Alt & Neu: Entwurfshandbuch Bauen im Bestand 9783034611657, 9783034605236

The old made new Most of the buildings that will be needed in Europe in the coming decades have long since been built.

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German Pages 192 Year 2010

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Alt & Neu: Entwurfshandbuch Bauen im Bestand
 9783034611657, 9783034605236

Table of contents :
Im Dialog der Epochen – Einführung
„Ein Geschenk aus der Geschichte“ – Interview
Prozessmanagement beim Bauen im Bestand
Sanierungsaufgabe Schule und Hochschule
Fassaden der Moderne, denkmalgerecht erneuert
Erfahrungen eines Tragwerksplaners beim Bauen im Bestand
Drei Sanierungsgeschichten zwischen Barock und Bauhaus
ADDITION
Heizkraftwerk Würzburg
Pier Arts Centre
Cafeteria in der Zeughausruine
Museum Kunst der Westküste
Überdachung Kleiner Schlosshof
Cultuurcluster Enschede
Neo Leo Wohnen vertikal
Rose am Lend
Franz-Mehring-Schule
Chesa Albertini
TRANSFORMATION
Museum Punta della Dogana
Bahnhof Rossio
Sparkasse Berchtesgadener Land
Rathaus Weinstadt
Siedlung Heuried
Lesezeichen Salbke
Confiserie Bachmann
Schule Dagmersellen
Blumen-Grundschule und Bernhard-Rose-Schule
Kollegiengebäude II der Uni Stuttgart
Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau
Bürohaus Siesmayerstraße
UMNUTZUNG
Fahle Building
Andel’s Hotel Lodz
Sporthalle im Hangar
Lehrgebäude FH Wildau
Kulturzentrum Alvéole 14
Ziegeleimuseum Zehdenick
Selexyz Dominicanen Buchhandlung
Haus St. Joseph am Kloster Waldsassen
Bibliothek im Ebracher Hof
Terra Mineralia im Schloss Freudenstein
Literatur
Internet-Auftritte & Bildnachweis
Herausgeber, Autoren, Textquellen & Danksagung

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Alt & NEu

Alt & NEu

Entwurfshandbuch Bauen im Bestand Frank Peter Jäger [ HRSG. ]

Birkhäuser Basel

4

Alt & Neu

Alt und NEU Entwurfshandbuch Bauen im Bestand

Standorte × S. 132

× S. 22

Texte  und Interview Frank Peter Jäger Co-Autoren Hubertus Adam, Anneke Bokern, Winfried Brenne, Rainer Hempel, Claudia Hildner, Franz Jaschke, Simone Jung, Julia Kirch, Uta Pottgiesser, Susanne Rexroth, Carsten Sauerbrei, Frank Vettel Projektmanagement und editorielle Betreuung  Berit Liedtke, Andrea Wiegelmann Art Direction, Design und Layout onlab, Nicolas Bourquin, Thibaud Tissot, Eve Hübscher Projektmanagement onlab Niloufar Tajeri Covergestaltung und -konzeption onlab Coverfoto Michel Bonvin Planbearbeitung onlab Andrea Grippo Illustrationen Sam Green Illustration Studio Fonts Korpus and Relevant Pro by Binnenland

× S. 32

× S. 28 × S. 46

S. 164 ×

S. 116

S. 92 ×

×

× S. 38 S. 172 × S. 178

×

× ×

S. 80,108 × × S. 156

S. 161 98, 112, 148, 152 × S. 136 S. 58 × × S.

S. 88×

S. 42 ×

S. 18

×

S. 168

× S. 76

× S. 84, 95

× S. 50

× S. 62 × S. 68

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http : / / dnb.d-nb.de abrufbar.

Addition 17 % 42

S. 3 8

S. 1 8 S. 22 S. 28

S.172

S.178

1

56 S.1

S.168 4 S.16

S. 32

Baukosten TOTAL 320 Mio. € 6 S.1

Dieses Buch ist auch in englischer Sprache erschienen ( ISBN 978-3-0346-0525-0 ).

× S. 72

S.

2 15 S.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

S. 14 8

46 S. . 50 S 58 S.

Umnutzung 41 %

S. 68

© 2010 Birkhäuser GmbH, Basel Postfach, CH-4002 Basel, Schweiz Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF ∞

S.136

S. 72

Printed in Germany ISBN 978-3-0346-0523-6 987654321 S.

www.birkhauser.ch

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S.108

2

S.11

S.1 16

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32, 42, 46, 50, 62, 84, 132 132, 136, 148, 152, 161 38, 42, 68, 161, 178 92, 136, 156, 168 95, 98, 108, 152 76, 116, 132 38, 42 68, 178 178 88 164 62

4 S. 8

S. 88 S. 92 S. 95 S. 98

Nutzung Wohngebäude S. 22, Industriebau S. 18, Museum S. 32, Gastronomie S. 28, Lehrgebäude S. 58, Bürohaus S. 72, Ruine S. 28, Speichergebäude S. 22, Bibliothek S. 172, Brache S. 32, Einzelhandel S. 50, Galerie S. 22,

transformation 42 %

Hotel Wirtschaftsgebäude Bahnhof Bank Bunker Forschung Kirche Kultur Rathaus Sporthalle Stadtplatz

S. 136, 168 S. 168, 172 S.  72 S. 76 S. 156 S. 112 S. 164 S. 156 S. 80 S. 148 S. 88

Alt & Neu

7 Im Dialog der Epochen – Einführung 11 „ Ein Geschenk aus der Geschichte “ – Interview 53 Prozessmanagement beim Bauen im Bestand 101 Sanierungsaufgabe Schule und Hochschule 119 Fassaden der Moderne, denkmalgerecht erneuert 140 Erfahrungen eines Tragwerksplaners beim Bauen im Bestand 182 Drei Sanierungsgeschichten zwischen Barock und Bauhaus



Inhaltsverzeichnis

Frank Peter Jäger Peter und Christian Brückner, Claudia Meixner und Florian Schlüter im Gespräch Carsten Sauerbrei Susanne Rexroth Uta Pottgiesser / Julia Kirch Rainer Hempel Winfried Brenne / Franz Jaschke

Addition

18 Heizkraftwerk Würzburg 22 Pier Arts Centre 28 Cafeteria in der Zeughausruine 32 Museum Kunst der Westküste 38 Überdachung Kleiner Schlosshof 42 Cultuurcluster Enschede 46 Neo Leo Wohnen vertikal 50 Rose am Lend 58 Franz-Mehring-Schule 62 Chesa Albertini

190 Literatur 191 Internet-Auftritte & Bildnachweis 192 Herausgeber, Autoren, Textquellen & Danksagung

2010

1000

BESTANDSZEIT 1500

2010

1000

BESTANDSZEIT 1500

2010

Reiach and Hall Architects Hochbauamt Kassel / Hans-Joachim Neukäter Sunder-Plassmann Architekten Peter Kulka Architektur SeARCH Lüderwaldt Verhoff Architekten Innocad Architekten RKW Architektur + Städtebau Hans-Jörg Ruch Architektur

tadao ando architect & associates Broadway Malyan Bolwin Wulf Architekten COAST office architecture Adrian Streich Architekten KARO* Architekten HHF Architekten Peter Affentranger Architekt huber staudt architekten bda Heinle, Wischer und Partner Numrich Albrecht Klumpp Architekten schneider+schumacher

UMNUTZUNG

132 Fahle Building 136 Andel’s Hotel Lodz 148 Sporthalle im Hangar 152 Lehrgebäude FH Wildau 156 Kulturzentrum Alvéole 14 161 Ziegeleimuseum Zehdenick 164 Selexyz Dominicanen Buchhandlung 168 Haus St. Joseph am Kloster Waldsassen 172 Bibliothek im Ebracher Hof 178 Terra Mineralia im Schloss Freudenstein

BESTANDSZEIT 1500

Brückner & Brückner Architekten

TRANSFORMATION

68 Museum Punta della Dogana 72 Bahnhof Rossio 76 Sparkasse Berchtesgadener Land 80 Rathaus Weinstadt 84 Siedlung Heuried 88 Lesezeichen Salbke 92 Confiserie Bachmann 95 Schule Dagmersellen 98 Blumen-Grundschule und Bernhard-Rose-Schule 108 Kollegiengebäude II der Uni Stuttgart 112 Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau 116 Bürohaus Siesmayerstraße

1000

KOKO Arhitektid OP Architekten



Numrich Albrecht Klumpp Architekten Anderhalten Architekten LIN Finn Geipel + Giulia Andi Duncan McCauley Merkx + Girod Architecten Brückner & Brückner Architekten Bruno Fioretti Marquez Architekten AFF Architekten

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Alt & Neu

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Im Dialog der Epochen Im 20. Jahrhundert bauten Architekten am liebsten neu. Nur eine Handvoll Vorreiter hatte früh den Reiz einer Verschränkung von historischer Architektur und Moderne entdeckt. Doch die Arbeit dieser Pioniere hat Früchte getragen, das Bauen im Bestand hat sich längst zu einem eigenständigen architektonischen Genre entwickelt. Frank Peter Jäger

Maria im Kapitol II errichtete, wählLange Zeit gab es drei wesentliche Wenn Gebäude sprechen, Gründe für das Bauen im Bestand : dann niemals nur te man als Standort die GrundmauMan kann oder will sich ein neues mit einer Stimme. ern des römischen Kapitolstempels, Haus nicht leisten und verwendet desGebäude sind Chöre, der der Göttertrias Jupiter, Juno und halb das alte weiter. Ein Gebäude steht keine Solisten. Minerva geweiht war. Der Ort wurAlain de Botton  unter Denkmalschutz, deshalb darf es de, wie man heute sagen würde, „ neu nicht abgerissen werden, sondern wird besetzt “ – Monotheismus trat an die in ein Neubauensemble einbezogen. Man baut ein beste- Stelle einer Vielgötter-Welt, überall in Europa. hendes Gebäude um, anstatt es abzureißen, weil man für In historischer Dimension betrachtet ist unser Verhältnis einen Neubau eine weit weniger attraktive baurechtli- zum gebauten Bestand also höchst dyche Flächennutzungsziffer erhalten würde. Während der namisch : Während das Bauen im Beerstgenannte Grund so alt ist wie das Bauen selbst, sind stand in den zwei Jahrtausenden seit die letztgenannten Motive Konsequenzen der Denkmal- der Antike aus praktischen und wirtgesetze und des modernen Baurechts. schaftlichen Gründen eher die Regel war, wurde es im 19. Jahrhundert an Warum Bauen im Bestand ? der Schwelle zur Moderne immer sel— tener, bis schließlich im 20. JahrhunDaneben spielen zwei weitere Motive eine Rolle, und dert fast nur noch abgerissen und neu sie betreffen den ideellen Wert von Gebäuden : Schon gebaut wurde. Das hat sich grundlelange vor Etablierung des modernen Denkmalschutzes gend geändert, jedenfalls in Mittelgab es Gebäude, die als unantastbar galten – Geburts- europa, wo inzwischen wieder etwa häuser berühmter Persönlichkeiten, Wirkungsstätten zwei Drittel der Bautätigkeit im BeHeiliger und ähnliche mit religiöser oder politischer stand stattfindet.III Ein Grund für die Symbolik aufgeladene Orte. Die Symbolpolitik selbst Vorreiterrolle des deutschsprachigen Raums – und einisei als letzter, fast vergessener Grund für das Bauen im ger Nachbarländer – auf diesem Gebiet liegt in der recht Bestand genannt : Als man in Köln im Jahre 690 nach frühen Etablierung einer staatlichen Denkmalpflege in Christus den Vorgängerbau der heutigen Kirche St. der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. I

1 Mauerpforte in dem von Carlo Scarpa zum Museum umgebauten Castelvecchio in Verona

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Alt & Neu

Vorwort

Die Denkmalkultur eines Gemeinwesens kann sich nicht auf Veränderungsrestriktionen und das bloße Konservieren eines Status quo beschränken, will sie in einem regen Baugeschehen ihren Einfluss wahren. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben besteht darin, Architekten und Bauherren ein verlässliches Instrumentarium zum Umgang mit historisch wertvollen Bauten und Ensembles bereitzustellen : Ist ein umgenutzter Industriebau als Ganzes zu erhalten oder nur bestimmte Teile davon ? Darf bei Umbauten die Grenze zwischen Bestand und Ergänzung verwischen ? Sollten also die vergrößerten Fenster eines früheren Speichergebäudes deutlich als spätere Ergänzung erkennbar sein ? Falls ja, wie können solche Schnittpunkte zwischen Alt und Neu ausgebildet werden ? Schließlich die Frage nach der „ authentischen “ Fassung eines Gebäudes, bei der man sich inzwischen häufig für die kombinierte Wiederherstellung mehrerer Bauphasen entscheidet.

Ambitionierte Kombinationen von Alt und Neu gab es zwar schon in den 1950er- und 1960er-Jahren, doch verglichen mit den aktuellen, im Buch versammelten Beispielen bestimmt Skepsis den Blick zurück : Beim Wiederaufbau der im Krieg ausgebombten Frankfurter Paulskirche IV oder des Berliner Reichstagsgebäudes V feierte man ein paar übriggelassene Außenmauern schon als denkmalpflegerische Großtaten, obwohl bei diesen und zahlreichen anderen Gebäuden viel mehr Substanz zu retten gewesen wäre. Hinzu kam, dass sich solche Projekte fast ausschließlich auf Sakral- und Repräsentationsbauten beschränkten. Nicht mehr genutzte Industrieund Verkehrsbauten hatten bis weit in die 1980er-Jahre kaum eine Chance auf Erhalt. Als ich noch ein Kind war, waren in den Zeitungen häufig Fotoserien von Wasserturmsprengungen abgedruckt oder Bilder von Fabrikschornsteinen im freien Fall. Ich konnte schon damals nicht verstehen, weshalb es zum Abriss dieser fantastischen Industriebauten keine Alternative geben sollte, wie es stets hieß.VI Dass sich auch solche, ursprünglich auf eine ganz bestimmte Funktion festgelegte Gebäude wie Wassertürme, Silos, Stellwerke, Hafenspeicher sehr wohl für ganz andere Zwecke umnutzen lassen, das konnte und wollte vor dreißig Jahren niemand glauben. Die fehlende architektonische Wertschätzung dieser Bauten versperrte den Weg zu ihrer Erhaltung, nicht ihre bauliche Struktur.

Schornsteine im freien Fall — Ohne die Diskussion solcher Fragen sind verantwortungsvolle Eingriffe in Denkmalbauten nicht möglich. Wo immer der Dialog konstruktiv und offen geführt wird, nehmen Architekten die Auflagen der Denkmalpflege nicht mehr als Einschränkung, sondern als planerische Orientierungshilfe wahr. Dass die Haltung der Denkmalbehörden selbst auf der Grundlage verallgemeinerbarer Grundsätze nicht immer nachvollziehbar und bisweilen stark von subjektiven Positionen einzelner Entscheidungsträger bestimmt ist, klingt im nachfolgenden Architektengespräch [ vgl. S. 11 ] an. Zudem kommen hier mehrere Beispiele zur Sprache, in denen sich die Architekten zum Anwalt eines Gebäudes gemacht haben, das gar keinen Denkmalstatus besaß. Jeder Architekt sollte heute unabhängig von der Einschätzung der Denkmalpflege entscheiden, welchen Wert er einem Bestandsbau beimisst – denn die Kriterien der Denkmalbehörden erfassen nur den historischen Zeugniswert eines Bauwerks, nicht aber all die Möglichkeiten, die es aus dem Blickwinkel eines aufgeschlossenen Betrachters bietet.

Dialog zwischen Alt und Neu — Wenn seinerzeit bestehende Bauten erhalten wurden, so wirkt das bei vielen der Projekte wie ein Gnadenakt des Architekten gegenüber dem geschundenen RestBauwerk : Egon Eiermann setzte den ausgebrannten Turmstumpf der Gedächtniskirche am Berliner Breitscheidplatz theatralisch in Szene, während rundherum ganze Häuserblocks abgetragen wurden. Überdimensionalen Spolien gleich riss man Gebäude in Frankfurt, Köln, München aus ihrem Ensemblezusammenhang, auch wenn die Nachbarbauten hätten wiederaufgebaut werden können. Wie eine Kuriosität wurden die alten Teile isoliert und überhöht, man fasste sie aber nicht als gleichberechtigte Teile eines neuen Ganzen auf. Wie ein wirklicher Dialog zwischen Alt und Neu aussieht, das ahnten Europas Architekten erst, als Carlo Scarpa ausgehend von Venedig Projekt um Projekt im Norden Italiens

2 Die

4 Restauriertes Portal an der

durch einen Bombentreffer gerissene Bresche in der Münchner Alten Pinakothek führte Hans Döllgast als deutlich sichtbare Wiederherstellung aus.

3 Um

den Kölner Hafenspeicher Halle 11 als Wohn- und Bürohaus umzuwidmen, fügten JSWD Architekten eine Fenstererweiterung neben den bestehenden Fenstern ein.

Stirnseite der Halle 11 im Kölner Rheinauhafen

5

Vom Wasserturm zum Wohnturm : Ein Projekt von ZECC Architecten im niederländischen Soest

5

Alt & Neu

Im Dialog der Epochen

realisierte. Seit den späten 1940er-Jahren hatte der Venezianer mit einer Reihe von Museumsumbauten, etwa dem Umbau des Castelvecchio in Verona, und anderen baulichen Interventionen an Monumenten auf sich aufmerksam gemacht.VII Scarpas Akribie bei der Behandlung architektonischer Details, seine so selbstverständliche wie elegante Kombination von Sichtbeton oder zierlichen Kupferleisten mit Ziegeln, Marmor, Terrazzo, Eichenbalken und anderen traditionellen Materialien norditalienischer Palazzi, sein subtiler Umgang mit dem vorgefundenen Ort waren wegweisend – und prägten eine ganze Generation von Architekten. In Deutschland vertraten Hans Döllgast,VIII der am Wiederaufbau Münchens beteiligt war, und etwas später Karljosef Schattner IX eine vergleichbar prononcierte Haltung, wenngleich mit ganz anderen Ergebnissen. Die Arbeit dieser Pioniere hat Früchte getragen und als architektonische Haltung inzwischen weite Verbreitung gefunden : Wenn sich Architekten und Bauherren unabhängig von denkmalpflegerischen Vorgaben entschließen, Teile alter Gebäude in Neubauten einzubeziehen, so tun sie das, weil sie davon ausgehen, dass das neue Ganze von den funktionalen Stärken, der Ausstrahlung und den Zeitspuren des Altbaus profitieren wird. Es geht um den Geist eines Ortes, die geschichtliche Spanne, für die ein Gebäude steht, auch wenn es selbst keine Geschichte gemacht hat. Doch auch die zeitgenössische Ergänzung wertet das Bestehende auf. In das Gebäude werden eine andere Bauepoche und zugleich die Handschrift eines anderen Architekten eingeschrieben, wodurch es eine Neuinterpretation erfährt.

6

Archäologie oberhalb der Erde — Die Methode der Brüder Brückner, sich ein Gebäude zunächst in aller Ruhe anzuschauen und dann gedanklich durchzuspielen, ob ein Neubau dessen Stärken wird ersetzen können [ vgl. S. 11 ] spricht neben dem Respekt vor dem Erbe für eine geschulte Beobachtungsgabe. Diese erwächst aus einem Sinn für die kaum noch wahrnehmbaren Qualitäten eines abgewirtschafteten, baulich überformten Gebäudes, also der Fähigkeit, verschüttetes Potenzial zu erkennen und zu analysieren. In dieser Situation gleicht die Arbeit von Architekten einer Archäologie oberhalb der Erdoberfläche. Nirgendwo tritt der soziale bzw. gesellschaftspolitische Aspekt des Bauens im Bestand so deutlich zu Tage wie bei Wohngebäuden. Insbesondere Bauten aus den Boom-Jahren zwischen 1960 und Mitte der 1970er6 Das Treppenhaus in David Chipperfields Neuem Museum : Eine Treppe aus mattweißem Waschbeton zwischen rußgeschwärzten Säulen und blanken Ziegeln

7 Zeitgenössisch

aufgestockt : Schlanker Wohnriegel auf einem Wohnhaus der 1970er – ein Projekt von Wandel Höfer Lorch Architekten

Jahre – Einfamilienhäuser ebenso wie Geschossbauten – sind mit ihren klar zonierten Funktionsbereichen und den spartanisch dimensionierten „ dienenden “ Räumen wie Küche und Bad nicht vereinbar mit der Idee eines Wohnens in offenen Raumfolgen und mit heutigen Flächenansprüchen. Durch Veränderung des Grundrisses, Aufstockung oder Erweiterung können Gebäude dieser Zeit so aufgewertet werden, dass sie eine neue, langfristige Nutzungsperspektive erhalten. Jede Integration bestehender Strukturen in ein neues Gebäude, jeder den Bestand qualifizierende An- oder Umbau bedeutet praktizierte Nachhaltigkeit. Die ökologische Bedeutung liegt in erster Linie darin, dass ein vorhandenes Gut, das noch mühelos seinen Zweck erfüllt, möglichst lang weitergenutzt wird. Im Kern geht es also ganz einfach um sparsames und umsichtiges Wirtschaften. Neben dem ökologischen Effekt, der durch die energetische Ertüchtigung eines Gebäudes erreicht wird, sollten die beim Bestandsumbau gegenüber Neubauten eingesparten Rohstoffe und Energiemengen nicht vergessen werden. Die auf den folgenden Seiten dargestellten Beispiele gelungener Kombinationen von Alt und Neu dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Gebäudebestand international noch lange kein etabliertes Gemeingut ist. Beispielsweise wird in China seit der wirtschaftlichen Öffnung des Landes Anfang der 1990er-Jahre in einer Größenordnung historische Bausubstanz dem Erdboden gleichgemacht, die westlichen Beobachtern den Atem stocken lässt. In der arabischen Welt keimt erst in jüngster Zeit ein Bewusstsein für den Wert der eigenen Bautradition auf, ebenso in Mittel- und Südamerika. Selbst in Nordamerika sind interessante Beispiele für das Bauen im Bestand noch immer rar.X Jedoch besteht aus europäischer Sicht keineswegs Anlass zur Selbstzufriedenheit – denn auch in Stuttgart oder Wien hilft der Denkmalstatus einem Gebäude wenig, wenn seinem Erhalt handfeste wirtschaftliche Interessen entgegenstehen. Alt & Neu ist in diesem Sinn als Ermutigung und Inspiration für Architekten diesseits und jenseits des Atlantiks gedacht, die Chancen für ein kluges Einbeziehen bestehender Bauwerke bei ihren Bauaufgaben vor Ort auszuloten, auch wenn dabei oft viel Überzeugungsarbeit geleistet werden muss. Dass sich die Mühe lohnt, zeigt die in jeder Hinsicht heterogene Projektauswahl ; die Mehrzahl der Gebäude wurde von kleinen Büros realisiert, viele davon mit sehr begrenzten Budgets. 8

Haus+ in Hameln : Die Architektin Anne Menke baute ihr Elternhaus, ein typisches Eigenheim der 1950er-Jahre, zeitgemäß um.

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Vorwort

Alt & Neu

gutes Beispiel dafür, dass manchmal gerade verspätete, DIE PROJEKTE erst nach mehreren Anläufen realisierte Restaurierungs— Bestimmendes Auswahlkriterium der dokumentierten projekte am Ende zu einem besonders überzeugenden Projekte war ihre architektonische Qualität und damit Ergebnis kommen [ S. 28 ]. auch ihre Originalität. Ein gelungener, vielschichtiger Nicht nur bei der Bibliothek in Schweinfurt [ S. 172 ] wird Ortsbezug war dabei ein Gesichtspunkt, die konzepti- das Vergnügen spürbar, ästhetisches Kapital zu schlaonelle Reife des Umgangs mit dem Bestand ein anderer. gen aus der wohlkalkulierten Konfrontation von Alt und Angesichts dieser eher abstrakten Kriterien überrasch- Neu. Die Nähe solcher Projekte zur modernen Kunst ist te es, dass sich am Ende ein Thema wie ein roter Faden unübersehbar. Da werden historische Relikte wie Asdurch die abgeschlossene Projektauswahl zog, ohne dass semblagen in Neubauten eingefügt, und es wird collaes bei der Entscheidung eine Rolle gespielt hätte : Auf- giert, dekonstruiert und räumlich geschichtet, was das fallend viele der Bauwerke haben einen gesellschafts- Zeug hält. politischen Hintergrund ; das neue Gebäude ist hier Jedoch entstehen nicht immer Kunstwerke. Jene ProjekAusdruck einer tätigen Re-Kultivierung zwischenzeit- te, die in erster Linie von nutzungspraktischen Motiven lich entwerteter oder brach gefallener Orte, von Reur- bestimmt und mit begrenzten Mitteln ausgestattet sind, banisierung. Im niederländischen Enschede gibt die tauchen zwar seltener in Architekturzeitschriften auf, Umnutzung des einige Jahre zuvor machen aber den Großteil des Baudurch eine Explosion zerstörten Fa- I de Botton, Alain, Glück und Architektur. geschehens aus : Erweiterungen von am Main 2008, S. 219. brikareals zum Kulturcluster dem Frankfurt Industriebauten, Messehallen oder II Der heute sichtbare romanische Bau wurde ganzen Stadtteil eine neue Identität 1065 vollendet. Schulen und, nicht zu vergessen, das III In den letzten zwei Jahrzehnten verschoweite Feld des Wohnungsbaus im Be[  S. 42  ]. In Lodz, Tallinn und im branben sich z. B. in Deutschland die Gewichte kondenburgischen Wildau werden riesi- tinuierlich hin zum Bauen im Bestand : Domi- stand. Die Beispiele der Siedlung Zünoch 1997 mit einem Anteil von 53,7 % rich Heuried [ S. 84 ] und der Berliner ge Gebäudehüllen, deren industrielle nierten die Bauleistungen im Neubau gegenüber 46,3 % Nutzung obsolet geworden ist, unter im Bestand, so hat sich das Verhältnis seitdem Blumen-Grundschule [ S. 98  ] zeigen, immer weiter verschoben : 2007 machten die veränderten Vorzeichen wieder Teil Bestandsmaßnahmen dass oft schon eine technisch unaufetwa im Wohnungsbau schon 74  % aller Bauleistungen aus. Quellen : des täglichen Lebens. Sie dienen wendige, aber sorgfältig umgesetz( Hrsg. ), Strukturdaten zur Produktion jetzt der Bildung, dem Wohnen oder DIW te Neugestaltung der Gebäudehülle und Beschäftigung im Baugewerbe. Berlin, 2007. touristischen Zwecken und sind zu- Sowie : Nachhaltiges Bauen im Bestand, Work- dem Ganzen einen vollkommen anshopdokumentation des Bundesministeriums gleich Symbol für das neue Selbst- für deren Charakter geben kann. Bildung und Forschung, Berlin, 2002. bewusstsein postsozialistischer IV Die Paulskirche wurde als eines der ersten Bei zwei modernen Klassikern, dem in Frankfurt nach dem Zweiten WeltGesellschaften am Ende eines zwei Gebäude Stuttgarter Kollegiengebäude II krieg unter der Leitung des Architekten Rudolf Jahrzehnte währenden Transforma- Schwarz wieder aufgebaut. [ S. 108  ] und dem früheren US-KonsuArchitekt des Umbaus war der 1900 in Tiltionsprozesses. Ein in jeder Hinsicht Vsit geborene lat in Frankfurt [ S. 116  ], verzichteten Architekt Paul Baumgarten. herausragendes Beispiel ist dabei das VI Bernd und Hilla Becher, die Begründer der die Architekten dagegen bewusst Becher-Schule “, fuhren in dieser Zeit mit ihrem Lesezeichen Salbke, weil es demons- „ VW-Bus auf eigene Akzente und konzentrierdurch Europa und fotografierten zwitriert, wie mit minimalem Aufwand schen Wales und Nordfrankreich Wassertürme, ten sich ganz auf die Sanierung der und Fördertürme, von denen die meisten ein maximaler Effekt erzielt werden Kessel technischen Ausstattung. längst verschwunden sind. kann [ S. 88  ]. Im fränkischen Würzburg sind es VII Literatur z. B. Los, Sergio, Scarpa, Köln einige hundert lackierte AluminiDer von der NS-Marine errichte U- 2009. VIII Döllgast, der seit den 1920er-Jahren vor umbleche, die, getragen von einer Boot-Bunker in Saint-Nazaire stand allem für die Kirche gebaut hatte, plante den zahlreicher im Krieg beschädigter einfachen stählernen Unterkonsjahrzehntelang nutzlos am Hafen Wiederaufbau Denkmäler, vor allem in München. Zu seinen beund war für die Stadt nichts als ei- kanntesten Arbeiten zählt die „ schöpferische Si- truktion, als weithin schimmernde cherung “ der durch einen Bombentreffer versehrHülle eines Kraftwerks ihre frapne gewaltige Barriere, die den Blick ten Alten Pinakothek. Vgl. TU München ( Hrsg. ), pierende Wirkung entfalten [ S. 18  ]. auf das Meer versperrte und an die Hans Döllgast 1891–1974, München 1987. IX Literatur z. B. Zahner, Walter, Bauherr KirZerstörung der Stadt im Zweiten Bauen im Bestand ist keine Disziplin che – Der Architekt Karljosef Schattner, MünWeltkrieg erinnerte – ein Berliner chen, 2009 ; Pehnt, Wolfgang , Karljosef Schattder Zaghaftigkeit. Wer glaubt, im Be ner – ein Architekt aus Eichstätt, Ostfildern, Architekturbüro implantierte in ei- 1988 / 1999. stand ließen sich aus lauter Vorsicht nen Teil des Betonkolosses kultu- X Ein viel publiziertes Projekt ist z. B. der im Umgang mit dem Vorhandenen High Line Park in New York, eine von den relle Nutzungen und stieß damit die Architekten keine Bauwerke mit stadträumlicher Diller Scofidio + Renfro und den Aufwertung des umliegenden Hafen- Landschaftsarchitekten Field Operations zum Ausstrahlung schaffen, den belehrt umgenutzte ehemalige Hochbahnquartiers an [ S. 156   ]. Der wiederbelebte Stadtpark das Beispiel des Heizkraftwerks strecke in Chelsea. Weitere Informationen unter : Würzburg eines Besseren. Torso des Kasseler Zeughauses ist ein www.thehighline.org

Alt & Neu

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„  Ein Geschenk aus der Geschichte “ Was macht das Bauen im Bestand zur Herausforderung, wie gelingt es wirtschaftlich, was macht seinen besonderen Reiz aus ? Claudia Meixner und Florian Schlüter (Meixner Schlüter Wendt Architekten) im Gespräch mit Peter und Christian Brückner (Brückner & Brückner Architekten). Interview: Frank Peter Jäger

Frank Peter Jäger  Sie sollen ein bestehendes Gebäude umbauen, erweitern – was sind die ersten Schritte einer solchen Bauaufgabe ? Christian Brückner  Man schaut sich das Gebäude und den Ort an, frei vom Ballast der Aufgabe, also unabhängig vom geplanten Raumprogramm und den Vorstellungen des Bauherrn. Man schaut, was finde ich dort eigentlich vor ? Wir suchen immer nach Spuren, kratzen an der historischen Substanz und erforschen den Raum. Das ist auch unser Architekturverständnis : Man kann einen guten zeitgenössischen Entwurf machen – aber Geschichte bauen kann man nicht. Ein reizvolles, vielschichtiges Bestandsgebäude ist wie ein Geschenk aus der Geschichte. Es braucht Aufgeschlossenheit, Fantasie, Sensibilität, um in überzeugender Form etwas Neues hinzuzufügen. Es ist ein mannigfaltiger Dialog zwischen Alt und Neu, der im Miteinander, Gegen- oder Füreinander Neues entstehen lässt. Frank Peter Jäger  Wie sieht dieser Dialog mit dem Bestehenden aus ? Christian Brückner  Die ökologischste Position im Bauen ist eigentlich, Dinge zu benutzen, die schon da sind ; nachhaltiger geht es nicht. Dazu ist der gestaltende

Umgang mit dem Bestand spannend und führt im Verlauf der Planung zu einer enormen Vielschichtigkeit. In manchen Fällen entschließt man sich, in ein Bestandsgebäude deutlich und umfassend einzugreifen – weil anders keine Klärung, zum Beispiel kein Aufbrechen von mit der Zeit aufgetretenen Überformungen möglich wäre. Oft haben sich Strukturen über Jahrzehnte überlagert, und damit hat sich die Lesbarkeit eines Gebäudes vollkommen verändert.   In der Analysephase muss sich ein deutliches Bild ergeben : Was hat hier den Wert beibehalten und integriert zu werden und was nicht ? Das ist Aufgabe dieser Auseinandersetzung. Florian Schlüter  Das Entscheidende ist für uns immer der vorgefundene Ort und die Aufgabe. Es ist gut, sein Umfeld auf sich wirken zu lassen mit seinen sichtbaren und unsichtbaren Einflüssen. Es kann sein, dass besondere Eigenschaften des Ortes einen viel stärkeren Einfluss auf unser Projekt haben als ein eventuell vorhandener Altbau. Daher wäre es oberflächlich, einen vorhandenen Altbau isoliert zu betrachten.   Wir fragen uns deshalb grundsätzlich, welchen Einfluss zum Beispiel die Topografie, ein großer Baum oder eben ein vorhandenes Gebäude haben. Letztendlich geht es darum, dass man etwas macht, das auf den Ort reagiert.

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Alt & Neu

Interview

Frank Peter Jäger  Anhand welcher Kriterien entscheiden Sie, wie umfassend und durchgreifend der Eingriff in den Bestand ausfällt ? Claudia Meixner  Die Kriterien sind von Fall zu Fall unterschiedlich. Häufig kann man das Gebäude nicht losgelöst von seinem unmittelbaren Kontext sehen. Die Analyse von Stärken und Defiziten würde dann zu kurz greifen. Wir sind schon einige Male mit Bauaufgaben an Orten konfrontiert worden, die an Prägnanz verloren hatten. Das heißt ihr ursprünglicher Charakter ist verloren gegangen, weil es dafür eine bestimmte Zeit lang kein Bewusstsein gegeben hat. Wenn wir diese Orte stärken und ihre Eigenschaften wieder herausarbeiten, stärken wir damit auch die städtische Gesamtstruktur. Von dem Charakter, der Wirkung eines Gebäudes in seinem Kontext hängt die Entscheidung ab, wie stark man eingreifen muss und sollte. Zu klären ist : Was will man überhaupt stärken ? Gibt es denn Eigenschaften, die es wieder herzustellen lohnt, und was ist davon noch vorhanden ? Peter Brückner  Genau dieses Atmosphärische, in dem Moment, wo man solche Baulichkeiten zum ersten Mal betritt, ist wichtig. Wir nehmen uns gerne Zeit, Gebäude, die umgebaut werden sollen, zu erkunden, durch ihre Räume zu wandern. Am liebsten machen wir das alleine, nichts soll ablenken. Man lässt das Gebäude auf sich wirken – und jedes alte Gebäude und seine einzelnen Räume machen etwas mit demjenigen, der sie durchwandert. Es ist schwer greifbar und noch schwerer zu formulieren – eine Mischung aus Raumerfahrung, Atmosphäre, sichtbaren Zeitspuren, Nutzungszeugnissen, Licht und Material. Wenn sich bei uns das Gefühl einstellt, dass das Zusammenspiel dieser Elemente eine besondere Kraft hat, werden wir vorsichtig. Wir überlegen dann, ob das Neue – im Fall eines Abrisses – besser sein kann als das, was schon besteht.

Claudia Meixner  Vielleicht ist unser Umbau der Frankfur-

ter Dornbuschkirche ein gutes Beispiel. Anfangs hatten wir auch überlegt, die Dornbuschkirche komplett abzureißen und als Ersatz eine kleine Kapelle in den Hof zu stellen. Es stellte sich dann aber heraus, dass es tatsächlich günstiger war, den Altarraum der bestehenden Kirche stehen zu lassen. Es war günstiger in den Kosten und bot zudem Identifikationspotenzial, das für die Gemeinde ganz wichtig war.

Frank Peter Jäger  Dieser

ideelle Wert des Gebäudes wurde dann zum Argument seiner Erhaltung ? Claudia Meixner  Ja. Die Kirche war bei ihrer Erbauung um 1960 für 500 bis 600 Menschen konzipiert. Zuletzt saßen da sonntags noch 30 Leute. Es regnete durch die Decke, und neben dem Altar stand deshalb ein Eimer. Als dann der Regionalverband angekündigt hat, dass die Kirche abgerissen werden solle, ging das sofort durch die Presse, und die Öffentlichkeit war empört. Daraufhin haben wir untersucht, was man machen könnte. Unter den durchgespielten Szenarien war der teilweise Erhalt die günstigste Lösung. Im Verlauf der Gespräche wurde immer deutlicher, wie wichtig es für die Gemeindemitglieder war, dass wir mit der vorhandenen Substanz gearbeitet haben. Einige von ihnen sind in der Kirche getauft worden. Das Gebäude trägt ganz viele Erinnerungen in sich. Durch unseren Teilabriss stellte sich so etwas wie eine Überhöhung ein, der Ort und die Erinnerung daran wurden konzentriert, verdichtet auf den ehemaligen Altarraum. Im Zuge des Umbaus haben wir zum Beispiel ein farbiges Glasfenster integriert. Viele dachten, das Fenster sei neu ; es stammte aber aus der alten Kirche, wo es zuvor kaum Beachtung fand. In der neuen, kleineren Kirche beherrschte es auf einmal den Raum. Florian Schlüter  Bei der Dornbuschkirche haben wir das Vorgefundene extrem verfremdet. Betritt man den Kirchenraum, spürt man : Hier ist etwas passiert. Frank Peter Jäger  Argument Kostenersparnis – Aber was alt ist und was neu hinzugekommen, kann ist Bauen im Bestand wirklich billiger als neu man nicht mehr sicher unterscheiden, Alt und Neu sind verschmolzen. zu bauen ? Christian Brückner  Als pauschales Argument ist das problematisch, denn viel hängt vom Zustand des Bestands Frank Peter Jäger  Einige Ihrer Projekte verraab und was dort integriert werden soll. Das Arbeiten ten eine Affinität zur Konzeptkunst … mit dem Bestand kann auch mal teurer werden als ein Florian Schlüter  Stimmt. Bei unserem Projekt Haus Neubau. Bei unseren Projekten hat die Einbeziehung Wohlfahrt-Laymann steht das alte Haus wie ein Reades Bestands aber immer zu Mehrwert für den Bau- dymade in einer neuen Hülle. Es ist eigentlich noch sehr herrn geführt. gut identifizierbar – jedenfalls auf den zweiten Blick. Es 1 Dornbuschkirche in Frankfurt am Main nach dem Umbau : Der frühere Altarraum ist der neue Kirchenraum, das Hauptschiff wurde abgebrochen.

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Öffentliche Freifläche und „ Spielfeld “ auf dem Fundament des abgetragenen Hauptschiffs der Dornbuschkirche

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Alt & Neu

„Ein Geschenk aus der Geschichte“

„ Denkmalpflege “ – „ Denkmalentwicklung “ verstanden in dem Sinn, dass man Gebäude und ihr Umfeld weiterentwickelt, wäre eigentlich der treffendere Begriff. Christian Brückner  Ja, das ist ein Kernpunkt. Denkmalpflege bedeutet oft, ein Haus zu hegen und zu pflegen. Aber dann darf man es auch kaum anrühren, es für einen neuen Zweck Brückner & Brückner Architekten, Tirschenreuth / Würzburg herrichten. Als Architekten bauen — wir aber Lebensräume. Ein DenkKlaus-Peter Brückner, geb. 1939, Ingenieurbaustudium an der FH Regensburg mal muss leben oder wiederbelebt Peter Brückner, geb. 1962, Architekturstudium werden, wenn es leer steht – desan der TU München Frank Peter Jäger  Auch bei Christian Brückner, geb. 1971, Architekturstuhalb finde ich den Begriff „ Denkdiesem Projekt sollte der dium an der Staatlichen Akademie der bildenden malentwicklung “ viel zeitgemäßer. Künste Stuttgart. vorhandene Altbau abgeVater und Sohn betreiben seit 1990 ein gemeinDer andere Punkt ist, dass es die rissen werden … sames Büro, seit 1996 mit dem jüngeren Bruder Denkmalpflege nicht gibt. Nach Christian Brückner. Peter und Christian Brückner Claudia Meixner  Ja, die Bauherren hatGastprofessuren an der FH München und jahrelanger Zusammenarbeit mit ten schon Entwürfe für einen Neu- hatten Regensburg inne. Zahlreiche Auszeichnungen, Ausstellungen und Publikationen. verschiedensten Denkmalbehörden bau, waren aber nicht wirklich www.architektenbrueckner.de stellen wir fest : Es gibt keine verzufrieden damit. Dann haben wir bindlichen Grundpositionen im Sinuns getroffen und gemeinsam das Grundstück angeschaut. Das bestehende Haus hatte ne einer allgemein etablierten Haltung zu bestimmten eine solide, gute Qualität, da es ein Zimmermann für Fragen. Das macht die Arbeit mit Vertretern der Denksich selbst gebaut hatte. So entwickelte sich bei uns malbehörden sehr personenabhängig, im Extremfall schnell die Idee : Warum sollen wir nicht mit diesem wird es dann willkürlich. Die EntOrt, dem Haus und der Geschichte arbeiten ? Die Bau- scheidung zum Beispiel, wie tief ich herren waren nicht abgeneigt und offen für unsere Idee, im Fall von Umbauten ins Denkmal eingreifen kann, hängt häufig stark es einzubeziehen. von der jeweiligen Person ab. Als Frank Peter Jäger  Welche Erfahrungen haben verlässliche Orientierung für BauSie mit der Denkmalpflege gemacht ? Hat die herr und Architekt kann das nicht Denkmalpflege nicht wesentlichen Anteil da- funktionieren. Wir benötigen von ran, dass konzeptionell anspruchsvolles Bau- der Denkmalpflege ja nicht nur Geen im Bestand in Mitteleuropa inzwischen nehmigungen, es geht ja auch darum, ein historisches Gebäude gemeinschaftlich zu untersuchen, um darauf alltäglich geworden ist ? Peter Brückner  Die Denkmalpflege ist eine sehr wichti- aufbauend seine Perspektiven zu diskutieren. ge Institution. Vor allem dann, wenn der Dialog und das Florian Schlüter  Im Idealfall entsteht ein Miteinander, Miteinander zwischen Architekten und Denkmalpfle- man entwickelt gemeinsam Konzepte, wie ein Denkmal gern zu einem guten Prozess führen, einem Planungs- in ein neues Licht gerückt werden kann. Das Ziel sollte prozess, aus dem neue Anregungen für den Entwurf unserer Meinung nach ein Denkmal sein, das seine Beentstehen. So etwas schlägt sich dann auch im Ergeb- deutung vermitteln kann. Es geht nicht nur um die reinis nieder. Ein gutes Beispiel ist das Projekt Kloster ne Konservierung, sondern auch um die wahrnehmbare Waldsassen, bei dem wir seit zehn Jahren sehr frucht- Vermittlung verschiedener konzeptueller Ebenen. bar mit der Denkmalpflege zusammenarbeiten. Das sind Planungsprozesse, bei denen man unglaublich viel Frank Peter Jäger  Welche Bedeutung hat für Sie lernt. Diese Anregungen führen nicht selten dazu, dass das Thema Reversibilität ? man gemeinsam ganz andere Dinge entwickelt als ur- Peter Brückner  Reversibilität ist in der Denkmalpflesprünglich geplant. Wir sehen das als eine Riesenchan- ge bei Eingriffen in historisch wertvolle Substanz oft ce, und es macht zudem richtig Spaß. Aber natürlich eine verpflichtende Bedingung. Das bedeutet in der gibt es auch falsch verstandene, dogmatische Denkmal- Praxis, zum Beispiel keine Betondecken einzufügen, pflege. Überhaupt stoßen wir uns etwas an dem Begriff Dinge also, die sich nur mit hohem Aufwand wieder

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ist noch viel von dem Haus da ; und die Präsenz dessen, was noch vorhanden ist, verstärkt sich dadurch, dass wir es isoliert und in einen neuen Rahmen gerückt haben. Eigentlich geht es um die Wahrnehmung von Dingen und deren Reflexion – also die Aktivierung eines assoziativen Erfahrungsraums. Das Haus selbst hat uns typologisch mit Blick auf die Überlagerung einander fremder Elemente interessiert.

3 Haus Wohlfahrt-Laymann bei Frankfurt am Main : Meixner Schlüter Wendt Architekten integrierten das auf dem Grundstück vorhandene Holzhaus in ihren Neubau.

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Interview

Alt & Neu

erkannte, dass man über hundert rückbauen lassen. Wir betrachten Jahre Stadtgeschichte nicht so ohne dieses Thema etwas differenzierWeiteres wegreißen sollte. Ein Aster. Nehmen wir den Kulturspeipekt, der in so einer Situation allercher Würzburg : Er wurde ja nicht dings nicht zu unterschätzen ist, ist als Kulturstätte, sondern als Lagerder wirtschaftliche : Die Verknüpfung haus gebaut. Er zeigt aber, wie gut der Bürgerhausplanung mit den Bedieser Typ Gebäude auch für andere standsbauten kostete hier mehr als Dinge nutzbar ist. Das ist für mich ein Neubau. Aber die Menschen erein Beispiel, wo es Sinn macht, neue halten dafür eine lebendige VerbinNutzungen dauerhaft und auch irdung zur Geschichte. reversibel zu etablieren. Bei dieser Entscheidung hilft es, sich zu fraPeter Brückner  Die für mich in dieser gen : Ist die Perspektive realistisch, Hinsicht frustrierendste Erfahrung eines Tages zur alten Nutzung zuwar die Maxhütte bei Sulzbach RoMEIXNER SCHLÜTER WENDT Architekten, Frankfurt a. M. rückzukehren ? Aber wir spielen die senberg in der Oberpfalz. Ein drei— Reversibilität natürlich gedanklich Claudia Meixner, geb. 1964, Architekturstudi- hundert Jahre altes Hüttenwerk. Bei um an der TH Darmstadt und der Universität durch. Gerade bei besonders alten Florenz. unserem ersten Besuch, das Werk Florian Schlüter, geb.1959, ArchitekturGebäuden mit wertvoller Substanz war noch voll in Betrieb, trafen wir studium an der TH Darmstadt und der Universität Florenz. Martin Wendt, geb. 1955, Architekturwie Fresken. Diese muss man auch auf eine faszinierende Industriestudium an der Fachhochschule Frankfurt. Seit nicht unbedingt restaurieren, oft 1997 MEIXNER SCHLÜTER WENDT Archi- landschaft mit ebenso faszinierenden diverse Auszeichnungen Publikationen reicht es, wenn man sie wirkungs- tekten, Räumen.   In dieser Phase durfund Ausstellungen, u. a. Auszeichnung mit dem voll schützt. Sehr häufig ist das bei Deutschen Architekturpreis 2004, 1. Preis Wüs- ten wir Denkmodelle entwickeln, wo tenrot Gestaltungspreis 2006, Category Winner Bodendenkmälern der Fall. Unter World die Reise hingehen könnte. In langen Architecture Festival 2008 in Barcelona, einem vernünftig geplanten neuen Teilnahme Biennale Venedig 2004 und 2006. Diskussionen wurde erörtert, wie www.meixner-schlueter-wendt.de Fußboden können historische Böman wenigstens ein paar Kerneleden, die bei der Bestandsuntersumente des Werks retten könnte, die chung entdeckt wurden, sehr gut konserviert werden. über Jahrzehnte identitätsstiftend waren. Wir konnten auch wirtschaftlich nachweisen, dass es besser ist, vieFrank Peter Jäger  Welche Rolle spielt die Haltung le identitätsstiftende Bausteine zu erhalten und sie als kontrollierte Deponien vor Ort zu belassen. Das Gelände des Bauherrn zum bestehenden Gebäude ? Claudia Meixner  Nach unserer Erfahrung haben die meisten wies ja erhebliche Altlasten auf. Letztlich machten uns Bauherren zunächst eine relativ unentschlossene Haltung und dem Projekt unter anderem wirtschaftliche Interzu ihren bestehenden Gebäuden. Eigentlich entwickeln essen, zum Beispiel der Entsorgungsdienstleister, einen wir diese Haltung gemeinsam mit ihnen im Entwurfspro- Strich durch die Rechnung. Die verdienen viel Geld mit zess weiter. Wir liefern ihnen neue Blicke auf die Din- der Entsorgung der Altlasten. Wir kamen irgendwann zu ge und beeinflussen sie durchaus. Aus der Analyse des dem Schluss, dass man die ganze Hütte eigentlich unter Vorgefundenen ergibt sich meistens eine sehr selbstver- die Obhut der Bayerischen Schlösser- und Seenverwalständliche und auch entschiedene Haltung im Umgang tung stellen müsste, denn sie hat vergleichbare kultumit dem Bestehenden. Das Spektrum geht dabei vom relle Bedeutung. Letztendlich ist das Werk stückweise deutlichen Erhalt bis zum scheinbar völligen Verschwin- ausgeschlachtet und verkauft worden. Es soll wohl noch ein Schornstein stehen bleiben, aber was macht das für den des Vorgefundenen. Christian Brückner  Wir haben vor Kurzem einen Wettbe- einen Sinn ? Eine bittere Erfahrung. werb gewonnen, da sollte ein großes, innerstädtisches Brauereigelände zum großen Teil abgerissen und durch Frank Peter Jäger  Industrie- oder Versorgungseinen Neubau, ein Bürgerhaus, ersetzt werden. Als wir unternehmen für gestalterische Belange zu die Brauereigebäude begutachteten, wurde uns klar : Wir sensibilisieren scheint schwierig zu sein … das müssen versuchen, Teile davon zu erhalten. Es geht ja Heizkraftwerk Würzburg bildete da aber ofnicht nur um ein Gebäude, mit dem Ende einer Nutzung fenbar eine Ausnahme ? geht ja auch ein Stück von der Lebendigkeit eines Ortes Christian Brückner  Wir dachten zuerst auch, da kommen verloren. Wir haben uns dann entschlossen, eine Vermitt- wir auf keinen gemeinsamen Nenner. Die Zusammenlerrolle einzunehmen, haben uns zum Anwalt des Be- arbeit mit den Geschäftsführern des Kraftwerks war stands gemacht … und hatten Glück, denn der Stadtrat dann aber erstaunlich konstruktiv, wir haben wirklich

Alt & Neu

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gegenseitig voneinander gelernt. Aufgabe des vorangegangenen Wettbewerbs war eigentlich, den Kohlebunker an der Hafenseite des Kraftwerks zu überbauen und über einen Neubau nachzudenken. Unser Ansatz entwickelte sich dann recht bald in die Richtung, das bestehende Kraftwerk in Gänze neu zu fassen.  Der Ausgangspunkt der Erweiterung war Effizienzsteigerung und die Optimierung der Funktionsabläufe. Am Anfang herrschte seitens Bauherr und Konsortium der Auftragnehmer große Skepsis gegenüber uns Architekten ; Architekten wirken an solchen Planungen normalerweise nicht gleichberechtigt mit. Dennoch – man entschied, dass alles, was mit der Außenwirkung des Gebäudes zu tun hatte, unsere Aufgabe sein würde, und wir nahmen an den Planungssitzungen teil. Als es um die Position der Schornsteine auf dem erweiterten Kraftwerk ging, fragten wir : „ Können da nicht auch drei statt der geplanten zwei Schornsteine stehen, und kann man sie auch anders anordnen ? “ Rundum fragende, erstaunte Blicke. Sie haben aber darüber nachgedacht und am Ende gemerkt, dass es sich lohnt, unterschiedliche Ansätze zu überlegen, um die beste Lösung zu realisieren. Es folgte ein gegenseitiges Abtasten, aus dem sich dann zunehmendes Vertrauen und Aufmerksamkeit für die Dinge entwickelten, auf die es uns ankam.

„Ein Geschenk aus der Geschichte“

Frank Peter Jäger  Wie lernt man beim Bauen im Bestand gesunde Kompromisse von faulen zu unterscheiden ? Florian Schlüter  Es gibt sicher Fälle, wo man teilweise gescheitert ist, subtil gescheitert auf mehr oder weniger hohem Niveau. Das muss man ganz klar sagen. Wenn man mit nach oben „ gedeckelten “ Budgets arbeitet, sich nach Beginn der Planung aber andere, kostenintensivere Wege als beste Lösung herausstellen, gibt es ja im Grunde nur zwei Möglichkeiten : ein Projekt komplett stoppen – was niemand will –, oder die Umsetzung muss irgendwie sparsamer erfolgen. Es gibt also eine gute Idee, ob man sie mit dem gegebenen Budget verwirklichen kann, ist aber fraglich. Was man am Ende realisiert, ist noch immer eine respektable planerische Dienstleistung. Aber man hat doch eine Träne im Auge, weil man weiß, es hätte auch viel besser werden können. Christian Brückner  Es ist wichtig, dass die architektonische Idee etwas aushält. Sie muss robust genug sein, beispielsweise Abstriche im Material oder kleine Umplanungen auszuhalten. Zugleich muss man die Grundidee im Auge behalten – sonst entspricht ein Projekt auf einmal nicht mehr dem, was man ursprünglich wollte.   Das Kraftwerk in Würzburg wurde zwei Jahre nach Fertigstellung der Fassade nochmals erweitert, was auch einen weiteren Schornstein bedeutete. Das hätte die Symmetrie aus drei Schornsteinen zerstört. Die Lösung bestand schließlich darin, den vierten Schornstein in eine der drei vorhandenen Röhren einzufügen. Interessanterweise entpuppte sich das auch als wirtschaftlichste Lösung. Dieses permanente Querdenken, Frank Peter Jäger  Welche zum Beispiel ? Peter Brückner  Ein Beispiel ist die sogenannte „ Nase “, das man in der Zusammenarbeit zwischen Technikern also die gewölbte Auskragung an der Ostseite des Heiz- und Gestaltern kultivieren muss, ist zwar oft anstrenkraftwerks Würzburg. In der Sitzung, in der die Vertre- gend und zeitintensiv, es ist aber auch bereichernd. ter des Bauherrn über die äußere Form entscheiden sollten, kam natürlich die Frage : Kann man die Nase Frank Peter Jäger  Stichwort Wirtschaftlichkeit : nicht auch weglassen ? Die kostet Geld und ist funktio- Steckt nicht in kleinteiligen, abstimmungsinnal nicht notwendig. Da haben wir gesagt : Schauen Sie tensiven Projekten die Gefahr, dass man wirtdoch mal in den Spiegel und dann stellen Sie die Frage schaftlich ins Minus rutscht ? noch einmal. Christian Brückner  Die gibt es schon. Leider stellt bei manchen Projekten die Honorarordnung für Architekten keinen brauchbaren Maßstab für den tatsächFrank Peter Jäger  Wie war die Reaktion ? Peter Brückner  Die Nase wurde gebaut. Wir mussten na- lichen Aufwand dar. Es wird bei uns immer Projekte türlich beweisen, dass wir für 2,2 Millionen Euro die mit zu geringem Honorar geben, diese würden das Büro 10.000 Quadratmeter große Außenhaut des Kraftwerks alleine nicht tragen, aber sie können von anderen Proin der geplanten Weise ummanteln können. Diese ge- jekten mitgezogen werden.   Bei manchen Projekwaltige Fläche termingerecht im Rahmen des Budgets ten geht es eben gar nicht anders, als viel Kleinarbeit zu verkleiden war planerisch schon ein Husarenritt. zu investieren.   Es gibt jenseits der monetären HoWir hatten dem Bauherrn versprochen, das Projekt für norierung auch andere, zum Teil wichtigere Faktoren das festgesetzte Budget auch umsetzen zu können. Das wie zum Beispiel die Zufriedenheit der Menschen, für erzeugt schon hohen Erfolgsdruck. Das Projekt stand die wir Lebensräume schaffen und die damit verbundene Anerkennung. mehr als einmal auf Messers Schneide. Die auskragende „ Nase “ als Teil des erneuerten Heizkraftwerks Würzburg, sie beschirmt die neue Hafenterrasse.

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1 Heizkraftwerk — s. 18 Würzburg ( DE ) 2 Pier Arts centre — s. 22 Orkney ( UK ) 3 Cafeteria in der zeughausruine — s. 28 kassel ( DE ) 4 museum kunst der Westküste — s. 32 ALkersum / föhr ( DE ) 5 überdachung kleiner schlosshof — s. 38 dresden ( DE )

Anbauen, Aufstocken, Erweitern, Integrieren, Ergänzen, Arrondieren, Einhausen – schon die Vielzahl von Begriffen für die unter „ Addition “ summierten baulichen Maßnahmen zeigt die Breite der entwerferischen Möglichkeiten auf. Dabei geht es um mehr Platz, das Ertüchtigen eines Gebäudes für erweiterte Nutzungen oder auch – wenn eine neue Hülle um die schon vorhandene gelegt wird – um äußerliche Aufwertung. Insofern klingt „ Anbauen “ fast etwas plump, denn das Wort transportiert nichts von den Chancen qualitativen Zugewinns : Gelungene Projekte zeichnet aus, dass Bestand und Neubau zu einer Einheit verschmelzen, man

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6 Cultuurcluster — s. 42 Enschede ( NL ) 7 neo leo wohnen vertikal — s. 46 köln ( DE ) 8 rose am lend — s. 50 Graz ( at ) 9 Franz-Mehring-Schule — s. 58 leipzig ( DE ) 10 Chesa Albertini — s. 62 zuoz ( ch )

sich das Alte unversehens nicht mehr ohne seine Ergänzung vorstellen kann. Zugleich strahlt der architektonisch attraktive Altbau auf den neu hinzugefügten Teil ab, leiht ihm seine ästhetische Reife und lädt ihn atmosphärisch auf. Das Nebeneinander weit auseinanderliegender Bauphasen kontrastiert Geisteshaltungen und Zeitschichten, erzeugt unerwartete Raumabfolgen, raue Übergänge – lauter Dinge, die ein Neubau nicht bieten kann. Alt und Neu werten einander auf, und der der Architektur eingeschriebene Kontrast inspiriert die Nutzer. Das neue Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.

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Addition

Heizkraftwerk    ¨ rzburg WU Würzburg ( DE ) Industriebau — S. 132, 136, 148, 152, 161

Brückner & Brückner Architekten

1 Wie ein Traum von Sant'Elia : Das erneuerte Heizkraftwerk Würzburg vom Hafenbecken aus gesehen 2 Das Heizkraftwerk ist im Stadtbild von Würzburg präsent, ohne es zu dominieren. Blick auf die Innenstadt, hinten rechts die Würzburg 3 Ansicht von der Alten Mainbrücke

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4, 5 [ 4: S. 19 ] Schichten und Lamellen : Silberne und bronzefarbene Aluminiumlamellen formen die neue Hülle des Kraftwerks. Den Kontrapunkt zum vertikalen Akzent der Lamellen bilden horizontale Gesimsbänder. 6 Ein Ziel bei der Neugestaltung des Kraftwerkumfelds war es, den Würzburgern Hafen und Mainufer wieder zugänglich zu machen. Wo jetzt Sitzstufen sanft zum Wasser hin abfallen, wurde bis 2003 die Kohle für das Kraftwerk gelöscht. 7, 8 Farbgestaltung im Inneren des Kraftwerks

Alt & Neu

Heizkraftwerk würzburg

Unvorhergesehene Anmut

und damit beruhigend, zugleich Gute Architekturfotografie ist eiaber vibrierend vor Kraft. Bei ne suggestive Kunst. Ihre wohlSonnenschein löst sich die Hülle komponierten, im Moment des an ihrer Nordseite ganz in silbstärksten Lichts aufgenommeriges Flimmern auf. Abstraktion nen Bilder entrücken Gebäude ist hier nicht nur Konzept, sonoft so sehr der AlltagswahrnehFassadengestaltung dern wird physische Realität, mung, dass diese bei der ersten und städtebauliche Einbindung ein von jedermann wahrnehmwirklichen Begegnung nicht des Heizkraftwerks Würzburg bares Erlebnis voll unerwarteselten wie ein Schatten ihres Brückner & Brückner Architekten, ter visueller Bezüge. Wer etwa Abbilds wirken. Steht man vor Tirschenreuth / Würzburg von der alten Mainbrücke auf dem Heizkraftwerk Würzburg, das Kraftwerk schaut, kann bestellt man erstaunt fest : Selbst obachten, wie die Abstraktion an einem regnerischen Januarder Fassade mit dem geomettag steht das Gebäude so kraftvoll da wie auf den Aufnahmen von Constantin Meyer. Weniger rischen Muster der Weinreben im Hintergrund korrespondiert. Architektur als eine technoide, schwungvoll um das Gebäude ge- Der Eindruck einer elegant um die nüchterne Technik gelegten Kalegte Karosserie, ist das silber- und kupferfarben schimmernde rosserie vervollkommnet sich durch die schwungvolle Auskragung Kraftwerk das neue Wahrzeichen am nördlichen Stadteingang der Hülle zum Hafenbecken hin. Diese gewölbte „ Nase “ ist der Proportion des Ganzen verpflichtet – und führt zum städtebaulivon Würzburg. Anfang der 1950er-Jahre hatte die Stadt Würzburg das Kraftwerk chen Aspekt des Projekts : Bis 2003 befanden sich an der Nordseidirekt am Mainufer errichtet. Schlichte, symmetrische Industriear- te des Kraftwerks große Kohlebunker, von denen aus die per Schiff chitektur spiegelte sich im Wasser. Doch im Lauf von vier Jahr- angelieferte Kohle ins Kraftwerk befördert wurde. Die endgültige zehnten baute man immer wieder an und um, bis das Gebäude schließlich jede Form Winkelfassade  Systemgrundriss, -schnitt Projektdaten Bauherr Heizkraftwerk Würzburg GmbH verloren hatte. An die 2002 geplante ErBaukosten 2,4 Mio. Euro netto weiterung – der Einbau einer neuen Turbine Umhüllte Fläche ca. 10.000 m² stand an – knüpfte die Stadt die Bedingung Winkelprofile 720 Stück gestalterischer Aufwertung. Ein WettbeSchrauben ca. 60.000 Stück BRI 113.500 m³ werb für die Fassadengestaltung wurde Besonderheit Vorhandenes Heizausgelobt. Brückner & Brückner Architekkraftwerk wird nach Einbau einer ten gewannen den ersten Preis, entdeckten neuen Turbine mit einer Hülle aus aber kurz darauf, dass die Mittel für ihren Aluminiumblechen verkleidet – die Neugestaltung wertet das Umfeld des Entwurf – 2,2 Millionen des Gesamtbudgets Kraftwerks nachhaltig auf. von 38 Millionen Euro – laut Etattitel einFertigstellung 9 / 2006 geplant waren für „ Architektur und UnvorProjektleitung / Mitarbeit Stephanie hergesehenes “. Glücklicherweise blieben Gengler, Stephanie Sauer Standort Veitshöchheimer Straße /  Komplikationen beim Einbau der Turbine Friedensbrücke, D–97070 Würzburg aus, sodass das Budget für die Architekten Erbauungsjahr 1950 10 m unangetastet blieb. Wie aber kleidet man für 2,2 Millionen Euro 1000 2010 ein ganzes Kraftwerk neu ein ? Die ArchitekUmbau 2007 ten entschieden sich für Metallwinkelprofile, 2000 2010 die sie von der beauftragten Stahlbaufir2 ma in den gewünschten Farben Silber und Baukosten M -Preis 2,4 Mio. € 240 € / m2 Kupfer beschichten und mit Schraublöchern 15.000 versehen ließen. Die senkrechten Winkelprofile bestehen aus je einem silber- und 10.000 einem kupferfarbenen Blech, die an der 5.000 Spitze miteinander verschraubt sind. Alle Bleche sind identisch dimensioniert, unter0 schiedlich ist nur der Winkel, in dem sie verschraubt sind, sodass sich eine Welle aus teils flachen, teils spitz zulaufenden Winkelprofilen um das Gebäude legt. Als Unterkon1m struktion dienen Stahlrechteckprofile, die an den Tragachsen der bestehenden Außenwände befestigt sind. Die Aluminiumlamellen erzeugen ein Bild kraftvoller Vertikalität, das durch die drei silber- Umstellung auf Gasbefeuerung machte diese Kohlebunker übernen Schornsteine noch unterstrichen wird. Den Kontrapunkt zum flüssig. Brückner & Brückner, die ein paar Jahre zuvor schon den Vertikalraster bilden horizontale Stege, die sich über die gesam- benachbarten Hafenspeicher zum Kulturspeicher umgebaut hatte Länge des Gebäudes erstrecken. Da sie den Kubaturen hin- ten, erkannten die Chance, den Hafen und den bis dahin vom einter der Hülle entsprechen, variiert ihr Abstand. Sie führen Alt und gezäunten Kraftwerk blockierten Uferabschnitt wieder für die Neu zusammen, vom Kraftwerkskern aus dem Jahr 1950 bis zum Würzburger zugänglich zu machen. Mehr noch : Das nun funktijüngsten Bauabschnitt. So verwandelt die Hülle das heterogene onslose Hafenbecken vor der Kulisse ausgedienter Hafenkräne bot Gefüge des Gebäudes in eine dynamische Collage aus Gesimsen sich als Open-Air-Kulturort an. Daher verwandelten die Architekten den Freiraum unter dem ausladenden Kraftwerksgeschoss in und Schichten. Die gewählten Farben Silber und Kupfer spielen mit der Visua- eine weitläufige Terrasse, die in breiten Stufen bis zur Wasserlinie lisierung des Themas Energie ; so erinnert der Kupferton an der im Hafenbecken ausläuft. Auf einer schwimmenden Bühne finden Süd- bzw. Westseite der Lamellen an die Drahtumwicklung von hier im Sommer Konzerte statt, Filme werden gezeigt, und nebenan Transformatoren. Gut gewählte Farben allein erklären aber nicht im hat sich zwischenzeitlich eine schwimmende Galerie angesiedelt. Ansatz die besondere Ausdruckskraft des Gebäudes. Das wirkt, weil Wo 2003 noch Kohle gelöscht wurde, klingen heute Sommerabendie ganze Form einer großen Maschine gleicht : breit hingelagert, de mit kalten Drinks aus. FPJ

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Alt & Neu

Addition

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pier arts centre  

ORKNEY ( UK ) Alt Speichergebäude — S. 68, 178 Wohngebäude — S. 32, 42, 46, 50, 62, 84, 132 NEU Galerie — S. 62



Reiach and Hall Architects



Alt & Neu

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Pier arts centre

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1 Giebel, Blechkleid, Glas und Feldstein – die architektonischen Elemente des erweiterten Pier Arts Centre in einer Handskizze der Architekten 2 Der traditionelle Feldstein der Orkney-Inseln bestimmt die Erscheinung der Bestandsbauten. 3 Der Eingang zum Arts Centre befindet sich hafenabgewandt in einem weißen Gebäude in der Victoria Street. 4 Die Hafenseite der Galerie 3

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5–7 Wie eine Laterne erhellt das neue Ausstellungsgebäude bei Dunkelheit die Umgebung. Die Lamellenstruktur des Dachs unterstreicht die transparente Leichtigkeit des Baukörpers. 8 Konzeptskizze der Architekten 9 Zinkblech in der blauen Stunde: Detail der Fassade an der Hafenseite

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Alt & Neu

Addition

Drei Häuser für die Kunst

Ragna Róbertsdóttir, eine islänFür die Menschen aus dem Süden dische Künstlerin, die KunstwerGroßbritanniens liegt Stromness ke aus Vulkangestein herstellt, hoch im Norden – vom Gefühl inspirierte die Architekten an der her schon eher in Skandinavien Seeseite zu einer Fassade, die als in Schottland. Die Architeksich je nach Standpunkt des Beten Reiach and Hall verstehen Umbau und erweiterung des Kunstzentrums trachters verändert. Der Erweiihre Arbeit als Reflexion auf die auf den schottischen orkney-Inseln terungsbau entspricht in seiner Tradition der skandinavischen Reiach and Hall Architects, Edinburgh Grundkontur dem früheren GeModerne. Eine Architektur, gebäude, die Lamellenabstände im prägt von Einfachheit, Leichtiggläsernen Giebel orientieren sich keit und Klarheit ist das Ziel. an den Sparren seines Dachs. An Stromness, zweitgrößte Stadt seiner Giebelfront wirkt das Gedes Archipels und Fährhafen bäude solide, doch mit jedem von Orkney, zeichnet sich durch eine einzigartige Uferbebauung mit steinernen Piers, alten Lager- Schritt des Betrachters löst sich die Geschlossenheit auf. Seitlich und Handelshäusern aus, die die zerklüftete, windige Seeseite des tritt der Neubau gegenüber den ursprünglichen Kaigebäuden wieOrtes prägen. Das Pier Arts Centre ( PAC ) besetzt einen zentralen der etwas in den Hintergrund, denn diese haben massivere Formen. Punkt innerhalb dieses steinernen Saums und befindet sich unmit- Das neue Haus signalisiert Festigkeit und Kraft, hebt sich in seiner telbar neben dem Hafen von Stromness. Im Pier Arts Centre ist eine Leichtigkeit und Durchlässigkeit jedoch wohltuend von den steinerder bedeutendsten Sammlungen britischer Kunst des 20. Jahrhun- nen, „ harten “ Wandungen der Nachbarbauten ab. derts untergebracht. Die Dauerausstellung wird regelmäßig durch Wechselausstellun- Längsschnitt durch das Ensemble Projektdaten Bauherr Pier Arts Centre, gen ergänzt. Stromness 2005 bis 2007 wurde das 1979 in zwei denkBaukosten 2,8 Mio. GBP malgeschützten historischen Gebäuden Nutzfläche gesamt 658 m² direkt an der Kaimauer eröffnete KunstBGF 1.023 m² Fertigstellung Ende 2007 zentrum von Reiach and Hall Architects Architektur / Projektleitung Neil umgebaut, saniert und um einen Trakt erGillespie, David Anderson weitert. Das Ensemble setzt sich aus drei Standort Victoria Street, Stromness, Baukörpern zusammen : ein zur Victoria KW16 3AA Orkney, UK 10 m Street auf der Landseite hin orientiertes Erbauungsjahr 1820 Gebäude sowie zwei parallele, längliche 1000 2010 Baukörper, die von der Straße im rechten Umbau 2007 Winkel Richtung Meer weisen – ein sanier- Grundriss Erdgeschoss ter Hafenspeicher und der schwarze Neu2000 2010 bau, der in moderner Form die spitzgieblige Baukosten M2-Preis Form der umgebenden Speicher aufnimmt. ca. 3,4 Mio. € 5.167 € / m2 In dem straßenseitigen, weiß getünchten 15.000 Gebäude befinden sich der Eingangsbe10.000 reich, die Verwaltung, eine Bibliothek sowie 5.000 ein Künstleratelier. Das historische KaigeE D A E bäude beherbergt die ständige Sammlung, 0 C F während die Wechselausstellungen in dem neu errichteten Haus untergebracht sind. G G G Wie die sanierten Bestandsbauten wird der von Reiach and Hall gestaltete Neubau Teil der urbanen Topografie, doch verfremdet seine schwarze Hülle die scheinbar vertraute Form und hebt sie H B subtil vom historischen Umfeld ab. Anders als bei den steinernen Hafenspeichern changiert diese Außenhülle zwischen fester Begrenzung und Durchsichtigkeit : Schwarz gefärbte Zinklamellen 10 m wechseln ab mit durchsichtigen Glaselementen, wie eine Laterne strahlt der erleuchtete Innenraum bei Nacht zwischen den Holmen der Hülle hindurch. A Eingang / Buchladen B Verwaltung C Langer

Situation am Pier vor Errichtung des Neubau

Galeriekorridor

D Werkstatt

und Seminarbereich E Ausstellungsräume

F Durchgang G Ständige

Sammlung

H Skulptur

Das an der Victoria Street gelegene Gebäude bildet das Gegenstück zum schwarzen Haus : Hier ist alles weiß. Die einladende, freundliche Wirkung seiner weißen Wände stimmt vertraut ; doch bei näherer Betrachtung hat auch dieses Haus etwas Fremdartiges : Grau- und Brauntöne bestimmen die Stadtlandschaft von Stromness. Vor dieser Kulisse wirkt das leuchtend weiße Haupthaus des Pier Arts Centre nicht weniger fremd als sein schwarzes Pendant. Die Innenräume der Galerie sind weiß verputzt, im Giebel und an der Seeseite durchbrochen von Glasflächen. Weitläufige, stille Ausstellungsräume lassen die Kunstwerke wirken ; nördlich weiches Licht sickert in die Räume und stellt eine Beziehung zwischen dem Besucher und der umgebenden Landschaft her. FPJ

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10 Aus der Galerie geht der Blick direkt auf den Hafen und die Fischerboote von Stromness. 11, 12 Im Inneren der Galerie

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Cafeteria in der  zeughausruine

Kassel ( De ) Ruine — S. 38, 42 Neu Gastronomie — S. 92, 136, 156, 168 Alt



Hochbauamt Kassel Hans-Joachim Neukäter

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2 | 3

1, 4 Die

Architekten fügten die Cafeteria als dematerialisierten Glaskörper in das 500 Jahre alte Gemäuer ein, die Mauern des Zeughauses verstehen sie als seine eigentlichen Wände. 2 Zustand der Ruine in den 1960erJahren 3 1972 wurden zwei Drittel des Zeughauses zugunsten eines Schulneubaus abgerissen. 5 Die verbliebene Südwestecke der Zeughausruine, Ansicht von der Artilleriestraße 4

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Alt & Neu

Addition

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8 6–9 Die Cafeteria ist als freistehender Baukörper ins alte Zeughaus eingefügt, jedoch räumlich eng mit dem Bestand verknüpft. Der Zugang zum Innenhof erfolgt über eine kleine Terrasse.

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Alt & Neu

Cafeteria in der zeughausruine

Vom Hindernis zum Bindeglied

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die Max-Eyth-Schule, wurden Aus heutiger Sicht ist es erschrezwei Drittel des langrechteckickend, mit welcher Selbstvergen Baus abgerissen. Nach Ferständlichkeit die Stadt Kassel tigstellung der beiden Schulen 1972 daran ging, die Außenmauschlossen von zwei Seiten vierern ihres im Krieg beschädigten geschossige Klassenraumtrakte historischen Zeughauses abzuNeubau einer cafeteria an die verbliebene Eckpartie der reißen : Auf den Fotos von 1972 in der kasseler zeughausruine Ruine an. „ Wahrscheinlich hätsieht man, wie ein Bagger die meHochbauamt der Stadt Kassel, te man gerne die gesamte Ruine terdicken Mauern einreißt, und Prof. Hans-Joachim Neukäter abgebrochen “, kommentiert Artraut seinen Augen kaum, zuchitekt Hans-Joachim Neukäter rückversetzt in eine Ära, als der rückblickend die Entscheidung, Abriss eines Renaissancebaus ein Reststück zu erhalten. „ Einoch an der Tagesordnung war. gentlich störte die Ruine jetzt Am 1. März 1582 legte Landgraf Wilhelm IV. die vier Ecksteine des Zeughauses, in dem das städ- noch mehr. Sie stand der Verbindung der beiden Flügel im Wege ! “ tische Waffenarsenal untergebracht war. „ Im Grundriss will das Allerdings hatte sich das Bewusstsein für das bauliche Erbe Haus, dessen ansehnliche Abmessungen in den älteren Beschrei- gewandelt. 1991 gründeten Kasseler einen Verein mit dem Ziel, bungen hervorgehoben werden, ein Rechteck von 96.80 m Länge die Ruine zu erhalten und neu zu nutzen. Vereinsmitglieder befreiten das verwilderte Innere von Schutt und finanzierten mit und 21.80 m Breite sein “, heißt es in einer historischen Quelle. Spendengeldern die Sanierung der Außenmauern. Um eine dauerhafte Nutzung des Projektdaten Längsschnitt durch Zeughaus und Cafeteria Rechts die Geschosse der Berufsschule Gebäudes zu erreichen, legte Hans-Joa- Bauherr Magistrat der Stadt Kassel 1,14 Mio. Euro chim Neukäter, Leiter des Hochbauamtes, Baukosten Nutzfläche 257 m² einen Entwurf vor, der einhellige Zustim- BGF 305 m² mung fand und schließlich verwirklicht Besonderheit Der Neubau ist rundum wurde : In die Ruine sollte die Cafeteria verglast, der Rohbau entspricht 80 % realisierten Gebäudevolumens. integriert werden, die den Schulen bisher des Fertigstellung 12 / 2008 fehlte. Der neu geschaffene Raum steht Projektleitung / Mitarbeit Claus den Berufsschülern ebenso zur Verfügung Wienecke, Margitta Heidenreich Standort Artilleriestraße / Ecke wie öffentlichen Veranstaltungen. Der Architekt beschreibt sein Konzept wie Zeughausstraße, D–34125 Kassel folgt : „ Innen und Außen entsprechen Alt Erbauungsjahr 1582 und Neu. Außen fest, innen zerbrechlich. 1000 2010 Damit war die Idee geboren, einen Glas- Umbau 2008 10 m körper in die Ruine zu integrieren, der den 2010 Raum nicht einschränkt oder verkleinert, 2000 nicht in Konkurrenz tritt zu dem imposan- Baukosten M2-Preis Grundriss und Nutzungsbereiche der Cafeteria 4.436 € / m2 ten Erscheinungsbild der noch vorhande- 1,14 Mio. € 15.000 nen Umfassungswände. Drei horizontale Scheiben prägen das Entwurfskonzept : Die 10.000 einen halben Meter oberhalb des einstigen 5.000 I Fußbodens gelegene Ebene 1 der Cafeteria G ( EG ), die darauf folgende, zurückgestaffel0 te Galerieebene und die Dachplatte. Ebene H 1 und Galerieebene verbinden die beiden Klassenraumflügel, gleiG chen ihren Höhenversatz aus und werden lediglich von einer transparenten Glas- / Stahlkonstruktion umhüllt. “ Neukäter entschied E F sich bewusst für eine Galerie und gegen ein zweites Vollgeschoss, damit der eingestellte Neubau so leicht wie möglich bleibt und von nahezu jedem Punkt den Blick auf das Feldsteinmauerwerk B C D der Außenmauern erlaubt – die er als eigentliche Hülle des Gebäudes versteht. Die thermische Hülle faltete der Architekt an der Oberseite des Gebäudes nach innen, wiederum mit dem Ziel, einen möglichst ungehinderten Blick auf die Außenmauern zu erlauben. A Die wenigen direkten Berührungspunkte zwischen Gemäuer und 10 m Neubau detaillierte man sorgfältig. Der unbebaute Teil der Ruine ist über die Terrasse der Cafeteria nun wieder begehbar. Konstruktiv ruht die Bodenplatte des Gebäudes auf einem BalA Gebäude West D Terrasse G Technik kenrost, getragen von Bohrpfählen. Der historische Fußboden B Lager E Küche H Technik Elektro C Cafeteria F Zeughausruine I Gebäude Süd aus großformatigen, 15 Zentimeter dicken Sandsteinplatten liegt 60 Zentimeter unter dem Terrazzoboden des Neubaus, dem heuIm Zweiten Weltkrieg war Kassel das Ziel alliierter Luftangriffe ; bei tigen Erdgeschoss, und blieb unangetastet. Eine integrierte Fußeinem Bombardement im Jahr 1943 brannte das Zeughaus aus, nur bodenheizung erübrigt weitere Heizkörper. Die Zahl der Stützen, seine Außenmauern blieben erhalten. In den folgenden Jahrzehn- die die Stahlbetonplatten für Galerie und Dachdecke tragen, wurten verfiel und verwilderte der Gebäudetorso. Neben Plänen, das de auf ein Minimum reduziert. Den Abschluss nach außen bildet wieder aufgebaute Haus zum Sitz des Kasseler Heimatmuseums zu eine Dreifachverglasung, getragen von einer filigran profilierten machen, dachte man zeitweilig darüber nach, es als Hochgarage zu Pfosten-Riegel-Konstruktion. Cafeteria und Ruine ergänzen einander unter Beibehaltung ihrer nutzen. Letztlich aber wurde keiner der Pläne weiterverfolgt. Anfang der 1970er-Jahre plante die Stadt auf dem Gelände des jeweils eigenen Identität. So sah es auch die Denkmalpflege, die Zeughauses die Errichtung zweier Berufsschulen. Für die eine, das Entwurfskonzept uneingeschränkt mitgetragen hat. FPJ

1

museum kunst  ¨ ste  der WestkU Alkersum / fÖhr ( de ) Alt Brache — S. 88 Wohngebäude — S. 22, 42, 46, 50, 62, 84, 132 Neu Museum — S. 38, 42, 68, 161, 178

Sunder-Plassmann Architekten

Museum Kunst der WEstküste

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1  Großer Ausstellungssaal in der rekonstruierten Scheune ; das Licht kommt aus dem „ aufgeschlitzten “ Dachfirst, wo sich natürliches Licht und Kunstlicht mischen. 2 Blickbeziehung zwischen den drei Ausstellungssälen

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Alt & Neu

Addition

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Im Inneren von Grethjens Gasthof: Orientiert am historischen Vorbild interpretierten die Architekten das im vergangenen Jahrhundert abgerissene Gebäude neu. 6 Blick von der Galerie in den Saal 3–5

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Alt & Neu

Museum Kunst der WEstküste

Neue Mitte für das dorf

der Museumsgarten sowie die Streng genommen gehört das Ausstellungsfläche, verteilt auf Museum Kunst der Westküste sechs große und kleine Saalgar nicht in ein Buch über das bauten. Die größte der Hallen Bauen im Bestand, denn das zitiert Kubatur und MaterialiEnsemble ist, von zwei Nebentät alter friesischer Scheunen. gebäuden abgesehen, ein reiner ARchitektonische Rekonstruktion Dieses als dörfliche Struktur arNeubau. Löst man sich von der im dörflichen kontext rangierte Ensemble stellt zukonventionellen Unterscheidung Sunder-Plassmann Architekten, Kappeln gleich die durch Abrisse in den zwischen Bestand und Neubau, 1970er-Jahren verloren geganso zeigt sich dieses Museum auf gene Ortsmitte wieder her. der nordfriesischen Insel Föhr In den Ausstellungssälen reallerdings als besonders interalisierten die Architekten eiessantes Beispiel des Wechselne Kombination von Tages- und spiels von Alt und Neu : Das Alte, an das angeknüpft wird, ist hier kein physisches Gebäude, sondern Kunstlicht. In der „ Scheune “, der großen, das Ensemble an seiner Ostvielmehr die Vorgeschichte des Bauplatzes im Mittelpunkt des Dor- seite begrenzenden Ausstellungshalle, tritt das Tageslicht durch den fes Alkersum, auf die noch zu kommen sein wird. Der Bestand ist an seiner Spitze „ aufgeschlitzten “ Dachfirst ein. An der Innenseite also in erster Linie ideell, und das macht das Museum zur vielleicht des Firsts sind zudem Strahler angebracht, sodass sich Tages- und interessantesten aktuellen Position zum Kunstlicht mischen und es – wie auch in den beiden anschließenden Sälen – nur eine Quelle gibt, aus der das Licht kommt. Thema architektonische Rekonstruktion. Projektdaten Bauherr Gemeinde Alkersum / Föhr Die beiden Hauptbauten, die das Ensemble Die Architekturkritikerin Ulrike Kunkel sieht das Museum als Gratund Nesos GmbH, Frederik Paulsen, zur Straße begrenzen, sind Rekonstruktio- wanderung zwischen schöpferischer Rekonstruktion und moderner Alkersum nen von früher an dieser Stelle vorhande- Architektursprache und kommt zu dem Schluss, dass „ im dörflichen Baukosten 13,2 Mio. Euro nen Gebäuden : Der erste Ausstellungssaal Zusammenhang sogar eine z. T. historisierende Architektursprache Nutzfläche ca. 5.600 m² BRI 10.304 m3 in Gestalt einer ortstypischen Reetdach- die angemessene sein kann“ . FPJ BGF 1.950 m2 scheune steht an der Stelle einer solchen, Fertigstellung 7 / 2009 hier bis 1968 vorhandenen Scheune. Der Querschnitt durch die Ausstellungssäle, links die Scheune Projektleitung Gregor Eingang zum Museum befindet sich in eiSunder-Plassmann Bauleitung Thomas Paulsen, nem schmalen Durchgang, gefasst von den Wyk / Föhr geschlämmten Ziegelwänden der Scheune Standort Hauptstraße 1, und dem strahlend weiß getünchten GastD–25938 Alkersum / Föhr hof. Als Besucher reibt man sich schon ein Umbau 2008 wenig die Augen, denn auch dieses Ge2000 2010 bäude, aus der Ferne eben ein hübscher alter Gasthof mit ebenso alten Linden vor Baukosten M2-Preis 13,2 Mio. € 2.357 € / m2 der Tür, ist ein Neubau. Es handelt sich um 15.000 die Rekonstruktion von „ Grethjens Gast10 m hof “, einem Haus, das um 1900 Treffpunkt 10.000 der an der friesischen Westküste tätigen 5.000 Künstler war. Das Museumsensemble im Dorfkern von Alkersum Der Vater des Museumsstifters Frederik 0 Paulsen stammte aus Alkersum. Mit der Gründung des Museums macht der Pharma-Unternehmer seine umfangreiche Sammlung öffentlich zugänglich. Jahrzehntelang sammelte er Bilder von Meer und Küste, entstanden an der Nordseeküste zwischen Holland und Norwegen. Neben maritimen Sujets auch namhafter Künstler wie Max Liebermann, Edvard Munch und Emil Nolde galt sein besonderes Interesse den sogenannten „ Westküstenmalern “, einer Gruppe um den Maler Otto H. Engel, die um die Jahrhundertwende unter anderem auf Föhr tätig war. Ihr wichtigster Treffpunkt war besagter Gasthof. Der Bauherr wünschte sich ein Museum, das sich in den Kontext des 400-Seelen-Dorfes einfügt, den Standards internationaler Museen entspricht und zugleich als Treffpunkt von Besuchern und Einheimischen dienen kann. Dieses Bündel fast konträrer Ansprüche rief geradezu nach Gregor und Brigitte Sunder-Plassmann aus dem schleswig-holsteinischen Kappeln. Der Architekt und die Kunsthistorikerin bewegen sich sicher in den Formen norddeutschen Bauens, haben in vielschichtigen Bauaufgaben einige Erfahrung vorzuweisen und in den vergangenen zwanzig Jahren fast zwei Dutzend Museen gebaut oder umgebaut. Dem eigentlichen Entwurf ging eine akribische Analyse der örtlichen Materialien, Gebäudevolumen und -typologien voran. Anstelle eines solitären, in sich geschlossenen Museumsbaus entwickelten die Architekten ein räumliches Arrangement von sieben Gebäuden, von denen zwei bereits bestanden. Um das einstige Zentrum der Westküstenmaler wieder erlebbar zu machen, rekonstruierten sie den zwischenzeitlich abgerissenen Gasthof auf dessen noch vorhandenen Grundmauern. 10 m Er dient heute als Museumsgaststätte und Veranstaltungsort. Hinter dem einladenden Gasthofsgebäude erstrecken sich weitläufig

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Addition

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Zugang zum Museumsgarten Natur im Spiegel : Gläserne Wände geben dem Museumsgarten die Illusion von Weite.

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Alt & Neu

Alt & Neu

10, 11 Kasse

und Museumsladen, Innen- und Außenansicht 12 Außenansicht des Ensembles: Zwischen der reetgedeckten Scheune und Grethjens Gasthof befindet sich der Eingang.

Museum Kunst der WEstküste

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Alt & Neu

Addition

¨ berdachung U Kleiner  Schlosshof dresden ( de ) Alt Ruine — S. 28, 42 NEU Museum — S. 32, 42, 68, 161, 178

Peter Kulka Architektur

Alt & Neu

Überdachung kleiner Schlosshof

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1, 2 Zwischen Renaissance und Barock : Die moderne Kuppel inmitten der Dachlandschaft des wieder aufgebauten Dresdner Residenzschlosses, Ansicht von der Zwingerseite 3 Axonometrie der Kuppel und ihrer Anbindung an das bestehende Dach 4 [ S. 40 ] Der kleine Schlosshof mit seinem neuen Dach

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3

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Alt & Neu

Überdachung kleiner Schlosshof

Luftige Konstruktion

Grundlage für eine millimetergeSeit dem Jahre 1547 war das naue Montage CAD-unterstützt Dresdner Schloss die Residenz geplant. Mit dem Ziel, aufwender sächsischen Könige. Bei der dige Verstärkungsmaßnahmen Zerstörung Dresdens durch alliam Bestand zu vermeiden, waierte Bomber am 13. Februar 1945 ren neben einem möglichst gebrannte auch das Schloss bis auf Kuppel über dem innenhof ringen Eigengewicht vor allem seine Grundmauern nieder. Bedes dresdner residenzschlosses die horizontalen Auflagerkräfte reits 1986 begonnen, kam die Peter Kulka Architektur, der Kuppel zu reduzieren. äußere Wiederherstellung des Dresden Die Rautenzwischenräume der Dresdner Schlosses 2006 zum 1.400  Quadratmeter großen Abschluss. Schon zuvor hatte Kuppel deckten Monteure mit die Sächsische Staatsregierung Bergsteigererfahrung mit 265 beschlossen, das wiederaufgepneumatischen Kissen. Diese baute Schloss für die Museen bestehen aus einem transparenten, sehr leichten und witterungsder Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zu nutzen. Pro Tag besuchen einige tausend Gäste die Staatlichen Kunst- beständigen Kunststoff ( ETFE-Folie ), der unter Extrembedingunsammlungen. Die wachsende Besucherzahl warf die Frage auf, wo gen in der Wüste von Arizona getestet wurde. Die Kissen werden die flankierende Infrastruktur des Museums mit 800 Pascal ständig unter Druck gehalten. Ihre Luftversorgung wie Foyer, Kassen und Informationseinrich- erfolgt direkt durch den Hohlraum der tragenden Stahlprofile, einem Projektdaten Bauherr Freistaat Sachsen tungen am zweckmäßigsten untergebracht quadratischen Hohlprofil mit einem Querschnitt von 18 x 18 ZenBaukosten 7,5 Mio. Euro werden könnten. Eine Untersuchung ver- timeter. Dadurch konnte auf ein zusätzliches Leitungssystem zur Nutzfläche 615 m² ( Grundfläche schiedener Varianten ergab, dass der zen- Luftversorgung verzichtet werden. Kleiner Schlosshof ) tral gelegene Kleine Schlosshof hierfür am Grundfläche Kuppel ca. 1.250 m² Hüllfläche Foliendach ca. 1.400 m² besten geeignet war. Für seine ÜberdaFertigstellung 1 / 2009 chung galt es eine Konstruktion zu finden, Projektleitung Peter Kulka, die es ermöglicht, die Hoffassaden mit ihPhilipp Stamborski ren Ziergiebeln, Türmchen und unterschiedMitarbeit Christoph Goeke, Egbert Heller, Thorsten Mildner lichen Gesimshöhen weiterhin in ihrer Gänze Standort Schlossstraße, zu erleben. Ein schwieriges Unterfangen : D–01067 Dresden Verschiedene Varianten, insbesondere Erbauungsjahr 1547 Glaskuppeln, wurden geprüft. Alle geprüften Optionen hätten jedoch entweder eine 1000 2010 statische Verstärkung des eben erst ferUmbau 2009 tiggestellten Bestands erfordert oder die 2000 2010 Raumwirkung des Renaissancehofs erhebBaukosten M2-Preis lich beeinträchtigt. Um den Blick auf dessen 2 7,5 Mio. € 12.195 € / m vielgliedrige Architektur nicht zu verstellen, 15.000 war also eine Konstruktion gefragt, die erst Die pneumatischen Kunststoffkissen aus der Nähe im Bereich des Dachfirsts ansetzt. Für diese ungewöhnliche Bedachungslösung und gegen eine Stahl10.000 Nach mehrjähriger Diskussion entschied man Glas-Konstruktion sprachen mehrere Gründe : Die Folienkissen mi5.000 sich für den Vorschlag des Architekturbüros nimieren das Gewicht der Konstruktion – direkt durch ihr geringes 0 Peter Kulka, den Schlosshof mit einer frei- Eigengewicht und indirekt, da auch die stählerne Tragstruktur mit tragenden Stabwerkskuppel zu überspan- ungleich filigraneren Querschnitten auskommt. Erst dadurch wird nen. Die 84 Tonnen schwere Dachkuppel aus Stahl wird gebildet aus die Gründung der Konstruktion auf Dachhöhe möglich. In den Diaeiner Stabgitterschale mit Schalentragwirkung, die auf der Ausbil- gonalachsen des Dachs beträgt die Rautengröße 4,1 auf 2,8 Meter dung biegesteifer Knoten beruht. Die Kuppel ist in Quer- und Längs- – wodurch der Hof ein Maximum an Tageslicht erhält und die urrichtung gekrümmt und erlaubt es, den 615 Quadratmeter großen sprüngliche Wirkung des Außenraums bewahrt wird. Für ihre eleHof freitragend zu überdachen. Sie überspannt im Maximum 45 Me- gant gewölbte Dachschale wählten die Architekten die Raute als ter und misst vom umlaufenden Fachwerkträger ihres Sockels bis ein in der Renaissancearchitektur verwurzeltes Motiv. Die zweizu ihrem Scheitelpunkt 8,35 Meter. Diese kissenförmige, trotz ihrer fache Krümmung der Kuppel hätte bei einer Ausführung in Glas Einfachheit anmutige Form bewährt sich als zeitgenössisches Ele- zwangsläufig bedeutet, jede Raute in zwei Dreiecke zu teilen. Komment in der Silhouette des Dresdner Zentrums. Ihre Geometrie wur- plizierte Schnittstellen und ein fragwürdiges Erscheinungsbild wäde in einem dreidimensionalen Computermodell entwickelt und als ren die Konsequenz gewesen. FPJ Schnitt durch das Schloss, im Zentrum der große, rechts der kleine Schlosshof

10 m

Konstruktiver Anschluss der Kuppel an das Schlossdach

1m

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Addition

Alt & Neu

cultuurcluster Enschede    SeARCH Enschede ( NL ) Alt Ruine — S. 28, 38 NEU Wohngebäude — S. 22, 32, 46, 50, 62, 84, 132 Museum — S. 32, 38, 68, 161, 178

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Bei Tag wie bei Nacht ein Blickfang : Der neue, sechsgeschossige Turm auf dem Fabrikgelände – das glitzernde Metallnetz seiner Außenhülle ist so leicht und feinmaschig, dass es sich im Wind bauscht.

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4 Die Silhouette des wieder aufgebauten Viertels 5 Sechs kubistisch geformte, dreigeschossige Reihenhäuser sind neu entstanden. 6, 7 Blick in die Sammlung des Regionalmuseums Twentse Welle

Alt & Neu

Cultuurcluster enschede

Phönix im Kettenhemd

Am 13. Mai 2000 geriet im nieschallisolierenden Spritzputz derländischen Enschede eine zwischen den Oberlichtern. Hier Feuerwerksfabrik in Brand. Die war viel Platz für die regionalExplosion von mehreren Tonnen geschichtliche Sammlung, die Schwarzpulver forderte 22 Tovon ausgestopften Wölfen über desopfer, hunderte Menschen Nachbauten von Steinzeit-BeUmbau einer alten Textilfabrik zum wurden verletzt. Fast der gehausungen bis hin zu DampfKulturzentrum samten Stadtteil Roombeek maschinen reicht. SeARCH, Amsterdam wurde zerstört. Neben zahlreiEine knallrot lackierte stählerAnneke Bokern chen Wohnhäusern fielen dem ne Brücke zwischen Lagerhaus Unglück auch einige Indusund Turm führt die Besucher zutriedenkmäler aus der Blütezeit rück zum Ausgang. Am nördlider alten Textilstadt zum Opfer. chen Ende des Geländes blieb Nur die Rozendaal-Fabrik kam ein Magazingebäude erhalten, glimpflich davon. Die 1907 im Zentrum von Roombeek errichtete in das jetzt ein Kunstzentrum eingezogen ist. Der Bau steht eiTextilfabrik galt bauhistorisch eher als zweitrangig und war ei- gentlich auf Stelzen. Um zusätzlichen Raum zu gewinnen, schlosgentlich zum Abriss vorgesehen. Da sie aber als eines der we- sen die Architekten die Zwischenräume mit Glaswänden. Der dritte nigen Gebäude aus der industriellen Blüte nahezu unzerstört geblieben war, wurde Grundriss der Reihenhäuser (1. Obergeschoss) Projektdaten Bauherr Gemeinde Enschede, DMO sie nun erhaltenswert. Baukosten 22 Mio. Euro Mittlerweile ist der Umbau der Fabrik zum Nutzfläche 15.000 m2 „ Cultuurcluster  “ mit Museum, KunstzentFertigstellung 3 / 2008 rum, Ateliers, Wohnungen und Café abgeProjektleitung / Mitarbeit Bjarne Mastenbroek, Uda Visser, schlossen. Der „ Cluster “ liegt im Zentrum Remco Wieringa, Ton Gilissen, des wieder aufgebauten Stadtteils RoomThomas van Schaick, Ad Bogerman, beek. Allzu sensibel sind die Architekten Wesley Lanckriet, Guus Peters, vom Amsterdamer Büro SeARCH mit der Alan Lam, Alexandra Schmitz, Fabian Wallmüller, Mónica Carriço, Substanz nicht umgegangen : Wie im städNolly Vos met Frisly Colop, tebaulichen Masterplan vorgesehen, ließen Michael Drobnik, Noëmi Vos, sie sämtliche Gebäude auf der Westseite Bert van Diepen Standort Roomweg / Stroinksbleekweg, des keilförmigen Geländes bis auf die UmNL–7523 XG Enschede fassungsmauer abreißen und ersetzten sie durch fast skulptural wirkende Neubauten. Erbauungsjahr 1907 Das ehemals geschlossene Fabrikareal wird 1000 2010 10 m nun von einem Fußgängerweg durchquert. Umbau 2008 An diesem Weg steht ein neuer, sechsgeschossiger Turm mit umlaufenden Fenster- Massendarstellung der neuen Nutzungsstruktur 2000 2010 bändern und einer frei im Wind schwingenden Baukosten M2-Preis Metallnetz-Fassade, die mit ihrer texti22 Mio. € 1.467 € / m2 A A C len Ästhetik auf die Geschichte der Fab 15.000 A rik anspielt. Der Turm ist Wahrzeichen und C 10.000 D Orientierungspunkt des Kulturclusters, beD 5.000 D herbergt aber vor allem die Büros und das A A Foyer des Museums Twentse Welle, das drei 0 B B bestehende Sammlungen zu Textilgeschichte, Heimatkunde und Naturkunde nun unter einem Dach vereint. Wechselausstellungen finden im Erdgeschoss eines schlangenA Museum B Halle für Wechselförmigen Neubaus statt, der direkt an das Foyer anschließt und in ausstellungen dessen zwei Obergeschossen Atelierwohnungen liegen. Die naturC Ateliers und heimatkundliche Sammlung ist in einem 110 Meter langen alD Wohnhäuser ten Lagerhaus mit Sheddächern untergebracht. Auf der Ostseite des Geländes gelegen, erreicht man es nur durch einen Tunnel, der erhaltene Altbau ist eine frühere Fabrikantenvilla am Südende des den Fußgängerweg unterquert. Komplexes, in der sich nun Ateliers befinden. Dazwischen reihen Im Lagerhaus kontrastieren stählerne Schiebetore und schrun- sich hinter der alten Fabrikmauer neue Wohnhäuschen – die man dige Backsteinmauern mit den neue Glasvitrinen und dem hinter dieser Wand nicht erwartet hätte. Wie der gesamte Komplex gleicht diese Mauer einem Flickenteppich : Im Laufe der Zeit wurden immer wieder Fensteröffnungen eingefügt oder geschlossen, zusätzliche Ladeluken geschaffen oder Löcher mit einer neuen Backsteinsorte gestopft. Diese lebendige, patchworkartige Textur bildet mit ihrer Patina einen effektvollen Kontrast zu den neuen Wohnhäusern. Das Achsmaß der Häuser passte man in das Stützenraster der Fabrikmauer ein. Während die Häuser auf der Mauerseite wie konventionelle Reihenhäuser erscheinen, sind ihre zur Binnenstraße weisenden Rückseiten als individuelle, organisch geformte Volumen gestaltet. Aus dieser skulpturalen Verformung resultieren drei spitz zulaufende, in den Außenraum tretende Nischen, die mit farbigen Kacheln verkleidet wurden. So durchgreifend die Veränderungen auf dem Fabrikgelände auch waren, entsteht am Ende doch ein stimmiges Ganzes, das durch seine historischen Überbleibsel Charisma ins Neubauviertel bringt. Nach der Explosion : Das von Trümmern beräumte Fabrikgelände

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Alt & Neu

Addition

neo leo Wohnen vertikal    Köln ( de ) Wohngebäude — S. 22, 32, 42, 50, 62, 84, 132

Lüderwaldt Verhoff Architekten

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Alt & Neu

neo leo Wohnen vertikal

Das vertikale WohnmÖbel

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Weg entschlossen : Der fast 11 Die Bauherren sind Eigentümer Meter hohe Treppenturm wureines gründerzeitlichen Mietsde in einer Werkstatt vorgeferhauses in Köln-Ehrenfeld, destigt und sollte dann mit Hilfe sen zweite Etage sie seit vielen von zwei Kränen in einem Stück Jahren bewohnen. Die 80 Quadurch das geöffnete Dach gehodratmeter große Wohnung war Treppenhauseinbau in Köln ben werden. für eine Familie mit zwei Kindern Lüderwaldt Verhoff Architekten, Köln Nach Abschluss der Planung schon lange etwas eng, und als sendeten die Architekten die der Mieter im dritten Stock ausvon einem Holzbaukonstrukteur zog, ergab sich die Gelegenheit, überarbeiten CAD-Pläne an die die Wohnfläche zu erweitern – Schweizer Firma, die man mit unter Einbeziehung von drittem dem Zuschneiden der Platten Stock und Dachgeschoss. Ein und aller Einzelteile beauftragt Deckendurchbruch war möglich, die Bauherren sprachen sich jedoch gegen eine Wendeltreppe aus. hatte. Die fertigen Bauteile wurden an einen Kölner ZimmereibeIm Gespräch mit den Architekten entstand die Idee, eine „ richti- trieb geliefert und dort vollständig zusammengesetzt – wobei sich ge “ Treppe nachträglich ins Gebäude einzufügen. Diese innerhalb herausstellte, dass die Schweizer Kollegen überaus präzise Vordes kleinen Grundrisses und ohne statische Komplikationen zu arbeit geleistet hatten. In dieser Phase erfolgte auch die Oberflächenbehandlung des Holzes mit farblosem Öl. Der Hohlraum des Treppenauges wurde Projektdaten Schnitt und Etagengrundrisse links vor, rechts nach dem Umbau mit einer orangeroten Lasur gestrichen, die Bauherr Privat 0,2 Mio. Euro netto ihre Wirkung vor allem in beleuchteten Zu- Baukosten ( Umbau gesamt ) stand entfaltet. Die in die seitlichen Holz- Nutzfläche 165 m2 tafeln eingestemmten Stufen und Podeste BGF 569 m2 Gesamtsanierung, belegte man mit grünem Linoleum. Zur Ge- 210 m2 Umbau 2.420 m3 Gesamtsanierung, wichtsersparnis und als gliedernde Akzen- BRI 930 m3 Umbau te wurden kreisrunde Öffnungen in das Holz Besonderheit Den Korpus des in das geschnitten, die als Grifflöcher gleichzeitig Gebäude eingefügten Treppenhauses bilden am Stück verarbeitete, 11 m die Handläufe ersetzen. Kerto Q-Platten ; Holzbaupreis In dem freigelegten Schacht befinden sich hohe NRW 2006 ; Kölner Architekturpreis an der Oberkante der zweiten Etage zwei 2006, Biennale-Beitrag 2006, neu eingezogene Stahlträger, auf denen das Deutscher Holzbaupreis 2007, Treppenhaus abgesetzt werden sollte. Kon- „ engere Wahl“  10 / 2005 struktiv gesehen hängt es frei, die unter dem Fertigstellung Planung und Bauleitung Dirk Treppensockel liegende Decke des ersten Lüderwaldt, Josef Verhoff Obergeschosses wird also nicht belastet. Standort Leostraße, Seitlich aufgeschraubte Knaggen stellen D–51145 Köln-Ehrenfeld den Übergang zu den Stahlträgern her. Das Erbauungsjahr 1903 Einheben war Millimeterarbeit, denn zu den 1000 2010 4. OG Seiten ließen die Architekten der „ Kiste “ nur je 1,5 Zentimeter Toleranz ; und doch saß die Umbau 2005 Treppe nach anderthalb Stunden am vorge- 2000 2010 sehenen Platz, das Dach konnte wieder ge- Baukosten M2-Preis schlossen werden. 0,2 Mio. € 1.212 € / m2 3. OG 15.000 Für die Architekten ist der hölzerne Körper mehr als nur Treppe – und deshalb geben sie 10.000 dem Treppengehäuse auf seinem Weg durch 5.000 drei Etagen eine Reihe zusätzlicher Funk2. OG tionen – es ist Raumteiler, Abstellkammer, 0 10 m Brüstung, Bücherregal –, zudem bildet es als orangerote Skulptur das gestalterische Kontinuum der drei Etagen realisieren, setzte ein möglichst geringes Gewicht und einen mi- und der um den neuen Kern angeordneten Funktionsbereiche. nimierten Flächenbedarf voraus. Eine freistehende Konstruktion „ So etwas würden wir gerne wieder einmal machen – leider hat erwies sich angesichts des schlechten Zustands der vorhandenen sich das passende Projekt für ein solches architektonisches MöDeckenkonstruktion und der vielfältigen räumlichen Anschlusssitu- bel seitdem nicht wieder ergeben“ , resümiert der Architekt Dirk ation als konstruktiv zu aufwendig und damit zu teuer. So kam die Lüderwaldt. FPJ Idee auf, die Treppe als überdimensionales Einbau-Möbel zu konstruieren. Die Architekten studierten Produkte und fanden die Lösung schließlich in Gestalt sogenannter Kerto-Platten ( Kerto Q ). Die sehr robusten, formstabilen und großflächigen Platten aus FurnierSchichtholz sind 56 Millimeter stark und bis zu 11 Meter lang. Unter Berücksichtigung der verfügbaren Fläche entwarfen die Architekten einen quadratischen, 10,5 Meter hohen Treppenturm mit einer Grundfläche von 2,40 auf 2,40 Meter. Die wie Möbel tischlermäßig verzapften und gedübelten Platten bilden eine eigenständige, selbst aussteifende Konstruktion. Aufgrund der geringen Stärke der äußeren Wandungen kann nahezu die gesamte Innenfläche als Treppe genutzt werden. Für eine Montage innerhalb des Hauses sind die Kerto-Platten jedoch viel zu sperrig – weshalb sich Bauherr und Architekten zu einem außergewöhnlichen, aber zweckmäßigen Vor dem Haus, über dem Haus, im Haus: Einheben des Treppenturms

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1 [ S. 46 ] Der entscheidende Moment : Das „ vertikale Wohnmöbel “ wird mit dem Kran durch das geöffnete Dach gehoben – und passt auf Anhieb. 2–4 Die neue Treppe ist auch Regal, Stauraum, Schrank, Leuchtkörper und Spielplatz.

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Am Fuß der Treppe in der zweiten Etage. Die Treppe hat die räumliche Beziehung zwischen den oberen drei Etagen grundlegend verändert.

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rose  am lend

Graz ( AT ) Wohngebäude — S. 22, 32, 42, 46, 62, 84, 132 Einzelhandel — S. 164

Innocad Architekten

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1 Blüten treten aus der Wand: Die seitliche Fassade der „ Rose “ mit ihrer zeitgenössischen Interpretation des Themas Stuck

Alt & Neu

rose am lend

Schwarze Blüten auf der wand

entwickelten Innocad ArchitekErrichtet im späten 18. Jahrhunten gemeinsam mit dem Putzdert ist das giebelständige, von hersteller ein Konzept, das an den Architekten „ Rose “ getaufdiesem Gebäude erstmals Ante Haus das älteste noch bestewendung fand : Zwischen dem hende Gebäude seines Viertels. schwarzen Putz und der darunDie „ Rose am Lend “ steht im ter liegenden Wärmedämmung Grazer Lendviertel, das in der fügte man eine Folie ein, die als jüngsten Vergangenheit einen Umbau und Ergänzung eines barocken Hauses Isolierungsschicht erwärmungsstarken Wandel erlebte : Galt es Innocad Architekten, Graz bedingte Risse im Putz wirmit seinen Bordellen und Bars SiMONE JUNG kungsvoll verhindern soll. Neben noch vor gut zehn Jahren als der glitzernden Oberfläche traeher zweifelhafte Gegend, ergen die plastisch hervortretenfuhr das Quartier seitdem eine den Rosenapplikationen zur spürbare Aufwertung, ausgelöst vor allem durch die Fertigstellung des extravaganten Kunsthauses Belebung der homogenen Fläche bei. Anders als bei einem traditionellen Fassadenornament erscheinen die versetzt und in untervon Peter Cook und Colin Fournier im Jahr 2003. Das kreative Umfeld, das sich im Gefolge des Museumsneubaus schiedlichen Größen aufgetragenen Rosen wie der Ausschnitt einer herausbildete, ließ das an die Altstadt angrenzende Viertel zu ei- fortlaufenden, sehr viel größeren Textur. Sie geben der Fassade nem beliebten und auch etwas hippen Stadtteil von Graz werden. eine räumliche Dimension. In sehr viel kleinerer Form tauchen die Doch noch ist die Bewohnerschaft bunt gemischt hinsichtlich Herkunft, Ausbildung Rückansicht und Querschnitt Projektdaten Bauherr Golden Nugget und Einkommen, die Gentrifizierung steht Bauträger GmbH erst am Anfang. Innocad Architekten lag Baukosten 980.000 Euro daran, mit ihrem Sanierungs- und UmbauBebaute Fläche 300 m² konzept für das alte Haus Verteuerung und Nutzfläche 790 m² BGF 1.085 m2 Verdrängung möglichst nicht selbst zu forFertigstellung 9 / 2008 cieren : Das Gebäude wurde von den ArchiProjektleitung Oliver Kupfner tekten gemeinsam mit Partnern erworben Standort Lendplatz 41, A–8020 Graz und mit Fördermitteln aus dem SanierungsErbauungsjahr 1780 programm des Landes Steiermark saniert 1000 2010 und erweitert. Die öffentliche Förderung 10 m und die Verteilung der Kosten auf eine EiUmbau 2009 gentümergemeinschaft mit elf Partnern erLängsansicht des Doppelgebäudes 2000 2010 laubt die erschwingliche Eigentumsbildung 2 Baukosten M -Preis beziehungsweise moderate Mieten bei den 2 0,98 Mio. € 1.240 € / m an Dritte vermieteten Einheiten. Die soziale 15.000 Durchmischung soll gewahrt bleiben. 10.000 Während der spätbarocke Altbestand saniert wurde, stockte man das vom Beginn 5.000 des 20. Jahrhunderts stammende Hofge0 bäude um eine Etage auf drei Geschosse auf. Diese höhere Baudichte sichert den wirtschaftlichen Erfolg des Umbaus, die insgesamt verbesserte Ausnutzung der Baufläche erhöht die Zahl der Wohneinheiten 10 m von fünf auf elf. Neben einer individuell mit den Wohnungseigen- Grundriss tümern abgestimmten Inneneinrichtung trägt die Begrünung des Innenhofs zur Aufwertung der Hofsituation bei. Das straßenseitige Erdgeschoss wird wie zuvor als Ladenlokal genutzt, allerdings machte der lange ansässige Schuhladen einem Design- und Möbelgeschäft Platz.

10 m

Die Rose und ihr rückwärtiger Anbau vor der Sanierung

Das Faszinierende am umgebauten Haus ist seine Fassade : Die Architekten versahen es mit einer schwarzen, mit glitzerndem Granulat versetzten Außenhaut, die je nach Licht mehr in Grau- oder in Schwarztönen schimmert. Da der auf das Wärmedämmverbundsystem ( WDVS ) aufgebrachte schwarze Putz bei zu starker sommerlicher Aufheizung Risse an der Fassade verursachen könnte,

Rosen an anderer Stelle wieder auf – etwa an den Geländern interner Treppen und an schmiedeeisernen Balkonbrüstungen. Jenseits dieser Details entschieden sich die Architekten für eine Ästhetik des größtmöglichen Kontrastes : Die einfarbige Hülle des Gebäudes hebt sich unübersehbar von der Heterogenität der umgebenden Stadtlandschaft ab. Mit dem Rosenmotiv wie auch dem für das Haus gewählten Namen nehmen die Architekten Bezug auf die Hl. Rosalia von Palermo, eine zuerst in Sizilien verehrte Heilige, die als goldene Statue auf dem Lendplatz steht und in Richtung des Hauses blickt. Zwischen den historischen Häusern links und rechts wirkt die Rose am Lend mit ihrer schwarzen Hülle unwirklich und doch vertraut, ein Exot in traditioneller Form, fremdartig und zugleich ein Ruhepunkt.

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Hofseite des Ensembles Die Straßenfassade der Rose 4 Die Fuge zwischen barockem Altbau und rückwärtigem Gebäude dient zugleich der Erschließung. 5, 6 Im aufgestockten Anbau entstanden großzügig geschnittene Apartments. 3

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¨ ber  Mit U raschungen rechnen 

Prozessmanagement beim Bauen im Bestand

Bauen im Bestand heißt Planen mit vielen Unbekannten und setzt die Bereitschaft voraus, sich auf Unvorhergesehenes einzulassen. Die Architekten von RKW Architektur + Städtebau konnten seit Beginn der 1980er-Jahre Erfahrungen bei der Revitalisierung bestehender Bauten sammeln. Drei Projekte – ein Schloss, ein Warenhaus und eine Schule – zeigen, wie sich Umbauprozesse erfolgreich gestalten lassen. Carsten Sauerbrei

Trotz intensiver Analyse und sorgfältiger Grundlagenermittlung lässt die erste Überraschung nicht lange auf sich warten : Die alte Tragkonstruktion stellt sich als labil heraus, eine Abdichtung als schadstoffbelastet oder das unbeachtete Kellergeschoss als schutzwürdiger Rest eines mittelalterlichen Gewölbekellers. Alle drei Fälle haben Konsequenzen für den weiteren Bauprozess. „ Planung in Fortschreibung “ nennt Johannes Ringel von RKW Architektur + Städtebau das Vorgehen, das seiner Meinung nach in diesen Fällen zum Erfolg

führt : Nicht starr an einmal getroffenen Entscheidungen festhalten, sondern sich flexibel auf eine veränderte Situation einlassen. Sind die Bauakten und Pläne zu einem Bestandsgebäude verfügbar, ist das außerordentlich hilfreich und kann langwierige Recherchen ersparen. Verlässliche Auskunft geben Pläne und Akten aus der Bauzeit aber nicht immer – oft weicht die tatsächlich ausgeführte Konstruktion von den Angaben in den Akten ab –, das betrifft Armierungen und die exakte Lage von Leitungen ebenso wie die

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Mit ÜBERRASCHUNGEN RECHNEN

Anwendung : Das Umbaukonzept sah den Turm als zentrale Erschließung vor. Dafür sollte eine zweiläufige Stahltreppe auf rechteckigem Grundriss in den Turm eingefügt werden. Beim Freilegen des historischen Mauerwerks tauchte jedoch eine Vielzahl schützenswerter Bauteile auf – etwa eine FachwerkSchloss Eller – wand aus dem Jahre 1823, gotische Planen nach Befund Fensterbögen oder mittelalterliche — Auflagersteine. Auf diese veränSchloss Eller, im Düsseldorfer Süden derte Situation musste die Planung gelegen, ist ein Zeugnis des frühen reagieren : Die Architekten verwarKlassizismus. 1826 wurde es, verfen schließlich die unflexible Stahlmutlich von dem Baumeister Adolph Carsten Sauerbrei konstruktion und entwickelten von Vagedes, inmitten eines Land— schaftsparks errichtet. Der Bau- Carsten Sauerbrei, Bachelor of Arts Architektur, stattdessen eine Stahlbetontreppe in Berlin geboren. Ab 1995 Studium Stadtin amorpher, frei gewölbmeister integrierte den Turm einer 1974 planung und Architektur in Berlin, Dresden ter Form, die sich an der Wasserburg aus dem 14.  Jahrhun- und Cottbus. 2000–2006 Architekturstudium an der FH Potsdam. Seit September 2007 MasWandseite kleinteilig an dert in das Gebäude. terstudium Architekturvermittlung an der BTU die ungleichmäßige BeDas Sanierungskonzept verfolgte Cottbus. Seit 2002 freiberufliche Tätigkeit als in Berlin und Potsdam. Seit standsstruktur anpasst. im Wesentlichen zwei Ziele : Einer- Architekturführer September 2009 als freier Architekturjournalist Deren Tragkonstruktion seits sollte das Gebäude für seine und Autor tätig. konnte nur an Stellen in künftige Nutzung als Ort für privadie Wand eingefügt werte Feiern, Firmenveranstaltungen oder Seminare hergerichtet und modernisiert wer- den, wo sie keine alte Substanz zerstörte. Für den. Andererseits ging es darum, Überfor- eines der oberen Treppenpodeste mussten die mungen zurückzunehmen und Schäden zu Architekten die Lastabtragung deshalb umreparieren, die 1970 entstanden waren, als kehren : Weil sich für das Auflager kein geeigdas Gebäude wenig pfleglich zu einer Mode- neter Anknüpfungspunkt im Bestand fand, schule umgebaut worden war. Dafür konnten führte man dieses Podest als hängende Kondie Architekten zwar auf die alten Baupläne struktion aus. zurückgreifen ; trotzdem trafen sie beim Ab- Aus Kostengründen wurde jedoch nicht in bruch der nachträglichen Einbauten immer allen Bereichen der historische Zustand vollwieder auf historische Substanz, die Anlass ständig wiederhergestellt. Den im oberen zu Planungsänderungen gab – und in keinem der Be- Turmgeschoss entdeckten, originalen Lehmputz des standspläne auftauchte. Drei grundsätzlich verschie- 17. Jahrhunderts dokumentierten die Planer nur. Andene Strategien des Umgangs mit der historischen schließend verkleidete man ihn mit einer schützenden Substanz wurden bei Schloss Eller verfolgt : die Doku- Schale aus Gipskartonplatten. mentation und Sicherung von historischer Substanz, Intensiv abgewägt wurde die Wiederherstellung des die jedoch anschließend hinter neuen Bauteilen ver- beim Umbau von 1970 beschädigten und nur noch fragschwindet, die Rekonstruktion des ursprünglichen mentarisch erhaltenen Stucks : Eine Sanierung und ErZustands und schließlich das Sichtbarmachen des vor- gänzung der vorhandenen Reste wäre möglich, jedoch gefundenen Zustands und seine Einbeziehung in das kostspielig gewesen. So entschloss man sich, mit einer Silikonmatrize Abformungen von den erhaltenen erneuerte Gebäude. Fragmenten zu nehmen. Mit ihrer Hilfe brachte man eine exakte Kopie der Vorlage auf die neue, abgehängPräzise unregelmäSSig – te Decke auf. Der neue Stuck war rund zwei Drittel neue Treppe in günstiger als die Rekonstruktion. Mehr Kleinarbeit mittelalterlichem Turm und einen deutlich größeren Aufwand bedeuteten die — Der letztgenannte Ansatz kam vor allem beim spät- Arbeiten an den repräsentativen terrassenseitigen mittelalterlichen Turm im Zentrum des Gebäudes zur Räumen, dem Prinzensaal und dem Salon „ Prinzessin angegebene Betongüte. Erst Stichproben am Bau vervollständigen die in den Bestandsplänen enthaltenen Informationen zu einem schlüssigen Bild. Was „ Planung in Fortschreibung “ in der Praxis bedeutet, zeigen die drei folgenden Beispiele.

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1 [ S. 55 ] Gesamtansicht von Schloss Eller am Südrand von Düsseldorf

2 Die

in den mittelalterlichen Turm neu eingefügte Treppe passt sich kleinteilig an das historische Mauerwerk an.

3 Die Nussbaumvertäfelung im Salon „ Prinzessin Luise “ konnte von mehreren Übermalungen befreit und in den Ursprungszustand versetzt werden.

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Prozessmanagement beim Bauen im Bestand

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Mit ÜBERRASCHUNGEN RECHNEN

Luise “ : Im Prinzensaal befreite man einen Teil der Stuckprofile von den zahlreichen, die Tiefe reduzierenden Farbschichten. Beim Salon „ Prinzessin Luise “ wurde die historische Nussholzvertäfelung vollständig freigelegt. Historischer Keller – Trockenlegung um jeden Preis ? — Zunächst hatte man geplant, den auf feuchtem Untergrund errichteten Gewölbekeller trockenzulegen – bei dem Teil des Kellers, der sich unter dem mittelalterlichen Turm befindet, handelt es sich um das einstige Erdgeschoss – 1823 beschloss man, das Gelände um ein ganzes Geschoss aufzufüllen. Eine neue, wasserundurchlässige Bodenplatte wurde als Möglichkeit der Abdichtung diskutiert und schließlich verworfen – nicht zuletzt, weil an der Anschlussfuge zum aufgehenden Mauerwerk das Wasser erneut hätte eindringen können. Aufwand und Kosten hätten in keinem Verhältnis zum Ergebnis gestanden, denn die geplante tageweise Nutzung des Raumes für Diners und Weinverkostungen erfordert keine vollständige Trockenlegung der Wände. So entschieden sich die Architekten für einen ebenso einfachen wie kostengünstigen Weg – sie reaktivierten die alte Querlüftung. Der Querschnitt der historischen Fenster erwies sich dafür als ausreichend. Diese Planungsentscheidung war nicht nur substanzschonend, sie sparte auch Baukosten in sechsstelliger Höhe ein. Im Zusammenwirken mit den im Boden verlegten Heizleitungen, die man mit einem offenporigen Betonstein abdeckte, kann die Feuchtigkeit so durch Stoßlüften gezielt abgeführt werden. Das Salz, das sich in Zukunft als Rückstand der Wasserdampfdiffusion am Sockel der Wände ablagern wird, lässt sich durch regelmäßiges Abbürsten leicht entfernen. Bei den Arbeiten fand man im Boden einen mittelalterlicher Brunnen, der jetzt unter Glas konserviert an die einstige Wasserburg erinnert. Stadtpalais Potsdam – Diskutieren, Verhandeln, Abstimmen — Beim Bau des Warenhauses „ Stadtpalais Potsdam “ galt es, historische Relikte und Bauteile virtuos in ein neues Ganzes zu überführen : Fassade und Lichthof des Vorgängergebäudes, ein 1907 errichtetes Jugendstilkaufhaus, ebenso wie die Reste einer alten Brennerei und eines barocken Stadthauses. Der komplexe Bestand, aber auch die erst nach Baubeginn mögliche Ausführungsplanung erforderten

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[ S. 55 ] Die historische Fassade des Jugendstilkaufhauses von 1907 – jetzt Stadtpalais Potsdam

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5 Die

Räume einer alten Brennerei nehmen nach ihrer Sanierung eine überdachte Markthalle auf.

viel Verhandlungsgeschick und Flexibilität auf Seiten der Architekten. Ein Brand im Februar 1996 markierte den Übergang vom ersten zum zweiten Leben des wichtigsten Potsdamer Warenhauses. Das Innere wurde durch Feuer und Löschwasser schwer beschädigt. Danach stand die Ruine sieben Jahre lang leer. Die Architekten um RKW-Gesellschafterin Barbara Possinke entwickelten zunächst zwei gleichberechtigte Varianten für Umbau und Betrieb des Gebäudes – als Shopping Mall oder klassisches Warenhaus. Beide Konzepte sahen vor, möglichst viel alte Substanz zu erhalten. Für die gelungene Integration der erhaltenen historischen Bauteile gab es laut Possinke viel Zustimmung von den Denkmalpflegern. Eine andere Maßnahme lehnten diese jedoch vehement ab – die Verschiebung des historischen Lichthofs. Für die Umsetzung des Mall-Konzeptes wäre dieser Eingriff notwendig geworden. Schließlich entschieden sich Bauherr und zukünftige Mieter für das Warenhauskonzept – glücklicherweise, denn andernfalls wäre wohl jeder Vermittlungsversuch gescheitert. Sanierung des Jugendstillichthofs — Die umfangreichsten Beratungen und Gespräche waren jedoch bei der Sanierung des historischen Lichthofs und vor allem bei der Rekonstruktion der Glasdecke notwendig. Zunächst überzeugten die Planer die Denkmalpfleger davon, dass sich das Warenhaus nur wirtschaftlich betreiben lasse, wenn der Hof mit einer zusätzlichen Etage überbaut würde. In der Folge rekonstruierten sie sowohl die Farbigkeit als auch das Muster der historischen Glasdecke. Für diese Puzzlearbeit stand nur jenes Viertel der alten Glasscheiben zur Verfügung, das den Brand rußgeschwärzt und beschädigt überstanden hatte. Ursprünglich mit einem Jugendstildekor bemalt, hatte man die Glasdecke um 1920 mit einem vereinfachten Art-déco-Muster erneuert. Die Planer ermittelten in Abstimmung mit der Denkmalpflege zunächst die beiden Farbfassungen, um sich dann für die Wiederherstellung der späteren zu entscheiden. Nachdem gemeinsam mit Glasherstellern und Vertretern der Denkmalpflege das geeignete Glas für die Rekonstruktion der Deckenkassetten ausgewählt war, stellte sich die Frage der Beleuchtung, denn dem Tageslicht ist heute durch die Überbauung der direkte Weg versperrt. Auch hier fand sich nach einem intensiven 6 [ S. 55 ] Für die Rekonstruktion der Glasdecke im Lichthof standen den Planern nur noch ca. 25 % der historischen Scheiben zur Verfügung.

7 [ S. 55 ] Die Wiederherstellung von Ornament und farbigen Gläsern erfolgte in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege.

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Prozessmanagement beim Bauen im Bestand

Abstimmungsprozess eine Lösung, die der ursprüngli- während des Bauprozesses ständig überprüft werden, denn nicht immer zeigen die Pläne den tatsächlich gechen Situation sehr nahekommt. bauten Zustand, betont Projektleiter Jan Fitzner. Dies zeigte sich vor allem bei den Gründungsarbeiten Baubegleitende für den Erweiterungsbau. Bei der Ausschachtung fanAusführungsplanung den sich zunächst nicht kartierte unterirdische Bau— „ Planungsschritte, die normalerweise in den ersten teile und Leitungen, die abgebrochen werden mussten. Leistungsphasen liegen, dauerten in Potsdam bis in Das mit der Unterfangung der Altbaufundamente bedie Ausführungsplanung hinein an “, erklärt auftragte Unternehmen konnte seine Arbeiten in der RKW-Projektleiter Jan Pieter Fraune. „ Ide- Folge nicht rechtzeitig abschließen. Bauverzögerung alerweise steht die exakte Vermessung der und Mehrkosten waren die Folge. Zwar sieht RKW Baulücke am Anfang der Planung. “ In Pots- für solche Fälle Zeitpuffer im Bauzeitendam, mit abzureißenden und zu erhaltenden plan vor – dennoch sei es recht sportlich geBauteilen, sei das digitale Aufmaß dagegen erst wesen, den Rückstand wieder aufzuholen nach Abschluss der Abbrucharbeiten möglich und den Innenausbau in einem halben Jahr gewesen. Es bestehe zwar die Möglichkeit von abzuschließen. Um die Bauabläufe zu optiProbebohrungen, um zu ermitteln, wo Giebel mieren und zu beschleunigen, dokumentieroder Brandwand des Nachbargebäudes verlaufen. Genau ten die Architekten jeden Tag vor Ort den lasse sich das aber eigentlich erst klären, wenn die zu er- Fortgang der Arbeiten. Mithilfe von detailhaltenden Bauteile freilägen. Daher musste die Ausfüh- lierten Tabellen und Fotos erfassten sie den Leistungsstand der Auftragnehmer. So konnte der rungsplanung baubegleitend erfolgen. Einsatz von Material und Arbeitskräften zielgenau gesteuert werden. Durch Einsparungen bei den MaFranz-Mehring-Schule, Leipzig – terialien blieb schließlich auch das Budget im vorgeZeitverzug aufholen, gebenen Rahmen. Budget einhalten Geschick erforderte der gestalterische Umgang mit den — Ganz anders lagen die Dinge bei der Leipziger Franz- Beschränkungen des Bestandsgebäudes. Anfangs wollMehring-Schule, einem Plattenbau aus dem Jahre 1973. ten die Architekten im Inneren ganze tragende WandDie bevorstehende Umrüstung zur Ganztags- scheiben entfernen, um große, zusammenschaltbare schule erforderte Mehrzweckräume, eine Au- Raumfolgen zu erhalten. Wie die statische Analyse la, außerdem neue Räume für den Musik- und zeigte, hätte das Entfernen ganzer Wände die TragfäKunstunterricht. Diese Nutzflächen bündel- higkeit des Gebäudes jedoch gefährdet. So entschied te man in einem mit grünen Faserzement- man sich, links und rechts der Öffnungen jeweils kleine Wandscheiben stehen zu lassen. Die Nutzungsmöglichplatten verkleideten Erweiterungsbau. Bei der Planungsvorbereitung erwies es sich keit der so hergestellten Räume kommt dem Wunschals hilfreich, dass das Leipziger Hochbauamt konzept sehr nahe. detaillierte Bestandsunterlagen zur Verfü- Einiges Geschick erforderte es, die benötigte neue gung stellen konnte – und über einige Erfahrungen Haustechnik und eine moderne Elektrik – Rauchmelbei der Sanierung öffentlich genutzter Plattenbauten der, Steckdosen, Leitungskanäle – wandverfügt. Die Bauakten halfen, Verdachtspunkte für bündig in die nur 10 Zentimeter starken Schadstoffbelastungen frühzeitig zu bestimmen. Die Innenwände zu integrieren. Möglichst viele Untersuchungen zeigten, dass nur in der Isolierung der Leitungen verlagerte man in die Böden und alten Lüftungskanäle Schadstoffe vorhanden waren, Decken. Wo dies nicht gelang, fassten die Arin diesem Fall Kamilit, ein in der DDR gebräuchliches chitekten sie in möglichst wenigen Kanälen Stein- bzw. Schlackewolleerzeugnis. Dieses wurde zusammen. Beispielsweise erfolgt die Stromversorgung der Flurleuchten über einen Kafachgerecht entsorgt. belkanal, der auch die Klassenzimmer speist und dort unterhalb der Decke an der Trennwand zum Know-how des Bauherrn Flur verläuft. Die seitliche Beleuchtung des Korridors — Auch die Frage nach der Widerstandsfähigkeit der De- unterstreicht den gleichmäßigen Rhythmus von Stütcken im Brandfall konnte mithilfe des Bauherrn schnell zen und Unterzügen – ein willkommener Nebeneffekt geklärt werden. Trotzdem müssten solche Annahmen der seitlich angebrachten Leuchten. 8 Der

Jugendstillichthof konnte bei dem realisierten Konzept an seinem Platz verbleiben, wurde aber mit einer zusätzlichen Etage überbaut.

9 Nach Beginn der Ausschachtungsarbeiten für den Erweiterungsbau traten nicht kartierte, unterirdische Bauteile zu Tage.

10 Wo neue Leitungen nicht unter Putz verlegt werden konnten, fasste man sie in wenige Leitungskanäle zusammen.

11 Raumfolge nach dem Umbau : Neue Durchgänge schaffen eine direkte Verbindung zwischen den Klassenräumen.

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Franz-MehringSchule      RKW Architektur + Städtebau Leipzig ( de ) Lehrgebäude — S. 95, 98, 108, 152

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Franz-Mehring-Schule

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1 Grün und kompakt : Alles, was die Schule für ihre neue Nutzung als Ganztagsschule benötigt, fand im Erweiterungsbau Platz. 2 Nahansicht der Fassade aus Faserzementplatten 3 Im Inneren des Neubaus 4 Weiß auf weiß: Sanierte Rückfront der Schule mit neuem Sonnenschutz

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Standbein und Spielbein

Andererseits bestand durchaus Die Franz-Mehring-Grundder Wunsch, einen Kontrapunkt schule im Leipziger Süden wurzu setzen : Der funktionalen, de 1973 in Großplattenbauweise vom rechten Winkel bestimmten errichtet, in einer zeittypischen, Schule wird ein vertikal strukschlanken Riegelform. Ziel des turiertes Gebäude hinzugefügt. Umbaus war, abgesehen von Sanierung und Erweiterung Mit seinen gerundeten Ecken der künftigen Nutzung als ofder Franz-Mehring-Schule, Leipzig und dem asymmetrischen, leicht fene Ganztagsschule, die SaRKW Architektur + Städtebau keilförmigen Grundriss wirkt es nierung des Bestands. Es galt, organischer, steht für IndividuaRaum zu schaffen für einen vierlität und gibt dem neuen Ganzen ten Grundschulzug, die bislang damit einen sehr viel pluralistifehlende Aula sowie einen Muscheren Ausdruck. sik- und einen Kunstraum. Die Die bauliche Veränderung der Eingangssituation sollte aufgeSchule ist somit zugleich Ausdruck des gesellschaftlichen Wanwertet und das Gebäude rollstuhlgerecht erschlossen werden. Die Architekten von RKW Architektur + Städtebau überzeugten dels : Das bisherige Gebäude war mit seinen in Längsrichtung 2005 die Jury eines Gutachterverfahrens mit ihrer Idee, die zu- gereihten Klassenräumen und den um die Haupterschließung sätzlichen Räume und Funktionen nicht in einem Neubau, sondern in einer Erweite- Lageplan der erweiterten Schule Projektdaten Bauherr Stadt Leipzig, rung unterzubringen, die direkt an den BeHochbauamt stand angefügt wird. Dieses Konzept wurde Baukosten 3,8 Mio. Euro schließlich in Gestalt eines vierstöckigen, Nutzfläche ca. 2.800 m² mit grünen Faserzementplatten verkleideBGF 4.980 m² F BRI 17.450 m³ ten Neubaus verwirklicht. Es überzeugt vor Fertigstellung 7 / 2009 allem im Umgang mit der verfügbaren FläProjektleitung / Mitarbeit Norbert che : Der auf der Rückseite des Gebäudes Hippler, Jan Fitzner E E gelegene Pausenhof kann in voller Größe Standort Gletschersteinstraße 9, D–04229 Leipzig erhalten bleiben. Die Wege innerhalb der D Schule sind minimiert, denn die ErweiteErbauungsjahr 1973 C rung dockt an den Haupterschließungsgang 1000 2010 des Altbaus an. Dem bestehenden HauptB Umbau 2009 eingang schaltete man ebenerdig ein neues, luftiges Foyer vor. Die neuen Räume sind 2000 2010 2 flexibel nutz- und unterteilbar. A Baukosten M -Preis Parallel zur Erweiterung sanierte man den 3,8 Mio. € 1.357 € / m2 Altbau umfassend : Seine Außenwände wur 15.000 10 m den wärmegedämmt, und entsprechend den 10.000 Anforderungen der EnEV für den sommerli- A Sporthalle C Anlieferung E Treppenhaus 5.000 D Franz-Mehring-Schule F Pausenhof chen Wärmeschutz erhielt die Südfassade B Zentraler Eingang einen integrierten flexiblen Sonnenschutz. 0 Farbige Paneele vor den Stützen der Fens- gruppierten Lehrerzimmern und Nebenräumen ausgesprochen terfront rhythmisieren die Reihung der Öffnungsflügel und betonen funktional organisiert. Veränderte pädagogische Ziele, vor allem die Bandstruktur der Fenster. der bundesweite Trend zur Ganztagsschule, erweitern die AufgaDie Idee, den leuchtend grünen Erweiterungsbau direkt vor die ben der Schule über die bloße Wissensvermittlung hinaus. So sind nüchterne Hauptfassade zu stellen, sollte man nicht missver- im Anbau heute neben dem Hort, der Aula mit Zeichensaal und stehen. Denn das Neue setzt sich über das Bestehende nicht Musikraum die musischen Disziplinen untergebracht. hinweg, sondern entwickelt es weiter : Das die Fassade beherr- Die Hülle des Erweiterungsbaus besteht aus in zwei Sonderfarben schende Motiv horizontaler Bänder wird vor allem im Erdgeschoss eingefärbten Faserzementplatten. Inspiration für die Wahl der zwei aufgegriffen, das als Wandscheibe bis vor die breite Giebelfront kräftigen Grüntöne war die Haut des Gecko. Auch im Inneren wurden gezogen ist. Die für diesen Typ von Plattenbau charakteristische kraftvolle Farben verwendet, jedoch gingen die Architekten nicht Wandscheibe wird mit dem in den Putz eingeprägten Namen der den Irrweg mancher Kollegen, die meinen, Kindergärten und SchuSchule zum Blickfang und behauptet sich so gleichberechtigt ge- len im Sinne „ kindgerechter Architektur “ mit einem so breiten wie genüber der markanten Erweiterung. beliebigen Spektrum „ fröhlicher “ Farben versehen zu müssen. FPj Aus 2 mach 1 : Der Weg von der Typenbauschule zum funktional erweiterten Neubau

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7 5 Direkte Verbindungen zwischen den Klassenräumen schaffen gute Voraussetzungen für den Unterricht in Teilungsgruppen. 6 Aula und Mehrzweckraum, im Vordergrund die Bühne 7 Der aufgeweitete Korridor im Bestandsbau 8 Das erneuerte Haupttreppenhaus

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Addition

Chesa  Albertini  

ZUOZ ( CH ) Alt Wohngebäude NEU Wohngebäude — S. 22, 32, 42, 46, 50, 84, 132 Galerie — S. 22

Hans-Jörg Ruch Architektur 1

Alt & Neu

chesa albertini

Vom Heuspeicher zum Kunstraum

die Galerienutzung eine neue, Dem Engadinerhaus kommt ingeometrisch bereinigte Struknerhalb der alpinen Bautradition tur erforderte, fügte man diese eine besondere Bedeutung zu. schalenartig und damit reversiVom 16. bis zum 18.  Jahrhunbel in den Bestand ein. dert stellte es den allein gültiDie von Ruch eingeführten mogen Bautypus in der Schweizer Umbau eines bauernhauses dernen Materialien – wie zum Region Engadin dar. Mit der im Engadiner Dorf Zuoz Beispiel Heizkörper aus rohem Körperlichkeit seiner trutzigen Hans-Jörg Ruch Architektur, St. Moritz Eisen – fügen sich wie selbstSteinmauern gibt es den hiesigen SIMONE JUNG verständlich zwischen dunkDörfern eine geradezu städtisch le Holzplanken und bucklige anmutende Wirkung. Neben ihSteinmauern. Mit Ausnahme rem herrschaftlichen Duktus ist der Galerieräume, wo man sich die baulich und funktional enge für einen Hartbetonboden entKoppelung von Wohn- und Wirtschaftsteil ein wesentliches Merkmal : Das Engadiner Bauernhaus schied, wurden die Böden als Kalkmörtelböden sowie in massivem unterscheidet sich von anderen bäuerlichen Einhöfen durch die In- Lärchenholz ausgeführt. Das alte Holz der Kammern und Dielen tegration früherer Außenräume wie Laube und Hof, die auch als in- wurde lediglich mit schwacher Lauge gereinigt. Kein Gegensatz terne Straßen dienen. Diese Durchfahrten – der ebenerdige Sulèr zwischen Alt und Neu entsteht, eher ein ästhetisches Miteinander. zur Scheune und die im Boden vertiefte Cuort zum Stall – machen Ein immaterielles Gestaltungselement in der Chesa Albertini ist das Licht. Kein Leuchtkörper sollte die Raumwirkung stören, Wände und das Einzigartige dieses Haustyps aus. Heute stellen nicht nur Abriss oder Verfall eine Gefahr für die Decken werden mit einfachen, industriellen Strahlern beleuchtet. Bündner Bautradition dar, sondern auch die Immobilienmakler : In der Chesa Albertini kann man neben dem Kunstgenuss die unNachdem man das Potenzial der reizvoll gealterten Häuser er- vergleichliche Atmosphäre eines Engadinerhauses mit seiner von kannt hatte, wurden sie immer häufiger zu Jahrhunderten geformten Gestalt wahrnehmen. Eine Atmosphäre, Mehrfamilienresidenzen oder Hotels um- die Ruch durch alle späteren Schichten hindurch erspürt und wieder Projektdaten Bauherr Monica De Cardenas gebaut. Großräume wie Sulèr oder Cuort freigelegt hat. Seine Haltung fasst er wie folgt zusammen : „ Ich bin Baukosten k. A. unterteilte man, traditionelle Räume wie Architekt, nicht nur Bewahrer – mich interessieren die räumlichen Nutzfläche ca. 500 m² Stüva ( Wohnstube ), Chambra ( Schlafkam- Erlebnisse in den alten Häusern, und ich versuche, mit meinen EinBGF ca. 550 m² mer ) oder Chadafö ( Küche ) wurden aus griffen besondere Orte zu stärken. “ BRI ca. 2.500 m³ Fertigstellung 2006 ihrem traditionellen Zusammenhang geProjektleitung Hans-Jörg Ruch, rissen und zu einzelnen Apartments um- Querschnitt durch das erneuerte Haus Peter Lacher funktioniert. Der kulturelle Wert der Häuser Standort Via Maistra 41, geht dabei verloren. CH–7524 Zuoz Einer, der den Wert dieser traditionsreiErbauungsjahr 1499 chen Häuser erkannt hat, ist der Schwei1000 2010 zer Architekt Hans-Jörg Ruch, der 1974 ins Umbau 2006 Engadin zog. Fasziniert vom Bautypus der Region hat der Architekt seitdem ein Dut2000 2010 zend der jahrhundertealten Bauern- und Patrizierhäuser umgebaut, angetrieben von der Begeisterung für dieses bauliche Erbe aber auch großem Respekt vor ihm. Bauen im Bestand heißt für ihn, das ursprüngliche Wesen eines Hauses sichtbar zu machen. Ruch kontrastiert den Bestand nach intensiver archäologischer Erforschung souverän mit neuen Elementen, ohne dabei die Integrität der alten Strukturen anzutasten. Das 10 m Neue wird dem Alten konsequent untergeordnet. Neue Räume werden als sichtbare Ergänzungen eingefügt, die Anpassung an moderne Wohngewohnheiten erfolgt möglichst unsichtbar. Grundriss Erdgeschoss So im Fall der Chesa Albertini, die den Anfang einer dreiteiligen Hauszeile im Zentrum von Zuoz bildet. Kern des Gebäudes ist eine Doppelturmanlage aus der Zeit unmittelbar vor dem Schwabenkrieg ( 1499 ). Die Fassade der Chesa Albertini weist die für das bäuerliche Engadinerhaus typischen Merkmale auf, etwa die asymmetrische Anordnung der in Größe und Form variierenden Trichterfenster innerhalb der massiven Steinfronten. 2006 baute Hans-Jörg Ruch die Chesa Albertini zu einem Wohnhaus mit Galerie um. Der Sulèr und der Heustall sowie die Raumsequenz im Untergeschoss bleiben in ihrer Raumfolge bestehen und dienen als Ausstellungsräume. Das Obergeschoss wird als Wohnbereich genutzt. Dort ergänzen die Sanitäreinheiten als klar erkennbarer neuer Bauteil die Sequenz der historischen Holzkammern. Sie wurden seit dem frühen 17. Jahrhundert wie Häuser im Haus in das Obergeschoss eingefügt. Auch hier setzt Ruch sein Prinzip, das Neue dem Alten unterzuordnen, konsequent um : Er entschied sich gegen die Idee, die Kammern selbst zu Bädern umzufunktionieren, was den Bestand verfälscht hätte. Stattdessen wurden die Bäder in einem weißen Kubus zusammengefasst und stehen nun neben den drei hölzernen Schlafkammern. 10 m Aus statischen Gründen und um Wohnen und Galerie klar zu trennen, wurden die Heustallwände bis unter das Dach gezogen. Wo

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5 | 6

[S. 62] Die Chesa Albertini im Ortskern von Zuoz 2 Die Fassade mit ihren trichterförmigen Fensterlaibungen 3 Der Cuort : Blick in Richtung Straße 4, 5 Ausstellungsraum im ehemaligen Heustall 6 Treppe ins Obergeschoss 1

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7 Obergeschoss mit hölzernen Kammern 8 Blick vom Sulèr Richtung Stüva und Chadafö 9 Ofenecke in der Stüva, gefasst von jahrhundertealtem Gebälk

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transformation 6 ×

×

 9, 11

12 × × 4, 10 × 7 × × 5, 8  3 ×

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1 Museum Punta della Dogana — s. 68 Venedig ( it ) 2 Bahnhof Rossio — s. 72 Lissabon ( PT ) 3 Sparkasse Berchtesgadener Land — s. 76 Bad reichenhall ( de ) 4 Rathaus Weinstadt — s. 80 Weinstadt ( DE ) 5 Siedlung Heuried — s. 84 Zürich ( CH ) 6 Lesezeichen Salbke — s. 88 Magdeburg ( de ) 7 Confiserie Bachmann — s. 92 BASEL ( CH )

Die Transformation [lat : „ Umformung “] bezeichnet die Veränderung der Gestalt, Form oder Struktur : Die Veränderung erfasst ein Gebäude als Ganzes, die klare Grenze zwischen Alt und Neu wird dabei aufgehoben. Oft ist die bauliche Erneuerung subtiler, zugleich aber auch tief greifender als bei Erweiterungen. Der Bestand erfährt eine umfassende Neuinterpretation – nicht selten mit völlig gegensätzlichem Ergebnis : Bei der Sanierung des Stuttgarter Uni-Hochhauses K  II oder des Rathauses von Weinstadt blieb die

8 Schule Dagmersellen — s. 95 Dagmersellen ( ch ) 9 Blumen-Grundschule und Bernhard-Rose-Schule — s. 98 BERLIN ( DE ) 10 Kollegiengebäude II der Uni Stuttgart — s. 108 Stuttgart ( DE ) 11 Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau — s. 112 GroSSbeeren ( DE ) 12 Bürogebäude Siesmayerstrasse — s. 116 Frankfurt am main ( de )

architektonische Kulisse der 1960er-Jahre nahezu unangetastet, die Architekten konzentrierten sich darauf, die Stärken des Bestehenden wieder herauszuarbeiten und die Bauten fit zu machen für gestiegene technische Standards. Bei der Sparkasse in Bad Reichenhall und dem Institutsgebäude im brandenburgischen Wildau erkannten die Architekten dagegen die bauliche Struktur als erhaltenswert, nicht aber ihre architektonische Erscheinung – und gaben den Gebäuden ein vollkommen neues Gesicht.

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Alt & Neu

Transformation

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Museum Punta della dogana  Venedig ( IT ) Alt Speichergebäude — S. 22, 178 NEU Museum — S. 32, 38, 42, 161, 178

tadao ando architect & associates

Alt & Neu

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Museum Punta della dogana

Kunst in der Inselspitze

Die neu eingefügten Bauteile Das alte Zollamt Punta della indes heben sich klar vom BeDogana besetzt einen promistand ab : Ando arbeitete mit nenten Punkt der Lagunenstadt : dem fast porzellanartigen poEs steht an der Spitze einer Inlierten Sichtbeton, der inzwisel im Stadtteil Dorsoduro, einschen zu seinem Markenzeichen gefasst vom Canal Grande und Umbau einer venezianischen geworden ist, sowie Stahl-Glasdem Canale della Giudecca, Zollhalle in ein Museum Elementen ; die Böden sind – je schräg gegenüber vom MarkusTadao Ando Architect & Associates nach Geschoss und Gebäudeplatz. In der Vergangenheit hatClaudia Hildner teil – als Betonboden ausgeten sich für das seit Jahrzehnten führt oder mit Linoleum belegt. leer stehende Gebäude aus dem Die glatten Oberflächen stehen 17. Jahrhundert immer wieder Inim Kontrast zu den unregelmävestoren interessiert ; die Veränßigen Ziegelwänden und den derungen, die eine Umnutzung zu einem Hotel oder einem Wohnblock mit sich gebracht hätten, rauen Holzbalken des Altbaus. Da sich neue und alte Elemente die waren für Stadt und Bewohner jedoch nicht akzeptabel. François Waage halten, stehen Bestand und Neubau nicht in Konkurrenz, Pinault, französischer Milliardär und Kunstsammler, konnte die Ve- sondern bilden eine neue Einheit – das Kunstmuseum. Für Ando nezianer mit seinem Konzept für die Umnutzung des Gebäudes zu ist diese Verbindung auch ein Zeichen für die Vereinigung von Vereinem Museum für zeitgenössische Kunst schließlich überzeugen. gangenheit, Gegenwart und Zukunft : Die Hülle steht dabei für das Die Architektur des neuen Kunsttempels stammt von Tadao Ando Vergangene, seine eigene Architektur für die heutige Zeit und die Architect & Associates. Es gehört schon etwas Mut dazu, einen Kunst für das, was über die Gegenwart hinausweist. japanischen Architekten mit dem Umbau eines mehr als dreihundert Jahre alten eu- Lageplan und Grundriss des Museums Projektdaten Bauherr Palazzo Grassi S.p.A. ropäischen Gebäudes zu beauftragen : UmBaukosten 20 Mio. Euro bauten gehören in Japan nicht gerade zum Nutzfläche ca. 3.500 m² Alltagsgeschäft, die Umnutzung eines Be( Netto-Nutzfläche ) standsbaus, der älter als dreihundert Jahre BGF 4.331 m² B B B Fertigstellung 5 / 2009 C ist, erst recht nicht. Projektleitung / Projektbeteiligte : F E Dennoch gelang es Ando erstaunlich einB Tadao Ando, Kazuya Okano, Yoshinori D fühlsam, das ehemalige Zollgebäude wieHayashi, Seiichiro Takeuchi derzubeleben. Nicht nur aufgrund der Partnerbüro Equilibri srl, Eugenio B B Tranquilli ( Projektleiter ) B strengen Auflagen der Stadt stand schnell B Standort Dorsoduro, Campo della fest, dass das äußere Erscheinungsbild des Salute, 2, I-30123 Venedig Gebäudes nicht angetastet wird. Das verErbauungsjahr 1500 putzte Ziegelmauerwerk der Außenwände A Eingang A wurde vorsichtig restauriert und, wenn nö- B Ausstellungshallen 1000 2010 C Technik tig, mit Edelstahlankern abgesichert. Klei- D Der Kubus - zentraler Hof Umbau 2007–2009 nere Fehlstellen im Putz reparierte man, bei E Café und Buchhandlung 2000 2010 größeren Abplatzungen wurden die Ziegel F Turm Baukosten M2-Preis sichtbar belassen. 20 Mio. € 5.714 € / m2 Der obere Abschluss des Gebäudes ist als Im Zentrum der Punta della Dogana platzierte der Architekt einen 15.000 eine Art Sheddach gestaltet, das die paral- nach oben offenen Betonkubus. Hier war bei einem früheren Umbau lelen, langrechteckigen Hallen, in die sich eine Zwischenwand entfernt worden. Ando ließ den ursprünglichen 10.000 der dreieckige Grundriss unterteilt, be- Zustand in diesem Fall nicht wiederherstellen, sondern schenk5.000 deckt. Auf das restaurierte Gebälk setzten te dem Gebäude mit dem Kubus ein neues Herz. Als Bodenbelag 0 die Planer ein neues Dach, das sich an der dieses zentralen Ausstellungsraums wählte der Japaner Masegni, ursprünglichen Erscheinung orientiert, aber großformatige Sandsteine, die in Venedig traditionell als Pflastereinige zusätzliche Oberlichter integriert. steine verwendet werden. Im Inneren wurden zunächst alle Zwischenwände, Treppen und an- Auf ein Element seines Entwurfs musste er am Ende übrigens verdere Ergänzungen der letzten zwei Jahrhunderte entfernt – übrig zichten : Vor dem Eingang, der Richtung Campo della Salute weist, bleiben sollte nur die ursprüngliche Bausubstanz, die Mauern wur-4 hätte Ando gerne zwei Betonstelen postiert, die auf den Wandel des 2 2 den weitgehend roh belassen. Fehlende Ziegel ersetzten die Planer Ortes und die neue Nutzung aufmerksam machen sollten. Doch die nur dort, wo es wirklich nötig war – mit Steinen, deren Beschaffen- Venezianer liefen dagegen Sturm, und so blieb der äußere Hinweis heit den Bestandsziegeln möglichst nahe kam. auf die neue Nutzung schließlich unverwirklicht. Schnitt durch das umgebaute Zollgebäude

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[ S. 68 ] Lang und hoch sind die Hallen im ehemaligen venezianischen Zollhaus, das Tadao Ando für die Kunstsammlung von François Pinault umbaute.  2, 4 Der Kubus, ein Geviert aus glattem Sichtbeton – von Tadao Ando sensibel eingefügt 3 Situation vor dem Umbau 1

Alt & Neu

Museum punta della dogana

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5 Blick aus dem Obergeschoss in Richtung Il Redentore 6 An dem 1678–1682 errichtete Zollhaus geht der Canale Grande in die offene Lagune über. Der von Atlanten getragene Erdball unterstrich einst den Vormachtsanspruch der Republik Venedig. 6

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Alt & Neu

Transformation

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Bahnhof rossio 

Lissabon ( PT ) Alt Bahnhof NEU Bahnhof Bürohaus — S. 76, 116, 132

Broadway Malyan

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bahnhof rossio

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Moderne anno 1887 : Filigranes Stahlfachwerk trägt das Dach der großen Halle. 2 Durchblick von der Zugangshalle zu den Gleisen 3, 5 Rolltreppen verbinden die erhöhte Bahnhofshalle mit dem Bahnhofsvorplatz. 4 3.000 m2 Büroflächen entstanden im Zuge des Umbaus. Galerien optimieren die Flächenausnutzung.

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Alt & Neu

Transformation

Station der kurzen wege

Stadtplatz um. Komfort und AufVom Bahnhof Lissabon Rosenthaltsqualität der Reisenden sio fahren die Züge in Richtung wurden verbessert, nicht zuletzt Sintra ab, jenem Städtchen undurch eine direkte Verbindung weit von Lissabon, in dem sich zwischen den Bahnsteigen und die prachtvolle Sommerresider benachbarten Metro-Statidenz der portugiesischen Könion „ Restauradores “. ge befindet. Im Bahnhof entstanden – schlüsDer Kopfbahnhof, nur ein paar Sanierung und Umbau sig in die historische Hülle inSchritte vom quirligen Geschäftsdes Bahnhofs Rossio, Lissabon tegriert – 3.000  Quadratmeter viertel Baixa entfernt, ist LisBroadway Malyan, London Büroflächen und 1.000  Quadsabons zentraler Bahnhof und ratmeter für Läden und Gastrozugleich einer der schönsten Eunomie. In Nachbarschaft zum ropas ! Im Jahre 1887 hatte der ArWartebereich auf der Bahnsteigchitekt José Luís Monteiro ihn für die königlich-portugiesische Eisenbahn im neo-manuelinischen Stil ebene ( 2. OG ) wurde eine 1.000 Quadratmeter große Ausstellungserrichtet. Blickfang der mit filigranem Zier- fläche integriert. Der aufwendige Dekor der hellen Kalksteinfassade werk bedeckten Natursteinfassade sind die wurde ebenso sorgfältig saniert wie die noch erhaltenen gusseiserProjektdaten Bauherr INVESFER REFER zwei auffälligen, hufeisenförmigen Haupt- nen Fensterrahmen der Halle. Baukosten 40 Mio. Euro portale, die das Sockelgeschoss zum RossioNutzfläche ca. 7.600 m² Platz beherrschen. Die Bahnsteigebene liegt BGF 8.400 m² fast 30 Meter über den Ausgängen zur StraBesonderheit Sieger der Kategorie „ Beste Sanierung“ beim Wettbewerb ße, Fahrtreppen sowie ein System von Ramder portugiesischen Zeitschrift pen überwinden den Höhenunterschied. Construir, 2008 Eine fast endlose Reihe eiserner Stützen Fertigstellung 2 / 2008 Projektleitung Broadway Malyan, Nie- trägt die 130 Meter breite eigentliche Bahnderlassung Lissabon ; Sofia Carrelhas hofshalle. Die elegante Tragkonstruktion ist Standort Praça de Dom Pedro IV, in ihrer ursprünglichen Form erhalten geblieP–1100 Lissabon ben, am Ende der Halle verschwindet der Zug Erbauungsjahr 1887 Düster und verbaut : Rossio vor dem Umbau in einem langen Tunnel. 2004 erhielt das Architekturbüro Broadway Die Herausforderung für die Architekten bestand darin, eine attrakti1000 2010 Malyan mit Hauptsitz in London den Auftrag ve und möglicht direkte vertikale Verbindung zwischen dem Eingang Umbau 2006–2008 zur Sanierung des denkmalgeschützten Bahn- am Rossio bzw. der Praça dos Restauradores und den Bahnsteigen 2000 2010 hofsgebäudes, nachdem gravierende Schä- zwei Etagen darüber herzustellen. Eine Seitenwand der erneuerten Baukosten M2-Preis den im Gebäude und in dem anschließenden Fahrtreppen versah man mit einem Feld aus senkrechten, räum40 Mio. € 5.000 € / m2 Eisenbahntunnel festgestellt worden waren. lich gestaffelten Metallschwertern. Ihr Wellenrhythmus belebt den 15.000 Zuletzt war der Bahnhof 1976 umgebaut nüchternen Treppenraum. Zusätzlich zu den Fahrtreppen verbindet 10.000 worden. Um Geschäfte und Kinos in das Ge- eine Folge von Treppen und terrassierten Plätzen die Bahnsteighalbäude zu integrieren, hatte man mehrere le mit ihrer direkten Umgebung. Beide Elemente erzeugen eine an5.000 Zwischengeschosse ohne Bezug zu den be- gemessene visuelle und räumliche Verbindung zwischen Stadtraum 0 stehenden Strukturen und ihrer Materialität und dem eigentlichen Bahnhof. Die Restaurierung und Restruktueingefügt. Der Bahnhof hatte sich im Inne- rierung des Bahnhofs Rossio durch Broadway Malyan überzeugt ren in ein gesichtsloses und labyrinthisches Gebäude verwandelt. durch ihre Klarheit und die Konzentration auf ein begrenztes SpekZiel der 2004 begonnenen Sanierung war es, an die Grandezza des trum notwendiger und wirkungsvoller Eingriffe. Nach Einbruch der historischen Bahnhofs anzuknüpfen und seine einst klaren, groß- Dunkelheit, wenn die neu installierte Außenbeleuchtung den mazügigen Strukturen wiederherzustellen. Zudem gestaltete man den nuelinischen Pomp effektvoll ins Licht setzt, erkennt man, dass der hübschen, seitlich angrenzenden Largo do Duque de Cadaval, der Bahnhof einmal für den König erbaut wurde. Der Ausflug zu den bis dahin als wilder Parkplatz benutzt worden war, zum autofreien Palästen von Sintra beginnt würdig. FPJ Querschnitt durch die Bahnsteighalle und das seitliche Eingangsbauwerk

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Bahnhof rossio

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6 Lichte Passage : die Eingangshalle 7–9 Der

seitlich angrenzende Platz wurde zusammen mit dem Bahnhof erneuert – und ist seitdem autofrei. 10 Die neomanuelinische Straßenfassade mit dem Uhrenturm

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Alt & Neu

Transformation

SPARKASSE  BERCHTESGADeNER LAND Bad reichenhall ( de ) Bank Bürohaus — S. 72, 116, 132

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Bolwin Wulf Architekten

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Sparkasse berchtesgadener land

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Gesamtansicht nach dem Umbau Innenhof, Blick in die Büros 3, 5 Viel Platz für Kunden : Eingang, Information und SB-Terminals im Erdgeschoss 4 Anstelle eines nicht mehr benötigten Treppenhauses entstand ein Miniatur-Gradierwerk – es verbessert das Raumklima im Gebäude. 2 Der

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Das erneuerte Treppenhaus Rosé, Weiß und Rot : Die Farben des Salzes bestimmen auch die Büroetagen. 8 Das umgebaute Dachgeschoss dient als Veranstaltungsort. 6

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Alt & Neu

Sparkasse berchtesgadener land

Die Farben des Salzes

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Gebäude seine große struktuDie erneuerte Hauptstelle der relle Klarheit. Ergebnis ist ein Sparkasse Berchtesgadener denkbar einfacher SonnenLand ist das Ergebnis eines schutz, der maximaler Transpa2006 von dem Kreditinstitut renz und Offenheit gewährt. Die ausgelobten Wettbewerbs. Ne1,2 bis 1,5 Meter über die Fassaben der notwendigen baulichen Umbau und energetische Erneuerung de auskragenden GeschossebeErneuerung lautete die Wettder Sparkasse Berchtesgadener Land nen schützen die Passanten vor bewerbsaufgabe, das Gebäude in Bad reichenhall Witterungseinflüssen und korso zu restrukturieren, dass die Bolwin Wulf Architekten, Berlin respondieren zudem mit einem bis dahin auf mehrere Gebäuregionaltypischen Element, de verstreuten 235  Mitarbeinämlich den Gesimsen an den ter unter dem Dach des alten historischen Salinengebäuden Haupthauses zusammengeführt von Bad Reichenhall. werden können. Die Architekten verstehen ihren Entwurf als Strategie des „ Weiter- Der in der Entstehungszeit des Hauses favorisierte Funktionsmix bauens “ : Das Weiterverwenden und „ Freischälen “ des Gebäudes aus Bank, Geschäftsräumen und Wohnen und die damit verbundeaus den 1970er-Jahren soll Ressourcenbewusstsein und Kontinu- ne komplexe Erschließung wurden aufgegeben. In der Konsequenz ität vermitteln, zumal das Haus in seiner Grundstruktur offenkun- erübrigten sich zwei Treppenhäuser an der dige Qualitäten aufweist. Daher sind die Eingriffe in die Substanz Eingangsfassade. An ihrer Stelle etablierten Projektdaten gering, jedoch von großem Effekt : Der ursprünglich vor die Fassa- die Architekten eine gebäudehohe Wasser- Bauherr Sparkasse Land de gehängte, Ein- und Ausblicke behindernde Sonnenschutz wurde Rieselwand, als kleine Entsprechung zum Berchtesgadener Baukosten 11,3 Mio. Euro entfernt, die tragenden Balkenköpfe freigelegt und mit horizonta- Gradierwerk im benachbarten Kurpark. Die- ( davon Gebäude : 6,2 Mio. Euro, len Deckplatten aus Spannbeton belegt. In Kombination mit der ge- ses kleine Gradierwerk spendet zum einen Technik : 2,4 Mio. Euro ) schosshohen Verglasung aller Etagen geben sie dem umgebauten gesunde Verdunstungskühle für die Büro- Hauptnutzfläche 6.510 m² 7.230 m² + UG / TG etagen und ist zum anderen Reminiszenz BGF BRI 29.000 m³ + UG / TG an die Kurtradition und die Salzgewinnung, Besonderheit Anstelle des TreppenSchnitt durch das revitalisierte Gebäude die Bad Reichenhall groß gemacht haben. hauses fügten die Architekten an der Temperierung und Heizung des Gebäudes Hofseite des Gebäudes ein kleines ein, das mit seiner TröpfG erfolgen grundwassergestützt : Ein soge- Gradierwerk chenverdunstung von Heilquellwasser nannter Saug-Schluck-Brunnen transpor- im Inneren auf natürliche Weise für tiert konstant temperiertes Grundwasser in gesunde Raumluft sorgt. Konstruktiver die technischen Anlagen. Das Wasser dient Sonnenschutz durch auskragende ; ausgezeichnet mit mehreren im Sommer zur Kühlung, während es über Etagen  Preisen, darunter dem Bayerischen A B C D E F Wärmepumpen im Winter die Heizung un- Bauherrenpreis Stadterneuerung 2009. terstützt. Geheizt beziehungsweise gekühlt Fertigstellung 7 / 2008 wird über ein in die Abhangdecken integ- Projektleitung Hanns-Peter Wulf 10 m Bahnhofstraße 17, riertes Kapillarsystem, kleine Heizkörper Standort D–83435 Bad Reichenhall ermöglichen individuelle Zusatzbeheizung. A Eingang D Beratung G Schulungsräume B Beratungsfoyer E Lichthof Saal Durch den Einbau der Wärmepumpenan- Erbauungsjahr 1975 C Patio F Kombizone lage sowie die energetische Sanierung der 1000 2010 Außenhülle sank der Endenergiebedarf Umbau 2008 des Gebäudes um über 80 Prozent, seine 2010 CO2-Emissionen werden dadurch um ca. 2000 Die Elemente des energetisch-thermischen Konzepts 2 Baukosten M -Preis 300.000 Kilogramm CO2 / Jahr reduziert. 3.057 € / m2 Das Innere des Gebäudes gewann durch 11,3 Mio. € A 15.000 den Umbau enorm an Klarheit, Eleganz und A 10.000 Frische. Alle Räume sind nach dem Umbau A um ein Vielfaches heller als vorher. Hellig5.000 keit und Frische rühren vor allem aus eiA 0 ner weiteren Anspielung der Architekten auf A das für Bad Reichenhall so prägende Thema Salz : Durch das gesamte Gebäude und seine Möblierung zieht B sich ein Farbenkanon aus drei verschiedenen Rosa-, Violett- und Rottönen, abgeleitet aus dem natürlichen Farbspektrum des Salzes. Farbiges Effektlicht in den Etagen macht Salz auch bei Nacht D zum Thema des Hauses. B Alle Etagen wurden von überflüssig gewordenen Einbauten befreit. Verglaste Kombibüros prägen die erneuerten Büroetagen. Die großzügigen Mittelzonen nehmen Besprechungsbereiche, C Teeküchen und alle zentralen Funktionen auf, sodass gute VorSchluckbrunnen Saugbrunnen aussetzungen für ein hohes Maß an geplanter wie auch zufälliger Kommunikation bestehen. Nahezu alle Einbauten wurden indiviGrundwasser Grundwasser duell angefertigt. Die neue Kundenhalle und der SB-Bereich im Erdgeschoss sind hell und übersichtlich, zwei eingeschnittene Innenhöfe bringen Licht ins A Aktive Deckenflächen zum Heizen/ C Gas-Brennwerttherme zur SpitzenKühlen unterstützt durch konventilastabdeckung Gebäudeinnere. Eine Neuordnung erfuhr auch das Dachgeschoss, D Wärmepumpe zur Heizung / Kühonelle Heizkörper das mit seinem teilbaren Saal für Konferenzen, aber auch für öfB Wasser-Rieselwände zur natürlilung der aktiven Flächen fentliche Veranstaltungen genutzt wird. Jeder Gast der Sparkasse chen, adiabaten Kühlung der Berchtesgadener Land wird sich gerne an die weitläufige DachterMittelzonen und Teeküchen rasse und ihr grandioses Bergpanorama erinnern. FPJ

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Transformation

Rathaus  Weinstadt  Weinstadt ( DE ) Rathaus

COAST office architecture

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Rathaus weinstadt

Farbtupfer für die Sixties

lässt den zuvor mit Holzpaneelen Das Weinstädter Rathaus wurde verkleideten Raum jetzt deutlich 1964 erbaut. Charakteristisch höher erscheinen. Deckenbünfür das helle, zweigeschossidige horizontale Lichtlinien verge Gebäude sind die patinierte laufen „ übereck “ in der Decke Kupferfassade und der sechsund bestimmen die Wirkung des eckige Anbau mit seinem zeltUmbau und Sanierung des Rathauses erneuerten Sitzungssaals. Sie förmigen Dach. Obschon in die Weinstadt-Beutelsbach unterstreichen die Großzügigkeit Jahre gekommen und technisch COAST office architecture, Stuttgart des Raums und sorgen für eine überholt bestand an den archigleichmäßige Ausleuchtung. tektonischen Qualitäten des Der Abbruch der bis dahin kleinGebäudes kein Zweifel. Ziel der teiligen Bürostruktur der FinanzSanierung war neben einer enerverwaltung machte den Weg frei getisch-technischen Erneuerung daher in erster Linie eine räumliche Reorganisation, die das für die Schaffung eines großen zusammenhängenden NutzungsbeHaus an veränderte Nutzungsaufgaben anpasst und seine Stärken reichs als repräsentativem und feierlichem Raum für standesamtliche Trauungen, Versammlungen und Veranstaltungen. wieder zur Geltung bringt. Die Stadt beabsichtigte, im Rathaus Weinstadt-Beutelsbach ein zentrales Bürger- Grundriss Erdgeschoss Projektdaten Bauherr Stadt Weinstadt, vertreten büro für alle fünf Weinstädter Stadtteile durch das Hochbauamt einzurichten. Daneben waren das TrauBaukosten 2,5 Mio. Euro zimmer sowie die Verwaltungsbereiche mit Hauptnutzfläche 1.300 m² Sitzungssaal neu zu gestalten. Das neue BRI 6.000 m³ BGF 1.890 m² Raumkonzept sollte Offenheit und BürgerFertigstellung 2006 ( 1. BA ) /  nähe vermitteln. 2009 ( 2. BA ) Wenige Elemente gliedern das neu gestalProjektleitung Alexander Wendlik tete Foyer und erlauben dem Besucher eine Standort Marktplatz 1, D–71384 Weinstadt-Beutelsbach klare Orientierung. An die Stelle des ehemals dunklen Wartebereichs ist ein offenes, Erbauungsjahr 1964 lichtdurchflutetes Foyer getreten. Die Archi1000 2010 tekten ersetzten das Schrankelement, das Umbau 2009 früher die Büros vom Wartebereich trennte, durch eine raumhohe Glaswand. Damit be2000 2010 steht eine visuelle Verbindung zwischen EinBaukosten M2-Preis gang und Bürobereich, und das Foyer erhält 2,5 Mio. € 1.923 € / m2 von zwei Seiten Tageslicht. Eine helle De 15.000 cke löst die bisherige dunkle Holzdecke ab, 10 m 10.000 was den Raum augenblicklich großzügiger 5.000 erscheinen lässt. An die Stelle des Einbau- Grundriss 1. Obergeschoss schranks ist die Empfangstheke getreten. 0 Brombeerfarbene Akustikelemente machen die dahinter liegende Bürozone zum Blickfang und heben sie vom ansonsten schlichten, weiß-anthrazitfarbenen Ambiente ab. Über die große Treppe im Foyer und den neuen Aufzug erreicht man den Verwaltungsbereich im Obergeschoss. Auch hier trat an die Stelle der dunklen Holzdecke eine weiße Decke, die die Räume im Zusammenwirken mit dem anthrazitfarbenen Boden sehr viel großzügiger wirken lässt. Der aufgeweitete Flur fungiert nach der Sanierung nicht alleine als Erschließung. Galerieschienen an der Oberkante der Wände und deckenbündige Einbaustrahler dienen seiner künftigen Nutzung als Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst. Charakteristisch für den Sitzungssaal ist der sechseckige Grundriss mit einem spitzen Zeltdach. Diese besondere Raumwirkung war 10 m Ausgangspunkt des architektonischen Konzepts, die Wirkung der bestehenden Elemente zu verstärken : Die neue weiße Akustikdecke Über den neu gestalten Vorplatz mit seiner Freitreppe zum Marktplatz betritt man das neue Trauzimmer. Die dienenden Funktionen – Abstellräume, Toiletten und die Garderobe – sind in einem raumhohen, weißen Großmöbel zusammengefasst, dessen Kontur von deckenbündigen Lichtlinien akzentuiert wird. Das Trauzimmer ist von Elfenbein- und Champagnertönen bestimmt, Anklänge an die Hochzeit in Weiß, wie auch die feine Textur der umlaufenden Vorhänge, die den eigentlichen Raum bilden. Mit ihrer unterschiedlichen Länge und Durchlässigkeit bilden die Vorhänge einen ebenso intimen wie festlichen Rahmen für die standesamtliche Trauung. Der Veranstaltungsbereich lässt sich jedoch mit wenigen Handgriffen auch für alltägliche Nutzungen herrichten : Werden die weißen Vorhänge zusammengeschoben, entsteht ein offener Saal für Veranstaltungen aller Art. Je nach Anlass lässt sich mit den Vorhängen der gewünschte Grad an Privatsphäre steuern. FPJ Das Rathaus-Foyer vor der Sanierung

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[ S. 80 ] Der Rat tagt unterm Himmelszelt : Sitzungssaal nach dem Umbau 2 Gesamtansicht des revitalisierten Rathauses 3 Arbeitsplätze im Bürgerbüro 4, 5 Das Foyer des Rathauses nach dem Umbau 6, 7 White Wedding in Weinstadt : Das neue Trauzimmer steht auch für andere festliche Anlässe offen. 1

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Rathaus weinstadt

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Siedlung Heuried 

Zürich ( CH ) Wohngebäude — S. 22, 32, 42, 46, 50, 62, 132

Adrian Streich Architekten

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Siedlung heuried

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1 Gebäudehülle nach der Sanierung : Der herbe Charme des Hochhausmäanders ist unverfälscht. 2, 3 Die fassadenhohen Porträtsilhouetten von Bauarbeitern ersetzte man durch aufgepixelte Fotografien spielender Kinder.

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Die orangefarbenen Vorhänge der vergrößerten Balkone sind bei den Mietern beliebt und passen gut zu den ovalen Balkonen. 5 Die Südseite des Wohnmäanders 4, 6

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Siedlung heuried

Die Siebziger im neuen Gewand

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Betonstelen im Hof, ein bunt geDie Wohnsiedlung Heuried wurfliester Brunnen sowie fassade 1972 bis 1975 von den Architekdenhohe Porträtsilhouetten von ten Peter Leemann und Claude Bauarbeitern. Elemente, die Paillard geplant und gebaut. Die der von Großformen geprägten Anlage besteht aus zwei sieArchitektur Identifikationsmobengeschossigen, dem Zeitstil Sanierung und Umbau mente verleihen sollten. entsprechend gestaffelten Bauder Wohnanlage Heuried in Zürich Ziel der Architekten war es, diese körpern. Sie umschließen den Adrian Streich Architekten, Zürich Merkmale der Anlage, insbesonnach Süden geöffneten Hofraum. dere ihre enge Verknüpfung von Auch sonst war der Bestand Architektur, Kunst und Außenvom Zeitgeist der 1970er-Jahre raumgestaltung, im Rahmen der geprägt : Die organische LandSanierung nicht preiszugeben. schaftsarchitektur von Ernst Die energetische Sanierung führte zu einer Verbesserung des UCramer umfließt kantige, rechtwinklig gestaffelte Großformen. Der Architekt Adrian Streich hatte 2002 den Studienauftrag der Werts der Gebäudehülle von ursprünglich 1,1 W / m2K zu heute Stadt Zürich für die Sanierung der Wohnanlage gewonnen. Trotz 0,25 bis 0,20 W / m2K. Die Arbeiterporträts aus den 1970er-Jahren seiner etwas herben Außenwirkung erkannte Streich die formalen mussten im Zuge der Hüllensanierung allerdings aufgegeben werQualitäten des Ensembles, seine Silhouettenbildung, die mäan- den. Zugleich beschlossen die Architekten, dem wuchtigen Häudernde Reihung der Kubaturen und ihre differenzierte Farbgestal- sergebirge durch die Integration einer neuen Balkonfassade einen tung. Nicht weniger zeittypisch war die künstlerische Ausstattung kraftvollen und eleganten neuen Auftritt zu geben. Hier eröffnete der Außenräume von Edy Brunner und Karl Schneider : Von der Op- sich die Möglichkeit, dem kantigen und großformatigen GebäuArt beeinflusste Spielobjekte, ein bunter Dampfer, lollipopartige demäander etwas „ Weiches “ hinzuzufügen. Die lange gestaffelte Gebäudefront als Folge von Wellen auszubilden, sahen die Planer als einzigartige Projektdaten Lageplan Wohnanlage Heuried Möglichkeit, eine plastische Manipulation Bauherr Stadt Zürich Baukosten Gebäudekosten : ca. 29 Mio. in diesem Maßstab zu verwirklichen. CHF, Anlagekosten : ca. 34 Mio. CHF Die durchlaufende Ortbetondecke der BGF 35.930 m2 bestehenden Balkone behielten die Ar- Hauptnutzfläche 12.563 m2 chitekten aus statischen Gründen bei Besonderheit Energiekonzept gemäß zertifiziert ( Stützmoment der durchlaufenden Decke ) ; Minergie-Standard Fertigstellung 2006 die alten Brüstungselemente und ein Drit- Landschaftsarchitektur Manoa Landtel der bestehenden Decke ließen sie ab- schaftsarchitekten GmbH, Meilen brechen. Die ergänzende Deckenschalung Standort Höfliweg 2–22, stimmte man exakt auf das bestehende CH–8055 Zürich Schalungsbild ab. Die neuen geschwun- Erbauungsjahr 1972 genen Brüstungselemente wurden in die 1000 2010 Schalung gestellt und monolithisch mit der Umbau 2004–2006 bestehenden Ortbetondecke vergossen. Die 2010 vergrößerten Balkone fügen sich nahtlos in 2000 die neue Fassade und erzeugen den Ein- Baukosten M2-Preis 1.736 € / m2 50 m druck einer wellenförmigen Bewegung, die ca. 21,8 Mio. € 15.000 über die gesamte Häuserzeile verläuft. Als zeitgenössische Entsprechung für die Grundriss eines vergröSSerten Balkons 10.000 imposanten Gesichtsprofile auf der Fas5.000 sade wurden zur Talwiesenstrasse hin 0 neue großformatige figürliche Darstellungen auf die Fassade aufgebracht – in Rasterpunkte aufgelöste Bilder dreier spielender Kinder. Mit ihrem „ Blow-up “-Effekt oszillieren diese je nach Distanz des Betrachters zwischen figürlicher und konkreter Malerei. Ausgangspunkt der Wandbilder waren Fotografien der Kinder der Künstlerin Judith Elmiger. Zunächst wurden die gescannten Fotos in ein CADProgramm eingelesen und jeder einzelne Punkt abgezeichnet. Die vektorbasierte Zeichnung wurde dann in 1,1 Meter hohen und 6 Meter langen Klebefolien auf einem Schneideplotter ausgedruckt. Diese Folien wurden Bahn für Bahn auf den Verputz geklebt und die Pixelkreise mit roter Farbe ausgespritzt. Am Ende wurden die 1m Folien wieder entfernt. Judith Elmigers Wandbilder tragen wie die durch das Vergrößern der Balkone erzeugte wellenförmige Überformung der FassaAnsicht vom Höfliweg den dazu bei, die bisher introvertierte Siedlung zum umgebenden Quartier hin zu öffnen. Zwei große Vordächer, die raumgreifend bis an die Straße reichen, unterstreichen diesen Wandel. Analog zur Gestaltung der 1970er-Jahre setzt das neue Farbkonzept auf starke Farben : Dunkles Umbra kontrastiert mit bläulichem Weiß, leuchtendem Orange und hellem Böhmischgrün. Diese erdigen, naturnahen Farben aus mineralischen Pigmenten sind vom Kolorit einer Berglandschaft inspiriert. Sie interpretieren den vielfältig gegliederten Baukörper als ein künstliches Gebirge und schaffen 10 m zugleich Bezüge zum Quartier, wo ähnliche Töne vorherrschen. FPJ

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Lesezeichen Salbke     Magdeburg ( de ) Alt Brache — S. 32 neu Stadtplatz

KARO* Architekten

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Lesezeichen Salbke

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Grünes Wohnen : Sitzgruppe, Bücherschrank und Rasenteppich – das Lesezeichen im Magdeburger Vorort Salbke lädt zum Verweilen ein.

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turmförmige Kubus dient als Freiluftbühne und begrenzt das Lesezeichen zur Kreuzung hin. 3 Mit einem Mock-up aus leeren Bierkästen simulierten KARO* Architekten für die Salker Bürger vor Baubeginn das geplante Gebäude. 4, 5 Markant hebt sich das Lesezeichen vom lange vernachlässigten städtischen Umfeld ab. 6 Die Graffitis durften Jugendliche aus dem Viertel aufsprühen.

Alt & Neu

Lesezeichen Salbke

Ein Monument des Bürgersinns

Nur Mittel, das Lesezeichen auch Das „ Lesezeichen Salbke “ ist eizu bauen, waren nicht in Sicht ne erstaunliche Erfolgsgeschich– bis die Architekten auf das te : Kaum fertiggestellt, wurde Programm für Experimentellen das an sich bescheidene Projekt Wohnungs- und Städtebau des zu einem Liebling der ArchitekBundes stießen. Die Bewerbung turpresse – ob seines ideellen Freiluftbibliothek war erfolgreich, das LesezeiPotenzials und weil es beweist, in Magdeburg-salbke chen konnte Wirklichkeit werdass Architektur sehr wohl ein KARO* Architekten, Leipzig den. Seine Außenschale besteht Mittel sein kann, um Orte nachaus „ Hortenkacheln “ – 50 × 50 haltig umzuwerten und Identität Zentimeter großen Elementen zu stiften. Auch die Salbker Büraus Gussaluminium, mit denen ger haben das – von ihnen mitgeder Warenhauskonzern Horten plante – Lesezeichen begeistert seit den frühen 1960er-Jahren angenommen. Das platzartige Ensemble liegt an einer Straßengabelung an der Hauptverkehrs- seine Häuser verkleidete. Das Architekturbüro RKW Architektur + ader des Stadtteils, dem früheren Standort der 1987 abgebrannten Städtebau hatte die Hortenkachel basierend auf einem stilisiertem „ H “ entwickelt. Die für das Lesezeichen verwendeten 300 Quadöffentlichen Bibliothek. Salbke, ein eingemeindetes Dorf am Südrand von Magdeburg, er- ratmeter Kacheln demontierte man in Hamm, als 2006 das dortige lebte mit der schlagartigen Deindustrialisierung nach der deut- Horten-Warenhaus abgerissen wurde. Der Bürgerverein erwarb sie, schen Wiedervereinigung zu Beginn der 1990er-Jahre einen inklusive Unterkonstruktion, für 5.000 Euro vom Abrissunternehmen. drastischen Niedergang, geprägt von Leerstand und Verwahrlosung. „ Als wir mit der Schema-Darstellung der Horten-Kacheln und Projektdaten Bauherr Stadt Magdeburg Arbeit begannen, fanden wir eine fast völlig ihrer Unterkonstruktion Baukosten 325.000 Euro ; verlassene Ortsmitte vor “, beschreibt ArBudget für Bauplanung, Bürgerbeteichitekt Stefan Rettich die Ausgangssitualigungsprozess und Projektdokumention. Die Stadtverwaltung hatte in Salbke tation : 75.000 Euro Nutzfläche 328 m² Freianlage, seit der Wiedervereinigung kaum inves488 m² Grundstücksfläche tiert, und vielleicht war es ein Anflug von BGF 160 m² ( Bühne + Stadtregal ) schlechtem Gewissen, der sie veranlassBesonderheit Ensemble ist das te, KARO* Architekten in Kooperation mit gebaute Ergebnis eines Bürgerbeteiligungsprozesses und ModellvorArchitektur+Netzwerk zu beauftragen. haben des Forschungsprogramms Das im Stadtumbau bewanderte Büro soll„ Familien- und Altengerechte Stadtte Konzepte für die Aufwertung der zahlreiquartiere “. Verwendung von ca. 550 chen Brachflächen im Ortsbild entwickeln. Fassadenkacheln eines abgerissenen Warenhauses. Ausgestattet mit minimalem Budget galt Fertigstellung 6 / 2009 es, mit temporären, aber ausdrucksstarProjektleitung / Mitarbeit Stefan ken Aktionen das Potenzial dieser Orte Rettich, Antje Heuer u.a. aufzuzeigen. Die erste Aktion hieß „ WasStandort Alt Salbke 37, D–39122 Magdeburg serzeichen “. Auf einem Brachgrundstück unweit des Elbufers schüttete man Sand Umbau 2008–2009 an, es wurden bunte Fahnen aufgezogen 2000 2010 und stilisierte Strandkörbe aufgestellt. Das 2 Baukosten M -Preis Wasserzeichen sollte die Menschen daran 2 0,325 Mio. € 398 €/m erinnern, dass Salbke am Elbufer liegt, vom 15.000 Strand nur durch eine Industriebrache ge10.000 trennt. Die Idee vom urbanen Strand wurde letztlich nicht verwirklicht, doch das Inter- Insofern ist das Lesezeichen kein Beispiel für das Bauen im, sondern 5.000 esse der Bewohner war geweckt. mit Bestand. Lediglich die schadhafte Lackierung der metallischen 0 Schließlich ergab sich die Chance, dieses Kacheln musste vor ihrer Wiederverwendung entfernt und neu aufKonzept der Neuaneignung von Stadtraum getragen werden. Die Fassadenmodule werden von ihrer Originalauf einen anderen Ort anzuwenden, den früheren Bibliotheks- Unterkonstruktion getragen. Sie ist an ihren Kopf- und Fußpunkten standort im Zentrum des Stadtteils. In einer offenen Entwurfs- mit Stahllaschen an einer Stahlrahmenkonstruktion befestigt. werkstatt, eingerichtet in einem leer stehenden Ladenlokal gleich Das Lesezeichen ist ein eigenwilliger Hybrid aus Innen- und Augegenüber, hatten Jung und Alt eine Woche lang Gelegenheit, ihre ßenraum. Seine Qualität beruht auf erstaunlich sparsamen Mitteln, Ideen zu formulieren oder zu skizzieren. Dabei entstand die Idee zum Beispiel der podiumartigen Erhöhung gegenüber dem Umfeld. eines „ grünen Wohnzimmers “, eine Kombination aus Stadtplatz Außer der Bühne und den in die Wand eingelassenen Bücherborden und Freiluftbibliothek, gerahmt von einer Wand, die den Platz ab- beschränkt sich das gestalterische Programm auf holzbeplankte schirmt gegen den Lärm der angrenzenden Hauptstraße. Diese Bänke und geometrische Rasenflächen. Die zeichenhafte Präsenz Wand schließt ab in einem zweigeschossigen, turmartigen Kubus. des Bühnenturms am Eckpunkt des Ensembles war von den beZur Straße markiert er das Lesezeichen weithin sichtbar, zum teiligten Laien gewünscht, ebenso die Verwendung von recycelten Platz öffnet er sich und beschirmt in Form eines umgedreht „ L “ Materialien. Die reinen Baukosten für das Lesezeichen betrugen, eine kleine Bühne. einschließlich Außenanlage und Möblierung, 325.000 Euro. Um den beteiligten Bürgern eine Vorstellung von der räumlichen Schon in der Probephase des 1 :1-Modells waren aus der ganzen Wirkung ihrer Idee zu geben, organisierten die Architekten über Stadt Bücherspenden für die geplante Freiluftbibliothek eingeganeinen örtlichen Getränkehandel etwa 1.000 leere Bierkisten und gen, inzwischen hat der Bürgerverein ein dem Lesezeichen nahebauten damit das Lesezeichen als 1 :1-Mock-up an Ort und Stel- gelegenes Ladenlokal angemietet, um die mittlerweile mehr als le auf. Die Kistenwand stabilisierte man mit Klammern aus Metall 20.000 Bände unterzubringen. Ein kleiner Präsenzbestand befindet und Kunststoff. Einige Tage lang veranstalteten Bürgerverein und sich frei zugänglich in den Regalen des Lesezeichens. Salbke hat Architekten hier Feste, Lesungen und Konzerte. „ Diese Aktion hat also nicht nur ein Stück seiner alten Mitte wiedergewonnen, sonalle zusammengeführt “, erinnert sich Rettich. dern unverhofft auch seine Bibliothek. FPJ

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Transformation

confiserie  bachmann 

BASEL ( CH ) Gastronomie — S. 28, 136, 156, 168

HHF Architekten

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confiserie bachmann

Petits Fours im Chromgehäuse

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Nach dem Abbruch des RheinDies bewog die Eigentümerfators 1839 / 40 durchlief die nördmilie, einen grundlegenden Umliche Altstadt von Basel einen bau in Auftrag zu geben. Mehr Prozess der Transformation : Licht, mehr Helligkeit, mehr OfEnde des 19. Jahrhunderts entfenheit, so lauteten die Vorgastand die Marktgasse als Durchben an die beiden Teilnehmer Umbau einer Konditorei bruch zwischen Marktplatz und des kleinen Wettbewerbs, Jürg HHF Architekten, Basel Schifflände. Gesäumt wird sie Berrel und HHF Architekten. Am Hubertus Adam von repräsentativen GeschäftsEnde erhielt das jüngere Team häusern – wie dem Gebäude den Zuschlag. Marktgasse  4 / Blumenrain  1, Der Umbau von HHF hat eine das von dem seinerzeit in BaAtmosphäre entstehen lassen, sel viel beschäftigten Architekdie für eine Confiserie untypisch ten Eduard Pfrunder stammt. ist. Bewusst wünschte man sich Der Bau in Neorenaissanceformen beherbergte im Erdgeschoss kein plüschiges Ambiente, sondern einen modernen, urbanen Ort ursprünglich ein Restaurant, doch seit langem ist dort die Confise- mit direktem Bezug zum Stadtraum. Die Fensterscheiben wurrie Bachmann ansässig. den fast bis zum Gehsteig herabgezogen, Bachmann, seit mehreren Generationen in Familienbesitz, gilt mit die Ränder mit einem Siebdruck-Pixel- Projektdaten seinen drei Filialen in Basel als Institution – und der Blumenrain raster versehen, um den harten Kontrast Bauherr Confiserie Bachmann AG, ist das Stammhaus, in dem auch die Produktion stattfindet. In den zwischen hell und dunkel etwas zu verwi- Basel Baukosten 1,2 Mio.  CHF /  840.000 1940er-Jahren richtete Hermann Baur das Café und Ladenge- schen. Zur Tordurchfahrt hin lassen sich Mio. Euro netto ( Umbau gesamt ) schäft im Erdgeschoss ein, in den 1970er-Jahren erfolgte ein Um- die Scheiben im Sommer nach außen hin Nutzfläche 139,58 m² ( gesamt ), bau. Dunkel war der Gastraum bis vor Kurzem, abgeschottet vom aufklappen und gewähren den im Freien Café : ca. 98,2 m² BGF EG Total 172,82m² städtischen Umfeld. Dabei befindet sich die Confiserie Bachmann sitzenden Gästen somit Windschutz. Besonderheit Spezielle zweischichtian einem prominenten Standort : Schräg gegenüber vom Hotel Trois Blickfang im Zentrum des Raums ist der ge, hinterleuchtete Wandoberfläche Rois, nur wenige Schritte entfernt von der mittleren Rheinbrücke. ondulierende Tresen aus verchromtem aus bestrahlten und bedruckten GläStahl ; hinter Glas – wie auch in den Vit- sern und Spiegeln 2009 rinen nahe dem Schaufenster –  werden Fertigstellung Grundriss der umgebauten Confiserie Planung und Bauleitung Tilo Herlach, die Schokoladen, Petits Fours und Torten Simon Hartmann, Simon Frommenwiler wie Juwelen präsentiert. Verzahnt mit dem Projektleiter Markus Leixner Thekenkörper sind zwei schimmernde Bart- Standort Marktgasse 4  /  Blumenrain 1, resen. Entscheidend für die Lichtstimmung CH–4051 Basel im Raum ist die aus zwei mit gegeneinan- Erbauungsjahr 1940 der versetzten Spiegelstreifen bedruck- 1000 2010 ten Scheiben aufgebaute Rückwand. In Umbau 2009 Schrägsicht geht der Blick dank der Spie2010 gelstreifen nahezu in die Unendlichkeit und 2000 2 lässt den Innenraum größer erscheinen, als Baukosten M -Preis 6.000 € / m2 er in Wirklichkeit ist, frontal gesehen wird ca. 0,84 Mio. € 15.000 das Scheibengefüge zur leuchtenden, aber opaken Wand von beinahe textilem Cha10.000 rakter. Dazu treten Leuchtkörper des ita5.000 lienischen Herstellers Danese mit sich 0 kräuselnden Kabeln – zum Teil in Zylinderform, zum Teil als Kuben mit abgerundeten Ecken. Letztere, Entwürfe von Carlotta de Bevilacqua aus dem Jahr 2007, wurden von HHF mit weißen Polycarbonatfolien versehen und schimmern magisch. Der alte Fußboden blieb erhalten, wurde lediglich poliert. Er verschafft dem lichten Raum im wahrsten Sinne des Wortes seine „ Erdung “ und stellt letztlich – wie auch die dunklen, von HHF entworfenen Tische – eine Reverenz an die ursprüngliche Ausstattung 10 m von Hermann Baur dar.

Gediegen, aber auch etwas dunkel und angestaubt, …

... präsentierte sich der Gastraum vor dem Umbau.

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Transformation

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1 [ S. 92 ] HHF Architekten entrümpelten das alte Kaffeehaus gründlich. Der neue Look ist provokant modern, vermittelt aber auch Klarheit und Ruhe.  2–4 Die Öffnung zur Straße und das leichte, von wenigen Elementen bestimmte Mobiliar verwandeln die Confiserie in eine moderne Café-Bar.

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Schule  dagmersellen   Dagmersellen ( ch ) Lehrgebäude — S. 58, 98, 108, 152

Peter Affentranger Architekt

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4 1–3 Das

in roter und blauer Farbe gestaltete Treppenhaus ist das neue Herzstück der Schule. 4 Deutlich wird der Effekt der farbigen Reflexionen sichtbar. 5 Fassade und Eingang der Schule nach der Sanierung

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Schule dagmersellen

Im Licht überlagern sich Farbklänge

räumlichen Ordnung dar – ganz Das 1970 errichtete Gebäude im Sinne des Entwurfs, der aus der Hauswirtschaftsschule im bestehenden und hinzugefügSchweizerischen Dagmersellen ten Raumstrukturen ein neues genügte nach rund vierzig JahGanzes schaffen will. Im Licht ren den Anforderungen an eine überlagern sich die Abstrahlunzeitgemäße Schule in vielergen der Farbklänge. Ergebnis lei Hinsicht nicht mehr. Es war sind wohltemperierte Farbräuseit längerer Zeit renovierungsUmbau und Erweiterung der me, die sich im Verlauf des Tabedürftig, außerdem fehlten Hauswirtschaftsschule Dagmersellen ges fortwährend wandeln und der Schule dringend benötigte Peter Affentranger Architekt, Luzern neu bilden. Die harmonische Unterrichtsräume. Wirkung der vom Architekten Mit Rücksicht auf die besonund dem Künstler Erich Häfliger dere Lage innerhalb des Ortsgemeinsam entwickelten Farbkerns gab der Gemeinderat eine Studie unter neun eingeladenen Architekturbüros in Auftrag. Den komposition beruht nicht auf der Ähnlichkeit der Farben, sondern auf ihrer charakteristischen Verschiedenheit. Wettbewerb gewann der Luzerner Architekt Peter Affentranger. Die neue Hauswirtschaftsschule soll ver- Die Strategie des Weiterbauens war im Fall der Hauswirtschaftsmitteln zwischen den unterschiedlichen schule ökonomisch sinnvoll und nachhaltig. Abgesehen von der Projektdaten Bauherr Gemeinde Dagmersellen auf dem Schulareal vertretenen Epochen gemäß Minergie-Standard konstruierten und neu gedämmten GeBaukosten 6,5 Mio. CHF – die insgesamt sechs Gebäude stammen bäudehülle konnten die funktionalen Beziehungen innerhalb des 2 Nutzfläche Bestand 1.530 m aus den 1950er- und 1960er-Jahren sowie Gebäudes optimiert und seine pädagogische Nutzungsvielfalt Nutzfläche nach Umbau 2.550 m2 aus dem späten 19. Jahrhundert. Der in sei- deutlich erhöht werden. FPJ BGF nach Umbau 2.980 m2 Fertigstellung 1 / 2008 ner Maßstäblichkeit fein abgestimmte ErProjektleitung Peter Affentranger, weiterungsbau fügt sich als überzeugender Architekt BSA SWB, Luzern Komplementär in das Ensemble aus Kirche, Standort Kirchfeld, Schulbauten und Gemeindehaus ein. Der alCH–6252 Dagmersellen te Gebäudeteil, rund 50 Prozent des heuErbauungsjahr 1970 tigen Gebäudevolumens, geht vollständig 1000 2010 in dem neuen, deutlich großzügiger dimenUmbau 2006 sionierten Gebäude auf. Die bestehende Volumetrie wurde überformt und weiterent2000 2010 wickelt. Ergänzt um einen fünften Flügel 2 Baukosten M -Preis und ein zusätzliches Stockwerk entstand ca. 4,75 Mio. € 3.105 € / m2 unter Einbeziehung des Vorgängerbaus eine Innen- und Außenansicht des Schulhauses vor dem Umbau 15.000 stimmige, in sich schlüssige Großform. Die 10.000 verputzten Fassaden mit ihren präzise in die Lageplan und Grundriss 5.000 Hülle eingeschnittenen Panoramafenstern K treten in einen Dialog mit den mehrheitlich 0 L K ebenfalls verputzten Nachbarbauten. L J Unter Beibehaltung der prägenden struktuJ H rellen und räumlichen Elemente gruppieren sich die Räume um die F G H zentrale Erschließungshalle, deren beherrschenden Mittelpunkt F B C G A die Treppenanlage bildet. Im Parterre bilden Eingangshalle und B C A angrenzende Bibliothek ein großzügiges Raumkontinuum, das sich etwa für Lesungen, Konzerte, Theater und Feste nutzen lässt. A Pausenhalle D E B Windfang Die Klassenräume und die Räume für die Teilungsklassen formen D E C Eingangshalle – zusammen mit den Gruppenräumen – Cluster, die innerhalb der D Handarbeitszimmer Etagen überschaubare Einheiten bilden. Um Unterrichts- und E Bibliothek Arbeitsformen jenseits der traditionellen Klasseneinheit zu erF Büro Bibliothek D G Toiletten möglichen, wurde jeder Schulraum mit einem Fenster zum ErD H Putzraum schließungskorridor ausgestattet. I Lehrerzimmer 10 m Die Wandgestaltung der Innenräume in Form von polychromen J Fahrstuhl 10 m Farbkompositionen stellt gleichsam eine visuelle Verdichtung der K Treppenhaus L Klassenraum

Schnitt durch das aufgestockte Schulgebäude

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Transformation

Blumen-  grundschule und bernhardrose-schule BERLIN ( DE ) Lehrgebäude — S. 58, 95, 108, 152

huber staudt architekten bda

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Blumen-grundschule und bernhard-rose-schule

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1 Die aus Betonformsteinen gestaltete Eingangsfassade des Gebäudes blieb trotz thermischer Sanierung unverändert. 2 Die unterschiedlich breiten Aluminiumprofile im Detail 3, 4 Wechselnde Brauntöne und Profilbreiten charakterisieren die horizontalen Lamellen der Fassade : Die Anmutung von Holzlatten war beabsichtigt. 5 Gesamtansicht des erneuerten Gebäudes

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Transformation

Im Kern seriell, in der Erscheinung individuell

Standardisierte, ab den 1960erNachkriegsmoderne und tritt Jahren errichtete Bauten, bei in den Dialog mit den Bäudenen heute großer Sanierungsmen vor dem Haus. Das sonst bedarf besteht, finden sich in eher als kühl geltende Materiden innerstädtischen Kulissen al Aluminium beweist eine hohe beider deutscher Staaten – und Lebendigkeit – durch die wechdamit auch in Berlin. Nach Jahrselnden Stärken der Profile und zehnten erfahren sie seit den ihre kräftigen, warmen Farben Energetische Sanierung und 1990er-Jahren zum ersten Mal ebenso wie durch die filigrane Fassadengestaltung Blumen-Grundschule eine bauliche, aber auch gestalGesamtwirkung aus Sprossen, und Bernhard-Rose-Schule in Berlin terische Erneuerung. Zwischenräumen und SchatHuber Staudt Architekten bda, Berlin Der Ausgangspunkt ist dabei tenfugen und dem fast maleFrank Vettel vergleichbar : Relativ schlichte, risch gebrochenen Lichteinfall detailarme Stahlbetonbauten, im Inneren. Keine „ bunte “ Alderen „ gleichmachende “ kreative Armut inzwischen Generationen lerweltsgrundschule ist das Ergebnis, sondern eine ästhetisch gevon Schülern durchlaufen haben, können nun einer objektspezifi- steigerte, urbane Architektur. schen architektonischen Analyse und Neukonzeption unterzogen Bei der Entstehung der Schule hatte man den Künstler Norwerden. Statt eines Serienprodukts stehen bei diesem Versuch, neue bert Schubert mit der Schaffung einer Fassadenskulptur für die Identität zu stiften, die Nutzer als Individuen im Vordergrund. seitliche Giebelfassade beauftragt. Sie stellt den sowjetischen Bei dem Schulkomplex handelt es sich um den 1965 / 66 errichteten Prototyp eines in Ansicht und Schnitt der Fassadenverkleidung Projektdaten Bauherr Bezirksamt Friedrichshainder DDR danach hundertfach realisierten Kreuzberg, Berlin Schulgebäudes der Serie „ SK Berlin “. Baukosten 2 Mio. Euro Bei diesem Schulstandort war es gemeinNutzfläche 1.281 m² sames Ziel der Architekten und von uns als BGF 4.512 m² Sanierte Fassadenfläche 4.900 m² Bauherren, eine individuelle Antwort auf die Besonderheit Das Gebäude war vorgefundene Situation zu formulieren. Der 1965 / 66 der Prototyp ( Skelettbauweise SK Berlin ) eines in den Folgejahren Wunsch nach Gliederung bislang dimensionsloser Fassaden, andererseits die übliin großer Zahl errichteten Schultyps. Fertigstellung 2007 chen Zwänge des öffentlichen Bauens, mit Projektleitung / Mitarbeit Andreas sparsamen Mitteln zu arbeiten und auch Büttner, Stefania Dziura, die dauerhaften Betriebskosten zu senken, Leander Moons führten zum Konzept einer elementaren, Standort Andreasstraße 50–52 /  Singerstraße 87, D–10243 Berlin sichtbar vorgehängten Hülle, die zugleich zum Filter und Mittler zwischen Außen- und Erbauungsjahr 1965 Innenraum wird. Anfängliche Vorstellungen 1000 2010 eines amorphen textilen Gewebes oder hölUmbau 2006–2007 1m zernen Geflechts führten nach intensivem Dialog zwischen Architekten und Bauher2000 2010 ren zur schließlich realisierten Struktur aus Grundriss Erdgeschoss Baukosten M2-Preis Aluminiumprofilen wechselnder Maße und 2 Mio. € 1.561 € / m2 15.000 Eloxierungen im Braun-Beige-Spektrum. E F E Holz schied für den Bezirk aufgrund der zu A 10.000 erwartenden Unterhaltskosten als BaumaD H G 5.000 terial aus. In der Herstellung durchaus seriell ( in raumC C C C C B C 0 F hohen Elementen vorfabriziert und monA tiert ), im Erscheinungsbild jedoch individuell, dient die Struktur 10 m dem Witterungsschutz der nun sehr gut wärmegedämmten Stahlbetonfassade [  vgl. S. 102 ]. Zugleich markiert die Aluminiumhülle die Trennung zwischen den Klassenräumen und wirkt in den Fluren als A Windfang D Hausmeister G Flur B Foyer E WC H Vorbereitung visuelle Begrenzung und Sonnenschutz. F Treppenhaus Der ausgeprägte Horizontalakzent der neuen Vorhangfassa- C Klasse de unterstreicht das Bauvolumen und die karge Poesie der Kosmonauten Juri Gagarin – Mitte der 1960er-Jahre Idol aller Kinder in der DDR – in Ikarus-Gestalt dar. Im Zuge der energetischen Sanierung konnten die Architekten den Künstler ausfindig machen und für eine Rekonstruktion seines Werkes auf der neu gedämmten Fassade gewinnen ; auch das ein Stück Kontinuität der Moderne. „ Die hohen Erwartungen an die Nachhaltigkeit der Fassadensanierung haben sich bislang erfüllt. Die kontrastreiche Farbigkeit der Außenhaut bietet keine Grundlage für Graffiti. Die wenigen Farbschmierereien auf den Profilen konnten mühelos abgewaschen werden. Die Schulen sind in ihrer Außenwahrnehmung deutlich aufgewertet worden, aber auch nach Innen zeigt sich, dass die kleinteilige Gestaltung angenommen und weiterentwickelt wurde. So konnte inzwischen an den Flurwänden ein Farbkonzept des Bezirkes verwirklicht werden.“ Joachim Staudt Ansicht der Schule vor dem Umbau

[Quelle : Detail, H. 9 / 2009, S. 898.]

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  Energetische bestnoten Sanierungsaufgabe Schule und Hochschule

Zeitgemäße Dämmung, effiziente Gebäudetechnik und vor allem intelligente Sanierungskonzepte verhelfen selbst vierzig Jahre alten Plattenbauten zu Niedrigenergiestandards – ohne dabei ihr ursprüngliches Erscheinungsbild zu überformen : Erfahrungen bei der Erneuerung von drei Schul- und Hochschulgebäuden der Nachkriegsmoderne. Susanne Rexroth

In den wachstumsstarken Jahren zwischen 1950 und 1970 erlebte Deutschland einen beispiellosen Bauboom. Viele der in den Jahren des Aufschwungs errichteten Gebäude wurden – ungeachtet aller formalen Qualitäten – später zu Sorgenkindern, und das hat im Wesentlichen zwei Gründe : In der unmittelbaren Nachkriegszeit haperte es erheblich an der Qualität und damit der Haltbarkeit der Baustoffe, zudem begann in den frühen 1960er-Jahren der Siegeszug industrieller Bauprodukte ( Westeuropa ) bzw. des industrialisierten Bauens ( Osteuropa ). Doch gerade in den Anfangsjahren war die Industrialisierung des Bauens technisch noch nicht wirklich ausgereift.I Ein Großteil der Bauten aus dieser Phase erhöhter Bautätigkeit hat daher inzwischen das Ende der Nutzungsdauer erreicht und entspricht nicht mehr den heutigen, veränderten Energiestandards. Auch die Anforderungen an Komfort, Ausstattung und Infrastruktur sind nicht mehr die gleichen wie vor vierzig oder fünfzig Jahren. Neue Organisations- und

Kommunikationsstrukturen, veränderte Nutzerbedürfnisse und Anforderungen an die technische Ausrüstung machen eine Modernisierung der Gebäude unumgänglich, ebenso wie häufig verwendete, inzwischen als gesundheitsschädlich eingestufte Baustoffe wie zum Beispiel Asbest. Bei Schulgebäuden führt die große Anzahl an Schülern in den Klassenzimmern zu hohen internen Wärmelasten, die sehr hohe Anforderungen an die Lufthygiene stellen. In den meisten Fällen ist die Luftqualität in bestehenden Schulgebäuden unbefriedigend. Außerdem wird heute der Beleuchtung und Belichtung eine größere Bedeutung beigemessen, wenn es gilt, bei den Schülern Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit zu fördern. Eine Vielzahl der Schulgebäude, die vor 1977, das heißt vor Inkrafttreten der ersten Wärmeschutzverordnung erbaut wurden, verfügen zudem über wenig überzeugende Dämmungen der Hüllfläche – wenn es überhaupt eine Dämmung gibt. Hier liegt bei der Bestandssanierung mitunter das höchste energetische Einsparpotenzial.

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Energetische Bestnoten

Typenschulen aus DDR-Produktion : Bernhard-Rose-Schule und Blumen-Grundschule in BerlinFriedrichshain — Bedingt durch Materialknappheit und geringe Produktionskapazitäten war die DDR nach dem Krieg schon bald zur Ökonomisierung ihres Bauwesens gezwungen. Für den Schul- und Wohnungsbau wurden einheitliche Raumprogramme entwickelt, die eine Typisierung der Gebäude ermöglichten.II 1965–66 entwickelte Gerhard Hölke für das Wohnungsbaukombinat Berlin die Skelettbauweise SK-Berlin und führte damit eine neue Konstruktionsart ein – einen Schul-Typenbau, der in der DDR mehr als 160-mal realisiert wurde. Der Prototyp dieser Reihe war die Bernhard-Rose-Schule in Berlin-Friedrichshain. Als Zeugnis der seriellen Bauweise wird sie vom Bezirk als denkmalwürdig eingestuft. Typengleich hatte man in direkter Nachbarschaft die Blumen-Schule errichtet. Huber Staudt Architekten aus Berlin erhielten 2008 den Auftrag für die energetische Sanierung der Fassaden beider Schulgebäude. Der Bezirk Friedrichshain konnte die Arbeiten mithilfe von Fördermitteln realisieren. Fördermittelprogramme wie die der KfW-FörderbankIII knüpfen an die Vergabe von Geldern hohe energetische Standards. Im Falle der beiden Schulen in Berlin-Friedrichshain galt es, die vorgeschriebenen Werte der Energieeinsparverordnung ( EnEV ) um vierzig Prozent zu unterschreiten, mit dem Ergebnis, dass der Jahresprimärenergiebedarf von 27,6 kWh / m3a auf 11,4 kWh / m3a gesunken ist. Die Sanierung sah die lückenlose Dämmung der wärmeabgebenden Hüllflächen vor, was sich vor allem bei den Hauptfassaden der Schulen energetisch positiv auswirkte. Geschlossene Giebelwände bilden die Schmalseiten des langgestreckten Stahlbetonriegels. Sie konnten ohne größeren Aufwand mit einem konventionellen Wärmedämmverbundsystem versehen werden, was eine Verbesserung des U-Wertes auf 0,22 W / m2K ermöglichte. Anspruchsvoller erwies sich die energetische Optimierung der Treppenhäuser und der Längsfassaden. Da die Treppenhausfassaden mit einem gestaltbildenden plastischen Dekor aus Betonformsteinen versehen sind, entschieden sich die Architekten für eine Innendämmung aus 8 Zentimeter dickem Foamglas. Dadurch verbesserte sich der U-Wert von 1,01 W / m2K auf 0,4 W / m2K. Eine Bandfassade mit Brüstungsfeldern aus Betonrippenelementen mit Kerndämmung bildet die Längsseiten der Schule und nimmt den größten Teil der [ S. 104 ] Brandwand der BlumenGrundschule nach der Sanierung : Im Zuge der Hüllensanierung wurde auch das Ikarus-Motiv saniert.

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Gesamthüllfläche ein. Ihre energetischen Ertüchtigung hat somit die größte Auswirkung auf die Gesamtenergiebilanz. Der zu erwartenden Kondenswasserbildung in den Luftkammern der Gefache begegneten die Architekten mit dem Einbau von Abflussrohren, sodass die Wärmedämmung vor Feuchteschäden geschützt ist. Auf die Fassadenelemente wurde eine vorgehängte hinterlüftete Fassade aus einer 12 Zentimeter starken Mineralfaserdämmung, einer Wetterschutzfolie und elementierten Feldern aus Aluminiumprofilen montiert. Ergebnis dieser Eingriffe ist ein U-Wert von 0,20 W / m2K gegenüber dem alten U-Wert von 0,69 W / m2K. Entsprechend dämmte man auch die Attika und erreichte so einen UWert von 0,23 W / m2K, ebenso wie im Sockelbereich, wo eine 12 Zentimeter dicke Perimeterdämmung zum Einsatz kam. Diese Maßnahmen tragen entscheidend dazu bei, dass der ursprüngliche Charakter der Fassade hinter dem neuen „ Vorhang “ erhalten bleibt. An der nach Westen ausgerichteten Hoffassade der BlumenGrundschule wurden die Aluminiumprofilelemente über die gesamte Fläche geführt, sodass man auf einen zusätzlichen Sonnenschutz verzichten konnte. Entscheidend für den Sanierungserfolg war auch eine energetische Optimierung der Fenster. Um die direkt in die Großtafeln eingefügten Treppenhausfenster in der bisherigen Optik erhalten zu können, setzte man hinter den einfachverglasten, feingliedrigen Stahlfenstern Innenflügel ein, sodass sie konstruktiv zu Kasten-Doppelfenstern wurden. Mit dieser einfachen Maßnahme konnte der ursprünglich sehr schlechte U-Wert von rund 5 W / m2K immerhin halbiert werden. Die alten Klassenzimmerfenster mit U-Werten von 3,5 W / m2K wurden gegen neue Holzfenster mit einem U-Wert von 1,3 W / m2K ausgetauscht. Damit wurde der vom Fördermittelgeber geforderte UWert sogar um 24 Prozent unterschritten. Das Ziel, die Energiekosten zu senken und die Unterrichtsbedingungen zu verbessern, wurde mit einem Investitionsvolumen von 75 Euro pro Kubikmeter Gebäudevolumen zu sehr wirtschaftlichen Konditionen erreicht. Grundschule RolandstraSSe in Düsseldorf — Als zeitspezifisches westdeutsches Pendant kann man die Grundschule Rolandstraße in Düsseldorf betrachten. Infolge der steigenden Geburtenrate in den Nachkriegsjahren kam es in den frühen 1960er-Jahren zu einem akuten Mangel an Schulraum, und die Errichtung [ S.104 ] Treppenhaus nach der Sanierung : Der Zwischenraum der neuen Kastendoppelfenster dient zugleich als Vitrine für den Kunstunterricht.

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3 Die neu aufgebrachte Dämmschicht mit den Halterungen für die Fassadenverkleidung

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Sanierungsaufgabe Schule und Hochschule

neuer Schulgebäude wurde zu einer der dringlichsten Bauaufgaben. Im Kontext eines Studienauftrags des Düsseldorfer HochbauamtesIV errichtete der Architekt Paul Schneider-Esleben 1961 die Grundschule Rolandstraße als zweiflügeliges, Doppel-H-förmiges Ensemble. Die selbsttragende Fassade des Stahlbetonskelettbaus ist je nach Raumfunktion unterschiedlich ausgebildet, insgesamt jedoch ebenengleich mit dem Tragwerk und geprägt von einem Raster, das sich aus dem Zusammenspiel von Stützen und Deckenplatten ergibt. Bei der Generalsanierung des Gebäudes, die 2004 bis 2006 durchgeführt wurde, standen der Wärmeschutz und die Modernisierung der technischen Ausstattung im Vordergrund. Die Schule wurde vor der Sanierung komplett freigezogen. Da der Schulbau als Denkmal eingetragen ist, hatten die beauftragten Architekten Legner und van Ooyen die Aufgabe, das bisherige Erscheinungsbild zu erhalten und Eingriffe in die Bausubstanz weitgehend zu vermeiden. Dennoch konnte die Sanierung entsprechend der damals geltenden Energieeinsparverordnung ( EnEV 2002 ) erfolgen. Vor allem in Anbetracht der aufwendigen Schadstoffsanierung liegt sie mit einem Investitionsvolumen von 953.65 Euro je Quadratmeter Nutzfläche in einem moderaten Rahmen. Aufgrund der im Gebäude nachgewiesenen, für Bauten der Nachkriegszeit typischen gesundheitsgefährdenden Baustoffe und -elemente aus Asbest, künstlichen Mineralfasern ( K MF ) und polychlorierten Biphenylen ( PCB ) musste es nämlich bis auf sein Tragwerk demontiert werden.V Messungen vor der Sanierung hatten eine PCB-Belastung von teilweise mehr als 300 ng / m3 ergeben. Die geltenden GrenzwerteVI waren damit deutlich überschritten. Nach der Schadstoffsanierung dämmten die Architekten die ursprünglich außenliegende Konstruktion. Glasfaserbeton-Fertigteile verhüllen nun alle potenziellen konstruktiven Wärmebrücken wie außenliegende Stützen und Deckenstirnseiten, Attika, Laibungen und Stürze. Die Glasfaserbetonelemente sind mit einer Agraffen-Unterkonstruktion von außen unsichtbar befestigt, sodass das Erscheinungsbild gewahrt bleibt. In der so gebildeten vorgehängten, hinterlüfteten Fassade war nun Platz für 80 Millimeter Mineralfaserdämmung, die den U-Wert der ursprünglich ungedämmten Fassade von 1,8 W / m2K auf 0,45 W / m2K reduziert. Ebenengleich schloss man die Fassade aus Fensterelementen an. An den Längsseiten ersetzen 2,5 Zentimeter dicke Glasfaserbeton-Fertigteile, die sich an Materialität und Optik des Bestandes orientieren, die Waschbetonplatten vor den Sanitärräumen im Erdgeschoss. In den darüberliegenden beiden Geschossen wurden

die mit einem weißen Paneel geschlossenen Füllungen der Brüstungen gegen Vakuumisolationspaneele ausgetauscht. Durch diese Maßnahmen verbesserte sich der U-Wert der opaken Fensterelemente auf 0,45 W / m2K. Handelsübliche Fensterprofile halten heute die Isolierverglasung der Klassenraumfenster. Die Zu- und Abluftöffnungen in den Öffnungsflügeln und Oberlichtern wurden so dimensioniert, dass die Luftstromgeschwindigkeit maximal 0,08 m / s beträgt. Die Lüftung erfolgt heute über eine freie Fensterlüftung, da geänderte Brandschutzanforderungen die ursprünglich nicht regulierbare Querlüftung durch die Lüftungslamellen in den Oberlichtern der Flure nicht mehr gestatten. Die neuen Lamellen vor den Oberlichtfüllungen der Fenster brachte man aus denkmalpflegerischen Gründen an, sie haben nur mehr optische Funktion. Auch die für die Querlüftung der Klassenräume konzipierten Überstromöffnungen in den Flurtrennwänden wurden aus brand- und schallschutztechnischen Gründen geschlossen. Im Zuge der Sanierung wurde der nachträglich angebrachte außenliegende Sonnenschutz entfernt. Mit elektrisch betriebenen Lamellenraffstoren im Scheibenzwischenraum stellten die Architekten die ursprünglich flächenbündige Fassade wieder her und erfüllten somit ein weiteres denkmalpflegerisches Anliegen. Bei den vollständig verglasten Treppenhäusern wurde die vorhandene außenliegende Tragkonstruktion aus Fertigbetonstützen und -riegeln aus statischen Gründen durch eine neue Stahl-Glas-Fassade ersetzt. Während die Glasscheiben früher einfach zwischen dem Tragwerk und einer innenseitigen Faserzementplatte saßen, ist die heutige Isolierverglasung aus Einscheiben-Sicherheitsglas von den außenseitigen Stahlprofilen thermisch getrennt. Auch die Geschossdeckenhalter sind wärme- und feuchtetechnisch abgedichtet an die Tragstruktur angeschlossen. Dadurch verändert sich das Erscheinungsbild der Fassade zwar geringfügig ; ihre klare, auf wenige Elemente reduzierte Wirkung bleibt aber erhalten. Die verborgene Befestigung der Glasscheiben besitzt keine bauaufsichtliche Zulassung und bedurfte daher einer Zustimmung im Einzelfall. Der Zwischenraum zwischen den blau glasierten Klinkern und den Stahlbetonbrandwänden an den Stirnseiten der Klassenflügel konnte mit einer hydrophobierten mineralischen Einblasdämmung verfüllt werden. Das verbesserte den U-Wert von 1,3 W / m2K auf 0,43 W / m2K.

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Grundschule Rolandstraße in Düsseldorf : Unterkonstruktion der thermisch optimierten Fassadenelemente

[ S. 105 ] Ansicht des Schulhofs kurz nach der Erbauung

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[ S. 105 ] Die von Paul SchneiderEsleben entworfene Schule nach ihrer Sanierung : Schulhofansicht

[ S. 105 ] Charakteristikum des Gebäudes sind rechteckige Fassadenfelder, die von schmalen Schattenfugen gefasst werden.

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Energetische Bestnoten

während des Baus stellte sich herDie geringen Anschlussflächen zwiaus, dass die Nutzfläche bei Weitem schen Klinkerverblendmauerwerk nicht ausreichen würde. Deshalb und Gebäudeecke wurden mit einem begann man parallel zum ersten 20 Millimeter dicken WärmedämmHochhaus mit der Errichtung des putz versehen. Zwillingsbaus K II. Auch den ursprünglich ungedämmten Der 1960 begonnene StahlbetonDachaufbau konnte man nachträglich Skelettbau des Kollegiengebäudes mit einer Gefälledämmung und einer K II konnte nach vier Jahren Bauzeit bitumenkaschierten Wärmedämzusammen mit den Tiefenhörsälen mung mit insgesamt 280–390 Mileingeweiht werden. Um innerhalb limeter Materialstärke energetisch der begrenzten Kubatur ein mögverbessern. Das reduziert den USusanne Rexroth 2 lichst vielseitiges NutzungsproWert des Daches von 1,5 W / m K auf — 0,26 W / m2K. Die Speier, die früher Dr.-Ing. Susanne Rexroth, geb. in Karlsruhe, ist gramm zu gewährleisten, bedienten in Berlin. Studium der Architektur sich die Architekten eines besondedas Regenwasser von den Dächern Architektin an der TU Berlin. Nach Stationen in mehreren der Klassenräume auf den Treppen- Architekturbüros Wissenschaftliche Mitarbei- ren Kniffs – unterschiedlich hohe terin an der Fakultät Architektur der Berliner Geschosse an der Nord- und Südseite haustrakt leiteten, wurden gegen eine Universität der Künste, danach vier Jahre in separate, innenliegende Dachentwäs- Forschung und Lehre an der TU Dresden, Ins- des Gebäudes : Dank der Kombinatifür Baukonstruktion. Seit 2009 lehrt und on von jeweils drei niedrigen Instiserung ausgetauscht – was die Gefahr titut forscht sie im Studiengang Umwelttechnik / Retutsgeschossen mit zwei höheren generative Energien. Ihr Schwerpunkt liegt auf von Feuchteschäden im Flachdach erenergieeffizientem Bauen und gebäudeintegSeminargeschossen wurde die Nutzheblich mindert. rierter Solartechnologie. Promotion zum Thema fläche des Gebäudes maximiert. Die gebäudeintegrierte Photovoltaik, zahlreiche Eine mangelhafte Abdichtung und Veröffentlichungen und Forschungsprojekte. Fenster- und Betonbrüstungsstreifehlende Wärmedämmung führten www.f1.htw-berlin.de/studiengang/ut/  fen der Südfassaden sind dadurch zu einer starken Durchfeuchtung hauptsächlich horizontal gegliedert, von Kellerwänden und -decken. Daher wurden die Wände freigelegt, abgedichtet, isoliert wohingegen die Fassaden an den Nordseiten mit den und die Decken mit einer nicht brennbaren Wärmedäm- niedrigeren Institutsräumen eher durch die Abfolge einmung versehen. Der verringerte Wärmebedarf der Schu- zelner Felder bestimmt sind. Die schmaleren Ost- und le nach der Sanierung – 505 Kilowattstunden Westfassaden sind mit Ausnahme der Flurbereiche in – erlaubte es, einen der fünf Gas-Heizkes- den oberen Geschossen großflächig in Sichtsel zu entfernen. Neben Anlagekomponen- beton ausgeführt. Dort wechseln sich in Dreiten wie Regeltechnik, Wärmeverteilung und ergruppen Fenster mit Betonelementen ab. Heizkörper wurde auch die Beleuchtung Der Komplex der zwei Kollegiengebäude ist eienergetisch-funktional optimiert : Sparsame nes der charakteristischsten Beispiele für die Dreibandenlampen und Leuchten mit elekt- Architektur der neuen Stuttgarter Schule, die ronischen Vorschaltgeräten bilden den neu- vor allem die Bauten zwischen 1946 und 1970 en Standard. Zusammen mit Bewegungs- und prägte : Die Architekten des K II, Gutbier, WilPräsenzmeldern sowie einer tageslichtgesteuerten Re- helm und Siegel, suchten eine Verschmelzung gelungstechnik optimieren sie die Tageslichtnutzung von konstruktiver Struktur und Gestalt des Gebäudes. Sie verzichteten deshalb auf jeglichen Formenreichund den Kunstlichteinsatz. tum und verwendeten nur drei wesentliche, gestaltprägende Materialien : Sichtbeton mit unterschiedlich Kollegiengebäude K II ausgeführten Oberflächen bei Tragwerk und Fassaden, der Universität Stuttgart Sichtmauerwerk bei nicht-tragenden Wänden und Holz — Die in der Innenstadt gelegene Universität Stuttgart im Ausbau. hatte im Zweiten Weltkrieg einen Großteil ihrer Ge- Dieses Gestaltprinzip beizubehalten, war das Ziel der bäude eingebüßt. Trotz des zügigen Wiederaufbaus Architekten Heinle, Wischer und Partner bei ihrer von zerstörter und beschädigter Lehrgebäude konnte 2007 bis 2009 durchgeführten Sanierung des K II gemäß man dem wachsenden Zustrom von Studierenden nur den Vorgaben der EnEV 2002. Die Architekten konndurch den Bau des Kollegiengebäudes I gerecht wer- ten sich im Wesentlichen auf die Sanierung des Inneren den, ein 1960 fertiggestelltes Turmhochhaus nach Plä- und der technischen Ausstattung beschränken, denn nen der Architekten Gutbier, Wilhelm und Siegel. Noch die Fassaden wurden nur an der Nordseite ausgetauscht. 8 [ S. 105 ] Straßenansicht des Schulgebäudes in der Rolandstraße, Foto aus der Erbauungszeit

[ S. 104 ] Nachtansicht des Kollegiengebäudes II der Universität Stuttgart. Im Hintergrund das etwas früher errichtete Kollegiengebäude I

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Sanierungsaufgabe Schule und Hochschule

Dort erhielten die Aluminiumfenster thermisch getrenn- Trafo-Raum Platz für die Lüftungsanlage. Die übrigen te Profile mit einer Isolierverglasung, was den U-Wert Räume werden über eine Nachtlüftung ohne weitere auf 1,3 W / m2K reduzierte. Die Bestandteile aller üb- Anlagentechnik frei gelüftet und gekühlt, was den Enerrigen Fassaden – Aluminiumfenster, Betonwerkstein- giebedarf für Lüftung und Kühlung deutlich senkt. brüstungen und Sichtbetonelemente – wurden instand Alle Leitungen der Kälte- und Heizungsanlage sind gesetzt oder nur gereinigt. Abgesehen von einer Erneu- gemäß den Bestimmungen der EnEV gedämmt, auerung der Fugendichtungen konnte die an West- und ßerdem war der Einbau von geregelten Pumpen erOstfassaden bestehende Sandwichkonstruktion aus au- forderlich. In den Obergeschossen ersetzte man alle ßenseitigem Sichtbeton und einer Kerndämmung aus Deckenstrahlungsheizungen durch Heizkörper in den 40 Millimeter dicken Korkplatten erhalten werden. Die Brüstungsbereichen, was den Raumkomfort entscheiintegrierten Heizregister legte man jedoch still ; zusätzli- dend verbesserte. Nach der Sanierung sank der spezifiche Öffnungsflügel verbessern nun die Nachtauskühlung. sche Transmissionswärmeverlust H’T von 3,5 W / m2K Die Südfassade erhielt einen neuen elektrisch betriebe- auf 2,5 W / m2K, der Energiebezug reduzierte sich von nen Sonnenschutz und einen manuell zu bedienenden 1.470 MWh auf 1.200 MWh und der PrimärenergiebeBlendschutz. Nach Demontage der inneren Brüstungsbe- darf verringerte sich von 1.500 MWh / a auf 805 MWh / a kleidungen konnte hier eine Innendämmung aus 40-Mil- ( prognostiziert für 2010 ).VII limeter-Foamglas in die Brüstungen integriert werden. Die Werte zeigen, dass die energetische Sanierung zwar Da die Substanz der Südfassade den gängigen bautechni- Verbesserungen in der Energiebilanz brachte, jedoch schen Anforderungen entsprach, begnügte man sich dort auch die Investitionskosten spiegelt. Sie liegen bei den ansonsten damit, die bestehenden Aluminiumfenster ab- Maßnahmen im Hochbau mit 654 Euro / m2 Nutzfläche, rasiv zu reinigen und instand zu setzen. bei den Maßnahmen in der Heizungs-, Lüftungs- und Auch in Stuttgart fanden sich die für die Bauzeit typi- Sanitärtechnik mit 250 Euro / m2 Nutzfläche und bei schen, heute als gesundheitsgefährdend eingestuften den Maßnahmen im Elektrobereich mit 218 Euro / m2 Baustoffe Asbest, PCB und polycyclische aromatische Nutzfläche in einem äußerst moderaten Rahmen. MehrKohlenwasserstoffe ( PAK ). Die asbesthaltigen Bauteile investitionen in der wärmetechnischen Ertüchtigung wie Lüftungskanäle, Brandschutzhätten zweifellos eine weitere Ver Als Beispiel dafür kann man die Großtafeltüren, Brandschutzklappen und Ibauten besserung der Energiebilanz zur der ehemaligen DDR anführen : Zwar waSpritzputz wurden entfernt, ebenso ren sie je nach Plattentyp für einen Heizenergie- Folge gehabt. Nicht zuletzt aus denkvon 120 bis 160 kWh / m a ausgelegt. PCB-haltige Fugendichtungsmas- verbrauch malpflegerischen Gründen hat man In der Praxis liegt der Verbrauch unsanierter sen und PAK-haltige Baustoffe in Gebäude jedoch bei bis zu 220 kWh / m a. Grund darauf verzichtet, die technischen dafür sind bauphysikalische und technische Parkett, Dachaufbau und in der al- Mängel, Möglichkeiten voll auszuschöpfen. meist aufgrund mangelhafter Bauausten Korkdämmung. Drei Beispiele zeigen, dass Moderführung. II Gebäude aus Fertigteilen wurden nicht nur Umfangreich war auch die Sanie- in nisierung und energetische Erneueder DDR errichtet, sondern auch in westeurung der Gebäudetechnik : So muss- ropäischen Ländern. Die Außenwände erhielten rung es heute erlauben, Bauten der oder bestanden später aus ten die kompletten Elektro- und Fassadenbekleidungen 1960er- und 1970er-Jahre so aufzuFertigteilbausystemen, wie zum Beispiel zwei- bis Datenleitungen neu installiert werwerten, dass sie nahezu Neubaustandreischalige Betonsandwichelemente mit einer Kerndämmung. den, einschließlich der Sicherheits- IIIdünnen dards entsprechen. Nutzerkomfort KfW : Kreditanstalt für Wiederaufbau, eine beleuchtung und Brandmeldeanlage. Bank, die in Deutschland für die staatliche För- und Arbeitsplatzqualität werden opderung bzw. zinsgünstige Finanzierung von BauDie Beleuchtung besteht heute aus- projekten timiert, gleichzeitig sinken Energieeingerichtet wurde. schließlich aus Leuchtstofflampen IV Das Düsseldorfer Hochbauamt hatte die verbrauch und Betriebskosten. Das Bernhard Pfau, Hanns Junghans und und Kompaktleuchtstofflampen. Ein Architekten Engagement für den Erhalt solcher Paul Schneider-Esleben beauftragt, zeitgemäße Elektro-Installationsbus-System Gebäude für das Schulwesen zu entwickeln. architektonischen Zeugnisse der Asbest fand sich in der Schule unter anderem ( EIB ) steuert die Beleuchtung in den Vin Brandschutztüren Nachkriegsmoderne zahlt sich aus – und -klappen und in FormFluren und Treppenhäusern zeit- und teilen aus Asbestzement. KMF-haltige Produkte, denn nach der Sanierung ist wieder die vor 1966 hergestellt und somit nach der Getageslichtabhängig sowie bedarfs- fahrstoffverordnung ein ungetrübter Blick auf die bemer( GefStoffV ) krebserregend orientiert über Bewegungsmelder. kenswerten Raumqualitäten und die sind, tauchten in Leitungsisolierungen und Füllauf. Hinzu kamen PCB in LackanstriDie Hörsäle wurden mit einer Lüf- materialien große formale Eigenständigkeit diechen, Vorhängen und Bodenbelägen. tungsanlage mit Wärmerückgewin- VI In diesem Fall : die PCB-Richtlinie im Land ser lange verkannten Epoche mögNordrhein-Westfalen nung ausgestattet. Da man die alten VII lich. In fast allen Fällen lohnen sich Diese Tendenz zeigt sich in der gebäudeGleichstrommotoren der Aufzugsan- bezogenen Prognose für den Heizenergiebedarf : die Investitionen auch wirtschaftsoll 2010 bei 1.700 MWh / a liegen, gegenüber lagen durch getriebelose Synchron- Er lich, Sanierung ist also meist deutlich einem Heizenergiebedarf von 2.100 MWh / a, gemotoren ersetzte, bot der ehemalige mittelt für die Jahre 2000 bis 2009. günstiger als Abriss und Neubau. 2

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Kollegien-  ¨ ude II der gebA uni Stuttgart

Stuttgart ( DE ) Lehrgebäude — S. 58, 95, 98, 152

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Heinle, Wischer und Partner

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1 Zwischen 1960 und 1965 errichtet, sind die Kollegiengebäude I und II typische Beispiele für den Stil der Stuttgarter Schule. 2, 3 Die Gegenüberstellung von je 3 Halb- und 2 Vollgeschossen macht das Gebäude zum Raumwunder und seinen Erschließungskern zu einer architektonischen Gebirgslandschaft aus Stufen, Stegen und Galerien. 4 Das Foyer des Kollegiengebäudes

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5 Kunst und Sichtbeton : Besprechungsraum im Dachgeschoss 6, 8 Institutsbibliothek an der Nordseite des Gebäudes 7 Die Cafeteria und ihre orangefarbene Bestuhlung

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Kollegiengebäude II Stuttgart

Sichtbeton – mal rau, mal glatt

Vier Jahrzehnte später erhielt Das Kollegiengebäude II ( K II ) das Büro Heinle, Wischer und ist eines der charakteristischsPartner – die Gründer hatten an ten Beispiele für das Bauen der Planung des K II mitgewirkt der sogenannten neuen „ Stutt– den Auftrag, das Lehrgebäugarter Schule “. Zusammen mit de vollständig zu sanieren. Die dem benachbarten Kollegienpuristische Klarheit des Kollegigebäude  I gehört seine komengebäudes II gefiel den Archipakte, orthogonal gegliederte Sanierung von Kollegiengebäude II tekten so gut, dass sie im Zuge Großform zu den markantesten der Universität Stuttgart der räumlichen Reorganisation Bauten der Technischen HochHeinle, Wischer und Partner, Köln nur das unvermeidliche Minimum schule Stuttgart. Das Gebäude an Eingriffen in seine konstruktimit seinen Bibliotheken, Hörve Struktur und Gestaltung vorsälen und Seminarräumen wird nahmen. Die sichtbaren Teile der heute im Wesentlichen durch die Institute der Philosophisch-Historischen Fakultät so- Konstruktion wurden instand gesetzt, gereinigt und, wo nötig, in wie der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften genutzt. Die gleicher Form ersetzt. Die Sanierung umfasste die Erneuerung von Zwillingsbauten, das K I von 1960 und das Gebäudetechnik, Dach und Nordfassade, abgehängten Decken und nahezu baugleiche K II von 1965, entstan- Bodenbelägen. Hinzu kamen umfangreiche Schadstoffsanierungen. Projektdaten Bauherr Land Baden-Württemberg /  den nach Plänen der TH-Professoren Rolf Fakultätsbibliotheken, Hörsäle, Institutsbereiche und die Cafeteria Oberfinanzdirektion Stuttgart, vertreGutbier, Günter Wilhelm und Curt Siegel. Sie strukturierte man entsprechend der veränderten Nutzung um : Unten durch das Universitätsbauamt traten an die Stelle von im Krieg zerstörten ter anderem wurden die Bibliotheksflächen erweitert und die HörBaukosten 16,1 Mio. Euro säle hinsichtlich Lüftung und Medientechnik aufgerüstet. Auch die Gebäuden des innerstädtischen Campus. Bruttogrundfläche 26.886 m² Nutzfläche 11.586 m² Dank einer ausgeklügelten Koppelung von je- Zwischengeschosse sind jetzt behindertengerecht erschlossen. ÄuHauptnutzfläche 10.555 m² weils drei niedrigen Institutsgeschossen mit ßerlich unverändert, hat sich das Kollegiengebäude II durch gezielBGF 26.886 m² zwei höheren Seminargeschossen zu einer te Eingriffe „ hinter den Kulissen “ in ein Gebäude verwandelt, das Fertigstellung 9 / 2009 Geschossgruppe konnten Gutbier und seine neusten energetischen und technischen Standards genügt. FPJ Projektleitung Winfried Schmidbauer, Monika Horn Partner die Nutzfläche des Gebäudes optiStandort Keplerstraße 1, mieren. So besitzt das Hochhaus auf seiner typischer Etagengrundriss D–70174 Stuttgart Südseite über 15 Geschosse mit BüronutErbauungsjahr 1965 zung, auf der Nordseite zehn Geschosse zur Unterbringung der Bibliotheken und Räume 1000 2010 für die Lehre. Dementsprechend variiert die Umbau 2009 Geschosshöhe von 2,90 Meter in den Insti2000 2010 tutsbüros der Südseite bis zu 4,35 Meter in Baukosten M2-Preis den Hörsälen an der Nordseite. In der teil16,1 Mio. € 1.390 € / m2 weise offenen Kernzone befinden sich Auf 15.000 züge, Technik- und Sanitärräume sowie die Treppenhäuser. Die offen organisierten Kor10.000 10 m ridore mit ihren quergestellten, einläufigen 5.000 Treppen erschließen jeweils drei Ebenen, die 0 durch die offene Struktur auch räumlich prä- Querschnitt durch das Gebäude sent sind. Diese Art der Erschließung verwandelt den „ dienenden “ Gebäudekern zu einer architektonisch reizvollen, dreidimensionalen Bühne. Gemäß der aus der klassischen Moderne abgeleiteten Maxime der Stuttgarter Schule – Sichtbarkeit des konstruktiven Prinzips, Funktionalität und Beschränkung auf wenige, elementare Materialien – ist die Erscheinung des Gebäudes von Sichtbeton, Mauerwerk, Glas und Holz bestimmt. Besonders angetan war man vom Sichtbeton, der das Gebäude außen wie innen prägt – teilweise in roher, mal mit lebhaft strukturierter und mal in glatter Schalung ausgeführt, aber immer unverkleidet und unverputzt : „ Roh sichtbarer Beton, kein Verputz und kein Pinselstrich auf den tragenden und Raum bildenden Gerippen und Wandflächen, ( … ) knappste Formen und Farben bei den wenigen zusätzlichen Elementen wie Fenster- und Türrahmen, usw. Gebaut für das prüfende Auge angehender Bauingenieure und Architekten… “, beschrieb der Architekt Günter Wilhelm das Leitbild des Entwurfs.

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Während der Sanierungsarbeiten

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¨r Institut fU ¨ se- und  GemU Zierpflanzenbau GroSSbeeren ( DE ) Forschung

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Numrich Albrecht Klumpp Architekten

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Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau

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1 Das Institut für Gemüse und Zierpflanzenbau : In den Gewächshäusern wird das Gemüse der Zukunft gezüchtet, im weißen Institutsgebäude wird geforscht. 2–4 Cafeteria und Teeküche im Erdgeschoss

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Transformation

Das weiSSe Band

Manchmal ist es nur ein kleiDas Institut für Gemüse- und ner Schritt vom gesichtslosen Zierpflanzenbau ( IGZ ) in GroßZweckbau zum gut gestalteten beeren genoss schon zu DDRGebäude. Beim Großbeerener Zeiten einen hervorragenden Laborgebäude hat dieser Sprung Ruf. Damals wie heute werden ganz wesentlich mit dem Gesims in den Gewächshäusern der Umbau eines Laborgebäudes unterhalb der Fenster zu tun, Forschungseinrichtung südlich in GroSSbeeren, Brandenburg denn es unterstreicht effektvoll von Berlin Gemüsesorten erNumrich Albrecht das beherrschende Motiv der forscht, gekreuzt und NeuzüchKlumpp Architekten, Berlin umlaufenden weißen Putzbänder tungen entwickelt. und lässt die Fassade räumlich Die Labore des Institutes befinden hervortreten. Bei Tag leuchten sich in einem viergeschossigen diese Bänder weiß, zwischen Plattenbau, einem DDR-Typenden dunkleren Fensterbändern, bau aus den 1970er-Jahren ( Typ SKBS 75 ). Der Stahlskelettbau mit der gerasterten Waschbeton- bei Nacht kehrt sich das Bild um. Aus der Ferne erscheinen die fassade war nicht nur unansehnlich geworden, seine funktionale umlaufenden Fenstergesimse massiv, obwohl es sich um aus Blewie technische Sanierung war überfällig. chen gefertigte Einhausungen des Sonnenschutzes handelt. „ Wir Den Plattenbau durch einen Neubau zu wollten die Gesimse ursprünglich massiv in Beton ausführen “, erProjektdaten Bauherr Institut für Gemüse- und Zier- ersetzen lag nahe, hätte aber den Bud- klärt Architekt Werner Albrecht. Diese Lösung hätte, so ergab die pflanzenbau Großbeeren / Erfurt e.V. getrahmen gesprengt und zudem ein Aus- Ausschreibung, jedoch das Vierfache des schließlich verwirklichBaukosten 4 Mio. Euro ( KG 300–400 ) weichquartier für die Labore erfordert. Da ten Metallgehäuses gekostet. Nutzfläche HNF 2.020 m² dafür auf dem Institutsgelände der nötige BRI 10.800 m³ Besonderheit Laborumbau bei laufen- Platz fehlte, beschlossen Architekten und der Nutzung Institutsleitung, das Gebäude bei laufenFertigstellung 3 / 2008 der Nutzung zu sanieren : Man unterteilProjektleitung / Mitarbeit Werner te den langrechteckigen Baukörper in der Albrecht, Grant Kelly Standort Theodor-EchtermeyerMitte mit einer Wandschotte. Auf der einen Weg 1, D–14979 Großbeeren Seite wurde weiter geforscht, auf der anErbauungsjahr 1988 deren umgebaut. Numrich Albrecht Klumpp Architekten 1000 2010 übernahmen die Tragkonstruktion des GeUmbau 2008 bäudes wie auch die vorhandenen Treppen2000 2010 häuser. Obwohl es sich um einen Typenbau handelt, waren in jedem der Gebäude unBaukosten M2-Preis 4 Mio. € 1.980 € / m2 terschiedlich stark armierte Plattenmodu 15.000 le anzutreffen – der Weiterverwendung des konstruktiven Skeletts ging deshalb eine 10.000 statische Analyse voraus. Zu den wesent5.000 lichen Eingriffen gehörte neben dem Ein0 bau eines Aufzugs die Verschiebung des ursprünglich mittig angeordneten Hauptkorridors, woraus eine asymmetrische ein Drittel- zu zwei Drittel-Aufteilung der Längsachse resultiert. Auf der schmalen Seite befinden sich die Büros der Mitarbeiter, auf der breiteren die Laboratorien. Durch Glaseinsätze zwischen Büros und Korridor erhält Zustand vor dem Umbau der lange Flur eine zusätzliche natürliche Belichtung. Im Inneren setzen die Architekten an den Aufweitungen der KorriNach dem Umbau war das Gebäude nicht wiederzuerkennen : Der dore farbige Akzente. Die kleinteilige Zellenstruktur des Gebäudes triste Typenbau hatte sich in einen zwar strengen, in der kraftvollen blieb auf Wunsch des Bauherren erhalten, nur neben dem Eingang Plastizität seiner schneeweißen Brüstungsbänder aber ausdrucks- im Erdgeschoss öffnete man die Gebäudeschale für einen Speivollen und unverwechselbaren Baukörper verwandelt. Drei Fenster- seraum mit angeschlossener Teeküche. Wenn die Wissenschaftler bänder unterbrechen die umlaufenden weißen Bänder. Unter dem einmal vom Mikroskop oder dem Bildschirm aufblicken, treffen sie glatten Verputz wurde das Gebäude rundum neu gedämmt. sich hier – der Raum wird gerne genutzt. Fpj Grundriss Erdgeschoss

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Der neue Eingangsbereich Blick in ein Labor 7, 8 Kräftige, warme Farben geben auch Treppenhäusern und Korridoren eine eigenen Note. 5

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Transformation

¨ rohaus BU siesmayer  strasse  Frankfurt am main ( de ) Bürohaus — S. 72, 76, 132

schneider+schumacher

Schwarze Felder, weiße Sprossen : Eingang und Hauptfassade nach der Sanierung

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Bürohaus siesmayerstrasse

Elegant wie eh und je

Der „ Swing “, die beschwingte „ Was Du ererbt hast, von DeiLeichtigkeit der 1950er-Jahre, nen Vätern, erwirb es, um es zu sollte wieder zum Klingen gebesitzen. “ [Goethe] bracht werden. Somit erfolgIn den 1950er-Jahren setzte te der Umbau mit dem Ziel, in sich beim Bau von Geschäftsallen Geschossen eine möghäusern die schon um 1920 Umbau des ehemaligen lichst flexible Raumaufteilung entwickelte Vorhangfassade, US-Generalkonsulats in Frankfurt für allgemeine Büronutzungen die „ c urtain wall “ endgültig schneider+schumacher, Frankfurt zu ermöglichen. Dazu wurden durch, vor allem im geschäf400 Quadratmeter große Eintigen Frankfurt am Main, das heiten ausgebildet, die im Erdsich schneller als andere Städgeschoss unter Beachtung der te aus dem Trümmerstaub aufbaurechtlichen Belange mehrrappelte. 1955 errichtete das fach zusammenschaltbar sind. amerikanische Großbüro Skidmore, Owings & Merrill LLP in der Siesmayerstraße in bester Die ursprüngliche Stahlbetonskelett-Konstruktion mit ihren UnLage des Frankfurter Westends ein Bürohaus, das als Muster- terzügen und Kassettendecken war in gutem Zustand und blieb beispiel des International Style gelten kann. Eigentlich waren die weitgehend erhalten. Lediglich die Decke über dem Erdgeschoss kühle Eleganz und die klaren Linien der Architektur ja ein sti- wurde teilweise zurückgebaut und neu errichtet, da sie deutlilistischer Re-Import, waren doch wichti- che statische Mängel aufwies. Der Aufzugskern und die Bestandge Impulse für diese Hauptströmung der streppen wurden abgerissen, an einer anderen Stelle neu errichtet Projektdaten Bauherr G & P GrundstücksentwickNachkriegsmoderne von Emigranten aus und im Sinne des Gebäudes auch neu gestaltet. Anstelle des frülungs GmbH & Co. Siesmayerstraße KG Europa wie Gropius und Mies van der Ro- heren Kriechkellers im Untergeschoss entstand eine Tiefgarage. Baukosten ca. 5 Mio. Euro he ausgegangen. Doch längst hatten die Grundstücksgröße 7.829 m2 amerikanischen Kollegen mit ihrem nüch- Schnitt durch das umgebaute Haus BGF 4.050 m2 oberirdisch, 1.995 m2 unterirdisch ternen, aber filigranen Raster-Look eine Nutzfläche ca. 3.200 m2 ( oberirdisch ) eigene Handschrift entwickelt. Bauherr Besonderheit Stahlbetonskelett des fünfstöckigen, als Generalkonsulat ( Bestand von 1955 ) mit Pfosten-Riegenutzten Hauses waren die Vereinigten gel-Fassade gemäß Denkmalschutzvorgaben erneuert Staaten von Amerika. Zeitgleich mit dem Fertigstellung 12 / 2007 Komplex in der Siesmayerstraße errichteProjekt- und Bauleitung Michael ten SOM drei weitere Konsulatsgebäude in Schumacher, Kai Otto, Peter Mudrony Bremen, Düsseldorf und Stuttgart unter Standort Siesmayerstraße 21, D–60323 Frankfurt am Main Verwendung des gleichen formalen „ Baukastens “, aber in jeweils unterschiedlicher Erbauungsjahr 1955 Ausformung. Wegen seines für die frühe 1000 2010 Nachkriegsmoderne prototypischen ChaUmbau 2005–2007 rakters wurde das Gebäude 1986 auf die Denkmalliste gesetzt. Nach dem Auszug 2000 2010 der Amerikaner 2005 erwarb der spätere Baukosten M2-Preis Bauherr das Haus. ca. 5 Mio. € 310 € / m2 10 m Dieser wollte in Abstimmung mit den Denk15.000 malbehörden das Haus unter Berücksichti10.000 gung der heute geltenden Wärme-, Schall-, 5.000 und Brandschutznormen erneuern. Die In- Die Fassade entspricht nach ihrer Sanierung in ihrer äußeren nenausstattung wies deutliche Verschleiß- Erscheinung genau der alten Fassade, und zwar sowohl im Ma0 spuren auf, war in Teilen völlig zerstört und terial als auch in den Profilgrößen, die die Architekten sorgfälbedurfte einer neuen Interpretation. Es wurde schnell deutlich, tig rekonstruierten. Von der technischen Leistungsfähigkeit her dass es weniger um den Erhalt und die Aufarbeitung vorhande- entspricht sie den heutigen Nachhaltigkeitsanforderungen. Im ner Substanz ging als vielmehr um den Erhalt der architektoni- Erdgeschoss und im 1. Obergeschoss handelt es sich um eine schen Intentionen. Pfosten-Riegel-Fassade mit nach außen klappbaren Fensterelementen. Die Achsraster der Fassade messen 2 beziehungsweise 1,89 Meter. Ein außen liegender Sonnenschutz wurde in diesen Geschossen nachgerüstet. Im 2. bis 4. Obergeschoss mit seinem kleinteiligen, nur meterbreiten Fassadenraster erneuerten die Architekten ebenfalls die Pfosten-Riegel-Fassade, allerdings kamen hier Dreh-Kipp-Verbundfenster zum Einsatz. Der Sonnenschutz befindet sich im Zwischenraum von äußerer Einfachverglasung und innerer Isolierverglasung. Alle Räume verfügen heute über eine direkte Belichtung und Belüftung. Die energieintensiven Splitgeräte zur Kühlung wurden durch effiziente, eingeputzte Kühlungsdecken ersetzt. Ein Wasserbecken im Innenhof sorgt durch seine Verdunstungskühle für eine zusätzliche Verbesserung der Raumluft in den umliegenden Büros. Heute ist eine große amerikanische Anwaltskanzlei Hauptmieter des Gebäudes. Das alte Konsulatsgebäude ist ein Beispiel dafür, wie bei einem Gebäude aus den 1950er-Jahren die in der ursprünglichen Architektur angelegten Absichten authentisch in die heutige Zeit übertragen werden können, ohne dabei energetische Gesichtspunkte zu vernachlässigen. FPJ Das Gebäude vor der Erneuerung, Rückansicht

117

2

3

4

2 Beinahe japanisch mutet der neugestaltete Innenhof in seiner Klarheit und Ruhe an. 3 1 m beträgt das vertikale Achsmaß der Vorhangfassade. 4 Die ursprüngliche Erscheinung der Fenster blieb nach der Sanierung erhalten.

Alt & Neu

119

Temperierte Transparenz Fassaden der Moderne, denkmalgerecht erneuert

Transparente Gebäudehüllen, in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstanden, waren Ausdruck eines neuen Architekturverständnisses und der damit verbundenen innovativen Gebäudekonzepte. Doch konnten sie sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg als vorherrschende Bauweise für öffentliche Gebäude, vor allem aber für Geschäftshäuser durchsetzen. Uta Pottgiesser / Julia Kirch

1

Bei den Bauten der Nachkriegsmoderne trifft man, verglichen mit den Bauten von Gropius & Co., auf merkliche bauphysikalische Verbesserungen in Form von Verbund- und ersten Isolierglaskonstruktionen. Diese entwickelten sich mit zunehmend anspruchsvollen gesetzlichen Anforderungen an die energetischen Eigenschaften kontinuierlich weiter. Doch selbst die Fassaden der 1980er-Jahre sind weit von heutigen Standards entfernt. Das Sanierungskonzept solcher Gebäudehüllen dreht sich stets um die Frage, wie diese gestaltprägenden Bauteile im Rahmen des klimatischen Gebäudekonzepts erhalten, revitalisiert oder modifiziert werden können.I Entwicklung der konstruktiven und energetischen Standards — Die Fassadenkonstruktionen für Büro- und Verwaltungsgebäude der frühen Moderne bestehen aus einfachen Stahlprofilwinkeln mit verkitteten Einfachverglasungen wie etwa beim 1926 fertiggestellten 1  [ S. 124 ] Bauhausgebäude in Dessau : Die Fassadenkonstruktion des 1926 von Walter Gropius errichteten Ateliergebäudes mit kleinformatiger Einfachverglasung

2 Die

realisierte Doppelfassade des 1929 nach Plänen von Le Corbusier errichteten Centrosojus in Moskau war nicht belüftet.

Dessauer Bauhausgebäude. Die neu entwickelten Bautechniken und Materialien zeigen das Streben nach einer gläsernen, dematerialisierten Architektur. Wesentlich jedoch sind die mit ihnen verbundenen Forderungen nach besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen. Im Einklang von technologischen und sozialen Anforderungen sollten Innenräume mit hoher Aufenthaltsqualität entstehen. Während die Profile gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch Formelemente der Holzbauweise enthalten, werden sie zu Beginn des 20.  Jahrhunderts geometrisch vereinfacht. Schnell vergrößern sich in den 1920er-Jahren die Scheibenformate und der Glasflächenanteil insgesamt. Überhitzung im Sommer und starke Wärmeverluste im Winter sind die Konsequenz. Für die Wegbereiter der Moderne spielte das Thema Energie kaum eine Rolle. Eine Ausnahme bildet diesbezüglich das von Le Corbusier 1929 entwickelte Konzept der „ mur neutralisant “ : Entstanden im Kontext der Planung des Verwaltungsgebäudes Centrosojus in Moskau, sollte die „ neutralisierende Mauer “, in Form eines mechanisch belüfteten Fassadenzwischenraums,

2

120

helfen, die für Moskau charakteristischen extremen Temperaturschwankungen über das Jahr auszugleichen. II Tatsächlich umgesetzt wurde dieses Konzept der Doppelfassade jedoch erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.III Die Zeichnungen zeigen die einfache Geometrie der am bauhausgebäude verwendeten Profile Die Verkittung der Glasscheiben dient gleichzeitig als Dichtung.

A A

3

4

Alt & Neu

Temperierte Transparenz

A

B

Detail Fensterprofil Verwaltungsbau

B B

Detail Fensterprofil Prellerhaus

Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts kamen die ersten Verbundfensterkonstruktionen auf den Markt. Bestanden sie anfangs aus gekoppelten Stahlprofilen mit je einer Einfachverglasung, so setzen sich in den 1930er-Jahren zunehmend Systeme aus zwei getrennten Flügelrahmen durch. In dieser Zeit entwickelte sich auch die vereinfachte scharfkantige Geometrie aus L-, Z-, T- und H-förmigen Stahlprofilen mit konischen Anschlagsflächen weiter, wodurch die Dichtigkeit der Rahmenkonstruktionen verbessert wurde. Zwar konnten auf diese Weise die U-Werte der Verglasungen geringfügig verbessert werden, jedoch gab es bis in die 1950er-Jahre keine Abhilfe für die Wärmebrückenproblematik bei Stahlprofilen, Bauteilanschlüssen oder bei schlecht gedämmten Wand- und Brüstungsflächen. In den 1950er- und 1960er-Jahren wurden die Verbundfenster zunehmend durch thermisch nicht getrennte Einfachfenster mit luftgefüllter Isolierverglasung verdrängt. Die Isolierverglasung führte im Vergleich zum Verbundfenster zwar nicht zu einer Verbesserung des U-Werts, die Konstruktionstiefe konnte jedoch verringert werden. Als Sonderformen sind Isolierverglasungen mit gelötetem und geschweißtem Randverbund zu nennen, letztere mit einem Scheibenzwischenraum von nur wenigen Millimetern.IV Die anfangs fast durchweg handwerklich hergestellten Stahl-Glas-Fassaden der 1950er-Jahre weichen ab etwa 1963 zunehmend industriell gefertigten Aluminiumfassadensystemen. Auch die frühen Aluminiumkonstruktionen der 1960er-Jahre waren thermisch nicht getrennt und weisen eine unzureichende Wärmedämmung und spezifische Wärmebrückenprobleme auf, die an den Anschluss- und Verbindungspunkten häufig zu Undichtigkeit führten. Den Durchbruch – und

damit eine entscheidende bauphysikalische Verbesserung – brachte die großflächige Einführung thermisch getrennter Fenster- und Fassadenprofile Anfang der 1970er-Jahre. Sie kamen in Deutschland erstmals etwa beim BASF-Gebäude in Ludwigshafen von HPP Hentrich, Petschnigg & Partner, 1957, und beim Nationalhaus in Frankfurt von Max Meid, 1964, zum Einsatz. Diese Entwicklung war auch eine Reaktion auf die Ölkrise im Jahr 1973, die das öffentliche Bewusstsein für den sparsamen Umgang mit Ressourcen geweckt hatte. Sie führte zum Erlass des ersten Energiespargesetzes ( EnEG ) im Jahr 1976 und der 1. Wärmeschutzverordnung ( WSchVO ) 1977. Seit Mitte der 1970er-Jahre erfuhr der bauliche Wärmeschutz der Gebäudehülle durch die Optimierung der Bauteilkomponenten Verglasung und Rahmenkonstruktion eine kontinuierliche Verbesserung. Nachteile wie Überhitzung und Wärmeverlust, die sich aus den hohen Glasflächenanteilen ergaben, musste man seit den 1960er-Jahren zunehmend durch eine künstliche Klimatisierung der Innenräume kompensieren.

A Randverschweißt

B Randverlötet

C Zweistufig geklebt

Die Isolierverglasungen wurden anfangs mit gelötetem ( z. B. Thermopane ), randverschweißtem ( z. B. GADO, SEDO ) und geklebtem ( z. B. CUDO ) Randverbund hergestellt. Seit etwa 1960 hat sich das Prinzip des geklebten Randverbunds mit zweistufiger Randabdichtung durchgesetzt.

Auf eine natürliche Be- und Entlüftung durch Öffnungsflügel und auf einen effizienten außenliegenden Sonnenschutz wurde häufig verzichtet. Die neue Klimatisierungstechnik konnte zwar bauphysikalische Defizite kompensieren, führte jedoch zugleich zu erhöhtem Energieverbrauch und zu Akzeptanz- und Gesundheitsproblemen bei den Nutzern, ein Phänomen, das bald mit dem Begriff „ Sick-Building-Syndrom “ ( SBS ) bezeichnet wurde.V Die heute übliche ganzheitliche Betrachtung der Energieeffizienz und -bilanz von Gebäuden konnte erst seit den 1990er-Jahren mit der Entwicklung klimatischer Gebäudekonzepte wirkungsvoll vorangetrieben werden und etablierte sich mit Einführung der Energieeinsparverordnung 2002. 3

Bauschäden und Veränderungen aus der Nachkriegszeit prägen den heutigen Zustand des Centrosojus in Moskau.

4 Das

randverschweißte GADOGlas kam bei der Unité d'habitation von Le Corbusier in Berlin 1958 zum Einsatz.

Alt & Neu

Fassaden der Moderne, denkmalgerecht erneUert

Entwicklung des Fensterprofils im 20. Jahrhundert Die Profilkonstruktionen und U-Werte von Stahl- und Aluminiumfensterprofilen aus der Zeit von 1905 bis 2005 Profilgeometrie / System

STAHL

Profilgeometrie / System

Stahl

Aluminium

1905

U-Wert 3,6

1963

U-Wert k.A.

U-Wert k.A.

U-Wert k.A.

U-Wert k.A.

U-Wert k.A.

U-Wert 3,5

U-Wert k.A.

U-Wert 2,6

U-Wert k.A.

U-Wert 1,8

U-Wert k.A.

U-Wert 1,4

Erstes Verbundfenster hergstellt aus Industrieprofilen mit Federdichtung

1915

Stahlprofile werden zunehmend durch Aluminiumprofile ersetzt.

U-Wert 5,9

Aluminiumprofile werden weiter optimiert, z.B. durch Aussteifungen.

Einfachfenster aus gezogenen Hohlprofilen ; die Anschlagflächen sind mit Gummistreifen versehen.

1929

U-Wert 3,6

U-Wert 3,6

U-Wert 3,6

Erste Isolierverglasung im Einfachfenster

2000 Deutliche Reduzierung des U-Werts durch Kammerbildung in den Profilen ( Stahl und Aluminium )

Die Glasscheiben sind mit einer Glashalteleiste aus Metall befestigt.

1958

1990 Stahlprofile werden standardmäßig thermisch getrennt.

Verbundfenster aus konischen Spezialprofilen mit drei Anschlägen und schrägen Anschlagflächen ; Glasscheiben nicht mehr eingekittet, sondern durch Glashalteleiste aus Holz befestigt

1953

1980 Stahlprofile werden mit ausgeschäumtem Kern angeboten.

Verbundfenster aus Spezialprofilen, die Profile besitzen noch parallele Anschlagflächen

1931

1971

U-Wert k.A.

2005 Weitere Reduzierung des U-Werts durch Verringerung der Wärmebrücken

121

122

Alt & Neu

Temperierte Transparenz

Entwicklung der U-Werte von Fenstern und Fassaden seit 1960 durch verbesserte Isolierverglasungen und Rahmenkonstruktionen

UW ( W / ( m²K ) ) von Alu-Fenstersystemen UF ( W / ( m²K ) ) von Alu-Fenstersystemen UCW ( W / ( m²K ) ) von Curtain-WallSystemen UF ( W / ( m²K ) ) von Curtain-WallSystemen Firma Schüco

8,4 8

6,2 6

6,5

5,5 5,9

5,2

4,7 4

3,9 3,5 3,0 2,9 1,9 3,2

2

2,6

1,9

1,6

1,8

2,7

1,4

1,2 0 1960

1970

1975

1980

Die architektonische Qualität der Nachkriegsmoderne – insbesondere mit Blick auf die Zeit nach 1960 – wurde lange Zeit in Frage gestellt oder nicht wahrgenommen.VI Inzwischen stehen zahlreiche Bauten der 1950er- und 1960er-Jahre unter Denkmalschutz. Derzeit sind vor allem die Bauten der späten 1960erund frühen 1970er-Jahre Gegenstand der architektonischen und denkmalpflegerischen Diskussion.VII Gebäude aus dieser Zeit sind insbesondere vor dem Hintergrund sich verschärfender energetischer Anforderungen akut im Bestand gefährdet. Strategien der Revitalisierung moderner Fassadenkonstruktionen — Bei der Revitalisierung moderner Fassadenkonstruktionen ist grundsätzlich zwischen denkmalgeschützten und nicht denkmalgeschützten Gebäuden, funktionalen Gebäudekategorien und dem konkreten Bauzustand zu unterscheiden. Bei denkmalgeschützten Gebäuden hat die Erhaltung des originalen Erscheinungsbildes oberste Priorität. In Bezug auf die Gebäudekategorien ergeben sich für Büro- und Verwaltungsgebäude andere Anforderungsprofile als für Wohngebäude, Kultur- oder Industriebauten. Der Zustand des jeweiligen Gebäudes ( seiner Teile ) hat wesentliche Auswirkungen auf den notwendigen Umfang der Revitalisierung. Schlussendlich sind insbesondere Bauherren und Nutzer vor allem daran interessiert, eine Anpassung des Raumkomforts, des Wärme- und Schallschutzes und der Arbeitsplatzgestaltung an heutige Anforderungen zu erreichen. Mit Blick auf die Positionen des Denkmalschutzes lassen sich drei

1,7

1990

2000

0,8 0,8

1,4 0,9

0,5

2005

2010

grundsätzliche Sanierungsstrategien für Fassadenkonstruktionen des 20. Jahrhunderts unterscheiden :VIII Erhalt der bestehenden Fassadenkonstruktion — Der klassische Ansatz des Denkmalschutzes : In diesem Fall werden lediglich einzelne Elemente, unter weitgehender Wahrung des ursprünglichen Erscheinungsbildes, modifiziert, wie etwa : - Erhalt und Aufarbeitung der Profile - Nachbau der Originalprofilkonstruktion - Austausch der ursprünglichen Verglasung gegen ein K-Glas oder eine Isolierverglasung - Wiederherstellung oder Verbesserung der Dichtungsprofile Mit diesen Maßnahmen lässt sich meist nur eine geringfügige Verbesserung des Wärmeschutzes erzielen. Der Gesamtenergieverbrauch kann jedoch in überschaubaren Größenordnungen durch einen umfangreicheren Einsatz unterstützender Lüftungs- und Klimatechnik reduziert werden. Ergänzung der bestehenden Fassadenkonstruktion — Dieser Ansatz ist auch im Denkmalschutz verbreitet, sofern die bestehende Fassade als äußere Schicht erhalten bleibt. Varianten sind : - Einbau einer zusätzlichen inneren Verglasungsund / oder Dämmschicht im Fenster-, Fassadenoder Wandbereich

Alt & Neu

Fassaden der Moderne, denkmalgerecht erneUert

- Einbau einer zusätzlichen äußeren Verglasungsund / oder Dämmschicht im Fenster-, Fassadenoder Wandbereich oder als durchlaufende Fassadenoder Glasebene, die das Gebäude gestalterisch signifikant verändert Durch die Bauteilergänzungen entsprechend aktuellen Standards werden deutliche Verbesserungen des baulichen Wärmeschutzes und des Innenraumkomforts erreicht. Wenn jedoch die Lüftungs- und Verschattungssysteme nicht optimal an die neue Nutzung angepasst werden können, lässt sich das Potenzial zur Reduzierung des Gesamtenergieverbrauchs nicht voll ausschöpfen. Ersatz der bestehenden Fassadenkonstruktion — Dieser Ansatz ist auch im Denkmalsschutz üblich, sofern es möglich ist, das originale Erscheinungsbild wiederherzustellen. Bei anderen Gebäuden ist diese Variante beinahe die Regel und erfolgt durch : - Einbau einer Einfachfassade - Einbau einer Doppelfassade Die aktuellen Standards entsprechenden Fassadensysteme führen zu einer deutlichen Verbesserung des baulichen Wärmeschutzes sowie des Innenraumkomforts und ermöglichen durch neue, angepasste Lüftungs- und Verschattungssysteme auch eine wirkungsvolle Reduzierung des Gesamtenergieverbrauchs. In Europa wurde der energetische Standard der Fassadenkonstruktion über die Jahrzehnte durch Weiterentwicklung oder Sanierung fortlaufend verbessert. Da jedoch in Mitteleuropa etwa zwei Drittel der Bürogebäude vor 1978 erbaut wurden, warten immer noch große Teile des Bestandes auf bauliche und energetische Optimierung.IX Ausgewählte Beispiele der Revitalisierung moderner Fassadenkonstruktionen veranschaulichen die Umsetzung der vorgenannten strategischen Ansätze.

Erhalt : Haus Hardenberg, Berlin ( Paul Schwebes, 1956 ) — Das Haus Hardenberg von Paul Schwebes knüpft mit seinen klaren Strukturelementen und Lichtbändern an das Neue Bauen der 1920er-Jahre an und gilt als einer der schönsten Bauten der 1950er-Jahre in Deutschland. Das Gebäude auf trapezförmigem Grundriss fällt auf durch seine dynamisch gerundete Ecklösung und das alles beschirmende, ausladende und filigrane Flugdach. Die Hauptfassade ist klassisch in drei Zonen mit Sockel-, Haupt- und dem zurückgesetzten Dachgeschoss unterteilt und horizontal durch prominent hervortretende Betondeckenplatten strukturiert. Die fünf Obergeschosse sind durch die Fensterbänder geprägt, die aus geschosshohen Elementen mit großen Festverglasungen in der Mitte und schmalen Öffnungsflügeln an beiden Seiten bestehen und an das „ Chicago Window “ erinnern. Vertikale messingfarbene Stahlprofile gliedern die Fenstereinheiten, die filigranen Stahlrahmen sind auf der Außenseite schwarz und auf der Innenseite weiß gestrichen. Die Fensterelemente sind als Verbundfenster ausgebildet und zeichnen sich durch einen schmalen Fassadenzwischenraum zur thermischen Isolierung aus. Die schlanke Profilgeometrie im Zusammenspiel mit den ausgewählten Materialien und Farben – schwarz, weiß und Messing – machen die eleganten Erscheinung des Gebäudes aus. Ziel der ab 2004 vom Architekturbüro Winkens durchgeführten Sanierung war, die Integrität des denkmalgeschützten Geschäftshauses zu wahren, insbesondere jene Elemente, die charakteristisch für die Architektur der 1950er-Jahre sind. Die originale Fassadenkonstruktion und ihre Materialien galt es daher zu erhalten.

Schematische Darstellung üblicher Sanierungsvarianten

Erhalt

Ergänzung

Ersatz

B.1

Zusätzliche innere Verglasungsoder Dämmschicht

B.1

5 [ S. 124 ] Haus Hardenberg in Berlin, 1956 nach Plänen von Paul Schwebes errichtet. Zustand nach der Sanierung der Originalfassade im Jahr 2004

B.2

Zusätzliche äußere Verglasungsoder Dämmschicht

B.2

6 Vertikale Stahlprofile gliedern die Fensterbänder. Die schlanken Profile und die gewählten Farben – Schwarz, Weiß und Messing – machen die elegante Erscheinung von Haus Hardenberg aus.

B.3

B.3

C.1

Durchlaufende Ebene

C.2

C.1 C.2

Einbau Einfachfassade Einbau Doppelfassade

123

5

6

124

Temperierte Transparenz

1

5

Alt & Neu

Alt & Neu

7

125

Fassaden der Moderne, denkmalgerecht erneUert

11

10

8

Sämtliche Fassadenprofile wurden von Rost und Farbanstrichen befreit und gereinigt, zerbrochene Glasscheiben und Sonnenschutzbehänge wurden ersetzt, die bestehenden Fensterbeschläge ließ man aufarbeiten. Die hervorragende handwerkliche Ausführung der Sanierung erlaubte es, alle Verbundfenster zu erhalten. Die Architekten ersetzten die Fensterflügel der ursprünglich mit Floatglas ausgeführten Verbundfensterkonstruktion durch beschichtete Einzelscheiben ( K Glass™ X ), sodass der U-Wert der Verbundfensterkonstruktion reduziert werden konnte. Trotz dieser deutlichen Optimierung der Scheiben war durch die thermisch ungetrennten Stahlprofile eine Anpassung an heutige thermische und schallschutztechnische Anforderungen nicht zu erreichen. Geschäfte und Büros werden deshalb über Deckengeräte mechanisch be- und entlüftet sowie konditioniert. Andere gebäudetechnische Einrichtungen passte man an aktuelle Sicherheitsanforderungen an. Die Strategie der größtmöglichen Bestanderhaltung verfolgte auch das Büro Brenne Architekten bei der Sanierung der 1928 von Hannes Meyer errichteten ADGB-Schule in Bernau mit großem Erfolg [ vgl. S. 184  ]. Die Architekten konnten den Großteil der Fassadenkonstruktion erhalten und aufarbeiten. In Einzelfällen wurden Rahmen aus neuen, aber baugleichen Stahlprofilen nachgebaut. Haus Hardenberg, Berlin : Detailzeichnung der Fensterkonstruktion

4,9 cm

7

Alt & Neu

Temperierte Transparenz

4,9 cm

126

7,5 cm A

7,5 cm B

A Originaler

Aufbau mit originalen Profilen, aber neuer innerer Verglasung

B Ausführung

( K Glass™ ), und neuen Dichtungen nach der Sanierung durch Winkens Architekten, 2004.

Ergänzung : Berolinahaus, Berlin ( Peter Behrens, 1932 ) — Das Berolinahaus wurde 1932 nach Plänen von Peter Behrens gemeinsam mit dem Alexanderhaus als Torbau des städtebaulich umgestalteten Alexanderplatzes realisiert. Beide Gebäude zählen zu den bekanntesten Ensembles der Neuen Sachlichkeit in Berlin. Am Wettbewerb des 7

[S. 125] Siehe

S. 123

Bildunterschrift 6,

8 Die

stählernen Verbundfenster von Haus Hardenberg sind mit einer doppelten Einfachverglasung ausgeführt.

Berliner Magistrats hatten damals alle namhaften Vertreter des Neuen Bauens teilgenommen. Behrens’ Bauten zeichnen sich durch eine klar gegliederte, symmetrisch gerasterte Lochfassade und eine bemerkenswerte Stahlbetonskelettkonstruktion aus. Blickfang des Gebäudes ist eine die Stirnseite beherrschende und bis über das Dach ragende vertikale Leuchtbox aus Milchglas. Die Obergeschosse sind durch große Fassadenflächen mit quadratischen Fensterelementen geprägt, die dem Konstruktionsraster des tragenden Stahlbetonskeletts entsprechen. Während die Fenster- und Türrahmen im Erdgeschoss vermutlich aus Messingprofilen bestanden, fertigte man die quadratischen Fensterprofile im zweiten bis achten Obergeschoss aus Walzstahl. Es handelte sich um in Quadrate geteilte Verglasungen mit Wendeflügeln, die komplett nach innen oder außen geschwenkt werden konnten. Ursprünglich waren diese außenliegenden einfach verglasten Fenster mit Kittverglasung ausgeführt. Später wurden sie mit einer zweiten Glasscheibe zu einer Art Doppelverglasung ergänzt. Die bei Übernahme des Objekts vorgefundenen hölzernen Innenfenster stammten alle aus der Nachkriegszeit. Die denkmalpflegerische Sanierung der Fassade 2005 lag in den Händen des Architekturbüros nps tchoban voss, mit Sergei Tchoban und Projektpartner Philipp Bauer. Ein großes Problem stellte die Sanierung der Natursteinflächen dar. Die im Krieg durch Einschüsse beschädigte Fassade wurde zu DDR-Zeiten mit Spritzbeton ausgebessert. Der Spritzbeton hatte sich mit dem darunterliegenden Muschelkalk zu einer glasartigen Masse verbunden und konnte nicht mehr beschädigungsfrei entfernt werden. Da das Originalmaterial nicht mehr verfügbar war, wählte man einen Muschelkalk aus der Elm, der sich durch eine andere, eher grobporige Struktur auszeichnet. Zur energetischen Verbesserung erhielt das Gebäude eine Innendämmung aus Kalziumsilikatplatten. Im Zuge der Sanierung wurden die 360 Fensterelemente der Obergeschosse mit neuen Innenfenstern aus thermisch getrennten Aluminiumprofilen und Isolierverglasung versehen. Diese sitzen bauphysikalisch sinnvoll in der Wärmedämmebene. Die äußeren Stahlfenster werden damit zu Außenscheiben eines neuen Doppelkastenfensters, das durch offene Fugen hinterlüftet wird. Bis auf eine mit aufgearbeiteten Originalfenstern ausgestattete Bestandsachse ersetzten die Architekten alle historischen Außenfenster durch thermisch nicht getrennte Fenster 9, 10 [ S. 125 ] Die Fassade des 1932 von Peter Behrens errichteten Berolinahauses war vor der Sanierung durch verfälschende Eingriffe der Nachkriegszeit geprägt.

11 [ S. 125 ] Die sanierte, äußerlich originalgetreu nachempfundene Fassade

9

10

11

Alt & Neu

Fassaden der Moderne, denkmalgerecht erneUert

Der Büroturm erhielt eine Einfachfassade mit einem modularen Raster von 1,875 Metern. In der Vertikalen wechseln die großen, nicht zu öffnenden Festverglasungen und die opaken Brüstungselemente zwischen den durchlaufenden und vorstehenden Pfosten der Fassade. Der InnenUta Pottgiesser raum ist geprägt von kleinteiligen — Einzelbüros. Die zwei Büroeinheiten Prof. Dr.-Ing. Uta Pottgiesser war Architektin in Berlin und ist heute Professorin für Baukonstmit ihren künstlich belichteten Flurruktion und Baustoffe an der Hochschule Ostzonen schließen an einen zentralen westfalen-Lippe in Detmold. 2002 Promotion über „ Mehrschalige Glaskonstruktionen “ an der Versorgungskern an. TU Dresden, Institut für Baukonstruktion. Im Die Umwandlung des bestehenden Fachbereich Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur ist sie Sprecherin des ForBüroturms in ein modernes Bürogeschungsschwerpunkts „ ConstructionLab “ und bäude 2001 übernahmen ebenfalls Mitbegründerin des Masterstudiengangs „ International Facade Design and Construction “. Sie die Architekten HPP Hentrichist Autorin verschiedener Lehr- und Fachbücher Petschnigg & Partner. Ein Ziel war im Bereich Baukonstruktion und Fassaden, unter anderem „ Fassadenschichtungen – Glas “. die Sanierung der Vorhangfassade aus Aluminium, deren Erscheinung Julia Kirch – typisch für die Stadtlandschaft des Dipl.-Ing. ( FH ) Julia Kirch ist WissenschaftliBerliner Westens ist. Ein weiteres Ziel che Mitarbeiterin am Forschungsschwerpunkt „ ConstructionLab “ an der Hochschule Ostwestwar die Transformation des Innenfalen-Lippe. Sie studierte zuvor Innenarchitekraums in eine zeitgemäße Bürolandtur und anschließend Architektur und sammelte Ersatz : Büroturm des parallel Arbeitserfahrungen in verschiedenen schaft mit adäquater Ausstattung Europa-Centers, Berlin Architekturbüros. Während ihrer Tätigkeit als und entsprechendem Raumkomfort. Mitarbeiterin im Fachbereich Detmolder Schule ( Hentrich-Petschnigg & für Architektur und Innenarchitektur hat sie an Die alte Vorhangfassade wurde durch Partner, 1964 ) verschiedenen Veröffentlichungen im Bereich eine Aluminium-Doppelfassade mit Baukonstruktion und Fassade mitgewirkt. — www.hs-owl.de/fb1 Kastenfensterelementen ersetzt. Das Europa-Center am Berliner Breitwww.constructionlab.de Das filigrane äußere Erscheinungsscheidplatz beherrscht die Stadtsilhouette des Berliner Westens. In den oberen Etagen bild der Ursprungsfassade mit ihren schmalen, vertikal Büroturm, im Sockelbereich ein Shop-in-Shop-Ein- verlaufenden Profilen konnte mit der neuen Doppelfaskaufszentrum nach amerikanischem Vorbild, wurde das sade sehr gut nachgebildet werden, nicht zuletzt durch aus drei Gebäuden bestehende Ensemble 1964 von den eine außen angeordnete Einfachverglasung. Dadurch Architekten HPP Hentrich-Petschnigg & Partner fer- treten die für die innere Isolierverglasung erforderlichen tiggestellt. Zusammen mit der von Egon Eiermann in die stärkeren Profilquerschnitte in der AußenNeue Gedächtniskirche integrierten Ruine der Kaiser- haut nicht in Erscheinung. Während die innere Wilhelm-Gedächtniskirche wurde das Europa-Center Schicht als thermische Trennung dient, schützt zu einem Symbol des Wiederaufbaus und Wahrzeichen die äußere gemeinsam mit dem schmalen Fassadenzwischenraum vor Witterungseinflüssen der West-Berliner Innenstadt. Die flachen Gebäudeteile und der Büroturm wie Sonneneinstrahlung, Wind oder Regen. sind als Pfosten-Riegel-Konstruktionen in Im Gegensatz zur ursprünglichen Ausführung Aluminium ausgeführt und in der Umsetzung ermöglicht die neue Fassade partiell eine naeines strukturalistischen Grundkonzepts ex- türliche Be- und Entlüftung der Innenräume. emplarisch für den aus der klassischen Mo- Lüftungsschlitze in der äußeren Einfachverglasung, derne entwickelten International Style. Ein ober- und unterhalb der Brüstungselemente angeordBetonskelett mit zwei parallelen Stützen- net, machen dies möglich. Die inneren Fensterelemenreihen trägt die Betonflachdecken auf ei- te lassen sich öffnen. Auf diese Weise konnten nicht nur ner Grundfläche von 47,30 × 17,30 Meter. Die die Transmissionswärmeverluste durch die Außenhaut Stützen sind an der Fassade gegenüber der Deckenvor- deutlich reduziert, sondern auch die Betriebskosten und derkante um etwa 1 Meter zurückgesetzt, sodass die der Energieverbrauch für die Klimatisierung spürbar geVorhangfassade das Gebäude als homogene Haut umgibt. senkt werden.

127

aus sondergefertigten AluminiumStrangpressprofilen. So konnten die äußere Fassadenteilung ebenso wie die Ansichtsbreiten der historischen Fensterkonstruktion erhalten bleiben. Da die ursprüngliche Materialität und Farbgebung der Schaufensterbereiche im Erdgeschoss und des umlaufenden Erkerbandes der ersten Etage nicht bekannt waren, entschied man sich hier für goldeloxierte Aluminiumprofile, die den filigranen Fensterfassungen ähneln. Auf der Innenseite befindet sich eine thermisch getrennte Aluminium-Fensterkonstruktion mit Isolierverglasung. Anstelle des originalen, getrübten Opalglases verwendete man ein weißes Sicherheitsglas, auf der Rückseite versehen mit einer weißen Emaillierung, sodass sich ein dem Originalzustand vergleichbarer Effekt ergibt.XI

12

12 [ S. 128 ] Die Einfachfassade des Büroturms wurde bei der Sanierung durch HPP 2002 durch ein neues, äußerlich fast identisches Doppelfassadensystem ersetzt.

[ S. 128 ] Ausschnitt der Fassadenansicht : Hinter der äußeren Fassadenschicht sind die eingesetzten Sonnenschutzelemente zu erkennen.

13

13

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Temperierte Transparenz

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Fassaden der Moderne, denkmalgerecht erneUert

Dadurch wurde auch wesentlich weniger Platz für haus- im Innern zu starker Überhitzung, sodass man sich enttechnische Geräte benötigt. Die gewonnene Fläche kam schloss, das gesamte Gebäude im Zuge der Sanierung mit größtenteils der Büronutzfläche zugute. Ins- Sonnenschutzelementen zu versehen. Den Architekten gesamt führt die neue Grundrissgestaltung zu lag daran, die Farbgebung von Fassade und Fassadenproeiner größeren Nutzungsflexibilität. Nach dem filen möglichst weit an das ursprüngliche ErscheinungsUmbau gibt es klassische Zellenbüros ebenso bild anzunähern. Um den Ton der champagnerfarbenen wie Gruppen-, Kombi-, oder Großraumbü- Profile zu treffen, waren viele Bemusterungen und speros. Zudem sind alle Installationen, wie Hei- zielle Farbmischungen nötig. zungs- und Lüftungsleitungen, Elektro- und Datenverkabelung, in einen umlaufenden MeRevitalisierungsaufgaben dienkanal entlang der Fassade ausgelagert. auSSerhalb Europas Daher konnten innen weitgehend transparente Trenn— wände eingesetzt werden – zugunsten einer überwie- Die für Europa und gemäßigte Klimazonen entgend natürlichen Belichtung der Bürozonen. wickelten Fassadenkonstruktionen und GeEine vergleichbare Strategie verfolgten die Architek- bäudekonzepte wurden seit den 1930er-Jahren ten schneider + schumacher bei ihrer Revitalisierung ei- oft ohne ausreichende Anpassung an die lokalen nes Bürogebäudes in der Frankfurter Siesmayerstraße. klimatischen Bedingungen auf andere KontiNach Plänen des Architekturbüros Skidmore, Owings & nente übertragen. Für viele Länder Mittel- und Merrill ( SOM ) war das Gebäude 1955 als US-amerika- Südamerikas, aber auch Asiens müssen noch genisches Generalkonsulat errichtet worden. Der damals eignete Sanierungskonzepte entwickelt werden. ohne aussteifende Wände ausgeführte Stahlskelettbau Diskussionen mit Wissenschaftlern und ausfühbehielt auch nach der Sanierung seine charakteristi- renden Planern anderer Länder zeigen, dass die sche Teilung in flachen Sockel, zurückspringendes Zwi- dortigen Nutzer heute ebenfalls höhere Anforschengeschoss und schlankes „ Hochhaus “. Um durch die derungen an Raumkomfort und Energieeffizienergetisch notwendige dickere Fassadenkonstruktion enz haben – mit entsprechenden Konsequenzen nicht zu viel Grundfläche zu verliefür die Fassadengestaltung I Prudon, T. H. M., Preservation of Modern ren, erhielt das Hochhaus in Länge Architecture. und -konstruktion. Trotz Hoboken : Wiley, 2008, S. 20–22. und Breite je ein zusätzliches Achs- II Blum, H.-J. et al., Doppelfassaden. Berlin : der Aktivitäten und der in& Sohn, 2001. raster. Die damals neuartige Vor- Ernst ternationalen Diskussion III Pottgiesser, U., Fassadenschichtungen – Glas. hangfassade ist als Metallfassade Mehrschalige Glaskonstruktionen : Typologie, über Energieeffizienz und Konstruktionen, Projektbeispiele. Berausgebildet. Wegen ihres exempla- Energie, Klimaschutz ist zu beobachten, dass lin : Bauwerk Verlag, 2004. rischen Charakters steht sie unter IV Voelckers O., Bauen mit Glas. Glas als Bauherren in Schwellenländern bis Glasarten und Glassorten, Glas in Denkmalschutz und wurde unter Werkstoff, heute dazu neigen, aus KostengrünBautechnik und Baukunst. Stuttgart : Hoffmann Berücksichtigung aktueller Wär- Verlag, 1934. den auf die konstruktive, energetiV Oswalt, P. ( Hrsg. ), Wohltemperierte Archime-, Schall- und Brandschutzvor- tektur. Neue Techniken des energiesparenden sche und akustische Verbesserung schriften behutsam erneuert. Trotz Bauens. Heidelberg : C.F. Müller Verlag ; 2. Auf- bestehender Fassaden zu verzich1995. der technischen Aufrüstung blieb VIlage, ten. Der langfristige und dauerhafte Dorsemagen, D., Büro- und Geschäftshausdas äußere Erscheinungsbild unver- fassaden der 50er Jahre. Konservatorische Prob- – materielle wie ideelle – Wert eileme am Beispiel West-Berlin. TU Berlin Archiändert : Im Erdgeschoss und im 1. tektur  ner flexibel nutzbaren Immobilie ist : Dissertation, 2004. Obergeschoss wurde die ursprüng- VII Rauterberg, H., „ Wie ich versuchte die 60er ein starkes Argument, um Bauherzu lieben “. In : DIE ZEIT Nr. 11, 11.03.2010, liche einschalige Isolierverglasung Jahre ren und Investoren für die RevitaliS. 47. aus Kipp- und Klappflügeln wieder- VIII Ebbert, T., Re-Face. Refurbishment Strate- sierung stadtbildprägender Gebäude for the Technical Improvement of Office Fahergestellt und um einen außenlie- gies zu gewinnen. Um diese Diskussiçades. TU Delft Architektur : Dissertation, 2010. genden Sonnenschutz ergänzt. In IX Russig, V., Gebäudebestand in Westeuropa. on international erfolgreich zu fühSchnelldienst, vol. 52, issue 12, 1999, S. 13–19. den Obergeschossen führte man die IFO ren, muss der spezifische Charakter X Pilkington K Glass™ ist der Markenname des Fenster mit innenliegender Isolier- Produkts der Firma Pilkington. und Wert dieser Bauten der Moder Die Neuen Architekturführer Nr. 100. Beroliverglasung, außenliegender Prall- XInahaus ne verdeutlicht werden. Eine VerbesAlexanderplatz Berlin. Berlin : Stadtwanscheibe und dazwischenliegenden serung der energetischen Kennwerte del Verlag Daniel Fuhrhop ; 1. Auflage 2007. Pottgiesser, U., „ Revitalisation Strategies for Sonnenschutzelementen aus. Ur- XII oder des Raumkomforts erlaubt eine Modern Glass Facades of the 20th century “. In : sprünglich verfügte das Gebäude Proceedings STREMAH 2009. Eleventh Inter- langfristige Weiternutzung etwa der national Conference on Structural Studies, Reüber keinen Sonnenschutz. Die feh- pairs Bauten Oscar Niemeyers in Belo Hoand Maintenance of Heritage Architecture. lende Verschattungstechnik führte Southampton : WIT Press, 2009. rizonte oder São Paulo.XII 14 Europa-Center in Berlin : Während des Umbaus 2002 wird die Unterkonstruktion der Doppelfassade mit dem innenliegenden Sonnenschutz sichtbar.

15, 16 Das frühere BEMGE-Verwaltungsgebäude von Oscar Niemeyer in Belo Horizonte. Aufgrund der internen Überhitzung rüstete man das Gebäude mit Klimageräten nach — was seine Erscheinung entscheidend verändert.

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1 Fahle Building — s. 132 Tallinn ( EE ) 2 Andel’s Hotel Lodz — s. 136 LÓDŹ ( PL ) 3 Sporthalle im Hangar — s. 148 Berlin ( de ) 4 Lehrgebäude FH Wildau — s. 152 Wildau ( de ) 5 Kulturzentrum Alvéole 14 — s. 156 Saint-Nazaire ( F ) 6 Ziegeleimuseum Zehdenick — s. 161 Zehdenick-mildenberg ( DE )

Ein Gebäude wird hergerichtet für eine neue Nutzung, weil die alte obsolet geworden ist. Die mit dem Umbau einhergehende Nutzungsperspektive ist häufig die Voraussetzung für das Fortbestehen eines alten Gebäudes. Gebäude mit maßvollem Aufwand umzunutzen ist meist wirtschaftlicher – und fast immer ökologischer – als ein Neubau. Aber Umnutzung bedeutet nicht alleine, eine alte Hülle erfolgreich mit neuem Inhalt zu füllen. Im besten Fall hat man den Eindruck, ein Gebäude findet im Moment der Umnutzung überhaupt erst seine wahre Bestimmung : Das fast sechshundert Jahre alte Wirtschaftsgebäude

7 Selexyz Dominicanen Buchhandlung — s. 164 Maastricht ( NL ) 8 Haus St. Joseph am Kloster Waldsassen — s. 168 waldsassen ( dE ) 9 bibliothek im Ebracher Hof — s. 172 Schweinfurt ( DE ) 10 Terra mineralia im Schloss Freudenstein — s. 178 Freiberg ( DE )

des Klosters Waldsassen, das so lange unbeachtet neben dem Klostereingang stand, wird – rundum repariert und befreit von verunstaltenden Anbauten – zum schmucken Kulturzentrum mit Hotel und Klostergaststätte. In Tallinn erweist sich die Ruine eines trutzigen Fabrikgebäudes als ideale Basis für einen imposanten Wohn- und Büroturm, ein Symbol neuer wirtschaftlicher Prosperität. In allen Beispielen werden die Spuren der Vergangenheit zur ästhetischen Kulisse der neu etablierte Nutzung. Umnutzungsideen decken das Potenzial von Gebäuden auf und eröffnen ihnen ein zweites Leben.

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fahle  building

Tallinn ( EE ) Alt Industriebau — S. 18, 136, 148, 152, 161 neu Bürohaus — S. 72, 76, 116 Wohngebäude — S. 22, 32, 42, 46, 50, 62, 84

KOKO Arhitektid

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Von der Papierfabrik zum Wohnund Büroturm : Das Fahle Building in Tallinn 2, 3 In der von altindustriellen Relikten geprägten Stadtrandzone ist die umgebaute Fabrik Zeichen für einen Neuanfang – sie steht unübersehbar an der Straße zum Flughafen. 4 Die Ruine der Papierfabrik vor dem Umbau 1

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Umnutzung

Gläserner Kopf auf steinernem Rumpf

Ateliers, Musikstudios und eiWie ein steinerner Wächter ner neuen Spielstätte für das thront die alte Zellulose- und Tallinner Theater. Sogar die Papierfabrik unübersehbar auf estnische Akademie der Künseinem Hügel oberhalb der estnite bekundete Interesse, mit eischen Hauptstadt Tallinn, gleich ner Dependance in das Haus an der Ausfallstraße nach Tartu einzuziehen. Triin Ojari, Chefund zum Flughafen. Das nach redakteurin der estnischen Emil Fahle, dem einstigen FaUmbau einer früheren Papierfabrik zum Architekturzeitschrift „ Maja “, brikdirektor, benannte GebäuWohn- und Büroturm erinnert sich : „ Die Treppen ins de stammt aus dem Jahre 1926 KOKO Arhitektid, Tallinn Obergeschoss hatten kein Geund war bis Anfang der 1990erländer mehr, und es war unJahre in Betrieb. Dann gingen glaublich kalt in dem meterhohen die Lichter aus, und das TurmRaum – aber wir waren alle fashaus mit seinen teilweise 1,2 Meter dicken Kalksteinmauern verfiel zusehends. Schon im Winter ziniert von dem mysteriösen Charme und den endlosen Korridoren 2001 traf sich eine Gruppe estnischer Architekten in der alten dieses industriellen Riesenraums. “ Fabrik zum Brainstorming, um gemeinsam Pläne zu schmieden, Die Vision von der Kulturfabrik sollte sich nicht erfüllen. Aber wie man das eindrucksvolle Industriegebäude nutzen könnte. Ih- immerhin gibt es im Sockel des Gebäudes heute eine namhafte re Idee war eine Kulturfabrik, als Veranstaltungsort mit Galerien, Kunstgalerie, außerdem Restaurants und ein Fitnessstudio. Einer der größten Mieter in den Büroetagen ist ein Fernsehstudio, den überwiegenden Rest Projektdaten Querschnitt durch das aufgestockte Gebäude des Gebäudes, fast zwei Drittel der Fläche, Bauherr Koger Kinnisvara 15 Mio. Euro bilden Apartments, an der Westseite mit ei- Baukosten Grundfläche Gebäude 2.568 m² nem fantastischen Blick über Tallinn und Nutzfläche 16.100 m² die Ostsee. So bringt das nach Plänen von Nutzung 60 % Wohnungen, KOKO Arhitektid umgebaute Gebäude ei- 25 % Büros, 10 % Handel, 5 % Parken 19.400 m² nen neuen Rhythmus in diese bis dato triste BGF Fertigstellung 2007 Stadtrandgegend von Tallinn. Die architek- Projektleitung Raivo Kotov, Andrus tonische Idee von KOKO überzeugt durch Kõresaar ihre Klarheit : Indem man die acht Stock- Interior Design Liis Lindvere, Raili Liisi Murula ( KOKO Arhitektid ) werke des ursprünglichen Gebäudes um Paling, Standort Tartu mnt. 84a, weitere sechs aufstockte, wurden die ex- EST–10112 Tallinn ponierte Lage und der turmartige Charak- Erbauungsjahr 1926 ter des imposanten Gebäudes betont und, 1000 2010 im doppelten Sinn, überhöht. Die neunte Etage markiert den Übergang Umbau 2007 zu den neu aufgesetzten Geschossen, in- 2000 2010 dem sie um einen Meter hinter die OberBaukosten M2-Preis kante der Steinfassade zurückspringt. Der 15 Mio. € 932 € / m2 Rücksprung stellt elegant eine räumliche 10 m 15.000 Fuge zwischen Alt und Neu her und korres10.000 pondiert zudem mit den zwei umlaufenden Grundriss 6. Obergeschoss Hauptgesimsen der historischen Basis. 5.000 Für die doppelschalige Glasfassade der 10. 0 bis 14. Etage verwendete man Gläser in drei geringfügig unterschiedlichen Grüntönen. Dadurch brechen die Fenster das Licht je nach Lichteinfall und Blickwinkel in verschiedene Farben, und der große rechteckige Glaskorpus schimmert geheimnisvoll in der Sonne – ein bewusster Kontrast zur klaren, etwas rohen Erscheinung des rauen, steinernen Sockels. Farbpixeln gleich geben die unterschiedlich gefärbten Gläser der an sich glatten Oberfläche des Aufbaus Lebendigkeit und Frische. 110 Wohnungen zwischen 30 und 145 Quadratmeter entstanden im Gebäude, zwei Drittel davon im gläsernen Aufbau. Je nach Ausstattung und Aussicht kosteten sie bis zu 3.500 Euro je Quadratmeter. Die neuen Etagen, der gläserne Kopf auf steinernem Rumpf, machen das Gebäude zur weithin sichtbaren Landmarke. Dabei geben sich die neuen Etagen unzweifelhaft als zeitgenössische Ergänzung zu erkennen. Selbstbewusster und umfassender hätte die Erneuerung des verwahrlosten Fabrikareals nicht vollzogen werden können. Auf einmal ist Loftwohnen auch unter den jungen Erfolgreichen Tallinns – und davon gibt es einige – en vogue, fast alle Apartments waren in Windeseile verkauft. Die neue Nutzung seiner Fabrik als Business-Center und Panorama-Loft hätte dem Erbauer des Gebäudes, Emil Fahle, gefallen. Der war ein echter „ Selfmademan “ : 1895 war der Sohn eines Lokomotivführers mit 5 Rubel in der Tasche aus Deutschland eingewandert und hatte als Arbeiter in der Fabrik angefangen. 10 m Keine fünf Jahre später war der damals 24-Jährige zum Fabrikdirektor aufgestiegen. FPJ

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Büroeinheit mit Besprechungsraum Piranesis Papierfabrik : Das Innere vor Beginn der Sanierungsarbeiten 7 Einer der Erschließungsbereiche 5

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8, 9 In vielen Wohnungen ist die industrielle Vorgeschichte des Gebäudes noch präsent : Silotrichter in der 5. Etage

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andel’s  hotel lodz  

LÓDŹ ( PL ) Alt Industriebau — S. 18, 132, 148, 152, 161 neu Gastronomie — S. 28, 92, 156, 168 Hotel — S. 168

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OP Architekten

1 Der Blick entlang der Fassade zeigt die enormen Abmessungen des siebengeschossigen, 200 m langen Fabrikgebäudes. Die Schwimmhalle des Hotels ragt als gläserner Riegel über die Fassade hinaus.

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Andel’s hotel lodz

Polens Manchester wird schick

In der Längsachse des GeIm Jahre 1810 war Lodz ein bäudes schnitt man einen elverschlafenes Nest mit gut lipsenförmigen Lichthof in die 200 Einwohnern. Keine 90 JahGeschossdecken, der durch alre später, im Jahr 1897, lebten le sieben Etagen reicht. Dieser 314.000 Menschen in der Stadt, Durchbruch setzt einen vertikadie bis heute die zweitgrößte Polen Akzent, öffnet die ansonsten lens ist. Lodz war die Boomstadt vorwiegend von Horizontalen des gründerzeitlichen Polen, Umbau einer früheren bestimmte Architektur. galt als polnisches Manchester Textilfabrik in ein Hotel Der zweite größere Eingriff er– mit allen Schattenseiten des OP ARCHITEKTEN, Wien folgte an der äußeren Hülle und Kapitalismus –, mehrere Arbeiist der Blickfang des erneuerteraufstände wurden blutig nieten Gebäudes : Ein gläserner dergeschlagen. Doch war Lodz Riegel, der auf Höhe der Dachauch die Stadt, in der 1899 Polens erstes Kino eröffnete und Polen, Deutsche, Russen und Juden terrasse kühn über die Hauptfassade hinausragt. Darin befindet in so betriebsamer wie selbstverständlicher Koexistenz zusam- sich das zum Wellnessbereich gehörige Schwimmbad. menlebten. Die Textilindustrie hatte Lodz groß gemacht, 1904 Das Schwimmbad integrierten die Architekten im Dachgeschoss des Gebäudes in den von einem gusseisernen Löschwassertank zählte man 546 Fabriken mit 70.000 Beschäftigte. Eine der größten von ihnen war die Fabrik von Izrael Pozńanski. 1887 errichtete der Querschnitt durch das Gebäude nach dem Umbau Projektdaten Bauherr Warimpex Finanz- und Unternehmer eine Weberei, die in ihren AbBeteiligungs AG messungen an einen Ozeandampfer erinBaukosten 70 Mio. Euro nert – wobei die Ziegelfassade nicht glatt Nutzfläche 33.300 m2 ist, sondern ganz und gar aufgelöst in PiBGF 40.100 m² Anzahl Hotelzimmer 220 Zimmer und laster, gemauerte Konsolen und Gesimse. 58 Apartments Ein Industriebau voll lärmender Maschinen Besonderheit Erhielt den European – mit der Schauseite eines Prunkbaus. Fast Hotel Design Award 2009 sowie den 200 Meter lang und 33 Meter hoch, verfügContract Magazine Interior Award 2010 in der Kategorie „ Adaptive Rete der Koloss aus roten Ziegeln über sieben Use“ sowie Auszeichnungen der ImStockwerken mit insgesamt 40.000 Quadmobilienwirtschaft, u.a. bei den MIPIM Awards 2010 mit dem „ Special Tribute ratmetern Produktionsfläche. Das Gebäude wurde noch bis in die 1990erto the Guest of Honour“ . Fertigstellung 2009 Jahre industriell genutzt – danach stand es Architektur / Projektleitung OP leer. Der Abriss war die wohl wahrscheinARCHITEKTEN, Wojciech Popławski, lichste Perspektive für das Ensemble, denn Andrzej Orlinski wie nutzt man ein Gebäude mit diesen DiInterior Design Jestico + Whiles Standort Ul. Ogrodowa, mensionen um ? PL–91065 Łódź Dass es heute – sorgfältig restauriert – von der stürmischen Boomphase Lodzs zeugt, Erbauungsjahr 1887 ist dem Wagemut österreichischer Inves10 m 1000 2010 toren und dem Enthusiasmus von Wojciech Umbau 2009 Popławski und Andrzej Orlinski von OP Architekten zu verdanken. Mit großer Sorg- Schnitt durch das Erdgeschoss 2000 2010 falt entwickelten sie die Idee des Investors Baukosten M2-Preis weiter, den wuchtigen Backsteinbau in ein 70 Mio. € 2.102 € / m2 Viersternehotel mit allen Annehmlichkeiten 15.000 zu verwandeln. 10.000 Für diesen Zweck erweist sich die schiere 5.000 Größe der Flächen nicht als Hindernis, sondern als Trumpf für die Revitalisierung. Im 0 Gebäude fanden nicht nur 278 Zimmer und Suiten Platz, sondern auch ein 3.100 Quadratmeter großer Konferenzbereich im Erdgeschoss, ein Spa mit Schwimmbad und Wellnesslandschaft auf dem Dachgeschoss sowie ein Ballsaal, in dem 800 Gäste das Tanzbein schwingen können. Er nimmt mit seinen 1.300 Quadratmetern rund die Hälfte der vierten Etage ein und ist akustisch vom übrigen Gebäude separiert. Der 7 Meter hohe Fest1m saal ist einer der größten in Zentralpolen. Vervollständigt wird die Ausstattung durch Bars und ein Restaurant, die sich im Erd- bzw. im Dachgeschoss befinden. Im Restaurant diniert man in einer weiten, aber nicht überdimensionierten Halle zwischen 4 Meter hohen guss- gebildeten Freiraum. Die Wände des alten Tanks sind links und eisernen Stützen, und keine abgehängte Decke versperrt den Blick rechts des Beckens durch den verglasten Boden erkennbar. Er auf die preußischen Kappen, die gründerzeittypische Gusseisen- wurde vor 130 Jahren in Manchester konstruiert und als BestandStahl-Ziegel-Deckenkonstruktion des heutigen Restaurants. Wo teil eines seinerzeit fortschrittlichen Feuerlöschsystems in das immer möglich, etwa in den Treppenhäusern und im Lobbybereich, Dach der Fabrik integriert. Von dem frei in den Himmel ragenden bewahrten und restaurierten die Architekten die raue Schale der In- Bassin aus genießen Schwimmer einen Panoramablick über die dustriearchitektur und kontrastierten sie behutsam mit zeitgenössi- Dächer der Stadt. In luftiger Höhe verschmelzen Innenraum und schen Elementen. Damit schufen sie einen willkommenen Kontrast Stadtlandschaft, das Wasser im Pool und die Skyline von Lodz. Wer zu den gediegenen Interieurs der Londoner Designer Jestico + Whi- heute die obere Etage der alten Fabrik betritt, kommt zum Genieles, die die Zimmer und einen Teil des Gastro-Bereichs gestalteten. ßen her, die Stadt der Arbeiter ist Geschichte. FPJ

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2 Ovale Deckendurchbrüche im Zentrum des Gebäudes verbinden die Etagen. 3 Hotelhalle unter preußischen Kappen und Ziegeldecken : Der Industriebau offenbart ungeahnte Eleganz. 4 Der Festsaal mit Konferenzbestuhlung 5 Wohnzimmer in einer der Suiten 6 Spa und Schwimmbad auf dem Dach des Hotels 7 Die Dachterrasse

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¨ udeSkelett   GebA im Statikcheck Erfahrungen eines   Tragwerksplaners beim Bauen im Bestand

Ein Entwurfshandbuch sollte seinen Lesern Hilfe und Anregung liefern, wie bestimmte Bauaufgaben angegangen und ihre Probleme gelöst werden können. Mit Blick auf die Tragwerksplanung sei vor sogenannten Patentrezepten gewarnt. In meiner über 25-jährigen Praxis sind mir häufig gleichartige Schadensbilder begegnet, die jedoch unterschiedliche Ursachen hatten. Eine nachhaltige Sanierung kann aber nur durch Abstellen der Schadensursachen erfolgen. Deshalb steht am Beginn immer eine Anamnese mit einer anschließenden Stärken- / Schwächenanalyse, um mit der Struktur zu arbeiten und nicht gegen sie. Rainer Hempel

Anamnese — Generell hat sich eine systematische Vorgehensweise, bei der keine vorschnellen Bewertungen erfolgen, als vorteilhaft erwiesen. Wir beginnen immer mit der Anamnese : Alle erhältlichen Informationen zur Bau- und Konstruktionsgeschichte eines Gebäudes werden zusammengetragen, sortiert und ausgewertet.

Je besser die Aktenlage, desto erfolgreicher und wirtschaftlicher können die Sanierungs- und Sicherungsarbeiten geplant und durchgeführt werden. Ganz wesentlich ist, dass die Planlage stichprobenartig mit dem Bestand auf Übereinstimmung geprüft wird. So fanden wir etwa bei der Revitalisierung der ehemaligen Hessischen Landesbank in Frankfurt eine exzellente Planlage vor.

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Erfahrungen eines Tragwerksplaners beim Bauen im Bestand

Die vollständigen, bauordnungsrechtlich geprüften Ausführungspläne einschließlich der Schalpläne lagen vor. Bei der stichprobenartigen Überprüfung der Plan- und Ist-Geometrie stellten wir jedoch fest, dass die ausgeführten Öffnungen in den Stahlbetonkernen nicht mit jenen in den geprüften Schalplänen übereinstimmten. Die Aufzugstüren hatte man größer ausgeführt, und die Durchbrüche für die Gebäudetechnik waren in Größe und Lage ebenfalls anders ausgeführt, als in den Plänen dargestellt – ein eindeutiges Indiz dafür, dass bei diesem Projekt offenbar baubegleitend geplant worden war. Somit mussten – zusätzlich zu den vorhandenen – jüngere Planunterlagen existieren bzw. existiert haben, denn die Schalung für die Stahlbetonkerne kann bei diesem Änderungsumfang nicht auf Zuruf auf der Baustelle geändert worden sein. Für die neue Geometrie ( Schalplanung ) und die daran anschließende ebenfalls geänderte Bewehrungsplanung waren Ausführungspläne für die Baustelle notwendig. Nach umfangreicher Recherche und entsprechend nachdrücklicher Anfrage stießen wir im Archiv der Rohbaufirma auf die gesuchten Unterlagen. Hierdurch konnten der Bauherrin erhebliche finanzielle Aufwendungen und auch der zeitliche Verzug einer werkstofftechnischen Untersuchung erspart werden. Diagnose — Der zweite Schritt unserer Vorgehensweise ist die Diagnose. Hier wird bewertet. Insbesondere gilt es, zwischen Ursachen und Auswirkungen von Schäden zu unterscheiden. Es werden Stärken- und Schwächenanalysen erstellt, um eine im doppelten Sinne „ konstruktive “ Entscheidungshilfe für den Objektplaner zu liefern. Dieser Abschnitt stellt die kreativste Phase für den Tragwerksplaner dar. Therapie — Den dritten Arbeitsschritt bezeichnen wir als Therapie und Standsicherheitsnachweis. Bei historischen bzw. bei stark geschädigten Gebäuden kommt der Therapie eine extreme Bedeutung zu, denn sie ist Voraussetzung für das Gelingen und die Nachhaltigkeit von Sicherung, Sanierung oder Revitalisierung. Projektbeispiele — Aufgabe des Tragwerksplaners ist es, die Standsicherheit und die Gebrauchstauglichkeit von Gebäuden rechnerisch nachzuweisen. Für Neubauten können wir bei dieser Aufgabe auf ein umfangreiches Konvolut von

Vorschriften, Normen, Tragwerkstheorien und Bemessungsverfahren für Bauteile, Verbindungstechniken, Werkstoffe usw. zurückgreifen. Auf ältere Gebäude sind die heute gültigen Regelwerke, wenn überhaupt, nur bedingt anwendbar. Baumeister früherer Epochen hatten ihre bauzeitlichen Vorschriften und Konstruktionsregeln, an die sie sich mehr oder minder sorgfältig hielten. Somit kommen wir nicht umhin, Konstruktionen immer mit Blick auf die zur Bauzeit gültigen Normen und Vorschriften zu beurteilen. Dabei ist selbstverständlich die zukünftige Nutzung, vor allen Dingen in Bezug auf die Nutzlasten, ein zentrales Kriterium. Ein aktuelles und zugleich auch typisches Beispiel in diesem Sinn stellt eines unserer Projekte, die sogenannte Stockwerksfabrik in Bad Hersfeld dar. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine 1910 errichtete, frühe Eisenbetonkonstruktion. Der noch junge Werkstoff Eisenbeton wurde sehr wirtschaftlich dimensioniert eingesetzt : Die einzelnen Geschossdecken sind für Verkehrslasten von 800–1000 kg / m² ( heute 8–10 kN / m² ) ausgelegt worden. Bauzeitliche Unterlagen zur Tragkonstruktion, wie statische Berechnungen, Positionspläne und Schal- und Bewehrungspläne, liegen leider nicht mehr vor. Damit oblag uns die Anamnese, eine gründliche Bauteiluntersuchung. Schäden wurden kartiert, Werkstoffe untersucht, beprobt, bewertet, charakterisiert usw. Gemessen an heutigen Standards stellten wir eklatante Mängel fest : So sind etwa Bügel in Unterzügen generell nicht geschlossen worden. Die vorhandene Biege- und Schubbewehrung ist nach heute geltenden Normen teilweise deutlich zu gering, das heißt es wären umfangreiche Verstärkungsmaßnahmen erforderlich. In diesem Kontext gilt es, unser fachdisziplinäres Denken und Handeln kritisch zu hinterfragen. Zu denken, „ Wie kamen die Kollegen 1910 zu dieser ‚mangelhaften‘ Ausführung ? “ ist eine subjektive, ganz und gar gegenwartsverhaftete Sicht. Die 1910 verantwortlichen Kollegen würden sich umgekehrt wahrscheinlich über unser anmaßendes Urteil wundern. Ein Exkurs in die Baugeschichte und für Tragwerksplaner insbesondere in die Konstruktionsgeschichte hilft, die hier scheinbar bestehende fachliche Kluft ins rechte Licht zu rücken : Die Stahlbetonkonstruktion ist eine noch relativ junge Bauweise. Die ersten Eisenbetonkonstruktionen entstanden in Deutschland kurz vor 1890. Die ersten Bemessungsverfahren bzw. Vorschriften wurden in Preußen aber erst um 1905 erlassen. Die Verwendung des zu dieser Zeit noch neuen Werkstoffs Eisenbeton steckte also noch in der Pionierphase, und das gilt sowohl für die Herstellungsverfahren als auch für die Bemessungsverfahren und die Konstruktionsregeln.

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Gebäudeskelett im statikcheck

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Theoretische und baupraktische Häufig ergeben sich schon auf dieEmpfehlungen, die den neuesten sem Weg bis zu 10 Prozent relative Stand der Technik um ca. 1900 wiStandsicherheitserhöhungen. Durch derspiegeln, sind mit den Namen das Einfügen von zusätzlichen TragKoenen und Mörsch verbunden. Vor gliedern kann die Sicherheit rechneallem das Standardwerk von Emil risch relativ gut und genau ermittelt Mörsch,  Der Eisenbeton – seine Thewerden. Allerdings sollten wir dabei I orie und Anwendung , lieferte die aknicht vergessen, dass eine Konstruktion nicht „ weiß “, wie wir sie bemestuelle technologische Grundlage für sen haben. Sie gehorcht den Kräften die in der Zeit tätigen Planer. und physikalischen GesetzmäßigkeiBetrachtet man die bauzeitlichen ten ihrer tatsächlichen Konstruktion. Regelvorgaben, so gab es um 1910 Das bedeutet, dass eine Zusatzkonsnoch keine geschlossenen Bügel. Die truktion sich nur an der Lastabtravon uns als mangelhaft angesehenen gung beteiligt, wenn sie ein mit dem Konstruktionen entsprachen dem Rainer Hempel Bestand identisches Verformungsaktuellen wissenschaftlichen Kennt— nisstand um 1910 und waren damit Prof. Dr.-Ing. Rainer Hempel, geboren in Neu- maß erhält. Verstärkungen sollten stadt a. d. Orla ( Thüringen ). Bauingenieurstudidaher in der Regel mit einer Vorspan„ best practice “. II um an der TU Braunschweig, 1979–1981 StatiEine Tragkonstruktion, die ihre ker im Büro Dr. Rehr und Martin, Braunschweig. nung eingebaut werden. Dann bieten Wissenschaftlicher Mitarbeiter am sie der Bestandskonstruktion sofort Funktion hundert Jahre ohne er- 1981–1987 Lehrstuhl für Hochbaustatik der TU Brauneine spürbare Entlastung und tragen schweig. 1981 Gründung des Ingenieurbüros kennbare Schäden erfüllt hat, hat da& Partner in Braunschweig. 1986 Produrch zusätzliche Durchbiegungen durch im Praxistest die ‚,Richtigkeit’’ Hempel motion zum Dr.-Ing. 1989–1991 Professor an unmittelbar zur Aufnahme von Verder Uni-Gesamthochschule Siegen. Seit 1991 der dazugehörigen BemessungsanaProfessor an der Fakultät für Architektur, FH logie bewiesen. Selbstverständlich Köln, 1998–2002 Dekan der Fakultät. 2004 Ver- kehrslasten bei. können wir heute mit der Finite- legung des Ingenieurbüros Prof. Dr.-Ing. Hem- Ein weiteres Verfahren zur Beurtei& Partner nach Köln. Das Tätigkeitsfeld lung von Tragfähigkeiten stellt die Elemente-Methode alle Strukturen pel des Büros umfasst den gesamten Bereich des räumlich und auch realitätsnäher Ingenieurhochbaus. Ein Schwerpunkt liegt in Probebelastung bis zum Erreichen der Bearbeitung von innovativen und kreativen der Bruchlast dar. Sie eignet sich hermithilfe des Computers nachbil- Tragwerkskonzepten sowohl in den Bereichen den bzw. erfassen. Und trotzdem Bestandsrevitalisierung und Sanierung histori- vorragend, wenn Tragglieder bis zum scher Tragwerke als auch bei Neubauten. Bruch beansprucht werden können. gelingt es uns damit nicht, die www.hempel-ingenieure.de Derartige Probebelastungen können Standsicherheit von Konstruktionen nicht vor Ort durchgeführt werden, sondern nur im Prüfvollkommen zweifelsfrei nachzuweisen. Wie lässt sich die elementare bauordnungsrechtliche labor. Um die Ereignisse statistisch absichern zu können, Forderung nach Standsicherheitsnachweisen also zu- ist eine gewisse Anzahl von Versuchen erforderlich. Ein solches Verfahren setzt voraus, dass für die Tests Tragfriedenstellend erfüllen ? Wir stützen uns hierbei in der Praxis auf mehrere Ver- werksteile zur Verfügung stehen, die, beispielsweise fahren : Die eleganteste Variante stellt das Verfahren mit durch den nachträglichen Einbau von Treppen oder Aufder sogenannten „ relativen Sicherheit “ dar. In diesem zügen, künftig nicht mehr benötigt werden.III Fall gehen wir davon aus, dass die bestehende Tragkon- Probebelastungen deutlich unterhalb der Bruchlasten struktion ihre statische Funktion mit den entsprechen- können vor Ort durchgeführt werden. Allerdings sind hier den Verkehrslasten über Jahrzehnte erfüllt hat. Sind über sehr aufwendige Verformungsmessungen erforderlich. Bei die Jahrzehnte keine erkennbaren Schäden aufgetreten, Stahl- oder Eisenbetonkonstruktionen sollte unbedingt ist die Standsicherheit deutlich größer als der Faktor 1. darauf geachtet werden, dass der Stahl nur in den elastiMit erkennbaren Schädigungen entspricht die Stand- schen Bereichen beansprucht wird und nicht fließt. sicherheit immerhin noch mindestens dem Faktor 1. In solchen Fällen macht es Sinn, auf eine definierte SicherRevitalisierung Büro- und heitserhöhung hinzuarbeiten – zum Teil auch losgelöst Geschäftshaus, Berliner Allee, von der Tragkonstruktion selbst. So verringern sich bei Düsseldorf IV geänderter Nachnutzung womöglich die Verkehrslasten. — Auch durch Änderung der Bodenaufbauten bzw. durch Bei diesem Gebäude handelt es sich um eine Stahlbedas Entfernen von Abhangdecken usw. können die Las- tonskelettkonstruktion aus dem Jahr 1954. Die Planunten, die statischen Einwirkungen, reduziert werden. terlagen aus der Bauzeit waren vollständig vorhanden.

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Erfahrungen eines Tragwerksplaners beim Bauen im Bestand

Die Bemessungen waren unter bauzeitlichen Gesichtspunkten in Ordnung, sodass der Bauherr zunächst keinen Handlungsbedarf sah. Jedoch stellte sich heraus, dass die Nachweise zur Aussteifung und Gebäudestabilität fehlten. Im Rahmen der Anamnese, also beim ersten Vor-Ort-Termin beobachteten wir, dass der Beton sehr stark „ abmehlt “, das heißt beim Anfassen blieb mehlfeiner Staub an den Händen kleben – ein Hinweis auf bindige Bestandteile in den Betonzuschlägen. Diese hemmen bzw. verhindern die Kornbindung, die der Beton jedoch zur Festigkeitsentwicklung benötigt. Aufgrund dieses Verdachtsmoments einer unzureichenden Betongüte zogen wir Bohrkerne. Das Ergebnis der Proben zeigte, dass statt eines B 225 bzw. B 300 nur ein B 80, nach neuerer Einstufung ca. C 8 gegeben war. Eine Betongüte, die schon zur Bauzeit für Stahlbeton unzulässig war. Solche Ergebnisse erstaunen. Allerdings ist bekannt, dass bis zu den 1960er-Jahren die

Zuschlagstoffe direkt aus der Kiesgrube kommend verarbeitet wurden. Verunreinigungen mit Schluff oder Ton waren sehr üblich. Das Sieben und Waschen der Zuschläge erfolgte erst ab ca. 1960, sodass die Rohstoffe mit definierten Korndurchmessern entsprechend optimierter Sieblinien zu qualitätvollem Beton verarbeitet werden konnten. Bedingt durch die geringe Betondruckfestigkeit lag es hier nahe, mithilfe eines tragenden Aufbetons einen neuen Verbundquerschnitt zu generieren. Die Biegedruckzone wurde mit einem C 20 / 25 ( eine größere Steifigkeitsdifferenz zu dem vorhandenen C 8 wäre schädlich ) um 5 Zentimeter erhöht, wodurch ein deutlicher Tragfähigkeitsgewinn erzielt werden konnte. Die Umsetzbarkeit und die Wirksamkeit eines solchen Verfahrens muss nachgewiesen und sichergestellt werden. Hierzu haben wir im Gebäude auf folgende Weise Probeflächen erstellen lassen : - Kugelstrahlen der Betonoberfläche bzw. Freilegen des Korngerüsts - Verlegen der Bewehrung direkt auf der Bestandsdecke

A Neuer VerbundQuerschnitt der Geschossdecken  mit aufbeton Eine tragende Aufbetondecke verstärkt die bestehende Konstruktion des Büround Geschäftshauses Berliner Allee.

A B C D B E C 1m

D E

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Schnitte A-A mit Stützbewehrung

B C D B E C Schnitte B-B im Feld D

1m

E

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Ø 10 - 9 B Aufbeton C20 / 25, h= 5 cm C Q188A direkt auf Bestandsdecke verlegen Tragstäbe aber in Richtung der Buchstabenachsen A

[ S. 144 ] Die Viktoria Versicherung AG ließ das 1954 errichtete Bürohaus revitalisieren. Zustand vor der Sanierung

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2 [ S. 144 ] Ansicht der neu gegliederten Fassade nach der Sanierung durch die Architekten Bartels und Graffenberger

D Ø

10 - 50, 4 Stück / m² Einbohren mit Hilti Hit HY-150 o.glw. Einbau nach Zulassung E Vorhandene Decke

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Gebäudeskelett im statikcheck

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- Einbohren und Einkleben der mechanischen Verdübelung mit Steckbügelkappen, die die gesamte Zulagebewehrung umschließen - Absaugen von Betonmehl, losem Zementstein und Zuschlag - flächiges Aufsprühen der Epoxidhaftbrücke - Aufbringen des Verbundbetons mit Fließmitteln mit Korndurchmesserbeschränkung - Verarbeitung frisch in frisch mit der Haftbrücke - Oberflächenbehandlung entsprechend Ebenheitstoleranzen - Nachbehandlung des Betons Zur Aufnahme der Frischbetonlasten und zur Verringerung der Durchbiegung aus dem Aufbeton mussten die Geschossdecken über drei Geschosse mit Hilfsstützen durchgesteift werden. Benno-Schilde-Stadtpark, Bad HersfeldV — Durch den Umzug der Babcock-BSH Maschinenfabrik ( vormals Firma Benno Schilde ), die am nördlichen Rand der Altstadt von Bad Hersfeld angesiedelt war, bot sich der Stadt Ende 2009 die einmalige Gelegenheit, die Liegenschaft zu übernehmen und auf dem ehemaligen Firmengelände einen Stadtpark zu planen. Die Fabrikationsgebäude und das Verwaltungshochhaus wurden zurückgebaut. Erhalten blieben dagegen die denkmalgeschützte Stockwerksfabrik sowie die westlich gelegene, ebenfalls denkmalgeschützte ehemalige Montagehalle.

Die Umwidmung des Geländes zum Stadtpark mit kulturellen und bildungsspezifischen Nutzungen in seinem Zentrum gewinnt durch die Renaturierung des Flüsschens Geis zusätzliche Attraktivität. Die Geis war seit Bestehen der Fabrik unter einem Stahlbetondeckel verschwunden. Umbau der ehemaligen Stockwerksfabrik zum Science-Center Deutsche Sprache und zur Bildungsstätte — Die Stockwerksfabrik wurde bis Ende 2009 als Magazin- und Lagergebäude genutzt. Sie besteht aus einem nicht unterkellerten nördlichen Flügel und einem unterkellerten südlichen Flügel. Durchgängig sind drei Vollgeschosse vorhanden. Die Gebäudeabschnitte wurden zeitversetzt errichtet und unterscheiden sich in Konstruktion und Material. Um 1904 entstand der Nordflügel. Das Gebäude wurde als Mischkonstruktion realisiert : Hinter der reich verzierten Backsteinfassade verbirgt sich ein Holzstockwerksbau. Alle Geschossdecken sind Holzbalkendecken, die auf zwei in Längsrichtung laufenden hölzernen Unterzügen aufliegen. Diese wiederum werden in regelmäßigen Abständen von Holzstützen getragen. Zwischen 1910 und 1913 wurde der Südflügel der Stockwerksfabrik als Massivbau mit ebenfalls reich ornamentierter Backsteinfassade errichtet, gegliedert durch Pfeiler mit Vorlagen. Die innere Tragkonstruktion stellte man aus dem seinerzeit modernsten Werkstoff

Erdgeschoss-Grundriss der Maschinenfabrik Benno Schilde nach dem Umbau

B A

C

A Lehrwerkstatt B Science

Center

C Gastronomie

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Gebäudeskelett im statikcheck

Eisenbeton her. Wie im Nordflügel bildete man auch hier zwei Längsunterzüge als Hauptunterzüge aus, sodass das Ergebnis ebenfalls eine dreischiffige Anlage ist. Orthogonal zu den Hauptunterzügen sind Nebenunterzüge vorhanden, die die Platte mit einem Spiegel von 10 bzw. 12 Zentimeter Stärke tragen. Die Hauptunterzüge sind über Vouten an die Eisenbetonstützen angeschlossen. Den südlichen Flügel hatte man bedingt durch die Nutzung für relativ hohe Verkehrslasten von 800–1000  kg / m² ( heute 8–10  kN / m² ) ausgelegt. Im Rahmen der Anamnese wurden vom Verfasser keine gravierenden Schäden festgestellt. Die Bewehrung besaß jedoch offensichtlich eine zu geringe Betondeckung, da sie stellenweise freilag. Um unserer Sorgfaltspflicht nachzukommen, veranlassten wir die Entnahme von Werkstoffproben und öffneten einige Teile der Konstruktion. Die Ergebnisse waren überraschend. Die Betongüten entsprachen mit einem B 225 den Erwartungen und können mit einem heutigen C 20 / 25 verglichen werden. Der Bewehrungsgehalt entsprach ungefähr dem, der nach heute gültigen Normen erforderlich wäre – bis auf die Schub- und die Bügelbewehrung. Der seinerzeit führende Eisenbeton-Forscher Emil Mörsch formulierte es wie folgt : „ Wie die später beschriebenen Versuche zeigen, haben Bügel nur eine untergeordnete Bedeutung hinsichtlich der Vermehrung der Schubfestigkeit des Stegs, so daß [sic] nur die praktischen Rücksichten auf die sichere Verbindung des Stegs mit der Platte und auf die Sicherstellun g der Haftfestigkeit für ihre Anwendung maßgeblich sind. “ VI

An diesen Grundsatz hatte man sich gehalten. Andere bauzeitliche Konstruktionsregeln sorgten dafür, dass bestimmte Bewehrungen nicht dort platziert worden waren, wo wir sie nach heutigen Maßstäben vermutet hätten. Die Vouten der Hauptunterzüge waren beispielsweise nicht bewehrt und sind damit im Prinzip für die Tragwirkung nicht ansetzbar. Da sie aber für den Durchlaufträger auf der Biegedruckseite ( im Bereich der Stützen unten ) liegen, kann man sie, auch wenn die Druckzone nicht mit Bügeln umschlossen ist, in gewissem Umfang mit berücksichtigen. Zudem wiesen sie keinerlei Risse auf.VII Durch zahlreiche Vergleichsberechnungen unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten und der Modifizierung von verschiedenen Tragwerksmodellen konnten wir den Nachweis der Tragsicherheit erbringen, jedoch fernab von heute gültigen Normen. In solchen Fällen ist es von entscheidender Bedeutung, dass die zuständigen Bauaufsichtsbehörden respektive der Prüfingenieur der Argumentation des Tragwerksplaners aufgeschlossen gegenüberstehen und bereit sind, sie mitzutragen. Umbau einer ehemaligen Montagehalle zur Veranstaltungshalle — Bei der 1912 errichteten Montagehalle des Werkes II der Maschinenfabrik Benno Schilde handelt es sich um einen typischen dreischiffigen Hallenbau vom Anfang des 20.  Jahrhunderts. Den massiven Außenwänden

Querschnitt durch die Montagehalle, Zustand nach dem Umbau  Die filigrane Konstruktion der Erbauungszeit konnte nach gezielten Verstärkungsmaßnahmen weitgehend erhalten werden.

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3 Im Obergeschoss der Stockwerksfabrik: Zustand nach Ende der industriellen Nutzung

4 [ S. 144 ] Die frühere Produktionshalle bildet den räumlichen MIttelpunkt des Ensembles.

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aus Backstein folgt nach innen eine Stahlskelettkons- wie möglich zu erhalten. Um diesem Ziel möglichst natruktion mit zwei Fachwerkstützenreihen, die sowohl hezukommen, hat unser Büro gemeinsam mit Kleinedie Lasten einer umlaufenden Galerieebene berg und Pohl, den auch für das Umbaukonzept in Bad und einer 13,5 Tonnen schweren Kranbahn Hersfeld verantwortlichen Architekten, ein spezielals auch die Dachlasten übernehmen. Die les Prinzip entwickelt, das wir als Zwei-Schicht-KonsDachkonstruktion besteht aus Dreiecks- truktion bezeichnen : Dieses Modell geht davon aus, fachwerkbindern im Mittelschiffbereich dass sich der Bestand entsprechend seiner bisheriund aus Walzprofilen über den Seitenschif- gen statischen Eigenschaften und Bestimmung an der fen. Hierdurch wird ein leicht geneigtes Sat- Lastabtragung beteiligt und dass für die neuen Zuteldach gebildet, das in jeder zweiten Achse satzlasten und die eventuell vorhandene Überlast eine einen verglasten, ebenfalls satteldachförmi- zweite Tragebene eingeführt wird. Diese ergänzende gen Dachreiter aufnimmt. Struktur wird als solche auch sichtbar gemacht, etwa Die ehemalige Montagehalle soll zu einer Ver- durch die Verwendung von Querschnitten, Materialianstaltungshalle mit fester Tribüne und allen en oder Profilen, die es zur Bauzeit noch nicht gab oder erforderlichen zeitgemäßen Besucherservice- auch durch ihre Farbgebung. einrichtungen umgenutzt und umgebaut wer- In diesem Fall hat der Tragwerksplaner die Lasten aus den. Der Zwischentrakt nimmt unter anderem den neuen Dachreitern auf Stahlprofile abgesetzt, die die Künstlergarderoben auf. über Traversen die Lasten auf die vorhandenen KranDer denkmalpflegerische Ansatz im Umgang bahnstützen weiterleiten. Dadurch werden die filigramit der ehemaligen Montagehalle zielte auf nen Dreiecksfachwerkbinder entlastet, sodass sie in eine behutsame, die Gebrauchsspuren an den Oberflä- ihrem ursprünglichen Zustand weiterhin ihrer Bestimchen der Wände und Stahlstützen erhaltende Herrich- mung nachkommen können. tung, die den rohen Charakter der Werkhalle als Kulisse Resümee der neuen Nutzungen bewahrt. – Im Zuge der Anamnese stellten wir fest, dass für die gesamte Halle kein funktionierendes Aussteifungssys- Die erfolgreiche und wirtschaftliche Umsetzung von tem existiert. In Abstimmung mit den Architekten ord- Revitalisierungen, Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen ist meiner Einschätzung neten wir die Nachrüstung mit sich I Verlag Konrad Wittwer, Stuttgart 1906. nach an einige wesentliche Vorauskreuzenden Diagonalverbänden im II Gleiches gilt für die Feldbewehrungen von Dach und in der Galerieebene an. Platten und Balken, die nach heutigen Vorschrif- setzungen geknüpft : zu mindestens einem Drittel bis über die Auf- Sorgfältige Anamnese und DiaSie leiten die Wind- und Stabilisie- ten lagervorderkante geführt werden müssen. Um gnose verbunden mit einer Stärrungseinwirkungen über vertikale 1902 wurde auch bei Einfeldplatten die untere Bewehrungslage häufig noch bei ca. 0,2 x l vor den ken- / Schwächenanalyse vor Wandscheiben in Achse 2 und Ver- Auflagern aufgebogen und als obere Bewehrung Planungsbeginn tikalverbände in Achse 9 sicher in über die Auflager geführt, hiermit wurde eine Einspannung erzeugt. Das Feldmoment wurde - ein integral planendes den Baugrund ab. so rechnerisch von ql² / 8 auf ein Drittel, nämlich Planungsteam Weitere gravierende Mängel und ql² / 24, verringert. Als Stützmoment ergab sich folglich ql² / 12. einen kreativen Umgang mit dem Schäden zeigten sich an den Dach- IIIdann So konnten wir z.B. beim Projekt Lokhalle Bestand, insbesondere bezogen reitern und an der hölzernen Kon- Göttingen an Bimsbetondachplatten aus dem 1920 trotz sehr geringer Druckfestigkeit auf das Tragwerk. Konstrukstruktion der Dachhaut, weshalb Jahr des Materials eine Standsicherheit von ca. Faktiongeschichte und einschläbeide Konstruktionsbereiche erneu- tor 2 gegenüber der Bruchlast ermitteln – für den Lastfall Eigenlast + neue Dämmung + Dichgige Erfahrungen im Bereich ert werden mussten. Bedingt durch tung und einer Mannlast in Feldmitte bzw. unter die neue Nutzung erhöhen sich auch voller Einwirkung der Schneelast. der historischen und aktuellen IV Bauherr : Victoria Versicherung AG, vertreWerkstoffe gehören hier zu den die Anforderungen an die Dachkon- ten durch die MEAG, München / Architekten : essenziellen Voraussetzungen. struktion. Für die zu erwartenden Bartels und Graffenberger, Düsseldorf. V Bauherr : Wirtschaftsbetriebe Bad Hersfeld - kritisches Betrachten Zusatzlasten durch eine neue Däm- GmbH, Bad Hersfeld / Architekt : Kleineberg von Normen, Regeln und mung, die Isolierverglasung und und Pohl, Braunschweig. Landschaftsplaner : + Küneke, Göttingen. Bauvorschriften die neue, schwerere Konstruktion Wette VI Aus : Der Eisenbeton – seine Theorie und der Dachreiter boten die filigranen Anwendung, Verlag Konrad Wittwer, Stuttgart, - die Bereitschaft, eigenverantS. 9. wortlich innovative Lösungen zu Fachwerkbinder nicht die ausrei- 1906, VII Hinzu kam, dass die Durchlaufwirkung der suchen und auch zu vertreten chende Tragfähigkeit. Doch lautete Hauptunterzüge nur bedingt gegeben war, weil die Stützbewehrung sehr kurz ist und im Weunser Ziel, von der historischen Sub eine entscheidungsfreudige sentlichen aus weitergeführten Schubaufbiestanz und ihrem Charakter so viel Bauherrschaft. gungen besteht. 5, 6 [ S. 144 ] Künftig

soll die frühere Produktionshalle als Auditorium genutzt werden : Modell der umgebauten Fabrik

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Umnutzung

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Sporthalle im hangar

Berlin ( de ) Alt Industriebau — S. 18, 132, 136, 152, 161 neu Sporthalle



Numrich Albrecht Klumpp Architekten

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Sporthalle im hangar

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Blick von der Tribüne in die Halle Weit gespannt : Ein Blickfang ist die kassettenförmige Stahlbetonkonstruktion des Hallendachs und das Stahlbetonfachwerk. 3 Zugang zu den Umkleideräumen 4 Foyer und Hausmeisterloge 1

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Umnutzung

Luftfahrtgeschichte trifft auf Breitensport

Und der Besucher blickt zu seiAn einem Mittwochmorgen im nem Erstaunen nicht nur in eiSüden von Berlin : Zehn rüstine weite Halle, er steht auch ge Senioren stehen in der Miterneut in einem taghellen Foyte einer Sporthalle im Halbkreis er – an den Aufgang zu Galerie um ihre Trainerin und balancieund Gymnastikräumen schließt ren rote Luftballons mit leichten eine einladende Dachterrasse Handstößen in der Luft. Die lang an. Wie auch die 199 Plätze der gestreckte Halle ist um einiges Sporthalle in einem alten Zuschauertribüne war die Terälter als die Senioren auf dem Flugzeughangar, Berlin-Adlershof rasse vom Bauherren nicht geSpielfeld. Vor 80 Jahren, in den Numrich Albrecht Klumpp Architekten, Berlin fordert, doch ließ man sich von Pioniertagen der zivilen Luftden Architekten überzeugen, fahrt, parkten unter der weit dass solche Abweichungen vom gespannten Betonhülle FlugRaumprogramm Komfort und zeuge – was den auch für eine Sporthalle außergewöhnlich weitläufigen Innenraum erklärt. Der Nutzungsspektrum der Halle vergrößern würden. Trotzdem blieb Hangar ist ein Relikt des schon 1952 aufgegebenen Flugplatzes das Budget im gesetzten Rahmen von 3,9 Millionen Euro. Johannisthal. Heute ist die Halle mit der rötlichen Ziegelfassade umgeben von Ins- Grundriss Erdgeschoss Projektdaten Bauherr Bezirksamt Treptowtituten der Humboldt-Universität, die diese Köpenick, Berlin gemeinsam mit dem Bezirk nutzt. Baukosten 3,9 Mio. Euro ( KG 200–700 ) Die Architekten Numrich Albrecht Klumpp Nutzfläche 2.920 m² bauten den Hangar zu einer 4-Feld-SportBRI 32.300 m³ Besonderheit Erhalt der historischen halle um. Obwohl für einen ganz anderen Tragwerke Zweck gebaut, bietet das Gebäude Platz für Fertigstellung 4 / 2008 zwei große Sportfelder bzw. vier quer angeProjektleitung / Mitarbeit Arthur ordnete Kleinfelder für Trainingszwecke. Numrich, Jessica Voss Standort Merlitzstraße 16, Die Umnutzung des alten Hangars erweist D–12414 Berlin sich als denkmalpflegerischer GlücksErbauungsjahr 1929 fall : Nach zahlreichen Zwischennutzungen dachte man im Bezirk darüber nach, das 1000 2010 10 m denkmalwürdige Gebäude abzureißen. Da Umbau 2008 für den Stadtteil aber ohnehin eine Sport- Grundriss Obergeschoss 2000 2010 halle geplant war, konnten die Architekten das Bauamt überzeugen, dass sich der HanBaukosten M2-Preis 3,9 Mio. € 1.336 € / m2 gar gut in eine solche verwandeln lässt. 15.000 Nicht nur die Dimensionen des Innenraums beeindrucken, sondern auch die Schönheit 10.000 der Konstruktion : die sanft gewölbten Kas5.000 setten der Spannbetondecke ebenso wie 0 der mächtige, von Strebwerk ausgesteifte Längsträger an der Tribünenseite, den man beim Umbau freilegte. Unter diesem Träger befanden sich früher auf gesamter Länge die Rolltore. Imponierend ist die fast spielerische Souveränität, mit der die Ar10 m chitekten Alt und Neu zusammenführen – nur wo es sinnvoll und notwendig war, griffen die Architekten in die Substanz ein : Sie ent- Längsschnitt durch die Halle fernten die Reste der Tore, legten das Stahlbetonfachwerk darüber frei und fügten in die entstandene Öffnung einen Neubautrakt für Umkleiden, Toiletten, Gymnastikräume und Foyer ein. Die Hauptfassade ist im Erdgeschoss durchgängig verglast, die erste Etage prägt ein durchgehendes Fensterband. Der angefügte Neubau öffnet sich im Obergeschoss mit einer Zuschauergalerie und einem offenen Erschließungsgang zur Halle. Haupteingang und Foyer sind mittig in der Hauptfassade des Neu10 m baus angeordnet, von hier führt eine Treppe in die obere Etage. 10 m

Bis zum Umbau nutzte ein Teppichhandel die Halle.

Der Neubau verbindet sich so selbstverständlich mit dem industriellen Charakter der weiten Halle, als sei es nie anders gewesen. Er überzeugt mit einer sorgfältigen, reduzierten Detaillierung : Die Heizkörper sind in kleine Wandnischen eingelassen, sodass ihre Außenkante bündig in der Wandebene liegt. Die Tribünensitze sind polierte Betonsockel, deren Oberkante mit dunkel lasiertem Holz abschließt. Kein Lob der Kargheit, sondern sinnfällige Reduktion. Während in der Halle mit ihrer weißen Decke und dem in warmem Grau gehaltenen Sockelbereich der Prallwände nüchterne Farben dominieren, setzte man im Neubau auf kräftige Farbakzente : Die Loge für den Hallenwart leuchtet tiefrot, an anderer Stelle finden sich grüne und violette Wandfelder. Die Hülle des Ergänzungsbaus ist in einem warmen Anthrazit gehalten. FPJ

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6, 7 Der seitlich angefügte Erschließungstrakt : Im Erdgeschoss befinden sich Umkleiden und Waschräume, im Obergeschoss Gymnastikräume. 8 Straßenansicht der Halle 9 Der Eingang, oben rechts die Besucherterrasse

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Umnutzung

¨ ude LehrgebA fH wildau 

Wildau ( de ) Alt Industriebau — S. 18, 132, 136, 148, 161 neu Lehrgebäude — S. 58, 95, 98, 108

Anderhalten Architekten

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Lehrgebäude fh wildau

Die Lernmaschine

bilden in ihrer Präzision einen auDie Halle 14 gehörte als typische genfälligen Kontrast zur Rauigkeit gründerzeitliche Produktionsdes umgebenden Mauerwerks. halle zum Betriebsgelände der Sowohl die historische wie auch früheren Schwartzkopffwerke in die neue innere Fassade bilWildau, südlich von Berlin. Neben den die thermische Hülle. Zwieiner Reihe von InstitutsneubauHörsaal- und Laborgebäude Halle 14, Wildau schen beiden Hüllen entsteht ten wurden für den Campus der Anderhalten Architekten, Berlin ein thermischer Puffer, der aus im Oktober 1991 neu gegründeder Abwärme der inneren Nutzten Fachhochschule Wildau auch einheiten gespeist wird. Die hiszwei alte Montagehallen für die torische Hülle wurde im Bereich Hochschulnutzung hergerichtet : des Dachs – Dachhaut und VerDie frühere Halle 10 nimmt Menglasung – gedämmt. Fehlende sa und Bibliothek auf, Halle  14 Fenster in der Fassade ergänzHörsaal und Laborräume. In dem lichtdurchfluteten Hallenraum mit einer Grundfläche ten die Architekten durch isolierverglaste Fenster in Stahlrahmen, von mehr als 4.000 m² wurden bis in die 1980er-Jahre Wälz- die erhaltenen Stahlfensterrahmen wurden einfachverglast. lager für Lokomotiven produziert. Unabhängig von der historischen Konstruktion Längsschnitt durch die Haupt- und die Nebenhalle Projektdaten Bauherr Land Brandenburg, vertreten stellten die Architekten den großen Hördurch das Ministerium der Finanzen, saal, Seminarräume und gerätetechnische Potsdam Labore in die leere Halle ein. Damit auch Baukosten 16 Mio. Euro nach Etablierung der neuen Nutzung der Nutzfläche 4.000 m² BGF 4.250 m² Raumeindruck der Werkhalle dominiert, Besonderheit Gebäude mit doppelter wurden die Hüllflächen der Einbauten vorHülle – die in die Industriehalle einwiegend transparent angelegt. So entsteht gefügten Büros, Labore und Hörsäle ein spannungsvoller Kontrast zwischen den bilden ein Haus im Haus. Fertigstellung 2007 hochinstallierten Forschungslaboren und Projektleitung Jürgen Ochernal der neogotischen Mauerwerkshülle. Standort Bahnhofstraße 1, Die historische Substanz wurde behutsam D–15745 Wildau ( Brandenburg ) saniert. Nicht die bedingungslose RestauErbauungsjahr 1902 rierung stand im Vordergrund, sondern der 10 m 1000 2010 Ansatz, Zeugnisse der unterschiedlichen Nutzungsphasen und Überformungen sicht- Grundriss 2. obergeschoss Umbau 2007 bar zu belassen. So wurden beispielsweise 2000 2010 bauliche Veränderungen der FassadenBaukosten M2-Preis öffnungen nicht korrigiert, sondern zeich16 Mio. € 4.000 € / m2 B B A nen sich auch nach dem Umbau neben neu 15.000 eingefügten Öffnungen als Eingriffe in die 10.000 gründerzeitliche Fassadenstruktur ab. Die Ziegeloberflächen wurden außen wie innen 5.000 gereinigt – ihre alterungsbedingte Patina 0 blieb aber erhalten. Deutliches Zeichen der 10 m Nutzungsänderung ist das campusseitig vor A Hörsaal Luftraum den Hauptgiebel gesetzte Eingangsbauwerk. Als raumhoch ver- B Büros ( Professoren / Assistenten ) glaster Betonkubus markiert es den Haupteingang und gibt den Blick auf den dahinterliegenden Hörsaal frei. Aufgrund der höheren Temperaturen im Inneren des eingefügten Entsprechend der unterschiedlichen Firsthöhen beider Hallenteile Hallenvolumens besteht keine Gefahr des Tauwasserausfalls an führten die Architekten die Einbauten zwei- bzw. dreigeschossig aus. den zum Zwischenraum hin auskragenden Bauteilen. Die BodenDen Auftakt der inneren Struktur bildet – als größter Raum innerhalb und Deckenplatten der Galerien konnten dementsprechend ohne der umgenutzten Halle – der über drei Geschosse reichende Hörsaal thermische Trennung ausgeführt werden. mit seinen dreihundert Sitzplätzen. Die tragende Konstruktion der Der Umbau der Halle 14 steht beispielhaft für die Konversion eiEinbauten wurde in Stahlbeton ausgeführt, Wand- und Deckenplat- ner historischen Großhalle in eine kleinteilige Struktur, die eine ten blieben betonsichtig. Die neuen, inneren Fassaden, bestehend Vielzahl unterschiedlicher Nutzungen innerhalb der alten Hülle aus vorgefertigten, flächenbündigen Stahl- und Glaselementen un- vereint. Das Denkmal und seine neue technische und didaktische terstreichen die ursprünglich industrielle Nutzung des Standorts und Nutzung ergänzen sich dabei ideal. FPJ

Lokomotivenproduktion in Wildau, historische Aufnahme des Werks

Die leere Halle unmittelbar vor dem Umbau

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1 [ S. 152 ] Der Haupteingang an der Giebelseite des Gebäudes 2 Aufgang zur 1. Etage 3 Eine zweite, innere Fassade umschließt als thermische Hülle die Büros und Arbeitsräume. 4, 6 Transparente Lehre : Der große Hörsaal vis-à-vis vom Haupteingang 5 Labore und Büros im 1. Obergeschoss

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Umnutzung

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kulturzentrum ´ ole 14  alvE LIN Finn Geipel + Giulia Andi Saint-Nazaire ( F ) Alt Bunker NEU Gastronomie — S. 28, 92, 136, 168 Kultur

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kulturzentrum alvéole 14

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1, 3 Blick über das Dach des früheren U-Boot-Bunkers auf die erleuchtete Kuppel : Hier befindet sich die Dachterrasse des Alvéole 14. 2 Ursprünglich beschirmte die Kuppel aus dreieckigen Kunststoffelementen einen Radarturm der Nato am Berliner Flughafen Tempelhof ( hinten rechts ). 4 Saint-Nazaire vom Hafen aus gesehen : In der Mitte der U-BootBunker mit seiner Kuppel

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Umnutzung

Auf 90 Stufen durch die Dicke der Decke

Den Hauptsaal mit 1.400 Qua1939 hatte Großbritannien dratmeter Veranstaltungsfläche Deutschland den Krieg erklärt. integrierte man in den größeren, Der britische Premier Winston fast 11 Meter hohen Raum über Churchill war zwar furchtlos dem eigentlichen U-Boot-Be– was ihn aber um den Schlaf cken. Das Becken verschwand brachte, waren die deutschen U– im ursprünglichen Zustand Boote. Sie griffen mit Torpedos belassen – unter einer neu eindie Schlachtschiffe der Royal Umbau eines U-Boot-Bunkers gezogenen Betondecke. Dem Navy, vor allem aber zivile Frachzu einem Kultur- und Musikzentrum, Prinzip des nutzungsneutrater, an und versenkten in kurzer Saint-Nazaire len Raums verpflichtet, befindet Zeit Hunderte von Schiffen. LIN, Finn Geipel + Giulia Andi sich die Veranstaltungstechnik Ihre Operationsbasis waren Haauf längsseitig angeordneten fenstädte im besetzten FrankTechnikbühnen sowie auf zwei reich, insbesondere Brest, Lorient und Saint-Nazaire. Mit wachsender britischer Gegenwehr wurde 8 Metern hohen und 19 Meter weit gespannten Rollbrücken, die auch der Schutz der dortigen U-Boot-Basen immer weiter verstärkt. über die volle Länge des Saals bewegt werden können. Ein 16 MeDer 1941 bis 1943 durch Zwangsarbeiter ter breites Falttor erlaubt es, den Saal zur Hafenseite hin zu öffnen. errichtete U-Boot-Bunker in Saint-Naza- Von der Landseite betritt man die Halle von der „ Straße “ aus. Der Projektdaten Bauherr Stadt Saint-Nazaire ire hat ein 4 bis 9 Meter dickes Stahlbe- Erschließungsgang wurde als halböffentliche Passage durch den Baukosten 5,9 Mio. Euro ( Alvéole 14 ), tondach. Er gehört mit 295 Metern Länge Bunker zugänglich gemacht. Außerdem gelangt man von hier über 1,2 Mio. Freianlagen Nutzfläche ( Nettonutzfläche ) : 3.300 m² und 14  U-Boot-Kammern zu den größ- die 90 Stufen eines stählernen Treppenhauses auf das Bunkerdach. ten U-Boot-Bunkern in Europa. Während Dort steht Nutzern und Besuchern des Alvéole 14 eine 320 Quad( Innenraum ), 2.270 m² ( Freianlagen ) BGF 5.250 m² ( Innenräume ) Saint-Nazaire zu 85 Prozent zerstört wur- ratmeter große Terrasse zur Verfügung. Die Hauptplattform ist vom Besonderheit Die Öffnung in der de, überstand der Bunker den Krieg weit- sogenannten Radom überdacht, einer halbkugelförmigen Kunstmehrere Meter dicken Betondecke gehend unbeschadet – und stand seitdem stoffkuppel, die bis 2004 als Wetterschutz einer Radaranlage der wurde mithilfe der Diamantsägetechals monströse und unzerstörbare Barriere Nato am Berliner Flughafen Tempelhof diente. Die Konstruktion benik hergestellt. Fertigstellung 5 / 2007 zwischen der Stadt und ihrem Hafen. Abge- steht aus 298 dreieckigen Modulen, mit durchsichtigem Kunststoff Projektleitung Hans-Michael sehen von Teilflächen, die als Lagerräume bespannten Aluminiumrahmen. Földeak und ähnliches genutzt wurden, schien der Erst ein neuartiges Betonsägeverfahren mithilfe von Diamantkabeln Standort Submarine Base – Bay 14, Bunker für hochwertige, seinem zentralen erlaubte es, Stahlbeton in der hier bestehenden Dicke zu sägen. Um Boulevard de la Légion d’Honneur, F–44600 Saint-Nazaire Standort angemessene Zwecke unbrauch- den Zugang zum Dach herzustellen, ließen die Architekten insgebar und stand leer. Auf der Suche nach einer samt 470 Kubikmeter Beton aussägen und ausstemmen, was einem Erbauungsjahr 1941 sinnvollen Nutzung für das Gebäude lobte Gewicht von rund 1.000 Tonnen entspricht. 1000 2010 die Stadt Saint-Nazaire 2003 einen Archi- Mögen sie auf den ersten Blick wie ein Nebenprodukt der UmnutUmbau 2007 tekturwettbewerb aus. Den ersten Preis er- zungsidee erscheinen, sind die Dachplattform und ihre 9 Meter hohe, hielten Finn Geipel und Giulia Andi für ihre bei Nacht illuminierbare Kuppel in Wirklichkeit ein unverzichtbarer 2000 2010 Idee, eine der Kammern in ein Musik- und Bestandteil des gesamten Konzepts : Ohne die auffällige Kuppel, die Baukosten M2-Preis Kulturzentrum mit Veranstaltungssälen bei Dunkelheit als helle, etwas fremdartige Laterne über dem Ha5,9 Mio. € 1.788 € / m2 umzubauen. Sie tauften das Zentrum Alvé- fenviertel leuchtet und den Weg zum Alvéole 14 weist, wären die Ver15.000 ole 14, weil es in die 14. Kammer am südli- änderungen im Inneren von außen nicht wahrnehmbar. Damit sich 10.000 die neu etablierte Nutzung auch visuell gegenüber der Massivität chen Ende des Bunkers integriert wurde. 5.000 Diese besteht wie die anderen Kammern aus und Hermetik des Baukörpers behauptet, bedarf es dieses starken, zwei Teilen : Ein 22 Meter langer Teilbereich weithin sichtbaren Zeichens, und es war unverzichtbar, die Beton0 an der Landseite, ehemals als Lager und hülle auch physisch „ aufzubrechen “. Der Aufgang zum Dach und die Werkstatt genutzt, und die 92 Meter lange U-Boot-Kammer selbst, Dachterrasse mit ihrem Blick über den Hafen erscheinen somit als mit ihrem zum Hafen offenen Wasserbecken. Zwischen den beiden folgerichtige Ergänzung der Veranstaltungsorte im Inneren. FPJ Teilen verläuft eine 5 Meter breite „ Straße “, ein mit Schienen ausgestatteter Versorgungsgang, der alle Zellen miteinander verbindet. Querschnitt durch die 13. und 14. Kammer des Bunkers Der neue Veranstaltungsort nimmt mit 5.570 Quadratmeter rund neun Prozent der inneren Bunkerfläche ein und gliedert sich in zwei Nutzungsbereiche : Den großen, universell nutzbaren Veranstaltungssaal in der eigentlichen U-Boot-Kammer, sowie – im früheren Werkstattbereich der 13. und 14. Kammer – das „ VIP “, eine Musikbühne nebst angeschlossenen Tonstudios, einer Bar, der Verwaltung und Technikräumen. Die Bar befindet sich auf einer Galerie über dem Saal und bietet beste Sicht auf die Bühne. Längsschnitt durch die 14. Kammer des Bunkers : links Werkstatt und „ Straße “, rechts die U-Boot-Kammer

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5 Der große Saal in der U-BootKammer während einer Veranstaltung 6 Die „ Straße “ mit Aufgang zu den Verwaltungs- und Technikräumen des VIP 7 Hunderte filigrane Punktstrahler erleuchten den Erschließungsgang des Bunkers.

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8 Montage der technischen Ausstattung in der U-Boot-Halle ; Scheinwerfer und Beschallung können auf Rollbrücken über die volle Länge des Saals bewegt werden. 9 Die Bühne des „ VIP “, dem Veranstaltungsort in der ehemaligen Werkstatt: Blick von der Galerie 10 Die Bar auf der Galerie des VIP

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Alt & Neu

Alt & Neu

ziegeleimuseum  Zehdenick

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Zehdenick-mildenberg ( DE ) Alt Industriebau — S. 18, 132, 136, 148, 152 neu Museum — S. 32, 38, 42, 68, 178

Duncan McCauley

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Alt & Neu

Umnutzung

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4 1 [ S. 161 ] Ein seitlich angefügtes Eingangsbauwerk erschließt das Obergeschoss des denkmalgeschützten Ringofens. 2 Veranstaltungssaal im Obergeschoss des Ringofens. Die alten Kohlenloren dienen heute als mobile Buffets oder Garderoben. 3, 4 Ausstellungsbereich zur maschinellen Ziegelproduktion 5 Die Ausstellung „ Bausteine für Berlin “ im Ringofen II erzählt die Geschichte der Ziegelproduktion in Zehdenick. 6 Im Sockel des Ringofens II wird der Besucher mit den Phasen des Brennvorgangs vertraut gemacht.

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Alt & Neu

Ziegeleimuseum Zehdenick

Raum als Medium und Zeugnis

Produktionsstätte wird auf dieEin typisches Berliner Mietshaus se Weise zum Medium, in dem um 1900 hatte ein Vorderhaus, Raum, Information und Erleben zwei Seitenflügel, ein Hinterhaus, des Besuchers verschmelzen. 40 Wohnungen – und bestand Das 5,6  Millionen Euro teuaus 1,4 Millionen Ziegelsteinen. re Projekt umfasst neben der Wer wissen will, wo die Milliarden Ausstellung die Neugestaltung von Ziegeln herkamen, die den des Besucherzentrums, die Ingründerzeitlichen Bauboom der Umnutzung einer alten ziegelei standsetzung der zwei denkReichshauptstadt ermöglichten, zum museum malgeschützten Ringöfen sowie erhält die Antwort in Zehdenick, Duncan McCauley, Berlin die Einrichtung eines Veranstal50 Kilometer nördlich von Bertungszentrums, das für Anläslin. Im Jahr 1910 wurden hier in se aller Art angemietet werden 57 Ringöfen 625 Millionen Maukann. Den 350 Quadratmeter erziegel gebrannt. 1991 endete die Produktion. In den zwei verbliebenen Öfen und dem Fabrikations- großen Saal integrierten die Architekten als ein „ Haus im Haus “ in gebäude aus der DDR-Zeit richteten die Berliner Architekten Tom das Obergeschoss des zweiten Ringofens. Von hier beheizten die Duncan und Noel McCauley ein Ziegeleimuseum ein. Erläutert wird auf rund 5.000 Quadratmetern die Entwicklung von der manuellen Querschnitt durch den Ringofen II Ziegelherstellung über den 1858 erfundenen Hoffmannschen Ringofen bis zur mechaniProjektdaten Bauherr Landkreis Oberhavel, sierten Produktion in der Nachkriegszeit. Oranienburg Der Ringofen erlaubte es erstmals, bei relativ Baukosten 5,6 Mio. Euro kurzer Brenndauer Ziegel in großen Mengen Nutzfläche ca. 5.000 m² und einheitlicher Qualität herzustellen : Die BRI ca. 44.550 m³ Besonderheit Die ehemaligen BrennRohziegel wurden – in mühevoller Handarkammern der Ringöfen werden zum beit – in der Brennkammer zu dichten Stapeln Ausstellungsraum umgenutzt. geschichtet. Anschließend beschickten die Fertigstellung 4 / 2009 Arbeiter die Kammer über mehrere Tage hinProjektleitung Tom Duncan, Noel McCauley weg durch Öffnungen in der Decke mit Kohle Mitarbeit Anuschka Müller, und Koks, sodass sich die Ziegel erwärmten, Katharina Bonhag, Lojang Soenario, dann bei Maximaltemperatur brannten, und Sandra Tebbe, Eva Maria Heinrich, schließlich langsam abkühlten. Arno Kraehahn Standort Ziegelei 10, In einem der Ringöfen richteten die Archi10 m D–16792 Zehdenick-Mildenberg tekten die Ausstellung „ Bausteine für BerErbauungsjahr 1890 lin “ ein. Sie schildert die Geschichte der Grundriss 1. Obergeschoss Ziegelproduktion in Zehdenick, dem einsti- nach dem Umbau zum Veranstaltungssaal 1000 2010 gen Ziegellieferanten des nahen Berlin. Die Umbau 2009 kubistisch anmutenden, auberginefarbe2000 2010 nen Ausstellungsmöbel stehen in akzentuI ierendem Kontrast zum gelben Mauerwerk Baukosten M2-Preis H 5,6 Mio. € 1.120 € / m2 der Brennkammer. A F D E 15.000 Im benachbarten Ringofen vertrauen Duncan und McCauley ganz auf die Wirkung des 10.000 Raums, angereichert nur mit einer subtilen C G 5.000 Collage aus Licht und Geräuschen : Wo sich B 0 früher die Rohziegel bis zur Decke stapelten, kann der Besucher das 80 Meter lange 10 m und 3 Meter hohe Oval des Ringofens durchwandern. Ein gläserner, A elektronisch präparierter Ziegel, den er am Eingang erhält, veranschaulicht den Brennprozess : Auf dem Weg des Besuchers durch A Eingang D Schornstein G Buffetloren E Bühne H Garderobenloren den Brennkanal verändert er seine Farbe, so wie es ein Ziegel im B Anhang F Bestand I Barloren jeweiligen Brennstadium tun würde. Auf bis zu 980 Grad, rot glü- C Haus im Haus hend, wurden die Ziegel im Brennofen einst erhitzt. Die ehemalige Ziegelarbeiter früher den darunter liegenden Ofen. Die Schienen der zum Kohlentransport genutzten Loren beließen sie im Fußboden des Saals. Neun restaurierte Loren funktionierten Duncan und McCauley zu einem Buffet bzw. zu Garderoben um. Im Winter wird in erster Linie der innere Saal rund um den Schornstein genutzt, im Sommer kann die Nutzfläche durch breite Falttüren erweitert werden. Die äußere Erscheinung des Ofens mit seinem kegelförmigen Ziegelsockel, den hölzernen Aufbauten und dem mächtigen Schornstein blieb unverändert. Nur der seitliche Anbau, in dem sich Treppenaufgang und Windfang befinden, weist auf den neu entstandenen Veranstaltungssaal im Obergeschoss hin. Tom Duncan und Noel McCauley entwarfen angefangen vom Gebäude bis zum Ausstellungsdesign, der Bebilderung und den gezeigten Filmen jede Einzelheit des Museums selbst. Das Konzept der Architekten führt innerhalb des Denkmals Relikte der Produktion, Bilddokumente, Erläuterungen, Produktionsgeräusche und filmische Mittel zu einem musealen Gesamterlebnis zusammen. FPJ Obergeschoss des Ringofens vor dem Umbau

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Alt & Neu

Umnutzung

Selexyz  dominicanen Buchhandlung Maastricht ( NL ) Alt Kirche neu Einzelhandel — S. 50

Merkx + Girod Architecten

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Alt & Neu

selexyz dominicanen Buchhandlung

Literatur statt Liturgie

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Als Merkx + Girod den Auftrag Die gotische Dominikanerkirfür den Umbau erhielten, hatten che steht an einem winzigen, sie für denselben Auftraggeber, abgeschiedenen Platz in der die Buchhandelskette BGN, beAltstadt von Maastricht. 1294 reits je einen Laden in Almere fertiggestellt, diente der Bau und in Den Haag eingerichtet. ursprünglich als Klosterkirche Ausgangspunkt des Entwurfs des Dominikanerordens, bis für die Dominikanerkirche war 1796 die napoleonischen TrupBuchhandlung in einer gotischen der Wunsch der Architekten, pen einfielen und das Kloster im Kirche in Maastricht den Kirchenraum nicht zu verZuge der Säkularisierung aufMerkx + Girod Architecten, Amsterdam bauen oder zu verstellen und lösten. In den folgenden JahrAnneke Bokern seine sakrale Atmosphäre zu hunderten diente die turm- und erhalten. Fragte sich nur, wie querschifflose Kirche einer Vielman eine Buchhandlung mit eizahl unterschiedlicher, allesamt wenig würdevoller Zwecke : Zunächst nutzte man sie als Pferde- nem Angebot von 30.000 Titeln einrichtet, ohne den Raum zu stall der Kavallerie, dann als Lager der städtischen Feuerwehr, verstellen. Insgesamt waren 550 Quadratmeter Grundfläche in später war sie Veranstaltungsort für Boxkämpfe, Kakteenshows der Kirche verfügbar, aber fast 1.000 Quadratmeter wurden beund Karnevalspartys ; zuletzt musste sie sogar als Fahrradpark- nötigt. Deshalb schlug der Auftraggeber zunächst vor, zusätzlihaus herhalten. Die vielen Touristen in Maastricht ließen sie ohne- che Stockwerke in Form von Brücken in die Kirche einzuziehen. hin links liegen, denn in der Stadt gab es genug besser erhaltene Allerdings hatte das Denkmalamt untersagt, die Kirchenwände zu beschädigen. Sämtliche Einbauten mussten reversibel sein. Kirchen an prominenteren Orten zu sehen. Die Lösung fand sich in Gestalt eines überdimensionalen, begehbaren Bücherregals. Projektdaten Erdgeschoss-Grundriss der umgewidmeten DominikanerKirche Merkx + Girod platzierten es dezentral Bauherr BGN Boekhandelsgroep Houten in der rechten Kirchenhälfte, sodass ein Nederland, Baukosten 1,6 Mio. Euro Wandgemälde aus dem Jahr 1337, das Nutzfläche 1.200 m² sich an der linken Seitenwand der Kirche Besonderheit Revitalisierung – und befindet, sichtbar bleibt. Insgesamt ist die urbane Neuaneignung – eines eigentschon aufgegebenen Sakralgestählerne Konstruktion 30 Meter lang und lich bäudes durch eine kommerzielle, aber 18 Meter hoch und verfügt über zwei Ge- dennoch würdige Nachnutzung schosse mit je drei Reihen von Regalen in je Fertigstellung 1 / 2007 unterschiedlichen Formaten. Sie steht frei Projektleitung / Mitarbeit Evelyne Patrice Girod, Bert de Munnik, um die Pfeiler, die Mittel- und Seitenschiff Merkx, Abbie Steinhauser, Pim Houben, Josje voneinander trennen, und beherbergt ne- Kuiper, Ramon Wijsman, Ruben Bus ben den Bücherregalen auch zwei Arbeits- Standort Dominikanerkerkstraat 1, plätze. Kunden gelangen über eine Treppe NL– 6211 CZ Maastricht nach oben, die mal zwischen bunten Buch- Erbauungsjahr 1294 rücken, mal zwischen dem weißen Schnitt 1000 2010 der Bücher hindurchführt. Oben angelangt, Umbau 2008 bietet sich ein Blick in die Kirche, der ihre Ausmaße erst richtig spürbar macht und 2000 2010 den Besucher gleichzeitig Säulenkapitel- Baukosten M2-Preis len und Gewölbeausmalung so nahe bringt 1,6 Mio. € 1.333 € / m2 wie sonst nie. 15.000 Die übrigen Eingriffe in der Kirche nehmen 10.000 sich im Verhältnis zum wuchtigen Regal 5.000 bescheiden aus. Für die Präsentation von Bestsellern und Sonderangeboten haben 0 Merkx + Girod die Kirche mit dem DisplaySystem möbliert, das bereits in Den Haag und Almere Verwendung fand. Allerdings haben sie die Wandregale und Präsentationstische in Maastricht bewusst niedrig gehalten, sodass sie den Raumeindruck kaum beeinträchtigen. Mit seiner halbrunden Form und den eher wohnlichen Dimensionen bot sich der Chor als Ort für das Café an. Dessen Mittelpunkt bildet ein kruzifixförmiger Lesetisch. Toiletten und Installationen befinden sich im Keller unter dem Chor. Alle weiteren technischen Einbauten, eine Fußbodenheizung und die wenigen Grabplatten, die die Jahrhunderte überdauert haben, wurden in den neuen Betonboden integriert. Er 10 m ersetzt einen unschönen Belag aus Pflastersteinen, den die Kirche während ihrer Nutzung als Fahrradgarage erhalten hatte. Da der Blick vom Eingang zum Chor und die volle Raumhöhe erSeit jedoch das Amsterdamer Büro Merkx + Girod die Kirche zur halten geblieben sind, hat die Dominikanerkirche trotz des EinBuchhandlung umgebaut hat, erweist sich ihr versteckter Stand- baus nur wenig von ihrer Raumwirkung eingebüßt. Gleichzeitig ort sogar als effektvoll : Tritt man vom kleinen Vorplatz aus durch sorgt das Riesenregal für neue Perspektiven und erzeugt innerdie Pforte, findet man sich in einer unerwartet großen Kirche halb der Kirche wirkungsvolle Kontraste zwischen Industriell und wieder. Nicht weniger überraschend als der Maßstabssprung Handwerklich, Neu und Alt, Glatt und Rau, Schwergliedrig und Fizwischen Stadt- und Kirchenraum ist das gigantische, mehrge- ligran. Und obendrein zieht es wegen des spektakulären Einbaus schossige stählerne Bücherregal, das vor der rechten Seitenwand plötzlich nicht nur Kunden der Buchhandlung, sondern auch Touristen in die einst vergessene Dominikanerkirche. der Kirche thront.

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[ S.164 ] Die Kirche als Buchhandlung : Blick in Richtung Apsis 2 In der Apsis des einstigen Gotteshauses ist heute Platz für eine Kaffeepause. 3 Während im nördlichen Kirchenschiff nur niedrige Display-Tische aufgestellt wurden, nimmt das große begehbare Regal aus Stahl dessen Südseite ein. 4 Wer kann sich bei diesem Ausblick auf Bücher konzentrieren ? Die 2. Regaletage 5 Von außen sieht man der Kirche ihre neue Nutzung nicht an. 1

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Umnutzung

Alt & Neu

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Haus st. joseph am Kloster Waldsassen 

waldsassen ( dE ) Alt Wirtschaftsgebäude — S. 172 neu Gastronomie — S. 28, 92, 136, 156 Hotel — S. 136

Brückner & Brückner Architekten

Alt & Neu

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Haus st. joseph am Kloster Waldsassen

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1 Die sanierte und von allen Anbauten befreite Giebelseite der alten Mälzerei 2 Vorplatz der 1704 fertiggestellten Klosterkirche Waldsassen, im Hintergrund rechts das Haus St. Joseph 3 Zisterzienserinnen auf dem erneuerten Vorplatz 4 Der moderne, dem winkelförmigen Mälzereigebäude vorgelagerte Eingangstrakt

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Alt & Neu

Umnutzung

Die Kunst des weiterbauens

Substanz den Anforderungen der Eigentlich hätte die alte künftigen Nutzung nicht gerecht Mälzerei des Klosters Waldgeworden : Eine dieser Manipulasassen schon vor mehr als tionen betraf die Kreuzgewölbe im zweihundert Jahren abgerisErdgeschoss, die für die geplante sen werden sollen. Im LauNutzung als Klostergaststätte viel fe des 18. Jahrhunderts war zu niedrig waren. So beschlossen der gesamte Klosterkomplex die Architekten, den Boden ausnach Plänen der bedeutenden Umbau einer Mälzerei zur Kultur- und zuschachten und die Pfeiler des Kirchenbaumeister Abraham Begegnungsstätte der Abtei Waldsassen Kreuzgewölbes mit maßgefertigLeuthner und der Gebrüder Brückner & Brückner Architekten, ten Granitsockeln nach unten zu Dientzenhofer im barocken Tirschenreuth / Würzburg verlängern. Wer heute die KlosStil neu gebaut und erheblich tergaststätte betritt, ahnt nicht, erweitert worden. 1704 wurde dass er unter dem ursprünglichen die prachtvolle Barockkirche Gewölbe kaum hätte aufrecht stehen können. Hier wie auch an geweiht, 1727 die Klosterbibliothek vollendet. Das hochgieblige, schmucklose Ökonomiegebäude, Mitte des 15. anderer Stelle beschränkten sich die Architekten bewusst auf die Jahrhunderts erbaut und als Stall, Räucherei, Malzdarre, Lager- bauzeitlichen Materialien Feldstein, Ziegel und Holz, verwendeten keller und Dormitorium genutzt, war das letzte Relikt der mittelal- sie aber in einer dezidiert gegenwärtigen Architektursprache. Das terlichen Klosteranlage und stand vor dem Ziel, die historischen Dachstühle als neue Nutzfläche zu erschlieAbriss. Dann aber waren alle Pläne hinfäl- ßen, machte im Bereich der Dachkonstruktion umfangreiche SaProjektdaten Bauherr Kloster Waldsassen GmbH, lig – Napoleons Truppen eroberten Europa, nierungsmaßnahmen notwendig. Hochwürdige Äbtissin das Kloster wurde säkularisiert, die Bände Das erneuerte Gebäude ist dreigeteilt : Parterre und UntergeSr. M. Laetitia Fech seiner berühmten Bibliothek in alle Winde schoss werden halböffentlich genutzt für Laden, Gaststätte und Baukosten 5,7 Mio. Euro zerstreut. Und das Ökonomiegebäude blieb Rezeption, das Obergeschoss nimmt die Gästezimmer auf, wäh(KGR 300–600) Hauptnutzfläche 2.100 m² an seinem Platz, bis heute flankiert es den rend man das Dachgeschoss als vielseitig nutzbaren SeminarbeBRI ca. 11.100 m³ Vorplatz der Klosterbasilika. Es markiert die reich ausbaute. FPJ BGF ca. 3.250 m² Besonderheit Alle ausgebauten Hölzer städtebauliche Schnittstelle zwischen der Basilika, der anschließenden Klosteranla- Schnitt durch das ergänzte Gebäude ( aus dem Abbruch der Nebengebäude und einiger Holzbalkendecken ) wurden ge und der Stadt. Über die Jahrhunderte im Zuge der Sanierung des historiwar das Haus nicht nur marode geworden, schen Dachgestühls wiederverwendet. sondern bot nach zahlreichen Um- und AnFertigstellung 9 / 2008 bauten auch das Bild eines unattraktiven Projektleitung Stephanie Reichl Standort Brauhausstraße 1, 3, baulichen Konglomerats. D–95652 Waldsassen Mitte der 1990er-Jahre hatte das WaldErbauungsjahr 1450 sassener Zisterzienserinnenkloster einen Neubeginn erlebt : Der Konvent, zeitwei1000 2010 se überaltert und vom Aussterben bedroht, Umbau 2009 erhielt Zuwachs durch junge Schwestern. 2000 2010 Die Aufbruchsstimmung beflügelte die Pläne für eine Generalsanierung – die erste Baukosten M2-Preis 5,7 Mio. € 2.714 € / m2 seit der Barockzeit. Im Zuge der Planungen 15.000 wurden auch die Potenziale des leer ste10 m henden Ökonomiegebäudes entdeckt – und 10.000 man beschloss, das desolate, jedoch äl5.000 teste erhaltene Gebäude des Klosters zum Grundriss der Hoteletage ( 1. Obergeschoss ) 0 Brückenkopf zwischen Kloster und Welt zu machen – als Kulturzentrum, Herberge, Gasthaus und Klosterladen. Zunächst untersuchten die Architekten die Substanz, ermittelten Zeitschichten und fahndeten unter dem Putz nach baulichen Anschlusspunkten, alten Öffnungen und Farbspuren. Schließlich ließ man zahlreiche Zwischenwände sowie Anbauten und Schuppen abbrechen, insbesondere an der Innenseite des winkelförmigen Gebäudes. Die anstelle der abgebrochenen Anbauten neu angefügte Erschließungszone und ihre laubenartig auskragenden Strebepfeiler schreiben dem Gebäude die – nicht stattgefundene, aber beabsichtigte – barocke Erneuerung dieses Klostertrakts nachträglich ein : Die alte Mälzerei und der an ihre Längsseite angrenzende, im Barock errichtete Klosterflügel stehen in der gleichen Achse, nur dass der Neubau des 18. Jahrhunderts rund vier Meter breiter ausfiel als der Vorgängerbau. Diesen Maßstabssprung, die stattlicheren Abmessungen des barocken Klosters, übertrugen Brückner & Brückner in heutiger Formensprache auf das Ökonomiegebäude. Die Streben des vorgelagerten Laubengangs konstruierte man aus Stahl, nachdem eine Ausführung in Holz oder Stahlbeton verworfen worden war. Diese neue Begrenzung des westlichen Basilikaplatzes gibt der Vorzone des Kloster als Ganzes einen städtebaulich klaren Abschluss. Bei den Freilegungen am Bestandsgebäude fanden die Architekten einen soliden, erhaltenswerten Kern vor. Doch ohne grundlegen10 m de Eingriffe und auch manche trickreiche „ Manipulation “ wäre die

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5, 9 Das Erdgeschoss nach dem Umbau zur Gaststube. Abb. 5 zeigt das Gewölbe in der Umbauphase ; um die notwendige Deckenhöhe zu erzielen, vertiefte man das Bodenniveau und verlängerte die Stützpfeiler mit einem Granitsockel.

6 Der L-förmige Erweiterungsbau verbindet alle Bereiche des Hauses miteinander. 7 Ein Gästezimmer 8 Mehrzweckraum im Dachgeschoss

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Alt & Neu

Umnutzung

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bibliothek im ebracher hof Schweinfurt ( DE ) Alt Wirtschaftsgebäude — S. 168 NEW Bibliothek — S. 178

Bruno Fioretti Marquez Architekten

Alt & Neu

Bibliothek im erbracher hof

Spiel der Spiegelungen

Glatt und Rau nur dann voll zur Die Zehntscheune der ZisterziGeltung kommt, wenn die neuen enser in Schweinfurt hat bewegTeile auf die Charakteristika des te Zeiten hinter sich. Als Zentrum Vorhandenen reagieren. der Kugellagerproduktion wurde Als Erstes fällt der Knick in der das nordfränkische Städtchen Bücherwand an der Längsseiim Zweiten Weltkrieg Ziel alliierUmbau der schweinfurter te auf : In ihrem letzten Drittel ter Bomberverbände. Die Zehntzehntscheune neigt sich der Rahmen aus Bescheune überstand die Angriffe Bruno Fioretti Marquez ton – und mit ihm die hölzernen als eines von wenigen mittelalArchitekten, Berlin Gefache – sanft nach unten. terlichen Gebäuden. Wenig späSIMONE JUNG Die massiven Eichenstützen ter, Anfang der 1960er-Jahren, ragen zwar lotrecht gen Decke, fielen der umgebende Klosterweil diese aber nicht horizontal garten und ein Großteil der maverläuft, stehen sie ebenfalls inseitigen Stadtbefestigung einer neuen Uferstraße zum Opfer. Damit hatte die einst dicht umbaute geneigt. Hier ist das Unperfekte Prinzip : Den über Jahrhunderte Zehntscheune auf einmal zwei Schauseiten und stand mit ihrem eingetretenen Verformungen des Altbaus wollten die ArchitekStufengiebel etwas verloren an der Mainbrücke, dem südlichen Ein- ten nicht brüsk die millimetergenaue Perfektion moderner Baugangstor in die Stadt. 1431 war sie als städtischer Wirtschaftshof technik gegenüberstellen. Den Unregelmäßigkeiten des Altbaus des nahe gelegenen Zisterzienserklosters Ebrach erbaut worden. antworten sie in ihrer Ergänzung „ mit sanften Brüchen der orAls die Stadt Schweinfurt einen Wettbewerb für den Umbau des thogonalen Regelhaftigkeit “, wie es der Architekturkritiker Falk leer stehenden Gebäudes zur städtischen Bibliothek auslobte, gab Jaeger formuliert. es nur ein Team, das vorschlug, die zusätzlich benötigten Flächen Es war ein Glücksfall, dass die Architekten auch den Auftrag für unter die Erde zu verlegen, sodass der Vor- den Neubau des angrenzenden Zollamts erhielten. Die Chance, platz frei und die äußere Ensembleansicht beide Bauten in einen Dialog treten zu lassen, ließen die ArchiProjektdaten Bauherr Stadt Schweinfurt, tekten nicht ungenutzt. Das Amtsgebäude, im rechten Winkel zur erhalten bleibt. vertreten durch das Hochbauamt Schauseite der Zehntscheune errichtet, besitzt großformatige In dem Entwurf von Bruno Fioretti Marquez Baukosten 6,6 Mio. Euro Architekten aus Berlin nimmt ein weitläufi- Kastenfenster. Wie bei einem Puzzle spiegelt jedes der 16 Fenster Nutzfläche 1.281 m² ges, das sechshundert Jahre alte Gemäuer einen etwas anderen Ausschnitt der Zehntscheune – dabei überBGF 2.498 m² BRI 11.282 m³ unterirdisch umschließende Basisgeschoss lagern und wiederholen sich die Teilbilder, denn einige der asymFertigstellung 4 / 2007 einen großen Teil der Bibliothek auf. Auf metrisch in der Betonfassade sitzenden Fenster sind zur Bibliothek Projektleitung / Mitarbeit Wieland die unfreiwillige, willkürliche Freilegung hin um wenige Grad aus der Front herausgedreht. Das Spiel der Vajen, Simone Skiba der 1960er-Jahre folgt damit eine wohlkal- spiegelnden Öffnungen ist wie ein Deuten der Vergangenheit – aus Standort Brückenstraße 29, D–97421 Schweinfurt kulierte. Das Freistellen und Herausheben jedem Blickwinkel sieht sie etwas anders aus. alter Bauteile hat als ästhetisches Kalkül Erbauungsjahr 1431 beim Bauen im Bestand zwar Tradition – Längsschnitt durch die umgebaute Zehntscheune 1000 2010 Carlo Scarpa prägte diese Vorgehensweise, Umbau 2007 viele wandten sie an, etwa Egon Eiermann mit dem Umbau der Berliner Gedächtnis2000 2010 kirche zur ästhetisierten Ruine. Indem sie Baukosten M2-Preis in die Tiefe gehen, loten Bruno Fioret6,6 Mio. € 5.152 € / m2 ti Marquez das Potenzial dieses Ansatzes 15.000 neu aus : Die Zehntscheune wird nicht nur 10.000 an ihren bisher sichtbaren Teilen, sondern 5.000 auch unter der Erde freigelegt – bis zu ihren Fundamenten. 0 Bruno Fioretti Marquez lag viel daran, der historischen Substanz des Gebäudes zu neuer Wirkung zu verhelfen : 10 m So ließ man das wuchtigen Gebälk im Inneren aufarbeiten und weiß streichen ; den Sockel des Gebäudes mit seinen sorgfältig reparierten Feldsteinmauern rückte man in den Mittelpunkt einer hellen Grundriss Untergeschoss und weiten Halle. Auf dem Platz zeugt nur ein „ Laterne “ genanntes Glashaus von der Expansion in die Tiefe. Der strenge, 33 Meter lange Glasquader erhellt bei Tag das Untergeschoss und lässt die Bibliothek bei Nacht in den Stadtraum strahlen. Als gläserne Front schirmt er den Vorplatz von der verkehrsreichen Uferstraße ab. Erschlossen wird die Stadtbibliothek vom Vorplatz über den neuen giebelseitigen Haupteingang. Vom Entrée führt eine Treppe zunächst hinab ins Untergeschoss. Von einer leicht erhöhten Position kann man den Blick über den hohen und langen Raum und die scheinbar endlose Bücherwand zur Linken schweifen lassen, bevor man sie entlang einer sanft abfallenden Rampe, die um das Mauerwerk der Fundamente führt, erkundet. Ästhetisierung gepaart mit größtmöglicher Purifizierung machen die eigenwillige Faszination des unterirdischen Saals aus. Nichts außer den Büchern lenkt ab von dem Dreiklang aus Bruchstein, Sichtbeton und Eichenholz. Lüftungen und anderes funktionales Zubehör ließen die Architekten hinter den Regalen und in unscheinbaren Schattenfugen verschwinden, ebenso die Beleuchtung – im ganzen Saal ist nicht eine 10 m Leuchte zu sehen. Bruno Fioretti Marquez war bewusst, dass das ästhetische Potenzial eines solchen Kontrasts von Alt und Neu,

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Bibliothek im erbracher hof

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[S. 172] In den großformatigen Fensterflächen des benachbarten Hauptzollamtes spiegeln sich unterschiedliche Ausschnitte des alten Stufengiebels.  2 Gesamtansicht : Die umgebaute Zehntscheune und das neue Hauptzollamt ( links ) vom Mainufer aus gesehen. 3 Der lange Glaskörper der Laterne schirmt den Vorplatz von der angrenzenden Straße ab und erhellt die unterirdischen Räume der Bibliothek. 4 Diskret : Das ergänzte Fluchttreppenhaus gestaltete man als abstrahierte „ Verlängerung “ des angrenzenden Giebels in Sichtbeton. 5 Seitenansicht der sanierten Zehntscheune ; im Hintergrund das Museum Georg Schäfer von Volker Staab 1

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Umnutzung

Alt & Neu

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Bibliothek im erbracher hof

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Der Lesesaal im Untergeschoss Hauptsaal der Bibliothek im Untergeschoss, links die freigelegte Kellerwand der Zehntscheune 8 Schemazeichnung des unterirdischen Saals mit Darstellung verborgener technischer Details 9 Blick in das Untergeschoss 10 Im Obergeschoss kontrastieren hell gestrichenen Eichenstützen mit der dunklen Möblierung. 6



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Umnutzung

terra mineralia im Schloss  Freudenstein

Freiberg ( DE ) Speichergebäude — S. 22, 68 neu Bibliothek — S. 172 Museum — S. 32, 38, 42, 68, 161

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AFF Architekten

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terra mineralia im Schloss Freudenstein

Renaissance der Wunderkammer

erkannten AFF Architekten die Das damals noch junge Büro AFF Spuren der wechselvollen GeArchitekten belegte 2005 den schichte von Freudenstein als ersten Platz eines europaweiten ästhetisches Potenzial für die Wettbewerbs für Sanierung und neue Nutzung. Umbau von Schloss FreudenIm Erdgeschoss, wo die „ Schatzstein im sächsischen Freiberg. kammer “ der Sammlung einDas Schloss, eine geschlosseziehen sollte, zeigte sich das ne, vierflügelige Anlage, befinMineralogische Sammlung Deckengewölbe rußgeschwärzt, det sich am Innenstadtrand von im Umgebauten Renaissanceschloss vermutlich aufgrund seiner NutFreiberg. 1168 von den WettiAFF Architekten, Berlin / Chemnitz zung als Lazarettküche in naponern als Schutzburg des Silberleonischer Zeit. Der Wunsch der bergbaus errichtet, baute man Architekten, diese Zeitspuren das Schloss in der Renaissance nicht unter frischem Putz verprachtvoll aus. Während des Siebenjährigen Kriegs wurde seine Inneneinrichtung jedoch weitgehend schwinden zu lassen, erstaunte den Bauherren. Er willigte aber zerstört, es folgte eine Phase des Verfalls. Ende des 18. Jahrhunderts schließlich ein, und so überspannt die Schatzkammer ein seltsam baute man das herrenlos gewordene Schloss zum Magazin um, bis marmoriertes, teils schwarz, teils bläulich schimmerndes Gewölbe, das mit seiner effektvollen Beleuchtung fast wie eine Kapelle 1979 diente es als Getreidelager. Schließlich entschloss sich die Stadt Freiberg, die Anlage, von de- wirkt, aber auch an einen künstlichen Höhlenraum denken lässt. ren einstigen Pracht wenig mehr als einige Treppenhäuser und der Eine passendere, auf subtile Weise komplementäre Kulisse für Renaissancegiebel der Torbrücke zeugten, die rätselhafte Schönheit der Mineralien und Kristalle lässt sich für kulturelle Zwecke zu erschließen. Das kaum ausdenken. Diese Durchdringung von Nutzungsthema und Projektdaten Bauherr Schloss Freudenstein : Schloss sollte die – durch eine Schenkung architektonischer Umsetzung durchzieht das gesamte umgebauStadt Freiberg erheblich aufgestockte – Mineralogische te Schloss. Insbesondere das Motiv mineralischer Einschlüsse, Bauherr Mineralogische Sammlung : Sächsisches Immobilien- und Bauma- Sammlung der Freiberger TU Bergakademie also Kristallansammlungen in Gesteinshohlräumen, griffen die Arund das sächsische Bergarchiv aufnehmen, chitekten immer wieder auf : Gefasst von einer rauen, einfarbigen nagement, Chemnitz Baukosten Schloss Freudenstein : eine der umfangreichsten Sammlungen Schale aus Beton trifft man auf Einbauten in leuchtenden Farben, 21,4 Mio. Euro, Mineralogische in Violett, strahlendem Gelb und sattem Grün. In der Sammlung montaner Schriften in Europa. Sammlung : 3,35 Mio. Euro Archiv und Sammlung betritt man über einen selbst legte man dagegen Wert auf eine außerordentlich zurückNutzfläche Mineralogische gemeinsamen Eingang im Schlosshof. Nicht haltende Farbgebung – alle Vitrinen und Ausstellungsmöbel sind Sammlung : 1.500 m² BGF 16.450 m² ( gesamtes Gebäude ) zuletzt aus konservatorischen Gründen füg- schwarz. Die Wahrnehmung soll sich ganz auf die Miniaturwelt der BRI 59.120 m3 te man das Archiv als in sich geschlosse- Kristalle konzentrieren. Fertigstellung 1 / 2008 nen „ Archivkörper “ mit einer zweiten Hülle Die Architekten suchten nicht den Kontrast oder demonstratiProjektleitung Martin Fröhlich, in den sogenannten Kirchenflügel ein. Die ve Zäsuren zwischen Alt und Neu : Zwar tritt das Neue durchSven Fröhlich, Alexander Georgi Standort Schloss Freudenstein, Mineraliensammlung, genannt „ Terra Mine- aus effektvoll hervor, an anderer Stelle aber werden Bestand und D–09596 Freiberg ralia “, zog in drei Etagen des übereck an- zeitgenössische Zutat unmerklich verschliffen. Einige Säle führErbauungsjahr 1577 te man auf die Raumfolgen der Renaissance zurück. Weil die Argrenzenden Nordostflügels ein. Anders als beim Archiv stand hier einer un- chitekten sämtliche Möbel und Einbauten im Einklang mit ihren 1000 2010 mittelbaren Verschränkung mit der histo- behutsamen Restaurierungen am Bestand verwirklichen konnten, Umbau 2006–2008 rischen Architektur nichts im Weg. Dabei entstanden Ausstellungsräume von großer Ausdruckskraft und 2000 2010 handelte es sich einerseits um Reste der formaler Geschlossenheit. Deren inszenatorische Wirkung ist zuRenaissanceausstattung, andererseits um rückhaltend und suggestiv zugleich. Unweigerlich kommt einem Baukosten M2-Preis 3,35 Mio. € 2.233 € / m2 Elemente aus dem 18. Jahrhundert, allem die „ Wunderkammer “ in den Sinn. Der Begriff für diese fürstli15.000 voran die eindrucksvollen, aus massiven Ei- chen Sammlungen der Renaissance, Vorläufer moderner Musechenbalken gezimmerten Magazinebenen, en, bezieht sich auf die Verwunderung des Betrachters und das 10.000 die der halben Höhe eines Renaissancege- Wunderliche des Betrachteten. So gesehen ist die Terra Mineralia 5.000 schosses entsprechen. Wie im Archivflügel eine moderne Wunderkammer. Merkwürdig verästelte Kristallna0 sollten die Lagergeschosse hier zunächst deln, die aus verborgenen Hohlräumen tief in der Erde ans Licht vollständig entfernt werden. Es kostete die geholt wurden, konkurrieren mit feierlich kargen Raumfluchten Architekten einiges Verhandlungsgeschick, Bauherr und künftige um das Staunen der Besucher, und mit einem Stützgebälk, das Nutzer davon zu überzeugen, das Gebälk zumindest in einer drei so aussieht, als müsste es einen ganzen Berg abstützen. Inhalt Achsen breiten Referenzzone zu erhalten. Auch an anderer Stelle und Form stehen umfassend in Einklang. FPJ Quer- und Längsschnitt durch den Sammlungsflügel

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terra mineralia im Schloss Freudenstein

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[ S. 178 ] Der Schlosshof nach dem Umbau : In der Mitte der Archivflügel, links der Museumsflügel. Als gemeinsamer Zugang dient der neue Eingang im Hof. 2, 3 Der neue Eingang 4 Das sanierte und mit einer neuen Beleuchtung versehene Renaissancetreppenhaus 5, 6 Im 2. und 3. Obergeschoss konnten die Architekten die beim Umbau des Schlosses zum Lagerhaus eingezogenen Zwischendecken erhalten. Die Ausstellungsvitrinen wie auch die übrige Innenausstattung der Sammlung wurden ebenfalls von AFF Architekten entworfen. 7, 8 Dunkle Ausstellungsmöbel kontrastieren mit Zeitspuren : Die Schatzkammer im Gewölbe des Sockelgeschosses 1

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DENKMALE – AUTHENTISCH IN NEUER FUNKTION  Drei Sanierungsgeschichten zwischen Barock und Bauhaus

Längst hat das Bauen im Bestand gegenüber der Neubautätigkeit den größeren Anteil am Baugeschehen – und das mit steigender Tendenz. Damit wachsen die Chancen, denkmalgeschützten Gebäuden – ganz gleich, ob genutzt oder leer stehend – durch Nutzung wieder eine Zukunft zu geben und sie damit dem Bild unserer Städte zu erhalten. Winfried Brenne / Franz Jaschke

Dass Projekte im Denkmalbestand immer dann besonders erfolgreich sind, wenn die im Gebäude vorhandenen Qualitäten erkannt und genutzt werden, und dass bei aller Behutsamkeit im Umgang mit der Substanz die Architektur nicht zu kurz kommen muss, soll anhand dreier Projektbeispiele aus unserer Arbeit gezeigt werden. Gleichzeitig werden Herangehensweise und methodisches Vorgehen beschrieben, die je nach Gebäude, Ausgangssituation und Aufgabenstellung immer unterschiedlich sind – und im Spannungsverhältnis stehen zwischen den Anforderungen des Denkmalschutzes auf der einen und dem Bedürfnis nach einer energetisch

zeitgemäßen Gebäudehülle und moderner Gebäudetechnik auf der anderen Seite. I Umbau des Berliner Zeughauses für das Deutsche Historische Museum – Die Nische als Entwurfsidee — 1998 lobte der Bund einen Realisierungswettbewerb zum Umbau des Zeughauses aus, mit dem Ziel, hier die künftige Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums einzurichten. Ein vorliegender erster Entwurf mit

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abgehängten Decken und aufgeständerten Fußböden zur Unterbringung der neuen Gebäudetechnik war vom Bauherrn als ungeeignet erkannt worden – denn er hätte die innere Wirkung des Zeughauses grundlegend verändert und dem Gebäude seinen Charakter genommen. Die Vermeidung solch tief greifender Veränderungen war auch die Forderung der Denkmalpflege, verbunden mit dem Wunsch, die verschiedenen Architekturfassungen und Spuren der dreihundertjährigen Geschichte zu erhalten und sichtbar zu machen, zumal es sich um eines der letzten repräsentativen Barockgebäude im Herzen Berlins handelt. Die Wettbewerbsaufgabe bestand darin, das Gebäude so zu konditionieren, dass es den Standard moderner Museen erfüllt : Sie umfasste technische Vorgaben wie die Vollklimatisierung der Ausstellungsbereiche, die Schaffung unterschiedlichster Lichtszenarien und alle Sicherheitsanforderungen an Brandschutz, Entrauchung, Einbruchschutz etc. Gleichzeitig war die innere Organisation des Gebäudes zu optimieren. Ziel war eine Vergrößerung der Ausstellungsfläche, die Schaffung weiterer Archiv- und Depotflächen, eine verbesserte Besucherführung sowie die Optimierung der Erschließung für Behinderte. Für die Ideenfindung war es entscheidend, das Gebäude bezüglich seiner Struktur, Geometrie und Maßstäblichkeit zu entdecken, kennenzulernen und zu verstehen. Vor allem aber muss mit diesem „ Verstehen “ des Gebäudes ein Querdenken und Hinterfragen der vermeintlich nahe liegenden Lösungen einhergehen. Nur so konnten das vorhandene Potenzial entdeckt und die tatsächlichen Spielräume für eine Lösungsfindung genutzt werden. Wir fragten uns : Welches Potenzial bieten die ungewöhnlich tiefen Fensternischen des Hauses ? Und welche Ressource stellen die mit bis zu 1,20 Meter überdimensionierten Außenwände dar ? Auf diese Weise wurde die Nische entdeckt – als späterer Standort einer dezentral organisierten Gebäudeklimatisierung. Bei unserem Fachplaner Matthias Schuler ( Transsolar ) fiel diese Idee auf fruchtbaren Boden und fand in der gemeinsamen Überlegung sehr schnell zur Präzisierung.I Sie entsprach dem Trend hin zur Dezentralisierung von Gebäudetechnik. In gestalterischer Hinsicht sahen wir darin zudem die Chance, bauliche Eingriffe zu reduzieren – und damit den Ansatz einer behutsamen Hinzufügung im Sinne einer bescheidenen und dennoch eigenständigen Architektursprache innerhalb des baugeschichtlichen Kontexts. Dass für die Idee geworben und zunächst einiges an Überzeugungsarbeit 1 Deutsches Historisches Museum im Berliner Zeughaus : Treppenaufgang zum ersten Obergeschoss

2 Ansicht der Fensternischen nach ihrer Umrüstung zur dezentralen Klima-Einheit: Die Technik verschwindet in einer unscheinbaren Fensterbank.

geleistet werden musste, zeigt sich schon in der Beurteilung der Jury : „ Das vorgeschlagene Lüftungssystem wird als innovativ gewürdigt, wenn auch die Funktionstüchtigkeit noch nicht in allen Einzelheiten erkennbar ist … “ Auf Wunsch des Bauherrn, aber auch zur eigenen Sicherheit, waren wir deshalb gefordert, unsere Idee schrittweise zu überprüfen und aus dem Experimentierstadium herauszuführen. Die „ Serienreife “ des geplanten Nischen-Klimageräts ( statt eines Prototyps ) war vonseiten des Auftraggebers zur Grundbedingung einer Umsetzung gemacht worden. Umbau des Berliner Zeughauses für das Deutsche Historische Museum  Funktionsweise der dezentralen Klimaeinheit in den Fensternischen

Umluft

Light-Shelf

Sonnenschutz / Verdunkelung ESG - Drehflügel Umluft Frischluft Quellluft Klimagerät

Die vom Planungsteam bereitgestellte, sehr anschauliche Visualisierung der thermischen und strömungstechnischen Simulation wurde nicht als ausreichend betrachtet. Daher wurde im nächsten Schritt in der Stuttgarter Werkhalle des Herstellers der Klimageräte ein gläsernes 1 :1-Mock-up mit allen technischen Komponenten als Nachbildung der Situation im Gebäude aufgebaut. Dank der Verglasung ließen sich die Wirkungsweise und die Luftströmung mit Nebelversuchen in einem Video anschaulich darstellen. Allerdings konnte auch das den Bauherrn nicht restlos überzeugen. Also richteten wir mithilfe einer raumhohen, über die gesamte Gebäudetiefe von 25 Metern reichenden Abtrennung im Zeughaus einen Testraum für einen 1 :1-Feldversuch her, in dem Sommer- und Winterbedingungen mit allen beeinflussenden Faktoren wie plötzlichem Feuchtigkeitseintrag ein Jahr lang getestet wurden.

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Nach der einjährigen Testphase war nicht nur nachgewiesen, dass sich mit den fassadenweise gegenüberliegenden Nischengeräten ein stabiles Raumklima ohne kurzfristige Schwankungen erzeugen lässt ; der Hersteller der Geräte hatte diese derweil auch zur Serienreife entwickelt. Als Brüstungsgeräte zur Raumtemperierung waren sie zwar schon auf dem Markt, das Novum stellte jedoch die gleichzeitige Be- und Entfeuchtungsmöglichkeit dar. Parallel zur Entwicklung der technischen Anforderungen arbeiteten wir an der Detailausbildung des Gesamtelements. Für das Hinzufügen der erforderlichen neuen Elemente wie die Geräteverkleidung und die Luft- und Licht lenkende Verglasung sowie das Lightshelf entwarfen wir eine sich wie selbstverständlich einfügende Form, die der Landeskonservator zur Eröffnung des Gebäudes als die „ Kunst des kleinstmöglichen Eingriffs “ charakterisierte. Nicht nur mit Blick auf Architektur und Denkmalpflege, sondern auch in Sachen Wirtschaftlichkeit hat sich das Umbaukonzept in der Gesamtbilanz – nach mittlerweile sechs Jahren Betrieb – bewährt : Die dezentrale Klimatisierung erlaubte es, die Technikzentrale deutlich zu verkleinern, und auch auf großvolumige Kanäle für den Transport und die Verteilung von klimatisierter Luft konnte verzichtet werden – was zu einer deutlichen Energie- und Kosteneinsparung führte. Dadurch konnten die Ausstellungsflächen erweitert und zusätzliche Flächen für Archive im Dachgeschoss geschaffen werden – und die Authentizität des Gebäudes wurde gewahrt.

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Denkmale – authentisch in neuer funktion

II Umnutzung der ehemaligen Bundesschule des ADGB als Internat der Handwerkskammer Berlin — Die ehemalige Bundesschule des ADGB in Bernau entstand 1929 / 30 nach einem vom Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund ADGB ausgelobten Wettbewerb, aus dem der Entwurf von Hannes Meyer als 1. Preis hervorging. Das Gebäude steht für die Übersetzung eines progressiven gesellschaftlichen, pädagogischen und funktionellen Programms in eine großmaßstäbliche architektonische Figur im Sinne „ gebauter Pädagogik “. Eine einprägsame Materialsprache prägt die architektonische Ausbildung der einzelnen Baukörper innen wie außen. Es handelt sich um eines der bedeutendsten Bauhausdenkmale außerhalb der Bauhausstadt Dessau. Ursprünglich frei in eine Waldlandschaft mit einem kleinen Teich hinein komponiert, befindet sich die Anlage 3 [ S. 186 ] Die Luftaufnahme aus der Erbauungszeit zeigt, wie Hannes Meyer die Gebäude in die märkische Landschaft komponierte.

[ S. 186 ] Zustand des Schülerwohnheims vor der Sanierung: Die während der DDR-Zeit eingesetzten Holzfenster veränderten die Wirkung der Fassade erheblich.

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mittlerweile inmitten weiterer Schul- und Bildungsbauten, wie auf einem Campus. Nach der Wende fand sich für die auch zu DDR-Zeiten als Gewerkschaftsschule genutzte Anlage zunächst keine langfristige Nutzung, sodass das Gebäude einige Jahre leer stand – mit entsprechenden Folgeschäden. Die Notwendigkeit, einen Nutzer zu finden, wuchs von Jahr zu Jahr. Es muss als großes Glück für das Denkmal bezeichnet werden, dass sich das brandenburgische Kultusministerium, das Landesdenkmalamt Brandenburg und die Handwerkskammer Berlin darauf verständigten, das Internat der Handwerkskammer, das zunächst auf dem benachbarten Ausbildungsgelände als Neubau errichtet werden sollte, in der ehemaligen Bundesschule unterzubringen. Denn damit erhielt die Anlage beinahe die gleiche Nutzung wie die ursprüngliche. Für uns bestand die Aufgabe darin, einen tragfähigen Kompromiss zu entwickeln zwischen den heutigen Standards für die Unterbringung von Auszubildenden und einer Wiedergewinnung der ursprünglichen Architektur. Möglichst hohe, zeitgemäße Standards waren auf das Baudenkmal zu übertragen. Zugleich war seine physische Wiederherstellung zu leisten. Denn nicht nur die ehemals markante Eingangsseite mit den drei hohen Schornsteinen hatte sich bis zur Unkenntlichkeit verändert – die wechselvolle Geschichte hatte das gesamte Gebäude außen wie innen stark überformt. Das eingehende Sichten und Auswerten der gesamten Bandbreite der bauhistorischen Quellen und Bauakten sowie eine umfassende Befunderhebung vor Ort durch den Restaurator gehörten quasi zum „ Standardprogramm “ bei der Arbeit an einem so hochrangigen Baudenkmal. Die Besonderheit in diesem Falle lag darin, vor Ort Qualität und Zustand der gestalterisch prägenden Materialien zu erfassen und darin die jeweiligen Zeitspuren und die Möglichkeit ihrer Erhaltung zu erkennen. Aufgrund der vielen einander überlagernden Schichten von Anund Umbauten ergaben sich erst nach Beginn der Bauarbeiten, nach dem Öffnen von Verkleidungen und dem Abriss massiver Bauteile wichtige neue Erkenntnisse, sodass die Befundermittlung erst in weit fortgeschrittenem Bauzustand abgeschlossen werden konnte. Das bedeutete, dass sowohl die Planung als auch das Denkmalkonzept immer weiter verfeinert und angepasst werden mussten, was eine Flexibilität bei allen Beteiligten und einen permanenten Abstimmungsprozess 5 [ S. 186 ] Der Trakt mit den Schülerwohnungen nach der Sanierung: Der klare Gegensatz zwischen den filigran gegliederten Fenstern und der Ziegelfassade ist wiederhergestellt.

[ S. 186 ] Der Wintergarten zwischen Speisesaal und Schülerwohnhäusern hat die Form eines Kreisviertels. Die Architekten rekonstruierten den Anbau anhand bauzeitlicher Pläne und Fundamentreste.

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erforderte. Insofern waren viele Entsuchten wir eine differenzierte scheidungen im Bauprozess vor Ort Entscheidung : Die qualitätvollen zu treffen. 1950er-Jahre-Ergänzungen vor alNicht nur Bauherr und Denkmallem im Bereich des Hauptgebäudes, pfleger als maßgebende Entscheidie mit rotem Mauerwerk gut von dungsinstanz haben diesen nicht den gelben, bauzeitlichen Fassaden einfachen Prozess mitgetragen ; bezu unterscheiden sind, blieben erhalsonders hervorzuheben sind bei dieten. Dagegen wurden die Baukörpersem Projekt die Partner aufseiten konturen der Schülerwohnhäuser Winfried Brenne der Bauaufsicht und Feuerwehr, ohund des Schulgebäudes mit den gel— ne die viel von der wiedergefunde- Dipl.-Ing. Winfried Brenne, Architekt BDA / ben Ziegelfassaden und ihren bündig ( Deutscher Werkbund ), Jahrgang 1942, nen Authentizität des Denkmals DWB liegenden Sichtbetonelementen der Studium der Architektur in Wuppertal und unwiederbringlich verloren gegan- Berlin, seit 1978 selbstständiger Architekt Tragstruktur freigelegt, sodass das in Berlin, u. a. tätig im Siedlungsbau und dem gen wäre. Mit dem primären Ziel, Bauen bauzeitliche Erscheinungsbild mit im Bestand. Einen Schwerpunkt bildet keine Abstriche bei den Sicherheits- die Bestandsuntersuchung und Restaurierung all seinen Gebrauchsspuren wieder Bauten und Ensembles der Neuen Sachbelangen zu machen, haben sie alle von zum Tragen kommt. lichkeit, darunter die Britzer Hufeisensiedlung zur Verfügung stehenden Interpre- und andere Berliner Siedlungen der 1920er- Im Inneren der Wohnhäuser blieb ( U NESCO-Weltkulturerbe ). Daneben tationsspielräume und örtlich vor- Jahre zwar die Raumstruktur unangetastet Sanierung prominenter Einzeldenkmale wie handenen Ressourcen genutzt, um das Meisterhaus Muche-Schlemmer in Dessau, – allerdings war zu berücksichtigen, ehem. Bundesschule des ADGB in Bernau, Ausnahmen und Befreiungen aus- die dass heutige Ansprüche an die Unterdas Schloss Charlottenburg sowie das Deutzusprechen und damit bauzeitliche sche Historische Museum Berlin. Seit 1993 bringung von Auszubildenden andere Mitglied DEUTSCHE DOCOMOMO GRUPBesonderheiten im Original erhal- PE, sind als vor achtzig Jahren. Statt des seit 2000 Deutsches Nationalkomitee von ten zu können. ICOMOS, seit 2006 Mitglied der Akademie der ursprünglichen Waschbeckens für Künste Berlin. Zahlreiche Bücher und PublikaSo ein Fall war das normalerwei- tionen, u. a. zum Werk Bruno Tauts ; Auszeich- ein Zweibettzimmer und eines Samse notwendige zweite Fluchttrepnungen im In- und Ausland. melbads pro Flur erhielt jedes Zimmer penhaus in den Wohnhäusern. Um ein eigenes kleines Duschbad. Franz Jaschke ein solches ahistorisches und gestalZimmer und Flure erhielten die von — Franz Jaschke, Architekt DWB, 1955 terisch desintegriertes Element zu Dipl.-Ing. Hannes Meyer entwickelte proin Meschede, Nordrhein-Westfalen geboren, verhindern, verständigten wir uns 1975 Wurzeln geschlagen in Berlin ( Kreuzberg ), grammatische Farbigkeit, sodass Diplom Architektur an der TU Berlin ( „ Klidarauf, optimale Voraussetzungen 1981 sich die Bewohner heute wieder an magerechtes Bauen “ ). Seit 1983 Zusammenarfür eine Feuerwehr-Anleiterung je- beit mit Winfried Brenne in unterschiedlichen dem roten, gelben, grünen oder blau2001 Gründung der BRENNE des einzelnen Zimmers zu Konstellationen. en Haus orientieren und sich damit GmbH anlässlich des Auftrags zur Restaurieschaffen : Für die Fens- rung der ehem. Bundesschule des ADGB in Ber- identifizieren können. Denn am Envon Hannes Meyer und Hans Wittwer ( u. a. ter wurde Verbundsicher- nau de konnten die anfangs noch recht ausgezeichnet mit dem WMF / Knoll Modernism heitsglas verwendet. Um prize 2008 ). Verantwortliche Durchführung lückenhaften Farbbefunde etwa u. a. folgender Projekte : Wohnhaus Bruno Taut ein Einschlagen der Schei- in mithilfe von hinter den SockelleisDahlewitz, Sanierung ehem. Reichstagspräbe im Notfall zu erleich- sidentenpalais Berlin, Neuer Flügel im Schloss ten entdeckten farbigen TapetenresModellprojekte für ökologitern, ist jedes Fenster mit Charlottenburg, ten so weit ergänzt werden, dass eine schen Wohnungsbau in Berlin-Pankow ; Foreinem Nothammer ausge- schungsprojekt zur Lebenszyklusbetrachtung Rekonstruktion möglich war. und Ökobilanzierung. Gründungsmitglied DOstattet, wie man ihn aus öf- COMOMO Deutschland e. V., Mitglied Deut- In den Wohnhäusern fanden wir fentlichen Verkehrsmitteln Holzkastenfenster vor, die man scher Werkbund Berlin. www.brenne-architekten.de kennt. Verbunden mit der zu DDR-Zeiten aus energetischen Auflage, dass NeuankömmGründen und vermutlich auch auflinge in die Besonderheiten des Gebäudes ein- grund des kritischen Erhaltungszustands der Originalgewiesen werden, wurde auch für die knappen fenster eingebaut hatte. Sie wurden im Rahmen unserer Höhen der Fensterbrüstungen und Treppenge- Planung durch Stahlfenster ersetzt, die aufgrund der länder eine Ausnahmeregelung gefunden. noch vorhandenen originalen Fenster denkmalgeIn Bezug auf Authentizität, Originalität und recht rekonstruiert werden konnten. Zum Zeitpunkt die Frage, welche nicht originalen Bauteile des Umbaus, 2002 bis 2006, standen dafür noch keine zur Wiedergewinnung der bauzeitlichen Architektur thermisch getrennten Profile zur Verfügung, wie sie von Meyer und Wittwer abgebrochen werden und wel- derzeit in Entwicklung und nahezu serienreif verfügche sich gut in ein Gesamtkonzept integrieren lassen, bar sind. 7 [ S. 186 ] Die durchgehende Lichtdecke und ihre eleganten Stützen prägen die Wirkung des Speisesaals. Zustand nach der Sanierung

8 Rekonstruierte Stahlfenster der Schüler-Apartments : Ein an jedem Fenster angebrachter Nothammer ermöglichte den Verzicht auf einen zweiten Fluchtweg.

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Schnitt durch Wandaufbau und Fenster im Schülerwohnhaus Eine Innendämmung im Bereich der Fensterstürze und das für die neuen Stahlfenster verwendete Isolierglas verbessern die energetischen Eigenschaften des Gebäudes erheblich.

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Da sowohl bei den Fenstern als auch bei den ursprünglich nicht gedämmten, massiven Beton-Fensterstürzen Kältebrücken bestehen, wurde außer der Isolierverglasung und der gezielten Innendämmung als Kompensationsmaßnahme ein einfaches Lüftungskonzept entwickelt, das dafür sorgt, über den Badventilator mögliche Raumluftfeuchte, die sich als Kondenswasser niederschlagen könnte, auf ein Minimum zu reduzieren. Die originalen, aber aus energetischer Sicht heiklen Bauteile wie der Speisesaal mit seiner großflächigen Verglasung und den Glasbausteinen im Dach konnten mit effektiven Maßnahmen im Detail energetisch deutlich verbessert werden. Gleiches gilt für die noch vorhandenen, originalen Schiebetore der Turnhalle, mit denen sich deren Breitseite komplett öffnen lässt. Auch hier konnte das Original erhalten und zugleich mit einer inneren Neuverglasung die Anforderungen an Energie und Sicherheit erfüllt werden. Bemerkenswert ist gerade bei diesem Gebäude, dass die ursprüngliche Auswahl der Materialien und die außerordentlich gute handwerkliche Verarbeitung bis heute als musterhaft gelten können. Als Beispiele seien die schmale und daher auch gestalterisch überaus wichtige kupferne Dachkante und die kupfernen Wandanschlüsse genannt, die nach achtzig Jahren nach mechanischer Säuberung nicht nur erhalten bleiben konnten, sondern insofern ein Musterbeispiel für Nachhaltigkeit darstellen, als sie für eine weitere Generation im Lebenszyklus gut geeignet sind. 9 Aufgang zur Galerie der Sporthalle : Wie Schmetterlingsflügel lassen sich die Fensterflügel des geneigten Fensterbandes nach außen klappen.

10 Die kupferne Dachkante ( „ Verwahrung “ ) am Schülerwohnhaus, Zustand vor der Sanierung

III Verbesserung von Energiebilanz und Wohnqualität in der Siedlung am Schillerpark in Berlin-Wedding Integrales Projekt „ Denkmal und Energie – Nachkriegsmoderne “ — In den Jahren 1955 bis 1959 baute Hans Hoffmann in Berlin-Wedding für die Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 fünf viergeschossige, flach gedeckte Hauszeilen zwischen Corker Straße, Dubliner Straße und Holländerstraße. Zusammen mit der von Bruno Taut errichteten Erstbebauung aus den Jahren 1924 bis 1930 – seit 2008 UNESCO Weltkulturerbe – bilden sie das denkmalgeschützte Ensemble „ Siedlung am Schillerpark “. Die Balkonfassaden mit den für Hoffmann typischen geschosshoch verglasten Blumenfenstern zwischen Hauptwohnraum und Balkon setzten neue Maßstäbe für den sozialen Wohnungsbau der 1950er-Jahre. Sie sollten die Lichtfülle und Behaglichkeit steigern und eine großzügige Verbindung zwischen Innenraum und umgebender Natur schaffen. Die Grundrisse der Zweieinhalbzimmerwohnungen sind äußerst funktional. Die Heizkörper sind in der Gebäudetiefe konzentriert und damit sehr ökonomisch angeordnet. Die klar gegliederten Baukörper mit ihrer ausgewogenen Proportion spiegeln den ressourcenschonenden Materialeinsatz der Nachkriegsarchitektur wider – charakteristisch sind zumeist materialsichtige Oberflächen und eine bewusst begrenzte Materialpalette. Nach mehr als fünfzig Jahren zeigen die Gebäude Hoffmanns zwar Gebrauchsspuren, aber keine gravierenden Schäden und beweisen somit hohe Qualität sowohl in der Ausführung als auch in der Gestaltung. Die Verbesserung des Wärmeschutzes an der Gebäudehülle und die Anpassung der haustechnischen Einrichtungen an heutige technische und energetische Standards waren das vorrangige Ziel der Sanierung. Dabei sollte die architektonische Ästhetik der HoffmannBauten als bedeutende Zeugnisse der Berliner Nachkriegsmoderne bewahrt werden. Um für diese Ziele adäquate Lösungen im Sinne einer Integration der unterschiedlichen Anforderungen aus Baukonstruktion, Bauphysik und Denkmalschutz zu finden, wurden die Hoffmann-Bauten zum Modellvorhaben des mit Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt ( DBU ) ins Leben gerufenen Forschungsprojekts „ Denkmal und Energie – Nachkriegsmoderne “.II 11 Zustand

nach der Reinigung : Die Verwahrung wurde in so hoher Qualität ausgeführt, dass das originale, immerhin 80 Jahre alte Bauteil erhalten werden konnte ; es wurde lediglich mechanisch gereinigt.

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Zur Bestimmung der notwendigen Sanierungsmaßnah- durch Entfernen der inneren Glasebene, wie vom Baumen führten wir eine detaillierte Bestandsaufnahme herrn mehrfach ins Gespräch gebracht, erschien uns durch. Die Unterstützung der Forschungspartner er- bauphysikalisch äußerst problematisch und denkmalpflelaubte es, die energetischen Eigenschaften der verwen- gerisch nicht vertretbar. Darüber hinaus gestaltet sich deten Baustoffe sorgfältig zu bestimmen, energetische der Umbau im bewohnten Zustand weitaus schwieriger. Schwachpunkte der Konstruktion durch Thermografie- Als bauliche Pufferzone ist das Blumenfenster gebäuaufnahmen zu verifizieren und die Behaglich- deenergetisch durchaus sinnvoll, denn es mildert die keit der Räume sowie Luftströmungen unter Wärmebrücke der Balkonplatte deutlich ab. Zudem Berücksichtigung von Fensterkonstruktionen wirkt sich der große Scheibenzwischenraum positiv und Heizkörperpositionen anhand von Com- auf das Wohnraumklima aus – auch im Zusammenwirputersimulationen nachzuweisen. Dabei stellte ken mit einem mechanischen Lüftungskonzept : Dabei sich heraus, dass der Standort der Heizkörper wird durch Abführen der Raumluft über die Kamine in der Tiefe des Gebäudes sehr positiv zu be- ein Unterdruck in der Wohnung erzeugt, der über Lüfwerten ist, und die energetischen Verluste der tungsschlitze in den Blumenfenstern frische Außenluft Gebäude – neben der veralteten Heizungstechnik – in nachzieht. Diese kann sich im Scheibenzwischenraum erster Linie auf die Außenwände aus Hohlblocksteinen, natürlich erwärmen. die auskragenden Balkonplatten sowie die Fensterflä- Ein weiteres gestaltprägendes Bauteil sind die Treppenchen zurückzuführen sind. hausverglasungen. Die vorhandene Stahlkonstruktion Zu deutlichen Energieeinsparungen führte die Umstel- mit sehr filigranen Profilen sollte durch den Einbau einer lung der Heizung auf Fernwärme und die Erneuerung der Spar-Isolierverglasung energetisch verbessert Heizkörper und Heizleitungen. Für die denkmalgerech- werden. Dies bedingt eine zusätzliche innente Dämmung der Fassadenflächen wählten wir ein Wär- seitige Verstärkung der Konstruktion. Bei der medämmverbundsystem ( WDVS ). Dafür bietet sich ein Alternative – einem vollständigen Neubau als Phenolharz-Hartschaum an, der mit geringen Material- thermisch getrennte Aluminium-Pfosten-Riestärken hohe Dämmwerte erreicht. Im Brandfall ist er gel-Konstruktion – ginge durch die deutlich unkritisch, im Gegensatz zum herkömmlichen, allerdings breiteren und in ihrer Geometrie abgeänderten deutlich kostengünstigeren EPS-Material, das im Brand- Profile die transparente Wirkung der bestehenfall äußerst problematisch ist. Für andere Fassaden wie den Verglasung verloren. Die Ausführung steht derzeit etwa die Giebel ist auch der Einsatz eines dickeren und noch aus, ebenso wie es noch keine realen Messergebniskostengünstigeren Dämmmaterials denkbar. Zur Abwä- se zur eingesparten Energie gibt, da es sich um ein noch gung solcher Differenzierungen kann eine Software wie laufendes Projekt handelt, das 2011 umgesetzt wird. SeiLEGEP eingesetzt werden, mit der sich Wirtschaftlich- ne Besonderheit ist die Erprobung dieser Variablen als keits- und Nachhaltigkeitsparameter im Zusammenhang „ Stellschrauben “ zur Optimierung des Spannungsverbewerten lassen. hältnisses zwischen Kosten und Umweltwirkung. Mit einem mineralischen Dickschichtputz lässt sich ei- Bei einem Betrachtungszeitraum von 25 Jahren weichen ne Oberfläche herstellen, die dem Original weitgehend die einzelnen Ausführungsvarianten im Hinblick auf ihr entspricht und dabei deutlich langlebiger ist. Bei Einsatz Umweltbelastungspotenzial nicht wesentlich voneinaneines dünnschichtigen, kostengünsder ab, da hierfür hauptsächlich die Als glücklicher Umstand erwies sich hier tigeren Kunstharzputzes besteht Idie Nutzung des Gebäudes und nur zum Möglichkeit, das Planungsteam frei zusamdagegen nach Auswaschen der biozi- menzustellen. Mit dem Büro Transsolar für die geringen Teil Herstellung und Wardem Sachverständigenbüro den Konservierungsstoffe die Gefahr Gebäudetechnik, tung entscheidend sind. Betrachtet für Brandschutz Halfkann u. Kirchner und mit der Algen- und Pilzbildung, was den man die Energieeinsparmaßnahmen dem Büro Pichler Ingenieure für Tragwerk und konnte sowohl für den WettbewerbsLebenszyklus des Materials negativ Bauphysik durch die Brille der Erstinvestition, so erfolg als auch für die spätere Umsetzung ein opbeeinflusst. Im Falle des Abbruchs timales Team gebildet werden. zeigt sich im Mietwohnungsbau eine II Ziel des Projekts ist es, beispielhaft für eine müssten Dämmung und Putz wegen Vielzahl vergleichbarer Wohnsiedlungen die Ergeb- brisante Besonderheit : Hier schlagen des pastösen Putzauftrags als Son- nisse der Bauforschung bis hin zur praktischen Um- sich die Einsparungen in erster Linie setzung zusammenzutragen, auszuwerten und zu dermüll entsorgt werden. im Geldbeutel des Mieters nieder und dokumentieren. Die wissenschaftliche Betreuung Aus denkmalpflegerischer Sicht ist nicht in dem des Eigentümers, das des Projekts unterliegt der Forschungsgruppe von Dr. Weller an der TU Dresden, das interdiszidas geschosshohe Blumenfenster das Prof. heißt des Investors. Allerdings komplinäre Planungsteam wird geleitet von Winfried für die Architektur der Hoffmann- Brenne Architekten. Durch die Hinzuziehung ei- men am Ende alle energetischen Verin der Denkmalpflege erfahrenen FensterbauBauten charakteristische Element. nes besserungen der Umwelt und damit betriebs sollen darüber hinaus innovative handEine Vergrößerung der Wohnfläche werkliche Produktlösungen erarbeitet werden. auch der Allgemeinheit zugute. [ S. 186 ] Die Fassade der Wohnzeilen am Schillerpark zeichnet sich durch eine ungewöhnliche Kombination von Loggien und Balkonen aus. Zugleich scheint der verglaste Wohnraum bis auf den Balkon zu reichen.

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13 Das Blumenfenster, ein charakteristisches Element der Hoffmannschen Wohnbauten, dient als thermische Pufferzone und verbessert das Raumklima.

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Literatur

Allgemeine Literatur und Monografien

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Alt & Neu

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Alt & Neu

Internet-Auftritte der Architekturbüros Interview :

www.meixner-schlueter-wendt.de www.architektenbrueckner.de Addition :

www.architektenbrueckner.de www.reiachandhall.co.uk www.sunder-plassmann.com www.peterkulka.de www.search-arch.ch www.luederwaldt-architekten.de www.innocad.at www.rkw-as.de www.numrich-albrecht.de www.architektenbrueckner.de Transformation :

www.ruch-arch.ch www.andotadao.org www.broadwaymalyan.com www.bolwinwulf.de www.coastoffice.de www.adrianstreich.ch www.karo-architekten.de www.hhf.ch www.huberstaudtarchitekten.de www.heinlewischerpartner.de www.numrich-albrecht.de www.schneider-schumacher.de Umnutzung :

www.kokoarch.com www.op-architekten.com www.anderhalten.com www.lin-a.com www.duncanmccauley.com www.merkx-girod.nl www.bfm-architekten.de www.aff-architekten.com

Internet-Auftritte & Bildnachweis

Bildnachweis S. 7

Walter Nauerschnig, Berlin [ 1 ] S. 8 Haydar Koyupinar, Bayerische Staatsgemäldesammlungen [ 2 ] ; Jens Willebrand, Köln [ 3, 4 ] ; Jeroen Musch, Rotterdam [ 5 ] S. 9 Stiftung Preußischer Kulturbesitz / David Chipperfield Architects, Jörg von Bruchhausen, Berlin [ 6 ] ; Andrea Wandel, Wandel Höfer Lorch Architekten + Stadtplaner, Saarbrücken [ 7 ] ; Monika Marasz, Detmold [ 8 ] S. 12–13 Christoph Kraneburg, Köln [ 1, 2, 3 ] S. 15 Constantin Meyer, Köln S. 17 Heizkraftwerk Würzburg GmbH [ 1 ] ; Pier Arts Centre [ 2 ] ; Verein Zeughaus Kassel e.V. / Werner Lengemann [ 3 ] ; Museum Kunst der Westküste, Alkersum [ 4 ] ; SeARCH [ 6 ] ; Innocad Architekten, Graz [ 8 ] ; RKW Architektur + Städtebau, Büro Leipzig [ 9 ] S. 18–20 Constantin Meyer, Köln S. 22 Reiach and Hall Architects S. 23 Gavin Fraser  /  FOTO-MA [ 2 ] ; Ioana Marinescu [ 3, 4 ] S. 24 Alistair Peebles, Pier Arts Centre S. 25 Alistair Peebles, Pier Arts Centre [ 6 ] ; Gavin Fraser /  FOTO-MA [ 7 ] ; Reiach and Hall Architects [ 8 ] ; Ioana Marinescu [ 9 ] S. 26 Reiach and Hall Architects S. 27 Ioana Marinescu [ 10, 12 ] ; Alistair Peebles, Pier Arts Centre [ 11 ] S. 28–30 Constantin Meyer, Köln S. 29 Max-Eyth-Schule / Verein Zeughaus Kassel e.V. / Werner Lengemann [ 2 ] ; Christian Lemke, Kassel [ 3 ] S. 32–37 Frank Grießhammer, Den Haag S. 38–40 Jörg Schöner, Dresden S. 41 Peter Kulka Architektur S. 42–44 Christian Richters S. 45 SeARCH S. 46, 48, 49 Lukas Roth, Köln S. 47 Lüderwaldt Architekten S. 50, 52 © paul ott photografiert S. 51 Innocad Architekten, Graz S. 54, 55 Industrieterrains Düsseldorf-Reisholz AG / Dr. Pröpper [ 1, 2, 3 ] S. 55, 56 RKW Architektur + Städtebau [ 4, 5, 6, 7 ] S. 57 RKW Architektur + Städtebau [ 8, 9, 10 ] ; Gunter Binsack, Leipzig [ 11 ] S. 58–61 Gunter Binsack, Leipzig S. 62–65 Filippo Simonetti, Brunate S. 67 huber staudt architekten bda, Berlin [ 9 ] ; tadao ando architect & associates [ 1 ] ; Broadway Malyan [ 2 ] ; COAST office architecture [ 4 ] ; KARO* Architekten, Leipzig [ 6 ] ; Peter Affentranger Architekt [ 8 ] ; Adrian Streich Architekten [ 5 ] ; Bolwin Wulf Architekten, Berlin [ 3 ] ; Gottfried Planck, Universitätsbauamt Stuttgart und Hohenheim [ 10 ] ; HICOG (High Commissioner Germany) [ 12 ] ; Numrich Albrecht Klumpp Architekten / IGZ Großbeeren [ 11 ] ; HHF Architekten [ 7 ] S. 68–71 Andrea Jemolo [ 1, 2, 3, 4, 5 ] ; Alessandra Chemollo, Palazzo Grassi [ 6 ] S. 72, 73, 75 Fernando Guerra, Lissabon S. 74 Broadway Malyan S. 76–79 Rolf Sturm, Landshut S. 80–83 David Franck Photographie S. 84–86 Roger Frei, Zürich S. 85 Adrian Streich Architekten [ 3 ] S. 88–90 Anja Schlamann, Köln / Leipzig S. 90 KARO* Architekten [ 3 ] S. 92–94 Tom Bisig, Basel S. 93 HHF Architekten S. 95–97 Peter Affentranger Architekt

S. 98–100

Werner Huthmacher, Berlin Werner Huthmacher, Berlin [ 1 ] ; huber staudt architekten bda, Berlin [ 2, 3 ] ; Michael van Ooyen, Straelen [ 4 ] ; Klaus Legner, Moers [ 5, 9 ] ; Jens Willebrand, Köln [ 6, 7 ] ; Brigida González [8 ] S. 108–110 Brigida González S. 109 Jogi Hild Fotografie [ 4 ] S. 111 Heinle, Wischer und Partner S. 112–115 Nina Straßgütl S. 114 Numrich Albrecht Klumpp Architekten S. 116, 118 Jörg Hempel Photodesign, Aachen S. 117 HICOG (High Commissioner Germany) S. 119 Martin Brück 2009, Stiftung Bauhaus Dessau [ 1 ] ; Uta Pottgiesser [ 2 ] S. 120 Uta Pottgiesser [ 3 ]; Wolfgang Nigescher [ 4 ] S. 123 Stefan Müller, Berlin [ 5 ] ; Uta Pottgiesser [ 6 ] S. 124 Martin Brück 2009, Stiftung Bauhaus Dessau [ 1 ] ; Stefan Müller, Berlin [ 5 ] S. 125, 126 Kai Oswald Seidler [ 7 ] ; Julia Jungfer, Berlin [ 10 ] ; Frank Peter Jäger [ 11 ] S. 126 Uta Pottgiesser [ 8 ] ; Tchoban Voss Architekten [ 9 ] S. 127, 128 H. G. Esch, Hennef [ 12, 13 ] S. 128, 129 HPP Architekten [ 14 ]; Uta Pottgiesser [ 15, 16 ] S. 131 Ursula Böhmer, Berlin [ 4 ]; Kaido Haagen [ 1 ]; Merkx + Girod Architecten [ 7 ]; LIN Finn Geipel + Giulia Andi [ 5 ]; Bruno Fioretti Marquez Architekten [ 9 ]; Numrich Albrecht Klumpp Architekten [ 3 ]; OP Architekten [ 2 ]; Brückner & Brückner Architekten [ 8 ]; Duncan McCauley [ 6 ] S. 132, 133 Arne Maasik [ 1, 2, 3 ] ; Kaido Haagen [ 4 ] S. 135 Fred Laur [ 5, 8, 9 ] ; Kaido Haagen [ 6 ] ; Vallo Kruser [ 7 ] S. 136 Ula Tarasiewicz, OP Architekten S. 138, 139 Wojciech Popławski [ 2 ] ; Wallphotex, OP Architekten [ 3, 4, 5, 6, 7 ] S. 143–144 Hempel & Partner Ingenieure, Köln S. 146–147 Hempel & Partner Ingenieure, Köln S. 145, 146 Architekten Kleineberg & Pohl, Braunschweig [ Schnitt / Grundriss ] S. 148, 149, 151 Werner Huthmacher, Berlin S. 150 Numrich Albrecht Klumpp Architekten S. 152, 153 Ursula Böhmer, Berlin S. 154, 155 Werner Huthmacher, Berlin [ 2, 3, 4, 6 ] ; Ursula Böhmer, Berlin [ 5 ] S. 156, 157 Christian Richters [ 1, 4 ] ; Hans-Michael Földeak, LIN [ 2 ] ; Jan-Oliver Kunze, LIN [ 3 ] S. 159 Jan-Oliver Kunze, LIN [ 5 ] ; Christian Richters [ 6, 7 ] S. 160 Christian Richters [ 8, 9, 10 ] S. 161–163 Jan Bitter, Berlin S. 164, 66, 167 Roos Aldershoff Fotografie S. 168, 169, 171 Peter Manev, Selb S. 172, 174–177 Annette Kisling, Berlin [ 1, 2, 3, 7, 9 ] ; Christoph Rokitta, Berlin [ 4, 6, 10 ]; Stadt Schweinfurt [ 5 ] S. 178, 180, 181 Sven Fröhlich, AFF Architekten S. 183–188 Holger Herschel, Berlin [ 1, 2, 4, 5, 6, 7, 8 ] ; Winfried Brenne Architekten [ 3, 9, 10, 11, 12, 13 ] S. 102–107

Wir haben uns bemüht, sämtliche Rechteinhaber ausfindig zu machen. Sollte uns dies in Einzelfällen nicht gelungen sein, so bitten wir diese, sich beim Verlag zu melden.

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Alt & Neu

Herausgeber, Autoren, Textquellen & Danksagung

Der Herausgeber

Frank Peter Jäger Frank Peter Jägers Faszination für Städte, Stadtlandschaften und ihre Bauten reicht bis in Kindertage zurück. Erste, prägende Eindrücke waren dabei die Reihenhäuser und Hochhausmäander einer monotonen 1960er-Jahre-Siedlung ebenso wie die monumentalen Ziegelhüllen der Brikettfabriken und Kraftwerke im rheinischen Braunkohlerevier ; außerdem – blassblau im Bildhintergrund – das gotische Steingebirge des Kölner Doms. Der Wunsch, wertvolle Bauten der Vergangenheit mit Zukünftigem zu verbinden, keimte bald auf und führte schließlich zum Thema Bauen im Bestand. Dipl.-Ing. Frank Peter Jäger ist als Publizist sowie als PR-Dienstleister für Architekten tätig ; daneben Lehraufträge an Unis und Fortbildungstätigkeit, u.a. an Architektenkammern. Seine journalistische Ausbildung erhielt er in den Weiten von Brandenburg und bei der FAZ ; seitdem ist er als Autor und Architekturkritiker für verschiedene Tageszeitungen und Fachmedien tätig. Parallel entstanden mehrere Bücher, u.a. Dorotheenhöfe, ein Bildband zum Berliner Werk von Oswald Mathias Ungers. Ein vertrautes Thema ist für Jäger die Berufspraxis von Planern : 2004 erschien Offensive Architektur, ein PR-Handbuch für Architekten, 2008 Der neue Architekt – erfolgreich am veränderten Markt. Frank Peter Jäger lebt in Berlin und hat einen sechsjährigen Sohn. www.archikontext.de / [email protected]

Autoren der Projektporträts

Textquellen

Hubertus Adam Hubertus Adam wurde 1965 in Hannover geboren und studierte in Heidelberg Kunstgeschichte, Philosophie und Archäologie. Seit 1992 arbeitet er als freiberuflicher Kunst- und Architekturhistoriker sowie als Architekturkritiker für verschiedene Zeitschriften und Zeitungen, u.a. für die Neue Zürcher Zeitung . 1998 übersiedelte er in die Schweiz und ist als Redakteur zuständig für die Zeitschrift archithese . Daneben Tätigkeiten als Jurymitglied, Moderator und Kurator. Zahlreiche Bücher und Buchbeiträge. 2004 Swiss Art Award für den Sektor Kunst- und Architekturvermittlung.

Die Beschreibungen der Projekte stammen vom Herausgeber ( FPJ ) oder den am Textanfang genannten Autoren. Bei den nachfolgend aufgeführten Projektbeschreibungen geht der Text auf eine Beschreibung des betreffenden Architekturbüros zurück, die vom Herausgeber redaktionell überarbeitet und ergänzt wurde. [ S. 28 ] Cafeteria in der Zeughausruine, Prof. Hans-Joachim Neukäter, Hochbauamt Kassel [ S. 38 ] Überdachung Kleiner Schlosshof Dresden, Peter Kulka Architektur [ S. 76 ] Sparkasse Berchtesgadener Land, Bolwin Wulf Architekten [ S. 80 ] Rathaus Weinstadt, COAST office architektur [ S. 84 ] Siedlung Heuried, Adrian Streich Architekten AG [ S. 95 ] Schule Dagmersellen, Peter Affentranger Architekt [ S. 116 ] Bürohaus Siesmayerstraße, schneider+schumacher [ S. 152 ] Lehrgebäude FH Wildau, Anderhalten Architekten [ S. 156 ] Kulturzentrum Alvéole 14, LIN Finn Geipel + Giulia Andi

Anneke Bokern Anneke Bokern, geboren 1971, hat in Berlin Kunstgeschichte studiert und lebt seit 2000 als freie Architektur- und Designjournalistin in Amsterdam. Ihre Artikel erscheinen u.a. in Bauwelt, Baumeister, db, Metamorphose, design report, NZZ, Frame, Mark und DAMn° Magazine. www.anneke-bokern.de

Claudia Hildner Claudia Hildner studierte Architektur in München und Tokio. Anschließend Volontariat bei der Zeitschrift Baumeister ; seit 2007 ist sie als freie Journalistin und Redakteurin für verschiedene Architekturzeitschriften und -verlage tätig. Ihre Schwerpunkte sind Bauen im Bestand und Japan. www.childner.de

Simone Jung Simone Jung, 1978 in Hessen geboren, studierte nach kaufmännischer Ausbildung Publizistik, Soziologie und Kunstgeschichte in Mainz, Lüneburg und Bologna. Ihre praktischen Erfahrungen sammelte sie im Kulturund Medienbereich ( u.a. N24, Deutsche Welle, De-Bug, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, taz ). Heute lebt sie in Berlin und schreibt als freie Autorin über Kultur und Gesellschaft. Frank Vettel Frank Vettel, geboren 1964, studierte Architektur und Städtebau an der TU Darmstadt. Seit 1992 in verschiedenen Berliner Architekturbüros tätig. 1998 nach Hochbaureferendariat II. Staatsexamen. Seit 1998 tätig im Bezirk Berlin-Friedrichshain ; 2003 Amtsleiter Hochbau, 2007 Amtsleiter Facility Management. Wettbewerbe u. a. Berlin Museum ( Mitarbeit bei  Stefan Forster ).

Danksagung

Kein Architekturbuch funktioniert ohne die tatkräftige Unterstützung derjenigen, die die Projekte geplant und gebaut haben. Deshalb dem Hochbauamt Kassel und Prof. Hans-Joachim Neukäter sowie allen Architekturbüros, deren Bauten im Buch vertreten sind, ein herzliches Dankeschön für die Überlassung und teilweise Aufbereitung des Projektmaterials. Die Aufgeschlossenheit von Claudia Meixner, Florian Schlüter und der Brüder Peter und Christian Brückner gegenüber meiner Interviewidee hat mich sehr gefreut. Alle zwölf Co-Autoren dieses Buchs haben viel Enthusiasmus und Energie in ihre Beiträge investiert. Dank an alle und speziell an Prof. Dr. Rainer Hempel für die layoutgerechte Aufbereitung von Plänen und Schnitten seiner Projekte. Prof. Dr. Uta Pottgiesser und Julia Kirch von der Hochschule Ostwestfalen-Lippe haben sich weit über das zu erwartende Maß hinaus um Alt & Neu verdient gemacht, einschließlich der LissabonRecherche ihrer brasilianischen Kollegin Luiza Corrêa. Simone Jung und Teodora Vasileva möchte ich für die Recherchen und die nicht immer unkomplizierte Materialbeschaffung danken.