und Jugendlichen, darunter viele arabisch-deutsche Kinder. Sie wurden von der eigens gegründeten Sonderkommission 3 der Gestapo 1937 illegal sterilisiert.39 Diese Geheimaktion hatte, wie erwähnt, ältere Traditionen, die bis in die 1920er Jahre zurückgingen und sich direkt auf die »Schwarze Schmach«Kampagne bezogen. Die als »Rassenmischlinge« diffamierten Kinder wurden von nationalsozialistischer Seite als Bedrohung stilisiert und in dieser Funktion mit der als demütigend empfundenen Besatzungssituation im Rheinland verbunden. Während der NS-Zeit war diese Propaganda zudem stark antisemitisch aufgeladen. Die Verfolgung arabischer Menschen während der Zeit des Nationalsozialismus ist bis heute nur unzureichend aufgearbeitet. Gerhard Höpp differenzierte zwischen acht verschiedenen »Repressionssituationen bzw. Opfergruppen«40 , darunter Zwangsarbeiter_innen sowie KZ-Häftlinge.41 Besonders schwer zu ergründen sind die Spuren arabischer KZ-Insassen und -Insassinnen in den Listen der Internierungs- und Konzentrationslager. Höpp prägte hierfür den Begriff der »kolonialistischen Codierung«42 und erklärte dies als »erste Schicht des Vergessens«, denn arabische Häftlinge tauchten als solche nicht auf. Sie wurden vor allem als französische, britische oder italienische sowie weitere europäische Staatsangehörige geführt.43 Ähnlich wie bei Schwarzen Deutschen wurde keine »rassische« Einteilung zur Kennzeichnung vorgenommen. Arabische Häftlinge wurden zum Beispiel als »asozial« oder mit einem F im roten Winkel als französische politische Häftlinge klassifiziert.44 Anders als jüdische Menschen wurden arabische Menschen während der Zeit des Nationalsozialismus nicht als Muslim_innen verfolgt, die Religionszugehörigkeit zum Islam wurde nicht rassifiziert. Ekkehard Ellinger resümiert in Bezug auf die deutsche Orientalistik,

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Nach Nicola Lauré al-Samarai ist die Zahl vermutlich weitaus höher anzusetzen. Vgl. Lauré alSamarai, Nicola: »Schwarze Menschen im Nationalsozialismus«, in: Dossier Afrikanische Diaspora in Deutschland, Bundeszentrale für Politische Bildung, 30.07.2004, www.bpb.de/gesellschaft/migration/afrikanische-diaspora/59423/nationalsozialismus?p=all) (22.07.2016). Vgl. Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger, S. 284f. Höpp, »Der verdrängte Diskurs«, S. 217. Ebd., S. 217-252. Höpp, Gerhard: Datenbanken und andere »Gedächtnisorte«. Auf der Suche nach arabischen KZHäftlingen, unveröffentlichtes Manuskript, o. O., o.J., S. 1-10, in: Höpp Nachlass Kiste 01.06. Vgl. Höpp, »Der verdrängte Diskurs«, S. 216f. Höpp, Datenbanken, S. 4. Lusane, Clarence: Hitler’s Black Victims. The Historical Experiences of Afro-Germans, European Blacks, Africans and African Americans in the Nazi Era, New York/London: Routledge 2002, S. 98, 156, 181.

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dass der eigentlich nur gegen Juden gerichtete Antisemitismus auf der Ebene des biologischen Rassismus auch auf die Bevölkerung arabisch-islamischer Staaten übertragen werden konnte. Allerdings unterließen es die Orientalisten in der Regel, diesem biologischen Rassismus eine inhaltliche Ausdeutung offen an die Seite zu stellen, vermutlich immer mit dem Hintergedanken, mögliche Bündnispartner im Nahen Osten nicht durch diffamierende Äußerungen gegen das Deutsche Reich aufzubringen.45 Die verschiedenen Schichten, die Erinnerungen jenseits hegemonialer, täter- oder herrschaftskonformer Narrative überlagern, erschweren es, insbesondere für die Zeit des Nationalsozialismus biografische Lebenszeugnisse zu rekonstruieren. Die Ambivalenz und Willkür gegenüber unterschiedlichen marginalisierten Bevölkerungsgruppen im NS-Staat prägte auch die Erfahrungen arabischer Präsenzen. Wenige konkrete Geschichten arabischen Widerstands gegen des NS-Regimes innerhalb Deutschlands sind bisher bekannt und aufgearbeitet worden. Die Geschichte Mod (Mohamed) Helmys, eines Arztes ägyptischer Herkunft, ist eine solche.46 Dr. Mohamed Helmy (1901-1982) wurde 1901 in Ägypten geboren und kam 1922 zum Studieren nach Berlin. 1929 schloss er das Medizinstudium ab und arbeitete in der Folge am Robert-Koch-Krankenhaus (dem späteren Krankenhaus Moabit). Jüdische Ärzte des Robert-Koch-Krankenhauses wurden bereits 1933 ihrer Tätigkeit enthoben. Helmy selbst konnte zunächst bleiben, wurde in der Folge jedoch aufgrund seiner Kritik an der medizinischen Qualifikationen der auf die freigewordenen Stellen aufgerückten NS-Funktionäre aus dem Krankenhaus entlassen.47 Zwar promovierte er 1937 noch, wurde aber einen Monat nach Kriegsbeginn, am 3. Oktober 1939, von der Gestapo verhaftet und in einem Lager bei Nürnberg interniert, mit der Begründung, er gehöre einem »Feindstaat« an.48 Gerhard

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47 48

Ellinger, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus, S. 356. Die erste, aktuellere Recherche zu Mohamed Helmy erfolgte durch ein Ärzte-Ehepaar, das seine Praxis in dem Haus hatten, in dem Helmy lange Zeit praktizierte. Vgl. Mülder, Sabine und Karsten: »Der Internist Dr. Mod Helmy – ein Gerechter unter den Völkern. Posthum: Yad Vashem ehrt einen Berliner Arzt, der Verfolgten im Naziregime half«, in: KV-Blatt 12 (2013), S. 32-33; Lewerenz, Susann: »Dr. Mohamed Helmy (1901-1982)«. Unveröffentlichtes Arbeitspapier zur Tagung »Rassismen in Kolonialismus und Nationalsozialismus. Formen – Funktionen – Folgen. Verflechtungsgeschichtliche Perspektiven für die Bildungsarbeit, 03.11.201604.11.2016 in Hamburg. Vgl. des Weiteren Steinke, Ronen: Der Muslim und die Jüdin. Die Geschichte einer Rettung in Berlin, München: Berlin Verlag 2017, sowie Avidan, Igal: Mod Helmy. Wie ein arabischer Arzt in Berlin Juden vor der Gestapo rettete, München: dtv 2017. Mohamed Helmy soll sich selbst Mod genannt haben. Avidan, Mod Helmy, S. 40f. Steinke gibt an, Helmy sei 1933 direkt zum Oberarzt aufgestiegen. Steinke, Der Muslim und die Jüdin, S. 160. Mülder, Der Internist, S. 32. Vgl. Steinke, Der Muslim und die Jüdin, S. 70.

5. Geschichte/n an der Grenze

Höpp gibt an, dass von 1939 bis 1941 mehr als 20 Ägypter in Deutschland festgehalten wurden, vorgesehen für den möglichen Austausch mit deutschen Zivilisten durch die Briten in Ägypten.49 Hintergrund dafür war, dass Ägypten de facto zwar seit 1922 unabhängig war, aber weiterhin stark unter britischem Einfluss stand. Der Umgang mit arabischen Menschen im NS-Staat orientierte sich also an außenpolitischen Interessen. Helmy wurde mehrfach interniert und immer wieder freigelassen. Später folgte aufgrund seines verschlechterten Gesundheitszustands seine endgültige Entlassung aus der Haft.50 Schon vor dem Krieg durfte seinen Beruf nicht weiter ausüben und verlor die Anstellung im Krankenhaus.51 Er versorgte heimlich bei sich zu Hause vornehmlich jüdische Patient_innen. Schließlich wurde er im Krieg verpflichtet, einen an die Front berufenen Charlottenburger Arzt in dessen Praxis zu vertreten.52 Seit den 1930er Jahren war Helmy mit einer jüdischen Familie befreundet, deren Tochter, Anna Boros, zunächst in seiner Praxis arbeitete und – nachdem sie als rumänische Staatsangehörige einen Ausweisungsbefehl erhielt – von Helmy in dessen Gartenlaube versteckt worden war. Als dieses Versteck im Juni 1943 aufflog, ließ Helmy im Islamischen Zentral-Institut – der gleichgeschalteten Institution des ehemaligen Islam-Instituts53 – eine Urkunde verfassen, gemäß der Anna Boros zum Islam übergetreten war.54 Zudem fingierte er eine Heirat zwischen Boros und einem seiner ägyptischen Bekannten.55 Helmy ist auf der Heiratsurkunde als Vater der Braut eingetragen. Es ist nicht bekannt, ob diese Täuschungen Anna Boros tatsächlich halfen, aber sie und ihre Familie überlebten. Helmy selbst wohnte zeitweise in der Krefelderstraße 7 in Berlin Moabit, wo seit 2014 eine Gedenktafel an ihn erinnert.56 2013 wurde er als erste ägyptische Person in Yad Vashem als »Gerechter unter den Völkern geehrt.«57 In seiner späteren Entschädigungsakte – lange Zeit vor der Ehrung in Yad Vashem – gab Helmy nach dem Krieg an: »Ein Arzt hat gesagt, man könne nicht mit ansehen, dass Dr. Helmy, ein Hamit, deutsche Frauen behandelt.«58 An dieser Stelle

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Höpp, »Der verdrängte Diskurs«, S. 220. Laut Ronen Steinke spielte auch eine spezielle Auseinandersetzung mit den Heß-Brüdern (dem Hitler-Stellvertreter Rudolf und seinem Bruder Alfred) eine Rolle. Vgl. Steinke, Der Muslim und die Jüdin, S. 61f. Ebd., S. 58. Ebd, S. 82f. Vgl. Kap. 4 Eigensinn, S. 243-251. Avidan, Mod Helmy, S. 7f. Ebd., S. 106. Steinke, Ronen: »Wie ein Muslim eine Jüdin vor den Nazis rettete«, in: Süddeutsche Zeitung, 09.01.2015. Mülder, »Der Internist Dr. Mod Helmy«. Steinke, »Wie ein Muslim eine Jüdin vor den Nazis rettete«.

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schließt sich der Kreis der zuvor beschriebenen Rassifizierungen, die zumeist subtil, im Fall der Sterilisierungen dagegen jedoch gewaltvoll und faktisch belegbar arabische Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus als minderwertig klassifizierten. Helmys Verweis darauf, als »Hamit« bezeichnet worden zu sein, deutet auf eine ältere Tradition innerhalb der »Rassenkunde« hin, der gemäß Afrika in einen »eigentlichen« und »uneigentlichen« Part aufgeteilt wurde.59 »Hamiten« wurden als asiatisch-afrikanisches »Mischvolk« benannt, um die altägyptische Zivilisation als vermeintlich nichtafrikanisch einordnen zu können. Fatima El-Tayeb hat die »Hamiten«-These analysiert und gezeigt, wie paradox und wie langlebig die Versuche von Anthropologen und Rasseforschern waren, Ägypten als nicht dem afrikanischen Kontinent zugehörig zu konstruieren.60

Gegenwärtige Vergangenheiten Das einleitende Zitat dieses Buches von Édouard Glissant postuliert, in die Vergangenheit hinein zu imaginieren. Ich wurde des Öfteren gefragt, wer denn »meine Araber« seien, wer die Subjekte seien, über die ich schrieb. Gilbert Achcar hat eine einfache Antwort auf die Frage: »Of course, like ›the Jews‹ or ›the Muslims,‹ ›the Arabs‹ as a politically and intellectually uniform group exist only in fantasy […].«61 Dass diese Fantasie wirkmächtig ist und bis zum heutigen Tag nicht allein die Gegenwart beeinflusst, sondern – wie gezeigt – ebenso die Erinnerung, lässt sich ohne Schwierigkeiten festhalten: Helmut Schwinge, der Enkel von Rosa Troemer, geborene Rosalie Thawka Ruete, besuchte 2015 das »Africa-Festival« in Würzburg. Es wurden Bilder des Fotografen Mario Gerth ausgestellt, die Sansibar, das Gastland des Festivals, im Januar 2015 abbildeten. Der 85jährige Urenkel von Emily Ruete/Sayyida Salme wurde in dem Haus in Jena geboren, in dem seine Großmutter – und vermutlich auch seine Urgroßmutter – starben.62 Einem Zeitungsartikel zufolge berichtete Schwinge über seine Großmutter: »Auch Salmes Tochter Rosalie habe ›einen etwas anderen Wesenszug‹ gehabt […]: ›Da hatte sich etwas vom Charakter der Araberin erhalten.‹«63 Die Veranderung – das »othering« – der Araberin ist stereotyp abrufbar. Es gibt weitere Kontinuitäten orientalistischer Logik. Zum hundertjährigen Bestehen des Museums für Islamische Kunst auf der Berliner Museumsinsel wurde

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El-Tayeb, Schwarze Deutsche, S. 39f. Ebd., S. 40ff. Achcar, The Arabs and the Holocaust, S. 33. Rötter, Karl-Georg: »Urenkel der Prinzessin von Sansibar zu Besuch«, in: Mainpost, 01.06.2015, www.mainpost.de/regional/wuerzburg/Anglikanische-Geistliche-Ausstellungen-undPublikumsschauen-Bildbaende-Fotografien-Indischer-Ozean-Kalifen-und-SultaneMuslime-Prinzessinnen;art735,8757891 (29.07.2017). Ebd.

5. Geschichte/n an der Grenze

der hundertste Geburtstag einer arabisch-deutschen Frau gefeiert: Hamida Soliman.64 In Form einer Ausstellung wurde, wie erwähnt, die Familiengeschichte wertgeschätzt und ihrer gedacht. Der Titel der Ausstellung, »Hamidas Lied. 100 Jahre einer Muslimin an der Spree«, verweist jedoch auf das suggeriert Ungewöhnliche, fremdgemachte: eine Muslimin an der Spree. Es entspricht einer orientalistischen Repräsentationslogik, die von Beginn an das Leben der Familie prägte. Es ist das darüber Hinausgehende, der Zwischenraum zwischen Stereotyp, realer und narrativer Anwesenheit, der die Interventionen in die deutsche Geschichte bildet: eine arabisch-deutsche Geschichte, die sich mehr als 140 Jahre zurückverfolgen lässt, eine Geschichte, die in ihrer Verwobenheit stets Differenzen, Ungleichheiten und Gemeinsamkeiten beinhaltet. Eine Geschichte arabischer Präsenzen in Deutschland.

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Kamel, »Hamidas Lied«.

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Arabische Präsenzen in Deutschland um 1900

Taufiq al-Adl, Hasan [‫]حسن توفيق العدل‬: Die Reise von Hasan Taufiq Ifindi, 1887-1892, Reise nach Berlin, Frohe Nachrichten von der Urlaubsreise durch Deutschland und die Schweiz [‫ رحلة‬١٨٨٧-١٨٩٢ ‫رحلة حسن توفيق افندي‬ ‫ رسائل البشري في السياحة بألمانيا و السويسرا‬،‫]إلى برلين‬, hg. v. Abd al-Munim Muhammad Said, Kairo: Dar al-Kutub 2008, S. 30. Taufiq al-Adl, Hasan [‫]حسن توفيق العدل‬: Frohe Nachrichten von der Urlaubsreise durch Deutschland und die Schweiz. Die Reise eines Arabers von und nach Berlin [‫رحلة عربي من برلين إلي برلين‬. ‫]رسائل البشري في السياحة بألمانيا و سويسرا‬, hg. v. Al Jarrah, Nouri, Abu Dhabi: Dar al-Swidi 2005.

Dank

In ein Buch fließen immer Gedanken von vielen, besonders wenn es über einen langen Zeitraum entstanden ist. Meine Dankesliste könnte einen extra Anhang bilden, ich fasse ein wenig zusammen, danke hiermit aber auch allen, die ich ggf. vergessen habe. Der universitäre Kontext, in dem dieses Buch entstand – als Dissertation an der Freien Universität Berlin – war sehr fördernd. Ich danke Sebastian Conrad für die jahrelange Betreuung und Unterstützung. Besonders in schwierigen Zeiten bot dies den notwendigen Rückhalt und begleitete mein Schreiben und Forschen. Die Zweitbetreuung meiner Arbeit hatte zunächst die viel zu früh verstorbene Birgit Rommelspacher innegehabt. Ihr und Uschi Wachendorfer danke ich für die Begleitung in der Anfangszeit. Zuletzt hat Maren Möhring dankenswerter Weise das Zweitgutachten übernommen. Ihre kritische Begutachtung hat für die Überarbeitung des Buches wichtige Hinweise geliefert und mich auch gegenüber der herausfordernden Bürokratie in der Abschlussphase sehr unterstützt. Die von Sebastian Conrad veranstalteten Kolloquien und Plattformen in Berlin und Florenz haben einen sehr regen Austausch mit Kolleg_innen ermöglicht. Teile des vorliegenden Buches wurden auch in diesem Rahmen diskutiert. Dabei waren insbesondere Samuël Coghe, Catherine Davies, Sebastian Gottschalk, Minu Hashemi Yekani, Nadin Heé, Christoph Kalter, Dörte Lerp, Tim Opitz und Ulrike Schaper, die auch zeitweilig meine Zweitbetreuung übernahm, wichtige kritische Gesprächspartner_innen und Gegenleser_innen. Andere universitäre Kontakte entstanden aus dem kritischen Überdenken postkolonialer Ansätze. Zu nennen ist hier insbesondere der Workshop Herrschaft und Repräsentationen in Metropolen, Peripherien und Kolonien. Vom Sinn und Unsinn der Kategorie ›kolonial‹, der 2009 in Leipzig stattfand und in vielerlei Hinsicht sehr wichtig für den weiteren Entstehungsprozess meines Buches war. Für den daraus resultierenden Austausch (und die weitere Unterstützung bei Korrekturen und Gegenlese) möchte ich Manuela Bauche, Dörte Lerp und Susann Lewerenz besonders danken. Susann Lewerenz hat mich lange Zeit in einer sehr schwierigen Phase sehr selbstlos und kollegial unterstützt. Ich danke Maja Figge für Freundinnenschaft, Gespräche und Kritik seit Black Atlantic. Für Ideen vor Beginn dieses Buches und zahlreiche

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Arabische Präsenzen in Deutschland um 1900

Inspirationen danke ich Nicola Lauré al-Samarai. Für die langjährige Begleitung und Vermittlung des Werkszeugs zum notwendigen »Einnorden« danke ich Patricia Saad. Ich danke Hippolyte E. Agboli. Ich danke Manuela Bauche, Noa K. Ha und Sharon Dodua Otoo für’s Dasein und vieles mehr. Für das erste Lektorat und die freundschaftliche Unterstützung, die über den Auftrag hinausging, danke ich Ulf Heidel. Für die weitere lektorierende Begleitung danke ich Silke Leibner. Ich habe nicht alle Ratschläge angenommen, verbliebene Fehler sind allein mir zuzuschreiben. Für Hinweise, kluge Empfehlungen und sehr viel Unterstützung in den verschiedenen Phasen der Arbeit danke ich des weiteren Schirin Amir-Moazami, Ahmed Ezzeldin, Ahmed Farouk, Nouri Al Jarrah, Susan Kamel, Mahmoud Kassim, Shai Lavi, Stefanie Michels, Michelle Moyd, Salvador Oberhaus, Patrice G. Poutrus, Brigitte Reinwald und Larissa Schmid. Ich danke Miriam Mahdi dafür, dass Sie Teile ihrer Familiengeschichte mit mir geteilt hat. Bevor ich die Arbeit an diesem Buch berufsbegleitend fortsetzte, konnte ich von zwei Stipendien profitieren: vom Berliner Programm für Chancengleichheit und von der Promotionsförderung des Studienwerks der Heinrich-Böll-Stiftung. Im Kontext der letzteren Förderung möchte ich Jutta Helm, Marco Schrul und Wilma Weber noch einmal herzlich danken. Schließlich profitierte ich sehr von Inspiration und Mitarbeit in Projekten der historischen und politischen Bildungsarbeit. Mein Dank gilt in diesem Zusammenhang stellvertretend für viele: Judith Rahner und den damals Jugendlichen, inzwischen jungen Erwachsenen des Projektes Vergessene Biografien – Migrant_innen und Schwarze Menschen im Nationalsozialismus. Und ich danke Iman Attia und den anderen Beteiligten des Projektes Erinnerungsorte. Vergessene und verwobene Geschichten. Ich danke den Mitarbeitenden der Archive und Bibliotheken, die ich aufgesucht habe, insbesondere Frau Witte und Herrn Laub vom Einlass der Staatsbibliothek am Potsdamer Platz, Frau Helm aus dem Handschriftenlesesaal, die mir wertvolle Tipps zu Jussuf Abbo gab, sowie den Mitarbeitenden des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes. In den Anfangsjahren nutzte ich intensiv den noch nicht systematisierten Nachlass von Gerhard Höpp. Seinen Recherchearbeiten und der akribischen Sammlung bin ich zu großem Dank verpflichtet. Danke auch den Mitarbeitenden der Bibliothek des ZMO (Zentrum Moderner Orient). Ich danke meinen Arbeitskolleginnen, insbesondere Beatrice Siegert und Zeinab Hammoud, von der S.T.E.R.N. GmbH für Stressabwehr und Bodenhaftung. Für die Unterstützung, insbesondere auf den letzten Metern, danke ich Barbara Ossege (ganz doll!) und Ferdinand Ossege. Und ich danke meinen Eltern Karin und Ahmed A. Ahmed – für viel mehr, als in eine Zeile passt. Das Buch ist meinem Bruder Tarek Ahmed und seiner Tochter Anouk gewidmet.

Dank

Nicht zuletzt danke ich Tobias Ossege für alles: Kritik, wunderbares Essen, gute Laune, unendliche Gründe. Dass der jahrelange Endspurt einen Abschluss fand, habe ich Dir zu verdanken.

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Geschichtswissenschaft Reinhard Bernbeck

Materielle Spuren des nationalsozialistischen Terrors Zu einer Archäologie der Zeitgeschichte 2017, 520 S., kart., 33 SW-Abbildungen, 33 Farbabbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-3967-4 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3967-8

Sebastian Haumann, Martin Knoll, Detlev Mares (eds.)

Concepts of Urban-Environmental History February 2020, 294 p., pb., ill. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4375-6 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4375-0

Gertrude Cepl-Kaufmann

1919 – Zeit der Utopien Zur Topographie eines deutschen Jahrhundertjahres 2018, 382 S., Hardcover, 39 SW-Abbildungen, 35 Farbabbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-4654-2 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4654-6

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Geschichtswissenschaft Marc Junge

Stalinistische Modernisierung Die Strafverfolgung von Akteuren des Staatsterrors in der Ukraine 1939-1941 Februar 2020, 378 S., kart., Dispersionsbindung, 21 SW-Abbildungen, 4 Farbabbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-5014-3 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5014-7

Stefan Butter

Die USA und ihre Bösen Feindbilder im amerikanischen Spielfilm 1980-2005 2019, 834 S., kart., Dispersionsbindung 49,99 € (DE), 978-3-8376-4976-5 E-Book: 49,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4976-9

Verein für kritische Geschichtsschreibung e.V. (Hg.)

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