Abschied, Reise und Wiedersehen bei Shakespeare: Zur Gestaltung und Funktion epischer und romanhafter Motive im Drama 9783110940664, 9783484421295

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Abschied, Reise und Wiedersehen bei Shakespeare: Zur Gestaltung und Funktion epischer und romanhafter Motive im Drama
 9783110940664, 9783484421295

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
Erster Hauptteil. Zur szenischen Darstellung von Abreise, Unterwegs-Sein und Ankunft bei Shakespeare
Zweiter Hauptteil. Zur Funktion der Reisemotivik bei Shakespeare
Ausblick
Literaturverzeichnis
Personen- und Sachregister
Werkregister

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BUCHREIHE DER ANGLIA ZEITSCHRIFT FÜR ENGLISCHE PHILOLOGIE Herausgegeben von Helmut Gneuss, Hans Käsmann, Erwin Wolff und Theodor Wolpers 29. Band

THOMAS K U L L M A N N

Abschied, Reise und Wiedersehen bei Shakespeare Zu Gestaltung und Funktion epischer und romanhafter Motive im Drama

MAX NIEMEYER VERLAG T Ü B I N G E N 1989

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT GmbH.

Meinen Eltern

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Kulimann,

Thomas:

Abschied, Reise und Wiedersehen bei Shakespeare : zu Gestaltung und Funktion epischer und romanhafter Motive im Drama / Thomas Kulimann. - Tübingen : Niemeyer, 1989 (Buchreihe der Anglia, Zeitschrift für englische Philologie ; Bd. 29) NE: Anglia / Buchreihe ISBN 3-484-42129-0

ISSN 0340-5435

© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1989 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Druckerei Maisch + Queck, Gerlingen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

VII

Einleitung

1

ERSTER HAUPTTEIL Zur szenischen Darstellung von Abreise, Unterwegs-Sein und Ankunft bei Shakespeare 1. Vorbemerkung: Statische und dynamische Szenen

15

2. Die Abschiedsszenen

19

a) Abschied als literarisches Motiv vor Shakespeare

19

b) Trennungen in den frühesten Dramen Shakespeares c) Die Abschiedsszenen von Henry VI, Part 2 bis Henry V: Die Herausbildung eines Szenentyps

27 29

d) Die Abschiedsszenen von As You Like It bis Macbeth: Variationen einer gegebenen Form

53

e) Die Abschiedsszenen von Antony and, Cleopatra bis The Tempest und The Two Noble Kinsmen: Abschied als Ritual der fortdauernden Zusammengehörigkeit

74

f) Zusammenfassung

94

3. Die Begrüßungsszenen

98

a) Begrüßung als literarisches Motiv vor Shakespeare b) Begrüßungen in den frühesten Dramen Shakespeares c) Die Begrüßungsszenen von The Two Gentlemen of Verona bis As You Like It: Die Verwendung eines neuen Szenentyps d) Die Begrüßungsszenen von Hamlet bis Macbeth: Variation und Problematisierung des Begrüßungsmotivs

98 108 116 137

e) Die Begrüßungsszenen von Antony and Cleopatra bis The Tempest: Begrüßung als Ritual der Rückkehr und der Versöhnung

156

f) Zusammenfassung

170 V

4. Die Reisevorbereitungsszenen und Reiseszenen

174

a) Die szenische Darstellung von Reisen im Drama vor Shakespeare . 174 b) Die Reiseankiindigungs- und Reisevorbereitungsszenen c) Die Reiseszenen

177 195

d) Zusammenfassung

209

5. Nichtszenische Mittel der Verdeutlichung von Reisen und Geographie

210

6. Zwischenbilanz

221

ZWEITER HAUPTTEIL Zur Funktion der Reisemotivik bei Shakespeare 1. Vorbemerkung: Der Begriff "Romance"

225

2. Die Bedeutungen der Reisewege

232

a) Reisewege in der Literatur vor Shakespeare

232

b) Die Reisemetaphorik in Shakespeares Dramen c) Das Scheitern des Rittertums

238 244

d) Bewährung in Idealwelten e) Das Umherirren in der Wildnis

251 260

f ) Bewährung auf Seereisen

263

g) Zusammenfassung

276

3. Die Bedeutungen der Reiseziele

277

a) Reiseziele in der Literatur vor Shakespeare

277

b) Das Wiedersehen am Ende der Reise

281

c) Der Tod als Reiseziel d) "Journeys end in lovers meeting"

286 291

e) Die allumfassende Harmonie am Ende der Reise f ) Zusammenfassung

304 315

Ausblick

319

Literaturverzeichnis

327

Personen- und Sachregister

335

VI

Vorwort Das vorliegende Buch stellt die leicht überarbeitete Fassung einer Arbeit dar, die im Sommer 1987 von der Neuphilologischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation angenommen wurde. Herr Professor Kurt Otten hat das Entstehen der Arbeit durch seine stete Ermutigung, seine vielfältigen Anregungen und seine wohlwollende Kritik maßgeblich gefördert. Ihm möchte ich an dieser Stelle herzlich danken. Außerdem danke ich den Herren Professoren W. Berschin, K. Heitmann und H.-J. Zimmermann für wichtige Hinweise. Mein Dank gilt weiterhin den Herausgebern der „Anglia", den Herren Professoren H. Gneuss, H. Käsmann, E. Wolff und Th. Wolpers, für die Aufnahme der Arbeit in ihre Buchreihe. Zu danken habe ich schließlich der Studienstiftung des deutschen Volkes für die Gewährung eines Promotionsstipendiums und der Verwertungsgesellschaft Wort für die Bewilligung einer Druckkostenbeihilfe. Heidelberg, im Juli 1988

Thomas Kullmann

VII

Einleitung In fast allen Dramen Shakespeares begeben sich Personen auf weite Reisen,1 von denen oft sowohl der Anfangs- als auch der Endpunkt auf der Bühne dargestellt werden, nicht selten auch Zwischenstationen auf dem Weg der Reisenden zu ihrem Ziel. Das Motiv Reise spielt also in einem Großteil von Shakespeares dramatischem Werk eine wichtige Rolle und bietet sich daher als Gegenstand für eine vergleichende Untersuchung an. Von diesem handlungsstrukturierenden Motiv hängen, wie zu zeigen sein wird, weitere Strukturelemente ab, vor allem die Motive Abschied und Begrüßung, die sich durch das gesamte Werk Shakespeares hindurchverfolgen lassen. Obwohl strukturelle Fragen seit langem ein wichtiges Anliegen der Shakespeareforschung sind, ist der Reisemotivik bisher überraschenderweise noch keine kritische Würdigung zuteil geworden. Mögliche Gründe hierfür werden noch zur Sprache kommen. Dieses Versäumnis der Forschung scheint das Unterfangen zu rechtfertigen, die Fülle der Literatur zum Thema Shakespeare durch eine weitere Studie zu bereichern. In der vorliegenden Untersuchung soll also versucht werden, von einem neuen Ansatz aus ein Grundmuster in Shakespeares Dramen deutlich werden zu lassen. Vom Ausgangspunkt der Reisemotivik her sollen auch grundsätzliche Elemente der dramatischen Kunst Shakespeares herausgestellt und der Versuch unternommen werden, die Stellung dieses Dramatikers innerhalb der Geschichte des europäischen Dramas genauer zu bestimmen, als dies bisher geschehen ist. In welchem Maße die Reisemotivik die Struktur vieler Dramen Shakespeares prägt, wird etwa an folgenden Beispielen deutlich: Romeo verabschiedet sich von Juliet und verläßt Verona (III, 5), 2 kommt nach 1

2

Nur vier Dramen, Much Ado About Nothing, The Merry Wives of Windsor, Measure for Measure und Henry VIII, können als Ausnahmen angesehen werden, doch ist selbst in diesen Dramen die Welt außerhalb des jeweiligen Schauplatzes nicht ganz ohne Bedeutung. Akt- und Szenenangaben folgen ebenso wie Zitate den letzten Ausgaben des Arden Shakespeare, edd. Harold F. Brooks et al. (London, 1951-1982). Zum Vergleich wird gelegentlich die Ausgabe Peter Alexanders (William Shakespeare, The Complete Works

1

Mantua (V, 1) und kehrt nach Verona zurück, um sich im Familiengrab der Capulets das Leben zu nehmen (V, 3). In Richard II geht Bolingbroke in die Verbannung (1,3) und kehrt über Berkeley (II, 3) und Flint Castle (III, 3) nach London zurück (IV, 1), wo er sich zum König krönen läßt. In As You Like It brechen Rosalind, Celia und Touchstone vom Hof Duke Fredericks (I, 3), Orlando und Adam vom Anwesen Olivers (II, 3) auf, treffen im Forest of Arden auf den Schäfer Corin (II, 4) bzw. auf die Hofgesellschaft von Duke Senior (II, 7), bis schließlich alle Beteiligten in der Schlußszene zusammentreffen. Lear verläßt seinen Palast nach der ersten Szene des Dramas und gelangt nach Versuchen, bei Goneril (1,4) und Regan (II, 4) Aufnahme zu finden, und dem Umherirren auf der Heide (III, 2; III, 4 und III, 6) nach Dover (IV, 7), wohin, zum Teil auf anderen Wegen, auch Cordelia, Kent, Edgar und Gloucester kommen. Imogen und Posthumus trennen sich am Anfang von Cymbeline (1,2), um sich nach Reisen, die sie nach Rom (I, 5) bzw. zur Höhle des Belarius in Wales führen, in der Schlußszene in Milford-Haven wiederzusehen. Schon diese Beispiele deuten auf ein Handlungsmuster, das sich in Komödien und Tragödien ebenso findet wie in zumindest einem history play, Richard II, und das Dramen aus allen Phasen von Shakespeares Schaffen gemeinsam ist. Auch in Dramen, die ganz oder weitgehend an einem einzigen Ort spielen, wie The Comedy of Errors, Twelfth Night, Hamlet und The Tempest, sind Reisen oft von großer Bedeutung: Egeon und Antipholus of Syracuse treffen in Ephesus ein (I, 1 bzw. 1,2); Viola und Sebastian stranden in Illyrien (1,2 bzw. II, 1), die Schiffbrüchigen im Tempest auf der Insel Prosperos (II, 1); Laertes bricht von Elsinore nach Paris auf (I, 3), um später (IV, 5) wieder in Dänemark aufzutauchen; auch Hamlet verläßt Dänemark und kehrt zurück (IV, 3; V, 1); am Ende des Tempest schließlich wird die Abreise der Personen von der Insel angekündigt. In diesen Dramen tritt zwar nicht die vollständige oben genannte Struktur mit Anfang und Ende der Reise in Erscheinung, wohl aber einzelne Teile von ihr. Diese strukturellen Gemeinsamkeiten von Shakespeares Dramen werden noch deutlicher, wenn man nach den Beweggründen fragt, die Shakespeares Dramenhelden zum Reisen veranlassen. Diese weichen von der Wirklichkeit seiner Zeit nicht unerheblich ab: Wenn ein Engländer der elisabethanischen Zeit ins Ausland reiste, dann tat er dies, um [London, Glasgow, 1951]) herangezogen. Das von Shakespeare zusammen mit John Fletcher verfaßte Drama The Two Noble Kinsmen wird zitiert nach der Ausgabe von N. W. Bawcutt, New Penguin Shakespeare (Harmondsworth, 1977).

2

Handel zu treiben,3 sich zu bilden4 oder Sehenswürdigkeiten aufzusuchen. Diese Gründe des Reisens finden auch im zeitgenössischen Drama ihren Niederschlag, der Handel etwa in Dekkers Shoemaker's Holiday, der Tourismus in Jonsons Volpone; sie sind bei Shakespeare jedoch von untergeordneter Bedeutung. Die relevanten Stellen sind schnell genannt: In The Taming of the Shrew ist Lucendo zu Studienzwecken nach Padua gereist; am Anfang von The Two Gentleman of Verona verabschiedet sich Valentine von seinem Freund Proteus, um in der Fremde seine Bildung zu vervollständigen; Laertes bricht aus ähnlichen Gründen nach Paris auf, während Hamlet die Erfüllung seines Wunsches, zur Fortsetzung seines Studiums nach Wittenberg zurückzukehren, versagt bleibt. Die touristische Gewohnheit, Sehenswürdigkeiten aufzusuchen, findet etwa in der Comedy of Errors und in Twelfth Night Erwähnung.5 Der Handel spielt ebenfalls in der Comedy of Errors eine Rolle, wo Egeon "merchant of Syracusa" (1,1,3) genannt wird; außerdem im Merchant of Venice, wo Antonio Handelsschiffe in alle Welt ausgesandt hat. Daneben ist der Handel gelegentlich Gegenstand von Vergleichen und Metaphern.6 Der Grund der Reise ist bei Shakespeare jedoch in den meisten Fällen ein ganz anderer: In der Comedy of Errors befinden sich Egeon und Antipholus of Syracuse auf der Suche nach dem Zwillingsbruder des Antipholus und nach Emilia, der Mutter der Zwillinge. Ein anderes Beispiel ist Julia in The Two Gentlemen of Verona, die ihrem geliebten Proteus nachreist. In beiden Dramen werden die Reisen nicht zum Vergnügen oder aufgrund eines kaufmännischen Gewinnstrebens unternommen. Allein das Bedürfnis, geliebte Angehörige wiederzusehen, kann die Dramenhelden dazu veranlassen, die Gefahren und Strapazen des Reisens auf sich zu nehmen. Die Reise stellt in beiden Dramen eine Grenzsituation dar, die Liebe, Mut und Standhaftigkeit der Personen auf die Probe stellt. Noch deutlicher wird diese Funktion der Reise in den Fällen, in denen sie nicht freiwillig unternommen wird: Oft wird ein Dramenheld verbannt oder verliert auf andere Weise sein Zuhause. Die Situation des 3

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Zur Bedeutung des Handels siehe z. B. Hildegard Hammerschmidt, Die Importgüter der Handelsstadt London als Sprach- und Bildbereich des elisahethanischen Dramas (Heidelberg, 1979). Vgl. Ruth Kelso, The Doctrine of the English Gentleman in the Sixteenth Century, University of Illinois Studies in Language and Literature, Bd. 14, 1-2 (Urbana, Hl., 1929), S. 142-146. Siehe ζ. Β. Errors, I, 2, 12-13 und Twelfth Night, III, 3, 19-24 und 41-42. Vgl. u . S . 241.

3

Menschen, der sich nicht zu Hause befindet bzw. in der Umgebung, in der er sich aufhält, fremd ist, kann, wie im Verlauf dieser Untersuchung gezeigt werden soll, geradezu als eine Grundsituation von Shakespeares Dramen angesehen werden. Schon Proteus in den Two Gentlemen of Verona unternimmt seine Bildungsreise nicht aus eigenem Antrieb (1,3), sondern auf Anordnung seines Vaters, der ihn von Julia fernhalten will. Neben den schon erwähnten Dramen (Romeo and Juliet, Richard II, As You Like It, King Lear und Cymbeline) kann A Midsummer Night's Dream in diesem Zusammenhang genannt werden: Die Liebenden fühlen sich fremd in Athen, da sie in dieser Stadt nicht mehr auf die Erfüllung ihrer Liebe hoffen. Deshalb sind sie genötigt, Athen zu verlassen. In ihrer jeweiligen Umgebung fremd fühlen sich außerdem Hamlet, für den der dänische Hof kein wirkliches Zuhause darstellt, Antony, der in Antony and Cleopatra zwischen Rom und Ägypten schwankt, und Coriolanus, der es nicht versteht, in Rom, seiner Vaterstadt, wirklich heimisch zu werden. Das Zuhause, in dem eine Person ,sie selbst sein' bzw. die ihr zukommende Rolle spielen kann, ist für Shakespeares Dramenhelden offensichtlich eine existentielle Notwendigkeit. Die Bedeutung des Zuhauses erklärt auch, warum die Rituale von Abschied und Begrüßung bei Shakespeare eine so große Rolle spielen. In den einzelnen Teilen der vorliegenden Arbeit soll die Reisemotivik bei Shakespeare von verschiedenen Blickwinkeln aus unter die Lupe genommen werden. Im Ersten Hauptteil bilden dabei die Techniken der szenischen Gestaltung den Ausgangspunkt, während im Zweiten Hauptteil von den unterschiedlichen Ausprägungen der Reisemotivik aus vorgegangen werden soll. Daß sich hierbei Überschneidungen kaum vermeiden lassen, liegt auf der Hand. Wiederholungen bei der Formulierung der Untersuchungsergebnisse wurden bewußt nicht vermieden, um die Lesbarkeit der Arbeit nicht zu beeinträchtigen. Wie im Ersten Hauptteil der Untersuchung im einzelnen gezeigt werden soll, wird dem Zuschauer in ausgedehnten Abschiedsszenen die Loslösung des reisenden Menschen von seiner Umgebung vor Augen geführt. Gleichzeitig wird das Fortdauern der Bindung zwischen Gehendem und Bleibendem deutlich; der Abreisende löst sich trotz der Trennung meist nicht vollkommen aus seiner alten Umgebung. Indessen gibt es bei den Abschiedsszenen im Detail zahlreiche interessante Unterschiede, die im einzelnen zu untersuchen sein werden. Die Aufnahme eines Reisenden in ein neues Zuhause wird dem Zuschauer oft durch Begrüßungsszenen vor Augen geführt, die Gegen4

stand eines weiteren Abschnitts sein sollen. Auch hier ist die jeweilige Art der Szenengestaltung wichtig: Es wird deutlich, inwieweit die Reisenden in der Fremde tatsächlich ein neues Zuhause finden. Hierbei ist die Rolle interessant, die höfische Umgangsformen bei der Begrüßung eines Fremden spielen. Die Bedeutung der Einhaltung bzw. Nichteinhaltung der ,höfischen Normen' wird einer näheren Betrachtung zu unterziehen sein. Die beiden Szenentypen ,Abschied' und ,Begrüßung' erfüllen, was die Darstellung von Reisen betrifft, auch wichtige dramaturgische Funktionen. Durch Vorausschau und Rückblick können in diesen Szenen ausgedehnte Ortsveränderungen vergegenwärtigt werden, deren dramatische Darstellung sich wegen der Begrenztheit des Bühnenraums meist verbietet. Abschieds- und Begrüßungsszenen gehören, wie zu zeigen sein wird, zu den Strukturelementen, die ein dramatisches Geschehen, das die Einheiten des Ortes und der Zeit in eklatanter Weise verletzt, für die Zuschauer gewissermaßen zusammenhalten'. An die Stelle eines auf der Bühne dargestellten Abschieds tritt dabei gelegentlich eine Szene, in der eine Reise angekündigt bzw. vorbereitet wird. In einigen Dramen finden sich auch Szenen, die die Personen auf der Reise selbst darstellen. Diese beiden Szenentypen sollen Gegenstand eines weiteren Abschnitts sein. Shakespeare scheint, wie in dieser Untersuchung aus dem Blickwinkel der Reisemotivik deutlich gemacht werden soll, das Ideal einer von der Natur vorgesehenen harmonischen Gesellschaftsordnung vor Augen zu haben, in der jeder seine spezifische Funktion wahrnimmt. Nur in einer Umgebung von Angehörigen und Freunden kann sich der Mensch bei Shakespeare selbst genügen und innerhalb einer familiären oder staatlichen Gemeinschaft seinen Beitrag zum allgemeinen Wohlergehen leisten. Die fehlende Einbindung eines Menschen in seine Umgebung bzw. seine Unfähigkeit, die ihm in dieser Umgebung zukommende Rolle wahrzunehmen, wird, wie gezeigt werden soll, in Shakespeares Dramenhandlungen durch die Situation des Sich-in-der-Fremde-Befindens bzw. der Reise abgebildet. Wenn ein Dramenheld heimatlos geworden ist bzw. sich in der Fremde befindet, ist er bei Shakespeare automatisch auf einer Suche nach einem neuen Zuhause oder strebt eine Rückkehr nach seinem alten Zuhause an. In jedem Fall befindet er sich auf dem Weg zu einem Ziel, das seiner eigentlichen Bestimmung entspricht. Dies gilt für Romeo ebenso wie für die Liebenden im Midsummer Night's Dream; außerdem für Bolingbroke, Orlando, Rosalind, Viola, Sebastian, Helena, Othello, 5

Lear, Kent, Edgar, Pericles, Imogen, Posthumus, Perdita, Florizel und die Personen im Tempest. Oft wird die existentielle Natur dieser Suche durch die Gefahren verdeutlicht, die das Reisen über stürmische Meere, durch dunkle Wälder oder durch öde Landstriche mit sich bringt und durch die der Reisende auf unterschiedliche Weise ,geprüft' wird. Die verschiedenen Funktionen der Reisewege sollen im Zweiten Hauptteil dieser Arbeit erörtert werden. Wie bereits dieser erste Uberblick zeigt, ist die soziale Einbindung das wichtigste Element, das das Zuhause einer Person ausmacht. Der Verlust des Zuhauses beim Antritt der Reise besteht vor allem in der Trennung von geliebten Personen. So muß sich Romeo von Juliet trennen, ebenso wie Posthumus von Imogen, Bassanio verläßt Antony, um nach Belmont zu reisen, Lear findet sich getrennt von seinen Töchtern auf der Heide wieder. Die Suche nach einem neuen Zuhause besteht hingegen im wesentlichen im Streben nach sozialem Anschluß in einer zunächst fremden Welt. Die Fähigkeit zur Kontaktaufnahme bzw. zur Eingliederung ist eine der Qualitäten, die bei Shakespeares Dramenhelden ,geprüft' werden. So findet Bassanio nach der Kästchenprobe Aufnahme in Belmont, Orlando gelingt es, sich erst in die Gesellschaft um Duke Senior im Wald und dann in die Schäferwelt Rosalinds und Celias einzugliedern, Viola wird am Hof von Duke Orsino heimisch, Othello und Desdemona scheinen in Zypern Aufnahme zu finden, Imogen wird erst von Belarius, Guiderius und Arviragus in die Welt auf den Hügeln von Wales und später von Lucius in die Welt der römischen Armee aufgenommen, Ferdinand schließlich findet - durch Miranda ein vorläufiges Zuhause auf Prosperos Insel. Sehr oft handelt es sich bei Trennungen und Begegnungen in Shakespeares Dramen um Ubergänge nicht nur von einer Welt in eine andere, sondern auch von einer Lebensphase in eine neue. Trennungen und Begegnungen stellen nicht selten entscheidende Schritte in der ,Lebensreise' von Shakespeares Personen dar. Es wird zu klären sein, ob man hier von "rites de passage" im Sinne des Anthropologen Arnold van Gennep sprechen kann.7 Natürlich stellt sich auch die Frage einer möglichen symbolischen Deutbarkeit der Reisemotivik. Aus der Untersuchung des Motivs Reise bei Shakespeare ergeben sich zwei Fragenkomplexe, die über den eigentlichen Untersuchungsgegenstand hinausführen. Der eine betrifft Shakespeares Kunst der Schöpfung 7

Arnold van Gennep, Les rites de passage (Paris, 1909); vgl. Edward Berry, speare's Comic Rites (Cambridge, 1984), S. 1-32 et passim.

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Shake-

individueller Charaktere. Wenn Reisen bei Shakespeare für die Dramenhelden Prüfungen und Ubergänge in eine neue Lebensphase darstellen, bieten dann nicht gerade Grenzsituationen dieser Art dem Dramatiker die Möglichkeit, im differenzierten Verhalten der Personen deren Individualität deutlich werden zu lassen? So ließe sich vermuten, daß gerade die Situation des Unterwegs-Seins und die Bedrohungen einer fremden Welt den geeigneten Hintergrund bilden, vor dem sich zum Beispiel die Persönlichkeiten von Antipholus of Syracuse, den Liebenden im Midsummer Night's Dream, Orlando, Rosalind, Celia, Lear, Imogen und den Schiffbrüchigen im Tempest bühnenwirksam entfalten können. Bei der umstrittenen Frage, inwieweit man bei Shakespeare von Charakteren und Charaktereigenschaften sprechen kann, bietet die Untersuchung der Reisemotivik vielleicht einige neue Ansatzpunkte. Der andere Fragenkomplex betrifft die literarhistorische Einordnung der zu untersuchenden Phänomene. Hier ist zunächst die interessante Feststellung zu treffen, daß sich das Motiv der Reise, die in ihrer Gesamtheit, mit Anfangs- und Endpunkt, zur Darstellung kommt, vor Shakespeare in der Gattung Drama kaum findet. Soweit plots, die Reisen zum Inhalt haben, vor Shakespeare doch einmal Gegenstand eines Dramas sind, handelt es sich um Werke geringer Qualität, denen eine dramatische Spannung ebenso abgeht wie verisimilitude, zwei Punkte, auf die Shakespeare, wie immer wieder deutlich werden wird, sehr viel Wert legte. Gerade seine Abschieds- und Begrüßungsszenen erweisen sich hierfür als geeignetes Instrument. Diese Szenentypen aber mußte sich Shakespeare, wie zu zeigen sein wird, im wesentlichen selbst schaffen. Das Motiv der Bewährung eines Helden auf Reisen findet sich in Antike, Mittelalter und Renaissance vor allem in nichtdramatischen Werken, in Epos und Roman; man denke an Homers Odyssee, Vergils Aeneis, die spätgriechischen Liebesromane, die altfranzösischen höfischen Versromane, den spanischen Amadis-Roman, Ariosts Epos Orlando furioso und Camôes' Epos Os Lusiades. Gerade in der Zeit unmittelbar vor Shakespeares Schaffen spielt das Motiv des sich auf eine Suche, eine quest, in die Fremde begebenden Helden, der auf seiner Reise mannigfache Bewährungsproben über sich ergehen lassen muß, in Epos und Roman eine wichtige Rolle, so in Tassos Gerusalemme liberata, Sidneys Arcadia und Spensers Faene Queened 8

Das Motiv der quest eines Helden wird nicht selten als konstitutiv für die Gattungen Epos und Roman angesehen, siehe z. B. Dieter Schulz, Suche und Abenteuer: Die ,Quest' in der englischen und amerikanischen Erzählkunst der Romantik (Heidelberg,

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Daß die Reisemotivik bei Shakespeare in der Forschung bisher unberücksichtigt blieb, mag darauf zurückzuführen sein, daß meist versucht wurde, Shakespeare in den Kontext der Gattung Drama zu stellen, so daß mögliche Einflüsse aus anderen Bereichen (wie Epos und Roman) weniger Beachtung fanden. So werden bei der Frage nach Vorformen von Shakespeares dramatischer Kunst und seiner Stellung in der Literaturgeschichte meist die römischen Dramatiker bemüht, also Plautus, Terenz und Seneca,9 oder aber einheimische Dramenformen wie morality play und mystery play. Die Ansicht, literarische Entwicklungen verliefen ,gattungsimmanent', ist offensichtlich weit verbreitet. Sie hat dazu geführt, daß eine historische Einordnung der Motive und Bauformen, die im einheimischen englischen Theater vor Shakespeare fehlen, meist unterblieb. Schon ein Blick auf die unmittelbaren Quellen der Dramen zeigt jedoch, daß Shakespeare aus nichtdramatischen Werken (Epen, Romanen, Novellen und Lyrik) oft weit stärkere Anregungen bezog als aus der antiken oder einheimischen dramatischen Literatur. Die Vermutung liegt nahe, daß auch die dramatischen Bauformen Shakespeares bisweilen auf nichtdramatische Vorbilder zurückzuführen sind. Diese Frage wird bei der Untersuchung der Abschieds- und Begrüßungsszenen zur Sprache kommen. Es soll hierbei die These aufgestellt werden, daß Shakespeare gerade deshalb die Gattung Drama in so erstaunlichem Umfang formal und inhaltlich bereichern konnte, weil er bemüht war, ein für Epos und Roman typisches Thema auf die Bühne zu bringen: die Reisen von Menschen, die sich auf einer ihre Existenz betreffenden Suche befinden. Auch wenn das Motiv Reise bei Shakespeare bisher noch keiner eingehenden Untersuchung unterzogen worden ist, stützt sich diese Arbeit auf vielfältige Ergebnisse früherer Forschung. Vier Bereiche sind hierbei besonders hervorzuheben: An erster Stelle stehen die Bemühungen, Shakespeares Quellen festzustellen.10 Diese sind mittlerweile soweit gediehen, daß wir einen

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1981), S. 5-19. Die wesentlichen Elemente der quest von epischen und romanhaften Helden, die Schulz in seiner Arbeit aufzählt, finden sich auch bei Shakespeare: „Eine vollständige Quest besteht aus drei Hauptphasen: dem Aufbruch, der Reise mit ihren Abenteuern, und der Rückkehr bzw. ,Erhöhung'." Schulz, a.a.O., S. 8. Zu den Versuchen, den Einfluß Senecas auf das elisabethanische Theater zu bestimmen, vgl. G. K. Hunter, Dramatic Identities and Cultural Tradition: Studies in Shakespeare and His Contemporaries: Critical Essays (Liverpool, 1978), S. 159-213. Herangezogen wurden neben Kenneth Muirs Standardwerk, The Sources of Shakespeare's Plays (London, 1977), vor allem die entsprechenden Abschnitte in den 8

ziemlich guten Überblick über Shakespeares Lektüre besitzen und in den meisten Fällen die Texte kennen, die er bei der Abfassung eines Dramas zu Rate zog. Deshalb sind wir auch in der Lage, Mutmaßungen darüber anzustellen, warum Shakespeare im Einzelfall der einen oder anderen Quelle den Vorzug gibt bzw. sich für eine Abweichung von einer Quelle entscheidet. Auch die vorliegende Arbeit versucht in vielen Fällen, aus der Wahl der Quellen und der Art ihrer Verwendung und Abänderung im Drama auf Shakespeares Intentionen zu schließen. Weiterhin wären die zahlreichen Betrachtungen über Shakespeares Charaktere zu nennen, unter denen diejenigen A. C. Bradleys nach wie vor an erster Stelle genannt zu werden verdienen.11 Vom Gesichtspunkt der Reisemotivik und der Beziehungen zur episch-romanhaften Tradition ausgehend sollen frühere Ansätze kritisch überprüft werden, wobei auch der Versuch unternommen werden soll, diesen umstrittenen Zweig der Forschung neu zu legitimieren.12 Außerdem sollen, vor allem bei der Untersuchung der Abschiedsund Begrüßungsszenen, die Methoden zur Anwendung kommen, die von Wolfgang Clemen und seinen Schülern entwickelt und auf zahlreiche Szenentypen angewandt wurden, 13 nicht jedoch auf die hier zu besprechenden. Wie diese Arbeiten versucht auch die vorliegende Studie in den Abschnitten des Ersten Hauptteils, durch textnahe Interpretation zu einem Gesamtüberblick über einen bestimmten Aspekt von Shake-

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Einleitungen der Arden-Ausgaben. Eine im Hinblick auf das zu bearbeitende Thema wesentliche Ergänzung liefert Carol Gesner, Shakespeare & the Greek Romance: A Study of Origins (Lexington, Ky., 1970). Andrew C. Bradley, Shakespearean Tragedy: Lectures on Hamlet, Othello, King Lear, Macbeth (Basingstoke, London, 1985 ['London, 1904]). Zur fortdauernden Bedeutung Bradleys vgl. die Einleitung John Russell Browns zu dieser Ausgabe (ebd., S. xiii-xxiii) und Dieter Mehl, Die Tragödien Shakespeares: Eine Einführung (Berlin, 1983). Obwohl die Kritik an Bradleys character criticism seit über fünfzig Jahren zu den Gemeinplätzen der Shakespearephilologie gehört, zeigt gerade neuere und neueste Forschung, daß die Annahme von Charakteren bei Shakespeare nicht nur aus den Dramentexten erschlossen werden kann, sondern daß sich Shakespeare mit der Schöpfung individueller Persönlichkeiten auch im Einklang mit den psychologischen Interessen im elisabethanischen und jakobäischen England befindet. Wie wichtig für die Elisabethaner Charakter und Psychologie sein können, zeigt etwa Marga Unterstenhöfer am Beispiel der Figur des Tyrannen bei Shakespeare auf; Die Darstellung der Psychologie des Tyrannen in Shakespeares „King Richard III" und „Macbeth " (Frankfurt a. M., 1988). Hierunter fallen unter anderem: Wolfgang Clemen, Wandlung des Botenberichts bei Shakespeare, Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Jahrgang 1952, Heft 4 (München, 1952); ders., Shakespeares Monologe: Ein Zugang zu seiner dramatischen Kunst (München, 1985 ['Göttingen, 1964]); Kurt Schlüter, Shakespeares dramatische Erzählkunst (Heidelberg, 1958).

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speares dramatischer Kunst zu gelangen. Die Wahl eines bestimmten Szenentyps, der in den meisten Dramen Shakespeares zu finden ist, ermöglicht es, gleichsam einen roten Faden durch Shakespeares Werk zu ziehen, an dem Entwicklungen des Dramatikers ebenso aufgezeigt werden können wie Phänomene, die Dramen aus den verschiedenen Schaffensperioden Shakespeares gemeinsam sind. Durch den Vergleich einer Szene mit Szenen des gleichen Typus in anderen Dramen können zudem wichtige interpretatorische Rückschlüsse für den jeweiligen Einzelfall gezogen werden. Schließlich dürfen frühere Versuche, eine Shakespeares Dramen zugrundeliegende Idee bzw. Struktur auszumachen, nicht unberücksichtigt bleiben. Dies gilt unter anderem für die Studien G. Wilson Knights,14 E. M. W. Tillyards,15 E. C. Pettets,16 Northrop Fryes17 und C. L. Barbers.18 Zwei bemerkenswerte neuere Untersuchungen, die für unser Thema relevant sind, sind Marjorie Garbers Coming of Age in Shakespeare19 und Edward Berrys Shakespeare's Comic Rites.20 Garbers und Berrys Thesen bieten interessante Ansatzpunkte für die Funktionsbestimmung von Trennungen und Begrüßungen in Shakespeares Dramen. In der vorliegenden Arbeit wird also der Versuch unternommen, close reading mit der Untersuchung struktureller und motivgeschichtlicher Aspekte zu verbinden und dabei auch die Frage zu stellen, ob es so etwas wie ein allgemeines ,Anliegen' Shakespeares gibt, das sich durch das ganze Werk hindurchverfolgen läßt. Es soll gewissermaßen versucht werden, einen Blick in Shakespeares Werkstatt zu werfen, das heißt, einen Eindruck davon zu gewinnen, welches vorhandene Rohmaterial der Dramatiker zu welchem Zweck auf diese oder jene Weise verarbeitete. Diesem Unterfangen liegt die Uberzeugung zugrunde, daß es nicht mehr Aufgabe der Literaturwissenschaft sein kann, die Spezialisierung

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George Wilson Knight, The Shakespearian Tempest ( 3 London, 1953 [Oxford, 1932]); ders., The Crown of Life: Essays in Interpretation of Shakespeare's Final Plays (London, 1965 [ 1 1947]). E. M. W. Tillyard, Shakespeare's Last Plays (London, 1951 ['1938]). E. C. Pettet, Shakespeare and the Romance Tradition (London, 1970 ['1949]). Northrop Frye, "The Argument of Comedy", English Institute Essays 1948 (New York, 1949), S. 58-73; ders., A Natural Perspective: The Development of Shakespearean Comedy and Romance (New York, London, 1965). Cesar Lombardi Barber, Shakespeare's Festive Comedy: A Study of Dramatic Form and Its Relation to Social Custom (Princeton, 1959). Marjorie Garber, Coming of Age in Shakespeare (London, New York, 1981). Berry, a.a.O. 10

auf enggefaßte Themenbereiche und die Aufsplitterung in einzelne Forschungsrichtungen immer weiter zu treiben. Vielmehr sollte es gerade in der Shakespeare-Philologie darum gehen, aufbauend auf den in den verschiedenen Teilbereichen erzielten Ergebnissen bisheriger Forschung, wieder zu einer Synthese, zu einer Gesamtsicht, zu finden. Hierzu möchte diese Studie einen Beitrag leisten.

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ERSTER H A U P T T E I L

Zur szenischen Darstellung von Abreise, Unterwegs-Sein und Ankunft bei Shakespeare

1. Vorbemerkung: Statische und dynamische Szenen Dramen sind in der Antike, im Mittelalter und in vielen Fällen auch in der Neuzeit im Gegensatz zu Werken anderer literarischer Gattungen in erster Linie durch eine Handlung, einen plot, und erst in zweiter Linie durch die Charaktere der auftretenden Personen gekennzeichnet. So stellt etwa Aristoteles in seiner Poetik fest (6.1450 a 15-39), daß der Handlung als Baustein einer Tragödie eine wichtigere Bedeutung zukommt als den Charakteren.1 Eine Untersuchung der antiken Tragödien und Komödien zeigt in der Tat, daß alle Sprechszenen eine Funktion im Hinblick auf die Beförderung der Bühnenhandlung ausüben: Mit jedem Vers wird die Handlung ihrem Ziel ein Stück näher gebracht. Dies gilt für Szenen, in denen eine Person eine andere zu etwas überreden oder von der Richtigkeit einer Meinung überzeugen will (wie etwa im Dialog von Antigone und Ismene am Anfang von Sophokles' Antigone) ebenso wie für Szenen, in denen es - in der Form eines Dialogs oder eines Berichts - um die Enthüllung bestimmter Informationen geht. Die ,dynamisch*-dramatische Natur dieses zweiten Typs wird etwa in Sophokles' König Ödipus deutlich: In der schrittweisen Enthüllung der wahren Situation des Ödipus (es stellt sich heraus, daß er der Mörder seines Vaters ist und seine Mutter geheiratet hat) besteht die dramatische Handlung. Ein weiterer dynamischer Szenentyp findet sich in der antiken Komödie: Gelegentlich wird eine Situation herbeigeführt, in der ein an sich für die Handlung wenig belangvoller Dialog eine komische Wirkung hat, etwa infolge einer Personenverwechslung wie in der Jupiter-AlcumenaSzene in Plautus' Amphitruo.2 Auch wenn Szenen wie diese eher die unmittelbare Erzeugung eines komischen Effekts als die Beförderung der Handlung bezwecken, können sie als ,dynamisch' bezeichnet werden, da die in ihnen erzeugte Komik in der dramatischen Situation begründet ist und eines der Ziele des dramatischen Geschehens darstellt. Diesen durchweg dynamischen Sprechszenen stehen in der antiken 1 2

Aristotelis de arte poetica liber, ed. Rudolf Kassel (Oxford, 1965). Zu dieser Szene siehe u. S. 21.

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Tragödie Abschnitte gegenüber, die gesungen werden, meist von einem Chor, der das Geschehen kommentiert. Diese Chorpartien sind meist ,statisch', das heißt, sie befördern die Handlung nicht. Oft hat der Inhalt der Chorlieder gar keinen unmittelbaren Bezug zum Dramengeschehen. Häufige Themen der Chorlieder sind die Klage, das Gebet, die Rückschau auf die Vorgeschichte des Mythos und der Verweis auf andere mythologische Zusammenhänge. Im englischen Theater der elisabethanischen Zeit steht die Handlung, wie Wolfgang Clemen und andere festgestellt haben, nicht immer im Mittelpunkt des Dramengeschehens. Oft beanspruchen statt dessen prunkvolle Schaustellungen, pageants, einen wesentlichen Teil des Zuschauerinteresses.3 Clemen unterscheidet deshalb „statische" und „kinetische" Reden in der elisabethanischen Tragödie.4 Auch in der vorliegenden Arbeit soll der Begriff ,statisch' Verwendung finden; er soll jedoch enger gefaßt werden als bei Clemen. So soll er sich zum Beispiel nicht auf Berichtsreden und -szenen beziehen, da sich auch in ihnen, wie oben ausgeführt, das dramatische Geschehen ständig fortbewegt. Während wirkliche statische Szenen sonst im elisabethanischen Drama recht selten sind, finden sie sich in fast jedem Drama Shakespeares. Hierunter fallen an erster Stelle Szenen, die eine gesellschaftliche Zusammenkunft zum Inhalt haben. Beispiele sind das Bankett im Hause der Capulets in Romeo and Juliet (I, 5), der Maskenball in Much Ado About Nothing (II, 1), das Zusammensein der höfischen Gesellschaft im Forest of Arden in As You Like It (II, 1; II, 7), Teile des Nachtmahls in Brutus' Zelt in Julius Caesar (IV, 3) und jeweils die erste Hälfte der Gastmähler Macbeths (III, 4) und Timons von Athen (III, 6). Weiterhin sind Wirtshausszenen zu nennen, wie in den beiden Teilen von Henry IV, wo Falstaff zusammen mit seinen Zechgenossen dargestellt wird. Szenen der Jagd, die ja für die elisabethanische Aristokratie vor allem ein gesellschaftliches Ereignis darstellte, sind in diesem Zusammenhang ebenfalls zu erwähnen. Sie finden sich etwa in Titus Andronicus (II, 1); Henry VI, Part 2 (II, 1); Henry VI, Part 3 (III, 1) und im Midsummer Night's Dream (IV, 1). Schließlich darf die lange Szene des sheepshearing-Festes in The Winter's Tale (IV, 4) bei einer Aufzählung statischer Szenen nicht vergessen werden. Die meisten der genannten Szenen enthalten bei aller Statik ein dynamisches Element. So wird das gesellige Beisammensein in den 3

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Wolfgang Clemen, Die Tragödie vor Shakespeare: dramatischen Rede (Göttingen, 1955), S. 44. Ebd., S. 47. 16

Ihre Entwicklung im Spiegel der

Szenen in Macbeth, Timon of Athens und The Winter's Tale durch ein dramatisches Ereignis jäh unterbrochen: Das Auftreten von Banquos Geist bringt Macbeth aus der Fassung, Timon deckt seine Schüsseln auf, die nur Wasser und Steine enthalten, und Polixenes gibt sich zu erkennen und erhebt Einspruch gegen Florizels Verlobung mit Perdita. Als bemerkenswert und für Shakespeare charakteristisch muß jedoch festgestellt werden, daß diese dramatischen Geschehnisse vor einem statischen Hintergrund präsentiert werden, der keine unmittelbare Handlungsfunktion hat. Alle genannten Szenen enthalten Textpassagen von oft beachtlicher Länge, die lediglich dem Austausch von Höflichkeiten, dem Geplauder bzw. dem small-talk gewidmet sind. Shakespeare verschafft sich auf diese Weise die Gelegenheit, seine Personen einmal nicht in ihrer Funktion als Handlungsträger vorzuführen, sondern als Gestalten des täglichen Lebens. Die Ähnlichkeiten und Unterschiede bei diesen Höflichkeiten, die bei einem Vergleich der genannten Szenen konstatiert werden können, lassen auf die Existenz eines differenzierten gesellschaftlichen Codes schließen. Offensichtlich konnte - und kann? - der Zuschauer aus der dargestellten Art des gesellschaftlichen Umgangs, aus der Einhaltung bzw. Nichteinhaltung bestehender Normen, ein differenziertes Bild von den Charakteren gewinnen.5 Dies ist um so eher möglich, als sich in statischen Szenen häufig kommentierende und wertende Bemerkungen über die jeweiligen sozialen Verhaltensweisen der beteiligten Personen finden. Diese Äußerungen sind gewissermaßen ,metasprachlich' und erleichtern dem Zuschauer die Deutung des Geschehens. 6 Die Information über charakterliche Eigenschaften erfolgt in statischen Szenen also auf zwei Ebenen: Der Zuschauer kann, ohne durch eine dramatische Handlung abgelenkt zu werden, das Verhalten von Personen beobachten und wird außerdem durch Bemerkungen anderer Personen auf dieses Verhalten hingewiesen. Aus diesem Grund ist in statischen Szenen eine genauere Charakterisie5

Elmer Edgar Stoll läßt die Existenz statischer Szenen unberücksichtigt, wenn er die Feststellung des Aristoteles, der plot sei in einer Tragödie wichtiger als die Charaktere als solche, auch auf Shakespeare anwenden will: "The core of tragedy (and of comedy too, for that matter) is situation ...", Art and Artifice in Shakespeare's Plays: A Study in Dramatic Contrast and Illusion (New York, 1933), S. 1. So sehr Stolls Formulierung auf die Gattung Drama im allgemeinen zutreffen mag, so wenig trägt sie den Besonderheiten der dramatischen Kunst Shakespeares Rechnung, die, wie die vorliegende Studie an den Beispielen von Abschied, Reise und Begrüßung zeigen möchte, in wesentlichen Punkten durch die Übernahme traditionell nichtdramatischer Bauformen gekennzeichnet ist.

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Siehe z . B . die Bemerkungen Prince Hals in Henry IV, Parti (1,2, 2-12) und die Äußerungen Lady Macbeths (111,4, 31-36); zu letzteren vgl. u. S. 154-155.

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rung möglich als innerhalb einer fortlaufenden dynamischen' Dramenhandlung. Eine Persönlichkeit wie die Falstaffs wäre ohne die statischen Wirtshausszenen nicht denkbar. Auch die ,Kommunikationsstruktur', das heißt die Stellung der Personen zueinander, wird näher bestimmt. Bevor ein dramatisches Geschehen zur Darstellung kommt, wird in statischen Szenen ein Beziehungsgefüge ermittelt bzw. ein Ambiente geschaffen. Es wird deutlich, ob zwei oder mehr Personen miteinander harmonieren oder ob sie aneinander vorbeireden. Für den Zuschauer ergibt sich hieraus die Möglichkeit, Mutmaßungen über den weiteren Gang der Handlung anzustellen. Schließlich kann der Dramatiker in statischen Szenen wichtige Informationen über den Handlungszusammenhang unaufdringlich, wie nebenbei, einfließen lassen, ohne auf schwerfällige Formen wie Prolog und Botenbericht zurückgreifen zu müssen. Zu den wichtigsten Typen statischer Szenen gehören bei Shakespeare die Abschieds- und Begrüßungsszenen. Zwar wird in ihnen ein dramatisches Geschehen dargestellt — eine Trennung bzw. eine Begegnung —, doch könnte sich die Wiedergabe dieses Geschehens jeweils auf eine Zeile beschränken, wie dies im Theater der Antike und der Renaissance tatsächlich auch meistens der Fall ist. Daß Abschieds- und Begrüßungsszenen trotz ihrer Häufigkeit bei Shakespeare von der Forschung bisher nicht beachtet wurden, ist erstaunlich, kann jedoch damit erklärt werden, daß diese Szenentypen im elisabethanischen Drama vor Shakespeare fehlen und somit nicht die Aufmerksamkeit des historisch orientierten, aber auf die Gattung Drama fixierten Gelehrten auf sich zogen. So gehören Abschieds- und Begrüßungsszenen nicht zu den Szenentypen, die Friedrich Hoffmann in seinem Aufsatz „Die typischen Situationen im elisabethanischen Drama und ihr Pattern" aufzählt. 7 Das Abschiedsmotiv wird in diesem Aufsatz lediglich im Zusammenhang mit Shakespeares Liebesszenen kurz angesprochen, und das Motiv,Empfang' wird nur bei der Besprechung der Triumphszenen einmal kurz genannt.8 Es zeigt sich, daß man sich von der Vorstellung freimachen muß, alle in Shakespeares Dramen typischen Situationen auf die elisabethanische Theatertradition zurückführen zu können. Wie im einzelnen zu zeigen sein wird, erlaubt die statische Natur der Abschieds- und Begrüßungsszenen dem Dramatiker die Vergegenwärti7

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Friedrich Hoffmann, „Die typischen Situationen im elisabethanischen Drama und ihr Pattern", Shakespeare-Jahrbuch (1958), S. 107-120. Ebd., S. 119 bzw. S. 108. 18

gung eines Reisegeschehens vor allem aus zwei Gründen: Zum einen können dem Zuschauer Informationen über Reiseweg und Reiseziel durch Voraus- und Rückschau wie beiläufig mitgeteilt werden. Zum anderen kann an den Nahtstellen von Trennung und Begrüßung bzw. Wiedersehen der existentielle Einschnitt, den die Reise für die jeweilige Person mit sich bringt, besonders deutlich hervorgehoben werden, ebenso wie die Art, in der diese Person auf den ,Ernstfall', der die Reise erforderlich macht, reagiert. Aus diesen Gründen sollen die Abschiedsund Begrüßungsszenen im Ersten Hauptteil dieser Arbeit als Textgrundlage für die Untersuchung von Shakespeares Reisemotivik dienen. 2. Die Abschiedsszenen a) Abschied als literarisches Motiv vor Shakespeare Am Anfang der Reise eines Dramenhelden Shakespeares steht in den meisten Fällen ein Abschied. Der Abreisende, sei es Romeo, Bolingbroke oder Laertes, trennt sich in einer ausgedehnten Szene von seinem Zuhause und von ihm nahestehenden zurückbleibenden Personen. Die Möglichkeiten, die das Motiv Abschied dem Dramatiker bietet, liegen auf der Hand: Beim Abschied handelt es sich in vielen Fällen um ein sehr privates, intimes Geschehen, das aber dennoch an bestimmte soziale Konventionen geknüpft ist. Personen, die voneinander Abschied nehmen, haben vorher auf engem Raum zusammengelebt. Im Augenblick der Trennung geben sie ihrem Schmerz und ihrer Besorgnis (oder ihrer Zuversicht) über das zukünftige Wohlergehen des jeweils anderen Ausdruck, oft auch der Hoffnung auf ein Wiedersehen. Die sich trennenden Personen versuchen, dem anderen gegenüber die durch die Trennung gefährdete Zusammengehörigkeit durch Reden und Gesten, durch bestimmte Zeichen also, zum Ausdruck zu bringen, mit dem Ziel, die Gemeinsamkeit auf diese Weise über die Zeit der Trennung zu bewahren. Da diese Zeichen immer wieder dem gleichen Fundus entnommen sind, wird man von einem sozialen Ritus sprechen können. Trotzdem fällt der Abschied je nach der Art der Gemeinsamkeit der sich trennenden Personen unterschiedlich aus und stellt somit ein Geschehen dar, das, obwohl es zeitlich sehr begrenzt ist, persönliche Beziehungen in ihrer Totalität .abbilden' kann. Aus diesem Grund hat das Motiv Abschied auch immer wieder Eingang in die Literatur gefunden: Man denke nur an den Abschied Hektors von Andromache im sechsten Buch der Ilias, an ein berühmtes 19

Gedicht Sapphos, das die Trennung von einem Mädchen beschreibt, das den von Sappho geleiteten Kreis verläßt, um, wie vermutet werden kann, in den Stand der Ehe zu treten (Fragment 94 Lobel-Page), 1 und an den ,vorsorglichen* Abschied der Charikleia und des Theagenes voneinander angesichts der drohenden gewaltsamen Trennung im fünften Buch von Heliodors vermutlich im dritten Jahrhundert nach Christus entstandenem Roman Aithiopika. Auch später ist der Abschied in Epos und Roman immer wieder ein wichtiges Motiv. So spielt der Abschied eines Ritters von einer Burg, in der er als Burgherr oder als Gast gewohnt hatte, im höfischen Versroman des Hochmittelalters eine wichtige Rolle. In Chrétien de Troyes' Perceval kommt dem Abschied des Titelhelden von seiner Mutter und seinem Zuhause eine Schlüsselfunktion für das gesamte Werk zu. Aus den Epen und Romanen der Renaissance wäre der weitgefaßte lyrische Abschied Sirenos von Diana in Jorge de Montemayors spanischem Roman Diana herauszugreifen.2 Dieser Abschied ist das entscheidende Element bei der Schilderung der Liebe von Diana und Sireno. Er bildet eine Folie für Dianas darauffolgende Untreue. In der dramatischen Tradition ist das Abschiedsmotiv hingegen selten. So fehlen statische Abschiedsszenen im antiken Drama fast völlig. Von den Abschiedsszenen zu unterscheiden sind freilich die Sterbeszenen, in denen der Sterbende Abschied von Angehörigen und Freunden nimmt und sein Schicksal beklagt. Dieser Szenentyp ist in der griechischen Tragödie recht häufig; er findet sich zum Beispiel in Sophokles' Aias und Euripides' Alkestis. Auch diese Szenen sind nicht ,statisch'. Vielmehr wird das Sterben als Prozeß ,dynamisch' vergegenwärtigt. Ein Sonderfall ist lediglich die Rede, die Odipus am Ende von Sophokles' König Ödipus spricht, bevor er Theben verläßt, um in die Verbannung zu gehen. In dieser Rede ergeht sich Ödipus in Klagen um die ungewisse Zukunft seiner Kinder (v. 1478-1514). 3 Wie bei den Sterbeszenen handelt es sich um einen Abschied für immer. Das dramatische Element dieser Rede besteht in der Vorführung des nunmehr blinden, mitleiderregenden Mannes. Auf diese Rede folgt vor dem endgültigen Abgang noch ein Wortwechsel zwischen Odipus und Kreon, der wieder dynamischer Natur ist (v. 1515—1523). 1

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Poetarum Lesbiorum Fragmenta, edd. Edgar Lobel, Denys L. Page (Oxford, 1955), S. 75 -76. A Critical Edition of Yong's Translation of George of Montemayor's Diana and Gil Polo's Enamoured Diana, ed. Judith M. Kennedy (Oxford, 1968), S. 59-74. Sophoclis Fabulae, ed. A. C. Pearson (Oxford, 1924).

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Von einer statischen Abschiedsszene kann im griechischen Theater nur bei der Trennung von Elektra und Orest am Ende von Euripides' Elektra die Rede sein, wo die Geschwister auf Geheiß des als deus ex machina erschienenen Dioskuren Kastor voneinander Abschied nehmen und dabei die eigentliche Trennung hinauszögern (v. 1308-1341). 4 Wiederum handelt es sich um einen Abschied für immer (v. 1331-1332). Bezeichnenderweise ist dieser Abschied nicht Bestandteil einer Sprechszene, sondern gehört zur gesungenen Schlußpartie des Dramas. Als statisches Geschehen hat der Abschied in den Sprechszenen, die durchweg der Beförderung der Handlung dienen, keinen Platz. Ansonsten verabschieden sich Personen im griechischen Drama sowie bei Seneca - wenn überhaupt - nur durch einen kurzen Gruß. Auch in den Komödien von Plautus und Terenz nennen abgehende Personen nur kurz ihr Ziel und sagen zum Abschied „vale" (,leb wohl') oder bestenfalls „bene vale". In seinen zwanzig erhaltenen Dramen dehnt Plautus diesen Gruß lediglich in vier bemerkenswerten Fällen zu einem Dialog zwischen Gehendem und Bleibendem und damit zu einer Szene aus. So verabschiedet sich Jupiter im Amphitruo am Morgen von Alcumena, bei der er in Gestalt ihres Ehemannes Amphitruo eine Liebesnacht verbracht hatte (v. 499-550). 5 Dieser Szene erwächst eine besondere Komik aus der Tatsache, daß AIcumena über Jupiters wahre Identität im unklaren bleibt und ihn für ihren Gatten hält. Das wiederholte vale, die gegenseitigen Liebesbekundungen und die Bitte Alcumenas an Amphitruo-Jupiter, doch bald wiederzukommen, wirken wegen dieses Irrtums ausgesprochen komisch. Auch die Kommentare Merkurs, der der Szene in Gestalt von Amphitruos Diener Sosias beiwohnt, zielen auf das Lachen des Zuschauers. Plautus ist sich, wie diese Szene zeigt, durchaus bewußt, daß sich einander nahestehende Personen beim Abschied nicht auf ein bloßes ,leb wohl' beschränken; er gestaltet diese Szene jedoch offensichtlich nur deshalb so wirklichkeitsnah aus, weil er einen besonderen dramatischen, das heißt in diesem Fall komischen Effekt erzielen will. 6 4 5

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Euripidis Fabulae, Bd. 2, ed. J. Diggle (Oxford, 1981). Titi Macci Plauti Comoediae, ed. W. M. Lindsay, 2 Bde. (Oxford, 1968-1974 ['1904-1905]). Vgl. Plautus' Captivi, ν. 361-452: Zwei Kriegsgefangene, ein Herr und sein Sklave, haben ohne Wissen ihres Bewachers ihre Rollen getauscht, und der vermeintliche Herr schickt seinen vermeintlichen Sklaven mit Billigung des Bewachers auf die Reise. Dieser Rollentausch, durch den der gutgläubige Bewacher getäuscht wird, verleiht dem pathetischen Dialog von Herrn und Diener einen ausgesprochen komischen Effekt. Es handelt sich hier allerdings nicht wirklich um eine Abschiedsszene: Auf den ,Dienstauftrag', ein dramatisches Geschehen, folgen nur wenige Abschiedsworte.

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Ähnliches gilt für den Abschied des Mädchens Philocomasium und des Sklaven Palaestrio vom Titelhelden, dem Soldaten Pyrgopolynices, im Miles gloriosas. Dieser hatte das Mädchen gewaltsam ihrem Liebhaber entrissen und wird daraufhin durch eine Intrige veranlaßt, es wieder ziehen zu lassen. Wie eine geübte Hetäre gibt das Mädchen vor, sich nicht von Pyrgopolynices losreißen zu können, und läßt sich ,zum Trost' reich von ihm beschenken. Zum Vergnügen des Zuschauers spielt sie beim Abschied die Untröstliche (v. 1311-1330); Palaestrio, der Sklave, macht ihr dies nach (v. 1339-1373) und tauscht mit dem Soldaten ein mehrfaches vale aus (v. 1352, 1361, 1373), während sich das Mädchen bereits in den Armen ihres Liebhabers befindet. Auch die Abschiedsszene mit dem jungen Mann Argyrippus und der Hetäre Philaenium in der Asinaria (v. 591-615) hat nicht nur den Abschied zum Inhalt. Philaenium hat sich mit der Trennung nicht abgefunden und versucht erfolgreich, Argyrippus zurückzuhalten. Dieser kann sich trotz mehrerer Anläufe, die sich in einem wiederholten vale äußern, von dem Mädchen schließlich doch nicht losreißen. Hier ist das dramatische Motiv des ,Willenskampfes' im Sinne von Levin L. Schücking 7 und Horst Oppel 8 in das Abschiedsgeschehen eingelagert. Lediglich im Curculio findet sich eine kurze Szene (v. 203-214), in der nicht ein Willenskampf oder eine Verwechslungskomödie, sondern tatsächlich ein Abschiedsgeschehen als solches im Mittelpunkt des Interesses steht. Die Sklavin Planesium, die sich aufgrund äußerer Widrigkeiten mit ihrem Liebhaber Phaedromus nur heimlich treffen kann, verabschiedet sich von diesem nach einer langen Liebesszene, da sie Geräusche hört und befürchtet, überrascht zu werden. Obwohl sie schon „bene vale, ocule mi" (v. 203) gesagt hat, läßt sie noch die Frage folgen, wie es mit der Liebesbeziehung weitergehen soll, worauf Phaedromus ihr Mut zuspricht. Diese Verzögerung führt trotz einer erneuten Mahnung zur Eile noch zu einem Abschiedskuß. Planesiums Worte " . . . tene etiam, priu'quam hinc abeo, sauium" (v. 210) erinnern ein wenig an Romeos "Farewell, farewell, one kiss, and I'll descend" (III, 5,42). 9 Auf Phaedromus' Frage "quando ego te uidebo?" (ν. 212) schließt dann Planesiums zweites bene vale die Szene ab. Diese Abschiedsszene im Curculio bleibt in der Antike ein Einzelfall. 7

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Levin L. Schücking, Shakespeare und der Tragödienstil seiner Zeit (Bern, 1947), S. 48-49. Horst Oppel, „Zur Problematik des Willenskampfes bei Shakespeare", ShakespeareJahrbuch (1953), S. 72-105. Vgl. u. S. 42, Anm. 23.

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Offensichtlich verhinderten die Theaterkonventionen, daß sich eine Tradition der Abschiedsszene bildete. Statische, die Bühnenhandlung nicht weiterführende Szenen wurden ebenso gemieden wie Dramenhandlungen, die sich über einen längeren Zeitraum als vierundzwanzig Stunden erstrecken. 1 0 Handlungsabläufe, die weite Reisen enthalten, an deren Anfang ein Abschied stehen könnte, kamen für das antike Theater schon aus diesem Grund nicht in Frage. Ahnliches läßt sich auch von den Dramen sagen, die in der Renaissance in Italien, Spanien und Frankreich entstanden sind. 1 1 In der Celestina des Spaniers Fernando de Rojas z u m Beispiel, einem offensichtlich als Lesedrama konzipierten Werk, 1 2 wird die Trennung von Calisto und Melibea nach der Liebesnacht nur durch einen knappen Wortwechsel markiert. 1 3 Auch in den Komödien der italienischen Renaissance, die weitgehend nach dem Vorbild von Plautus und Terenz abgefaßt wurden, 1 4 fehlen Abschiedsszenen, ebenso wie in den Seneca imitierenden Tragödien und in Tassos Schäferspiel Aminta (1753). Auch in Luigi Grotos Tragödie La Hadriana (1578) ist der Abschied der Liebenden voneinander recht knapp dargestellt: Latinus: Con somma Volontà dunque ornai vi abbraccio, o dolce Cor del mio cor, della mia vita vita. Hadriana: Q u a l mio fallo, qual forza o quai destino Mi vi trae delle braccia? Ove sen vanno I fuggitive miei rari diletti? Latinus: Restate in pace e m'aspettate tosto. (II, 3, 290-296) 1 5 10

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Aristoteles formuliert diese oft etwas ungenau als .Einheit der Zeit' bezeichnete Konvention in seiner Poetik, 5.1449 b 12-13. Zu einem aufschlußreichen Beispiel aus dem spanischen Theater der Zeit des Siglo de Oro siehe u. S. 43. Siehe Ciriaco Morón Arroyo, Sentido y forma de la Celestina (Madrid, 1974), S. 120. Tragicomedia de Calixto y Melibea, Libro también llamado la Celestina, edd. M. Criado de Val, G.D. Trotter (Madrid, 1958), Aucto 14, S. 217 bzw. Aucto 19, S. 281. Johannes Hösle faßt zusammen: „Die italienischen Komödien des Cinquecento sind in der Regel Neubearbeitungen der Stücke von Plautus und Terenz oder Theaterfassungen toskanischer Novellen", Pietro Aretinos Werk (Berlin, 1969), S. 211. Vgl. auch Ireneo Sanesi, La commedia, 2 Bde., Storia dei generi letterari italiani (Milano, 1954 [Bd. 1 '1911]), Bd. 1, S. 177-437; J. Hösle, Das italienische Theater von der Renaissance bis zur Gegenreformation (Darmstadt, 1984) und Marvin T. Herrick, Italian Comedy in the Renaissance (New York, 1970 ['i960]). Zitiert nach: Eos: An Enquiry into the Theme of Lovers' Meetings and Partings at Dawn in Poetry, ed. Arthur T. Hatto (Den Haag, 1965), S. 413-414. Zu diesem Drama als möglicher Quelle von Romeo and Juliet siehe u. S. 40, Anm. 19.

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Eine ausgedehnte Abschiedsszene findet sich nur dort, wo wie bei Plautus gleichzeitig ein dramatisches Geschehen dargestellt wird: In Guarinis Pastor fido (1590) schickt Amarilli ihren Liebhaber Mortillo fort; dieser weigert sich zu gehen, so daß es zu einer Auseinandersetzung kommt (III, 3, 474-505). 1 6 Obwohl sich die meisten der in der elisabethanischen Zeit in England entstandenen Dramen nicht an den von italienischen und einheimischen Theoretikern geforderten ,drei Einheiten' des Ortes, der Zeit und der Handlung orientieren 17 und gelegentlich lange Zeitabläufe und weite Reisen enthalten, finden sich Abschiedsszenen im englischen Theater vor Shakespeare nur in rudimentärer Form. Gelegentlich findet sich ein Abschiedsgeschehen, das sich über etwa zehn Verse erstreckt, an deren Anfang und Ende jeweils ein farewell steht. Dies ist beispielsweise in Richard Edwards' Drama Damon and Pithias (entstanden um 1565, gedruckt 1571) der Fall. Damon ist zum Tode verurteilt worden, und Pithias stellt sich als Bürge für den Freund zur Verfügung, der noch einige weltliche Geschäfte zu erledigen hat: Pithias. M y D a m o n , farewell, the G o d s have thée in kepeing. Damon. O h my Pithias, my Pleadge farewell, I parte from thée wéeping But ioyfull at m y day appoynted I wyll retourne agayne, When I wyll deliuer thée from all trouble and paine: Stephano wyll I leaue behinde me to wayte upon thée in prison alone, A n d I w h o m fortune hath reserued to this miserie, wyll walke home, A h m y Pithias, m y Pleadge, m y life, m y friend, farewell. Pithias. Farewell m y D a m o n . Damon. Loth am I to departe, sith sobbes m y trembling tounge doth stay, O h Musicke, sound my dolefull playntes when I am gone m y way. (v. 1055—1068) 18

Ein weiteres Beispiel ist das Drama Common Conditions (1576). Die Anfangsszene dieses Dramas hat den Abschied eines in die Verbannung gehenden Vaters von seinen Kindern zum Inhalt. Die Szene ist jedoch nicht statisch, sondern enthält ein dramatisches Geschehen: Die Kinder bitten ihren Vater, ihn in die Verbannung begleiten zu dürfen. Lediglich 16 17

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Battista Guarirli, Il pastor fido, ed. Luigi Fassa (Milano, 1956). Zu den ,drei Einheiten' siehe ζ. Β. Sir Philip Sidney, "A Defence of Poetry", Miscellaneous Prose of Sir Philip Sidney, edd. Katherine Duncan-Jones, Jan van Dorsten (Oxford, 1973); S. 73-121; S. 114. Zur Geschichte der Forderung der drei Einheiten siehe ζ. B. Elizabethan Critical Essays, ed. G. Gregory Smith, 2 Bde. (London, 1904), Bd. 1, S. 398-399. Richard Edwards, Damon and Pithias, edd. Arthur Brown, F. P. Wilson, The Malone Society Reprints (Oxford, 1957).

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am Ende bekommt die Szene für kurze Zeit ein statisches Moment: Der Augenblick der Trennung wird durch eine Frage der Tochter hinausgezögert, so daß das endgültige farewell wie schon in Damon and Pithias wiederholt wird: Galiarbus. ... And now fare well, your aged sier no longer may remaine, For that he is cast into excile from you his children twaine. Clarisia. O father, sith you will depart from hence your selfe alone, Graunt that I may demaund of you but onely question one. Galiarbus. Crave what thou wilt Clarisia, I graunt what so it bee. Clarisia. Then where (thou) mindst for to remaine good father shew to mee. Galiarbus. Where to remaine Clarisia, of truth I know not I. Clarisia. Then do thy children thee commend unto the heauens hie. Desieringe them most entirely to shield thee from all woe, And bee to thee assistance good where thou doest ride or goe. Galiarbus. Ha farewel farewel my childre(n) twain your sier must needs depart. Exit. Both speak. Farewell O father to thee againe the cause of this our smart. (v. 6 1 - 7 2 ) 1 9

Eine ähnlich kurze Abschiedsszene findet sich im ersten Teil von George Whetstones zweiteiligem Drama Promos and Cassandra:20 Andrugio verabschiedet sich vom jailor, der ihm das Leben gerettet hat, um zu fliehen und sich im Wald zu verstecken. Wie in den anderen hier besprochenen Szenen entbietet der Abreisende dem Bleibenden im Abstand von etwa zehn Versen zweimal farewell. Auch hier wird durch den Abschied eine emotionale Beziehung zum Ausdruck gebracht.21 19 20

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Common Conditions, ed. Tucker Brooke (New Haven, 1915). George Whetstone, "Promos and Cassandra", Narrative and Dramatic Sources of Shakespeare, ed. Geoffrey Bullough, 8 Bde. (London, 1957-1975); Bd. 2, S. 442-513; Part 1, IV, 5 (S. 470-471). Ein kurzer, statischer Abschied findet sich auch in Sir Clyomon and Sir Clamydes. Clyomon trennt sich unter Austausch von tokens und mit dem Versprechen, zu einem bestimmten Zeitpunkt wiederzukommen, von der geliebten Neronis; The Works of George Peele, ed. A. H. Bullen, 2 Bde. (London, 1888), Bd. 2, S. 87-251; sc. xi, 105-118. Das Drama wurde 1599 ohne Verfasserangabe gedruckt und in einer zeitgenössischen Manuskriptnotiz George Peele zugeschrieben, wird aber meistens in die 1570er Jahre gesetzt; siehe z. B. David Bevington, From Mankind to Marlowe: Growth of Structure in the Popular Drama of Tudor England (Cambridge, Mass., 1962), S. 66 und The Two Gentlemen of Verona, ed. Clifford Leech (1969), The Arden Shakespeare, Introduction, S. lix. Wahrscheinlich ist das Drama jedoch später, etwa um 1590, entstanden. Der Bösewicht des Dramas trägt den ganz offensichtlich aus Spensers Faerie Queene (1590) übernommenen Namen "Sans-foy"; siehe The Dramatic and Poetical Works of Robert Greene and George Peele, ed. Alexander Dyce (London, 1883), S. 501, note.

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Die Szene der Trennung von Aeneas und Dido in Marlowes um 1587 entstandenem Drama Dido, Queen of Carthage (V, 1, 87-183) 22 ist länger, jedoch nicht statisch. Beim Wortwechsel des übers Meer entschwindenden Aeneas mit seiner untröstlich am Strand zurückbleibenden Geliebten Dido handelt es sich um einen Willenskampf und damit um ein dramatisches Geschehen: Dido versucht unter Aufbietung all ihrer rhetorischen und argumentativen Kräfte, Aeneas zurückzuhalten, doch kann sie gegen seinen Drang, göttlichem Auftrag gemäß in Italien zu siedeln, nichts ausrichten. Auch die Szene, in der sich Arden im anonymen Drama Arden of Faversham (1592) von seiner Frau Alice verabschiedet (sc. 1, 399-416), 2 3 hat eine dramatische Komponente, da Alices Worte an ihren Mann, den sie umzubringen plant, geheuchelt sind. Durch den Gegensatz von vorgetäuschter kindness und tatsächlicher Feindschaft entsteht, ähnlich wie in den besprochenen Szenen des Amphitruo und des Miles gloriosas, eine dramatische Spannung. In keiner der genannten Szenen gelingt es dem dramatischen Dichter, die emotionalen Implikationen von Trennungen sowie die existentielle Bedeutung einer Reise so überzeugend darzustellen, wie dies in Epen, Romanen und Lyrik der Antike und des sechzehnten Jahrhunderts möglich ist. Ein charakteristisches Beispiel für dieses Unvermögen ist auch das 1582 vor der Königin aufgeführte Drama The Rare Triumphs of Love and Fortune:24 In einer Rahmenhandlung streiten sich die Göttinnen Venus und Fortune darüber, wer von ihnen mächtiger ist. Jupiter überläßt es den Göttinnen, an den Liebenden Hermione (in diesem Drama ein Männername)25 und Fidelia ihre Kräfte zu messen. Das nun folgende Geschehen präfiguriert in sehr elementarer Form die Struktur manches Shakespeare-Dramas. 22 23

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Christopher Marlowe, The Complete Plays, ed. J. B. Steane (Harmondsworth, 1969). The Tragedy of Master Arden of Faversham, ed. Martin White, The N e w Mermaids (London, N e w York, 1982). The Rare Triumphs of Love and Fortune, ed. W. W. Greg, The Malone Society Reprints (Oxford, 1930). Daraus, daß dieser N a m e in The Winter's Tale wiederkehrt, folgert J. M. Nosworthy, daß Shakespeare Love and Fortune gekannt haben müsse; Cymheline, ed. J. M. N o s w o r t h y (1969), The Arden Shakespeare, Introduction, S. xxvi. Allerdings habe Shakespeare sein Gedächtnis wohl etwas im Stich gelassen, "otherwise he could hardly have transferred the hero's name, Hermione, to the Queen in The Winter's Tale". Natürlich gibt Shakespeare den Namen deshalb einer weiblichen Person, weil er wußte, daß Hermione ursprünglich, d. h. im griechischen Mythos, ein weiblicher N a m e war: So heißt die Tochter von Menelaos und Helena. U b e r die Frage, wie gebildet Shakespeare wirklich war, ist viel gestritten worden; wie dieses Beispiel zeigt, war er zumindest gebildeter als mancher seiner gelehrtesten Interpreten.

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Die Dramenhandlung beginnt mit einem Disput der Liebenden über die Auswirkungen einer eventuellen Trennung auf ihre Liebe, über Eifersucht und Treue. Auf dieses zunächst völlig theoretische Gespräch folgt eine Situation, die die Liebenden zwingt, die Theorie in die Praxis umzusetzen: Armenio, Fidelias Bruder, entdeckt und mißbilligt das Liebesverhältnis. Hermione verwundet Armenio im Streit und wird daraufhin von König Phizanties, Fidelias Vater, verbannt. Nun könnte eine statische Abschiedsszene folgen. Das Abschiedsgeschehen wird jedoch überlagert durch die Auseinandersetzungen zwischen Fidelia, die ihren Vater überreden will, den Verbannungsspruch rückgängig zu machen, Armenio, der von seinem Haß nicht abläßt, und Phizanties, der keinen Groll gegen Hermione hegt, jedoch an seinem Verbannungsurteil festhält. Der eigentliche Abschied Hermiones von Fidelia ist auf wenige Worte beschränkt (v. 475-477). Der Autor hat es noch nicht verstanden, den Inhalt des dramatisch unmotivierten Disputs vom Anfang der Szene in das Abschiedsgeschehen hineinzunehmen und diesem somit eine Darstellungsfunktion zu geben, wie Shakespeare dies später tun wird. 26 b) Trennungen in den frühesten Dramen Shakespeares Auch in den frühesten Dramen Shakespeares, zu denen Titus Andronicus, The Taming of the Shrew, Henry VI, Part 1 und möglicherweise

King John zu zählen sind,1 finden sich keine statischen Abschiedsszenen. So kommt es in Titus Andronicus bei der Abreise des verbannten Lucius 26 1

Ahnliches läßt sich auch zum Motiv Begrüßung in diesem Drama sagen; siehe u. S. 108. Dies entspricht den Datierungen der Herausgeber der entsprechenden Ausgaben des Arden Shakespeare und bestätigt sich bei einer Untersuchung der Abschieds- und Begrüßungsszenen. Hinsichtlich der Datierung von King John gehen die Meinungen allerdings weit auseinander. So glaubt E. A. J. Honigmann, daß das anonyme Drama The Troublesome Raigne of lohn King of England (1591) später verfaßt wurde als King John, und entdeckt in Shakespeares Drama eine Reihe von Anspielungen auf zeitgenössische Ereignisse, die ihn dazu veranlassen, Ende 1590 als Entstehungszeit des Dramas anzunehmen; King John, ed. Honigmann (1954), The Arden Shakespeare, Introduction, S. xliii-lviii. Das Problem wird dadurch noch komplizierter, daß Honigmann eine ähnliche Frühdatierung auch bei zahlreichen anderen Dramen Shakespeares annimmt; a.a.O., S. lviii. Für eine Frühdatierung auch innerhalb der relativen Chronologie sprechen die Ergebnisse Kurt Ottens, der hinsichtlich der Gestaltung der Zeit im Drama bei King John von einem „befremdenden Rückschritt" gegenüber Richard III

spricht; Die Zeit in Gehalt

und Gestalt der frühen

Dramen

Shakespeares,

Diss.

(Tübingen, 1954), S. 71; vgl. ebd. auch S. 76. Ein gewichtiges Argument für eine Spätdatierung ergibt sich indessen aus den Beobachtungen Wolfgang Clemens, der King John aufgrund der Art der Bilder in eine mittlere Periode von Shakespeares Schaffen einordnet; The Development of Shakespeare's Imagery (London, 1953 ['1951]), S. 8 5 - 8 6 .

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aus Rom nicht zu einem Dialog mit seinem zurückbleibenden Vater. Nach einer langen Schmerz- und Haßtirade wirken die Abschiedsworte des Titus an seinen Sohn ausgesprochen knapp: Tit. . . . As for thee, boy, go get thee from my sight; Thou art an exile, and thou must not stay: Hie to the Goths, and raise an army there; And if ye love me, as I think you do, Let's kiss and part, for we have much to do. [Exeunt. Luc. Farewell, Andronicus, my noble father; The woefull'st man that ever liv'd in Rome. Farewell, proud Rome, till Lucius come again; He loves his pledges dearer than his life. Farewell, Lavinia, my noble sister; O, would thou wert as thou tofore hast been! . . . (III, 1, 2 8 3 - 2 9 3 )

Es geht hier nicht so sehr um den Schmerz, den die Trennung mit sich bringt, wie um das gemeinsame Bestreben, Rache für das erlittene Unrecht zu üben. Noch schneller geht Petruchios Abschied von Katherina und Baptista in The Taming of the Shrew (II, 1, 314-317) vonstatten, wo Petruchio nach der erfolgreichen ,Werbung' sogleich nach Venedig abreist, um Vorbereitungen für die Hochzeit zu treffen. Auch die Szene, in der sich Petruchio unmittelbar nach seiner Hochzeit mit Katherina von der Festversammlung verabschiedet, um mit seiner Frau zu seinem Landhaus zu fahren (111,2, 182-237), ist keine statische Abschiedsszene. Vielmehr enthält sie einen Willenskampf zwischen Petruchio und Katherina, die noch nicht so schnell abreisen möchte. Natürlich setzt sich Petruchio durch; sein Sieg bei dieser Auseinandersetzung ist Bestandteil der ,Zähmung* Katherinas. In Henry VI, Part 1 sind Abschiedsgrüße wie im Drama vor Shakespeare auf ein einfaches ,leb wohl' und eine kurze Angabe des Zielorts beschränkt, zum Beispiel beim Auseinandergehen der Edelleute in der ersten Szene des Dramas: Bed. ... Farewell, my masters; to my task will I . . . (1,1, 152) Glou. I'll to the Tower with all the haste I can . . . (1,1, 167) Exe. To Eltham will I, where the young King is . . . (1,1, 170)

Der Abschied des Bastards vom König und dessen Mutter Eleanor in King John (III, 2, 2 4 - 2 7 ) 2 ist kaum ausführlicher dargestellt. 2

Dieses Zitat entspricht 111,3, 14-17 in der Szenen- und Verseinteilung der Ausgabe P. Alexanders.

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In seinen frühesten Dramen weichen Shakespeares Techniken bei der dramatischen Gestaltung von Trennungen nicht von denen der elisabethanischen Theatertradition ab. Erst im zweiten Teil von Henry VI finden sich längere statische Abschiedsszenen. Von diesem Drama an werden sie das gesamte Werk Shakespeares durchziehen. c) Die Abschiedsszenen von Henry VI, Part 2 bis Henry V: Die Herausbildung eines Szenentyps Gleich zweimal wird in Henry VI, Part 2 eine Trennung durch eine längere statische Abschiedsszene ausgestaltet: In der Szene II, 4 verabschiedet sich Gloucester von seiner Frau, die wegen Hexerei auf die Insel Man verbannt wird, und die Szene III, 2 schildert die Trennung Suffolks von Queen Margaret, mit der er ein Liebesverhältnis unterhalten hatte. In beiden Fällen steht während eines Zeitraums von etwa hundert Versen die Dramenhandlung nahezu still, ohne daß wir diesen Stillstand als solchen empfinden. Erst ein Einbruch von außen während der Szene (im einen Fall durch den Herold, der Gloucester ins Parlament lädt, im anderen Fall durch Vaux, der sich auf dem Weg zum König befindet, um ihm mitzuteilen, daß der Bischof von Winchester im Sterben liegt) macht den Zuschauer auf den Zeitablauf aufmerksam und erinnert ihn an andere Handlungsstränge des Dramas. Die Abschiednehmenden werden durch diesen Einbruch zur Eile gemahnt. Vollzogen wird die Trennung also erst auf einen äußeren Druck hin, der die Unerbittlichkeit des Schicksals deutlich macht. Daneben hat der Einbruch von außen auch noch eine dramaturgische Funktion: Die Unterbrechung kommt in beiden Fällen zu einem Zeitpunkt, zu dem die Abschiednehmenden im Grunde schon alles gesagt haben, so daß die Trennung ohnehin bald hätte erfolgen müssen. Die Unterbrechung bringt neuen Gesprächsstoff und führt dazu, daß die Abschiedsszene noch einige Zeit weitergeht. Während der Einbruch von außen also den Anschein der Beschleunigung des Abschieds erweckt, hat er in Wirklichkeit eine Verzögerung zur Folge. Eine relativ lange „Spielzeit" steht somit in diesen Szenen der Illusion einer besonders kurzen „gespielten Zeit" gegenüber.1 Trotz dieser Ähnlichkeit des Aufbaus unterscheiden sich die beiden Abschiedsszenen inhaltlich beträchtlich voneinander. In der Szene mit dem Duke und der Duchess of Gloucester geht es in erster Linie um die Diese Termini sind entnommen aus: Franz H. Link, Dramaturgie der Zeit (Freiburg, 1977), S. 44-47.

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mit der Verbannung verbundenen Widrigkeiten, die die Herzogin durchzustehen hat, nicht wie bei der Königin und Suffolk um die gegenseitige Liebe. Zu diesen Widrigkeiten gehören physische Beschwernisse und vor allem die Erniedrigung und Verhöhnung durch die Volksmassen, die ihr früher einmal zugejubelt hatten. Uber die Leiden der Herzogin wird der Zuschauer gleich zweimal unterrichtet, in Gloucester Monolog am Anfang der Szene (11,4, 8-14) und aus ihrem eigenen Mund (II, 4, 27-36). Der Herzog hingegen fordert seine Frau auf, "quiet" bzw. "patience" zu bewahren (II, 4, 67 und 68). Nach dem Auftreten des Herolds leitet Gloucester mit den Worten "I take my leave" (11,4, 74) die endgültige Trennung ein. Sein Abgang verzögert sich jedoch, da er zuvor noch Stanley, den Bewacher seiner Frau, bittet, sie gut zu behandeln. Auch sein endgültiges "farewell" (II, 4, 84) ist an Stanley gerichtet, nicht an die Herzogin. Diese beklagt sich darüber, daß ihr Mann sie mit keinem weiteren Wort des Abschieds bedenkt: Glou. ... and so, Sir John, farewell. Duch. What! gone, my lord, and bid me not farewell. Glou. Witness my tears, I cannot stay to speak. (II, 4,

84-86)

Dieser Wortwechsel weist den Zuschauer auf die Bedeutung der Einzelheiten des Abschiednehmens hin: An Gloucesters Unfähigkeit zu weiteren Worten wird die Aufrichtigkeit seiner Zuneigung deutlich. In dieser Szene werden dem Zuschauer zwei Charaktere vorgeführt: Wir sehen, daß das Streben der Herzogin nur auf die Befriedigung ihres eigenen Stolzes gerichtet war - sie wünschte sich "this world's eternity" (II, 4, 90) - und daß sie deshalb ihren Schicksalsschlag, die Drehung des Rades der Fortuna, nicht ertragen kann, während der sprichwörtlich gewordene good Duke Humphrey seine Rechtschaffenheit unter Beweis stellt und zeigt, daß er in der Lage ist, sein Schicksal geduldig auf sich zu nehmen. Aus diesem Charaktergegensatz erwächst der Szene eine dramatische Spannung. Die Szene des Abschieds Suffolks von der Königin ist ganz anders geartet und bringt einen weitgehenden Gleichklang der Liebenden zum Ausdruck. Obwohl auch hier eine Person in die Verbannung gehen muß, geht es in dieser Szene nicht um äußere Widrigkeiten, sondern um die Reaktion der Betroffenen auf den Schicksalsschlag und um den Schmerz, der mit der Trennung von der geliebten Person verbunden ist. Die Harmonie der Liebenden kommt zunächst dadurch zum Ausdruck, daß beide zwischen dem Haß auf die Feinde und der Ergebung in 30

das Schicksal schwanken. Am Anfang der Abschiedsszene ergeht sich die Königin in Flüchen auf den König und seine Berater, während Suffolk resignierend von der Königin Abschied nehmen will: Queen. Mischance and Sorrow go along with you! Heart's Discontent and sour Affliction Be playfellows to keep you company! There's two of you; the Devil make a third! And threefold Vengeance tend upon your steps! Suf. Cease, gentle queen, these execrations, And let thy Suffolk take his heavy leave. (Ill, 2, 2 9 9 - 3 0 5 )

Als Suffolk auf Drängen der Königin dann doch noch in die Verwünschungen mit einstimmt, gebietet ihm Margaret ihrerseits Einhalt: Suf. ... Their music frightful as the serpent's hiss, And boding screech-owls make the consort full! All the foul terrors in dark-seated hell Queen. Enough, sweet Suffolk; thou torments thyself . . . (111,2, 3 2 5 - 3 2 8 )

Shakespeare stellt also die beiden Pole ,Haß' und ,Vergebung' einander gegenüber, ohne sie bestimmten Personen zuzuordnen. Ähnlich wie später in Romeo and Juliet2 gelingt es ihm, den Gleichklang der Liebenden gerade durch einen Streit zwischen ihnen zum Ausdruck zu bringen. Im weiteren Verlauf der Szene steht dann der Schmerz im Mittelpunkt, den die Trennung mit sich bringt. Dieser Schmerz wird zunächst in seinen physischen Symptomen, den Tränen und Seufzern, beschrieben. Hinzu kommen dramatische Gesten: Queen. . . . O! could this kiss be printed in thy hand . . . (Ill, 2, 342)

Der eigentliche Augenblick des Abschieds wird immer wieder hinausgezögert. Das ,endgültige' Abschiedswort der Königin erweist sich jedesmal als noch nicht endgültig: Fünfmal (III, 2, 345, 351, 355, 385 und 407) ,beendet' die Königin die Abschiedszeremonie, um sie dann doch noch fortzusetzen. Bei den Tränen und Seufzern, beim wiederholten ,Schlußwort', beim Versprechen der Königin, sich um eine Aufhebung der Verbannung zu bemühen, und beim Vergleich der Verbannung mit dem Tod hat sich Shakespeare ein Gedicht Ovids (Tristien 1,3) zum Vorbild genommen, in 2

Siehe u. S. 40.

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dem der verbannte Dichter die Trennung von seiner in Rom verbliebenen Frau schildert.3 Das Problem, das sich dem Dramatiker bei der Umsetzung von Motiven aus der Elegie Ovids in eine dramatische Szene stellt, löst Shakespeare dadurch, daß er die von Ovid übernommenen Motive alle der Königin zuteilt, Suffolk aber seinem Schmerz auf andere Weise Ausdruck verleihen läßt: . . . 'Tis not the land I care for, wert thou thence; A wilderness is populous enough, So Suffolk had thy heavenly c o m p a n y : F o r where thou art, there is the world itself, With every several pleasure in the world, And where thou art not, desolation . . . (Ill, 2, 3 5 8 - 3 6 3 )

Neben seiner Liebe zu Queen Margaret erscheinen Suffolk alle anderen Erwägungen sinnlos. Nach allem, was im Drama bisher von den politischen Ambitionen Suffolks gesagt worden ist, ist dies recht überraschend. Der Zuschauer lernt eine zunächst nur negativ dargestellte Gestalt jetzt von einer ganz anderen Seite kennen. Der Einbruch Vaux' (III, 2, 366), der eine baldige Ankunft des Königs als wahrscheinlich erscheinen läßt, macht auf die Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Zeit aufmerksam und stellt somit die besondere Bedeutung des Augenblicks heraus, in welchem die Liebesbeziehung einen intensiven, komprimierten Ausdruck findet. Das Motiv der nun folgenden Rede Suffolks (III, 2, 387-401), die Gegenüberstellung des Sterbens entfernt von der Geliebten und in ihrer Nähe, ist einer weiteren Elegie Ovids (Tristien, III, 3) entnommen.4 Durch das Thema ,Tod' wird unterstrichen, daß die Trennung für die Personen einen existentiellen Einschnitt mit sich bringt. Die von Ovid geschilderten Einzelheiten (das Schließen der Augen durch die Geliebte, die dem Körper entfliehende Seele) erscheinen bei Shakespeare allerdings in einer gesteigerten, intensiveren Form, die die emotionale Erregung des Sprechers deutlich macht und die lyrischen Motive somit ,dramatisiert'. Es wird deutlich, wie geschickt Shakespeare das Material aus der nichtdramatischen Quelle für seine dramatischen Zwecke zu nutzen versteht.5 3

4 5

Henry VI, Part 2, ed. Andrew C. Cairncross (1957), The Arden Shakespeare, III, 2, 338ff., note. Zur Tradition, in der diese Elegie Ovids steht, siehe auch: P. Ovidius Naso, Tristia, ed. Georg Luck, 2 Bde. (Heidelberg, 1977), Bd. 2 (Kommentar), S. 3 6 - 4 6 . Henry VI, Part 2, a.a.O., III, 2, 387ff„ note. Das Liebesverhältnis von Suffolk und der Königin findet sich nicht in Shakespeares

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Diese Szene ist in noch stärkerem Maße statisch als die oben besprochene Szene II, 4. Ein Konflikt, der zu einem dramatischen Geschehen führen könnte, besteht in dieser Szene nicht. Informationen wie die Angabe von Frankreich als Reiseziel Suffolks (III, 2, 404) werden nur ganz am Rande gegeben. Im Gesamtgefüge des Dramas stellt diese Szene trotzdem eine entscheidende Wende dar: Margarets aggressive Natur, die nach Suffolks Abgang immer stärker hervortreten wird, erhält eine nachvollziehbare psychologische Begründung. So verwerflich und für die Interessen Englands schädlich das Verhältnis von Suffolk und der Königin auch sonst im Drama erscheinen mag, so wird ihm doch in dieser Szene eine gewisse tragische Größe zuerkannt, die die Sympathie des Zuschauers auf sich zieht. Die statische Natur dieser Szene ermöglicht also wie in der Szene II, 4 die intensive Schilderung von Charakteren ebenso wie die Sympathielenkung. Wie schon gesagt wurde, gab es weder im antiken noch im zeitgenössischen Drama Szenen, die sich Shakespeare für diese Liebes- und Abschiedsszene zum Vorbild hätte nehmen können. Ein Beispiel für die Behandlung des Themas ,tragische Liebe' im Drama vor Shakespeare ist die Tragödie Gismond of Salerne (1567-1568), in der ein Liebespaar im Mittelpunkt steht, das jedoch nie gemeinsam auf der Bühne zu sehen ist. 6 Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, daß dem Autor, der sich im wesentlichen Seneca zum Vorbild nahm, die dramatischen Ausdrucksmittel für Liebesszenen fehlten. Wie Christian W. Thomsen bemerkt, wirkt das Drama heute „wie eine einzige Kette vergebener dramatischer Möglichkeiten". 7 Es bedurfte der Kunst Shakespeares, diese uns heute selbstverständlich erscheinenden Möglichkeiten zu finden. Das Fehlen einer Tradition von Liebesszenen wird in Henry VI, Part 2 auch dadurch deutlich, daß die Königin die Trennung von Suffolk mit dem Abschied zum Tode verurteilter Freunde vergleicht:

6

7

historischen Quellen (Holinshed und Hall), sondern ist offensichtlich seine Erfindung. Cairncross weist auf Parallelen zu den Geschichten von Dido und Aeneas sowie von Lancelot und Guinevere hin ( H e n r y VI, Part 2, a.a.O., Introduction, S. liv). Eine Parallele besteht auch zur Geschichte von Tristan und Isolde: Wie Tristan wirbt Suffolk um eine Prinzessin, nicht für sich selbst, sondern für seinen König, plant jedoch von Anfang an, sie zu seiner Geliebten zu machen. Offensichtlich versuchte Shakespeare bewußt, die Gattung Drama durch Verwendung nichtdramatischer Stoffe zu bereichern. Dies ist kein Einzelfall: Tassos Schäferspiel Aminta hat ausschließlich die Entstehung eines Liebesverhältnisses zum Inhalt. Trotzdem sind die Liebenden nie gemeinsam auf der Bühne zu sehen. Über ihre Begegnungen erfahren wir nur durch Botenberichte. Christian W. Thomsen, Der Charakter des Helden bei Seneca und in der frühelisabethanischen Tragödie, Diss. (Marburg, 1967), S. 109.

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. . . Even thus t w o friends condemn'd Embrace and kiss, and take ten thousand leaves, Loather a hundred times to part than die . . . ( 1 1 1 , 2 , 3 5 2 - 3 5 4 )

Dieser Vergleich mag uns heute absurd vorkommen. Abschiedsszenen von Liebenden waren so neuartig, daß eine offensichtlich bekanntere Situation zum Vergleich herhalten muß. Hatte Shakespeare hier die Trennung von Damon und Pithias in Richard Edwards' Drama vor Augen? Daß Shakespeare dieses Drama kannte, ist sehr wahrscheinlich.8 Mit der dramatischen Abschiedsszene von Liebenden, einem im zwanzigsten Jahrhundert kaum wegzudenkenden Bestandteil von Produkten der amerikanischen Filmindustrie, ist Shakespeare die Entdekkung einer neuen dramatischen Form gelungen. Ein Vergleich der beiden Abschiedsszenen in Henry VI, Part 2 zeigt, daß Shakespeare schon in der Anfangsphase seines Schaffens die Form der Abschiedsszene zu variieren versteht, um unterschiedlichen Personen und Situationen gerecht zu werden. Die Entdeckung des Szenentyps ,Abschiedsszene' veranlaßt Shakespeare nicht sogleich zu einem Verzicht auf die traditionelle Form des Kurzabschieds. So verabschieden sich in Henry VI, Part 3 (1,1, 212-216) York und seine Gefolgsleute vom König, indem sie nur kurz ihr Reiseziel nennen, ähnlich wie die Edelleute in Henry VI, Part 1 (1,1, 152-177). 9 Ein anderer Typ des Kurzabschieds ist die Trennung vor einer Entscheidungsschlacht, zum Beispiel in Henry VI, Part 3 (II, 3, 42-56). In der Szene IV, 8 (23-32) desselben Dramas umrahmt Warwicks zweimaliges farewell die Abschiedsbekundungen der anderen Edelleute, die in verschiedene Richtungen aufbrechen, um Truppen gegen Edward auszuheben.10 In Richard III (IV, 1, 87-94) erfährt diese stilisierte Form des Abgangs in verschiedene Richtungen bei der Trennung von Dorset, Anne und der Duchess of York sogar noch eine Fortentwicklung: Wie Wolf8 9 10

Siehe The Two Gentlemen of Verona, a.a.O., Introduction, S. xxxviii. Siehe o. S. 28. Vgl. den Abschied Falstaffs von Shallow in Henry IV, Part 2 (III, 2, 2 8 2 - 2 9 3 ) und die Trennung der Edelleute in Henry V, vor der Schlacht von Agincourt (IV, 3, 5 - 1 4 ) . Der Mangel an Zukunftsperspektiven mag die Knappheit des Abschieds in diesen Szenen erklären. In noch stärkerem Maße gilt dies für die Trennung von Brutus und Cassius in Julius Caesar (V, 1, 116—126), wo beide wissen, daß sie sich zum letztenmal sehen. Vgl. auch Coriolanus, wo Aufidius zum Kampf aus seiner Heimatstadt aufbricht (1,2, 3 3 - 3 8 ) bzw. wo der verwundete Martius während der Schlacht von Titus Lartius Abschied nimmt (I, 5, 17-24). 34

gang Clemen feststellt, hat der ritual style der Abschiedsverse eine besondere dramatische Funktion: Die Einmütigkeit der Verschwörung gegen Richard wird deutlich.11 Ein in ähnlicher Weise stilisierter Abschied liegt in Richard II vor (11,2, 134—148), wo sich die Freunde des Königs voneinander trennen, um in verschiedene Richtungen zu entfliehen. Auch in King Lear findet sich noch einmal ein knapper, ritueller Abschied. Der verbannte Kent spricht vor seinem Abgang vier gereimte couplets, von denen je eines Lear und Cordelia gilt, eines Goneril und Regan gewidmet ist und eines ein Resümee darstellt (1, 1, 179-186). Es geht hier nicht um die emotionalen Implikationen dieser Abreise, sondern um die Zusammenfassung der Situation durch Kent als chorische Figur.12 Eine individuelle Personencharakterisierung ist in diesen kurzen, stilisierten Szenen nicht möglich, wohl aber die Beschwörung einer bestimmten Stimmung. Ein neues Element findet sich in den Abschiedsszenen von The Two Gentlemen of Verona und Romeo and. Juliet. In diesen Dramen stehen die Abschiedsszenen am Anfang eines bestimmten Reisegeschehens, dessen weiterer Verlauf ebenfalls auf der Bühne zu sehen sein wird. Anders als bei den Szenen in Henry VI, Part 2 markieren sie eher einen Aufbruch als ein Ende und sind für die Abreisenden der Beginn der Suche nach einem bestimmten Ziel. Der Akzent liegt auf dem Blick in die Zukunft, nicht auf der Beschwörung vergangenen Glücks. Neu ist auch die Natürlichkeit des Dialogs bzw. seine Nähe zur Alltagssprache, was die unaufdringliche Übermittlung von Informationen an den Zuschauer erleichtert. Dennoch gibt es hinsichtlich der Form einige Gemeinsamkeiten mit den besprochenen Szenen in Henry VI, Part 2. Hierzu gehört die mehrfache Wiederholung des farewell bzw. adieu, das sich immer wieder als noch nicht endgültig erweist. In The Two Gentlemen of Verona verabschiedet sich Valentine in der ersten Szene von seinem Freund Proteus, um in der Fremde seine Bildung zu vervollständigen. Am Anfang der Szene wird die Illusion erzeugt, daß das Gespräch bei Szenenbeginn schon lange im Gang war: "Cease to persuade, my loving Proteus..." (1,1,1). Hierdurch wird eine 11

12

Wolfgang Clemen, Kommentar zu Shakespeares Richard III: Interpretation eines Dramas (Göttingen, 1957), S. 225. Vgl. King Lear, ed. Kenneth Muir (1972), The Arden Shakespeare, 1,1, 179-186, note.

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besondere Anschaulichkeit erreicht und deutlich gemacht, daß wir es bei der Szene mit einem Ausschnitt aus einem längeren, fortlaufenden Geschehen zu tun haben. 13 Gleichzeitig wird angedeutet, daß Valentines Abgang unmittelbar bevorsteht, so daß der Eindruck eines sehr raschen Ablaufs der Zeit erweckt wird. Bezeichnend ist, daß das ,dynamische' Geschehen, auf das der erste Vers der Szene anspielt (Proteus' Versuch, Valentine zum Bleiben zu bewegen), nicht zur Darstellung kommt, sondern nur der durch das Motiv Abschied bestimmte Schlußteil des Gesprächs. Schon bald spricht Proteus seinen Abschiedsgruß: "Wilt thou be gone? Sweet Valentine, adieu..." (1,1,11). Danach entwickelt sich jedoch noch ein langer Dialog mit dem Thema Liebe, an dessen Ende Proteus den Abschied wiederholt: "All happiness bechance to thee in Milan" (1,1,61). Valentine wiederum leitet die endgültige Trennung mit den Worten "once more adieu" (1,1, 53) ein und verweist damit auf einen bereits früher ergangenen Abschiedsgruß. Es wird deutlich, wie schwer es ihm fällt, sich von Proteus loszureißen. Erst neun Verse später trennt sich Valentine mit den Worten " . . . and so farewell" (1,1,62) dann endgültig von seinem Freund. Konkrete Einzelheiten wie Proteus' Versprechen, für das Wohlergehen des Freundes zu beten (1,1, 17-20), sein Wunsch, ihn noch bis zum Schiff zu begleiten (1,1, 55), und die Verabredung, einander Briefe zu schreiben (1,1, 57-60), lassen das Freundschaftsverhältnis besonders anschaulich zu Tage treten, vielleicht gerade weil sie zur Handlungsentwicklung nichts beitragen. In vielfacher Hinsicht erweist sich die Form der statischen Abschiedsszene als ideales Mittel der Exposition: Der Zuschauer erhält in dieser Szene Informationen über das Ziel der Reise, das ihm durch doppelte Nennung (1,1,57 und 61) eingeprägt wird, über den Grund von Valentines Reisevorhaben und über die Liebe des Proteus zu Julia. Durch die freundschaftliche und zuweilen witzige Auseinandersetzung der beiden Edelleute bekommt der Zuschauer zudem einen Eindruck von deren jugendlicher Naivität. Weiterhin wird in dieser Szene auf das Grundthema des Dramas, den Konflikt zwischen den Forderungen der Liebe und des gentleman-

13

Diesen Kunstgriff wird Shakespeare im Verlauf seiner Karriere noch vervollkommnen, so daß viele Szenen der späteren Dramen filmischen Einblendungen ähneln, wie z. B. Othello, I, 1. Vorstufen dieser Einblendungstechnik finden sich bei Robert Greene; z. B. James IV (I, 1 und vor allem IV, 2).

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Ideals, 14 zu dem auch die unverbrüchliche Freundschaft gehört, hingewiesen. Beide Freunde streben nach einem Ziel, von dem sie sich persönliche Befriedigung versprechen: " H e after honour hunts, I after love..." (1,1,63), sagt Proteus nach Valentines Abgang. Während für Valentine das vorhandene ,Zuhause' für seine Selbstverwirklichung nicht mehr ausreicht, glaubt Proteus, durch seine Liebe zu Julia an seinem Heimatort ein Zuhause, das heißt den Ort seiner Bestimmung, gefunden zu haben. Auch die erheblich kürzere Abschiedsszene von Proteus und Julia (II, 2) verbindet die Information des Zuschauers über die Handlung (die Abreise des Proteus, den Treueschwur der Liebenden) mit einer Charakterisierung der beteiligten Personen. So ist das Ungleichgewicht zwischen den Liebenden bemerkenswert: Nur Proteus äußert Worte des Abschieds, während Julia seine Aufforderung, nicht zu antworten (II, 2,13), befolgt und ihren Schmerz nur durch ihr Schweigen anzeigt. Über dieses Schweigen ist Proteus paradoxerweise zunächst verwundert. Die Bedeutung dieser Einzelheit wird deutlich, wenn Proteus Julias Sprachlosigkeit,interpretiert': . . . What, gone without a word? A y , so true love should do: it cannot speak, For truth hath better deeds than w o r d s to grace it. (II, 2, 16-18)

Diese Schlußbemerkung wird sich im Verlauf des Dramas auf ironische Weise bewahrheiten: Proteus' Worte - seine eloquente Liebesbekundung - werden sich als nichtig erweisen, während Julia ihre "true love" durch Taten - ihre Reise nach Mailand in Männerkleidern - unter Beweis stellen wird. 15 Wie Gloucester in Henry VI, Part 2 (11,4) reflektiert Proteus über eine formale Einzelheit des Abschiednehmens. Shakespeare läßt dadurch erkennen, wie relevant diese Details für das Verhältnis 14

15

In seiner Studie Shakespeare's Opening Scenes (Salzburg, 1977) stellt Robert F. Willson fest, daß den Anfangsszenen von Shakespeares Dramen oft eine "key-noting function" für den gesamten Ablauf des jeweiligen Dramas zukommt (S. 7 et passim). Für seine Untersuchung wählt Willson 19 Dramen aus, unter denen die Dramen, die mit einer Abschiedsszene beginnen ( T w o Gentlemen, All's Well, Measure for Measure und nach der Szeneneinteilung der meisten Herausgeber auch Cymbeline), fehlen. Offensichtlich verkannte Willson, daß gerade Abschiedsszenen als statische Szenen die von ihm angesprochene "key-noting function" gut erfüllen können, wie hier in Two Gentlemen. Wie Clifford Leech feststellt, könnte diese dramatische Ironie auf Montemayors Roman Diana zurückgehen; Two Gentlemen, a.a.O., 11,2,18, note. Auch das Motiv des zum Abschied als token überreichten Rings stammt möglicherweise aus diesem Roman; vgl. Two Gentlemen, a.a.O., Introduction, S. xlii.

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zweier Personen zueinander und somit für den Gesamtzusammenhang des Dramas sein können. Eine interessante Neuerung gelingt Shakespeare in der unmittelbar folgenden Szene, in der Proteus' Diener Launce von seinem Abschied von seiner Familie berichtet. Launces Hauptanliegen ist es, die Gefühllosigkeit seines Hundes Crab aufzuzeigen. Der Hund hatte beim Abschied von der Familie keine Gemütsbewegungen erkennen lassen, während Launces Eltern, seine Schwester, die Dienstmagd und vor allem Launce selbst ganz in Tränen aufgelöst waren (II, 3, 4-32). Hier verwendet Shakespeare zum erstenmal die Form des Berichts zur Darstellung eines Abschieds. Das Abschiedsmotiv wird in diesem Drama also auf bemerkenswerte Weise variiert. Neben der Komik, die in der Einbeziehung des Hundes und der ,szenischen' Vergegenwärtigung der Trennung liegt, die Launce vornimmt, hat sein Bericht eine wichtige Funktion als Kontrast zu der vorhergehenden Szene. Launces Abschiedsschmerz steht Proteus' ausgesprochen gefaßter Haltung beim Abschied von Julia gegenüber.16 Mit großer Virtuosität nutzt Shakespeare die szenische Form des hinausgezögerten Abschieds in Romeo and Juliet zur Darstellung der Intensität der Liebesbeziehung. Die ganze zweite Hälfte des nächtlichen Gesprächs der Liebenden in der Szene II, 2 wird von einer Abschiedsszene in Anspruch genommen. In der Szene sagt Juliet nicht weniger als fünfmal zum Abschied "good night" oder "adieu", um die Unterredung dann doch noch fortzusetzen (11,2, 120-154). Zum Schluß der Szene scheint das Abschiednehmen für sie fast Selbstzweck geworden zu sein, losgelöst von dem Schmerz, der mit der Notwendigkeit einer Trennung einhergeht: ... G o o d night, good night. Parting is such sweet sorrow That I shall say good night till it be morrow. (11,2, 1 8 4 - 1 8 5 )

16

W i e G e o r g v o n G r e y e r z feststellt, w ä h l t Shakespeare o f t eine reported scene anstelle einer unmittelbaren szenischen Darstellung eines Geschehens, u m den Charakter des Berichtenden besser hervortreten z u lassen; The Reported Scenes in Shakespeare's Plays, Diss. (Bern, 1965), S. 1 1 - 1 3 . Eine weitere Funktion dieses Szenentyps ist in diesem wie in anderen Fällen die eines Kontrasts zu einer auf der Bühne dargestellten Szene; vgl. Richard II (I, 4) und u. S. 48. Zum M o n o l o g Launces vgl. Schlüter, a.a.O., S. 54 und Clemen, Monologe, S. 5 0 - 5 1 . Vgl. auch H a r o l d B r o o k s , "Two C l o w n s in a C o m e d y (to say nothing of the Dog): Speed, Launce (and C r a b ) in 'The T w o Gentlemen of Verona'", Essays and Studies 1963 ( L o n d o n , 1963), S. 9 1 - 1 0 0 , und Two Gentleman, a.a.O., Introduction, S. lv-lvi.

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Diese Abschiedsszene dient als Rahmen für die Vereinbarungen über die Heirat am folgenden Tag. Daneben aber werden die Liebenden bei dem fast spielerischen Hin und Her um den endgültigen Augenblick des Abschieds durch ihre Sprechweisen in ihrer Eigenart charakterisiert. Zunächst bedienen sich beide unterschiedlicher Formen einer bildlichen Ausdrucksweise: Romeo macht in petrarkistischer Manier die Liebe zum Gegenstand abstrakter Vergleiche (II, 2, 156-157) und erweist sich als jugendlich-unreifer Anhänger einer traditionellen Liebeskonzeption. Juliets Vergleiche sind hingegen konkreter: Sie beziehen sich nicht auf die Liebe, sondern auf den Liebhaber, Romeo, den sie mit einem Vogel gleichsetzt, den sie zurückrufen möchte (11,2, 158-159 und 177-181). Hiermit läßt sie ihre kindlich-verspielte Wesensart deutlich werden. Im Verlauf der Szene nähern sich die Ausdrucksweisen der Liebenden immer stärker aneinander an: Mit den Worten "my nyas" (11,2, 167), ,mein Nestling', geht Romeo auf den von Juliet verwandten Metaphernbereich ein, auch wenn das tertium comparationis ein anderes ist. 17 Dieser Prozeß der sprachlichen Annäherung setzt sich im nun folgenden Dialog fort: Beide gebrauchen Wörter, die zuvor gerade der andere verwendet hatte: Juliet. . . . I have forgot w h y I did call thee back. Romeo. Let me stand here till thou remember it. Juliet. I shall forget, to have thee still stand there, Remembering how I love thy company. Romeo. A n d I'll still stay, to have thee still forget, Forgetting any other h o m e but this. (II, 2, 170-175)

Bei diesem Wortwechsel wird der statische, undramatische Charakter der Szene besonders deutlich. Nicht der Inhalt des Gesprächs ist für die Liebenden von Bedeutung, sondern allein der Umstand, daß sie miteinander sprechen. 18 Die Liebenden gestehen sich sogar ein, daß es keinen bestimmten Grund für die Fortsetzung des Gesprächs gibt, und stellen auf diese Weise ihre Liebe und ihre Zusammengehörigkeit unter Beweis. Die zweimalige Unterbrechung des Dialogs durch Juliets Amme 17

18

Siehe Romeo and Juliet, ed. Brian Gibbons (1980), The Arden Shakespeare, II, 2, 167, note. Es liegt also die „phatische" Sprachfunktion im Sinne Malinowskis und Jakobsons vor; Bronislaw Malinowski, "The Problem of Meaning in Primitive Languages", C. K. Ogden, I. A. Richards, The Meaning of Meaning: A Study of the Influence of Language upon Thought and of the Science of Symbolism (New York, London, ,0 1949 ['1923]), Supplement I, S. 296-336; S. 315-316; Roman Jakobson, "Linguistics and Poetics", ders., Selected Writings, Bd. 3 (Den Haag, 1981), S. 18-51; S. 24.

39

(11,2, 136 und 149-151) hat - ähnlich wie die Unterbrechung von Suffolks Abschied von der Königin durch Vaux in Henry VI, Part 2 zur Folge, daß die Szene an keiner Stelle durch ihre Länge ermüdet, sondern trotz ihrer statischen Natur außerordentlich lebendig wirkt und den Eindruck eines raschen Zeitablaufs erweckt. In der zweiten Abschiedsszene, die am Morgen nach der Hochzeitsnacht stattfindet (III, 5), sind dann die Ausdrucksweisen der Liebenden weitgehend identisch. Die kindliche Verspieltheit des Dialogs ist einer ernsten Haltung gewichen, die der neuen Situation entspricht: Romeo muß um sein Leben fürchten, wenn er sich nicht rechtzeitig aus Verona entfernt. Die äußere Gefährdung hat die Liebenden reifen lassen. Ahnlich wie bei Queen Margaret und Suffolk dient auch hier eine Meinungsverschiedenheit zur Darstellung der Harmonie der Liebenden. So ist Juliet zunächst der (unzutreffenden) Ansicht, der Vogelgesang stamme nicht von der Lerche und der Morgen sei somit noch nicht gekommen (111,5, 1-5). Romeo widerspricht (111,5, 6-11). Als sich dann Romeo Juliets Meinung zu eigen macht, widerspricht ihm nunmehr Juliet und drängt ihn zum Gehen (III, 5, 26-35). Wie seit langem bekannt ist, steht dieser Dialog in der Tradition der mittelalterlichen lyrischen Form der alba, des ,Tagelieds'.19 Um diese Form, die sich auch in epischen Texten wie Chaucers Versroman Troilus and Criseyde findet,20 im Drama verwenden zu können, nimmt Shakespeare eine Reihe von Änderungen vor: Er führt eine Meinungsverschiedenheit der Liebenden ein und gibt der lyrischen Äußerung somit eine dramatische Spannung. Weiterhin verlegt er die Szene aus dem Schlafgemach auf den Balkon, von dem in Shakespeares Quelle, Arthur Brookes "Romeus and Juliet", und in den italienischen Novellen, auf die diese 19

20

Dies wurde zuerst von L. Frankel, Shakespeare und das Tagelied (Hannover, 1893), festgestellt. Eine direkte Quelle dieses Dialogs wurde bisher nicht gefunden. Gewisse Anklänge finden sich in Luigi Grotos Tragödie La Hadriana, wo die Liebenden die schwindende Nacht und die aufgehende Sonne anklagen. In Grotos Tragödie fehlen allerdings die für Shakespeare typischen Elemente wie das mehrfache farewell und die Auseinandersetzung mit dem Gesprächspartner. Die anwesende nutrice (,Amme') kommentiert nur, sie hat keine dramatische Funktion wie in Romeo and Juliet. Der eigentliche Abschied ist auf die letzten sechs Zeilen beschränkt; siehe o. S. 23. Die Frage, ob es sich beim singenden Vogel um eine Nachtigall oder eine Lerche handelt, könnte durchaus Shakespeares Erfindung sein. Dieser Disput Romeos und Juliets schließt in gewisser Weise an die Vogelmetaphorik der Szene II, 2 an. Einen umfassenden Uberblick über das Motiv ,Abschied von Liebenden bei Morgendämmerung' in der Weltliteratur gibt das oben (S. 23, Anm. 15) zitierte Buch Eos ..., ed. Hatto. "Troilus and Criseyde", III, 1415-1533; Geoffrey Chaucer, The Complete Works, ed. F. Ν. Robinson (Oxford, 2 1957 ['1933]).

40

Verserzählung zurückgeht, nicht die Rede ist. Hiermit löst er das Problem, ein Geschehen, das man sich in der lyrischen Tradition als sich im Bett des Mädchens abspielend zu denken hat, auf der Bühne sichtbar zu machen.21 Der Dramatisierung der lyrischen Form dient auch die Aufnahme von Elementen, die uns schon bei anderen Abschiedsszenen begegnet sind. Hierzu gehören die Angabe des Zielorts der Reise (III, 5, 15), der Einbruch von außen, der hier durch die Amme erfolgt, die die Ankunft von Juliets Mutter ankündigt und zur Eile mahnt, und das mehrfach wiederholte, jedesmal von neuem als endgültig erachtete farewell (III, 5, 42, 48 und 59). Auf den Abschiedskuß (III, 5,42) folgen bis zu Romeos endgültigem Abgang trotz der wegen der drohenden Gefahr gebotenen Eile noch siebzehn Verse. Romeos Ankündigung, von sich hören zu lassen, folgt einer originell formulierten Bitte Juliets (III, 5, 44-47). Ihre Worte weisen einerseits auf die Relativität des Zeitempfindens hin und sind andererseits ein Beispiel für Juliets noch immer bestehende Neigung zum spielerischen Umgang mit Worten und Begriffen. Trotz der Unsicherheit der Lage wagt Romeo einen optimistischen Blick in die Zukunft. 22 Juliet jedoch hat dunkle Vorahnungen: Romeo.

Farewell, farewell, one kiss and I'll descend. He goes

down.

Juliet. A r t thou gone so? Love, lord, ay husband, friend, I must hear f r o m thee every day in the hour, For in a minute there are many days. O , by this count I shall be much in years Ere I again behold m y Romeo.

21

22

Wie Hans Sckommodau feststellt, war das Motiv der am Fenster erscheinenden Dame vor allem in der italienischen Literatur des sechzehnten Jahrhunderts sehr beliebt; „Die Dame am Balkon", Elemente der Literatur: Beiträge zur Stoff-, Motiv- und Themenforschung [Festschrift Elisabeth Frenzel], edd. Adam J. Bisanz, Raymond Trousson, 2 Bde. (Stuttgart, 1980), Bd. 2, S. 3 5 - 4 8 . Es handelt sich hierbei jedoch stets um die Situation ,Begegnung', während Trennungen meist im Schlafgemach der Dame erfolgen. Der Balkon der Giulietta Capuletti kann den Touristen in Verona nur deshalb gezeigt werden, weil Shakespeare durch die Erfindung der Balkonszene ein dramaturgisches Problem löste. Romeos Vorstellung, in der Zukunft die zu Vergangenheit gewordenen gegenwärtigen Widrigkeiten unter glücklicheren Umständen im Gespräch noch einmal nachzuvollziehen (III, 5, 52-53), geht möglicherweise auf Vergils Aeneis (I, 198-207) zurück, wo Aeneas seinen Gefolgsleuten vorhält, sie würden sich am Ziel der Reise mit Stolz an die überstandenen Gefahren erinnern können; P. Vergili Maronis Opera, ed. R. A. B. Mynors (Oxford, 1969). Am Schluß von Shakespeares Dramen findet sich sehr oft die Wendung, nun könne man das Vorgefallene noch einmal in Ruhe im Gespräch Revue passieren lassen; vgl. u. S. 283.

41

Romeo. Farewell. I will omit no opportunity That may convey my greetings, love, to thee. Juliet. O think'st thou w e shall ever meet again? Romeo. I doubt it not, and all these woes shall serve For sweet discourses in our time to come. Juliet. O God, I have an ill-divining soul! ... (Ill, 5, 4 2 - 5 4 ) A u c h die Liebesbeziehung Q u e e n M a r g a r e t s u n d S u f f o l k s in Henry

VI,

Part 2 hatte ein erzwungenes Ende g e f u n d e n . A n d e r s als d o r t ü b e r w i e gen hier j e d o c h beim Abschied die Ä u ß e r u n g e n , die sich auf die Z u k u n f t beziehen. W i e in der ersten Szene v o n The Two Gentlemen

of

Verona

handelt es sich u m einen A u f b r u c h ; beim Beginn der Reise liegt der A k z e n t auf d e m Blick in die Z u k u n f t , nicht auf d e r Resignation angesichts eines unerbittlichen Schicksals. G e g e n ü b e r Friar Laurence hatte R o m e o n o c h ausgerufen: There is no world without Verona walls But purgatory, torture, hell itself; Hence 'banished' is banish'd from the world, And world's exile is death ... (Ill, 3, 1 7 - 2 0 ) N a c h der H o c h z e i t s n a c h t glaubt R o m e o n u n m e h r , äußeren W i d r i g k e i ten mit Standhaftigkeit und Zuversicht ins A u g e sehen u n d den Verlust seines Zuhauses, das er schon in d e r Szene II, 2 bei Juliet angesiedelt hatte (II, 2, 1 7 5 ) , ertragen zu k ö n n e n . 2 3 In Romeo Möglichkeit, 23

24

and, Juliet

erweist sich die Abschiedsszene erneut als

eine persönliche

Beziehung

dramatisch

darzustellen. 2 4

In ihrer Grundsituation ähnelt diese Szene der oben (S. 22) besprochenen Szene in Plautus' Curculio: Die Liebenden müssen ihre augenblickliche Entdeckung befürchten, zögern die Trennung aber trotzdem hinaus, bei Plautus jedoch nicht so sehr wie bei Shakespeare. Die Frage des Mädchens „Wann werden wir uns Wiedersehen?" und der Abschiedskuß, über den hinaus der Dialog noch fortgesetzt wird, finden sich wie das mehrfache farewell auch im Curculio, ohne daß diese Komödie damit als Shakespeares Quelle erwiesen wäre. Für Shakespeare charakteristisch ist die Ungewißheit über die Zukunft, während die Liebenden bei Plautus einen festen Plan haben, der schon bald in die Tat umgesetzt werden soll. Der Curculio fehlt in den von T. W. Baldwin aufgeführten Listen der an elisabethanischen Schulen gelesenen Plautus-Komödien; William Shaksper's Small Latine and Lesse Greeke, 2 Bde. (Urbana, 111., 1944), Bd. 1, S. 436 u. ö. Im Zusammenhang mit Shakespeares Gestaltung der Zeit kommt Otten (Die Zeit in Gebalt und Gestalt, S. 125) zu dem Schluß, daß Shakespeare den Curculio gekannt haben könnte. Die Anklänge in Romeo and Juliet scheinen dies zu bestätigen. Die Wichtigkeit der Abschiedszeremonie bei der Darstellung von Liebesbeziehungen bestätigt sich in Much Ado, wo Borachio und Margaret auf Geheiß Don Johns eine nächtliche Abschiedsszene am Fenster Heros simulieren, um die Eheschließung Claudios mit Hero zu hintertreiben (III, 3, 139-147). 42

Trotz der Länge der ,Spielzeit' gewinnt der Zuschauer hierbei den Eindruck eines schnellen, bewegten Geschehens. Die Untersuchung der Abschiedsszenen in Romeo and Juliet bestätigt also Brian Gibbons' Feststellung hinsichtlich des Sonetts, das Romeo und Juliet bei ihrer ersten Begegnung mit verteilten Rollen aufsagen (1,5, 92-105), 25 daß nämlich Shakespeares "full originality" darin besteht, daß es ihm gelingt, auf der Bühne seelische Zustände sichtbar zu machen, die zuvor nur vom nichtdramatischen Dichter gestaltet werden konnten. Wie sehr Shakespeare im europäischen Theater seiner Zeit mit der Kunst der statischen Abschiedsszene allein steht, macht ein Vergleich mit Lope de Vegas Tragikomödie Castelvines y Monteses deutlich, einem Drama, das etwa 1606-1612 entstand26 und auf den gleichen italienischen Quellen basiert wie Romeo and Juliet. Obwohl es in diesem Drama Szenen gibt, die im Handlungsablauf den Szenen II, 2 und III, 5 in Shakespeares Drama entsprechen, sind diese keine Abschiedsszenen. Die Trennungen erfolgen bei Lope de Vega ausgesprochen abrupt.27 In der zweiten Szene wird durch die Verdoppelung des Liebespaares - nicht nur Roselo und Julia müssen sich trennen, sondern auch die auf einer niedrigeren sozialen Stufe stehenden Marin und Celia - ein besonderer komischer Effekt erzielt. Dieser erinnert an die Art von Komik, die uns bei Plautus begegnet ist.28 Zum erstenmal im Werk Shakespeares findet sich in Romeo and Juliet ein anderer Typ der auf der Bühne dargestellten Trennung, der des betont hastigen Abschieds: Die Abschiedsworte Romeos an Friar Laurence, den er auf unbestimmte Zeit nicht Wiedersehen wird, sind ausgesprochen knapp:

25 26

27

28

Romeo and Juliet, a.a.O., Introduction, S. 43. Siehe S. Griswold Morley, Courtney Bruerton, Cronologia de las Comedias de Lope de Vega (Madrid, 1968 ['New York, 1940 u.d.T. "The Chronology of Lope de Vega's Comedias"]), S. 299-300. "Castelvines y Monteses, Tragicomedia", Frey Lope Félix de Vega Carpio, Obras, edd. Juan Eugenio Hartzenbusch, Marcelino Menendez Pelayo, 33 Bde. (Madrid, 19461972 [Bde. 1-4 ' m S - m O u.d.T. "Comedias escogidas"]), Bd. 4, S. 1-23; Acto I, escena 12 (S. 7-8) und Acto II, escenas 18-19 (S. 12-13). Vgl. o. S. 21-22. Auch sonst zeigt dieses Drama, daß sich Lope de Vega trotz seiner Behauptung, er würde Plautus und Terenz aus seinem Arbeitszimmer werfen, wenn er eine Komödie zu schreiben habe ("Arte nuevo de hacer comedias", Frey Lope Félix de Vega Carpio, Colección escogida de obras no dramáticas, ed. Cayetano Roseli [Madrid, 1872], S. 230-232; v. 40-42), dramaturgisch weit weniger von der antiken Komödientradition löst als sein Dramatikerkollege aus Stratford. 43

Friar L. ... G i v e me t h y hand. 'Tis late. Farewell. G o o d night. Romeo. But that a j o y past j o y calls out on me, It were a grief so brief to part with thee. Farewell. Exeunt. (Ill, 3, 1 7 1 - 1 7 4 )

Die Form des langen, verzögerten Abschieds ist bereits so selbstverständlich, daß ein kurzer Abschied ausdrücklich als solcher genannt wird und daß dabei der Kürze eine besondere Bedeutung zukommen kann: Hier ist es Romeos Ungeduld, mit Juliet die Hochzeitsnacht zu verbringen. Ahnlich erklärt sich auch die Kürze des Abschieds Lysanders und Hermias von Helena in A Midsummer Night's Dream: Her. ... Farewell, sweet playfellow; pray thou f o r us, A n d good luck grant thee thy Demetrius! Keep w o r d , Lysander; w e must starve our sight From lovers' food, till m o r r o w deep midnight. Exit Lys. I will, m y Hermia. Helena, adieu; A s y o u on him, Demetrius dote on y o u !

Exit

Hermia.

Lysander.

(1,1, 2 2 0 - 2 2 5 )

Hermias Liebe zu Lysander und ihr ungeduldiger Wunsch, mit ihm zu fliehen, lassen ihre jahrelange Freundschaft zu Helena in den Hintergrund treten. Im Wald wird sich dann die Priorität der Liebe gegenüber der Freundschaft auf tragikomische Weise bestätigen, vor allem in der Szene III, 2. 29 Gerade in dieser Szene erinnert Helena an die ausgedehnten Abschiedszeremonien zwischen ihr und Hermia in der Vergangenheit: . . . Is all the counsel that w e t w o have shar'd, The sisters' vows, the hours that w e have spent W h e n we have chid the hasty-footed time For parting us - O , is all forgot? . . . (Ill, 2, 1 9 8 - 2 0 1 )

Diese Worte verweisen ironisch auf die Konvention, beim ausgedehnten 29

Ein betont hastiger Abschied liegt auch im Merchant of Venice (111,2, 321-325) vor: Portia veranlaßt Bassanio, seinem Freund Antonio, den Bassanio über seiner Liebe zu Portia vergessen hatte, so schnell wie möglich zu Hilfe zu kommen. Hastig ist auch die Verabschiedung Othellos durch den venezianischen Dogen (I, 3, 288-293). Diese Eile betont die Dringlichkeit des militärischen Einsatzes und das unbedingte Vertrauen, das der Doge in Othello setzt. Weitere Abschiedsszenen, deren Kürze eine besondere Bedeutung zukommt, finden sich in All's Well (II, 5), Lear (III, 7), Cymbeline (III, 4) und The Two Noble Kinsmen (I, 1). Sie sollen zusammen mit den anderen Abschiedsszenen dieser Dramen besprochen werden.

44

Abschied die angebliche Kürze der Zeit anzuklagen. Vor allem aber ist der Ritus des hinausgezögerten Abschieds für Helena ein Zeichen für die Intensität und die Harmonie der Freundschaft zu Hermia. Diese Gemeinschaft ist nun zerbrochen, wie schon an der Kürze des Abschieds in der ersten Szene deutlich geworden war. Dieses Beispiel zeigt erneut, wie bewußt Shakespeare die Möglichkeiten nutzt, die die Darstellung eines Abschieds für die Schilderung der Beziehungen zwischen Personen bietet. Zur Darstellung eines komplizierten Geschehens, das zahlreiche unterschiedlich geartete Reisen verschiedener Personen enthält, greift Shakespeare in Richard II mehrmals zum Mittel der Abschiedsszene. Der Abschied Johns of Gaunt von der Duchess of Gloucester (1,2) informiert nicht nur über Gaunts Reiseziel, Coventry, wo das Duell zwischen Mowbray und Bolingbroke stattfinden soll (1,2,45-46 und 56), sondern vor allem über den historischen Hintergrund des gesamten Dramas. Auch hier arbeitet Shakespeare wieder mit den Mitteln des verzögerten Abschieds und des wiederholten farewell (1,2, 44, 54, 60 und 74). Zweimal hebt die Herzogin ihren Abschiedsgruß wieder auf (I, 2, 58 und 63) und zögert den Augenblick der endgültigen Trennung hinaus. Ein weiteres Mittel der Verzögerung ist die (tatsächliche oder gespielte) Erinnerungslücke, die den Abreisenden zum Warten nötigt (1,2, 63-65). 3 0 Diese Verzögerung bietet Raum für zahlreiche zusätzliche Informationen für den Zuschauer. 31 Daneben dient diese Szene der Sympathielenkung: Der Zuschauer wird für einen Mann eingenommen, der den König, obwohl er Grund hätte, ihm übelzuwollen, als Statthalter Gottes respektiert und jedwede Rache dem Himmel überläßt. Dieses Charakterbild wird dem Zuschauer vor Augen stehen, wenn Gaunt in der Szene II, 1 seine berühmte Preisrede auf England hält. 30

31

Vgl. o. S. 39 und ebd., Anm. 18 zur Vergeßlichkeit Juliets (11,2, 170-175). Auch Edmund Spenser verwendet diese Form des verzögerten Abschieds, für die Beschreibung der Trennung Britomarts von Artegall in der Faerie Queene (ed. A. C. Hamilton [New York, 1977]): Full oftentimes she leaue of him did take; And eft againe deuiz'd some what to say, Which she forgot, whereby excuse to make: So loth she was his companie for to forsake. (IV, vi, 45, 6 - 9 ) Peter Ures Ansicht, durch die Wiederholung des "farewell" (1,2,44) in Vers 54 komme ein "lack of perfect integration" zum Ausdruck, erweist sich in Anbetracht der beschriebenen Verzögerungstechnik als unbegründet; Richard II, ed. Peter Ure (1961), The Arden Shakespeare, I, 2, 44, note.

45

Die szenische Darstellung des Abschieds Mowbrays und Bolingbrokes in der Szene 1,3, die beide von Richard II. verbannt worden sind, hat Shakespeare ebenso wie die vorhergehende Szene keiner seiner historischen Quellen entnommen. Es läßt sich also vermuten, daß diesem Szenentyp auch hier eine besondere Hinweisfunktion zukommt. Zunächst einmal ist ein Kontrast zwischen dem Abgang Mowbrays und dem Bolingbrokes zu konstatieren: Mowbrays Reaktion auf das Verbannungsurteil ist eine abgemilderte Variante der pathetischen Gleichsetzung von Verbannung und Tod, die sich schon beim Abschied Suffolks von Queen Margaret fand (111,2, 410-411). Hier ist die Verbannung nur noch ein teilweiser Tod: Er bezieht sich lediglich auf die Unmöglichkeit, im Ausland die Muttersprache sprechen oder dort eine fremde Sprache erlernen zu können: . . . What is thy sentence then but speechless death, Which robs my tongue from breathing native breath? (I, 3, 172-173)

Mowbray wird im Gegensatz zu Bolingbroke nicht zurückkehren. Sein Mangel an Perspektiven wird beim Abschied dadurch ausgedrückt, daß ein Blick in die Zukunft fast völlig fehlt. Mowbray wird nicht imstande sein, sich außerhalb Englands ein neues Zuhause zu suchen. Eine spätere Erwähnung Mowbrays bestätigt diesen Eindruck: Als heimatloser Reisender hat er sich nach seiner Verbannung als Kreuzritter betätigt und ist in Venedig gestorben (IV, 1, 91-100). Hierdurch gibt er eine Folie für Bolingbroke ab, dem es gelingt, sich durch eigenmächtiges Handeln wieder ein Zuhause zu verschaffen. An die Stelle von Mowbrays Pathos, das einer individuellen Schicksalsannahme und Schicksalsbewältigung wenig Raum läßt, tritt bei Bolingbroke ein Abschiedszeremoniell, das die Verbannung nicht als Ende, sondern als Aufbruch, als Beginn eines dramatischen Geschehens erscheinen läßt. Die Verbannung Bolingbrokes deutet bereits auf seine Rückkehr voraus. Wesentlich ist hierbei die Zuversicht von Bolingbrokes Vater Gaunt: Während sich der junge, tatendurstige Dramenheld mit seiner "inforced pilgrimage" (I, 3, 264) nicht abfinden kann, empfiehlt ihm sein Vater die stoische Mißachtung der äußeren Widrigkeiten durch einen Akt des Denkens: The sullen passage of thy weary steps Esteem as foil wherein thou art to set The precious jewel of thy home return. (I, 3, 2 6 5 - 2 6 7 ) 46

... Think not the king did banish thee, But thou the king. Woe doth the heavier sit Where it perceives it is but faintly borne. Go, say I sent thee forth to purchase honour, And not the king exiPd thee . . . (I, 3, 2 7 9 - 2 8 3 )

Die Feststellung, daß Schicksalsschläge auf individuell verschiedene Weise ertragen werden können, und die Entdeckung der Möglichkeit, widrige Situationen durch einen Akt des Denkens in ihr Gegenteil umzukehren, bezeichnen einen wichtigen Entwicklungsschritt im Drama Shakespeares. Hierdurch wird dieses zu einem „Drama des menschlichen Bewußtseins", wie Otten formuliert.32 Den Rahmen dafür bildet in dieser statischen Abschiedsszene der Blick in die Zukunft, der hier - ebenso wie in Romeo and Juliet - bei Gehendem und Bleibendem unterschiedlich ausfällt und somit die Autonomie des Individuums erkennen läßt.33 Eine weitere Besonderheit dieser Szene verdient Beachtung: Gaunt ist zwar Gesprächspartner Bolingbrokes, nicht aber eine Person, von der dieser sich verabschiedet. Der eigentliche Abschied Bolingbrokes von seinem Vater wird »ausgeblendet', indem dieser ihn noch ein Wegstück begleitet (1,3, 304). Der auf der Bühne gesprochene Abschiedsgruß gilt vielmehr dem englischen Grund und Boden: Then, England's ground, farewell; sweet soil, adieu, My mother and my nurse that bears me yet! Where'er I wander boast of this I can, Though banish'd, yet a true-born Englishman. (I, 3, 3 0 6 - 3 0 9 )

Bolingbrokes Zuhause ist anders als das Romeos nicht durch die zurückbleibende Person, sondern durch die englische Nationalität und den ,Besitz' englischen Landes definiert. Auf das Ziel von Bolingbrokes Reise, die Inbesitznahme Englands, wird also schon bei diesem Abschied Bezug genommen. Ein an den Vater gerichteter Abschiedsgruß hätte den Zuschauer auf eine falsche Fährte geführt.

32 33

Otten, Die Zeit in Gehalt und Gestalt, S. 87. Hinsichtlich der Reaktion eines Dramenhelden auf das Verbannungsurteil steht Richard II an einem Wendepunkt: Der Vergleich der Verbannung mit dem Tod findet sich in Henry VI, Part 2 (111,2, 410-411), Two Gentlemen (III, 1, 170-187) und Romeo and Juliet (III, 2, 122-126 und III, 3, 12-15); vgl. o. S. 42. Die Aufhebung der Widrigkeiten durch einen Akt des Denkens kommt erneut vor in As You Like It (I, 3, 133-134 und II, 1, 15-20), Lear (1,1, 179-180) und Coriolanus (III, 3, 123-124); vgl. u. S. 182, 194 und 246. Vgl. auch Cymheline (1,2, 53-54) und u. S. 83. 47

Der Trost, den Gaunt seinem Sohn spendet, besteht in Variationen zum stoischen Thema ubi bene ibi patria. Diese Überlegungen sind hier offensichtlich Lylys Roman Euphues or the Anatomy of Wit (1578) entnommen, der sie seinerseits aus Plutarchs Schrift de exilio schöpft.34 Durch Zuweisung dieser Gedanken an Gaunt und durch Bolingbrokes Widerspruch entsteht eine dramatisch bewegte Szene, in der die unterschiedlichen Charaktere von Vater und Sohn zum Ausdruck kommen können. Es gelingt Shakespeare in dieser Szene also erneut, eine nichtdramatische Quelle den Erfordernissen der Gattung Drama entsprechend umzugestalten. In der folgenden Szene (1,4) verwendet Shakespeare wie schon in Tbe Two Gentlemen of Verona (II, 3) die Form des Berichts für die Darstellung eines Abschieds. Aumerle, der Bolingbroke noch ein Wegstück begleitet hat, erzählt Richard von dessen Haltung bei der Trennung. Die Form des Berichts ermöglicht es, die Abreise Bolingbrokes von einer zusätzlichen Perspektive aus darzustellen und die Genugtuung deutlich werden zu lassen, die man an Richards Hof über Bolingbrokes Gang in die Verbannung empfindet. Aumerles spöttische Bemerkungen über die beim Abschied ausgetauschten (bzw. nicht ausgetauschten) farewells (1,4, 11-19) machen den Zuschauer auf die Bedeutung der formalen Einzelheiten des Abschieds aufmerksam. Weiterhin wird in dieser Berichtsszene gesagt, daß auch das gemeine Volk am Abschiedsgeschehen teilhatte: Bolingbroke zog vor einer "oyster-wench" den Hut und ließ sich von "a brace of draymen" alles Gute wünschen (1,4, 23-36). Es wird noch einmal deutlich, daß England in seiner Gesamtheit das Objekt ist, von dem Bolingbroke sich trennen muß und zu dem er zurückkehren wird. Auch der Abschied Richards von Isabel vor seiner Abreise nach Irland wird nur in der Form des Berichts wiedergegeben: Nachdem Richard auf die bevorstehende Trennung hingewiesen hat (II, 1, 222-223), spricht die Königin in der darauffolgenden Szene mit Bushy über den erfolgten Abschied (II, 2, 1-9). Im Bericht kann die Diskrepanz zwischen der Zuversicht, die Isabel beim Abschied vorgetäuscht hat, und den (gerechtfertigten) Befürchtungen, die sie tatsächlich empfindet, besser zum Ausdruck gebracht werden als in szenischer Darstellung. Außerdem möchte Shakespeare zu diesem Zeitpunkt die Darstellung einer Gemeinsamkeit von Richard und Isabel vermeiden, um die Szene V, 1 nicht vorwegzunehmen und die Sympathien des Zuschauers 34

Siehe Richard II, a.a.O., I, 3, 275 - 2 7 6 , note, und 2 7 9 - 2 8 0 , note.

48

zunächst auf der Seite Bolingbrokes zu belassen. Erst nach Richards Fall soll der Zuschauer mit dem Titelhelden sympathisieren, während im ersten Teil des Dramas das Leichtfertige seines Lebens- und Regierungsstils im Vordergrund steht. Die Szene des endgültigen Abschieds Richards von Isabel enthält wieder eine Reihe von typischen Elementen. Wie Duke Humphrey in Henry VI, Part 2 auf das Vorbeikommen der entehrten und gefangenen Herzogin gewartet hatte, so wartet hier Isabel auf den abgesetzten und gefangenen Richard. Doch sind in dieser Szene die Informationen präziser — Frankreich als Reiseziel Isabels wird gleich viermal genannt (V, 1, 22, 37, 78 und 87) - und die Charakterisierung der beteiligten Personen durch Inhalt und Stil differenzierter. Während sich die Königin zunächst in pathetischen Klagen über den Verlust vergangenen Glücks ergeht, ist Richard zu einem der Situation angemessenen Blick in die Zukunft in der Lage: . . . I am sworn brother, sweet, To grim Necessity, and he and I Will keep a league till death. Hie thee to France And cloister thee in some religious house. O u r holy lives must win a new world's crown Which our profane hours here have thrown down. (V, 1, 2 0 - 2 5 )

Auch in dieser Szene sorgt ein die Trennung beschleunigender Einbruch von außen für eine Auflockerung: Northumberland, der den Typ des machiavellistischen Politikers verkörpert,35 teilt die Änderung des Ortes mit, an dem Richard gefangengehalten werden soll, und verkündet die Verbannung Isabels (V, 1, 51-54). 3 6 Trotz der unterschiedlichen Grundeinstellung der Königin und Richards ergibt sich am Ende - ausgelöst von der Erkenntnis, gemeinsam Opfer Northumberlands zu sein - ein Wortwechsel, der den Konventionen der elisabethanischen Liebeskasuistik folgt und auf diese Weise doch noch eine Harmonie zwischen Richard und Isabel deutlich werden läßt. Wie bei der ersten Begegnung Romeos und Juliets (1,5, 92-105) werden 35

36

Shakespeares Kunst der Charakterisierung wird deutlich in Northumberlands knapper Antwort auf Isabels Bitte, Richard mit ihr ziehen zu lassen: "That were some love, but little policy" (V, 1, 84). Gegenüber Vaux' Einbruch in Henry VI, Part 2 ist hier, wie Clemen feststellt, eine Fortentwicklung zu beobachten: während Vaux' Bericht mit dem Abschiedsgeschehen inhaltlich nichts zu tun hatte, greift Northumberland unmittelbar in die Abschiedszeremonie ein und bringt einen „schrillen Ton des Verrats und der Gefühllosigkeit" in die Szene; Clemen, Wandlung des Botenberichts, S. 22.

49

bekannte lyrische Motive in einen gereimten Dialog (V, 1, 85-102) eingebettet. Bei diesem Abschied handelt es sich erneut um die dramatische Ausgestaltung einer nichtdramatischen Quelle, der Strophen 66-98 des zweiten Buches von Samuel Daniels Civil Wars.37 Während die Unterredung bei Daniel jedoch in eine Begrüßung gekleidet ist, gibt Shakespeare ihr den Rahmen eines Abschieds. Der Grund für diese Änderung ist offenkundig: Wenn Richard seine Königsherrschaft verliert, büßt er seine Identität und damit sein,Zuhause' ein. Einen solchen Verlust bildet Shakespeare durch die Form der Abschiedsszene ab, während Begrüßungsszenen, wie noch zu zeigen sein wird, bei Shakespeare immer das Erreichen eines (alten oder neuen) Zuhauses darstellen. Von einer Begrüßung ist in der Schlußphase des Dramas konsequenterweise nur im Zusammenhang mit Bolingbroke die Rede: In der Szene V, 2 berichtet York seiner Frau vom Einzug des neuen Königs in London (V, 2, 7-21). 3 8 Bei den bisher besprochenen Abschiedsszenen handelt es sich um Trennungen einander nahestehender Personen, für die diese Trennungen Grenzsituationen bzw. Wendepunkte darstellen. Neben der Vergegenwärtigung existentieller Krisen erfüllt die Form der Abschiedsszene jedoch auch die Funktion, dem Zuschauer wichtige Informationen über den Handlungsablauf und über die verschiedenen Schauplätze zukommen zu lassen. In einer Reihe von Fällen macht sich Shakespeare die Möglichkeiten dieses Szenentyps auch dann zunutze, wenn eine emotionale Bindung der sich trennenden Personen nicht vorliegt bzw. nicht im Mittelpunkt des Interesses steht. Ein Beispiel ist die Szene II, 4 in Richard II, in der sich der walisische Hauptmann mit seinem Truppenkontingent vom Earl of Salisbury verabschiedet, da er nicht mehr an eine schnelle Rückkehr des Königs aus Irland glaubt.39 Auch der Abschied Launcelots von Jessica in The Merchant of Venice (11,3, 1-15) dient als Rahmen für die indirekte Fortführung eines Handlungsstranges, der mit diesem Abschied nicht unmittelbar zu tun hat. Die Entführung Jessicas durch Lorenzo wird vorbereitet: Jessica

37 38 39

Richard II, a.a.O., V, 1, note („material"). Siehe u. S. 124. Eine weitere Abschiedsszene dieser Art, bei der es ebenfalls um Truppenbewegungen geht, findet sich in Antony and Cleopatra (II, 4). 50

gibt Launcelot einen Brief für Lorenzo mit, in dem sie ihm offensichtlich mitteilt, wann ihr Vater außer Haus sein wird. Daneben kommt in den wiederholten farewells eine gegenseitige Zuneigung zum Ausdruck, so daß die Sympathie des Zuschauers für die beteiligten Personen geweckt wird. Die kindness der Jessica Launcelot gegenüber nimmt den Zuschauer für sie ein und verhindert eine negative Bewertung ihrer anschließenden Flucht aus dem Haus ihres Vaters. Es ist bemerkenswert, wie geschickt Shakespeare das Thema L o renzo und Jessica' in den Rahmen einer Abschiedsszene einbaut. Diese erscheint hier zum erstenmal in der Form, die für Shakespeare von nun an zur Regel wird: Das Thema ,Abschied' wird bereits im ersten Vers genannt; der eigentliche Abschiedsgruß erfolgt jedoch später (II, 3, 8). Dieses farewell erweist sich dann als noch nicht endgültig und wird vom selben Dialogpartner einige Zeilen später wiederholt. Ein bedeutsamer Abschied wäre natürlich der von Bassanio und Antonio. Doch wird über diese Trennung nur berichtet: Salarino erzählt dem Salanio, wie dieser Abschied verlaufen ist (II, 8, 36-49). Eine direkte szenische Darstellung hätte sehr sentimental ausfallen müssen. Die Betonung hätte auf Bassanios Abreise aus Venedig gelegen und nicht auf seiner Ankunft in Belmont. Auf diese kommt es jedoch vor allem an: Bassanio verläßt leichten Herzens sein altes Zuhause (Antonio, Venedig), um in einem neuen (Portia, Belmont) nach Aufnahme zu streben. Keine eigentliche Abschiedsszene ist die Szene II, 3 in Henry IV, Part 1, in der Hotspur seiner Frau seine bevorstehende Abreise ankündigt. Die Szene enthält mit Lady Percys Versuch, von ihrem Mann Genaueres über sein Vorhaben zu erfahren, ein dynamisches Geschehen. Der eigentliche Abschied wird nicht auf der Bühne gezeigt. Dennoch verbindet die Szene wie die meisten Abschiedsszenen die Information des Zuschauers über ein Reisevorhaben mit einer Charakterisierung der beteiligten Personen. Der Aufbau der Szene weist zahlreiche Ähnlichkeiten mit dem Aufbau der Brutus-Portia-Szene in Julius Caesar (II, 1) auf: In beiden Fällen versucht die Ehefrau mühsam, aus ihrem im Aufbruch befindlichen Mann das Ziel herauszulocken, das dieser verbergen will.40 40

Inhaltlich gibt es jedoch bemerkenswerte Unterschiede, wie A. R. Humphreys feststellt: "But more notable still is the differentiation Shakespeare could manage, as always, in treating similar material; there is all the difference in the world between the vivid comic spirit of this scene [Henry IV, Part 1, II, 3] and the troubled sadness of the other"; Henry IV, Part 1, ed. A. R. Humphreys (1960), The Arden Shakespeare, II, 3,38, note.

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Nicht nur Edelleute wie Hotspur ziehen in den Krieg, sondern auch Falstaff und seine Zechgenossen. Trotz der gebotenen Eile hat Falstaff im zweiten Teil von Henry IV Gelegenheit, sein farewell (II, 4, 370-371) zweimal zu wiederholen (II, 4, 374 und 378) und einen für ihn charakteristischen Kommentar abzugeben. Nach Falstaffs Abgang ist die Abschiedszeremonie noch nicht zu Ende: Doli Tearsheet wird noch einmal zu ihm hinausgerufen, zu einem endgültigen farewell. Bei diesem kurzen, sehr bewegten Abschied geben die Wirtin und Doli ihrem Schmerz durch Tränen und unvollständige Sätze besonderen Ausdruck. Trotz der anderen Art des Abschiednehmens ist der Abschiedsschmerz genauso intensiv wie etwa bei Romeo und Juliet oder Richard und Isabel. Wie L. C. Knights feststellt, zeigt sich Shakespeares Kunst darin, daß er auch moralisch unvollkommenen Gestalten wie Doli menschliche Würde zukommen läßt, die in der für die jeweilige Person charakteristischen Weise zum Ausdruck kommt.41 Mit Hilfe statischer Abschiedsszenen gelangt Shakespeare also auch hier zu einer neuen Dimension der Charakterschilderung.42 Zusammenfassend läßt sich zu den in diesem Abschnitt behandelten Szenen folgendes bemerken: Shakespeare hat bereits zu Beginn seines Schaffens die dem Abschiedsgeschehen innewohnenden dramatischen Möglichkeiten erkannt und auf vielfältige Weise genutzt. Gemeinsames Kennzeichen der Abschiedsszenen ist vor allem deren erstaunliche Länge, die unter anderem durch die mehrfache Wiederholung des Abschiedsgrußes herbeigeführt wird, oft auch durch die Unterbrechung des Abschieds durch dritte Personen. Ein punktuelles Geschehen erhält eine zeitliche Ausdehnung, wird zu einer statischen Szene. Aufgrund ihrer statischen Natur können Abschiedsszenen wichtige expositorische Funktionen wahrnehmen: Der Zuschauer wird über die Hintergründe der Handlung informiert und bekommt die Charaktere der beteiligten Personen vorgeführt. Der Abschied ist meist eine schmerzliche Loslösung von Angehörigen oder Freunden, von einem Ort, an dem der Abreisende zu Hause war. Trotzdem wird eine solche Trennung fast durchweg als Aufbruch dargestellt. Der Blick in die Zukunft bestimmt den Dialog von Abreisendem und Zurückbleiben41

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Lionel Charles Knights, Some Shakespearean Themes (London, 1959), S. 60. Vgl. Henry IV, Part 2, ed. A. R. Humphreys (1966), The Arden Shakespeare, 11,4, 380-381, note. Vgl. auch die Szene II, 3 in Henry V, wo sich Nym, Bardolph und Pistol von der Wirtin verabschieden.

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dem, während ein sentimentaler Rückblick in den meisten Fällen unterbleibt. Schon hier ist das Strukturmuster erkennbar, das sich durch das gesamte dramatische Werk Shakespeares zieht: Ein Reisegeschehen, das die Prüfung und Bewährung eines Dramenhelden zum Inhalt hat, wird durch einen Abschied eingeleitet. Aus diesem Grund finden sich Abschiedsszenen meist in der ersten Hälfte der Dramen. In vielen der besprochenen Szenen, so in denen in Henry VI, Part 2, Romeo and Juliet und Richard II, wird der erzwungene Abschied zu einem besonders intensiv erlebten Augenblick. In der Grenzsituation der Trennung kann die Persönlichkeit eines Dramenhelden vollen Ausdruck erlangen. Gleichzeitig wird eine Zusammengehörigkeit der sich trennenden Personen deutlich. Aus diesen Gründen eignen sich Abschiedsszenen zur dramatischen Darstellung von Liebesbeziehungen. Mit der Persönlichkeitsschilderung geht eine Lenkung der Sympathie des Zuschauers einher: Dieser verfolgt mit Anteilnahme das Schicksal derjenigen Personen, die - oft als Opfer widriger Umstände - anderen Dramengestalten Zeichen von kindness, das heißt von Zuneigung und Verbundenheit, entgegenbringen. Formal orientiert sich Shakespeare in dieser Phase seines Schaffens gern an nichtdramatischen Vorbildern unterschiedlicher Provenienz, geht jedoch bei der dramatischen Umgestaltung dieser Quellen und der detaillierten Ausgestaltung des vorgegebenen Rahmens oft eigene, völlig neue Wege. Erst allmählich bildet sich beim Experimentieren mit der neuen dramatischen Form ein fester Typ heraus, der sich in unterschiedlichen Situationen wiederholt. Die wiederkehrende Form erlaubt es, beim Abschied von einer ,Zeremonie' bzw. einem ,Ritus' zu sprechen. Dieser Ritus steht am Anfang einer in den meisten Fällen für die Existenz des Dramenhelden erforderlichen Reise. Oft wird man also sagen können, daß mit dem Ritual des Abschieds der Übergang in eine neue Lebensphase dramatisch dargestellt wird, so im Fall von Valentine, Romeo und Bolingbroke. d) Die Abschiedsszenen von As You Like It bis Macbeth: Variationen einer gegebenen Form Nachdem Shakespeare nunmehr zu einer bestimmten, feststehenden Form der Abschiedsszene gefunden hat, geht er in der mittleren Phase seines Schaffens dazu über, diese Form unter Beibehaltung eines Grundmusters auf vielfältige Weise zu variieren. Dies ist zum Beispiel beim Abschied Orlandos von Rosalind und 53

Celia zu beobachten. An der Grundsituation ist neu, daß Orlando für Rosalind und Celia ein Fremder ist, kein Freund oder Familienangehöriger wie sonst bei Abschiedsszenen. Die Serie der Verzögerungen der Trennung ergibt sich ebenso wie die Abschiedszeremonie selbst nicht zwangsläufig aus der Situation. Vielmehr zögert Orlando ohne Begründung mit dem Abgang, nachdem ihn Duke Frederick bereits verabschiedet hat. Celia und Rosalind treten dann von sich aus zu einem erneuten Abschied an Orlando heran: Celia. Gentle cousin, Let us go thank him and encourage him. My father's rough and envious disposition Sticks me at heart. Sir, you have well deserv'd. If you do keep your promises in love But justly, as you have exceeded all promise, Your mistress shall be happy. Ros. [Giving him a chain from her neck] Gentleman, Wear this for me; one out of suits with fortune, That could give more but that her hand lacks means. Shall we go coz? Celia. Ay. Fare you well, fair gentleman. (1,2, 2 2 8 - 2 3 8 )

Orlandos Anteil an der Abschiedszeremonie ist Sprachlosigkeit und Zögern. Wiederum aus eigenem Antrieb erneuert Rosalind die Abschiedszeremonie unter dem Vorwand, Orlando (der nur zu sich selbst gesprochen hatte) habe sie zurückgerufen: Ros. He calls us back. My pride fell with my fortunes; I'll ask him what he would. Did you call sir? Sir, you have wrestled well, and overthrown More than your enemies. Celia. Will you go coz? Ros. Have with you. Fare you well. (I, 2, 2 4 2 - 2 4 6 )

Wie viele Heldinnen Shakespeares ist Rosalind in einen Konflikt zwischen ihren Wünschen und der auch von ihr selbst anerkannten Forderung nach "maiden modesty" geraten, von der etwa Hero in Much Ado About Nothing spricht (IV, 1, 179) und die Rosalind hier als "pride" bezeichnet. Sie löst diesen Konflikt, indem sie sich auf eine ihr offenstehende Ausdrucksmöglichkeit, den formellen Abschiedsgruß, beschränkt, diese Form jedoch gewissermaßen mit Leben erfüllt. Die Konvention des Abschieds ermöglicht es Rosalind also, Orlando, einem 54

jungen Mann, den sie noch kaum kennt, Zeichen ihrer Zuneigung zu geben, ohne die Gebote des Anstands zu verletzen. Orlando bleibt sprachlos und zögert weiterhin mit dem Abgang, bis er von Le Beau eine unmißverständliche Aufforderung dazu erhält. Seine Passivität ist ebenso bezeichnend wie Rosalinds Behauptung, sie rufe Orlando nicht zurück, sondern lasse sich von ihm zurückrufen. Wie später im Forest of Arden übernimmt Rosalind die aktive Rolle bei der courtship, ohne allerdings den Anschein der gebührenden weiblichen Zurückhaltung aufgeben zu wollen, während Orlando, der im Gegensatz zu Rosalind und Celia keine höfische Erziehung genossen hat, unfähig ist, aus der passiven Rolle herauszutreten. Die Form des verzögerten Abschieds wird hier also durch Abänderung und Verfeinerung des Zurückrufmotivs zu einer Szene ausgestaltet, die in der ersten Begegnung von Rosalind und Orlando die gegenseitige ,Liebe auf den ersten Blick' darstellt und die Liebenden bereits in den Rollen vorführt, die sie auch noch später spielen werden. Die Funktion der Abschiedsszenen als Ausdruck von kindness und als Mittel der Sympathielenkung wird in dieser Szene besonders deutlich: Obwohl Orlando am Hof Duke Fredericks keine freundliche Aufnahme, kein Zuhause findet, wird ihm beim Verlassen dieses ungastlichen Ortes ein Abschiedsgruß zuteil, der bereits auf den glücklichen Ausgang hindeutet: Wenn selbst an einem Ort unnatürlicher Machtausübung wie am Hof des Usurpators Duke Frederick natürliche kindness anzutreffen ist, kann bei Shakespeare am Ende nur die Wiederherstellung der natürlichen Ordnung stehen. In der Quelle des Dramas, Thomas Lodges Rosalynde, fehlt der Abschied. Rosalynde und Rosader nehmen nur stummen Blickkontakt miteinander auf, und Rosalynde läßt das Schmuckstück dem jungen Mann durch einen Pagen überbringen.1 Durch das Mittel der Abschiedsszene gelingt es Shakespeare also, einem Geschehen, das bei Lodge durch Erzählerkommentar wiedergegeben wird, dem Sich-Verlieben der beiden jungen Menschen, dramatischen Ausdruck zu verleihen. Die Szene von Laertes' Abschied von Polonius und Ophelia in Hamlet (1,3) ist nach dem gleichen Grundmuster aufgebaut, doch wiederum auf neuartige Weise ausgestaltet. Die von Laertes an Ophelia gerichteten farewells (1,3,1, 84 und 87) und seine Aufforderung an sie, mit ihm in 1

Thomas Lodge, "Rosalynde", Narrative and Dramatic Sources of Shakespeare, Buliough, Bd. 2, S. 158-256; S. 171-172.

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ed.

brieflichem Kontakt zu bleiben (1,3, 2 - 4 ) , umrahmen zwei Mahnreden, die des Laertes an Ophelia und die des Polonius an Laertes. Der konkrete Situationsbezug wird hierbei am Anfang, in der Mitte zwischen den beiden Reden und am Ende hervorgehoben: Laer.

M y necessaries are embark'd. Farewell . . . ( 1 , 3 , 1 )

Pol. Yet here, Laertes? Aboard, aboard for shame. The wind sits in the shoulder of y o u r sail, And y o u are stay'd for . . . (I, 3, 5 5 - 5 7 )

Pol. The time invests you; go, y o u r servants tend. (I, 3, 8 3 )

Die Hinweise auf die drängende Zeit dienen nicht nur der Auflockerung der Szene, sondern stehen auch in einem ironischen Kontrast zur Langatmigkeit der beiden Mahnreden, vor allem der des Polonius. Wie so häufig weckt ein Einbruch von außen - Polonius unterbricht Laertes' Gespräch mit Ophelia (I, 3, 52) - die Illusion, die endgültige Trennung zu beschleunigen, gibt jedoch in Wirklichkeit Anlaß zu einer Verlängerung der Szene. Eine besondere Pointe des Dramatikers besteht darin, daß diese Szene ein "second leave" (1,3,54) ist, während Laertes' eigentlicher Abschied von Polonius off-stage schon stattgefunden hat, so daß sich Laertes die "few precepts" (1,3, 58), die ohnehin langatmig genug sind, also vermutlich zum zweitenmal anhören muß. Im Gesamtzusammenhang des Dramas hat diese Szene vor allem zwei Funktionen: Zum einen führt Laertes' Abschied von Ophelia und Polonius den Abreisenden als einen jungen Mann vor, den es - wie Valentine in The Two Gentlemen of Verona - nicht mehr zu Hause hält. Deshalb will er nach Frankreich zurückkehren, wo er sein wirkliches ,Zuhause' gefunden zu haben glaubt. Inhaltlich wäre diese Szene nicht unbedingt erforderlich, da von Laertes' bevorstehender Abreise nach Frankreich bereits in der vorhergehenden Szene die Rede gewesen ist. In dieser Szene bekommt der Zuschauer jedoch zusätzlich einen Eindruck von Laertes' jugendlicher Ungeduld, Ophelias Unterwürfigkeit und Polonius' wohlmeinender, jedoch komisch wirkender väterlicher Fürsorge.2 Harold Jenkins bemerkt zu Polonius' precepts: "It is a mistake to suppose they are meant to make him [Polonius] seem ridiculous. Their purpose, far more important than any individual charakterization, is to present him in his role of father. What is being dramatized in the advice as in the blessing is his son's departure from home and by impressing upon us here the relation between father and son, the play is preparing for the emergence of Laertes later as the avenger who will claim Hamlet as his victim"; Hamlet, ed. H.Jenkins (1982), The Arden Shakespeare, S. 443. So wichtig dies ist, so

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Weiterhin hat diese Szene die Funktion, Laertes als Kontrastfigur zu Hamlet vorzustellen. In der Szene 1,2 stand der dem Laertes erteilten Erlaubnis zum Auslandsaufenthalt die an Hamlet gerichtete Bitte gegenüber, in Dänemark zu bleiben und nicht nach Wittenberg zurückzukehren. Anders als Laertes ist es Hamlet nicht vergönnt, sich außerhalb des dänischen Hofes ein Zuhause zu suchen.3 Auch im Fall der Mahnrede des Polonius greift Shakespeare wieder auf nichtdramatische Vorbilder zurück und erweitert dadurch erneut seine dramatischen Ausdrucksmöglichkeiten. Die möglichen Quellen für die rhetorisch durchgeformte Rede sind zahlreich: Isokrates' Rede Ad Demonicum4 sowie Cato und Erasmus sind hier zu nennen. Zu einzelnen Elementen finden sich Parallelstellen in Lylys Euphues, Lodges Rosalynde und in elisabethanischen Privatbriefen.5 Ein dramatisches Vorbild liegt in Ben Jonsons Every Man in His Humour vor.6 In dieser Komödie erteilt der gutsituierte Londoner gentleman Kno'well seinem Neffen Stephen, der das Leben eines typischen Londoner rake führt, Ermahnungen, die denen des Polonius in mehreren Punkten ähneln. Es ist jedoch fraglich, ob Jonson Shakespeare mehr als die allgemeine Idee ,Mahnrede' geliefert hat. Beide Dichter dramatisieren ein traditionell nichtdramatisches Motiv auf ganz unterschiedliche Weise, Jonson durch Einbettung in ein Alltagsgespräch, Shakespeare durch Einpassung in den Rahmen eines zeremoniellen Abschieds. In einem bemerkenswerten Kontrast zu der Szene I, 3 steht der kurze Abschied Hamlets von Claudius in der Szene IV, 3, wo zwar das

3 4

5

6

kann doch deshalb die Funktion der Rede als einer komischen Charakterisierung des Polonius nicht geleugnet werden. Die ganz anders geartete Mahnrede von Bertrams Mutter in All's Well zeigt ein weiteres Mal, wie stark Shakespeare ein vorgegebenes Muster zum Zweck der individuellen Charakterisierung zu variieren vermag. Polonius ist zwar ein fürsorglicher Vater, aber nichtsdestoweniger ein eingebildeter Schwätzer; vgl. u. S. 63. Vgl. u . S . 217. Wie Baldwin feststellt (a.a.O., Bd. 2, S. 6 4 9 - 6 5 0 ) , gehörte Isokrates zu den im elisabethanischen England meistgelesenen griechischen Autoren. Auf ihn gehen offensichtlich viele Elemente des ,euphuistischen' Stils zurück, vor allem die antithetische Gegenüberstellung. Hamlet, a.a.O., S. 4 4 0 - 4 4 3 . Eine vergleichende Zusammenstellung möglicher Quellen für die Poloniusrede nimmt G. K. Hunter in seinem Aufsatz "Isocrates' Precepts and Polonius' Character" vor; Shakespeare Quarterly 8 (1957), S. 501-506. Ben Jonson, Every Mart in His Humour, ed. Martin Seymour-Smith, The New Mermaids (London, 2 1979 ['1966]); 1,1, 51-86. Wie Ciaire McGlinchee feststellt, hat Shakespeare bei der Aufführung von Jonsons Komödie vermutlich als Schauspieler mitgewirkt; "Still Harping...", Shakespeare Quarterly 6 (1955), S. 3 6 2 - 3 6 4 .

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Reiseziel, England, viermal genannt wird (IV, 3, 46, 47, 52 und 56), die sonst übliche Abschiedszeremonie jedoch unterbleibt. Zwischen Claudius und seinem Stiefsohn wird nicht einmal mehr der Anschein von kindness gewahrt. Claudius kann es kaum erwarten, daß sich Hamlet mit "fiery quickness", "speed" und "haste" (IV, 3, 43, 57 und 60) entfernt, während Hamlet, der seiner Verachtung mit dem an Claudius gerichteten ,Abschiedsgruß' "Farewell, dear mother" (IV, 3, 52) Ausdruck gibt,7 ebenso ungeduldig auf seine Chance zum Gegenschlag wartet.8 In Twelfth Night (II, 1) benutzt Shakespeare die Form der Abschiedsszene, an deren Ende ein doppeltes farewell steht (II, 1,38 und 42) erneut zum Zweck der Exposition, das heißt der Vorstellung einer Person und Darstellung einer Handlungssituation: Nachdem dem Zuschauer bekannt ist, daß sich auch Sebastian bei dem Schiffbruch hat retten können, kann er sich des glücklichen Ausgangs, den schon die Szene 1,2 vorbereitete, noch gewisser sein. Andererseits wird dadurch, daß nicht, wie man von der Situation her vermuten könnte, eine Ankunft oder ein Empfang, sondern eine Trennung dargestellt wird, auch deutlich, daß es bis zum happy ending noch ein weiter Weg ist. Zu diesem Eindruck tragen Sebastians dunkle Vorahnungen (II, 1, 3 - 4 ) ebenso bei wie die Gefahr, in die sich Antonio begibt, wenn er Sebastian an Orsinos Hof folgt (II, 1, 44-47). Die Form des Abschieds zeigt also, daß es sich um einen Aufbruch handelt, um den Beginn, nicht das Ende einer Reise. Bis jetzt hat diese Reise Sebastians kein festes Ziel. Auf Antonios diesbezügliche Frage antwortet er lediglich: " . . . my determinate voyage is mere extravagancy" (II, 1, 10-11). Das Wort „voyage" ist hierbei sowohl wörtlich also auch metaphorisch zu verstehen: Sebastian kennt zwar seinen geographischen Bestimmungsort, Orsinos Hof (II, 1, 41-42), weiß aber nicht, was ihn dort erwartet. Das ,Ziel seiner Reise' im nichtgeographischen, metaphorischen Sinn ist ihm also noch unbekannt. Wenn Shakespeare also den Szenentyp ,Abschied' verwendet, obwohl Sebastian gerade eine Seereise 7 8

Anders interpretiert Jenkins; Hamlet, a.a.O., IV, 3, 52, note. Abschiedsworte finden sich in Hamlet auch in ganz anderen Zusammenhängen. So zeigen sie bei Hamlet (III, 1, 1 2 1 - 1 5 1 ) und Ophelia (IV, 5, 7 1 - 7 3 ) offensichtlich das durch Melancholie und geistige Umnachtung bedingte Verlassen der gewohnten U m gebung an. Vgl. auch Hamlets wiederholtes, an seine Mutter gerichtetes good night (III, 4, 1 6 1 - 2 1 9 ) , w o wie in der nunnery scene das durch die Szene I, 3 vorgegebene Thema der in eine Abschiedszeremonie eingepaßten Mahnrede variiert wird. Hamlet versucht das ganze Drama hindurch vergeblich, sich von vertrauten, doch nicht mehr erträglichen Bindungen zu lösen.

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hinter sich hat und die Wegstrecke bis zu Orsinos Hof kaum noch von Bedeutung sein dürfte, lädt er den Zuschauer dazu ein, diese ,Reise' metaphorisch zu deuten. Sebastians Ergebung in sein Schicksal wird ihm schließlich, wie vielen anderen Dramenhelden Shakespeares,9 zu einem glücklichen Ende bzw. einem ,Zuhause' verhelfen. Daneben gewinnt Sebastian durch die Herausstellung der emotionalen Beziehung zu Antonio die Sympathien des Zuschauers. Offensichtlich erweckt Sebastian spontane Zuneigung und weiß diese kindness auch zu erwidern. Dieser Charakterzug erklärt, warum Sebastian später ohne Zögern einwilligt, Olivia zu heiraten. In Troilus and Cressida erreicht Shakespeares Kunst der Abschiedsszene einen Höhepunkt. In den Szenen IV, 4 und V, 3, die die Trennung der Liebenden und den Abschied Hectors von seinen Angehörigen zum Inhalt haben, kommt das Zerbrechen aller Bindungen, sowohl der Liebe wie der Blutsverwandtschaft, besonders deutlich zum Ausdruck. Die Infragestellung traditioneller Werte, das große Thema dieses Dramas, durchzieht auch die beiden Abschiedsszenen. So bezeichnet Troilus beim Treueschwur Cressida gegenüber seine Treue, die traditionell vornehmste Tugend eines Liebenden, als "vice" und "fault" (IV, 4, 100). Hector, der der allgemeinen Desillusionierung das auf die Integrität des Individuums abhebende Wertesystem der chivalry entgegensetzt,10 wird in der Szene V, 3 von Troilus, der sämtliche Illusionen verloren hat, des "vice of mercy" angeklagt (V, 3, 37). Durch den allgemeinen Werteverfall wird selbst die Gnade, die traditionelle ritterliche Tugend des siegreichen Kämpfers, zu einem Laster. Die Besonderheiten der Liebesbeziehung von Troilus und Cressida werden schon in der Szene IV, 2 deutlich, die am Ende der Liebesnacht steht. Das inhaltliche und stilistische Ungleichgewicht in den Äußerungen der Liebenden kontrastiert mit der Harmonie, die wir etwa bei Romeo und Juliet oder auch bei den Liebenden in Chaucers Versroman Troilus and Criseyde finden. Diesen Eindruck verstärkt die Abschiedsszene (IV, 4): Zu dem Gegensatz zwischen Troilus' poetischen Ergüssen und Cressidas ausgesprochen knappen, unwilligen Fragen tritt mit der unziemlichen Einmischung des Pandarus, dem der Abschied der Liebenden offensichtlich ein voyeuristisches Vergnügen bereitet, ein weiterer, vom Dramatiker bewußt herbeigeführter ,Stilbruch'. Pandarus' Auße9 10

Vgl. u. S. 267-268. Vgl. u. S. 247-248.

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rungen sind die eines Komikers und stehen in keinem Verhältnis zum Schmerz der Liebenden, doch auch nach seinem Abgang sind diese unfähig, aufeinander einzugehen, und gelangen trotz eines ausgedehnten, bewegten Dialogs zu keiner Gemeinsamkeit. Das Motiv der beim Abschied gebotenen Eile erscheint in einer Form, die diese Disharmonie widerspiegelt: Anstatt die vorhandene Zeit, die immerhin etwa hundert Verse umfaßt, für die Bekundung seiner Liebe innerhalb des konventionellen Ritus des verzögerten Abschieds zu nutzen, ergeht sich Troilus in einer langen Anklagerede gegen die Zeit, die er dafür verantwortlich macht, daß der Abschied von Cressida nicht das ist, was er sein könnte, ein Ausdruck vollkommener gegenseitiger Liebe: ... As many farewells as be stars in heaven, With distinct breath and consign'd kisses to them, He [Time] fumbles up into a loose adieu, And scants us with a single famish'd kiss Distasted with the salt of broken tears. (IV, 4, 4 3 - 4 7 )

Anstatt sich Cressida zuzuwenden und den Ritus des Abschieds durchzuführen, ergeht sich Troilus in theoretischen Betrachtungen über diesen Ritus. Anders als Romeo ist er trotz der Liebesnacht auf der Stufe der Unreife stehengeblieben. Daran, daß es nicht (wie etwa in Romeo and Juliet) zu den zahllosen farewells kommt und daß die Tränen "broken" sind, ist nicht die Kürze der Zeit schuld, sondern die fehlende Harmonie der Liebenden. Einen entsprechend unbefriedigenden Charakter hat auch der Blick in die Zukunft: Während Romeo von einem friedlichen Beisammensein mit Julia in der Zukunft träumt, kann sich Troilus eine Wiedervereinigung mit Cressida nur auf krummen Wegen vorstellen: I will corrupt the Grecian sentinels To give thee nightly visitation ... (IV, 4, 7 1 - 7 2 )

Vom "sweet sorrow", von dem Juliet bei ihrer ersten Trennung von Romeo spricht (II, 2, 184), ist in Troilus and Cressida nichts zu spüren. Auch der gegenseitige Liebes- und Treueschwur ist in dieser Szene alles andere als ein Ausdruck von Harmonie. Zwar tauschen Troilus und Cressida Liebespfänder aus (IV, 4, 69-70), doch bleibt dieser Akt als Zeichen ohne Inhalt, da den Liebenden das Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit fehlt. Wie gering das Vertrauen ist, das Troilus in Cressida setzt, kommt durch die mehrfache Wiederholung seiner Aufforderung "be true" (IV, 4, 57, 65, 73 und 90) zum Ausdruck. Charakte60

ristisch für sein Mißtrauen sind auch die einander widersprechenden Begründungen für diese Aufforderung: Zunächst sagt er: "I speak not 'Be thou true' as fearing thee" (IV, 4, 61); dann spricht er jedoch von der "quality" der "Grecian youths" (IV, 4, 75) und schließlich kommt er zum eigentlichen Grund seiner Befürchtungen: " . . . sometimes we are devils to ourselves, / When we will tempt the frailty of our powers . . . " (IV, 4, 9 3 - 9 4 ) . Cressida wiederum zeigt durch ihre gereizten Reaktionen, daß sie selbst an ihrer Fähigkeit zweifelt, ihrem Liebhaber die Treue zu halten. Trotzdem kann sie ihrerseits Zweifel an Troilus' Treue nicht unterdrücken (IV, 4, 99). 11 Der beschleunigende Einbruch von außen (IV, 4, 96) entspricht wieder dem typischen Baumuster. Nunmehr erfolgt der "single famish'd kiss", von dem Troilus gesprochen hatte. Wie die konventionelle Formulierung "Come, kiss, and let us part" (IV, 4, 96) andeutet,12 handelt es sich auch hierbei um eine inhaltlose Form. Das Schlu^-farewell wird nicht auf der Bühne gezeigt, so daß der Prozeß der Trennung nicht einmal zum Schluß die Funktion erhält, das gegenseitige Wohlwollen der sich trennenden Personen deutlich zu machen. Statt dessen gerät Troilus

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Wie Dieter Mehl feststellt, gelingt es Troilus nicht, zu Cressidas eigentlicher Persönlichkeit vorzudringen: „ . . . die Art der dramatischen Darstellung zeigt, daß es zu keiner wirklichen Vereinigung kommt, sondern bei einem äußerlichen sinnlichen Verhältnis bleibt, in das Troilus von Anfang an mehr von seiner ganzen Persönlichkeit investiert als Cressida und das nie zu der vollen gegenseitigen Erfüllung gelangt wie etwa bei Chaucer"; „Troilus and Cressida: Zuschauer und Spieler", Sympathielenkung in den Dramen Shakespeares, edd. W.Habicht, I. Schaben (München, 1978), S. 164-172; S. 168. Hinsichtlich der Gründe für diesen Mangel an Harmonie gehen die Meinungen auseinander: Mehl meint, daß Cressida „bei der Vereinigung wie beim Abschied ... fast durchweg bei einer Haltung der komischen Unverbindlichkeit" stehenbleibt; a.a.O., S. 168. Wolfgang Riehle hingegen ergreift Cressidas Partei: „Indem Troilus Zweifel an der Unbedingtheit der Liebe seiner Cressida hegt, zeigt sich, daß seine Liebe nicht von jener Unbedingtheit ist, zu der er sich so wortreich bekennt, ja daß gerade er in dieser Abschiedssituation der erste ist, der die beiderseitige Verpflichtung zu ,truth' im Sinne von .Treue' und ,Vertrauen' verletzt"; „Zur Dramaturgie des 'Love Plot' in Troilus and Cressida", Shakespeare-Jahrbuch West (1982), S. 119-132; S. 127. Vielleicht liegt die Schuld an der mangelnden Harmonie der Liebenden weder bei Troilus noch bei Cressida, sondern bei Pandaras, der die beiden zusammenbrachte, bevor ihre Liebe so stark werden konnte, daß sie ihnen (auch infolge des zunächst unerfüllt bleibenden sexuellen Verlangens) wie den Liebenden in As You Like It, Cymbeline und The Tempest die Kraft gegeben hätte, äußere Widrigkeiten durchzustehen. Die .Beziehung' von Troilus und Cressida ist in Shakespeares Werk ein Beispiel dafür, wozu es führt, wenn Liebende ohne die Zeremonien von courtship, troth-plight (das Treuegelöbnis der Szene III, 2 enthält kein Heiratsversprechen!) und Eheschließung zur sexuellen Erfüllung gelangen; vgl. u. S. 311 und ebd., Anm. 15.

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Schon Titus Andronicus gebraucht diese Ausdrucksweise (III, 1, 287); siehe o. S. 28.

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in Streit mit Diomedes, dem Cressida übergeben wird. Der Zuschauer wird davon ausgehen können, daß Troilus' "needful talk" (IV, 4, 137) mit Cressida beim Abgang noch einmal die bereits bekannten Ermahnungen enthalten wird. Shakespeare gibt in dieser Szene ein vollendetes Beispiel seiner Kunst, durch differenzierte Ausgestaltung feststehender Formelemente besondere Effekte zu erzielen. Anders ist der Abschied Hectors von seinen Familienangehörigen geartet (V, 3). Thema der Szene ist nicht die Trennung von einem Zuhause - ein solches hat Hector im Grunde gar nicht - , 1 3 sondern seine ritterliche Selbstbestätigung. Die Szene ist nicht statisch, sondern enthält ein dynamisches Geschehen: den Versuch der Angehörigen, Hector vom Kampf zurückzuhalten. Am Beginn steht eine ,Einblendung': Dem Wortwechsel auf der Bühne ist bereits viel an Hector gerichtetes "admonishment" (V, 3,2) seiner Gemahlin vorausgegangen. Hector bleibt hart, versucht aber seinerseits, Troilus, seinen jüngeren Bruder, zu überreden, nicht am Kampf teilzunehmen. Erst zum Schluß, als Cassandra und Priam die Hoffnung aufgegeben haben, Hector vom Kampf fernzuhalten, nimmt die Szene für kurze Zeit einen statischen Charakter an (V, 3, 80-94). Doch auch die Rede Cassandras unterscheidet sich von den üblichen Formen des Abschiedsgrußes: Der meist undeutliche Blick in die Zukunft, der sonst einen Abschied begleitet, wird bei ihr zu einer konkreten, unheilvollen Voraussage. Cassandra, die Prophetin, malt das Ereignis von Hectors Tod in zahlreichen Einzelheiten aus. Statt wie sonst mit einem guten Wunsch dieser findet sich nur in Priams anschließenden Abschiedsworten (V, 3, 94) - endet diese Abschiedsrede mit einer heftigen, verdammenden Feststellung: Farewell - yet soft: Hector, I take my leave; Thou dost thyself and all our Troy deceive. (V, 3, 8 9 - 9 0 )

Das Wesen der Abschiedsszene wird hier in sein Gegenteil verkehrt: Nicht die Zusammengehörigkeit eines abreisenden Dramenhelden mit zurückbleibenden Personen wird in dieser Szene zum Ausdruck gebracht, sondern seine Isolation: Hector ist der einzige, der noch mit guten Vorsätzen zu einer Unternehmung aufbricht und mit Optimismus in die Zukunft blickt (V, 3, 91-93). Mit seinem Tod wird der letzte Rest der alten Werte verlorengehen.

13

Vgl. u. S. 142.

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In All's Well That Ends Well spielt das Abschiedsmotiv eine entscheidende, handlungsstrukturierende Rolle. Abschiedsszenen ganz unterschiedlicher Art kontrastieren in diesem Drama miteinander. In der ersten Szene des Dramas findet sich wie in Hamlet eine Mahnrede an einen jungen Mann, der sein Elternhaus verläßt. Wie für Laertes und Valentine ist für den jungen, ehrgeizigen Bertram sein .Zuhause' zu klein geworden. Er begibt sich also auf die Reise nach einem Ort, an dem er seine Identität verwirklichen zu können glaubt, an den Hof des französischen Königs. Die wesentlichen Fakten über Bertrams Familie und seine Abreise erfährt der Zuschauer bereits am Anfang der Szene: Count. In delivering my son from me, I bury a second husband. Ber. And I in going, madam, weep o'er my father's death anew; but I must attend his majesty's command, to whom I am now in ward, evermore in subjection. (I, 1, 1 - 5 )

Obwohl Bertrams Abreise der Anlaß des Auftritts ist, verlagert sich das Gespräch im folgenden auf ein Thema, das mit diesem Abschied kaum in einem Zusammenhang zu stehen scheint: Helena. Obwohl sie in dieser Szene keine aktive Rolle spielt, wird deutlich, daß sie im Mittelpunkt der Dramenhandlung stehen wird. Dadurch, daß die Themen ,Bertrams Abschied' und ,Helenas Herkunft und Charakter' in derselben Szene vereinigt sind, ahnt der Zuschauer bereits, daß Bertram und Helena irgendwie zusammengehören. Auch in diesem Drama bereitet eine Abschiedsszene am Anfang also eine spätere Handlungsentwicklung vor. Nach einiger Zeit drückt Bertram, der dem Augenblick seiner Abreise entgegenfiebert, ziemlich abrupt seinen Wunsch aus, die Abschiedszeremonie, die, wie er weiß, einen Segen seiner Mutter enthalten wird, endlich fortzusetzen: "Madam, I desire your holy wishes" (1,1, 55). Die Gräfin spricht daraufhin ihre Segens- und Mahnrede, die mit einem doppelten farewell endet (I, 1, 66 und 70). Die Rede gehört der gleichen literarischen Tradition an wie die des Polonius, doch legt Bertrams Mutter größeres Gewicht auf den Segen und beschränkt die Ermahnungen, die rhetorisch und zum Teil auch inhaltlich von denen des Polonius abweichen, auf wenige Punkte. Vor allem die Worte "Love all, trust a fewj / Do wrong to none" (I, 1, 6 0 - 6 1 ) hätten schwerlich von Polonius gesprochen werden können. Wie im Gespräch über Helena (1,1, 3 6 - 3 8 ) verweist die Gräfin auch in der an Bertram gerichteten Rede auf den Zusammenhang zwischen "blood" und "virtue" (I, 1, 58). Auch dies ist 63

ein Hinweis auf die Zusammengehörigkeit der beiden jungen Dramenhelden. An diese Abschiedsszene schließt sich nach Bertrams Abgang und Helenas Monolog eine zweite an, in der sich Parolles, der Begleiter und ,schlechte Ratgeber' Bertrams, von Helena verabschiedet. Obwohl Parolles Helena zum Zweck des Abschiednehmens aufgesucht hat, ist auch hier die Abschiedsthematik auf den letzten Teil der Szene beschränkt. Erst als nach bewährtem Muster ein beschleunigender Einbruch von außen erfolgt - ein Page mahnt Parolles zum Aufbruch - findet der eigentliche Abschied statt, bei dem das farewell in der üblichen Weise mehrfach wiederholt wird (I, 1, 184, 208 und 211). Zuvor dient der Abschied als Rahmen für einen gelehrt-witzigen Disput: Parolles' Ermahnung, Helena solle ihre Virginität so schnell wie möglich loswerden, weist auf ein Hauptthema des Dramas, Helenas ,Unschuld', hin und kann als Parole auf die Mahnrede der Gräfin angesehen werden. Gleichzeitig ist Parolles' Abschied eine Ergänzung des Abschieds Bertrams: Erst gegenüber Parolles kommt Helena zu Wort und kann ihrer Betroffenheit über Bertrams Abreise Ausdruck geben. Die Zuversicht Lafews, der den Hof des französischen Königs als geeignetes Zuhause für Bertram hingestellt hatte (I, 1, 6-10 und 68-69), wird als ,Blick in die Zukunft' ergänzt durch Helenas Befürchtungen, Bertram könne an den Mädchen des Hofes und an den höfischen Gewohnheiten Gefallen finden. Ironischerweise werden sich beide Voraussagen als falsch erweisen: Der Hof wird weder im Sinn von Lafews Hoffnungen noch im Sinn von Helenas Befürchtungen zu Bertrams ,Heimat'. Die Abreise des jungen Mannes stellt, wie in diesen statischen Abschiedsszenen deutlich wird, für ihn wie für Helena die erste Stufe des Ubergangs in eine neue Lebensphase dar. Vorerst wird aber nur vage angedeutet, wie diese Lebensphase aussehen wird. Auch die Verabschiedung der französischen Edelleute, die als Söldner nach Italien ziehen, durch den König in der Szene II, 1 hat väterliche Ermahnungen zum Inhalt. Eine längere Mahnrede des Königs bleibt dem Zuschauer erspart. Bei Szenenbeginn wird die Illusion erzeugt, daß diese Rede schon vor dem Auftritt gehalten wurde und daß wir jetzt nur noch den letzten Teil einer Abschiedszeremonie mitbekommen, der auch die wiederholten farewells enthält (II, 1, 1, 2, 10, 17 und 23). Es ist bezeichnend, daß sich die Ermahnungen, die der König (wie Polonius) dann doch noch äußert, nicht nur auf das Wirken der ausziehenden Höflinge zur Ehre Frankreichs beziehen (II, 1, 11-17), sondern auch auf ihren privaten Lebenswandel: 64

Those girls of Italy, take heed of them; They say our French lack language to deny If they demand; beware of being captives Before you serve. (II, 1, 1 9 - 2 2 )

Natürlich sind diese Worte im Hinblick auf Bertrams Liebesabenteuer in Florenz voll von dramatischer Ironie. Mit der ausgedehnten Abschiedsrede des Königs kontrastieren die launischen Bemerkungen Bertrams, der es unterläßt, den Edelleuten, die ihm ihr farewell entbieten (II, 1, 35 und 37), auch selbst ,leb wohl' zu sagen. Dieses Versäumnis wird dem Zuschauer durch Parolles' Tadel bewußt gemacht: Use a more spacious ceremony to the noble lords; you have restrain'd yourself within the list of too cold an adieu . . . After them, and take a more dilated farewell. (II, 1, 4 9 - 5 1 und 5 5 - 5 6 )

Bertram ist verärgert darüber, daß er aufgrund seiner Jugend keine Erlaubnis bekommen hat, mit den anderen Edelleuten nach Italien zu ziehen. Er kann es kaum erwarten, dort seine Kräfte zu erproben. Bertrams Ungeduld zeigt sich auch bei seinem knappen Abschied von Helena, die er auf Anordnung des Vaterstelle vertretenden Königs heiraten mußte. Helena gelingt es, die Abschiedszeremonie durch gespieltes Zögern etwas in die Länge zu ziehen, 14 doch kann sie Bertram nicht zu dem üblichen vollständigen Abschiedsritual zwingen: Ber. ... My haste is very great. Farewell. Hie home. Hel. Pray sir, your pardon. Ber. Well, what would you say? Hel. I am not worthy of the wealth I owe, Nor dare I say 'tis mine - and yet it is; But, like a timorous thief, most fain would steal What law does vouch mine own. What would you have? Ber. Hel. Something, and scarce so much; nothing indeed. I would not tell you what I would, my lord. Faith, yes: Strangers and foes do sunder and not kiss. Ber. I pray you, stay not, but in haste to horse. Hel. I shall not break your bidding, good my lord. Where are my other men? Monsieur, farewell. (II, 5, 77-89) 14

Vgl. das Zögern Juliets und der Duchess of Gloucester, das diese mit einer Erinnerungslücke begründen; siehe o. S. 45, Anm. 30.

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Das Abschiedsritual erweist sich als Gradmesser für die kindness der beteiligten Personen. Diese ist auf Bertrams Seite noch kaum vorhanden. Helenas zurückhaltend-demütiger, doch zielstrebiger Charakter muß hier noch erfolglos bleiben, wird im Verlauf des Dramas jedoch über Bertrams jugendliche Unbesonnenheit triumphieren. Es kennzeichnet Shakespeares Kunst der Beschränkung, daß dieser Abschied der einzige ist, der die Reise Helenas nach Hause und die Bertrams nach Florenz betrifft, wohin letzterer nun doch eigenmächtig aufbricht. Der Abschied Helenas vom König (II, 4, 46-52; II, 5, 54-56) findet dagegen off-stage statt. Als Szene hätte dieser Abschied die Aufmerksamkeit des Zuschauers von der Trennung der beiden Haupthelden abgelenkt, derjenigen Trennung, die allein für Bertram und Helena und damit für die Struktur des Dramas von Bedeutung ist. Aus diesem Grund wird auch Bertrams Abreise aus Florenz nicht mit einer Abschiedsszene bedacht, obwohl dem Zuschauer mitgeteilt wird, daß Bertram vom Herzog und seinem Hofstaat Abschied nimmt (IV, 3, 83-85). Bertram hat nunmehr erkannt, wo er zu Hause ist, und hat nur noch zu diesem Reiseziel eine emotionale Beziehung, nicht mehr zum Ort der Abreise. Die Routine, die Shakespeare bei der Gestaltung der Abschiedsszenen gewonnen hat, zeigt sich in der konstanten Anordnung der farewells·. Der Abschied Launcelots von Jessica, der des Laertes von Ophelia und der des Parolles von Helena beginnen mit einem farewell, ebenso wie sinngemäß auch die Verabschiedung Bertrams durch seine Mutter und die Trennung Sebastians von Antonio. Dieses farewell wird am Ende des langen Abschiedsrituals vom selben Sprecher zweimal wiederholt. Der Sprecher dieser farewells kann entweder der Abreisende (Laertes, Sebastian, Parolles) oder der Zurückbleibende (Jessica, Bertrams Mutter) sein. Das gleiche Baumuster findet sich auch in Measure for Measure, wo der Herzog in der ersten Szene des Dramas seine Stadt mit unbekanntem Ziel verläßt. Nachdem der Herzog seine Anweisungen für die Zeit seiner Abwesenheit erteilt hat, kündigt er an, mit den Zurückbleibenden brieflichen Kontakt aufzunehmen, und sagt zum erstenmal ,leb wohl': . . . We shall write to you, As time and our concernings shall importune, H o w it goes with us; and d o look to know What doth befall you here. So, fare you well . . . (1, 1, 5 5 - 5 8 )

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Nach einer Verzögerung, in der der Herzog mit dem Wunsch, die Stadt incognito zu verlassen, einen wichtigen Charakterzug deutlich werden läßt, geht er zum Abschluß der Zeremonie, dem doppelten Schlußfarewell über, während die Zurückbleibenden Segenswünsche äußern: Duke.

... O n c e more, fare y o u well.

Ang. The heavens give safety to your purposes! Esc. Lead forth and bring y o u back in happiness! Duke.

I thank y o u ; fare y o u well. (1,1, 72 - 7 5 )

Shakespeare hat hiermit wohl jene Form des Abschiednehmens entdeckt, die auch in der Lebenswirklichkeit seiner (wie unserer) Zeit vorherrscht, von Dramatikern vor ihm jedoch außer acht gelassen worden war. 15 Bemerkenswerte Variationen erfährt diese Form der Abschiedsszene in King Lear und Macbeth. In King Lear ist der Abschied Cordelias von ihrem Zuhause am Ende der ersten Szene des Dramas 1 6 durch das Ausbleiben des väterlichen Segens gekennzeichnet, der ja sonst zu den unverzichtbaren Bestandteilen einer solchen Szene gehört. Statt dessen richtet Lear vor seinem Abgang an Cordelia die Worte: " . . . therefore be gone / Without our grace, our love, our benison" (I, 1, 263-264). Formal wird das Abschiedsritual hier dadurch erweitert, daß France, dem Cordelia als ihrem Ehemann folgt, sie zweimal auffordert, ihrem 15

Auch ein Abschied von geringerer dramatischer Bedeutung wird oft sehr sorgfältig mit einem doppelten Schluß-farewell ausgestaltet, wie zum Beispiel der Abschied von Cornelius und Voltemand, die als dänische Gesandte nach Norwegen reisen, vom König in Hamlet (I, 2): King. ... and we here dispatch You, good Cornelius, and you, Voltemand, For bearers of this greeting to old Norway, Giving to you no further personal power To business with the King more than the scope Of these dilated articles allow. Farewell, and let your haste commend your duty. In that, and in all things, will we show our duty.

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King. We doubt it nothing. Heartily farewell. (1,2, 33-41) Ein anderes Beispiel, ebenfalls in Hamlet, ist der Abschied Reynaldos von Polonius (II, 1, 69-74). Vgl. auch den doppelten Abschiedsgruß des Geistes (I, 5, 88 und 91). Ahnliches gilt auch für den Abschied des Octavius Caesar von Cleopatra in Antony and Cleopatra (V, 2, 132 und 188-189) und für den Besuch Valerias bei Volumnia und Virgilia in Coriolanus (I, 3, 105-110). Gerade die letztere Szene ist sehr interessant, da sie zahlreiche statische Elemente in sich vereinigt, so auch das der Begrüßung (I, 3, 48-51). Person und Taten des Coriolanus können in dieser Szene, die zur Handlungsentwicklung nichts beiträgt, indirekt ins Licht gesetzt werden. Zum vorausgehenden Abschied Kents (1,1, 179-186) siehe o. S. 35.

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Vater und ihren Schwestern den Abschiedsgruß zu entbieten (1,1, 259 und 266). Durch diese vorherige Aufforderung wird der zeremonielle Charakter der Abschiedsworte herausgestellt. Außerdem werden Frances Fürsorglichkeit und seine Versöhnungsbereitschaft deutlich, im Kontrast zu Burgundy 17 und zu Lear: France ermutigt Cordelia, trotz der unkindness ihres Vaters und ihrer Schwestern das Abschiedszeremoniell einzuleiten und die ihr zukommende Rolle bei diesem Ritus zu spielen. Ungeachtet der feindseligen Reaktionen enthält Cordelias Beitrag zu diesem Abschied die typischen Elemente: den Blick in die Zukunft und das doppelte farewell. Das zweite ,leb wohl' findet sich hierbei in der gesuchteren, doch gleichbedeutenden Form "well may you prosper", die die Funktion des Abschiedsgrußes als Segenswunsch erkennen läßt: 18 Cor.

... L o v e well our father:

T o y o u r professed b o s o m s I commit him: But yet, alas! stood I within his grace, I w o u l d prefer him to a better place. So farewell to you both. Reg. Prescribe not us our duty. Gon.

Let your study

B e to content your lord, w h o hath receiv'd y o u At Fortune's alms; y o u have obedience scanted, A n d well are worth the want that y o u have wanted. Cor. T i m e shall unfold what plighted cunning hides; W h o covers faults, at last with shame derides. Well may you prosper! France.

C o m e , m y fair Cordelia. (1,1, 2 7 0 - 2 8 1 )

Goneril und Regan weigern sich, sich an diesem Ritus, bei dem Cordelia durch konventionelle Formen ihre wahren Gefühle zum Ausdruck bringt, zu beteiligen, wie sich Cordelia vorher bei den zeremoniellen Liebesbekundungen für ihren Vater, jener Zurschaustellung unwahrer Gefühle, geweigert hatte, die ihr zugedachte Rolle zu spielen. Cordelia ist also durchaus nicht generell unfähig zur Teilnahme an Zeremonien, wie aus ihrer Weigerung, mit den an den Vater gerichteten Reden ihrer Schwestern zu wetteifern, gefolgert werden könnte; sie weigert sich lediglich, wenn die zeremoniellen Äußerungen mit der

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Zu diesem Kontrast vgl. Thomas Kulimann, „Burgundy in King Lear", ShakespeareJahrbuch West (1987), S. 109-113. Sicher wäre es falsch, anzunehmen, dieser Wunsch sei ironisch zu verstehen. Cordelia wünscht Goneril und Regan alles Gute, wie es sich für eine Schwester gehört. 68

Wirklichkeit, die sie abzubilden vorgeben, in Widerspruch geraten. Wie für Kent gibt es für Cordelia kein ,Scheinen' ohne ein ,Sein'. Durch die Darstellung von Zeremonien und von Störungen, die diese Zeremonien erfahren, macht Shakespeare also auf knappem Raum die wesentlichen Gegensätze deutlich, die dieses Drama durchziehen. Bei den drei Abschiedsszenen in der zweiten Hälfte des Dramas (III, 7; IV, 2 und IV, 5) ist nicht die unkindness der beteiligten Personen, sondern deren Eile und das Chaos der sich überstürzenden Ereignisse für die Kürze der Szenen verantwortlich. Durch Lears Abdankung ist die natürliche Ordnung gestört worden. Die nunmehr vorherrschende Unordnung hat eine allgemeine Heimatlosigkeit zur Folge, die im Drama durch die hastigen Ortswechsel der Personen wiedergegeben wird. Charakteristisch ist etwa der Abschied Gonerils und Edmunds von Regan und Cornwall (III, 7), bei dem Cornwall mehrfach zur Eile mahnt, zuweilen in pleonastischer Form. So sagt er zu Goneril "Post speedily to my Lord your husband..." (Ill, 7, 1-2), zu Edmund, "Advise the Duke, where you are going, to a most festínate preparation" (III, 7, 9-10). Zwischen Abreisendem und Zurückbleibendem soll ein ständiger Kontakt aufrechterhalten werden: "Our posts shall be swift and intelligent betwixt us" (III, 7, 11-12). Der Eindruck der Hast und des Durcheinanders wird dadurch verstärkt, daß Cornwall neben der Verabschiedung Gonerils und Edmunds gleichzeitig mit einem anderen Unternehmen befaßt ist: Die Aufforderung an seine Diener, den "traitor Gloucester" zu suchen (III, 7, 3), folgt unmittelbar auf den Auftrag an Goneril und Edmund, Albany die Nachricht von der Landung der französischen Truppen zu überbringen. Beim Einbruch von außen durch Oswald (III, 7, 13) wird dann ein weiteres Thema, König Lears Flucht nach Dover, angeschnitten. Trotzdem führt dieser Einbruch hier nicht wie sonst zu einer faktischen Verzögerung des Abschieds: Dadurch, daß Oswald jetzt damit beauftragt wird, die Pferde für Goneril bereitzustellen (III, 7, 20), bleibt der ,Zeitplan' für die Abreise Gonerils und Edmunds trotz der beiden anderen Szeneninhalte intakt. Die Knappheit des Abschieds kommt auch dadurch besonders zum Ausdruck, daß Oswalds Einbruch zwischen den üblichen zwei Schu^-farewells (III, 7, 12 und 22) liegt. Trotz der Kürze der Szene findet Shakespeare bei dieser originellen Behandlung des Abschiedsmotivs Gelegenheit, dem Zuschauer eine Vielzahl von Einzelheiten mitzuteilen und eine Charakterisierung der beteiligten Personen vorzunehmen: Die haßerfüllten Äußerungen der 69

Schwestern und die kühle Berechnung Cornwalls sind ebenso auffällig wie das Schweigen Edmunds zu dem seinem Vater drohenden Schicksal. In der Szene IV, 2 ist die Kürze der Verabschiedung Edmunds durch Goneril ebenfalls ein Indikator für das allgemeine Chaos. Die Eile wird in dieser Szene dadurch hervorgehoben, daß Goneril Edmund gerade erst nach der gemeinsamen Ankunft in ihrem Schloß willkommen geheißen hat (IV, 2,1). Allein aufgrund von Oswalds Bericht über das Verhalten Albanys ändert Goneril ihren Plan und schickt Edmund zu Cornwall zurück, so daß die knappe Begrüßungsszene in eine gleichfalls kurze Abschiedsszene übergeht, die gleichwohl für Charakterschilderung und Handlungsentwicklung von entscheidender Bedeutung ist: So erfährt der Zuschauer hier zum erstenmal von der Liebesaffäre zwischen Goneril und Edmund, unter anderem durch die in den Wörtern "spirits", "conceive" and "death" enthaltenen sexuellen Anspielungen: Gon. ... Decline your head: this kiss, if it durst speak, Would stretch thy spirits up into the air. Conceive, and fare thee well. Edm. Yours in the ranks of death. Gon. My most dear Gloucester! (IV, 2, 2 2 - 2 5 )

Diese Betonung des Sexuellen verhindert, daß der Zuschauer Sympathien für Goneril und Edmund entwickelt. Diese Sympathien hätten sich bei einer konventionelleren Liebesszene ergeben. 19 Daß auch zwischen Edmund und Regan ein Liebesverhältnis besteht, erfährt der Zuschauer in der Szene des Abschieds Oswalds von Regan (IV, 5). Regan versucht in dieser Szene zunächst, Oswald zum Bleiben zu bewegen, um ihn an der Übermittlung von Gonerils Brief an Edmund zu hindern, und beauftragt ihn dann, Edmund ein favour zu überbringen (IV, 5, 33). Erneut erweist sich der Abschied als geeigneter Rahmen für die indirekte Information des Zuschauers: So führt zum Beispiel Regans Argument der Gefährlichkeit des Weges (IV, 5, 16-17), das Oswald zum Bleiben veranlassen soll, ,wie nebenbei' zur Information, daß sich ihre Truppen am folgenden Tag in Marsch setzen werden. Daneben wird der Zuschauer an bereits bekannte Ereignisse und Handlungsstränge erinnert, so daß er den Uberblick über das vielschichtige Geschehen behalten kann. Diesem Zweck dient etwa der Wortwechsel zwischen den beiden 19

Zur Bedeutung der Sexualität als "symbol of evil" und als Zeichen für "the breach in nature" siehe Robert B. Heilman, This Great Stage: Image and Structure in 'King Lear' (Baton Rouge, La., 1948), S. 98-105 und 314, Anm. 15. 70

Schlu&-farewells, der dazu auch einiges zur Charakterisierung Regans und Oswalds beiträgt: Reg. ... So, fare you well. If you do chance to hear of that blind traitor, Preferment falls on him that cuts him off. Osw. Would I could meet him, Madam: I should show What party I do follow. Reg. Fare thee well. (IV, 5, 36-40)

Es fällt auf, daß Regan hier ebenso wie Goneril in der Szene IV, 2 den Abreisenden zunächst mit you, dann aber mit thou anredet. In beiden Fällen wird hierdurch der Eindruck erweckt, daß erst die Abschiedsszene die Intimität der sich trennenden Personen begründet. Es wird also deutlich, daß diese Intimität hastig zustande kommt und nicht auf wirklicher, natürlicher kindness beruht. Wie schon beim Abschied Launcelots von Jessica im Merchant of Venice (II, 3) dient hier die Verabschiedung einer Nebenperson dazu, dem Zuschauer wichtige Informationen zu geben und den Charakter der Verabschiedenden an ihrer Beziehung zu einem Diener zu exemplifizieren. Diese Form der Abschiedsszene hat jedoch vom Merchant of Venice bis zu den Szenen in King Lear eine Entwicklung durchgemacht. Diese ist vor allem durch die immer größere Auflösung der Abschiedsszenen in Dialoge und duich die immer größere Zahl von an den Zuschauer weitergegebenen Informationen gekennzeichnet. Vor allem aber wird nunmehr die Form der Abschiedsszene auf subtile Weise variiert, um fehlende kindness oder ins Unnatürliche pervertierte Formen von kindness zum Ausdruck zu bringen. Dies gilt auch für Macbeth. So findet der Bruch der natürlichen Ordnung, der durch den Königsmord eingetreten ist, dadurch sinnfälligen Ausdruck, daß Malcolm und Donalbain bei ihrem hastigen Aufbruch von Macbeths Schloß auf jedes "leave-taking" verzichten (II, 3, 133-144). Wie Malcolm bemerkt, wäre das Vorhandensein von "mercy" (II, 3, 144) die Voraussetzung für eine solche Zeremonie. Malcolm macht den Zuschauer also auf den tieferen Sinn der zeremoniellen Umgangsformen aufmerksam. Dies ist auch für die Szene des Abschieds Banquos von Macbeth von Bedeutung (III, 1). Diese ist ein Beispiel für Shakespeares Kunst, in eine mit unauffälligen Mitteln gestaltete Szene ein Höchstmaß an Bedeutung 71

zu legen. Die Einladung Banquos zum Abendessen durch Macbeth und Lady Macbeth entspricht in allen Einzelheiten den üblichen gesellschaftlichen Formen (III, 1, 11-15). Auch der Ausritt Banquos mit seinem Sohn Fleance und Macbeths Ankündigung, am nächsten Tag Staatsgeschäfte mit Banquo besprechen zu wollen (III, 1, 19-22), wirken vollkommen natürlich, fast bedeutungslos.20 Macbeth scheint es zu gelingen, den Anschein einer natürlichen Ordnung aufrechtzuerhalten. Doch hat fast jedes Wort in dieser Szene einen versteckten doppelten Sinn, wie dem Zuschauer spätestens beim unmittelbar folgenden Monolog Macbeths (III, 1, 47-71) klar wird. So enthält Macbeths Frage "Is't far you ride?" (III, 1, 23) jene Art von dramatischer Ironie, die das ganze Drama durchzieht.21 Macbeth weiß, daß Banquos Reise weiter führen wird als ein Nachmittagsausritt; wenn er ihn aber ermahnt: "Fail not our feast" (III, 1, 27), weiß er noch nicht, daß Banquo bei dem Festmahl trotz seiner Ermordung zugegen sein wird, wenn auch vermutlich nur als Halluzination. 22 Die für sein Vorhaben entscheidende Frage, ob Fleance seinen Vater auf dem Ausritt begleiten wird, 23 stellt Macbeth erst an der exponierten Stelle zwischen den beiden Schlu^-farewells, so daß die Frage zunächst wie ein belangloser afterthought anmutet: Mach.

... Hie y o u to horse: adieu,

Till y o u return at night. G o e s Fleance with y o u ? ban. A y , m y good L o r d : our time does call upon's. Macb. I wish your horses swift, and sure of foot; A n d so I do commend y o u to their backs. Farewell. - (III, 1, 3 4 - 3 9 )

Es kennzeichnet die unheimliche Atmosphäre des Dramas und das Ausmaß von Macbeths Verbrechen, daß er mit Erfolg versucht, unmit20

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Dramatische Ökonomie bringt es mit sich, daß das Ziel von Banquos Ausritt nicht genannt wird. In einer Szene, in der es auf jedes Wort ankommt, vermeidet Shakespeare jede unwesentliche Angabe, die vom eigentlichen Dramengeschehen ablenken könnte. Ein Beispiel von vielen ist Lady Macbeths Frage "And when goes hence?" nach Macbeths Ankündigung "Duncan comes here to-night" (I, 5, 59). Siehe u. a. Bradley, a.a.O., S. 425-426. Auch das Wort „supper" (III, 1,14 und 25) könnte eine (Banquo natürlich unbewußte) besondere Konnotation haben und auf Christi Abendmahl anspielen; vgl. z. B. Hamlet, IV, 3, 16-19 und Lear, III, 6, 82. Mehr als Banquo selbst muß Macbeth ja dessen Nachkommen fürchten da aus ihnen gemäß der Prophezeiung der Weird Sisters ein Königsgeschlecht entspringen wird. Fleances Entkommen in der Szene III, 3 ist dann, wie Kenneth Muir feststellt, der "turning point" des Dramas; Macbeth, ed. K. Muir (1962), The Arden Shakespeare, III, 3,18, note.

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telbar vor der Ausführung des Mordplans Banquo gegenüber den Schein von kindness zu wahren. Dies gelingt ihm jedoch nur, weil auch Banquo begonnen hat, mit verdeckten Karten zu spielen: Wie sein dem Abschied vorausgehender Monolog (III, 1, 1-10) zeigt, verdächtigt er Macbeth, Duncan ermordet zu haben. Wenn er jetzt beim Abschied trotzdem den Eindruck von kindness Macbeth gegenüber erweckt, beteiligt er sich an dessen Heuchelei und Verstellung.24 Shakespeares Kunst besteht darin, dem Zuschauer innerhalb der statischen Form eines Abschieds unter Freunden subtile Hinweise über den wahren Stand der Dinge zu geben. Ein Ausdruck wirklicher kindness ist hingegen Ross' Abschied von Lady Macduff (IV, 2, 22-30). Nachdem Macduff zu den Engländern geflohen ist, muß auch Ross Lady Macduff und ihre Kinder, deren Ermordung, wie der Zuschauer aus der vorangegangenen Szene weiß, unmittelbar bevorsteht, schutzlos zurücklassen, um sich vor Macbeth in Sicherheit zu bringen und sich den englischen Truppen anzuschließen. Die Kürze des Abschieds, der nicht einmal ein farewell enthält, sondern lediglich eine zweimalige Ankündigung "I take my leave . . . " (IV, 2, 22 und 30), läßt die Grausamkeit deutlich werden, mit der Macbeth bestehende Familienbande zerstört. Ross' tröstende Worte und sein Segenswunsch (IV, 2, 26) sind angesichts des bevorstehenden Geschehens ein krasses Beispiel von dramatischer Ironie; darüber hinaus zeigen sie jedoch, daß es auch in einer von Macbeth beherrschten Welt noch kindness gibt, und verweisen somit auf die Wiederherstellung der natürlichen Ordnung am Ende des Dramas: "Things at the worst will cease, or else climb upward / To what they were before" (IV, 2, 24-25). In der mittleren Phase seines Schaffens, die mit Macbeth zu Ende geht, hält sich Shakespeare, wie diese Untersuchung gezeigt hat, bei der Gestaltung von Abschiedsszenen an ein bestimmtes Grundmuster, das er je nach Situation und dramatischer Absicht mannigfachen Variationen unterzieht. Von der Rede des Polonius an seinen Sohn in Hamlet abgesehen, ist er hierbei nicht mehr von Quellen abhängig. Durch das rituelle Geschehen des Abschieds wird in dieser Phase oft nicht eine Harmonie, sondern gerade das Fehlen einer Harmonie dramatisiert, vor allem in Troilus and Cressida und King Lear. Die Abschiedsszene wird zu einem flexiblen Medium, mit dem der Dramatiker Charaktere (wie Polonius, Bertrams Mutter und Cordelia) und emotionale 24

Bradley meint sogar: " . . . he has yielded to evil. The Witches and his own ambition have conquered him"; a.a.O., S. 324.

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Beziehungen (wie die Orlandos und Rosalinds oder Sebastians und Antonios) darzustellen vermag, daneben aber auch die allgemeine Stimmung bzw. die .Leitmotive' eines Dramas verdeutlichen kann. Nicht immer enthält der Abschied hierbei eine Trennung von einem Zuhause und einen Aufbruch zu einer weiten Reise, wie im Fall von Laertes, Bertram und Cordelia. Oft hat der Abschied den Anschein eines Alltagsgesprächs, erweist sich aber dann doch (wie in As You Like It und Macbeth) als entscheidendes Ereignis für die beteiligten Personen. e) Die Abschiedsszenen von Antony and Cleopatra bis The Tempest und The Two Noble Kinsmen: Abschied als Ritual der fortdauernden Zusammengehörigkeit In der Schlußphase von Shakespeares Schaffen finden sich Abschiedsszenen in noch stärkerem Maße als zuvor an den Nahtstellen des jeweiligen Dramengeschehens. Sie markieren in den meisten Fällen einen entscheidenden, schicksalhaften Schritt eines Dramenhelden, der sich entschließt bzw. durch äußere Umstände dazu genötigt wird, ein bestimmtes, neues Ziel anzusteuern. Formal lockert sich dabei das Grundmuster, das die Abschiedsszenen vom Merchant of Venice bis zu Macbeth beherrschte. So sind in Antony and Cleopatra Antonys Reise nach Rom und seine Rückkehr nach Ägypten durch lange Szenen markiert, die die Abreise von Ägypten bzw. von Rom zum Inhalt haben. Es handelt sich um den Abschied Antonys von Cleopatra (I, 3) und um den Abschied Octavias, die Antony aus politischen Gründen zur Frau gegeben worden ist, von ihrem Bruder Caesar Octavianus (III, 2). Bemerkenswert ist, daß sich in beiden Fällen kein entsprechendes Geschehen in Shakespeares Quelle, Norths Übertragung der AntoniusBiographie des Plutarch, findet, obwohl sich Shakespeare sonst sehr eng an diese Quelle anlehnt. Durch das Mittel der statischen Szene gelingt es ihm, die Dinge zum Ausdruck zu bringen, die bei Plutarch zum Kommentar des Autors gehören, wie die Charaktere Antonys und Cleopatras. Zum erstenmal bei einer Abschiedsszene dieser Länge verzichtet Shakespeare in der Szene I, 3 auf den auflockernden Einbruch von außen. Das Geschehen zwischen den Liebenden allein vermag in diesem Fall das Zuschauerinteresse über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten. Der Abschied ist nämlich großenteils nicht statisch, sondern enthält einen aufregenden Willenskampf, der den unversöhnlichen Gegensatz zweier gleichgewichtiger, entschiedener Charaktere deutlich 74

werden läßt: 1 Der Grund der Abreise Antonys liegt darin, daß zumindest ein Teil seiner Persönlichkeit im Streben nach honour besteht. Honour jedoch ist in Rom, nicht in Ägypten, ,zu Hause'. Obwohl Antony in der ersten Szene des Dramas bei der Umarmung Cleopatras gesagt hatte: "Here is my space" (I, 1, 34), hat ein "Roman thought" (1,2, 80) ausgereicht, um ihn an sein anderes ,Zuhause' zu erinnern. Cleopatra versucht nun in der Szene 1,3 mit nicht geringem rhetorischen und schauspielerischen Einsatz, Antony zum Bleiben zu bewegen, ohne Erfolg freilich, denn Antony ist in diesem Willenskampf ein ebenbürtiger Gegner. Dies wird deutlich, als es Antony nach mehreren vergeblichen Versuchen gelingt, den Redefluß Cleopatras zu stoppen und sich selbst Gehör zu verschaffen (I, 3, 41). In dieser bewegten Szene findet die eigentliche Abschiedszeremonie, derentwegen Antony vor Cleopatra erschienen ist, im Grunde gar nicht statt. Nicht die Zeremonie selbst, sondern Cleopatras Reden über die Zeremonie bestimmen zunächst die Szene: Cleopatra fordert Antony zweimal auf, ihr sein farewell zu entbieten, allerdings in so provokanter Form, daß Antony der Abschiedsgruß gerade dadurch unmöglich gemacht wird: Nay, pray you, seek no colour for your going, But bid farewell, and go: when you sued staying, Then was the time for words ... (I, 3, 32-34) ... I prithee turn aside and weep for her [Fulvia], Then bid adieu to me, and say the tears Belong to Egypt. Good now, play one scene Of excellent dissembling, and let it look Like perfect honour. (I, 3, 76-80)

Cleopatra entwertet die Abschiedszeremonie, indem sie vorgibt, sie werde dem Ritus keinen Glauben schenken. Hierdurch hindert sie Antony zwar am Abschiedsgruß, jedoch nicht an seiner Abreise. Nachdem sie einzusehen beginnt, daß sie Antony nicht zurückhalten kann, versucht Cleopatra, die Trennung durch eine gespielte Erinnerungslücke hinauszuzögern: 2 Ant. I'll leave you, lady. Cleo. Courteous lord, one word: Sir, you and I must part, but that's not it: Sir, you and I have lov'd, but there's not it; 1 2

Vgl. Oppel, „Zur Problematik des Willenskampfes", S. 104. Vgl. o. S. 45, Anm. 30 und S. 65.

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That you know well, something it is I would, O, my oblivion is a very Antony, And I am all forgotten. (I, 3, 86-91)

Nunmehr nimmt auch diese Szene einen statischen Charakter an: Zwei für Abschiedszeremonien typische Elemente, Cleopatras Segenswunsch (1,3, 99-101) und Antonys kasuistische Leugnung der Trennung (1,3, 102-104), zeigen, daß die gegenseitige true love zumindest einen Teil des Wesens beider ausmacht, auch wenn Cleopatras "idleness" (1,3, 93) und Antonys Streben nach "honour" (1,3,97) als Wesenzüge erkennbar werden, die der Harmonie der Liebenden im Wege stehen. Auch wenn der Abschied nicht wie sonst üblich vonstatten geht, wird im Augenblick der Trennung zumindest teilweise eine Gemeinsamkeit sichtbar. Es wird deutlich, warum Antony zu Cleopatra zurückkehren wird. Die zweite große Abschiedsszene des Dramas betrifft Antonys Abreise aus Rom (III, 2). Am Beginn dieser Szene steht eine ,Einblendung' in ein längeres Geschehen, von dem der Zuschauer nur den Schluß mitbekommt. Caesar hat Antony und Octavia ein Wegstück begleitet, und Antony leitet mit den Worten " N o further, sir" (III, 2,23) die endgültige Trennung ein. Bemerkenswert ist, daß die eigentliche Abschiedszeremonie im wesentlichen nur zwischen Caesar und Octavia abläuft. Antony hingegen, dessen Abreise aus Rom doch wohl ein entscheidendes Handlungselement darstellt, wird von Caesar nur in bezug auf Octavia angesprochen: "You take from me a great part of myself..." (Ill, 2, 24). Zwischen den beiden Triumvirn herrscht nicht die bei Abschiedszeremonien übliche Verbundenheit, sondern eher Mißtrauen. Wie beim Abschied Cressidas von Troilus kündigt dieses Mißtrauen bereits den bevorstehenden Bruch an. Wie Cressida sich über den Argwohn des Troilus erregt, fühlt sich Antony durch Caesars Befürchtungen verletzt und zeigt gerade dadurch, daß diese Befürchtungen nicht ganz unberechtigt sind (III, 2, 33-34). Anders als Antony, der auf seinen an Caesar gerichteten Segenswunsch (III, 2, 36-37) keine Erwiderung erhält, wird Octavia von ihrem Bruder mit farewells geradezu überschüttet: Farewell, my dearest sister, fare thee well, The elements be kind to thee, and make Thy spirits all of comfort! fare thee well. (111,2, 39-41)

Anschließend findet ein privates' Gespräch von Caesar und Octavia statt, an dem auch der Zuschauer keinen Anteil hat. Durch diese 76

,Ausblendung' und durch die Kommentare von Enobarbus und Agrippa wird die Intimität dieses kleineren Abschiedsgeschehens hervorgehoben, das in die auf der Bühne gezeigte Abschiedszeremonie eingelagert ist: Wie hierbei deutlich wird, ist das Verhältnis von Caesar zu seiner Schwester offensichtlich sehr eng, enger als das von Octavia oder das von Caesar zu Antony. Caesars Versprechen, von sich hören zu lassen (III, 2, 60), bezieht sich ebenfalls nur auf Octavia, und auch das doppelte Schluß-farewell Caesars scheint ihr zu gelten (III, 2, 64-66). 3 Antony hingegen drängt mehrmals auf eine Beendigung des Abschiedsgeschehens (III, 2, 23, 38 und 61). Erneut zeigen die Eigenarten eines Abschiedszeremoniells die Besonderheiten einer Personenkonstellation auf: Die Abreise Antonys und Octavias stellt nur für die letztere eine emotionale, schmerzliche Trennung dar, während Antony, der bereits wieder auf Ägypten zusteuert, der Abschied von Rom nicht schwerfällt. Daneben benutzt Shakespeare die Gelegenheit dieser statischen Szene, Octavia als Verkörperung der römischen Tugenden, darunter auch der Loyalität zum Ehegatten, herauszustellen (III, 2,45). Obwohl Octavia ständig von Caesar angeredet wird, sagt sie selbst fast nichts, sondern nimmt alles stumm und ergeben hin - welch ein Unterschied zu Cleopatra! Diese Charakterisierung setzt sich in der Szene III, 4 fort, wo Octavia in einen Loyalitätskonflikt gerät, dem Antony, der sie zu Caesar zurückschickt, ungerührt gegenübersteht. Bezeichnenderweise enthält diese Szene, obwohl in ihr die Trennung von Antony und Octavia angekündigt wird, keine Abschiedszeremonie. Eine solche würde eine gegenseitige kindness der sich trennenden Personen zum Ausdruck bringen. Es zeigt sich also, daß die rein politische Heirat auch als Mittel der Politik sinnlos war, da sie, von keiner emotionalen Bindung, keiner kindness begleitet, Antony in keiner Weise an Caesar band. Der Abschied Antonys von Cleopatra in der Szene IV, 4 läßt einen Charakterzug Antonys deutlich werden, der zuvor noch nicht in Erscheinung getreten war: den Wunsch, seine ritterliche Tapferkeit unter Beweis zu stellen. Das Abschiedsmotiv tritt in dieser Szene gegenüber dem Motiv ,Aufbrach' in den Hintergrund. Bezeichnend sind Antonys Worte an einen vorbeikommenden Soldaten:

3

Die Textgestalt dieser Passage ist nicht eindeutig; siehe Antony and Cleopatra, M. R. Ridley (1954), The Arden Shakespeare, III, 2, 6 3 - 6 6 , note.

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ed.

. . . G o o d m o r r o w to thee, w e l c o m e : T h o u l o o k ' s t like h i m that k n o w s a w a r l i k e c h a r g e : T o b u s i n e s s that w e l o v e , w e r i s e b e t i m e , A n d g o t o ' t w i t h delight. ( I V , 4 , 1 8 - 2 1 )

Bemerkenswert ist auch Antonys "soldier's kiss" (IV, 4,30), zwischen den beiden Schlu({-farewells. Antonys Tragödie besteht darin, daß seine Ritterlichkeit und seine persönliche Tapferkeit, die weder Rom noch Ägypten zu einem wirklichen Zuhause für ihn machen, nicht ausreichen werden, um seine Fehleinschätzung der politischen und militärischen Lage wieder a b z u gleichen: Es ist ihm nicht möglich, Caesar im Zweikampf (IV, 4, 37) gegenüberzutreten. In diesem Drama zeigt sich erneut die Bedeutung der Abschiedsszene für die Sympathielenkung: Obwohl in der zweiten Hälfte des Dramas die sympathischen Seiten Antonys im Vordergrund stehen, hindert die kindness, die Caesar in der Szene III, 2 seiner Schwester gegenüber unter Beweis stellt, den Zuschauer an einer allzu einseitigen Bewertung der beiden Triumvirn. Shakespeares Formbewußtsein hinsichtlich des Abschieds wird auch in Coriolanus deutlich, wo sich der Titelheld in der Szene IV, 1 gleichzeitig von seiner Mutter, seiner Ehefrau und seinen Freunden aus der römischen Nobilität verabschiedet, um in die Verbannung zu gehen. Für den Handlungsablauf wäre diese Szene nicht unbedingt erforderlich. Coriolanus hätte Rom unmittelbar nach der Szene III, 3 verlassen können, wo er ausgerufen hatte: " . . . Despising / For you the city, thus I turn my back. / There is a world elsewhere!" (111,3, 133-135). Shakespeare greift jedoch einen kleinen Hinweis in Norths Plutarch auf, 4 um dem Zuschauer die Implikationen der erzwungenen Trennung des Titelhelden von seinem ureigensten Zuhause deutlich vor Augen zu führen. Die Einzelheiten des Abschiednehmens sind wie so oft Thema des Dialogs. So schlägt Coriolanus gleich am Anfang vor, auf einen ausgedehnten Abschied zu verzichten: "Come, leave your tears. A brief farewell!" (IV, 1,1). Trotzdem scheint gerade Coriolanus die Szene in

4

Die relevante Passage lautet: " . . . For when he was come home to his house againe, and had taken his leave of his mother and wife, finding them weeping, and shreeking out for sorrowe, and had also comforted and persuaded them to be content with his chaunce: he went immediatly to the gate of the cittie..."; zitiert nach: Coriolanus, ed. Philip Brockbank (1976), The Arden Shakespeare, Appendix, S. 342.

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die Länge ziehen zu wollen. Drei Viertel der Verse der Szene werden von ihm gesprochen, während der Schmerz über die Trennung seine Mutter und seine Frau an längeren Äußerungen hindern. Coriolanus selbst weist auf das Ausbleiben der guten Ratschläge seiner Mutter hin, die zu einer normalen Abschiedsszene gehört hätten: . . . You were us'd to load m e W i t h p r e c e p t s that w o u l d m a k e invincible T h e heart that c o n n ' d them. ( I V , 1, 9 - 1 1 )

So ist auch der abreisende Coriolanus in dieser Szene derjenige, der wiederholt farewell sagt (IV, 1, 20 und 44). Da er (ähnlich wie etwa Bolingbroke in Richard II) von seinen Freunden noch bis zum Tor begleitet wird, das Abschiedsgeschehen also noch nicht abgeschlossen ist, fehlt jedoch das doppelte Schluß-farewell. Der Blick in die Zukunft, der in dieser Szene auf die verschiedenen Personen verteilt ist, verweist auf Gefahren, gibt aber auch einer Hoffnung auf Rückkehr Raum: Während Coriolanus nicht zu erkennen gibt, ob und wo er sich ein neues Zuhause suchen wird, drängen ihn Volumnia und Cominius, ein Ziel zu benennen: Volumnia warnt vor den Gefahren eines Weges ohne Ziel, während Cominius von seiner Hoffnung auf einen Widerruf des Verbannungsurteils spricht (IV, 1, 33-44). Diese Rollenverteilung macht die gemeinsame Betroffenheit von Familienangehörigen und Freunden über Coriolanus' Verbannung deutlich. Die Verbindung des Abschieds des Abreisenden von verschiedenen Personengruppen in derselben Szene ist nicht nur ein Mittel dramatischer Ökonomie; sie charakterisiert auch den Titelhelden des Dramas, für den es keinen prinzipiellen Unterschied zwischen dem privaten und dem öffentlichen Bereich gibt und der zudem innerhalb des privaten Bereichs seiner Frau im Vergleich zu seiner Mutter keinen bevorzugten Platz einräumt. Coriolanus' Vorschlag, ihm erst nach der Trennung Lebwohl zu sagen ("... when I am forth, / Bid me farewell, and smile"; IV, 1,49-50), zeigt, daß er versucht, sich in die Situation der Zurückbleibenden hineinzuversetzen. Bei der Aufforderung zu einem solchen Abschiedsgruß handelt es sich ebenso wie beim gesamten von Coriolanus gestalteten Abschiedsprozeß um eine „kontrollierte Geste der Überlegenheit über das in Rom auf ihn hereingebrochene Unglück", wie Wolfgang Riehle sagt. 5 Diese 5

Wolfgang Riehle, „Coriolanus: Die Gebärde als sympathielenkendes Element", Sympathielenkung in den Dramen Shakespeares, edd. W. Habicht, I. Schaben (München, 1978), S. 132-141; S. 134.

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Geste wird durch den statischen Rahmen der Szene ermöglicht, in dem auch die stoische Hinnahme des Schicksals durch Coriolanus zum Ausdruck kommen kann, ein Charakterzug, der zwar auch ,typisch römisch' ist, bei Coriolanus zuvor jedoch noch nicht in Erscheinung getreten war: Nunmehr sagt der tapfere Kämpfer: "'Tis fond to wail inevitable strokes . . . " (IV, 1,26). 6 Auch die anderen Personen werden in dieser Szene charakterisiert: Coriolanus' Akzeptanz des Schicksals kontrastiert mit der treuen Ergebenheit von Cominius und Menenius, mit dem stillen Schmerz Virgilias und der Wut Volumnias, die Schwierigkeiten hat, den von ihr geteilten Prinzipien des römischen Tugendideals treu zu bleiben. Die Szene markiert einen entscheidenden Wendepunkt des Dramas: Der Schicksalsschlag zwingt alle Beteiligten, ihre bisherigen Handlungsmaximen zu überdenken. Vor allem Coriolanus zeigt sich von einer neuen Seite: Zuvor hatte er jede Art von Zeremonie abgelehnt und beispielsweise die Huldigungen des Volkes bei seiner Rückkehr aus dem Krieg nicht entgegennehmen wollen.7 Seine Weigerung und sein Unvermögen, sich der "ceremony", von der Sicinius spricht (II, 2, 141), der Bestätigung seiner Wahl zum Konsul durch das gemeine Volk, zu unterziehen, hatten schließlich zu seiner Verbannung geführt. Wenn er die Zeremonie des Abschieds nicht nur auf sich nimmt, sondern auch aktiv gestaltet, zeigt er, daß auch er menschlicher Regungen fähig ist, und gewinnt die Sympathie des Zuschauers, der ihm zuvor allenfalls Respekt und Bewunderung entgegengebracht haben dürfte. 8 In Pericles verwendet Shakespeare bei der Darstellung der zahlreichen Reisen und Irrfahrten des Titelhelden nur ein einziges Mal die Form der Abschiedsszene, und zwar zur Darstellung von Pericles' Abreise von Tharsus, wo er seine Tochter Marina in der Obhut von Cleon und Dionyza zurückläßt (III, 3). 9 6

7 8 9

Diese Einstellung deutet auf Coriolanus' Annahme des Schicksals in der Szene V, 3 voraus, w o er über seinen drohenden Tod sagt: " B u t let it c o m e " (V, 3, 189). Zu dieser Begrüßungsszene siehe u. S. 158-159. Vgl. Riehle, a.a.O. Merkwürdig knapp ist der Abschied des Pericles von Helicanus und den Edelleuten von Tyrus in der Szene I, 2. Dies mag darauf zurückzuführen sein, daß diese Szene nicht von Shakespeare verfaßt wurde, oder darauf, daß sie sehr lückenhaft überliefert worden ist, oder auf beides. Die umstrittene Frage nach der Verfasserschaft der ersten beiden Akte des Pericles ist hier nicht zu beantworten. E s soll in dieser Arbeit jedoch davon ausgegangen werden, daß das Drama offensichtlich in seiner Gesamtheit Shakespeares Billigung gefunden hat, selbst wenn nur die letzten drei Akte von ihm stammen. Vgl. u. S. 245, A n m . 1.

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Offensichtlich nimmt Shakespeare hierdurch eine bewußte Gewichtung vor. Der Trennung Thaisas von ihren Eltern in Pentapolis etwa kommt in den Quellen des Dramas, die auf den spätantiken ApolloniusRoman zurückgehen, eine große Bedeutung zu; von Shakespeare wird sie jedoch in den Hintergrund gestellt und nur kurz von Gower, dem "Chorus", erwähnt: H i s queen with child makes her desire Which w h o shall cross? - along to go. O m i t we all their dole and woe. Lychorida, her nurse, she takes,

And so to sea ... (Ill, chorus, 40-44)

Die einschneidenden Ereignisse der ,Lebensreise' des Pericles, die das Thema dieses Dramas bildet, betreffen seine Tochter Marina: ihre Geburt, ihr Verlust und das Wiedersehen mit ihr. Aus diesem Grund wird die Trennung des Pericles von ihr mit einer eigenen Szene bedacht, während die szenische Darstellung anderer Trennungen das Gewicht zu sehr auf Nebenpersonen verlagert hätte. 10 In Pericles' Abschiedsworten kommt seine Ergebung in das Schicksal zum Ausdruck, während Cleon und Dionyza kaum persönliche Züge gewinnen. Zwei Äußerungen des Danks (III, 3, 3 - 5 und 34) umrahmen Pericles' Anweisungen und Wünsche zur Pflege und Erziehung seiner Tochter. Auch die Worte an Lychorida haben Marina zum Inhalt (III, 3, 40-41), die deutlich im Mittelpunkt der Szene steht. Es ist Pericles' Trennung von ihr, auf die es ausschließlich ankommt. In dieser Szene geht es nicht so sehr um die Charakterisierung der Personen wie um die dramatische Vergegenwärtigung des Faktums der Trennung, die für Pericles den Ubergang in eine neue Lebensphase bedeutet. 11

10

11

"The play is unified by its central figure, Pericles, rather than by its p l o t . . . They [the minor characters] are presented not so much for themselves as for their impact on Pericles and Marina"; Pericles, ed. F. D. Hoeniger (1963), The Arden Shakespeare, Introduction, S. lxxix. Durch die Konzentration auf die Hauptpersonen und auf wenige Nahtstellen und Brennpunkte gelingt es Shakespeare, einen epischen Handlungsablauf par excellence theaterwirksam zu gestalten. Vgl. u. S. 269-273. Wie in Coriolanus (IV, 1) wird die eigentliche Trennung nicht mehr auf der Bühne gezeigt: Pericles wird noch zum Hafen begleitet. Hierdurch umgeht Shakespeare das Problem, eine Abreise mit dem Schiff auf der Bühne darzustellen. Dies ist einer der dramaturgischen Kunstgriffe, mit deren Hilfe Shakespeare es unternimmt, das für Epos und Roman typische Motiv der Seereise in die Dramenhandlung einzubeziehen, ohne dabei gegen die verisimilitude zu verstoßen.

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In Cymbeline ist die erzwungene Trennung der durch troth-plight verbundenen Liebenden Posthumus und Imogen das Handlungselement, von dem die zahlreichen Verwicklungen dieses Dramas ihren Ausgang nehmen. Posthumus muß in die Verbannung gehen, während Imogen, die Tochter des Königs, im eigenen Palast als Gefangene festgehalten wird: Beide haben also ihr angestammtes Zuhause verloren. Noch weniger als in den meisten anderen Dramen geben die äußeren Umstände Anlaß zur Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang. Formal nimmt Shakespeare eine Reihe von Elementen aus seinen früheren Dramen wieder auf, um sie auf neue Weise zu variieren. So findet sich der ,beschleunigende' Einbruch von außen gleich zweimal: Zunächst mahnt die Königin zur Eile, indem sie einen zweiten Einbruch, den des Königs, ankündigt (I, 2, 32—34).12 Dieser bereitet dann der Abschiedszeremonie ein abruptes Ende (1,2, 55). Auch der erste Einbruch ist schon im voraus angekündigt worden: Die Zeitspanne, die den Liebenden für ihren Abschied zur Verfügung steht, ist von vornherein auf die Zeit begrenzt, die die Königin für einen "turn about the garden" (1,2,12) benötigt. Wie etwa in Romeo and Juliet wird hier der Eindruck eines besonders raschen und intensiven Geschehens hervorgerufen. In der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit tauschen die Liebenden eine Vielzahl von dichtgedrängten Liebesbekundungen, Wünschen und Blicken in die Zukunft aus. In den zwei gleich langen Reden von Imogen (I, 2, 14-23) und Posthumus (1,2, 23-32) kommt der Schmerz über die erzwungene Trennung und über die unkindness des Königs und der Königin zum Ausdruck, vor allem aber die Hoffnung der Liebenden auf eine spätere Wiedervereinigung. Charakteristisch ist Imogens jewelMetapher: . . . A n d I shall here abide the hourly shot O f angry eyes: not comforted to live, But that there is this jewel in the w o r l d That I may see again. (1,2, 2 0 - 2 3 )

Auch Posthumus verwendet bei seiner Bitte, ihm Briefe zu schreiben, eine Metapher, die seinen Willen deutlich macht, äußeren Widrigkeiten die Kraft seiner Liebe entgegenzustellen:

12

Die Szenen- und Versangabe folgt wie immer dem Arden Shakespeare. In vielen anderen Ausgaben werden die ersten beiden Szenen des Dramas jedoch zu einer zusammengefaßt. So entsprechen z. B. 1,2, 3 2 - 3 4 (Arden) den Versen 1,1, 101-103 in der Ausgabe Alexanders.

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... thither write, my queen, And with mine eyes I'll drink the words you send, Though ink be made of gall. (I, 2, 30-32)

Eine noch weitergehende Umkehrung der Situation durch einen Akt der Einbildungskraft nimmt Posthumus vor, wenn er den Imogen geschenkten Armreif als „manacle of love" bezeichnet, für Imogen als „fairest prisoner" (1,2, 53-54). 1 3 Der Umstand, daß Imogen tatsächlich gefangengehalten wird, erweist sich gegenüber dem (durch einen bloßen Akt des Denkens herbeigeführten) Faktum, daß sie,Gefangene der Liebe' ist, als geradezu bedeutungslos. Der Eindruck der Harmonie, den die sich gleichenden Denk- und Ausdrucksweisen vermitteln, verstärkt sich bei der anschließenden Meinungsverschiedenheit zum Thema ,Abschiedszeremonie': Post. Should we be taking leave As long a term as yet we have to live, The loathness to depart would grow. Adieu! Imo. Nay, stay a little: Were you but riding forth to air yourself, Such parting were too petty ... (1,2, 37-42)

In ihren gegensätzlichen Argumenten stellen beide Liebenden die Bedeutung des Abschiedsrituals heraus, jeweils in einer Weise, die eine Liebeserklärung darstellt. Innerhalb dieses Rituals erweisen sich die Äußerungen über das Ritual erneut als Mittel der Verdeutlichung des Verhältnisses der beteiligten Personen zueinander. Den Rahmen für den Rest des Abschieds bildet der Austausch von tokens, ein traditionelles Element des Rituals der Trennung von Liebenden. 14 In den Kommentaren von Posthumus und Imogen zu diesem Austausch wird deutlich, daß dieser Ritus hier anders als in Troilus and Cressida integraler Bestandteil des Abschiedsgeschehens ist und eine bestehende Gemeinsamkeit adäquat wiedergibt. 13

14

Hier triumphieren die Liebenden in ähnlicher Weise über ihre Bewacher wie Lovelace in seinem berühmten, 1642 im Gefängnis geschriebenen Gedicht "To Althea, from Prison": When I lye tangled in her haire, And fetterd to her eye; The Gods that wanton in the Aire, Know no such Liberty. (1. 5 - 8 ) The Metaphysical Poets, ed. Helen Gardner, rev. ed. (Harmondsworth, 1972 ['1957]), S. 236. Siehe o. S. 37, Anm. 15.

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J. M. Nosworthy vergleicht die oben zitierten Verse mit Troilus' Anklage gegen die Zeit beim Abschied von Cressida.15 Obwohl beiden Textpassagen in der Tat gemein ist, daß die beteiligten Personen die Einzelheiten der Abschiedszeremonie zum Gegenstand ihres Gesprächs machen und auf diese Weise auch den Zuschauer auf die Bedeutung dieser Einzelheiten hinweisen, liegt in ihrer Tendenz doch ein entscheidender Unterschied vor: Während Troilus der knappen Zeit zu Unrecht die Schuld an der wegen seines Mangels an Einfühlungsvermögen und Cressidas Gereiztheit mißlingenden Abschiedszeremonie gibt, die er sich anders vorgestellt hatte, gelingt es Posthumus und Imogen, die knappe zur Verfügung stehende Zeit zu einem harmonischen Austausch von Liebesbekundungen zu nutzen und den kurzen Augenblick um so intensiver zu erleben. Eher als an den Abschied Cressidas von Troilus erinnern die Worte Imogens an den ersten Abschied Romeos von Juliet (II, 2), wo letztere die Trennung von Romeo immer wieder auf spielerische Weise hinauszögert. Wie diese Liebenden, doch im Gegensatz zu Troilus und Cressida sind Posthumus und Imogen true lovers. Bis sie schließlich am Ausgangspunkt wieder ein Zuhause finden, wird ihre Liebe zahlreiche Bewährungsproben überstehen. Zunächst jedoch sind alle äußeren Umstände gegen die Liebenden. Ihr Abschied wird vom König brutal unterbrochen, so daß Posthumus nur noch Gelegenheit zu einem kurzen Segenswunsch hat, während Imogen eine Erwiderung dieses Wunsches ebenso versagt bleibt wie das doppelte Schluß-farewell. Die Abruptheit der Trennung veranlaßt Imogen auszurufen: "There cannot be a pinch in death / More sharp than this is" (1,2, 61-62). Doch ist dieser gewaltsame Abbruch der Abschiedszeremonie nicht endgültig. Das Motiv, daß der Abreisende noch ein Stück begleitet wird, erfährt hier eine interessante Ausgestaltung: Pisanio, Posthumus' ergebener Diener, kehrt zu Imogen zurück, da ihm sein Herr nicht gestattet hat, ihn zum Hafen zu bringen (1,2, 100-102). Imogen jedoch schickt ihn trotzdem zum Hafen (1,2, 108-109), wo er die Abfahrt des Posthumus verfolgen soll, und sorgt hiermit für eine Fortsetzung' des Abschiednehmens. Bei Pisanios Rückkehr (I, 4) findet sie dann Gelegenheit, die Teile des Abschiedsrituals, an denen sie durch rohe Gewalt gehindert wurde, im Gespräch zumindest gedanklich nachzuerleben. In dem Bericht Pisanios über Posthumus' Abfahrt, der der Erzählung der Abfahrt des Ceyx von Alcyone in Ovids Metamorphosen nachgebil15

Cymbeline, a.a.O., I, 2, 37-45, note.

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det ist, 1 6 u n t e r n i m m t es Shakespeare, die A b f a h r t eines Schiffes u n d damit ein f ü r E p o s und R o m a n typisches M o t i v auf die B ü h n e z u ü b e r t r a g e n . 1 7 D i e F o r m des Berichts ermöglicht es Shakespeare z u d e m in stärkerem M a ß e , als dies in direkter szenischer Darstellung möglich w ä r e , auf die Bedeutung der rituellen Einzelheiten des Abschieds h i n z u * 1 ft weisen. O b w o h l Imogen in dieser Szene eigentlich n u r die R o l l e eines Z u h ö rers zufällt, ergreift sie v o n A n f a n g an die Initiative: Zunächst lockt sie Pisanios Bericht d u r c h gezielte Fragen heraus: Imo. ... What was the last That he spake to thee? Pis. It was, his queen, his queen! Imo. Then wav'd his handkerchief? Pis. And kiss'd it, madam. Imo. Senseless linen, happier therein than I! And that was all? Pis. No, madam ... (1,4, 4 - 8 ) Schließlich n i m m t Imogen Pisanio das W o r t aus dem M u n d : Imo. Thou shouldst have made him As little as a crow, or less, ere left To after-eye him. Pis. Madam, so I did. Imo. I would have broke mine eye-strings, crack'd them, but To look upon him, till the diminution Of space had pointed him sharp as my needle ... (I, 4, 1 4 - 1 9 ) W ä h r e n d A l c y o n e bei O v i d nach der A b f a h r t traurig am Strand z u r ü c k b l e i b t , 1 9 w a r Imogen diese A r t des A b s c h i e d s v e r w e h r t . Statt dessen läßt

16 17

18

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Siehe Cymbeline, a.a.O., I, 4, 8-22, note. Vgl. o. S. 81, Anm. 11. In rudimentärer Form findet sich dieses Verfahren der Darstellung einer Schifftsabfahrt schon bei Marlowe, "Dido, Queen of Carthage", V, 1, 226-240. Erstaunlicherweise wird diese Szene in G. v. Greyerz' Untersuchung über die reported scenes nicht berücksichtigt. Es kennzeichnet Shakespeares formale Virtuosität, daß er mit Hilfe von Berichtsszenen nicht nur den Berichtenden zu charakterisieren vermag, sondern auch die Person, an die der Bericht gerichtet ist. Wie Clemen bemerkt, gibt Shakespeare durch die Form des Berichts oft „gewissermaßen eine dreidimensionale statt einer zweidimensionalen Darstellung", Wandlung des Botenberichts, S. 41. Die relevante Passage lautet in Arthur Goldings Übersetzung: .. and when she could the sails no longer find / She gat her to her empty bed with sad and sorry heart, / And laid her down. The chamber did renew afresh her smart, / And of her bed did bring to 85

sie die Szene in ihrer Phantasie stattfinden und nimmt ihrem Abschiedsschmerz dadurch die Unmittelbarkeit des Schmerzes Alcyones. Dieser Schmerz wird bei Imogen praktisch zu einem fiktiven Bestandteil des Abschiedsgeschehens : 2 0 . . . ( I w o u l d have) followed him, till he had melted f r o m The smallness of a gnat, to air: and then H a v e turn'd mine eye, and wept . . . (I, 4, 2 0 - 2 2 )

In der ganzen Szene ist Pisanio eine eher zufällige Hintergrundsfigur für Imogens Nachvollzug des Abschieds. Ihre Fragen an ihn beruhen nicht auf einem Informationsbedürfnis, denn sie weiß ja, ,wie es weitergeht'. Vielmehr liefert Pisanio nur die faktische Bestätigung für Imogens Träumereien, die fast noch detaillierter zu sein scheinen als sein Bericht. Schließlich geht die Szene in einen Monolog Imogens über. Jetzt handelt es sich auch nicht mehr um die Vergegenwärtigung der tatsächlichen Abreise, sondern des möglichen Ablaufs einer Abschiedszeremonie. Imogen beschreibt, wie der Abschied von Posthumus in der Szene 1,2 hätte fortgesetzt werden können, wenn er nicht durch den König abgebrochen worden wäre: I did not take m y leave of him, but had M o s t pretty things to say: ere I could tell him H o w I would think on him at certain hours, Such thoughts, and such: or I could make him swear The shes of Italy should not betray Mine interest, and his honour; or have charg'd him, A t the sixth hour of morn, at noon, at midnight, T ' encounter me with orisons, for then I am in heaven f o r him; or ere I could Give him that parting kiss, which I had set Betwixt t w o charming words, comes in m y father, A n d like the tyrannous breathing of the north, Shakes all our buds from growing. (1,4, 2 5 - 3 7 )

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mind the dear departed part" (XI, 545-548); zitiert nach Cymbeline, a.a.O., I, 4, 8-22, note. Vgl. auch die oben (Anm. 17) zitierte Szene in Marlowes Dido, in der sich Didos Sinne nach Annas Bericht von der Abfahrt des Aeneas zu verwirren beginnen (V, 1, 241-261). Imogen ist im übrigen eine eifrige Leserin der Metamorphosen; siehe Cymbeline, a.a.O., II, 2, 44-46 und II, 2, 45, note. Ist es ihr Wissen um die literarischen Konventionen, das ihr über den Schmerz der Trennung hinweghilft? 86

Im Unterschied zu Troilus hadert Imogen nicht mit dem Schicksal, sondern überwindet die äußeren Widrigkeiten durch ihre Einbildungskraft. Wie die Formulierung "most pretty things to say" zeigt, geht es in diesem fiktiven Abschiedsgespräch nicht so sehr um den Inhalt wie um die prettiness des Gesagten, darum also, daß eine harmonische Kommunikation stattfindet.21 Wie beim ersten Abschied Romeos von Juliet (II, 2) hat die Abschiedszeremonie etwas Spielerisches an sich. Wenn Imogen Posthumus schwören lassen will, sich nicht von den "shes of Italy" verleiten zu lassen, ihr die Treue zu brechen, dann nicht, weil sie ernsthaft an Posthumus' Treue zweifelt. Vielmehr benutzt sie das Motiv des Treueschwurs dazu, den Abschied durch spielerische, offensichtlich zum Ritual gehörende Eifersuchtsbekundungen zu verlängern. Einen spielerischen Charakter hat auch die Form der Kommunikation mit Hilfe des Gebets, die Imogen Posthumus nahelegen wollte. 22 Bei den "two charming words" (offensichtlich ,durch Zauber schützende Worte') handelt es sich vermutlich um das doppelte S c h l u ^ - f a r e w e l l , das den Liebenden bei ihrer Trennung durch den plötzlichen Einbruch des Königs verwehrt worden ist. Durch Imogens Formulierung wird die rituelle Funktion eines so alltäglichen Geschehens wie des Abschiedsgrußes besonders deutlich. Einige Kritiker nehmen an dem spielerischen, scheinbar unernsten Charakter dieser Rede Anstoß. So bemerkt Nosworthy zu den Versen 28-30: "Imogen lapses, rather unhappily, into the Beatrice or Portia vein. It is not a most pretty thing to say and is quite out of character".23 Diese Einschätzung ist ungerechtfertigt. Imogens Charakter ist eben ein anderer als der Ophelias oder Desdemonas, und ihre Fähigkeit, selbst in aussichtslos erscheinenden Situationen wie Beatrice oder Portia zu denken und zu reden, stellt ein wesentliches Merkmal ihrer Persönlichkeit dar.24 Die Schilderung dieses Charakters ist eine der wesentlichen Funktio21 22

23 24

Vgl. O.S. 39, Anm. 18. Dies gilt unabhängig davon, ob Imogen ähnlich wie Juliet bei der ersten Begegnung mit Romeo spielerisch die Rolle der Heiligen akzeptiert (1,5, 96-104) oder ob sie, wie Nosworthy meint, Posthumus lediglich auffordert, für sie zu den gleichen Zeiten zu beten wie sie für ihn; Cymbeline, a.a.O., I, 4, 30-33, note. Cymbeline, a.a.O., I, 4, 28-30, note. Hierin dürfte der Grund für die Faszination zu suchen sein, die die Gestalt Imogens auf Tennyson, Swinburne und andere viktorianische critics ausübte und die zu dem führte, was Nosworthy "the perverted ritual of an Imogen cult" nennt; Cymbeline, a.a.O., Introduction, S. xli.

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nen der Szenen 1,2 und 1,4. Shakespeare geht hierbei mit besonderer Kunstfertigkeit vor: Obwohl die Szenen statisch sind, die Handlung also nicht befördern, ist in ihnen ein Prozeß erkennbar: Imogens Übergang vom Schmerz zu einer Uberwindung dieses Schmerzes mit Hilfe der Phantasie. Das Bewußtsein der Verlassenheit und Eingeschlossenheit wird durch das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit mit Posthumus ersetzt. Imogen ist weiterhin dadurch charakterisiert, daß Schicksalsschläge und Kränkungen ihr Schmerzen bereiten und sie zum Weinen veranlassen, nicht aber zu Haßgefühlen, Rachsucht oder (wie bei Ophelia) Verzweiflung führen. Ihr Schmerz ist von der Art, daß er in kurzer Zeit gelindert werden kann und dann wieder einer fröhlichen Zuversicht Platz macht. Dieser Charakter Imogens wird sich in späteren Szenen bestätigen. 25 Er ist für den weiteren Verlauf des Dramas und für das Erreichen des happy ending von entscheidender Bedeutung. Aus dem Gesagten dürfte deutlich geworden sein, daß das Abschiedsgeschehen in diesem Drama in besonderem Maße die Funktion der Lenkung der Sympathie des Zuschauers wahrnimmt: Im Rahmen des zeremoniellen Abschieds kommt sowohl die unkindness von Imogens Vater und ihrer Stiefmutter zum Ausdruck wie ihre eigene kindness, die sie Posthumus gegenüber unter Beweis stellt. Die besondere Kunst Shakespeares besteht darin, daß er Imogen in den Mittelpunkt des Interesses rückt, ohne daß sie selbst handeln würde. Wie bei epischen Helden tritt nicht das Handeln, sondern das Erleben Imogens in den Vordergrund. 26 Daneben erfüllt dieser Abschied auch eine strukturelle Funktion in bezug auf das Dramengeschehen: Das ,Hauptthema', das in eine bewegte Handlung gekleidete Ritual der Prüfung und Bewährung zweier Liebender, 27 wird eingeleitet. So deutet das Bild von den Knospen am Ende der Rede Imogens (1,4, 36-37) auf Posthumus' Vegetationsvergleich am Ende des Dramas voraus: "Hang there like fruit, my soul, / Till the tree die" (V, 5, 263-264). Wie die Knospen vor ihrer Blüte widrigen Naturgewalten ausgesetzt sind, müssen sich auch Imogen und Posthumus in 25 26 27

Siehe u. S. 191. Zur epischen Struktur dieses Dramas vgl. u. S. 191. Auch die religiösen Begriffe (1,4, 3 0 - 3 3 ) haben sicher eine Bedeutung für das gesamte Drama. So könnte man die gegenseitige Liebe von Imogen und Posthumus mit G. Wilson Knight als Symbol für das Vertrauen des den Widrigkeiten dieser Welt ausgesetzten Menschen in die göttliche Gnade begreifen. Knight schreibt Shakespeares Final Plays eine "anthropomorphic theology" zu und konstatiert eine Verbindung von "romantic love" mit der "immortality of the human spirit"; The Crown of Life, S. 19 und 30. siehe dazu u. S. 314-315.

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einer feindlich erscheinenden Welt bewähren, bevor sie am Ende des Dramas ans Ziel ihrer Wünsche gelangen. Imogens Fähigkeit der Selbstbehauptung in einer ihr feindlich gesonnenen Umgebung bestätigt sich bei einem weiteren Abschied: In der Szene III, 4 schickt sie Pisanio, mit dessen Hilfe sie ihren Bewachern entkommen ist, an den Hof zurück, um allein nach Milford-Haven zu wandern. Trotz ihrer wiederholten Aufforderung "Prithee away" (III, 4, 182 und 186) glaubt Pisanio, sich für die Kürze des Abschieds entschuldigen zu müssen: "Well, madam, we must take a short farewell..." (111,4, 187). Die eigentliche Abschiedszeremonie ist auf einen kurzen Segenswunsch Pisanios beschränkt (III, 4, 194-195). Bei Imogen ist jedoch keinerlei Betroffenheit über die Trennung von den durch Pisanio verkörperten "good remainders of the court" (1,2,60) erkennbar. Es zeigt sich, daß Imogen mit dem Hof nichts mehr verbindet, seitdem Posthumus nicht mehr dort ist. Seine Verbannung hat auch Imogen am Hof ihres Vaters ihr Zuhause verlieren lassen.28 Eine weitere Szene (III, 5) hat den Abschied der römischen Gesandtschaft von Cymbeline zum Inhalt. Obwohl die römische Tributforderung bei der Begrüßung der Gesandtschaft abgelehnt worden ist (III, l), 29 entspricht die Abschiedszeremonie den Regeln diplomatischer Höflichkeit. Uber den Grund der Abreise wird der Zuschauer wie so oft durch einen beiläufigen Hinweis innerhalb der Abschiedszeremonie informiert, die nach bewährtem Muster als ,Einblendung' gestaltet ist: Cym. Thus far, and so farewell. Luc. Thanks, royal sir: My emperor hath wrote, I must from hence ... (Ill, 5, 1-2)

Das zweite Element des doppelten Sc\Au&-farewell (III, 5, 12 und 17) erscheint hier ähnlich wie bei Cordelias Abschied in King Lear (1,1, 281) in der expliziteren Form eines Segenswunsches: "Happiness!". Wie die Äußerungen Cymbelines entsprechen auch Lucius' Abschiedsworte an den König, die Königin und Cloten den Konventionen. In dieser Szene wird deutlich, daß Cymbeline die höfischen Tugenden der Standhaftigkeit und der guten Umgangsformen durchaus besitzt, sie jedoch am falschen Platz an den Tag legt: Feinden des Staates erweist er jene Höflichkeit, die er seiner Tochter und vermutlichen Thronerbin verweigert. 28 29

Zur Szene III, 4 vgl. u. S. 190-191. Zur Szene III, 1 siehe u. S. 160-161.

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Ähnlich wie in Pericles ist in The Winter's Tale das im Mittelpunkt stehende Ereignis, die Aussetzung des Babys Perdita, durch einen ausgedehnten Abschied markiert. Anders als Pericles hat Antigonus, der Perdita aussetzen soll, jedoch keine Gesprächspartner. 30 Trotzdem enthält seine Abschiedsrede das übliche doppelte Schlu&-farewell, von denen das erste trotz Perditas geringer Uberlebenschancen in der (vermeintlich) bösartigen Natur in der Form eines Segenswunsches erscheint: "Blossom, speed thee well!" (III, 3, 46 und 53). Der bewegte Monolog des Antigonus markiert den Wendepunkt des Dramas, den Umschlag einer vom Glück ins Unglück zu einer vom U n glück ins Glück gerichteten Bewegung. Die hier so grausam erscheinenden Naturgewalten - Antigonus wird von einem Bären angefallen und zerrissen - verschonen das Kind, 31 das auf die Reise geschickt wird, die in diesem Drama wie in Pericles als Veranschaulichung der ,Lebensreise' zu deuten ist. Bei einem entscheidenden Vorgang im zweiten Teil des Dramas, der Abreise Perditas und Florizels aus Böhmen, fällt hingegen das Fehlen einer Abschiedsszene ins Auge. Sowohl Polixenes als auch der alte Schäfer, der Perdita aufgezogen hat, belegen die jungen Liebenden mit ihrem Fluch und verlassen den Schauplatz aufs äußerste verärgert. Wie Posthumus und Imogen in Cymbeline haben Florizel und Perdita in Böhmen ihr Zuhause verloren. Sie beschließen zu fliehen, wobei Florizel ihren wohlmeinenden Ratgeber Camillo nur einer kurzen Abschiedsbekundung für würdig befindet: N o w good Camillo; I am so fraught with curious business that I leave out ceremony. (IV, 4, 514-516)

Diese wenigen Abschiedsworte zeigen in ihrer Knappheit die jugendliche Ungeduld Florizels auf, der den Augenblick der Abreise in ungewisse Fernen kaum noch erwarten kann. 32 In The Tempest finden sich keine ausgedehnten Abschiedsszenen. Dennoch ist innerhalb dieses Dramas, das viele typische Shakespeare-The30

31 32

Der fehlende Gesprächspartner wird in mancher Hinsicht durch den monologischen Bericht des Antigonus über einen Traum ersetzt, in dem Hermione zu ihm gesprochen hatte. Hiermit wird erneut ein f ü r Epos und Roman typisches Motiv in einen dramatischen Kontext eingearbeitet. Zum Handeln der "ruling powers" vgl. Knight, The Crown of Life, S. 97-98. Zu dieser Szene vgl. u. S. 192-193.

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men (wie Rebellion, Verbannung, Liebesprobe und Festlichkeiten) gleichsam en miniature umfaßt, 33 ein kurzer Abschied für unser Thema relevant: In der Szene III, 1 trennt sich Miranda von Ferdinand mit einem Abschiedsgruß, obwohl die Trennung der beiden nur eine halbe Stunde dauern wird (III, 1, 90-91). Wie Reisende in anderen Dramen müssen sich die Liebenden noch bewähren, durch körperliche Strapazen und sexuelle Enthaltsamkeit. Erst die Eheschließung wird das Erreichen des Reiseziels darstellen.34 Das Drama läßt sich auch als ausgedehnte Darstellung von Prosperos Abschied von seiner Insel und seinen Zaubereien, vielleicht auch als Metapher für Shakespeares Abschied von der Bühne verstehen: Das Thema ,Ariels Trennung von Prospero' umrahmt das dramatische Geschehen um König Alonso und seine Gefolgsleute, um Ferdinand und Miranda und um Stephano, Trinculo und Caliban. Die endgültige Trennung verzögert sich, weil Ariel zuvor noch eine Aufgabe zu verrichten hat: Er soll Ferdinand und Miranda zusammenbringen und die Versöhnung der gestrandeten Edelleute mit Prospero herbeiführen. Nach dem happy ending wird Ariel dann in die Freiheit entlassen (V, 1, 316-318). Bei diesem Abschied bringt Prospero seine emotionale Verbundenheit mit Ariel und der Insel zum Ausdruck, bricht dann aber seinen Stab, versenkt sein Buch im Meer (V, 1, 50-57) und vertauscht das Zuhause der Zauberwelt gegen die reale, doch gereinigte Welt Italiens. Auch in Henry VIII steht das Thema Abschied im Mittelpunkt, jedoch in ganz anderer Weise als sonst bei Shakespeare. In diesem Drama geht es nicht um den Aufbruch zu neuen Zielen, sondern um das Motiv des Rades der Fortuna, das einen gerade in dem Augenblick fallen läßt, in dem man auf dem Höhepunkt der Laufbahn angekommen ist. Buckingham (II, 1), Wolsey (III, 2) und Katherine (IV, 2) nehmen nach ihrem Sturz in langen Reden, die der Selbstdarstellung und Rechtfertigung dienen und ihre Ergebenheit in das Schicksal zum Ausdruck bringen, von den ihnen verbliebenen Freunden und der Welt überhaupt Abschied. Diese Reden finden sich in den Teilen des Dramas, die vor allem 33 34

Vgl. Knight, The Shakespearian Tempest, S. 247. Die Feststellung Kurt Tetzeli von Rosadors, daß im Tempest Darstellung „ausgiebige Einführungen und Motivationen der Handlungen zugunsten einer evozierenden, poetisierenden, schen Gestaltung derselben zurücktreten" müssen, bestätigt chung dieses Abschiedsgeschehens; Magie im elisabethanischen 1970), S. 166.

infolge der „intensiven" Personen, Themen oder chiffrenhaft emblematisich bei einer UntersuDrama (Braunschweig,

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aufgrund von sprachstatistischen Erwägungen Shakespeares Mitautor, vermutlich Fletcher, zuzuschreiben sind. 35 In der Tat unterscheiden sich die genannten Reden erheblich von sämtlichen Abschiedsszenen Shakespeares. Die Reden Buckinghams und Wolseys stehen in keinem wirklichen dramatischen Kontext. Beide Personen werden bei ihren langen Ausführungen, unter denen Reflexionen allgemeiner Art einen großen Raum einnehmen, kaum unterbrochen. Lediglich Katherines Äußerungen sind notdürftig in einen dramatischen Zusammenhang gestellt. Gerade die Untersuchung dieser offensichtlich nicht von Shakespeare verfaßten Reden macht die besondere Qualität der Abschiedsszenen Shakespeares deutlich, in formaler wie in inhaltlicher Hinsicht. Dieser Befund bestätigt sich bei einem Blick auf die einzige Abschiedsszene, die sich in den von Shakespeare selbst verfaßten Teilen des Dramas befindet. Es handelt sich um die Szene, in der Buckinghams Verhaftung dargestellt wird (1,1, 198-226). Die beiden farewells Bukkinghams umrahmen ein dramatisch bewegtes Geschehen: Einer der Edelleute, denen Buckingham ,leb wohl' sagt, wird überraschenderweise ebenfalls verhaftet (I, 1, 212-213). Shakespeare benutzt hier also den formalen Rahmen der Abschiedsszene für einen besonderen dramatischen Effekt. Auch die beiden Abschiedsszenen in The Two Noble Kinsmen, die sich beide in dem Shakespeare zuzuschreibenden Teil des Dramas befinden, 36 enthalten die gewohnten Bauelemente und sind in bekannter Weise in das Dramengeschehen eingebettet. In der ersten Szene des Dramas entschließt sich Theseus, der König von Athen, der Bitte der drei entthronten Königinnen aus Theben nachzukommen und militärische Hilfe zu senden. Aus diesem Grund muß er die Feier seiner Hochzeit mit Hippolyta verschieben. Theseus betont die Kürze des Abschieds und weist hiermit auf die Eile der Unternehmung hin: ... Since that our theme is haste, I stamp this kiss u p o n thy current lip; Sweet, keep it as m y token . . . (1,1, 2 1 5 - 2 1 7 ) 35

36

Siehe z . B . Henry Vili, ed. R. Foakes (1957), The Arden Shakespeare, Introduction, S. xvii-xxi. Vgl. auch u. S. 171-172. Zur Frage der Autorschaft siehe The Two Noble Kinsmen, a.a.O., Introduction, S. 12—17 und 48-49. Die Untersuchung der Abschiedsszenen bestätigt die Annahme der Mitverfasserschaft Shakespeares.

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Das doppelte Schluß-farewell des Theseus umrahmt eine an seinen Freund gerichtete Ermahnung: Theseus. ... Farewell, my beauteous sister. Pirithous, Keep the feast full, bate not an hour on't. Pirithous. Sir, I'll follow you at heels; the feast's solemnity Shall want till your return. Theseus. Cousin, I charge you, Budge not from Athens. We shall be returning Ere you can end this feast, of which I pray you Make no abatement. Once more, farewell all. (1,1, 219-225)

Trotz seiner Eile läßt Theseus jeden einzelnen der drei in Athen zurückbleibenden Personen einen individuellen Abschiedsgruß zukommen: Hippolyta bekommt einen Kuß, Emilia, ihre Schwester, ein farewell und Pirithous, der Freund, eine wohlmeinende Mahnung. Das Thema der verschiedenen Arten der Liebe (sexuelle Liebe, Liebe zu Verwandten und Freundesliebe), das das ganze Drama durchzieht, wird eingeführt, und die Szene 1,3, in der Pirithous seinem Freund trotz dessen Verbot nachreist, wird vorbereitet. Auch diese Szene ist als Abschiedsszene ausgestaltet. Mit der aus Antony and Cleopatra (III, 2,23) bekannten Formel "No further" (1,3, 1) wird der Zuschauer in das Abschiedsgeschehen ,eingeblendet'. Der Rahmen des Abschieds ermöglicht die Wiedergabe von Hippolytas Wünschen, die Pirithous dem Theseus übermitteln soll, Pirithous' Liebeserklärung an Emilia und Hippolytas Selbstcharakterisierung. Ein Segenswunsch des Pirithous beschließt die Abschiedszeremonie: "Peace be to y o u . . . " (1,3,24). Die Abschiedsszenen dieses Dramas leiten keine so ausgedehnten, die Dramenhandlung strukturierenden Reisen ein wie in den meisten anderen Fällen bei Shakespeare. Sie erfüllen jedoch auch hier die Funktion der Darstellung der kindness der beteiligten Personen. In den Dramen der Spätphase wird die Abschiedsszene, wie sich aus dieser vergleichenden Untersuchung ergibt, für Shakespeare erneut zu einem formalen Experimentierfeld. Immer häufiger wird die auf der Bühne dargestellte Trennung als Ausschnitt aus einem längerem Abschiedsgeschehen vorgeführt. Dadurch, daß die eigentliche Trennung nicht mehr auf der Bühne dargestellt wird, gelingt es Shakespeare unter anderem, Schiffsabfahrten in den Handlungsablauf einzubeziehen. Oft 93

wird nunmehr der Abschied von verschiedenen Personen in derselben Szene dargestellt, so daß die Abschiedsszene nicht nur zur Schilderung des Verhältnisses zweier Personen, sondern auch ganzer Personengruppen genutzt wird. Der Partner des Abschiednehmenden kann auch eine stumme Person sein, ein Baby wie in Pericles und The Winter's Tale. In noch stärkerem Maße als früher wird die Abschiedsszene zum Mittel der Vergegenwärtigung eines komplexen sozialen Zusammenhangs. Gleichzeitig nimmt der rituelle Charakter des Abschiednehmens zu und erreicht in Cymbeline einen Höhepunkt. Es handelt sich hierbei stets um ein Ritual der fortdauernden Zusammengehörigkeit von Abreisendem und Zurückbleibendem. Während dieses Ritual in den Dramen der mittleren Phase oft gestört war, gibt es in den späten Dramen durchweg eine tatsächlich vorhandene kindness wieder. Dies zeigt sich auch in der Auflockerung der Formel des doppelten Schluß-farewell: Wenn der zweite, endgültige Abschiedsgruß durch einen besonderen Segenswunsch ersetzt wird, dann bekommt das ,leb wohl' gewissermaßen seine ursprüngliche, etymologische Bedeutung zurück. In den späteren Dramen verstärkt sich auch die Relevanz der Abschiedsszenen für das Schicksal des Dramenhelden ebenso wie für die Gesamtaussage des jeweiligen Dramas. Nicht selten wird ein Wendepunkt der Handlung durch eine Abschiedsszene markiert, die einer entscheidenden Reise vorausgeht. Der Szenentyp erhält somit eine Schlüsselfunktion für die Deutung der Wanderungen und Irrfahrten eines Dramenhelden als ,Lebensreise'. f) Zusammenfassung Ausgangspunkt der Untersuchungen dieses Abschnitts war die Beobachtung, daß bei Shakespeare der Beginn eines Handlungsstrangs, der die Reise eines Dramenhelden zum Inhalt hat, oft durch eine Szene gekennzeichnet ist, in der sich der Abreisende von einer oder mehreren ihm nahestehenden Personen verabschiedet. Von einigen wenigen Ansätzen abgesehen, hat es derartige Abschiedsszenen im Drama vor Shakespeare nicht gegeben. Personen, die sich trennten, beschränkten sich auf ein kurzes ,leb wohl'. Shakespeare jedoch gestaltet den Prozeß des Abschiednehmens in offensichtlicher Anlehnung an nichtdramatische Quellen zu längeren Dialogen aus. 1 Er 1

Die Beobachtung, daß die Form der Abschiedsszene vor allem Vorläufer im nichtdramatischen Bereich hat, entspricht Clemens im Zusammenhang mit Shakespeares Bildern getroffener Feststellung: "He [Shakespeare] has contrived to transform a means of

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entwickelt hiermit einen Szenentyp, der die Handlung nicht unmittelbar fortführt, der also ,statisch' ist. Die werkchronologische Betrachtung der Abschiedsszenen Shakespeares läßt eine kontinuierliche Entwicklung in der dramatischen Gestaltung deutlich werden. Von den sehr frühen Dramen abgesehen, in denen noch keine Abschiedsszenen vorkommen, sind in Shakespeares Werk hierbei drei Hauptphasen erkennbar. In der ersten Phase, die von Henry VI, Part 2 bis etwa Henry V reicht, benutzt Shakespeare gern Vorbilder aus anderen Literaturgattungen, um diese dann durch verschiedene dramaturgische Mittel der Gattung Drama anzupassen. Hierzu gehört die Verteilung des jeweiligen Materials auf verschiedene Sprecher (unter Berücksichtigung von Charakter und Situation) und der den Eindruck einer Beschleunigung der Trennung erweckende, sie effektiv aber verzögernde Einbruch von außen durch dritte Personen. Durch Blicke in die Zukunft wird oft ein Handlungsstrang eingeleitet und plausibel gemacht, der eine weite Reise enthält und sich über eine lange Zeit erstreckt. Trotz der Gebundenheit einer Szene an einen Schauplatz schafft sich Shakespeare auf diese Weise die Möglichkeit, Ortswechsel seiner Personen dramatisch darzustellen. Allmählich ist eine zunehmende Sicherheit in der szenischen Gestaltung des Abschieds erkennbar, die die Abhängigkeit von den Quellen verringert. Ein flexibles Muster entsteht, nach dem die Abschiedsszenen der zweiten Phase gestaltet sind, die etwa von As You Like It bis Macbeth anzusetzen ist. Charakteristisch für dieses Muster ist die Einleitung der Abschiedszeremonie gleich zu Beginn der Szene, die nach einem längeren Dialog mit einem entweder vom Abreisenden oder vom Zurückbleibenden gesprochenen Schluß-farewell endet. Im einer dritten Phase, die mit Antony and Cleopatra beginnt, erweitert Shakespeare erneut sein Formrepertoire. Oft nimmt eine Person jetzt auch nicht mehr von nur einer anderen Person Abschied, sondern von mehreren, von denen jede einzelne zu dem Abschiednehmenden in einem besonderen Verhältnis steht und auf den Ernstfall der Trennung in einer sie charakterisierenden Weise reagiert.2

2

expression, which by nature and virtue originated in the poetical sphere, into a purely and specifically dramatic instrument of unforeseen effectiveness and complexity"; Imagery, S. 228-229. Die Feststellung, daß sich bestimmte Techniken im Laufe von Shakespeares dramatischem Schaffen ständig fortentwickelt haben, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Komödien, Historien oder Tragödien handelt, ist in anderen Zusammenhängen schon häufig getroffen worden. Herausgreifen möchte ich Clemen, Imagery, S. 217-230 et passim; Schlüter, a.a.O., S. 150-153; Willson, a.a.O., S. 6. Natürlich

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Diese formalen Techniken, die der Dramatisierung eines an sich undramatischen Geschehens dienen, ermöglichen es Shakespeare, die Gattung Drama für Inhalte und Aussagen zu öffnen, die zuvor Epos und Roman vorbehalten waren. So machen die Abschiedsszenen den Charakter der Reise als Grenzsituation deutlich. Der Abschied kann dabei oft als Ritual der Loslösung von einer Lebensphase angesehen werden, als der erste Schritt innerhalb eines Ubergangsritus, der durch die Reise des jeweiligen Dramenhelden abgebildet wird. 3 Ohne auf die Abschiedsszenen einzugehen, stellt Edward Berry fest, daß "rites of separation" bei Shakespeare einen wichtigen Platz einnehmen und mit den von van Gennep postulierten "rites de passage" in Beziehung gesetzt werden können. 4 Daß Berry Shakespeares Abschiedsszenen hierbei nicht berücksichtigt,5 ist um so erstaunlicher, als van Gennep Riten der Trennung von einer Gruppe ausführlich behandelt: A u x rites d ' a r r i v é e c o r r e s p o n d e n t les rites d e p r i s e d e c o n g é : visites, dernier échange d e c a d e a u x , repas en c o m m u n , ' c o u p d e l'étrier', souhaits et v o e u x , a c c o m p a g n e m e n t p e n d a n t un ' b o u t d e c h e m i n ' , p a r f o i s m ê m e s a c r i f i c e s . 6

Schon diese Aufzählung läßt zahlreiche Ubereinstimmungen zwischen den im wesentlichen bei außereuropäischen Völkern gemachten Beobachtungen van Genneps und Shakespeares Abschiedsszenen deutlich werden. Dies gilt auch für den Grund, den van Gennep für diese ausgedehnten Riten ansetzt: Il m e s e m b l e q u e t o u s les rites d e d é p a r t en v o y a g e , en e x p é d i t i o n , etc., o n t p o u r b u t d e faire q u e la scission ne soit p a s b r u s q u e , m a i s p r o g r e s s i v e , d e m ê m e q u e l ' a g r é g a t i o n n e se fait en général q u e p a r é t a p e s . 7

Auch Shakespeares Personen dehnen den Prozeß des Abschiednehmens aus, um den Trennungen ihre Abruptheit zu nehmen.

3

4 5

6 7

handelt es sich in allen Bereichen nicht immer um .lineare' Fortschritte. Auch hat sich sicher nicht nur Shakespeares Kunst fortentwickelt, sondern auch seine dramatischen Darstellungsabsichten. "The sundering of one bond is the necessary prelude to the forging of another"; Garber, a.a.O., S. 49. Nicht selten geht es dabei um den Ubergang vom Jugend- zum Erwachsenenalter; ebd., S. 48 et passim. Berry, a.a.O., S. 3 3 - 4 9 . Ahnliches gilt für die Begrüßungsszenen im Zusammenhang mit van Genneps "rites d'agrégation"; siehe u. S. 172-173. Van Gennep, a.a.O., S. 50. Van Gennep, a.a.O., S. 51. 96

Die Darstellung eines Rituals bietet dem Dramatiker darüber hinaus die Möglichkeit, die Trennung eines Menschen von einem Zuhause bzw. einer Lebensstufe anschaulich zu machen, so im Fall von Valentine, Romeo, Bolingbroke, Laertes, Bertram, Cordelia und Imogen. Daß es sich bei Shakespeares Abschiedsszenen um einen solchen Ubergangsritus handelt, ist auch daraus ersichtlich, daß Abreisender und Zurückbleibender fast immer den Blick auf die Zukunft richten: Eine neue Lebensphase wird ins Auge gefaßt, während die alte keine Bedeutung mehr hat. Die meisten Elemente des Abschiedsrituals entsprechen denen, die auch heute noch in der Wirklichkeit beobachtet werden können. Das Gewicht, das die Zeremonie des Abschiednehmens bei Shakespeares erhält, dürfte jedoch in der großen Bedeutung begründet sein, die Ritualen aller Art im Zeitalter Shakespeares zukam.8 Rituale boten dem vornehmen, wohlerzogenen Menschen der Renaissance die Möglichkeit, seine Zugehörigkeit zu einer auf kindness, das heißt auf Liebe und Zuneigung, gegründeten Gemeinschaft unter Beweis zu stellen, ohne seine Individualität dabei aufzugeben. Shakespeare findet nun in der Darstellung eines solchen Rituals innerhalb einer statischen Szene ein geeignetes Ausdrucksmittel, um die Individualität seiner Personen deutlich werden zu lassen und die Sympathien des Zuschauers in seinem Sinne zu beeinflussen: So sind Romeo, Juliet, Rosalind, Polonius, Bertrams Mutter, Cordelia, Imogen und Posthumus gleichermaßen kind, jedoch auf unterschiedliche Weise. Bei Laertes, Troilus, Cressida, Macbeth und Antony ist die kindness in der einen oder anderen Weise getrübt, bei Lear, Goneril und Regan fehlt sie ganz. Mit der Darstellung der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gemeinschaft hängt auch die strukturelle Bedeutung der Abschiedsszenen zusammen: Wo immer eine auf kindness gegründete Zusammengehörigkeit vorhanden ist, geben die sich trennenden Personen ihrer Hoffnung auf ein Wiedersehen Ausdruck. Fast immer gibt es in diesen Fällen dann auch tatsächlich ein Wiedersehen am Ende des Dramas, nach einer mühevollen, über Zwischenstationen führenden Reise des Dramenhelden, die seine Standhaftigkeit und seine Ergebung in das Schicksal auf die "In Elizabethan culture, unlike our own, ritual was conscious, valued, and pervasive. Such a culture is likely to endow even the minutiae of daily life - what we would call customs or social habits - with symbolic significance"; Berry, a.a.O., S. 21. Vgl. auch Eugene M. Waith, "Shakespeare and the Ceremonies of Romance", Shakespeare's Craft, Eight Lectures, ed. Philip H. Highfill, Jr. (Carbondale, Edwardsville, 1982), S. 113-137.

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Probe stellt.9 Fehlt die kindness jedoch bei der Trennung, kommt es in der Regel auch nicht zu einem happy ending. Der Zuschauer hat also die Möglichkeit, aufgrund der Art des Abschieds eine Prognose darüber abzugeben, ob der Abreisende die .Prüfung' der Reise bestehen und sein Ziel erreichen wird und ob der Zusammenhalt von Abreisendem und Zurückbleibendem die Trennung überdauern kann. Das ,dramatische' Moment der Ungewißheit und Spannung ist somit bei Shakespeare stark gedämpft. Es zeigt sich erneut die Nähe der Dramaturgie Shakespeares zu epischen Erzählformen.

3. Die Begrüßungsszenen a) Begrüßung als literarisches Motiv vor Shakespeare Neben den Abschiedsszenen sind auch szenisch dargestellte Begrüßungen in Shakespeares Dramen sehr zahlreich: Ein Dramenheld, der einen Ort verlassen hat, wird bei seiner Ankunft an einem anderen Ort willkommen geheißen. Nicht selten korrespondiert eine Begrüßungsszene mit einer ihr vorausgehenden Abschiedsszene, wie im Fall von Proteus, Orlando, Cressida, Coriolanus und Imogen. In diesem Teil der Arbeit wird zu zeigen sein, in welcher Weise auch die Begrüßungsszenen als statische Szenen ein Reisegeschehen verdeutlichen, diesmal nicht vom Blickwinkel des Beginns, sondern des Endes oder einer Zwischenstation einer Reise aus. Hiermit verbunden ist die Frage nach der handlungsstrukturierenden Funktion der Begrüßungen. War bei den Abschiedsszenen von einem ,Ritus' mit variablen, doch wiederkehrenden Formelementen die Rede, so wird dieser Begriff bei der Untersuchung der Begrüßungsszenen eine ebenso große oder, wie aus folgender Überlegung deutlich wird, sogar noch größere Rolle spielen: Beim Abschiednehmen handelt es sich in Shakespeares Dramen meist um ein sehr privates Geschehen. Die im Abschied enthaltenen rituellen Elemente sind den Beteiligten oft nicht bewußt. Bei den Begrüßungen handelt es sich hingegen oft um eine erste, zeremonielle Kontaktaufnahme von Personen, die sich zwar bekannt sein mögen, deren Verhältnis zueinander jedoch meistens nicht so eng ist wie das von Personen, die voneinander Abschied nehmen. Ausführlicher soll hierauf im Zweiten Hauptteil dieser Arbeit eingegangen werden; siehe u. S. 2 5 1 - 2 7 7 .

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Bei dieser Kontaktaufnahme ist es sowohl für den Ankommenden als auch für den Begrüßenden wichtig, das Vertrauen des anderen zu gewinnen. Der Ankommende muß zeigen, daß er ein fremdes Haus, einen Bereich, der unter einer fremden Verfügungsgewalt steht, ohne böse Absichten betritt, während der Begrüßende den Ankommenden davon überzeugen will, daß dieser bei ihm willkommen ist, als Gast behandelt werden wird und sich bei ihm ,zu Hause' fühlen kann. Von besonderer Bedeutung ist dies natürlich, wenn der Ankommende aus der Ferne kommt und in eine für ihn neue Welt gelangt. Ebenso wie das Motiv Abschied durchzieht das Motiv Begrüßung die gesamte europäische Literatur. Schon die Begegnung von Priamos und Achilles in Homers Ilias macht die vielfältigen Möglichkeiten deutlich, die dieses Motiv für die literarische Gestaltung bietet. Ausgesprochen häufig findet es sich in der Odyssee, wo bereits von einem wiederkehrenden Begrüßungsritual gesprochen werden kann: Zunächst wird der Fremde, der seine friedlichen Absichten zu erkennen gibt, willkommen geheißen; danach bekommt er ein Mahl vorgesetzt. Erst wenn er gegessen und getrunken hat, wird er nach seinem Namen und seinem Begehren gefragt. Die Einhaltung dieses Rituals bzw. die Abweichung von ihm charakterisieren Person und Situation. So stellt Telemach durch den höflichen Empfang des Mentes im ersten Buch seinen vornehmen Charakter unter Beweis. Wenn Kalypso hingegen im fünften Buch den Götterboten Hermes gleich nach seinem Eintreffen nach Neuigkeiten fragt, gibt sie ihre Ungeduld zu erkennen und muß sich gefallen lassen, daß Hermes ihr erst Antwort gibt, nachdem er sich an Speisen und Getränken gesättigt hat. Fast noch wichtiger ist das höfische Ritual der Begrüßung im mittelalterlichen Versroman, etwa bei Chrétien de Troyes. Ein unhöfischer Empfang gilt als Anzeichen für böse Absichten und kann für den Empfangenden fatale Folgen haben. Am Hof König Arthurs ist es oft Keu, der sénéchal, der die Ritter der Tafelrunde durch unhöfisches Verhalten Fremden gegenüber in Schwierigkeiten bringt. In der Renaissance, speziell im sechzehnten Jahrhundert, war man sich der Bedeutung von Förmlichkeiten bei Begegnungen in besonderem Maße bewußt. Vor allem in Italien, aber auch in anderen europäischen Ländern, war es unter Angehörigen vornehmer Stände üblich, als Jugendlicher zur Vervollständigung der Bildung einige Zeit in der Fremde zu verbringen. Für diese Reisenden kam es darauf an, außerhalb der vertrauten Umgebung einen guten Eindruck auf ihre Gastgeber zu 99

machen und gesellschaftliche Verbindungen zu knüpfen. Durch gutes Benehmen konnte man seine Vornehmheit unter Beweis stellen und sich in vornehmen Kreisen ein Gastrecht erwerben. Eine Reihe von ausgesprochen populären Büchern gab dem heranwachsenden jungen Mann, der danach strebte, in die vornehme Welt aufgenommen zu werden, Handlungsanweisungen mit auf den Weg, auch demjenigen, der nicht durch hohe Geburt dazu bestimmt war, in adlige Kreise vorzustoßen. Die bekanntesten dieser Werke sind Castigliones Cortegiano, della Casas Galateo und G u a z z o s Chile conversazione. Diese drei Werke wurden in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts in mehrere europäische Sprachen, unter anderem auch ins Englische, 1 übersetzt. Castiglione entwirft das Bild eines idealen Höflings, der es trotz der in der Welt bestehenden "diversitie of m a n e r s " 2 versteht, in jeder vornehmen Gesellschaft einen guten Eindruck zu machen. Eine Grundregel ist dabei die Bescheidenheit, vor allem in einer fremden Umgebung. Dabei braucht der Höfling sein eigenes Licht durchaus nicht vollkommen unter den Scheffel zu stellen; er darf und soll durchaus, wenn auch in möglichst diskreter Form, auf seine eigenen Verdienste hinweisen. Affektation und Angeberei sind allerdings zu vermeiden. Als negatives Beispiel wird das eines Edelmanns genannt, der "When to entertaine a gentle w o m a n w h o m he never saw before, at his first entring in talke with her, he began to tell how many men he had slaine, and what a hardie felow hee was, and how hee coulde play at two hand sword". 3 Benehmen und Gespräch seien der jeweiligen Situation und dem jeweiligen Gesprächspartner anzupassen. Anzustreben habe der Höfling "a gentle and loving behaviour in his dayly conversation". 4 Bezeichnend ist auch eine weiterer Ratschlag Castigliones: Reist ein Höfling in die Fremde, dann möge er dafür sorgen, daß er nicht als Unbekannter am fremden Ort eintrifft:

1

Thomas Hobys Übersetzung des Cortegiano erschien 1560; Baidassare Castiglione, The Book of the Courtier, translated by Sir Thomas Hoby, edd. W. H . D. Rouse (introduction), Drayton Henderson (critical notes) (London, New York, 1928). Der Galateo wurde 1576 von Robert Peterson ins Englische übertragen; Giovanni della Casa, Galateo of Maners and Behaviours, ed. J. E. Springarn (Boston, 1914). Die Ubersetzung der Civile Conversatione von George Pettie und Bartholomew Young kam in zwei Teilen 1580 und 1586 heraus; The Civil Conversation of M. Steeven Guazzo, ed. Sir Edward Sullivan, Bart., 2 Bde., The Tudor Translations (London, 1925).

2

Castiglione, a.a.O., S. 16. Ebd., S. 97. Ebd., S. 105.

3 4

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. . . and when ever he hath to goe where he is straunge and not knowne, let him procure that there goe first a good opinion of him, before he come in person, and so worke, that they may understand there, how he is in other places with Lordes, Ladies, and gentlemen in g o o d estimation: because that fame, which seemeth to arise out of the judgements of many, engendreth a certaine assured confidence of a mans worthinesse .. , 5

Daß diese Vorstellungen als charakteristisch für die Zeit der Renaissance angesehen werden können, zeigt der große Erfolg des Werkes. Das Konzept des cortegiano wurde etwa zum Vorbild für den französischen honnête homme und den englischen gentleman.6 Ahnliche Prinzipien legt auch della Casa seinen Lesern ans Herz: . . . hee that is solleyne and waywarde, makes him seife a straunger wheresoever he comes: a straunger, I meane, asmuch as a forreigne or alienborne: where contrariwise, he that is familiar & gentle, in what place so ever he comes: is taken for a familiar and friend with all men. 7

Durch richtiges Verhalten kann man also in der Fremde ein ,Zuhause' erlangen. Charakteristisch sind auch della Casas Ausführungen über ceremonies, unter denen er Begrüßung und Abschied ausdrücklich erwähnt: Man solle der "custom" folgen, auch dann, wenn diese der "reason" widerspricht, und bei der Wahl der richtigen Form "age" und "condition" berücksichtigen.8 Diese ,Zeremonien' solle man jedoch auch nicht übertreiben, um nicht den Eindruck von Affektation zu erzeugen. 9 Die Notwendigkeit sozialer Interaktion in einer Welt, die vor allem durch die Verschiedenartigkeit der Sitten und Gebräuche gekennzeichnet ist, 10 ist auch der Ausgangspunkt der Ratschläge Guazzos zum vornehmen gesellschaftlichen Umgang. So bemerkt Guazzo zum Umgang mit Fremden, daß sowohl der Gastgeber als auch der Fremde besondere Rücksicht aufeinander nehmen sollten. Der Gastgeber habe Fremden "great respect" entgegenzubringen, unabhängig von dessen Herkunft und selbst dann, wenn dieser durch fremdländisches Verhalten 5 6

7 8 9 10

Ebd., S. 123. Zur Rezeption des Cortegiano und der anderen italienischen Werke in England und zur englischen Ausprägung des gentleman-ldeils siehe Kelso, a.a.O. Kelso geht nicht auf die Formen von Begrüßung und Abschied ein, vermutlich deshalb nicht, weil diese Formen in den von ihr untersuchten englischen theoretischen Schriften des sechzehnten und frühen siebzehnten Jahrhunderts nicht zur Sprache kommen. Della Casa, a.a.O., S. 34. Della Casa, a.a.O., S. 51-54. Ebd., S. 60. Guazzo, a.a.O., Bd. 1, S. 54.

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Anstoß erregt. Die Aufgabe des Fremden besteht hingegen in einer besonderen Zurückhaltung: . . . it s h a l b e t h e p a r t o f a s t r a u n g e r , b e i n g in a n o t h e r m a n s h o u s e , n o t t o t a k e u p o n h i m p r e s u m p t u o u s l y , but to behave himselfe s o m o d e s t l y , that every m a n m a y love and f a v o u r him . . . "

Immer wieder wird in den besprochenen drei Werken deutlich, wie groß der Respekt ist, der in der Renaissance dem Individuum entgegengebracht wurde. Durch einen höfischen Verhaltenskodex glaubte man, die Unterschiedlichkeit der Menschen überwinden und eine über Landesgrenzen hinausgehende Gemeinschaft von Menschen edler Wesensart ermöglichen zu können. Eine Person ist also weniger durch ihr inhärente ,Tugenden' definiert als durch ihre Beziehung zu anderen Menschen. Auffällig ist auch, daß es in diesen Werken fast ausschließlich um den Umgang mit Gleichrangigen geht, während das Verhalten Höher- und Niedrigergestellten gegenüber nur am Rand behandelt wird. Gerade unter Gleichrangigen kam es darauf an, durch die richtigen Formen der Höflichkeit um Vertrauen und Anerkennung zu werben. Außerdem war man zumindest in der Theorie oft geneigt, über den niedrigen Rang eines anderen hinwegzusehen. 12 Die Grundregeln des gesellschaftlichen Umgangs im sechzehnten Jahrhundert, die in den drei italienischen Werken deutlich werden, haben, wie zu zeigen sein wird, auch für die dargestellte Wirklichkeit in Shakespeares Dramen Geltung, gerade in bezug auf das Verhältnis zwischen Gastgeber und Fremden. Wie Castiglione, della Casa und Guazzo war sich Shakespeare der Verschiedenartigkeit von Charakteren und Gebräuchen bewußt. Diese Verschiedenartigkeit kann zu tragischen Konflikten führen, birgt aber auch die Möglichkeit eines harmonischen und glücklichen Zusammenlebens in einer Gesellschaft, in der jeder seinen Platz hat. Ebenso wie der Höfling bei Castiglione durch Wahrung der Umgangsformen einen guten Eindruck in der Gesellschaft erweckt, so zeigt eine Person bei Shakespeare durch die Einhaltung der zeremoniellen Form der Begrüßung an, ob sie in der Lage ist, sich in ein fremdes Gemeinwesen einzufügen. 13 11 12

13

Ebd., Bd. 1, S. 229. Der U m g a n g mit Gleichrangigen spielte in der Renaissance sicher generell eine erheblich größere Rolle als in den feudalen Gesellschaften des Mittelalters, in denen vertikale' Beziehungen (wie die zwischen einem Landesherrn und den von ihm Abhängigen) vorherrschten. Natürlich hat Shakespeare diese Gedanken und dieses Menschenbild nicht nur bei Castiglione, della Casa und G u a z z o finden können, auch wenn er zumindest Casti-

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Auch im öffentlichen Leben erlangten Rituale der Begrüßung im sechzehnten Jahrhundert einen neuen Stellenwert. Die zunehmende Zahl von Gesandtschaften erforderte genau festgelegte Zeremonien. Die Einhaltung des Protokolls bzw. die Abweichung von ihm hatte eine große politische Bedeutung. Auch bei Shakespeare finden sich solche diplomatischen' Begrüßungen, deren formaler Ablauf die jeweilige Situation charakterisiert. Es ergibt sich die Frage, inwieweit Shakespeare bei der Darstellung zeremonieller Begrüßungen auf dramatische Vorbilder zurückgreifen konnte. Im Unterschied zum Abschiedsmotiv hat das Motiv Begrüßung immer wieder Eingang auch ins Drama gefunden. Begrüßungen sind zur Dramatisierung besser geeignet als Abschiede, weil sie leichter in eine Dramenhandlung einbezogen werden können, die in sich geschlossen ist und sich nicht über mehr als vierundzwanzig Stunden erstreckt. Doch auch bei dramatisch dargestellten Begrüßungen handelt es sich vor Shakespeare nicht um statische Szenen, sondern um ,dynamische' Ereignisse. Im antiken Theater gilt dies etwa für die Klage bei der Heimkehr des Xerxes in Aischylos' Persern oder um den Streit um den zum Empfang des Titelhelden bereitgelegten Teppich im Agamemnon. In der letztgenannten Tragödie geht es (was im antiken Drama ungewöhnlich ist) um einen bestimmten Begrüßungsritus. Die Dynamik entsteht dadurch, daß Agamemnon sich zunächst weigert, den Teppich zu betreten, und so das ihm von seiner heuchlerischen Gattin zugedachte Zeremoniell nicht akzeptiert. Hierdurch kommt die verdeckte Spannung zwischen der ankommenden und der begrüßenden Person zum Ausdruck. In der Tat erwartet den heimkehrenden Dramenhelden, der sich, nachdem er viele Gefahren bestanden hat, schließlich in Sicherheit wiegt und verblendet den Teppich beschreitet, ein unvorhergesehenes, tragisches Schicksal. Ähnliches läßt sich von der Heimkehr des Herakles in Sophokles' Trachinierinnen, Euripides' Herakles und Senecas Hercules Furens sagen.14 Auch Senecas Thyestes fällt in diese Kategorie: Atreus begrüßt seinen Bruder Thyestes mit heuchlerischer Freundlichkeit, während der

14

glione und Guazzo gekannt haben dürfte (Muir, The Sources of Shakespeares's Plays, S. 115 und 169). Vielmehr sollten durch Hinweis auf diese italienischen Werke einige Grundtendenzen der Kultur der Renaissance aufgezeigt werden, die bei der Diskussion der Begrüßungsszenen nicht außer acht gelassen werden dürfen. Vgl. auch die Rückkehr des Theseus in Euripides' Hippolytos und Senecas Phaedra; Seneca, Sämtliche Tragödien, ed. Theodor Thomann, 2 Bde. (Zürich, 1961-1969). 103

Zuschauer längst weiß (und Thyestes selbst ahnt), daß Atreus Böses im Schilde führt (v. 508ff.). Wie im Agamemnon des Aischylos wird durch dieses Mißverhältnis von Schein und Sein und durch einen Streit über das Begrüßungsritual dramatische Dynamik erzeugt. Ein zweiter Typ der dramatisch dargestellten Ankunft besteht darin, daß Flüchtlinge um Asyl bitten und sich ihr Willkommen erst mühsam erkämpfen müssen, so in Aischylos' Hiketiden, Sophokles' Ö dip us auf Kolonos und Euripides' Herakliden. Einen dritten Typ bilden die berühmten Wiedererkennungsszenen, zum Beispiel in Aischylos' Choephoren, Sophokles' und Euripides' Elektra; oder in Plautus' Poenulus und Rudens und in Terenz' Andria. Hier besteht das dynamische Geschehen in dem allmählichen Prozeß des Wiedererkennens, der Anagnorisis. In der antiken Komödie findet sich das Motiv des von einer Handelsfahrt nach Hause zurückkehrenden Vaters, der sich bei seiner Rückkehr mit dem lasterhaften und kostspieligen Lebenswandel konfrontiert sieht, den der Sohn in seiner Abwesenheit geführt hat. Dieses Motiv ist in den Bacchides, der Mostellaria und dem Trinummus des Plautus sowie im Phormio des Terenz Grundlage des komischen Geschehens; in Plautus' Epidicus und Terenz' Heautontimorumenos kehrt der lasterhafte Sohn, in Plautus' Curculio der Parasit aus der Fremde zurück. Zu einer ausgedehnten Begrüßung oder gar einem sentimentalen Wiedersehen kommt es in keinem der Fälle, da das Gespräch sehr schnell auf ein anderes Thema übergeht, meist auf die überraschenden Zustände, die der zurückkehrende senex zu Hause vorfindet. So begegnet Theopropides in der Mostellaria bei seiner Rückkehr einem Sklaven, der ihm mitteilt, er könne sein Haus nicht betreten, weil dieses von einem Gespenst heimgesucht werde (v. 447ff.). Größeren Raum nimmt das Begrüßungsmotiv lediglich im Amphitruo ein, wo eine Begrüßung ähnlich wie der ihr vorausgehende Abschied15 zu besonderer Komik führt: Nachdem der Gott Jupiter in Gestalt des Amphitruo die Nacht bei dessen Gemahlin Alcumena verbracht und sich am Morgen von ihr verabschiedet hat, kehrt der wirkliche Amphitruo aus dem Krieg zurück und erwartet, von seiner Gemahlin gebührend empfangen zu werden. Bei diesem ,Begrüßungsritual* spielt Alcumena jedoch nicht mit, da ihr Mann aus ihrer Sicht erst vor kurzem noch bei ihr gewesen war (v. 575ff.). Auch diese Szene ist also nicht statisch,

15

Siehe O.S. 21.

104

sondern erhält durch die entstehenden Mißverständnisse eine dramatische Spannung. Zentrales Thema ist eine Rückkehr in Plautus' Stichus. Zwei Männer kommen nach dreijähriger Abwesenheit zu ihren Ehefrauen nach Hause. Doch auch hier ist das Wiedersehen nicht Gegenstand der dramatischen Darstellung. Es geht vielmehr hauptsächlich um die Schilderung komischer Charaktere wie den Parasiten Gelasimus und den Sklaven Stichus. Die einzigen ,Begrüßungsszenen' sind die jeweiligen Begegnungen der beiden zurückkehrenden Männer mit dem Parasiten (v. 4 6 8 - 4 9 6 und 583-631). Auch diese sind nicht statisch, sondern enthalten ein dynamisches Geschehen: Der Parasit versucht erfolglos, zum Festschmaus eingeladen zu werden. Die einzige Begrüßung, die ein statisches Element enthält und mit der eines Reisenden im Epos vergleichbar ist, findet sich in Plautus' Rudens. Die beiden nach dem Seesturm gestrandeten Mädchen werden von der Priesterin eines Venustempels freundlich aufgenommen und unter den Schutz des Heiligtums gestellt. Auf den ersten Gruß und die Gewährung der Bitte um Aufnahme folgt der recht kurze statische Empfang durch die Priesterin (v. 280-289). Er enthält eine Bekundung des guten Willens und eine Entschuldigung dafür, daß sie die Mädchen nur unzureichend bewirten kann. Durch die statische Natur dieses Empfangs kann die Freundlichkeit der Begrüßung betont werden. Auf diese wird später (v. 408-410) ausdrücklich Bezug genommen. Aus der Untersuchung des Begrüßungsmotivs in der römischen Komödie läßt sich das gleiche Fazit ziehen wie aus der Untersuchung des Abschiedsmotivs: Selbst wenn die Motive Reise, Abschied und Rückkehr Verwendung finden, sind doch die Interessen des Komödienautors ganz anderer Art als die des Epikers bzw. Romanautors: Es geht in der Komödie anders als in der Odyssee und den Aithiopika nicht um die Darstellung von Reisen als solchen, sondern um die komischen Implikationen, die sich im Zusammenhang mit Abreise und Ankunft ergeben können. Auch im Drama der Renaissance finden sich Szenen, in denen eine Ankunft zur Darstellung kommt. Diese Szenen sind den bei den antiken Dramen unterschiedenen Typen zuzurechnen. Statische Begrüßungsszenen scheinen hingegen zu fehlen. 16 Im englischen Theater vor Shakespeare finden sich gelegentlich zeremonielle Auftritte, die eine Begrüßung zum Inhalt haben. Sie enthalten 16

Vgl. o. S. 23, Anm. 14.

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prunkvolle Reden und pageantry}7 Die Zeremonie wird dabei vor allem um ihrer selbst willen dargestellt und hat oft keine direkte Bedeutung für den Gang der Handlung. Ein Dramatiker, der diese zeremoniellen Szenen besonders geliebt hat, ist George Peele. Schon in seinem ersten, für boy actors geschriebenen Drama, The Arraignment of Paris (1584),18 findet sich eine solche zeremonielle Begrüßung: In der ersten Szene versammeln sich Pan, Faunus und Silvanus, um die zu einem pastoralen Fest erwarteten Göttinnen willkommen zu heißen (I, sc. 1—4, 1-233). Nach dem Auftritt von Pomona und Flora werden Pallas, Juno und Venus schließlich mit Gesang und Tanz empfangen. Die nun folgende dramatische Handlung (das Parisurteil und seine Folgen) ist, wie Clemen feststellt,19 nicht das Wichtigste in diesem Drama. In der „lockeren Folge von Schaubildern, Gesangseinlagen und Einzelszenen" wird vielmehr eine „gefällige Mischung von Ohren- und Augenweide" geboten. Die Szene der Begrüßung der Göttinnen ist zwar statisch, erfüllt jedoch keine handlungsstrukturierende Funktion wie die Begrüßungsszenen Shakespeares. Auch die erste Szene von Peeles Battle of Alcazar ist als zeremonielle Begrüßung gestaltet.20 Daneben enthält sie jedoch Vorbereitungen auf eine Entscheidungsschlacht und ist insofern nicht statisch.21 Anders ist die zweite Begrüßungsszene dieses Dramas geartet (II, 2), in der Diego Lopez die angereisten Engländer in Lissabon willkommen heißt. Bemerkenswert ist die mehrfache Wiederholung des Willkommensgrußes am Anfang und die höfliche Erwiderung des irischen Bischofs, die die Bedeutung der "welcomes" als Zeichen für "an honorable mind" für den 17 18

19 20

21

Siehe Clemen, Die Tragödie vor Shakespeare, S. 48. George Peele, The Dramatic Works: "The Arraignment of Paris", ed. R. Mark Benbow; "David and Bethsabe", ed. Elmar Büsten; "The Old Wives' Tale", ed. Frank S. Hook (New Haven, London, 1970). Clemen, Die Tragödie vor Shakespeare, S. 147. George Peele, The Dramatic Works: „EdwardI", ed. Frank S.Hook; "The Battle of Alcazar", ed. John Yoklavich (New Haven, London, 1961). Zur Datierung von EdwardI siehe ebd., S. 1 - 9 . Auch die erste Szene von Edward I beginnt mit einer zeremoniellen Begrüßung: Der König kehrt aus Palästina zurück. Das Drama dürfte jedoch erst 1592-1593 entstanden sein. Vieles deutet auf eine Abhängigkeit von Shakespeares frühen Historiendramen und Marlowes Edward II hin. Das Motiv der triumphalen Rückkehr aus dem Krieg zu Beginn eines Dramas findet sich schon in The Wars of Cyrus (ca. 1576), dort allerdings ohne das Begrüßungsmotiv; The Wars of Cyrus, ed. James Paul Brawner, University of Illinois Studies in Language and Literature, Bd. 28, 3 - 4 (Urbana, 111., 1942). Eine kurze zeremonielle Begrüßung bei der Rückkehr eines Königs findet sich in George Whetstones Promos and Cassandra, a.a.O., Part 2; I, 9.

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Zuschauer sichtbar macht (v. 384-393). Nach einer diplomatischen Unterredung wird das Begrüßungsmotiv am Ende der Szene wiederaufgenommen: Diego lädt die Engländer ein, seine Gäste zu sein, und kündigt an, sie zum König zu geleiten, der sie ebenfalls willkommen heißen würde: . . . And all as friends daine to be entertaind, As my abilitie here can make provision, Shortly shall I conduct you to the king, Whose welcomes evermore to strangers are, Princely and honorable as his state becomes, (v. 442-446)

Die Darstellung der Begrüßung scheint in dieser Szene dazu zu dienen, eine höfische, zivilisierte Umgebung darzustellen, die sich von der barbarischen Welt der vorherigen Szenen abhebt. Es handelt sich um die erste Szene des Dramas, in der Christen auftreten und die in einem christlichen Land spielt. Das statische Geschehen übt also, auch wenn es in dieser Szene nur wenig Raum einnimmt, eine besondere Hinweisfunktion aus. Eine etwas längere Begrüßungsszene mit einem deutlichen statischen Moment findet sich in Robert Greenes Friar Bacon and Friar Bungay (ca. 1589). Der König empfängt den deutschen Kaiser, den König von Kastilien und dessen Tochter Eleanor, die Edward, den englischen Kronprinzen, heiraten soll. Das welcome des Königs (sc. 4, 5) 22 wird wiederholt, wobei Eleanor aus der Gruppe der Ankommenden hervorgehoben wird. Hierbei wird auch die Beschwerlichkeit ihrer Reise betont: . . . Welcome says English Henry to you all; Chiefly unto the lovely Eleanor, Who dared for Edward's sake cut through the seas, And venture as Agenor's damsel through the deep, To get the love of Henry's wanton son. (sc. 4, 8-12)

Gegen Ende der Szene findet erneut eine Begrüßung statt: Der König heißt Vandermast, den deutschen Zauberkünstler, willkommen (sc. 4, 58). Mit einer Einladung zum gemeinsamen Mahl (sc. 4, 67) schließt die Szene. Durch sein höfisches Verhalten seinen Gästen gegenüber stellt der englische König seine edle Natur unter Beweis. Bei der Untersuchung der Begrüßungsszenen in den englischen Dra22

Robert Greene, Triar Bacon and Friar Bungay, ed. J. A. Lavin, The New Mermaids (London, 1969).

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men vor Shakespeare fällt auf, daß es sich meist um .politische' Empfänge handelt, während private Begrüßungen fehlen. Eine dramatische Situation, in der eine zeremonielle private Begrüßung denkbar wäre, findet sich jedoch (ebenso wie die Situation ,Abschied')23 in The Rare Triumphs of Love and Fortune. Sowohl Fidelia als auch Hermione stoßen bei der Flucht vom Hof auf den verbannten Bomelio, der bereit ist, sie in der Wildnis willkommen zu heißen. Fidelia jedoch schlägt dieses Angebot aus: Fidelia. I am prouided other waies, good father let me goe, Bomelio. To him that offreth thee no wrong, be not uncourteous so. Fidelia. Perhaps another time, ile come and visit thee, Bomelio. Both then & now if so you please you shall right welcome be. (v. 8 3 7 - 8 4 0 )

Hermione fragt bei seinem Treffen mit Bomelio zunächst nach Fidelia. Im Verlauf des Gesprächs erweist er sich als Bomelios Sohn, so daß dieser ihn bei sich ,zu Hause' willkommen heißen kann ("welcome home againe"; v. 958). In rudimentärer Form liegt hier also eine Situation vor, die sich später bei Shakespeare (etwa in As You Like It und Cymbeline) wiederfindet. Das Problem des ,Zuhause' und der Begriff der courtesy im Zusammenhang mit der Aufnahme in eine fremde Welt werden bereits in diesem Drama angesprochen. Auffällig ist auch die Verwendung von Floskeln, deren Ursprung in der Alltagssprache liegt. Zu einer längeren statischen Szene kommt es jedoch in diesem Drama noch nicht. Die Dialoge enthalten fast durchweg ein ,dynamisches' Geschehen. Erst Shakespeare wird ,private' Begrüßungen in ausgedehnten statischen Szenen darstellen. b) Begrüßungen in den frühesten Dramen Shakespeares Wie in den besprochenen Dramen von Peele und Greene stehen zeremonielle politische' Begrüßungen auch in den ersten Dramen Shakespeares im Vordergrund. So hat die erste Szene von Titus Andronicus die Rückkehr des siegreichen Titelhelden von einem Krieg mit den Goten zum Inhalt. Von seiner Struktur her ist dieses Drama mit den oben unter den antiken Tragödien an erster Stelle genannten Werken vergleichbar, in denen ein siegreicher Held heimkehrt, um zu Hause Opfer tragischer Verwicklungen zu werden. Der dramatische Auftakt durch eine zeremo23

Siehe o. S. 26-27.

108

nielle Begrüßung erinnert an Peeles Battle of Alcazar. Doch bleibt es in Shakespeares Drama nicht bei bloßer pageantry} Die Aufmerksamkeit des Zuschauers wird immer wieder auf andere dramatische Geschehnisse gelenkt, in deren Fülle das Begrüßungsmotiv fast untergeht: Die Szene beginnt mit einem Streit der beiden Söhne des verstorbenen Kaisers um dessen Nachfolge. Der Volkstribun Marcus Andronicus greift in diesen Streit ein, indem er mitteilt, daß sich das Volk für seinen Bruder Titus als Kaiser entschieden hat, und kündigt dessen Rückkehr nach Rom an (1,1, 27-28). Nach Titus' Auftritt mit großem Gefolge (1,1, 70) wird die eigentliche Begrüßung durch ein davon unabhängiges Geschehen hinausgezögert: Titus will zunächst am Familiengrab seinen gefallenen Söhnen Totenopfer darbringen. Lucius' Wunsch, einen Sohn der gefangenen Gotenkönigin Tamora zu töten und zu opfern, löst ein weiteres dramatisches Geschehen aus: Tamoras an Titus gerichtete flehentliche Bitte, ihren Sohn zu schonen. Erst danach erfolgt die Begrüßung des Titus durch seine Tochter Lavinia und seinen Bruder Marcus (1,1, 157-164 und 169-178). Doch hält sich Marcus nicht lange dabei auf, sondern kommt gleich ,zur Sache', indem er Titus die Kaiserwürde anträgt. Hieran schließt sich eine Fülle weiterer überraschender Ereignisse an. Im zweiten Teil dieser langen Szene wird dann auf Titus' Rückkehr nicht mehr Bezug genommen. Die eigentlichen Begrüßungen sind kurz und pathetisch. Sie haben, obwohl sie von Titus' engsten Angehörigen ausgesprochen werden, einen ausgesprochen .offiziellen' Charakter. Auch wird dieses statische Geschehen nicht zur Information des Zuschauers genutzt: Über die Vergangenheit wird wenig, über die Zukunft (etwa in Form eines Wunsches nach ruhigem Leben) nichts gesagt. Im Gegensatz zu Shakespeares späteren Dramen bildet die Zeit in Titus Andronicus, wie Otten feststellt,2 noch kein Kontinuum. Die Szene läßt die Konzentration auf die wesentlichen, die Handlung gliedernden Elemente vermissen, die Shakespeares spätere Dramen auszeichnet.3 1

2 3

"As in other Shakespearean openings hollow rite gives way to brutal truth"; Willson, a.a.O., S. 25. Otten, Die Zeit in Gehalt und Gestalt, S. 32. Nicht statisch ist die Begrüßung der als "Revenge", "Rapine" und "Murther" verkleideten Tamora und ihrer beiden Söhne durch Titus (V, 2, 81-91). Bei dieser Begrüßung spielen beide Seiten eine Rolle, um die andere Seite zu täuschen. Hierdurch wird ein besonderer dramatischer Effekt erzielt. Ähnliches gilt auch für Titus' heuchlerische Begrüßung zum Gastmahl in der Schlußszene (V, 3, 2 6 - 2 9 ) . Erst bei Festmählern in späteren Dramen finden sich Begrüßungen, die in stärkerem Maße .statisch' sind: Romeo and Juliet, I, 5, 1 6 - 2 5 (Capulet); Troilus and Cressida, V, 1, 7 0 - 8 6 (Achilles); Macbeth, 111,4, 1-8; Timon of Athens, 1,2,

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In The Taming of the Shrew sind die Begrüßungen nicht politischer, sondern privater Natur. Ebenso wie in Titus Andronicus sind sie jedoch von anderen,,dynamischeren' Handlungselementen überlagert und werden noch nicht zu statischen Szenen ausgestaltet. In der Szene I, 2 wird Petruchio in Padua von seinem Freund Hortensio mit einem ,Willkommen' am Anfang und am Ende einer langen Szene begrüßt, die durch dieses Ritual gewissermaßen eingerahmt wird. Die Verwendung der italienischen Sprache gibt dem Willkommensgruß hierbei ein besonderes Gewicht und läßt dessen zeremonielle Natur deutlich werden (I, 2, 25-26 und 280). Die Zeremonie wird jedoch durch komische Elemente überlagert, die in den Mißverständnissen von Petruchios Diener Grumio begründet sind. Auch kommen die Freunde schnell auf Katherina zu sprechen, wodurch das Begrüßungsgeschehen in den Hintergrund tritt. In der Szene II, 1 möchte Petruchio bei Baptista, Katherinas Vater, dann am liebsten jede Begrüßung auslassen und gleich zur Sache kommen, seiner Bewerbung um Katherinas Hand. 4 Gremio ermahnt ihn, die üblichen Formen zu beachten, anstatt gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: "You are too blunt, go to it orderly" (II, 1, 45). Doch Petruchio weist diesen Tadel zurück. Auch nach Baptistas welcome (II, 1, 61) fährt er mit seinem Anliegen fort und nennt erst auf Aufforderung seinen Namen, woraufhin Baptista ihn erneut willkommen heißt (II, 1, 70). Das gestörte Begrüßungszeremoniell läßt den Gegensatz zwischen dem stürmischen Petruchio und dem gesetzten, höflichen Baptista deutlich werden. Ein weiterer Kontrast besteht zwischen Petruchio und dem als Lucentio verkleideten Tranio, der als Freier Biancas auftritt und die Umgangsformen voll beachtet. Im Gegensatz zu Petruchio platzt er in kein Gespräch hinein, sondern wartet, bis Baptista auf ihn aufmerksam wird (II, 1, 85-87), um dann in aller Form sein Anliegen vorzutragen und Baptistas welcome zu erbitten (II, 1, 96). Während Petruchio seine edle Abstammung von sich aus hervorhebt (II, 1, 68-69), nennt TranioLucentio nur den Namen seines Vaters und überläßt Baptista den Kommentar:

4

15-23; Henry VIII, 1,4, 1-7, 35-40 und 56-63; zu dieser Szene vgl. u. S. 171-172. Vgl. auch The Winter's Tale, IV, 4, 48-108; siehe u. S. 163-164. Petruchios Ungeduld hat auch eine dramaturgische Funktion und erweckt den Eindruck eines besonders zügig ablaufenden Geschehens: „Petruchios stürmische Natur ruhte keinen Augenblick, bis er sein Ziel in einem leidenschaftlichen Ansturm erreicht hatte. Er ergriff die Zeit beim Schöpf und sein Zeitdruck auf die Handlung ist entscheidend für das Tempo": Otten, Die Zeit in Gehalt und Gestalt, S. 134.

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A mighty man of Pisa. By report I know him well. You are very welcome, sir. (II, 1, 1 0 4 - 1 0 5 )

Hierauf richtet Baptista noch ein abschließendes, besonders betontes welcome an beide Freier und verbindet damit eine Einladung zum Essen: ... We will go walk a little in the orchard, And then to dinner. You are passing welcome, And so I pray you all to think yourselves. (II, 1, 1 1 1 - 1 1 3 )

Die Einladung zum Essen ist Bestandteil des Begrüßungsgeschehens. Der Gastgeber stellt durch das gemeinsame Mahl sein im Willkommensgruß ausgesprochenes Wohlwollen unter Beweis, und der Gast erlangt durch diesen Ritus in einer ihm fremden Umgebung ein neues Zuhause. Doch selbst dieser formelle Abschluß durch Baptista wird von Petruchio nicht respektiert: er möchte mit seinem zukünftigen Schwiegervater sogleich die finanziellen Einzelheiten klären, und Tranio muß aus diesem Grund eine Weile untätig auf der Bühne herumstehen. Durch eine besondere Ausgestaltung eines zeremoniellen Geschehens arbeitet Shakespeare also den Charakter Petruchios heraus und verleiht dem Geschehen dramatische Spannung. Im Fall Tranios wird die ,Dynamik' durch das für die Tradition der Gattung Komödie typische Motiv der falschen Identität erzielt.5 Es handelt sich hier also noch nicht um wirklich ,statische' Begrüßungen. Nicht die Nuancen einer Zeremonie, sondern die Störung dieser Zeremonie ist Gegenstand der dramatischen Darstellung. In besonderem Maße gilt dies für die Ankunft der frischvermählten Eheleute in Petruchios Landhaus (IV, 1). Diese Begrüßung ist aufgrund von Petruchios eigenwilligem Verhalten ebenso turbulent wie der vorausgegangene Abschied (111,2, 182-237). 6 Die Reise bei Wind und Wetter wirkt ausgesprochen hastig, denn dreizehn Verse (III, 2, 238-250) müssen ausreichen, um die Zeitspanne von der Abreise des Petruchio mit Katherina und seinem Diener Grumio aus Padua und der Ankunft des vorausgeschickten Grumio in Petruchios Landhaus zu überbrücken. Bereits am Anfang der Szene kündigt Grumio die Ankunft von Petruchio und Katherina an (IV, 1, 3-5). Die Zwischenzeit wird mit Grumios wiederholter, an Curtis, einen anderen Diener gerichteter Aufforderung, für die Herrschaften Feuer zu machen, sowie mit seinem 5 6

Vgl. o. S. 21 und 104-105 zu Plautus' Siehe o. S. 28.

Amphitruo.

111

Bericht über die Turbulenzen der Reise ausgefüllt. Grumio wird zwar von den anderen Dienern begrüßt (IV, 1, 96-100), kürzt diese Begrüßung jedoch aus Besorgnis über die Eile seines Herrn ab: " . . . And thus much for greeting. Now, my spruce companions, is all ready, and all things neat?" (IV, 1, 102-103). Petruchio hingegen macht bei seinem Auftritt durch sein Schimpfen jede Begrüßung von Seiten seiner Diener unmöglich (IV, 1,107-118). Katherina heißt er nur in knappster Form in seinem Haus willkommen (IV, 1, 129 und 141). Eine bewegte dramatische Handlung steht an einer Stelle, an der auch eine statische Begrüßungsszene hätte stehen können. Lediglich in der Induction kann in diesem Drama von einer statischen Begrüßung die Rede sein {Ind., 1, 72-102). Nachdem der betrunkene Sly auf Geheiß des Lords fortgeschafft worden ist, kündigt eine Trompete die Ankunft anderer Personen an {Ind., 1, 72). Schließlich erscheinen Schauspieler, die vom Lord begrüßt werden. Dieser erinnert sich an frühere Begegnungen mit den Ankommenden und erteilt ihnen den Auftrag, vor Sly ein Drama zu spielen. Mit der Aufforderung an seine Diener, den Schauspielern ein welcome zuteil werden zu lassen und sie gut zu bewirten, endet diese Begrüßungsszene {Ind., 1, 100-102). 7 Offensichtlich gehört die Vorstellung der Schauspieler zu den Funktionen der Induction.8 So erklärt es sich, daß Shakespeare hier zeitweise die dramatische Handlung hintanstellt und die Szene statisch werden läßt, die somit als erste statische Begrüßungsszene Shakespeares gelten kann. In King John (II, 1) und Henry VI, Part 1 (III, 4) findet sich erneut der Szenentyp der politischen' Begrüßung. In King John treffen sich der König von Frankreich und der Erzherzog von Osterreich, um ein Waffenbündnis gegen England zu besiegeln. In Henry VI, Part 1 begrüßt der alte Feldherr Talbot seinen jungen König auf französischem Boden. Dieser Szenentyp dient wie schon in der ersten Szene von Peeles Battie of Alcazar der expositorischen Darstellung der Beteiligten auf einer der Seiten bei einer kriegerischen Auseinandersetzung. Bei Shakespeare bestätigt sich durch die Einhaltung der Zeremonie zudem der natürliche Adel der Beteiligten. Daneben gewinnt der Zuschauer durch die Nennung der Herkunft der Ankommenden einen Uberblick über die Geographie des jeweiligen Dramas. 7

8

Die Parallele zur Begrüßung der Schauspieler in Hamlet (II, 2) ist offensichtlich; vgl. u. S. 136-137. Vgl. die Induction zu Marstons Malcontent.

112

In King John wird Austria schon im ersten Vers der Szene II, 1 von Lewis, dem Dauphin, willkommen geheißen. Der französische König unterrichtet nun Arthur, einen Neffen des englischen Königs, über ein Ereignis aus der Vergangenheit Austrias, die Tötung Richard Cceur-delions, und fordert ihn daraufhin auf, Austria ebenfalls zu begrüßen. Durch die Aufforderung wird der zeremonielle Charakter von Arthurs nun folgendem formellen Willkommensgruß (II, 1, 15-17) besonders unterstrichen.9 Austria erwidert diese Begrüßung mit einem formellen Kuß und gelobt feierlich seinen militärischen Beistand. Durch die Erwähnung eines vergangenen Gegensatzes - der von Austria erschlagene Cœur-de-lion war Arthurs Onkel gewesen - erhält die jetzige Gemeinsamkeit eine besondere Qualität.10 Die Beschreibung des Kriegsgegners, England (II, 1, 23-29), vervollständigt die Darstellung der Geograpahie des Dramas. Die statische Szene geht mit King Philips Worten "Well then, to work" (II, 1, 37) zu Ende: Die Vereinbarung wird sogleich in die Tat umgesetzt. Die Form der zeremoniellen Begrüßung ermöglicht es Shakespeare, die politische Konstellation des Dramas in knapper, klarer Form darzustellen. Durch die Einführung der Gestalt des tapferen Richard Löwenherz, der als Kontrastfigur zum schwachen King John das ganze Drama gewissermaßen überschattet, wird auch die Vergangenheit in das panoramische Bild mit einbezogen. Ein epischer Stoff wird glaubwürdig auf die Bühne übertragen. Das gleiche läßt sich von der Szene in Henry VI, Part 1 sagen, in der Talbot dem zu seiner Krönung nach Frankreich gekommenen Henry seine Loyalität bekundet (III, 4, 1—27). Diese statische Szene gibt einer Schilderung von Talbots Taten und seinem Charakter Raum. Henry beginnt seine Rede mit einem Willkommensgruß (III, 4,16) und beendet sie mit der Erhebung Talbots zum Earl of Shrewsbury. Durch die Erwähnung Henrys V. (III, 4, 18) wird auch hier die Vergangenheit mit ins Bild gebracht.11

9

10 11

Eine solche, dem eigentlichen zeremoniellen Akt vorausgehende Aufforderung, die bei den Abschiedsszenen ziemlich selten war (vgl. o. S. 67-68), findet sich bei den Begrüßungsszenen recht häufig. Vgl. u. S. 159 zum Coriolanus. .Politische' Begrüßungsszenen finden sich bei Shakespeare noch in Troilus and Cressida (IV, 1), wo Diomedes die Trojaner wegen des Austausches von Antenor gegen Cressida aufsucht, und in Cymbeline (III, 1), wo eine römische Gesandtschaft nach Britannien kommt, um den fälligen Tribut einzutreiben. Sie sollen zusammen mit den anderen Begrüßungsszenen dieser Dramen besprochen werden.

113

Auch die Begrüßung Margarets durch ihren Ehemann, den König, in England in der ersten Szene von Henry VI, Part 2 könnte als zeremonielle, politische' Szene angesehen werden. Das persönliche Element ist hier jedoch viel stärker als in King John und Henry VI, Part 1. In für Shakespeare charakteristischer Weise wird der politische mit dem privaten Bereich verknüpft. Dieser Begrüßung geht erneut eine Einleitung voraus: Suffolk übergibt Margaret, die er in Frankreich als Gemahlin für seinen König geworben hat, an Henry. Dieser beginnt seine Begrüßungsrede mit einem welcome (I, 1, 17). Er rühmt die Schönheit seiner Gemahlin und nach ihrer Antwort auch ihre "grace in speech" (1,1,32) und "wisdom's majesty" (1,1,33). Die sanfte, frömmelnde Art des Königs kommt deutlich zum Ausdruck. Im Hinblick auf den weiteren Verlauf des Dramas liegt in Henrys Worten natürlich auch dramatische Ironie. Das Begrüßungsgeschehen wird in dieser Szene dadurch erweitert, daß der König zum Abschluß auch seine versammelten Höflinge zum Willkommensgruß auffordert: "Lords, with one cheerful voice welcome my love" (1,1,36). Der hierauf folgende Segenswunsch der Hofleute unterstreicht den rituellen Charakter des Begrüßungsgeschehens. In Richard III wird das Motiv der zeremoniellen Begrüßung auf interessante Weise variiert: Richard und Buckingham begrüßen den jungen Kronprinzen Edward in London (III, 1). In der vorausgehenden Szene war diese Ankunft angekündigt worden (II, 4, 1-5), so daß der Zuschauer mit einer feierlichen, zeremoniellen Szene rechnen konnte. 12 Nun entbieten beide Herzöge dem Prinzen ihr welcome, und Richard spricht vom "weary way" des Prinzen. Hier jedoch stößt er auf dessen Widerspruch gegen die ungenaue, poetische Formulierung. Der Prinz, der nicht weiß, welches Schicksal ihn erwartet, und annimmt, in London zum König gekrönt zu werden, macht mit seiner Antwort deutlich, daß er nicht bereit ist, sich seinem Onkel in allem unterzuordnen. So weist er die Unterstellung zurück, melancholisch zu sein. Auch merkt er, daß mit der Begrüßungszeremonie etwas nicht stimmt, weil nicht alle zu erwartenden Personen anwesend sind:

12

„Er [Shakespeare] nützt absichtlich die Gelegenheit zu einem triumphalen Gepränge mit förmlichen Willkommensreden nicht aus, beschränkt auch den Willkommensgruß des Lord Mayor auf eine einzige karge Verszeile, um aus diesem Gegensatz zwischen dem, was erwartet wurde, und dem, was das Szenenbild nun tatsächlich zeigt, eine dramatische Wirkung zu ziehen"; Clemen, Richard III, S. 170-171.

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Buck. Welcome, sweet Prince, to London, to your chamber. Glo. Welcome dear cousin, my thoughts' sovereign. The weary way hath made you melancholy. Prince. N o , uncle, but our crosses on the way Have made it tedious, wearisome, and heavy; I want more uncles here to welcome me. (III, 1, 1-6)

Richard gelingt es nicht, den Prinzen zu beschwichtigen, der ihm ein zweites Mal widerspricht (III, 1,16) und nach dem formellen Segenswunsch des Lord Mayor (III, 1,18) die Abwesenheit weiterer Personen, seiner Mutter, seines Bruders und des Lord Hastings, moniert. Ein zeremonieller Abschluß der Begrüßung unterbleibt völlig, da die Szene in eine Auseinandersetzung über die Heiligkeit des sanctuary übergeht, in das sich die Königin mit dem Bruder des Prinzen geflüchtet hat. Der programmgemäße Ablauf der Begrüßungsszene wird also durch die Hinweise des Prinzen auf das Fehlen wesentlicher Elemente der Zeremonie gestört, so daß eine dramatische Spannung entsteht. Das gestörte Zeremoniell kennzeichnet die Störung der natürlichen Ordnung durch Richards Machenschaften. Die Anfangsphase von Shakespeares dramatischem Schaffen ist, wie sich zeigt, auch hinsichtlich der Begrüßungen durch die Übernahme und Weiterentwicklung bereits vorhandener dramatischer Techniken bestimmt. Begrüßungen sind anderen Handlungselementen untergeordnet (Titus Andronicus) oder von anderen dramatischen Geschehnissen begleitet (The Taming of the Shrew). In seinen frühen Historiendramen kommt Shakespeare dann in Weiterentwicklung szenischer pageantry, wie sie sich etwa bei Peele und Greene findet, zum Typ der politischen' Begrüßungsszene, die bereits ein deutliches statisches Moment enthält und somit zur Charakterisierung genutzt (King John, Henry VI, Parts 1 and 2) bzw. zur Verdeutlichung einer dramatischen Situation variiert werden kann (Richard III). An den Begrüßungsszenen läßt sich ablesen, wie sich das Gewicht innerhalb der ersten Tetralogie von Historiendramen fortschreitend von der politischen auf die persönliche Ebène verlagert,13 wobei letzterer natürlich auch eine Symbolfunktion für das politische Geschehen zu13

Vgl. die Feststellung Antony Hammonds: "The death of Talbot is an emblem of the suffering of England, just as Clarence at last is an emblem of the suffering of the guilty individual"; Richard III, ed. A. Hammond (1981), The Arden Shakespeare, Introduction, S. 116. 115

kommen kann. Den Begrüßungsszenen aus Shakespeares Anfangsphase ist gemeinsam, daß sie in der Regel im ersten Teil der Dramen erfolgen und vor allem eine expositorische Funktion haben. Die Funktion der Begrüßung als Ritual der Aufnahme in eine Gemeinschaft - als Pendant zur Abschiedsszene - ist hingegen erst in Ansätzen erkennbar (The Taming of the Shrew, II, 1; Richard III, III, 1). In diesen Fällen wird deutlich, daß die Begrüßung, wie sie sich auf der Bühne abspielt, nur die gestörte Form eines Rituals darstellt und somit ein ,dynamisches' Element enthält. Das Baumuster einer statischen, ,privaten* Begrüßungsszene hat Shakespeare in dieser Frühphase noch nicht entwickelt. Ihm gelingt es jedoch, die aus dramaturgischen Gründen noch erforderliche Störung der Zeremonie für die Charakterisierung von Personen und Situationen nutzbar zu machen. c) Die Begrüßungsszenen von The Two Gentlemen of Verona bis As You Like It: Die Verwendung eines neuen Szenentyps Zusammen mit den Abschiedsszenen treten Begrüßungsszenen in The Two Gentlemen of Verona in den Mittelpunkt des Dramengeschehens. Bei der Untersuchung der Begrüßungsszenen bestätigt sich der neuartige bzw. experimentelle Charakter dieses Dramas, der schon bei der Untersuchung der Abschiedsszenen deutlich geworden war. So wird Proteus von Silvia und von seinem Freund Valentine, dem er nachgereist ist, in einer ausgedehnten statischen Szene begrüßt (II, 4). Diese Szene korrespondiert mit der Szene von Proteus' Abschied von Julia (II, 2). Wie jener Szene eine Art Parodie durch Launce gefolgt war (II, 3), so wird jetzt das Wiedersehen der beiden Edelleute auf der Ebene der Diener wiederholt (II, 5). Die Reise des Proteus wird in diesen vier statischen Szenen also aus verschiedenen Blickwinkeln dargestellt. Durch die punktuelle Schilderung von Abreise und Ankunft wird dem Zuschauer nicht nur das Reisegeschehen in seiner Gesamtheit vor Augen geführt, sondern auch eine Wandlung, die beim Reisenden mit einer Ortsveränderung einhergeht: Während Proteus - sein Name charakterisiert ihn - Julia beim Abschied noch ewige Treue geschworen hat, erblickt er nunmehr Silvia und ist auf den ersten Blick in sie verliebt. So schnell, wie bei ihm die Loslösung von seinem alten Zuhause vonstatten ging,1 so schnell fühlt er sich an einem neuen Ort heimisch. Die Bedeutung des Begrüßungsgeschehens wird durch die vorherige 1

Vgl. o. S. 37.

116

Ankündigung der Ankunft des Reisenden hervorgehoben, die auf besonders spannende Weise erfolgt: Der Herzog unterbricht ein geistreichwitziges Gespräch seiner Tochter Silvia mit ihren beiden Verehrern Valentine und Thurio und deutet zunächst an, daß ein Brief für Valentine von seinen "friends" angekommen sei (II, 4, 46-47), ohne diesen freilich zu übergeben. Er bringt daraufhin das Gespräch auf Proteus, woraufhin Valentine seinen Freund in aristokratischer Manier in den höchsten Tönen lobt und als perfekten gentleman hinstellt (II, 4, 57-69). Erst hierauf teilt der Herzog mit, daß Proteus angekommen ist: . . . Well, sir; this gentleman is come to me With commendation from great potentates, And here he means to spend his time awhile: I think 'tis no unwelcome news to you. (II, 4, 73-76)

Auch jetzt tritt Proteus noch nicht sogleich auf, sondern erst, nachdem er vom Herzog herbeigerufen wird. In der Zwischenzeit haben Valentine und Silvia Gelegenheit zu einem witzigen Gespräch über die Liebe des Proteus zu Julia (II, 4, 82-93), durch das für den Zuschauer gewissermaßen eine Brücke zum Beginn von Proteus' Reise hergestellt wird. Bereits die Vorbereitung der eigentlichen Begrüßung wird hier also auf vielfältige Weise in die Länge gezogen. Schon lange vor dem Auftritt des Ankommenden erhält die Szene einen statischen Charakter und bietet dem Dramatiker die Möglichkeit, die Hauptthemen des Dramas, die bereits bei Proteus' Abschied zur Sprache gekommen waren,2 erneut anzusprechen: das gentleman-Ideal und die Auswirkungen der Liebe. Bereits in früheren Begrüßungsszenen (Titus Andronicus, 1,1; King John, II, 1) wird der Ankommende beschrieben, bevor er formell willkommen geheißen wird. Hier jedoch erfolgt die Beschreibung zum erstenmal im Rahmen einer zwanglosen, privaten Unterhaltung. Nach Proteus' Auftritt spricht Valentine das erste welcome und fordert auch Silvia dazu auf, seinen Freund willkommen zu heißen. Hiermit gibt er zu erkennen, wie sehr der Hof des Herzogs schon zu seinem ,Zuhause' geworden ist. Er spricht im Grunde bereits als zukünftiger Hausherr und Ehemann Silvias. Diese kommt seiner Bitte nach und verweist auf Proteus' "worth", von dem sie durch Valentines Bericht bereits gehört hat: Val. Welcome, dear Proteus. Mistress, I beseech you Confirm his welcome, with some special favour. 2

Vgl. o. S. 36-37.

117

Sil. His worth is warrant for his welcome hither, If this be he you oft have wish'd to hear from. (II, 4, 95-98)

Wie in Castigliones Empfehlung erleichtert eine vorausgehende gute Meinung also die Aufnahme eines Reisenden in der Fremde. 3 Als Angehörigem der höfischen Gesellschaft wird Proteus ein starker Vertrauensvorschuß entgegengebracht. Valentines Bericht war also die erste Stufe eines Prozesses, der den Hof von Silvias Vater für Proteus zu einem neuen Zuhause werden läßt. Valentines Bitte an Silvia, Proteus als "fellow-servant" zu akzeptieren (II, 4, 99-100) führt erneut zu einem witzigen Dialog. Silvia scheint die höfische Konzeption, mistress von ihr untergebenen Edelleuten zu sein, bescheiden in Frage zu stellen, nimmt Proteus aber dennoch, wenn auch nur spielerisch, als neuen servant ,in ihren Dienst' auf: "Servant, you are welcome to a worthless mistress" (II, 4,108). Das Ende der Begrüßungsszene wird durch den Einbruch eines Dieners von außen herbeigeführt, der Silvia zu ihrem Vater ruft.4 Als Hausherrin bekräftigt sie jetzt durch ein abschließendes welcome noch einmal die Aufnahme des Proteus in ihr Zuhause: ... Once more, new servant, welcome; I'll leave you to confer of home affairs. When you have done, we look to hear from you. (II, 4, 113-115)

Den "home affairs" werden jedoch nur wenige Verse gewidmet. Anschließend erzählt Valentine seinem Freund in den höchsten Tönen von seiner Liebe zu Silvia. In diesem "braggardism" (II, 4,159) offenbart sich erneut Valentines Naivität. Auf die Ankunft des Proteus wird am Ende des Gesprächs noch einmal Bezug genommen: Proteus trennt sich von Valentine, um sein Gepäck vom Schiff zu entladen (II, 4, 183-184). Der Zuschauer wird daran erinnert, daß sich Proteus an einem fremden Ort befindet, an dem er eben erst eingetroffen ist. Um so auffälliger ist die Schnelligkeit, mit der er sich nicht nur in Silvia verliebt, sondern auch seine Loyalität zu seinem Freund in Frage stellt (II, 4,199-202). Es wird deutlich, daß Proteus seine Verpflichtungen als reisender gentleman nicht wird erfüllen können, weder der zurückgebliebenen Person (Julia) noch seinen Gastgebern (Silvia und Valentine) gegenüber. Schon bald, in der Szene III, 1, wird er sein eben erworbenes Heimatrecht mißbrauchen 3 4

Siehe o. S. 100-101. Dieses für Shakespeares Abschiedsszenen typische Element (vgl. o. S. 29) findet sich hier auch einmal in einer Begrüßungsszene. Es wird jedoch nicht zu einem wiederkehrenden Bestandteil dieser Szenen.

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und Valentine beim Herzog verleumden. Doch auch Valentine verletzt seine Verpflichtung als Gast: Sein Mangel an Diskretion hinsichtlich Silvias widerspricht den höfischen Konventionen. In der Szene II, 5 wird die Begrüßung der Freunde auf der Ebene der Diener Speed und Launce wiederholt und dadurch ironisch reflektiert. Launce stellt Speeds Willkommensgruß (II, 5,1) auf komische Weise in Frage und weist hiermit erneut auf die Bedeutung des Grußes im Drama hin. Speed erkundigt sich nun nach dem Abschied des Proteus von Julia. Das Geschehen der Szene II, 2 wird hier also noch einmal von einem anderen Blickwinkel aus angesprochen: Spe. ... But, sirrah, how did thy master part with Madam Julia? Lau. Marry, after they closed in earnest, they parted very fairly in jest. Spe. But shall she marry him? Lau. No. (II, 5, 9 - 1 4 )

Die Zweifel an der glücklichen Zukunft der beiden Liebenden, die dem Zuschauer inzwischen gekommen sein mögen, werden durch diesen Wortwechsel bestätigt. Wie schon gesagt wurde, korrespondieren die Szenen II, 4 und II, 5 mit den Szenen II, 2 und II, 3. Die Motive Abschied und Begrüßung bilden jeweils einen Rahmen, in dem die Auswirkungen eines Reisegeschehens auf die Reisenden und ihre Beziehungen zu anderen Personen zum Ausdruck kommen können. Durch Blicke in die Zukunft in den Abschiedsszenen und Blicke in die Vergangenheit bei den Begrüßungen wird ein zeitliches und räumliches Kontinuum geschaffen, wie es sonst nur dem epischen Dichter und dem Romanautor zur Verfügung steht. Durch neue dramaturgische Techniken wird also die Darstellung des epischen Themas ,Reise und Bewährung' auf der Bühne ermöglicht. Die Wiedersehensszene, mit der das Drama schließt (V, 4), soll an dieser Stelle nur am Rande erwähnt werden. Wiedersehensszenen wie diese, die am Ende eines Dramas mit einem dénouement, einer Lösung des Handlungsknotens, verbunden sind, müssen von den statischen Begrüßungsszenen unterschieden werden, in denen die Ankunft eines Reisenden meist vorher angekündigt wird. Gelegentlich weisen jedoch auch die ,dynamischen' Wiedersehensszenen ein statisches, zeremonielles Element auf. So heißt hier der verbannte, als Räuberhauptmann im Wald lebende Valentine den Herzog in seinem Herrschaftsbereich willkommen (V, 4, 121-122). Dadurch, daß der Herzog diesen Willkommensgruß akzeptiert, also Gast Valentines wird, gesteht er diesem die Berechtigung zu höfischem Umgang zu und erkennt ihn als Angehöri119

gen der vornehmen Welt an. Dem happy ending steht nun nichts mehr im Weg: Der Herzog hebt das Verbannungsurteil auf und macht deutlich, daß sich Valentine an seinem Hof wieder ,zu Hause' fühlen kann (V, 4, 141). Als einem gentleman guter Herkunft gibt er ihm in aller Form seine Tochter zur Frau (V, 4, 144-145).5 Auch in Love's Labour's Lost erfüllt eine Begrüßungsszene (II, 1) eine wichtige Funktion im Dramengeschehen. Die Ankunft der französischen Gesandtschaft, die von der Tochter des Königs angeführt wird und hauptsächlich aus Damen besteht, bringt den König von Navarra und seine Edelleute, die beschlossen haben, sich drei Jahre lang ausschließlich ihren Studien zu widmen, in eine ausweglose Situation: Einerseits fühlen sie sich an ihren Eid gebunden, der ihnen verbietet, Damen bei sich zu empfangen; andererseits gebietet es die höfische Etikette, eine fremde Gesandtschaft freundlich zu begrüßen und ihr Gastrecht zu gewähren. Die Herren treten nach einer Ankündigung durch Boyet schließlich auf, um der Prinzessin und ihrem Gefolge den Willkommensgruß zu entbieten. Die Prinzessin macht jedoch sogleich auf den Widerspruch zwischen Form und Inhalt des welcome aufmerksam: King. Fair princess, welcome to the court of Navarre. Prin. Fair I give you back again; and welcome I have not yet: the roof of this court is too high to be yours, and welcome to the wide fields too base to be mine. King. You shall be welcome, madam, to my court. Prin. I will be welcome then: conduct me thither. King. Hear me, dear lady; I have sworn an oath. (II, 1, 90-96)

Dem König gelingt es, sich durchzusetzen und die Verhandlungen mit der Prinzessin (das "serious business"; II, 1, 31) im Freien abzuwickeln. Am Ende der Szene führt dann die Verbindung von ,Begrüßung' und ,Abschied' zu einer besonderen Komik: Die Konvention verlangt offensichtlich, daß das welcome am Ende der ersten Begegnung wiederholt wird. Gleichzeitig weigern sich der König und seine Edelleute jedoch nach wie vor, die Damen bei sich aufzunehmen. So enthält die Rede des Königs sowohl ein "welcome" (II, 1, 168) als auch ein "farewell" (II, 1, 175), das die Prinzessin mit einem Segenswunsch beantwortet, wie man ihn normalerweise Abreisenden entbietet (II, 1, 177). Die Form der Begrüßungsszene erweist sich als geeignetes Mittel, dem Zuschauer das Paradoxe an der Haltung des Königs von Navarra 5

Zu dieser Szene vgl. u. S. 294-295.

120

und seiner Gefolgsleute vor Augen zu führen: An der mangelnden Übereinstimmung von Ritual und Wirklichkeit wird die mangelnde höfische Wesensart der Begrüßenden sichtbar. Es erweist sich als nicht möglich, sich von der Welt zurückzuziehen und gleichzeitig höfischer Edelmann zu bleiben, denn als solcher ist man nicht nur in der Lage, Gleichrangige willkommen zu heißen, sondern sogar dazu verpflichtet.6 Wie etwa in Richard III (III, 1) sind es Äußerungen über den Ritus, die bei diesem Ritus die Besonderheiten der Situation aufdecken. Zwei Szenen, in denen ein gestörtes Begrüßungsritual zur Darstellung kommt, finden sich in Richard II. Die Szenen sind sowohl persönlicher wie politischer Natur und schildern zwei Etappen der Rückkehr des verbannten Bolingbroke nach England: In der Szene II, 3 versammelt er sich mit seinen englischen Gefolgsleuten bei Berkeley Castle, und in der Szene III, 3 tritt er vor Flint Castle König Richard entgegen. Im Gegensatz zu Reisenden in anderen Dramen muß sich Bolingbroke den Willkommensgruß erst erkämpfen. Sein Versuch, dies mit Waffengewalt zu tun, scheint zunächst zu scheitern. Erst bei seinem Zug durch London wird ihm von seiten des Volkes ein echtes ,Willkommen' zuteil (V, 2). Zuvor hat Bolingbroke nur den Status eines "banish'd traitor" (II, 3,60) und kann seine Gefolgsleute nur mit Einschränkung willkommen heißen (II, 3, 45-67). Bevor er anderen Aufnahme in einem Zuhause gewähren kann, muß er dieses erst selbst erringen. Eine für Bolingbrokes Weg entscheidende Begegnung ist die mit York, dem Regenten von England während Richards Abwesenheit. Ihm obliegt es, den Ankommenden willkommen zu heißen. Dazu ist er jedoch zunächst nicht bereit, sondern gibt durch Berkeley zu erkennen, daß er als Landesherr Bolingbrokes militärischen Aufmarsch mißbilligt (11,3, 76-80). Kurz darauf erscheint er selbst, und Bolingbroke versucht, ihm durch eine Geste der Ehrerbietung ein ,Willkommen' zu entlocken: Bol. My noble uncle! [Kneels.] York. Show me thy humble heart, and not thy knee, Whose duty is deceivable and false. Bol. My gracious uncle York. Tut, tut! grace me no grace, nor uncle me no uncle, I am no traitor's uncle ... (II, 3, 82-87) 6

Die Qualitäten eines courtier und eines scholar brauchen sich auch nicht abzuschließen, wie die Edelleute von Navarra anzunehmen scheinen. Im Gegenteil: Gelehrsamkeit gehört etwa bei Castiglione (The Courtier, bk. 1) zu den Eigenschaften eines perfekten Höflings.

121

Erst nach einer langen Rede Bolingbrokes, in der er seinen Onkel von seinem Recht zu überzeugen versucht und die von seinen Gefolgsleuten sekundiert wird, ringt sich York zu einem eingeschränkten Willkommensgruß durch, der die Szene abschließt: . . . N o r friends, nor foes, to me welcome you are. Things past redress are now with me past care. (II, 3, 169-170)

Bolingbroke findet nur eingeschränkt Aufnahme in England. Er hat seinen Weg, der die Wiedererlangung seines Zuhauses zum Ziel hat, noch nicht vollendet 7 und den Status eines „wandering vagabond" (II, 3, 119) noch nicht überwunden. Hieran ändert auch das Treffen mit Richard (III, 3) noch nichts. Wie York läßt Richard zunächst keinen Zweifel daran, daß Bolingbroke bei ihm nicht willkommen ist. Northumberland tritt Richard trotzdem entgegen, um ihm eine Geste Bolingbrokes zu übermitteln, die auf einen Willkommens grüß des Königs abzielt (III, 3, 103-104). Dieser spricht das erwartete ,Willkommen', zeigt aber gerade durch dessen vollendete, ,offizielle' Form an, daß es nicht wirklicher kindness entspringt, sondern allein auf sein Unvermögen zurückzuführen ist, der militärischen Überlegenheit Bolingbrokes zu trotzen: Northumberland, say thus the king returns: His noble cousin is right welcome hither, And all the number of his fair demands Shall be accomplish'd without contradiction . . . (Ill, 3, 121-124)

Gegenüber Aumerle weist Richard anschließend selbst auf die mangelnde Ubereinstimmung von Form und Inhalt hin: We do debase ourselves, cousin, do we not, To look so poorly and to speak so fair? . . . (Ill, 3, 127-128)

Wegen des poor looking des militärisch Unterlegenen kann fair speaking nicht angemessen sein, denn dieses, der zeremonielle Willkommensgruß, obliegt demjenigen, der die Macht über sein Zuhause ausübt und somit in einer freiwilligen Entscheidung einem Ankommenden Heimatrecht gewähren kann. Auch gegenüber Bolingbroke, der schließlich vor Richard niederkniet, um den Willkommensgruß persönlich entgegenzunehmen, verweist Richard auf die Inkongruenz von Form und tatsächli7

In diesem Sinne kann die Schilderung der Beschwerlichkeit der Reise am Anfang der Szene (II, 3, 2 - 5 ) symbolisch verstanden werden; vgl. u. S. 199.

122

cher Situation: 8 "Courtesy" verliert ihren Wert, wenn sie kein Zeichen von "love" ist (III, 3,192-193), und Bolingbrokes Wort „deserve" bleibt unter diesen Umständen, wie Richard selbst herausstellt, eine leere Floskel: Well you deserve. They well deserve to have That know the strong'st and surest way to get ... (Ill, 3, 2 0 0 - 2 0 1 )

Uber die Frage, ob Richards Absetzung an dieser Stelle bereits beschlossene Sache ist oder ob Richard bei anderem Verhalten den Thron hätte behalten können, ist viel gerätselt worden. Die Untersuchung dieser Szene vom Blickwinkel des Begrüßungsmotivs aus scheint für die zweite Möglichkeit zu sprechen: Offensichtlich verzichtet Richard auf den Thron, um Bolingbroke den Willkommensgruß nicht entbieten zu müssen, was seinem autokratischen Selbstverständnis widersprochen hätte. 9 Durch diplomatisches Geschick hätte sich Richard trotz des Verlustes der militärischen Macht vielleicht noch retten können. Aumerle jedenfalls macht einen entsprechenden Vorschlag: " . . . let's fight with gentle words, / Till time lend friends, and friends their helpful swords" (III, 3, 131-132). Richard jedoch nimmt lieber den eigenen Untergang in Kauf, als von der von ihm für richtig befundenen Form abzugehen und sich zu einem Ritual zwingen zu lassen, das in der Realität keine Entsprechung hat. In dieser Szene zeigt sich die Relevanz des Begrüßungsrituals als Ausdruck des gegenseitigen Wohlwollens und Vertrauens von Ankommendem und Begrüßendem. Notwendig für dieses Ritual ist, daß der Begrüßende die Verfügungsgewalt über sein ,Zuhause' innehat, während der Ankommende als schutzloser Reisender auf die wohlwollende Aufnahme an einem für ihn fremden Ort angewiesen ist. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, so fehlt das Element der Freiwilligkeit, und der Ritus wird zu einer inhaltlosen Form. 8

9

Vgl. Jörg Hasler, „Richard II: Gestische Ironie und das Problem Bolingbroke", Sympathielenkung in den Dramen Shakespeares, edd. W. Habicht, I. Schaben (München, 1978), S. 142-153; S. 148-149. „Er erniedrigt sich nicht, weil er als Person in der Ganzheit seines Erlebens zu jedem einzelnen Punkt seines Schicksals Ja' sagt"; Otten, Die Zeit in Gehalt und Gestalt, S. 87. Ahnlich ist in der Abdankungsszene Richards überraschende Antwort auf die Frage, welchen Wunsch er erfüllt haben möchte, zu verstehen: Rich. Then give me leave to go. Bol, Whither? Rich. Whither you will, so I were from your sights. (IV, 1, 313-315) Bolingbroke ordnet an, ihn in den Tower zu führen. 123

In der Szene III, 3 wiederholt sich (mit Variationen) das Geschehen der Szene II, 3. Diese Wiederholung macht die Situation Bolingbrokes als Reisender deutlich, der sich auf einem Weg zu einem Ziel befindet und vorher eine Reihe von Hindernissen überwinden muß. Bolingbrokes Situation entspricht also der von Reisenden in Epos und Roman. Shakespeare nutzt die Darstellung von Zeremonien erneut zur Dramatisierung eines ,epischen' bzw. ,romanhaften' Geschehens. Der Einzug in London, von dem der Zuschauer durch den Bericht erfährt, den York seiner Frau gibt (V, 2, 7-21), zeigt an, daß Bolingbroke sein Ziel erreicht hat. Die herzliche Begrüßung durch das Volk kennzeichnet seine Aufnahme in eine Gemeinschaft und verweist auf seinen Abschied von England zurück, bei dem ihm ebenfalls Bekundungen der Sympathie von seiten des gemeinen Volkes zuteil geworden waren (I,4). 1 0 In The Merchant of Venice ist Belmont der Ort, an dem fremde Personen ein neues Zuhause erlangen und als neue Bewohner dieses Ortes auch weiteren Personen Aufnahme gewähren können. Wie wichtig hierbei die Einzelheiten des höfischen Begrüßungsrituals sind, wird bei der Ankunft von venezianischen Bekannten des Bassanio deutlich, die unmittelbar auf die Kästchenprobe folgt. Bassanio ist sich unsicher, ob er bereits die Verfügungsgewalt über sein neues Zuhause besitzt: L o r e n z o and Salerio, welcome hither, If that the youth of m y new int'rest here H a v e power to bid y o u welcome: - by your leave I bid m y very friends and countrymen (Sweet Portia) welcome. (Ill, 2, 2 1 9 - 2 2 3 )

Bassanios Zögern kennzeichnet seine höfische Wesensart, die ihn davor zurückschrecken läßt, seine eben erst erworbenen Rechte als ,Hausherr' gleich voll wahrzunehmen. Gratiano hat da weniger Skrupel und fordert seine Nerissa von sich aus zu einem Willkommensgruß auf (III, 2, 236). Einen der Höhepunkte von Shakespeares Kunst der Begrüßungsszene bildet das vielschichtige Begrüßungsgeschehen in der Schlußszene des Dramas (V, 1). Vorbereitet werden die Begrüßungen durch den Dialog Lorenzos und Jessicas am Anfang. Portia hatte die beiden in der Szene III, 4 zu Hausherren von Belmont während ihrer Abwesenheit erklärt. Dieser Dialog steht in einem radikalen Gegensatz zum hektischen 10

Siehe o. S. 48.

124

Geschehen um Shylock und Antonio in Venedig. Durch die Beschwörung der Nacht als einer Zeit der Ruhe und des Liebesgenusses wird ein Eindruck von Geborgenheit erweckt. Es wird deutlich, daß die Welt von Belmont für jeden, der in sie aufgenommen wird, ein ,Zuhause' besonderer Qualität darstellt. Durch Einbettung in eine statische Begrüßungsszene mildert Shakespeare den aufregenden dramatischen Charakter des erforderlichen dénouement. Durch die vorherige Ankündigung der Ankunft Portias und Nerissas ebenso wie der Bassanios, Gratianos und Antonios wird der Szene jeder dramatische Uberraschungseffekt entzogen. Erst als für alle Beteiligten der Willkommensgruß und somit die Aufnahme in die ,heile Welt' Belmonts erfolgt ist, kommt es zu dem dramatischen Geplänkel mit den Ringen, das zur Aufklärung der Identität des »Richters' und des ,Schreibers' in der Gerichtsszene führt. Da der Zuschauer aus der Szene IV, 2 bereits weiß, wer die Ringe erhalten hat, wird er keinen Augenblick am glücklichen Ausgang zweifeln. Der Einbruch Stephanos, des Boten, der die Rückkehr Portias ankündigt, leitet das Begrüßungsgeschehen ein und droht zunächst die entstandene Atmosphäre zu zerstören (V, 1,28). Lorenzo schlägt vor, ins Haus zu gehen, um den Empfang Portias vorzubereiten: . . . But go we in (I pray thee Jessica), And ceremoniously let us prepare Some welcome for the mistress of the house. (V, 1, 3 6 - 3 8 )

Es zeigt sich, wie sehr Lorenzo und Jessica in Portias Anwesen ,zu Hause' sind. Ihr Vorhaben wird jedoch durch den Einbruch eines zweiten Boten, Launcelots, unterbrochen, der die Ankunft Bassanios ankündigt. Danach überlegt Lorenzo es sich anders; anstatt selbst Vorbereitungen zum Empfang Portias zu treffen, beauftragt er Stephano hiermit und bleibt mit Jessica im Garten, wo die lyrische Szene mit seiner Rede über die Musik fortgesetzt wird. Während Lorenzo und Jessica der Musik lauschen, treten Portia und Nerissa auf. Das in sich versunkene Liebespaar wird sanft aufgestört: Por. ... Peace! - how the moon sleeps with Endymion, And would not be awak'd! [Music ceases.] Lor. That is the voice, Or I am much deceiv'd, of Portia, Por. He knows me as the blind man knows the cuckoo By the bad voice! Lor. Dear lady welcome home! (V, 1, 109-113)

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Im Gegensatz zu anderen Begrüßungen bei Shakespeare treten die Ankommenden auf, ohne von den Begrüßenden zunächst bemerkt zu werden. Diese Variation des Begrüßungsgeschehens macht die allgemeine Vertrautheit der Bewohner Belmonts miteinander deutlich: Lorenzo und Jessica brauchen nicht einmal ihr Liebesnest zu verlassen, um Portia und Nerissa herzlich willkommen heißen zu können. Die Begrüßungsthematik wird fortgesetzt mit Portias Anordnung, den ankommenden Männern nicht zu verraten, daß sie und Nerissa Belmont verlassen hatten (V, 1, 119-121). Der Willkommensgruß Portias an ihren nunmehr auftretenden Ehemann folgt einem beiläufigen Wortspiel, das das familiäre, unoffizielle Verhältnis der Personen zueinander noch einmal verdeutlicht. Lediglich Antonio muß noch ,offiziell' willkommen geheißen werden. Doch auch Portias Willkommensgruß an ihn ist in eine scherzhafte Unterhaltung eingebettet: Por.

... you are welcome home my lord. you madam, - give welcome to m y friend, This is the man, this is Antonio, To whom I am so infinitely bound. Por. You should in all sense be much bound to him, For (as I hear) he was much bound for you. Ant. N o more than I am well acquitted of. Por. Sir, you are very welcome to our house: It must appear in other ways than words, Therefore I scant this breathing courtesy. (V, 1, 1 3 2 - 1 4 1 )

Bass. I thank

Bei dieser Begrüßung fehlt keines der üblichen zeremoniellen Elemente: die von einem Dritten ausgesprochene Aufforderung zum Willkommensgruß, der Hinweis des Begrüßenden darauf, daß er vom ,Wert' des Ankommenden bereits gehört hat, ein Ausdruck der Bescheidenheit von Seiten des Ankommenden und der Hinweis des Begrüßenden beim formellen welcome auf die Unzulänglichkeit der äußeren Form. Auch das Schlu8,-welcome am Ende der Szene fehlt nicht (V, 1, 273). Dabei wirkt der Dialog in keiner Weise steif und formell, sondern vollkommen natürlich, ebenso wie die vorausgegangenen Ankündigungen der Ankunft Portias bzw. Bassanios. Dieser Eindruck ist darauf zurückzuführen, daß in diesem Fall eine vollkommene Übereinstimmung von Ritual und Wirklichkeit besteht. In der Idealwelt Belmonts werden äußere Zeremonien nicht ausgeklammert, sondern harmonisch in die natürlichen Lebensäußerungen integriert. Die Bedeutung der Zeremonie als Zeichen für die natürliche kindness der beteiligten Personen wird dem 126

Zuschauer etwa durch Lorenzos Ankündigung vor Augen geführt, "ceremoniously" ein "welcome" für Portia vorbereiten zu wollen. Durch kunstvolle Verschränkung von Ankündigung und Vorbereitung des Auftritts sowie der Begrüßung von zwei Personengruppen wird in dieser Szene Raum geschaffen für einen längeren statischen Abschnitt, in dem eine idyllische Stimmung aufgebaut werden kann, die auch ein Konzept kosmischer Harmonie mit einschließt.11 Eher als ,episch' ist diese Statik .lyrisch' zu nennen. Ins Drama, eine Literaturgattung, die per definitionem Handlung zur Darstellung bringt, wird also durch verschiedene Kunstgriffe die Zustandsbeschreibung einer Welt eingebaut, die aufgrund ihrer Perfektion unbeweglich, also handlungslos ist. Die Personen haben ein Zuhause gefunden, in dem sie nach dem hektischen Geschehen von Venedig zur Ruhe kommen können. In Much Ado About Nothing steht eine Begrüßungsszene nicht am Ende, sondern am Anfang des Dramas (1,1). Auch sie hat die Funktion, die Vertrautheit der Personen miteinander aufzuzeigen. Das Handlungselement der Ankunft von Don Pedro und seinen Gefolgsleuten aus dem Krieg ist für den Verlauf des Dramas nicht unbedingt notwendig. Die Begrüßungsszene erweist sich jedoch als ein geeignetes Mittel der Exposition. In dieser statischen Szene kommen die Personenkonstellationen des Dramas, vor allem das Verhältnis von Benedick und Beatrice, deutlich zum Ausdruck. Daneben kann auf Benedicks Qualitäten als gentleman, der sich auch als soldier bewährt hat, hingewiesen werden (1,1, 44 und 48). Die Welt des Krieges bildet eine Folie, vor der sich der unbeschwerte Charakter der Welt von Messina abheben kann. Angekündigt wird die Ankunft Don Pedros und seiner Begleiter bereits ganz am Anfang der Szene. Nach einiger Zeit konzentriert sich das Gespräch auf einen der Ankommenden, Benedick (1,1, 28ff.), der schließlich zusammen mit den anderen erwarteten Höflingen auftritt (1,1, 88). Der formelle Willkommensgruß wird hier durch einen freundschaftlich-witzigen Wortwechsel ersetzt. Charakteristisch ist Beatrices Versuch, über die Tatsache, daß sie es ist, die Benedick anspricht und die Begrüßung einleitet, hinwegzutäuschen: Beat. I wonder that you will still be talking, Signier Benedick: nobody marks you. Bene. What, my dear Lady Disdain! Are you yet living? (1,1, 107-109)

11

Siehe ζ. Β. V, 1, 5 8 - 6 5 , 81-82, 9 1 - 9 7 und 107-110.

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Anders als die Schlußszene des Merchant of Venice ist diese Szene durch das Fehlen von Förmlichkeiten bestimmt. Der Grund hierfür dürfte darin liegen, daß es in Much Ado About Nothing nicht so sehr auf die Qualität Messinas als Zuhause ankommt wie im Falle Belmonts. Auch ist die Art der vorherrschenden Heiterkeit eine andere. 12 Lediglich Don John, der Bruder Don Pedros, wird in dieser Szene formell willkommen geheißen: Leon. Let me bid you welcome, my lord, being reconciled to the Prince your brother: I owe you all duty. D. John. I thank you: I am not of many words, but I thank you. (I, 1, 143-147)

Für alle anderen Gäste reicht eine summarische, von Don Pedro seinen Gefolgsleuten übermittelte Einladung Leonatos aus (1,1, 136-141). Don John wird also von vornherein als Außenseiter charakterisiert. Durch das Motiv der Rückkehr von einer längeren Abwesenheit wird dem Zuschauer deutlich gemacht, daß in diesem Drama nur ein Teil des Lebens der beteiligten Personen zur Darstellung kommt. Das dramatische Geschehen erhält gewissermaßen einen epischen Hintergrund. Wie in Titus Andronicus und später in Othello sind die Dramenhelden am Anfang einer Gefahr entronnen, müssen sich jedoch ,zu Hause' noch einmal unter ganz anderen Bedingungen bewähren. In As You Like Lt finden sowohl Rosalind und Celia als auch Orlando nach ihrer Verbannung vom Hof Duke Fredericks in verschiedenen Teilen des Forest of Arden jeweils ein neues Zuhause. 13 Die Reisenden bedürfen schon deshalb der freundlichen Aufnahme, weil sie sonst verhungern würden. Der Ritus des gemeinsamen Essens mit dem Gastgeber beruht in diesem Drama also auf einer konkreten Notwendigkeit. In der Szene II, 4 werden Rosalind, Celia und Touchstone Zeugen eines Dialogs zweier Schäfer über die Liebe; es wird deutlich, daß die 12

Wie im Merchant of Venice der Unordnung von Venedig in der Schlußszene die Riten einer harmonischen Ordnung entgegengestellt werden, so enthält auch die Schlußszene von Much Ado About Nothing rituelle Elemente, die die gestörte Ordnung wiederherzustellen helfen, so das unmasking von Hero (V, 4, 6 0 - 7 1 ) . Zur strukturellen Ähnlichkeit der beiden Dramen vgl. Much Ado About Nothing, ed. A . R. Humphreys (1981), The Arden Shakespeare, Introduction, S. 7 3 - 7 4 .

13

Darauf, daß der Forest auf Arden zwei ganz unterschiedliche Landschaften enthält, den Wald und die Wiesen, auf denen die Schafe weiden, hat A . Stuart Daley hingewiesen: "Where A r e the Woods in As You Like It?", Shakespeare Quarterly 34 (1983), S. 1 7 2 - 1 8 0 .

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Reisenden in eine typisch ,pastorale' Welt gelangt sind. Mit der Bitte, ihnen Nahrung zu verkaufen, wenden sie sich an den Schäfer Corin. Im Gegensatz zu Touchstone, der den Schäfer mit den Worten "Holla, you clown!" (II, 4, 62) anredet, versteht Rosalind die Umgangsformen zu wahren - sie sagt freundlich "Good even to you friend" (II, 4, 67) - und gewinnt auf diese Weise das Vertrauen und die Sympathie des Schäfers, die sich in dessen Willkommensgruß manifestieren. Da er selbst nicht der offizielle ,Hausherr' ist, muß er sein welcome und seine Einladung zum Essen mit einer Einschränkung versehen, doch verliert seine zeremonielle Geste dadurch nicht an Wert: ... and at our sheepcote now By reason of his absence there is nothing That you will feed on. But what is, come see, And in my voice most welcome shall you be. (II, 4, 82-85)

Wo Rosalind und Celia nur um Nahrung gebeten hatten, erhalten sie ein welcome und damit Aufnahme in eine durch kindness geprägte menschliche Gemeinschaft. Durch den Kauf der Schäferei können die verbannten Mädchen nicht nur als Gäste, sondern sogar als Hausherren in der pastoralen Welt ein neues Zuhause erlangen (II, 4, 89-98). Auf die Erschöpfung nach einem mühevollen Weg folgt also das durch die Begrüßung markierte Erreichen eines Ruhepunktes, der eine wesentliche Stufe auf dem Weg zum Reiseziel kennzeichnet. Auch Orlando treibt der Hunger zur Kontaktaufnahme mit Unbekannten. Wie Rosalind und Celia erwartet er in der Einöde ("desert"; 11,6,17) des Waldes gar kein welcome. Er glaubt, nur gewaltsam an Nahrung kommen zu können und überfällt mit gezogenem Schwert die versammelten Höflinge um Duke Senior (II, 7, 88). Der Herzog erinnert ihn an "good manners" und "civility" (II, 7, 93-94), Jaques an "reason" (II, 7, 101). Die gentleness des Herzogs ist es, die auch Orlando zu höfischem Benehmen finden läßt. Durch den Vertrauensvorschuß, der im welcome des Herzogs zum Ausdruck kommt, wird Orlando dazu gebracht, sein Schwert wieder einzustecken und sich in dieser Gesellschaft ,zu Hause' zu fühlen: Duke Sen. What would you have? Your gentleness shall force, More than your force move us to gentleness. Ori. I almost die for food, and let me have it. Duke Sen. Sit down and feed, and welcome to our table. Ori. Speak you so gently? Pardon me, I pray you. I thought that all things had been savage here ... (II, 7, 102-107)

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Durch seine Bitte, noch so lange mit dem Essen zu warten, bis er seinen alten Begleiter Adam hinzugeholt hat (II, 7, 127-133), gibt Orlando zu erkennen, daß er die angebotene Gastfreundschaft annimmt und Vertrauen in die höfische Gesellschaft gefaßt hat. Sein Wunsch, keine Nahrung zu sich zu nehmen, bevor nicht auch Adam etwas zu essen bekommt, läßt zudem seine angeborene gentleness deutlich werden. Seine wesensgemäße Zugehörigkeit zum Kreis um Duke Senior tritt zutage. Die Zwischenzeit bis zu Orlandos Rückkehr wird im wesentlichen durch Jaques' berühmte Rede "All the world's a stage" (II, 7, 139-166) ausgefüllt. Bei der Interpretation dieser Rede wird oft nicht beachtet, daß der aus ihr sprechende Pessimismus im Grunde durch den Kontext Lügen gestraft wird. Dem Melancholiker Jaques fehlt die gentleness des Herzogs, der allein durch die konventionellen Formen der Höflichkeit in der Lage ist, in der Wildnis des Waldes eine Welt aufzubauen, in der Menschen edler Wesensart harmonisch zusammenleben können. Bei der Rückkehr Orlandos mit Adam spricht der Herzog ein erneutes welcome (II, 7, 167). Im Kreis von Duke Senior wird dem alten Diener der gebührende Respekt zuteil; trotz seiner Gebrechlichkeit ist er "venerable" (II, 7, 167). Auch dies ist eine Korrektur von Jaques' Aussage, Alter sei "second childishness and mere oblivion" (II, 7, 165). Auch die weiteren Äußerungen von Gästen und Gastgeber sind Zeichen gegenseitiger kindness: Orlando und Adam bedanken sich beim Herzog, und dieser verschiebt aus Rücksicht auf seine Gäste die Frage nach deren Herkunft (II, 7, 169-172). Während des Liedes "Blow, blow, thou winter wind" (II, 7, 174-193), das die Zeit des Schmausens überbrückt,14 teilt Orlando dem Herzog seinen Namen mit. Dieser stellt fest, daß er Orlandos Vater gut gekannt hat, und spricht auf der Basis dieser Bekanntschaft ein zeremonielles Schluß-we/come, das er auch auf Adam ausdehnt und das die endgültige Aufnahme des Reisenden in seinen Kreis markiert: If that you were the good Sir Rowland's son, As you have whisper'd faithfully you were, And as mine eye doth his effigies witness Most truly limn'd and living in your face, Be truly welcome hither. I am the duke That lov'd your father. The residue of your fortune,

14

Wie Jaques' Rede kontrastiert auch Amiens' Lied, das "man's ingratitude" (II, 7, 176) zum Inhalt hat, mit der in der Szene zur Darstellung kommenden Wirklichkeit.

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G o to m y cave and tell me. G o o d old man, T h o u art right welcome as thy master is . . . (II, 7, 1 9 4 - 2 0 1 )

Nachdem das erste welcome, das der Teilnahme am Essen galt, allein aufgrund der Bedürftigkeit des Reisenden erfolgt war, ist dessen gute Herkunft bzw. vorherige Bekanntschaft jetzt also wie in anderen Dramen die ,Eintrittskarte' in einen Kreis vornehmer Menschen. Es zeigt sich, daß die höfischen Regeln auch in der ,Wildnis' Geltung erhalten können. Das ,dynamische' Geschehen der Entdeckung von Orlandos Identität durch den Herzog wird durch das von Amiens gesungene Lied ,ausgeblendet'. Wie in anderen Begrüßungsszenen ist lediglich die zeremonielle Aufnahme in ein bestimmtes ,Zuhause' von Belang. In dieser Szene geht ein hochdramatisches Geschehen, Orlandos Raubüberfall, in eine statische Szene über, die in der Ausgestaltung einer zeremoniellen Form eine stufenweise gegenseitige Annäherung von Menschen edler Wesensart aufzeigt. Beide Begrüßungen, die Rosalinds durch Corin und die Orlandos durch den Herzog, finden sich auch in der Quelle des Dramas, Lodges Rosalynde, wenn auch nicht in der ausgefeilten Form, die sie bei Shakespeare annehmen.15 Doch auch bei Lodge dienen die Begrüßungen dazu, "courtesy" und "kindness" bei den Beteiligten aufzuzeigen. Bei Lodge wird dies im Erzählerkommentar deutlich.16 Shakespeare ersetzt diesen Erzählerkommentar dadurch, daß er seinen statischen Szenen jeweils ein dynamisches Geschehen voranstellt, mit dem der anschließende ,statische' Austausch von kindness kontrastieren kann: So haben die arroganten Worte Touchstones dem Schäfer gegenüber bei Lodge keine Entsprechung, und anders als bei Lodge möchte sich Orlando bei Shakespeare zunächst mit Gewalt Nahrung erbeuten. Durch diese dramaturgischen Kunstgriffe gelingt es Shakespeare, ein für Epos und Roman typisches Geschehen, das der Demonstration der höfischen Natur von Reisenden dient und die Verdeutlichung individueller Charakterzüge ermöglicht, auf die Bühne zu übertragen. Sowohl Orlando als auch Rosalind finden in diesen Begrüßungsszenen ein Zuhause, in dem sie die Gelegenheit haben, ihre wesensgemäße kindness ,auszuleben', sich also selbst zu verwirklichen, was ihnen am 15 16

Bullough, a.a.O., Bd. 2, S. 187-189 und 196-197. "Coridon hearing the gentlewoman speak so courteously, returned her mildly and reverentlie this answere: 'Fair mistress, we returne you as hearty a welcome, as you gave us a courteous salute . . . " Bullough, a.a.O., Bd.2, S. 188.

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Hof Duke Fredericks verwehrt worden war. Für Orlando, der, wie aus der Anfangsszene des Dramas bekannt ist, keine höfische Erziehung genossen hat und der zunächst nicht wußte, wie er sich der versammelten Gesellschaft um Duke Senior nähern sollte, stellt die formelle Aufnahme in diesen höfischen Kreis eine Art Initiation dar. Von der erreichten Übergangsstufe aus wird er sich einer weiteren Initiation unterziehen können, die ihn auch in der pastoralen Welt Rosalinds ein Zuhause finden lassen wird. Die Ergebnisse dieses Abschnitts lassen sich wie folgt zusammenfassen: In der zweiten Phase seines Schaffens, die von The Two Gentlemen of Verona bis As You Like It reicht, findet Shakespeare zu einer neuen Form der Begrüßungsszene, die es ihm zusammen mit den Abschiedsszenen ermöglicht, epische und romanhafte Stoffe, die ein Reisegeschehen enthalten, auf der Bühne darzustellen. In den meisten Fällen handelt es sich um die Aufnahme von Freunden oder durch gemeinsame Freunde bekannten Personen, die ihre Heimat verlassen haben und sich auf Reisen befinden, in das ,Zuhause' des Begrüßenden. Begrüßungen bringen das gegenseitige Vertrauen und Wohlwollen von Ankommendem und Begrüßendem zum Ausdruck und geben dem Zuschauer somit einen Eindruck von der Bereitschaft und Fähigkeit der jeweiligen Personen zu sozialem Kontakt. Begrüßender und Ankommender gehen schrittweise aufeinander zu, der Begrüßende (wie Silvia oder Portia) etwa durch den Hinweis darauf, daß er vom Ankommenden schon viel gehört hat, der Ankommende (wie Proteus und Antonio) durch Äußerungen der Bescheidenheit. Vor allem im Fall von Orlando und Duke Senior ist dieses Aufeinanderzugehen mehr als bloße Formalität. Beide können nur aufgrund des wiederholten Austausches von Gesten des guten Willens Vertrauen zueinander finden. Durch die Einhaltung der Formen stellen Ankommender und Begrüßender ihre kindness und ihre höfische Wesensart unter Beweis - im Idealfall sind bei Shakespeare diese beiden Begriffe identisch. Einer Person, deren Herkunft bzw. ,Wert' im voraus bekannt ist, wird dabei von vornherein ein Vertrauensvorschuß entgegengebracht. Doch auch Szenen, die eine gestörte Begrüßungszeremonie zur Darstellung bringen, finden sich in Dramen dieser Phase. So kommt es vor, daß die Form der Begrüßung in einem Mißverhältnis zur wirklichen Situation steht, wenn nämlich der Begrüßende gar kein Zuhause anzubieten hat (Love's Labour's Lost) oder wenn der Ankommende Anlaß zur Annahme gibt, daß seine zur Schau gestellte Unterwürfigkeit nur 132

vorgetäuscht ist (Richard II). In diesen Fällen weist einer der Beteiligten auf dieses Mißverhältnis hin und verhindert auf diese Weise den normalen Ablauf der Begrüßungszeremonie. Anders als bei den Abschiedsszenen des gleichen Zeitraums scheint die Form der Begrüßungsszene schon am Anfang der Schaffensphase voll entwickelt zu sein und von Shakespeare zur Verdeutlichung der jeweiligen Situation variiert werden zu können. Zu den typischen Bauelementen gehören die vorherige Ankündigung der Ankunft, der erste Willkommensgruß, der von einem gegenseitigen ,Abtasten' begleitet ist, sowie ein Schlu^-welcome am Ende der Szene, das die gewährte Aufnahme endgültig macht. Gelegentlich wird der zeremonielle Charakter der Begrüßung dadurch hervorgehoben, daß der Begrüßende vorher von einem Dritten zu diesem Gruß aufgefordert wird. Durch die oft vielschichtige Vorbereitung der Ankunft und Begrüßung einer Person wird der Zuschauer auf die Bedeutung dieses Geschehens hingewiesen. Wie Abschiedsszenen sind Begrüßungsszenen in der Regel,statisch'. O f t scheint Shakespeare sogar bewußt auf die Darstellung eines d y n a mischen' Geschehens (wie einer überraschenden Wiedererkennung) zu verzichten, um den zeremoniellen Charakter des Geschehens deutlicher hervortreten zu lassen. Aufgrund ihrer Statik bieten zeremonielle Begrüßungsszenen nicht nur Raum für Informationen über das Reisegeschehen sowie für Charakterschilderung, sondern ermöglichen auch den Aufbau einer bestimmten Stimmung, die die jeweilige Qualität eines Ortes als ,Zuhause' erkennen läßt. Inhalte, die normalerweise lyrischen Literaturformen vorbehalten sind, finden durch statische Szenen also Eingang ins Drama. Bei den Begrüßungsszenen erreicht diese Kunst (die sich bei den Abschiedsszenen etwa in Romeo and Juliet fand) ihren Höhepunkt in der Schlußszene des Merchant of Venice. Für Shakespeares Reisende stellt die Aufnahme an einem fremden O r t oft einen entscheidenden Schritt auf ihrem Lebensweg dar. Dieser Schritt wird im Drama durch die Zeremonie der Begrüßung wiedergegeben, so daß es naheliegt, hierbei von einem ,Ritus des Ubergangs' zu sprechen. Ähnlich wie bei den Helden von Epos und Roman entscheidet es sich bei Shakespeares Personen an entscheidenden Ubergängen wie der Aufnahme in eine fremde Umgebung, ob sie in der Lage sind, ihr ,Reiseziel' zu erreichen. Statische Begrüßungsszenen erweisen sich als geeignetes Mittel, dieses epische bzw. romanhafte Motiv im Drama zur Darstellung zu bringen. So markieren die Begrüßungsszenen etwa bei Proteus, Bolingbroke, Rosalind und Orlando den Ubergang in eine neue Lebensphase. 133

d) Die Begrüßungszenen von Hamlet bis Macbeth: Variation und Problematisierung des Begrüßungsmotivs Einen neuen Charakter erhält die Form der Begrüßungsszene in Hamlet. Zum erstenmal kommt nicht die Begrüßung der reisenden Haupthelden, sondern die von Nebenpersonen in einer ausgedehnten statischen Szene zur Darstellung. In der Szene II, 2 werden verschiedene Formen der Begrüßung nebeneinandergestellt, so daß der Zuschauer einen Vergleich vornehmen kann. Am Anfang stehen zwei offizielle' Begrüßungen durch den König: Zunächst werden Rosencrantz und Guildenstern formell willkommen geheißen (II, 2 , 1 ) . Darauf folgt sogleich der Hamlet betreffende Auftrag des Königs. Die Königin schließt sich in freundlichen Worten diesem Auftrag an und leitet zum Schlußteil dieser Begrüßung über, der in einem formellen Dank an die beiden Höflinge besteht. Hierbei unterläuft dem König ein Versehen, das von der Königin korrigiert wird: Er verwechselt Rosencrantz mit Guildenstern (11,2, 33-34). Durch dieses Versehen wird deutlich, daß Claudius die vollendete Form seiner zeremoniellen Gesten, durch die er seine königliche Art unter Beweis stellen will, nicht immer durchhalten kann. Ein Schluß-we/come wird Rosencrantz und Guildenstern nicht zuteil, offensichtlich aufgrund der Ungeduld des Königs, seinen Auftrag ausgeführt zu sehen. Während die Ankunft von Rosencrantz und Guildenstern nicht vorher angekündigt worden war, teilt Polonius bei seinem Auftritt (II, 2, 40) mit, daß die nach Norwegen entsandten Voltemand und Cornelius zurückgekehrt sind. Gleichzeitig bringt er noch ein weiteres Thema zur Sprache: Er behauptet, die Ursache von Hamlets Irrsinn gefunden zu haben, verschiebt diesen Punkt jedoch auf die Zeit nach der Audienz der Gesandten. Wie der Wortwechsel mit Gertrude zeigt, ist Claudius im Augenblick nur daran interessiert, was Polonius mitzuteilen haben wird. Der Empfang der Gesandten wird hingegen zu einer Nebensache. Diese Haltung ist dem Gegenstand kaum angemessen, handelt es sich doch darum, den Einmarsch fremder Truppen in Dänemark zu sanktionieren. 1 Der König bringt diesen Tagesordnungspunkt' O f t wird übersehen, daß diese Geistesabwesenheit den König zu einer schweren politischen Fehlentscheidung verleitet: Er scheint nicht zu beachten, daß die Vereinbarung mit N o r w e g e n darauf hinausläuft, daß Fortinbras wie geplant in Dänemark einmarschieren wird. Zwar ist Polen das vorgebliche Ziel der Truppen; doch das war es auch schon vor dem dänischen Protest (siehe II, 2, 61-65). Claudius' gedankenloser Kommentar "It likes us well" (II, 2, 80) ist ebenso wie Polonius' Bemerkung "This business is well ended" (II, 2, 85) auf ihre Ungeduld zurückzuführen, endlich über

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mit den üblichen Höflichkeitsfloskeln hinter sich, die in einem Dank, einer Einladung zum Essen und einem Schlu^-welcome bestehen. Die Formulierung der Einladung "at night we'll feast together" (II, 2, 84) verweist hierbei auf die ausschweifenden Gewohnheiten, die Claudius charakterisieren. Zu den formellen Bewillkommnungen stehen die von Hamlet im weiteren Verlauf der Szene II, 2 ausgesprochenen Begrüßungen in einem deutlichen Gegensatz. So verläuft die Begegnung Hamlets mit Rosencrantz und Guildenstern zunächst sehr herzlich. Wie in Much Ado About Nothing zeigt das Fehlen eines formellen welcome am Anfang die Vertraulichkeit des Verhältnisses der Personen an. Die Ankommenden gehen mit der Anrede "lord" auf Hamlet zu; dieser spricht sie jedoch als "friends" an und stellt in höfischer Bescheidenheit eine Ranggleichheit her: 2 Guild. M y honoured lord. Ros. M y most dear lord. Ham. M y excellent g o o d friends. H o w dost thou, Guildenstern? Ah, Rosencrantz. G o o d lads, how do y o u both? (II, 2, 2 2 2 - 2 2 6 )

Wie in Much Ado About Nothing geht das Gespräch in einen geistreichwitzigen Dialog über, der hier allerdings erheblich gedankenschwerer ist. Dann jedoch wird Hamlet aufgrund der förmlichen Art von Rosencrantz und Guildenstern mißtrauisch, erinnert an den "beaten way of friendship" (11,2, 269-270), den die schoolfellows durch ihr formelles "we'll wait upon you" (II, 2, 266) verlassen hatten, und entdeckt, daß diese ihn nicht aus eigenem Antrieb, sondern im Auftrag des Königs besuchen. An diesem Beispiel zeigt sich die Wichtigkeit der Form der Begrüßung für den Aufbau gegenseitigen Vertrauens. Die Bedeutung der Art dieser Begrüßung für den Gesamtzusammenhang des Dramas zeigt sich auch in der folgenden Szene, in der die Königin Rosencrantz und Guildenstern fragt, wie Hamlet sie empfangen habe: D i d he receive you well?

Queen. Ros. M o s t like a gentleman. Guild.

2

But with much forcing of his disposition. (III, 1, 10—12)

Hamlet reden zu können. An diesem Beispiel sieht der Zuschauer, wie sich die Sorgen, die dem König aus der unnatürlichen Art seiner Thronbesteigung erwachsen, auf die Ausübung der Staatsgeschäfte auswirken. Der Umstand, daß Claudius kein legitimer König ist, führt also dazu, daß er auch ein schlechter König ist. Ahnlich verlief auch die Begrüßung des Horatio (sowie die von Marcellus und Bernardo) durch Hamlet (1,2, 160-167). In jener Szene verlagerte sich das Interesse allerdings schnell auf die Geistererscheinung, von der Hamlet Horatio berichtet. 135

Der beim Zuschauer entstandene Eindruck, daß Hamlet die beiden Höflinge zwar formvollendet, doch mit einer gewissen unnatürlichen ,Gezwungenheit' empfangen hatte, wird hier also bestätigt. Die Bedeutung des .Empfangsrituals' wird auch bei der Begrüßung der Schauspieler deutlich, die sich in mehrfacher Hinsicht von der Rosencrantz' und Guildensterns abhebt. Hervorzuheben ist zunächst die mehrfache Ankündigung der Ankunft. Der Dramatiker hat auf diese Weise Gelegenheit, Hamlets emotionale Reaktionen ausgiebig vorzuführen. Nach der ersten Ankündigung der Schauspieler durch Rosencrantz (11,2, 314-317) läßt Hamlet seinem Enthusiasmus sogleich freien Lauf und spricht bereits von einem Willkommensgruß, den er dem Schauspieler, der den König spielt, entbieten möchte (11,2, 318). Eine zweite Ankündigung erfolgt durch einen Trompetenstoß (II, 2, 365). Die Nachricht von den Schauspielern reißt Hamlet aus seiner depressiven Stimmung, während die Ankunft von Rosencrantz und Guildenstern dies nicht vermocht hatte. Zu diesem Zeitpunkt bequemt sich Hamlet, die beiden ,Freunde' willkommen zu heißen. Er begründet dies damit, daß Rosencrantz und Guildenstern nicht annehmen sollen, er würde die Schauspieler wohlwollender empfangen als sie: Gentlemen, you are welcome to Elsinore. Your hands, come then. Th'appurtenance of welcome is fashion and ceremony. Let me comply with you in this garb - lest my extent to the players, which I tell you must show fairly outwards, should more appear like entertainment than yours. You are welcome ... (II, 2, 366-371) Erneut liegt hier ein Beispiel dafür vor, daß Äußerungen über die Begrüßungszeremonie dem Zuschauer wichtige Hinweise für deren Deutung bieten. 3 Gerade Hamlets abwertende Bemerkungen weisen auf die Hinweisfunktion der "ceremony" hin: Hamlet gelingt es nicht, zu verbergen, daß die Schauspieler, was ihn betrifft, in Elsinore weit willkommener sind als Rosencrantz und Guildenstern. Polonius kündigt nunmehr die Schauspieler ein drittes Mal an, und zwar auf recht pompöse Weise. Seine Ankündigung gipfelt in dem berühmten komischen Preis der Schauspieler (II, 2, 392-398). Die bis zu deren Auftritt verbleibende Zeit ist mit einer eigenen Darbietung H a m lets ausgefüllt, die seine Aufregung und seine Begeisterung über die Kunst des Schauspiels deutlich werden läßt. Beim Auftritt der Schau.. his [Hamlet's] insistence on the forms seems designed to leave the spirit of the welcome in d o u b t " ; Hamlet, a.a.O., 11,2, 3 6 6 - 3 6 9 , note.

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spieler ergeht sich Hamlet dann in überschwenglichen, fast übertrieben wirkenden Willkommensbezeugungen (II, 2, 417-425). Mehrere Schauspieler, die er persönlich kennt, spricht er einzeln an. Gleich anschließend bittet er sie um eine Probe ihrer Kunst, nur um sich dann selbst zu produzieren. Am Ende der Szene bittet Hamlet Polonius, die Schauspieler gut zu behandeln. Dieses bereits aus The Taming of the Shrew bekannte Motiv4 erfährt hier eine originelle Ausgestaltung, durch die Hamlet und die Schauspieler charakterisiert werden (II, 2, 518-528). Die Schauspieler haben Hamlets Lebensgeister so weit wiederhergestellt, daß er jetzt auch Rosencrantz und Guildenstern ein höfliches Schluß-we/come entbietet (11,2, 540-541). Es folgt der Monolog, in dem Hamlet seinen Plan entwickelt, den König mit Hilfe des Schauspiels seines Verbrechens zu überführen. Natürlich kann Hamlets Uberschwenglichkeit bei der Begrüßung der Schauspieler auf seine (und Shakespeares) besondere Wertschätzung dieses Berufsstandes zurückgeführt werden. Doch ist dies nicht der alleinige Grund. Wie in anderen Dramen liegt dem Gastgeber daran, die Ankommenden davon zu überzeugen, daß sie sich bei ihm ,zu Hause' fühlen können. Im Unterschied zu den anderen Dramen geht es in Hamlet jedoch nicht um die Bewährung von Dramenhelden in der Fremde, sondern um die Qualität von Dänemark als dem Zuhause der beteiligten Personen: Hamlet ist durch seine Stellung als Königssohn an Dänemark als Heimat gefesselt.5 Dieses Zuhause führt ihn jedoch zu unlösbaren Konflikten, denn Dänemark ist durch die Usurpation des Claudius zu einer Welt geworden, in der kein Vertrauen mehr herrscht und in der jeder eine bestimmte Rolle spielt. Eine solche Welt ist im Grunde nur für diejenigen ein Zuhause, für die das Rollenspiel die eigentliche Bestimmung darstellt, für die Schauspieler also. In seiner augenblicklichen Situation, die auch ihn zum Rollenspiel zwingt, fühlt sich Hamlet nur in ihrer Gesellschaft ,heimisch'. Einen deutlichen Gegensatz zu den Zeremonien in der ersten Hälfte des Dramas bildet das Fehlen von Zeremonialität in der zweiten Hälfte. Dies gilt für die Verabschiedung Hamlets in der Szene IV, 3 6 ebenso wie für seine Rückkehr. Die einzige Begrüßung, die er auf der Bühne erfährt, ist der Satz "Your Lordship is right welcome back to Denmark" (V, 2, 81) aus dem Munde Osrics, wo diese Begrüßung praktisch keine Aussagekraft hat, denn Osric erfüllt lediglich einen Auftrag und ist alles 4 5 6

Siehe o. S. 112. Vgl. u . S . 217. Siehe o. S. 57-58.

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andere als der ,Hausherr' von Elsinore. Hamlet macht darauf aufmerksam, wenn er sagt, zu Horatio gewandt: "Dost know this waterfly?" (V, 2, 82-83). Ein Schluß-we/come unterbleibt charakteristischerweise. Der König spricht bei der Begegnung mit Hamlet gar keinen Willkommensgruß mehr. Er ist nicht mehr fähig (wie noch in der ersten Hälfte des Dramas), sich durch die Einhaltung der üblichen Zeremonien den Anschein von kindness und Königlichkeit zu geben. In Troilus and Cressida finden sich mehrere Begrüßungen zwischen Angehörigen der beiden kriegsführenden Parteien. Zeremonielle politische Begrüßungen, die wie in den frühen Historiendramen eine intakte politische Ordnung kennzeichnen, fehlen jedoch. Es wird in diesem Drama immer wieder deutlich, daß die politische (und gesellschaftliche) Ordnung von Grund auf gestört ist, bei den Trojanern ebenso wie bei den Griechen. Symptomatisch ist bereits die Ankunft des Aeneas im griechischen Lager (I, 3, 214). Das übliche Zeremoniell wird zunächst dadurch verletzt, daß Aeneas seine Ankunft nicht vorher ankündigen läßt. Agamemnon wiederum, der Anführer der Griechen, den Aeneas aufsuchen will, gibt sich nicht zu erkennen. Anstatt den trojanischen Krieger offiziell willkommen zu heißen, macht er sich über den Ankommenden lustig. Auf dessen Bitte, ihm Agamemnon vorzustellen, antwortet er: 7 T h i s T r o j a n s c o r n s u s , o r the m e n o f T r o y A r e c e r e m o n i o u s c o u r t i e r s . ( I , 3, 2 3 2 - 2 3 3 )

Als Agamemnon bemerkt hat, wer der Trojaner ist, redet er ihn mit den Worten an: "Sir you of Troy, call you yourself Aeneas?" (1,3, 244). In diesem respektlosen Ton spricht der Griechenfürst also mit dem Helden, der später, wie die Zuschauer wußten, in göttlichem Auftrag in Italien siedeln würde. Auch wenn schließlich ein Schluß-we/come und eine Einladung zum gemeinsamen Mahl erfolgt - nicht ohne ein charakteristisches Selbstlob des Gastgebers - (I, 3, 307-308), so bleibt doch der Gesamteindruck eines ausgesprochen unhöflichen Agamemnon zurück: Er gibt sich nicht als ,Hausherr' zu erkennen und läßt jeden Respekt vor dem edlen Gast 7

Vgl. die Entgegnung Buckinghams an den L o r d Cardinal, der den jungen D u k e of York nicht aus dem sanctuary herausholen will, in Richard III: You are too senseless-obstinate, my lord, Too ceremonious and traditional . . . (III. 1, 4 4 - 4 5 ) Vgl. auch u. S. 154-155. 138

vermissen. Hiermit verkörpert er das genaue Gegenteil des perfekten gentleman der Renaissance, der seine eigene Größe nicht durch Prahlerei, sondern durch Bescheidenheit sowie durch die Achtung, die er seinem Gast zollt, unter Beweis stellt. Durch sein Verhalten zeigt Agamemnon, daß er unfähig ist, Herrscher zu sein, denn zu den Qualitäten eines Fürsten gehört es auch, bei Bedarf ein "ceremonious courtier" sein zu können, anstatt sich herablassend über die Form hinwegzusetzen. Die mahnenden Worte des Ulysses ("O, when degree is shak'd . . . " ; I, 3,101) erweisen sich als nur allzu berechtigt. Erneut weist die fehlende bzw. gestörte Zeremonie auf eine Störung in einem größeren Zusammenhang hin. Anders ist die Szene geartet, in der Aeneas den Griechen Diomedes empfängt, der Cressida zu ihrem Vater Calchas ins Griechenlager bringen soll. Wie in anderen zeremoniellen Begrüßungsszenen wird der Ankommende durch einen Dritten, Paris, vorgestellt, bevor er vom Gastgeber begrüßt wird. Durch Aeneas' Hinweis darauf, daß sich Paris gerade vom Lager mit Helena erhoben hat (IV, 1 , 4 - 6 ) , wird der Anlaß des Krieges in Erinnerung gerufen. Gleichzeitig wird auf die Zeit hingewiesen, zu der die Szene spielt. Diomedes erwidert den Gruß des Aeneas, beschränkt sein Wohlwollen aber wie dieser ausdrücklich auf den Augenblick der Waffenruhe. Im Kampf werden sich beide wieder nach dem Leben trachten (IV, 1, 11—19). Durch diesen Blick in die Zukunft und den vorausgegangenen Blick in die Vergangenheit (IV, 1, 10-11) zeigen die Beteiligten, daß sie sich ihrer Situation bewußt sind, anders als Agamemnon in der Szene 1,3. Als sich die Gemeinsamkeit der beiden Krieger herausgestellt hat, folgt ein noch herzlicheres Willkommen des Aeneas: ... In human gentleness, Welcome to Troy! N o w by Anchises' life, Welcome indeed! . . . (IV, 1, 21-23)

Paris fällt es zu, das Paradoxe dieser Begrüßungssituation in Worte zu fassen: This is the most despiteful gentle greeting, The noblest hateful love, that e'er I heard of ... (IV, 1, 3 3 - 3 4 )

Erst jetzt, nach dem Austausch von Bekundungen gegenseitiger Achtung, ist vom Grund von Diomedes' Kommen die Rede. Auf der Basis der Ritterlichkeit können Diomedes und Aeneas auf139

einander zugehen und eine Gemeinsamkeit finden. Dieser ritterliche Ehrenkodex unterscheidet sich von den sonst bei Shakespeare vorherrschenden Anschauungen vor allem dadurch, daß sich das Individuum isoliert von einer Gemeinschaft behaupten muß. So fehlt in dieser Szene wie im ganzen Drama der Gedanke der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Zuhause und der Unterordnung unter die Regeln eines Gemeinwesens. 8 An deren Stelle tritt der Stolz des von sich selbst überzeugten einzelnen. In der Welt von Troilus and Cressida suchen edle Menschen Zuflucht zu dieser Ritterlichkeit, da die übliche ,Höfischkeit', die ein geordnetes Gemeinwesen voraussetzt, nicht mehr möglich ist. 9 Die Szene IV, 5 enthält zwei Begrüßungen, von denen die erste, die Begrüßung Cressidas, einem eben (IV, 4) erfolgten Abschied gegenübersteht. Wie in der Szene 1,3 erfolgt hier weder eine Einführung durch einen Dritten noch eine Selbstvorstellung, die ein Vertrauen aufbauen könnte. Cressidas Ankunft wird erst kurz vor ihrem Auftritt angekündigt (IV, 5,13). Agamemnon heißt sie in einer Form willkommen, die zwar etwas übertrieben ist, zunächst aber noch im Rahmen der Höflichkeit bleibt: "Most dearly welcome to the Greeks, sweet lady" (IV, 5,18). Doch dann wird Cressida ganz einfach von allen Griechenfürsten abgeküßt und läßt sich dies auch ohne weiteres gefallen (IV, 5, 18-35). Schließlich übernimmt sie sogar eine aktive Rolle und flirtet mit Menelaus (IV, 5, 36-45). 1 0 Charakteristisch ist die Form der gereimten couplets, durch die die leichtfertige Natur des Flirts deutlich wird. Vollständig demaskiert wird Cressidas Verhalten durch Ulysses, der ihr den Kuß verweigert, den sie erwartet hatte: Uly ss. ... May I, sweet lady, beg a kiss of you? Cress. You may. Uly ss. I do desire it. Cress. Why, beg two. Uly ss. Why then, for Venus' sake, give me a kiss When Helen is a maid again, and his. (IV, 5, 47-50)

Durch ihre allzu große Bereitwilligkeit hat sich Cressida jeden Respekt bei den Griechen verscherzt, wie unter anderem am Fehlen eines Schlußwelcome deutlich wird. Nestors zweideutiger Kommentar "A woman of 8 9 10

Ähnliches gilt f ü r den Empfang des Coriolanus bei Aufidius; siehe u. S. 159. Vgl. o. S. 59 und u. S. 2 4 7 - 2 4 8 . Auch hier läßt sich Shakespeare die Gelegenheit nicht entgehen, auf die Entführung Helenas durch Paris, den Anlaß der Feindseligkeiten, und damit auf die Absurdität dieses Krieges hinzuweisen (IV, 5, 4 3 - 4 4 ) .

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quick sense" (IV, 5,54) leitet über zu Ulysses' ,Interpretation' dieser Begrüßungsszene, einer Deutung, die den Eindruck bestätigt und in Worte faßt, den der Zuschauer bereits gewonnen hat: . . . her wanton spirits look out A t every joint and motive of her body. O , these encounterers, so glib of tongue, That give accosting welcome ere it comes, And wide unclasp the tables of their thoughts To every ticklish reader . . . (IV, 5, 5 6 - 6 1 )

Die Schnelligkeit, mit der sich Cressida bei den Griechen zu Hause fühlt, steht ihrer gereizten Haltung bei der Trennung von Troilus in der vorausgehenden Szene gegenüber. Offensichtlich war die Liebesbeziehung zu hastig zustande gekommen, als daß Troilus ihr ein wirkliches Zuhause hätte bieten können. Eine besondere ironische Pointe besteht darin, daß es nicht, wie Troilus befürchtet hatte (IV, 4, 75-77), das höfische Benehmen der Griechen ist, das Cressida veranlaßt, sich von ihm abzuwenden. Vielmehr läßt sie sich trotz (oder gerade wegen) der unhöfischen Art der Griechen zum Treuebruch verleiten. Die Begrüßung Cressidas ist eingebettet in einen anderen Begrüßungszusammenhang, die Begrüßung der trojanischen Krieger durch die Griechen anläßlich des Zweikampfs von Hector und Ajax, durch den der Krieg beendet werden soll. Von diesem bevorstehenden Kampf handeln bereits die ersten Verse der Szene. Die Signaltrompete der Trojaner, auf die Ulysses und Achilles warten (IV, 5,12), ertönt dann nach der Cressida-Szene (IV, 5, 63). Nach dem "hail" des Aeneas (IV, 5, 65) findet zunächst keine weitere Begrüßungszeremonie statt, sondern beide Seiten gehen sogleich zu den Vorbereitungen des Zweikampfs über. Nach dessen unentschiedenem Ende macht Hector Anstalten zu gehen, doch wird er von den Griechen noch zu einem Festschmaus eingeladen (IV, 5, 147-152). Agamemnon heißt Hector mit einer pathetischen Begrüßungsrede willkommen (IV, 5, 162-170), wobei er dieses welcome ähnlich wie Aeneas in der Szene IV, 1 ausdrücklich auf die Gegenwart beschränkt: . . . What's past and what's to come is strew'd with husks And formless ruin of oblivion . . . (IV, 5, 1 6 5 - 1 6 6 )

Zukunft und Vergangenheit sind "formless", the time is out of joint. Hieran kann auch das freundschaftliche, aber zeitlich begrenzte Zusammensein der Griechen und Trojaner nichts ändern. Symptomatisch ist 141

auch die Begrüßungsrede Nestors, die gleichfalls mit einem welcome schließt (IV, 5, 182-199). Nestors starker Vergangenheitsbezug läßt deutlich werden, daß er wie die anderen Krieger unfähig ist, die Zukunft ins Auge zu fassen. Auch Ulysses heißt Hector gesondert willkommen (IV, 5, 226). Seine Begrüßung ist im Gegensatz zu denen Agamemnons und Nestors frei von Pathos und Prahlerei. Bei ihm wird eine Gemeinsamkeit mit Hector deutlich, der durch die stetige Wahrung der höfischen Form seinen guten Willen bekundet. Ulysses lädt Hector ein, nach dem Schmaus bei Agamemnon auch noch bei ihm zu speisen (IV, 5, 227-228), doch da kommt ihm Achilles in die Quere, der selbst der nächste sein möchte, der Hector bewirtet. An einem Ritual, das ursprünglich ein Ausdruck von kindness war, zeigt sich nun also die Rivalität der Griechenfürsten untereinander.11 Als höfische Zeremonie verliert es auf diese Weise seinen Sinn. Agamemnon spricht als general zwar ein allgemeines Schluß-we/come (IV, 5, 275), kann den anderen Kriegern jedoch ihr eigenmächtiges Handeln nicht verwehren. Seinen Ausklang in diesem Drama findet das Begrüßungsmotiv in der Szene V, 1, in der Achilles Hector in seinem Zelt willkommen heißt (V, 1, 70). Gleichzeitig enthält diese Szene jedoch auch einen Abschied: Hector trennt sich von Agamemnon, Menelaus und Diomedes jeweils mit einem gegenseitigen "good night" (V, 1, 71-86), dem eine symbolische Bedeutung wohl kaum abzusprechen ist. Die befristete Gemeinsamkeit der Griechen und Trojaner geht zu Ende. Wie in Hamlet geht es auch in Troilus and Cressida bei den Begrüßungsszenen nicht um die Bewährung von Dramenhelden in der Fremde. Doch während in Hamlet Dänemark, ein Ort mit bestimmten Charakteristiken, von einer Außenwelt umgeben ist, zu der unter anderem Frankreich und Wittenberg gehören,12 fehlt in Troilus and Cressida jedes Lokalkolorit und jeder Hinweis auf a world elsewhere. Deutlich wird vielmehr die gemeinsame Heimatlosigkeit aller in einer aus den Fugen geratenen Welt, Shakespeares Vision von Waste Land. Auch in All's Well That Ends Well findet sich eine Begrüßungsszene, die mit einer Abschiedsszene korrespondiert: In der Szene I, 2 heißt der

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In der Szene III, 3 faßt Achilles den Plan, Hector zu sich einzuladen, offensichtlich aus dem Wunsch heraus, seine angeschlagene Reputation wiederherzustellen (III, 3, 226-240). Siehe u. S. 217-219.

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französische König den jungen Bertram an seinem Hof willkommen und verbindet diese Begrüßung mit einem Segenswunsch, der dem gleicht, den Bertrams Mutter ihrem Sohn beim Abschied mit auf den Weg gegeben hatte (1,1, 57-60): Youth, thou bear'st thy father's face; Frank nature, rather curious than in haste, Hath well compos'd thee. Thy father's moral parts Mayest thou inherit too! Welcome to Paris. (1,2, 19-22)

Das Thema ,Entwicklung Bertrams' wird auf diese Weise mit seiner Reise in eine direkte Beziehung gesetzt. Der Rahmen der Begrüßungszeremonie mit dem am Anfang und am Ende stehenden welcome (1,2, 22 und 75) gibt Shakespeare die Möglichkeit zu einer langen Rede des Königs, in der dieser ausführlich auf Bertrams Vater zu sprechen kommt, der jenes Ideal verkörperte, das der König der jungen Generation zur Nachahmung empfehlen möchte. O b Bertram hierzu in der Lage sein wird, wird in dieser Szene noch nicht deutlich; seine bescheidenen Antworten entsprechen den üblichen Formen. In dieser Szene wird der König als sympathische Gestalt dargestellt, doch wird auch der Gegensatz zwischen Alter und Jugend deutlich. Der Zuschauer gewinnt ein neues Verständnis dafür, daß sich Bertrams Tatendurst nicht in der Gefolgschaft des Königs erschöpfen kann. Im Gegensatz zu Bertram muß Helena sich ihr Willkommen am französischen Hof erst erkämpfen. Während Bertram durch seinen Vater, der der höfischen Gesellschaft angehört hatte, bereits als Edelmann bekannt ist (ähnlich wie Orlando in As You Like It), kann Helena, deren Familie "poor, but honest" (1,3, 190) war, nur auf Lafews Fürsprache zurückgreifen (II, 1, 60-91). Bevor sie jedoch begrüßt wird, soll sie erst ihr Anliegen benennen (11,1,98). Helena erhält Gelegenheit, ihren Plan vorzutragen, den König zu heilen, doch dieser bleibt ungläubig und entbietet ihr schließlich ein farewell (II, 1, 144). Damit verweigert er ihr auf höfliche Weise den Willkommensgruß, doch Helena bleibt bei aller Demut zielstrebig. Schließlich gewinnt der König Vertrauen zu ihr und trifft mit ihr eine Vereinbarung (II, 1, 184-203). Zum Abschluß spricht er dann ein welcome, auch ohne über Helenas Herkunft genauer unterrichtet zu sein: ... More should I question thee, and more I must, Though more to know could not be more to trust: From whence thou cam'st, how tended on; but rest, Unquestion'd, welcome, and undoubted bless'd ... (II, 1, 204-207) 143

Helena gelingt es, die Unzulänglichkeit ihrer Herkunft durch ihre angeborene höfische Art, ihre Bescheidenheit und ihre Zielstrebigkeit auszugleichen und so den gleichen Vertrauensvorschuß zu erhalten wie Bertram. Durch die parallele Darstellung des zeremoniellen Geschehens der Aufnahme Bertrams und der Helenas am Hof werden deren Reisen und Schicksale nebeneinandergestellt, so daß der Zuschauer zu einem Vergleich eingeladen ist. Hierbei werden grundlegende Unterschiede in Situation und Charakter sichtbar. Gleichzeitig wird durch die strukturelle Parallele das Zusammenkommen der beiden jungen Leute vorbereitet. Einige weitere Willkommensgrüße in diesem Drama verdienen Erwähnung: In der Szene III, 2 kündigt der clown der Gräfin von Roussillon die Ankunft Helenas und zweier Edelleute an (III, 2, 32-33). Nach dem Auftritt dieser drei Personen berichtet zunächst Helena von ihrem Unglück. Danach jedoch heißt die Gräfin die Edelleute in der üblichen Weise willkommen (III, 2, 91-97). Auch im Augenblick tiefer Bestürzung vergißt sie also nicht die Gebote der Höflichkeit. Ähnliches gilt auch für Lafews Empfang bei der Gräfin (IV, 5, 82-89). Keine übliche Begrüßungszeremonie erfolgt bei der Ankunft Helenas in Florenz (III, 5). Die Witwe bietet Helena wie auch anderen Pilgern ein Nachtquartier an, heißt sie aber nicht als Gast der Familie willkommen. Helena gelingt es trotzdem, zu ihrer Wirtin durch eine Einladung zum Essen (III, 5,96 -100), einen rituellen Akt der Höflichkeit also, ein engeres Vertrauensverhältnis aufzubauen. Eine besondere Rolle kommt der Begrüßung des Herzogs in den Schlußversen von Measure for Measure zu. In diesem Drama steht der heimlichen Abreise des Herzogs in der ersten Szene eine zeremonielle Rückkehr in die Stadt zu Beginn der Schlußszene gegenüber (V, 1, 1-19). Diese in den vorhergehenden Szenen mehrfach angekündigte Zeremonie hat die Form einer statischen Begrüßung, ist jedoch von Ironie überlagert: Der Zuschauer weiß ebenso wie der Herzog selbst, daß Angelo, der ihn willkommen heißt, nicht jene „justice" (V, 1,6) geübt hat, die der Herzog an ihm rühmt. Indem nun der Herzog ausdrücklich auf die äußere Form und ihre Hinweisfunktion aufmerksam macht, bereitet er das anschließende dénouement dramatisch vor: . . . Give we our hand, And let the subject see, to make them know That outward courtesies would fain proclaim Favours that keep within . . . (V, 1, 1 4 - 1 7 ) 144

Wenn Angelo sein Amt redlich ausgeübt hätte, würde dies alles stimmen'; Form und Inhalt, Zeichen und Bedeutung wären deckungsgleich, und die Kongruenz mit dem Abschied der Szene 1,1 wäre vollkommen. So aber ist die Zeremonie lediglich eine arrangierte Schaustellung mit dem Ziel, den Widerspruch von Schein und Sein bei Angelo deutlich hervortreten zu lassen. Es charakterisiert die Situation, daß der Herzog seine Rolle bei der Zeremonie voll ausfüllt, während Angelo weitgehend sprachlos ist. Er zeigt durch sein Schweigen, daß er sich der Diskrepanz zwischen dem rituellen Akt und der Wirklichkeit bewußt ist. Die ausgedehnte Begrüßungsszene in Othello kennzeichnet die glückliche Ankunft im Hafen' nach einer überstandenen Gefahr. Cassio, Iago, Desdemona und Othello selbst treffen nacheinander wohlbehalten in Zypern ein, nachdem ein Seesturm die türkische Flotte vernichtet hatte, derentwegen die venezianische Flotte unter Othellos Kommando ausgesandt worden war. Die Szene beginnt mit einer Beschreibung des Seesturms. Von einem Boten wird die Ankunft Cassios angekündigt und die Othellos in Aussicht gestellt (II, 1, 25-29). Um Othello muß jedoch noch etwas gebangt werden, auch wenn Cassio bei seinem Auftritt die Hoffnung auf eine glückliche Ankunft des general bekräftigt (II, 1, 43-51). Ein weiteres Schiff wird gesichtet (II, 1,51) und als das lagos und Desdemonas identifiziert (II, 1, 66). Bei deren Auftritt wird Desdemona von Cassio fast überschwenglich begrüßt (II, 1, 82-87). Es ist die erste Begrüßung der Szene. Cassios Ehrerbietung mag etwas übertrieben wirken, entspricht aber durchaus noch dem höfischen Verhalten eines gentleman. Desdemona weiß sie in der gebührenden Form entgegenzunehmen und lenkt die Aufmerksamkeit sofort wieder auf die noch ausstehende Ankunft Othellos (II, 1, 87-88). Durch die Sichtung eines weiteren Schiffes (II, 1, 91) wird die Angst Desdemonas etwas gemildert, so daß Cassio auch Iago und Emilia willkommen heißen (11,1,96) und Emilia als vollendeter höfischer gentleman einen Kuß geben kann (II, 1, 97-99). Es folgt ein langes witziges Gespräch lagos mit Desdemona, als dessen dramatischen Hauptzweck H. Granville-Barker die Darstellung von Desdemonas "silent anxiety" und die Steigerung der Spannung wohl richtig erkannt hat. 13 Desdemona selbst weist inmitten ihres Gesprächs 13

Siehe Othello, ed. M. R. Ridley (1958), The Arden Shakespeare, II, 1, 109-166, note. Ridley selbst jedoch meint (ebd.): "This is to many readers, and I think rightly, one of the most unsatisfactory passages in Shakespeare." Das Gespräch bewegt sich jedoch 145

mit Iago auf ihre Unruhe wegen des Ausbleibens ihres Gatten hin. Sie fragt, ob jemand zum Hafen gegangen ist (II, 1, 120), und bemerkt: I am not merry, but I do beguile The thing I am, by seeming otherwise ... (II, 1, 122-123)

Auf Othellos bevorstehende Ankunft wird im Verlauf der Szene also immer wieder in variierter Form hingewiesen. Sein Auftritt (II, 1, 181) erscheint auf diese Weise als Schlußpunkt eines Geschehens. Das Wiedersehen von Othello und Desdemona ist dann auch tatsächlich ein so vollkommener Ausdruck gegenseitiger Liebe, wie der Zuschauer es erwartet hatte. Der Sturm, der die türkische Flotte zerstört hat, erhält dabei in Othellos Worten eine metaphorische Bedeutung, so daß der Zuschauer auf den möglichen Symbolgehalt dieses Naturereignisses aufmerksam wird: Oth. O my fair warrior! Des. My dear Othello! Oth. It gives me wonder great as my content To see you here before me: O my soul's joy, If after every tempest come such calmness, May the winds blow, till they have waken'd death, And let the labouring bark climb hills of seas, Olympus-high, and duck again as low As hell's from heaven ... (II, 1, 182-189)

Der Kuß der Liebenden wird noch hinausgezögert, um dann um so stärker ausgekostet zu werden (II, 1, 198). Als commander fühlt sich Othello schon so ,zu Hause' in Zypern, daß er als erster den Weg zur Burg einschlägt und Desdemona ankündigt, sie würde in Zypern ein begehrtes Mitglied der vornehmen Gesellschaft werden (II, 1, 204-205). E s charakterisiert Othellos zur Verabsolutierung einer einzigen Idee neigende Natur, daß er keine anderen Personen eines Grußes für würdig befindet: Er unterrichtet die Versammelten nur kurz vom Untergang der türkischen Flotte, fragt sie ganz oberflächlich nach Neuigkeiten (II, 1, 202-203) und hat für Iago nur den Auftrag übrig, sein Gepäck vom Schiff zu holen (II, 1, 207-208). Der dem Schluϋ,-welcome entsprechende Gruß Othellos ist zwar an alle Anwesenden gerichtet ("Once more, well met at Cyprus", II, 1, 212), wirkt aber recht belanglos neben seiner übergroßen Freude, Desdemona wiederzusehen. durchaus im Rahmen höfischer Konversation, wie wir sie etwa bei Castiglione finden, und wirkt sicher nur in einem von kleinbürgerlichen Vorstellungen geprägten Zeitalter anstößig.

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Die Szene ist ein Meisterwerk dramatischer Technik. Durch die nacheinander erfolgende Ankunft dreier venezianischer Schiffe wird die Szene unter Aufbau einer dramatischen Spannung in die Länge gezogen. Dadurch entsteht ein längerer statischer Abschnitt, der Raum bietet für einen Bericht vom Untergang der türkischen Flotte, Cassios Lobpreis Desdemonas, das witzige Gespräch Desdemonas mit Iago und Othellos Bekundung seiner absoluten Zufriedenheit. Die Charaktere dieser Personen werden auf diese Weise in zahlreichen Facetten zur Darstellung gebracht. Cassios höfisch-galante Art ist für das spätere Eifersuchtsgeschehen ebenso von Bedeutung wie Desdemonas naiv-unbesorgte Freundlichkeit Untergebenen gegenüber, in der sie keinen Widerspruch zu ihrer unbedingten Liebe und Treue zu Othello sieht. Auch lagos Hang zum Zynismus wird herausgestellt, ebenso wie Othellos verhängnisvolle Tendenz, sich einem einzigen Gefühl völlig ungehemmt hinzugeben. Auch in bezug auf die Struktur des Dramas hat die Szene eine wichtige Funktion. Wie in Titus Andronicus und Much Ado About Nothing wähnen sich die Personen nach überstandenen Gefahren an einem Ort der Sicherheit, um gerade dort von dramatischen Verwicklungen überrascht zu werden. So deuten Othellos Worte darauf hin, daß sich die Situation eigentlich nur verschlechtern kann: ... If it were now to die, 'Twere now to be most happy, for I fear My soul hath her content so absolute, That not another comfort, like to this Succeeds in unknown fate. (II, 1, 189-193)

Zukunftsperspektiven fehlen völlig, obwohl die Ankunft von Reisenden an einem neuen Ort bei Shakespeare doch sonst fast immer mit Blicken in die Zukunft verbunden ist. An ihre Stelle tritt hier eine Ungewißheit, die geradezu einer tragischen Vorahnung gleichkommt. Desdemona scheint sich dessen bewußt zu sein und gibt in ihrer Erwiderung ihrer Hoffnung auf ein stetiges Anwachsen ihrer Liebe und ihres Glücks Ausdruck (II, 1, 193-195). Bei näherem Hinsehen zeigt sich also, daß der Eindruck einer perfekten Harmonie, den das Wiedersehen Othellos mit Desdemona als dramatischer Höhepunkt der Szene zunächst erweckt hatte, trügerisch ist. So ist auch auffällig, daß eine Aufnahme in ein neues Zuhause in dieser Szene gar nicht stattfindet. Othello wird von keinem Zyprer begrüßt. Er und Desdemona gehören keiner sozialen Gemeinschaft an und haben in 147

dieser Begrüßungsszene im Grunde nur beieinander ein Zuhause gefunden, nicht aber in Zypern bzw. in einem geordneten sozialen Umkreis. Othello ist sich dieser mangelnden Einbindung nicht bewußt. Im Gegenteil: Er übernimmt wie selbstverständlich die Rolle des Hausherrn, prahlt mit seinen zyprischen Bekannten (II, 1, 205) und beraumt eine allgemeine Festlichkeit an (II, 2). Bei dieser zeigt sich dann, wie wenig er seine Umgebung unter Kontrolle hat und wie fremd er in dieser Umgebung ist. Er sieht die Insel plötzlich in ganz neuem Licht (II, 3, 166-167 und 204-207). Die fehlende soziale Einbindung kompensiert er durch ein übermäßiges Vertrauen auf "honest Iago" - mit verhängnisvollen Folgen. Daß Othello mit den höfischen Umgangsformen nur unzureichend vertraut und somit in der höfischen Gesellschaft nur unvollkommen zu Hause ist, zeigt sich auch daran, daß er die Fürsprache Desdemonas zugunsten Cassios falsch versteht und den Behauptungen lagos über die angeblichen Gewohnheiten verheirateter Venezianerinnen (III, 3, 205-208) allzu bereitwillig sein Ohr leiht. Othellos private Leidenschaften gewinnen schließlich so weit die Oberhand, daß sie ihn auch in der Ausübung seiner öffentlichen Pflichten beeinträchtigen. So tritt Lodovico, der Gesandte aus Venedig, genau zu dem Zeitpunkt auf, zu dem Othello gerade Gewißheit über Desdemonas Untreue gewonnen zu haben glaubt (IV, 1, 210). Zunächst wahrt Othello die Form (IV, 1, 212-214), wobei jedoch auffällt, daß nicht er, sondern Desdemona nach Neuigkeiten fragt (IV, 1, 215) und nur Iago einen Willkommensgruß spricht (IV, 1, 217). Othello fällt es schwer, sich auf den Brief zu konzentrieren, den Lodovico ihm übergeben hat (IV, 1, 222); er versucht es trotzdem (IV, 1, 224). Nach Desdemonas Worten "for the love I bear to Cassio" (IV, 1, 228) verliert er endgültig die Kontrolle über sich. Erst als sie den Raum verläßt, unternimmt er einen erneuten Versuch, seinen zeremoniellen Pflichten dem Gesandten gegenüber nachzukommen: . . . Concerning this, sir, - O well-painted passion! I am commanded here: . . . get you away, I'll send for you anon . . . Sir, I obey the mandate, And will return to Venice: . . . Hence, avaunt! [Exit Desdemona. Cassio shall have my place; and, sir, to-night, I do entreat that we may sup together, You are welcome, sir, to Cyprus . . . Goats and monkeys! [Exit. (IV, 1, 253-259)

Nur mit Mühe gelingt es Othello, die üblichen Förmlichkeiten, die Einladung zum Essen und das Schluß-we/cowe, hinter sich zu bringen. 148

Das Zusammentreffen von privaten und öffentlichen Angelegenheiten führt zu einer neuen Variante des Motivs des gestörten Begrüßungsrituals. Shakespeare stellt ein statisches Geschehen in den Kontext einer bewegten dramatischen Handlung und erzielt auf diese Weise einen verblüffenden Kontrast zwischen dem Staatsmann und dem Privatmann Othello. In King Lear fehlen wirkliche Begrüßungsszenen, obwohl in diesem Drama viele Reisen unternommen werden. Das Ausbleiben von zeremoniellen Begrüßungen kennzeichnet ebenso wie die Störungen bei den Abschiedszeremonien das Auseinanderbrechen jeder staatlichen und menschlichen Ordnung.14 Aufgrund des Schwindens gegenseitiger kindness und gegenseitigen Vertrauens ist das Verhältnis der Personen zur Form der Begrüßung (ebenso wie zur Form des Abschieds) nachhaltig gestört. So wird am Anfang der Szene II, 1 die Ankunft Regans und Cornwalls bei Gloucester angekündigt, ohne daß dann auch tatsächlich eine Begrüßung stattfinden würde. Gloucester, der gerade von Edgars vermeintlichem Komplott gegen ihn erfahren hat, scheint die Kraft dazu zu fehlen. Auf die Frage nach seinem Befinden antwortet er mit einer Äußerung der Klage (II, 1, 89). Erst als Cornwall und Regan einen Grund für ihren Besuch angeben, rafft er sich zu einem Schlu^-welcome auf (II, 1, 128). Wieder einmal manifestiert sich eine Störung der natürlichen Ordnung, Edmunds falsche Anklage, in der Störung eines Zeremoniells. In der Szene II, 4 wird Lear, der bei Regan um Aufnahme bittet, der Willkommensgruß verweigert: Regan und Cornwall waren eilends zu Gloucester gereist, nachdem sie gehört hatten, daß Lear sie aufsuchen wollte (II, 1, 100-103). Dadurch, daß Regan ihr Zuhause verläßt, sucht sie sich ein ,Alibi' zu verschaffen, um ihren Vater nicht bei sich empfangen zu müssen. Bei Gloucester angelangt, nimmt sie die Privilegien, die mit dem Status eines Reisenden verbunden sind, für sich selbst in Anspruch: Sie läßt die Erschöpfung von ihrer Reise als Entschuldigung dafür anführen, daß sie ihren Vater nicht begrüßen kann (II, 4, 85-86). Auf Gloucesters Drängen erscheinen schließlich Cornwall und Regan zu einer kurzen Begrüßung (11,4, 124-125), von der Lear zu Recht argwöhnt, daß sie nicht wirklicher kindness entspringt. Im weiteren

14

Vgl. o. S. 67-71.

149

Verlauf der Szene lehnt Regan dann in deutlichen Worten eine Aufnahme ihres Vaters ab: . . . I am n o w from h o m e , and o u t of that provision W h i c h shall be needful for y o u r entertainment. (II, 4, 2 0 3 - 2 0 4 ) . . . I l o o k ' d n o t for y o u yet, nor a m provided F o r y o u r fit welcome . . . (II, 4, 2 3 0 - 2 3 1 )

Der Sturm beginnt (II, 4,282) und trennt Lear von seinen Töchtern ohne ein Wort des Abschieds. Nachdem Goneril es ihrem Vater gegenüber an der gebührenden Achtung hatte fehlen lassen (1,4), entzieht sich Regan jetzt gänzlich ihren Pflichten als ,Hausherr'. Am Ende der Szene II, 4 gehen beide im Verein mit Cornwall sogar dazu über, Gloucesters Rechte als Hausherr für sich selbst zu beanspruchen, indem sie diesen bereden, Lear schutzlos im Sturm zurückzulassen (II, 4, 286-307). Hiermit überschreiten sie ihre Privilegien als Gäste. Die paradoxe Situation der Szene III, 4, in der Gloucester Gonerils und Regans "commands" zuwiderhandeln muß, um Lear auf seinem eigenen Anwesen wenigstens notdürftig beherbergen und bewirten zu können (III, 4,145-150), wird vorbereitet. Goneril und Regan brechen das Gastrecht also in doppelter Weise und entlarven sich als Verkörperungen von unkindness. Der Rahmen eines zeremoniellen Geschehens führt zu ihrer vollständigen Demaskierung.15 In der Szene IV, 2 heißt Goneril Edmund, der mit ihr zusammen angereist ist, bei sich zu Hause willkommen (IV, 2,1). Die Begrüßung kann jedoch nicht fortgesetzt werden, da Goneril durch Oswald von Albanys feindseliger Haltung erfährt und Edmund sofort zu Cornwall zurückschickt. Die Begrüßungsszene geht in eine kaum weniger knappe Abschiedsszene über.16 In der Welt von Goneril und Regan ist es für niemanden mehr möglich, irgendwo ein Zuhause zu finden und zur Ruhe zu kommen. In King Lear sind alle Dramengestalten ständig im Aufbruch bzw. unterwegs. Am deutlichsten wird dies natürlich bei Lear selbst. In der Anfangsszene des Dramas hatte er sich durch seine Abdankung und durch die Reichsteilung seines Zuhauses begeben.17 Seine letzte Hand15

Zur Demaskierung Gonerils in der Szene 1,4 und der Regans in der Szene II, 4 vgl. Willi Erzgräber, „Reason in Madness - Shakespeares King Lear zwischen Moralität und Tragödie", Anglia 99 (1981), S. 8 3 - 1 1 0 ; S. 9 0 - 9 1 . Auch in der Szene I, 4 stand das Ausbleiben von erwarteten Zeremonien, von "ceremonious affection" (I, 4,57), am Anfang von Lears Erkenntnis der wahren Natur seiner Tochter.

16

Siehe o. S. 70. Vgl. u. S. 219.

17

150

lung als Hausherr war es gewesen, Cordelia zum "stranger" zu erklären (1,1, 114). Während es zuvor vermutlich zu seinen Funktionen gehört hatte, anderen Aufnahme zu gewähren, ist er jetzt selbst auf "welcome and protection" (III, 6,90) angewiesen. Einen Ruhepunkt findet er schließlich in Dover, wo er ansatzweise sogar das Bewußtsein zurückgewinnt, ein König zu sein. Auf seine Frage "Am I in France?" erhält er die Antwort "In your own kingdom, Sir" (IV, 7, 76). Er ist also ,zu Hause'. Kurz vor seinem Tod findet Lear sogar wieder die Kraft zu einem Willkommensgruß (V, 3,288), als er seinen Gefolgsmann Kent wiedererkannt hat. Diese Begrüßung hat zwar keine konkrete Bedeutung mehr, weist jedoch als zeremonielle Geste ebenso wie die Rückübertragung der "absolute power" durch Albany an Lear (V, 3, 297-299) darauf hin, daß sich die natürliche Ordnung wieder einzurenken beginnt. Auch in Macbeth steht die Verletzung der üblichen Formen der Begrüßung in einem engen Zusammenhang mit der Störung der natürlichen Ordnung. Die Zeremonien der Szene 1,4 kennzeichnen noch das geordnete, auf kindness basierende Gemeinwesen mit König Duncan an der Spitze. Durch die Verschwörung Macdonwalds war jedoch deutlich geworden, daß dieses Gemeinwesen verletzlich ist, zumal Duncan feststellt: " . . . He was a gentleman on whom I built / An absolute trust" (I, 4, 13-14). Dramatische Ironie liegt also vor, wenn Duncan unmittelbar nach diesen Worten Macbeth aufs herzlichste begrüßt. Auf diesen Ausdruck der Überraschung und Freude und auf Macbeths Bekundung seiner Loyalität18 folgt der zeremonielle Willkommensgruß, in den auch Banquo mit einbezogen wird (1,4, 27-32). Die Vegetationsmetaphern Duncans verstärken den Eindruck eines harmonisch geordneten Staatswesens. Durch eine weitere zeremonielle Handlung, die mit Macbeth in keinem sichtbaren Zusammenhang steht, die Einsetzung von Malcolm zum Prince of Cumberland und damit zum Thronfolger, wird das Begrüßungsgeschehen unterbrochen. Danach wird es mit Duncans Ankündigung, Macbeth in seinem Schloß in Inverness zu besuchen, weiter18

Bereits in diesen Worten Macbeths (1,4, 22-27) kann mit Coleridge ein falscher Ton und damit ein Bruch der Zeremonie gesehen werden: "And here in contrast with Duncan's 'plenteous joys', Macbeth has nothing but the commonplaces of loyalty, in which he hides himself in the 'air', and in the same language of effort - 'the rest is labour' - at the moment that a new difficulty suggests a new crime"; Samuel Taylor Coleridge, Shakespearean Critiàsm, ed. Thomas Middleton Raysor, 2 Bde. (London, New York, 2 1960 f 1 1930]); Bd. 1, S. 63. 151

geführt. Diese Ankündigung steht an der Stelle der üblichen Einladung zum gemeinsamen Essen. Duncan lädt nicht Macbeth zu sich ein, sondern begibt sich uneingeladen in den häuslichen ,Machtbereich' eines Untertans. Hiermit bringt er diesem einen großen Vertrauensvorschuß entgegen. Macbeth ist praktisch gezwungen, zur Vorbereitung des Empfangs nach Hause aufzubrechen: Dun. . . . From hence to Inverness, And bind us further to you. Macb. The rest is labour, which is not us'd for you: I'll be myself the harbinger, and make joyful The hearing of my wife with your approach; So, humbly take my leave. Dun.

My worthy Cawdor! (I, 4, 4 2 - 4 7 )

In einem aside spricht Macbeth von seinen "black and deep desires" (1,4, 51). Duncan jedoch setzt seine Lobeshymne fort und nimmt Macbeths welcome vorweg: . . . he is full so valiant, And in his commendations I am fed; It is a banquet to me. Let's after him, Whose care is gone before to bid us welcome: It is a peerless kinsman. (I, 4, 5 4 - 5 8 )

Beim üblichen Begrüßungszeremoniell läßt sich der Gast durch das welcome des Gastgebers ermutigen, sich bei ihm ,zu Hause' zu fühlen. Hier jedoch hat Macbeth von einem welcome noch gar nichts gesagt, obwohl er durchaus davon hätte sprechen können. Macbeth besitzt noch zuviel "milk of human kindness" (I, 5,17), um zu jener Täuschung in der Lage zu sein, die in einem welcome liegen würde; Duncan hingegen ist zu naiv, um dieses Anzeichen von Macbeths unkindness zu erkennen. Die Szene I, 4 verweist bereits auf die Ankunft Duncans bei Macbeth in der Szene I, 6. Die Bedeutung dieser Ankunft wird auch durch die Szene 1,5 unterstrichen, in der ein Bote Lady Macbeth Duncans Ankunft ankündigt (I, 5, 31). Macbeth selbst macht bei seinem Auftritt die gleiche Ankündigung (I, 5, 58-59). Über die Anrufung durch Lady Macbeth hinaus (I, 5, 54—55) findet keine Begrüßungszeremonie zwischen Macbeth und seiner Frau statt. Die Aufmerksamkeit wird vielmehr ganz auf die Ankunft des Königs konzentriert: Lady Macbeth fordert ihren Mann zu einem geheuchelten welcome auf ("bear welcome in your eye, / Your hand, your tongue"; I, 5, 64-65) und übernimmt die Organisation des Mordes (1,5, 67-73). 152

Duncans Ankunft selbst (I, 6) erlebt der Zuschauer aus der Sicht des Ankommenden, nicht wie sonst meist aus der des Begrüßenden. Hierdurch kann Shakespeare den vertrauensseligen Charakter des Königs besonders zur Darstellung bringen: Die Beschreibung der Lage des Schlosses durch Duncan (1,6, 1-3) hat, wie Rudolf Stamm feststellt, 19 in erster Linie die Funktion, die Stimmung des Sprechers aufzuzeigen. Bei Lady Macbeths Auftritt wird die übliche Reihenfolge des Austausches von Höflichkeiten umgekehrt: Duncan, der Ankommende, ergreift als erster das Wort und bedankt sich eloquent für eine Bekundung von Liebe und Zuneigung, die noch gar nicht erfolgt ist (1,6, 11-14). Macbeth ist bei der Begrüßung gar nicht anwesend, und auch Lady Macbeth ist zu einem wirklichen welcome offensichtlich nicht in der Lage. Die elaborierte, gewundene Form ihrer Höflichkeiten (I, 6, 14-20 und 25-28) kennzeichnet ihre mangelnde Aufrichtigkeit. Es zeigt sich, daß Duncans Annahme, bei Macbeth ,willkommen' zu sein, im Widerspruch zu der Form der Begrüßung steht, die er bei seiner Ankunft erfährt. Duncan selbst jedoch weiß diese Zeichen nicht zu deuten. Nicht einmal das Fehlen Macbeths läßt bei ihm Zweifel an dessen "great love" aufkommen: Where's the Thane of Cawdor? We cours'd him at the heels, and had a purpose To be his purveyor: but he rides well; And his great love, sharp as his spur, hath holp him To his home before us. Fair and noble hostess, We are your guest to-night. (1,6, 20-25)

Duncans übergroße kindness wird herausgestellt, und das Ausmaß von Macbeths geplantem Verbrechen wird deutlich. Wenn Macbeth den König auf übliche Weise willkommen hieße, wäre die Täuschung des Gastes so eklatant, daß Macbeth beim Zuschauer (wie Klytaimestra in Aischylos' Agamemnon oder Atreus in Senecas Thyestes) nur Abscheu hervorrufen würde. Shakespeare gelingt es jedoch, auch dem Königsmörder Macbeth einen Teil unserer Sympathien zukommen zu lassen: Sein Fehlen bei dieser Begrüßung kennzeichnet ebenso wie seine Wortkargheit in der vorausgegangenen Szene seinen Gewissenskonflikt. Macbeth ist wie die meisten tragischen Helden eine herausragende Persönlichkeit, er hat jedoch einen flaw, "some marked 19

Rudolf Stamm, Shakespeare's the Interpretation

Word-Scenery:

with Some Remarks on Stage-History

of His Plays (Zürich, St. Gallen, 1954), S. 17.

153

and

imperfection or defect", wie Bradley sagt,20 der hiermit den aristotelischen Begriff der hamartta als ,Charakterfehler' interpretiert und auf Shakespeare anwendet. Aufgrund dieses flaw, der in seiner ambition besteht, wird er zum Opfer der Kräfte des Bösen. Natürlich entbindet das fehlende welcome Macbeth nicht von den Pflichten eines Hausherrn einem Fremden gegenüber, nachdem dieser sich ihm als Gast anvertraut hat. Nicht nur als König, sondern auch als Reisender kann Duncan Macbeths besonderen Schutz erwarten. Hierauf weist Macbeth selbst hin, in seinem Monolog am Anfang der Szene I, 7, seiner ersten Äußerung nach Duncans Ankunft: ... He's here in double trust: First, as I am his kinsman and his subject, Strong both against the deed; then, as his host, Who should against his murtherer shut the door ... (I, 7, 12-15) Auch Lady Macbeth spricht von Duncans "hard journey" (I, 7, 63). 21 Schließlich wird in Banquos Mitteilung "This diamond he greets your wife withal, / By the name of most kind hostess . . . " (II, 1, 15-16) das Begrüßungsmotiv noch einmal variiert. Für Duncan besteht das Verhältnis zu Macbeth in einem intensiven gegenseitigen Austausch von Zeichen der kindness. Von der Szene I, 4 bis zur Szene II, 1 stellt Shakespeare Duncans Ankunft bei Macbeth von verschiedenen Blickwinkeln aus dar. Hiermit macht er deutlich, wieviel Macbeth durch den Königsmord an natürlicher kindness zerstört. Diese Zerstörung zeigt sich unter anderem bei der Ankunft von Macduff und Lenox am Morgen nach der Tat, wo sich die Begrüßung durch Macbeth auf ein kurzes "good morrow" (II, 3,43) beschränkt. Zu einer ausgedehnteren Begrüßungszeremonie ist Macbeth nicht mehr fähig. So muß auch Macbeths Versuch scheitern, natürliche kindness durch einen zeremoniellen Festschmaus vorzutäuschen (111,4): Die Szene beginnt mit einer förmlichen Begrüßung der Gäste durch Macbeth und Lady Macbeth. Der rituelle Charakter dieser Begrüßung kommt dadurch zum Ausdruck, daß Macbeth nach seinem eigenen welcome (III, 4, 1-2) auch noch seine Frau zu einem Willkommensgruß auffordert,

20 21

Bradley, a.a.O., S. 25. Das Motiv ,Schutzbedürftigkeit von Reisenden' wiederholt sich in der Szene III, 3, wo einer der Mörder, die auf Banquo warten, die Tageszeit mit den Worten beschreibt: " N o w spurs the lated traveller apace, / To gain the timely inn . . . " (111,3, 6 - 7 ) .

154

woraufhin sie ihn bittet, ihr welcome für sie auszusprechen (III, 4, 5-8). Die Gäste setzen sich nach "degrees" (111,4,1) geordnet an die Tafel, und dem geordneten Ablauf des Beisammenseins scheint nichts mehr im Wege zu stehen. Doch wird der Festschmaus bald durch das Auftreten von Banquos Mördern und das Erscheinen von Banquos Geist gestört. Macbeth ist nicht mehr in der Lage, seine Rolle bei der Zeremonie, auf deren Bedeutung ihn seine Frau ausdrücklich hinweist ("the sauce to meat is ceremony"; III, 4, 35), weiterzuspielen. Es wird deutlich, daß er sich durch seine Bluttaten unwiderruflich außerhalb jeder menschlichen Gemeinschaft angesiedelt hat. In Macbeth bestätigt sich die dramatische Funktion von Zeremonien als Indikatoren für das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein einer auf gegenseitiger Zuneigung der beteiligten Personen basierenden Gemeinschaft. Es zeigt sich, daß Shakespeare in der Schaffensperiode, die von Hamlet bis Macbeth reicht, in den Begrüßungsszenen ähnlich wie in den Abschiedsszenen des gleichen Zeitraums ein bestimmtes Grundmuster auf vielfältige Weise variiert. Formal ist zu beobachten, daß eine Ankunft jetzt oft mehrfach angekündigt bzw. auf andere Weise vorbereitet wird. Hierdurch wird dramatische Spannung erzeugt und die Bedeutung der jeweiligen Ankunft herausgestellt. Außerdem entsteht ein längerer Abschnitt, in dem die Bühnenhandlung zum Stillstand kommt, so daß Raum ist für eine genauere Darstellung von Charakteren und Personenkonstellationen. Nicht selten werden in den Dramen dieser Phase auch verschiedene Begrüßungen nebeneinandergestellt, so daß der Zuschauer die Möglichkeit zum Vergleich hat, so in Hamlet, Troilus and Cressida und All's Well That Ends Well. Begrüßungen bieten auch in den Dramen dieser Phase Ankommenden und Begrüßenden die Gelegenheit, ihren gegenseitigen Respekt und ihre kindness zum Ausdruck zu bringen und somit ein Vertrauensverhältnis herzustellen. Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Reise für die Reisenden keinen entscheidenden Schritt auf ihrem Lebensweg darstellt. Bei den meisten Begrüßungen dieser Schaffensperiode ist die Bekundung von kindness jedoch in irgendeiner Weise gestört: Es gibt Abweichungen vom ,Protokoll', die für die jeweilige Situation symptomatisch sind: So werden Aeneas und Cressida im griechischen Lager nicht mit dem gebührenden Respekt empfangen; Othello (IV, 1), Gloucester (II, 1) und Macbeth (III, 4) sind von anderen Dingen zu sehr in Anspruch genommen, als daß sie ihre zeremoniellen Pflichten erfüllen könnten. Helena muß sich beim französischen König ihr Willkommen 155

erst erkämpfen, Lady Macbeths Worte an Duncan sind geheuchelt, und Lear bleibt gar eine Aufnahme bei seiner Tochter gänzlich versagt. Das Begrüßungsmotiv wird in den Dramen dieser Phase also auf verschiedene Weise problematisiert. Aus der jeweiligen Art der Gestaltung einer Begrüßung kann der Zuschauer ersehen, ob das zu erwartende gegenseitige Wohlwollen der beteiligten Personen auch wirklich vorhanden ist oder ob Unterschiede zwischen Aussage und Wirklichkeit, zwischen Schein und Sein bestehen, wie dies gerade in den großen Tragödien oft der Fall ist. e) Die Begrüßungsszenen von Antony and Cleopatra bis The Tempest: Begrüßung als Ritual der Rückkehr und der Versöhnung In Antony and Cleopatra findet sich zunächst ein weiteres Beispiel einer politischen' Begrüßungsszene: Auf Betreiben von Lepidus treffen sich die beiden großen Antagonisten Caesar (Octavianus) und Antony zu Verhandlungen. Caesars welcome und Antonys Dank sind ausgesprochen knapp und kühl (II, 2,28), und beide gehen ohne weitere vertrauensbildende Höflichkeiten zur Tagesordnung über. Es wird deutlich, daß Antonys Ankunft gerade keine ,Rückkehr nach Hause' darstellt. Das in der Unterredung schließlich erzielte Einvernehmen ist lediglich politischer Art (11,2, 144-153). Anschließend begrüßt Agrippa seinen Freund Enobarbus, der mit Antony aus Ägypten gekommen ist. Dieses Gespräch, das mit einem welcome beginnt (11,2, 171) und mit einer Einladung Agrippas an Enobarbus, sein Gast zu sein, endet (II, 2, 244-245), ist sehr herzlich und gibt somit einen deutlichen Kontrast zur Kühle Antonys ab. Das Gespräch, das von Cleopatra und Ägypten handelt und die Erinnerung des Zuschauers an die ägyptische Welt wachhält, 1 ist eine Plauderei, wie sie nur unter Freunden möglich ist. Während Antony wieder nach Ägypten strebt, bleibt Rom das wesensgemäße Zuhause von Octavia, Caesars Schwester, die Antony aus politischen Gründen geheiratet hat. So muß es zum Bruch kommen, und Octavia kehrt nach Rom zurück. In der Szene III, 6 heißt Caesar seine Schwester ebenso überschwenglich willkommen, wie er ihr in der Szene III, 2 ,leb wohl' gewünscht hatte. Der eigentlichen Begrüßungszeremonie geht hierbei ein langer Wortwechsel voraus: Caesar nimmt das

1

Vgl. u. S. 216-217.

156

Fehlen einer vorherigen Ankündigung der Ankunft Octavias, das heißt die Verletzung eines Punktes der üblichen Form, zum Anlaß, Antony der Abtrünnigkeit zu bezichtigen. Ein zeremonielles Element dient also erneut als sichtbares Zeichen für die Stellung der Personen eines Dramas zueinander: Oct. Hail, Caesar, and my lords! Hail, most dear Caesar! Caes. That ever I should call thee castaway! Oct. You have not call'd me so, nor have you cause. Caes. Why have you stol'n upon us thus? You come not Like Caesar's sister: the wife of Antony Should have an army for an usher, and The neighs of horse to tell of her approach, Long ere she did appear ... (Ill, 6, 39-46) Die Art von Octavias Ankunft habe ihn an der "ostentation" seiner Liebe, an einem "augmented greeting" gehindert (III, 6, 52 und 55), sagt Caesar, der die Bedeutung einer solchen Zurschaustellung hervorhebt (III, 6, 5 2 - 5 3 ) . 2 Octavia hingegen zeigt gerade durch ihr Festhalten an der Form und durch ihren Widerspruch gegen Caesars Tadel ihre römische Tugendhaftigkeit an, die die unbedingte Loyalität zum Ehemann mit einschließt. Erst nach einer langen Rede über Antonys Abtrünnigkeit geht Caesar zu seinem zeremoniellen Willkommensgruß über, in dessen Verlauf er seiner Schwester nicht weniger als viermal ein welcome entbietet (III, 6, 78, 85, 90 und 98) und außerdem mehrfach seine Zuneigung bekundet. Auch Agrippa und Maecenas schließen sich diesem Willkommensgruß an (III, 6, 9 0 - 9 1 ) . Charakteristisch sind auch Caesars Ermutigungen ("Cheer your heart", "Best of comfort"; III, 6, 81 und 89) und seine Mahnung zur Geduld angesichts eines unabwendbaren Schicksals (III, 6, 8 2 - 8 5 und 9 8 - 9 9 ) . Im Gegensatz zu den meisten früheren Begrüßungsszenen Shakespeares schildert diese Zeremonie nicht das Erreichen eines neuen Zuhauses, sondern eine Rückkehr in die alte Heimat. Das Ritual dient hierbei nicht so sehr dem Aufbau von Vertrauen wie der Zurschaustellung der Zugehörigkeit der begrüßten Person zu einem Ort und einer Gemeinschaft. Es ist nun nicht so, daß Octavias Schicksal als Einzelperson im 2

Die genaue Textgestalt und Bedeutung der Worte "which, left unshown, / Is often left unlov'd" ist umstritten; siehe Antony and Cleopatra, ed. M. R. Ridley (1954), The Arden Shakespeare, III, 6, 52-53, note. Klar ist jedoch, daß nach Caesars Ansicht das Faktum seiner Liebe von angemessenen äußeren Zeichen begleitet sein sollte.

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Gesamtrahmen des Dramas besonders wichtig wäre. Im weiteren Verlauf der Handlung wird sie keine Rolle mehr spielen. Vielmehr wird durch das ausgedehnte Begrüßungsritual die Qualität Roms als Zuhause hervorgehoben. Die Szene hat die Funktion, typisch römische Empfindungen vorzuführen und Caesars Bereitschaft deutlich werden zu lassen, gegen Antony für die römischen Werte zu Felde zu ziehen, wie sie unter anderem von Octavia verkörpert werden. Auch in Coriolanus kommt bei der Gestaltung von Abschied und Begrüßung eine Verquickung der politischen mit der privaten Ebene zum Ausdruck. In diesem Drama liegt der seltene Fall vor, daß eine Begrüßungsszene (II, 1) einer mit ihr korrespondierenden Abschiedsszene (IV, 1) vorausgeht, anstatt ihr zu folgen: In der Szene II, 1 kehrt Coriolanus siegreich von der Schlacht gegen die Volsker zurück und wird vom Volk, seiner Familie (seiner Mutter und seiner Frau) sowie von Freunden aus dem Patrizierstand willkommen geheißen. Wie bei Octavia in Antony and Cleopatra wird also eine Rückkehr in einer zeremoniellen Szene dargestellt. Angekündigt wird Coriolanus' Auftritt von seiner Mutter Volumnia (II, 1, 99-100). Trotzdem erfolgt beim Auftritt des siegreichen Helden zunächst eine öffentliche' Begrüßung: Ein Herold spricht als erster die Worte "Welcome to Rome, renowned Coriolanus!" (II, 1, 165), die vom versammelten Volk wiederholt werden. Coriolanus jedoch sträubt sich gegen diese Begrüßung. Mit den Plebejern, die er schon früher als "curs" (1,1, 167) beschimpft hatte, möchte er nichts zu tun haben. Die Begrüßung durch Volumnia, Virgilia und Menenius hingegen verläuft ausgesprochen harmonisch. Zunächst kniet Coriolanus vor seiner Mutter nieder (II, 1,170) und begrüßt seine in Tränen ausgebrochene Frau (II, 1, 174-178). Nach dieser Kontaktaufnahme sprechen Volumnia und Menenius nacheinander ihr welcome, das sie auch auf Coriolanus' Begleiter, Cominius, Titus Lartius und die übrigen Soldaten, ausdehnen (11, 1, 180-182). Zum Abschluß kündigt Coriolanus an, noch seine patrizischen Freunde aufzusuchen, bevor er in sein eigenes Haus zurückkehrt (II, 1, 193-194). Die Bereiche der Familie und die patrizischen Freunde lassen sich für Coriolanus problemlos miteinander verbinden. In beiden Bereichen ist er ,zu Hause'. Obwohl er die typischen römischen Charaktereigenschaften, Tapferkeit und Hochmut, in Vollendung verkörpert, kann er jedoch in Rom kein allgemeines' Zuhause finden, da er nicht in der Lage ist, auch den Willkommensgruß des gemeinen Volkes entgegenzunehmen. 158

Sein Haß auf das Volk und seine Unfähigkeit zur Diplomatie hindern ihn selbst an dem geringsten Zeichen von kindness den Plebejern gegenüber.3 Gerade bei seinem ärgsten Feind, dem Volsker Tullus Aufidius, sucht Coriolanus nach seiner Verbannung ein neues Zuhause (IV, 5). In seinem Haß auf Rom fühlt er sich ihm allein wesensverwandt.4 Doch muß sich Coriolanus bei Aufidius sein welcome erst erkämpfen. Durch Aufidius' mehrfach wiederholte Frage "what's thy name?" (IV, 5, 55, 58, 60, 63 und 65) und durch Coriolanus' Zögern wird das Faktum, daß letzterer sich in Feindesland befindet, besonders herausgestellt. Die Bedeutung von Coriolanus' Schritt, zu den Volskern überzulaufen, kommt dann in den beiden langen Reden der ehemaligen Kontrahenten zum Ausdruck. Coriolanus macht das Angebot, auf der Seite der Volsker gegen Rom zu kämpfen, und Aufidius nimmt Coriolanus in sein Zuhause auf. Nur Aufidius' Rede ist .statisch'. Sie enthält zahlreiche Bekundungen der Zuneigung, die durch die Kontrastierung mit der früheren Feindschaft ein besonderes Gewicht erhalten, und schließt mit einem formellen welcome: . . . But come in. Let me commend thee first to those that shall Say yes to thy desires. A thousand welcomes! And more a friend than e'er an enemy Yet, Martius, that was much! Your hand: most welcome! (IV, 5, 1 4 4 - 1 4 8 )

Es ist bezeichnend, daß die Begrüßungsrede des Aufidius in der Quelle des Dramas, Norths Plutarch, fehlt, während sich etwa Coriolanus' Rede sehr eng an sie anlehnt.5 Erneut bereichert Shakespeare also einen Stoff bei der Dramatisierung durch eine statische Szene, eine Ausdrucksform für Inhalte, die auf andere Weise dramatisch nicht darstellbar sind. Wie bei der Begrüßung des Diomedes durch Aeneas in Troilus and Cressida wird hier ein Kriegsgegner im eigenen Lager willkommen geheißen. Das Begrüßungsritual läßt in beiden Fällen eine Gemeinschaft edler Menschen über militärische Fronten hinweg deutlich werden. Eine solche Gemeinschaft findet sich also auch in Dramen, die wie Troilus and Cressida und Coriolanus oft als Ausdruck einer tief pessimistischen Weltsicht verstanden werden. Allerdings kann sich das edle Menschentum 3

4

Von einem solchen Zeichen wird einer der Bürger sprechen, wenn er auf Coriolanus' Frage nach dem Preis seiner Stimme antwortet: "The price is, to ask it kindly" (II, 3, 75). Eine kleine zeremonielle Geste würde also ausreichen, um in Rom ein harmonisches Zusammenleben der Stände mit Coriolanus als Konsul an der Spitze in die Wege zu leiten. 5 Vgl. Mehl, Tragödien, S. 230. Vgl. o. S. 78 zur Abschiedsszene (IV, 1).

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in diesen Dramen nur in der Form einer Ritterlichkeit manifestieren, bei der die Integrität des Individuums einer als korrupt empfundenen Welt entgegengestellt wird.6 In Cymbeline fällt zunächst auf, daß eine Ankunft, die des Posthumus in Rom, nicht szenisch dargestellt wird. Die Szene 1,5, in der Philario ihn seinen Freunden vorstellt, geht vielmehr sogleich in ein sehr lebhaftes Gespräch über, das zu der fatalen Wette von Posthumus und Iachimo führt. Offensichtlich verzichtet Shakespeare hier auf eine Begrüßungsszene, um nicht den Eindruck zu erwecken, daß Rom für Posthumus zu einem Zuhause wird: Solange sich Posthumus nicht bei Imogen aufhält, erscheint er als ,heimatlos', ist in keine Gemeinschaft integriert und in seiner Ritterlichkeit auf sich allein gestellt.7 Ein richtiges Willkommen erhält hingegen Iachimo, der in der Szene I, 7 von Imogen begrüßt wird. Diese stellt ihre höfische Art dadurch unter Beweis, daß sie den Ankommenden sofort wie einen Gast empfängt, obwohl sie ihn nicht kennt und er völlig unangekündigt eintrifft (I, 7,14). Als sie durch Posthumus' Empfehlungsschreiben Vertrauen zum Fremden gewonnen hat, wiederholt sie ihr welcome mit besonderem Nachdruck (I, 7, 29-31). Dieses Vertrauen wird sich als ungerechtfertigt erweisen; trotzdem wirkt es bei Imogen nicht als Ausdruck von Naivität, sondern von natürlicher kindness und Zuversicht. In Anbetracht dieses Charakters erstaunt es auch nicht, daß sich Imogen nach Iachimos ,Anträgen' so schnell davon überzeugen läßt, er habe sie nur auf die Probe stellen wollen (I, 7, 156-168), und dann auch noch bereit ist, ihm einen Dienst zu erweisen (1, 7, 180-196). Als abschließender Vertrauensbeweis fehlt weder die Einladung, noch ein paar Tage bei ihr zu verweilen (I, 7, 199-204), noch das ScbX\i&-welcome (I, 7, 210). Diese zeremonielle Begrüßung bringt nicht nur Imogens Zutrauen in das Wohlwollen Fremder zum Ausdruck, sondern auch ihre königliche Natur: Obwohl sie selbst im Palast eine Gefangene ist, fühlt sie sich noch als Hausherrin, die Fremden Aufnahme gewähren kann. In der Szene III, 1, einer politischen' Begrüßungsszene, empfängt Cymbeline den römischen Gesandten Lucius, der gekommen ist, ausstehende Tributzahlungen anzumahnen. Lucius' Ankunft war in der Szene II,3 (53-54) von einem Boten angekündigt worden. Cymbeline hatte auf die Ankündigung mit der Erklärung reagiert, er werde den Gesandten "according to the honour of his sender" (II, 3, 57) empfangen. 6

Vgl. u. S. 2 4 6 - 2 4 8 .

160

7

Vgl. u. S. 248.

Entsprechend ,korrekt' ist dann auch die formelle Begrüßung, von der der Zuschauer nur den Schlußteil zu sehen bekommt. Auf die Auseinandersetzung folgt trotz der Kriegserklärung des Lucius (III, 1, 62-68) ein welcome Cymbelines (III, 1,69). Cloten wiederholt diesen Willkommensgruß und verbindet ihn mit der Einladung, noch ein paar Tage am britischen Hof zu verweilen (III, 1, 78-79). Hiermit zeigt er, daß er selbst den Anspruch erhebt,,Hausherr' in Britannien zu sein. Ein formelles Schlu^-welcome des Königs schließt die Szene ab (III, 1, 86). Wie später bei der Verabschiedung der Gesandtschaft (III, 5) 8 zeigt Cymbeline durch die Einhaltung der Konventionen seine königliche Natur an, ohne freilich die Kraft zu haben, den abwegigen Ansichten der Königin und ihres Sohnes, die ihn bei den Unterhandlungen zunächst gar nicht haben zu Wort kommen lassen (III, 1, 10-46), entgegenzutreten. Einen völligen Gegensatz zu dieser politischen Sphäre bildet die Welt von Belarius, Guiderius und Arviragus auf den Hügeln von Wales, in der Imogen nach ihrer Flucht vom Hof Aufnahme findet (III, 7). Daß diese Welt Imogen freundlich gesonnen sein wird, wird dadurch angedeutet, daß Belarius und seine,Söhne' ebenso wie Imogen im vorausgegangenen Monolog (III, 6) über Müdigkeit und Hunger klagen (III, 7, 5-10), daß also von vornherein eine Gemeinsamkeit zwischen Ankommendem und Begrüßenden gegeben ist. 9 Bei der Begegnung mit den drei Männern glaubt Imogen zunächst, sich gegen den Vorwurf des Diebstahls verteidigen zu müssen. Die Männer, die von Anfang an von der Schönheit des ,Knaben' überwältigt sind (III, 7, 15-17), können Imogen jedoch durch Worte der Begrüßung schnell von ihrer kindness überzeugen: Belarius entbietet ihr, als er sie nach ihrem Reiseziel und ihrem Namen gefragt hat, den Willkommensgruß und verbindet ihn mit einer Einladung zum Essen. Auch seine ,Söhne' werden aufgefordert, den ,Knaben' willkommen zu heißen: ... Well encounter'd! 'Tis almost night, you shall have better cheer Ere you depart; and thanks to stay and eat it: Boys, bid him welcome. (Ill, 7, 38-41) 8 9

Siehe o. S. 89. Vgl. Cymbeline, a.a.O., III, 7, 9, note 2. Doch ist diese "idyllic atmosphere" wirklich „unreal", wie Nosworthy meint? Liegt in der Erwähnung von Müdigkeit und Hunger bei Reisenden und bei Jägern nicht ein sehr realistischer Zug? Wie sich zeigt, ist das Geschehen dieses Dramas durchaus nicht "quite unhampered by any considerations of verisimilitude", wie E. C. Pettet behauptet, a.a.O., S. 163. Vgl. u. S. 226-229.

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Wie bei Orlando in As You Like It erweist sich in der Wildnis der Sinn der üblichen höfischen Umgangsformen; durch die Bedürftigkeit der Begrüßten bekommt das Ritual seine ursprüngliche Funktion zurück. Das welcome erscheint hier in der elaborierten Form "well encounter'd", durch die die wörtliche Bedeutung dieses Grußes betont wird. 10 Wie in anderen Fällen macht die vorhergehende Aufforderung aus dem Willkommensgruß einen besonderen zeremoniellen Akt. Die kindness der beiden jungen Männer geht dabei deutlich über das hinaus, was einem Fremden gebührt: Guiderius scheint zu ahnen, daß Imogen ein Mädchen ist (III, 7, 41-43), und Arviragus will den Gast wie einen Bruder lieben (III, 7, 43-47). Arviragus verbindet dieses welcome mit einer besonderen Ermutigung: "Be sprightly, for you fall 'mongst friends" (111,7,47). Hiermit wird der Status des Angekommenen als Dazugehörigem ,formell' bestätigt. Durch die Einladung zum Essen und ein Schlu^-welcome wird die Begrüßungszeremonie abgeschlossen. In Belarius' Ankündigung, den Ankommenden erst nach dem Essen nach seiner Geschichte zu fragen, liegt erneut eine Parallele zur Aufnahme Orlandos im Forest of Arden vor. Wie dort bezeichnet die Einhaltung eines Zeremoniells die Zusammengehörigkeit der Beteiligten in einem sozialen Gefüge, das von wirklicher kindness geprägt ist: Bei.

. . . Fair youth, come in; Discourse is heavy, fasting: when we have supp'd We'll mannerly demand thee of thy story, So far as thou wilt speak it.

Pray, draw near. Gui. Arv. The night to th' owl and morn to th' lark less welcome.

(Ill, 7, 62-66)

Die Widrigkeiten des Schicksals werden durch höfische manners überwunden. Gerade auch außerhalb des Hofes, in der Wildnis, bewährt sich das Renaissance-Ideal des cortegiano. Doch nicht nur das Zusammentreffen edler, höfischer Menschen wird in dieser Szene dramatisiert. Die Äußerungen der Brüder bei der Begrüßung und die Imogens in ihren asides lassen vielmehr eine noch weitergehende Gemeinschaft deutlich werden. Beide Seiten sprechen von der anderen in Superlativen (III, 7, 15—17 und 54-59). Als Arviragus von "friends" spricht, spielt Imogen auf eine andere Bedeutung dieses Wortes an: "'Mongst friends? / If brothers . . . " (III, 7, 47-48). Brüder sind 10

Vgl. die elaborierten farewells

162

in den späten Dramen; siehe o. S. 68, 90 und 93.

„friends" in der Bedeutung,Familienangehörige". 11 Die Beteiligten erahnen also gewissermaßen die zwischen ihnen tatsächlich bestehende Gemeinschaft und die königliche Abkunft des bzw. der anderen. Der Schauplatz erweist sich, wie Wilson Knight sagt, als "sanctuary of natural royalty", wo Imogen und ihre Brüder beieinander ,zu Hause' sind. 12 Zusätzlich zu der Charakterisierung der Beteiligten erfüllt diese Szene also auch eine strukturelle Funktion: Die Begegnung mit ihren Brüdern stellt für Imogen das Erreichen einer ersten Stufe auf ihrer Suche nach einem ,Zuhause' dar. Die Aufnahme in dieses Zuhause, bei der anfängliche MißVerständnisse einem zeremoniellen, statischen Geschehen Platz machen, könnte man wie die Aufnahme Orlandos im Forest of Arden als ,Initiationsritus' bezeichnen. Alle Beteiligten stellen bei diesem Ritus ihr königliches Wesen unter Beweis. Die Bedeutung dieses Ritus erstreckt sich jedoch nicht nur auf Imogen und ihren Reiseweg; vielmehr ist die erreichte Gemeinschaft von Personen, die von Natur aus zusammengehören, auch ein erster Schritt bei der Wiederherstellung der natürlichen Ordnung, die durch die Trennung dieser Personen gestört worden war. Auch in The Winter's Tale werden scheinbar außenstehende Personen in eine ländliche Gemeinschaft aufgenommen. In der Szene IV, 4 begrüßt Perdita ihr unbekannte Gäste zum pastoralen Fest des sheep-shearing. Von diesem Fest hatte der Zuschauer schon in der vorausgehenden Szene erfahren, in der der ,Bruder' Perditas von Einkäufen für das Fest seiner ,Schwester' gesprochen hatte (IV, 3, 36-49). Im Gegensatz zu der Szene in Cymbeline (III, 7) fehlt hier also zunächst jede dramatische Spannung. Zwar werden die Gäste auch hier in eine fremde Umgebung aufgenommen, doch ist diese,domestizierter' als die Gemeinschaft auf den Hügeln von Wales. Zweck dieser langen statischen Szene ist auch nicht die Darstellung der Aufnahme von Reisenden, sondern in erster Linie die Charakterisierung der Personen und ihrer pastoralen Umgebung. Beim Auftreten der Gäste erfolgt nicht sogleich ein Willkommensgruß. Vielmehr wird dieser ausführlich vorbereitet, so daß ihm die besondere Aufmerksamkeit des Zuschauers zuteil wird: Zunächst fordert Florizel Perdita auf, ihre Gäste mit der angemessenen Fröhlichkeit zu empfangen (IV, 4, 4 8 - 5 1 und 52-54). Durch diese Aufforderung begibt er sich in die Rolle dessen, der in der pastoralen Welt Perditas 11 12

Vgl. z. B. Two Gentlemen, 1,3, 68 und All's Well, I, 3, 190. Knight, The Crown of Life, S. 155. 163

bereits zu H a u s e ist. Perdita selbst richtet ein Stoßgebet an "lady Fortune" (IV, 4, 51-52). Dann erinnert sie auch noch der alte Schäfer in einer langen Rede an ihre Pflichten als Gastgeberin: . . . You are retired, A s if y o u were a feasted one, and not T h e hostess of the meeting: pray y o u , bid These unknown friends to 's welcome; for it is A w a y to make us better friends, m o r e known. C o m e , quench your blushes, and present yourself That which you are, Mistress o' th' Feast. C o m e on, A n d bid us welcome to your sheep-shearing, A s y o u r good flock shall prosper. (IV, 4, 6 2 - 7 0 )

Wie in anderen Fällen (etwa bei der Bankettszene in Macbeth [III, 4]) wird der Begrüßung hier ausdrücklich eine bestimmte Funktion zuerkannt, nämlich die, das Faktum des ,Hausrechts' durch zeremonielle Zeichen adäquat abzubilden. Für den Zuschauer lassen die Bemerkungen des alten Schäfers zudem die rituelle Bedeutung des Willkommensgrußes deutlich werden. Perdita wird nunmehr der Verpflichtung und der Ehre, "Mistress o' th' Feast" zu sein, in vollem U m f a n g gerecht. Camillo und Polixenes, die in Verkleidung auftreten, werden von ihr mit großer Herzlichkeit und unter Einhaltung der Formen willkommen geheißen. D a s am Anfang und am E n d e der Begrüßungsrede stehende welcome wird ergänzt durch ein Geschenk von Blumen und einen Segenswunsch: [To Pol.] Sir, welcome: It is m y father's will I should take on m e The hostess-ship o' th' day. [7o Cam.] You're welcome, sir. Give me those flowers there, Dorcas. Reverend sirs, F o r you, there's rosemary, and rue; these keep Seeming and savour all the winter long: Grace and remembrance be to y o u both, A n d welcome to our shearing! (IV, 4, 7 0 - 7 7 )

N a c h einem geistreichen Gespräch über nature und art, das leitmotivische Bezüge zu den Hauptthemen des Dramas aufweist 1 3 und bei dem sie sich trotz ihrer fehlenden höfischen Erziehung ihrem Gesprächspartner gewachsen zeigt, wendet sich Perdita ihren anderen Gästen zu, um ihnen 13

Zur Interpretation dieses interessanten Dialogs siehe z. B. Knight, The Crown of Life, S. 103-105 und The Winter's Tale, ed. J. H. P. Pafford (1963), The Arden Shakespeare, IV, 4, 88-92, note und 88-97, note.

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ebenfalls Blumen zu schenken und sie willkommen zu heißen (IV, 4, 103-108), und widmet sich dann wieder Florizel und den Mädchen ihrer Generation. Perditas Charme und die Leichtigkeit, mit der sie Personen verschiedener Altersgruppen in korrekter Weise anredet, läßt die Besucher ihre edle Natur und hohe Geburt erahnten (IV, 4, 157-159). Auch der Zuschauer wird so daran erinnert, daß Perdita in Wirklichkeit eine Königstochter ist. Die pastorale Welt wird dem Zuschauer als natürliche Heimat menschlicher kindness vor Augen geführt, die ihren Ausdruck in Umgangsformen findet, die zu Shakespeares Zeit als ,höfisch' galten. Auch nicht-höfische Umgebungen wie die Welt der pastoralen Tradition (und die Welt der Jäger in Cymbeline) bieten also Menschen, die wie Perdita von ihrer Geburt her ein höfisches Wesen besitzen, ein Zuhause, in das sie harmonisch intergriert sein können. Als statisches Geschehen erweist sich das Begrüßungszeremoniell erneut als Möglichkeit, Motive aus nichtdramatischen literarischen Traditionen14 auf die Bühne zu übertragen. Zwar kommt es in dieser Szene noch zu einem Eklat - Polixenes gibt sich seinem Sohn zu erkennen und mißbilligt das Liebesverhältnis zwischen ihm und Perdita (IV, 4, 418-442) - doch wird in dieser Szene das happy ending schon vorbereitet: Die Gemeinsamkeit bei dem ländlichen Fest präfiguriert die harmonische Gemeinschaft, die am Ende des Dramas erreicht wird. Hierzu ist jedoch noch eine allgemeine Aussöhnung nötig, die, wie Camillo feststellt, nur in der zweiten Weltgegend des Dramas, in Sizilien, erfolgen kann. Der alte Ratgeber stellt den Liebenden eine freundliche Aufnahme bei Leontes in Aussicht. Er tut dies durch eine Beschreibung des zu erwartenden Begrüßungsrituals. Wie bei szenischen Darstellungen hat dieses Ritual also auch in Camillos Zukunftsprojektion die Funktion, die Qualität einer Aufnahme in ein neues Zuhause anzuzeigen: ... Methinks I see Leontes opening his free arms and weeping His welcomes forth; asks thee there 'Son, forgiveness!' As 'twere i' th' father's person; kisses the hands Of your fresh princess ... (IV, 4, 548-552)

Eben diese Begrüßung kommt in der folgenden Szene (V, 1) zur Darstellung. Durch die Vorausschau Camillos ist der Zuschauer auf sie vorbe14

Siehe z. B. The Winter's Tale, a.a.O., S. 169-170 zu den Quellen des Dialogs von Perdita und Polixenes. 165

reitet und veranlaßt, auf die Einzelheiten dieser Begrüßungszeremonie genau zu achten. Zunächst geht es in dieser Szene um Leontes' Gewissensqualen. Paulina erinnert ihn an das Orakel, nach dem er erst dann einen Erben haben werde, wenn seine Tochter gefunden wird, und nimmt ihm den Eid ab, nur mit ihrem Einverständnis wieder zu heiraten. Das dénouement der Schlußszene wird vorbereitet. An dieser Stelle wird die Ankunft Florizels und Perditas angekündigt (V, 1, 85-88). Leontes ist erstaunt über diese plötzliche Ankunft und über das Fehlen der zeremoniellen Begleitumstände, die normalerweise mit einem solchen Besuch einhergehen: " . . . he comes not / Like to his father's greatness . . . " (V, 1, 88-89). Durch den Hinweis auf das Fehlen des üblichen Zeremoniells macht der Begrüßende - ähnlich wie Caesar in Antony and Cleopatra (III, 6) - auf seine kindness den Ankommenden gegenüber aufmerksam. Weiterhin wird deutlich, daß der Prozeß der Erneuerung, der Florizel und Perdita ihren königlichen Status zurückgeben wird, noch vollzogen werden muß. Leontes fällt die Rolle zu, diesen Prozeß durch den Empfang der beiden Reisenden einzuleiten: Zunächst schickt er Cleomenes zu ihnen, um sie in gebührender Form zu ihm zu führen (V, 1, 112-114). Nach ihrem Auftritt (V, 1, 123) werden sie dann besonders herzlich empfangen, genau wie Camillo dies vorhergesagt hatte. Leontes bringt nunmehr Florizel jenes Vertrauen entgegen, das er seinem Vater Polixenes verweigert hatte. Der Willkommensgruß steht am Ende einer sieben Verse langen vorbereitenden Rede (V, 1, 123-129), in der Leontes an die Zeit vor seinem Bruch mit Polixenes erinnert. Hierdurch gibt er der Begrüßung eine besondere rituelle Bedeutung. Indem die Begegnung mit der jungen Generation ausdrücklich in einen Zusammenhang mit der Störung der natürlichen Ordnung gestellt wird, wie sie in der ersten Hälfte das Dramas zur Darstellung kam, wird ihr die Funktion zuerkannt, eine Versöhnung und Erneuerung herbeizuführen. Mit einer für dieses Drama charakteristischen Vegetationsmetapher wiederholt Leontes seinen Willkommensgruß: "Welcome hither, / As is the spring to th' earth . . . " (V, 1, 150-151). Wie diese Ankunft für Florizel und Perdita das Ende einer mühevollen Reise markiert, so bedeutet sie für Leontes das Ende einer langen Leidenszeit. Zuvor kommt es jedoch noch zu Komplikationen: Die Unwahrheit von Florizels Angaben über den Grund seiner Reise und über Perditas Herkunft wird deutlich, als überraschend Polixenes' Ankunft angekündigt wird. Trotzdem hat die vorausgegangene Begrüßungsszene soviel 166

persönliche Bindung zwischen Leontes und dem jungen Paar geschaffen, daß der König sein welcome nicht nur nicht zurückzieht, sondern sogar noch verspricht, für Florizels Anliegen bei seinem Vater einzutreten (V, 1, 227-232). Eine witzige Bemerkung des Königs von Sizilien macht deutlich, wie vertraut sein Verhältnis zu den Liebenden bereits ist (V, 1, 222-223). 15 Jetzt können die Wiedererkennungen erfolgen, die auf ein happy ending und die Aussicht auf eine harmonische Zukunft hinauslaufen. Noch deutlicher hat eine Begrüßungsszene in The Tempest eine allgemeine Versöhnung zum Inhalt: In der Schlußszene des Dramas (V, 1) findet die Begegnung der gestrandeten höfischen Gesellschaft mit Prospero statt. Die Bedeutung dieser Begegnung wird durch die Stellung am Ende des Dramas und durch das ausgedehnte Begrüßungsritual besonders hervorgehoben. Bevor die Begegnung stattfinden kann, werden die Gestrandeten durch von Prospero arrangierte Demütigungen einem Läuterungsprozeß unterzogen.16 Erst dann erteilt Prospero Ariel den Auftrag, die Höflinge von der Verzauberung zu befreien (V, 1, 30-32). Doch auch nach deren Auftritt (V, 1, 58) erfolgt die Begrüßung noch nicht sogleich. An erster Stelle steht die Benennung der Gestrandeten und ihrer früheren Untaten durch Prospero (V, 1, 62-79). Das allgemeine Erwachen der Höflinge (V, 1, 79-80) scheint dabei ihren Erkenntnisprozeß zu symbolisieren. Erst danach erfolgt die eigentliche Begrüßung: Prospero gibt sich zu erkennen, umarmt den Ranghöchsten, Alonso, den König von Neapel, und heißt ihn stellvertretend für die ganze Gesellschaft willkommen: Behold, sir King, The wronged Duke of Milan, Prospero: For more assurance that a living Prince Does now speak to thee, I embrace thy body; And to thee and thy company I bid A hearty welcome. (V, 1, 1 0 6 - 1 1 1 )

Daß Alonso den Prozeß der Läuterung erfolgreich durchlaufen hat, zeigt seine augenblicklich geäußerte Bereitschaft, Prospero sein Herzogtum 15

16

Das Gefallen, das Perdita in Leontes' Augen findet, ist (anders als in Shakespeares Quelle, Greenes Pandosto) sicher als erster Schritt ihrer Wiedererkennung als seine Tochter zu verstehen: Perdita erinnert Leontes an ihre Mutter Hermione, so wie er sie von früher in Erinnerung hat (V, 1, 226—227). Vgl. u. S. 258-259.

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zurückzugeben, und seine Bitte um Vergebung (V, 1, 118-119). Prospero macht durch die Wiederholung seines welcome deutlich, daß er diese Äußerung als Zeichen von kindness und als Grundlage für eine neue Gemeinsamkeit akzeptiert. Mit einem erneuten welcome lädt Prospero Alonso in seine Hütte ein (V, 1, 165-171). Das übliche Element der Einladung zum Essen erhält hier eine besondere Funktion: Das "wonder", das Prospero seinem Gast anzubieten hat, besteht in der Entdeckung von Ferdinand und Miranda, die miteinander Schach spielen. Ahnlich wie in The Winter's Tale wird jetzt durch die Liebe der Vertreter der jüngeren Generation die allgemeine Versöhnung besiegelt. Das naive Erstaunen Mirandas ("... How beauteous mankind is! O brave new world, / That has such people in't!"; V, 1,183-184) führt den Regenerationsprozeß zu einem Abschluß. Mirandas Bewunderung ist nach allem, was wir in den vorausgegangenen Szenen über die Höflinge erfahren haben, völlig ungerechtfertigt, doch sind ihr Vertrauen und ihre kindness die Basis für eine Zukunft aller Beteiligten in einer harmonischen Ordnung. Ahnlich wie das Thema ,Abschied' das ganze Drama durchzieht,17 wird auch die Begegnung der Schlußszene während des ganzen Dramas vorbereitet. Die Versöhnung mit seinen früheren Antagonisten ist das Ziel, auf das alle Bemühungen Prosperos hinauslaufen. Erst als er durch diese Versöhnung in der wiederhergestellten natürlichen Ordnung selbst Aufnahme gefunden hat, kann er der unnatürlichen Welt der Magie Lebewohl sagen. Mit den Motiven Abschied und Begrüßung gibt Shakespeare im Tempest einem künstlerischen Anliegen in gedrängter und komprimierter Form Ausdruck, das sicher als eines der wichtigsten und für ihn typischsten gelten kann: der Zurschaustellung des allmählichen Ubergangs von einem unnatürlichen, korrupten Zustand in eine harmonische Ordnung. In der Endphase von Shakespeares dramatischem Schaffen kommt den Begrüßungsszenen, wie dieser Abschnitt gezeigt hat, eine besondere strukturelle Bedeutung zu. In noch stärkerem Maße als zuvor stehen sie an den Nahtstellen des Geschehens. Sie kennzeichnen beispielsweise einen Wendepunkt wie in Cymbeline (III, 7) oder einen Dramenschluß wie im Tempest (V, 1). Wie bei den Abschiedsszenen des gleichen Zeitraums ist ein Experimentieren mit neuen Formelementen festzustellen: So geht dem ersten 17

Siehe o. S. 91.

168

welcome gelegentlich eine Rede des Begrüßenden voraus, durch die der rituelle Charakter des Willkommensgrußes hervorgehoben wird, so in Antony and Cleopatra (III, 6), Coriolanus (IV, 5), The Winter's Tale (V, 1) und The Tempest (V, 1). Die vorausgehende Ankündigung der Ankunft wird zu einem Formelement, dessen Fehlen zu wichtigen Kommentaren von Seiten des Begrüßenden Anlaß gibt {Antony and Cleopatra, III, 6; The Winter's Tale, V, 1). Gelegentlich geht eine Szene, in der ein Ankommender seine Aufnahme erst erbitten muß (Coriolanus, IV, 5; Cymbeline, III, 7) in eine ausgedehnte statische Begrüßung über. Ein neues Formelement liegt auch vor, wenn die Ankommenden von Untergebenen zum Begrüßenden geleitet werden ( T h e Winter's Tale, V, 1; The Tempest, V, 1). Alle diese Formelemente dienen einer verstärkten ,Ritualisierung' des Begrüßungszeremoniells. Im Gegensatz zu den Begrüßungsszenen der vorhergehenden Phase handelt es sich jetzt meist wieder um die zeremonielle Aufnahme von Reisenden in ein Zuhause, eine Aufnahme, die nicht nur vorgetäuscht ist. Im Unterschied zu den meisten Szenen der Frühphase, die von The Two Gentlemen of Verona bis zu As You Like It reicht, gelangt der Reisende jetzt meist zu einem Zuhause, das in gewisser Weise endgültig ist und eine tatsächliche, oft familiäre Zusammengehörigkeit bezeichnet. So kehrt Octavia zu ihrem Bruder nach Rom zurück, Imogen trifft auf ihre verschollenen Brüder, Perdita auf ihren Vater und Antonio auf seinen Bruder Prospero. Unabhängig davon, ob den Beteiligten bei der Begrüßung ihre Verwandtschaft bewußt ist, bestätigt sich durch das rituelle Aufeinanderzugehen ihre Zusammengehörigkeit. Den Begrüßungsszenen kommt jetzt also oft die Funktion zu, ein Wiedersehen zu dramatisieren. Dies ist insofern bemerkenswert, als Shakespeare hierfür auf andere bewährte dramaturgische Techniken verzichtet. So gab ein Wiedersehen im antiken Theater stets Anlaß zu einer bewegten ,dynamischen' Szene, die in der Überraschung der Wiedererkennung gipfelte. Shakespeare selbst bedient sich dieser Technik in den Schlußszenen von The Comedy of Errors, Twelfth Night, Pericles und Cymbeline. Wenn Shakespeare nun in seiner Spätphase statt dessen gelegentlich einen statischen Szenentyp wählt, um eine überraschende Begegnung von Familienangehörigen darzustellen, dann läßt sich daraus ersehen, daß weniger das Faktum des Wiedersehens als die Verdeutlichung des Umstands der Zusammengehörigkeit und der Einbindung in ein ,Zuhause' Ziel der Darstellung sind. Neben der Darstellung des Ubergangs einer Person in eine neue Lebensphase (wie bei Coriolanus, den Liebenden in The Winter's Tale 169

und den Schiffbrüchigen im Tempest) können rituelle Begrüßungen jetzt auch eine Bedeutung haben, die über das Einzelschicksal des jeweiligen Reisenden hinausgeht. Das Wiedersehen von Familienangehörigen leitet in Cymbeline und vor allem in The Winter's Tale und The Tempest die Wiederherstellung der gestörten natürlichen Ordnung ein, nicht nur im Bereich der Familie, sondern vor allem auch im Bereich des staatlichen Gemeinwesens. Diese Implikationen eines rituell gestalteten Wiedersehens, die sich schon in Homers Odyssee und Heliodors Aithiopika finden, geben dem dramatischen Geschehen einen Hintergrund, der erneut nur als ,episch' bezeichnet werden kann. f) Zusammenfassung Viele der bei der Untersuchung der Abschiedsszenen gemachten Beobachtungen bestätigen sich bei der Untersuchung der Begrüßungsszenen. So sind diese wie die Abschiedsszenen in der Regel,statisch' und geben oft die Fortsetzung oder den Abschluß eines Reisegeschehens wieder, das mit einem Abschied seinen Anfang genommen hatte. So finden sich Begrüßungsszenen in der Regel im mittleren Teil oder am Ende der Dramen und korrespondieren oft mit einer Abschiedsszene im ersten Teil. Auch hinsichtlich der Begrüßungsszenen läßt sich das Werk Shakespeares in Schaffensperioden untergliedern. Diese entsprechen weitgehend denen, die sich schon bei der Untersuchung der Abschiedsszenen feststellen ließen. Die Form der Begrüßungsszene scheint nur etwas früher ausgereift zu sein als die der Abschiedsszene, was wohl darauf zurückzuführen ist, daß die dramatische Darstellung von Trennungen radikalere Abweichungen von der traditionellen Dramaturgie erfordert als die Darstellung von Begrüßungen. Letztere sind in der Regel zeremonieller' als Trennungen und lassen sich deshalb zu pageant-artigen Auftritten ausgestalten, wie sie sich bereits bei Peele und Greene finden. Shakespeare übernimmt diesen Szenentyp, bei dem politische' Begrüßungen zur Darstellung gebracht werden, in seinen frühesten Dramen, verfeinert ihn jedoch in zunehmendem Maße, so daß die Darstellung individueller Charaktere und Situationen möglich wird. Die formalen Einzelheiten der Begrüßungszeremonie gewinnen an dramatischer Bedeutung. Von den Two Gentlemen of Verona an schlägt Shakespeare dann einen neuen Weg ein. Ebenso wie einander nahestehende Personen jetzt in statischen Szenen voneinander Abschied nehmen, finden einzelne 170

Reisende in der Fremde in statischen Szenen bei ihnen wohlgesonnenen Personen Aufnahme. Elemente der ,privaten' Begrüßungszeremonie sind vor allem die vorherige Ankündigung der Ankunft, die von einem Familienangehörigen an den Gastgeber gerichtete Aufforderung zum Willkommensgruß und die Wiederholung dieses Grußes in einer besonders ausdrucksvollen Formulierung am Ende der Szene. Das Ausmaß und die Form der Zeremonialität von Seiten des Begrüßenden verweist dabei auf die Qualität des jeweiligen Ortes als dem neuen Zuhause des Reisenden. In den Dramen der nächsten Phase, die von Hamlet bis Macbeth anzusetzen ist, ist die zeremonielle Form oft in der einen oder anderen Weise gestört. Diese Störung versinnbildlicht in der Regel eine mangelnde Bereitschaft bzw. Fähigkeit, den Ankommenden aufzunehmen. Bei Shakespeare gelingt es keinem Begrüßenden, ein nicht vorhandenes Wohlwollen dem Ankommenden gegenüber vorzutäuschen, ohne die übliche Form zu verletzen. In den Dramen der Spätphase, die mit Antony and Cleopatra einsetzt, geben die Begrüßungsszenen erneut die tatsächliche Aufnahme eines Reisenden in ein Zuhause wieder. Es handelt sich in der Regel um die Aufnahme in eine Umgebung, in die der Reisende von Natur aus gehört. In den letzten Dramen (Cymbeline, The Winter's Tale und The Tempest) wird die Begrüßung zu einem Ritual der Aufnahme in eine heile Welt, einem Ritual, das für die Reisenden das happy ending und für die Welt des jeweiligen Dramas die Wiederherstellung der natürlichen Ordnung einleitet. Wie die Abschiedsszenen dienen die statischen Begrüßungsszenen auch der Charakterisierung der Personen sowie der Information des Zuschauers über den Handlungsablauf durch Blicke in die Vergangenheit und die Zukunft. Daneben üben die Begrüßungsszenen wie die Abschiedsszenen eine maßgebliche Funktion für die Sympathielenkung aus. Je mehr die zeremonielle Form tatsächlicher kindness entspricht, desto mehr befinden sich Ankommender und Begrüßender im Einklang mit der natürlichen Weltordnung, die jedem Menschen einen bestimmten Platz in der Gemeinschaft zuweist. Die besondere Kunst Shakespeares bei der Gestaltung von Begrüßungsszenen zeigt sich bei einem Blick auf die Begrüßungen in Dramen anderer Autoren. So läßt beispielsweise die für eine prunkvolle Darbietung gestaltete und vermutlich von Fletcher verfaßte Bankettszene in Henry Vili (1,4) alle für Shakespeare typischen Elemente der Charakte171

risierung vermissen. Auch ist die Szene, wie Horst Oppel feststellt,1 nicht in einen größeren ,kosmischen' Zusammenhang eingebettet, wie man bei Shakespeare erwarten würde. Shakespeare bleibt es auch vorbehalten, der Integration von Personen edler Wesensart in einer höfischen Gemeinschaft dramatischen Ausdruck zu verleihen: In der Regel gehören bei ihm der Gastgeber ebenso wie die Reisenden einer gehobenen sozialen Schicht an. Ist dies nicht der Fall, wie beim Schäfer Corin in As You Like It, so eignet dem Begrüßenden doch ein,natürlicher Adel'. Hat der Ankommende einen niedrigeren sozialen Status, wie Rosencrantz, Guildenstern und die Schauspieler in Hamlet, so wird er vom Begrüßenden als gleichrangig anerkannt. Es handelt sich also meist um eine Begegnung von Personen, bei der keiner der Beteiligten die Befehlsgewalt über den anderen hat. Begrüßende und Ankommende müssen also versuchen, schrittweise aufeinander zuzugehen, um das Vertrauen des anderen zu gewinnen. Shakespeare dramatisiert zur Darstellung dieses Aufeinanderzugehens jene Grundregeln des höfischen Benehmens, die dem angehenden Höfling, der Zugang zu einer vornehmen Gesellschaft erhalten will, von Castiglione und den anderen italienischen Theoretikern des sechzehnten Jahrhunderts empfohlen werden.2 Natürlich gab es rituelle Begrüßungen nicht nur in der Renaissance: Vielmehr weist dieses Ritual, wie es sich bei Shakespeare findet, Entsprechungen zu den Riten der "agrégation" auf, die van Gennep in seiner Studie über die rites de passage beschreibt.3 Hierzu gehören vor allem die schrittweise gegenseitige Annäherung von Ankommendem und Begrüßendem und der Abschluß der Aufnahme eines Ankommenden durch das gemeinsame Essen mit dem ,Hausherrn'. Die Funktion dieses Ritus ist prinzipiell die gleiche wie die des Ritus der "séparation": Es geht darum, den Ubergang vom Zustand des Getrenntseins zu dem der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft und umgekehrt möglichst wenig abrupt zu gestalten.4 Wie Edward Berry zutreffend feststellt, spielt der Ritus der agrégation bzw. "incorporation" bei Shakespeare eine wichtige Rolle; 5 doch ist es, ebenso wie bei den Abschiedsszenen, erstaunlich, daß ihm die Existenz und die Funktion der zeremoniellen Begrüßungen in Shake1

2 3

Horst Oppel, Shakespeare oder Fletscher? Die Bankett-Szene in Henry VIII als Kriterium der Verfasserschaft, Akademie der Wissenschaften und Literaturen, Mainz; Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse; Jahrgang 1965, Nr. 7 (Wiesbaden, 1966); S. 1 6 - 2 3 . 4 Siehe o. S. 100-102. Vgl. o. S. 96. 5 Van Gennep, a.a.O., S. 3 9 - 4 0 . Berry, a.a.O., S. 163-197.

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speares Dramen entgeht. Nicht erst die Hochzeitszeremonien am Schluß geben bei Shakespeare, wie Berry annimmt, die Aufnahme eines Dramenhelden in die Gemeinschaft wieder, sondern bereits die rituelle Bewillkommnung des Reisenden. Durch die in statischen Szenen dargestellten Rituale der Trennung und der Begegnung wird in Shakespeares Dramen zum einen das Faktum der Reise verdeutlicht und zum anderen die Fähigkeit des Reisenden herausgestellt, sich diesen Ritualen zu unterziehen. Auf diese Weise findet das epische und romanhafte Motiv ,Prüfung und Bewährung eines Helden auf Reisen' und damit „einer der wesentlichen Archetypen menschlicher Verhaltensweisen und menschlicher Vorstellungskraft"6 Eingang ins Drama: Am Ernstfall der Trennung zeigt sich, wie stark die Bindung des Abreisenden zum Bleibenden ist, und am Ernstfall der Ankunft an einem fremden Ort wird deutlich, ob der reisende Dramenheld in der Lage ist, sich auch in der Fremde sicher zu bewegen, sich den Eigenarten fremder Orte anzupassen und den richtigen Mittelweg zwischen Vertrauen und Vorsicht zu finden. Auch der Verabschiedende und der Begrüßende bewähren sich bei diesen Zeremonien. Durch das Einhalten der jeweiligen Form zeigen sie an, in welchem Maße sie sich der abreisenden bzw. ankommenden Person emotional verbunden fühlen und sie in ihrer Eigenart zu respektieren verstehen. Die Struktur von Abschied und Begrüßung hat in Shakespeares Dramen eine Beschränkung auf die Darstellung der Bewährung des Reisenden anderen Personen gegenüber zur Folge, während andere Arten der Bewährung wie die Steuermannskunst auf See und die Tapferkeit im Kampf gegen wilde Tiere in der Regel nicht zur Darstellung kommen. Diese wohl aus Gründen der verisimilitude notwendige Beschränkung führt zu einer Konzentration auf Psychologie und Charakter. Sicher ist dies einer der Gründe dafür, warum Shakespeares Dramen so sehr aus der Masse der dramatischen Produktion seiner Zeit herausragen.7 Ein weiterer Aspekt, der sich aus der rituellen Natur von Trennungen und Begrüßungen ergibt, liegt in der symbolischen Deutbarkeit des Reisegeschehens. Der beschwerliche und von Prüfungen begleitete Weg eines Dramenhelden zu seinem Ziel kann nicht selten als Versinnbildlichung seines ,Lebensweges' bzw. seines Ubergangs in eine neue Lebens6

7

H. J. Possin, Reise und Literatur: Das Thema der Reise in der englischen Literatur des 18. Jahrhunderts (Tübingen, 1972), S. 259. Zur Darstellung romanhafter Motive im „romanesken Drama" vor Shakespeare siehe u. S. 174-177.

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phase aufgefaßt werden. Zum Beispiel wird das "pattern of transition from childhood to adulthood", das Marjorie Garber als grundlegend für Shakespeares Dramen ansieht,8 gerade in den Abschieds- und Begrüßungsszenen immer wieder deutlich, so im Fall von Orlando, Rosalind, Bertram, Imogen und Perdita, bei denen am Ende der Reise die Eheschließung steht. Dieser Themenkomplex wird im Zweiten Hauptteil dieser Arbeit noch näher zu untersuchen sein. 9

4. Die Reisevorbereitungsszenen und Reiseszenen a) Die szenische Darstellung von Reisen im Drama vor Shakespeare Neben den Abschiedsszenen und den Begrüßungsszenen standen Shakespeare zur szenischen Darstellung eines Reisegeschehens noch zwei weitere Szenentypen zur Verfügung: Szenen, in denen eine Reise angekündigt, abgesprochen oder vorbereitet wird, und Szenen, die die Personen direkt beim Vorgang des Reisens zeigen. Auch diese Szenentypen fehlen im antiken Drama, in dem die Zeit der Handlung (die ,gespielte Zeit') in der Regel vierundzwanzig Stunden nicht überschritt, so daß Reisen meist gar keinen Eingang in die Dramenhandlungen fanden. Die einzige mögliche Form der Information des Zuschauers über ein Reisegeschehen war die des Berichts: So erzählt in Plautus' Rudens der als Prolog auftretende Arcturus von einem Seesturm und einem Schiffbruch (v. 162-173). In Senecas Agamemnon kündigt der Bote Eurybates der Clytaemnestra die Rückkehr des Agamemnon an und berichtet vom Seesturm, der die griechische Flotte nach der Abfahrt von Troja zerstörte bzw. versprengte (v. 421-578). Nur selten wird im antiken Theater ein Aufbruch angekündigt; auch handelt es sich in diesen Fällen nicht um den Antritt einer Reise mit einem bestimmten Zielort, sondern um einen Aufbruch ohne Ziel; so in Senecas Phoenissen, wo Oedipus und Antigone vorhaben, durch den Sturz von einer hohen Klippe Selbstmord zu begehen (v. 67ff.), und wo Polynices aus Theben vertrieben wird (v. 599ff.). Die Szenentypen ,Reisevorbereitung' und ,Reise' finden sich jedoch in rudimentärer Form im englischen Drama vor Shakespeare, wo sie - in Ermangelung der erst von Shakespeare entwickelten Formen der Ab8 9

Garber, a.a.O., S. 48. Siehe u. S. 277-317.

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schieds- und Begrüßungsszene - die einzigen szenischen Wiedergabeformen für ein Reisegeschehen darstellen. Die Dramen der Zeit vor Shakespeare, deren Hauptinhalt aus weiten Reisen besteht, lassen sich mit Werner Habicht unter dem Oberbegriff „romaneskes Drama" zusammenfassen.1 Von den meisten dieser Dramen sind nur die Titel erhalten,2 doch gibt Sir Philip Sidneys Kritik in seiner 1580 entstandenen Defence of Poetry eine Vorstellung von der Dramaturgie dieser Bühnen werke: . . . For where the stage should always represent but one place, and the uttermost time presupposed in it should be, both by Aristotle's precept and common reason, but one day, there is both many days, and many places, inartificially imagined. But if it be so in Gorboduc, how much more in all the rest, where you shall have Asia of the one side, and Afric of the other, and so many other under-kingdoms, that the player, when he cometh in, must ever begin with telling where he is, or else the tale will not be conceived? 3

Offensichtlich bewegten sich die Personen in diesen Dramen von einem Bühnenende, das den Ausgangspunkt der Reise darstellte, zu einem Zielort am anderen Bühnenende. Sidneys Qualitätsurteil macht deutlich, daß der hierbei auftretende Mangel an verisimilitude zumindest von einigen Zuschauern durchaus als Negativum empfunden wurde. Schon in dem um 1576 entstandenen Drama Common Conditions ist die Bemühung erkennbar, ein gewisses Maß an Plausibilität zu erreichen. Zwar wandern die Personen auch in diesem Drama über die Bühne, um innerhalb der ausgedehnten, viele klangvolle Namen enthaltenden Geographie dieses Dramas von einem Ort zum anderen zu gelangen - die Bühnenanweisung "Here entreth Galiarbus out of Phrygia" (v. 478) deutet möglicherweise auf eine Bühnentür mit der Aufschrift „Phrygia" —,4 doch wird aus dem gesamten Weg des Reisenden oft ein Ausschnitt, meist der Schlußteil des Weges, zur Darstellung ausgewählt: So sprechen zum Beispiel Sedmond und Clarisia (v. 295-337) sowie Nomides (v. 760-785) ausgiebig über die Beschwerlichkeit einer zurückgelegten Wegstrecke. 1

2

3 4

Werner Habicht, Studien zur Dramenform vor Shakespeare: Moralität, Interlude, romaneskes Drama (Heidelberg, 1968), S. 173-242. Eine Zusammenstellung solcher Titel findet sich in The "Wars of Cyrus, a.a.O., Introduction, S. 61-71. "A Defence of Poetry", a.a.O., S. 113. Siehe Clifford Leech, "The Function of Locality in the Plays of Shakespeare and His Contemporaries", The Elizabethan Theatre, ed. David Galloway (London, 1969), S. 103-116; S. 103-105. 175

Die Information des Zuschauers über Herkunft, Ziel und Zweck der Reise wirft ebenfalls dramaturgische Probleme auf: Während die Autoren von Epen und Romanen ihren Lesern diese Auskünfte von einer übergeordneten Perspektive aus geben können, ist diese Möglichkeit den Verfassern „romanesker Dramen" versagt. Statt dessen teilen die Dramenhelden meist in Monologen mit, woher sie kommen und wo sie sich gerade befinden. Ein Beispiel ist die Rede des Clamydes ganz am Anfang des Dramas Sir Clyomon and Sir Clamydes. Uber die bloße Nennung der Ortsnamen hinaus wird hierbei kaum ein Eindruck von der jeweiligen Örtlichkeit vermittelt. Auch Reiseankündigungen erfolgen im wesentlichen in Monologen. Wenn die Personen eines Dramas einmal eine Reise in einem Dialog miteinander verabreden, dann ist die Szene in den Dramen vor Shakespeare - ähnlich wie bei den Trennungen und Begrüßungen - in der Regel nicht statisch, sondern enthält ein dynamisches Geschehen. Dies gilt etwa für den Aufbruch Clarisias und Lamphedons in Common Conditions (ν. 910-976), wo die Szene zunächst eine Auseinandersetzung über die Frage, ob eine Reise überhaupt stattfinden soll, zum Inhalt hat und dann in eine pathetische Klage Lamphedons übergeht. Die genannten Dramen wirken im wesentlichen wie bloße Nacherzählungen episch-romanhafter Stoffe auf der Bühne und erhalten lediglich durch den nicht ungeschickten Einbau der der Tradition des Volkstheaters entnommenen Vzce-Figur, "Common Conditions" bzw. "Bryan Sans-foy" und "Subtle Shift", einen dramatischen Anstrich. Wie Werner Habicht feststellt, bedienen sich die Autoren, was die Form betrifft, der „vielgestalten, gemischen Dramatik des Interlude". 5 Auch Robert Greene verwendet in seinem Drama Alphonsus, King of Arragon noch die gleichen Techniken. So spricht der als Pilger verkleidete Herzog von Mailand in einem Monolog über sein beschwerliches Leben als Reisender ((IV, 2,) v. 1270-1287), 6 bevor er auf seinen alten Feind Carinus, den Thronprätendenten von Arragon, trifft und von diesem erschlagen wird. Andere Dramatiker verzichten ganz auf die szenische Darstellung von Reisen, selbst wenn in ihren Dramen einzelne Personen gewaltige Ortsveränderungen unternehmen, wie etwa Marlowes Tamburlaine. Marlowe beschränkt sich meistens auf kurze Orts-

5 6

Habicht, a.a.O., S. 195. Robert Greene, "Alphonsus, King of Arragon", The Plays and Poems, ed. J. Churton Collins, 2 Bde. (Oxford, 1905); Bd. 1, S. 77-135.

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angaben zu Beginn der jeweiligen Szene. 7 Dies scheint deshalb möglich, weil die Reisen bei ihm nicht als solche von Bedeutung sind wie in den „romanesken Dramen". Erst Shakespeare wird es gelingen, Stoffe der episch-romanhaften Tradition auf die Bühne zu bringen, ohne daß diese Stoffe durch die Dramatisierung an Plausibilität verlieren. Seine wesentlichen dramaturgischen Mittel hierfür sind, wie gezeigt wurde, die Abschieds- und Begrüßungsszenen. Um Aspekte des Reisens darzustellen, die mit diesen Szenentypen nicht zum Ausdruck gebracht werden können, wird er jedoch auch ,Reisevorbereitungsszenen' und ,Reiseszenen' verwenden, in Formen freilich, die höheren Ansprüchen an verisimilitude genügen. b) Die Reiseankündigungs- und Reisevorbereitungsszenen Neben den Abschiedsszenen können bei Shakespeare auch Szenen anderen Typs den Beginn einer Reise anzeigen. So finden sich bereits in The Two Gentlemen of Verona, dem Drama also, in dem auch die Technik der Abschieds- und Begrüßungsszenen zum erstenmal in vollem Umfang angewandt wird, Szenen eines Typs, den man ,Reisevorbereitungsszene' nennen kann. Bereits zu Beginn seines Schaffens arbeitet Shakespeare also bei der Darstellung von Reisen mit einem reichen Forminventar. Während Valentine aus freien Stücken in die Fremde gereist ist, tritt Proteus die Reise auf Befehl seines Vaters an. Angekündigt wird dieser Befehl in einem Gespräch zwischen Antonio, Proteus' Vater, und seinem Diener Panthino (I, 3, 1-43), in dem die gleichen Gründe für das Reisen junger Leute zur Sprache kommen, die schon in der Szene des Abschieds Valentines von Proteus (1,1) genannt worden waren. Die Situation ist dadurch charakterisiert, daß Proteus bei dieser Unterredung gar nicht anwesend ist und bei seinem Auftritt gerade einen Brief seiner Julia liest (1,3, 45-50). Proteus sagt auf Antonios Frage, der Brief stamme von Valentine, der ihn bitte, ihm nachzureisen. Dies nimmt Antonio zum Anlaß, Proteus' unverzügliche Abreise anzuordnen. Durch die Manifestation von Antonios väterlicher Gewalt und Proteus' Versuch, einen Aufschub zu erlangen, erhält die Szene dramatische Spannung: 7

Ein Ausnahmefall ist natürlich die Reise von Doctor Faustus und Mephistophilis nach R o m , die vom Chorus und dann von Faustus selbst bei der Ankunft in R o m beschrieben wird; Marlowe, " D o c t o r F a u s t u s " , III, 1 und 2. Auch hier geht es nicht in erster Linie um das Reisegeschehen als solches, sondern darum, R o m als Schauplatz einzuführen und zu charakterisieren, unter anderem als Sitz des Papstes.

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Ant. ... To-morrow be in readiness to go. Excuse it not, for I am peremptory. Pro. My lord, I cannot be so soon provided: Please you deliberate a day or two. Ant. Look what thou want'st shall be sent after thee. No more of stay; to-morrow thou must go. Come on, Panthino; you shall be employ'd To hasten on his expedition. (I, 3, 70-77)

In dieser Szene werden zwei Punkte deutlich, die Proteus' Abreise von der Valentines unterscheiden: Zum einen erfolgt seine Abreise sehr hastig. Selbst wenn diese Hast nicht von ihm ,verschuldet' ist, scheint sie in einem strukturellen Zusammenhang mit der Schnelligkeit zu stehen, mit der er sich am Zielort zu Hause fühlen wird. 1 Zum anderen wird deutlich, daß Proteus weder zum Zielort noch zu seinem bisherigen Zuhause eine innere Beziehung hat, die sich etwa (wie bei Valentines Abschied) in Blicken in die Zukunft äußern würde. Eine Bindung besteht für ihn nur zu Julia, was dadurch zum Ausdruck kommt, daß nur seine Trennung von ihr szenisch dargestellt wird (II, 2). Weniger dramatisch ist die Szene II, 7, in der Julia ihrer Dienstmagd Lucetta ihren Plan kundtut, ihrem geliebten Proteus nachzureisen. Interessant ist die Rolle, die Lucetta in dieser Szene spielt. Auf ihre Funktion als Vertraute und als Ratgeberin weist Julia gleich am Anfang ausdrücklich hin (II, 7, 1-4). Doch erteilt Lucetta im Grunde gar keinen Rat; sie erhebt lediglich einige auf gesunden Menschenverstand gegründete Einwände, die Julia nur die Gelegenheit bieten, ihre Entschlossenheit zum Ausdruck zu bringen. Das Reisevorhaben wird dem Zuschauer auf diese Weise ähnlich wie in den Abschiedsszenen indirekt nahegebracht, so daß die Plausibilität in stärkerem Maße gewahrt wird, als dies etwa bei einer monologischen Ankündigung Julias möglich wäre. Julias Reiseprojekt bildet den Rahmen für die Darstellung ihrer Liebe zu Proteus: Mit einem charakteristischen Vergleich gibt sie in ihrer Antwort auf Lucettas Einwand "Alas, the way is wearisome and long" (II, 7, 8) ihrer Zuversicht Ausdruck, daß ihre Liebe ihr die Kraft geben wird, die vor ihr liegenden Mühen und Widrigkeiten der Reise zu überstehen: A true-devoted pilgrim is not weary To measure kingdoms with his feeble steps, Much less shall she that hath Love's wings to fly, 1

Siehe o. S. 116-118.

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And when the flight is made to one so dear, O f such divine perfection as Sir Proteus. (II, 7, 9 - 1 3 )

Bereits am Anfang der Szene wird also die existentielle Bedeutung der Reise und ihre Funktion als,Liebesprobe' herausgestellt.2 Es zeigt sich, daß das Reisegeschehen als ,Weg zu Proteus' symbolisch gedeutet werden kann.3 Der Hinweis auf die,Macht der Liebe' steht in einem Kontext, in dem auch die konkreten praktischen Vorbereitungen für die Reise zur Sprache kommen, speziell Julias Verkleidung als Knabe (II, 7, 39-58). Die Einzelheiten dieser Verkleidung (vor allem die Erwähnung des "codpiece") führen zu einer Komik, die die heitere, zuversichtliche Stimmung der Abreisenden kennzeichnet. Noch zwei weitere Implikationen von Julias Reise werden in dieser Szene angesprochen: So stellt Julia die Frage nach dem Urteil der Welt über ihre Reise (II, 7, 59-60), tut diesen Punkt jedoch gleich danach wieder als unwesentlich ab. Der Begriff "the world" ist in dieser Szene der einzige Hinweis auf das Zuhause, vor dem Julia sich trennt. Es wird deutlich, daß der Ausgangspunkt der Reise für sie kaum eine Rolle spielt. Ihre Aufmerksamkeit konzentriert sich vielmehr ganz auf das Reiseziel, das jetzt noch einmal ins Blickfeld rückt: Lucetta wirft die Frage auf, ob Julia bei Proteus überhaupt willkommen sein wird. Da der Zuschauer im vorausgegangenen Monolog des Proteus (II, 6) von dessen Liebe zu Silvia erfahren hat, weiß er jetzt, daß Lucettas Frage nicht ganz unberechtigt ist. Julia hingegen begründet ihre Zuversicht hinsichtlich Proteus' welcome mit dem Hinweis auf seine früheren Liebesschwüre (II, 7, 69-71). Hiermit schlägt sie eine Brücke von dem früheren Zusammensein, das dem Zuschauer nur aus der Szene der Trennung (II, 2) gegenwärtig ist, zu einem antizipierten Wiedersehen. Danach ist noch einmal von den praktischen Elementen der Reisevorbereitung die Rede (II, 7, 83-88). Die abschließende Mahnung zur Eile erweckt die Illusion eines unmittelbar bevorstehenden Aufbruchs (II, 7, 89-90). Shakespeare gelingt es in dieser Szene, eine Vielzahl von Aspekten der Reise Julias zum Ausdruck zu bringen. Durch das Nebeneinander von 2

3

Diesen wesentlichen Aspekt verkennt Denver Ewing Baughan, der zahlreiche Stellen sammelt, an denen in Shakespeares Werk von der Mühsal des Reisens die Rede ist, diese aber nur mit den tatsächlichen Unannehmlichkeiten in Zusammenhang bringt, mit denen das Reisen im sechzehnten Jahrhundert verbunden war; "Shakespeare's Attitude Toward Travel", Essays in Honor of Walter Clyde Curry (Nashville, Tenn., 1954), S. 207-220. Siehe u. S. 301.

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realistischen' Einzelheiten der Reisevorbereitung und Julias Äußerungen über die Bedeutung der Reise erhalten auch letztere einen hohen ,Wirklichkeitswert'. Wie die meisten Abschiedsszenen ist diese Szene weitgehend statisch und verbindet eine Charakterisierung der Reisenden mit der Information des Zuschauers über das Reiseziel. Im Gegensatz zu den Abschiedsszenen fehlt hier jedoch das Motiv der Loslösung von einem Zuhause, während das Reiseziel um so stärker ins Blickfeld gerät. Offensichtlich wählt Shakespeare hier nicht die Form der Abschiedsszene, um den Blick des Zuschauers nicht auf den Ausgangspunkt der Reise zu lenken. Dies ist einerseits ein Beispiel für ,dramatische Ökonomie' und charakterisiert andererseits die Dramenheldin, für die nur Proteus ein .Zuhause' darstellt. Ebenfalls wie in den Abschiedsszenen spielt das Motiv .Bewährung auf Reisen' hier eine wichtige Rolle. Nur besteht die ,Prüfung' hier nicht in dem Umstand der Trennung von anderen Personen, sondern in den konkreten physischen und psychischen Widrigkeiten des Reisens selbst. Die Verpflichtung, die Julia bei ihrer Abreise auf sich nimmt, gilt nicht zurückgebliebenen Angehörigen, sondern nur dem selbstgesteckten Ziel. Erneut läßt sich feststellen, daß ein im wesentlichen episches bzw. romanhaftes Motiv durch eine statische Szene Eingang ins Drama findet. Das Verkleidungsmotiv findet sich erneut in The Merchant of Venice: Portia und Nerissa reisen aus Belmont ab (III, 4), um Antonio - in ihrer Verkleidung als doctor und clerk - bei der Gerichtsverhandlung zu Hilfe zu kommen. Natürlich liegt in der dramatischen Situation ein grundsätzlicher Unterschied zu der Szene in den Two Gentlemen of Verona: Im Gegensatz zu Julia begeben sich Portia und Nerissa nur auf eine .Exkursion'; die Rückkehr nach Belmont ist bereits Teil der Planung. Auch fehlen Hinweise auf die Beschwerlichkeit des Weges, und die Verkleidung ist anders motiviert. Nicht in der Reise selbst, sondern im Auftritt vor dem Dogen liegt die Aufgabe, die sich Portia stellt. Zunächst kündigt Portia Lorenzo ihre Abreise an und überträgt ihm die Schlüsselgewalt über ihr Haus (III, 4, 24-44), ohne dabei ihr wirkliches Reiseziel anzugeben. Sie verweist jedoch mehrfach auf ihre Rückkehr nach Belmont (III, 4, 30 und 40). Der eigentliche Abschied ist recht knapp (III, 4, 40-44). Eine mögliche ausgedehnte Abschiedsszene wird auch hier durch eine Reisevorbereitungsszene ersetzt, um den Ausgangspunkt der Reise nicht zu sehr herauszustellen. Für Portia ist im Augenblick nur das Ziel von Bedeutung. Die eigentliche Reisevorbereitung besteht nun zunächst in einem Auftrag an Balthazar, der nach Padua zu Portias cousin Doctor Bellario 180

reisen und von dort "notes and garments" nach Venedig bringen soll (III, 4, 47-54). Der Zweck dieser Anordnung wird nicht enthüllt, und auch im anschließenden Gespräch mit Nerissa beschränkt sich Portia auf Andeutungen. Lediglich ihren Plan, daß sie sich als Männer verkleiden, bringt sie ausführlich zur Sprache (III, 4, 60-78). Wie in den Two Gentlemen of Verona wird das Verkleidungsmotiv zu komischen Effekten genutzt. Diese sind hier jedoch anders geartet: Es geht nicht mehr um die männlichen Kleidungsstücke, mit denen sich die Reisende ausstaffieren will, sondern um das knabenhafte Verhalten, das sie an den Tag zu legen gedenkt. Eine besondere Pointe besteht natürlich darin, daß Portia auf Shakespeares Bühne ja tatsächlich von einem Knaben gespielt wurde. Zum Abschluß geht Portia dann auf die konkreten Modalitäten ihrer Reise ein: . . . But come, I'll tell thee all my whole device When I am in my coach, which stays for us At the park gate; and therefore haste away, For we must measure twenty miles to-day. (Ill, 4, 81-84)

Auch hier wird eine besondere ,Realitätsnähe' erzielt. Durch seine Handhabung der Reisevorbereitungsszene gibt Shakespeare ein Bild von Portias Charakter, speziell von ihrem Temperament und ihrer Findigkeit, und führt dem Zuschauer das Reisegeschehen vor Augen, ohne dabei Portias Plan gleich vollständig zu enthüllen. Auch in As You Like It (1,3) begeben sich zwei Mädchen auf eine Reise. Den Anstoß für das Reisevorhaben gibt Duke Frederick, indem er seine Nichte Rosalind, die Tochter des verbannten Duke Senior, ebenfalls von seinem Hof verbannt (1,3, 37-85). Celia, die Tochter Duke Fredericks, beschließt augenblicklich, Rosalind in die Verbannung zu folgen, da sie sich ihrer Kusine untrennbar verbunden fühlt. Celia beginnt unmittelbar nach ihrem Entschluß, Rosalind zu begleiten, einen Reiseplan zu entwickeln. Die gemeinsame Reise erscheint als Möglichkeit, den Widrigkeiten des Schicksals entgegenzutreten: . . . Therefore devise with me how we may fly, Whither to go and what to bear with us, And do not seek to take your change upon you, To bear your griefs yourself and leave me out... (I, 3, 9 6 - 9 9 )

Celia kann durch ihre Bereitschaft, mit in die Verbannung zu gehen, ihre kindness Rosalind gegenüber unter Beweis stellen. Wie in The Two Gentlemen of Verona hat die Reise die Funktion der Selbstbestätigung. 181

Gleichzeitig werden bei diesem ,Ernstfall' die unterschiedlichen Charaktere der beiden Mädchen deutlich, die im Gegensatz zu den Personen in den bisher besprochenen Szenen beide an der Planung der Reise beteiligt sind: Zunächst bestimmt Celia, die energischere, den Forest of Arden und Duke Senior als Reiseziel (1,3, 103) und schlägt vor, den Gefahren der Reise durch ärmliche Kleidung zu begegnen. Die phantasievollere Rosalind hingegen hat die Idee, sich als Mann zu verkleiden. Ros. Alas, what danger will it be to us, Maids as we are, to travel forth so far? Beauty provoketh thieves sooner than gold. Celia. I'll put myself in poor and mean attire, And with a kind of umber smirch my face; The like do you. So shall we pass along And never stir assailants. Ros. Were it not better, Because that I am more than common tall, That I did suit me all points like a man? ... (I, 3, 104-112)

Für Rosalind charakteristisch ist das Bewußtsein ihrer Schönheit und Mädchenhaftigkeit. Die üblichen komischen Implikationen des Verkleidungsmotivs fehlen auch hier nicht, haben hier jedoch einen ,sanfteren', für dieses Drama typischen Charakter: Rosalind ist spielerisch-phantasievoll (wie etwa in der Wahl des Namens Ganymede [I, 3, 121] zum Ausdruck kommt), aber nicht übermütig. Sie versucht nicht, Celia gegenüber ihre Angst vor der Reise zu verbergen und vergleicht sich sogar mit "mannish cowards" (I, 3,117). Auch die Idee, Touchstone, den fool, als "comfort" mitzunehmen (1,3, 125-127), stammt von Rosalind. Der praktischen Celia wiederum fällt es zu, die konkreteren Vorbereitungen einzuleiten (einschließlich der Mitnahme von Geld und Juwelen) und das Signal zum Aufbruch zu geben (1,3, 129-134). Durch die abschließenden Worte "Now go we in content / To liberty, and not to banishment" (1,3, 133-134) wird deutlich, daß die Verbannung für die Mädchen nicht den Verlust eines Zuhauses bedeutet, da für sie keine persönlichen Bindungen zum Hof Duke Fredericks mehr bestehen.4 Der Hof hat sich als ein Ort erwiesen, dem jegliche kindness fremd ist. Aus diesem Grund wird die Trennung von diesem Ort auch nicht in einer Abschiedsszene ausgestaltet. Nur im Verhältnis der Mädchen zu Orlando ist kindness enthalten; diese hat auch in einer Ab-

4

Vgl. o. S. 47, Anm. 33.

182

schiedsszene Ausdruck gefunden (1,2, 228-246). 5 Charakteristisch ist auch, daß jetzt der Zielort, der Forest of Arden, nur kurz genannt wird, während das Hauptgewicht in dieser Szene auf der Reise selbst liegt. Dies ist wohl damit zu erklären, daß das Wiedersehen mit ihrem Vater für Rosalind nicht das alleinige journey's end darstellt. Eine weitergehende Verdeutlichung dieses Reiseziels würde die Aufmerksamkeit des Zuschauers von Rosalinds Liebe zu Orlando ablenken, von der gerade die Rede gewesen war (1,3, 1-35). Auch die Parallele des Verbannungsurteils zu der an Orlando ergangenen Aufforderung, den Hof zu verlassen (1,2, 251-257) hat den Zuschauer auf die entstandene Gemeinsamkeit der beiden Hauptpersonen hingewiesen. Die drei durch das Verkleidungsmotiv gekennzeichneten, hier besprochenen Szenen sind ein erneutes Beispiel dafür, wie Shakespeare ein bestimmtes formales Grundmuster immer wieder variieren und mit neuen Inhalten auszustatten vermag. Die strukturelle Funktion ist in allen Fällen die gleiche: Es wird jedesmal der Eindruck des unmittelbar bevorstehenden Antritts einer Reise erweckt, von deren Fortsetzung im weiteren Verlauf des Dramas noch die Rede sein wird. Einen etwas anderen Charakter hat die Szene II, 3, in der sich Orlando und Adam ebenfalls zu einem Aufbruch entschließen. Ihre Abreise ist durch die Gefahr motiviert, von der Adam Orlando berichtet (II, 3,2-28). In dieser Szene geht es weniger um konkrete Reisevorbereitungen als um die Verdeutlichung von Adams Treue seinem Herrn gegenüber. Es wird ein viel ernsthafterer Ton angeschlagen als in der Szene I, 3. Im Gegensatz zu Rosalind und Celia haben Adam und Orlando kein festes Ziel vor Augen. Trotzdem ist Orlando zuversichtlich und hofft auf "some settled low content" (II, 3,68) in der Zukunft. Hierin und in Orlandos kindness gegenüber Adam werden Gemeinsamkeiten mit Rosalind und Celia sichtbar. Gleichzeitig wird in dieser Szene jedoch auch ein wichtiger Unterschied deutlich: Im Gegensatz zu Rosalind und Celia brechen Orlando und Adam nicht in dem Bewußtsein auf, zu irgendeiner Gemeinschaft zu gehören. Während die Mädchen sicher sein können, bei Duke Senior im Wald Aufnahme zu finden, fehlt Orlando eine solche Gewißheit. Dies wirkt sich auf die Art seiner Begegnung mit den Verbannten im Forest auf Arden aus (II, 7). 6 Eine vergleichbare Parallelität findet sich in Twelfth Night, wo die Landung Violas und Sebastians an der Küste Illyriens in den Szenen 1,2 5 6

Siehe o. S. 53-55. Vgl. o. S. 129-130. 183

bzw. II, 1 zur Darstellung kommt. In beiden Szenen fassen die Gestrandeten den Plan, zum Hof von Count Orsino zu reisen. In der Szene 1,2 bittet Viola den captain in knappen Worten, sie in der Verkleidung als Eunuch am Hof Orsinos als Sänger und Musikant einzuführen und über ihre wahre Identität Stillschweigen zu bewahren (1,2, 52-61). Vorausgegangen waren Spekulationen Violas über das Schicksal ihres Bruders und über Orsino, die bereits auf das happy ending hindeuten. Noch knapper sind die Reisevorbereitungen in der Sebastian-Szene (II, 1). Sie umfassen lediglich einen kurzen Satz: "I am bound to the Count Orsino's court" (II, 1, 41-42); ansonsten wird Sebastians kindness herausgestellt und die Ungewißheit der Zukunft hervorgehoben. Wohl aus diesem Grund wählt Shakespeare für diese Szene den Rahmen eines Abschieds.7 Daß es nicht zu ausgedehnten ,Reisevorbereitungsszenen' kommt, dürfte an der besonderen Konzeption vom menschlichen Schicksal liegen, die diesem Drama zugrundeliegt. Shakespeare hat es in Twelfth Night vermieden, die Personen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen zu lassen. Vielmehr scheint das happy ending gerade durch die unbestimmte Zuversicht und Schicksalsergebenheit der Dramenhelden herbeigeführt zu werden.8 Eine interessante Form einer Reiseankündigung findet sich in All's Well That Ends Well. In einem Gespräch mit Helena (1,3) entlockt die Gräfin dem jungen Mädchen zunächst ein Geständnis ihrer Liebe zu Bertram (I, 3,186—212) und befragt sie dann nach ihrem Vorhaben, nach Paris zu reisen (I, 3, 213-214). Hierauf schildert Helena ihren Plan, den kranken König mit Hilfe der "prescriptions" (1,3,216) ihres Vaters zu heilen. Auf die Nachfrage der Gräfin gibt sie zu, daß Bertram der eigentliche Anlaß der Reise ist. Helena erzählt also nicht von sich aus (wie etwa Julia in The Two Gentlemen of Verona), sondern erst auf bohrendes Fragen von ihrem Vorhaben, gibt sich dann aber ausgesprochen zuversichtlich, diesen Plan auch in die Tat umsetzen zu können (1,3, 237-244). Ihre Zurückhaltung und ihr Respekt vor der Gräfin werden ebenso deutlich wie ihre Zielstrebigkeit. Während die Mühen und Gefahren der Reise selbst unerwähnt bleiben, kommen die Schwierigkeiten, am Hof Aufnahme zu erlangen, sehr wohl zur Sprache. Die Szene weist hiermit auf die Begrüßung durch den König in der Szene II, 1 voraus. Helenas Aufgabe besteht ähnlich wie bei 7

Siehe o. S. 5 8 - 5 9 .

184

8

Vgl. u. S. 2 6 6 - 2 6 8 .

Portia in der Durchführung eines bestimmten Plans, nicht aber im Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke. Auch hier lohnt es sich, die Frage zu stellen, warum Shakespeare Helenas Abreise nicht durch eine Abschiedsszene zur Darstellung bringt. Die Bitte der Gräfin etwa, am Hof Grüße auszurichten (I, 3, 247-248), und ihre Ankündigung, für Helenas Erfolg zu beten (I, 3,249), hätten auch in den Rahmen eines Abschieds gepaßt. Doch wird hier anders als in Bertrams Fall (1,1) nicht die Loslösung von einem Zuhause dramatisiert. Helenas Gedanken sind vielmehr ausschließlich auf die Zukunft bzw. auf das Reiseziel gerichtet. Wie sie selbst eingesteht, nimmt die Gräfin in ihrer Zuneigung einen untergeordneten Platz ein (1,3,188). Ihren Vater hatte sie schon fast vergessen (1,1, 77-81). Wieder zeigt sich, daß der Szenentyp der Situation entsprechend gewählt wird. Fortgesetzt wird das Thema,Reiseantritt' in der Szene II, 2, in der der clown von der Gräfin nach Paris geschickt wird. Der Zielort ,Hof' wird hier aus einer weiteren Perspektive vorgestellt, der eines ironischen Kommentators. Auch in der Szene II, 3, in der es um die bevorstehende Abreise Bertrams geht, der sich in Italien einer Söldnertruppe anschließen will, fehlen Hinweise auf die praktischen Einzelheiten der Reisevorbereitung. Das Reiseziel "to the Tuscan wars" (II, 3, 269) wird von Parolles, der seinem Herrn stets nach dem Munde redet, in der Form "to th' wars" bzw. "to th' war" zwar dreimal wiederholt (II, 3,271, 274 und 281), aber auch von ihm nicht näher spezifiziert. Während dem Reisenden sonst oft ein Ratgeber mit Einwänden und konkreter Hilfe zur Seite steht, kann Parolles diese Funktion nicht erfüllen. Es wird deutlich, daß es für Bertram weniger darum geht, zu einem bestimmten Ziel zu gelangen, als seinem jetzigen Ort (und damit der Ehe mit Helena) zu entfliehen (II, 3, 282-292). Bei dieser Abreise markiert das Fehlen einer ausgedehnten Abschiedsszene erneut die mangelnde persönliche Bindung des Reisenden an den Ort, den er verläßt. So hat auch Lafew nur Gelegenheit zu einigen wenigen Abschiedsworten (II, 5, 42-48). Einer unfreiwilligen Bindung kann Bertram jedoch nicht ganz entkommen: Die Abschiedsszene, zu der er von Helena genötigt wird (II, 5, 71-89), gibt im kleinen das wesentliche Geschehen des Dramas wieder: Bertram wird die ihm fehlende kindness von Helena aufgezwungen.9 9

Siehe o. S. 6 5 - 6 6 und u. S. 2 4 9 - 2 5 0 .

185

Auch der weitere Verlauf des Dramas ist von zahlreichen Reisen gekennzeichnet. Wie Helenas Abreise nach Paris wird auch ihr Aufbruch zum heiligen Jakob (über Florenz) nicht durch eine Abschiedsszene wiedergegeben. An deren Stelle tritt ein Monolog (III, 2, 99-129) und ein Brief (III, 4, 4-17). Noch deutlicher hervorgehoben als bei der ersten Abreise wird hier also die Einsamkeit der Dramenheldin und ihre Fixierung auf ein Ziel: Solange sie nicht mit Bertram vereint ist, fühlt sie sich auch bei der Gräfin von Roussillon nicht zu Hause. Bertrams Abreise aus Florenz wird nur kurz von einem Boten angekündigt (IV, 3, 73-76), wodurch die Hast des Aufbruchs deutlich wird. Auch Helenas Abreise kommt nur sehr knapp zur Darstellung (IV, 4). Diese Gemeinsamkeit deutet auf das happy ending am gemeinsamen Zielort voraus. In Cymbeline ist die Szene, die den Aufbruch Imogens zum Inhalt hat (III, 2), in einen Zusammenhang gestellt, der zu besonderer Spannung (und dramatischer Ironie) führt. Pisanio hat in einem Brief des Posthumus den Auftrag erhalten, Imogen aus dem Palast zu locken und umzubringen. Hiermit kontrastiert die gewohnte Lebhaftigkeit und Zuversicht, die Imogen bei ihrem Auftritt an den Tag legt. Sobald sie den zu ihrer Täuschung geschriebenen Brief des Posthumus an sie liest, ist ihr Plan gefaßt, augenblicklich zu ihm nach Milford-Haven aufzubrechen. Wie Julia in The Two Gentlemen of Verona scheint sie anzunehmen, daß ihre Sehnsucht ihr übernatürliche Kräfte verleihen wird. Auch für Imogen wird die Reise also zu einer Möglichkeit der Selbstbestätigung: O , for a horse with wings! Hear'st thou, Pisanio? H e is at Milford-Haven: read, and tell me H o w far 'tis thither. If one of mean affairs May plod it in a week, why may not I Glide thither in a day? . . . (Ill, 2, 4 9 - 5 3 )

Charakteristisch ist auch die von Imogen geäußerte Annahme, auch Pisanio habe das Verlangen, Posthumus zu sehen (III, 2, 53-57). Bevor sie sich an Pisanio als "Love's counsellor" (III, 2, 58) mit der Bitte um konkreten Rat wendet, gibt sie hiermit ihrer kindness ihm gegenüber Ausdruck. Das Grundmuster der Szenen in The Two Gentlemen of Verona und As You Like It wird also in einer elaborierteren Form wiederaufgenommen. Auch hier dient dieses Grundmuster dazu, Imogens spezifischen Charakter vorzuführen: Wie in der Szene 1,4 läßt sie Pisanio kaum zu Wort kommen und beantwortet jede Frage gleich 186

selbst. Die unregelmäßige Syntax, die Wiederholungen und die ,sich überschlagende' Sprache kennzeichnen ihre Aufregung. Inhaltlich geht es dabei um Fragen von praktischer Bedeutung: Imogen möchte unter anderem wissen, wie sie dem Palast entkommen und welches Tagespensum an Wegstrecke sie zurücklegen kann (111,2, 62-69). Mit dieser ,Realitätsnähe' verbunden sind dann wieder Äußerungen, die ein ,irreales', subjektives Zeit- und Raumempfinden anzeigen: Why, one that rode to's execution, man, Could never go so slow: I have heard of riding wagers, Where horses have been nimbler than the sands That run i' th' clock's behalf . . . (111,2, 71-74) 1 0

Der starke Realitätssinn Imogens, der sich bei ihr mit einem unbedingten Vertrauen in das Schicksal verbindet, äußert sich in überraschend detaillierten Aufträgen: Ihre Dienstmagd soll sich unter dem Vorwand einer Krankheit entfernen, und Pisanio soll ihr ein Reitgewand einer bestimmten Preisklasse beschaffen (111,2, 75-78). Pisanio, der den Mordauftrag vor Augen hat, versucht erfolglos, ihren Enthusiasmus etwas zu dämpfen (III, 2, 78). Mit einer bemerkenswerten Metapher stellt Imogen zum Abschluß der Szene noch einmal die existentielle Natur ihrer Reise heraus: I see before me, man: nor here, nor here, N o r what ensues, but have a fog in them, That I cannot look through. Away, I prithee, D o as I bid thee: there's no more to say: Accessible is none but Milford way. (Ill, 2, 7 9 - 8 3 )

Die Fixierung auf ein bestimmtes Ziel wird hier besonders deutlich: In Imogens Gesichtskreis befindet sich kein anderes Objekt mehr als Milford, der Ort, an dem sich Posthumus aufhält. Nicht einmal die Frage, wie dieser sie empfangen wird, stellt sich für Imogen. Herausgestellt wird ausschließlich ihr Reisevorhaben und damit ihre Wesensart und ihre Stärke. In einem ironischen Kontrast zu dieser Szene steht die Szene, in der Cloten, der dümmliche, böswillige Sohn der Königin, aufbricht, um Imogen nach Milford-Haven zu folgen, dort Posthumus zu töten und sie selbst zu vergewaltigen (III, 5, 101-157). 11 Durch das Motiv ,Hast* wird 10 11

Vgl. Juliets subjektives Zeitempfinden; Romeo and Juliet, III, 5, 4 4 - 4 7 . Die Bedeutung dieser Szene im Gesamtrahmen des Dramas zeigt sich etwa bei einem Rückverweis in der Schlußszene (V, 5, 2 7 4 - 2 8 6 ) .

187

eine Parallele zur Abreise Imogens hergestellt. Diese hat jedoch nur die Funktion, die Unterschiede um so deutlicher hervortreten zu lassen. Anstatt mit kindness bestürmt Cloten Pisanio mit commands (III, 5, 128-129 und 152-156), mit Drohungen und mit Geldangeboten. Die Unternehmungslust, die bei Imogen auf Liebe gegründet ist, beruht bei Cloten auf verletzter Eitelkeit, Rachsucht und Bosheit. Dieser Gegensatz wird auch durch die Komik der Szene und vor allem durch die asides und Kommentare Pisanios, der Cloten's Vorhaben nicht ernst nimmt und seine Eile als "fool's speed" (III, 5,162) bezeichnet, deutlich gemacht. Zum Abschluß spricht Pisanio einen Segenswunsch für Imogen und einen .negativen Segenswunsch' für Cloten (III, 5, 161-163). In den bisher besprochenen Szenen ging es im wesentlichen um Reisen, die zur Erreichung eines bestimmten Ziels unternommen werden. Meistens werden die Reisepläne vom Reisenden selbst entwickelt, wobei der Dialogpartner nur eine bestätigende oder kritische Hintergrundsfigur ist. Auffällig ist der durchweg optimistische Blick in die Zukunft, den die Reisenden den widrigen Umständen, die sie zur Reise nötigen, entgegensetzen. Der Reiseantritt kommt dabei meist einem ,Abbrechen der Brücken' durch den Reisenden gleich. Manche Reisende (wie Julia, Rosalind, Celia und Imogen) treten die Reise in der Annahme an, an einem zu erreichenden Ort bereits ,Heimatrecht' zu genießen, einer Annahme, die ihnen die Kraft gibt, die gegenwärtigen Widrigkeiten durchzustehen. Auffällig ist auch, daß das in diesen Szenen eingeleitete Reisegeschehen in allen Fällen (von dem Clotens natürlich abgesehen) schließlich mit einem glücklichen Erreichen des Reiseziels endet, so ungerechtfertigt der Optimismus der Reisenden am Anfang auch erscheinen mag. Offensichtlich vermeidet Shakespeare diesen Typ der Reisevorbereitungsszene in tragischen Zusammenhängen. So fehlen Szenen dieser Art etwa in King Lear. Obwohl sich die Personen des Dramas, vor allem Lear, Goneril und Regan, sehr häufig von einem Ort zum anderen begeben, wird der Zuschauer auf den jeweiligen Aufbruch nur durch kurze ,Signale' (zum Beispiel den Ruf nach Pferden) hingewiesen (1,4,335; 1,5, 31-32 und 45; 11,4,295). Die allgemeine Unordnung scheint den geordneten Antritt einer Reise, wie er nicht nur durch Abschiedsszenen,12 sondern auch durch Reisevorbereitungsszenen dargestellt werden kann, nicht mehr zu ermöglichen. 12

Vgl. o. S. 6 9 - 7 1 .

188

Ein anderer Typ von Reisevorbereitungsszenen liegt vor, wenn ein Dramenheld eine Reise antritt, um einer drohenden Lebensgefahr zu entgehen, wenn etwa der Herrscher des Landes seinen Tod beschlossen hat. In diesen Fällen wird der Flucht- und Reiseplan meistens nicht vom Reisenden selbst, sondern von einem Vertrauten entworfen. In diese Kategorie gehört auch die bereits besprochene Szene, die den Aufbruch Orlandos und Adams in As You Like It zum Inhalt hat (II, 3). 13 Ein frühes Beispiel für eine Situation dieses Typs findet sich in Romeo and Juliet: Friar Laurence gibt Romeo, der vom Prinzen verbannt worden ist, den Rat, vor Einbruch der Nacht nach Mantua zu fliehen und dort zu warten, bis er, Friar Laurence, eine Revidierung des Verbannungsurteils erwirkt hat (111,3, 145—153). Für eine weitere Besprechung dieses Ratschlags bleibt keine Zeit, da Romeo sogleich aufbricht, um zu Juliet zu eilen. Friar Laurence wiederholt und ergänzt nur noch einmal kurz seinen Plan (III, 3, 165-170). Um eine statische Szene, in der die existentielle Bedeutung der Reise für den Reisenden zur Sprache kommen kann, handelt es sich hier nicht. Diese Funktion wird vielmehr die Szene des Abschieds von Juliet erfüllen (III, 5). 14 Auch die Szene in King Lear, in der Gloucester den Transport Lears nach Dover arrangiert, ist recht kurz (III, 6, 84-99). Wie in Romeo and Juliet folgt sie einem sehr dramatischen Gefühlsausbruch des Dramenhelden, und wie dort erscheint die Reise, zu der ein treuer Freund rät, als Lichtblick in einer scheinbar ausweglosen Situation. Lear hatte nach den Heideszenen zusammen mit seinen Begleitern Edgar, Kent und dem fool Zuflucht in einer Hütte gefunden. Als er erschöpft eingeschlafen ist, tritt Gloucester auf und überbringt die Nachricht vom geplanten Mordanschlag auf den König. Gleichzeitig spricht er von den Vorbereitungen, die er für Lears Flucht getroffen hat, gibt Dover als Reiseziel an und stellt dort "welcome and protection" (III, 6, 90) in Aussicht. Die hiermit eingeleitete Reise gibt dem Dramengeschehen, was Lear betrifft, zum erstenmal nach seiner Abdankung wieder Ordnung und Sinn. Alle weitere Mühsal wird dem Erreichen eines bestimmten Ziels dienen, das zuvor nicht vorhanden gewesen war. Daneben dient die Szene der Charakterisierung Gloucesters, der zu erkennen gibt, daß in ihm noch natürliche kindness vorhanden ist. Freilich wird er in der nächsten Szene für diese Handlung, seine einzige vernünftige und zielgerichtete in diesem Drama, mit dem Verlust des Augenlichts bestraft werden. 13

Siehe o. S. 183.

14

Siehe o. S. 40-43. 189

Auch in Cymbeline findet sich eine Reisevorbereitungsszene dieses Typs (III, 4, 129-195). Die in dieser Szene erfolgende Entdeckung der Verdächtigung des Posthumus und seines Mordplans ist der zweite schwere Schicksalsschlag, den Imogen in diesem Drama erleidet. Der Schlag wirkt um so vernichtender, als Imogen am Anfang der Szene gedacht hatte, sie würde in Kürze ihr Ziel erreichen (III, 4, 1-3). Anders als in der Szene III, 2 übernimmt jetzt Pisanio die Rolle desjenigen, der den Reiseplan entwickelt, ähnlich wie Friar Laurence und Gloucester. Zunächst wird in Imogens ängstlichen Fragen ihre Unsicherheit deutlich, die aus dem Fehlen eines Ziels und einer Heimat für sie erwächst (III, 4,129—136), doch schon bald hat sie diese Perspektivlosigkeit überwunden und beginnt, die Möglichkeit ins Auge zu fassen, sich außerhalb Britanniens ein neues Zuhause zu suchen: . . . Γ th' world's volume O u r Britain seems as of it, but not in't: In a great pool, a swan's nest: prithee think There's livers out of Britain. (Ill, 4, 1 3 9 - 1 4 2 )

Imogen bekundet also ihre Offenheit gegenüber neuen Zielen. Jetzt kann Pisanio seinen Plan entwickeln, der wie bei Reisen junger Mädchen in früheren Dramen eine Verkleidung als Knabe enthält. Insofern als der Plan jedoch vom Ratgeber und nicht (wie in früheren Fällen) vom Mädchen selbst stammt, bringt diese Szene eine neue Situation zur Darstellung: Während sich Imogen in der Szene III, 2 mit Begeisterung selbst eine Aufgabe gestellt hat, muß sie nun ihre Fähigkeit zeigen, eine ihr gestellte Aufgabe zu erfüllen und sich den Erfordernissen ihrer Lage anzupassen. Dieser Charakter der bevorstehenden Reise als ,Prüfung' wird auch an der besonderen Ausgestaltung des Verkleidungsmotivs deutlich: Mit großem Nachdruck hebt Pisanio hervor, daß sich Imogen mit der Verkleidung auch ein knabenhaftes Verhalten zulegen muß (III, 4, 155-161). Während dieser Punkt bei Portia der Darstellung ihres .knabenhaften' Ubermuts diente, erscheint er hier als ein Imogen gestelltes Problem, von dessen Bewältigung der Erfolg des Vorhabens abhängt. Auch wird jetzt zum erstenmal gesagt, daß die Verkleidung für das Mädchen ein Opfer ihrer weiblichen Schönheit mit einschließt (111,4, 161-167). Auch hierin besteht eine ,Prüfung'. Imogen gibt ohne Zögern ihre unbedingte Zustimmung zu dem Plan und zeigt an, daß sie darauf vertraut, den bevorstehenden Widrigkeiten gewachsen zu sein (111,4, 153-155, 167-169 und 183-186). Selbst in 190

ihrer jetzigen Situation behält sie das Bewußtsein ihrer königlichen Natur: Sie meint, "a prince's courage" (III, 4,186) würde es ihr ermöglichen, die vor ihr liegende Aufgabe zu bewältigen. Wie in der Szene III, 2 richtet sie den Blick nach vorne und bricht die Brücken hinter sich ab. Pisanio wird von ihr ohne weitere Abschiedszeremonie nach Hause geschickt.15 Durch das neue Reiseprojekt kann sich Imogens zuversichtliche, zielstrebige Wesensart trotz der vernichtenden Nachricht von Posthumus' Verdächtigung jetzt von neuem entfalten. Milford-Haven bleibt der Ort (ähnlich wie Dover in King Lear), mit dessen Erreichen Imogen ein Ende ihrer Mühsal erhofft. Der Ort erhält hierdurch eine symbolische Qualität als .sicherer Hafen'. In dieser Szene wiederholt sich das Strukturmuster, das bereits beim Abschied in den Szenen I, 2 und I, 4 vorlag: Durch ihre Liebe, ihre Phantasie und ihr Vertrauen in das Schicksal überwindet Imogen ihren Schmerz. Ein drittes Mal wird sich dieses Muster in der Szene IV, 2 finden, wo Imogen aus ihrem Tiefschlaf erwacht und den toten Körper Clotens entdeckt, diesen aber wegen der Kleidung für den des Posthumus hält. Selbst dieser Schicksalsschlag läßt Imogen nicht verzweifeln. Vielmehr nimmt sie die kindness des Lucius willig entgegen und wendet sich ihm als neuem master zu. Die Wiederholung der Struktur macht deutlich, wie konsistent Imogens Charakter gezeichnet ist und welche Bedeutung dieser Charakter innerhalb des Dramas hat. Wie bei epischen Reisenden, etwa bei Odysseus, ist weniger der einzelne Rückschlag, den der Held erleidet, von Belang, sondern dessen sich immer wieder von neuem zeigende Fähigkeit, Rückschläge zu überwinden. Das dramatisierte Geschehen der Planung einer Reise ermöglicht also die bühnenwirksame Darstellung eines Handlungsablaufs, der von seinem eigentlichen Wesen her ,episch' zu nennen ist. Die drei zuletzt besprochenen Szenen unterscheiden sich von den anderen ,Reisevorbereitungsszenen' dadurch, daß sich der Reisende nicht nur auf den Weg zu einem neuen Zuhause begibt, sondern einer konkreten Lebensbedrohung entfliehen muß. Strukturell ist mit diesen Szenen jeweils ein Wendepunkt im Drama verbunden: Die Dramenhelden sind nicht nur der Bedrohung ausgesetzt, sondern auch psychisch stark belastet. Ein neues Ziel, das im Drama durch einen bestimmten Ortsnamen bezeichnet und auf diese Weise geographisch versinnbildlicht' wird, gibt dem Reisenden seine ,Lebenskraft' zurück. Diese Szenen 15

Siehe o. S. 89.

191

stehen nicht am Anfang, sondern in der Mitte des jeweiligen Dramas, sind aber ein Zeichen für den Beginn eines neuen Handlungsstranges, dem im Fall von King Lear und Cymbeline bereits ein anders geartetes Reisegeschehen vorausging. Diese Szenen ermöglichen also das ,epische' Aneinanderreihen verschiedener Handlungsstränge, die in ihrer Gesamtheit für den Dramenhelden eine Reise von existentieller Bedeutung darstellen. Eine ähnliche Szene findet sich auch in The Winter's Tale, allerdings in der Anfangsphase des Dramas (1,2, 406-465): Camillo teilt Polixenes mit, daß er von Leontes beauftragt worden ist, ihn umzubringen, und legt ihm die sofortige Flucht nahe. Anders als in den hier bisher besprochenen Szenen dieses Typs stellen Reiseziel und Reiseart kein Problem dar: Polixenes wird mit seinen bereitliegenden Schiffen die bereits überfällige Rückkehr nach Böhmen antreten (I, 2, 449-451). Der gefahrvolle Teil der Reise besteht lediglich in der Flucht aus der Stadt, doch Camillo verfügt über die erforderlichen Mittel und Wege (1,2, 463-464). Es geht in dieser Szene nicht (wie sonst meist bei diesem Szenentyp) in erster Linie um das Schicksal des Reisenden (Polixenes) und die Verdeutlichung seiner Reise, sondern vor allem um Camillo und seine Rolle als Ratgeber. Als Höfling des Leontes muß er erst das Vertrauen des Polixenes gewinnen, bevor er Gehör findet. Seine untergeordnete, abhängige Stellung wird ebenso deutlich wie sein auf honesty gegründeter Charakter. Dieses Bild Camillos ist von Bedeutung für den zweiten Teil des Dramas, in dem er erneut als Ratgeber von Reisenden fungiert: Florizel und Perdita, die nach der Entdeckung ihrer Liebe durch Polixenes aus Böhmen fliehen wollen, jedoch kein Ziel vor Augen haben, entschließen sich auf seinen Rat, nach Sizilien zu reisen (IV, 4, 508-669). Wie in der Szene 1,2 muß Camillo auch hier die ihm zunächst eher feindselig gesonnenen Ansprechpartner von seiner Ehrenhaftigkeit überzeugen. Erst als er seinen Plan im einzelnen entwickelt und den zu erwartenden Willkommensgruß des Leontes geschildert hat (IV, 4, 542-565), beginnt Florizel Vertrauen zu fassen (IV, 4, 565-566). Angehörige verschiedener Generationen gehen in dieser Szene schrittweise aufeinander zu. Entscheidend ist, daß die Liebenden schließlich auf den von außen kommenden Ratschlag eingehen. Hiermit zeigen sie die Fähigkeit an, sich den Erfordernissen und Widrigkeiten der Reise unterzuordnen und ihr Ziel zu erreichen. Die Angabe eines Ziels für die Reise von Personen, die heimatlos 192

sind, durch einen außenstehenden Ratgeber erweist sich auch hier als das Element, das dem Geschehen eine günstige Wendung gibt. Eine Abreise ohne Ziel hingegen hätte keinerlei Zukunftsperspektiven geboten, wie Camillo betont, der seinen Plan als den ,versprechenderen' empfiehlt: A course more promising Than a wild dedication of yourselves To unpath'd waters, undream'd shores; most certain To miseries enough . . . (IV, 4, 5 6 6 - 5 6 9 )

Die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft beschränkt sich in dieser Szene nicht auf die beiden Reisenden: Camillo selbst hofft, im Gefolge des von ihm alarmierten Polixenes selbst wieder einmal nach Sizilien zu kommen, doch er weiß (im Gegensatz zum Zuschauer) noch nicht, daß Perdita die verlorene Tochter des Leontes ist, die durch seinen Plan wieder in ihr ursprüngliches Zuhause gelangen wird. Die umfassende Bedeutung der Reise Perditas und Florizels zeigt sich darin, daß auch Autolycus, der Taschendieb, einen Anteil an ihrer Vorbereitung hat: Mit ihm tauscht Florizel seine Kleider, um auf der Flucht nicht erkannt zu werden (IV, 4, 632-659). Auf diese Weise erhält Autolycus Kenntnis von dieser Flucht und kann dem alten Schäfer und seinem Sohn den Weg weisen, so daß diese dem König Perditas Erkennungszeichen übergeben können. Auch der rogue wird also in den Geschehensablauf mit einbezogen, der zum happy ending und der Wiederherstellung der natürlichen Ordnung führt.16 Die strukturelle Funktion der Reisevorbereitungsszenen entspricht in Shakespeares Dramen, wie diese Untersuchung zeigt, der der Abschiedsszenen. Wie diese enthalten sie Blicke in die Zukunft, in denen das Reiseziel zur Sprache kommt. Wie die Abschiedsszenen machen die Reisevorbereitungsszenen den Charakter der Reise als Prüfung deutlich, doch liegt diese Prüfung nicht in der Trennung von geliebten Personen, sondern in den Widrigkeiten und Gefahren der Reise selbst, die bei diesem Szenentyp deutlicher zur Darstellung kommen können. So verkleidet sich das reisende Mädchen in vielen Fällen als Knabe, um den Gefahren der Reise zu begegnen. Diese Verkleidung setzt die Fähigkeit und Bereitschaft des Mädchens voraus, die eigene Persönlichkeit eine Zeitlang zu verleugnen und sich äußeren Erfordernissen anzupassen. Reisevorbereitungsszenen finden sich vor allem dann, wenn Ab16

Vgl. u.S. 310. 193

schiedsszenen nicht möglich sind, da der Dramenheld keine Personen am Ort der Abreise zurückläßt, mit denen ihn ein enges persönliches Verhältnis verbindet. Wenn der Abschied fehlt, zeigt dies also, daß der Abreisende am alten Ort gar kein Zuhause mehr hat, so daß auch keine zeremonielle Loslösung von diesem Ort mehr erforderlich ist. Um so deutlicher faßt der Reisende sein Ziel ins Auge, an dem er sich oft schon zum Zeitpunkt des Reiseantritts ,zu Hause' fühlt. Charakteristisch sind die Worte Celias in As You Like It: "Now go we in content / To liberty, and not to banishment" (1,3, 133-134). Diese Ansicht, zu der sich bei Shakespeare mehrere Parallelen finden, 17 ist paradox: ,Frei' ist man normalerweise zu Hause, während ,Verbannung* in der Regel mit dem Verlust der Privilegien verbunden ist, die ein Zuhause vermittelt. Die Situation führt zu einer Umkehrung dieser Gesetzmäßigkeit: Am Reiseziel hoffen Rosalind und Celia, ,frei' zu sein und ihrer Natur entsprechend leben zu können, während sie am Hof ihre Vorrechte durch die unkindness Duke Fredericks verloren haben. Die Zukunftsbezogenheit der Reisenden in den Reisevorbereitungsszenen erklärt auch, warum bei diesem Szenentyp anders als in den Abschiedsszenen tragische Vorahnungen durchweg fehlen. Im Blickfeld der Reisenden liegt nur der Zielort, mit dem stets bestimmte Glückserwartungen verbunden werden. Eine Besonderheit dieses Szenentyps besteht in der Figur des Beraters des Reisenden, der in den meisten Fällen nicht selbst mitreist. Aus dem dramatischen Erfordernis eines Dialogpartners entwickelt Shakespeare die Möglichkeit, ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Reisenden und dem meist rangniedrigeren Ratgeber zur Darstellung zu bringen und auf diese Weise die Charaktere der Personen zu schildern. Je nach Art der Reisevorbereitungsszene ist die Rolle des Ratgebers eine andere: Beim ersten Typ, der sich vorwiegend in den früheren und mittleren Dramen findet, entwickelt der Reisende selbst den Plan einer zielgerichteten Unternehmung. Der Dialogpartner (zum Beispiel Lucetta in den Two Gentlemen of Verona) ist dabei nur eine bestätigende Hintergrundsfigur. Obwohl Reisevorbereitungsszenen in der Regel als dynamisch und nicht als statisch anzusehen sind, da durch die Vorbereitung einer Reise die Handlung befördert wird, enthalten Szenen dieses Typs gelegentlich statische Abschnitte, die der Charakterisierung dienen. Hierzu gehören die Szenen, in denen ein Mädchen ankündigt, sich als Mann zu verkleiden. 17

Siehe o. S. 47, Anm. 33. 194

Eine dynamischere' Rolle spielt der Ratgeber in den Szenen des zweiten Typs, der sich vorwiegend in den späteren Dramen findet. Hier ist der Reisende von einer unmittelbaren Gefahr bedroht und muß fliehen. In einigen Fällen hat er jeden Halt in einer menschlichen Gemeinschaft verloren und befindet sich in einer Existenzkrise, die sich auf seine psychische Verfassung auswirkt bzw. auszuwirken droht. In dieser Situation entwickelt ein treuer Ratgeber, meist der, der auch vor der Gefahr gewarnt hat, einen rettenden Flucht- und Reiseplan. Durch die Festsetzung eines Zielorts bekommt der Reisende wieder die Möglichkeit, nach etwas zu streben und seine guten Anlagen zu entfalten. Nach einem schweren Rückschlag kann es für ihn wieder aufwärts gehen. Der Ratgeber, der dem Helden bei der Planung einer Reise von existentieller Bedeutung zur Seite steht, ist eine der wichtigsten Figuren in epischen und romanhaften Werken der Antike, man denke nur an Athene in Gestalt des Mentes oder Mentor und an Teiresias in der Odyssee und an Kalasiris in den Aithiopika. Zwar gibt es auch im englischen Drama vor Shakespeare Ratgeber, so die Vzce-Figuren in Common Conditions und Sir Clyomon and Sir Clamydes, doch entspricht Shakespeares wirklichkeitsnahe' Charakterisierung weit eher der epischen bzw. romanhaften Tradition. Bemerkenswert ist auch, daß das (dramatisch sehr effektive) Motiv des betrügerischen oder irreführenden Ratschlags vor oder während einer Reise, das sich in den genannten englischen Dramen findet, bei Shakespeare völlig fehlt. c) Die Reiseszenen Nur in einigen wenigen Fällen zeigt Shakespeare seine Personen während des Vorgangs des Reisens selbst auf der Bühne. Der Szenentyp ,Reiseszene' kommt bei ihm nur dann zur Anwendung, wenn es darum geht, den Reiseweg und die besondere Situation der jeweiligen Reise deutlich zu machen. In The Two Gentlemen of Verona befindet sich Silvia, die ihren Valentine im Wald suchen wollte, in der Szene V, 3 in den Händen von Räubern. Aus deren Reden geht hervor, daß sie sich im Wald befinden (V, 3, 8) und dabei sind, Silvia zur Höhle ihres Anführers (Valentine) zu bringen (V, 3,1 und 11). Daneben bringt die Szene Silvias Ausdauer zur Darstellung, mit der sie die Mühsal ihrer Lage erduldet. Durch ihre Reise ,bewährt' sich Silvia in ihrer Liebe zu Valentine. Während diese Szene also eine bestimmte Episode einer Reise drama195

tisch wiedergibt, stellt Shakespeare in anderen Dramen die Schlußphase eines ohne dramatische Zwischenfälle ablaufenden Reisegeschehens szenisch dar. Der Punkt, an dem die Reisenden erschöpft sind, ihr Ziel aber noch nicht erreicht haben, eignet sich in besonderem Maße zur Schilderung der Beschwerlichkeit des Reisens und der Ausdauer des Reisenden. Eine solche Situation findet sich gleich zweimal in As You Like It: In der Szene II, 4 sind Rosalind, Celia und Touchstone, in der Szene II, 6 Orlando und Adam jeweils nach einer langen Wanderung in den Forest of Arden gelangt, ohne zu irgendeiner menschlichen Behausung gekommen zu sein. Wesentlicher Zweck der Szenen ist es, die Erschöpfung der Reisenden deutlich werden zu lassen. So wird in beiden Szenen der Punkt für die Darstellung ausgewählt, an dem einer der Reisenden, Celia bzw. Adam, angibt, nicht weitergehen zu können. Gleichzeitig wird jedoch eine individuelle Charakterisierung vorgenommen: So macht sich die Erschöpfung in der Szene II, 4 bei den drei Reisenden auf unterschiedliche Art bemerkbar: Rosalind ist gedankenvoll und verspielt, Touchstone ist realistischer', und Celia verzichtet ganz darauf, über ihre Müdigkeit einen Kommentar abzugeben: Ros. O Jupiter, how weary are my spirits! Touch. I care not for my spirits, if my legs were not weary. Ros. I could find in my heart to disgrace my man's apparel and to cry like a woman. But I must comfort the weaker vessel, as doublet and hose ought to show itself courageous to petticoat; therefore courage, good Aliena. Celia. I pray you bear with me. I cannot go no further. (II, 4, 1-8)

Für Rosalind charakteristisch ist der Rollenkonflikt zwischen dem Mädchen, das sie ist, und dem Knaben, den sie darstellt. Doch bezieht sie gerade aus der spielerisch übernommenen Rolle des Knaben und des Beschützers die Kraft zum Durchhalten. Ihre Phantasie geht mit der Fähigkeit einher, sich widrigen Umständen anzupassen, ihre Zuversicht zu bewahren und sie auch an ihre Begleiter weiterzugeben. Ihre Ausdauer wird kurz darauf belohnt, als sie und ihre Mitreisenden vom Schäfer Corin willkommen geheißen werden. Auch im Fall Orlandos und Adams wird die Erschöpfung der Reisenden zum Ausdruck gebracht (II, 6). Gegenüber der Szene II, 4 erscheint die Mühsal des Reisens hier jedoch drastisch gesteigert. So bricht Adam am Anfang der Szene vor Entkräftung zusammen. Er ist nicht nur erschöpft, sondern leidet auch Hunger und glaubt, bald sterben zu müssen. Orlando jedoch appelliert wie Rosalind ("courage"; II, 4, 7) an die ,Beherztheit' seines Begleiters: 196

Adam. Dear master, I can go no further. O I die for food. Here lie I down, and measure out my grave. Farewell kind master. Ori. Why how now Adam? N o greater heart in thee? Live a little, comfort a little, cheer thyself a little. If this uncouth forest yield anything savage, I will either be food for it, or bring it for food to thee ... (II, 6, 1-7)

Wie Rosalind versucht auch Orlando, seinen Begleiter mit sanften Spaßen aufzumuntern, obwohl er selbst, wie sein Einbruch in den Kreis um Duke Senior deutlich macht (II, 7, 88-104), großen Hunger leidet. Die Parallelen zwischen den beiden Reiseszenen fallen sofort ins Auge. Der Zuschauer begreift erneut, daß Rosalind und Orlando f ü r einander bestimmt' sind. Da die beiden in verschiedenen Teilen des Forest of Arden ankommen, bewegen sie sich auch räumlich aufeinander zu. Ihrer geographischen Annäherung wird in der pastoralen Welt bald eine persönliche Annäherung folgen, die in der Eheschließung gipfelt. Die Reisen haben also neben der wörtlichen eine übertragene, symbolische Bedeutung. Auch die Unterschiedlichkeit der Szenen ist symbolisch deutbar: Orlando wird vom Schicksal (bzw. vom Dramatiker) von Anfang an härteren Prüfungen unterworfen als Rosalind. 1 Dies mag damit zusammenhängen, daß er, der keine höfische Erziehung genossen hat, bis zum ,Reiseziel', das neben seiner Heirat mit Rosalind auch in seiner Eingliederung in die höfische Gesellschaft besteht,2 noch einen ,weiteren Weg' zurückzulegen hat als die Tochter des Herzogs. Erschöpfung und Hunger gehören auch zu den Widrigkeiten von Imogens Reise nach Milford-Haven in Cymbeline (III, 6). Bemerkenswert an dieser Szene ist Shakespeares Wagnis, Imogen in Monologform von ihrer Wanderung berichten zu lassen. Dies gelingt Shakespeare durch Auflösung des Monologs in Fragen und Antworten an sich selbst (111,6, 9-12, 17-18 und 24-26), sowie durch Anreden an den Ort Milford (111,6, 4 - 6 ) und an Posthumus (111,6, 14-17). Selbst ihre Einsamkeit und Verlassenheit führt bei Imogen nicht zur Aufgabe ihres fröhlichen, mitteilsamen, fast etwas schwatzhaften Wesens. So kann Imogen wie Rosalind trotz aller Entbehrungen noch über ihre Verkleidung als Mann witzeln (III, 6, 1-2). Noch detaillierter als in As You Like It werden die Widrigkeiten der Reise im einzelnen beschrieben. So sagt Imogen, daß sie nach der Trennung von Pisanio bereits zwei Tage unter freiem Himmel geschlafen 1 2

Siehe z. B. o. S. 183. Vgl. u. S. 299.

197

hat (III, 6, 2 - 3 ) . Den physischen Entbehrungen stellt sie ihr psychisches Durchhaltevermögen entgegen, das durch das Bewußtsein, sich einem Zielort zu nähern, gestärkt wird: . . . I should be sick, But that my resolution helps me: Milford, When from the mountain-top Pisanio show'd thee, Thou wast within a ken . . . (Ill, 6, 3 - 6 )

Nach den Ankündigungen der Szene III, 2 erbringt Imogen jetzt den Beweis, daß sie tatsächlich in der Lage ist, absolute Gegebenheiten wie Hunger und geographische Entfernungen durch ihre Standhaftigkeit und Entschlossenheit zu relativieren. Selbst Imogens allmählich aufkommende Zweifel, ob sie die richtige Richtung eingeschlagen hat, führen nicht zu einer völligen Entmutigung, sondern zu allgemeinen sentenziösen Betrachtungen, die zeigen, daß sie ,über den Dingen' zu stehen vermag. Selbst der Gedanke an Posthumus führt zu keiner Verbitterung, sondern hat im Gegenteil einen stärkenden Effekt: . . . My dear lord, Thou art one o' th' false ones! N o w I think on thee, M y hunger's gone; but even before, I was A t point to sink, for food . . . (Ill, 6, 1 4 - 1 7 )

An diesen physischen Auswirkungen zeigt sich die Qualität der Bindung von Imogen zu Posthumus. Wie schon in der Szene III, 2 halten die Träumereien Imogen in keiner Weise vom Handeln ab: So erspäht sie eine menschliche Behausung und damit die Möglichkeit, an Hilfe zu gelangen (III, 6,17-27). Es folgt die Begegnung mit Belarius, Guiderius und Arviragus. Wie in As You Like It gewinnt der Zuschauer den Eindruck, daß der Reisende für seine Ausdauer unmittelbar belohnt wird. Charakteristisch für Imogens Entschlossenheit, ihr Ziel zu erreichen, sind auch die Worte, die sie im Augenblick ihres Erwachens aus dem todähnlichen Schlaf spricht: Yes sir, t o Milford-Haven, which is the way? I thank you: by yond bush? pray, how far thither? 'Ods pittikins: can it be six mile yet? I have gone all night: faith, I'll lie down and sleep . . . ( I V , 2 , 2 9 1 - 2 9 4 )

Die Situation ,Reise' hat Imogens ganzes Wesen erfaßt, so daß sie auch im Schlaf nicht aufhört, sich gedanklich mit Dingen wie Zielort, Enfer198

nung, Wegzeichen und Erschöpfung zu beschäftigen. Es wird deutlich, daß es hier ebenso wie in den anderen Szenen, die Imogens Reise zum Inhalt haben, weniger um die Verdeutlichung des Reisegeschehens als solches geht als vielmehr um die Darstellung von Imogens Befindlichkeit als Reisender, ihrer psychischen Verfassung und ihrer Fähigkeit, die mit der Reise verbundenen ,Prüfungen* zu bewältigen. Eine etwas andere Funktion hat die Szene in Richard II, in der sich Bolingbroke auf der Reise zu Berkeley Castle befindet (II, 3). Doch gehört auch diese Szene zum Typ der Reiseszenen, die einen Ausschnitt aus dem Reisegeschehen unmittelbar vor der Ankunft an einem Ziel zur Darstellung bringen. So findet sich auch hier das Motiv, daß der physischen Erschöpfung ein psychisches Durchhaltevermögen entgegengesetzt wird: Bol. How far is it, my lord, to Berkeley now? North. Believe me, noble lord, I am a stranger here in Gloucestershire. These high wild hills and rough uneven ways Draws out our miles and makes them wearisome, And yet your fair discourse hath been as sugar, Making the hard way sweet and delectable ... (II, 3, 1-7)

Durch Bolingbrokes Frage an Northumberland wird deutlich, daß er in seiner jetzigen Umgebung noch recht fremd ist und sein Ziel noch nicht erreicht hat. Die Beschwerlichkeit des Weges scheint dabei die Bedeutung von Bolingbrokes Vorhaben, seines ,Weges' im übertragenen Sinne also, wiederzugeben. Auch die Befindlichkeit Bolingbrokes als heimatloser Reisender findet in den äußeren Widrigkeiten ihren Ausdruck. 3 Diese Widrigkeiten werden von Northumberland jedoch relativiert. Er nimmt die Vorstellung von der Linderung der Strapazen durch psychische Faktoren nicht nur für sich selbst in Anspruch, sondern überträgt sie auch auf die beim Treffpunkt erwarteten Ross und Willoughby, die sich die Person Bolingbrokes als Ziel vor Augen halten könnten, um den "weary way" (II, 3, 8) kürzer erscheinen zu lassen, als er ist (11,3, 16-18). Die Zuversicht und Zielstrebigkeit der Anhänger Bolingbrokes wird herausgestellt. Es wird deutlich, daß Bolingbroke auf seinem ,Weg' nicht mehr aufzuhalten ist. Turbulenter ist das Reisegeschehen in A Midsummer Night's Dream und

in King Lear. In diesen Dramen können die Reisenden die für die Reise 3

Vgl. o. S. 121-122.

199

erforderlichen Qualitäten Ausdauer und Zuversicht nicht aufbringen. Infolgedessen verlieren sie die Orientierung und müssen ziellos in der Wildnis des Waldes bzw. der Heide herumirren. Im Midsummer Night's Dream wollen Lysander und Hermia der Stadt Athen entfliehen, um sich der Autorität von Theseus und Egeus zu entziehen. Ihr Aufbruch ist von fast überheblicher Zuversicht geprägt. Zwar wissen sie: .. The course of true love never did run s m o o t h . . . " ( 1 , 1 , 1 3 4 ) , doch scheint für sie zunächst alles sehr glatt, allzu glatt, zu gehen: In knappen Worten entwickelt Lysander seinen Plan, nachts durch den Wald zu einer verwitweten Tante von ihm zu fliehen (1,1, 156-168). Enthusiastisch stimmt Hermia zu (1,1, 168-178). D e n Liebenden fehlt jenes ,Problembewußtsein', das die Reisenden in den oben besprochenen Reisevorbereitungsszenen durchweg aufwiesen. So haben sie v o m Reiseweg und den mit ihm verknüpften Strapazen und Gefahren kaum eine Vorstellung. Lysander verbindet die Nacht, während der sie aufbrechen wollen, nur mit dem "silver visage" ( 1 , 1 , 2 1 0 ) des Mondes, und Hermia denkt beim Wald, den sie zu durchwandern haben, lediglich an "faint primrose b e d s " (1,1,215). Zu einer szenischen Verdeutlichung des Reisegeschehens nach Art der bisher besprochenen Szenen kommt es auch im Wald nicht. So ist der Auftritt von Demetrius und Helena durch eine Auseinandersetzung der beiden gekennzeichnet (II, 1 , 1 8 8 - 2 4 4 ) , während der Umstand, daß sich beide im Wald befinden, zwar zur Sprache kommt, nicht aber das eigentliche T h e m a des Dialogs ist. Beim Auftritt Lysanders und Hermias wird auf die Situation der Reise hingegen ausdrücklich Bezug genommen: Lysander bekennt, sich verirrt zu haben, und schlägt in Anbetracht von Hermias Müdigkeit vor, bis z u m Tagesanbruch zu ruhen: Fair love, you faint with wand'ring in the wood, And, to speak troth, I have forgot our way. We'll rest us, Hermia, if you think it good, And tarry for the comfort of the day. (II, 2, 3 4 - 3 7 )

Offensichtlich kennzeichnet die Verirrung die fehlende Orientierung auf ein Ziel hin: Lysander sagt nicht, von welchem Weg er abgekommen ist und wohin er am nächsten Morgen aufbrechen will. Auch in dieser Szene geht es nicht primär um die Reise. Ein größeres Gewicht hat vielmehr das dramatische Geplänkel über die N ä h e der Schlafplätze zueinander (II, 2 , 3 8 - 5 9 ) . Daran, daß Hermia und Lysander (wie Helena und Demetrius) mehr miteinander beschäftigt sind als mit 200

der Situation des Unterwegs-Seins, wird ihre Unreife deutlich, speziell ihre mangelnde Fähigkeit, sich den Gegebenheiten ihrer Lage anzupassen und sich gegen Gefahren zu wappnen. Im folgenden werden sie Opfer der im Wald herrschenden Mächte. Offensichtlich sind die Verhältnisse des Waldes nicht nur die Ursache für die Verwirrungen, sondern auch eine symbolische Veranschaulichung der Unreife bzw. Ziellosigkeit der jungen Liebenden.4 Von einem Reisegeschehen kann erst zu dem Zeitpunkt wieder die Rede sein, zu dem Helena beschließt, nach Athen zurückzukehren (III, 2,315). Bald darauf spürt sie ihre Erschöpfung: Diese ist das äußere Anzeichen, daß sie dabei ist, sich in ihr Schicksal zu fügen (III, 2, 431-436). Das gleiche gilt für Hermia (III, 2, 442-447). Auch Demetrius und Lysander werden im Schlaf von ihrer Wut aufeinander ablassen. Erst die dramatischen Geschehnisse der Nacht führen die Liebenden dazu, sich nicht mehr gegen ihr Schicksal aufzulehnen und sich den Erfordernissen des Unterwegs-Seins anzupassen. Diese resignative Haltung erscheint als Voraussetzung für das happy ending.5 Die Liebenden haben also durch die Ereignisse der Nacht einen Läuterungsprozeß durchgemacht. Um einen Läuterungsprozeß geht es auch in King Lear.b Unmittelbar nach Lears Trennung von Regan, die ihm eine freundliche Aufnahme verweigert hat, bricht ein Sturm los (II, 4, 298-300). Durch diesen wird Lear einer besonderen Bewährungsprobe ausgesetzt: Er hat kein Ziel, kein Zuhause, und kann sich gegen das Wirken des Unwetters nicht schützen. Gleichzeitig wird schon am Ende der Szene II, 4 deutlich, daß es nicht das reale Unwetter ist, das Lear als Reisender überstehen muß: Wonach Lear strebt (und was ihm fehlt), ist "patience" (II, 4,269). Zwischen seiner "rage" (II, 4,294) und dem Unwetter scheint ein Zusammenhang zu bestehen. So haben Szenen, die Lear auf dieser ,Reise' zeigen, einen besonderen Charakter. Dem Zuschauer wird das Unwetter zunächst in der Szene III, 1 vor Augen geführt, in der ein gentleman dem treuen Kent von 4

5 6

Edward Berry formuliert dies wie folgt: "The Athenian lovers act madly because they are in the wood, and thus subject to Puck's potions, but they are also in the wood because they act madly: they have run away. Geography is both a cause and an emblem of a state of mind"; a.a.O., S. 140. Vgl. u. S. 260-261. Wilson Knight spricht von einem "travailing process of creation and life" in King Lear und faßt zusammen: " . . . this play is Purgatory. Its philosophy is continually purgatorial"; The Wheel of Fire: Interpretations of Shakespearean Tragedy (London. 4 1949 [ 1 1930]), S. 179.

201

Lears ,Kampf' gegen die elements berichtet (III, 1, 4-15). Eben dieses Geschehen kommt in den Szenen III, 2 und III, 4 zur Darstellung: Lear sieht im Wüten des Sturms ein übernatürliches Strafgericht (III, 2, 1-9), eine Entsprechung zur unkindness seiner Töchter (III, 2, 14-24) bzw. ein Gegengewicht zum "tempest" in seinem "mind" (III, 4,12). Er setzt den Sturm also auf verschiedene Weise mit seinem Schicksal in Beziehung. Nicht unter den physischen Widrigkeiten, die der Sturm mit sich bringt, leidet Lear, sondern unter der in ihm zum Ausdruck kommenden kosmischen Unordnung und unter seinen eigenen Emotionen, die im Sturm eine Parallele finden.7 Wie im Midsummer Night's Dream sind die äußeren Widrigkeiten also nicht nur die Ursache für die Mühsal des Reisenden, sondern auch ein ,Abbild' von dessen psychischer Verfassung. Die Heideszenen erscheinen als dramatische Wiedergabe von Lears Suche nach den Eigenschaften, die für einen Reisenden nötig sind: Durchhaltevermögen und Ergebung in das Schicksal. Doch läßt Shakespeare auch die ,reale' Seite des Unwetters deutlich werden. Dies geschieht durch die Kommentare des fool (111,2, 10-13 und 25-26; 111,4,77 und 108-III) 8 und durch Kents wiederholte Aufforderung, zum Schutz gegen den Sturm eine Hütte aufzusuchen (III, 2, 60-63 und III, 4, 1-5 und 22).9 In der Szene III, 4 zögert Lear mit dem Eintreten in diese Hütte. Im Gegensatz zu seinen Mitreisenden, deren Streben darin bestand, dem Unwetter zu entkommen, hat er sein ,Reiseziel', "patience" zu erlangen, noch nicht erreicht. Auf Kents Aufforderung, doch in die Hütte zu gehen, antwortet er schließlich: Prithee, go in thyself; seek thine own ease: This tempest will not give me leave to ponder On things would hurt me more. But I'll go in. (Ill, 4, 2 3 - 2 5 )

Lears Erschöpfung, die sich in seiner Bereitschaft äußert, den anderen an den geschützten Ort zu folgen, an dem er sich schlafen legen möchte (III, 4,27), ist ähnlich wie bei den Liebenden im Midsummer Night's 7 8

9

Zur „Verbindung zwischen dem physischen und dem moralischen Bereich" in den Heideszenen vgl. Erzgräber, a.a.O., S. 92. Auf diese Rollenverteilung bei der Vergegenwärtigung der verschiedenen Aspekte des Sturms weist Dieter Mehl hin; Tragödien, S. 114. Ein Ansatz zu dieser Rollenverteilung findet sich schon bei Rosalind und Touchstone in As You Like It (II, 4, 1-2); siehe o. S. 196. Zur Problematik der Bedeutung des Unwetters bzw. zu den verschiedenen möglichen Deutungen des "thunder" vgl. John F. Danby, Shakespeare's Doctrine of Nature: A Study of'King Lear' (London, 1949).

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Dream ein erstes Anzeichen, daß seine Auflehnung gegen sein Schicksal nachzulassen beginnt. Sein an die "poor naked wretches" gerichtetes Gebet (111,4, 28-36) macht den Zusammenhang zwischen seiner Erschöpfung und seiner .Läuterung' deutlich. Durch das Leiden auf seiner ,Reise' hat Lear an Einsicht und kindness gewonnen. Nach dem Auftritt des als "poor Tom" verkleideten Edgar führt Gloucester die Frierenden schließlich an einen Ort, an dem "both fire and wood" (III, 4,150) zu finden sind. Die Befriedigung seiner elementaren Bedürfnisse bringt auch Lear seinem ,Reiseziel' näher. In seinen Worten nach der ,Gerichtsszene' ("Make no noise, make no noise; draw the curtains: so, so. We'll go to supper i'th'morning"; III, 6, 81-82) wird neben seiner Erschöpfung auch eine Annahme seines Schicksals sichtbar. Auch Gloucester wird auf schwere Weise geprüft. Nach seiner Blendung in der Szene III, 7 hat er wie Lear sowohl sein Zuhause verloren als auch die Fähigkeit, sich zu orientieren. Trotzdem tritt Gloucester jetzt eine Reise nach Dover an, allerdings nicht, um bei den dort gelandeten französischen Truppen Aufnahme zu suchen, sondern um sich von dem bekannten Felsen in die Tiefe zu stürzen (IV, 1, 72 -77). Die Reise Gloucesters kommt in den Szenen IV, 1 und IV, 6 zur Darstellung. Die Szene IV, 1 unterscheidet sich von den anderen Reiseszenen insofern, als nicht ein Ausschnitt aus der Schlußphase, sondern aus der Anfangsphase der Reise gewählt ist. Der als "poor Tom" verkleidete Edgar begegnet seinem blinden Vater, der von einem alten Mann geführt wird. Gloucester schickt den alten Mann wieder weg und möchte sich statt dessen von Edgar nach Dover führen lassen (IV, 1, 40-48). Die emblematische Qualität der Situation faßt er in dem Satz zusammen: "'Tis the times' plague, when madmen lead the blind" (IV, 1, 46). Bei aller Trübseligkeit der Lage gibt gerade die Situation ,Reise' Anlaß zu Lichtblicken: Vater und Sohn sind wieder zusammen, und Gloucester scheint in "poor Tom" seinen Sohn zu erahnen (IV, 1, 32-35). Durch seine Bitte an den alten Mann, für Edgar einen Mantel zu besorgen (IV, 1,44), stellt er seine neugewonnene kindness unter Beweis; Edgar bekommt die Gelegenheit, etwas für seinen Vater zu tun; und dieser kann mit Edgars Hilfe ein bestimmtes Ziel, Dover, ansteuern, das Gloucester nicht weniger als dreimal beim Namen nennt (IV, 1, 43, 54 und 70). Wie schon im Falle Lears in der Szene III, 6 zeigt das Vorhandensein eines bestimmten Zielorts an, daß in ein Chaos eine Ordnung, ein Sinn gebracht wird, selbst wenn der Zweck der Reise absurd erscheint. In der Szene IV, 6 unternimmt Edgar es dann, seinen Vater von seiner 203

,Verzweiflung' zu heilen (IV, 6, 33-34). So täuscht er vor, sie seien auf dem Felsen von Dover angekommen, und veranlaßt seinen Vater zu dem tragikomischen ,Fall' (IV, 6, 1—41). Später bereut Gloucester seinen Todeswunsch (IV, 6, 214-216), und mit der Wiedererkennung Edgars endet seine ,Reise' (V, 3, 191-198). Er stirbt .geläutert'. Wie die anderen Szenentypen, durch die Reisen zur Darstellung gebracht werden, erscheinen in King Lear auch die Reiseszenen in einer ungewohnten, gestörten Form, die für das allgemeine Chaos in diesem Drama charakteristisch ist. Die Personen, die dieses Chaos mit ihrer unkindness herbeigeführt haben, Lear und Gloucester, werden selbst Opfer der gestörten Ordnung und müssen ,sich läutern', bis sie ihre kindness zurückgewinnen. Veranschaulicht werden diese Läuterungen durch das Motiv der mühevollen, doch zu einem Ziel führenden Reise. Auch in den Seesturmszenen in Pericles (III, 1) und The Tempest (1,1) sind Personen der Gewalt der Elemente ausgeliefert. Shakespeare stellt sich in diesen Szenen die schwierige Aufgabe, plausibel zu machen, daß sich das Bühnengeschehen auf einem Schiff während eines Sturms abspielt. In beiden Szenen verwendet er dazu eine doppelte Perspektive: Zum einen bringen die Reisenden ihre emotionale Reaktion auf das Wüten der Naturgewalten zum Ausdruck, zum anderen treten Seeleute auf, die Details aus dem Bereich der Steuermannskunst zur Sprache bringen. In Pericles steht die erstere, im Tempest die letztere Art der Verdeutlichung im Vordergrund. Entscheidend ist jedoch in beiden Fällen deren Kombination: Wie in King Lear wird der Zuschauer sowohl auf das konkrete Naturereignis als auch auf die Art, in der dieses Ereignis von den Reisenden wahrgenommen wird, ausdrücklich hingewiesen. In Pericles wird der Zuschauer außerdem noch durch einen Prolog, der an die Einbildungskraft appelliert, auf den ungewöhnlichen Schauplatz eingestimmt (III, chorus, 4 4 - 6 0 ) . Schon in diesem Prolog wird der Sturm in einen größeren Kontext gestellt, den von "fortune's mood" (III, chorus, 46). Auch Pericles sieht in der anschließenden Szene das Unwetter in einem kosmischen Zusammenhang. Während Lear sich an die ,Elemente' selbst wendet, um diese zu noch stärkerem Wüten zu veranlassen, so bittet Perides die die Naturgewalten lenkende Gottheit, dem Sturm Einhalt zu gebieten (III, 1, 1-6). Das gleiche formale Element dient hier also zur Verdeutlichung einer genau entgegengesetzten Reaktion des Reisenden auf das Naturereignis. Eine Besonderheit dieser Szene besteht darin, daß die Geburtswehen Thaisas, der jungen Frau des Pericles, zur gleichen Zeit stattfinden wie 204

der Sturm. Durch seine Gebete um Linderung des Sturms und der Geburtsschmerzen stellt Pericles seine kindness unter Beweis. Indem er auch den über die Natur herrschenden Mächten die Fähigkeit zu kindness zuschreibt - etwa in seiner Aufforderung "gently quench / Thy nimble sulphurous flashes" (III, 1, 5 - 6 ) - , zeigt er, daß er (anders als Lear) auf die Existenz einer harmonischen Weltordnung vertraut. Auf besondere Weise geprüft wird Pericles durch die Nachricht von Thaisas Tod (III, 1, 17-18). Durch ihre Ermahnung weist Lychorida auf die Qualität hin, die nun von Pericles gefordert ist: "Patience, good sir; do not assist the storm" (III, 1,19). Wie in King Lear scheint eine Wechselwirkung zwischen äußerem und innerem ,Sturm' zu bestehen. 10 Doch im Unterschied zu Lear kann Pericles diesem ,inneren Sturm' seine Schicksalsergebung gegenüberstellen. Er hat Lychoridas Ermahnungen im Grunde gar nicht nötig. Zwar lehnt er sich kurz gegen die Götter auf (III, 1, 22-26), spricht aber gleich anschließend einen an sein Baby gerichteten Segenswunsch. Hiermit macht er deutlich, daß er in der Lage ist, seinen eigenen Schmerz hintanzustellen, und daß er sein Vertrauen auf ein Schicksal, das alles zum Guten wendet, nicht verloren hat: N o w , mild may be thy life! For a more blusterous birth had never babe; Q u i e t and gentle thy conditions! for T h o u art the rudeliest welcome to this world That e'er was prince's child. H a p p y what follows! . . . (III, 1, 2 7 - 3 1 )

Mit Marina tritt neben Pericles jetzt eine zweite Reisende ins Blickfeld. Indem Pericles sie als "this fresh-new seafarer" (III, 1,41) bezeichnet, weist er auf die übertragene Bedeutung des Reisegeschehens als ,Lebensreise' hin. Durch die Verbindung der Themen Geburt und Tod mit dem Seesturm wird dieser zu einer Metapher für die Wechselfälle der menschlichen Existenz. 11 Daneben verdeutlicht Shakespeare durch den Auftritt und den Dialog von Seeleuten jedoch auch die ,realen' Aspekte dieser Reise (III, 1, 43-46). Ausführlich werden die Vorbereitungen des Abwurfs des Sarges mit Thaisas Leiche über Bord dargestellt, so daß sich dieses Faktum dem Zuschauer genau einprägt (III, 1, 47-71). Zum Schluß der Szene wird die Position des Schiffes in Raum und Zeit festgelegt: Tharsus wird gesichtet, und ein Seemann erklärt, das Schiff könne bei Tagesanbruch dort 10

11

"Any storm in the microcosm, the mind of man, might arouse further the storm of the macrocosm, the world at large, as in Lear, III"; Pericles, a.a.O., II, 1,19, note. Vgl. u. S. 271-272. 205

sein (III, 1, 72-76). Vor dieser Szene hatte Gower noch davon gesprochen, daß das Schiff die Hälfte des Weges zurückgelegt habe (III, chorus, 45-46), so daß jetzt der Eindruck entsteht, das Schiff habe sich während des Ablaufs der Szene fortbewegt. Shakespeare stellt eine Situation mit ausgesprochen emblematischem Charakter also in einen betont realistischen Kontext und gibt ihr damit einen besonderen ,Wirklichkeitswert'. Als Wiedergabe eines Augenblicks von existentieller Bedeutung im Leben der drei Hauptpersonen nimmt diese Szene eine zentrale Stellung innerhalb des Dramas ein. Auf das in ihr zur Darstellung gebrachte Geschehen wird im weiteren Verlauf des Dramas immer wieder Bezug genommen, so von Marina (IV, 1, 51-64) und von Thaisa (V, 3, 33-34). Auf einer noch konkreteren Realistischen' Ebene vollzieht sich die Verdeutlichung des Seesturms in der ersten Szene des Tempest. Diese Szene wird von der Geschäftigkeit der Seeleute beherrscht, die versuchen, das Schiff vor dem Untergang zu bewahren. Die adligen Passagiere hingegen stören nur, wenn sie auf Deck auftauchen. Ihre hilflose Nervosität kontrastiert mit der zupackenden Energie des boatswain. Dieser ermahnt - ähnlich wie Lychorida den Pericles - die Reisenden: ".. .you do assist the storm" (1,1,14). Doch während Pericles den Sturm nur im übertragenen Sinn durch sein Aufbegehren gegen das Schicksal hätte ,unterstützen' können, drohen die Reisenden im Tempest auch faktisch die Arbeit der Seeleute zu behindern und damit dem zerstörerischen Wirken des Sturms Vorschub zu leisten. Durch diese Faktizität wird die Sinnlosigkeit von Aufbegehren und Verzweiflung besonders herausgestellt, und die für einen Reisenden, besonders für einen Seereisenden, bestehende Notwendigkeit, angesichts von höherer Gewalt patience zu bewahren, erhält eine zusätzliche Begründung. Im Gegensatz zu King Lear und Pericles stellt keiner der Beteiligten das Naturereignis in einen größeren Zusammenhang. Die Hilflosigkeit der edlen Reisenden angesichts der Naturgewalten führt nicht zu Pathos, sondern zu Komik: Gonzalos Appell, der boatswain möge bedenken, wen er an Bord habe (1,1,19), wirkt ebenso lächerlich wie Sebastians Fluch (1,1, 40-41) und Antonios Anschuldigung, durch die betrunkenen Seeleute um sein Leben betrogen zu werden (1,1, 55). Zunächst bleibt es also dem Zuschauer vorbehalten, das Sturmgeschehen in irgendeinem übertragenen Sinne zu deuten, etwa als Veranschaulichung der Gleichheit und Hilflosigkeit aller vor dem Wirken des Schicksals. Erst in der folgenden Szene stellt sich heraus, daß der Sturm von Prospero zu einem höheren Zweck entfesselt worden war. Indem Ariel 206

von der Entfesselung und Beilegung des Sturms Bericht erstattet (1,2, 196-237), fügt er der szenischen Darstellung noch eine andere Perspektive hinzu und unterstreicht auf diese Weise die Bedeutung des Sturmgeschehens für den Gesamtzusammenhang des Dramas. 12 Wenn Prospero später sagt, er habe seine Tochter "in this last tempest" (V, 1,153) verloren, gibt er dem Sturm die Bedeutung einer Metapher für die Umwälzung im Leben der Beteiligten. Im Tempest zeigt sich also in besonderem Maße Shakespeares Kunst der Verbindung realer und symbolischer Aspekte bei der Dramatisierung des Motivs ,Reise'. Abschließend sollen noch zwei Szenen angesprochen werden, in denen sich die Personen ebenfalls auf Reisen befinden, ohne daß dem Ort und der Art des Reisens dabei eine besondere Bedeutung zukäme: In All's Well That Ends Well (V, 1) und The Winter's Tale (III, 1) sind die Reisenden zu Pferd unterwegs, haben offensichtlich eine Pause eingelegt und machen am Ende der Szene Anstalten, zu den Pferden zurückzukehren. In All's Well That Ends Well war Helena mit Diana und ihrer Mutter nach „Marcellus" (Marseille) aufgebrochen, um dort den König zu treffen (IV, 4, 8-14). Neben der Verdeutlichung des Faktums der Ortsveränderung dient die Szene V, 1 dazu, auf die Mühsal hinzuweisen, der die Reisenden ausgesetzt sind. In Helenas Worten an ihre Mitreisenden werden ihre bekannten Charakterzüge, ihre Zielstrebigkeit und ihre kindness, noch einmal herausgestellt: But this exceeding posting day and night Must wear y o u r spirits low. We cannot help it; But since y o u have made the days and nights as one To wear your gentle limbs in m y affairs, Be bold y o u d o so grow in m y requital A s nothing can unroot you. (V, 1, 1 - 6 )

Helenas vornehme Art leidet in keiner Weise unter den Strapazen. Auch die ruhige Art, in der sie jetzt auf die unerwartete Nachricht reagiert, der König sei nach Roussillon weitergereist (V, 1, 22-38), charakterisiert ihre Ausdauer und Zuversicht. Bei Cleomenes und Dion, die in The Winter's Tale (III, 1), wie der Zuschauer aus der vorausgegangenen Szene weiß (II, 3, 192-196), auf der Rückreise von Delphos in Sizilien gelandet sind und sich auf dem Weg zu Leontes befinden, spielen die sonst mit Reisen verbundenen 12

Vgl. Marinas Bericht vom Seesturm bei ihrer Geburt in Pericles (IV, 1, 51-64); siehe auch u. S. 242.

207

Motive (wie Mühsal, Prüfung, Erschöpfung) keine Rolle. Der Rahmen der Reiseszene dient hier vielmehr nur dazu, den Zuschauer über die Insel Delphos und das dortige Orakel zu informieren. Hierdurch wird die Entsiegelung des Orakelspruchs in der folgenden Szene vorbereitet. Im Gegensatz zu den anderen oben behandelten Szenentypen ist bei Shakespeares Reiseszenen keine einheitliche Struktur erkennbar. Die relativ geringe Zahl dieser Szenen kontrastiert mit der Vielfalt der dargestellten Situationen. Wanderungen durch die Wildnis (Wald, Heide) finden sich ebenso wie Seereisen und Uberlandreisen zu Pferd. Trotzdem lassen sich einige Gemeinsamkeiten feststellen: So sind die Anstrengungen der Reise und die Erschöpfung der Reisenden ein wiederkehrendes Motiv. Die physische Erschöpfung hat dabei fast immer auch eine psychische Komponente. Wenn etwa Rosalind in As You Like It sagt: "how weary are my spirits!" (II, 4,1), dann ist diese weariness nicht allein auf die physischen Strapazen des Reisens, sondern sicher auch auf das Bewußtsein ihrer Heimatlosigkeit zurückzuführen. Vielleicht kann man also sagen, daß Rosalinds psychische Belastungen durch die Beschwerlichkeit des Reisens ,abgebildet' werden, daß also die Reise psychische Vorgänge für den Zuschauer dramatisch veranschaulicht. Ahnliche Überlegungen ließen sich auch für andere Reisende bei Shakespeare anstellen. Von Bedeutung ist in jedem Fall die Art, in der der Reisende den (physischen und psychischen) Widrigkeiten der Reise begegnet. Die Reise wird zu einer ,Prüfung', bei der es auf Qualitäten ankommt wie patience, Ausdauer, Schicksalsergebenheit und die Hoffnung, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Wenn die Reisenden diese Qualitäten nicht besitzen und sich wie im Midsummer Night's Dream und in King Lear gegen ihr Schicksal auflehnen, bleiben sie den Strapazen der Reise so lange ausgesetzt, bis sie infolge physischer Erschöpfung zu einer resignierenden Haltung finden. In diesen Fällen wird man von einer ,Läuterung' der Reisenden durch die Reise sprechen können. Das Erschöpfungsmotiv erklärt auch, warum fast immer die Schlußphase eines Reisegeschehens zur Darstellung kommt. Auf eine Szene, in der die Beschwerlichkeit der Reise punktuell zusammengefaßt wird, folgt fast immer unmittelbar eine überraschende Ankunft an einem fremden Ort, eine entscheidende Begegnung bzw. ein Wiedersehen. Durch den Kontrast der jeweiligen Reiseszene mit der ihr folgenden Begrüßungs- und Wiedersehensszene wird die existentielle Bedeutung der Aufnahme in eine neue Umgebung hervorgehoben: Der Reisende kommt aus einem Nichts und wird in eine menschliche, zivilisierte 208

Gemeinschaft integriert. Auf die ,Prüfung' der Reise erfolgt sogleich die , Belohnung'. Auch in Epos und Roman wird nicht selten die Schlußphase eines Reisegeschehens besonders intensiv geschildert. Vor allem das Motiv der Bedrohung der Reisenden durch Naturgewalten kurz vor der Ankunft an einem neuen Ort hat epische Vorläufer. Doch während die Seestürme in der Odyssee und in der Aeneis durch einen Gott veranlaßt werden, bleibt die Identität der ,höheren Mächte' in King Lear und Pericles unklar; nur im Tempest wird Prospero nachträglich als Urheber sichtbar. Trotzdem wird auch bei Shakespeare immer wieder ein Zusammenhang zwischen der jeweiligen Ausgangssituation des Reisenden und der P r ü fung', der er unterzogen wird, angedeutet. Auch in dieser Hinsicht steht Shakespeare also in einer ,epischen Tradition'. d) Zusammenfassung Neben den Abschieds- und Begrüßungsszenen stehen dem Dramatiker die Szenentypen ,Reisevorbereitung' und ,Reise' als weitere flexible szenische Formen für die Darstellung eines Reisegeschehens zur Verfügung. Das Grundmuster von Abreise und Ankunft, das bei der Untersuchung der Abschieds- und Begrüßungsszenen deutlich geworden war, bleibt auch bei den Reisevorbereitungsszenen und Reiseszenen bestehen: Die Form der Reisevorbereitungsszene erweist sich als alternative Möglichkeit für die Darstellung einer Abreise, während die Reiseszenen dazu dienen, die Darstellung der Ankunft an einem O r t zu ergänzen und die Bedeutung dieser Ankunft ins rechte Licht zu setzen. Beide Szenentypen können zusätzliche Aspekte des Reisens auf der Bühne sichtbar machen. Hierzu gehören die physische Beschwerlichkeit des Reisens und die Gefahren, denen die Reisenden ausgesetzt sind. Der Reisende bringt in diesen Szenen zum Ausdruck, inwieweit er in der Lage ist, diese Widrigkeiten auf sich zu nehmen und zu überstehen. Wie in den Abschieds- und Begrüßungsszenen geht es in den Reisevorbereitungsszenen und Reiseszenen also um die ,Bewährung' des Reisenden. N u r handelt es sich hier nicht so sehr um eine Bewährung im Verhältnis zu anderen Personen wie um eine Bewährung des Menschen sich selbst gegenüber. Die Widrigkeiten der Reise erweisen sich dabei nicht selten als Veranschaulichungen psychischer und existentieller Grenzsituationen, deren Darstellung vor Shakespeare Epos und Roman vorbehalten war.

209

5. Nichtszenische Mittel der Verdeutlichung von Reisen und Geographie Nicht immer bringt Shakespeare bei der Darstellung eines Reisegeschehens die in den vorausgehenden Abschnitten beschriebene Struktur zur Anwendung, die auf der szenischen Darstellung von Abreise und Ankunft eines Dramenhelden basiert. An die Stelle der Szenen tritt in einigen Fällen die traditionelle Form des Berichts. Auf die formalen Aspekte des Berichts bei Shakespeare braucht hier nicht eingegangen zu werden, da bereits ausführliche diesbezügliche Untersuchungen vorliegen.1 An dieser Stelle soll lediglich die Frage gestellt werden, wann und wie Shakespeare dem Zuschauer ein Reisegeschehen vor Augen führt, ohne dabei die Orte des Geschehens zu Bühnenschauplätzen werden zu lassen. Wesentlich hierfür ist Shakespeares Kunst der "unseen locality", auf die vor allem Clifford Leech hinweist:2 Ortlichkeiten wie etwa Obérons "promontory" im Midsummer Night's Dream (II, 1, 149-168) oder Dover Cliff in King Lear (IV, 6, 1-59) entstehen vor dem geistigen Auge des Zuschauers, obwohl der jeweilige Schauplatz der Bühnenhandlung an einem ganz anderen Ort anzusiedeln ist. Diese Technik wird von Shakespeare, wie in diesem Abschnitt gezeigt werden soll, oft für die Schaffung eines größeren geographischen Raumes nutzbar gemacht, innerhalb dessen die Dramenhelden umherreisen. Eine umfassende Untersuchung der Präsentation von Geographie bei Shakespeare würde, so lohnend sie auch erscheinen mag, den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Dieser Abschnitt soll sich deshalb im wesentlichen auf die Dramen beschränken, in denen Shakespeare ein Reisegeschehen zur Darstellung bringt, ohne auf die Möglichkeit der szenischen Darstellung von Abreise und Ankunft zurückzugreifen. Zur Sprache kommen sollen also The Taming of the Shrew, The Comedy of Errors, A Midsummer Night's Dream, Hamlet, Pericles und The Tempest. In diesen Dramen erfährt zumindest eines der Strukturelemente Abreise und Ankunft keine szenische Darstellung. Von den übrigen Dramen sollen Romeo and Juliet, The Merchant of Venice, King Lear und Antony and Cleopatra Erwähnung finden, da die Geographie dieser Dramen Aspekte aufweist, die nicht übergangen werden dürfen.

1

2

Clemen, Wandlung des Botenberichts; Schlüter, a.a.O. The Two Gentlemen of Verona, a.a.O., Introduction, S, lvii. Vgl. auch Leech, "The Function of Locality".

210

Bereits in den frühesten Dramen Shakespeares wird deutlich, daß der jeweilige Schauplatz nur Teil eines größeren geographischen Raumes ist. So wird in The Taming of the Shrew nicht nur immer wieder auf Padua als Schauplatz des Geschehens verwiesen,3 sondern dieser Schauplatz wird auch von Anfang an in einen Rahmen prosperierender italienischer Städte eingeordnet. So finden bereits in den ersten beiden Szenen Pisa, Verona (die Herkunftsorte Lucentios und Petruchios), Florenz und Neapel Erwähnung. Später kommen noch Mantua, Venedig, Genua, Bergamo und Rom sowie ,Marcellus' (Marseille) und Tripoli hinzu. Dies sind freilich zu viele Namen, als daß sie der Zuschauer alle im Kopf behalten und mit jeweiligen spezifischen Merkmalen assoziieren könnte.4 Indessen hat keine der vielen genannten Städte eine Bedeutung für die dramatische Handlung.5 Als Petruchio mit Katherina Padua verläßt, reist er zu seinem Landhaus, dessen Lage nicht weiter beschrieben wird. Zum Schauplatz der Handlung wird anders als in Shakespeares späteren Dramen kaum ein Kontrast aufgebaut. Durch die vielfache Benennung und geographische Einordnung seines Schauplatzes macht Shakespeare zum einen deutlich, daß sich Lucentio und Petruchio in diesem Drama in der Fremde befinden, wo sie sich ganz auf sich allein gestellt bewähren müssen. Gleichwohl handelt es sich um eine recht vertraute ,Fremde', in der sie sich als Italiener durchaus zurechtfinden. Vor allem scheint jedoch das Panorama italienischer Städte dazu zu dienen, die Zuschauer in eine bestimmte Welt zu versetzen, die Welt der Kaufleute, der alten Familien, der schönen Künste und der edlen Charakterbildung Italiens. Alle diese Elemente klingen schon in der ersten Rede Lucentios an (1,1, 1-24). Später, beim Auftritt des reisenden Schulmeisters (IV, 2, 72-121), kommen noch der Schiffsverkehr, das Finanzwesen und die Streitigkeiten der verschiedenen Herzöge hinzu. Die vielfache Nennung des Schauplatzes und die Charakterisierung der italienischen Welt schafft Lokalkolorit, wirkt aber auch der Unmittelbarkeit und Allgemeingültigkeit der dramatischen Aussage entgegen und scheint die Bemühtheit des jungen Dramatikers aufzuzeigen, der sichergehen will, daß jeder Zuschauer begreift, wo die Handlung spielt. 3

4

5

Marvin Spevacks Harvard Concordance to Shakespeare (Hildesheim, 1973) zitiert nicht weniger als 23 Vorkommen des Namens Padua in diesem Drama. Shakespeare folgt hier der Praxis seiner Quelle, Gascoignes Drama Supposes, in dem sich neben dem Ort der Handlung, Ferrara, der sehr häufig genannt wird, ebenfalls eine Fülle anderer klangvoller italienischer Städtenamen findet. Petruchio kündigt zwar an, zu Einkäufen für die Hochzeit nach Venedig zu fahren (II, 1, 307-315), doch wird diese Reise danach nicht mehr erwähnt.

211

Bereits in The Comedy of Errors spielt dann die Präsentation eines ausgedehnten geographischen Raumes eine Rolle, die über die bloße Schaffung von Lokalkolorit hinausgeht. Anders als in den meisten anderen Dramen Shakespeares, in denen eine Reise im Mittelpunkt steht, geht der Beginn des Reisegeschehens dem Einsetzen der Bühnenhandlung um Jahre voraus. Uber dieses Reisegeschehen wird der Zuschauer wie in der antiken Quelle, Plautus' Menaechmi, nur durch eine berichtende Rede am Anfang des Dramas in Kenntnis gesetzt. In der Rede Egeons (1,1, 31-139) spielt jedoch die Welt außerhalb des Schauplatzes eine erheblich größere Rolle als im Prolog von Plautus' Komödie. Das wesentliche Strukturelement des in Egeons Rede zum Ausdruck kommenden geographischen Systems ist der Gegensatz zwischen Syrakus und Ephesus. Weiterhin gehören zu dieser Welt noch Epidamnum und Korinth, Städte, die geographisch zwischen Syrakus und Ephesus anzusiedeln sind. Alle diese Ortsnamen werden mehrfach genannt, so daß sie sich dem Zuschauer einprägen. Wenn nun Antipholus of Syracuse bei seinem Auftritt sagt: ... I to the world am like a drop of water That in the ocean seeks another drop ... (1,2, 35-36),

dann hat der Zuschauer von der Welt, von der Antipholus spricht, von seiner Herkunft und von seinen Reisen aufgrund von Egeons Rede bereits eine konkrete Vorstellung. Im folgenden konzentriert sich die Darstellung auf die Stadt Ephesus, die gleich am Anfang durch Antipholus' Worte einen besonderen Charakter erhält: "... They say this town is full of cozenage..." (1,2,97). Die Außenwelt hingegen findet im Mittelteil des Dramas nur gelegentlich Erwähnung. Es kennzeichnet Shakespeares ,dramatische Ökonomie', daß er hierfür den Namen Epidamnum wählt, obwohl kein Zusammenhang zu Egeons Rede besteht: Ein Kaufmann legt Antipholus of Syracuse nahe, Epidamnum als seinen Herkunftsort anzugeben, um nicht wie ein anderer Kaufmann aus Syrakus (Egeon, wie der Zuschauer bald bemerkt) inhaftiert und mit dem Tode bedroht zu werden (1,2, 1-7). Später fordert Dromio of Syracuse seinen vermeintlichen Herrn auf, in aller Eile an Bord eines Schiffes aus Epidamnum zu gehen, um dem ,verhexten' Ephesus zu entkommen (IV, 1, 86-96). In der Schlußszene wird bei der Lösung der Verwirrungen durch das Zusammentreffen aller Personen das Panorama der ersten Szene wiederaufgerollt und die Vorgeschichte, die in Syrakus, Epidamnum und Korinth spielt, zu Ende erzählt (V, 1, 355-366). Durch die Beschränkung auf einige wenige 212

Ortsnamen gelingt es Shakespeare in diesem Drama, trotz der Bindung an einen einzigen Schauplatz ein Reisegeschehen anschaulich wiederzugeben, das sich in einem ausgedehnten geographischen Rahmen abspielt. Das gleiche Verfahren findet am Ende von Shakespeares dramatischem Schaffen erneut Anwendung: Obwohl The Tempest wie The Comedy of Errors nur einen einzigen Schauplatz aufweist, spielt die Welt außerhalb dieses Schauplatzes in diesem Drama eine wesentliche Rolle. Diese Außenwelt wird zum einen durch Mailand und Neapel repräsentiert, die Herkunftsorte Prosperos und der gestrandeten Reisenden. In ,dramatischer Ökonomie' stehen diese beiden Städte stellvertretend für die menschliche Zivilisation überhaupt, in der Ehrgeiz und Intrigen zu Zerwürfnissen und Feindseligkeit führen, in der sich aber auch Freundschaft und Liebe finden. Auf der anderen Seite stehen Tunis und "Argier" (Algier) stellvertretend für eine unbekannte, fremde Welt, die im einzelnen wieder unterschiedlich geartet ist. Ähnlich wie in der Comedy of Errors kommt diese Außenwelt vor allem am Anfang und am Ende des Dramas zur Sprache: So erzählt Prospero seiner Tochter von der Verbannung aus Mailand (1,2, 53 ff.), während die gestrandeten Höflinge über die Heirat Claribels, der Tochter des Königs von Neapel, in Tunis sprechen (II, 1, 66ff.), von wo sie gerade nach Italien zurückreisten, als sie vom Sturm überrascht wurden. Tunis korrespondiert als positives Gegenstück mit "Argier", der Stadt, die in der vorausgegangenen Szene als Heimat von Calibans Mutter Sycorax genannt worden war (1,2, 261 und 265), und wird zudem ebenfalls als positives Gegenstück - von Gonzalo mit Karthago, dem Ort der tragischen Liebe von Dido und Aeneas, in Beziehung gesetzt: "This Tunis, sir, was Carthage" (II, 1, 80). Das gegenwärtige Geschehen, bei dem wie in der Aeneis ein Seesturm eine zentrale Rolle spielt, erhält durch Gonzalos Bemerkung gewissermaßen die Allgemeingültigkeit eines Mythos. Mailand und Neapel werden in der Szene III, 3 erneut genannt und geben dort einen Kontrast zur Welt der Insel ab: Gonzalo kommentiert Prosperos Zaubereien mit den Worten: "If in Naples / I should report this now, would they believe me?" (Ill, 3, 27-28), und Ariel erinnert die Höflinge an die Verbannung Prosperos aus Mailand (III, 3, 68—70). In der Schlußszene werden dann die beiden für die Handlung wesentlichen Ereignisse der Vorgeschichte (Prosperos Verbannung und Claribels Heirat) von Gonzalo mit dem Reisegeschehen in Beziehung gesetzt, das somit wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt (V, 1, 205-213). 213

Eine andere Funktion hat die Geographie etwa in Romeo and Juliet und A Midsummer Night's Dream, Dramen, in denen die Außenwelt zeitweise auch szenisch zur Darstellung kommt. In diesen Dramen erhalten die Schauplätze, von denen die jeweilige Handlung ihren Ausgang nimmt, Verona und Athen, eine besondere Identität, die für die jeweilige Handlung von entscheidender Bedeutung ist. In beiden Dramen wird deutlich, daß die Personen unlösbar in das Gemeinwesen ihrer Stadt eingebunden sind. So finden Romeo und die Liebenden im Midsummer Night's Dream außerhalb von ihrer Heimatstadt kein Zuhause, sondern kehren nach einem bewegten Handlungsablauf an ihren Ausgangspunkt zurück, an dem es zu einer allgemeinen Versöhnung kommt, die in Romeo and Juliet freilich nur durch den Tod herbeigeführt werden kann. In Romeo and Juliet wird der Schauplatz wesentlich seltener genannt als etwa in The Taming of the Shrew. Dafür ist jetzt jede Nennung mit einer Aussage über den jeweiligen Ort verbunden, die für den Gesamtablauf des Dramas von Bedeutung ist. So spricht Capulet am Anfang von "fair Verona" (1,2,35) wie von einer Welt, in der für ihn noch alles in Ordnung ist. In ähnlicher Weise äußert sich Lady Capulet über den Grafen Paris, den sie Juliet zum Ehemann empfiehlt: "Verona's summer hath not such a flower" (1,3, 77). Schon etwas anderes klingt Capulets Äußerung über Romeo, den er bei seinem Fest unter seinen Gästen erspäht: " . . . Verona brags of him / To be a virtuous and well-govern'd youth..." (1,5, 66-67). Wie groß die Bedeutung des Schauplatzes für die Personen des Dramas ist, wird dann an Romeos hysterischer Reaktion auf das Verbannungsurteil sichtbar:6 "There is no world without Verona walls / But purgatory, torture, hell i t s e l f . . ( I l l , 3, 17-18). Für Romeo bedeutet die Bindung an Juliet zunächst automatisch auch eine Bindung an ihre (und seine) Heimatstadt. Nach Romeos Verbannung nimmt mit Mantua als Verbannungsort Romeos jedoch auch eine Außenwelt Gestalt an.7 Von nun an werden die Orte dem Zuschauer durch eine besondere Technik vor Augen geführt: Verona und Mantua finden gerade in den Szenen Erwähnung, die am jeweils anderen Ort spielen: In den Szenen III, 5; IV, 1; V, 2 und V, 3, die ihren Schauplatz in oder bei Verona haben, ist von Mantua, in der Szene V, 1, der einzigen, die in Mantua spielt, von Verona die Rede. Auf

6 7

Vgl. u. S. 287-288. Mantua war schon einmal genannt worden, in der Rede der Amme (I, 3, 28). Auch hier arbeitet Shakespeare also mit dramatischer Ökonomie.

214

diese Weise verliert der Zuschauer den geographischen Zusammenhang nie aus den Augen. Auch im Midsummer Night's Dream haben die Liebenden an ihrem Heimatort keine Möglichkeit, zur Erfüllung ihrer Liebe zu gelangen. Die Liebenden fühlen sich ihrem Zuhause jedoch nicht mehr verbunden, was Hermia prägnant formuliert: . . . Before the time I did Lysander see, Seem'd Athens as a paradise to me. O then what graces in m y love do dwell, That he hath turn'd a heaven unto a hell! ( 1 , 1 , 2 0 4 - 2 0 7 )

Hermia sieht keine Schwierigkeiten darin, dieses Zuhause einfach aufzugeben, "To seek new friends, and stranger companies" (1,1,219). Doch selbst im Wald können die Liebenden ihre athenische Herkunft nicht abschütteln: Oberon, der Puck beauftragt, dem Demetrius Liebe zu Helena einzuflößen, gibt als Erkennungszeichen die athenische Kleidung an (II, 1, 260-264). Da auch Lysander und Hermia aus Athen kommen, wird die Verwechslung möglich: . . . Night and silence - W h o is here? Weeds of Athens he doth wear: This is he m y master said Despised the Athenian maid . . . (II, 2, 6 9 - 7 2 )

Athen ist und bleibt die Heimat der Liebenden, die auch während der Ereignisse im Wald nie in Vergessenheit gerät. In Ermangelung eines anderen Zieles beschließt Helena schließlich, dorthin zurückzukehren (111,2, 315 und 433), und Oberon sieht in der Rückkehr der Verirrten nach Athen einen Abschluß der Verwicklungen im Wald (IV, 1, 65-68). Es charakterisiert die Situation, daß andere Ortsnamen als Athen in diesem Drama fast völlig fehlen. So wird auch der Zielort der Liebenden nicht namentlich benannt. Offensichtlich wird die Unreife der Liebenden und das Unausgegorene ihres Fluchtplans durch das Fehlen einer entsprechenden Angabe zum Ausdruck gebracht.8 Zwei miteinander kontrastierende Welten, die beide ein Zuhause für bestimmte Personen darstellen, stehen sich im Merchant of Venice gegenüber. In noch stärkerem Maße als Verona in Romeo and, Juliet und Athen im Midsummer Night's Dream wird Venedig in vielen Eigenarten charakterisiert: Die Stadt ist geprägt durch Handel, Geldgeschäfte, 8

Vgl. die Abreise Florizels und Perditas aus Böhmen; siehe o. S. 192-193.

215

Weltoffenheit und Gesetze. Belmont hingegen ist ein abgeschiedenes Paradies, in dem die Uhren anders zu gehen scheinen9 und das sich selbst genügt. Die Verschiedenartigkeit von Venedig und Belmont ist unter anderem an der unterschiedlichen Rolle erkennbar, die die Außenwelt an diesen beiden Orten spielt: So werden in den Szenen, die Venedig zum Schauplatz haben, mehrfach die Orte genannt, zu denen Antonio seine Handelsschiffe ausgesandt hat: Tripolis, Mexico, "the Indies" und England. Daneben finden zwei italienische Städte Erwähnung: Shylocks Freund Tubal kommt aus Genua (III, 1, 72-120), und der Richter und sein clerk geben vor, aus Padua zu kommen (IV, 1). Die Außenwelt ist also durchweg in die Handlung mit einbezogen. Die internationalen Verflechtungen gehören zum Charakter der Stadt und ihrer Bewohner. In Belmont hingegen wirkt jeder Einbruch der Außenwelt als Störung der paradiesischen Ruhe, wie sie etwa bei der Aufzählung der Freier (1,2) und beim Auftreten Moroccos und Arragons deutlich wird. Während Belmont bereits in der in Venedig spielenden ersten Szene ins Blickfeld kommt, in der Bassanio seine Absicht erklärt, in Belmont um die Hand Portias anzuhalten, ist in Belmont von Venedig nicht die Rede. Erst in der Szene III, 2, nach der geglückten Kästchenprobe, manifestiert sich im Auftritt der venezianischen Gesandten die fast schon vergessene Existenz einer anderen Welt. Der idyllische Zustand Belmonts wird erst in der Schlußszene wiederhergestellt. In dieser Szene wird die geographische Einordnung des Ortes durch die Einordnung in einen harmonischen Kosmos ergänzt.10 Wie im Merchant of Venice gibt es auch in Antony and Cleopatra zwei konträre Welten. Die oben im Zusammenhang mit Romeo and Juliet angesprochene Technik der Verdeutlichung des jeweils anderen Schauplatzes kommt in diesem Drama in besonderem Maße zur Anwendung: Die eindrucksvollsten Beschreibungen der Welt Ägyptens finden sich in Szenen, die in Rom bzw. am Kap Misenum spielen. So erfahren wir in der Szene 1,4 (1-33) durch Caesar Octavianus vom ägyptischen Lebenswandel Antonys; Enobarbus berichtet in der Szene II, 2 (186-226) von der ersten Begegnung Antonys mit Cleopatra; auf dem Schiff bei Kap Misenum findet das Gespräch von Lepidus und Antony über Pyramiden, Nil und Krokodile statt (II, 7, 17-48), und in Rom wiederum beschreibt Caesar Antonys Regierungsstil in Ägypten (III, 6, 9

10

Zum unterschiedlichen Zeitablauf in Venedig und Belmont siehe ζ. B. Link, a.a.O., S. 2 1 7 - 2 2 0 . Vgl. O.S. 127.

216

1-19). In einer in Ägypten spielenden Szene hören wir hingegen von den Ereignissen in Rom (1,2, 85-192); auf der ägyptischen Seite erfahren wir von den römischen Truppenbewegungen (III, 7, 20ff.), und in Ägypten fassen Antony und Cleopatra die Vorstellung in Worte, von Caesar in einem Triumphzug in Rom mitgeführt zu werden (IV, 14, 72 - 7 7 ; V, 2, 5 2 - 5 7 und 207-212). Durch dieses Verfahren verliert der Zuschauer den Gegensatz der Schauplätze und die geographische Ordnung der Welt dieses Dramas zu keiner Zeit aus den Augen. In Ermangelung eines geeigneteren Begriffs kann man diese Technik vielleicht in Anlehnung an den Begriff der ,Wortkulisse' als Technik der ,Fernkulisse' bezeichnen. Einen besonderen Stellenwert hat die Geographie in Hamlet. Wie in anderen Dramen wird der Schauplatz, der H o f des Dänenkönigs bzw. das Land Dänemark, als Ort mit bestimmten Eigenschaften vorgestellt. So wird das von Kanonendonner begleitete Trinkgelage des Königs Claudius ausdrücklich als dänischer Brauch eingeführt und von Hamlet ausführlich kommentiert: . . . to my mind, though I am native here And to the manner born, it is a custom More honour'd in the breach than the observance. This heavy-headed revel east and west makes us traduc'd and tax'd of other nations They clepe us drunkards, and with swinish phrase Soil our addition; and indeed it takes From our achievements, though perform'd at height, The pith and marrow of our attribute . . . (1,4, 14-22)

Diese Worte Hamlets schaffen, wie Harold Jenkins feststellt, 11 nicht nur Lokalkolorit, sondern betreffen auch die "moral structure" des Dramas. Wie Hamlet den beschriebenen Brauch ablehnt, seine Zugehörigkeit zu Dänemark jedoch nicht hinter sich lassen kann, so kann er sich auch sonst weder mit seinem Schicksal identifizieren noch ihm entfliehen. Anders als etwa Laertes, der in seine Wahlheimat Frankreich zurückkehrt, 12 und als viele reisende Dramenhelden in anderen Dramen Shakespeares hat Hamlet nicht die Möglichkeit einer Abreise, einer Suche nach einem geeigneten Zuhause, sondern ist von seinem Dänentum, seinem Schicksal, gefangen. Dänemark wird für ihn zum "prison" (II, 2, 243-247). 11 12

Hamlet, a.a.O., S. 447. Vgl. o. S. 5 6 - 5 7 .

217

Diese Bedeutung Dänemarks für Hamlet wird dem Zuschauer durch die sorgfältige Gestaltung einer Außenwelt vor Augen geführt. 13 Dänemark liegt zwischen anderen Ländern und Orten, die sich gewissermaßen kreisförmig um das Land anordnen: Norwegen, Polen, Wittenberg, Frankreich (bzw. Paris) und England. Bis auf England werden alle diese Orte bereits am Anfang des Dramas erwähnt: Schon in der ersten Szene wird Norwegen dreimal (1,1, 64, 85 und 100), Polen einmal (1,1,66) genannt. In der Szene 1,2 erfahren wir, daß Gesandte nach Norwegen entsandt werden, daß Laertes nach Frankreich zurückkehrt und daß Hamlet gerne nach Wittenberg zurückkehren würde. Bis auf Wittenberg werden diese Orte im Verlauf des Dramas mehrmals wieder erwähnt: In der Szene II, 2 (40-80) kehren die Gesandten aus Norwegen zurück und berichten von den norwegischen Kriegsvorbereitungen gegen Polen, und in der Szene IV, 4 (1-24) erleben wir den Vorbeimarsch des norwegischen Heeres mit Polen als Ziel. In der Schlußszene (V, 2,355) schließlich kehrt Fortinbras mit dem Heer aus Polen zurück. Frankreich kommt in den Szenen 1,3 und II, 1 wieder zur Sprache, in denen Polonius seinen Sohn verabschiedet bzw. ihm einen Spion hinterherschickt. In der Szene IV, 5 (88ff.) kommt Laertes aus Frankreich zurück, und in der Schlußszene besteht beim Zweikampf zwischen Laertes und Hamlet Laertes' Einsatz, sein "French bet against the Danish", in französischen Waffen (V, 2, 144-160). England wird zum erstenmal in der Szene III, 1 (171-190) erwähnt, in der der König den Entschluß faßt, Hamlet in dieses Land zu schicken; in der Szene III, 4 (202ff.) läßt Hamlet durchblicken, daß er davon erfahren hat, und in der Szene IV, 3 (40ff.) verkündet Claudius Hamlet seinen Entschluß. In der Szene IV, 6 schreibt Hamlet Horatio von seiner Rückkehr, in der Szene V, 1 (142-150) sprechen die Totengräber über Hamlets Reise und am Schluß des Dramas melden die englischen Gesandten die erfolgte Hinrichtung von Rosencrantz und Guildenstern (V, 2, 356-377). Obwohl der Schauplatz in Hamlet weitgehend konstant bleibt, gelingt Shakespeare in diesem Drama die Präsentation einer Welt, die nicht nur zahlreiche Länder umfaßt, welche der Zuschauer durch die wiederholte Nennung nie aus den Augen verliert, sondern, wie Leech bemerkt, 14 auch Himmel und Hölle sowie die historische und mythologische Vergangenheit (Rom, Troja) mit einschließt. Parallelen hierzu fin13

14

Vgl. Keith Brown, "Hamlet's Place on the Map", Shakespeare S. 160-182. Leech, a.a.O., S. 113.

218

Studies

4 (1968),

den sich eigentlich nur im antiken Epos und im modernen Roman Leech nennt Malcolm Lowrys Under the Volcano. Ganz anders ist die Geographie in King Lear geartet. In diesem Drama werden die Orte, zwischen denen die Personen ständig unterwegs zu sein scheinen, mit keinerlei Namen versehen. Offensichtlich haben die Paläste Gonerils, Regans und Gloucesters deshalb keine geographische Identität, weil sie für niemanden ein wirkliches Zuhause darstellen. Lears eigener Palast scheint sich nach der Szene 1,1 in Luft aufgelöst zu haben. Seine Abreise von dort wird lediglich mit den Worten Gonerils "I think our father will hence to-night" (I, 1, 283-284) angekündigt. Von wo Lear eigentlich abreist, wird an keiner Stelle gesagt. Auch die Frage, warum Lear mit seinen retainers nicht zu seinem Palast zurückkehrt, wird im Drama nicht gestellt. Durch das Verschwinden von Lears Wohn- und Residenzort wird offensichtlich versinnbildlicht, daß Lear durch seine Abdankung sein angestammtes Zuhause verloren hat. Erst in der zweiten Hälfte des Dramas kommt mit Dover ein mit einem Namen ausgestatteter Ort ins Blickfeld. Die vielfache Nennung dieses Ortes in den Szenen III, 6; III, 7 und IV, 1 unterstreicht seine Qualität als potentieller Ruhepunkt für Lear und Gloucester.15 Wieder eine andere Funktion haben die Ortlichkeiten in Pericles. Bei den sechs verschiedenen Schauplätzen des Dramas handelt es sich ausnahmslos um Städte, die am Meer liegen und zwischen denen Pericles zu Schiff umherreist. Von diesen Schauplätzen werden Tyrus/Tyre, Tharsus und (in geringerem Maße) Pentapolis über das Drama verstreut immer wieder erwähnt, während Antioch in der zweiten Hälfte verschwunden ist und Ephesus und Mytilene als neue Schauplätze hinzukommen. Anders als etwa Ephesus in der Comedy of Errors werden die Städte kaum charakterisiert; sofern man überhaupt von Lokalkolorit sprechen kann, sind sie einander recht ähnlich. Am Anfang des Dramas scheint der Chorus ironisch auf das Fehlen eines spezifischen Charakters der Stadt Antioch hinzuweisen: . . . This Antioch, then, Antiochus the Great Built up, this city, for his chiefest seat, The fairest in all Syria I tell you what mine authors say . . . (I, chorus, 1 7 - 2 0 )

Die Funktion der Schauplätze liegt vielmehr darin, daß sich im Verlauf des Dramas mit jedem von ihnen Assoziationen mit bestimmten Teilen 15

Vgl. o. S. 151, 189 und 203.

219

des Geschehens verbinden: Tyrus ist Pericles', Pentapolis Thaisas Herkunftsort. Tharsus wird mit der Hungersnot assoziiert, Antioch mit der inzestuösen Verbindung des Herrschers mit seiner Tochter, Ephesus mit dem Dianatempel und Mytilene mit dem Bordell, in das Marina verschleppt wird. Die Schauplätze sind also nicht durch ihnen inhärente Eigenarten voneinander geschieden, sondern nur durch ihre unterschiedliche Bedeutung für die reisenden Dramenhelden, für die sie Orte der Prüfung, der Gefahr und der Rettung darstellen. In ihrer Gesamtheit kann den Städtenamen jedoch eine Bedeutung zugeschrieben werden: Die meisten dieser Namen waren Shakespeares Publikum aus der Bibel vertraut. Fünf der sechs Namen finden sich in der Apostelgeschichte als Orte erwähnt, die der Apostel Paulus auf seinen Reisen aufgesucht hat. In einem heidnischen Kontext suggeriert Shakespeare auf diese Weise vielleicht eine christliche Deutung des Geschehens. Der geographische Raum wird in diesem Drama auf neuartige Weise verdeutlicht. Nicht die Dramengestalten selbst äußern sich zu den Schauplätzen - meistens wissen sie gar nicht, wo sich die anderen Personen aufhalten - , sondern Gower, der Chorus. Der Zuschauer weiß also stets mehr als die Personen des Dramas und kann deren Schicksale gewissermaßen von außen verfolgen und die Reaktionen der Personen auf die Wendungen ihres Schicksals von einer distanzierten Position aus begutachten. Auf diese Weise kann die exemplarische Natur und symbolische Qualität des Reisegeschehens hervortreten. 16 Neben szenischen Mitteln der Verdeutlichung von Reisen im Drama hat Shakespeare, wie sich zeigt, auch nichtszenische Techniken zur Verfügung. Auch wenn er auf die Darstellung von Abreise und Ankunft verzichtet, schafft er in vielen Dramen einen geographischen Raum, in dem die Personen umherreisen oder dies in der Vorgeschichte des Dramas getan haben. Dieser Raum wird dem Zuschauer durch die wiederholte, meist über das Drama verteilte Nennung von zwei bis sechs Ortsbezeichnungen verdeutlicht. Oft kontrastiert eine vielfältig gestaltete Außenwelt mit dem spezifischen Charakter des sich gleichbleibenden Schauplatzes des jeweiligen Dramas. Auch Orte, die nie zum Schauplatz von Bühnenhandlung werden, können dabei für das jeweilige Drama wesentliche Konzepte repräsentieren und somit nicht nur an der

16

Vgl. u. S. 2 7 0 - 2 7 2 .

220

geographischen, sondern auch an der ideellen Welt eines Dramas Anteil haben.

6. Zwischenbilanz Die Abschnitte des ersten Hauptteils der vorliegenden Untersuchung haben deutlich werden lassen, daß die Reisen der Dramenhelden Shakespeares durchweg von der Grundantinomie von heimischer und fremder Welt bestimmt sind. Dabei ist die Welt, in der eine Person groß geworden ist, durchaus nicht automatisch das ihr bestimmte Zuhause. Häufig erweist sich gerade der heimische Ort als für den Dramenhelden fremdartig und zuweilen bedrohlich, so daß er sich auf die Suche nach einem neuen Zuhause begibt. Dieses Grundmuster vieler Dramen Shakespeares läßt sich mit Coriolanus' trotzigen Worten " . . . There is a world elsewhere!" (111,3,135) verdeutlichen. So bedrückend und hoffnungslos einem Dramenhelden seine Situation an einem Ort auch erscheinen mag, so wird diese Hoffnungslosigkeit doch fast immer durch das Wissen um die Existenz einer Welt außerhalb dieses Ortes relativiert. Allein die Möglichkeit, zu Orten zu gelangen, an denen andere Gesetze gelten, läßt Shakespeares Personen trotz aller Widrigkeiten auf die Erfüllung ihrer Wünsche hoffen. 1 Wie Aeneas in Vergils Epos und Charikleia und Theagenes in Heliodors Roman gelingt es auch vielen Dramenhelden Shakespeares, nach dem Verlust der alten Heimat ein neues, ,wirkliches' Zuhause zu finden. Entscheidend hierfür sind wie in den antiken Werken die Zuversicht und die edle Wesensart der Reisenden. Hiermit verbunden ist die Vorstellung, daß ein Mensch, der diese Qualitäten besitzt, überall auf der Welt einen Ort findet, an dem er sich ,zu Hause' fühlen kann. Auf diese Weise überwindet er die „transzendentale Heimatlosigkeit", 2 von der Georg Lukács im Zusammenhang mit der Gattung Roman spricht, die sich aber auch bei Shakespeares'Dramenhelden feststellen läßt, allerdings (wie im Roman und Epos der Antike) nur so lange, bis die reisenden Helden an ihr Ziel gelangen. Offensichtlich geht Shakespeare vom 1

2

Vgl. Frye, "The Argument of Comedy", S. 72-73. Doch sind diese anderen Orte (abgesehen vom Midsummer Night's Dream) nicht Bestandteil einer "dream world", wie Frye meint, sondern reale Gemeinwesen, die innerhalb der diesseitigen Welt Alternativen darstellen zu Orten, die sich als feindselig erweisen. Georg Lukács, Die Theorie des Romans: Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik ( 3 Neuwied, Berlin, 1965 ['Berlin, 1920]), S. 59.

221

Konzept eines harmonischen, geordneten Kosmos aus, in dem jeder Mensch letztlich einen bestimmten, ihm zukommenden Platz findet. Selbst Parolles kommt in All's Well That Ends Well zu der Erkenntnis: "There's place and means for every man alive" (IV, 3, 328). Shakespeare ermöglicht die Dramatisierung von Handlungsmustern dieser Art, indem er durch die szenische Darstellung von Abreise und Ankunft und durch die Präsentation von Orten außerhalb des jeweiligen Schauplatzes einen geographischen Rahmen schafft, in welchem den einzelnen Orten ein spezifischer Charakter zukommt. Gelegentlich wird die besondere Natur eines Ortes durch den Hinweis auf typische Elemente, auf ein Lokalkolorit, unterstrichen. Oft weisen Orte jedoch auch losgelöst von jeder Lokalisierung auf der Landkarte auf bestimmte Arten des menschlichen Zusammenlebens hin, die von den Dramenhelden angestrebt oder abgelehnt werden können. Die Reise zu einem bestimmten Ziel kann auf diese Weise zu einer Metapher für das menschliche Streben überhaupt angesehen werden. Orte wie Verona, Belmont, der Forest of Arden, Illyria, Elsinore, die Heide in King Lear und die Insel im Tempest sind in erster Linie ,Landschaften der Seele' bzw. Konkretisierungen menschlicher bzw. gesellschaftlicher Verhältnisse.3 Diese Funktion können die Schauplätze nur wahrnehmen, weil sie vom England Shakespeares weit entfernt liegen. Die Gestaltung in sich geschlossener geographischer Systeme, die keinen direkten Bezug zu einer historischen Wirklichkeit haben, ermöglicht es Shakespeare, Aussagen zu machen, die einen hohen Grad an Allgemeingültigkeit beanspruchen können. Es geht um Grundelemente der menschlichen Befindlichkeit, denen der dramatische Dichter durch Ansiedlung an bestimmten, geographisch fixierten Orten "a local habitation and a name" (A Midsummer Night's Dream; V, 1,17) gibt. Die Vielgestaltigkeit der Welt wird im Drama also gewissermaßen geographisch abgebildet'. Ein derartiger Umgang mit Geographie war vor Shakespeare nur in Epos und Roman möglich. Er ist die Voraussetzung für die glaubwürdige dramatische Darstellung eines Reisegeschehens. Shakespeare verleiht dem Drama durch die Entdeckung formaler Techniken der Gestaltung des Motivs ,Reise' gewissermaßen eine ,epische Dimension'. Von der Funktion dieses epischen Motivs und den besonderen Ausprägungen, die es bei Shakespeare erfährt, soll im folgenden Teil, dem Zweiten Hauptteil dieser Arbeit, die Rede sein. 3

Vgl. Berry, a.a.O., S. 140: " . . . place in the comedies is as much a psychological as a geographical concept." Vgl. auch Garber, a.a.O., S. 6 - 7 .

222

ZWEITER HAUPTTEIL

Zur Funktion der Reisemotivik bei Shakespeare

1. Vorbemerkung: Der Begriff "Romance" Wie in den Untersuchungen des Ersten Hauptteils dieser Arbeit deutlich wurde, schließt sich Shakespeares Werk, was die Darstellung von Abschied, Begrüßung und Reise betrifft, schwerlich an eine bestimmte dramatische Tradition an: Hinsichtlich des Aufbaus der Dramenhandlungen sind die Unterschiede zum antiken Drama ebenso deutlich wie zu den einheimischen englischen und zu französischen, italienischen und spanischen Dramenformen der Renaissance.1 Es ergibt sich also die Frage nach anderen Traditionssträngen, in die Shakespeares Werk eingeordnet werden kann. In besonderem Maße gilt dies für die Dramen, die oft als "Romantic comedies" (vor allem The Two Gentlemen of Verona, A Midsummer Night's Dream, The Merchant of Venice, As You Like It und Twelfth Night) bzw. als "Romances" (Pericles, Cymbeline, The Winter's Tale und The Tempest) bezeichnet werden. Da diese Dramen in hohem Maße durch das Motiv Reise geprägt sind und somit in unserer Untersuchung einen zentralen Platz einnehmen, erscheint es notwendig, die Termini "Romantic" und "Romance" einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Wie andere klassifizierende Bezeichnungen erwecken diese Begriffe den Anschein, die einzelnen Dramen in einen größeren Kontext, einen literarhistorischen Zusammenhang einzuordnen. Doch was wird durch diese Begriffe eigentlich ausgesagt? Beziehen sie sich auf den Umstand, daß die Dramenhandlungen oft in fremden Ländern spielen und keinen konkreten historischen Bezug haben?2 Oder verweisen sie auf die als unrealistisch' empfundenen Handlungen dieser Dramen? Ist lediglich gemeint, daß diese Dramen „romantische" Liebesgeschichten enthalten? 1

Schon H. B. Charlton stellt die Gegensätze zwischen den Komödien der römischen Antike und denen Shakespeares heraus; Shakespearian Comedy (London, 1938), S. 1 9 - 2 3 . Charltons Versuch, die als „romantisch" bezeichneten „unklassischen" Elemente bei Shakespeare auf die Tradition der mittelalterlichen ,Ritterromanzen' zurückzuführen (ebd., S. 2 3 - 2 7 ) , vermag jedoch nicht zu überzeugen; zur Rolle der Ritterlichkeit bei Shakespeare siehe u. S. 2 4 4 - 2 5 1 .

2

J. Dover Wilson stellt fest: "... it is mainly this foreign background or atmosphere that has earned the title of 'romantic' f o r Shakespeare's comedies in general"; Shakespeare's Happy Comedies (London, 1969 [ 1 1962]), S. 36.

225

Oder wird durch diese Termini ausgesagt, daß die Dramen Beziehungen zu mittelalterlichen Ritterromanen aufweisen3 oder gar speziell in der Tradition einer bestimmten volkssprachlichen Literaturgattung eines romanischen Landes stehen, etwa der spanischen „Romanze"? Daß es möglich ist, auch unter Verzicht auf eine klassifizierende Bezeichnung zu wertvollen Erkenntnissen über die "Romances" zu gelangen, zeigen die Studien E. M. W. Tillyards und G. Wilson Knights.4 Beide Autoren versuchen, den späten Dramen Shakespeares einen Sinn abzugewinnen, der nicht nur ebenso tief sein kann wie der anderer Shakespeare-Dramen, etwa der Tragödien, sondern in gewisser Weise an das in den Tragödien Gesagte anknüpft und darüber hinausgeht. Laut Tillyard ist in den späten Dramen das tragic pattern der Tragödien durch den Prozeß der regeneration erweitert, der durch die jeweils jüngere Generation herbeigeführt wird. Knight beobachtet bei den Dramenhelden der späten Dramen eine Bewegung von Schmerz und Unglück über eine stoische Schicksalsannahme zu einem glücklichen Ausgang und sieht in diesem pattern eine menschliche Grundkonstante: "The progress from spiritual pain and despairing thought through stoic acceptance to a serene and mystic joy is a universal rhythm of the spirit of man."5 Der Umstand, daß Tillyard und Knight im wesentlichen werkimmanent argumentieren und die literarische Tradition nur in geringem Maße berücksichtigen, hat allerdings zur Folge, daß ihre Ausführungen vielen Lesern als unklar und vage erscheinen.6 So ist auch der Versuch zu erklären, die Dramen in den Kontext einer "Romance tradition" zu stellen, ein Versuch, der etwa in den Studien E. C. Pettets, Howard Felperins und John Deans unternommen wird.7 Diese Studien sollen hier herausgegriffen und näher besprochen werden. Pettet, der sich auf Shakespeares Gesamtwerk bezieht, legt den Hauptakzent auf die Handlungsführung in den Dramen und stellt die 3

4 5 6 7

Vgl. die Definition von "romance" in Lewis Spences Dictionary of Medieval Romance and Romance Writers (London, New York, 1913): "Briefly, a romance may be described as a tale written at any period between the eleventh and fourteenth centuries, which deals with the age of chivalry. The narrower meaning of the word can only be applied to such tales of chivalry and love as were written in the 'Roman' (that is, in Old French)"; Preface, S. v. Tillyard, Shakespeare's Last Plays; Knight, The Crown of Life. Knight, The Crown of Life, S. 29. Siehe ζ. Β. Pettets Kritik an Tillyard, a.a.O., S. 198-199. Pettet, a.a.O.; Howard Felperin, Shakespearean Romance (Princeton, N . J . , 1972); John Dean, Restless Wanderers: Shakespeare and the Pattern of Romance (Salzburg, 1979).

226

'romance'-artige Natur von Shakespeares plots heraus. Dieser Ansatz ist insofern unbefriedigend, als der Begriff "romance" nicht oder nur sehr unzureichend definiert wird. Pettet begnügt sich damit, Elemente in Sidneys Arcadia, in Spensers Dichtung und in den Dramen Lylys, Greenes und Shakespeares aufzuzählen, die auf ihn einen 'romance'haften Eindruck machen, 8 ohne die Verwendung des Begriffs "Romance tradition" historisch überzeugend zu begründen. Er scheint dabei von einer Konzeption auszugehen, nach der "Romances" vor allem durch das Fehlen von verisimilitude sowie durch eine psychologisch unrealistische Auffassung von der Liebe gekennzeichnet sind. Bei dramatisierten "Romances" handle es sich um Unterhaltung von zweifelhaftem literarischen Wert, die beim Theaterpublikum sehr beliebt gewesen sei. Um sich diesem Publikumsgeschmack anzupassen, habe sich auch Shakespeare bemüßigt gefühlt, "romance" zum Hauptbestandteil seiner Komödien zu machen. 9 Gelegentlich entsteht bei der Lektüre von Pettets Studie der Eindruck, daß seinem "romance"-Begriff bestimmte Formen der Trivialliteratur des neunzehnten oder zwanzigsten Jahrhunderts zugrundeliegen. Wie sehr Pettet bei seinen Thesen in einer vorgefaßten Konzeption befangen ist, wird deutlich, wenn er einen Prozeß von "Shakespeare's detachment from romance" darzustellen versucht. So stellt Pettet fest, daß ,schon' die frühen Dramen The Two Gentlemen of Verona und Love's Labour's Lost Teile enthalten, die dem "spirit of romance" entgegenstehen, wie etwa die Szenen mit Launce und Speed. 10 Pettet verkennt, daß Szenen dieser Art in späteren Dramen in immer stärkerem Maße in die Haupthandlung um die jungen Liebenden, also die „romantische" Handlung im Sinne Pettets, integriert sind, anstatt einen Gegensatz zu ihr zu bilden, und sieht in der größeren Realitätsnähe in As You Like It ein Zeichen von Shakespeares Loslösung von der Romanzentradition. 11 Durch das Postulat, "romances" hätten psychologische Unwahrscheinlichkeiten zum Inhalt, 12 verschließt sich Pettet der Erkennt8

9 10 11 12

So sagt Pettet etwa über Sidneys Arcadia: "... it is a typical romance in that it consists primarily of love-stories... All these love-stories are typically romantic in that they are to a large extent concerned with love-making, or at least attempted love-making"; a.a.O., S. 23-24. Pettet, a.a.O., S. 198. Ebd., S. 101-109. Ebd., S. 126-132. Ahnlich wie Pettet argumentiert auch Nosworthy in der Einleitung zu seiner ArdenEdition von Cymbeline. Nosworthy erklärt zunächst viele Eigenarten des Dramas mit "conventions of romance", beklagt sich dann aber darüber, daß so viele Elemente der

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nis, daß Shakespeare eher einen Weg hin zur "Romance" als einen Weg weg von ihr beschreitet: In The Taming of the Shrew etwa steht Shakespeare dem „romantischen" Geschehen (hier: der Bianca-Lucentio-Handlung) noch skeptisch gegenüber, während es in As You Like It und Twelfth Night die volle Sympathie von Autor und Zuschauer genießt.13 Es stellt sich die Frage, ob es so etwas wie die "Romance tradition", wie Pettet sie versteht, überhaupt gegeben hat. Die Elemente bei Shakespeare, die Pettet dem "romance genre" zuordnet, fehlen im Drama vor Shakespeare weitgehend. Für einen Dramatiker ist es generell nicht einfach, eine Liebesgeschichte auf die Bühne zu bringen, ohne dabei freiwillige oder unfreiwillige Komik zu erzeugen, was der Epiker oder Romanautor durch das Zwischenschalten eines Erzählers vermeidet. Das antike Drama hatte auf Liebesszenen fast völlig verzichtet, und auch im Theater der Renaissance fehlen sie weitgehend. Die von Pettet genannten "romances" Sir Bevis und Guy of Warwick1* können gleichfalls kaum für die Art von „romantischen" Liebesgeschichten in Anspruch genommen werden, die sich bei Shakespeare findet. Nur in den spätgriechischeji Liebesromanen (wie Heliodors Aithiopika) hätte Pettet Parallelen für das von ihm bei Shakespeare ausgemachte pattern ,romantischer' Liebe

Gattung Tragödie Eingang in dieses Drama finden und daß viele Personen für die Gattung "conventional romance" zu realistisch geschildet seien (S. 1). Imogen selbst sei "a various and erratic tissue of inconsistencies" (S. lxi). Trotzdem kann Nosworthy dem Drama schließlich seine große Bewunderung nicht versagen (S. lxxviii). Seine Einleitung ist ein gutes Beispiel dafür, in welche Schwierigkeiten man gerät, wenn man mit vorgefaßten Ansichten darüber, was eine Komödie, eine Tragödie, eine Tragikomödie oder eine ,Romanze' zu sein hat, an ein Drama von Shakespeare herangeht. Zur Kritik an Pettet und Nosworthy vgl. Joan Hartwig, Shakespeare's Tragicomic Vision (Baton Rouge, La., 1972), S. 11-12. 13

Ahnlicher Ansicht ist Nevill Coghill, "The Basis of Shakespearean Comedy", Essays and Studies 3 (London, 1950), S. 1-28; S. 9-14. Vgl. auch die Feststellungen Manfred Pfisters, der bei einer Untersuchung der „Perspektiven der Liebe" in Twelfth Night Violas Haltung treffend „die romantischrealistische Perspektive" nennt und bemerkt: „So ist Violas Sicht der Liebe, wie die Rosalinds in As You Like It, sowohl die umfassendste als auch die ausgewogenste des ganzen Spiels. Sie umgreift sowohl die skeptisch-ironische Distanz Festes wie auch die lyrische Betroffenheit der romantischen Liebenden. Was bei Rosalind jedoch noch in zwei deutlich voneinander geschiedene Standpunkte auseinandergefaltet ist, die Betroffenheit vom Zauber romantischer Liebe, die sie ihrer Vertrauten gegenüber ausspricht, und die spielerisch spöttische Liebeskritik, mit der sie Orlando narrt, geht in Violas Perspektive in vollkommener Synthese ineinander auf." Studien zum Wandel der Perspektivenstruktur in elisabethanischen und jakohäischen Komödien (München, 1974), S. 158-159.

14

Pettet, a.a.O., S. 11-12. Zur Ritterlichkeit bei Shakespeare siehe u. S. 244 -251.

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finden können, freilich nicht unbedingt für die psychologischen Unwahrscheinlichkeiten und den geringen literarischen Wert. Shakespeare konnte, wie schon in den Abschnitten des Ersten Hauptteils deutlich wurde, 15 bei der Dramatisierung von Liebesgeschichten nicht auf eine bestimmte Tradition zurückgreifen. So war etwa bei The Two Gentlemen of Verona der stark experimentelle Charakter der szenischen Darstellung deutlich geworden. Wie auch immer wir Handlungsführung und psychologische Motivation in den Two Gentlemen of Verona beurteilen mögen - erst die in diesem Drama zum erstenmal angewandten Techniken ebnen den Weg zu dramatischen Meisterwerken wie A Midsummer Night's Dream, As You Like It und Twelfth Night. Glaubwürdigkeit und verisimilitude sind, wie die Abschnitte des Ersten Hauptteils ebenfalls gezeigt haben, trotz Pettets gegenteiliger Annahme ein wichtiges Anliegen Shakespeares.16 Eine etwa in Abschieds- und Begrüßungsszenen festzustellende Realitätsnähe erleichtert dem Zuschauer die suspension of disbelief bei unwahrscheinlicheren Vorfällen.17 Es zeigt sich, daß Pettets "Romance"-Begriff zur Deutung von Shakespeares Dramen ungeeignet ist, auch wenn sein Ansatz, auch außerhalb der Gattung Drama nach Traditionssträngen zu suchen, in die Shakespeare eingeordnet werden kann, natürlich seine Berechtigung hat. Umsichtiger ist Felperins Studie, die sich auf die späten Dramen 15 16

17

Vgl. z. B. o. S. 33-34. Ein Versehen Pettets ist aufschlußreich: Auf seiner Liste der Unwahrscheinlichkeiten in Shakespeares Komödien findet sich "Antonio losing every single one of his ships" (a.a.O., S. 82). Pettet übersieht, daß drei von Antonios Schiffen am Ende des Dramas voll beladen in Venedig eintreffen, wie Portia verkündet: ... unseal this letter soon, There you shall find three of your argosies Are richly come to harbour suddenly ... (V, 1, 275-277) Diese Verse zeigen, wie sorgsam Shakespeare auf die Darstellung des Wahrscheinlichen bedacht war. In Antonios Brief, in dem er schreibt: "my ships have all miscarried" (111,2,314), liegt ein feiner Zug psychologischer Charakterisierung: Zunächst kommt das Gerücht auf, ein venezianisches Schiff sei gescheitert, vielleicht Antonios (II, 8, 27-32). Dann soll ein weiteres Schiff Antonios verunglückt sein (III, 1, 89-92). Ist es verwunderlich, daß Antonio, der Melancholiker, durch das Ausbleiben seiner Schiffe, das Aufkommen dieser Gerüchte und das Näherrücken des Zahltermins in Panik gerät und alle seine Schiffe verloren gibt? Vgl. die Feststellung Kenneth Muirs hinsichtlich Macbeth: "He [Shakespeare] was fascinated by the very difficulty of making the psychologically improbable, by sheer virtuosity, appear possible"; Macbeth, a.a.O., Introduction, S. xlviii. Sehr schön stellt J. H. P. Pafford - unter anderem durch einen Vergleich mit der Quelle, Greenes Roman Pandosto - Shakespeare's ,Realismus' in The Winten' Tale heraus, einem Drama also, das so oft als besonders realitätsfern angesehen wird; The Winter's Tale, a.a.O., Introduction, S. lxiv-lxvii.

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konzentriert und den Versuch unternimmt, die Struktur der "Romance" historisch herzuleiten. Felperin erkennt, daß der ,romantische' Handlungsablauf eines Dramas durchaus einem anspruchsvollen literarischen Zweck dienen kann: "... if the avowed purpose of Shakespearean comedy and romance is recreation ... we should be prepared to see that recreation may have, and in the last plays has, as much to do with St. Paul as it does with Hollywood." 18 Als Grundprinzip der "Romance" nennt Felperin "the conflict between Eros and Até". 19 Hiermit hat er, was Shakespeare betrifft, sicher etwas Richtiges gesehen. Eine durch Verblendung und Zwietracht gestörte Ordnung wird bei Shakespeare in der Tat nicht selten durch die ,Macht der Liebe' wiederhergestellt.20 Unbefriedigend ist jedoch der Versuch, dieses Prinzip aus einer dramatischen Tradition herzuleiten, die auf die Dramatisierung von Heiligenlegenden und auf die miracle plays des fünfzehnten Jahrhunderts zurückgehe.21 Felperin begnügt sich hierbei mit der Feststellung grober Analogien. Auch eine höfische Bühnenunterhaltung wie Peeles Arraignment of Paris - kaum wird man von einem Drama sprechen können - 2 2 kann schwerlich als Vorbild für den komplexen Aufbau von Shakespeares Dramen gedient haben. Aufgrund der Beschränkung des Blickwinkels auf das Drama (speziell das einheimische englische Drama) gelangt auch Felperin nicht zu einer überzeugenden Einordnung der als "conventions of romance" empfundenen Phänomene.23 Das Strukturmuster des christlichen Heilsgeschehens, das Felperin als grundlegend für die "Romance tradition" (und damit für Shakespeares letzte Dramen) ansieht, muß bei einer Untersuchung Shakespeares zwar in Rechnung gestellt werden, ist aber, wie noch im einzelnen zu zeigen sein wird, nur einer von vielen Traditionssträngen, aus denen Shakespeare schöpfen konnte. Die Vielfalt der Traditionen ist der Ausgangspunkt von John Deans Studie, die Werke wie Homers Odyssee, Heliodors Aithiopika, Malorys Morte d'Arthur und Ariosts Orlando furioso mit Shakespeares späten Dramen in Zusammenhang bringt. Für diese Werke hält Dean am Begriff des "genre of romance" fest, obwohl er sich der Vielfalt der unter dieser Bezeichnung subsumierten Werke bewußt ist: "The generic quality of romance is far too diverse, too rich in contrast, to tie it down to a fixed set of ordering principles."24 Trotzdem versucht er, die Eigenschaften der 18 19 20 21

Felperin, a.a.O., S. 69. Ebd., S. 25. Vgl. u. S. 3 1 3 - 3 1 4 . Felperin, a.a.O., S. 3 - 5 4 .

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22 23 24

Vgl. o. S. 106. Felperin, a.a.O., S. 54 u. ö. Dean, a.a.O., S. 87.

"Romances" näher zu bestimmen, und findet nicht weniger als elf Kriterien, die die Einordnung eines literarischen Werkes in das romance genre erlauben.25 Diese elf Gesichtspunkte sind zum Teil so weit gefaßt, daß es fraglich erscheint, ob es vor Shakespeare überhaupt fiktionale Texte gegeben hat, auf die keine von ihnen zutreffen.26 Der allzu weit gefaßte "Romance"-Begriff hindert Dean an einer Herausarbeitung der unterschiedlichen Traditionsstränge, in die die erwähnten epischen und romanhaften Werke einzuordnen sind. Dennoch ist Dean bei seinem Ansatz auf dem richtigen Weg: Die von ihm herangezogenen Werke der Antike, des Spätmittelalters und der Renaissance sind es, die von Inhalt und Struktur her am ehesten mit Shakespeares Dramen verglichen werden können. Zum Teil standen sie auch im Mittelpunkt des literarischen Interesses der Shakespeare-Zeit. Natürlich stellt sich die Frage, ob nicht eine Untersuchung der Quellen von Shakespeares späten Dramen Aufschluß über die literarischen Traditionen geben kann. Die Frage nach den Quellen wird etwa von Hallett Smith27 und Carol Gesner28 gestellt. Gesner kommt zu dem Ergebnis, daß Werke einer bestimmten literarischen Tradition, der des spätgriechischen Romans, in mancher Hinsicht als Quellen von Shakespeares Dramen gelten können. Dieses Ergebnis macht bereits deutlich, daß der Begriff der "Romance" für eine literarhistorische Einordnung nicht ausreicht. Infolge der Mehrdeutigkeit des Wortes "Romance" im Englischen stiftet der Begriff als literaturwissenschaftlicher Terminus mehr Verwirrung als Klarheit. Aber auch die Feststellung einer direkten oder indirekten Quelle erklärt noch nicht, wie wichtig diese Quelle für Konzeption und Aussage der Dramen ist bzw. welchen Platz Shakespeare in der literarischen Tradition einnimmt. Hier versucht die vorliegende Arbeit, einen neuen Ansatzpunkt zu entwickeln: Wenn man einen gemeinsamen Nenner für die von Dean als "romantic" oder "Romance" bezeichneten Stoffe von Werken der episch-romanhaften Traditionen und von den Dramen Shakespeares sucht, findet sich dieser im Motiv ,Reise', dem literarisch gestalteten Unterfangen einer Person, ein bestimmtes Ziel aufzusuchen. Eine Befragung der zahlreichen literarischen Werke, die dieses Motiv 25 26

27

28

Ebd., S. 87-115. Vgl. Paffords Feststellung in der Einleitung seiner Arden-Edition von The Winter's Tale: "Some of the plot is of the world of fantasy, but that can be said of the plots of all Shakespeare's non-historical plays: they are all romantic in this sense"; a.a.O., S. 1. Hallett Smith, Shakespeare's Romances: As Study of Some Ways of the Imagination (San Marino, Calif., 1972), S. 1-20. Gesner, a.a.O.

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enthalten, nach der Art bzw. dem Weg der Reise und nach dem Reiseziel läßt deren Vielfältigkeit deutlich werden und ermöglicht somit eine Differenzierung der literarischen Traditionsstränge, an die Shakespeare anknüpfen konnte. Vom Blickwinkel der Reisemotivik aus soll also die Frage gestellt werden, welche der epischen und romanhaften Traditionen von Shakespeare auf welche Weise verwertet worden sind. Deutungen wie die Tillyards und Knights können hierdurch einer historisch-philologischen Kritik unterzogen werden. Diese Untersuchung wird sich nicht auf eine bestimmte Gruppe von Dramen beschränken. Auch in diesem Teil der Arbeit wird es darum gehen, Motiv- und Bedeutungslinien festzustellen, die sich durch Shakespeares Gesamtwerk hindurchziehen.

2. Die Bedeutungen der Reisewege a) Reisewege in der Literatur vor Shakespeare Die üblichen Schauplätze sind im antiken Drama in der Tragödie der Palast bzw. das Heiligtum und in der Komödie die Stadt. Vor oder im Haus eines Herrschers oder vor einem Heiligtum schmieden die Personen der antiken Tragödie ihre Ränke, tragen ihre Streitigkeiten miteinander aus oder sehen sich nach langer Trennung wieder. Auf den Straßen einer Stadt wiederum treffen sich die Personen der Komödie, um Intrigen anzuzetteln, sich gegenseitig zu betrügen und sich miteinander zu versöhnen. 1 Hof und Stadt sind auch die Schauplätze vieler Dramen Shakespeares, in geringerem Umfang jedoch als bei vielen seiner Zeitgenossen. Doch sind bei Shakespeare selbst diese Dramen oft durch das Reisemotiv geprägt. Die Außenwelt wird hierbei, wie im Ersten Hauptteil dieser Arbeit herausgestellt wurde, unter anderem durch Abschieds- und Begrüßungsszenen in das Geschehen mit einbezogen. Die Welt der Epen und Romane weicht in der Antike, im Mittelalter und in der Renaissance entscheidend von der Welt der Dramen ab. Eine Gemeinsamkeit vieler verschiedener epischer Entwürfe besteht darin,

N u r ganz wenige antike Dramen haben andere Schauplätze, ζ. B. Sophokles' Philoktet, der auf einer Insel spielt, und Plautus' Rudens, dessen Schauplatz ein Meeresufer ist. Mit „Komödie" ist hier natürlich die ,neue' Komödie des Menander, des Plautus und des Terenz gemeint, nicht die ,alte' des Aristophanes.

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daß ein Held die Strapazen einer Reise auf sich nimmt, um zu einem Ziel zu gelangen, und die auf dieser Reise auftretenden Gefahren meistert. Hiermit besteht er gleichsam die Prüfungen, durch die er sich als würdig erweist, sein Ziel auch zu erreichen. Die Art dieser Prüfungen ist recht unterschiedlich. Verschiedene Reisearten und Reisewege erfordern jeweils eine eigene Art von Bewährung. Diese Unterschiede gehen auf die unterschiedlichen Anforderungen zurück, die dem heldenhaften Menschen in verschiedenen Epochen und literarischen Werken gestellt wurden. Bei den Werken der Antike wie der Odyssee, der Aeneis und den Aithiopika handelt es sich vor allem um Seereisen. Odysseus muß auf dem Weg nach Hause zahlreiche Abenteuer bestehen, deren Art er meist nicht vorhersehen kann. Er ist der Willkür von Stürmen ausgeliefert, die er mit Geduld und Schicksalsergebenheit übersteht, während ihm Körperkraft und Tapferkeit, Qualitäten, die etwa in der Ilias wichtig sind,2 wenig nützen. Weitere Qualitäten, die Odysseus benötigt, sind Intelligenz und Triebbeherrschung: Durch seine Unfähigkeit, seine Neugier im Zaum zu halten, gerät Odysseus in die Gefangenschaft des Kyklopen, aus der er sich nur durch eine List befreien kann. Bei weiteren Abenteuern (bei Kirke, den Sirenen und den Rindern des Sonnengottes) weiß er dann seine Triebe zu zügeln, was ihm das Uberleben und die Heimkehr ermöglicht. Ahnliche Qualitäten werden in Vergils Epos von Aeneas gefordert, wenn auch der Intelligenz eine geringere und der Schicksalsergebenheit, das heißt dem Gehorsam den Göttern gegenüber, eine wichtigere Rolle zukommt. Bei Dido läuft Aeneas Gefahr, seinen Auftrag, in Italien zu siedeln, zu vergessen, doch reicht eine Ermahnung des ihm erscheinenden Merkur aus, ihn zum sofortigen Verlassen Karthagos zu bewegen. Auch in den Aithiopika stehen Triebbeherrschung, Intelligenz und Schicksalsergebenheit im Vordergrund. Neben Seeabenteuern enthält der Roman auch Landreisen, auf denen die Romanhelden unter anderem von einer Räuberbande verschleppt und von Soldaten gefangengenommen werden. Wie in der Odyssee spielt die Fähigkeit zum Umgang mit Fremden eine wichtige Rolle. Die rhetorischen Fähigkeiten Charikleias zum Beispiel retten sie und Theagenes vor der Gewalt der Räuberbande des Thy amis. Ähnlich wie Seereisende müssen die Romanhelden durch 2

Es läßt sich feststellen, daß sich der Odysseedichter bewußt gegen die Weltanschauung der Ilias absetzt; siehe ζ. B. Alfred Heubeck, Der Odysseedichter und die Ilias (Erlangen, 1954).

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ihren überlegenen Geist mit Mächten fertig werden, denen sie von ihren Körperkräften her unterlegen wären. 3 Die Seereise und der Schiffbruch werden zu Metaphern für die menschliche Befindlichkeit. So spricht etwa Gregor der Große vom „naufragium huius vitae", aus dem er sich durch den Gang ins Kloster gerettet habe.4 Natürlich steht hier neben der Tradition von Epos und Roman auch die Apostelgeschichte im Hintergrund, die von dem Seesturm berichtet, den der Apostel Paulus vor Malta erlebte.5 Das aristokratische Weltbild des Hochmittelalters führt zu einer anderen literarischen Gestalt, der des auf einer quest befindlichen Ritters, der hoch zu Roß mit der Waffe griffbereit durch die Ebene stürmt. Entscheidend für den Erfolg des Helden sind Tapferkeit, Ausdauer und die Einhaltung eines strengen Ehrenkodex. Erfüllt der Ritter diese Bedingungen, darf er sich in aristokratischem Hochmut darauf verlassen, daß Gott und das Recht auf seiner Seite sind. Diese literarische Tradition hat im Sagenkreis um König Arthur ihren Ursprung, der im zwölften Jahrhundert in England und Frankreich Eingang in die Literatur fand. Der Ritter blieb bis zu Cervantes' Don Quijote die hauptsächliche Verkörperung des Menschen auf der Suche. In dieser Tradition stehen Malorys Morte d'Arthur, der spanische Amadis-Komzn und zum Teil auch Ariosts Orlando furioso, Sidneys Arcadia und Spensers Faerie Queene. Von Anfang an kommt im Ritterroman zum ebenen, freien Feld, wo sich der Ritter auf seine Manneskraft verlassen darf, ein weiterer Reiseort hinzu, der Wald, wo der Ritter bei all seiner Tapferkeit Gefahr läuft, sein Ziel zu verfehlen. Oft wird er mit Zauberei und mit Fabelwesen konfrontiert und gerät in Situationen, aus denen ihm nur seine Prinzipientreue wieder heraushilft. Dem im Wald verirrten Ritter fehlen die Orientierungsmöglichkeiten des Seereisenden (Sterne und freie Sicht). Andererseits ist er der Gewalt der Stürme (und damit des Schicksals) nicht so vollkommen ausgeliefert wie dieser. Eines der ersten Beispiele findet sich im Yvain des Chrétien de Troyes. Das Verirren im Wald kann hier als Bild angesehen werden für den Orientierungsverlust, der mit 3

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5

Ähnliche Beobachtungen lassen sich auch bei elisabethanischen Nachahmungen der spätgriechischen Romane anstellen; siehe z. B. Samuel Lee Wolff, The Greek Romances in Elizabethan Prose Fiction (New York, 1912). S. Gregorii Magni Moralia in lob, ed. Marcus Adriaen, 3 Bde., Corpus Christianorum, Series Latina 143 (Turnhout, 1979); Bd. 1 (libri 1-10), „Ad Leandrum" 1, S. 1. Den Hinweis auf diese Stelle verdanke ich Herrn Professor Dr. W. Berschin, Heidelberg. Apostelgeschichte, 27, 14-44.

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einem Verlassen des Pfades der Tugend einhergeht, ähnlich wie am Anfang von Dantes Inferno: N e l m e z z o del cammin di nostra vita Mi ritrovai per una selva oscura, ché la diritta via era smarrita . . . ( 1 , 1 - 3 ) 6

In den späteren Ritterromanen gewinnt der Wald noch eine erheblich größere Bedeutung, als er bei Chrétien hatte. In zunehmendem Maße wird der Mensch als Wesen gesehen, das unkontrollierbaren Kräften ausgesetzt ist, gegen die er sich nur durch Festigkeit und Schicksalsergebenheit behaupten kann, nicht durch körperliche Tapferkeit; durch christliche Demut, nicht durch aristokratischen Hochmut. In Malorys Morte d'Arthur wird dieser Bewußtseinswandel vor allem in den Teilen deutlich, die von der quest of the Sangrail handeln,7 dem Abenteuer, das sich weitgehend im "waste forest" abspielt 8 und das der Autor ausdrücklich als besonders ,wahr' und ,heilig' bezeichnet.9 Hier kommt die Infragestellung der traditionellen Ritterideale vor allem im Scheitern Launcelots zum Ausdruck, des Ritters, der zwar als der tapferste an Arthurs Hof gilt, aber anders als sein Sohn Galahad nicht frei von Sünden ist und deshalb nicht würdig, den Sangrail zu gewinnen. Im Wald sind auch in Ariosts Orlando furioso Episoden angesiedelt, die den Wert der Tapferkeit in Frage stellen. So trifft Angelica im Wald auf den verwundeten Medoro, 10 einen einfachen Soldaten, den sie allen ritterlichen Bewerbern um ihre Gunst vorzieht und zum König von Indien macht. Ariosts Haltung zum Rittertum ist zusätzlich dadurch gekennzeichnet, daß bei ihm auch Frauen zu den reisenden Suchern zählen. Zwar ahmen Bradamante und Marfisa männliches Rittertum nach, doch Fiordiligi sucht ihren Geliebten unbewaffnet und ohne sich an einen Ritter mit der Bitte um Hilfe zu wenden. Eine ähnliche Reisesituation wie die Fiordiligis ist die eines Pilgers, der unbewaffnet und nur mit Hilfe seines Glaubens und seiner Standhaftigkeit ans Ziel gelangt. Die Pilgerreise ist in der Literatur vor allem in 6 7

8

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Dante Alighieri, Tutte le opere, ed. Fredi Chiappelli (Milano, 1965). Diese Teile gehen auf die französische Queste del Saint Graal aus dem dreizehnten Jahrhundert zurück. Sir Thomas Malory, Le Morte D'Arthur, 2 Bde., ed. Janet Cowen (Harmondsworth, 1969), Bd. 2, S. 329ff. Ebd., Bd. 2, S. 372. Ludovico Ariosto, Orlando furioso, edd. Santorre Debenedetti, Cesare Segre (Bologna, 1960), XII, 65, 5 - 8 und XIX, 17-37.

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der Form von Metaphern anzutreffen. Die Metapher der Wallfahrt für die ,Lebensreise' findet sich bereits im Alten Testament.11 In vielen literarischen genres des Mittelalters und der Renaissance ist sie verbreitet. 12 Neben diesen Reisewegen sind noch einige literarische Orte' zu erwähnen, die dadurch charakterisiert sind, daß an ihnen andere Gesetze gelten als am Hof oder in der Stadt. Ein solcher Ort ist die bukolische Schäferwelt. Die bukolische Tradition scheint auf zwei Stränge zurückzugehen, von denen der eine in Vergils Bucolica (und damit letztlich in Theokrits Idyllen), der andere in Longos' Daphnis und Chloë seinen Ursprung hat. Die Schäferwelt ist ein Ort der Harmonie und der Gleichheit aller Menschen, vor allem auch der Gleichheit von Mann und Frau. Im Mittelalter weitgehend unbekannt, gewinnt diese Tradition im sechzehnten Jahrhundert schnell an Boden; man denke nur an Sannazaros Arcadia, an Montemayors Diana, an die Pastoraldramen Tassos (Aminta) und Guarinis (Ii pastor fido) und natürlich an Sidneys Arcadia. Eine andere Bedeutung als literarischer Ort' hat der Wald als Lebensraum des sich von der Welt zurückziehenden Einsiedlers. Diese Tradition, die auf die Heiligenlegenden des Mittelalters zurückgehen dürfte, findet sich vor allem im Ritterroman. Erschöpfte und verwundete Ritter suchen bei Einsiedlern im Wald Zuflucht, zum Beispiel in den Romanen Chrétiens (etwa im Perceval) oder bei Malory. Daneben gibt es volkstümliche Traditionen, wie etwa die des edlen, im Wald lebenden Räubers Robin Hood, dessen Welt wie die bukolische eine Alternative zur Welt von Stadt und Hof darstellt. Ein Ort schließlich, der wohl direkt aus Homers Odyssee, ohne den Umweg über das Lateinische, Eingang in die Literatur der Renaissance gefunden hat, ist die geheimnisvolle, verzauberte Insel, auf der sich die gestrandeten Helden in den Epen Ariosts und Tassos bewähren müssen. Im Unterschied zum Schauplatz Wald ist der Held an einem überschaubaren Ort gefangen und steht einer ,Gegenspielerin', der Herrin der Insel, gegenüber. Da die Insel alle Annehmlichkeiten des Lebens bietet, besteht die Prüfung des Helden vor allem darin, ob er sich dazu 11 12

Genesis, 47, 9; Psalmen, 119, 54 etc. Eine umfassende Zusammenstellung von Beispielen dieses Motivs in der englischen Literatur und der europäischen Kunst der Renaissance gibt Samuel C. Chew, The Piligrimage of Life (New Haven, London, 1962). Chew unternimmt es jedoch nicht, die relative Bedeutung der Pilgermetapher unter den Metaphern für die .Lebensreise' zu bestimmen, die dem Dichter und Künstler der Renaissance zur Verfügung standen.

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durchringen kann, überhaupt den Wunsch zur Abreise zu fassen. Durch Überredung oder List gelingt dann die Abfahrt zur See. In der Renaissance bedienen sich Verfasser von Epen und Romanen meist mehrerer dieser literarischen Traditionen. So wird auch das antike Motiv der Seereise wiederaufgenommen. Im Orlando furioso, in Gerusalemme liberata und in Spensers Faerie Queene (vor allem in Buch II) 1 3 steht die See als Reiseweg neben dem Wald und der Ebene. Diese Vermengung der Traditionen erklärt sich aus dem Bemühen, die Vielfalt der Situationen, mit denen der Menschen in der Welt konfrontiert wird, in fiktionaler Literatur deutlich werden zu lassen. Der epische Held der Renaissance stellt seine Vollkommenheit oft dadurch unter Beweis, daß er sich an verschiedenen Orten und in verschiedenen Situationen gleichermaßen bewährt. In Sidneys Arcadia fügen sich Pyrocles und Musidorus mühelos in die pastorale Welt des Friedens und der Gleichheit aller ein, sind aber im Bedarfsfall dennoch in der Lage, ihre Überlegenheit im ritterlichen Zweikampf unter Beweis zu stellen oder wie Charikleia in Heliodors Roman wohlgeformte Reden zu halten. In Cervantes' Roman träumt Don Quijote gegen Ende seines Daseins als fahrender Ritter davon, Schäfer zu werden und mit Sancho Panza eine pastorale Existenz zu beginnen. Bemerkenswert ist hierbei, daß Don Quijote, der sonst soviel Wert auf die Betonung des Rangunterschiedes zwischen sich und Sancho Panza legt, als Schäfer die Konvention der Gleichheit ohne weiteres akzeptieren würde: Er selbst möchte „el pastor Quijotiz", Sancho Panza soll „el pastor Pancino" werden.14 Diese Übersicht über die Reisewege in der epischen und romanhaften Literatur vor Shakespeare konnte nur skizzenhaft und unvollständig sein. Es sollte jedoch die Vielfalt und Verschiedenartigkeit der Traditionen aufgezeigt werden, die dem Literaten des sechzehnten Jahrhunderts zur Nachahmung und Weiterentwicklung zur Verfügung standen. In allen hier besprochenen Fällen werden Personen, die sich ein bestimmtes Ziel gesetzt haben, durch die Schwierigkeiten ,geprüft', die auf einer Reise oder in einer fremden Umgebung auftreten. Jeder dieser verschiedenen Arten der Prüfung liegt ein anderes Bild von der Befindlichkeit des Menschen zugrunde und eine andere Vorstellung davon, welche 13

14

Vgl. A. C. Hamiltons Feststellungen in seiner Ausgabe der Faerie Queene; a.a.O., S. 300. Miguel de Cervantes Saavedra, El ingenioso hidalgo Don Quijote de la Mancha (Barcelona, 1915); capítulo 67, S. 913.

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Qualitäten ein Mensch besitzen müßte, um als vollkommen gelten zu können. 15 Die verschiedenen Traditionsstränge müssen also jeweils in ihrer Eigenart gewürdigt werden und dürfen nicht deshalb summarisch als "Romance" oder "romantic" bezeichnet (und damit abqualifiziert) werden, weil sie sich alle auf Inhalte beziehen, die von der alltäglichen Wirklichkeit abweichen. b) Die Reisemetaphorik in Shakespeares Dramen Shakespeare hat sich in vielfältiger Weise der verschiedenen Traditionen bedient, die die Bewährung von Personen auf Reisen betreffen. Wie sehr Shakespeares Gesamtwerk vom Geist dieser episch-romanhaften Konzeptionen geprägt ist, wird schon bei einer Betrachtung der entsprechenden Metaphorik deutlich. So vergleicht Julia in den Two Gentlemen of Verona ihre Reise zu Proteus mit einer Pilgerfahrt: A t r u e - d e v o t e d p i l g r i m is n o t w e a r y T o m e a s u r e k i n g d o m s w i t h his feeble s t e p s , M u c h less shall she t h a t h a t h L o v e ' s w i n g s t o fly . . . (II, 7, 9 - 1 1 )

Eine elaborierte Form der Pilgermetapher findet sich im berühmten Dialog Romeos und Juliets bei ihrer ersten Begegnung: Romeo.

If I profane with m y unworthiest hand

T h i s h o l y shrine, t h e g e n t l e sin is this: M y lips, t w o b l u s h i n g p i l g r i m s , r e a d y s t a n d T o s m o o t h t h a t r o u g h t o u c h w i t h a t e n d e r kiss. Juliet.

G o o d pilgrim, y o u d o w r o n g y o u r h a n d t o o m u c h . . . (I, 5 , 9 2 - 9 6 )

Diese Metaphorik muß in ihrer Eigenart ernst genommen werden:1 Die Reisemetapher impliziert, daß der Liebende weiß, daß sein Unterfangen 15

In Anatomy of Criticism stellt N o r t h r o p Frye zwar zutreffend fest, daß der questMythos eine der Grundlagen fiktionaler Literatur überhaupt (einschließlich Shakespeares) ist, verkennt jedoch die Bedeutung der quest als Prüfung des questant, des Reisenden. So greift seine Deutung der See in Shakespeares Dramen als "symbol o f a low and chaotic world" zu kurz; Anatomy of Criticism: Four Essays (Princeton, N . J . , 1957), S. 184. Die See symbolisiert in den hier besprochenen epischen Werken und auch bei Shakespeare nicht so sehr einen bestimmten Zustand der Welt als vielmehr eine bestimmte Befindlichkeit des Menschen. Die See hat in keinem Drama Shakespeares einen ,Sinn', der vom Seereisenden unabhängig wäre.

1

Wie wichtig die Wahl der Metapher bei Shakespeare sein kann, hat zuletzt Katherine E. Maus herausgestellt: "Taking Tropes Seriously: Language and Violence in Shakespeare's Rape of Lucrece", Shakespeare Quarterly 37 (1986), S. 6 6 - 8 2 .

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mühevoll ist und Geduld erfordert. Die Art der Reise grenzt die Liebeskonzeption weiter ein: Der Liebende will ebenso demütig und unterwürfig sein wie ein Pilger, um zum Objekt seiner Liebe zu kommen, das er als ihm überlegen und schlechthin vollkommen ansieht. Er will zum Beispiel nicht wie ein Ritter auf einer quest mit Waffengewalt zur geliebten Person gelangen; er will sie nicht ,erobern' oder gewinnen', 2 sondern er will zu ihr aufsteigen. Auch die ritterliche quest kann jedoch als Metapher für den Weg zu einer geliebten Person Verwendung finden. So sagt Bassanio im Merchant of Venice von Portia: "...and many Jasons come in quest of her" (1,1,172). Zu diesen "many Jasons", die einer ritterlichen Liebeskonzeption anhängen, gehören Morocco und Arragon, 3 die damit scheitern werden. Bassanio weist hingegen die demütige Haltung eines Pilgers auf, wie Antonio durch die Form seiner Frage zum Ausdruck bringt: Well, tell me now what lady is the same To w h o m y o u swore a secret pilgrimage . . . (1,1, 119-120)

Allein die Haltung des Pilgers führt zum Erfolg und läßt Bassanio das bleierne Kästchen wählen, das einzige, dessen Aufschrift nichts verspricht: "Who chooseth me, must give and hazard all he hath" (II, 7, 9). Nur derjenige kann die Hand Portias — wie ein Pilger die Fürsprache eines Heiligen oder die Gnade Gottes — gewinnen, der keinen Anspruch auf sie geltend macht. Die Art der Metapher hat also eine entscheidende Bedeutung. Wenn über Portia gesagt würde: "many pilgrims come to worship her", oder wenn Romeo seine Lippen statt als "blushing pilgrims" als "bold knights-errant" bezeichnete, wäre die jeweilige Aussage eine völlig andere. 2

3

Diese beiden deutschen Metaphern zeigen, wie sehr heutige Auffassungen noch immer von einer ritterlichen Liebeskonzeption geprägt sind, ohne daß man sich dessen in der Regel bewußt wäre. Die Wahl der Namen (die in keiner der bekannten Quellen des Dramas zu finden sind) ist signifikant. Shakespeares Publikum hatte sowohl .Morocco' als auch .Arragon' bereits als ritterliche Kämpfer kennengelernt: In Peeles Battle of Alcazar erobert Abdelmelec, der vom presenter am Anfang des Dramas "the brave Barbarian lord Muly Molocco" (1. 12) genannt wird, die Herrschaft über Marokko zurück und läßt sich als "King of Marocco" ((II, 1,) 378) feiern. In Greenes Alphonsus, Prince of Arragon erobert der Titelheld durch seine Tapferkeit das Reich Amuracks, des Großtürken, und zwingt Iphigena, dessen Tochter, mit Waffengewalt dazu, seinem „Liebeswerben" nachzugeben und seine Frau zu werden (1627ff.). Bemerkenswert ist, daß in diesem Drama ebenso wie im Merchant of Venice ein Vergleich mit den Argonauten, Jason und Kolchis vorgenommen wird (1862-1863).

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Indessen muß auch innerhalb eines Metaphernbereichs mit Differenzierungen gerechnet werden. Eine Situation wie die der Pilgerreise läßt sich von vielen Aspekten her betrachten und findet eine entsprechend vielfältige Verwendung als Metapher. So bezeichnet Othello seinen Lebensweg als "pilgrimage" (1,3,153): Seine edle Wesensart ist auch zu christlicher Demut fähig. Wenn jedoch Angelo in Measure for Measure über Claudios bevorstehende Hinrichtung sagt: "... For that's the utmost of his pilgrimage" (II, 1,36), dann ist dies eine ironische Anspielung auf Claudios unfrommen Lebenswandel und kennzeichnet gleichzeitig Angelos frömmelnde Natur. Wenn Bolingbroke in Richard II seinen Gang in die Verbannung eine "inforced pilgrimage" (1,3,264) nennt, gibt er zu erkennen, daß er sich mit der demütigen Haltung eines unbewaffneten Pilgers nicht identifizieren kann und will. Die häufigste von Shakespeare verwandte Reisemetapher ist sicher die der Seereise. Ein Beispiel für dieses Bild findet sich in der bereits angesprochenen Rede Bassanios über Portia und ihre Freier im Merchant of Venice: "... For the four winds blow in from every coast / Renowned suitors..." (I, 1, 168-169). Die Freier kommen zwar auf einer quest, doch werden sie von den "four winds" hergeweht. Die Seemetapher stellt das Schicksalhafte des Vorgangs heraus: Dadurch, daß die "four winds" Subjekt des Satzes sind, entsteht der Eindruck, daß die Freier ohne eigenes Zutun, als willenlose Objekte kommen; sie können gar nicht anders, nachdem sie vom "worth" Portias (1,1,167) erfahren haben. Durch die Anspielung auf die Argonautensage verbindet Shakespeare geschickt die Elemente der ritterlichen quest mit denen der vom Schicksal gelenkten Seereise. Beides ist wichtig, um die Natur der Reise der Freier Portias zu beschreiben. Antonios Antwort auf Bassanios Bitte macht die Art deutlich, in der Shakespeare oft faktisches Geschehen und metaphorische Bedeutung miteinander verbindet: "Thou know'st that all my fortunes are at sea..." (1,1,177). Der Kaufmann, der auf die Rückkehr seiner Handelsschiffe wartet, wird zum Bild für den von der Gunst des Schicksals abhängigen Menschen. Mit dieser Bedeutung verwendet Romeo eine Seefahrtsmetapher: " . . . But he [Love] that hath the steerage of my course / Direct my suit" (1,4, 112-113). 4 Mit einer anderen Form der Seefahrtsmetapher beschreibt Romeo in der Szene II, 2 seine Liebe zu Juliet: 4

Vgl. Kenneth Muir, Sean O'Loughlin, The Voyage to Illyria: A New Shakespeare (New York, London, 1970 [ 1 1937]), S. 72-73.

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Study

of

. . . I am no pilot, yet wert thou as far A s that vast shore wash'd with the farthest sea, I should adventure for such merchandise. (II, 2, 8 2 - 8 4 )

D e r seefahrende Kaufmann kann das Erreichen seines Reiseziels nicht erzwingen; er kann dieses Ziel jedoch selbstbewußt unter Inkaufnahme eines risikoreichen und beschwerlichen Weges anstreben. Mit einer ähnlichen Metapher beschreibt auch Troilus sein Vorhaben, mit Cressida eine Liebesbeziehung anzuknüpfen: . . . H e r bed is India; there she lies, a pearl. Between our Ilium and where she resides, Let it be call'd the wild and wand'ring flood, Ourself the merchant, and this sailing Pandar O u r doubtful hope, our convoy and our bark. (1,1, 100-104)

Ein Vergleich dieser Metapher mit den Metaphern R o m e o s zeigt erneut, wie wichtig die Einzelheiten der Formulierung sind: Dadurch, daß nicht Cressida selbst, sondern ihr Bett mit dem Zielort einer Reise gleichgesetzt wird, wird die moralische Fragwürdigkeit der Unternehmung deutlich. Auch ist Pandaras wohl kaum derjenige, dem man sich als Steuermann anvertrauen sollte. Troilus scheint dies zu ahnen, wenn er von "doubtful h o p e " spricht. 5 Gelegentlich finden sich Seefahrtsmetaphern auch dann, wenn auch auf der faktischen Ebene eine Reise stattfindet, zuweilen jedoch eine Reise ganz anderen T y p s . So sagt Pisanio in Cymbeline: . . . All other doubts, by time let them be clear'd, Fortune brings in some boats that are not steer'd. (IV, 3, 4 5 - 4 6 )

In der Schlußszene heißt es dann: „Posthumus anchors upon I m o g e n " (V, 5,394). Die Situation der Seereise verweist auf das gütige Wirken des Schicksals und auf die Geduld und Zielstrebigkeit der Reisenden. In Julius Caesar verwendet Brutus eine elaborierte F o r m der Seefahrtsmetapher: . . . There is a tide in the affairs of men, Which, taken at the flood, leads on to fortune; Omitted, all the voyage of their life Is b o u n d in shallows and in miseries.

5

Eine komische Form erhält diese Metapher in The Merry Wives of Windsor, wo Falstaff von Mrs. Ford und Mrs. Page sagt: "They shall be my East and West Indies, and I will trade to them both" (1,3, 67-68).

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O n such a full sea are we n o w afloat, A n d we must take the current when it serves, O r lose our ventures. (IV, 3, 2 1 7 - 2 2 3 )

Der Gedanke, daß man die sich bietende Gelegenheit ausnutzen muß, ist ein bekannter Topos; 6 die Wahl der Seefahrtsmetapher ist hingegen für Shakespeare charakteristisch und verweist auf Brutus' Situation: Wie ein Seereisender ist er von der Willkür des Schicksals abhängig. Darin, daß er trotz dieser Befindlichkeit glaubt, das Schicksal beeinflussen zu können, besteht sein tragischer Irrtum. Eine charakteristische Verbindung von faktischem Geschehen und Metapher findet sich in Twelfth Night: Sebastian verwendet nach einem überstandenen Schiffbruch die Seefahrtsmetapher für die ,Lebensreise': " . . . m y determinate voyage is mere extravagancy..." (11,1, 10-11). Diese Verbindung lädt den Zuschauer dazu ein, auch den faktischen Schiffbruch symbolisch zu deuten. Ahnliches gilt für den Seesturm in Othello, den der Titelheld zum Anlaß für eine metaphorische Verwendung des tempest-Begriffs nimmt (II, 1, 185-189). 7 Die Gültigkeit dieser Metapher, die auf die Willkür des Schicksals hinweist, bestätigt sich am Ende des Dramas, wo Othello ausruft: . . . H e r e is m y journey's end, here is m y butt, And very sea-mark of m y utmost sail . . . (V, 2, 2 6 8 - 2 6 9 )

In Pericles wird ein faktischer Seesturm zu einer zentralen Existenzmetapher, auf die etwa Marina hinweist: . . . A y me! p o o r maid, B o r n in a tempest, when my mother died, This world to me is as a lasting storm, Whirring me from my friends. (IV, 1, 1 7 - 2 0 )

Am deutlichsten wird die Verbindung von faktischer und metaphorischer Ebene im Tempest. Der Sturm findet wirklich statt und wird auf der Bühne dargestellt; er hat aber auch im Gesamtrahmen des Dramas eine übertragene Bedeutung und fungiert gleichsam als Katalysator für die Läuterung und Versöhnung der Beteiligten. Häufig zitiert wird in diesem Zusammenhang Ariels Lied: 6

7

Siehe ζ. B. Julius 217-220, note. Vgl. o. S. 146.

242

Caesar, ed. T. S. Dorsch (1955), The Arden Shakespeare, IV, 3,

Full fadom five thy father lies; O f his bones are coral made; Those are pearls that were his eyes: Nothing of him that doth fade, But doth suffer a sea-change Into something rich and strange . . . (1,2, 3 9 9 - 4 0 4 )

Auf der faktischen Ebene ist das Lied eine Täuschung, denn Ferdinands Vater hat den Sturm überlebt. Auf der metaphorischen Ebene steht der "sea-change" jedoch für den Läuterungsprozeß, der in diesem Drama vollzogen wird.8 In ihrer Untersuchung über Shakespeares imagery stellt Caroline Spurgeon fest, daß Shakespeare bei den Bildern, die der Seefahrt entnommen sind, anders als bei den flood images, die sich auf Flüsse beziehen, immer wieder dieselben Situationen wählt, unter denen der Seesturm an erster Stelle steht.9 Spurgeons (sicher zutreffende) Schlußfolgerung, daß Shakespeare wahrscheinlich nie zur See gefahren ist und deshalb nur die wenigen Situationen, die er sich als ,Landratte' vorstellen konnte, für Metaphern und Vergleiche heranzieht, bietet jedoch noch keine Erklärung dafür, warum Shakespeare diese Bilder trotzdem so häufig verwendet. Diese Erklärung ist in der semantischen Funktion dieser Bilder zu suchen: In der Seereise, auf der der Reisende durch ,höhere Gewalt' in Form von Sturm und Schiffbruch bedroht wird, auf der die höheren Mächte jedoch auch günstige Winde schicken und ihn sicher ans Ziel bringen können, sieht Shakespeare offensichtlich - im Einklang mit der in die Antike zurückreichenden Tradition - ein adäquates Bild menschlicher Existenz und menschlichen Strebens. Das zugrundeliegende Weltbild impliziert die Unberechenbarkeit eines von menschlichem Planen unabhängigen Schicksals und die Forderung, dieses Schicksal anzunehmen, durchzustehen und geduldig auf einen glücklichen Ausgang zu hoffen. Wann immer in Shakespeares Dramen von Reisen die Rede ist, muß, wie sich bereits aus dieser Untersuchung der Metaphorik ergibt, mit

8

9

Vgl. Knight, Tempest, S. 217: "Metaphors and fancies of one period become expanded to plots, the very stuff of intellectual and poetical vision, in another." Zur Interaktion von Metapher und Wirklichkeit hinsichtlich des tempest-Wiows vgl. auch ebd., S. 18, 169, 194 et passim. Vgl. auch Clemen, Imagery, S. 183. Clemen spricht von "Shakespeare's technique, sometimes employed by him in his later plays, of transforming frequently used symbolic imagery into actual incident". Caroline Spurgeon, Shakespeare's Imagery and What It Tells Us (Cambridge, 1958 ['1935]), S. 2 4 - 2 6 und 47-48.

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einer symbolischen Funktion dieser Reisen gerechnet werden. So versucht Wilson Knight in seinem Buch The Shakespearian Tempest, eine symbolische Gesamtdeutung des ,Sturmgeschehens' bei Shakespeare zu liefern. Es fragt sich jedoch, ob Knight mit der von ihm postulierten einheitlichen Struktur der Dramen, deren Hauptbestandteil der Weg durch einen tempest zu einer von Musik begleiteten Harmonie ist, der Vielfalt der Dramenhandlungen Shakespeares gerecht werden kann. Gerade die Untersuchung der Metaphern aus dem Bereich des Reisens läßt (wie die Untersuchung der Szenentypen im Ersten Hauptteil dieser Arbeit) Shakespeares Kunst deutlich werden, die Unterschiedlichkeit verschiedener Situationen und Sachverhalte durch differenzierte Anwendung und Ausgestaltung bestimmter Formelemente herauszustellen. Das sich zur Untersuchung anbietende übergreifende Strukturelement von Shakespeares Dramenhandlungen ist nicht der Sturm, sondern die Reise. Wie in den folgenden Abschnitten im einzelnen zu zeigen sein wird, kommt in Shakespeares plots ein großer Teil der Reisetypen zur Anwendung, die von den Traditionen von Epos und Roman bereitgestellt werden und die sich auch in Shakespeares imagery niederschlagen. c) Das Scheitern des Rittertums Das Motiv der ritterlichen quest, das bei Shakespeares Zeitgenossen (zum Beispiel bei Sidney, Spenser und dem anonymen Verfasser von Sir Clyomon and Sir Clamydes) noch eine erstaunlich große Rolle spielt, ist bei Shakespeare kaum zu finden. Die in den Historien dramatisierten Waffentaten können nicht hierunter gezählt werden, da es sich bei ihnen um Auseinandersetzungen zwischen Armeen, nicht um quests heldenhafter Individuen handelt. Auch Bolingbroke gelangt in Richard II nicht durch seine Tapferkeit nach London, sondern durch seine Fähigkeit, die einflußreichen Kräfte des Königreichs auf seine Seite zu ziehen. Die bei Shakespeare auf der Bühne ausgetragenen Zweikämpfe haben entweder nichtige Streitigkeiten zum Anlaß (Romeo and Juliet, A Midsummer Night's Dream) oder bilden den Abschluß einer schicksalhaften Handlungsentwicklung (Hamlet, Macbeth). In keinem Fall sind sie Bestandteil einer quest. Eine mögliche Ausnahme ist lediglich der Zweikampf Edgars mit Edmund in King Lear, der offensichtlich die alte mittelalterliche Funktion eines Gottesurteils hat. Edgar kämpft und siegt als Agent der göttlichen Gerechtigkeit. Ansonsten ist er alles andere als ritterlich. Er selbst bezeichnet seine Reise als "pilgrimage" (V, 3,195) und wählt damit jenen Reisetyp als Metapher, der seinem Charakter am 244

meisten entspricht. Keine andere Person erniedrigt sich, wenn sie ihr Zuhause verliert, so sehr wie Edgar. Nun hätte Shakespeare durchaus die Freiheit gehabt, Edgar sich in einen durch ein heruntergezogenes Visier vermummten Ritter anstatt in "poor Tom of Bedlam" verwandeln zu lassen. Offensichtlich vermeidet Shakespeare jedoch in King Lear ebenso wie in allen anderen Dramen bewußt eine Glorifizierung des Rittertums.1 Ein Grund hierfür ist sicherlich der Wunsch nach wirklichkeitsnaher Darstellung. Der andere, vielleicht gewichtigere Grund dürfte in Shakespeares Unbehagen an der ritterlichen Existenzweise liegen: Nicht durch Hochmut und Tapferkeit kommen die Reisenden bei Shakespeare ans Ziel, sondern durch Erniedrigung und Geduld. Dieser Befund läßt sich am Scheitern jener Personen verdeutlichen, die ritterliche Charaktereigenschaften verkörpern und auf ritterliche Weise ans Ziel kommen wollen. Hier wären an erster Stelle die ,Helden' der Römerdramen zu nennen: Brutus, Cassius, Antony und Coriolanus. Brutus und Cassius versuchen in Julius Caesar, durch eine individuelle Heldentat, die Ermordung Caesars, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Sie glauben, als einzelne das Schicksal beeinflussen zu können. " . . . The fault, dear Brutus, is not in our stars, / But in ourselves, that we are underlings . . . " (I, 2, 138-139), sagt Cassius zu Brutus. Doch sie müssen scheitern: Ihre ,Reise' ist keine quest, sondern ein Rückzug. Vom Volk aus Rom vertrieben, müssen sie sich bei Philippi der militärischen Ubermacht der Gegner stellen. In der neuen Zeit beruht der Staat auf dem Einverständnis von Volk und Monarchen; für ,Helden', die sich wie Brutus und Cassius selbst das Gesetz des Handelns geben,2 ist dabei kein Platz. In seiner oben zitierten Rede über "the tide in the affairs of men" zeigt Brutus durch die Verwendung der Seefahrtsmetapher, daß er sich der Macht eines vom Menschen nicht zu beeinflussenden Schicksals (und damit der Unangemessenheit der ritterlichen Existenzweise) bewußt wird.

1

2

Ritterliche Züge weist der Titelheld von Pericles auf, allerdings nur in den beiden ersten, wohl nicht von Shakespeare verfaßten Akten des Dramas. Vielleicht kann man sagen, daß Pericles im Verlauf seiner ,Lebensreise' allmählich von der ritterlichen Existenzweise abkommt und zu der eines Seereisenden findet; vgl. u. S. 269-273. Vgl. Kurt Otten, „Politische Rhetorik als kommunikationstheoretisches Problem: Eine Darstellung anhand der Tragödien Julius Caesar und CoriolanusWilliam Shakespeare: Didaktisches Handbuch, ed. Rüdiger Ahrens, 3 Bde. (München, 1982); Bd. 2, S. 517-559; S. 537.

245

Auch Antonys Versuch in Antony and Cleopatra, seine persönliche Autonomie Caesar Octavianus gegenüber durch ritterliche Tapferkeit zu bewahren, wird zu einem Rückzugsgefecht. In der Szene IV, 43 wünscht sich Antony, Caesar "in single fight" (IV, 4,37) gegenüberzutreten. Doch obwohl sich Octavianus als "the boy Caesar" (III, 13,17) bezeichnen lassen muß, kann er sich auf Rom und die Armee Roms verlassen und auch ohne persönliche valour den Sieg erringen. Antony kann seine Autonomie nur noch im Untergang bewahren: . . . N o t Caesar's valour hath o'erthrown Antony, But Antony's hath triumph'd on itself. (IV, 15, 1 4 - 1 5 )

Ebensowenig gelangt Coriolanus durch Hochmut und persönliche Tapferkeit ans Ziel seiner Wünsche. Diese Qualitäten verhelfen ihm zwar zum Sieg über die Volsker, lassen ihn aber beim Umgang mit den Plebejern scheitern, worin die eigentliche Prüfung auf seiner quest nach der politischen Macht in Rom besteht. Wie Antony kann Coriolanus seine Selbstachtung nur dadurch retten, daß er sein Scheitern durch einen Akt des Denkens in sein Gegenteil verkehrt: Mit den Worten "I banish you!" (III, 3,123) kehrt der verbannte Coriolanus dem römischen Volk den Rücken. Wie in der anschließenden Abschiedsszene durch eine Seefahrtsmetapher zum Ausdruck kommt (IV, 1, 6-7), muß er die Macht des Schicksals, "fortune's blows" (IV, 1,7) anerkennen. Das "noble cunning" (IV, 1,9), das ihm Volumnia als Gegenmittel gegen die Schicksalsschläge empfohlen hatte, bleibt jedoch Illusion. Die Begriffe noble (gleichbedeutend mit ,ritterlich', ,aristokratisch') und cunning Apolitische Geschicklichkeit, Schläue') widersprechen einander. Der Wertverlust der Ritterlichkeit wird deutlich, wenn sich Coriolanus mit einem "lonely dragon" (IV, 1,30) vergleicht.4 Dieser Vergleich evoziert die Eigenschaften eines fahrenden Ritters, der stolz, auf sich selbst gestellt und furchterregend ist, bewertet diese Qualitäten jedoch negativ. Dem Ideal der Renaissance, wie es uns etwa bei Castiglione begegnet und das Kontaktfreudigkeit, Bescheidenheit und ein angenehmes Äußeres enthält, sind sie genau entgegengesetzt. Nur Aufidius gegenüber kann sich Coriolanus zu einer demütigen Haltung durchringen, doch wird auch bei dieser Begegnung eine gebrochene Ritterlichkeit sichtbar, bei der die destruktiven Elemente dominieren.5 3 4

5

Siehe o. S. 78. Mehl bemerkt zu dieser Metapher: „Einsamkeit, Bedrohlichkeit und Hoffnung verbinden sich zu einem suggestiven Bild"; Tragödien, S. 229. Zu Coriolanus' Ritterlichkeit vgl. auch o. S. 159-160.

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Vollends ad absurdum geführt wird die ritterliche Tapferkeit in Troilus and Cressida. Wie in den meisten Fällen, in denen bei Shakespeare von valour die Rede ist, 6 wird der Begriff in diesem Drama in negativer oder ironischer Bedeutung verwendet (bzw. führt zu dramatischer Ironie). Ajax wird von Cressidas Diener als "valiant as the lion, churlish as the bear, slow as the elephant" (1,2, 2 0 - 2 1 ) bezeichnet. Ulysses nennt Achilles voller Verachtung "Sir Valour" (1,3,176). Ein positiver Wert ist valour lediglich bei Hector. Dieser ist eine ausgesprochen untypische Gestalt, da ihm, wie Aeneas feststellt, der bei tapferen Menschen übliche H o c h m u t abgeht: . . . In the extremity of great and little, Valour and pride excel themselves in Hector; The one almost as infinite as all, The other blank as nothing. Weigh him well, A n d that which looks like pride is courtesy . . . (IV, 5, 7 8 - 8 2 )

Hector möchte Troja nach ritterlicher Art vor allem mit dem kämpferischen Einsatz der eigenen Person verteidigen. Beim Abschied von seiner Familie sagt er " I am today i'th'vein of chivalry" (V, 3 , 3 2 ) und rechtfertigt die ritterlichen Kampfregeln als "fair p l a y " (V, 3 , 4 2 ) / Mit seinem unritterlichen Ende erweist sich diese Ritterlichkeit als anachronistisch. D i e Absurdität von Hectors Ritterlichkeit wird auch an der Herausforderung deutlich, die er den Griechen übermitteln läßt und die ganz nach den ritterlichen Formen gestaltet ist: Hector, in view of Trojans and of Greeks, Shall make it g o o d , or d o his best to do it, H e hath a lady wiser, fairer, truer, Than ever Greek did couple in his arms . . . (I, 3, 2 7 2 - 2 7 5 )

Achilles berichtet Ajax über diese Herausforderung: ( H e c t o r will) . . . call some knight to arms That hath a stomach, and such a one that dare Maintain - I k n o w not what - 'tis trash - Farewell. (II, 1, 126-128) 6

7

Beispiele: Fabian spricht von Aguecheeks „dormouse valour" (Twelfth Night, III, 2, 17-18); Duncan nennt Macbeth "valiant" (Macbeth, 1,2,24; 1,4, 54) und zieht daraus falsche Schlußfolgerungen; Enobarbus meint über Antony in Antony and Cleopatra: "valour preys on reason" (III, 13,199); später wird Antony als "valiant, and dejected" (IV, 12,7) bezeichnet; Cominius spricht in Coriolanus von "valiant ignorance" (IV,6,105) und Caliban sagt im Tempest zu Stephano: " . . . Let me lick thy shoe: I'll not serve him [Trinculo], he is not valiant" (III, 2, 22-23); vgl. auch The Tempest, IV, 1, 172-173. Vgl. o. S. 59 und 62.

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Die aus mittelalterlichen Romanen geläufige Idee, für die Ehre einer Frau einen Zweikampf auszufechten, kann in der Welt von Troilus and Cressida, in der die Liebe im wesentlichen auf den sexuellen Genuß beschränkt ist, von niemandem mehr ernst genommen werden. Zusammen mit Hector zieht Troilus in der Szene V, 3 aus, nicht jedoch wie Hector aus patriotischen Gründen, sondern um sich nach der Erkenntnis von Cressidas Untreue an Diomedes zu rächen. In der ritterlichen Tradition war die persönliche Rache in der Regel nicht das eigentliche Ziel einer quest. Vielmehr ging es dem Ritter darum, sich selbst Ruhm zu erwerben und die Gemeinschaft von einer Bedrohung zu befreien. Von beidem kann, was Troilus betrifft, keine Rede mehr sein. Dafür übersteigt das Ziel der Rache jede vernunftgemäße Überlegung. Troilus ruft Diomedes zu: "Fly not, for shouldst thou take the river Styx / I would swim after" (V, 4, 19-20). Der Kampf, in den sich Troilus tollkühn und selbstmörderisch stürzt, ist die letzte Möglichkeit der Selbstbestätigung für einen Menschen, der keine Lebensziele mehr hat. In Cymbeline ist die Wandlung von Posthumus' Ritterlichkeit von Interesse. Seine typisch ritterliche Prahlerei, seine Dame sei die vollkommenste der Welt (I, 5, 55ff.) — man vergleiche die Herausforderung Hectors - führt zu der fatalen Wette mit Iachimo. Sein Verlangen nach Rache an Imogen ist die logische Folge des ritterlichen Anspruchs auf Kontrolle der Welt mit Hilfe der eigenen Tapferkeit. Am Ende, bei der Schlacht der Römer und Briten, ist Posthumus' Ritterlichkeit dann von Resignation und Selbstaufgabe gekennzeichnet. Sein Kampfverhalten ist recht absurd: Er kommt als Soldat der römischen Armee nach Britannien, kämpft dort unerkannt für die Briten und läßt sich von diesen als Römer gefangennehmen. Sein einziges Ziel ist es, im Dienste Imogens den Tod zu finden (V, 3, 80-83). Nach Jupiters Erscheinen weicht schließlich jede Ritterlichkeit einer vollständigen Annahme des Schicksals.8 Auch in den Komödien wird auf unterschiedliche Weise gezeigt, wie wenig die ritterliche quest zur Erreichung von Zielen geeignet ist. Zunächst müssen wir allerdings im Auge behalten, daß Tapferkeit im Kampf durchaus zu den allgemein erwarteten Qualitäten eines gentleman gehörte. Nur wenn ein Mann gleichzeitig courtier, scholar und soldier war, war er vollkommen.9 8 9

Zur Rolle der Ritterlichkeit in Hamlet siehe u. S. 268. Im elisabethanischen England erfuhr die von Castiglione geforderte Tapferkeit im Kampf allerdings eine Abwertung; siehe Kelso, a.a.O., S. 4 4 - 4 9 .

248

So ist auch Benedick in Much Ado About Nothing Soldat und kehrt am Anfang des Dramas mit den anderen Höflingen von einem Krieg zurück. Schon vor seiner Ankunft werden seine Kriegstaten jedoch von Beatrice ins Lächerliche gezogen (1,1, 35-54). Das Kriegsgeschehen dient als Kontrast zur höfischen Welt, in der die wirklichen Prüfungen auf Benedick warten. Deutlich wird die geringe Bedeutung des Wertes der ritterlichen Tapferkeit bei Claudio, der sich im Kampf ruhmreich hervorgetan hat (1,1, 8-16), in der Welt des Hofes jedoch versagt. Sympathisch, doch ineffektiv ist Orlandos ritterliche Tapferkeit in As You Like It. Sie verhilft ihm lediglich zum Sieg im Ringkampf mit Charles, kann aber seinen Verweis vom Hof nicht verhindern. Orlandos ritterliche Haltung zeigt sich in seiner Fürsorge für seinen alten Begleiter Adam, für den er mit der Waffe Nahrung erbeuten will. Doch auch hier erweist sich sein Rittertum als unangebracht, da ihm die im Wald versammelte höfische Gesellschaft gar keinen Widerstand entgegensetzen will. Orlando lernt, daß gentleness eher zum Ziel führt als bewaffnete Tapferkeit.10 Seine angeborenen, doch nicht entwickelten Qualitäten als courtier erweisen sich als wichtiger als die ritterliche Komponente seines Charakters, auch wenn letztere nicht von vornherein negativ bewertet wird. Auf einer echten quest mit dem typisch ritterlichen Ziel, die Liebe einer schönen Dame zu gewinnen, befindet sich Sir Andrew Aguecheek in Twelfth Night. Durch dessen völlige Unfähigkeit sowohl auf dem Gebiet des ritterlichen Zweikampfs als auch auf dem des höfischen Gesprächs wird das Ritterideal auf groteske Weise parodiert. Was Aguecheek trotz all seiner Bemühungen nicht gelingt, widerfährt der als "Cesario" verkleideten Viola und Sebastian ohne eigenes Zutun: Viola und Sebastian sind typische Seereisende.11 Wie Aguecheek bildet sich auch Cloten in Cymheline viel auf seine (ihm völlig fehlende) Tapferkeit ein (1,3). Seinem Rivalen bei Imogen möchte er im Zweikampf gegenübertreten. Als Sohn der bösen Königin ist er jedoch nicht nur ein fool wie Aguecheek, sondern auch ein destruktiver Sadist. Seine ,Ritterlichkeit' wird also in doppelter Weise abqualifiziert. Ritterliche Ambitionen hat auch Bertram in All's Well That Ends Well, ohne allerdings genaue Vorstellung vom Rittertum zu haben. Seine Abreise von zu Hause ist eher eine Flucht vor seiner von ihm als ein10 11

Vgl. o. S. 129-131. Siehe u. S. 2 6 6 - 2 6 8 .

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engend empfundenen Familie als ein Aufbruch mit einem bestimmten Ziel. Bertrams am Anfang bekundete Königstreue ( 1 , 1 , 4 - 5 ) erweist sich im Verlauf des Dramas als bloße Floskel. Bertram befolgt zwar den königlichen Befehl, Helena zu heiraten, hat aber nicht die Absicht, diese Ehe auch zu vollziehen, und schließt sich ohne Erlaubnis den Edelleuten an, die als Söldner in den Dienst italienischer Städte treten wollen, "sick / F o r breathing and exploit" (1,2, 16-17). Bertrams Begierde, in den Krieg zu ziehen und dort seine Kräfte zu erproben, hat etwas Pubertäres an sich ( " . . . B y heaven, I'll steal a w a y ! " ; II, 1,33). Er ist davon überzeugt, daß seine "nobler thoughts" (II, 3 , 1 7 1 ) ihn dazu prädestinieren, in Italien zu kämpfen, "where noble fellows strike" (II, 3,287). Die Sinnlosigkeit der Teilnahme französischer Edelleute am Krieg zwischen italienischen Städten ist dem Zuschauer zu diesem Zeitpunkt bereits bewußt: In der Szene 1,2 hatte der K ö n i g den Höflingen freigestellt, für welche Seite, Florenz oder Siena, sie kämpfen wollen. Verdeutlicht wird diese Sinnlosigkeit in der Szene III, 1, in der zwei Franzosen einem italienischen H e r z o g - wir erfahren nicht explizit, o b es sich um den von Florenz oder von Siena handelt - erklären: " H o l y seems the quarrel / U p o n your Grace's part; black and fearful / O n the o p p o s e r " (III, 1, 4 - 6 ) . Ironischerweise besteht Bertrams quest darin, seiner wahren Bestimmung, der Ehe mit Helena, davonzulaufen. D a ß Bertram dann trotzdem völlig unverdient glücklich wird, hat manche Kritiker befremdet. D o c h steht nicht gerade diese Handlungsentwicklung im Einklang mit der Konzeption von der Macht des Schicksals, die sich auch in anderen Dramen findet? Ähnlich wie es in den Tragödien Personen gibt, die durch "waste of g o o d " unverdient ins Unglück stürzen, 1 2 wird Bertram gewissermaßen durch 'waste of bad' unverdient glücklich. Entscheidend ist, daß er sein Glück nicht seiner quest, das heißt sich selbst, zu verdanken hat, sondern einem günstigen Schicksal und der ebenso demütigen wie zielstrebigen Reise Helenas, die die F o r m einer Pilgerreise hat. 1 3 Eine Zusammenfassung von Shakespeares Kritik an ritterlichen quests findet sich im Tempest: Caliban stiftet Stephano und Trinculo an, Prospero umzubringen und Miranda für Stephano zu gewinnen (III, 2). D a s Bild der Reise ergibt sich daraus, daß von der Szene II, 2 (172ff.)

12 13

Bradley, a.a.O., S. 28. Vgl. All's Well That Ends Well, ed. G . K . Hunter (1959), The Arden Shakespeare, Introduction, S. xxxi—xxxvi.

250

über Szene 111,2 (146-150) bis zu Szene IV, 1 (194ff.) deutlich ein Weg zurückgelegt wird, den Caliban seinen Begleitern zeigt. Von der Unternehmung verspricht sich Caliban "freedom" (11,2, 186-187), doch indem er zu Stephano sagt: . .and I will kiss thy foot: I prithee, be my god" (11,2, 148-149), gibt er zu erkennen, daß er seiner sklavenhaften Natur nicht entkommen kann. Wie Aguecheek, wenn auch in anderer Weise, läßt er alle ritterlichen Qualitäten vermissen. Gegenüber der ritterlichen Tradition ist Calibans quest mit umgekehrten Vorzeichen versehen: Nicht der Ritter will das Mädchen aus der Gewalt des Ungeheuers befreien, sondern das Ungeheuer will das Mädchen der väterlichen Fürsorge entreißen. Auch im Tempest muß die bewaffnete quest versagen, während die demütige, passiv-zuversichtliche Haltung Ferdinands ans Ziel führt. Ahnliches gilt auch für The Two Noble Kinsmen, auch wenn hier zwei,echte' Ritter die Hauptpersonen sind: Palamon und Arcite streiten sich um die Liebe Emilias. Doch während Arcite seiner ritterlichen Natur gemäß vor dem Zweikampf dem Kriegsgott Mars opfert, sucht Palamon den Tempel der Venus auf (V, 1). Zwar unterliegt er im Zweikampf, doch ereilt seinen siegreichen Rivalen kurz darauf ein tödlicher Unfall, so daß nur Palamon übrigbleibt, um Emilia zu heiraten (V, 4). Auch in diesem Drama führt der Weg zum Ziel also über die eigene Demütigung und nicht über ritterlichen Stolz. In allen Fällen führt die ritterliche quest nicht zum Reiseziel. Tapferkeit im Kampf und ritterliches Engagement bleiben ineffektiv (Coriolanus, The Two Noble Kinsmen) und belanglos (Much Ado About Nothing, Twelfth Night), oder sie werden ein Ausdruck bloßer Frustration, wenn das Ziel schon verloren scheint (Troilus and Cressida, Cymbeline). Die quest wird zu einem bloßen Rückzugsgefecht (Julius Caesar, Antony and Cleopatra) oder retardiert die Entwicklung zu einem glücklichen Ende hin, anstatt sie zu befördern (All's Well That Ends Well, The Tempest). d) Bewährung in Idealwelten Dort, wo bei Shakespeare die ritterliche Tapferkeit scheitert, werden oft Alternativen aufgezeigt, wie ein Ziel erreicht werden kann. So stehen ritterlichen bzw. das Rittertum imitierenden Personen wie Morocco und Arragon, Aguecheek, Stephano und Arcite weniger ritterliche, doch erfolgreiche,Rivalen' um die Gunst eines Mädchens gegenüber; Orlando erweist sich als lernfähig und Bertram wird von seinem Glück eingeholt. 251

In vielen Fällen geht es dabei für den Dramenhelden darum, sich in einer Welt, in der er nach langer, beschwerlicher Reise angelangt ist und in der andere Gesetze gelten, zurechtzufinden. Diese Welten sind utopisch, das heißt in gewisser Weise perfekt, doch wird das ,Bürgerrecht' in ihnen nur demjenigen zuteil, der sich den besonderen in ihnen herrschenden Bedingungen anzupassen versteht. Ein Ziel kann man bei Shakespeare nicht erreichen, indem man wie ein Ritter der fremden Welt seine Gesetze aufzwingt, sondern indem man sich den Gesetzen der Welt, in die man geraten ist, unterwirft. Die Situation der Fremdheit in einer bestimmten Umgebung erweist sich erneut als Grundkonstante von Shakespeares Dramenhandlungen. Einen interessanten Beitrag zu diesem Thema liefert Leslie Fiedler mit seinem Buch The Stranger in Shakespeare, das sich mit Personen wie Shylock, Othello und Caliban befaßt, die als Fremde von ihrer jeweiligen Umgebung gedemütigt werden. Fiedlers nicht immer ganz klare Ausführungen scheinen auf die These hinauszulaufen, daß die unterdrückten Außenseiter das schlechte Gewissen des Angehörigen einer sich kulturell für überlegen haltenden Gesellschaft Minderheiten gegenüber widerspiegeln bzw. Aspekte der Psyche des Dramatikers aufzeigen, die er zu unterdrücken suche.1 Was Fiedler hierbei nicht berücksichtigt, ist, daß sich die Rolle des stranger bei Shakespeare nicht auf die genannten Außenseiter beschränkt. Viele andere Dramengestalten, die letztlich erfolgreich sind, begeben sich in die Fremde, wo ihre Ausgangsposition mit der der von Fiedler besprochenen Personen durchaus vergleichbar ist. Im Gegensatz zu diesen verstehen sie es jedoch, sich ihrer jeweiligen Umgebung anzupassen. Dies gelingt ihnen durch höfische gentleness, Schicksalsergebenheit und christliche Hoffnung, Qualitäten, die Shylock, Othello und Caliban fehlen. Ein Beispiel für einen Reisenden, der sich einer ihm fremden Umgebung anpaßt, findet sich bereits in den Two Gentlemen of Verona: Nach seiner Flucht vom Hof von Silvias Vater fällt Valentine im Wald in die Hände von Räubern und erklärt sich bereit, sich ihnen anzuschließen (IV, 1). Da es Valentine auch in seiner neuen Umgebung gelingt, seine Natur als gentleman zu bewahren, bekommt er schließlich seine Silvia. Auch Julia gibt Teile ihrer äußeren Identität auf, als sie sich als Mann verkleidet auf die Reise begibt, um Proteus aufzusuchen.2 1

2

Leslie Fiedler, The Stranger S. 130-131, S. 209 et passim. Vgl. U.S. 301.

252

in Shakespeare

(St. Albans, 1974 ['London, 1973]),

Im Merchant of Venice bildet Portias Belmont eine märchenhafte Gegenwelt zu Venedig, die durch ungeheuren Reichtum gekennzeichnet ist. Während sich die Bürger Venedigs ständig um die Vergrößerung ihres Besitzes bemühen, ist der Uberfluß in Belmont so groß, daß jeder Zuwachs bzw. Abzug unerheblich erscheint. Da sich Bassanio dieses Umstands nicht bewußt ist, mißt er Belmont mit venezianischen Maßstäben und hält eine Anleihe von dreitausend Dukaten bei seinem Freund Antonio für erforderlich, um überhaupt eine Chance bei Portia zu haben. Diese Unkenntnis qualifiziert Bassanio ebenso wie vor ihm Morocco und Arragon als Fremden in der Welt Belmonts. Doch während sich die letzteren im Vertrauen auf die Gültigkeit ihrer eigenen jeweiligen Wertmaßstäbe für das goldene bzw. silberne Kästchen entscheiden, bringt Bassanio jene Demut und Unterwürfigkeit auf, die ihn das bleierne Kästchen wählen läßt.3 Er ist erfolgreich, weil er der einzige Bewerber um die Hand Portias ist, der seine Zuversicht nicht auf den eigenen Wert, sondern auf die Erkenntnis gründet, daß es angesichts der eigenen Unwürdigkeit nötig ist, auf die Gunst des Schicksals zu vertrauen. In As You Like It macht Orlando eine Entwicklung durch, deren Schritte durch seine Reise markiert sind, die ihn zuerst zur höfischen Gesellschaft im Wald und dann auch in die pastorale Welt von ,Ganymede'-Rosalind und ,Aliena'-Celia führt. In beide Welten versteht er sich nach einer ,Anlaufphase' einzuordnen. Die Welt, in der Duke Senior und seine Höflinge leben, wird bereits in der ersten Szene des Dramas von Charles, dem Ringer, mit gleich zwei traditionellen Weltentwürfen verglichen, dem des Goldenen Zeitalters und dem der Welt Robin Hoods: They say he is already in the Forest of Arden, and a many merry men with him; and there they live like the old Robin H o o d of England. They say many young gentlemen flock to him every day, and fleet the time carelessly as they did in the golden world. (1,1, 1 1 4 - 1 1 9 )

Mit dem Goldenen Zeitalter hat die Welt des Forest of Arden die carelessness gemeinsam. Jeder Bewohner dieser Welt ist zufrieden, und niemand führt etwas Böses im Schilde oder hat Ambitionen irgendwelcher Art. An den Robin-Hood-Stoff erinnert das Motiv des zu Unrecht verurteilten Adligen, der im Wald eine Gruppe ergebener Freunde um

3

Vgl. o. S. 239.

253

sich schart. 4 P. Alexander konstatiert in diesem Drama "a Sherwood forest note of independence and natural justice". 5 In der Szene II, 1, in der diese Welt zur Darstellung kommt, erhalten gerade die Unannehmlichkeiten dieser Existenzweise eine positive Bewertung und machen den Forest of Arden zu einer idealen, utopischen Welt: "Sweet are the uses of adversity..." (11,1,12), bemerkt der verbannte Herzog. Die Notwendigkeit, sich selbst Nahrung zu beschaffen, erscheint dadurch gemildert, daß die Jagd ohnehin zu den üblichen Beschäftigungen eines Adligen gehörte. Die Widrigkeiten des Wetters erscheinen dem Herzog als geringeres Übel als Täuschung und Schmeichelei, die das Leben am Hof bestimmen: " . . . These are counsellors / That feelingly persuade me what I am" (II, 1, 10-11). In der Welt des Forest of Arden können die Höflinge in höherem Maße ihre eigene Identität finden als am von Duke Frederick usurpierten Hof. Der Wald bietet ihnen ein harmonisches Zuhause. Indem den einzelnen Teilen der Natur die Möglichkeit zur Vermittlung von Bedeutung zugeschrieben wird, wird die Wildnis des Waldes gewissermaßen zum Kulturraum erklärt: . . . And this our life, exempt from public haunt, Finds tongues in trees, books in the running brooks, Sermons in stones, and good in everything. (II, 1, 15-17)

Die geradezu zivilisatorische Ordnung, die der Wildnis zuerkannt wird, kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß die Tiere des Waldes als "native burghers of this desert city" (II, 1,23) bezeichnet werden. Shakespeare verwendet in dieser Szene die im sechzehnten Jahrhundert üblichen Topoi der Hofkritik. 6 Trotzdem ist der Kreis um Duke Senior eine echte höfische Gesellschaft, in der die höfischen Umgangsformen gelten, nur eben in reiner, unkorrumpierter Form. Wie in Lodges Rosalynde geht das Lob des einfachen Lebens mit einer eindeutigen Wert-

4

5 6

Der Robin-Hood-Stoff war Shakespeares Zeitgenossen durch Mundays und Chettles 1598 aufgeführte, außerordentlich populäre Dramen The Downfall of Robert, Earl of Huntingdon und The Death of Robert, Earl of Huntingdon bekannt. Peter Alexander, Shakespeare's Life and Art (London, 1939), S. 133. Siehe Claus Uhlig, Hofkritik im England des Mittelalters und der Renaissance: Studien zu einem Gemeinplatz der europäischen Moralistik (Berlin, N e w York, 1973), S. 321-369. In Uhligs Studie fällt auf, daß die Zahl der Beispiele, die sich bei Shakespeare für das Motiv der Hofkritik finden, verhältnismäßig klein ist. Auch die Untersuchung der Reisemotivik zeigt, daß Shakespeare die höfische Welt im Gegensatz etwa zu seinen Zeitgenossen Marlowe, Jonson, Marston und Webster prinzipiell zu bejahen scheint. Vgl. o. S. 99-103 und u. S. 320.

254

Schätzung höfischer Tugenden wie der Höflichkeit beim Umgang edler Menschen miteinander einher. Jaques, der Einzelgänger und Melancholiker, ein typischer,Spielverderber', 7 fühlt sich im Forest of Arden folglich genausowenig zu Hause wie am Hof. Auch Touchstone kann sich in einer perfekten, utopischen Welt ohne Lug und Trug nicht zu Hause fühlen, denn in ihr hat er als licenced fool keine Funktion. Orlando findet sich hingegen in dieser Welt zurecht. Seine angeborene kindness, die ihn zu einem Fremden am Hof Duke Fredericks gemacht hatte, läßt ihn bei Duke Senior ein Zuhause finden.8 Es zeigt sich, daß die Qualität einer bestimmten Umwelt als Zuhause weniger von ihr selbst als vom Charakter des Menschen abhängt, der in sie gerät. Nur Personen echter höfischer Wesensart gelingt es, die Welt des Waldes von einem desert durch einen intellektuellen Akt in eine Welt umzukehren, die von civility geprägt ist, " ( to ) translate the stubbornness of fortune" (II, 1,19), wie Amiens sagt. Orlando zeigt seine höfische Natur dadurch an, daß er in der Lage ist, sich an dieser Umdeutung der Wildnis, als die er den Wald zunächst angesehen hatte (II, 6,17), zu beteiligen. Er dichtet: W h y should this desert be, For it is unpeopled? No. Tongues I'll hang on every tree, That shall civil sayings show . . . (111,2, 1 2 2 - 1 2 5 )

Doch ist Orlando noch nicht am Ziel seiner Reise angekommen: Eine weitere ,Initiation' führt ihn aus der dem Sherwood Forest nachempfundenen Männerwelt in die pastorale Welt, in der Corin, Silvius, Phebe sowie ,Ganymede'-Rosalind und ,Aliena'-Celia zu Hause sind. Der Tradition gemäß ist diese pastorale Welt durch Friedlichkeit und Gleichheit der Geschlechter gekennzeichnet. Ihre natürliche kindness läßt die pastorale Umgebung für Rosalind und Celia zu ihrem ureigensten Zuhause werden. Die Möglichkeit, die Schäferei durch Kauf zu erwerben und Corin gegen Lohn arbeiten zu lassen, macht die pastorale Welt in mancher Hinsicht zu einem .bürgerlichen' Gegenstück zur aristokratischen Utopie des Waldes. Trotz des Realismus, den diese Welt mit anderen bukolischen Entwürfen der englischen Literatur des sechzehnten Jahr-

7 8

Siehe z. B. Fiedler, a.a.O., S. 16. Vgl. o. S. 129-132. 255

hunderts teilt,9 erscheint die Liebe wie in der Tradition als der hauptsächliche Lebensinhalt ihrer Bewohner. Silvius und Phebe treten als Beispiel für typische pastorale Liebende auf. Wie Touchstone und Audrey (die dadurch charakterisiert ist, daß sie nicht Schafe, sondern Ziegen hütet [III, 3, 1-6]) 1 0 bilden sie einen Kontrast zu Orlando und Rosalind. Nur bei letzteren gibt es eine allmähliche gegenseitige Annäherung: Unter der Maske von Ganymede führt Rosalind Orlando in die pastorale Welt und damit in die Welt der Liebe ein. Zunächst spielt Orlando das Spiel nur zögernd mit; er verspätet sich beim Rendezvous' (IV, 1, 36-39); aus dem spielerischen Flirt wird jedoch zunehmend Ernst, zumal Orlando mehr und mehr bereit ist, sich den Regeln des Spiels zu unterwerfen. Auf diese Weise lernt Orlando die Einzelheiten des courti/u]p-Rituals: Der Kuß, den der Mann erbitten soll und den das Mädchen verweigert, führt zu "matter", zu Gesprächsstoff (IV, 1, 65-79). Das Theoretisieren über das Flirten scheint bruchlos in einen wirklichen Flirt überzugehen und gipfelt in der mock-marriage (IV, 1, 120-131), die, wie Agnes Latham feststellt, 11 im Grunde schon eine echte, rechtsgültige Eheschließung darstellt. Über das Spiel ist es zu einer Initiation in eine neue Welt gekommen. 12 Orlando hat die in dieser Welt gültigen Normen akzeptiert und wird dafür mit dem Erreichen des ,Reiseziel', das in der Ehe mit Rosalind besteht, belohnt werden. Die ,alternativen' Welten von As You Like It finden sich in Shakespeares späten Dramen wieder: die fernab der Zivilisation von der Jagd lebende Männergesellschaft in Cymbeline, die pastorale Welt in The Winter's Tale. Wie in As You Like It sind diese Welten von Personen bevölkert, die nicht in sie hineingeboren sind, sondern Königsfamilien 9

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11

12

Auch in Sidneys Arcadia lernen wir einen wirklichen Schäfer kennen (Dametas) und erfahren viele Einzelheiten von seiner Tätigkeit; siehe z. B . bk. 1, ch. 19 und bk. 2, ch. 2 und 4 (Sir Philip Sidney, The Countess of Pembroke's Arcadia, ed. Maurice Evans ([Harmondsworth, 1977]). In dieser Hinsicht unterscheidet sich die englische Bukolik deutlich von der anderer Nationalliteraturen. Bei Sannazaro, Montemayor, Tasso und d'Urfé erfahren wir nur sehr wenig von der Wirklichkeit des Schäferdaseins. Ziegen gelten als besonders zügellos in sexueller Hinsicht; in Othello etwa findet sich die Wendung "as prime as goats" (III, 3, 409); vgl. Othello, a.a.O., III, 3, 409-410, note. As You Like It, ed. Agnes Latham (1975), T h e Arden Shakespeare, IV, 1,130, note und Appendix Β, S. 133-135. Vgl. Marjorie Garber, "The Education of Orlando", Comedy from Shakespeare to Sheridan: Change and Continuity in the English and European Dramatic Tradition, Essays in Honor of Eugene M. Waith, edd. A . R. Braunmuller, J . C . Bulman (Newark, Del., 1986), S. 102-112.

256

entstammen. Im Gegensatz zu den Höflingen um Duke Senior und zu Rosalind und Celia wissen Guiderius, Arviragus und Perdita jedoch nichts von ihrer Herkunft. Trotzdem verhalten sich diese Personen höfisch. Wie in As You Like It ist Höfischkeit also angeboren, und von Natur aus höfische Personen können auch in der Wildnis bzw. fernab des Hofs ein adäquates Zuhause finden. In Cymbeline wird die Welt der Jäger wie in As You Like It als Kontrast zur korrumpierten höfischen Welt eingeführt. Durch die zahlreichen Einzelheiten des Lebens in der Wildnis, die Belarius zur Sprache bringt, und durch seine pagane Religiosität wird dieser Kontrast noch deutlicher als im früheren Drama: A goodly day not to keep house with such Whose roof's as low as ours! Stoop, boys: this gate Instructs you how t' adore the heavens; and bows you To a morning's holy office. The gates of monarchs Are arch'd so high that giants may jet through And keep their impious turbans on, without Good morrow to the sun ... (Ill, 3, 1-7)

Durch die Entgegnungen von Guiderius und Arviragus, die die höfische Welt, von der Belarius spricht, gar nicht kennen und die Begrenztheit ihres Horizonts beklagen (III, 3, 27-44), kommt eine dramatische Komponente hinzu. Die Brüder lassen ihre königliche Natur deutlich werden, wie Belarius feststellt (III, 3, 82-86). Wie für Orlando in As You Like It findet Imogen in der Wildnis einen Bereich, in dem menschliche kindness herrscht. Durch ihre vorsichtige, auf Einhaltung der manners bedachte Annäherung besteht Imogen eine Bewährungsprobe, 13 an der Cloten, der zu einer freundlichen Anrede von Fremden nicht imstande ist, in der Szene IV, 2 scheitert. Wie bei Orlando ist Imogens erste Begegnung mit den in der Wildnis lebenden Menschen von der Unkenntnis von deren Gebräuchen geprägt: Sie bietet Geld für die verspeiste Nahrung an, wodurch sie zornige Reaktionen von Guiderius und Arviragus hervorruft (III, 7, 18-28). Danach ist sie jedoch in der Lage, sich den in der fremden Welt herrschenden Gesetzen anzupassen, und gewinnt das Vertrauen und die Liebe der ,Herren' dieser Welt. In der römischen Armee wird sich Imogen dann erneut in eine andere Welt einfügen. Charakteristisch ist ihr zuversichtliches "I'll

13

Siehe o. S. 161-163.

257

follow, sir" (IV, 2,387), womit sie Lucius' Angebot, in seinen Dienst zu treten, annimmt. 14 Auch die bukolische Welt in The Winter's Tale ist mit noch mehr Realistischen' Details ausgestattet als in As You Like It. Das Fest des sheep-shearing (IV, 4) dürfte den Bräuchen englischer Schäfer weit eher entsprechen als der literarischen Tradition. Trotzdem wird, zum Beispiel durch die Wahl ,bukolischer' Namen wie Doricles und Mopsa, ein deutlicher Bezug zu dieser Tradition hergestellt, so daß sich der Zuschauer an die traditionellen Qualitäten der pastoralen Welt erinnert: die einer Welt des Friedens und der Liebe. 15 Florizel, der Sohn des Königs von Böhmen, weiß zunächst nicht, daß ihm vor seiner Heirat mit Perdita noch eine Reise nach Sizilien bevorsteht. Dennoch ist seine Eingliederung in die pastorale Welt Perditas, des alten Schäfers und seines Sohnes eine Station auf seiner,Reise'. Indem er wie Orlando und Imogen seine Anpassungsfähigkeit unter Beweis stellt und es versteht, das Wohlwollen des alten Schäfers zu gewinnen, besteht er eine Bewährungsprobe und zeigt, daß er die für einen Reisenden nötigen Qualitäten besitzt. Seine Verkleidung als "poor humble swain" (IV, 4,30) wirkt dabei ebenso natürlich wie Perditas gute Umgangsformen im Gespräch mit Polixenes und Camillo. Eine weitere Bewährungsprobe wird Florizel bestehen, wenn er sich dafür entscheidet, Camillos Rat zu befolgen. 16 Wie bei der initiation' in die Schäferwelt benötigt er dazu jene humility, die bei Shakespeare so oft mit edler Herkunft in Zusammenhang steht. Diese Unterwürfigkeit findet sich auch bei Ferdinand im Tempest. Er versucht nicht, sich der Musik Ariels zu widersetzen, ebensowenig wie später den weiblichen Reizen Mirandas: . . . This music crept b y me upon the waters, Allaying both their f u r y and my passion With its sweet air: thence have I follow'd it, O r it hath drawn me rather . . . (I, 2, 3 9 4 - 3 9 7 )

Zwar zieht Ferdinand den Degen gegen Prospero, als dieser ihm Verrat und Spionage vorwirft und ankündigt, ihn in Ketten zu legen (1,2, 14 15

16

Vgl. o . S . 191. Bereits die ersten Verse des Polixenes im Drama bringen Böhmen mit der pastoralen Welt in Zusammenhang: Nine changes of the watery star hath been The shepherd's note since we have left our throne Without a burden ... (I, 2, 1-3) Siehe o. S. 192-193. 258

462—469), doch ist dieser (rein defensive) Kampfgeist schnell gebrochen. Bei allen Mühen, die er im Gegensatz zu den anderen Höflingen schuldlos auf sich nehmen muß, bleibt er zuversichtlich, was bei Shakespeare für den erfolgreichen Abschluß einer Reise unabdingbar ist. So sagt er, als er im Auftrag Prósperos Holz schleppen muß: 1 7 There be some sports are painful, and their labour Delight in them sets off: some kinds of baseness Are nobly undergone; and most poor matters Point to rich ends ... (III, 1, 1-4)

Der geduldigen Annahme des Schicksals durch Ferdinand stehen bei den Gestrandeten drei andere Einstellungen gegenüber: Gonzalo träumt davon, die neue Welt, in die er geraten ist, nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten und in ihr eine Utopie zu verwirklichen (II, 1, 139-164); Sebastian und Antonio sehen in der Situation eine Gelegenheit zu jener Art von foul play, die für die höfische Welt Italiens typisch ist, und planen ein Attentat auf König Alonso (II, 1, 194-302 und 111,3, 11-17); Stephano und Trinculo schließlich lassen sich von Caliban zu einem Komplott mit dem Ziel anstiften, sich die Insel Untertan zu machen. 18 Der einzige, der nicht die Insel sich, sondern sich der Insel anpassen und unterordnen will, ist Ferdinand. Infolgedessen ist er auch der einzige, der in der Schlußszene von Prosperos Verzauberung verschont bleibt. Wie auf der Insel der Kirke in Homers Odyssee, dem Ursprung des Inselmotivs in der Renaissance, gelingt es nur demjenigen, der die Gesetze der Insel kennt, sich gegenüber der Zauberei zu behaupten. Diese ,Gesetze' Prosperos fordern Demut, Zuversicht und höfische Umgangsformen, Werte also, die auch in den anderen hier besprochenen Dramen zum Erfolg führen. Im Tempest faßt Shakespeare in komprimierter Form jenes Weltbild zusammen, das sich aus einer vergleichenden Betrachtung von Dramen aus allen Perioden seines Schaffens extrapolieren läßt.

17

18

Die Worte Ferdinands folgen unmittelbar auf Calibans Ruf nach "freedom" (II, 2, 186-187). Calibans unedler Auflehnung steht Ferdinands edle Selbsterniedrigung gegenüber; vgl. Douglas L. Peterson, Time, Tide and Tempest: A Study of Shakespeare's Romances (San Marino, Calif., 1973), S. 234. Siehe o. S. 250-251.

259

e) Das Umherirren in der Wildnis Nicht alle Reisenden bei Shakespeare finden auf ihrem Weg Ruhepunkte von der im letzten Abschnitt beschriebenen Art. Für die Liebenden im Midsummer Night's Dream und für Lear ist die Reise ein Umherirren in einer unwirtlichen Umgebung. Im Abschnitt über Reiseszenen war die strukturelle Ähnlichkeit dieser beiden Dramen zur Sprache gekommen.1 Als höherer ,Sinn' der Widrigkeiten der Reise erwies sich die Läuterung der Dramenhelden. Wie in As You Like It und Cymbeline steht der Verlust eines Zuhauses am Anfang der Reise, doch anders als in diesen Dramen müssen die Reisenden wegen ihres eigensinnigeren Charakters zunächst lange ziellos in unwegsamem Gelände umherirren, bis sie bereit sind, sich ihrem Schicksal zu fügen. Wie in As You Like It ist der Wald im Midsummer Night's Dream zunächst eine Einöde, ein "desert place" (II, 1,218). Dem Wald wird damit jene Qualität zugemessen, die er in der ritterlichen Tradition hatte.2 Ebenfalls wie in der Tradition des Ritterromans und der Renaissance-Epik gibt es im Wald Mächte, die über Zauberkräfte verfügen und denen durch verstandesmäßige Kalkulationen nicht beizukommen ist, zumal wenn es sich bei diesen Zauberkräften wie in der Faerie Queene um ein äußeres Abbild von Tendenzen handelt, die im Reisenden selbst angelegt sind.3 Im Gegensatz zu dieser Tradition handelt es sich bei Oberon, Titania, Puck und den fairies jedoch um wohlwollende, offensichtlich aus volkstümlichen Traditionen entnommene Gestalten, die durch ihr Eingreifen nur das Glück ihrer Opfer herbeiführen wollen. Entsprechend unterscheiden sich die Anforderungen an die Reisenden von denen an fahrende Ritter. Wie in den im letzten Abschnitt besprochenen utopischen Welten gelangt der Reisende erst zum Ziel, wenn er bereit ist, sich den Gegebenheiten zu unterwerfen, anstatt gegen sie zu rebellieren. Soweit menschliches Bemühen in einer Auflehnung gegen das Schicksal besteht, wird es in diesem Drama der Lächerlichkeit preisgegeben. Der Zuschauer darf Pucks Vergnügen an den Verwirrungen teilen:

1 2

3

Siehe o. S. 1 9 9 - 2 0 4 . In Francis Beaumonts Drama The Knight of the Burning Pestle (ed. Michael Hattaway, The New Mermaids [London, 1969]), einer vermutlich vom Don Quijote angeregten Parodie auf das fahrende Rittertum, instruiert Rafe seinen Begleiter, für "forests and heaths" in Zukunft nur noch "deserts" zu sagen (1,1, 275—276), wie sich dies für fahrende Ritter gehört. Vgl. O.S. 201.

260

... Shall we their fond pageant see? Lord, what fools these mortals be! (111,2, 114-115)

Nicht die Beharrlichkeit und Tugendhaftigkeit des Rittertums ist gefragt, sondern die Erkenntnis der eigenen Schwäche gegenüber der Macht des Schicksals. Diese Erkenntnis kommt bei den Verirrten schließlich durch schiere Erschöpfung zustande. Helena sagt: "And sleep, that sometimes shuts up sorrow's eye, / Steal me awhile from mine own company" (III, 2, 435-436), und auch Hermia muß zugeben: "My legs can keep no pace with my desires" (III, 2,445). Erst jetzt können die Mächte des Waldes das happy ending herbeiführen. 4 Auch in King Lear wird das Irren und Suchen des Dramenhelden durch eine Reise ohne konkretes Ziel abgebildet. Die Widrigkeiten werden wie im Midsummer Night's Dream von unkontrollierbaren Mächten verursacht, doch handelt es sich diesmal nicht um Zauberei, sondern um Naturgewalten. Von Wesen und Intention der lenkenden Mächte ist diesmal auch dem Zuschauer nichts bekannt. Den Naturgewalten ist Lear in ähnlicher Weise ausgeliefert wie Seereisende, und wie diese muß er sich um patience bemühen. Hinzu kommt in King Lear noch der für Waldreisende typische Orientierungsverlust. Die Heide kombiniert also gewissermaßen die jeweiligen Widrigkeiten von Reisen auf See und im Wald. Wie der Zauberwald im Midsummer Night's Dream veranschaulichen Heide und Unwetter das Hindernis im mind des Reisenden, das dieser überwinden muß, um ans Ziel zu gelangen. Wie im Midsummer Night's Dream wird die ,Erlösung' durch einen Akt des ,Sich-Fügens' eingeleitet: Bereits in der Szene III, 2 bittet Kent Lear, eine Hütte aufzusuchen, die ihm Schutz vor dem Sturm bieten würde. Lear weigert sich jedoch zunächst, sie zu betreten. 5 Erst nach einiger Zeit sind Lears Eigenwille und seine Leidenschaftlichkeit so weit gebrochen, daß er bereit ist, vor dem Sturm Schutz zu suchen (III, 4,25 und 172). Nach der ,Gerichtsszene' gewinnt Lear dann jene Ruhe, die das Ende der Rebellion gegen sein Schicksal anzeigt (111,6, 81-82). Gloucester kann nunmehr ein Ziel anstreben (Dover), dessen Erreichen zu Lears ,Erlösung' führt, die im Wiedersehen mit Cordelia und schließlich im Tod besteht. In Cymbeline hat Imogen ihr Zuhause verloren und muß auf den 4

5

Auch die Widerspenstigkeit Katherinas in The Taming of the Shrew wird durch Ermüdung gebrochen; siehe IV, 1, 175-198 und note (ed. Brian Morris [1981], The Arden Shakespeare). Siehe o. S. 202-203.

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wilden Hügeln von Wales umherirren. Sie besitzt jedoch genau die Qualitäten, die Lear fehlen, nämlich Geduld und Zuversicht. So kann sie sich auch ein Ziel setzen (Milford-Haven), an dem sie auch dann noch festhält, als sie von der unkindness des Posthumus erfahren hat.6 Ihrem Gemütszustand entsprechend wird sie nicht von einem Unwetter heimgesucht, sondern nur von Hunger und von Unsicherheit über den richtigen Weg. Beides zeigt ihre Grenzen auf, macht sie ,menschlicher' und läßt ihre Zuversicht um so deutlicher als Qualität hervortreten. Es charakterisiert Imogen, daß der Hunger sie nicht (wie Orlando) aggressiv werden läßt, sondern müde (III, 6). Wie für andere Reisende Shakespeares sind Erschöpfung und Schlaf für Imogen eine notwendige Stufe auf dem ,Weg zum Ziel*. Die schwerste Prüfung Imogens erfolgt, als sie den geköpften Leichnam Clotens erblickt und wegen der Kleidung für den des Posthumus hält. Ihrer Hoffnung und Zuversicht scheint nunmehr jede Grundlage entzogen zu sein. Trotzdem gelingt es ihr, sich in ihr Schicksal zu fügen und einen neuen Bezugspunkt, ein neues Ziel ins Auge zu fassen. Nachdem sie Posthumus die Totenehre erwiesen hat, ist sie bereit, Lucius als ihrem neuen master zu folgen. Durch die totale Selbsterniedrigung hindurch ("I am nothing; or if not, / Nothing to be were better.. IV, 2, 367-368) gelangt Imogen zu einer Annahme ihres Schicksals, die letztlich ,belohnt' werden wird. Lucius' Worte am Ende der Szene, die sich auf unerwartete Weise als zutreffend erweisen werden, machen die paradigmatische Bedeutung des Schicksalsschlages deutlich und verweisen auf die ,epische' Gesamtstruktur des Dramas:7 . . . B e cheerful, wipe thine eyes: Some falls are means the happier to arise. (IV, 2, 4 0 2 - 4 0 3 )

Imogen scheint den ,idealen Reisenden' zu verkörpern, der eine unbedingte Annahme des Schicksals mit einer fröhlichen, diesseitsbezogenen Zuversicht verbindet.8 Da der Zuschauer weiß, daß diese Zuversicht begründet ist - er weiß zum Beispiel, daß es sich bei dem von Imogen gefundenen Leichnam um den Clotens und nicht um den des Posthumus

6 7 8

Siehe o. S. 190-191. Vgl. o. S. 191. Ein offensichtliches literarisches Vorbild ist Heliodors Roman, in dem Charikleia und Theagenes ebenfalls trotz mancher Rückschläge zuversichtlich und wie Imogen mit Hilfe von Zufallsbekanntschaften ihren Weg bis zum happy ending fortsetzen; siehe dazu Gesner, a.a.O., S. 99-115 und u. S. 305-308.

262

handelt - , 9 kann er für diese Einstellung eine besondere Sympathie aufbringen. f) Bewährung auf Seereisen Eine der am häufigsten gewählten Formen des Reisens bei Shakespeare ist, wie bereits gesagt wurde, die der Seereise. Dies ist um so bemerkenswerter, als die Darstellung von Schiffsreisen auf der Bühne für jeden Dramatiker ein Problem sein muß. Wenn sich Shakespeare dennoch in zahlreichen Fällen für diese Reiseform entscheidet und in The Comedy of Errors, Twelfth Night, Othello, Pericles und The Tempest die Landung von Personen nach oft gefahrvollen Seereisen zur Darstellung bringt, scheint dies auf ein besonderes Anliegen des Dramatikers zu deuten. Auf die symbolische Bedeutung der Seereisen und überstandenen Stürme bei Shakespeare weist Wilson Knight nachdrücklich hin. 1 Er legt hierbei den Akzent auf die durch den Sturm symbolisierte Lebensreise, auf die "tempests of mortality", 2 denen jeder Mensch ausgesetzt ist. Diese Bedeutung der îewpeii-Metapher, die schon bei der Untersuchung der Metaphorik deutlich geworden war, ist zweifellos in allen Phasen von Shakespeares dramatischem Schaffen vorhanden; es fragt sich jedoch, ob sich die Funktion der Seereisen bei Shakespeare in dieser allgemeinen Aussage erschöpft oder ob Shakespeare mit diesem Motiv nicht auch, ebenso wie mit den anderen Reiseformen, individuelle Einstellungen und charakterliche Eigenschaften sichtbar machen will. Ein Hinweis auf ein dementsprechendes Anliegen findet sich in Troilus and Cressida: Agamemnon und Nestor verwenden die tempestMetapher, um zu verdeutlichen, daß allein ein widriges Schicksal den wirklichen Wert der Menschen deutlich werden läßt, also die Spreu vom Weizen trennt. Nestor nimmt einen elaborierten Vergleich zwischen der Verschiedenheit menschlicher valour und der unterschiedlichen Seetüchtigkeit von Schiffen vor und faßt zusammen: "Even so / Doth valour's show and valour's worth divide / In storms of f o r t u n e . . ( 1 , 3 , 45-47). 9

1 2

Eine vergleichbare Verwechslung findet sich auch bei Heliodor; Les Ethiopiques, edd. R. M. Rattenbury, Rev. T. W. Lumb, 3 Bde. (Paris, 2 1960 ['1934-1940]), Buch I, 30, 7 und Buch II, 3, 3 bis 5, 4. Dort allerdings wird der Leser zunächst nicht darüber informiert, daß es sich bei der Toten nicht um Charikleia handelt. Die ,dramatische Spannung' der romanhaften Vorlage wird also bei Shakespeare noch reduziert. Knight, Tempest, vgl. o. S. 244. Knight, Tempest, S. 222.

263

Nun scheint der Gang dieses Dramas diese Aussage Lügen zu strafen. Edle, tapfere Menschen wie Hector müssen sterben, während vom Laster geprägte Personen wie Pandarus und Feiglinge wie Thersites überleben. Nestors Denkfehler liegt darin, daß nicht valour bei Seereisen und in den "storms of fortune" auf dem Prüfstand steht. Statt dessen geht es in der literarischen Tradition der Seereise vor allem um Geduld und Schicksalsergebenheit: Mit ihrer Tapferkeit können Kämpfer wie Troilus in diesem Drama ebensowenig wie von den Naturgewalten geschüttelte Seereisende irgend etwas ausrichten. Wenn der Reisende jedoch zu einer passiven, geduldigen Zuversicht fähig ist - in Troilus and Cressida ist dies bei keiner Person der Fall - dann wird er dafür auch mit dem Erreichen des Reiseziels belohnt. Ein Beispiel hierfür ist bereits The Comedy of Errors. Shakespeare hat die aus Plautus' Menaechmi übernommene Handlung durch die mehrfache Verwendung des Motivs der Seereise erweitert. Bei Plautus war der Vater mit einem der beiden sieben Jahre alten Zwillinge in Handelsgeschäften von Syrakus nach Tarent gefahren, wo er den Jungen bei Zirkusspielen im Gedränge verlor. Dieser Junge wurde von einem kinderlosen Kaufmann aus Epidamnus3 mitgenommen (Prolog, v. 17-33). Viele Jahre später ist der in Syrakus verbliebene Zwilling auf der Suche nach seinem Bruder in Epidamnus eingetroffen (v. 69-71) - wie, wird nicht gesagt - , womit das Drama beginnt. Shakespeare ersetzt diese knappen Angaben im Prolog von Plautus' Komödie durch die ausführliche Erzählung Egeons vom Seesturm und Schiffbruch, der ihn mit einem der Zwillinge von seiner Frau und dem anderen Zwilling trennte (1,1, 31-139). Wie Baldwin im einzelnen herausarbeitet,4 ist Egeons Erzählung in mancher Hinsicht dem berühmten Bericht nachgebildet, den Aeneas im zweiten Buch von Vergils Epos der Dido gibt. So erinnern etwa die ersten Verse Egeons ("A heavier task could not have been impos'd, / Than I to speak my griefs unspeakable...; 1,1, 31-32) an den ersten Vers des Aeneas („Infandum, regina, iubes renovare dolorem..." [II,3]). 5 Daneben hat Shakespeare sicher die Historia Apollonii (vermutlich in 3

4 5

So heißt die Stadt bei Plautus. Im First Folio wird die Stadt „Epidamium" genannt. Die von Pope in seiner Shakespeare-Ausgabe gewählte Form „Epidamnum", die die meisten Herausgeber übernehmen, entspricht weder Shakespeares Text noch der historischen Wirklichkeit. Baldwin, a.a.O., Bd. 2. S. 485-487. Auf diese Entlehnung hatte bereits Theobald hingewiesen; siehe The Comedy of Errors, ed. R. Foakes (1962), The Arden Shakespeare, I, 1, 2 8 - 3 2 , note.

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Gowers Fassung in der Confessio Amantis) als Quelle für die Seereisen verwendet.6 Auch ein weiteres romanhaftes Werk käme als direkte oder indirekte Quelle Shakespeares in Frage: In den Clemens von Rom zugeschriebenen Recognitiones, die im zweiten Jahrhundert nach Christus entstanden, werden Zwillingsbrüder von ihrer Mutter (nicht voneinander) durch einen Schiffbruch getrennt. Offensichtlich repräsentiert dieser im christlichen Rahmen des Werkes die Widrigkeiten des Schicksals, die sich schließlich als von Gott gewollte Prüfung erweisen.7 Bei Shakespeare tritt also ein für Epos und Roman typisches Motiv an die Stelle eines charakteristischen Komödienmotivs. Hierdurch erhält die Vorgeschichte einen erhöhten, ,epischen' Stellenwert. Die Reaktionen auf die Grenzsituation eines Seesturms, der sich anders als das plötzliche Verschwinden des Sohnes in der Menge über einen gewissen Zeitraum erstreckt, können ausführlich geschildert werden und somit den Charakter des Reisenden und seine Einstellung dem Schicksal gegenüber aufzeigen: Das Bewußtsein der Hilflosigkeit gegenüber den Naturgewalten kommt in Egeons Formulierung "the alwayswind-obeying deep" (1,1,63) zum Ausdruck. Egeon wäre bereit, sich in sein Schicksal zu fügen (1,1, 69), doch die Sorge um Frau und Kinder veranlaßt ihn zu dem Versuch, sich zu retten. Egeon und seine Frau binden sich also mit den Kindern an einen Mast. Was die Reisenden rettet, ist also nicht Tapferkeit, auch nicht Feigheit wie bei den Seeleuten, die das Rettungsboot besteigen und Egeon und seine Familie allein zurücklassen (1,1, 76-77), sondern wie im antiken Epos das technische Geschick, das zur Anwendung kommt, sobald die Hoffnung auf Rettung wiederkehrt; man denke an das Floß des Odysseus, mit dem dieser die Insel der Kalypso verläßt. Weiterhin müssen sich die Schiffbrüchigen mit Geduld wappnen, da sie die Richtung des Mastes nicht beeinflussen können, der "obedient to the stream" (1,1, 86) ist. Schließlich müssen sie auch noch die Trennung (durch die Zersplitterung des Mastes) über sich ergehen lassen. Am Ende wartet auf die Reisenden jedoch ein „healthful welcome" (1,1,114). Shakespeare läßt Egeon nicht ohne Grund so viele Einzelheiten von seinem Schiffbruch erzählen. Dem Zuschauer soll die Befindlichkeit von Seereisenden deutlich vor Augen stehen, wenn in der nächsten Szene 6

7

Siehe ebd., Introduction, S. xxxi—xxxii. Die Pseudoklementinen II: Rekognitionen in Rufins Übersetzung, ed. Bernhard Rehm (Berlin, 1965); Buch VII, 2 6 - 3 2 und 38 (S. 2 1 0 - 2 1 6 ) ; Vgl. auch die „Epistula d e m e n tis", ebd., S. 241ff. und o. S. 234 zur christlichen nattfragium-Metaphorik; vgl. Smith, a.a.O., S. 6.

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Egeons Sohn, Antipholus of Syracuse, auftritt, bei dem es sich ebenfalls um einen in die Fremde verschlagenen Seereisenden handelt. Er ist auf der Suche nach seinem Bruder, hat aber keine Anhaltspunkte, wo er ihn suchen soll. Auch bei ihm ist also der Zufall bzw. das Schicksal der Faktor, der die Richtung bestimmt. Seine Worte bei seinem ersten Auftritt geben der anschließenden Komödienhandlung einen bei Plautus nicht vorhandenen existentiellen Hintergrund. Es geht darum, ob der Suchende in der Fremde seine eigene Identität behalten kann: . . . I t o the w o r l d am like a d r o p of water That in the ocean seeks another d r o p , W h o , falling there to f i n d his f e l l o w f o r t h , (Unseen, inquisitive) confounds himself. S o I, t o find a m o t h e r and a brother, In quest of them, unhappy, lose myself. ( 1 , 2 , 3 5 - 4 0 )

Bereits diesem Drama, das von allen Werken Shakespeares der römischen Komödie noch am nächsten steht, gibt Shakespeare durch das Seefahrtsmotiv einen epischen Charakter 8 und ermöglicht somit eine vertiefte psychologische Darstellung und eine Aussage über die menschliche Befindlichkeit.9 Ein Schiffbruch steht auch am Anfang von Twelfth Night. Wie in der Comedy of Errors ist die Verwechslungsgeschichte eine typische Komödienhandlung, während der Seesturm episch-romanhaften Ursprungs ist. Im italienischen Drama Gl'ingannati (1538), auf das der Handlungsablauf von Twelfth Night über mehrere Zwischenstufen zurückgeht, ist ein zeitgenössisches Ereignis, der sacco di Roma von 1527, für die Trennung der Geschwister verantwortlich. Der Seesturm kommt erst in Barnaby Riehes Prosafassung der Geschichte hinzu. Wie in der Comedy of Errors wird also ein typisches Komödiengeschehen durch ein episches Motiv überlagert, das die Darstellung der ,Bewährung' von Menschen im Unglück ermöglicht. 8 9

Vgl. o. S. 2 1 2 - 2 1 3 . Alexander Leggatt spricht in bezug auf das Nebeneinander von plautinischer Handlung und dem Rahmen mit den Seereisen und der "family reunion" in der Comedy of Errors von einem "interweaving of the fantastic and the everyday"; Shakespeare's Comedy of Love (London, 1974), S. 18. Dies trifft zwar zu, doch bringt die Formulierung "fantastic" die Bedeutung des ,Rahmens' für die Aussage des Dramas nicht zum Ausdruck. Durch die doppelte Perspektive wird nicht die "instability of life itself" zum Ausdruck gebracht, wie Leggatt meint (S. 19), sondern eher das Gegenteil davon: Die phantastische Handlung, deren aus der Tradition von Epos und Roman stammenden Symbolgehalt Leggatt verkennt, scheint vielmehr die Einbindung des .alltäglichen' Geschehens in einen geordneten Kosmos aufzeigen zu wollen.

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In den Szenen 1,2 und II, 1 werden Viola und Sebastian als Schiffbrüchige eingeführt, die ihr Schicksal mit Geduld und Zuversicht auf sich nehmen. 10 Am Anfang der Szene 1,2 wird chance als der Faktor herausgestellt, der Viola im Seesturm gerettet hat. 11 Die für Viola logische Konsequenz ist, daß es sich lohnt, dem Schicksal zu vertrauen und auch hinsichtlich einer möglichen Rettung Sebastians optimistisch zu sein (1,2, 5-7). Auf den Ausdruck der Zuversicht folgt dann mit dem Bericht des captain, der auf eine mögliche Rettung Sebastians schließen läßt (I, 2, 8-17), eine erste ,Belohnung' für ihren Optimismus. Kennzeichnend ist die Abfolge der Reden: Violas Zuversicht ist nicht das Ergebnis des Berichts des captain, sondern geht ihm voraus und ist zunächst durch keinerlei Fakten begründet. Es ist gerade das für Viola charakteristische Vertrauen in ein Schicksal, das am Ende zum Erreichen des ,Reiseziels' führt. 1 2 Offensichtlich wählt Shakespeare die Situation des Schiffbruchs und der Landung in einer unbekannten Welt, um gerade diese Charaktereigenschaft vorführen zu können. Sebastian rettet sich wie Egeon durch sein handwerkliches Geschick (1,2, 12-14), von dem der captain bemerkt, daß es eine Folge von "courage and hope" sei (1,2,13). Sebastian ist in der Szene II, 1 zwar weniger optimistisch als seine Schwester, doch hadert auch er nicht mit dem Schicksal, sondern nimmt es willig auf sich und läßt sich von ihm die weitere Richtung seines Lebensweges bestimmen. Der Grundzug seines Charakters ist "kindness" (II, 1,38); diese kommt gerade in der Situation des Schiffbruchs zum Ausdruck. Neben der Willkür des Schicksals wird durch die Situation der Landung in einem fremden Land nach einem Schiffbruch auch die Befindlichkeit der Reisenden in der Fremde versinnbildlicht und dem Zuschauer vor Augen geführt. Vor dem Hintergrund des Seesturms haben Valentines an Viola gerichtete Worte eine besondere Aussagekraft: " . . . he [the Duke] hath known you but three days, and already you are no stranger" (1,4, 2 - 4 ) . Auch im Fall Sebastians spielt die Situation des Fremdseins eine wichtige Rolle. Antonio folgt ihm, wie er sagt, aufgrund von:

10

Siehe o. S. 5 8 - 5 9 und 183-184.

11

Vgl. Knight, Tempest, S. 121-122.

12

Wie bei Imogen erinnert Violas Zuversicht an christliche Vorstellungen; man denke an Bibelworte wie „Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen" (Klagl., 3,26) und „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!" (Joh., 20,29). Vgl. o. S. 265 zum christlichen Roman Recognitiones.

267

... jealousy what might befall your travel, Being skilless in these parts: which to a stranger, Unguided and unfriended, often prove Rough and unhospitable ... (111,3, 8-11).

Bei der Situation von Viola und Sebastian handelt es sich gewissermaßen um die archetypische Befindlichkeit von Uberlebenden eines Schiffbruchs, die sich - wie Odysseus bei den Phaiaken - ohne Hilfsmittel in einem fremden Land befinden. Wie Odysseus erlangen Viola und Sebastian durch Anpassungsfähigkeit und vor allem kindness ein Heimatrecht in der Fremde. 13 Es zeigt sich, daß der Seesturm nicht nur,romantisches' Beiwerk ist, sondern innerhalb des Dramas eine zentrale emblematische Funktion hat. Bei einem Vergleich zwischen den beiden Seereisenden dieses Dramas fällt auf, daß (ähnlich wie bei Orlando und Rosalind in As You Like It) die weibliche Reisende von Anfang an mehr Zuversicht an den Tag legt und konkretere Pläne entwickelt. Dieses Motiv dürfte auf Heliodors Roman zurückgehen, in dem Charikleia weit zuversichtlicher und vorausschauender ist als Theagenes. Offensichtlich wird die bei Seereisenden (und anderen unbewaffneten Reisenden) gebotene Zuversicht als für das weibliche Temperament typischer erachtet. Gegenüber der Tradition des Ritterromans bieten die von Shakespeare gewählten Arten des Reisens also die Möglichkeit, auch weibliche Reisende mit typisch weiblichen Eigenschaften zu ,Helden' zu machen. Tragische Helden bringen diese geduldige Zuversicht in der Regel nicht auf; dies ist stets einer der Gründe für ihr tragisches Scheitern. Dennoch spielen Seereisen in Hamlet und Othello eine gewisse Rolle. Bei der Rache, die Hamlet vom Geist seines Vaters abverlangt wird, handelt es sich um eine pervertierte Form von Ritterlichkeit.14 Während Laertes diese Form in seiner Person verkörpert und unter anderem ausruft: "I dare damnation" (IV, 5,133), scheint Hamlet dieser Ritterlichkeit skeptisch gegenüberzustehen. Ein echtes Rittertum, wie es noch Hamlets Vater zu seinen Lebzeiten verkörpert hatte (1,1, 83-98), ist nach der Tat des Claudius offensichtlich nicht mehr möglich. 13

14

Die Bedeutung dieses .Heimatrechts' zeigt sich in diesem Drama auch in ganz anderen Zusammenhängen: So droht Malvolio Sir Toby, Olivia könne ihm ihr welcome in ihrem Haus entziehen (11,3, 99-101). Eine Kontrastfigur zu den Reisenden, die in Illyrien Aufnahme suchen, ist Sir Andrew Aguecheek, der die ihm gebotene Gastfreundschaft nicht zu schätzen weiß und den unhöfischen Wunsch äußert: "I had rather than forty pound I were at home" (V, 1, 175-176). Vgl. o. S. 248 zum Rachemotiv.

268

Zum Seereisenden wird Hamlet, als er von Claudius zu Schiff nach England geschickt wird. Er freundet sich mit dieser Existenzweise an, bei der er dem Schicksal ausgeliefert und somit seiner Ansicht nach der Eigenverantwortlichkeit enthoben ist. Die Q u a l , Entscheidungen für eigenes Handeln treffen zu müssen, weicht, wie seine Worte an Horatio deutlich machen, einem Vertrauen in das Wirken höherer Mächte: . . . A n d prais'd be rashness for it: let us k n o w O u r indiscretion sometimes serves us well When our deep plots do pall; and that should learn us There's a divinity that shapes our ends, R o u g h - h e w them how we will - (V, 2, 7-11)

Doch ist Hamlet kein perfekter Seereisender: Die Art, wie er Rosencrantz und Guildenstern in den Tod schickt, zeigt, daß er die kindness, die andere Seereisende besitzen, offensichtlich infolge seiner Melancholie, seiner depressiven Erkrankung, nicht aufbringen kann. Schon Ophelia gegenüber hatte seine kindness einem unkontrollierten Mutwillen Platz gemacht. Auch Othello muß sich der Gewalt der Elemente stellen. Wäre er wie Viola und Sebastian wesensgemäß ein Seereisender, dann könnte er in der Szene II, 1 der Zukunft furchtlos und zuversichtlich ins Auge sehen, zumal sich die höheren Mächte ihm gegenüber durch die Vernichtung der türkischen Flotte und seine eigene Errettung bereits als gnädig erwiesen haben. D a Othello jedoch gewohnt ist, nur seiner eigenen Tapferkeit zu vertrauen, zweifelt er selbst auf dem Höhepunkt des Glücks am Wohlwollen des Schicksals. 1 5 Dieses fehlende Vertrauen wird ihm schließlich zum Verhängnis. 16 Ganz in den Mittelpunkt rückt das Thema der Seereise in Pericles. In diesem Drama ist das Reisegeschehen, das sich über viele Jahre des Lebens des Dramenhelden erstreckt, ganz offensichtlich als ,Lebensreise' zu deuten. 1 7 Immer wieder ist Pericles gezwungen, in See zu stechen und sich der Gewalt der Elemente anzuvertrauen. Die Gründe, derentwegen er die Reisen unternimmt - seine zweimalige Flucht vor den von Antigonus ausgeschickten Mördern, die Rückkehr nach Tyrus zur Übernahme der Königsherrschaft und die Reise nach Tharsus auf der Suche 15 16 17

Siehe o. S. 147. Vgl. Knight, Tempest, S. 182. Auch Derek Traversi deutet das Reisegeschehen als Lebensreise, vermengt jedoch, wenn er bei der Interpretation von "pilgrimage" und von "quest" spricht, die Metaphern, auf deren genaue Differenzierung es ankommt; Shakespeare: The Last Phase (New York, o. J. [1954]), S. 20.

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nach seiner Tochter Marina - , werden jeweils nur kurz abgehandelt und spielen für den Gesamtzusammenhang kaum eine Rolle. Worauf es vielmehr ankommt, ist, daß es sich jedesmal um Schicksalsschläge handelt, die den Dramenhelden aus seiner gewohnten Ruhe herausreißen und für die keine andere Ursache als Fortune genannt wird. Die letzte Phase der Seereisen des Pericles, die seine Fahrten nach der Abreise von Tharsus umfaßt, wo er das Grabmal seiner Tochter entdeckt hatte, bleibt im Drama gänzlich unmotiviert. Gower sagt nur: . . . L e t Pericles believe his daughter's dead, A n d bear his courses to be ordered B y L a d y Fortune . . . ( I V , 4 , 4 6 - 4 8 )

Pericles wird also vor allem als passiver, duldender Reisender vorgestellt, nicht als zielbewußter Planer. Als Person trägt Pericles weniger individuelle Züge als die meisten anderen Reisenden Shakespeares. Der Chorus stellt ihn als den Reisenden schlechthin vor, der typischen Widrigkeiten ausgesetzt ist (II, chorus, 27-38). Pericles ist "A man whom both the waters and the wind, / In that vast tennis-court, hath made the ball / For them to play upon . . . " (II, 1, 59-61). Ebenso wie auch die anderen Seereisenden bei Shakespeare begehrt Pericles trotz aller Hindernisse auf seinem Weg nicht gegen sein Schicksal auf. Anstatt die widrigen Elemente anzuklagen, bittet er sie um Gnade und bekundet seine Unterwürfigkeit: Yet cease your ire, y o u angry stars of heaven! Wind, rain, and thunder, remember, earthly man Is but a substance that must yield to y o u ; A n d I, as fits my nature, d o o b e y you . . . (II, 1, 1 - 4 )

Die geduldige Melancholie des Pericles, die mit der Sebastians in Twelfth Night verglichen werden kann, ist um so bemerkenswerter, als sie zu der entsprechenden Rede in der romanhaften Quelle des Dramas, Laurence Twines Patterne of Painefull Aduentures, in deutlichem Gegensatz steht. Dort nämlich ruft der schiffbrüchige Held aus: O m o s t false and vntrustie sea! I will choose rather to fall into the handes of the most cruell king Antiochus, than venture to returne againe by thee into mine owne Countrey , . . 1 8

18

Zitiert nach: Pericles, lxxxviii.

270

a.a.O., 11,1, 1-11, note;

vgl. ebd., Introduction, S. lxxxvi-

Während die See in dieser Passage als Gegenspielerin des Reisenden personifiziert wird, hat sie bei Shakespeare zwei anders geartete Funktionen: Zum einen bilden ,die Elemente' die äußeren Schicksalsschläge ab, die der Dramenheld erleidet. Dies wird etwa in den Worten Gowers über Pericles' Seereise nach seiner Abfahrt von Tharsus deutlich, wo er vom vermeintlichen Tod seiner Tochter erfahren hatte: " . . . He bears / A tempest, which his mortal vessel tears, / And yet he rides it o u t . . . " (IV, 4, 29-31). 1 9 Zum anderen besteht wie in King Lear eine Beziehung zwischen dem Wüten der Naturkräfte und dem Seelenzustand des Reisenden. Anders als in King Lear sind die Naturkräfte dabei jedoch nicht ein Abbild dieses geistigen Zustands, sondern eine Folie zu ihm. Der geplagte Reisende kann dem Wüten der Elemente seine Ergebung entgegensetzen: 20 We cannot but obey The powers above us. C o u l d I rage and roar A s doth the sea she [Thaisa] lies in, yet the end M u s t be as 'tis . . . (Ill, 3, 9 - 1 2 )

Die Hinnahme des Schicksals gibt Pericles die Kraft zum Durchhalten und wird schließlich mit dem happy ending belohnt. Durch das der Tradition von Epos und Roman entnommene Motiv der Seereise beschreibt Shakespeare in diesem Drama den ,Lebensweg' einer Person, die in der Welt von Schicksalsschlägen umhergetrieben wird und kein permanentes ,Zuhause' zu finden scheint. Pericles trägt dabei so wenig individuelle Züge, daß man sagen kann, daß Shakespeare mit der Darstellung seines Schicksals eine allgemeine Aussage über die menschliche Befindlichkeit macht. 21 Diese Aussage ist nicht nur für das Drama relevant, sondern läßt durchaus auch einen Vergleich mit verschiedenen philosophischen Ansätzen zu. So lassen sich Parallelen sowohl zur christlichen Seinsmetaphorik, wie sie sich etwa bei den Kirchenvätern findet, als auch zur Existenzphilosophie des zwanzigsten Jahrhunderts feststellen: Ähnlich

19

20 21

Zur Verschränkung der faktischen mit der metaphorischen Ebene siehe o. S. 242-243 und S. 243, Anm. 8. Vgl. o. S. 204-205. Die Personen dieses Dramas haben, wie Heinz Zimmermann feststellt, den Charakter von „Beispielfiguren" innerhalb eines Geschehens, das weit stärker als andere Dramenhandlungen Shakespeares von mythologisch-allegorischen Gestalten wie Fortuna und Diana gelenkt wird; Die Personifikation im Drama Shakespeares (Heidelberg, 1975), S. 201-206.

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wie der Mensch bei Gregor dem Großen in dieser Welt einem andauernden naufragium ausgesetzt ist 22 und modernen Denkern als in eine nicht überschaubare Welt ,geworfen' erscheint,23 so wird er in Shakespeares Terminologie von Fortune auf die Reise geschickt, auf der er von Stürmen bedroht wird, deren Ursache rational nicht ergründet werden kann. Besonders deutlich wird dies in der Szene III, 1, in der mit Marinas Geburt und Thaisas (Schein-)Tod die beiden Grenzpunkte menschlicher Existenz vor dem Hintergrund eines Seesturms zur Darstellung kom24

men. Shakespeares Reaktion auf die Erkenntnis dieser Befindlichkeit ist jedoch eine andere als die moderner Existentialisten, für die ein Aufbegehren gegen eine Befindlichkeit, in der ,Sein' und ,Leiden' gleichbedeutend sind - Jean-Paul Sartre nennt dieses Aufbegehren eine „rupture néantisante avec le monde et avec soi-même" -, 2 5 zu einer Freiheit führt, die sich im Handeln manifestiert.26 Für Shakespeare ist der Mensch hingegen keineswegs „condamné à être libre". 27 Vielmehr wird er als ,Seereisender' gerade dann, wenn er im Sturm auf ein eigenes Wollen verzichtet, vom Schicksal seinem eigentlichen Bestimmungsort zugeführt: Die Form der Seereise stellt bei Marina und Pericles ebenso wie im antiken Epos und Roman Geduld, Schicksalsergebenheit und Standhaftigkeit auf die Probe, Qualitäten, die dem Dramenhelden zum happy ending verhelfen. Die im Pericles und anderen Dramen Shakespeares zum Ausdruck kommende Weltsicht scheint also eher der der frühen christlichen Denker zu entsprechen, mit dem Unterschied freilich, daß Shakespeares Dramenhelden ihr Heil bereits im Diesseits finden. 28 22 23

24 25

26 27 28

Siehe o. S. 234. Siehe z . B . Martin Heidegger, Sein und Zeit (Tübingen, 10 1963 ['1927]), S. 192 et passim. Siehe o. S. 204-206. Jean-Paul Sartre, L'être et le néant: Essai d'ontologie phénoménologique (Paris, 1 8 1949 ['1943]), S. 514-515. Ebd., passim, vor allem S. 508-516. Ebd., S. 515. Christliche Untertöne finden sich bereis in der überlieferten Fassung der Historia Apollonii, die im Umfeld des frühen Christentums entstand und auf die die Quellen des Pericles zurückgehen. F. D . Hoeniger stellt in der Einleitung seiner Arden-Edition des Dramas zudem Übereinstimmungen in der Struktur des Pericles und alter englischer miracle plays fest (S. lxxxviii—xci). So zutreffend diese Beobachtungen auch sein mögen, so stellt sich doch die Frage, ob es sich nicht eher um Ubereinstimmungen mit der Gattung ,Heiligenleben' allgemein als mit den miracle plays im besonderen handelt. Demnach wäre also auch Hoeniger zu ,gattungsimmanent' vorgegangen. Das Heiligenleben

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Beim glücklichen Ausgang des Dramas wird auf die Bedeutung der wichtigsten Tugend eines Seereisenden noch einmal hingewiesen: So kann die gegenseitige Wiedererkennung von Marina und Pericles, eine Anagnorisis wie im antiken Drama, nur gelingen, weil Marina geradezu als Verkörperung von "Patience" vor ihrem in Melancholie versunkenen Vater erscheint (V, 1,138). Mit einer Seefahrtsmetapher bringt Pericles schließlich seine Freude über diese Wiedererkennung zum Ausdruck. Innerhalb weniger Verse spricht er dabei von "sea" sowohl in der metaphorischen als auch in der wörtlichen Bedeutung, so daß die Verbindung der beiden Bedeutungsebenen, die das ganze Drama durchzieht, noch einmal herausgestellt wird: . . . Give me a gash, p u t me to present pain, Lest this great sea of joys rushing upon me O'erbear the shores of m y mortality, A n d drown me with their sweetness. O , come hither, T h o u that beget'st him that did thee beget; T h o u that wast born at sea, buried at Tharsus, A n d found at sea again . . . (V, 1, 191-197)

Auch in The Winter's Tale erfüllen die See und die Naturgewalten weniger die Funktion, den Seereisenden in seiner Individualität zu charakterisieren, als vielmehr die menschliche Befindlichkeit allgemein zu veranschaulichen. Wie in Pericles (III, 1), werden in The Winter's Tale in einer Szene (III, 3) Geburt und Tod mit den Naturgewalten in Verbindung gebracht. 29 Das hilflose Baby Perdita wird in einer öden Umgebung ausgesetzt. Im anschließenden Seesturm gehen die Seeleute zugrunde, während Antigonus von einem Bären zerrissen wird. Dennoch liegt im Phänomen der Geburt, im Dasein des Babys, das hier seinen Lebensweg beginnt, der Keim zu einer glücklichen Entwicklung. Die Worte des alten Schäfers an seinen Sohn: " . . . N o w bless thyself: thou met'st with things dying, I with things new-born . . . " (Ill, 3, 112-113) markieren einen entscheidenden Wendepunkt im Drama. Perditas Rückreise nach Sizilien erfolgt dann unter ganz anderen Bedingungen: Florizel und Perdita haben die für Seereisende erforderliche Einstellung, das heißt die Hoffnung auf ein günstiges Schicksal und die Bereitschaft, die Dinge auf sich zukommen zu lassen; außerdem kann ihr Reiseziel zu einem endgültigen ,Zuhause* werden.

29

wiederum ist ursprungs- und wesensgemäß doch wohl eher eine Literaturform der episch-romanhaften Tradition, in der etwa auch der oben (S. 265) erwähnte .christliche Roman' Recognitions steht. Siehe o. S. 90.

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Wie in P e r i c l e s scheint in diesem Drama ein Zusammenhang zwischen den Naturgewalten und den lenkenden Schicksalsmächten zu bestehen, die zornig oder gnädig sein können. Ein Seemann sagt bei der Landung an der böhmischen Küste: . . . the skies l o o k grimly, A n d threaten present blusters. In m y conscience, T h e h e a v e n s with t h a t w e h a v e in h a n d are a n g r y , A n d f r o w n u p o n 's. ( I l l , 3 , 3 - 6 )

So begründet diese Deutung der Naturgewalten auch erscheinen mag, so bleiben die Schicksalsmächte doch wie in P e r i c l e s unsichtbar; ihr Wirken wird nur angedeutet. Aus diesem Grund fällt es dem Interpreten schwer, bei der Bewertung der Handlung zu entscheiden, ob ,Zufall',,Schicksal' oder ,göttliche Fügung' vorliegt.30 Auch im Tempest erweist sich der Seesturm, der in der ersten Szene so bedrohlich aussieht, am Ende als segensreich. Die Personen, die in der ersten Szene auftreten, sind anders als Pericles alle keine perfekten Seereisenden, dafür aber individuell charakterisierte Menschen aus Fleisch und Blut. Es ist kein Zufall, daß Ferdinand, der einzige, der sein Schicksal mit der gebührenden Demut und Zuversicht auf sich nehmen wird, in dieser Szene nicht zu Wort kommt: Am Anfang sollen in der Grenzsituation des Seesturms zunächst die Unzulänglichkeiten der reisenden Menschen sichtbar werden, bevor dann an der Gestalt Ferdinands gezeigt wird, wie den Forderungen des Schicksals entsprochen werden kann. Als in der Schlußszene dann eine allgemeine Harmonie erreicht worden ist, werden auch die Naturgewalten, die in diesem Drama von Prospero kontrolliert werden, gnädig sein (V, 1, 314-315). Eine konkrete Seereise steht also am Anfang und am Ende des Dramas. Darüber hinaus wird, wie Wolfgang Clemen herausgestellt hat,31 die See während des Geschehens auf der Insel in Metaphern und Vergleichen immer wieder in Erinnerung gerufen. Der Vergleich der Befindlichkeit des Menschen mit der eines Seereisenden durchzieht also das gesamte Drama. 30

In The Winter's Tale, im Tempest und in anderen Dramen ist von "fortune" ähnlich häufig die Rede wie von "fate" und den " p o w e r s above us", Begriffen, die durchaus nicht bedeutungsgleich sind. Shakespeare scheint den Zuschauer über die genaue N a t u r der höheren Mächte bewußt im unklaren lassen zu wollen. N u r selten findet der eindeutig christliche Begriff "Providence" Verwendung, so im Tempest (1,2, 159 und V, 1,189). O b Prospero, der in diesem D r a m a die Fäden in der Hand hält, Werkzeug einer höheren Macht ist, und welcher, wird jedoch nicht gesagt.

31

Clemen, Imagery,

274

S. 183-187.

Seereisen und Stürme gehen mit den entscheidenden Umwälzungen im Leben der Personen dieses Dramas einher und bilden diese Umwälzungen gewissermaßen ab: Die Seefahrt in der Vorgeschichte, die Prospero und Miranda auf die Insel gebracht hatte (1,2, 144-171), war die unmittelbare Folge des Auseinanderbrechens der auf kindness gegründeten natürlichen Ordnung gewesen. Mit dem von ihm selbst verursachten Sturm stellt Prospero diese natürliche Ordnung wieder her. Der "seasorrow" (1,2,170) wird durch einen "sea-change" (1,2,403) zum Abschluß gebracht. Prosperos Bericht über die in der Vorgeschichte liegende Seefahrt ist ein weiteres Beispiel für die Rolle der Naturgewalten als Parallele zu menschlichen Empfindungen: ... there they hoist us, To cry to th' sea that roar'd to us; to sigh To th' winds, whose pity, sighing back again, Did us but loving wrong. (1,2, 1 4 8 - 1 5 1 )

Wie in King Lear und Pericles werden die Naturgewalten anthropomorph beschrieben, doch während in den früheren Dramen vom Zorn der Elemente die Rede war, auf den der Reisende auf unterschiedliche Weise reagierte, wird den Naturgewalten jetzt zum erstenmal bei der Schilderung ihres Wütens so etwas wie kindness zuerkannt. Deutlich wird auf diese Weise, daß sich Prospero mit der Natur (und damit mit der kosmischen Ordnung) in Harmonie befindet. Im Gegensatz zu anderen Dramengestalten ist er sich des letztlich segensreichen Wirkens der höheren Mächte bewußt. Der Schiffbruch wird in Shakespeares Dramen also in mannigfacher Form als Daseinsmetapher Verwender Wie in der sehr reichhaltigen literarischen Tradition wird durch diese Metapher etwas über die Grenzen ausgesagt, die menschlichem Streben gesetzt sind. 32 Während die Metapher in der Tradition jedoch meist ein Scheitern bedeutet, ein ,Nicht-zum-Ziel-Gelangen', erweist sich der Schiffbruch bei Shakespeare stets - ebenso wie mehrmals in Epos und Roman der Antike — als eigentlicher Beförderer des glücklichen Ausgangs. Diese Rolle nimmt er meist gerade zu dem Zeitpunkt an, zu dem sich die reisende Person ihrer Begrenztheit, ihrer Ohnmacht gegenüber der Allgewalt der .höheren 32

Vgl. Hans Blumenberg, Schiffbruch (Frankfurt a. M., 1979).

mit Zuschauer:

Paradigma

einer

Daseinsmetapher

275

Mächte' bewußt geworden ist. Immer wieder kann der geduldige Seereisende dann wie Viola in Twelfth Night feststellen: " . . . Tempests are kind, and salt waves fresh in love!" (Ill, 4, 394). g) Zusammenfassung Aus dieser Ubersicht über die Reisewege läßt sich ein ähnliches Fazit ziehen wie aus den Untersuchungen der Szenentypen, die Gegenstand des Ersten Hauptteils dieser Arbeit waren: Immer wieder zeigt sich Shakespeares Kunst, ein Grundmotiv auf vielfältige Art zu variieren und die einzelnen Variationen mit bestimmten Bedeutungen auszustatten. Man macht es sich also zu einfach, wenn man die verschiedenen ,exotischen' Schauplätze Shakespeares wie Northrop Frye summarisch als "green world"1 oder wie C. L. Barber als Bereich, in dem eine "holiday "-Atmosphäre herrscht,2 zusammenfaßt, ohne auf die Unterschiede im einzelnen zu achten. Wesentlich ist zum Beispiel der Gegensatz zwischen den Landreisenden, die sich eines bestimmten Ziels bewußt sind, und den Seereisenden, die ihr ,Ziel' in der Regel nicht kennen und dem Wirken eines unbestimmten Schicksals ausgesetzt sind. Auch die fremden Welten, in die die Reisenden geraten, unterscheiden sich sehr voneinander. Oft stellen sie für den Reisenden eine Bedrohung dar,3 oft bieten sie ihm aber auch ein neues Zuhause. Bei aller Verschiedenartigkeit sind bestimmte Grundtendenzen jedoch nicht zu verkennen: Der Dramenheld ist unterwegs, auf der Suche nach einem Ziel, mag es ihm nun bewußt sein oder nicht. Bevor er dieses Ziel erreichen kann, muß er sich bestimmten Prüfungen unterziehen und gegebenenfalls ,geläutert' werden, das heißt an Reife gewinnen. Die Schwierigkeiten auf dem Weg zum Ziel bestehen in der Beschwerlichkeit und den Gefahren der Reise und in der Andersartigkeit der fremden Welt, in die der Reisende gerät. Die Hindernisse, auf die der Reisende trifft, sind dabei stets von der Art, daß sie allein mit der Willenskraft nicht gemeistert werden können. Der Versuch, in der Fremde wie ein Ritter gewaltsam seinen Willen durchzusetzen, ist zum Scheitern verurteilt. William Carroll formuliert im Zusammenhang mit Prospero im Tempest, was für fast alle reisenden Dramenhelden Shakespeares Gültigkeit 1 2 3

N. Frye, z. B. "The Argument of Comedy", S. 68. Barber, a.a.O., S. 4 et passim. Dieser Aspekt etwa wird von Frye und Barber wenig beachtet.

276

hat: " . . . the dream of control must be surrendered if we are to be fully human." 4 Die von Shakespeare gewählten Reiseformen zwingen den jeweiligen Reisenden, darauf zu verzichten, ihren Willen in der ursprünglich geplanten Weise durchzusetzen. Wenn der Reisende die jeweilige Situation jedoch so, wie sie ist, akzeptiert und sich dem Willen des Schicksals unterwirft, dann gelangt er bei Shakespeare auch an sein ,Ziel', das in der Regel in einem happy ending besteht. Der Reisende muß dabei nicht nur die Widrigkeiten auf dem Reiseweg erdulden können, ohne sich gegen sie aufzulehnen und seine Zuversicht zu verlieren, sondern er muß sich beim Erreichen einer fremden Welt auch den in ihr geltenden Gesetzen anpassen und mit den in ihr wohnenden Menschen zu einem von kindness geprägten Verhältnis gelangen. Seine Anpassungsfähigkeit stellt der Reisende, wie schon im Abschnitt über die Begrüßungsszenen deutlich geworden war,5 unter anderem durch seine höfischen Umgangsformen unter Beweis, die der edle Mensch bei Shakespeare nicht nur äußerlich beherrscht, sondern mit denen er sich auch von seiner Natur her identifiziert. Die Untersuchung der Reisewege bestätigt also den Befund, daß die Fähigkeit zur Anpassung im bei Shakespeare zum Ausdruck kommenden Weltbild zum Wesen eines edlen Menschen gehört. 3. Die Bedeutungen der Reiseziele a) Reiseziele in der Literatur vor Shakespeare Alle reisenden Dramenhelden Shakespeares erreichen am Ende des Dramas ein Ziel; ihr Suchen kommt zu einem endgültigen Abschluß.1 In fast jedem Drama wird der Eindruck erweckt, daß das Leben der Personen nach Ablauf der im Drama dargestellten Zeitspanne in geregelten Bahnen verlaufen wird. Wenn ein happy ending vorliegt, wird an 4

5

1

William C. Carroll, The Metamorphoses of Shakespearean Comedy (Princeton, 1985), S. 243. Siehe vor allem o. S. 172-173. Vgl. auch Barber, der die wesensgemäße, menschliche courtesy Violas in Twelfth Night herausstellt; a.a.O., S. 248-249. Hierauf kann nicht nachdrücklich genug hingewiesen werden. Eine interessante Ausnahme, die die Regel bestätigt, ist Jaques in As You Like It. Dieser führt seine Melancholie auf "the sundry contemplation of my travels" (IV, 1, 17-18) zurück und unterscheidet diese Art der Melancholie von anderen Arten wie der Melancholie des Liebenden. Anders als die anderen Dramenhelden reist Jaques nicht, um an ein bestimmtes Ziel zu gelangen, sondern ist ein Reisender ,an sich' und steht als solcher allein bei Shakespeare. Zu Bolingbroke in Richard II als weiterer möglicher Ausnahme siehe u. S. 281.

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dem zukünftigen Glück der Betroffenen kein Zweifel laut, und in den Tragödien scheint sich die gestörte Weltordnung nach dem Tod der Dramenhelden wieder im Lot zu befinden. Nicht die Reise als solche ist also der Hauptzweck der Darstellung, sondern das Reisen im Hinblick auf das Ziel, das am Ende erreicht wird. Auf dieses Ziel wird dann während des ganzen Dramas immer wieder hingewiesen. Im Drama vor Shakespeare spielt das ,Ziel' eines Geschehens meist keine derart zentrale Rolle. So wird in der antiken Tragödie fast immer ein Ausschnitt aus einem größeren mythologischen Zusammenhang zur Darstellung gebracht. Es gibt nicht nur - wie auch bei Shakespeare laufend Verweise auf die Vorgeschichte, sondern auch auf die Zukunft, zum Beispiel in der Form von Prophezeiungen und Flüchen.2 Auch die antiken Komödien sind nicht in dem Maße auf ein bestimmtes Ende hin angelegt wie die Dramen Shakespeares. Bei Plautus und Terenz dient das happy ending oft nur als Abrundung, während das komische Geschehen um die typischen Figuren (wie Alter Mann, Junger Mann, Sklave und Hetäre) das Hauptinteresse des Zuschauers beansprucht.3 Im Gegensatz zum Drama findet sich das Erreichen eines Reiseziels als endgültiger Abschluß einer langwierigen ,Suche' regelmäßig in Epos und Roman: Die Odyssee ist zu Ende, als Odysseus zurückgekehrt ist und die Herrschaft über Ithaka wiedererlangt hat; in der Aeneis hat der Titelheld am Ende, nach seinem Sieg über Turnus, den göttlichen Auftrag erfüllt und ein friedliches Siedeln seiner Landsleute in Italien ermöglicht; 4 am Ende von Heliodors Roman schließlich steht die Wiedererkennung der Charikleia durch ihre Eltern und ihre Vereinigung mit Theagenes in der Ehe. Ein für das Epos typischer Anlaß für eine Reise ist seit der Odyssee die Suche nach Familienangehörigen. Auch in Heliodors Roman, der die Odyssee in mancher Hinsicht imitiert, spielt dieser Anlaß unter anderen eine Rolle. Als Beispiel für eine Übernahme dieses Motivs in der Renaissance kann das erste Buch von Spensers Faerie Queene genannt werden, in dem Una mit Hilfe des Rederosse Knight zu ihren Eltern gelangen und diese aus der Gewalt eines Drachen befreien will. 2

3 4

A m Ende von Sophokles' König Ödipus werden beispielsweise die Verwirrungen um Odipus' Kinder und die Stadt Theben vorausgesagt. Vgl. u. S. 291-292. Natürlich gibt es auch bei Vergil Vorverweise auf die Zukunft, nämlich auf die Geschichte Roms. Diese stehen jedoch deutlich auf einer anderen Ebene als die epische Handlung.

278

Über den Mythos hat das Motiv der Reise mit dem Ziel, Angehörige wiederzusehen, auch ins antike Drama Eingang gefunden. Das bekannteste Beispiel ist sicher das Wiedersehen von Orest und Elektra, das sich in Dramen des Aischylos, Sophokles und Euripides findet. Das wesentliche' Geschehen dieser Dramen ist jedoch nicht das Wiedersehen, sondern die anschließende Ermordung der Klytaimnestra und des Aigisthos. Im Ion des Euripides sucht und findet Kreusa ihren Sohn. In anderen Dramen, der Helena und der Iphigenie in Tauris des Euripides, erfolgt ein Wiedersehen nach einer Reise, ohne daß ihm eine entsprechende Suche vorausgegangen wäre. Auch die antiken Komödien enthalten gelegentlich ein Wiedersehen von Angehörigen nach einer Suche, zum Beispiel Plautus' Rudens, Poenulus und Menaechmi.5 Ein weiteres mögliches ,Reiseziel' ist die Heirat eines Liebespaares. Der griechische Roman ist eine Literaturform, die ganz durch dieses Motiv geprägt ist. Im Mittelalter findet sich diese Form des happy ending als Abschluß einer Reise oder einer quest nur selten, etwa in Floire et Blancheflor.6 Ansonsten ergeben sich in der mittelalterlichen Literaturgattung, die am deutlichsten durch das quest-Motiv geprägt ist, dem höfischen Roman, die Verwicklungen oft erst nach der Eheschließung, man denke an Chrétien de Troyes' Erec und Yvain. In anderen Fällen kommt eine Eheschließung als Möglichkeit der Erfüllung der Liebe gar nicht erst in Betracht, so im Fall von Lancelot und Guinevere und von Tristan und Isolde. 7 Auch an die provenzalische Trobadorlyrik darf hier 5

6

7

Charakteristisch für das antike Drama ist der dramatische Überraschungseffekt, der fast immer mit der Wiedererkennung, der Anagnorisis, verbunden ist. Aristoteles bezeichnet den Fall, in dem die Anagnorisis mit der Peripetie, dem Wendepunkt, zusammenfällt (wie etwa in der Iphigenie in Tauris) als den Idealfall; siehe Poetik, 11.1452a 32-33. Auch aus diesem Grund kann das Wiedersehen in der Regel nicht als der geplante Abschluß einer Reise dargestellt werden wie bei Shakespeare. Das Handlungsmuster dieses Werks geht möglicherweise auf den byzantinischen Roman zurück, bei dem es sich wiederum um einen direkten Ableger des spätantiken griechischen Romans handelt; siehe Erich Köhler, Mittelalter I, ed. Henning Krauß, Vorlesungen zur Geschichte der französischen Literatur, edd. Henning Krauß, Dietmar Rieger (Stuttgart, 1985), S. 167-171. Zur Idealisierung der außerehelichen Liebe im Mittelalter vgl. C. S. Lewis, The Allegory of Love: A Study in Medieval Tradition (Oxford, 1977 ['1936]), S. 13-14 und 35-37. Natürlich gab es auch im Mittelalter gelegentlich Moralisten, die Liebe und Ehe miteinander vereinbaren wollten. In diesem Zusammenhang können Äußerungen in Chrétiens Cligès genannt werden (v. 2241-2272 und 6633-6638; Chrétien de Troyes, Les romans, II: Cligès, ed. Alexandre Micha [Paris, 1975]). Doch gerade diese Äußerungen zeigen, wie schwer die Verwirklichung des Ideals erschien und wie wenig selbstverständlich die Form des happy ending war, die wir bei Shakespeare oft als ,konventionell' erachten.

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erinnert werden. Falls der Liebende in dieser lyrischen Tradition überhaupt auf die Erfüllung seiner Wünsche hoffen konnte, dann stets nur im Rahmen einer geheimen, außerehelichen Beziehung. Erst nach der Wiederentdeckung der griechischen Romane im sechzehnten Jahrhundert, der Zeit also, in der auch eine Neubewertung der Ehe stattfand,8 findet sich die Heirat zweier Liebender wieder vermehrt als eigentlicher Zielpunkt eines fiktionalen Geschehens, so in Tassos Schäferspiel Aminta und Sidneys Roman Arcadia. Der Tod ist in episch-romanhaften Werken oft für Nebenfiguren das ,Ende der Reise', in der Odyssee zum Beispiel für Elpenor, der bei Kirke vom Dach stürzt. Besonders interessant ist eine Formulierung des Aeneas in seinem Bericht bei Dido, wo er anläßlich des Todes seines Vaters Anchises auf Sizilien bemerkt: „... hie labor extremus, longarum haec meta viarum ..." (Aeneis, III, 714). Diese drei Reiseziele, das Wiedersehen, die Liebesheirat und der Tod, spielen bei Shakespeare eine wichtige Rolle. Ein Großteil der epischen Werke der Antike, des Mittelalters und der Renaissance enthält jedoch noch andere Reiseziele: Aeneas' Ziel ist die Ansiedlung der Trojaner in Latium; Helden in den Versromanen des Mittelalters und in den Epen der Renaissance suchen den Gral oder töten einen bösen Kontrahenten oder ein Ungeheuer. Der Zweck dieser Unternehmungen liegt in ihrem Nutzen für die Gemeinschaft und im Gewinn von Ehre und Ruhm für den erfolgreichen Helden. Diese Art von quest scheint Shakespeare weniger interessiert zu haben. Auch wenn er für die Reisewege seiner dramatischen Helden Elemente aus dieser Tradition schöpft, konzentriert er sich bei den Reisezielen auf die drei oben genannten Bereiche, die alle ,privater' Natur sind. Shakespeares offensichtliche Skepsis gegenüber dem ritterlichen Tapferkeitsbegriff ist schon zur Sprache gekommen.9 Die erfolgreichen Reisenden erlangen bei Shakespeare ein privates, 8

9

Ein Hauptgrund hierfür liegt sicher in der Syphilis, die gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts (vermutlich durch Matrosen des Kolumbus) nach Europa kam und sich rasch ausbreitete. Siehe o. S. 2 4 4 - 2 5 1 . Die Sinnlosigkeit individuellen Heldentums im Dienste der Gemeinschaft läßt sich bei Shakespeare noch an weiteren Beispielen aufzeigen: Talbot in Henry VI, Part 1 ist ein tapferer Held, doch er muß scheitern, weil das Gemeinwesen ihn im Stich läßt. Richmond in Richard III entspricht sicher nicht dem ritterlichen Heldenideal, doch mit Gottes Hilfe erringt er den Sieg. Umstritten ist, ob Hamlet mit einer individuellen Heldentat, der Ermordung des Königs Claudius, sich selbst und dem Gemeinwesen hätte helfen sollen oder können. Der Vergleich mit anderen Dramen spricht dagegen; vgl. o. S. 268.

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kein öffentliches Glück. Das heißt nicht, daß dieses glückliche Ende in Dramen wie As You Like It, Cymbeline und The Tempest nicht auch politische Auswirkungen hat, doch sind diese sekundär, daß heißt sie waren nicht das Ziel der Bemühungen der reisenden Dramenhelden.10 Eine mögliche Ausnahme soll an dieser Stelle besprochen werden: Bolingbroke gelingt es in Richard II nach einer mühevollen quest, als Henry IV den englischen Thron zu besteigen. Daß Bolingbroke ein besserer König sein wird als Richard II, kann nach der Schilderung des Dramas nicht bezweifelt werden. Trotzdem endet das Drama nicht mit dem happy ending von Bolingbrokes Thronbesteigung, sondern mit dem schlechten Gewissen des neuen Königs wegen Richards Tod. Shakespeares Abneigung gegen ,öffentliche Heldentaten' wird deutlich: Durch einen Staatsstreich wie den Bolingbrokes kann kein journey's end erreicht werden. Bolingbrokes Verse am Schluß des Dramas zeigen, daß seine Reise noch keineswegs zu Ende ist: . . . I'll make a voyage to the Holy Land, To wash this blood off from my guilty hand. March sadly after; grace my mournings here In weeping after this untimely bier. (V, 6, 4 9 - 5 2 )

Wie sich in den in der Tetralogie folgenden Dramen (Henry IV, Parts 1 and 2) zeigt, ist am Ende von Richard II durchaus kein harmonisches Gleichgewicht erreicht worden, wie dies sonst bei Shakespeare der Fall ist. b) Das Wiedersehen am Ende der Reise Wie in einigen Komödien des Plautus und des Terenz ist das Wiedersehen von nahen Verwandten, vor allem von Vater und Sohn, in Shakespeares früheren Dramen ein Geschehen, das dazu beiträgt, die Handlung zu entwirren, das jedoch nicht das Hauptgewicht des Zuschauerinteresses beansprucht. In The Taming of the Shrew kommt es nach einer bewegten komischen Handlung um den Pedant, der sich als Lucentios Vater ausgibt, und Vincentio, dem wirklichen Vater Lucentios, zu einem sentimentalen (wenn auch knappen) Wiedersehen zwischen Vater und Sohn (V, 1,102). Durch dieses unerwartete Wiedersehen fliegt die Intrige mit den falschen Identitäten auf, mit deren Hilfe sich Lucentio Bianca nähern und sie 10

Zur Verbindung der privaten mit der politischen Ebene beim happy ending einiger Dramen siehe u. S. 304.

281

schließlich heiraten konnte. Vincentio jedoch ist so glücklich darüber, daß sein Sohn noch lebt, daß er sofort seinen Segen zu dieser Ehe gibt und sogar bereit ist, die Angelegenheit in einer auch Baptista zufriedenstellenden Weise zu regeln (V, 1,124). Dieses Wiedersehen ist jedoch nicht das eigentliche happy ending des Dramas. Dieses besteht vielmehr in der Harmonie, zu der Petruchio und Katherina gelangen und die, wie die Schlußszene zeigt, dauerhafter ist als die von Lucentio und Bianca. In diesem frühen Drama bedient sich Shakespeare also einer Komödienkonvention, um sie kritisch zu hinterfragen. In The Two Gentlemen of Verona erhält diese Konvention eine größere Bedeutung für den glücklichen Ausgang. Zwar ist das Wiedersehen Valentines mit seinem Freund Proteus von unerfreulichen Umständen begleitet (V, 4, 59-61), doch führt das sentimentale Wiedersehen des Herzogs mit Valentine direkt zum happy ending, das in der Vereinigung von Valentine und Silvia besteht.1 In The Comedy of Errors bekommt das Wiedersehen mit Angehörigen schließlich einen Stellenwert, der den der Komödienkonvention weit übersteigt. Das Wiedersehen steht als journey's end am Abschluß einer langen, mühevollen Suche. Im Unterschied zur Quelle, Plautus' Menaechmi, werden in diesem Drama die Reisen, die Egeon und Antiphon s of Syracuse unabhängig voneinander auf der Suche nach Emilia und dem anderen Antipholus nach Ephesus geführt hatten, besonders hervorgehoben. Hierdurch erhält das Ende des Dramas in weit deutlicherer Form als bei Plautus den Charakter eines endgültigen Abschlusses eines langwierigen Geschehens. Bei Plautus wird die Vorgeschichte nur im Prolog erzählt. Die Person Egeons und das dramatische Element von Egeons Todesurteil, das die Handlung in der Comedy of Errors überschattet, fehlen in der römischen Komödie. Auch in der Schlußszene der Menaechmi kommt das Thema der Reise und der Suche, der im Prolog ein einziger Vers gewidmet war (71), nicht mehr zur Sprache. Bei Shakespeare ist das Wiedersehensgeschehen durch die Person des Herzogs und die Verdoppelung des Zwillingspaares kompliziert und wird durch das zusätzliche Wiedersehen von Mann und Frau sowie von Eltern und Kindern sentimentaler ausgestaltet als bei Plautus. Die Entdeckung der Identitäten wird durch Emilia eingeleitet, zu der Antipholus und Dromio of Syracuse geflohen waren (V, 1, 341-345). Der Herzog begreift die Zusammenhänge als erster. Er schlägt die Brücke zum Bericht Egeons in der ersten Szene des Dramas und lenkt den Blick 1

Vgl. u. S. 295.

282

auf den Schiffbruch zurück, der die ganzen Verwicklungen verursacht hat. Hiermit macht er den strukturellen Rahmen des Dramas deutlich: Why, here begins his morning story right: These two Antipholus', these two so like, And these two Dromios, one in semblance, Besides her urging of her wrack at sea. These are the parents to these children, Which accidentally are met together. (V, 1, 3 4 6 - 3 5 1 )

Die Geschichte des "fatal raft" (V, 1, 354) wird jetzt, wie sie durch das Wiedersehen zu einem Abschluß kommt, noch einmal resümiert. Der abschließende Wunsch Emilias, über alle "fortunes" (V, 1,395) noch einmal in Ruhe zu reden, macht deutlich, daß das Geschehen tatsächlich ein Ende gefunden hat. Dadurch, daß das Erlebte zum Gegenstand von Gesprächen wird, wird es auf eine entferntere Realitätsebene gehoben, im Grunde die der Literatur.2 Ein weiteres Element, das den Abschluß des Geschehens kennzeichnet, ist das Fest, mit dem das Wiedersehen gefeiert werden soll (V, 1, 405-407). Durch die Betonung der Zeitdauer, die zwischen dem Beginn des Geschehens und dem Augenblick des Wiedersehens liegt, wird die ,epische Dimension' des Dramas hervorgehoben. So sagt Emilia in ihrer abschließenden Rede: . . . Thirty-three years have I but gone in travail O f you, my sons, and till this present hour My heavy burden ne'er delivered . . . (V, 1, 4 0 0 - 4 0 2 )

Das travel-travail-Wortspiel ist charakteristisch. Wie später in Pericles werden hier die Mühen der Seereise mit dem Phänomen der Geburtswehen verknüpft, wodurch das Reisegeschehen eine symbolische Funktion als Abbild einer menschlichen Grenzsituation erhält. Die travails der Emilia haben ebenso wie die travels des Egeon in dem Wiedersehen mit den Söhnen ihr Ende gefunden. In zwei weiteren Dramen, As You Like It und King Lear, besteht der Anlaß für eine Reise ebenfalls darin, Angehörige wiederzusehen. Rosalind bricht mit Celia und Touchstone zum Forest of Arden auf, um dort ihren Vater, Duke Senior, aufzusuchen. Lear hat kein Ziel mehr, als er von Goneril und Regan vor die Tür gewiesen worden ist, bis Gloucester

2

Vgl. Dennis Kay, "'To hear the rest untold': Shakespeare's Postponed Endings", Renaissance Quarterly 37 (1984), S. 207-227.

283

für seinen Transport nach Dover sorgt, wo er bei Cordelia "welcome and protection" (III, 6, 90) finden soll. Das endgültige, vom Schicksal verfügte Reiseziel ist jedoch in beiden Fällen ein anderes: Rosalind wechselt ihr Ziel ohne weiteres, sobald Orlando in Sicht kommt: .. what talk we of fathers, when there is such a man as Orlando?" (Ill, 4, 34-35). Am Ende dieses Dramas steht die Hochzeit des Paares. King Lear hingegen findet im Tod des Titelhelden seinen Abschluß. Beide Dramen sollen in den Abschnitten besprochen werden, die sich auf diese ,realen' Reiseziele beziehen. Ein interessanter Fall ist auch Twelfth Night. In diesem Drama stehen die beiden ,Reiseziele', die schon am Anfang deutlich werden,3 das Wiedersehen von Viola und Sebastian und die Hochzeit Violas mit Orsino, gleichberechtigt nebeneinander. Ähnliches gilt für die Ziele der Reisenden in den drei letzten von Shakespeare allein verfaßten Dramen (Cymbeline, The Winter's Tale und The Tempest). Diese Dramen, deren happy ending mit einer allgemeinen und allumfassenden Harmonie einhergeht, sollen in einem besonderen Abschnitt besprochen werden. Ein Drama, in dem das Motiv des Wiedersehens ganz im Mittelpunkt steht, ist hingegen Pericles.4 Wie in der Comedy of Errors findet dieses Motiv hier gleich mehrfach Verwendung: Zum Wiedersehen von Vater und Tochter kommt das Wiedersehen der Eheleute Pericles und Thaisa hinzu. Während das Thema der Suche und Reise in der Comedy of Errors jedoch eine Komödienhandlung umrahmt, ist es in Pericles alleiniger Gegenstand des dramatischen Geschehens. Bei der Darstellung der Geburt Marinas auf dem Meer, die den Scheintod zur Folge hat, wird die irvwdzV-Metapher und das traveltravail-Wortspiel in konkrete Handlung umgesetzt. Es wird deutlich, daß das gesamte Reisegeschehen in Pericles ebenso wie diese Geburt neben der wörtlichen auch eine übertragene Bedeutung hat. Wie bei der Geburt Mühen und Schmerzen, ja sogar der Tod in Kauf genommen werden müssen, damit neues Leben entsteht, muß Pericles in diesem Drama die Widrigkeiten des Reisens in Kauf nehmen, um an das journey's end zu gelangen, das für Pericles eine ,Wiedergeburt' bzw. eine ,Erlösung' von seinen Leiden darstellt. 5 3 4

5

Siehe u. S. 3 0 5 - 3 0 6 . Zwar kommt es am Ende dieses Dramas zu einer Ehe zwischen Lysimachus und Marina, doch scheint diese Wendung nur der Abrundung des Geschehens zu dienen, während der Hauptakzent auf dem Wiedersehen liegt. Pericles redet Marina mit den Worten an: " . . . Thou that beget'st him that did thee b e g e t . . ( V , 1,195). Zum Regenerationsmotiv vgl. ζ. Β. Tillyard, Last Plays, S. 2 2 - 2 6 .

284

Das Erreichen des Reiseziels, das Wiedersehen mit Marina in der Szene V, 1, geht für Pericles mit einer Heilung von seiner Melancholie einher. Wie für Lear, der beim Wiedersehen mit Cordelia von seinem Irrsinn geheilt wird, bedeutet diese Begegnung für Pericles eine Wiedergewinnung des Gebrauchs der Sinne und des Verstands. Das bereits in der Comedy of Errors zum Ausdruck kommende pattern, bei dem das Erreichen des Reiseziels ein Ende der Leiden darstellt, wird hier also durch ein zusätzliches Handlungselement veranschaulicht. Der Zustand harmonischer Ruhe, den Pericles am Ende der Szene erreicht, wird durch die "music of the spheres" (V, 1,228),abgebildet', die nur Pericles hört. 6 Die Wiedererkennung - und damit Pericles' Heilung - geht in kleinen, dramatisch außerordentlich effektiven Schritten vor sich. Erst nach über hundert Versen gewinnt Pericles die Gewißheit, daß es sich bei dem Mädchen wirklich um seine Tochter handelt. 7 Die Form der schrittweisen Anagnorisis von Vater und Tochter findet sich bereits in King Lear (IV, 7), 8 wird in Pericles jedoch dadurch kompliziert, daß auch Marina nicht weiß, wen sie vor sich hat. Im Unterschied zur Quelle, Twines Paíteme of Painefull Aduentures, weiß in diesem Drama auch Lysimachus nichts davon, daß Marina Pericles' Tochter ist. Er schickt sie zu ihm, weil er glaubt, sie könne Pericles "with her sweet harmony / And other chosen attractions" (V, 1, 4 4 - 4 5 ) aus seinem Stupor reißen. Lysimachus wird somit - wie auch andere Nebenpersonen in Shakespeares späten D r a m e n - , 9 ohne es zu wissen, zum Werkzeug eines gnädigen Schicksals, dessen Wirkungsmechanismen der Mensch nicht übersehen kann. Auch Diana, die als Repräsentantin dieses Schicksals am Ende der Szene V, 1 auftritt und Pericles in einer Vision nach Ephesus zu ihrem Tempel bestellt, sagt nicht, was Pericles dort erwartet. D a er jedoch trotzdem gehorsam ist, kann es in der Schlußszene zum Wiedersehen mit Thaisa und damit zum endgültigen happy ending kommen. Im Augenblick der Wiedererkennung faßt Thaisa Pericles gegenüber den Beginn der Verwicklungen noch einmal prägnant zusammen: "Did you not name a tempest, / A birth and death?" (V, 3, 33-34). Hiermit wird 6

7 8

9

Vgl. die Rolle der Musik in der Schlußszene des Merchant of Venice und Knight, Tempest, S. 228. Vgl. o. S. 273. Vgl. auch die gegenseitige Wiedererkennung von Viola und Sebastian in Twelfth Night (V, 1, 224-251). Vgl. etwa Autolycus in The Winter's Tale; siehe o. S. 193.

285

ähnlich wie in der Comedy of Errors herausgestellt, daß das ,epische' Reisegeschehen nunmehr abgeschlossen ist. Wie in der Comedy of Errors wird diese Abgeschlossenheit durch die Verabredung, sich in Ruhe über die Ereignisse zu unterhalten (V, 3, 63-68 und 83-84), besonders betont. In der Comedy of Errors und im Pericles findet eine jahrelange, mit ausgedehnten Seereisen durchgeführte Suche nach nahen Angehörigen einen erfolgreichen Abschluß. In beiden Dramen wird das Reiseziel erst zu einem Zeitpunkt erreicht, zu dem die Reisenden die Suche schon aufgegeben haben. Erst wenn der Lauf des Schicksals als unabwendbar akzeptiert wird, erweist sich dieses als gnädige Macht. Das Wiedersehen erhält in diesen Dramen jene Bedeutung, die ihm in der Odyssee und im spätantiken Apollonius-Roman (der von Gower und Twine nacherzählt wird und somit indirekt Shakespeares Quelle für beide Dramen darstellt) zukommt: Für die Reisenden bedeutet es, wie bei Shakespeare in den Geburtsmetaphern zum Ausdruck gebracht wird, die Möglichkeit eines Neuanfangs bzw. die Wiedergewinnung der eigenen Identität. Die Zugehörigkeit zu einer Familie bzw. einer Gemeinschaft erweist sich erneut als eines der wichtigsten Elemente des Charakters bzw. Wesens von Shakespeares reisenden Dramenhelden. 10 c) Der Tod als Reiseziel Wie auch im letzten Abschnitt deutlich wurde, haben es Shakespeares Dramenhelden nicht in der Hand, ihr Schicksal in ihrem Sinne zu lenken. Wenn sie ihr Reiseziel erreichen, dann ist das in der Regel nicht ihrem eigenen planvollen Handeln zuzuschreiben. Dies zeigt sich vor allem in den Fällen, in denen — wie bei Rosalind in As You Like It - das letztlich erreichte Reiseziel ein ganz anderes ist als das, welches zunächst ins Auge gefaßt wurde. Ähnliches gilt auch für die großen Tragödien, in denen sich die Aussage des Player King in Hamlet als zutreffend erweist: ... Our wills and fates do so contrary run That our devices still are overthrown: Our thoughts are ours, their ends none of our own ...

(Ill, 2, 206-208)

10

Vgl. o. S. 9 7 - 9 8 und 172 zu den Abschieds- und Begrüßungsszenen.

286

So ist der Tod, wenn man von Gloucester in King Lear absieht,1 zwar nie das erklärte ,Reiseziel' der Dramenhelden, doch tritt er in den Tragödien oft an die Stelle eines ursprünglichen Vorhabens der reisenden Personen. Schon in Romeo and Juliet findet die Reise des Dramenhelden nicht das ursprünglich geplante Ende. In der Abschiedsszene (III, 5) hatten sich die Liebenden das Wiedersehen zum Ziel gesetzt.2 Friar Laurence hat eine scheinbar sichere ,Marschroute' angegeben. Diesem Plan stehen jedoch vage Vorahnungen gegenüber, die sich am Ende des Dramas bewahrheiten: Friar Laurence bemerkt: "These violent delights have violent ends..." (II, 6, 9) und auch Juliet fürchtet um die Zukunft: " O God, I have an ill-divining soul! . . . " (111,5,54). Zusammen mit dem tragischen Schluß bilden diese Vorahnungen gewissermaßen einen Rahmen für das Reisegeschehen. Das tragische Ende von Romeo and Juliet scheint auf den ersten Blick in stärkerem Maß das Ergebnis einer Verkettung von unglücklichen Zufällen zu sein und sich weniger aus Grundsituation und Charakteren zu ergeben als in den späteren, ,großen' Tragödien. So betritt Friar Laurence unmittelbar nach Romeos Tod mit den Worten "Saint Francis be my speed" (V, 3,121) die Bühne, wo er eingestehen muß: " . . . A greater power than we can contradict / Hath thwarted our intents . . . " (V, 3, 153-154). Trotzdem läßt sich auch in diesem Drama das übliche pattern feststellen, das den Verlust des ,Zuhause', die Reise und die Prüfung des Reisenden umfaßt. Aufgrund seines jugendlichen Ungestüms - sicher kann man schon von Ansätzen zu einem tragic flaw sprechen - reagiert Romeo auf das Verbannungsurteil mit hysterischer Verzweiflung anstatt mit geduldiger Schicksalsannahme (III, 3, 12-73). Auch wenn es Friar Laurence zunächst gelingt, Romeo zu beruhigen, kann er seinen Charakter nicht grundsätzlich beeinflussen. So begehrt Romeo an seinem Verbannungsort bei der Nachricht von Juliets Tod erneut gegen das Schicksal auf: "Then I defy you, stars!" (V, 1,24). In seiner Verzweiflung beschließt er, an Juliets Grabstätte Selbstmord zu begehen. Wäre er statt dessen zu einer stoisch-christlichen Demut in der Lage gewesen, dann - so kann der Zuschauer annehmen - wäre der Plan des Friar Laurence gelungen, und für Romeo und Juliet wäre es zu einem happy ending gekommen.3 So aber wird der Tod zum einzigen ,Reiseziel' 1 2 3

Siehe o. S. 203. Siehe o. S. 41-42. Genau die Qualitäten, die Romeo fehlen, besitzt Imogen in Cymbeline; S. 190-191.

siehe o.

287

Romeos. Sein Monolog vor seinem Selbstmord enthält eine Reisemetapher, die seine ungestüme Natur charakterisiert: . . . C o m e , bitter conduct, come unsavoury guide, T h o u desperate pilot now at once run on The dashing rocks thy seasick weary bark . . . (V, 3, 116-118)

Wie später in Hamlet und Macbeth erhält das tragische Ende von Romeo und Juliet einen Sinn, der in der Wiederherstellung der natürlichen Ordnung besteht: Die Häupter der Häuser Capulet und Montague versöhnen sich. Die gewonnene Ruhe wird durch die übliche Schlußformel, den Hinweis auf miteinander zu führende Gespräche, veranschaulicht: " . . . G o hence to have more talk of these sad things..." (V, 3,306), sagt der Prinz zu den Trauernden. Auch Othellos Tod wird dem Zuschauer durch eine Reisemetapher als das Ende einer Reise, das Erreichen eines Zieles präsentiert. Kurz vor seinem Selbstmord sagt der Titelheld: . . . H e r e is m y journey's end, here is m y butt, A n d very sea-mark of my utmost sail . . . (V, 2, 2 6 8 - 2 6 9 )

Diese Metapher ist zu der tatsächlichen Seereise Othellos und Desdemonas, die bei der Landung auf Zypern in der Szene II, 1 ihr Ende findet, in Beziehung zu setzen. Wie oben ausgeführt wurde, 4 markiert diese Szene von ihrem Typ her den glücklichen Abschluß eines Reisegeschehens. Trotzdem scheint Othello, wenn er von "unknown fate" (II, 1,193) spricht, zu ahnen, daß die Landung in Zypern noch nicht sein wirkliches journey's end darstellt. Othello ist schon von seiner Natur her ein ,Reisender': Seine Hautfarbe und sein Charakter machen ihn zum Fremden, 5 der sich sein Zuhause erst suchen muß. In der Szene I, 3 berichtet er dem Herzog, wie er Desdemona von seinen Erlebnissen in fernen Ländern erzählt und dabei ihre Liebe gewonnen hat (I, 3, 128-170). Seine Tragik besteht darin, daß er glaubt, ein Zuhause durch ritterliches Streben gewinnen zu können. So muß er am Ende erkennen, daß er sein Schicksal ebensowenig wie alle anderen Menschen durch eigenes Handeln unter seine Kontrolle bringen kann: " . . . Who can control his fate? . . . " (V,2,266). Dadurch, daß er seine Ohnmacht gegenüber dem Schicksal einsieht, gewinnt er an Menschlichkeit.6 4 5

6

Siehe o. S. 145-147. Vgl. o. S. 147-148. Zur symbolischen Bedeutung von Othellos Hautfarbe siehe z. B. Fiedler, a.a.O., S. 143-146. Vgl. o. S. 276-277. 288

Wie in der Comedy of Errors und in Pericles nimmt der Rückblick auf die Vergangenheit in der Schlußszene von Othello einen wichtigen Platz ein: Othello verweist auf die Heldentaten, die er mit seinem Schwert vollbracht hat (V, 2 , 2 6 2 - 2 6 5 ) , und bittet die Anwesenden in einer Rede, die er seinem Selbstmord vorausgehen läßt, in Venedig wahrheitsgemäß über das Geschehene zu berichten: . . . I have done the state some service, and they k n o w ' t ; N o more of that: I pray y o u in y o u r letters, When you shall these unlucky deeds relate, Speak of them as they are; nothing extenuate, N o r set down aught in malice; then must y o u speak O f one that lov'd not wisely, but too well . . . (V, 2, 340 - 3 4 5 ) 7

Die übliche Abschlußformel erfährt hier also gleichsam eine tragische Umformung. 8 Auch in King Lear findet sich die Struktur, bei der ein Dramenheld ein Zuhause verliert und nach einer beschwerlichen Reise schließlich zu einem Reiseziel gelangt. 9 Durch zwei schwere Fehler, die in einem tragic flaw begründet sind, die Aufteilung des Reiches und die Verfluchung Cordelias, begibt sich Lear des ihm zukommenden Platzes in der Welt und wird heimatlos. Infolge seines hohen Alters ist der Tod für ihn als Endpunkt der Mühen vorgezeichnet, doch ohne ein Zuhause ist ihm ein ruhiges Sterben, wie er es sich in der Anfangsszene wünscht ("...while we / Unburthen'd crawl toward death 1,1, 39-40), nicht vergönnt. Er muß zunächst Ruhe und patience wiedergewinnen, was ihm erst beim Wiedersehen mit Cordelia gelingt. Kennzeichnend ist, daß er nach Cordelias Tod bei aller Verzweiflung die Hoffnung, daß sie vielleicht noch lebt, nicht aufgibt. So bittet er um einen Spiegel, um ihren Atem aufzufangen (V, 3 , 2 6 0 - 2 6 2 ) , und glaubt, noch Leben in Cordelia festzustellen: This feather stirs; she lives! if it be so, It is a chance with does redeem all sorrows That ever I have felt. (V, 3, 2 6 4 - 2 6 6 )

7

8 9

Zitiert, wie immer, nach der Arden-Edition. In Vers 343 lautet die vermutlich vorzuziehende Lesart des First Folio: "Speak of me as I a m . . . " (V, 2, 345 in der Ausgabe Alexanders). Vgl. die Worte Hamlets am Horatio (V, 2, 351-354). Vgl. die Feststellungen Maynard Macks, der in King Lear "the shape of pastoral romance" von Shakespeares Komödien wiederfindet; King Lear in Our Time (London, 1966), S. 63-66.

289

Natürlich ist Bradleys Deutung, daß Lear im Augenblick seines Todes im Glauben, Cordelia sei am Leben, eine unerträgliche Freude empfindet, 10 in diesem Zusammenhang relevant. Da der Tod für Lear eine Erlösung von seinen Leiden darstellt, würde hier also seine Zuversicht wie die von Reisenden in anderen Dramen ,belohnt' werden. O b hieran eine christliche Interpretation angeknüpft werden kann, bleibt zu bedenken. 11 Die Reise Lears wäre dann nicht nur ein Bild für seine ,Lebensreise', sondern auch für den Leidens- und Heilsweg der menschlichen Seele. Im Gegensatz zu den anderen Tragödien bleibt die Gesamtsituation am Ende trostlos. In den Schlußworten Edgars wird noch einmal betont, daß der Tod für Lear ein Ende seiner Leiden bedeutet: . . . The oldest hath borne most: we that are young Shall never see so much, nor live so long. (V, 3, 3 2 4 - 3 2 5 )

Die Gemeinsamkeit der reisenden Helden der drei besprochenen Dramen besteht in ihrem Unvermögen, ein Zuhause zu finden. Daran, daß der Tod als ,Ziel einer Reise' in Erscheinung treten kann, wird erneut die existentielle Bedeutung des Reisemotivs bei Shakespeare sichtbar. Auch die Funktion der Reise als ,Ritus des Übergangs' bestätigt sich in den hier untersuchten Dramen. Die Heimatlosigkeit ist auch ein Charakteristikum derjenigen tragischen Helden, deren Tod nicht als das ,Ende einer Reise' gelten kann. 12 So isolieren sich Richard III und Macbeth von der Welt, indem sie die höfische Gesellschaftsordnung, der sie angehören, durch ihren Ehrgeiz und ihre Mordtaten zerstören. Richard sagt bereits in Henry VI, Part 3: " I am myself alone" (V, 6, 83). Er wählt also von vornherein die Rolle des Einzelkämpfers. Macbeth hingegen zerstört die höfische Gemeinschaft, die sein Zuhause war, indem er einen ihrer wichtigsten Riten auf eklatante Weise verletzt, den der Gastlichkeit. 13 Auch Hamlet, Antony 10

Bradley, a.a.O., S. 241. Vgl. Edgars Bericht von Gloucesters Tod (V, 3, 1 9 5 - 1 9 8 ) ; siehe auch o. S. 2 0 3 - 2 0 4 .

11

Vgl. z. B. Helen Gardner, King Lear (London, 1967), S. 2 7 - 2 8 . Dennoch findet auch der .Lebensweg' dieser Personen gelegentlich Ausdruck in Metaphern und Vergleichen aus dem Bereich des Reisens. Charakteristisch ist etwa der Vergleich mit dem in einem unwegsamen Wald verirrten Wanderer, mit dem Richard

12

III seine Situation umschreibt ( H e n r y VI, Part 3, III, 2, 1 7 4 - 1 8 1 ) . Mit diesem Vergleich kontrastieren die Seefahrtsmetaphern Queen Margarets (V, 4, 3—36), mit denen sie vor der Schlacht bei Tewkesbury an die Edelleute auf Henrys Seite appelliert, zusammenzuhalten. 13

Vgl. o. S. 1 5 2 - 1 5 5 .

290

und Coriolanus sind an ihren jeweiligen Aufenthaltsorten nie völlig zu Hause, was zu Konflikten führt, die ein tragisches Ende nehmen.14 d) "Journeys end in lovers meeting" Der häufigste Endpunkt reisender Dramenhelden bei Shakespeare ist die Liebesheirat. Diese Form des happy ending ist uns durch den Roman des achtzehnten und vor allem des neunzehnten Jahrhunderts und natürlich durch den modernen Spielfilm so vertraut, daß wir sie für trivial halten und glauben, sie bei Shakespeare als ,konventionell' entschuldigen zu müssen, anstatt die Frage nach der literarhistorischen Stellung und Entwicklung dieses Handlungsmusters zu stellen. Bei einer solchen Untersuchung ist zunächst die überraschende Feststellung zu treffen, daß die Heirat zweier Liebender als das eigentliche ,Ziel' einer dramatischen Handlung vor Shakespeare kaum anzutreffen ist: Wenn in der antiken Komödie am Ende eine Heirat von Liebenden erfolgt, dann dient diese durchweg nur der Abrundung eines dramatischen Geschehens, dessen Hauptinhalt ein anderer ist. In Plautus' Aulularia und Casina etwa spielt die Liebesgeschichte nur im Schlußteil bzw. im Epilog eine Rolle. Der Trinummus dreht sich um die Bemühungen, den Vaterstelle vertretenden Bruder des Mädchens, das im Stück selbst nicht auftritt, zu überreden, das Mädchen zur Heirat ,freizugeben'. In der Cistellaria, im Curculio und im Poenulus geht es darum, wie der junge Liebhaber bzw. sein Sklave genug Geld erschwindeln können, um das begehrte Mädchen käuflich zu erwerben; dieses erweist sich dann am Ende als freigeboren und damit heiratsfähig. Auch im Rudern kann die Liebe eines jungen Mannes zu einer Hetäre dadurch ein glückliches Ende finden, daß diese sich als freigeborenes Mädchen herausstellt. Anders als in den meisten anderen Komödien des römischen Dramatikers führt hier nicht die Intrige, sondern das Wirken eines gnädig gestimmten Schicksals zum glücklichen Ausgang. Doch steht auch in diesem Drama nicht die Liebe, sondern eine Kette von komischen Zufällen im Mittelpunkt des Zuschauerinteresses. Hinzu kommt die Schilderung der Charaktere von Bauer, Fischer, Kuppler und Sklave. Die Darstellung typischer Charaktere steht auch in den Adelphen des Terenz im Vordergrund, einem Drama, in dem die Liebesgeschichte wie in den anderen Fällen nur einen Rahmen darstellt. Schließlich geht es auch in Terenz' Andria nicht so sehr um das Sich-Finden von Liebenden - diese begegnen sich nie auf 14

Zu Hamlet siehe o. S. 137 und 217; zu Antony o. S. 75; zu Coriolanus o. S. 158.

291

der B ü h n e — w i e u m eine Intrigenhandlung und die aus ihr resultierenden komischen MißVerständnisse. 1 Erst bei Shakespeare w i r d das Entstehen eines Liebesbundes z u m eigentlichen Inhalt eines D r a m a s , 2 w ä h r e n d sich bei ihm die Heirat z u m Z w e c k der A b r u n d u n g einer H a n d l u n g , die sich sonst im wesentlichen u m andere D i n g e dreht, n u r recht selten findet, e t w a bei A n n e Page und F e n t o n in The Merry

Wives of Windsor.

A u c h liegt den D r a m e n Shake-

speares, w i e schon C h a r l t o n feststellt, eine grundsätzlich andere K o n zeption v o n der Liebe zugrunde als den römischen K o m ö d i e n . 3 D i e Schwierigkeiten, die sich f ü r den D r a m a t i k e r ergeben, d e r eine mit d e r Heirat des Paares endende Liebesgeschichte z u m eigentlichen Inhalt eines Dramas machen will, w e r d e n in Love's

Labour's

herausgestellt. In diesem D r a m a läßt Shakespeare das happy

ending

Lost an

einer u n v o r h e r g e s e h e n e n W e n d u n g scheitern. B e r o w n e , einer d e r Liebhaber, m u ß feststellen: Our wooing doth not end like an old play; Jack hath not Jill: these ladies' courtesy Might well have made our sport a comedy. (V, 2, 8 6 6 - 8 6 8 ) Es zeigt sich, daß Shakespeare der schematischen A b r u n d u n g eines Dramengeschehens durch die Heirat, w i e sie sich bei Plautus u n d Terenz findet, skeptisch gegenüberstand. Eine weniger schematische, w i r k l i c h keitsnähere Darstellung des Prozesses des wooing

kann jedoch nicht in

dem R a h m e n erfolgen, der dem D r a m a t i k e r in d e r Tradition der drama-

1

2

3

Northrop Frye beschreibt also nur den äußeren Rahmen und nicht den eigentlichen Gehalt der römischen Komödien, wenn er sagt: "New Comedy is certainly concerned with the manoeuvering of a young man toward a young woman, and marriage is the tonic chord on which it ends", "The Argument of Comedy", S. 59. Diese Formulierung in Fryes einflußreichem Aufsatz scheint viele Gelehrte in die Irre geführt zu haben. Ansätze hierzu finden sich gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts auch im italienischen Theater. So endet die 1589 aufgeführte Komödie La pellegrina von Girolamo Bargagli mit der Vereinigung der Liebenden nach einem Reisegeschehen. Das gleiche gilt für das 1576 entstandene Drama I morti vivi von Sforza Oddi, das auf dem griechischen Roman Leukippe und Kleitophon des Achilleus Tatios basiert. Doch können diese Dramen, die die ,drei Einheiten' streng beachten und in denen statische Szenen offensichtlich fehlen, in keiner Weise mit Shakespeare verglichen werden. So bemerkt Marvin Herrick zu La pellegrina, dieses Drama sei "carefully arranged with classical economy" (a.a.O., S. 180), zu I morti vivi, "Oddi relentlessly reduced the Greek argument to a plot that was within the approved limits of neoclassical drama" (a.a.O., S. 188). "The outstanding feature of the whole body of Roman comedy is that whilst it is full of sex, it is almost entirely devoid of love"; Charlton, a.a.O., S. 52. 292

tischen Form vorgegeben ist: "That's too long for a play" (V, 2, 870), wie Berowne sagt. Um eine psychologisch glaubwürdige Darstellung der gegenseitigen Annäherung von Liebenden im Drama dann doch zu ermöglichen, griff Shakespeare in anderen Dramen auf ein Handlungsmuster zurück, das sich in einer nichtdramatischen Tradition fand, der des griechischen Liebesromans und seiner neuzeitlichen Nachahmungen. In den Werken dieser Tradition wird der Vorgang des Aufeinanderzugehens zweier Liebender durch ein Reisegeschehen veranschaulicht. Wie sehr dieses romanhafte Handlungsmuster in der Zeit Shakespeares zum Allgemeingut geworden war, zeigt sich etwa in Festes Lied in Twelfth Night: . . . Trip no further, pretty sweeting: Journeys end in lovers meeting, Every wise man's son doth know. (II, 3, 4 3 - 4 5 )

Unter den Dramen Shakespeares, die dieses Handlungsmuster aufweisen, lassen sich The Two Gentlemen of Verona, A Midsummer Night's Dream, The Merchant of Venice und As You Like It zu einer Gruppe zusammenfassen. Vor einer Besprechung dieser Werke soll jedoch noch kurz auf ein Drama eingegangen werden, in dem das happy ending nicht auf ein Reisegeschehen folgt und das sich aus diesem Grund für einen Vergleich anbietet, auf Much Ado About Nothing: Der sub-plot dieses Dramas, das Geschehen um Hero und Claudio, ist einer Novelle Bandellos entnommen und weitgehend durch die ,unerhörte Begebenheit' der Beschuldigung Heros durch Claudio in der Kirche (IV, 1) bestimmt. Die Charaktere dieser beiden Personen wirken ausgesprochen stereotyp und geben eine Folie für die weit differenzierteren Persönlichkeiten von Benedick und Beatrice ab, deren Geschichte wohl im wesentlichen als Shakespeares eigene Schöpfung anzusehen ist. An diesem Beispiel wird deutlich, warum die Tradition der italienischen Novellen, die wie die griechischen Romane gelegentlich mit einer Liebesheirat schließen, für Shakespeares Gestaltung dieses Themas weniger von Belang ist: Die Heirat erfüllt in den Novellen ähnlich wie in der römischen Komödie vor allem die Funktion der Abrundung einer verwickelten, intrigenhaften Haltung. Charakterliche, psychologische Aspekte, um die es im Roman und bei Shakespeare vor allem geht, sind hingegen von geringerer Bedeutung. Der Tradition der Novelle entstammt ein wesentliches Handlungselement von The Two Gentlemen of Verona: Das Motiv, daß zwei Freunde 293

das gleiche Mädchen lieben, findet sich in Elyots Governour und geht auf eine Novelle Boccaccios zurück. Der besondere Charakter des Dramas liegt jedoch im Reisegeschehen. Diese Thematik, vor allem Julias Aufbruch in Männerkleidern und ihre Tätigkeit als Page beim geliebten Proteus, ist aus Montemayors Diana und Gil Polos Diana Enamorada übernommen.4 In der Schlußszene des Dramas treffen die Lösungen der plots der beiden Quellen als Lösungsmöglichkeiten aufeinander. Wie im Governour überläßt Valentine dem Freundschaftsideal des sechzehnten Jahrhunderts entsprechend seine Geliebte dem Freund: . . . And that m y love may appear plain and free, All that was mine in Silvia I give thee. (V, 4, 8 2 - 8 3 )

Hiermit könnte das Drama enden, und Silvia würde, ohne gefragt zu werden, den Mann zum Gemahl bekommen, der gerade Anstalten gemacht hatte, sie zu vergewaltigen. Da jedoch Julia - verkleidet als Proteus' Page - an dieser Stelle in Ohnmacht fällt, kann das happy ending in der Vereinigung derjenigen bestehen, die bereits im ersten Teil des Dramas zusammengehörten. Die Tugend der constancy erweist sich als wichtiger als die Gebote der Freundschaft unter Männern. Julia wird für ihre Standhaftigkeit und Liebe belohnt, die sie auf ihrer gefahrvollen Reise unter Beweis stellt. Auch die Männer müssen ihr für ihr Glück dankbar sein, und Proteus muß seine Unvollkommenheit eingestehen: " . . . O heaven, were man / But constant, he were perfect. That one error / Fills him with faults..." (V,4, 109-111). In diesem Drama ist ansatzweise bereits jenes Gleichgewicht zwischen Mann und Frau beim Aufbau einer Liebesbeziehung erkennbar, das sich auch bei Montemayor und Gil Polo findet und indirekt wohl auf den griechischen Roman zurückgeht. Die Stellung des höfischen Liebenden als servant der Dame wird ironisiert, vor allem in der Szene II, 4, 5 und durch Julias Pagentätigkeit parodiert, während auf der anderen Seite das ,Selbstbestimmungsrecht' der Frau ein größeres Gewicht erhält als in Elyots Governour und sich Valentines Ansinnen, den ,Besitz' einer Dame an einen Freund abtreten zu können, als absurd erweist. Strukturell liegt ein ähnliches Muster vor wie in den bisher untersuch4

5

Siehe Two Gentlemen, a.a.O., Introduction, S. xxxv-xlv. Leo Salingar läßt die Romantradition außer acht, wenn er das Motiv der Verkleidung nur auf die italienische Komödie zurückführt; Shakespeare and the Traditions of Comedy (Cambridge, 1974), S. 190. Vgl. o. S. 118.

294

ten Dramen: Für den Zuschauer zeichnet sich bereits am Anfang jener Ausgang ab, der nach zahlreichen Verwicklungen, die mit einem ausgedehnten Reisegeschehen einhergehen, auch tatsächlich eintritt. Wie in Epos und Roman wird ein schon am Anfang feststehendes ,Ziel' am Ende erreicht. Die im Ersten Hauptteil dieser Arbeit besprochenen statischen Szenen von 1,1 bis II, 7 bilden zusammen mit der Schlußszene einen Rahmen für die dazwischenliegenden Wirrungen, die den vorauszusehenden Ausgang nicht zu ändern vermögen. Die Endgültigkeit der in der Schlußszene erreichten Lösung wird durch den Auftritt des Herzogs unterstrichen, der sich mit feierlichen Worten an Valentine wendet: . . . Know then, I here forget all former griefs, Cancel all grudge, repeal thee home again, Plead a new state in thy unrivall'd merit, To which I thus subscribe: Sir Valentine, Thou art a gentleman, and well deriv'd, Take thou thy Silvia, for thou hast deserv'd her. (V, 4, 1 4 0 - 1 4 5 )

Der Zusammenhang zwischen der Wiedergewinnung eines ,Zuhause', dem gentleman-ldeal und dem Erreichen des ,Reiseziels', der Vereinigung mit Silvia, wird in diesen Worten deutlich. Die Abgeschlossenheit der Handlung wird schließlich durch die beiden üblichen Schlußformeln, die Ankündigung weiteren Gesprächs über das Vorgefallene (V, 4, 160-161 und 166-169) und den Hinweis auf das bevorstehende Hochzeitsfest mit "triumphs, mirth, and rare solemnity" (V, 4,159), 6 noch einmal hervorgehoben. Auch am Anfang des Midsummer Night's Dream wird deutlich, in der Vereinigung welcher Paare das happy ending bestehen wird. Durch den Schauplatzwechsel und den Tag-Nacht-Gegensatz hebt sich in diesem Drama besonders deutlich ein Rahmen von einem Mittelteil ab, in dem die Verwicklungen stattfinden. Bemerkenswert ist, daß das zeremonielle happy ending bereits in der Szene IV, 1 erfolgt. Strukturell entspricht diese Szene der Schlußszene der Two Gentlemen of Verona. Auch die beiden üblichen Schlußformeln finden sich bereits hier: Theseus kündigt an, " . . . Of this discourse we more will hear anon..." (IV, 1,177) und " . . . We'll hold a feast in great solemnity..." (IV, 1,184). Die Rückkehr zur Normalität wird im anschließenden Gespräch der Liebenden durch das Motiv des Aufwachens aus einem Traum unterstri6

Wie Leech feststellt, entsprechen diese Worte der Formulierung im Diana-Roman; Two Gentlemen, a.a.O., V, 4, 159, 170-171, note.

295

chen. In der Schlußszene, die mit einem Kommentar Hippolytas über die bereits erfolgten Berichte der Liebenden beginnt (V, 1,1), sind die Ereignisse der Nacht bereits völlig in den Bereich der Irrealität gerückt, in dem "the lunatic, the lover, and the poet" (V, 1, 7) zu Hause sind. Die Welt der Normalität, die in The Comedy of Errors und The Two Gentlemen of Verona erst nach dem Ende der Dramen beginnt, wird hier also in das Drama hineingenommen. Der zauberhafte, irreale Charakter des Geschehens im Wald wird durch diesen Kontrast besonders betont. Gelegentlich wird bemerkt (und bemängelt), daß eine der im Wald erfolgten Verzauberungen, die des Demetrius, nicht wieder aufgehoben wird. Hierzu muß festgestellt werden, daß es sich bei dieser Verzauberung (anders als bei der Lysanders) um eine Wiederherstellung eines natürlichen Zustands handelt, der allerdings nur in der Vorgeschichte der Handlung bestand: Demetrius hatte sich schon früher einmal um Helena bemüht, bevor er um Hermia warb (1,1, 106-108 und 242-243). Dieser Wechsel war der widernatürliche Störfaktor, der das ganze Geschehen ausgelöst hatte. Demetrius selbst bezeichnet in der Szene IV, 1 seine vergangene Liebe zu Hermia als "sickness", während er jetzt, nach den Wirrungen der Nacht, "as in health, come to my natural taste" (IV, 1, 172-173) seine Liebe wieder Helena zuwendet. Obwohl das Geschehen schon in der Szene IV, 1 zu einem Abschluß gekommen war, wird die Endgültigkeit der erreichten Lösung am Ende des Dramas noch einmal betont, wenn Titania und Oberon auftreten, um die geschlossenen Ehen zu segnen. Ihr Zerwürfnis und ihre Versöhnung stehen in diesem Drama für die Störung und Wiederherstellung der natürlichen Ordnung, das große Thema Shakespeares. An dieser Ordnung können nun auch die verheirateten Paare teilhaben. Der Eindruck der Dauerhaftigkeit des erreichten Glücks, den Shakespeare bei jedem happy ending zu vermitteln weiß,7 wird dem Zuschauer hier durch die Worte Obérons nahegebracht: . . . To the best bride-bed will we, Which by us shall blessed be;

7

Es besteht also ein Unterschied zu modernen Trivialisierungen des Motivs des happy ending von Liebenden, wie sie sich etwa in Spielfilmen der zwanziger Jahre finden, über die Kurt Tucholsky sagt: „ . . . U n d darum wird beim happy end / Im Film jewöhnlich abjeblendt." („Danach", Gedichte, ed. Mary Gerold-Tucholsky [Hamburg, 1983], S. 693-694.). Shakespeare macht deutlich, daß das Leben nach der Eheschließung weitergeht; nicht nur die Heirat selbst, sondern das anschließende harmonische Zusammenleben der Ehegatten ist das .Ziel' des Dramengeschehens.

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And the issue there create Ever shall be fortunate. So shall all the couples three Ever true in loving be . . . (V, 1, 389-394)

Diese zeremonielle Ausgestaltung des glücklichen Endes und der U m stand, daß dieser Ausgang von vornherein abzusehen war, machen den ,epischen' Charakter des Geschehens deutlich: Nicht auf die Zufälle des Ablaufs kommt es an, sondern auf den Prozeß der Herbeiführung der Vereinigung der Liebenden. Aus diesem Grund können psychologische Aspekte in den Vordergrund treten, und das Geschehen erhält einen ,Sinn', eine Aussage, die Allgemeingültigkeit beanspruchen kann. 8 Die bewegte Handlung des Merchant of Venice entstammt im wesentlichen der Novelle II pecorone des Ser Giovanni. Gegenüber dieser Quelle ist der Gegensatz zwischen den beiden Welten deutlicher ausgestaltet, und das Reiseprojekt bekommt eine andere Bedeutung: Während Giannetto in der Novelle seinen Paten Ansaldo um Geld für eine Handelsreise bittet und dann heimlich zu seiner " D a m e von Belmonte" fährt, anstatt in fernen Ländern Geschäfte zu machen, legt Bassanio Antonio gegenüber sein Vorhaben gleich in der ersten Szene des Dramas ehrlich und offen dar. Durch den Verzicht auf das Betrugsmotiv gewinnt Shakespeare Raum für eine psychologische Kommentierung des Reisevorhabens und für eine Darstellung der Reise als ,Prüfung' des Reisenden. Insofern wird die Handlung durch diese Änderung ,epischer'. Nach der geglückten Kästchenprobe scheint das happy ending bereits erreicht zu sein, doch wird es durch die Nachrichten aus Venedig plötzlich wieder gefährdet. Bassanio muß jetzt auch noch seine kindness seinem zurückgebliebenen Freund gegenüber unter Beweis stellen, nachdem durch seine Wahl des bleiernen Kästchens bereits seine Demut und Schicksalsergebenheit und damit seine Fähigkeit, sich in eine fremde Welt einzufügen, deutlich geworden war. Ein isoliertes Glück der Liebenden, wie es sich in der Szene III, 2 anbahnt, erweist sich aufgrund der Zugehörigkeit der Reisenden zu einem Gemeinwesen, dessen natürliche Ordnung gestört ist, als unmöglich. Wie in anderen Dramen ist das happy ending in der Schlußszene dann dadurch gekenzeichnet, daß nicht nur die Liebenden, sondern eine größere Gruppe von Personen daran 8

William Carroll meint: "Shakespeare seems to be suggesting here that young love can only, should only, be consummated (in all senses) after some trial of the monstrous had been survived, some transformational stage passed through"; a.a.O., S. 147. Vgl. auch o. S. 200-201.

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teilhaben, zu der auch Antonio gehört, der einsame, melancholische Titelheld. 9 Eine der üblichen Schlußformeln erscheint in einer für dieses vom Motiv der Rechtsprechung geprägte Drama charakteristischen Form: Portia bezeichnet die noch zu führenden Gespräche über den Hergang des Geschehens ironisch als "inter'gatories" (V, 1,298). Die andere Schlußformel unterbleibt: In der ruhigen, idyllischen Welt wären ausgedehnte Festlichkeiten fehl am Platz. Wie im Midsummer Night's Dream läßt die Schlußszene die dramatischen Verwicklungen des Mittelteils weit hinter sich. Obwohl nicht die Stadt, sondern die Märchenwelt Belmonts das endgültige Zuhause für die Beteiligten darstellt, ist die Parallele deutlich. Durch die Zugehörigkeit zu einer Welt, in der eine vollkommene Harmonie herrscht, wird ein von Hektik und Chaos geprägtes Geschehen in den Bereich des Bedeutungslosen gerückt. In As You Like It wird der Rahmen und das ,Ziel' der Handlung in der Abschiedsszene (1,2) von Rosalind und Orlando abgesteckt. Diese ,Liebe auf den ersten Blick' wird, wie dem Zuschauer bereits an dieser Stelle bewußt wird, in der Schlußszene zur Vereinigung in der Ehe führen. Die Verwicklungen, die zwischen der Szene I, 2 und der Schlußszene liegen, sind weniger gefahrvoll und dramatisch als die in den anderen untersuchten Dramen. Der glückliche Ausgang gerät kaum je in Gefahr. Hierin zeigt sich die besonders starke epische Natur dieses Dramas, das nicht ,dramatische' Überraschungen, sondern ein rituelles Zusammenfinden der Liebenden zum Inhalt hat. Entscheidend hierfür sind die Szenen, in denen Orlando und die als Ganymede verkleidete Rosalind aufeinandertreffen und die Liebesbeziehung ,spielen' (III, 2; IV, 1 und V, 2). Rosalind müßte nach dem trothplight in der Szene IV, l 1 0 eigentlich nur noch ihre wahre Identität preisgeben, um das happy ending herbeizuführen. Dies tut sie jedoch nicht, sondern vertröstet Orlando zunächst auf eine unbestimmte Zeit (IV, 1, 189-190), dann auf "tomorrow" (V,2,67). Orlando kann auf diese Weise seine Geduld unter Beweis stellen und seine constancy gewissermaßen ,einüben', während sich Rosalind die Einwilligung ihres

9

10

Shylock gehört freilich nicht dazu. Er hat in der Gerichtsszene die Möglichkeit, gegen Antonio Gnade zu üben, nicht wahrgenommen und es an kindness fehlen lassen. Aus diesem Grunde kann er in einer durch gegenseitige Liebe geprägten Welt wie Belmont keinen Platz finden; vgl. Wilson, a.a.O., S. 1 1 4 - 1 1 5 und E. Th. Sehrt, Vergebung und Gnade bei Shakespeare (Stuttgart, 1952), S. 97-99. Siehe o. S. 256.

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Vaters sichert, auch Silvius und Phebe zu einer Ehe miteinander verpflichtet und die Zeremonie der Schlußszene vorbereitet (V, 4, 5-25). Auch in diesem Drama gibt es also kein partielles happy ending. Die Vereinigung der Liebenden steht vor dem Hintergrund einer allgemeinen Versöhnung.11 Neben die Ehen von Rosalind und Orlando sowie Silvius und Phebe treten die von Celia und Oliver und schließlich die von Touchstone und Audrey. Hinzu kommt die Versöhnung der Brüder Orlando und Oliver sowie die Nachricht von der Abdankung Duke Fredericks, die Duke Senior und den um ihn versammelten Edelleuten die Rückkehr an den Hof ermöglicht. Auch hier scheint also die elisabethanische Vorstellung vorzuliegen, nach der der einzelne nur glücklich werden kann, wenn auch der Gesamtbereich harmonisch geordnet ist. Hiermit läßt sich auch das Zeremonielle der Schlußszene erklären, in der nicht nur die Heirat der anwesenden Paare gefeiert, sondern auch die Institution der Ehe überhaupt gepriesen wird (V, 4, 140-145). In der Rede Hymens findet sich wieder die bekannte Schlußformel, die die Rückkehr zu einer harmonischen Normalität kennzeichnet: ... Whiles a wedlock hymn we sing, Feed yourselves with questioning, That reason wonder may diminish How thus we met, and these things finish. (V, 4, 136-139)

Die Form der "rustic revelry" (V, 4,176) erlaubt auch die Gemeinsamkeit der Edelleute mit Angehörigen niedriger Stände. Nur der melancholische traveller (IV, 1,10-24) Jaques, der von seinem Wesen her nirgends ein Zuhause hat, möchte an den Festlichkeiten nicht teilhaben. Trotzdem spricht er den Beteiligten zum Abschied Segenswünsche aus, die wegen ihrer Differenziertheit interessant sind: [To Duke Sen.] You to your former honour I bequeath, Your patience and your virtue well deserve it. [To Ori.] You to a love that your true faith doth merit: [To Oli.] You to your land and love and great allies: [To Sil.] You to a long and well-deserved bed:

11

Schon auf As You Like It trifft weitgehend zu, was Felperin für die "final romances" bemerkt: "In the actions of Shakespeare's final romances sexual union is always complemented by family reunion and international alliance"; a.a.O., S. 21. Auch wenn der letztgenannte Punkt den .Romanzen' vorbehalten bleibt, enthält auch der Schluß von As You Like It mit der Rückkehr des rechtmäßigen Herzogs an seinen Hof eine politische Komponente.

299

[To Touch.] And you to wrangling, for thy loving voyage Is but for two months victualed. So to your pleasures. I am for other than for dancing measures. (V, 4, 185-192)

Durch den Kontrast mit Touchstone und Audrey erhält die Prophezeiung für Orlando und Rosalind eine besondere Glaubwürdigkeit. Der Grund dafür, daß ihr Glück von Dauer sein wird, liegt offensichtlich darin, daß ihrer Eheschließung ein langwieriger Prozeß der Prüfung und des allmählichen Zueinanderfindens vorausging.12 Die vier untersuchten Dramen, in denen das,Reiseziel' in der Liebesheirat besteht, weisen bei all ihrer Verschiedenartigkeit einige erstaunliche strukturelle Gemeinsamkeiten auf. Hierunter fällt die ausgesprochene oder unausgesprochene Zielsetzung am Anfang, die am Ende des Dramas ihre Erfüllung findet. Dazwischen liegt ein Reisegeschehen, mit Ausnahme des Merchant of Venice eine beschwerliche Landreise, die auch durch den Wald führt. Körperliche Strapazen, die natürlich in übertragenem Sinn gedeutet werden können, spielen also bei der Bewährung der Reisenden eine wichtige Rolle. Hinzu kommt die Notwendigkeit, sich in fremde Gemeinwesen einzufügen. Die Abhängigkeit von den Launen des Schicksals, denen vor allem die Seereisenden von The Comedy of Errors und Pericles ausgeliefert sind, die sich auf der Suche nach Angehörigen befinden, ist in diesem Drama hingegen geringer. Zwar müssen sich auch die Liebenden zu einer Annahme ihres Schicksals verstehen, um ans Ziel zu kommen, doch liegt der Schwerpunkt bei ihnen eher auf der Prüfung ihrer Standhaftigkeit. Von den Two Gentlemen of Verona bis zu As You Like It kann eine Entwicklung hin zu einem immer größeren Gleichgewicht der Geschlechter festgestellt werden. Während Julia in The Two Gentlemen of Verona ihr Schicksal in die eigene Hand nimmt, als Proteus sich von ihr entfernt hat, und während im Merchant of Venice nur Bassanio (und nicht Portia) der Werbende ist, verläuft das Schicksal von Rosalind und Orlando in As You Like It genau parallel. Dies entspricht der Struktur des griechischen Liebesromans. Beide Liebende sind Reisende, beide müssen sich an neue Umgebungen anpassen und finden - bei einer Verzögerung der Erfüllung ihrer Liebe - Gelegenheit zu einer allmählichen Annäherung. Wenn das Mädchen dabei der erfinderischere Partner ist, dann entspricht dies ebenfalls dem griechischen Roman, speziell den Aithiopika Heliodors. 12

Vgl. o. S. 61, Anm. 11 (zu Troilus and Cressida) und u. S. 311-312.

300

Mit der Ritualisierung des Aufeinanderzugehens von Liebenden als eines Prozesses, der mit einer tiefen Harmonie, nicht allein mit der sexuellen Vereinigung der Liebenden, endet, befindet sich Shakespeare im Einklang mit philosophischen Konzeptionen der Renaissance. So macht Leone Ebreo am Anfang des sechzehnten Jahrhunderts dieses Aufeinanderzugehen in seinen Dialoghi d'amore zum Ansatzpunkt eines umfassenden philosophischen und kosmologischen Systems. Unter anderem entwickelt er eine Theorie des ,Einswerdens' zweier Liebender. 13 In Anlehnung an Leone Ebreo interpretiert William Carroll die ,Metamorphosen', denen sich Julia (in The Two Gentlemen of Verona), Portia, Rosalind, Viola und Imogen unter anderem durch ihre Verkleidung unterziehen, als einen Prozeß, der eine notwendige Voraussetzung für das Einswerden der Liebenden nach der Eheschließung darstellt.14 Die ,Metamorphose' durch die Verkleidung ist jedoch nur einer der Kunstgriffe Shakespeares, um die allmähliche Annäherung von Liebenden im Drama,abzubilden'. Ein anderer, vielleicht wichtigerer ist der der Reise. Julia bewegt sich geographisch auf Proteus zu, und Orlando und Rosalind treffen sich nach ihrer Flucht an einem Zielort, an dem sie beide ein neues Zuhause erlangen. In der Eheschließung findet dann der Prozeß des ,Aufeinanderzugehens' im wörtlichen wie im übertragenen Sinn seinen Abschluß. In allen vier hier besprochenen Dramen ist das happy ending in eine zeremonielle Szene allgemeiner Versöhnung eingebettet, an der - mit Ausnahme des Merchant of Venice, wo Belmont gewissermaßen eine »klassenlose Gesellschaft für Privilegierte' darstellt — der jeweilige Landesherr beteiligt ist. Als einem Ritual, das einen Neuanfang einleitet, gewinnt Shakespeare dem höfischen Zeremoniell einen tieferen Sinn ab, wie er überhaupt in höfischem Benehmen einen Ausdruck echter Menschlichkeit zu sehen scheint.15 Der Ritus der Eheschließung hat also auch für das Gemeinwesen eine wichtige Funktion. Wie Edward Berry feststellt, sind Heiraten bei Shakespeare "ritual events in which time begins again and strangers are made at home". 1 6 13

14 15

Leone Ebreo (Dialoghi d'amore, ed. Santino Caramella [Bari, 1929]) spricht vom Streben nach der „unione spirituale e corporale con la persona amata" (S. 51) und dem Verlangen, mit der Geliebten „una medesima persona" (S. 52) zu werden. In diesem Einswerden liegt nach Leone Ebreo das Wesen perfekter Liebe: „ . . . la propria diffinizione del perfetto amore de l'uomo e de la donna è la conversione de l'amante ne l'amato, con desederio che si converti l'amato ne l'amante. E quando tal amore è eguale in ciascuna de le parti, si diffinisce conversione de l'uno amante ne l'altro" (S. 50). Carroll, a.a.O., S. 104-107 et passim. 16 Siehe ο., ζ. Β. S. 171-173. Berry, a.a.O., S. 162.

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Aus der Bedeutung, die der Liebesheirat in den besprochenen Dramen für die Herstellung einer allgemeinen Harmonie in einem gesellschaftlichen Umfeld zukommt, erklärt sich, warum Shakespeare dieses Handlungsmuster auch in Henry V verwendet, dem Drama, mit dem die zweite Historientetralogie zum Abschluß gebracht wird. Eine Heirat, die von Richmond und Elizabeth, der Tochter Edwards IV., stand bereits am Ende der ersten Tetralogie. Sie markierte die Vereinigung der Häuser York und Lancaster und damit den Beginn der Tudor-Dynastie. Erst in Henry V jedoch übernimmt Shakespeare aus den Komödien das Schema der allmählichen Annäherung zweier Liebender, um in der Liebesheirat Henrys mit der französischen Prinzessin die Vereinigung der Königreiche von England und Frankreich ihren Abschluß finden zu lassen. Bei dieser politischen Ehe wird also ausdrücklich hervorgehoben, daß die Verbindung wirklich auf Liebe beruht. 17 In Henry V wird das Heiratsprojekt zuerst vom Chorus erwähnt. D a die " d o w r y " jedoch nur aus "some petty and unprofitable dukedoms" (III, ch., 30-31) besteht, ist das Angebot zunächst unbefriedigend; Katharine muß wie Henry ein ganzes Königreich in die Ehe mit einbringen. Nachdem Henry dann Harfleur kampflos eingenommen hat (III, 3), wird Katharine in der auf französisch abgefaßten Szene III, 4 beim Englischlernen vorgeführt. Beide bewegen sich also (im wörtlichen wie im übertragenen Sinn) aufeinander zu. In der Schlußszene bringt Henry dann in einiger Länge seine Liebeswerbung vor (V, 2, 98-297). Die ,Sprachbarriere' erweist sich dabei als dramaturgische Möglichkeit, den Prozeß des Aufeinanderzugehens auszudehnen und damit glaubwürdiger zu gestalten. 18 In der abschließenden Rede Queen Isabels kommt dann die Verflechtung von persönlicher und politischer Harmonie zum Ausdruck: G o d , the best maker of all marriages, Combine your hearts in one, your realms in one! As man and wife, being two, are one in love,

17

Fehlt die Liebe, dann ist die Ehe auch als Mittel der Politik untauglich. So versucht Warwick in Henry VI, Part 3, den König von Frankreich von der "passion" Edwards für L a d y Bona, die Schwester des Königs, zu überzeugen (III, 3). N u r wenn ihm dies gelungen wäre, hätte er auf ein Einverständnis des französischen Königs hoffen können. Vgl. auch o. S. 77 zur Heirat Antonys mit Octavia, der Schwester des Caesar Octavianus, in Antony and Cleopatra.

18

Das Strukturelement der Verzögerung, die in As You Like It und Twelfth Night etwa dadurch herbeigeführt wird, daß das Mädchen verkleidet ist und der Mann nicht weiß, wen er vor sich hat, findet sich also auch in Henry V.

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So be there 'twixt y o u r kingdoms such a spousal That never may ill office, or fell jealousy, Which troubles oft the bed of blessed marriage, Thrust in between the paction of these kingdoms, To make divorce of their incorporate league . . . ( V , 2 , 3 7 7 - 3 8 4 )

Ein Sonderfall hinsichtlich der Handlungsstruktur ist All's Well That Ends Well: Bertram versucht, der Ehe mit Helena mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auszuweichen. Bei seinen Reisen geht es also nicht wie sonst um eine ,Liebesprobe', denn am Anfang ist von seiner Seite ja noch gar keine Liebe vorhanden. Trotzdem wird schnell deutlich, worin das happy ending bestehen wird. Ebenso deutlich werden jedoch Bertrams andersartige Interessen. Die Aufgabe für Helena und für das günstige Schicksal ist in diesem Drama also besonderer Art. Die Lösung kann nur auf der Handlungsebene erfolgen, als Ergebnis einer Kette von Intrigen und Zufällen und nicht als das unausweichliche Ergebnis des Zeitablaufs wie etwa in As You Like It. Zwar paßt die Demut Helenas, die sie nach G. K. Hunter zur Pilgerreise veranlaßt,19 zu den epischromanhaften Inhalten anderer Dramen Shakespeares; entscheidend für Helenas Erfolg ist jedoch der bed-trick, ein typisches Novellenmotiv. Die Struktur dieses Dramas ist also in geringerem Maße ,episch' als die der anderen besprochenen Dramen mit happy ending. Diesem Befund entspricht, daß der glückliche Ausgang ungewöhnlich knapp gestaltet ist. Die Zukunftsprognose, die in den bisher untersuchten Dramen eine so große Rolle spielte, beschränkt sich hier im Grunde auf einen einzigen Vers, Bertrams Ankündigung: " . . . I'll love her dearly, ever, ever dearly" (V, 3, 310). Hierauf folgt noch die übliche Schlußformel von der Notwendigkeit einer genauen Erzählung vom Hergang der Geschehnisse (V, 3, 319-320 und 325-326). All's Well That Ends Well muß als experimentelles Drama angesehen werden, das nicht nur die Standhaftigkeit einer Reisenden, sondern auch — ähnlich wie das wohl kurz darauf entstandene Drama Measure for Measure - den Zusammenhang von Schuld, Vergebung und Gnade illustrieren soll. Wie die Liebenden im Midsummer Night's Dream durchläuft Bertram einen Läuterungsprozeß; wie für Proteus in The Two Gentlemen of Verona erweist sich das Schicksal für ihn als gewoge19

Siehe All's Well That Ends Well, a.a.O., Introduction, S. xxxi-xxxii. In Shakespeares Quelle begab sich Helena mit dem Ziel auf den Weg, Bertram doch noch für sich gewinnen zu können. Indem Shakespeare aus der vorgetäuschten eine echte Pilgerreise macht, gestaltet er ein Novellenmotiv ,episch' um.

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ner, als er es ,verdient', doch tritt der moralische Aspekt in jenen Dramen nicht so sehr in den Vordergrund wie in All's Well. Das Motiv der Reise eines tugendhaften Mädchens, das sich in sein Schicksal fügt und hierfür mit dem happy ending belohnt wird, findet später in Cymbeline eine ausgefeiltere Form. Dort wird auch das Motiv der Liebesprobe wieder eine gewichtigere Rolle spielen. e) Die allumfassende Harmonie am Ende der Reise In Twelfth Night und in den drei letzten von Shakespeare allein verfaßten Dramen, Cymbeline, The Winter's Tale und The Tempest, beschränkt sich das happy ending nicht auf das Erreichen nur eines ,Reiseziels'. Vielmehr steht in diesen Dramen die Vereinigung von Liebenden gleichgewichtig neben dem Wiedersehen mit Familienangehörigen. In den letzten drei Dramen wird auch noch eine politische Dimension in den glücklichen Ausgang mit einbezogen. Wie im einzelnen gezeigt werden soll, stellt Shakespeare zwischen diesen Bereichen kausale Zusammenhänge her und ruft somit den Eindruck einer allgemeinen Harmonie hervor, die zuweilen bis in den ,kosmischen Bereich', den Bereich der göttlichen Weltordnung, hineinragt.1 Bereits in den Schlüssen einiger der bisher besprochenen Dramen wird eine umfassende Harmonie dieser Art beschworen. So wird in der Schlußszene des Merchant of Venice das erreichte Glück durch die Musik, die zu der Sphärenharmonie in Beziehung gesetzt wird (V, 1, 55-88), in den Zusammenhang einer kosmischen Ordnung gestellt.2 In anderen Dramen, Romeo and Juliet und As You Like It, hat ein privates Geschehen politische Auswirkungen. Sobald die private Handlung zu einem Abschluß gekommen ist, weil die Dramenhelden an ihr,Reiseziel' gelangt sind, stellt sich auch im politischen Bereich wieder ein Zustand der Ordnung ein, in der jeder die ihm zukommende Funktion wahrnimmt. Der private Bereich bzw. die Familie kann in diesen Dramen als mikrokosmisches Gegenstück zum Makrokosmos des Staates gesehen werden. 1

2

Auf die Bedeutung des kosmischen Bereichs bei Shakespeare weist unter anderem Max Deutschbein hin; Die kosmischen Mächte hei Shakespeare (Dortmund, 1947); vgl. Clemen, Imagery, S. 93. Zum Konzept der kosmischen Harmonie im elisabethanischen Zeitalter vgl. E. M. W. Tillyard, The Elizabethan World Picture (Harmondsworth, 1972 ['1943]), vor allem S. 95-114. Vgl. auch Danby, a.a.O., S. 15-33 und Theodore Spencer, Shakespeare and the Nature of Man (New York, 2 1949 ['1942]), vor allem S. 1-20. Ähnliches gilt auch für Pericles, V, 1, 225-232; vgl. Knight, Tempest, S. 134-137.

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In den nunmehr zu besprechenden Dramen wird das Ineinandergreifen der verschiedenen Ebenen beim happy ending zu einem festen, wiederkehrenden pattern. Das offensichtliche literarische Vorbild für dieses Grundmuster ist Heliodors Roman: Das Fest des Sieges der Äthiopier, deren König Charikleias Vater ist, über die Perser führt im letzten der zehn Bücher dieses Romans zur Erkennung Charikleias durch ihre Eltern und zu ihrer Heirat mit Theagenes. Die ,kosmische' Dimension ist dadurch gegeben, daß der glückliche Ausgang die Erfüllung eines delphischen Orakelspruchs darstellt. Apollon, der Gott, von dem dieses Orakel stammt, erweist sich als identisch mit dem Sonnengott Helios, der nach Auffassung Heliodors offensichtlich den Mittelpunkt eines harmonischen Universums bildet. Theagenes und Charikleia werden am Ende Priester dieses Gottes und seiner Schwester Selene, der Mondgöttin. Die Popularität der Aithiopika in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts - die englische Ubersetzung Thomas Underdownes erschien 1569 und erlebte mehrere Neuauflagen — und (in geringerem Maße) die der anderen damals bekannten griechischen Romane (Achilleus Tatios' Leukippe und Kleitophon und Longos' Daphnis und Chloe) führte zu zahlreichen Nachahmungen, unter denen sich auch die unmittelbare Quelle von The Winter's Tale befindet, Robert Greenes Ρ ando sto. Auch Barnaby Riehes Apolonius and Silla, die Quelle von Twelfth Night, dürfte von den griechischen Romanen beeinflußt sein. Interessanterweise entsprechen Struktur und Akzentsetzung der Dramen Shakespeares jedoch eher dem Roman Heliodors als den unmittelbaren Quellen, die dem Dramatiker lediglich die Grundzüge der jeweiligen plots lieferten.3 Das erste Drama Shakespeares mit einem mehrschichtigen harmonischen Schluß nach Art Heliodors ist Twelfth Night. In gewohnter Weise werden die,Reiseziele' am Anfang des Dramas deutlich: In der Szene 1,2 3

Vgl. Gesner, a.a.O., S. 123-124, und Smith, a.a.O., S. 120. Daß Shakespeare die Aithiopika kannte, kann als sicher angenommen werden. In Twelfth Night sagt Orsino kurz vor der Auflösung der Mißverständnisse: Why should I not, had I the heart to do it, Like to th' Egyptian thief at point of death, Kill what I love? - a savage jealousy That sometime savours nobly . . . (V, 1, 115-118) Der "Egyptian thief" ist Thyamis, der ein Mädchen tötet, das er für die von ihm geliebte Charikleia hält, aus Angst, sie könne einem anderen Mann in die Hände fallen; Heliodor, Aithiopika, I, 30, 6 - 7 .

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sagt Viola von ihrem Bruder: "Perchance he is not drown'd" (1,2, 5) und von Orsino: " H e was a bachelor then" (1,2,29). An ihre hierdurch abgesteckten Ziele, das Wiedersehen mit ihrem Bruder und die Heirat mit Orsino, wird im Verlauf des Dramas immer wieder erinnert, während gleichzeitig die Dramenhandlung zunächst zu verhindern scheint, daß diese Ziele erreicht werden können. Während eine aktive Annäherung der Reisenden an die Ziele von vornherein ausgeschlossen ist, rückt das happy ending für Viola ohne eigenes Zutun näher, paradoxerweise gleichzeitig mit Bedrohungen, denen sie ausgesetzt wird: In der Szene III, 4 wird Viola von Antonio für Sebastian gehalten und der Treulosigkeit bezichtigt. Ihre Hoffnung erhält gerade dadurch neue Nahrung: . . . Prove true, imagination, O prove true, That I, dear brother, be now ta'en for you! (Ill, 4, 384-385) 4

In der Schlußszene gerät Viola dann in eine ernste Gefahr: Der gefangene Antonio wird Orsino vorgeführt und beansprucht ,Cesario' als seinen Freund Sebastian. Kurz darauf tritt Olivia auf, die Viola ebenfalls für Sebastian hält, den sie zwei Stunden vorher geheiratet hatte. Der Höhepunkt der Spannung wird erreicht, als Orsino in seiner "savage jealousy" (V, 1,117) erst droht, Olivia, und dann, Viola umzubringen. Dennoch rückt das happy ending näher, da Orsino praktisch seine Liebe zu Viola eingesteht5 und der Zuschauer merkt, daß Sebastian in der Nähe sein muß. Dessen Auftritt bringt dann die Wende. Die Wiedererkennung kann erfolgen, Olivia hat ihren Ehemann, und dem Bund Violas mit Orsino steht nichts mehr im Weg. Dieselbe Struktur findet sich in Heliodors Roman: Je mehr die Liebenden in Gefahr geraten, desto mehr nähern sie sich ihrem Ziel, Äthiopien. Vor allem die Schlußszene von Twelfth Night ist in mancher Hinsicht dem Schlußkapitel der Aithiopika vergleichbar: Theagenes und Charikleia sind in der Hauptstadt Äthiopiens als Kriegsgefangene eingetroffen, wo sie beim Siegesfest den Göttern als Menschenopfer darge4

Interessant ist, daß Viola die Verwechslung im Gegensatz zu Menaechmus bei Plautus und Antipholus in der Comedy of Errors sofort richtig interpretiert. Von der noch sehr durch eine farcenhafte Handlung gekennzeichneten Komödie hat Shakespeare den Weg zu einem Drama gefunden, das ein ähnlich komplexes Bild des handelnden und denkenden Menschen enthält wie E p o s und Roman; vgl. Ekkehard Stärk, Die Menaechmi des Plautus und kein griechisches Original (erscheint voraussichtlich Tübingen, 1989).

5

Vgl. Twelfth Night, V, 1, 122, note.

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edd. J . M . Lothian, T. W. Craik (1975), The Arden Shakespeare,

bracht werden sollen. Trotzdem weiß der Leser, daß die Wiedererkennung Charikleias durch ihre Eltern unmittelbar bevorsteht. Als dann mit Hilfe der Götter Charikleia erkannt und ihr Verlöbnis mit Theagenes von ihren Eltern gebilligt wird, kann die Hochzeit feierlich vollzogen werden. Wie in den Aithiopika ist in Twelfth Night das Erreichen der beiden Reiseziele unmittelbar miteinander verknüpft: Erst der Auftritt Sebastians ermöglicht in der Schlußszene eine Lösung; diese enthält jedoch gleichzeitig das Wiedersehen und die Möglichkeit der Heirat Violas mit Orsino. Sobald überhaupt ein happy ending erfolgen kann, ist dieses wie bei Heliodor allumfassend. Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß selbst Malvolio noch in die entstandene Harmonie einbezogen werden soll; ja, es hat sich sogar eine Situation ergeben, die ihn in gewissem Sinne unentbehrlich macht: Nur er kann offensichtlich die Freilassung des captain erwirken, der Viola im Seesturm gerettet und ihre "maid's garments" an sich genommen hatte, ohne die die Hochzeit anscheinend nicht stattfinden kann (V, 1, 272 -275 und 379-380). Wie in Heliodors Roman erweckt auch in Twelfth Night der Ausgang trotz der bewegten Handlung nicht den Eindruck, das Ergebnis bloßen Zufalls zu sein. Vielmehr erscheint das happy ending von Anfang an unausweichlich und damit wie in As You Like It als die Folge des Zeitablaufs und der vorherzusehenden ,Bewährung' der Reisenden. Violas Äußerung ist charakteristisch: . . . O t i m e , t h o u m u s t u n t a n g l e this, n o t I, It is t o o h a r d a k n o t f o r m e t ' u n t i e . ( I I , 2, 3 9 - 4 0 ) 6

Für den, der wie Viola und Sebastian bereit ist, sich vom Schicksal treiben zu lassen, erweist sich die Zeit als glücksbringend. Wenn Shakespeares Dramenhelden die Zeit gewähren lassen, können sie an der am Ende wiederhergestellten Harmonie teilhaben. In noch stärkerem Maß findet sich das beschriebene Handlungsmuster der Aithiopika in Cymbeline, dem Drama, das Carol Gesner als "Heliodoran Romance" bezeichnet.7 Das Wiedersehen von Familienangehörigen besteht wie bei Heliodor in der Wiederauffindung der verlorenen Erben eines Königs, die fernab des Hofes aufgezogen wurden. Wie 6

7

Vgl. Rosalinds Mahnung an Orlando in As You Like It: " . . . l e t Time t r y " (IV, 1,190). Vgl. aber auch Hamlets Worte: " . . . The time is out of joint. O cursed spite, / That ever I was born to set it right" (I, 5, 196-197). Wer wie Hamlet der Zeit seinen Willen aufzwingen will, muß bei Shakespeare scheitern; vgl. o. S. 2 4 4 - 2 5 1 und S. 268. Gesner, a.a.O., S. 113-114.

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bei Heliodor spielt in der Schlußszene auch ein politischer Aspekt eine wichtige Rolle: Zwischen den Briten und Römern wird ein Frieden geschlossen, dem die letzten Worte des Dramas gelten. Die drei Handlungsebenen von Cymbeline, das Geschehen um Posthumus und Iachimo, um Guiderius und Arviragus und der Konflikt zwischen Römern und Briten, werden durch die Reise Imogens zusammengehalten, die sie über die walisischen Berge ins römische Heerlager führt. Wie Charikleia und Theagenes erweckt sie überall spontane Zuneigung. Die trotz aller Widrigkeiten immer wieder deutlich werdende kindness vieler Personen des Dramas bereitet den harmonischen Ausgang vor. Auch in Cymbeline wird am Anfang, bei Posthumus' Abschied von Imogen (1,2), das .Reiseziel' abgesteckt. Es wird auch deutlich, daß die erzwungene Trennung Teil einer größeren Unordnung ist, die ihren Ursprung in den Ambitionen der Königin und ihres Sohnes Cloten hat. In der Szene III, 1 zeigt sich dann, daß dieselben Personen auch für die politische Unordnung verantwortlich sind.8 Mit dem ,unnatürlichen' Verdacht des Posthumus kommt eine dritte ,Unordnung' hinzu. Der Wiederherstellung einer allgemeinen Harmonie stehen also denkbar viele Hindernisse entgegen; dennoch ist vor allem Imogen beim Abschied außerordentlich zuversichtlich, so daß der Zuschauer an einem glücklichen Ausgang nicht zweifelt.9 Vor dem happy ending müssen die Reisenden zu einer unbedingten Annahme des Schicksals finden, die im Fall des Posthumus die Bejahung des eigenen Todes mit einschließt.10 Diese Bejahung wird in der Szene V, 4 (3-29) herausgestellt, in der sich Posthumus im Gefängnis befindet. Man erkennt, daß seine Liebe zu Imogen nach diesen ,Prüfungen' fester und dauerhafter sein wird, als sie vor den Wirrungen war. In der Rede Jupiters an die Geister von Posthumus' Vorfahren, die (wie vielleicht auch der Zuschauer) die Frage nach dem ,warum' von Posthumus' Leiden stellen, werden diese Leiden als Teil eines göttlichen Plans bezeichnet, der letztlich nur das Glück der geplagten und geprüften Person zum Ziel hat. In dieser Rede liegt, wie Wilson Knight herausstellt, 11 der Schlüssel zum Verständnis des Dramas: . . . W h o m best I l o v e I c r o s s ; t o m a k e m y gift, T h e m o r e delay'd, delighted. B e c o n t e n t , 8 9 10

11

Siehe o. S. 161. Siehe o. S. 82-89. Auch Viola bekundet in Twelfth Night kurz vor dem happy ending ihre Bereitschaft zu sterben, freilich in einer zweideutigen Formulierung (V, 1, 130-131). Knight, Crown of Life, S. 168-202.

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Your low-laid son our godhead will uplift: His comforts thrive, his trials well are spent: Our Jovial star reign'd at his birth, and in O u r temple was he married. Rise, and fade. He shall be lord of lady Imogen, And happier much by his affliction made . . . (V, 4, 1 0 1 - 1 0 8 )

Das Wirken der göttlichen Macht bestätigt sich in der Schlußszene, in der der glückliche Ausgang mit dem übereinstimmt, was auf Jupiters tablet steht (V, 5, 436-453). Die Kette der dénouements macht ebenso wie die Formulierung von Jupiters Orakelspruch die enge Verbindung von privater und öffentlicher Harmonie deutlich: Eine Entdeckung hat sofort die nächste zur Folge, so daß sich nach dem Beginn der Entwirrungen das Erreichen der vollständigen, umfassenden Harmonie als unausweichlich erweist. Gleichwohl erscheint es zwischendurch gefährdet: Guiderius soll hingerichtet werden, weil er Cloten erschlagen hat. Wie in Twelfth Night und in den Aithiopika geht der endgültigen Aufklärung also eine unmittelbare Lebensbedrohung für einen der Beteiligten voraus, wodurch die schließlich erreichte Harmonie ein noch größeres Gewicht erhält. Durch Verwendung eines von Heliodor übernommenen pattern versucht Shakespeare, die Gesetzmäßigkeiten von Unordnung und Harmonie in der Welt deutlich zu machen und anhand des Motivs ,Bewährung auf Reisen' die wiedergutmachende Kraft menschlicher Standhaftigkeit und Schicksalshoffnung aufzuzeigen. Ahnlich wie in den Aithiopika wird die erreichte Harmonie am Ende des Dramas gleichsam in einen kosmischen Zusammenhang gebracht: The fingers of the powers above do tune The harmony of this peace . . . (V, 5, 4 6 7 - 4 6 8 )

Ein ähnliches pattern findet sich auch in The Winter's Tale, mit dem Unterschied jedoch, daß ein glückliches Ende im ersten Teil des Dramas ganz unerreichbar erscheint. Erst nach dem ,Wendepunkt', der Auffindung das Babys Perdita durch den alten Schäfer, gerät ein ,Reiseziel', das Wiedersehen Perditas mit ihrem Vater, in den Bereich des Möglichen, dem in der vorausgegangenen Szene verlesenen Orakel gemäß: "...the king shall live without an heir, if that which is lost be not found" (III, 2, 134-136). Das zweite Ziel, die Heirat Florizels mit Perdita, ergibt sich erst in der Szene IV, 4. Der Zusammenhang mit dem ersten Ziel liegt in der Person Perditas und in der natürlichen Ordnung, die durch die Heirat der Königskinder wiederhergestellt wird. Eine gewisse Plausibili309

tat gewinnt diese Handlungsentwicklung dadurch, daß Perdita, obwohl sie von einem Schäfer aufgezogen wurde, als Tochter des Königs offensichtlich gerade die Eigenschaften geerbt hat, die Florizel als Königssohn faszinieren müssen. Wie in Twelfth Night und Cymbeline ist die Handlung so aufgebaut, daß eine Lösung in einem Bereich automatisch eine Lösung im anderen Bereich nach sich zieht: Erst Florizels Wunsch, die ,Schäferin' Perdita zu heiraten, führt zu der Reise nach Sizilien und damit zur Wiedererkennung Perditas als Königstochter; erst diese Wiedererkennung sichert das Einverständnis der Eltern für die Ehe. Auch in diesem Drama kann ein happy ending nur in einer umfassenden Harmonie bestehen. Der allumfassende Charakter der am Ende erreichten Harmonie wird auch dadurch hervorgehoben, daß Nebenpersonen bei der Herbeiführung des glücklichen Ausgangs eine wichtige Rolle spielen: Camillo, dem in diesem Drama eine Ratgeberfunktion zukommt, die der des Kalasiris in den Aithiopika entspricht,12 kanalisiert die Unternehmungslust der jungen Liebenden und entwickelt den Plan der Reise, die sich gleichsam als Katalysator für das allumfassende happy ending erweist. Auch die Begegnung des alten Schäfers und seines Sohnes mit Autolycus ist ein unabdingbares Glied in der Kette der Ereignisse, die dieses happy ending ermöglichen.13 Der alte Schäfer weist auf die Bedeutung des Autolycus für die Handlungsentwicklung hin, in dem er sagt: " . . . he was provided to do us good" (IV, 4, 830-831). 14 Der Schluß von The Winter's Tale weist die Besonderheit auf, daß die Erkennung Perditas off-stage erfolgt und in der Szene V, 2 nur vom Boten berichtet wird, so daß die Schlußszene dem Wiedersehen von Leontes und Hermione vorbehalten bleibt. Durch diesen Kunstgriff gelingt es Shakespeare, ein Handlungselement hervortreten zu lassen, das sonst - neben dem Wiedersehen von Vater und Tochter und der Verlobung des jungen Paares - im Hintergrund geblieben wäre. Auf diese Weise wird hervorgehoben, daß jeder am happy ending in gleicher Weise beteiligt ist, daß in Paulinas Worten alle "precious winners" (V, 3,131) sind. Die bekannte Schlußformel von der Notwendigkeit

12 13 14

Siehe o. S. 192-195. Siehe o. S. 193. Diese Bedeutung des Autolycus für das Allgemeinwohl wird von einigen Kritikern nicht beachtet. John Dean etwa zeigt sich befremdet darüber, daß der rogue für sein Tun nicht bestraft wird ("virtuous love does not have a perfect triumph"; a.a.O., S. 292). Warum soll die tugendhafte Liebe dann nicht triumphiert haben, wenn ein Taschendieb weiterhin seinem Gewerbe nachgehen kann?

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gegenseitiger Aufklärung über den Hergang des Geschehens findet sich hier in einiger Ausführlichkeit (V, 3, 123-130 und 152-155). Vielleicht am deutlichsten wird die Vielschichtigkeit eines happy ending im Tempest. Die Verbindung der jungen, von Schuld freien Menschen Miranda und Ferdinand kann als Zeichen für den allgemeinen Neuanfang gesehen werden, der mit der Versöhnung der Angehörigen der älteren Generation einhergeht, und gleichzeitig als mikrokosmisches Abbild der natürlichen Ordnung, die in einem größeren Rahmen, der auch den politischen Bereich mit einschließt, wiederhergestellt werden wird. Im Tempest tritt stärker als in den anderen hier besprochenen Dramen eine lenkende Gestalt in Erscheinung: Prospero hat den Seesturm genau geplant und arrangiert auch die weiteren Begebenheiten auf dem Weg zu einem happy ending. Das Drama enthält dementsprechend kaum dramatische Spannung', sondern hat den Charakter einer Darstellung des Rituals der Herbeiführung einer harmonischen Ordnung. Dies wird vor allem bei der ,Zusammenführung' von Ferdinand und Miranda deutlich, deren happy ending zu keiner Zeit in Frage gestellt wird. Bei ihrer ersten Begegnung sagt Prospero: "It goes on, I see, / As my soul prompts it..." (1,2, 422-423). In einem weiteren aside kommentiert er den Prozeß des Aufeinanderzugehens der Liebenden: They are both in either's pow'rs: but this swift business I must uneasy make, lest too light winning Make the prize light. (I, 2, 4 5 3 - 4 5 5 )

Dies entspricht den Worten Jupiters in Cymbeline: "the more delay'd, delighted" und gibt eine Anschauung wieder, die sich durch das ganze Werk Shakespeares hindurchverfolgen läßt: 15 Der Prozeß des Aufeinanderzugehens von Liebenden ist ein Ritual, dessen einzelne Teile (,Liebe auf den ersten Blick', näheres Kennenlernen mit ,Liebesprobe', troth-

15

Vgl. z. B. o. S. 61, Anm. 11 und S. 300. Die Vorstellung, daß die Liebe eines Mannes zu einer Frau durch die Verzögerung der sexuellen Erfüllung gestärkt wird, findet sich schon bei Augustinus. Dieser nennt in den Confesiones die Sitte, eine Braut ihrem Mann noch nicht sogleich nach der Verlobung anzuvertrauen, als Beispiel dafür, daß der Mensch durch Leiden zu um so größeren Vergnügungen gelangen kann: „...et institutum est, ut iam pactae sponsae non tradantur statim, ne vile habeat maritus detam, quam non suspiraverit sponsus dilatam. ...ubique maius gaudium molestia maiore praeceditur" ; S.Aureli Augustini Confessionum libri trederím, ed. P. Knöll (Leipzig, 2 1926 [ 1 1898]), VIII, 3; vgl. The Tempest, ed. Frank Kermode (1958), The Arden Shakespeare, III, 1, 1-2, note.

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plight, zeremonielle Eheschließung und sexuelle Erfüllung) nicht übersprungen oder ausgelassen werden dürfen. 16 Daneben versinnbildlicht die gegenseitige Annäherung von Miranda und Ferdinand auch Elemente der menschlichen Befindlichkeit im allgemeinen: Einerseits wird das Ausgeliefertsein an das Schicksal deutlich, zum Beispiel in Prosperos Worten über Miranda: "Poor worm, thou art infected! ..." (III, 1, 31); andererseits wird demonstriert, welches Glück dem Menschen zuteil wird, der seinem Schicksal nicht auszuweichen versucht. Ein erster Versuch Prosperos, im Fest der Verlobung von Miranda und Ferdinand in der Szene IV, 1 eine ,kosmische' Harmonie herbeizuführen, schlägt fehl: Juno und Ceres sprechen dem jungen Paar ihre Segenswünsche aus, nymphs und reapers führen einen Tanz auf, doch plötzlich erinnert sich Prospero an Caliban und dessen geplanten Anschlag. Seine berühmten Verse über den Menschen als "stuff / As dreams are made on" (IV, 1, 156-157) lassen sich als Stoßseufzer über die Dinge in der Welt verstehen, die einer perfekten Harmonie entgegenstehen oder eine solche als Illusion erscheinen lassen. Ein partielles happy ending erweist sich wie in vielen anderen Dramen als unmöglich. Eine wirkliche Harmonie kann es nur geben, wenn sie allumfassend ist, wenn also auch Caliban in sie einbezogen wird. Auch ist für die allgemeine Versöhnung in der Schlußszene noch eine ,Vergangenheitsbewältigung' nötig, das heißt eine Erinnerung an die früheren Untaten der Schiffbrüchigen und Prosperos formelle Vergebung. Dies geschieht im Rahmen einer zeremoniellen Begrüßung, bei einem Ritus also, der Ordnung und kindness zum Ausdruck bringt. 17 Als Caliban auftritt und seine Fehler eingesteht (V, 1, 294-297), ist die natürliche Ordnung der Dinge wiederhergestellt. Daß es sich bei der Begegnung in der Schlußszene für alle Beteiligten um einen Abschluß und einen Neuanfang handelt, wird an der elaborierten Form der üblichen Ankündigung eines genaueren Berichts über die Ereignisse deutlich. Prospero betont, bei seinem Bericht würde es sich um "a chronicle of day by day, / N o t a relation for a breakfast" (V, 1, 163-164) handeln. Prospero wiederholt diese Ankündigung noch zweimal in abgewandelter Form (V, 1, 247-250 und 302-306) und hebt damit die Bedeutung des nunmehr abgeschlossenen Geschehens hervor. 16

17

Dramen wie Troilus and Cressida sowie All's Well That Ends Well sind Beispiele dafür, welche Folgen das Fehlen einzelner dieser Teile haben kann. Zum "necessary order of transformation wrought by marriage" vgl. Carroll, a.a.O., S. 227-228. Siehe o. S. 167-168.

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Die Ereignisse der Vorgeschichte und das Sturmgeschehen dieses Dramas waren zu einschneidend, als daß man sie mit ein paar Worten ,bewältigen' könnte. Durch die Ankündigung der Hochzeitsfeierlichkeiten in Neapel (V, 1, 307-309) wird auf den Wiederbeginn der Normalität in einem nunmehr geordneten Italien hingewiesen. Während die Harmonie in der Szene IV, 1 den Eindruck erweckte, sie sei nicht von dieser Welt, erlaubt die Lösung der Schlußszene ähnlich wie in As You Like It die Rückkehr in die Zivilisation. Die ,kosmische Harmonie' muß - und kann - in die Welt des täglichen Lebens Eingang finden. In den späten Dramen Shakespeares steht also am Ende eines Reisegeschehens das Erreichen eines komplexen happy ending, bei dem eine hergestellte bzw. wiederhergestellte harmonische Ordnung in einem kleinen Bereich, dem der Ehe und Familie, eine größere Ordnung im Bereich des Staates und sogar eine umfassende ,kosmische' Ordnung widerzuspiegeln scheint. Eine solche Gestaltung der Dramenschlüsse ist nicht nur ein dramaturgisches Verfahren der Lösung eines komplizierten Handlungsknotens, sondern ist auch Ausdruck einer bestimmten Weltanschauung. 18 Diese entspricht Vorstellungen, wie sie etwa für den Neuplatonismus der Renaissance typisch sind. So bezeichnet Leone Ebreo die Einheit und Perfektion des Universums als das Ziel aller Dinge, wobei die Liebe der Faktor ist, der das Universum mit seinen einzelnen Teilen vereinigt.19 Eine Form der Liebe, die diese Ordnungsfunktion wahrnimmt, ist seiner Ansicht nach auch die geistige und körperliche Liebe von Mann und Frau. Die Liebe ist auch in Shakespeares hier besprochenen Dramen der Faktor, der eine übergreifende Harmonie ermöglicht. Die Liebe eines jungen Paares führt zu einer Eheschließung, zur Gründung einer Familie. Gleichzeitig ermöglicht sie bei Shakespeare das Wiedersehen und die 18

19

Natürlich läßt sich dem Werk Shakespeares nicht entnehmen, welchen weltanschaulichen Grundpositionen der Dramatiker als Mensch wirklich angehangen hat. D a s ist aber auch nicht wichtig. Es geht vielmehr um die Frage, welchen philosophischen und weltanschaulichen Vorstellungen Shakespeare Ausdruck verleiht, unabhängig davon, aus welchen Motiven heraus er dies tut. „II fine del tutto è l'unita perfezione di tutto l'universo . . . e il fine di ciascuna delle parti non è solamente la perfezione di quella parte in sé, ma che con quella deserva rettamente a la perfezione del tutto, che è il fine universale, primo intento de la divinità"; a.a.O., S. 163. » . . . e siccome niuna cosa non fa unire l'universo con tutte le sue diverse cose se non l'amore, séguita che esso amore è causa de l'essere del mondo e di tutte le sue cose"; a.a.O., S. 165.

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Versöhnung von Familienangehörigen der älteren Generation. 20 Die kindness, die im Bereich der Familie zu einer dauerhaften Harmonie führt, ist dann die Grundlage für eine harmonische staatliche Ordnung, die sich mit einer übergeordneten kosmischen Ordnung im Einklang befindet. 21 Manche Interpreten gelangen zu noch weitreichenderen Spekulationen über Shakespeares Absichten. Wilson Knight etwa meint, die späten Dramen als "myths of immortality" bzw. "parables of a profound and glorious truth" lesen zu können. 22 Es ist bemerkenswert, daß auch die griechischen Liebesromane Deutungen dieser Art erfahren haben. Unter diesen Deutungen ist die von Reinhold Merkelbach vielleicht die interessanteste. 23 Die Reisen der Romanhelden und ihre ,Prüfungen' stellen danach in verschlüsselter Form die Initiationsriten bestimmter Mysterienkulte dar, wie Merkelbach an vielen Einzelheiten darzulegen versucht. Dieser Deutung ist nicht zu Unrecht widersprochen worden. Schon die große Beliebtheit der Romane beim antiken Lesepublikum scheint eine Deutung als Schlüsseltexte für Eingeweihte auszuschließen, auch wenn Anspielungen auf religiöse Kulte (gerade im Roman Heliodors) nicht geleugnet werden können. Auch Shakespeare schreibt für ein breites Publikum, nicht für einige wenige Auserwählte. Es ging ihm darum, sein Theater zu füllen und dem Drama neue Bereiche zu eröffnen. Auch wenn Shakespeare (wie etwa Heliodor) gelegentlich den Bereich allgemeingültiger Aussagen über die Weltordnung streift, beschränkt er sich doch im wesentlichen auf die reale, sinnlich erfaßbare Welt. Seine Dramenschlüsse bezeichnen das Erreichen eines Glücks im Diesseits, wie es von den meisten Menschen angestrebt wird. Das Reisegeschehen in den Dramen veranschaulicht bzw. ritualisiert gewissermaßen Vorgänge, die zu den Grundelementen des menschlichen Lebens gehören. Eine in der Wirklichkeit vorhandene oder geschaffene Ordnung erscheint in Shakespeares späten Dramen als Teil eines harmonischen 20

21

22 23

So kann Leslie Fiedler sagen: "Shakespeare's utopia begins and ends with the family"; a.a.O., S. 202. Eine ähnliche Vorstellung liegt auch Sidneys Arcadia zugrunde; in diesem Roman heißt es unter anderem: "... marriage being the most holy conjunction that falls to mankind, out of which all families and so consequently all societies do proceed, which not only by community of goods, but community of children is to knit the minds in a most perfect union book V, ch. 4; a.a.O., S. 814. Knight, The Crown of Life, S. 2 8 - 3 1 et passim. Reinhold Merkelbach, Roman und Mysterium in der Antike (München, 1962).

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Kosmos. Da wir heute jedoch meist nicht mehr an einen harmonisch geordneten Kosmos glauben und nicht mehr annehmen, eine vollkommene Harmonie könne in dieser Welt erreicht werden, sind wir versucht, die harmonischen Dramenschlüsse als Aussage über einen ,transzendenten' Bereich bzw. über die letzten Dinge mißzuverstehen. 24 f) Zusammenfassung Die Untersuchung der Endpunkte der Reisen von Shakespeares Dramenhelden läßt die besondere Natur dieser Reisen deutlich werden: Das am Ende erreichte Reiseziel stellt durchweg eine für das Leben der Reisenden entscheidende Wendung dar, besteht es nun im Wiedersehen mit Familienangehörigen, im Tod oder in der Heirat. Wie schon die Untersuchung der Abschieds- und Begrüßungsszenen gezeigt hat, haben die Reisen für die Dramenhelden also eine existentielle Bedeutung. Am Ziel der Reise steht dabei immer ein Vorgang, der von allgemein menschlichem Interesse ist und zu den Bestandteilen der Lebenswirklichkeit eines jeden gehört. Ihm vorangestellt ist bei Shakespeare ein Reisegeschehen, das in den meisten Fällen einen ausgesprochen unwirklichen, phantastischen' Charakter hat. Diese unrealistischen' plots haben viele Kritiker dazu veranlaßt, Shakespeare ein Bemühen um verisimilitude gänzlich abzusprechen. Ein Blick auf die Geschichte der von Shakespeare verwendeten Reisemotive, auf die direkten und indirekten Quellen seiner plots, zeigt jedoch, daß sich Shakespeare die vielfältigen symbolischen bzw. emblematischen Bedeutungen dieser Motive zunutze macht, die in den Traditionen von Epos und Roman bereitstehen: Wie in Epen und Romanen der Antike wird der Weg hin zu einem neuen Lebensabschnitt durch ein phantastisches' Reisegeschehen veranschaulicht. In unrealistischen', standardisierten Situationen - wie zum Beispiel dem Schiffbruch - offenbart sich die Persönlichkeit des reisenden Helden, seine Fähigkeit, an sein Ziel zu gelangen, erheblich deutlicher, als dies bei einer realistischeren' Darstellung der Lebensumstände, die beispielsweise einer Eheschließung vorausgehen, möglich wäre. Die Reise wird zu einem Bild, das die Wechselfälle des Lebens in der

24

So streitet etwa Hallett Smith einen Realitätsbezug in der Zielsetzung der späten Dramen ab: "(unlike the tragedies) These romances are not ritualizing reality; they are hinting at something beyond it - some mysterious music of the spheres"; a.a.O., S. 209. Smith verkennt, daß sich die Realität für Shakespeares Zeitgenossen durchaus in Übereinstimmung mit der Sphärenharmonie befinden konnte.

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komprimierten Form eines literarischen Werkes zum Ausdruck bringen kann. Diese emblematische Qualität lassen auch die zahlreichen Reisemetaphern deutlich werden, die sich bei Shakespeare finden. Jedes zielgerichtete Handeln - und auch jedes Geschehen, dem eine höhere Macht eine bestimmte ,Richtung' gibt - kann potentiell in einer Reisemetapher Ausdruck finden. Für Shakespeare charakteristisch ist dabei die ständige Verschränkung von Metapher und tatsächlicher Handlung. Sowohl als faktisches Geschehen als auch als Metapher versinnbildlicht die Situation der Reise dabei stets eine unnatürliche Extremsituation, während die Ankunft am Ziel mit der Wiederherstellung einer harmonischen, natürlichen Ordnung einhergeht. Hierbei befindet sich Shakespeare offensichtlich im Einklang mit neuplatonischen Vorstellungen, wie sie in der Renaissance in Europa Verbreitung fanden. Eine Situation, wie sie von jedem Zuschauer selbst erlebt werden kann, wird von Shakespeare, vor allem in den späten Dramen, in den Kontext einer universalen Weltordnung gestellt. Die Reisehandlungen von Shakespeares Dramen lassen sich gewissermaßen als Illustrationen dafür verstehen, wie ein bestimmtes Ziel erreicht werden kann. Niemals ist ein phantastisches' Reisegeschehen also Selbstzweck der dramatischen Darstellung. Hieraus ergibt sich, daß Shakespeare ein gewisses didaktisches Anliegen nicht abzusprechen ist: Wie Joan Hartwig bemerkt und anhand von Prósperos Epilog im Tempest aufzeigt, will Shakespeare den Zuschauer dazu animieren, das Bühnengeschehen auf das eigene Leben zu übertragen.1 Zu diesem Zweck bedient sich Shakespeare neuartiger dramatischer Techniken, begibt sich auf "relatively unexplored dramatic territory". 2 Ob diese Techniken mit Hartwig mit dem Begriff der ,Tragikomödie' 1

Durch sein Beifallklatschen soll der Zuschauer zum Ausdruck bringen, daß er die providentielle Ordnung, wie sie am Schluß des Tempest zum Ausdruck kommt, auch für sich selbst akzeptiert; Hartwig, a.a.O., S. 173-174. Vgl. Peter G. Phialas' Feststellung über Shakespeares "romantic comedies": "The chief idea of that comedy is the discovery of an ideal attitude towards love and life", und seine Bemerkung zu Twelfth Night: " . . . i t projects a vision of the lovers' ideal, the best possible way to achieve inner as well as outer fulfillment, a unity within and a harmony with the world in which we live. That vision expresses a man's longing for a state of being which transcends human limitation, the limitation against which it is here dramatized. And it is precisely in responding to and gratifying that longing by presenting the ideal as achievable that romantic comedy is so deeply satisfying."; Shakespeare's Romantic Comedies: The Development of Their Form and Meaning (Chapel Hill, N. C , 1966), S.213 und 280.

2

Hartwig, a.a.O., S. 175.

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umschrieben werden können, ist allerdings zweifelhaft. Weit eher lassen sich die Neuerungen Shakespeares, wie in der vorliegenden Arbeit gezeigt werden sollte, als Rückgriffe auf die episch-romanhafte Tradition verstehen, die als das bevorzugte Medium für eine literarische Deutung der Welt und des Menschen im England der Zeit Shakespeares anzusehen ist.

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Ausblick Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, zu zeigen, ein wie großes Gewicht dem Motiv ,Reise' bei Shakespeare beigemessen werden muß. Hinsichtlich dieses Motivs ergeben sich zahlreiche Verbindungslinien, sowohl zwischen Dramen aus verschiedenen Phasen von Shakespeares Schaffen als auch zwischen Komödien, Tragödien und history plays. Die Untersuchung der Dramen Shakespeares aus einem bestimmten Blickwinkel ergibt, daß bei Aufbau und Handlungsführung all ihrer Unterschiedlichkeit zum Trotz bestimmte gemeinsame Grundtendenzen vorliegen. Hierunter fällt die Funktion der Reise als einer Prüfung des Reisenden, der sich als würdig erweisen muß, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Die gewählten Reiseziele (wie das Wiedersehen und die Versöhnung mit Angehörigen und Freunden und die Heirat von Liebenden) entsprechen Wünschen und Zielen der Lebenswirklichkeit. Der Weg zu diesen Zielen wird in Shakespeares Dramen durch die Reisen der Dramenhelden ,abgebildet'. Das Reisegeschehen ist also vielfach in übertragenem Sinne zu deuten. Shakespeare veranschaulicht gewissermaßen eine Metapher, die zu seiner Zeit weite Verwendung fand.1 In der Verschiedenartigkeit der Reiseformen läßt Shakespeare die Vielfalt der Bestrebungen des Menschen ebenso zum Ausdruck kommen wie die unterschiedliche Art der Bewährungsproben, die der suchende und strebende Mensch über sich ergehen lassen muß. Natürlich ergeben sich hierbei auch Grundkonstanten der menschlichen Natur und der condition humaine; diese ermöglichen letztlich die Versöhnung der Gegensätze und die allgemeine Harmonie, die fast immer den Abschluß der Dramen bildet. Die Metapher "journey's end" für das Ziel von Bestrebungen verschiedener Art findet sich nicht nur bei Shakespeare (Othello, V, 2,268 und Cymbeline, V, 4, 185-186; in beiden Fällen ist vom Ende der .Lebensreise' die Rede), sondern ζ. B. auch bei Sidney (Arcadia, bk. I, ch. 18, Schlußabschnitt, a.a.O., S. 174; es geht um die Erfüllung der Liebe) und Spenser (Faerie Queene, I, xii, 1,7; der Dichter setzt das Ende seiner Dichtung mit dem Erreichen des Ziels durch den Rederosse Knight in Beziehung). 319

Die ,Prüfungen', denen sich Shakespeares Dramenhelden unterziehen müssen, erweisen sich als repräsentativ für ein Weltbild, das durch einen harmonischen, hierarchisch geordneten Kosmos und ein stoisch geprägtes Christentum charakterisiert ist. Auf einen Nenner gebracht, kommt es für Shakespeares reisende Personen darauf an, das Schicksal in der Grenzsituation der Reise und des Aufenthalts in der Fremde auch dann zu akzeptieren, wenn es ganz unerwartet ausfällt, und sich anpassen zu können, ohne sich selbst aufzugeben. Immer von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das RenaissanceKonzept der Individualität des edlen Menschen, des cortegiano bzw. des gentleman, der bestimmte höfische Umgangsformen intuitiv beherrscht. Vor allem bei der Untersuchung der Abschieds- und Begrüßungsszenen ist deutlich geworden, wie wichtig es bei zwischenmenschlichen Beziehungen aller Art ist, ob ein bestimmtes ,Ritual' eingehalten oder ob von ihm abgewichen wird. Es stellt sich heraus, daß Shakespeare die Welt des Hofes und des höfischen Zeremoniells im Gegensatz zu anderen Literaten seiner Zeit nicht negativ bewertet, sondern als für eine harmonische Weltordnung konstitutiv erscheinen läßt. Die kindness, die natürliche Zuneigung, zwischen Liebenden und Familienangehörigen wird im Idealfall, den Shakespeare immer wieder zur Darstellung bringt, zu einer Grundlage für das menschliche Zusammenleben überhaupt. Die höfischen Regeln erscheinen bei Shakespeare wie etwa bei Castiglione nicht als Einengung des Menschen, sondern gewissermaßen als Inventar von Möglichkeiten des Ausdrucks der gegenseitigen kindness der Angehörigen eines Gemeinwesen. Literarhistorisch läßt sich feststellen, daß vor allem Epos und Roman den Hintergrund bilden, auf den sich die untersuchten Aspekte von Shakespeares dramatischer Kunst zurückführen lassen. Die Übertragung von Stoffen aus dem episch-romanhaften Bereich führte zu Neuerungen, die sowohl die formale Gestaltung von Szenen als auch die Gesamtanlage der Dramen, ihre Grundstruktur, betreffen.2 Es ist bezeichnend, daß man, wenn man nach Einflüssen bestimmter dramatischer Traditionen (wie etwa der Tragödie Senecas, der Komödie des Plautus und des Terenz und der italienischen Komödie der Renaissance) auf Shakespeare 2

N o r t h r o p F r y e stellt zutreffend fest, daß die Struktur von Shakespeares Dramen einen der wichtigsten Aspekte seiner Kunst darstellt; A Natural Perspective, S. 8ff. Fryes These, " . . . t h a t Shakespeare had no opinions, no values, no philosophy, no principles of anything except dramatic structure" (ebd., S. 39) ist freilich abwegig, wie auch in der vorliegenden Untersuchung deutlich geworden sein dürfte.

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sucht, vor allem bei den ganz frühen Dramen (Titus Andronicus, The Taming of the Shrew, Richard III und The Comedy of Errors) fündig wird. Doch bereits in diesen Dramen aus der Anfangsphase finden sich Ansätze zu einer Form, die in Werken wie As You Like It, Twelfth Night, King Lear, Cymbeline und The Tempest ihren Höhepunkt findet und die man, wäre der Begriff nicht schon anderweitig besetzt,,episches Theater' nennen könnte. Durch das epische Motiv ,Reise' gelingt es Shakespeare, die am Ende seiner Dramen erreichte Lösung als ,Belohnung' der Standhaftigkeit und Schicksalsergebenheit der Dramenhelden bzw. als Wiederherstellung der natürlichen Ordnung der Dinge darzustellen, nicht als die Folge einer Kette von Intrigen und Zufällen. Ein solcher Zusammenhang zwischen Verhalten und Charakter der Reisenden und dem Erreichen des Reiseziels fand sich vor Shakespeare nur in Epen und Romanen, in denen ein langes Reisegeschehen auch oft mit dem Erreichen eines Reiseziels zum Abschluß kommt. Seine .epische Dramaturgie' ermöglicht Shakespeare die differenzierte Darstellung von Wesensart und Psychologie seiner Personen, in einer Weise, wie dies vor ihm nur in Epos und Roman möglich war. Die umfassende Harmonie, die sich am Ende der Reisen von Shakespeares Dramenhelden zumeist einstellt, impliziert die für die Renaissance typische Vorstellung von einem geordneten Kosmos. Hierin dürfte der Punkt liegen, der manchem Zuschauer und Leser des zwanzigsten Jahrhunderts den Zugang zu Shakespeares Werk erschwert. Diese Schwierigkeiten kommen unter anderem auch in der unkritischen und gelegentlich abwertenden Verwendung des Begriffs ,Romance' zum Ausdruck. Der Verlust des Glaubens an eine harmonische Weltordnung führte seit der Romantik dazu, daß bei der literarischen Verarbeitung des Motivs Reise vor allem auf die Ziellosigkeit des Reisenden abgehoben wird. Der moderne Geist verlangt die Darstellung der „Unendlichkeit eines Unterwegs-Seins, dem es an einem absoluten Ziel mangelt", wie Manfred Frank formuliert.3 Diese wird bei Shakespeare jedoch gerade nicht zum Ausdruck gebracht. Shakespeares Dramenhelden sind eben keine "restless wanderers".4 Es ergibt sich die Frage, welche Auswirkungen die Neuerungen Shakespeares auf das literarische Leben seiner Zeit hatten. Zunächst muß 3

4

Manfred Frank, Die unendliche Fahrt: Ein Motiv und sein Text (Frankfurt a. M., 1979), S. 200. So lautet der Titel von John Deans Studie über die späten Dramen Shakespeares.

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festgestellt werden, daß die Gattung Drama in der elisabethanischen Zeit, speziell vor und um das Jahr 1590, als Shakespeares Karriere als Dramatiker vermutlich begann, bei den damaligen Literaturtheoretikern in keinem hohen Ansehen gestanden zu haben scheint. So findet Sidney in der Defence of Poetry für die zeitgenössische Dramenproduktion nur Worte der Kritik.5 Andere literaturtheoretische Schriften der Zeit wie William Webbes Discourse of English Poetrie (1586),6 Puttenhams Arte of English Poesie (1589)7 und Thomas Nashes Vorwort zu Greenes Menaphon (1589)8 nehmen vom zeitgenössischen Drama kaum Notiz. Von Francis Meres' berühmter Schrift Palladis Tamia (1598)9 wird gelegentlich bemerkt, daß die Lobeshymne auf Shakespeare hinter denen zurückstehe, die Sidney und Spenser zuteil werden. Was hierbei meist übersehen wird, ist Meres' geringes Interesse am Drama als Gattung. Der größte Teil seiner Schrift bezieht sich auf lyrische und epische Literaturformen. Gewichtiger als die Lobeshymne auf Shakespeare ist also die Tatsache, daß er als Dramatiker überhaupt in einiger Länge Erwähnung findet. Noch eklatanter kommt das in der .literarischen Welt' verbreitete Desinteresse am Drama als Gattung in der Manuskriptnotiz Gabriel Harveys zum Ausdruck, die oft zur Datierung von Hamlet herangezogen wird. 10 Diese Notiz enthält eine Zusammenstellung zeitgenössischer literarischer Werke bzw. ihrer Dichter. Uber Shakespeare wird gesagt: . . . The younger sort takes much delight in Shakespeares Venus, & Adonis: but his Lucrece, & his tragedie of Hamlet, Prince of Denmarke, haue it in them, to please the wiser s o r t . . .

Auch bei Shakespeare gilt Harveys Interesse also in erster Linie den nichtdramatischen Werken. Hamlet ist das einzige Drama, das überhaupt in seiner Notiz auftaucht. Offensichtlich konnte es aufgrund seiner als überragend erkannten literarischen Bedeutung auch die Aufmerksamkeit eines Mannes gewinnen,11 der zwar ein begeisterter Leser 5 6 7 8 9 10

11

Siehe o. S. 175. Elizabethan Critical Essays, ed. G. G. Smith, a.a.O., Bd. 1, S. 226-302. Ebd., Bd. 2, S. 1-193; siehe vor allem ch. 31, S. 61-66. Ebd., Bd. 1, S. 307-320. Elizabethan Critical Essays, Bd. 2, S. 308-324. Hamlet, a.a.O., Appendix: "Manuscript Note in Gabriel Harvey's Copy of Chaucer's Werkes, 1598", S. 573 -574. Auch der Umstand, daß Hamlet, wie auf dem Titelblatt des ersten Quarto vermerkt wird, in Oxford und Cambridge gespielt wurde (was wir von keinem anderen Drama Shakespeares wissen), könnte dazu geführt haben, daß Harvey es kennt; siehe Hamlet, a.a.O., Introduction, S. 14.

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von Literatur war, mit dem Drama aber sonst nichts im Sinn gehabt zu haben scheint. Das elisabethanische Zeitalter war durchaus nicht das ,Zeitalter des Dramas', wie manchmal gesagt wird. Offensichtlich hat es eine Schicht von Gebildeten gegeben, die die Arcadia und die Faerie Queene mit Begeisterung gelesen haben, am Drama jedoch vorbeigegangen sind. Mit diesen Feststellungen scheint der Umstand, daß das Interesse an öffentlichen Theatervorstellungen in London in den 1580er Jahren offensichtlich sprunghaft angestiegen ist, zunächst nicht im Einklang zu stehen. Die playhouses spielten seit dieser Zeit nicht mehr sonntags wie zuvor, dafür aber an allen anderen Tagen der Woche. 12 Ein nicht unbeträchtlicher Teil des Publikums bestand dabei offensichtlich aus Aristokraten. 13 Auch am Hof gab es oft dramatische Produktionen; man denke nur an Lylys von boy actors gespielte Komödien. Vermutlich galten Theateraufführungen jedoch als Unterhaltung, die sich von ihrem literarischen Anspruch her nicht mit lyrischen und epischen Schöpfungen messen konnte. Erst Shakespeare scheint es gelungen zu sein, dem Drama die volle Anerkennung eines gebildeten aristokratischen Publikums zu verschaffen. Der Grund hierfür könnte darin bestehen, daß Shakespeare epische Stoffe und Themen, die die gebildete aristokratische und höfische Welt Englands beschäftigten, auf die Bühne brachte und somit ein Drama schuf, das sowohl im öffentlichen playhouse als auch bei der Vorstellung vor der Königin Bestand hatte. 14 Es zeigt sich erneut, daß Literaturhistoriker, die sich darauf beschränken, die Stellung Shakespeares innerhalb der dramatischen Gattung zu untersuchen, an Wesentlichem vorbeigehen. Das gleiche gilt für die Frage nach Shakespeares Nachwirkungen. Seine Dramen haben jüngeren Dramatikern wie Webster, Beaumont, Fletcher und Ford sicher manche 12 13

14

E. K. Chambers, The Elizabethan Stage, 4 Bde. (Oxford, 1923); Bd. 1, S. 313-315. Alfred Harbage legt in seiner Studie Shakespeare's Audience (New York, London, 1941) zwar den Hauptakzent auf die Angehörigen der unteren Bevölkerungsschichten unter den Theaterbesuchern (S. 53-91), doch scheint der finanzielle Erfolg einer Aufführung nicht unmaßgeblich von den Besuchern abhängig gewesen zu sein, die die teureren Plätze einnahmen; vgl. Ann Jennalie Cook, The Privileged Playgoers of Shakespeare's London, 1 >76-1642 (Princeton, N . J . , 1981). Vgl. Wolfgang Weiß, Das Drama der Shakespeare-Zeit: Versuch einer Beschreibung (Stuttgart, 1979), S. 183-188. Siehe auch Alvin B. Kernan, "Shakespearian Comedy and Its Courtly Audience", Comedy from Shakespeare to Sheridan, edd. Braunmuller, Bulman, S. 91-101.

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Anregungen gegeben.15 Einen eigentlichen Schüler hat Shakespeare jedoch nicht gehabt. So findet sich die Technik der statischen Abschiedsund Begrüßungsszenen ebenso wie der dramatische Aufbau mit Aufbruch, Ankunft und der allgemeinen Harmonie am Schluß bei anderen Dramatikern der Zeit James' I. nur unvollkommen wieder. Gerade das Bewußtsein einer "world elsewhere" scheint den Personen anderer jakobäischer Dramen zu fehlen, vor allem denen der Tragödien Middletons und Fords. Noch geringer ist der Einfluß Shakespeares auf die Dramen der Restaurationszeit und des achtzehnten Jahrhunderts. So sehr Shakespeare in dieser Zeit auch für seine Verskunst und seine Charaktere gelobt wurde, so wenig glaubte man, im Hinblick auf Struktur und Dramaturgie etwas von ihm lernen zu können. Im Gegenteil: Shakespeare wurde auf dem Gebiet der dramatischen Form oft jeder Kunstverstand abgesprochen; für die Reisehandlungen, die Sprünge in Raum und Zeit erfordern, hatte man besonders wenig Verständnis. So kam es in der Zeit von 1660 bis ca. 1850 zu den zahlreichen Bearbeitungen der Dramen Shakespeares, deren Hauptzweck oft in der Ausmerzung der Verletzungen der Einheiten von Ort und Zeit bestand. Im neunzehnten Jahrhundert wird wieder ein Einfluß Shakespeares sichtbar, paradoxerweise gerade im Roman. Die vielen Zitate und Anspielungen in Werken Scotts, Bulwer-Lyttons, Dickens', George Eliots, Hardys und zahlreicher anderer Romanautoren zeugen von einer intensiven Beschäftigung mit dem Dramatiker.16 Offensichtlich machte gerade die ,epische' Natur von Shakespeares Dramen bzw. deren Aufbau mit Reisen,,Prüfungen' und happy ending sie für die Verfasser von Romanen interessant. Mögliche Nachwirkungen finden sich auch im modernen Spielfilm. Gerade Abschieds-, Begrüßungs- und Reiseszenen und natürlich das harmonische happy ending gehören zum selbstverständlichen Formrepertoire von Kino- und Fernsehfilmen. Die Brauchbarkeit der Dramaturgie Shakespeares für den modernen Film, in dem Verstöße gegen die ,drei Einheiten' nicht nur nicht stören, sondern sogar hochwillkommen sind, belegen die zahlreichen Shakespeare-Verfilmungen. Die Dramen 15

16

Zu Beaumont und Fletcher siehe z. B. Cymbeline, a.a.O., Introduction, S. xxxvii-xl. Zu Ford siehe z. B. R. Davril, "Shakespeare and Ford", Shakespeare-Jahrbuch (1958), S. 121-131. Gerade bei der Wahl von Mottos zu Romankapiteln genoß Shakespeare eine Vorrangstellung; siehe Rudolf Böhm, Das Motto in der englischen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts (Wiesbaden, 1975), vor allem S. 25-29.

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lassen sich leicht in Film-Drehbücher umschreiben, nicht zuletzt weil Shakespeare viele für den Film typische Kunstgriffe, wie etwa die ,Einblendung' in einen Dialog, der bereits ,im Gang ist', vorweggenommen zu haben scheint. 17 Wie Shakespeare selbst sich vor allem von anderen Literaturgattungen als dem Drama anregen ließ, sollte man sich auch bei der Suche nach Wirkungen Shakespeares nicht auf die dramatische Literatur beschränken. Eine genauere Untersuchung dieses Fragenkomplexes muß jedoch weiteren Arbeiten vorbehalten bleiben.

17

Auch Otten vergleicht die Dramaturgie der elisabethanischen Bühne mit dem Film; Die Zeit in Gehalt und Gestalt, S. 169.

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Literaturverzeichnis

I. Editionen Shakespeare wurde nach folgenden Ausgaben zitiert: The Arden Shakespeare, edd. Harold F. Brooks et al. (London, 1951-1982). William Shakespeare and John Fletcher, The Two Noble Kinsmen, ed. N. W. Bawcutt, New Penguin Shakespeare (Harmondsworth, 1977). Außerdem wurde herangezogen: William Shakespeare, The Complete Works, ed. Peter Alexander (London, Glasgow, 1951).

II. Lexikon, Konkordanz, Bibliographien The Oxford English Dictionary, edd. James E. H. Murray et al., 13 Bde. (Oxford, 1933). Spevack, Marvin, The Harvard Concordance to Shakespeare (Hildesheim, 1973). Ebisch, Walter und Schücking, Levin L., A Shakespeare Bibliography (Oxford, 1931); dies., Supplement for the Years 1930-1935 (Oxford, 1937). Smith, Gordon Ross, A Classified Shakespeare Bibliography 1936-1958 (University Park, Penn., 1963). Deutsche Shakespeare-Gesellschaft: Jahrbuch (1950-1964). Deutsche Shakespeare-Gesellschaft West: Jahrbuch (1965-1983). Shakespeare Quarterly 1-37 (1950-1986).

III. Weitere Primärliteratur 1. Antike und frühmittelalterliche Texte Achilles Tatius, Leucippe and Clitophon, ed. Ebbe Vilborg (Stockholm, 1955). Aeschyli Septem quae supersunt tragoedias ed. Denys Page (Oxford, 1972). Aristotelis de arte poetica liber, ed. Rudolf Kassel (Oxford, 1965). S. Aureli Augustini Confessionum libri tredecim, ed. P. Knöll (Leipzig, 21926 ['1898]). (Ps.-Clemens von Rom,) Die Pseudoklementinen II: Rekognitionen in Rufìns Übersetzung, ed. Bernhard Rehm (Berlin, 1965). Euripidis Fabulae, 3 Bde.; Bd. 1, ed. Gilbert Murray (Oxford, 1902); Bd. 2, ed. J. Diggle (Oxford, 1981); Bd. 3, ed. Gilbert Murray (Oxford, 21913 ['1909]).

327

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Personen- und Sachregister

Die Angabe der Seitenzahl ist kursiv, wenn nur auf eine Anmerkung verwiesen wird. Verweise auf Dramen Shakespeares finden sich im anschließenden Werkregister. Abschied, Abschiedsszenen, Trennung 19-98, 171-174 et passim Achilleus Tatios, Leukippe und Kleitophon 292, 305 Aischylos, Agamemnon 103, 104, 153; Choephoren 104, 279; Hiketiden 104; Perser 103 Alba 40 Alexander, Peter 1, 28, 82, 254, 289 Alltag, siehe: Lebenswirklichkeit Amadis 7, 234 Ambiente 18 Anagnorisis, Wiedererkennung 104, 133, 167, 169, 273, 279, 285, 310 Antike, antikes Theater 15f., 18, 2 0 - 2 3 , 26, 103-105, 169, 174, 195, 221, 225, 228, 231, 232f., 243, 272, 275, 278f., 291f., 314 Apollonius-Koman 81, 264f., 272, 286 Arden of Faversham 26 Ariosi, Orlando furioso 7, 230, 234f., 236f. Aristophanes 232 Aristoteles, Poetik 15, 23, 154, 279 Augustinus, Confessiones 311 Ausblendung 47, 76f., 131 Baldwin, T. W. 42, 57, 264 Barber, C. L. 10, 276, 277 Bargagli, Girolamo, La pellegrina 292 Baughan, Denver Ewing 179 Bawcutt, N. W. 1 Beaumont, Francis 323f., The Knight of the Burning Pestle 260 Begrüßung, Begrüßungsszenen 98-174 et passim Berichtsszenen 15, 16, 38, 48, 51, 84f„ 174,

210, 212

Berry, Edward 6, 10, 96, 97, 172f., 201, 222

Berschin, Walter VII, 234 Bevington, David 25 Bewährung (siehe auch: Prüfung) 53, 84, 88, 91, 128, 137, 173, 195, 201, 209, 233-238, 257, 258, 266, 307, 309 Bibel 220, 234, 236, 267 Bildung, Erziehung 3, 26, 35, 99, 132, 143, 164, 197, 211 Blumenberg, Hans 27} Boccaccio 294 Botenbericht (siehe auch: Berichtsszenen) 18, 310 boy actors 106, 181, 323 Böhm, Rudolf 324 Bradley, A. C. 9, 72, 73, 154, 250, 290 Brockbank, Philip 78 Brooke, Arthur, „Romeus and Juliet" 40 Brooks, Harold F. 1, 38 Brown, John Russell 9 Brown, Keith 218 Bruerton, Courtney 43 Bukolik, siehe: Pastorale Welt Bullough, Geoffrey 25, 55, 131 Bulwer-Lytton, Edward George 324 Bürgerlichkeit 145, 255 Caimcross, Andrew C. 32 Camôes, Os Lusiades 7 Carroll, William 276f„ 297, 301, 312 Castiglione, Baidassare, II cortegiano 100-102, 118, 121, 172, 246, 248, 320 Cato 57 Celestina 23 Cervantes Saavedra, Miguel de, Don Quijote 234, 237, 260 Chambers, E. K. 323 Charaktere, Charakterisierung 7, 9, 15, 17f., 35, 39, 52, 56, 73, 74, 87f., 116, 131, 133, 146f., 154, 155, 158f., 170,

335

171f., 173, 182, 191, 194, 263, 265, 267, 287, 293, 321, 324 et passim Charlton, Η. Β. 225, 292 Chaucer, Geoffrey, Troilus and Criseyde 40, 59 Chettle, Henry 254 Chew, Samuel C. 236 Chrétien de Troyes 99, 236; Cligès 279; Erec 279; Perceval 20, 236; Yvain 234f., 279 Christentum 72, 107, 220, 230, 235, 240, 252, 265, 267, 271f., 287, 290, 320 Chronologie (der Dramen Shakespeares) 27, 95 Clemen, Wolfgang 9, 16, 27, 34f., 38, 49, 85, 94, 95, 106, 114, 210, 243, 274, 304 Clemens von Rom (siehe auch: Recognitiones) 265 Coghill, Nevill 228 Coleridge, Samuel Taylor 151 Common Conditions 24f., 175f., 195 Cook, Ann Jennalie 323 courtship 55, 61, 256 Craik, T. W. 306 Daley, A. Stuart 128 Danby, John F. 202, 304 Daniel, Samuel, Civil Wars 50 Dante Alighieri 235 Davril, R. 324 Dean, John 226, 230f., 310, 321 Dekker, Thomas, The Shoemaker's Holiday 3 della Casa, Giovanni, Galateo 100-102 Demut (siehe auch: Ergebung) 143, 235, 239f., 246, 250f., 253, 258, 259, 274, 287 Deutschbein, Max 304 dénouement 119, 125, 144, 166, 309 Dickens, Charles 324 Dorsch, T. S. 242 Dramatische Ökonomie 72, 180, 212, 213, 214 Dyce, Alexander 25 Dynamische Szenen 15-19, 20, 36, 51, 62, 103, 108, 110, 116, 119, 131, 133, 169, 194, 195 Edwards, Richard, Damon and Pithias 24, 34 Einblendung 35f., 62, 76, 89, 93, 325 336

Einheiten des Ortes, der Zeit, der Handlung 5, 23f„ 174f., 324 Eliot, George 324 Elisabethanisches Theater (vor Shakespeare) 18, 24-27, 105-108, 174-177, 225, 322 Elyot, Sir Thomas, The Govemour 294 Epos, epische Erzählformen 8, 20, 26, 81, 88, 90, 96, 98, 105, 113, 119, 124, 127, 128, 131, 132f., 170, 173, 176f„ 180, 191, 192, 195, 209, 219, 221f., 228, 231-233, 237f., 244, 260, 262, 265f„ 271f., 275, 278, 283, 297, 298, 303, 306, 315, 317, 320-324 Erasmus 57 Ergebung, Ergebenheit, Schicksalsannahme 30, 46, 59, 80, 91, 97f., 184, 201-203, 208, 233, 235, 243, 248, 252, 262, 264 271f., 277, 287, 304, 308, 320 Erzgräber, Willi 150, 202 Erziehung, siehe: Bildung euphuism 57 Euripides, Alkestis 20; Elektra 21, 104, 279; Helena 279; Herakles 103; Herakliden 104; Hippolytos 103; Ion 279; Iphigenie in Tauris 279 Existenzkrise, siehe: Grenzsituation Existenzphilosophie, Existentialismus 271 f. Experimente, dramatische 53, 93f., 116, 168, 229, 303 Exposition 36, 52, 58, 112, 116, 127 Familie 5, 73, 169f., 286, 304, 313f. Felperin, Howard 226, 229f., 299 Fernkulisse 217 Fiedler, Leslie 252, 288, 314 Film 34, 36, 291, 296, 324f. First Folio 264, 289 Fletcher, John 1, 92, 171f„ 323f. Flirten 140, 256 Floire et Blancheflor 279 Foakes, Reginald 92, 264 Ford, John 323f. Fortuna, fortune 26, 30, 91, 204, 270, 271, 272, 274 Frank, Manfred 321 Frau, Stellung der 54f., 190, 196, 235, 236, 248, 255, 268, 294, 300 Frankel, L. 40

96, 195, 209, 265, 272, 274, 283, 320 Greyerz, Georg von 38, 85 Groto, Luigi, La Hadriana 23, 40 Guarini, Battista, II pastor fido 24, 236 Guazzo, Stefano, La civile conversazione 100-102 Guy of Warwick 228

happy ending 58, 88, 91, 98, 120, 165, 167, 171, 184, 186, 193, 201, 251, 261, 262, 271, 272f., 275, 277f., 279, 281f., 285, 287, 291-315, 324 Harbage, Alfred 323 Hardy, Thomas 324 Harmonie, kosmische 127, 216, 222, 275, 301, 302f., 304-315, 320f. Hartwig, Joan 227, 316 Harvey, Gabriel 322 Hasler, Jörg 123 Hatto, Arthur T. 23, 40 Heidegger, Martin 272 Heiligenlegende 230, 236, 272 Heilman, Robert B. 70 Heimatlosigkeit 5f., 46, 69, 142, 160, 199, 208, 221, 289, 290 Heirat 20, 39, 61, 77, 173, 174, 250, 256, 279f., 284, 291-304, 307, 310, 312f., 315, 319 Heliodor, Aitbiopika 20, 105, 170, 195, 221, 228, 230, 233f., 237, 262, 263, 268, 278, 300, 305-310, 314 Herrick, Marvin T. 23, 292 Heubeck, Alfred 233 Historia Apollonii, siehe: Apollonius-Roman Historiendramen 2, 95, 106, 115, 138, 244, 302, 319 Hoby, Thomas 100 Hoeniger, F. D. 81, 272 Hoffmann, Friedrich 18 Hofkritik 254 Homer, Ilias, 19, 99, 233; Odyssee 7, 99, 105, 170, 191, 195, 209, 230, 233, 236, 259, 265, 268, 278, 280, 286 Honigmann, E. A. J. 27 Höfischkeit, Höflichkeit 5, 17, 89, 99, 100-103, 107, 108, 118-121, 124, 130-132, 138-142, 144, 145, 148, 153, 160, 162, 164f., 172, 197, 249, 252, 257, 301, 320 Hösle, Johannes 23 Humphreys, A. R. 51, 52, 128 Hunter, G. K. 8, 57, 250, 303

Habicht, Werner 175, 176 hamartía, tragic flaw 154, 287, 289 Hamilton, A. C „ 45, 237 Hammerschmidt, Hildegard 3 Hammond, Antony 115 Handel, Handelsfahrt 3, 211, 215, 240f.

Idealwelt 126f., 251-259 Individuum, Individualität 97, 102, 140, 160, 173, 263, 270f., 320 Induction 112 Initiation 132, 163, 255f., 258, 314 Inselmotiv 236, 259

Freiheit, Freiwilligkeit 122f„ 194, 259, 272 Fremde 4f., 7, 99, 101f„ 118, 133, 173, 199, 211, 221, 225, 237, 252f., 257, 267f., 276f., 297, 300, 320 Freundschaft 33f., 36f., 44f., 93, 293f„ 297 Frye, Northrop 10, 221, 238, 276, 292, 320 Garber, Marjorie 10, 96, 174, 256 Gardner, Helen 83, 290 Gascoigne, George, Supposes 211 Gattungen 8, 95 et passim Geburt 204f„ 207, 272, 273, 283, 284, 286 Gemeinwesen, Gesellschaftsordnung 5, 102, 138, 140, 148, 155, 170, 197, 214, 221, 245, 252, 280, 286, 290, 297, 300f., 314 Gennep, Arnold van 6, 96, 172 gentleman-Ideal 36f., 101, 117f., 120, 139, 145, 248, 252, 295, 320 Geographie 112, 176, 191, 197, 210-221, 222, 301 Gesner, Carol 8, 231, 262, 305, 307 Gespielte Zeit 29, 174 Gibbons, Brian 39, 43 Gismond of Sáleme 33 Gl'ingannati 266 Gnade 59, 88, 239, 274, 285, 298, 303 Goldenes Zeitalter 253 Golding, Arthur 85 Gower, John, Confessio Amantis 265, 286 Granville-Barker, Harley 145 Greene, Robert 36, 108, 115, 170, 227; Alphonsus, Prince of Arragon 176, 239; Friar Bacon and Friar Bungay 107; James IV 36; Menaphon 322; Pandosto 167, 229, 305 Gregor der Große 234, 272 Grenzsituation, Existenzkrise 3, 7, 19, 50,

337

Interlude 176 Ironie 37, 44, 56, 64f., 68, 72, 73, 114, 119, 141, 144, 151, 186, 187, 219, 240, 247, 294, 298 Isokrates, Ad Demonicum 57 Jagd 16, 165, 254, 257 Jakobäisches Theater 324 Jakobson, Roman 39 Jenkins, Harold 56, 58, 217 Jonson, Ben 254; Every Man in His Humour 57; Volpone 3 Kay, Dennis 283 Kelso, Ruth 3, 101, 248 Kermode, Frank 311 Kernan, Alvin B. 323 kindness 26, 51, 53, 55, 59, 66, 77, 94, 97, 126f„ 129-131, 132, 149, 152, 155, 161f., 165, 171, 189, 191, 203f., 255, 257, 267f., 275, 277, 297, 298, 308, 320 et passim Knight, G. Wilson 10, 88, 90, 91, 163, 164, 201, 226, 232, 243, 244, 263, 267, 269, 28}, 304, 308, 314 Knights, L. C. 52 Kolumbus 280 Komik 15, 21f., 38, 43, 56, 60, 104f., 110, 119, 120, 179, 181, 182, 188, 206, 228, 278, 292 Komödie 15, 95, 104f., 225, 227, 232, 248, 265f., 278, 281, 291f., 294, 306, 319 Köhler, Erich 279 Kullmann, Thomas 68 Lancelot und Guinevere 32, 279 Latham, Agnes 256 Läuterung 167, 201, 203f., 208, 243, 260, 276, 303 Lebensphasen 6f, 53, 81, 96f., 133, 169, 173f., 275 Lebensreise 6, 81, 90, 94, 173, 205, 236, 240, 245, 271, 273, 290, 319 Lebenswirklichkeit, Alltag 2f., 35, 57, 67, 108, 238, 266, 313, 314, 316 Leech, Clifford 25, 37, 175, 210, 218f., 295 Leggatt, Alexander 266 Leone Ebreo 301, 313 Lewis, C. S. 279 Liebe, Liebesszenen 3, 18, 21, 22, 23, 27, 30-34, 36-37, 38-43, 44, 53, 55, 59-62, 82-89, 91, 93, 116f., 125f., 141, 338

146f., 168, 178f., 215, 225, 227, 230, 238f., 248, 256, 279f., 291-304, 306, 308, 310, 311f„ 313f. Liebespfänder, tokens 37, 60, 83 Link, Franz H. 29, 216 Lodge, Thomas, Rosalynde 55, 57, 131 Longos, Daphnis und Chloë 236, 305 Lothian, J. M. 306 Lovelace, Richard 83 Lowry, Malcolm, Under the Volcano 219 Luck, Georg 32 Lukács, Georg 221 Lyly, John (Dramen) 227, 323; Euphues 48, 57 Lyrik 8, 26, 32, 40f., 50, 94, 125, 127, 133, 279f., 322f. Machiavellismus 49 Mack, Maynard 289 Mahnreden 56f., 63 Malinowski, Bronislaw 39 Malory, Thomas, Le Morte d'Arthur 230, 234f., 236 Marlowe, Christopher 176f., 254; Dido, Queen of Carthage 26, 85; Doctor Faustus 177; Edward II 106; Tamhurlaine 176 Marston, John 254; The Malcontent 112 Maus, Katherine E. 238 McGlinchee, Claire 57 Mehl, Dieter 9, 61, 159, 202, 246 Melancholie 58, 114, 130, 229, 255, 269, 270, 273, 277, 285, 298, 299 Menander 232 Meres, Francis, Palladis Tamia 322 Merkelbach, Reinhold 314 Metaphern, Metaphorik 39, 58, 82, 146, 205, 207, 222, 234, 236, 238-244, 263, 271, 273, 274, 275, 284, 286, 288, 290, 316, 319 Metasprache 17 Mikrokosmos, Makrokosmos 205, 304, 311 miracle plays 230, 272 Mittelalter 7, 15, 40, 99, 102 Montemayor, Jorge de, Diana 20, 37, 236, 256, 294, 295 morality play 8 Morley, S. Griswold 43 Morón Arroyo, Ciriaco 23 Morris, Brian 261

Motiv 1, 4, 41, 90, 99, 165, 232-238, 276, 278-280, 315, 319-321 et passim Muir, Kenneth 8, 35, 72, 102, 229, 240 Munday, Anthony 254 Mysterienkulte 314 mystery play 8 Mythos 16, 26, 213, 218, 271, 278f. Nashe, Thomas 322 Naturgewalten 90, 201f., 204-207, 209, 261, 265, 269, 271, 273-275 Neuplatonismus 313, 316 North, Thomas 74, 78, 159 Nosworthy, J. M. 26, 84, 87, 161, 227 Novellen 8, 23, 40f., 293f„ 297, 303 Oddi, Sforza, I morti vivi 292 Öffentlichkeit, siehe: Staat O'Loughlin, Sean 240 Oppel, Horst 22, 75, 172 Optimismus, siehe: Zuversicht Ordnung, natürliche (Störung, Wiederherstellung) 5, 72, 115, 128, 138, 149, 151, 163, 166, 170, 171, 188, 193, 202-204, 230, 275, 288, 296, 297, 308, 311f., 316, 321 Otten, Kurt VII, 27, 42, 47, 109, 110, 123, 245, 325 Ovid, Metamorphosen 84-86; Tristien 31f. Pafford, J. H . P. 164, 229, 231 pageants 16, 106, 109, 115, 170 Pastorale Welt 128f„ 132, 163, 165, 236f., 253, 255f., 258, 289 Peele, George 25, 106f„ 108, 115, 170; Edward 1106; The Arraignment of Paris 160, 230; The Battle of Alcazar 106f„ 109, 112, 239 Peripetie, siehe: Wendepunkt Pessimismus 159 Peterson, Douglas L. 259 Peterson, Robert 100 Petrarkismus 39 Pettet, E. C. 10, 161, 226-229 Pettie, George 100 Pfister, Manfred 228 Phatische Sprachfunktion 39 Phialas, Peter G. 316 Pilgerfahrt 46, 235f., 238-240, 250, 269, 303

Plautus 8, 21, 23, 43, 232, 278, 281, 292, 320; Amphitruo 15, 21, 26, 104f.; Asinaria 22; Aulularia 291; Bacchides 104; Captivi 21; Casina 291 ; Cistellaria 291; Curculio 22, 42, 104, 291; Epidicus 104; Menaechmi 212, 264, 266, 279, 282, 306; Miles gloriosas 22, 26; Mostellaria 104; Poenulus 104, 279, 291; Rudens 104, 105, 174, 232, 279, 291; Stichus 105; Trinummus 104, 291; Plutarch 48, 74, 78, 159 Politik, politische Szenen 89, 103, 108, 112-115, 121, 134, 138, 156, 160f., 170, 281, 299, 302, 304, 308, 311 Politische Ehe 77, 302 Polo, Gil, Diana enamorada 294 Pope, Alexander 264 Possin, H . J. 173 Prolog 18, 174 Prüfung 6, 53, 88, 97f., 173, 179f„ 190, 193, 199, 208f., 220, 233-238, 246, 265, 272, 297, 300, 303, 308, 311, 320, 324 Psychologie 9, 33, 173, 222, 227, 229, 266, 293, 297, 321 Puttenham, Arte of English Poesie 322 Quellen 8f., 32, 48, 50, 53, 57, 73, 74, 81, 94, 131, 159, 230f., 239, 272, 286, 305, 315 et passim quest (siehe auch: Suche) 7, 234f., 238, 239f., 244f., 248-251, 269, 279, 280, 281

Queste del Saint Graal 235 Rache 28, 188, 248, 268 Rang, Rangunterschiede 71, 102, 135, 172, 192, 194, 237 Rare Triumphs of Love and Fortune, 26f., 108 Realismus (siehe auch: verisimilitude) 180, 181, 187, 195, 196, 202, 205f„ 227, 229, 245, 255f„ 258, 292f. Recognitiones 265, 267, 272 Reise passim

147, The 161, 225,

339

Renaissance 18, 20, 23, 97, 99-103, 105, 139, 162, 172, 225, 228, 231, 236f., 246, 259, 301, 313, 316, 320 Riche, Barnaby, Apolonius and Silla 266, 305 Ridley, M. R. 77, 145, 157 Riehle, Wolfgang 61, 79 Riten, Rituale 4, 6, 96f., 128, 133, 172f„ 290, 301, 311, 314, 320 et passim Ritterlichkeit 59, 62, 77f., 139f„ 160, 225, 234f., 237, 239f., 244-251, 252, 260f., 268, 276, 280, 288 Robin Hood 236, 253f. Rojas, Fernando de, siehe: Celestina Roman (siehe auch: Epos) 8, 9, 20, 26, 81, 90, 96, 105, 119, 124, 131, 132f., 176f., 180, 195, 209, 219, 222, 228, 231f., 232f„ 237, 244, 265, 271, 291, 294, 306, 315, 317, 320f., 324 Roman, altfranzösisch 7, 99, 226, 234f., 248, 279, 280 Roman, byzantinisch 279 Roman, spätgriechisch 7, 105, 221, 228, 231, 232f., 234, 272, 275, 278, 279f., 293f., 300, 314 „Romance"-Begriff 225-232 Romantik 321 Salingar, Leo 294 Sanesi, Ireneo 23 Sannazaro, Iacopo, Arcadia 236, 256 Sappho 20 Sartre, Jean-Paul 272 Schäferwelt, siehe: Pastorale Welt Schein und Sein 69, 104, 120f., 122f., 145, 156 Schicksal 29, 31, 42, 157, 201f„ 205f., 240f„ 244, 245, 250, 253, 260f„ 263, 265, 267, 269, 271, 274, 276, 286, 288, 291, 300, 303, 307, 312 Schicksalsannahme, siehe: Ergebung Schiffbruch 58, 234, 242f., 267, 275, 283, 315 Schlüter, Kurt 9, 38, 95, 210 Schücking, Levin L. 22 Schulz, Dieter 7 Sckommodau, Hans 41 Scott, Walter 324 Seesturm, siehe: Sturm Sehrt, Ernst Theodor 298 Selbstverwirklichung, Selbstbestätigung 5, 37, 63, 131, 181, 186, 248 340

Seneca 8, 21, 23, 320; Agamemnon 174; Hercules Furens 103; Phaedra 103; Phoenissen 174; Thyestes 103f„ 153 Ser Giovanni, Il pecorone 297 Sexualität 61, 70, 91, 93, 241, 248, 256, 292, 299, 301, 311f., 313 Shakespeare, William, siehe: Werkregister Sidney, Sir Philip 322; „A Defence of Poetry", 24, 175, 322; Arcadia 7, 227, 234, 236f., 244, 256, 280, 314, 319, 323 Siglo de oro 23 Sir Bevis 228 Sir Clyomon and Sir Clamydes 25, 176, 195, 244 Smith, G. Gregory 24, 322 Smith, Halle« 231, 265, 305, 315 Sophokles, Atas 20; Antigone 15; Elektra 104, 279; König Ödipus 20, 278; Ödipus auf Kolonos 104; Philoktet 232; Trachinierinnen 103 Spannung 7, 26, 40, 98, 105, 115, 117, 147, 155, 163, 177, 186, 263, 306 Spence, Lewis 226 Spencer, Theodore 304 Spenser, Edmund 322; 227 (Dichtung); The Faene Queene 7, 25, 45, 234, 237, 244, 260, 278, 319, 323 Spevack, Marvin 211 Spielzeit 29, 43 Spurgeon, Caroline 243 Staat, Öffentlichkeit 5, 89, 149, 151, 170, 304, 313f. Stamm, Rudolf 153 Statische Szenen 15-19, 20f., 23, 37, 39, 52, 62, 73, 74, 77, 95, 103-108, 109, 110, 112, 116, 119, 125, 127, 133, 134, 144, 147, 149, 159, 163, 165, 169, 170f„ 180, 189, 194 Stärk, Ekkehard 306 Sterbeszenen 20 Stoische Weltanschauung 46, 48, 80, 226, 287, 320 Stoll, Elmer Edgar 17 Struktur (der Dramen) 1, 5, 10, 26, 53, 98, 108, 144, 147, 163, 168, 178, 183, 191,

193, 208, 210, 212, 225, 230f., 244, 272, 283, 289, 294f., 300, 305-307, 320, 324 Sturm, Seesturm 6, 145, 204, 233f., 242-244, 263-276, 311, 313 Suche (siehe auch: quest) 5f., 8, 35, 234f., 278f„ 282, 286 Swinburne, Algernon 87 Symbolik 6, 97, 115, 122, 142, 146, 167, 173f„ 191, 197, 201, 207, 220, 238, 242, 263, 266, 283, 288, 315 Sympathielenkung 33, 45, 48f., 51, 53, 55, 59, 70, 78, 80, 88, 97, 153f., 171 Syphilis 280 Tagelied 40 Tasso, Aminta 23, 33, 236, 256, 280; Gerusalemme liberata 7, 236f. Tennyson, Alfred Lord 87 Terenz 8, 21, 23, 43, 232, 278, 281, 292, 320; Adelphen 291; Andria 104, 291f.; Heautontimorumenos 104; Phormio 104 Tetzeli von Rosador, Kurt 91 Theobald, Lewis 264 Theokrit, Idyllen 236 Thomsen, Christian W. 33 Tillyard, E. M. W. 10, 226, 232, 284, 304 Tod 32, 46, 205, 214, 248, 261, 272, 273, 278, 280, 284, 286-291, 308, 315 Tourismus 3, 41 tragic flaw, siehe: hamartía Tragikomödie 227, 316Í. Tragische Vorahnung 41, 147, 194, 287 Tragödie, Tragik 15, 95, 108, 153f., 156, 188, 226, 227, 232, 242, 250, 268, 278, 286-291, 319 Traum 90, 221, 295f. Traversi, Derek 269 Trennung, siehe: Abschied Treueschwur 37, 59, 61, 82, 87, 116, 298, 311f. Tristan und holde 32, 279 Triumphszenen 18, 106 Trivialliteratur 227, 292, 296 Trobadorlyrik, provenzalische 279f. troth-plight, siehe: Treueschwur Troublesome Raigne of lohn King of England, The 27 Tucholsky, Kurt 296 Twine, Laurence, The Paíteme of Painefull Aduentures 270, 285f.

Überredungsszene 15, 122 Uhlig, Claus 254 Umgangsformen 5, 17, 97, 99-103, 106f., 110, 129, 162, 165, 172, 254f„ 257-259, 277, 301, 320 Underdowne, Thomas 305 unkindness 68f., 82, 88, 150, 152, 194, 202, 204, 262 Unterstenhöfer, Marga 9 Ure, Peter 43 Urfé, Honoré d', Astrée 256 Vega, Lope de, Castelvines y Monteses 43 Verbannung 3, 24, 29f., 31, 35, 46, 47, 108, 119f., 181, 189, 194, 214, 246, 287 Vergil, Aeneis 7, 41, 209, 221, 233, 264, 278, 280;

Bucolica 236 verisimilitude (siehe auch: Realismus) 7, 81, 173, 175, 227, 229, 315 Vice 176, 196 Virginität 64 Waith, Eugene M. 97 Wald 6, 128, 200f„ 234f., 236, 253f., 260f., 290, 296, 300 Wars of Cyrus, The 106 Waste Land 142 Webbe, William, Discourse of English Poetrie 322 Webster, John 254, 323 Weiß, Wolfgang 323 Wendepunkt, Peripetie 33, 72, 90, 273, 279, 309 Whetstone, George, Promos and Cassandra 25, 106 Wiedererkennung, siehe: Anagnorisis Wiedersehen 3, 19, 81, 97, 104, 169, 183, 208, 279, 280, 281-286, 289, 309f„ 315, 319 Willen, Willenskraft 240, 276, 307 Willenskampf 22, 26, 28, 74f. Willson, Robert F. 37, 95, 109 Wilson, John Dover 225 Wolff, Samuel Lee 234 Wortkulisse 217 Young, Bartholomew 100 Zeit, Zeitablauf, Zeitempfinden 27, 29, 32, 40, 41, 42, 60, 84, 109, 119, 141, 187, 283, 307

341

Zeremonien (siehe auch: Riten, Rituale) 53, 68, 71, 80, 97, 98-174, 297, 299, 301, 312, 320 Zimmermann, Heinz 271 Zuhause (siehe auch: Heimatlosigkeit) 3f., 6, 37, 50, 56f., 62, 75, 78f„ 99, 108, 121-123, 124-127, 132f„ 137, 149-151, 163, 169, 171, 194, 215, 217, 219, 221, 254f., 276, 301 et passim

342

Zukunft, Blick in die Zukunft 41f., 46, 47, 49, 52f., 60, 62, 64, 79, 82, 95, 119, 139, 141, 147, 165, 178, 193f. Zuversicht, Optimismus 19, 41f., 88, 178, 186, 188, 191, 194, 196, 199, 200, 207, 221, 251, 253, 259, 262, 264, 267, 274, 277, 290, 308

Werkregister

Bei den Dramen Shakespeares sind die wichtigsten Erwähnungen fett wiedergegeben. Einzelne Personen der Dramen werden nicht aufgeführt. Statt dessen erfolgt eine Seitenangabe beim jeweiligen Dramentitel. Die Angabe der Seitenzahl ist kursiv, wenn nur auf eine Anmerkung verwiesen wird. Bei jedem Titel werden zunächst die Seitenzahlen genannt, die sich auf das Drama insgesamt beziehen. Hierauf folgen Angaben zu einzelnen Szenen des jeweiligen Dramas. All's Well That Ends Well 5, 37, 63-66, 73, 97, 142-144, 155, 174, 184-186, 207, 249f., 251, 303f., 312; 63f., 66, 143, 185, 250 (1,1); 142f., 250 (1,2); 143, 163, 184f. (1,3); 64f., 143f., 184 (11,1); 185 (11,2); 185, 250 (11,3); 66 (11,4); 44, 65f., 185 (11,5); 250 (111,1); 144, 186 (111,2); 186 (111,4); 144 (111,5); 66, 186, 222 (IV,3); 186, 207 (IV, 4); 144 (IV, 5); 207 (V,l); 303 (V, 3) Antony and Cleopatra 4, 74-78, 95, 97, 156-158, 171, 210, 216f., 245f„ 251, 290f., 302; 217 (1,2); 74-76 (1,3); 216 (1,4); 156, 216 (11,2); JO (11,4); 216 (11,7); 74, 76f., 78, 93, 156 (111,2); 77 (111,4); 156-158, 169, 216f. (111,6); 217 (111,7); 246, 247 (III, 13); 77f., 246 (IV, 4);

247 (IV, 12); 217 (IV, 14); 246 (IV, 15); 217 (V, 2) As You Like It 2, 4, 5, 6, 7, 53-55, 61, 74, 95, 97, 98, 108, 128-132, 133, 143, 163, 169, 172, 174, 181-183, 188, 196f., 222, 225, 227, 228, 229, 249, 251, 253-257, 258, 260, 268, 277, 281, 283f., 286, 293, 298-300, 301, 302, 304, 307, 321; 253 (1,1); 53 - 5 5 , 183, 298 (1,2); 47, 181-183, 194 (1,3); 16, 47, 254Í, (II. 1); 183 (11,3); 128f., 196, 208 (11,4); 129, 196f., 255 (11,6); 16, 129-132, 183, 197 (11,7); 255, 298 (111,2); 256 (111,3); 284 (111,4); 256, 277, 298f„ 307 (IV, 1); 298 (V,2); 299f. (V,4) Comedy of Errors, The 2, 3, 7, 210, 212f., 219, 263, 264-266, 282f., 285, 286, 289, 296, 300, 306, 321; 212, 264f. (1,1); 212, 265f. (1,2); 212 (IV, 1); 169, 212, 282f. (V,l) Coriolanus 78-80, 98, 113, 158-160, 245f., 251, 291; 34 (1,2); 67 (1,3);

343

34 (1,5); 158f. (11,1); 80 (11,2); 159 (11,3); 47, 78, 221, 246 (111,3); 78- 80,81, 158, 246 (IV, 1); 159f., 169 (IV, 5); 247 (IV,6); SO (V, 3) Cymbeline 2, 4, 6, 7, 37, 61, 82-89, 94, 97, 98, 108, 160-163, 168-170, 171, 174, 186-188, 190f., 197-199, 225, 248, 249, 251, 257f., 260, 261-263, 281, 284, 287, 301, 304, 307-309, 310, 321; 47, 82-84, 88, 89, 191, 308 (1,2); 249 (1,3); 84-89, 186, 191 (1,4); 160, 248 (1,5); 160 (1,7); 160 (11,3); 89, 113, 160f., 308 (111,1); 186f., 190f., 198 (111,2); 257 (111,3); 89, 190£. (111,4); 89, 161, 187f. (111,5); 197f., 262 (111,6); 161-163, 257 (111,7); 191, 198f., 257f., 262 (IV,2); 241 (IV, 3); 248 (V,3); 308f„ 319 (V, 4); 88, 187, 241, 309 (V,5) Hamlet 2, 55-58, 73, 87, 97, 134-138, 142, 155, 171, 172, 210, 217-219, 222, 244, 248, 268f., 280, 288, 290f., 322; 218, 268 (1,1); 67, 133, 218 (1,2); 55-57, 66, 73, 218 (1,3); 217 (1,4); 67, 307 (1,5); 67, 218 (11,1); 112, 134-137, 217, 218 (11,2); 58, 135f„ 218 (111,1); 286 (111,2); 38, 218 (111,4); 57f., 72, 137, 218 (IV,3); 218 (IV,4); 58, 268 (IV, 5); 218 (IV,6); 218 (V, 1); 137f., 218, 269, 289 (V,2) Henry IV, Part 1 16,281; 17 (1,2);

344

51 (11,3) Henry IV, Part 2 16, 281; 52 (11,4); 34 (111,2) Henry V 95, 302f.; η (11,3); 302 (III,c¿.); 302 (111,3); 302 (111,4); 34 (IV,3); 302f. (V,2) Henry VI, Part 1 27, 112f., 114, 115, 280; 28, 34 (1,1); 112f. (111,4) Henry VI, Part 2 29-34, 95, 114, 115; 114 (1,1); 16 (11,1); 29-30 (11,4); 29-34, 47, 49 (111,2) Henry VI, Part 3 34 (1,1); 34 (11,3); 16 (111,1); 290 (111,2); 302 (111,3); 34 (IV, 8); 290 (V,4); 290 (V,6) Henry VIII 1, 91f.; 92 (1,1); 109, 171f., (1,4); 91 f. (11,1); 91 f. (111,2); 91f. (IV,2) Julius Caesar 245, 251; 245 (1,2); 51 (11,1); 16, 241 f. (IV,3); 34 (V, 1) King John 27, 112f., 114, 115; 112f. (11,1); 28 (111,2) King Lear 2, 4, 6, 7, 67-71, 73, 97, 149-151, 156, 188, 191, 192, 199, 201-204, 208, 209, 210, 219, 222, 244f., 261f., 271, 275, 283f., 287, 289f., 321; 35, 67-69, 151, 219, 289 (1,1); 150 (1,4); 149 (11,1); 149f., 201 (11,4); 201 f. (111,1); 202, 261 (111,2); 150, 202f., 261 (111,4); 72, 151, 189, 203, 219, 261, 284 (111,6);

44, 69f., 219 (111,7); 203, 219 (IV, 1); 69, 70, 150 (IV, 2); 70f. (IV, 5); 203f., 210 (IV, 6); 151, 285 (IV, 7); 151, 204, 289f. (V,3) Love's Labour's Lost 120f., 132, 227, 292; 120f. (11,1); 292f. (V,2) Lucrece 322 Macbeth 67, 71-73, 74, 95, 97, 151-155, 156, 171, 229, 244, 288, 290; 247 (1,2); 151f., 247 (1,4); 72, 152 (1,5); 152-154 (1,6); 154 (1,7); 154(11,1); 71, 154 (11,3); 71-73 (111,1); 72 (111,3); 16f., 109, 154f. (111,4); 73 (IV,2) Measure for Measure 1, 37, 66f., 144f., 303; 66f., 145 (1,1); 240 (11,1); 144f. (V,l) Merchant of Venice, The 3, 6, 74, 87, 124-127, 128, 132, 133, 180f., 210, 215f., 222, 225, 229, 251, 252, 253, 293, 297f., 300f.; 216, 239, 240 (1,1); 216 (1,2); 50f., 66, 71 (11,3); 239 (11,7); 51, 229 (11,8); 216, 229 (111,1); 44, 124, 216, 229, 297 (111,2); 124, 180£ (111,4); 216 (IV, 1); 125 (IV, 2); 124-127, 229, 280, 297f., 304 (V,l) Merry Wives of Windsor, The 1, 292; 241 (1,3) Midsummer Night's Dream, A 4, 5, 7, 199-201, 202f„ 208, 210, 214, 215, 221, 225, 229, 244, 260£, 293, 295-297, 298, 303; 4 4 , 2 0 0 , 215 (1,1); 200, 210, 215, 260 (11,1); 200f„ 215 (11,2); 44f., 201, 215, 260f. (111,2);

16, 215, 295f. (IV, 1); 222, 296f. (V,l) Much Ado About Nothing 1, 87, 127f., 249, 251, 293; 127f., 135, 249 (1,1); 16 (11,1); 42 (111,3); 54, 293 (IV, 1); 128 (V,4) Othello 5, 6, 87, 128, 145-149, 155, 252, 263, 269, 288f.; 36 (1,1); 44, 240, 288 (1,3); 145-148, 288 (11,1); 148 (11,2); 148 (11,3); 148, 256 (111,3); 148f. (IV, 1); 288f., 319 (V,2) Pericles 6, 80f., 90, 94, 204-206, 209, 210, 219f., 225, 245, 263, 269-273, 274f„ 283, 284-286, 289, 300; 219 (I,ch.)·,

80 (1,2);

270 (II, ch.); 270 (11,1); 204, 206 (III,cA.); 204-206 (III, 1); 80f., 271 (111,3); 206, 207 (TV, 1); 270f. (IV,4); 273, 284, 285, 304 (V,l); 169, 206, 285f. (V,3) Richard II 2, 4, 5, 4 5 - 5 0 , 53, 97, 121-124, 133, 199, 244, 277, 281; 45, 6 Í (1,2); 4 6 - 4 8 , 240 (1,3); 38, 48, 124 (1,4); 45, 48 (11,1); 35, 48 (11,2); 121f., 124, 199 (11,3); 50 (11,4); 121, 122-124 (111,3); 123 (IV, 1); 4 8 - 5 0 , 52 (V, 1); 50, 121, 124 (V, 2); 281 (V,6) Richard III 27, 114f., 280, 290, 321; 114 (11,4); 114f., 116, 121, 138 (111,1); 34f. (IV, 1) Romeo and Juliet If., 4, 5, 23, 35, 3 8 - 4 4 , 52, 53, 97, 133, 210, 214f., 222, 244,

345

287f., 304; 214 (1,2); 214 (1,3); 240 (1,4); 16, 43, 49, 87, 109, 214, 238f. (1,5); 3 8 - 4 0 , 65, 87, 240f. (11,2); 287 (11,6); 47 (111,2); 42, 43f., 47, 189, 214, 287 (111,3); 22, 31, 4 0 - 4 2 , 187, 189, 214, 287 (HI,5); 214 (IV, 1); 214, 287 (V,l); 214 (V,2); 214, 287f. (V,3) Taming of the Shrew, The 3, 27, 110-112, 115, 137, 210, 211, 228, 261, 28l£, 321; 112 (Ind.,1); 211 (1,1);

110 (1,2); 28, llOf., 116, 211 (11,1); 28, 111 (111,2); U l f . , 261 (IV, 1); 211 (IV,2); 281 f. (V,l) Tempest, The 2, 6, 7, 61, 90f., 167f., 169f., 171, 206f., 209, 210, 213, 222, 225, 242f„ 250f., 252, 258f., 263, 2 7 4 t , 276f., 281, 284, 304, 311-313, 321; 204, 206, 274 (1,1); 207, 213, 242f., 258f., 274, 275, 311 (1,2); 213,259(11,1); 250f. (11,2); 91, 259, 312 (111,1); 247, 250f. (111,2); 212, 259 (111,3); 247, 251, 312f. (IV, 1); 91, 167f., 169, 207, 212, 274, 312f.

(V,l);

316 (ep.) Timon of Athens 109 (1,2); 16f. (III, 6) Titus Andronicus 27f., 108f., 110, 115, 128, 321; 108f. (1,1); 16 (11,1); 27f„ 61 (111,1); 109 (V,2); 109 (V,3) Troilus and Cressida 5 9 - 6 2 , 73, 87, 97, 98, 138-142, 155, 159, 247f., 263f„ 300, 312;

346

241 (1,1); 247 (1,2); 138f., 140, 247, 263f. (1,3); 247 (11,1); 61 (111,2); 142 (111,3); 113, 139Í., 141 (IV, 1); 59 (IV,2); 5 9 - 6 2 , 83f„ 140f. (IV,4); 140-142, 247 (IV, 5); 109, 142 (V, 1); 59, 62, 247, 248 (V,3); 248 (V,4) Twelfth Night 2, 3, 5, 6, 58fc, 74, 183f., 222, 225, 228, 229, 249, 251, 263, 266-268, 277, 284, 301, 302, 304, 305-307, 309f„ 316, 321; 183f., 267, 305f. (1,2); 267 (1,4); 58f., 66, 184, 242, 267 (11,1); 307 (11,2); 268, 293 (11,3); 247 (111,2); 268 (ΠΙ. 3); 276, 306 (111,4); 169, 268, 285, 305, 306f., 308 (V,l) Two Gentlemen of Verona, The 3, 4, 3 5 - 3 8 , 53, 56, 97, 98, 116-120, 132, 133, 169, 170, 177-180, 188, 225, 227, 229,252, 282, 2 9 3 - 2 9 5 , 2 9 6 , 300f., 303; 3 5 - 3 7 , 4 2 , 177(1,1); 163, 177f. (1,3); 37f., 116, 119 (11,2); 38, 116, 119 (11,3); 116-119, 294 (11,4); 116, 119 (11,5); 178-180, 181, 184, 186, 194, 238 (11,7); 47, 118f. (111,1); 252 (IV, 1); 195 (V,3); 119f., 282, 294 (V,4) Two Noble Kinsmen, The 1, 92f., 251; 44, 92f„ (1,1); 93 (1,3); 251 (V, 1); 251 (V,4); Venus and Adonis 322 Winter's Tale, The 6, 26, 90, 94, 163-167, 168, 169f., 171, 174, 192£, 225, 229, 231, 258, 273f., 284, 285, 304, 305, 309-311; 192, 258 (1,2); 207 (11,3);

207f. (111,1); 309 (111,2); 90, 273f. (111,3); 163 (IV, 3);

16f„ 90, 109, 163-165, 192f., 2/5, 258, 309f. (IV, 4); 165-167, 169 (V,l); 310f. (V, 3)

347