Onomata Allotria: Zur Genese, Struktur Und Funktion Poetologischer Metaphern Bei Kallimachos 3515070230, 9783515070232

Kallimachos, Universalgelehrter und Dichter im ptolemaischen Alexandria, hat sein gesamtes dichterisches Werk mit poetol

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Onomata Allotria: Zur Genese, Struktur Und Funktion Poetologischer Metaphern Bei Kallimachos
 3515070230, 9783515070232

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MARKUS ASPER ΟΝΟΜΑΤΑ ALLOTRIA

HERMES ZEITSCHRIFT FÜR KLASSISCHE PHILOLOGIE

EINZELSCHRIFTEN HERAUSGEGEBEN VON

JÜRGEN BLÄNSDORF JOCHEN BLEICKEN WOLFGANG KULLMANN

HEFT 75

FRANZ STEINER VERLAG STUTTGART 1997

MARKUS ASPER

ΟΝΟΜΑΤΑ ALLOTRIA ZUR GENESE, STRUKTUR UND FUNKTION POETOLOGISCHER METAPHERN BEI KALLIMACHOS

FRANZ STEINER VERLAG STUTTGART 1997

HERM ES-EINZELSCHRIFTEN (ISSN 0341-0064)

Redaktion: Prof. Dr. J ürgen B lä nsd o r f , Am Römerberg lc , D -55270 Essenheim (verantwortlich für Latinistik) Prof. Dr. J ochen B leicken , Humboldtallee 21, D -37073 Göttingen (verantwortlich für A lte Geschichte) Prof. Dr. W olfgang K ullm an n , Bayemstr. 6, D -79100 Freiburg (verantwortlich für Gräzistik)

Erscheinungsweise: Jährlich 3—6 Bände verschiedenen Um fanges

Bezugsbedingungen: Bestellung zur Fortsetzung m öglich. Preise der Bände nach Umfang. Eine Fortsetzungsbestellung gilt, falls nicht befristet, bis auf Widerruf. Kündigung jederzeit möglich.

Verlag: Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, Sitz Stuttgart. Birkenwaldstr. 44, D-70191 Stuttgart, Postfach 101061, D -70009 Stuttgart D ie Herausgeber bitten, Manuskripte an die oben genannten Redaktionsadressen zu senden. Erwünscht sind für alle Manuskripte Schreibmaschinenblätter mit einseitiger Beschriftung (links 4 cm freier Rand erforderlich). Der Redaktion angebotene Manuskripte dürfen nicht bereits veröffentlicht sein oder gleichzeitig veröffentlicht werden; Wiederabdrucke erfordern die Zustim m ung des Verlages.

Textverarbeitung: Der Verlag begrüßt es, wenn m öglichst viele Manuskripte über PC realisiert werden können. Nährere Auskünfte auf Anforderung D ie D eutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

[Hermes / Einzelschriften] Hermes : Zeitschrift für klassische Philologie. Einzelschriften. - Stuttgart: Steiner. Früher Schriftenreihe Reihe Einzelschriften zu: Hermes Nebent.: Hermes-Einzelschriften H. 75. Asper, Markus: Onomata Allotria. - 1997

Asper, Markus: Onomata Allotria : zur G enese, Struktur und Funktion poetologischer Metaphern bei K allim achos / Markus Asper. - Stuttgart: Steiner 1997 (Hermes : Einzelschriften ; H. 75) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., D iss., 1994 ISBN 3 -515-07023-0

ISO 9706

D 25 Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzuläs­ sig und strafbar. D ies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, M ikroverfilm ung oder vergleichbare Verfahren sow ie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigen Papier. © 1997 by Franz Steiner Verlag W iesbaden GmbH, Sitz Stuttgart. Druck: Druckerei Peter Proff, Eurasburg. Printed in Germany

Vorwort

Eine vorläufige Version dieser Arbeit lag im Herbst 1994 den philosophischen Fakultäten der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation vor. Die Überarbeitung für den Druck ist wesentlich im Oktober 1995 abgeschlossen wor­ den. Forschungsbeiträge, die mir nach diesem Zeitpunkt erst bekannt geworden sind, konnte ich leider nicht mehr berücksichtigen.* Von so vielen Seiten habe ich großzügige Unterstützung erfahren, daß ich mich dafür hier kaum genügend bedanken kann. Ich möchte es aber doch wenig­ stens versuchen: Mein Dank geht vor allem an meinen Doktorvater, Herrn Profes­ sor Wolfgang Kullmann, ohne dessen Interesse an der hellenistischen Dichtung ich dieses Unternehmen nicht begonnen und ohne dessen beständige Förderung und anteilnehmende Kritik ich es nicht in dieser Form beendet hätte. Frau Professor Eva Tichy und Herrn Professor Eckard Lefevre danke ich für die Übernahme der weiteren Gutachten. Den Herren Professoren Richard L. Hunter und Bernhard Zimmermann bin ich für ihre ermutigende Kritik an einer früheren Version sehr verpflichtet, Frau Professor Eva Tichy und Herrn Professor Luca Giuliani für ihre Bereitwilligkeit, meiner Inkompetenz auf indogermanistischem und archäologi­ schem Gebiet wenigstens punktuell abzuhelfen. Meine Bemerkungen zu Pindar haben sehr vom Austausch mit Herrn Professor Herwig Maehler und Martin Hol­ termann profitiert, dem ich auch für seine Hinweise zur Evidenzproblematik und viele Verbesserungsvorschläge danke. Herr Dr. Bertrand Jaeger und Frau Dr. Veronique Dasen ermöglichten mir freundlicherweise Einsicht in (damals) unveröf­ fentlichtes Material des LIMC, wodurch sie meine Argumentation zur Geranomachieanspielung im Aitienprolog sehr unterstützt haben. Maya B. Asper-Dunkel half mir mit ihren Vedisch-Kenntnissen und rettete mich vor Computer-Katastrophen. Carl-Martin Bunz und Herr Privatdozent Michael Reichel stellten selbstlos ihr Wissen zur indogermanischen Dichtersprache zur Verfügung. Herr Privatdozent Jochen Althoff opferte einen Teil seiner wertvollen Zeit, um einige schwierige Fragen mit mir zu diskutieren. Bei Franziska Egli bedanke ich mich für einleitende Informationen über die ‘orphischen’ Goldblättchen, bei Ingo Gildendahl für die Ataraxie, mit der er meine Attacken gegen die Metapoietiker ertrug, und bei SeDas betrifft besonders die wichtige Monographie A. CAMERONs (Callimachus and His Critics, Princeton 1995), den neuen Kommentar G. MASSIMiLLAs (Callimaco. Aitia, Libri primo e secondo, Introduzione, Testo critico, Traduzione e Commento da G. M., Biblioteca di Studi antichi 77, Pisa 1996) und die Aufsätze U. DUBlELZlGs (Wie Kallimachos seine Gegner bezeich­ net hat: Call. fr. 1.7 Pfeiffer, RhM 138 [1995] 337-346), E. L iv r e a s (Callimaco e gli Asini, Studlt 3a ser. 14 [1996] 5 6 -5 8 ) und besonders W. LUPPEs (Kallimachos, Aitienprolog 7-12, ZPE 115 [1997] 5 0-54).

6

Vorwort

bastian Hübert für seine engagierte Hilfe bei den Korrekturen. Herrn Professor Gerhard J. Baudy schulde ich Dank für die großzügigen Freiräume, die er mir wäh­ rend der Drucklegung ließ, den Herausgebern der Hermes Einzelschriften dafür, daß sie mich vor vielen Fehlem bewahrt und meine Arbeit in ihre Reihe aufgenommen haben. Für eventuelle Irrtümer und Ungenauigkeiten bin ich allein ver­ antwortlich. Konstanz, März 1997

Markus Asper

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis .......................................................................................... 9 1

Einleitung .................................................................................................... 11

2 2.1 2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.4

‘Weg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem............................................ ‘Weg’ und ‘Wagen’ als Strukturbilderbei Pindar ..................................... Die lyrische Wegmetapher im Kontext der Komödie................................ Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos ............................ Die Polarität zweier Wege: Pindars Paian 7b und Kallimachos .............. Die religiöse Ebene: Heilswege ................................................................. Die moralische Ebene: Lebenswege .......................................................... Fazit und Ausblick ......................................................................................

21 26 39 46 64 72 94 99

3 3.1 3.2 3.3

Wassermetaphorik: der kallimacheische Apollonhymnus....................... Πόντος, Homer und das Τέμαχος-Schema............................................ Zur Rezeption: F adesp. 961 SH und Ps.-Longinos................................. Wasser und Wein ......................................................................................

109 120 125 128

4 4.1 4.1.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.3 4.4

Quantifizierende Antithesen .................................................................... Dimensionen: groß versus klein............................................................... Die Werkspersonifikationen der Verse F 1.9-12 P .................................. Organologisches: dick versus dünn ......................................................... Gestalt und Diätetik .................................................................................. Intellektualmetaphorisches παχύς versus λ ε π τ ό ς ................................... Akustisches λεπτός versus παχύς .......................................................... Λεπται ρήσιες und παχύ γ ρ ά μ μ α .......................................................... ‘Vertikale’ und akustische Quantitätsantithesen...................................... Inhaltspersonifikationen: Pygmäen, Kraniche und Massageten .............

135 135 153 156 160 175 177 179 189 199

5 5.1 5.2 5.3

Aitienprolog und poetologische Theorien ............................................... Zeitgenössische Poetologien und Telchinenvorwurf............................... Die Bedeutung von αεισμα διηνεκές ..................................................... Μ εταποίησις - ‘wilde’ Poetologiemetaphem bei Kallimachos? ..........

209 211 217 224

6 6.1 6.2

Schlußbemerkungen.................................................................................. 235 Zusammenfassung..................................................................................... 235 Übergreifende Fragen ............................................................................... 241

8

Inhaltsverzeichnis

6.2.1 Zur Traditionalität poetologischer Metaphorik ........................................ 242 6.2.2 Zum Rezipienten poetologischer Metaphorik .......................................... 243 6.2.3 Zum ‘Programm’ des Kallimachos ........................................................... 246 Appendix: Die reversible Kochmetapher .......................................................... 248

Literaturverzeichnis ............................................................................................ 251 Register................................................................................................................ 271 1 Begriffe ............................................................................................................ 271 2 Stellen ............................................................................................................. 279

Abkürzungsverzeichnis

Durchgängig werden im folgenden die Abkürzungen ‘ad /.’ (ad locum), ‘Anm.’ (Fußnote, Anmerkung), ‘D’ (Diegesis), Έ ρ .’ (Epigramm), ‘F’ (Fragment), Ή ’ (Elymnus), ‘Σ’ (Scholion) und ‘Τ’ (Testimonium) verwendet. Darüber hinaus wer­ den Standardeditionen und -kommentare nur mit dem Namen des Herausgebers bzw. des Autors, Papyri generell nach dem Supplementum Hellenisticum zitiert (813-819 5. v. ‘Papyri’). Zeitschriftenabkürzungen folgen dem ‘Gnomon’. ABV AP

CA CAF CGF CGFP CMG DK FGE

FGH GGM GLK GLP GPh

GVI

J. D. Beazley, Attic Black-figure Vase-painters, Oxford 1956. Die Epigramme der Anthologia Palatina bzw. Planudea, zitiert nach der Ausgabe der Collection Bude (Paris 1960ff), sofern sie nicht in FGE, GPh oder HE ediert sind. I. U. Powell (ed.), Collectanea Alexandrina. Reliquiae minores Poetarum Graecorum aetatis Ptolemaicae 323-156 A.C. [...], Oxford 1925. Th. Kock (ed.), Comicorum Atticorum Fragmenta, 3 voll., Leipzig 1880-1888. G. Kaibel (ed.), Comicorum Graecorum Fragmenta, Berlin 1899. C. Austin (ed.), Comicorum Graecorum Fragmenta in Papyris reperta, Berlin/New York 1973. Corpus Medicorum Graecorum edd. Academiae Berolinensis Haunensis Lipsiensis, Berlin/Leipzig 1908ff. H. Diels, W. Kranz (Hrsgg. Komm.), Die Fragmente der Vorsokratiker, 3 Bde., Berlin 1964 [= 61951 ]. D. L. Page (ed. transl. comm.), Further Greek Epigrams. Epigrams before A.D. 50 from the Greek Anthology and other Sources not inclu­ ded in ‘Hellenistic Epigrams’ or ‘Garland of Philip’, Cambridge 1981. F. Jacoby (Hrsg.), Die Fragmente der griechischen Historiker, Berlin/Leiden 1923 ff. C. Müller (ed. comm.), Geographi Graeci Minores, 2 voll., Paris 1855, 1861. H. Keil (ed.), Grammatici Latini, 8 voll., Leipzig 1857-1880. D. L. Page (ed. transl. comm.), Select Papyri. Ill: Literary Papyri. Poetry, London/Cambridge (Mass.) 1942. A. S. F. Gow, D. L. Page (eds. transl. comm.), The Greek Anthology. The Garland of Philip and some Contemporary Epigrams, 2 voll., Cambridge 1968. W. Peek (Hrsg.), Griechische Vers-Inschriften, 1: Grab-Epigramme, Berlin 1955 [repr. Chicago 1988].

10 HE IEG LfgrE LIMC LSJ

OF P Pack PCG PapOxy PMG PMGF SH SM SVF TGF UR

Abkürzungsverzeichnis

A. S. F. Gow, D. L. Page (eds. transl. comm.), The Greek Anthology. Hellenistic Epigrams, 2 voll., Cambridge 1965. M. L. West fed.), Iambi et Elegi Graeci ante Alexandrian cantati, 2 voll., Oxford U 989-1992 [1971-1972], B. Snell, H.-J. Mette u. a. (Hrsgg.), Lexikon des frühgriechischen Epos, Göttingen 1955ff Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae, Zürich/München 198 Iff H. G. Liddell, R. Scott (eds.), A Greek-English Lexicon, revised and augmented throughout by Sir H. Stuart Jones with a Supplement (1968), Oxford 91940 [repr. 1990], O. Kern (ed.), Orphicorum Fragmenta, Berlin 21966 [1922], R. Pfeiffer (ed. comm.), Callimachus, 2 voll., Oxford 1949, 1953. R. A. Pack, The Greek and Latin Literary Texts from Graeco-Roman Egypt, Ann Arbor 21965. C. Austin, R. Kassel (edd. comm.), Poetae Comici Graeci, Berlin/New York 1983ff. B. P. Grenfell, A. S. Hunt u. a. (eds.), The Oxyrhynchus Papyri. Part Iff, London 1898ff (POxy bezeichnet den einzelnen Papyrus). D. L. Page (ed.), Poetae Melici Graeci, Oxford 1962. M. Davies (ed.), Poetarum Melicorum Graecorum Fragmenta, vol. 1: Aleman, Stesichorus, Ibycus, Oxford 1991. H. Lloyd-Jones, P. Parsons (edd. comm.), Supplementum Hellenisticum, Texte und Kommentare 11, Berlin/New York 1983. B. Snell, H. Maehler (edd.), Pindari Carmina cum Fragmentis, 2 voll., Leipzig *1987-1989 [21955], H. v. Arnim (ed.), Stoicorum Veterum Fragmenta, 4 voll., Leipzig 1905-1924. B. Snell, S. Radt, R. Kannicht (edd. comm.), Tragicorum Graecorum Fragmenta, Göttingen 197Iff. H. Usener, L. Radermacher (edd.), Dionysius Halicamaseus: Quae exstant. Voll. V-VI: Opuscula I-II, Leipzig 1899-1929.

1 Einleitung

Am Nachmittag des siebten Januar 1928 versammelte sich die Graeca Wilamowitziana, um einen Papyrusfund zu diskutieren, den A. S. Hunt erst wenige Tage zuvor publiziert und als „the much discussed prologue of the Aitia“ bestimmt hat­ te.' Die Reaktionen zweier Mitglieder der Graeca, P. Maas’ und A. Voglianos, die nur wenige Tage nach der Diskussion mit Wilamowitz abgefaßt sind,2 zeigen noch sehr deutlich die Skepsis, mit der man die Identifikation dieses Textes aufnahm.3 Obwohl heute die Zuordnung Hunts zu Recht unangefochten dasteht, verdient ein Ein wand, den Maas gegen die Verbindung des Papyrustexts mit den Aitia vor­ brachte, aus heutiger Perspektive ernsthaft geprüft zu werden: „Auf den Inhalt der Αίτια findet sich keine Anspielung, nichts weist auf die Vorrede zu einem größe­ ren Werk.“4 Dieses in der Euphorie des folgenden fervor Callimacheus vergessene

1

2 3

4

A. S. H u n t (ed. comm.), Callimachus, Aetia, Prologue, in: The Oxyrhynchus Papyri 17, Lon­ don 1927, 4 5 -5 7 , Zitat 46, erschien in den letzten Tagen des Jahres. Zu der bewußten Sitzung der Graeca vgl. L. LEHNUS, Minima Maasiana, Maia 38 (1986) 249-252, dem es allerdings in erster Linie um die vorgeschlagenen Textverbesserungen geht, und BENEDETTO Sogno 4f. Abgesehen von MAAS und VOGLIANO lassen sich leider die Mitglieder dieses bestimmten Treffens nicht mehr ermitteln. Eine diachrone Mitgliederübersicht ( Graecae Wilamowitzianae sodales qui sunt quique fuerunt), die fast genau ein Jahr später auch R. PFEIFFER verzeichnet, hat W. M. CALDER III, The Members o f Wilamowitz’ Graeca, Quademi di Storia 15 (1989) 133-139 publiziert und diskutiert. Zur Institution dieser Graeca allgemein F. SOLMSEN, Wi­ lamowitz in His Last Ten Years, GRBStud 20 (1979) 89-122, besonders 89-93, W. M. CALDER III, The Berlin Graeca: A Further Note, ebd. 393-397 und noch einmal SOLMSENs „Reply“, ebd. 398^100. MAAS Oxyrhynchus Papyri erschien bereits am 28.1., VOGLIANO Nuovo Proemio ist am 10.1. in Berlin-Zehlendorf verfaßt und im Februar gedruckt worden. M a a s Oxyrhynchus Papyri 130 votierte für das Vorwort einer Elegiensammlung (Widerspruch von CESSI Α ϊτια 105), VOGLIANO Nuovo Proemio 209 für den polemischen Prolog der Hekale („Quindi vedrei una critica agli Aitia di Callimaco. E cosi vorrei escludere che il nostro componimento possa essere precisamente il Proemio degli Aitia, come vuole Hunt.“ 204). Beide waren darin den früheren Rekonstruktionen des Aitienprologs verhaftet, die aufgrund der lateinischen Kallimachosrezeption vorgenommen worden waren: Über diese Rekonstruktionen und ihre philologiegeschichtlichen Implikationen informiert jetzt sehr genau BENEDETTO Sogno 4 -2 6 und passim. MAAS Oxyrhynchus Papyri 129. Ähnliche Bedenken faßte A. KÖRTE 1932 in der Formel zusammen, der umstrittene Text biete „einen Prolog, kein Proömium“ (zitiert nach BE­ NEDETTO Sogno 23). In einer ähnlichen Weise skeptisch auch C a h e n Callimaque 177, der den Text meines Erachtens richtig lediglich als „avis au lecteur“ bestimmt, dann (178) aber viel zu weit geht, wenn er ihn für vollkommen unabhängig von den Aitia erklärt.

12

1 Einleitung

Problem3 ist in einem tieferen Sinn nach wie vor aktuell.56 Für den heutigen Leser, der im Gegensatz zu Maas die Florentiner Scholia kennt und also davon ausgehen darf, hier tatsächlich den Prolog zu den Aitia vor sich zu haben,7 bedeutet die Maassche Frage aber nichts anderes, als nach der spezifischen Funktion dieses Prologs, nach seiner ‘Prologizität’, zu fragen: Wenn und weil dieser Text tatsäch­ lich der Prolog zu den Aitia ist, was leisten dann diese wenigen Verse für die nach­ folgenden vier langen Bücher des facettenreichen Gedichts? Die Frage nach der Funktion dieser Verse sieht sich bei näherer Betrachtung der Schwierigkeit gegenüber, daß Kallimachos elaborierte und dunkle Metaphern aneinanderreiht, ohne allerdings ihren Sinn zu deuten. Wenn wir also nach der ‘Prologizität’ dieses eigentümlichen Prologs fragen, so stellt sich sofort die weitere Frage nach der Struktur und der Funktion dieser Metaphern. Da nun der Aitienprolog gewöhnlich als Selbstaussage des Kallimachos über die Art und Qualität seines Werkes gewertet wird und diese Verse so zu Kronzeugen für das landläufige Kallimachosverständnis arrivieren konnten, verspricht eine konzentrierte Untersu­ chung dieser wenigen Wortgruppen weitere Aufhellung auch des Bildes, das man sich vom Dichter Kallimachos landläufig macht. Es bleibt nicht aus, daß der litera­ turgeschichtliche Blick sich bei einem solchen Vorhaben syn- und diachron weitet: Ebenso wie die ‘Sphragis’ des kallimacheischen Apollonhymnus und weitere rele­ vante Passagen im Werk des Kallimachos muß die metaphorische Tradition insge­ samt im Mittelpunkt des Interesses stehen, das im wesentlichen den drei Gruppen der Weg- und Wassermetaphem und der quantitativen Metaphorik gilt. Eine Dar­ stellung des Materials in Listenform schien nicht erforderlich, da die wichtigsten Aussagen in anderem Zusammenhang für die metaphernreichsten Autoren wie Pindar und Aristophanes bereits zusammengestellt wurden8 und zu den poetologischen Metaphern des Kallimachos schon eine reichliche Zahl von Publikationen vorliegt.9 Zunächst einige Worte zur Terminologie der folgenden Untersuchungen: Poetologische Metaphern sind Sprachbilder, die von Dichtem zur Beschreibung ihrer Kollegen, des kreativen Prozesses oder des poetischen Produktes gebraucht

5

6

Der Begriff „fervore callimacheo“ stammt von B a r ig a z z i (Mimnermo 163) und bezeichnet die Flut von Publikationen zum Aitienprolog, die in den 30er Jahren hauptsächlich in Italien und Deutschland erschienen. Wenn auch seit 1988 dank der Forschungen K e r k h e c k e r s , B in g s , K r e v a n s , jüngst A m B ü h l s , L iv r e a s und anderer das eher kompositionstechnische Problem der Überleitung vom

Telchinenprolog zur Traumszene am Helikon sich allmählich zu lösen beginnt (vgl. unten 21 f Anm. 1). 7 8

9

Vgl. z. B. G a l l a VOTTI Prologo 231 f, C o p p o l a Prologo 30, 33f, W im m e l Kallimachos 117. Einen Überblick vermitteln etwa für Pindar z. B. B e c k e r Weg 68-85, B e r n a r d Denken, M a e h l e r Dichterberuf und STEINER Crown 28—86, fur Aristophanes z. B. KOMORNICKA Metaphores, T a il l a r d a t Images, für Kallimachos z. B. W im m e l Kallimachos 50-128, KAMBYLIS Dichterweihe 69-121 und SCHWINGE Künstlichkeit 2-47. Einen Überblick bietet L. LEHNUS, Bibliografia Callimachea 1489-1988, Universitä di Geno­ va. Facoltä di Lettere [...], Genova 1989, 328-332, 338-352.

1 E in leitu n g

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werden. Sie unterscheiden sich in dieser thematischen Fixierung von poetischen Metaphern, die nur durch ihr Medium, eben Dichtung, bestimmt, inhaltlich aber nicht festgelegt sind. Natürlich ist schon der Begriff der Metapher an sich proble­ matisch, doch kann hier von einer begriffsphilosophischen Erörterung des Phäno­ mens ‘Metapher’ ebenso abgesehen werden“ wie von einer allzu differenzierten Klassifikation der einzelnen Metaphemformen.12 Unter ‘Metapher’ wird im fol­ genden mit Aristoteles einfach das durch Übertragung aus einem proprie sachfremden Bereich gewonnene Sprachbild verstanden (ονόματος άλλοτρίου έπιφορά (Poet. 21.1457 b7),13 das die verschiedenen Ausprägungen von Gleichnis, Metonymie, Symbol etc. mitumfaßt. In den auf den folgenden Seiten diskutierten Texten gehen diese Formen ständig durcheinander: Eine penible Trennung würde also weder ihren Produktions- noch wahrscheinlich ihren Rezeptionsprozessen gerecht.14 Die einfache Definition des Aristoteles hat den weiteren Vorteil, daß sie wahrscheinlich auch etwa das Verständnis des rhetorischen Schmuckmittels ‘μεταφορά’ beschreibt, das Kallimachos gehabt haben mag.15 Unverzichtbar ist 10

W ie sich im fo lg en d en ab zeich n en w ird, kann in m anchen Fällen inhaltlich nicht sch a rf z w i­ sch en M etaphern für D ich tu n g , M usik und R hetorik unterschieden w erden. D iese U nschärfe liegt in der ursprünglichen term in o lo g isch en E inheit aller drei B ereich e begründet, die bei ih­ rer T rennung die alte M etaphorik j e für sich w eiterverw en d eten . Form al können also M eta­ phern, die sich a u f je d e der drei D iszip lin en b ezieh en , als ‘p o e to lo g isc h ’ betrachtet w erden.

11

E inführende R eferate über m od ern e p h ilo so p h isch e B eg riffs- und F u n k tion sb estim m u n gen der M etapher finden sich etw a bei STEINER C row n 6 - 1 7 und S t r u b A bsurditäten 2 6 7 -3 7 8 . E ine n ü tzlich e Ü b ersich t über M eta p h em d efin itio n en von A risto teles bis KAYSER b ietet H .-H . L i e b , D er U m fa n g des a ristotelischen M eta p h em b eg riffs, D iss. K öln 1964, 1 2 0 -1 4 3 . Wir vertreten im fo lg en d en ein rein tech n isch -ration ales V erständnis der M etapher. P osition en , die die irrationale F aszination des P h än om en s b eton en , finden sich z. B. bei STANFORD Greek M etaphor 100: „M etap h or is the vital prin cip le in all liv in g la n g u a g es.“ und E. A . M a RENHOLTZ, D as g lic h n isse M eister Eckharts. Form , Inhalt und Funktion. K lein e Studie zur n e­ gativen M etaphorik, B ern 1981, 7: „ [...] die M etapher w ird verehrt als die S phinx, w elch e die Literaturen und ihre W issen sch a ft vor der v ö llig e n Ernüchterung bew ahrt.“

12

In der V ergan gen h eit w an d te m an bei der B esch reib u n g von M etaphern gern k ontext- und rezep tion sfrem d e S ch em a tism en an: V gl. O. GORAM, Pindari T ranslationes et Im agines, P hilologu s 14 (1 8 5 9 ) 2 4 1 - 2 8 0 , 4 7 8 - 4 9 8 , KOMORNICKA M etaphores 1 5 -2 0 , 1 3 9 -1 4 3 und die K la ssifik a tio n sv ersu ch e LlEBERGs (S eefah rt 2 1 2 f). SNELLs U n tersch eid u n g in verbale und su b stan tivisch e M etaphern (E n td eck u n g 18 0 ff) hilft a n g esich ts der K om p lexität der im fo l­ g en d en b ehandelten B ild er n ich t w eiter. GlANGRANDE M etaphors 6 0 f g eh t rein deskriptiv vor und faßt die V ielfa lt unserer P h än om en e daher nicht.

13

E ine stark verfrem d en d e Interpretation der aristotelischen M etap h em d efin ition fin d et sich bei LIEB (w ie ob en A nm . 1 1) 7 5 - 9 2 , an dem H. JÜRGENSEN, D er antike M etap h em b egriff, D iss. K iel 1968, 6 - 1 0 h eftig e Kritik übt.

14

Z um u n p rob lem atisch en antiken P raxisb ezu g aller d ieser heute sehr um strittenen B eg riffe und ihrer charakteristisch en U n sch ärfe in sg esa m t v g l. M c C a l l S im ile & C om parison 3 7 - 3 9 , 54, 168, 2 3 5 , 2 5 7 u. ö. und A risto teles Poet. 2 1 .1 4 5 7 b 6 -3 3 ( ‘Ü b ertragu n g’ in sgesam t), F 9 8 5 . 3 3 - 3 7 GlGON (= P s.-L o n g in o s Suhl. 32 .3 : M ilderung allzu kühner μ ε τ α φ ο ρ α ί durch ώ σ π ε ρ ε ί u. ä.), Rhet. Ill 4 .1 4 0 7 a l 1 -1 5 (ε ικ ώ ν = μ ε τ α φ ο ρ ά ). Z u stim m en d dazu GlANGRANDE M eta­ phors 6 1 , sk ep tisch SILK Interaction 5 2 , 55 A nm . 10, 2 3 0 A p p en d ix 6. V g l. auch RICHARDSON

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E x eg etic a l S ch o lia 2 8 0 f. W en ig sten s ist v o n ein er frü h h ellen istisch en G leich n is- oder M etap h em th eorie, die vo n der p erip atetisch en a b g ew ich en w äre, nichts bekannt: V g l. M c C a l l S im ile & C om parison 55 und

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1 Einleitung

allerdings die Einführung einer notwendig anachronistischen Terminologie für die beiden Bestandteile jeder Metapher, den proprie gemeinten und den translate ge­ äußerten.16 Diese sollen hier mit einer inzwischen geläufigen Unterscheidung als tenor und vehicle bezeichnet werden:17 Daß dem Begriff des vehicle seinerseits eine metaphorische Anschauung zugrundeliegt, braucht uns nicht zu verunsi­ chern.18 Wenn z. B. Orestes in den aischyleischen Eumeniden schwört, daß niemals ein argivischer πρυμνήτης χΟονός Krieg nach Athen tragen werde (765), so ist also der Ausdruck insgesamt nach der aristotelischen Definition als Metapher zu bezeichnen, weil ein kontextfremder, nautischer Begriff auf die politische Ebene übertragen wird. Die Vorstellung des Steuermanns ist das vehicle, die zugrundelie­ gende des Herrschers der tenor. Erst das gleichberechtigte Zusammenwirken bei­ der Faktoren ermöglicht die Metapher, die als „das Ganze der beiden Hälften“ zu betrachten ist.19 Diese Termini bieten erstens den Vorteil, daß sie sowohl auf die expliziten Formen von Übertragungen (Gleichnis, Vergleich) als auch die implizi­ ten (Metapher im herkömmlichen, engen Sinne;) anzuwenden sind. Zweitens lassen zur Behandlung der Metapher in der Rhetorik Philodems E r l e r (wie unten 211 Anm. 11) 306. B r in k Horace 95 weist darauf hin, daß Horaz die Diskussion des Phänomens ‘μεταφορά’, das in der aristotelischen Poetik und Rhetorik eine so bedeutende Rolle spielt, vollkommen übergeht. Wenn dieses Schweigen auf seine Quelle Neoptolemos von Parion zurückzufuhren ist, wäre die Annahme des aristotelischen Metaphemkonzepts für den frühen Hellenismus synchron wohl gerechtfertigt. 16 Die antike Theorie kennt die begriffliche Trennung beider Metaphemteile grundsätzlich nicht: Vgl. M c C a l l Simile & Comparison 217, 22 lf. Straton von Lampsakos und seine Unterschei­ dung von σημαίνον und σημαινόμενον (F 115 W e h r l i ) gelten nicht der Metapher. Man behilft sich mit τό κυρίως ώ νομασμένον/ετερον ώ νομασμένον wie Σ Lond. zu Dionysios Thrax Gramm. Graec. 1.3; 457.22f HlLGARD (dazu JÜRGENSEN [wie oben Anm. 13] 17f). Einzig Hermogenes ( Inv. 4.10 Περί Τροπής; 2.254.18-21 SPENGEL) versucht, in υπο­ κ είμενον (tenor) und εξω θ εν έμφαινόμενον (vehicle) τα unterscheiden: Vgl. STANFORD Greek Metaphor 18, SILK Interaction 11 und 13 Anm. 1. 17 Die Unterscheidung von tenor und vehicle ist erst 1936 von RICHARDS getroffen worden (Philosophy o f Rhetoric 96), der den theoretischen Stand der Diskussion auch für die Antike zutreffend beschreibt (ebd.): „One o f the oddest o f the many odd things about the whole topic is that we have no agreed distinguishing terms for these two halves o f a metaphor - in spite o f the immense convenience, almost the necessity, o f such terms if we are to make any analyses without confusion.“ R ic h a r d s gibt aber eigenartigerweise keine formale Definition dieser beiden Termini. Zur Verbreitung dieser Terminologie vgl. SILK Interaction 9—14, STEINER Crown 2, RICOEUR Lebendige Metapher 31, 139—141. Alternative Begriffspaare wie ‘significans/significatum’, ‘terminus/subjectum’ (dazu vgl. JÜRGENSEN [wie oben Anm. 13] 28 mit Anm. 5 und 120f) Te compare/le comparanf, ‘illustrans/illustrandum’ (SILK Interaction 13 Anm. 4) oder ‘principal subject/subsidiary subject’ (B l a c k Metaphor 287 u. ö .) haben sich nicht durchgesetzt. Weitere Begriffspaare findet man bei STRUB Absurditäten 107. Zur Termi­ nologiediskussion vgl. B l a c k Metaphor 194 Anm. 23, der RICHARDS kritisiert. 18 Die Formulierung S c h w in g e s , der von einem „bildlichen Demonstrationsvehikel“ spricht (Müller 177: über den von MÜLLER Erysichthon geprägten Begriff der ‘narrativen Metapher’), zeigt immerhin, wie nahe diese metaphorische Auffassung von ‘Metapher’ liegt. Vgl. außer­ dem ähnliche Formulierungen bei SZONDI Philologische Erkenntnis 2 8 3 , K a h a n e Poetics o f Mud 124 und DERRIDA Retrait (vgl. unten 2 2 5 Anm. 8 6 ) 104 „[...] nous habitons la mötaphore et [...] nous y circulons comme dans une Sorte de vehicule automobile.“ 19 RICOEUR Lebendige Metapher 139 in Anlehnung an RICHARDS Philosophy o f Rhetoric 96.

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sie sich genauso gut auf einen ‘Vergleichspunkt’ wie auf andere Formen der ‘Kuppelung’ anwenden.20 Drittens implizieren sie die Vorstellung einer Wechsel­ wirkung zwischen beiden Metaphemteilen. Viertens ermöglichen sie eine trenn­ scharfe Bestimmung jeder Metapher im Kontext: „Wenn man tenor und vehicle nicht unterscheiden kann, darf man das Wort provisorisch als unmetaphorisch be­ trachten“.21 Die kluge Kautel Ricoeurs (‘provisorisch’) weist auf ein gravierendes Problem jeder Metaphemuntersuchung hin: Es ist oft schwer, zwischen noch als έπιφορά άλλοτρίου ονόματος empfundener und bereits lexikalisierter Metapher zu unterscheiden. Anders formuliert: Tenor und vehicle können sprachgeschichtlich durchaus verschieden sein, ohne daß derjenige, der diese Metapher gebraucht, dies noch empfindet.22 Diese Schwierigkeit tritt allerdings nur bei strukturell sehr einfachen und kurzen Metaphern auf, Gegenstand der folgenden Überlegungen jedoch werden meist verhältnismäßig umfangreiche und komplizierte Metaphern­ konstruktionen sein, deren Struktur ein Bewußtsein ihrer Metaphorizität beim Pro­ duzenten wie beim Rezipienten impliziert. Diese Annahme der bewußten Metaphemprägung bzw. -Verwendung ermöglicht das Postulat mindestens einer gerin­ gen bildimmanenten Logik etwa bei Pindar, vollständiger Stringenz dagegen bei Kallimachos,23 dessen Metaphern pace Lichtenberg eben nicht „weit klüger als ihr Verfasser“ sind.24 20

21 22

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24

V gl. F r a n k e l G le ic h n isse 4 f. R ic o e u r Lebendige Metapher 141.

Das Problem konstatieren z. B. J. MATTES, Der Wahnsinn im griechischen Mythos [...] bis zum Drama des fünften Jahrhunderts, Heidelberg 1970, 100 und A rieti Longinus 250. Um ihm zu begegnen, werden in dieser Untersuchung primitive Geschmacksmetaphem (μέλι, μελίφω νος, γλυκύς etc.) nicht berücksichtigt, ebensowenig wie geläufige Metonymien (Μ ούσα etc., doch vgl. 158 Anm. 114): Diese sind mit Sicherheit schon früh lexikalisch ge­ worden. Vgl. die ‘dead metaphor’ S ilks (Interaction 27-29, 52, 54 Anm. 5, 228-30), S e a r l e Metaphor 88 und S t r u b Absurditäten 245-252. Dieses Problem tritt hauptsächlich bei Pindar auf, dessen Metaphemverkettungen oft mitein­ ander inkompatible vehicles aufweisen: Vgl. zu diesen Härten STONEMAN Ploughing passim (allerdings auch die harsche Kritik, die Poiss Einheit 122 Anm. 13 an diesem übt!). Daraus hat man gefolgert, daß Pindar diese Widersprüche vielleicht nicht gesehen habe, weil er das, was wir als vehicles begreifen, als tatsächlich an den Dingen auftretende Eigenschaften wahr­ genommen habe (SCHADEWALDT Aufbau 308 [50] „vorlogisches, das heißt nicht struktives Denken“, BERNARD Denken 8 u. ö.). Ähnlich D. B r e m e r , Aristoteles, Empedokles und die Erkenntnisleistung der Metapher, Poetica 12 (1980) 350-376, hier 369, 37 2 f mit Anm. 119 („magische Denkform als prälogische Basis der Metapher“) über Empedokles. Gute Bemer­ kungen zur „Bildervermischung“ Pindars aus rezeptionstheoretischer Sicht bei D o r n sf .iff Stil 67: Uns erscheint unlogisch, was Pindars Publikum, an die Traditionalität der Metaphorik ge­ wöhnt, nur um Selbstverständliches verkürzt empfand. G. MOST, Two Leaden Metaphors in Pindar P. 2, AJPh 108 (1987) 569-584, postuliert, daß bei Pindar „the image itself in its literal signification [...] at least minimally self-consistent“ sein müsse (580). Die vorliegende Unter­ suchung behandelt Pindar aus der Sicht des Kallimachos, der, mit dem rhetorischen Terminus der μεταφ ορά vertraut, sicher MOST gegen SCHADEWALDT Recht gegeben hätte. G. Ch. LICHTENBERG, Schriften und Briefe hrsg. v. W. PROMIES, Bd. 1: Sudelbücher 1, Mün­ chen 1968, 512 (F 369): „Die Metapher ist weit klüger als ihr Verfasser Nach dieser Auffassung würde eine Untersuchung, die an der metaphorischen Technik ihrer Verfasser und deren Intentionen beim Einsatz von Metaphorik interessiert ist, sinnlos.

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Oben wurde auf die große Zahl der Arbeiten hingewiesen, die sich mit der poetologischen Metaphorik des Kallimachos schon befaßt haben. Worin liegt die Berechtigung, diese Zahl um eine weitere Untersuchung zu erhöhen? Die bald siebzigjährige Forschungsgeschichte25 ist durch eine gewisse Einseitigkeit gekenn­ zeichnet: Man ist meist davon ausgegangen, daß die metaphorischen Äußerungen des Kallimachos als intentional deutliche Terminologie im Sinne einer literari­ schen τέχνη zu verstehen seien, ohne nach den Implikationen ihrer Bildlichkeit zu fragen.26 Um die Begrifflichkeit Richards’ zu verwenden: Die bisherige Erfor­ schung der poetologischen Metaphern bei Kallimachos ist fast ausschließlich an der Erschließung der tenors interessiert gewesen und hat darüber die der vehicles weitgehend vernachlässigt, was zum Teil an der herkömmlichen Auffassung der Metapher an sich,27zum anderen Teil an dem speziellen Blickwinkel liegt, aus dem man Kallimachos zu betrachten pflegt. Dieser ist fast ausnahmslos der fokussierte der lateinischen Kallimachosrezeption geblieben, die sich statt einer grundsätzlich unverbindlichen Metaphemreihe einem verfestigten ‘Programm’ mit manifesten politischen28 und ästhetischen Wirkungszielen gegenübersieht.29 Die Aufgabe die­ ses gerade für Kallimachos zwar hermeneutisch besonders naheliegenden,30 aber 25

26

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28 29

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G erechnet ab HUNT (w ie oben 11 A nm . 1).

Die Forschungssituation ist in diesem Punkt einhellig wie selten: Vgl. z. B. COPPOLA Cirene 131: „[...] tutti i vocaboli di cui fa uso Callimaco nel proemio degli Aitia sono termini tecnici.“; WlMMEL Kallimachos 117, der dem „Telchinenstück“ einen „theoretischen Charakter“ attestiert; NlSBET/HUBBARD 1.81 (zu Horaz c. 1.6) über den Aitienprolog: „Here the ageing poet in his dry authoritative way declares his beliefs about literature.“; E ffe Hellenismus 85 begrüßt im Aitienprolog „einen Einblick in den seinerzeitigen Streit um die angemessene Weise narrativer Dichtung“, GELZER Transformations 145 hält ihn für eine „poet’s selfdefinition“, HENRICHS Response 176 Anm. 10 findet hier und sonst bei Kallimachos „no un­ certain terms , PRETAGOSTINI Tuonare 617 bewundert die „chiarezza e inequivocitä della formulazione teorica“ und BENEDETTO Sogno 3 erkennt in diesen dunklen Versen „chiari ed impegnativi intenti teorico-letterari“. In der bei OBERMAIER Nachtigallen & Handwerker 13 Anmm. 4 7 f vorgestellten Terminologie könnte man sagen, Kallimachos wurde stets nur ‘diskursiv’ gelesen. Mehr in unserem Sinne dagegen jüngst HUNTER Argonautica 190: „[...] these verses were written to tease, to say both more and less than they appear to say.“ Ähnlich jüngst auch CAMERON Genre & Style 311. Die Vernachlässigung des vehicle ist literaturgeschichtlich leicht aus der früher herrschenden Auffassung von Metapher zu erklären: Vgl. zu den herkömmlichen Ansätzen des ‘substitution view ’ und ‘comparison view ’ B l a c k Metaphor 279, 283-285 und SEARLE Metaphor 90ff. Beide Beschreibungsmodelle tendieren dazu, den tenor überzubewerten. Überblicksinformationen dazu gibt jüngst A. GOSLING, Political Apollo: From Callimachus to the Augustans, Mnemosyne 4. s. 4 5 (1 9 9 2 ) 5 0 1 -5 1 2 . Zur Eigenart der römischen Kallimachos-Rezeption vgl. DAWSON Iambi 149, WlMMEL Kalli­ machos 131 „neoterisch verengte^] Kallimachosbild“, W il l ia m s Tradition & Originality 7 7 6 , K r e v a n s Invocation 2 1 , GELZER Transformations 132 und jüngst F a n t u z z i Sistema letterario 50 „[...] noi modemi e bene che rispettiamo la coretta prospettiva storica, ed evitiamo di leggere Callimaco con gli occhi dei Latini [...].“ (in anderem Zusammenhang), ähnlich C a m e r o n Critics 1. Dazu vgl. z. B. E. A . SCHMIDT, Stationen der Wirkungsgeschichte Catulls in deutscher Per­ spektive, Gymnasium 102 (1 9 9 5 ) 4 4 - 7 8 , 54: „Immer wenn ein Dichter einen bemerkenswer­ ten Nachfolger gefunden hat, lesen die Späteren entweder nur das jüngere Werk [...], oder sie studieren sowohl die neue Dichtung als auch das urprüngliche Meisterwerk als ihre Muster,

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dennoch anachronistischen Standpunktes führt zu einem neuen Interesse an den von Kallimachos eingesetzten vehicles. Deren Wahl nun beeinflußt unzweifelhaft die Assoziationen, die der Rezipient dem impliziten tenor beilegt.3' Die oben er­ wähnte Metapher πρυμνήτης χΟονός läßt den Leser nicht nur das vehicle des Steuermanns auf den politischen Führer übertragen, sondern glossiert gleichzeitig das staatliche Leben mit all den Assoziationen, die dem Bereich des Nautischen zugehören. Vor einem Publikum von Seefahrern etwa wirkt eine solche Metapher anders als vor ‘Landratten’: Im ersten Fall stellt sich identifikatorische Vertrautheit ein, der πρυμνήτης wird als Vertrauter empfunden und akzeptiert. Im zweiten Fall wäre er ein Fremder und dürfte des Mißtrauens und der Ablehnung des Rezipien­ ten gewiß sein. Wenn jemand, um ein auffälligeres Beispiel zu wählen, ‘eternity’ als „a spider in a Russian bathhouse“ bezeichnet,32 so führt dies dazu, daß der Re­ zipient etwas so Abstraktes wie ‘Ewigkeit’ plötzlich im Licht seiner sehr persönli­ chen und zeitgebundenen Einstellung zu Spinnen, Rußland und Badeanstalten se­ hen und bewerten wird. Dieser Prozeß dürfte von demjenigen, der diese unge­ wöhnliche Metapher gewählt hat, einkalkuliert worden sein. Die emotionale Be­ wertung des vehicle und ihre Übertragung auf den tenor geschehen unwillkürlich. Diese beiden einfachen Fälle zeigen, daß die Untersuchung der vehicles werkbe­ stimmender Metaphern Anhaltspunkte für die intendierte Rezeptionssteuerung des Lesers33 durch den Autor ermöglicht. Eine genauere Untersuchung der Bildebene liefert also Aussagen darüber, welche Konnotationen Kallimachos seinen Rezi­ pienten bei der Auswahl und Gestaltung seiner Metaphern zugedacht hat,34 in wel­ chem Sinne er sie sympathielenkend eingesetzt hat.35 Im Gegensatz zur Untersuwobei sie das frühere Werk mit den Augen des Nachfolgers lesen.“ Das gilt für die Reihe Kallimachos - Properz/Horaz noch in viel stärkerem Maße als für Catull - Martial - Pontanus, weil man Kallimachos lange überhaupt nur als Rezeptionsgröße kannte. ZIEGLER Epos 12, 23 und 37 zeigt, wie Kallimachos-Interpretationen (z. T. über Horaz) noch heute das Bild des hellenistischen Epos bestimmen. 31

B l a c k M etaphor 2 8 9 (über den m etaphorischen Satz „M an is a w o lf.“ und den M ittransport der „associated co m m o n p la c e s“ von ‘w o l f ) , 2 9 1 -2 9 2 : „The m etaphor selects, em p h asizes, su p p resses, and | o rg a n izes features o f the principal subject [= tenor\ by implying statem ents about it that norm ally apply to the subsidiary subject [= vehicle].“ D ie Erkenntnis, daß vehicle und tenor ein en g e g e n se itig e n E influß ausüben, hat zur F orm ulierung der sogen an n ten ‘interaction th eo ry ’ geführt (v g l. die „ sev en c la im s“ dieser T heorie bei BLACK M etaphor 2 9 If)· D as Prinzip g e g e n se itig e r asso zia tiv er B eein flu ssu n g der beiden M etap h em teile hat auch SEARLE M etaphor 89 dargestellt.

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D . E. COOPER bei G o r d o n M ystery 118 A n m . 73.

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Die folgenden Bemerkungen gehen davon aus, daß das CEuvre des Kallimachos mindestens sekundär für „eine Rezeption im einsamen Akt des Lesens“ (EFFE Klassik als Provokation 3 1 8 ) konzipiert ist. Von der kritischen Richtung, die man als Rezeptionsästhetik oder ‘reader-response criticism’ bezeichnet, unterscheiden wir uns also, indem wir mit einem Autor rechnen, der den ‘response’ seines Rezipienten antizipierend kalkuliert. Wir halten die Reaktion dieses idealen Rezipienten für die Intention unseres Autors. Das Prinzip der Sympathielenkung hat kürzlich WEBER Dichtung & höfische Gesellschaft 128 beiläufig in die Beschäftigung mit hellenistischer Dichtung eingeführt. Ihm geht es zwar nicht um Metaphern, aber seine Bemerkung „Dabei [seil, beim ersten Hören eines hellenistischen Dichtertextes] nimmt der Rezipient ihm geläufige Elemente auf, etwa: bekannte Namen, Er-

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chung der impliziten tenors, bei deren Bestimmung die herkömmliche Forschung grundsätzlich aporetisch blieb, ermöglicht die Untersuchung der vehicles unter dieser Fragestellung eine literarhistorische Betrachtung und damit eine behutsame Annäherung an den zeitgenössischen Rezipienten. Die Genese der kallimacheischen Metaphern als Bilder, ihre Differenz zur Bildtradition und damit ihre Wirkung auf ein historisches Publikum möchte die folgende Arbeit also ein wenig aufhellen. Der Erwartungshorizont dieses RezipientenJkreises ist anhand der Metaphemtradition näherungsweise zu rekonstruieren. Dann erst ist es in wenigen Fäl­ len möglich, sich den tenors dieser Metaphern vorsichtig anzunähem. Daneben läßt sich möglicherweise am Extremfall Kallimachos ein gewisser Einblick in die Funktionsweise poetologischer Metaphorik schlechthin gewinnen. Diesem Ziel dienen die gelegentlich gegebenen Hinweise auf poetologische Metaphern in ande­ ren Literaturen. Die vorliegende Arbeit versteht sich als Fallstudie nur einiger weniger Meta­ phern, deren kontroverse Diskussion sie zu beleben hofft. Weil Beispiele bei Kal­ limachos fast vollkommen fehlen, sind Geschmacks- und Handwerksmetaphorik nur en passant berücksichtigt, mögen sie auch statistisch wohl den größten Anteil aller poetologischen Metaphern griechischer Dichtung stellen. Obwohl Rezeption selten oder nie ein sicheres Argument für den historischen Sinn des rezipierten Textes liefert,36 wird gelegentlich die griechische Kallimachosrezeption zu Illu­ strationszwecken herangezogen, auf die Berücksichtigung der lateinischen dagegen weitgehend verzichtet. Übersetzt wurden nur diejenigen der zitierten Texte, für die befriedigende Übersetzungen nicht anderweitig vorliegen. Meine Übersetzungs-

eignisse, Zitate, Wertungen, die demnach der poetischen Tradition und der jew eils eigenen Er­ fahrung entstammen, und kombiniert sie entlang eines durch den Dichter vorgegebenen Fa­ dens.“ gilt sogar in erhöhtem Maße für Rezeption von Metaphorik, weil dort die Sympathie­ lenkung auf der Seite des Rezipienten eher unbewußt erfolgt. HURST Contrepoints 151 geht in dieselbe Richtung, wenn er von „elements qui orientent le lecteur vers une perception choisie par le poete“ spricht, ähnlich auch FANTUZZI Sistema letterario 4 2 . Im Gegensatz zum Phä­ nomen μεταφορά läßt sich ein theoretisches Bewußtsein von ‘Sympathielenkung’ für Kalli­ machos oder seine Zeitgenossen nicht ohne weiteres voraussetzen: Ψ υχαγωγία hat bei Platon zwar noch eine ähnliche Bedeutung {Phaidr. 261 A 8, 271 C 10: „with the connotation o f enchantement nach A sm is Classification 2 2 0 ), bei den Kallimachos-Zeitgenossen Neoptolemos von Parion und Eratosthenes (zu diesem RÖSLER Fiktionalität 3 1 8 Anm. 10 0 ) dagegen bezeichnet sie bereits einseitig die Unterhaltung des Rezipienten im Gegensatz zu seiner Be­ lehrung (vgl. unten 2 1 6 f Anm. 4 5 ). Zur Wortgeschichte allgemein vgl. Aristophanes Αν 1555 und D u n b a r ad I. (S. 71 If). 36

Dem bei SCHMITZ Pindarrenaissance 263 Anm. 5 zitierten Grundsatz H. F r ie d r ic h s („Wie viele Fehldeutungen würden sich die Interpreten der Antike ersparen, wenn sie auf die Art und Weise achten wollten, mit der später die Antike rezipiert wurde!“ 1967) ist nur in dem Sinne zuzustimmen, daß Rezeptionsgeschichte unser eigenes Textverständnis historisch situiert und so zur Vermeidung „fataler Selbsttäuschungen“ beiträgt (vgl. dazu A. H e n r ic h s , Philologie und Wissenschaftsgeschichte: Zur Krise eines Selbstverständnisses, in: H. F l a s h a r [Hrsg.], Altertumswissenschaft in den 20er Jahren. Neue Fragen und Impulse Stuttgart 1995 4 2 4 457; Zitat 430). Die überaus gründliche Arbeit WlMMELs (Kallimachos) hat überdies die römische Kalli­ machosrezeption bestens dokumentiert.

1 E in leitu n g

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versuche erheben keinerlei literarischen Anspruch. Die große Menge der Querver­ weise schien gegenüber ständiger Wiederholung das geringere Übel. Abschließend seien gewissermaßen als Motto der folgenden Untersuchung die immer noch gültigen Worte eines Altmeisters zitiert: „Im einzelnen fordert der neue Kallimachos noch viel Arbeit, besonders die Telchinenelegie, wo jedes Wort auf die Goldwage [s/c!] gelegt werden muß [,..].“37

37

M aas Oxyrhynchus Papyri 130.

2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

Kallimachos hat seinen Aitia einen Prolog vorangestellt, in dem er sich gegen die Angriffe kunstmythischer Neidergestalten, der ‘Teichinen’, verteidigt, die seine Gedichte und seine Dichtungsweise angreifen (F 1.1-6 P). Der Polemik dieser Tei­ chinen begegnet Kallimachos in mehrfacher Weise, zunächst in einer direkten Ent­ gegnung (]και Τε[λ]χισιν εγώ τόδε F 1.7 P, es folgen 14 Verse wörtliche Rede des Dichters). Der Leser erfährt von der Reaktion der Teichinen auf diese tempe­ ramentvolle Apologie nichts, denn die weitere Auseinandersetzung führt Kalli­ machos auf ganz anderer Ebene. Zunächst folgt die Schilderung eines weit zurück­ liegenden Berufungserlebnisses: Dem Schüler Kallimachos erscheint Apollon und richtet zwei Parainesen an ihn (21-28), die sich auf Opfertiere und die Wahl des rechten Weges beziehen. Kallimachos läßt eine Gegenüberstellung von Zikadenge­ räusch und Eselslärm folgen (29-32), bekundet, am liebsten Zikade werden zu wollen, um ewig vom Alter unbeschwert bleiben zu können (32-36), und schließt mit der Versicherung, daß die Musen ihren Schützlingen deren ganzes Leben hin­ durch treu bleiben (37-38). Hier bricht der verständliche Teil des Papyrus zwar ab, doch dürfte nach den jüngsten Ergebnissen der Prologdiskussion wenigstens sicher sein, daß die binär kontrastierenden Bildgruppen poetologischer Metaphorik von Kallimachos nicht in den wenigen folgenden, größtenteils verlorenen Versen vor dem Somnium (F 2 P) entschlüsselt worden sind.1Daß aber der Telchineninvektive 1

Schon 1979 hatte MEILLIER Invective et Songe 40 auf den kontinuierlichen Übergang von F 1 zu F 2 hingewiesen. Neuerdings hat KERKHECKERs Beobachtung, daß die Koronis in POxy 2262 F 1 nach F la.30 P den Kommentar zum Telchinenprolog von demjenigen zum Somni­ um trenne und daß damit die Lemmata F la.20-26 noch zum Telchinenprolog gehören (Musenanruf 18-19), der also in einem Musenanruf endete, die Lemmata F 1.41 —45 dagegen zum Somnium, zu einer regen Debatte geführt. Nach KERKHECKER sei der Anfang der ersten Λ/ί/α-Edition ebenjener Musenanruf gewesen, der dann in der späteren Bearbeitung zum En­ de des Telchinenprologs geworden sei (24 Anm. 23): „[...] die Neuausgabe der Aitia wird in der poeti-|schen Fiktion gleichsam als genuines Alterswerk ausgegeben. Kallimachos sagt nicht: »Was ich damals erzählt habe, war gute Poesie.« Er erzählt es einfach noch einmal.“ (22-3). KERKHECKER hat neuerdings in Diskussion mit BlNG (bei BING Musenanruf 275 Anm. 9, dem sich KOENEN Ptolemaic King 91 f anschließt) seine These dahingehend korrigiert, daß dieser Musenanruf als Bindeglied zum alten Prolog komponiert und genetisch der Höhepunkt des Telchinenprologs sei, was ich für wenig wahrscheinlich halte: Die Altersargumente von KERKHECKER und BlNO Musenanruf 275 sind erstens unzureichend, und zweitens spricht die Traditionalität des Musenanrufs an sich dringend dafür, daß Kallimachos ursprünglich mit dieser Struktur begonnen hat, mag er sie auch stark abgewandelt haben (BlNG Musenanruf 275f). Aufgrund von Σ Flor. 19 dachte übrigens schon GALLAVOTTI Prologo 237 an einen Musenanruf nach dem Telchinenprolog. Kritik an BtNG übt M. A. HARDER, Between ‘Pro­ logue’ and ‘Dream’ (Call. fr. la,19ff), ZPE 96 (1993) 11-13. Vgl. dazu KREVANS Invocation

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2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

auch keine unmetaphorische Einleitung seitens des Dichters vorausging, läßt sich aus der Parallelüberlieferung schließen, die unseren ersten Vers offenbar auch als ersten gelesen hat.2 Die Aitien setzen demnach unvermittelt mit der Polemik der Teichinen ein, die nach einer kurzen Apostrophe an eine bisher nicht ermittelte Inspirationsinstanz in das Somnium übergeht. Dieser Prolog muß seinen Leser verunsichern: Einerseits berichtet Kallimachos offenbar mit vollem autobiographischem Emst als ‘primary narrator’3 stets in der ersten Person, andererseits weisen die ‘Teichinen’ nicht dieselbe biographi­ sche Eindeutigkeit auf: Dem leicht zu identifizierenden Ich steht keine ebenso deutlich zu benennende Gruppe gegenüber, obwohl die Polemik der Situation, die so ostentativ autobiographisch gehalten ist, dies eigentlich erforderte. Doch noch eine größere Schwierigkeit ergibt sich bereits auf den ersten Blick: Die gesamte Apologie des Kallimachos wird offenbar metaphorisch geführt, in einem bunten Bilderreigen gänzlich disparater Vorstellungen. Es ist vordergründig nicht die Re­ de von Stilfragen, kompositorischen Grundsätzen und ähnlichem, was nicht nur für den modernen Leser unabdingbar zu einer literarkritischen Diskussion gehört, son­ dern von Wiegevorgängen (9-12), Vögeln und exotischen Völkern (13-16), Län­ genmaßen (18), Donner (19-20), dicken Opfern und dünnen Musen (23-24), ver­ schiedenen Wegtypen (25-28), Eselsgeschrei und Zikaden (29-30). Der konkrete Sinn dieser Bilder bleibt mangels auktorialer Dechiffrierung dunkel.4 Die vorlie­ gende Arbeit verhält sich in dieser Aporie wie der ideale Leser: Sie versucht, die Irritationen zu beseitigen, indem sie die Bilder als Bilder untersucht. Dabei bietet sich als in sich geschlossenes Metaphernpaar, das auf einer narrativen Ebene die

2 3

4

20 mit Anm. 6, die an B in g Musenanruf passim anschließend weitere Hypothesen zum Adres­ saten dieses Anrufs aufstellt, hinter dem sie mit F 602 P Kyrene vermutet (Verwandtes schon bei BARIGAZZI Chiusa 104f). Neuerdings erwägt L e h n u s Regno 82, ob die Elemente, die F 1, F la und F 2 repräsentieren, nicht unabhängig voneinander entstanden sein könnten, während C a m e r o n Critics 2 f gerade zu beweisen sucht, daß die Traumszene (F 2 P) den Teichinenprolog (F 1 P) voraussetze. Die Arbeit A m b ÜHLs (Arcadian Asses) rekonstruiert aus Σ Lond. 53 P eine polemische Aussage im Somnium, dem älteren Prolog, was sich in das klare Bild nicht so recht einfugt, LlVREA (Somnium 57), der AMBÜHLs Arbeit noch nicht kennt, sieht im Eselsbild einen scherzhaften Selbstbezug (unwahrscheinlich nach F 1.30ff P!). Für unseren Zu­ sammenhang ergibt sich aus F la, daß dieser ominöse Musenanruf so kurz auf den erhaltenen Text gefolgt ist, daß dazwischen keine Auflösung der Metaphemreihe mehr erfolgt sein kann. Vgl. MAAS Oxyrhynchus Papyri 129. Vgl. H a r d e r Muses 11, 12-13, die sich um die Unterscheidung der Erzählebenen der ersten beiden Aitienbücher bemüht. Zum „poetic I“ vgl. auch HOGEL Poetic 1 279 und das ,,‘io’ narrante“ bei LEHNUS Regno 90. Hier kann die Identifikation von Autor und Erzähler aufgrund der biographischen Situierung 31-38 als beabsichtigt gelten. Diese Dunkelheit kann man nicht einfach mit dem Verweis abtun, daß „das Dichterwort dun­ kel sein müsse“ (J. HUIZINGA, Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, übs. v. H. Nachod, Hamburg 1987 [1956], 150 über Dichtersprache allgemein und speziell die Kenningar der Skalden), weil sie die Funktion des Prologs blockiert. Als Kontrast vgl. man die weit­ hin unmetaphorische Auseinandersetzung zu Gattungs-, Metrik- und Dialektfragen in F 203.14, 18, 31 f und 45 P. CLAYMANs These von der Einrahmung des kallimacheischen Werks durch F 1 und F 203 (vgl. unten 166 mit Anm. 151) ist also zu relativieren.

2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

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vorangegangenen und nachfolgenden Bilder inhaltlich-biographisch begründet (F 1.21 P: και γάρ οτε),5 zunächst die Untersuchung der Apollonparainese an. Seiner Apollonerscheinung legt Kallimachos zwei Aufforderungen in den Mund, die dieser an ihn selbst gerichtet habe, als er das erste Mal zu Griffel und Schreibtafel griff (F 1.21 f P: και γάρ οτε πρώτιστον έμοϊς επί δέλτον εϋηκα / γούνασιν, Ά[πό]λλων είπεν ο μοι Λύκιος). Nach einer sonderbaren Opfervor­ schrift, die wir später behandeln (unten 156ff), trägt Apollon dem jungen Kalli­ machos auf, vielbefahrene Straßen zu meiden, seinen Wagen nicht auf ebener Fahrbahn in den Spuren anderer, sondern auf bisher unbefahrenen Wegen zu steu­ ern und deren Beschwerlichkeit dabei in Kauf zu nehmen (25-28). Wie der Kon­ text dieser Aufforderungen zeigt, den oben Dichtungspolemik, unten weitere ver­ bildlichte Polarisationen bilden, handelt es sich um metaphorische Dichtungsparainesen, mit denen Kallimachos in der langen Tradition der kinetischen Dich­ tungsmetapher6 steht. Deren Kenntnis ist für das Verständnis des kallimacheischen Wegbildes unentbehrlich, so daß ihr Abriß die Diskussion der kallimacheischen Metapher einleiten soll.7 Die Tradition dieses Ausdrucksmittels ist eine spezifisch dichterische und hat im Gegensatz zu den technologischen und organologischen Metaphern, die später in rhetorischer Fachliteratur sehr verbreitet sind, dort viel­ leicht wegen ihrer hochtrabenden Assoziationen keine Karriere gemacht.8 Wie auch technologische Metaphern finden die vehicles ‘Weg’ und ‘Wagen’ be­ merkenswerte poetologische Parallelen in vedischen Texten:9 Bei aller gebotenen Vorsicht101liegt also die Vermutung nahe, diese Metaphemklasse sei Bestandteil einer indogermanischen Dichtersprache gewesen." Metaphorische Äußerungen 5 6 7

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Vgl. M il l e r Aetiological Elegy 409. Andere kinetische Metaphern sind Bilder vom Fließen, die unten (11 Iff) behandelt werden, Schiffahrt (unten 45 Anm. 99) und evtl. Pflügen (unten 227f Anm. 96 zur Metapoiesis). Überblicksartig informieren WlMMEL Kallimachos 104-10 und K a m b y l is Dichterweihe 81f, 155-58. Beide sind jedoch eher an römischer Kallimachosrezeption interessiert. HOOK Terminology 3 3 -3 4 fuhrt nur Aristoteles Rhet. 111 14.1414 b l9-21: προοίμιόν έστιν αρχή λ ό γ ο υ [...] ο ΐο ν όδοποίησις τφ έπιόντι und Demetrios Eloc. 48, 202 an. Vgl. zu ‘W eg’ z. B. Rgveda 1.141.1, 1.173.11, 5.63.16, 8.19.16, 10.71.3, zu ‘Wagen’ z. B. Rgveda 1.102.3, 2.35.1, 3.30.20, 4.56.4, 5.46.1, 6.46.1, 7.23.3, 8.12.1, 10.26.1, und zu ‘Wagenrennen’ z. B. Rgveda 1.102.9, 5.60.1, 7.24.5, 7.34.1, 7.93.3, 8.3.15, 8.45.9, 9.21.7, 10.31.3, 10.39.11. Die Arbeit von HlRZEL (Metaphern im Rgveda) behandelt unsere Gruppe von tenors leider nicht. Zu geographischen Eingrenzungsversuchen vgl. MEID Dichter & Dichtkunst 6, TOPOROV Ursprünge 189 kulanter: „unter Vorbehaltungen ‘gemeinindoeuropäisch’“. Substantielle Kri­ tik am gesamten Unternehmen der Rekonstruktion einer Dichtersprache übt HUMBACH Dich­ tersprache 28: „Es ist eben doch so, daß ganz bestimmte Ausdrucksweisen der Hofsprache und der Dichtersprache [...] von Natur aus naheliegen und mithin immer wieder neu geschaf­ fen werden können.“ Ob allerdings in unserem Fall Wagen vehicles als „von Natur aus nahe­ liegend“ bezeichnet werden können, darf man bezweifeln. Vgl. allgemein F. GRAF, Griechische Mythologie. Eine Einführung, München/Zürich 1991, 74. Zur indoeuropäischen Wegmetapher äußert sich ausführlich DURANTE Epea pteroenta 244 u. ö. (er vergleicht Rgveda 2.19.7), während CAMPANILE Cultura poetica das Phänomen voll­ kommen übergeht; zum „Bild des Schirrens“ (= Wagenmetapher) vgl. WÜST Zusammenhänge 32. WEST Orient 225 Anm. 4, 226 zitiert Wagenmetaphem aus den Upanishaden. Vgl. auch

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dieser Art sind als poetologische Kundgebungen vorwiegend selbstreferentiell, setzen also eine Gattung voraus, die selbstreferentielle Äußerungen gestattet,12 so daß als Medium und Korrelat der poetologischen Metapher Epen homerischen Typs ausscheiden. Deswegen ist die Tradition, die zur poetologischen Metaphemfülle etwa eines Pindar führt und diese erst ermöglicht, eher lyrisch als episch vor­ zustellen. 13 Ob neben dieser Metaphemtradition eine epische existiert hat und wie sie sich zur lyrischen verhalten haben könnte, entzieht sich letztlich der Nachforschung. Die homerische Epik sollte zur Klärung dieser Frage nur mit Vorsicht herangezo­ gen werden, da Homers Rolle in der Entwicklung der poetologischen Wegmeta­ pher umstritten ist.- Homer wird von den einen für den Vater der Wegmetapher gehalten, von den anderen aber als solcher abgelehnt.14 Der Schlüssel dieses Pro­ blems ist die Interpretation der Begriffe οϊμη bzw. οιμος. Diese Bezeichnungen begegnen d 74 und 481, χ 347 (οιμη) und HHomHerm. 451, stets vom Lied oder dem Liedinhalt. Während οίμος eines qualifizierenden Genitivs bedarf,15 kommt D u n k e l Fighting Words 259: „The other common image in Rig-Vedic discussions o f poetic competition is that o f a horse-race.“, ähnlich WEST Poetry 2000 179. Die bei SCHMITT Dich­ tersprache 296 §601 angeführte Parallele aus der Avesta bezieht sich strenggenommen auf den Wagenbau, ist also technologische, nicht kinetische Metapher. Genauso irrt HENDERSON Cha­ riot & Dolphin 151: „technical skill required in its construction“ ist innerhalb der Bildlogik des vehicle irrelevant, wie im folgenden deutlich werden wird (doch vgl. unten 28 Anm. 33). Handwerksmetaphorik in der indogermanischen Dichtersprache erwähnen M eid Dichter & Dichtkunst 17 mit 24 Anm. 54, DUNKEL Fighting Words 256 mit Anm. 33, TOPOROV Ur­ sprünge 199, 217-18.

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ln diesem Zusammenhang ist die rekonstruierende Gattungsbestimmung des „indo­ germanischen Strophenliedes“, die TlCHY Hymnen vomimmt, von Bedeutung: Sie vermutet am Hymnenanfang (84ff) Raum für Selbstaussagen. Wenn sie die poetologische Funktion die­ ses Strophenliedes darin erblickt (91), „vom Können bestimmter individueller Verfasser Zeugnis abzulegen [...]“, wird damit der ursprüngliche Rahmen poetologischer Metaphorik faßbar.

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Zu dieser älteren chorlyrischen Tradition vgl. W. RÖSLER, Dichter und Gruppe. Eine Untersu­ chung zu den Bedingungen und zur historischen Funktion früher griechischer Lyrik am Bei­ spiel Alkaios, Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste 50, München 1980, 15f mit Anm. 12: Das „Element persönlicher Aussage“ sei in ihr bestimmend gewesen. Zu Form und Inhalt dieser Tradition finden sich Bemerkungen bei WEST Poetry 2000 184-88 Kraß gegensätzlich zum oben vertretenen Modell die herkömmliche Ansicht z. B. bei S c h a d e w a l d t Aufbau 3 1 0 (52): „Das Epinikion stand stets in der epischen Tradition und ist in ihr entstanden.“

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Kontrovers äußern sich z. B. HARRIOTT Poetry & Criticism 65: „There is no doubt that ulti­ mately Homer is the source o f all occurrences o f the ‘path’ metaphor.“ Ähnlich LEFKOWITZ First Person 197 (Pindar sei angeregt von den knappen Wegmetaphem des Epos). Dagegen B ec k e r Weg 5: „[...] Homer [...], der die Metapher des Weges nicht hat.“ DURANTE&Epea pteroenta 233: „[...] das Bild hat keine sicheren Zeugen in Texten vor dem 5. Jahrhundert “ MCLENNAN ad Kallimachos H l.78, S v a r l ie n Path o f Song 474, H a r r io t t Poetry & Criti­ cism 64: „genitive-link metaphor“; unabhängig ähnlich G. B u h r , Die Reflexionen der para­ doxen und absurden Metaphorik [...], in: ders., F. A. KlTTLER, H. TURK (Hrsgg ) Das Subjekt der Dichtung. Festschrift G. KAISER, Würzburg 1990; 179-207, 181 „Genitivmetapher“ zu Trakls „Saum des Waldes“. Es handelt sich um eine Form, die man meist als ‘Kenning’ be­ zeichnet (vgl. schon DORNSEIFF Stil 32-34): Vgl. die bei TH. K r ö MMELBEIN, Skaldische Me-

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2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

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οϊμη ganz ohne Ergänzung aus. Der Schluß liegt nahe, daß dieser Begriff schon bei Homer lexikalisiert ist, also nicht mehr als Metapher empfunden wird.16Es fallt schwer, so implizite und beiläufig eingeführte vehicles für die ersten ihrer Art zu halten. Homers Wegmetaphem setzen vielmehr eine explizite und erheblich bildli­ chere Metaphemtradition voraus, um verstanden werden zu können. Dasselbe Er­ gebnis zeitigt die Untersuchung anderer ve/u'c/e-Bereiche.17 Statt also Homer mit diesen spärlichen Belegen zum Stammvater der griechischen Wegmetapher zu machen,18 liegt es viel näher, einen terminologischen Bezug auf zeitgenössische (lyrische) Heldendichtung anzunehmen, in der die poetologische Äußerung eines seiner Individualität bewußten Sängers eher Raum findet als im Epos:19 Homer bedient sich offenbar bei der Beschreibung einer Ausdrucksgattung, nämlich des Liedes des Demodokos, des zeitgenössischen, gattungstypischen Vokabulars, nicht einer kühnen Metapher. Οίμος nun scheint ursprünglich etwas Schmales, Glattes gewesen zu sein: Die etymologische Verbindung mit Bewegung ist umstritten,20

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17 18

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taphorik [...], Diss. Freiburg 1981, 1 7 -1 8 vorgelegten Definitionen MEISSNERs und PlLCHs und die bei HUMBACH Dichtersprache 2 9 Anm. 3 zitierte klassische Definition W. K r a u s e s : „Unter der einfachen Kenning verstehen wir den einer typisch poetischen Sphäre entnomme­ nen zweigliedrigen Ersatz für ein Substantiv der gewöhnlichen Rede“. Weitere Definitions­ versuche bei W a e r n Kenning 6—18, die leider poetologische Kenningar insgesamt unbehan­ delt läßt. Die Ähnlichkeit der Kenning mit Homers Metaphern ist aus der Perspektive einer indoeuropäischen Dichtersprache betrachtet wahrscheinlich kein Zufall (vgl. dazu CAMPANILE Cultura poetica 1 0 8 -1 1 1 und W a t k in s Indo-European Poetics 6 8 6 ). Zu ähnlichen Koinziden­ zen vgl. D u n k e l Fighting Words 2 5 4 - 5 6 . Den genannten homerischen Kenningar ist der pindarische έπέω ν οίμος so ähnlich, daß wohl beide als Erben derselben Tradition aufgefaßt werden dürfen. Metaphernähnliche Ausdrücke liegen ζ 29-30: φάτις [...] άναβαίνει/έσϋλή (ähnlich ψ 362 φάτις είσιν) und vielleicht θ 492 vor: Dort fordert Odysseus Demodokos auf, im Gesang fort­ zuschreiten - er verwendet μεταβαίνειν (vgl. HHomAphr. 293, HHom. 9.9, 18.11). Vgl. auch den metaphorischen Gebrauch von [δι]ώξω bei Pindar F 52b.4 SM (dazu KÄPPEL Paian 99 Anm. 40) mit διικνέομαι 1 61, T 186 und HHomCer. 416. Alle diese Metaphern sind aller­ dings nicht deutlich poetologisch. Vgl. STANFORD Greek Metaphor 134. Unrichtig führt daher M dNTOSH Web 193-95 den Gebrauch von Webemetaphorik bei den Lyrikern auf Rezeption homerischer Bilder zurück. W. KRANZ, Das Verhältnis des Schöpfers zu seinem Werk in der althellenischen Literatur. Ein Versuch, NJbb 53 (1924) 65-86 (= Kleine Schriften [vgl. unter K r a n z Sphragis] 7-26), schlägt 7 1 -7 2 (13) zu ü 73 άνηκεν die metaphorische Bedeutung ‘loslassen’ vor: Am Verbal­ begriff sei wahrscheinlich das Lockerlassen der Zügel assoziativ beteiligt. Auch dann aber bliebe das für uns erste Vorkommen dieser Metapher zu implizit, um wirklich als originäre Prägung gelten zu können. SNELL Entdeckung 219 macht die wenigen οϊμη-Belege gar voll­ ends zum Ausgangspunkt dichterischen Selbstbewußtseins. Poetologische Metaphern pindarischen Ausmaßes sind per se selbstreferentiell und setzen einen selbstbewußten Sänger voraus. Die Entwicklung solcher Metaphern ist damit zuerst an eine Gattung gebunden, die diese Autoreferentialität ermöglicht. Der Bezug zur Schriftlichkeit des Produktionsprozesses dagegen kann bei diesem speziellen Aspekt von ‘Autorbewußtsein’ vernachlässigt werden: E. STEIN, Autorbewußtsein in der frühen griechischen Literatur, ScriptOralia 17/A3, Tübingen 1990, streift unser Thema leider nicht (allenfalls vage 172). DURANTE Epea pteroenta 243 Anm. 2 verweist auf mykenisch ‘o-m o-pi’ ‘mit Bändern (aus Elfenbein)’. V g l. dazu M. VENTRIS, J. CHADWICK (eds.), Documents in Mycenean Greek, Cambridge 21973, 369, Nr. 276. DURANTE Terminologie 277: Λ 24 heißt οίμος ohne Zweifel

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2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

die Bedeutung ‘kleiner Weg’ allerdings sicher: Schon Hesiod nämlich verwendet in seinem kontrastierenden Bild zweier Wege (Opera 288-92, vgl. unten 94) οίμος als Gegenbegriff zur großen, bequemen Straße (οδός).21 Die Kenningstruktur der οίμος- bzw. οίμος-Verbindung bleibt aber als Indiz der Metaphorizität dieses Begriffs gelegentlich bis in den Hellenismus erhalten.22

2.1 ‘Weg’ und ‘Wagen’ als Strukturbilder bei Pindar Vermutlich also steht Pindar mit seinen Weg- und Wagenmetaphem in keiner epi­ schen,23 sondern in einer lyrischen Tradition, die ihrerseits zeitlich weit zurück­ reicht.24 Das erklärt sowohl, warum diese Metaphemklasse bei ihm so außeror­ dentlich dominiert, als auch, warum sie später als spezifisch lyrisch verstanden wird (vgl. unten 45f). Gleichwohl muß man damit rechnen, daß Pindar mit diesen traditionellen Elementen kreativ umgegangen ist.25 Für die Belange dieser Unter­ suchung reicht eine Skizze der Struktur und Funktion nur der eindrücklichsten proprie ‘Streifen’ (aus Metall). Nach DURANTE (ebd.) bedeutet οϊμη ‘Kenntnis der Fakten’. Unerklärlich wäre dann allerdings der später eindeutige Bezug auf den Dichtungsweg. Em­ phatisch für die etymologische Identität beider Begriffe BECKER Weg 36-37, 6 8-9. Zum Problem auch M eu li Scythica 172 Anm. 3. Heute allerdings neigt man zur Aspiration des οίμος, wodurch die etymologischen Filiationen unsicher werden: Vgl. zur Aspiration WEST ad Hesiod Opp. 290, PFEIFFER ad Kallimachos F 1.27, dagegen allerdings P. CHANTRAINE, Dictionnaire etymologique de la Langue Grecque. Histoire des Mots, Paris 1968, 783f. Ob­ wohl οίμος authentisch zu sein scheint (vgl. WEST), wird im folgenden nur in hellenistischen Texten ausschließlich οΐμος verwendet, sonst der jeweils maßgeblichen Ausgabe gefolgt. 21

22

V g l. B ec k e r W eg 3 6 .

Strukturell identisch mit den homerischen Kenningar sind z. B. Pindar Ol. 9.47 (hier vermutet B ec k e r Weg 6 9 -7 0 „abgeschliffene“ Konnotationen), Philitas F 10.4 CA, Kallimachos

H l.78. 23 24

25

Daß HlRZEL Metaphern im Rgveda passim zwar Homer, Hesiod und die Tragiker berücksich­ tigt, Jambiker, Elegiker und Lyriker dagegen nicht, macht seine Studie nicht brauchbarer. Das älteste chorlyrische Beispiel einer Wagenmetapher überhaupt scheint Alkman F 1.92 PMGF (F 3 CALAME) zu bieten: τώ]ι τε γάρ σηραφόρωι. Dieses Bild beschreibt das Ver­ hältnis von Chorführer und Chor im Bild des Wagens und eines Schiffes und bleibt deswegen in einem eigenartigen Zwischenbereich zwischen politischer Metaphorik (Wagenfahrer und Steuermann führen ihre Fahrzeuge, wie Hagesichora den Chor führt) und poetologischem Ge­ halt (Wagenfahrt, Schiffahrt als metaphorischer Vollzug des getanzten und gesungenen Partheneions), den dieselben vehicles transportieren können. Vgl. dazu B o w r a Pindar 230, D. L. P a g e (ed.), Alcman: The Partheneion, Oxford 1951, 95-96, P e r o n Images 26, D u n k e l Fighting Words 249 Anmm. 1-4, 261, der die mögliche politische Metaphorik allerdings nicht berücksichtigt. Angesichts der indogermanischen Metaphemtradition wahrscheinlich unrichtig also REINSCH-W e r n e r : „[...] Pindar, der die Wege-Metapher als erster auf die Dichtkunst überträgt und um das Bild des Musenwagens erweitert.“ (Callimachus Hesiodicus 335 mit Anm. 2). Zu diesem Ergebnis führen sowohl der Vergleich mit Bakchylides (dazu WAERN Kenning 85) als auch die Beobachtungen KRUMMENs, die auf die starke Einbindung pindarischer Meta­ phern in die jew eilige Vortragssituation hinweist (vgl. unten 36 mit Anm. 61).

2.1 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Strukturbilder bei Pindar

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Beispiele Pindars aus,26 um die spätere Rezeption der Wegmetapher zu beurteilen. Weil eben die diachrone Analyse hier im Vordergrund steht, sei es erlaubt, die Wegmetaphem poetologischer tenors weitgehend zu isolieren:27 Aus der Gruppe kinetischer Metaphern Pindars28 ragen seine Weg- und Wagenmetaphem statistisch und der Sorgfalt ihrer Ausführung nach heraus. Die sim­ pelste Form dieser Metaphern ist die einfache Metonymie, ein konkretes, vorlie­ gendes Gedicht als ‘Musenwagen’ zu bezeichnen: So ist das für den Akragantiner Thrasyboulos bestimmte Enkomion ein έραταν οχημ’ άοιδαν (F 124a.l SM), auf das Pindar im folgenden Vers mit anbietender Geste weist (τοϋτο): Seine Vorstel­ lung ist offenbar die eines mit Literatur beladenen Lastwagens.29 Ein weiteres Bei­ spiel für diese metaphorische Grundform bietet die Generalisierung, mit der Pindar eine bestimmte Gattung oder Harmonie als [ο]χημα λιγ[υ (F 140b.8 SM) bezeich­ net, immerhin in der Form eines Vergleichs (8 olov).30 Sollte sich λιγ[υ als ein anerkennendes ästhetisches Prädikat auf die erfundene Melodie beziehen,31 läge ein dem Vergleich inhärenter Bildbruch vor. Einen derart umfangreichen Vergleich leitet Pindar aber sicher nicht umständlich mit οίον ein, um ihn noch in der bildli­ chen Vergleichsstruktur wieder zu brechen. Λιγ[υ dürfte sich also eher auf das Geräusch erhitzter, schnell rotierender Naben beziehen, das man sich etwa wie bei 26 27

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Auch beiläufige Beispiele finden sich oft bei Pindar: Vgl. z. B. Ol. 1.52, Nem. 5.16. KURKE Traffic in Praise 22, 30 übt Kritik daran, nur die poetologischen Wegmetaphem zu betrachten. Doch wird die hellenistische Pindarrezeption gerade das getan haben, wenn sie poetologische Weg vehicles im Hinblick auf Pindar verwendete. DURANTE Epea pteroenta 244: „Alle möglichen Mittel zur Fortbewegung, in der Luft, zu Was­ ser und zu Lande, passen für die Reise des Wortes in der Phantasie der griechischen und ari­ schen Dichter.“ GlANOTTl Poetica Pindarica 119 Anm. 108: „[...] in Pindaro tutti i verbi di movimento possono essere usati in senso metaforico [...]“, S t e in e r Crown 66: „[...] a major set o f the poet’s metaphors are concerned with mobility and passage.“ Für Pindar muß die Verbildlichung des όχημα schon einen hohen Grad an Abstraktion er­ reicht haben: In Vers zwei nämlich bezeichnet er eben diesen Lastwagen als „Nachtisch“ (μεταδόρπιον), d. h. nach dem Essen beim Symposium vorzutragendes Gedicht. Die beiden unvereinbaren vehicles stehen unvermittelt nebeneinander. Die Konnotationen des Wagenhaf­ ten spielen offenbar überhaupt keine Rolle mehr. Zum Realitätsgehalt des πέμπειν im näch­ sten Vers vgl. TEDESCHI Invio 39—41. Nach der Deutung, die HENDERSON Chariot & Dolphin 148-152 dem Fragment gibt (Pindar beschreibe die Erfindung des Λ οκριστι durch den Lokrer Xenokritos), möchte man vermuten, daß die archaische Form des ausgeführten Vergleichs, die sich bei Pindar im Zusammenhang mit der Wagenmetapher sonst nicht findet, mit der offenbar geschilderten Ursituation zusam­ menhängt, in der der Dichter sich unwillkürlich scheut, einen modernen sprachlichen Standard zu gebrauchen. Zum Λ οκριστι und Xenokritos vgl. WEST Greek Music 184 mit Anm. 95 und Kallimachos F 669 P (PFEIFFER zieht mit WlLAMOWlTZ die Namensform ‘Xenokrates’ vor). HENDERSON Chariot & Dolphin 149 erwähnt weder die im folgenden genannte Parmenidesparallele noch das Problem des tertium comparationis, das sich in diesem ungewöhnlichen Vergleich stellt, sondern geht nur von der „positive connotation“ des Attributs λιγ[υ aus: „The word λιγ[ύ is obviously intended as a compliment.“ Zu den Konnotationen von λιγύ vgl. FOWLER Archaic Aesthetic 138f (eindeutig negativ B 246 über Thersites) und AMBÜHL Arca­ dian Asses 209 Anm. 1. Kreischende Naben scheinen Kennzeichen antiker Wagenrennen ge­ wesen zu sein, weswegen eine ästhetisch generell positive Wertung durchaus möglich ist: Vgl. Aischylos Hik. 181 und Kallimachos F 3 84.5fP.

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2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

Parmenides 28 B 1.6-7 DK vorzustellen hat: Das tertium comparationis muß die akustische Impression von Nabengeräusch und Λοκριστί sein, das mit diesem Vergleich also nicht ästhetisch bewertet werden kann. Denn über die Melodien des Xenokritos ließe sich doch sicher Schmeichelhafteres sagen, als daß sie quiet­ schenden Radnaben glichen. Sicher jedenfalls ist nicht wie oben die Transport­ funktion des Wagens der Vergleichsgrund. Ausgehend von der metaphorischen Identifikation des Liedes mit dem Wagen kann Wagenfahren allgemein gleichbe­ deutend sein mit Dichten: In seiner idealisierenden Erinnerung an die graue Vor­ zeit, als Dichtung im Gegensatz zur Gegenwart Pindars noch nicht schnöde Er­ werbstätigkeit bedeutete,32 werden die Dichter eben dieser Vorzeit als οί μέν πάλαι [...] φώτες, οϊ χρυσαμπύκων / ές δίφρον Μοισάν εβαινον geschildert (Isth. 2.1—2 SM). Natürlich fehlen hier Artikel oder Demonstrativpronomen, weil es sich bei diesem Wagen bereits um eine generalisierende Abstraktion der konkre­ ten Metonymie handelt: Nicht ein spezielles Gedicht wie in den obigen Beispielen, sondern Dichtung schlechthin ist ein ‘Musenwagen’.33 Bildgenealogisch betrachtet schließen sich an diese einfache Figur intensiver elaborierte Fälle desselben Metapherntyps an, die im folgenden nach strukturellen Funktionen gegliedert besprochen werden. In dem Epinikion auf den Aigineten Hagesias, der 468 in Olympia das Maultierrennen gewann (Ol. 6), beginnt Pindar seine zweite Strophe mit wohl seiner berühmtesten Weg- und Wagenmetapher (22-25 SM): φ Φίντις, άλλα ζεϋξον ηδη μοι σθένος ήμιόνων, α τάχος, οφρα κελεύθω τ’ έν καθαρά βάσομεν οκχον, ϊκωμαί τε προς άνδρών καί γένος·

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Die starke Betonung der Erwerbstätigkeit der modernen Muse (6 φιλοκερδής, έργάτις), des Verkaufs (7: έπέρναντο) und der Schminke einer Oberfläche (8 άργυρω θεΐσαί πρόσωπα) lassen an Prostituierte denken (so schon WlLAMOWlTZ Pindaros 311 Anm. 1, G entili Comumcazione 124-126 mit Anm. 10). Möglicherweise liegt hier Polemik gegen Simonides vor: Vgl. Kallimachos F 222 P έργάτιν Μ ούσαν und PFEIFFER ad l. Dieses Kallimachosfragment ließe sich als Rezeption eben unserer Pindarstelle interpretieren (so F ü h r e r Epinikien 2 1 3 215, Literatur 213 Anm. 802). Pindar impliziert in seinem Gold-Silber-Kontrast außerdem ei­ ne moralische Deszendenz, die vage an Hesiods Weltzeitaltermythos erinnert. Zu den Interpre­ tationsproblemen dieser Ode ausführlich KuRKE Traffic in Praise 240-256. Die Idee S im pso n s (Chariot & Bow 4 7 0 ff), mit έ τ ό ξ ε υ ο ν (3) liege die einheitliche, aber sin­ guläre Vorstellung vor, hier werde im Fahren vom Musenwagen herab geschossen, ist abzu­ lehnen. S im p so n unterschätzt Pindars Flexibilität, vehicles bei gleichbleibendern tenor zu kontaminieren, ohne sich um ihre Stimmigkeit zu kümmern (vgl. oben 15 Anm. 2 3 ). Die Schützenmetaphem Pindars finden Parallelen im Vedischen (vgl. z. B. Rgveda 1 .1 2 8 .4 9 .6 9 .1 , 10 .4 2 .1 ) und Avestischen, wie DUNKEL Fighting Words 2 5 8 , 2 6 6 Anm. 2 erläutert] aber auch dort liegt keine Kontamination mit der Wagenmetaphorik vor. Andererseits findet sich im Rgveda der vergleichbare Fall von Wagen- und Handwerksve/iic/es, die zur Dich­ tungsmetaphorik des ‘gutgebauten Wagens’ kontaminiert werden (z. B. 1 .6 1 .4 , 1 .6 4 .1 , 1 .9 4 .1 , 1 .1 3 0 .6 , 5.2.1 1, 5 .2 9 .1 5 , 5 .7 3 .1 0 , 7 .6 4 .4 ) - ein ähnlicher Fall könnte auch bei Pindar vorlie­ gen.

2.1 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Strukturbilder bei Pindar

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Phintis muß wohl der Wagenlenker oder Maultiertrainer des Hagesias sein. Dies ergibt eine dreifache bildliche Identifikation: a) Phintis soll sich zu Pindar verhal­ ten wie zu Hagesias: Daraus resultiert eine Gleichstellung von Hagesias und Pin­ dar, von Athlet und Poet, deren ‘Maultiertrainer’ jeweils Phintis ist. b) Wenn Pin­ dar auf dem Maultierwagen des Phintis zu dem später besungenen γένος άνδρων kommt, muß mit dem οκχος das konkrete Epinikion gemeint sein. Man kann σθένος ήμιόνων dabei als Metonymie von οκχος oder als Anlaß des Epinikions auffassen, c) Das ‘Fortschreiten’ im Stoff innerhalb des Epinikions wird mit der Fahrt des Rennwagens auf „reiner“ Straße verglichen:34 Entweder identifiziert Pin­ dar den Dichtungsvorgang mit einem möglichen oder retrospektiv sogar mit dem realen Rennen, dessen Sieger er preisen wird.35 Pindar begründet mit Vers 25 sogar die besonders gute Eignung der Maultiere für seinen Zweck: Sie kennen ja den Weg nach Olympia bereits, den er in seinem Mythos auch zurücklegen muß.36 Die­ se Passage erweist sich also als die kunstvolle Adaption37 einer anderswo bei Pin­ dar schlichter vorliegenden Topik an einen speziellen Anlaß. Auffallender noch als die dreifache metaphorische Ausfaltung, mit deren Hilfe Pindar hier Dichten und Fahren identifiziert, ist die strukturelle Funktion dieser elaborierten Metapher im Kontext des gesamten Epinikions: Pindar fährt auf dem Wagen seines Gedichtes in die Vergangenheit, die Maultiere des Phintis ziehen ihn 34

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Die κ α θα ρότη ς dieses Dichtungsweges ist nicht leicht zu erklären: B o w r a Pindar 39 plädiert für einen Weg in der Luft, BECKER Weg 22 übersetzt mit „blank“, anscheinend als konkrete Beschaffenheit der Rennbahn gedacht (dagegen 80 „rein“), „neue Bahnen“ finden sich bei WEBER Dichtung & höfische Gesellschaft 164, 186 mit Anm. 6, THOMAS Entwicklung der Metapher 4 3 f fuhrt akustische und moralische Konnotationen ins Feld. Falls man einen poetologischen tenor annimmt (etwa: ‘bisher unbedichtef, ‘nicht abgegrast’ o. ä.) liegt vielleicht eine Verbindung zu Kallimachos Ep. 7.1 P/57.1301 HE nahe: So versteht N e w m a n New Poetry 47 den Ausdruck. Dieses Epigramm hat allerdings bisher auch keine befriedigende Deutung erhalten (vgl. unsere Ausführungen unten 53ff, 88), wo beide Passagen mit Hilfe re­ ligiöser Assonanzen diskutiert und gedeutet werden. RENEHAN Ambiguities 219, der mit FARNELL als intendierte Zweideutigkeit von καθαρός vorschlägt: ,,a) clear o f obstacles, unen­ cumbered, b) unsullied, referring to the ideal path o f song“ löst das Problem kaum, weil keine Funktion dieser Ambiguität erkennbar ist (für die erste Interpretation spricht immerhin So­ phokles OC 1575 έν καθαρω βήναι, daneben vielleicht Pindar Ol. 10.45). Zu Fällen pindarischer Mehrdeutigkeit und ihren jeweiligen Funktionen vgl. L. KllRKE, Fathers and Sons: A Note on Pindaric Ambiguity, AJPh 112 (1991) 287-300, mit präzisem Überblick der Pro­ blemgeschichte. Die φανερά οδός aus Ol. 6 scheint mir eher eine Lebensweg-, weniger eine Dichtungswegmetapher zu sein, da von der Vorbildlichkeit dessen die Rede ist, der die αρετή ehrt (72f: τιμώντες δ’ ά ρ ετά ς/ές φανεράν οδόν ερΧοντα0· SlLKs „purely metaphorical journey“ (Interaction 171) wird den möglichen Realitätsbezügen des Bildes also wohl nicht gerecht. GOLDHILL Poet’s Voice 150 liest das gesamte Epinikion als von der Weg- und Wagenmetaphorik dominiert, was mir zu weit zu gehen scheint. Dassel­ be gilt für seine gattungstheoretischen Überlegungen (164). MAEHLER Dichterberuf 90 Anm. 3: „[...] der folgende γά ρ-Satz zeigt, gleichsam als Auflö­ sung des metaphorischen Spiels, daß Pindar sich der Übertragung [...] ganz bewußt ist.“ Es fällt in der Tat schwer, diesen Gedanken anders zu verstehen, so daß sich daraus für Pindar ein Bewußtsein dieser Struktur ergäbe, das wiederum die Thesen BERNARDS (oben 15 Anm. 23) und anderer widerlegte. Vgl. SCHADEWALDT Aufbau 272 (14) Anm. 1 „konventionell gebunden und doch einmalig“.

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in eine mythologisch-genealogische Digression über Ursprung und Ruhm der Iamiden, der Familie des Hagesias, die den Rest des Epinikions füllt. Die Weg- und Wagenmetapher leitet diese Digression, die sich Pindar als Fahrt vorstellt, offenbar ein.38 Diese strukturelle Funktion zeichnet auch die abstrakte Wegmetapher aus, mit der weniger bildliche Möglichkeiten verbunden sind: In Isth. 2.33-4 (ein Epinikion auf den Rennsieger Xenokrates) leitet Pindar sein Siegerlob mit der Bemerkung ein ού γάρ πάγος ουδέ προσάντης ά κέλευΟος γίνεται, / εϊ τις εύδόξων ές άνδρών άγοι τιμάς Έλικωνιάδων. Xenokrates erleichtert die Mühe des Dichtens, weil sein Naturell so viele Möglichkeiten des Lobes zuläßt, daß sich dem Dichter die Preistopoi geradezu aufdrängen. Von 33-45 folgt dann die κέλευϋος des Preisens.39 Eventuell enthält άγοι τιμάς wie in Pyth. 10.66 die Vorstellung des Mu­ senwagens, sofern das Bild eines Zugtiere antreibenden Wagenlenkers dahinter­ steht. Das Bild des überall sich bietenden Weges fuhrt zur Ausbildung des Proömialtopos ‘μύρια κέλευϋος’,40 der bereits in sich ein Lob auf das Subjekt des Lie­ des ist: Diese Erscheinung liegt rein in Isth. 3.19-20 (= 4.1-2) und bei Bakchylides vor (Epin. 5.31-32),41 der in seinem Io-Dithyrambos ebenfalls eine solche Wegme­ tapher anwendet (Dith. 19.1: πάρεστι μυρία κέλευθος άμβροσίων μελέων) und den Prozeß der Themenwahl 12f eingrenzend ebenfalls mit einer Wegmetapher fortsetzt: πρέπει σε φερτάταν ίμεν οδόν [...]. Hier ist die strukturierende Funk­ tion der Wegmetapher überdeutlich: Der gesamte Dichtungsprozeß wird als Weg gesehen und als solcher kommentiert. Der introduktiven Funktion der pindarischen Wegmetaphorik entspricht als logisches Pendant eine entsprechende Abbruchfunktion.42 Zu ahnen ist diese Funktion in dem Epinikion auf den Pankratiasten Kleandros (Isth. 8): Dort voll­ zieht Pindar mit den Worten τό καί νϋν (61) den Abbruch des mythologischen Paradigmas, in dem er zeigt, wie Achills Tapferkeit Gesänge verdiente. Dabei 38

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C. A. P. RUCK, Marginalia Pindarica 1 11, Hermes 9 6 (1 9 6 8 ) 1 2 9 -4 2 konstatiert für das gesam­ te Epinikion eine inhaltliche Bewegung (Übersicht 1 41f), beipflichtend GOLDHILL Poet’s Voice 164. ln diesen Kontext würden sich unsere Bewegungsmetaphem dann einordnen. Die Prädikation des Dichtungsweges als weder „glatt noch steil“ ist einfach Metapher für die Leichtigkeit der Invention: Eine Kontamination mit dem Lebenswegmotiv liegt nicht vor (vgl. unten 9 8 f Anm. 329). Vgl. dazu BALASCH Teoria poetica 371, BERNARDINI Aquila tebana 125f und KRUMMEN Pyrsos 79 Anm. 2. JANKO Another Path 300 beschreibt mit weiteren Beispielen die Erschei­ nung zutreffend und stellt konjekturell aus Nem. 7.51 οδόν κυρίαν mit ‘οδόν μυρίαν’ ein weiteres Beispiel dieses Topos her. Die Beziehungen zwischen beiden Stellen sind unklar: B o w r a Pindar 231 hält Bakchylides für originär. Dieser kommt 177 in der Aufforderung an Kalliope, doch jetzt den Wagen anzu­ halten, wieder auf das Bild zurück. Pindar tut das nicht: Die größere Stimmigkeit also könnte Bakchylides für sich beanspruchen, doch ist vielleicht die Alternative einer wechselseitigen Übernahme überhaupt zu eng gesehen. Noch L ef k o w it z Imitation 5 7 - 5 8 hält aufgrund einer sorgfältigen Analyse des Kontextes aller Parallelen zwischen beiden Gedichten Bakchylides für sekundär. Charakteristisch ist der Topos ‘μυρία κ έ λ ε υ ά ο ς’ von der Lust zur Last des Dichters von Kallimachos H 4 .2 8 - 2 9 gewendet. Zu Abbruchformeln bei Pindar überhaupt vgl. KÖHNKEN Mythos 74-77, 95 Anm. 39, FÜHRER Epinikien 122 Anm. 451, 196, POISS Einheit 103 Anm. 85 mit vielen Beispielen, 174,’ 193f.

2.1 ‘W eg’ und ‘W agen’ als Strukturbilder bei Pindar

31

impliziert er, daß genauso Kleandros den Dichter Pindar verdient, und kehrt mit dieser Implikation von der Vergangenheit in die Gegenwart zurück. Dabei ist der λόγος (61) als Μοισαΐον άρμα gefaßt.43 In ähnlicher Weise gemildert ist der Ab­ bruch des Mythos und die Fortsetzung des Preisens in Ol 9.80-81 (auf den opuntischen Ringer Epharmostos): Pindar möchte έν Μοισάν δίφρω Vorfahren - mögli­ cherweise ist auch hier eine Zeitreise impliziert. Zu den echten Abbruchformeln leitet das einzigartige Beispiel einer hin- und zurückführenden Weg- und Wagen­ metapher über: Pindar besingt den Ringkämpfer Alkidamas, einen Aigineten, in­ dem er die Aufzählung all der mythischen Helden Aiginas mit dem variierten Topos ‘μύρια κέλευΌος’ einleitet (Nem. 6.45^16): πλατεϊαι πάντοθεν λογίοισιν έντί πρόσοδοι / νασον εύκλέα τάνδε κοσμεΐν. Zwar stehen nicht Tausende von Zufahrtsstraßen zur Verfügung, aber es sind immerhin überall breite und bequeme vorhanden. Der Effekt ist derselbe: Man fährt, d. h. preist, wie von selbst. Trotz der Betonung, daß die Invention so wenig Mühe koste, wird der mythologische Exkurs, der das Thema der Memnonis behandelt, schon wenige Verse später (5354) brüsk wieder abgebrochen: καί ταΰτα μέν παλαιότεροι όδόν άμαξιτόν εύρον έπο­ μαι δέ καί αύτός εχων μελετάν. Mit verhaltenem Naserümpfen44 stellt Pindar fest, daß er sich auf einem inhaltlich keineswegs originellen Gebiet befinde: Seine Polemik gilt dem epischen Kyklos, von dessen Erzähl weise er sich durch sein eigenes dichterisches Vorgehen (μελέτη) absetzt. Bildimmanent betrachtet bescheinigt er sich einen individuellen und modernen Fahrstil. Diese Bemerkungen bleiben als Abbruchmotiv streng in der introduktiven Bildlichkeit, die sich Pindar bereits vorgegeben hatte.45 Positiv formuliert bricht Pindar mit der Wegmetapher in Nem. 7.50-52 den mythischen Preis Aiginas ab (vielleicht mit dem Bild des müden Wanderers: άνάπαυσις 52), der auf den aiginetischen Ringkämpfer Sogenes zielte, und läßt Reflexionen über das Glück folgen. Pindar kann sogar ein ganzes Epinikion wie eine Wagenfahrt abschließen: Pyth. 10, ein Preis auf den Diaulossieger Hippokles, leitet den Schluß mit der Bemerkung ein τόδ’ έζευξεν άρμα Πιερίδων τετράορον, / φιλέων φιλέοντ’, άγων άγοντα προφρόνως (65f). Pindar steigt ab und weist demonstra­ tiv auf die Güte des Wagens hin, den er soeben benutzt hat, womit er natürlich das gerade endende Epinikion meint. Bemerkenswert ist die Einordnung seines Auf­ traggebers Thorax in das Bildganze: Dieser ist Anschirrender, also seinem poeti­ schen Lohnarbeiter Pindar, der doch wohl als Lenker vorgestellt ist, bildimmanent 43

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SIMPSON Chariot & Bow 4 4 3 weist zu Recht auf den Sonderstatus dieses Bildes hin: Im Ver­ gleich mit den anderen Weg- und Wagenmetaphem fallt seine formale Unpersönlichkeit ins Auge. Vgl. PFEIFFER Altersgedicht 323, MAEHLER Dichterberuf 95 Anm. 2 und SVOBODA Idees 119. Zu den pejorativen Konnotationen von παλαιός und αμαξιτός vgl. BUNDY Quarrel 88, RICHARDSON Pindar & Criticism 391, BERNARDINI Programma 88 Anm. 21. Ohne überzeu­ gende Gründe bestreitet hier den pejorativen Ton BENEDETTO Paean 171-72. Zur nachfolgenden Schiffsmetapher vgl. PERON Images 33-34.

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sozial unterstellt. Das auffällig nachgeschobene προφρόνως versucht wohl, diese Kühnheit zu lindem. Die Weg- und Wagenmetapher in der Apollonparainese des Aitienprologs kontrastiert zwei entgegengesetzte Wege. Außer den Wegmetaphem der einfachen Fahrt, die wir soeben besprochen haben, begegnet auch dieser Typus bei Pindar. Zunächst der Gegensatz des geraden und des krummen Weges: Nach der mythi­ schen Digression der Orestsage setzt Pindar das Siegerlob des Thebaners Thrasydaios mit der Bemerkung fort ήρ’, ω φίλοι, κατ’ άμευσίπορον τρίοδον έδινάθην, / όρθάν κέλευθον ιών τό πριν (Pyth. 11.38-39). Offenbar ist die di­ rekte Verfolgung des Liedanlasses (der Siegerpreis) als gerader Weg vorgestellt, der Exkurs aber als eine Abweichung von diesem.46 Den eigentlichen tenor des vehicle ‘Weg’ bildet hier also die abstrakte Kontinuität des erzählten Plots und nicht der Vollzug des Singens. Für die Vorstellung des geraden Weges bietet Bakchylides Epin. 10.51-52 eine Parallele: Dort (38ff) wird eine Priamel der verschie­ denen βίοι abgebrochen und mit der Selbstbezichtigung, vom Wege abgeirrt zu sein (51 τί μακράν γ[λ]ώ[σ]σαν ίθύσας έλαύνω / έκτος όδοϋ;) zum Siegerlob übergeleitet, das allerdings nicht mehr erhalten ist. Sehr deutlich unterbricht Pindar sich bei der Schilderung der Argonautenfahrt (Pyth. 4.247-48;) μακρά μοι νεΐσθαι κατ’ αμαξιτόν ώρα γάρ συνάπτει- καί τινα οιμον ϊσαμι βραχύν πολλοΐσι δ’ άγημαι σοφίας έτέροις. Die gängige epische Version vom Argonautenzug braucht er nicht nachzuerzählen: Das sind ausgefahrene Geleise - αμαξιτός (eigtl. wohl „Wagenspuren aufweisend“ zu άμαξα) zeigt auch hier einen deutlich pejorativen Beigeschmack (vgl. oben 31 Anm. 44). Der „die Schleifen der großen Fahrstraße abschneidende Abkürzpfad“47 findet eher Pindars Sympathie: Tatsächlich verhält sich Pindars Behandlungsweise des noch folgenden Argonautenmythos zu der vorausgegangenen wie ein Saum­ pfad zu einer Heerstraße: Der Beschreibung der Vorgeschichte, die 177 Verse um­ faßt (70-246) und just am spannungsreichsten Punkt abbricht, folgen in nur zehn Versen Drachenkampf, Rückfahrt der Argonauten, Lemnos-Episode, die Besied­ lung Spartas und die Ktisis Kyrenes, woher der Adressat Arkesilaos stammt. Inso­ fern die Wertung der beiden Wege die erzählerische Gestaltung bestimmt, läßt sich hier der Übergang von liedimmanent strukturbildendem bzw. -anzeigendem Weg­ motiv zu reflektierend poetologischer Metaphorik erkennen. In diesem Fall sind also beide Aspekte voll erhalten, die Wegmetapher erfüllt offenbar eine. Doppel­ funktion.48 Die Idee von zwei einander entgegengesetzten und dementsprechend 46 47

48

Dazu POISS Einheit 179 Anm. 36. Die Formulierung stammt von BECKER (Weg 3 7 ). BERNARDINI Programma 88 verwechselt diese deutlich wertende Alternative zwischen einem breiten, vom Dichter zurückgewiesenen und einem schmalen, bevorzugten Weg mit dem μυρία-κέλευΌ ος-Motiv, das doch von unzähligen Wegen spricht, die alle positiv bewertet werden. Bakchylides F 2 7 S n e l l /M a e h l e r π λα τεία κελευΟ ος sollte man eher dorthin zie­ hen. N e w m a n Pindar & Callimachus 180 hält μακρά, άμαξιτός, βραχύς, π ο λλο ΐς, σοφίας

2.1 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Strukturbilder bei Pindar

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bewerteten Wegen findet sich in der Textgestaltung Snells und Maehlers sehr deutlich im Paian 7b (F 52h. 10—20). Doch weil die Forschung dieses Fragment bis heute49 besonders mit dem Aitienprolog in Verbindung gebracht hat, soll seine Diskussion aufgeschoben werden (vgl. unten 64ff). Vorwegnehmend sei nur gesagt, daß dort noch deutlicher die Polarität zweier Dichtungsarten einerseits ex­ plizit poetologisch aus dem Kontext heraustritt, andererseits in der praktischen Umsetzung dieser poetologischen Bewertung strukturbildend auf den Paian selbst wirkt (soweit der Textzustand diesen Schluß zuläßt).50 Vor dem Hintergrund dieses Materials stellen sich einige abstraktere Fragen, die für die weitere Rezeption der Weg- und Wagenmetaphorik bedeutungsvoll sind. Zunächst zur begrifflichen Ebene der Weg- und Wagenmetaphem Pindars: Was Pindars ‘Wagen’ betrifft, so läßt sich kein semantischer Unterschied zwischen αρμα, δίφρος, ο'κχος und όχημα erkennen.51 Bei den Wörtern für ‘Weg’ läßt sich dagegen eindeutig zwischen αμαξιτός, der vielbefahrenen Fahrstraße (in den obi-

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mit bewußtem Anachronismus fur „Alexandrian terms“, wobei es näher läge, bei den ‘Alexandrinern’ von „Pindaric terms“ zu sprechen. FREEMAN Function 155 überspannt dage­ gen den Bogen: „He makes the explicit claim that he has discovered a new method o f narra­ tion —the lyric method as opposed to the epic; and he shows us what this is.“ Erstens äußert Pindar keinen primus-auctor-Anspruch, zweitens war auch schon seine Behandlung der Ar­ gonautensage vor unserer programmatischen Passage in ihrer Konzentration auf das Wesentli­ che des Argonautenzuges ‘lyrisch’ (zur Problematik des ‘Lyrischen’ vgl. außerdem W il a m o w it z Hellenistische Dichtung 1.149). Jüngst z. B. B e n e d e t t o Paean 174-76. Der Vollständigkeit halber und mit Blick auf die Wegmetapher der Alten Komödie müssen hier noch die musikalischen Metaphern Pindars aufgeführt werden, die eine gewisse Affinität zu Weg und Wagen zeigen. Obwohl unklar bleibt, wie sie sich zur poetologischen Wegmeta­ phorik verhalten, argwöhnt BECKER Weg 69 Anm. 54 schon für das homerische οϊμη/οίμος einen musikalischen tenor. In F 140 SM wird vielleicht das Λοκριστί als Harmonie mit einem όχη μ α λιγ[ύ (zum Textvorschlag HENDERSONs vgl. oben 27 Anmm. 30-31) verglichen. In sehr vergleichbarer Weise spricht Pindar in F 206 SM von einem Λύδιον αρμα, neben dem jemand zu Fuß herläuft (π εζός οίχνέω ν). Möglicherweise dient π εζός hier bereits als dichte­ rischer Anklang an einen terminus technicus (dazu LSJ 5. v. πούς IV). Hierher gehört meines Erachtens auch die „dorische Sandale“ {Ol. 3.5: [...] Δωρίω φωνάν έναρμόξαι πεδίλω [...]), bei der das eventuelle Spiel durch die metonymische Übertragung vom (metrischen) Fuß auf dessen Bekleidung noch ausgeprägter ist. Bereits Aristophanes {Ran. 1323t) scheint mit dem metrischen πούς zu spielen (DOVER Frogs 356 bemüht sich um die genaue Klärung der Poin­ te), Platon verwendet den metrischen Begriff πούς {Rep. 3.400 A 2). Der älteste in repräsen­ tativem Umfang erhaltene Metriktheoretiker, Aristoxenos, benutzt πούς deutlich als Fachbe­ griff (vgl. die Indices bei PEARSON und D a RlOS), indem er ihn sogar definiert {Rhyth. 16, 10.22 PEARSON und Harm. 34, 44.2 D a RlOS). Unter der Voraussetzung, daß sich in Pindars Zeit gerade erst eine deskriptive musikalische Terminologie bildete, läge es nahe, für den Be­ griff des ‘Fußes’ eine Derivation aus der bereits etablierten Wegmetaphorik der Chorlyrik an­ zunehmen: Dem Problem der Entstehung von Fachbegriffen aus Metaphern kann hier aber leider nicht nachgegangen werden: Ähnlich liegt der Fall wahrscheinlich bei der μύρμηκος ατραπός (unten 42ff), möglicherweise bei Pratinas’ ραμελορυύμοβάταν (F 708.12 PMG = 4 F 3.13 TGF). So sind die subtilen semantischen Unterscheidungen HENDERSONs (Chariot & Dolphin 150 mit Anm. 11) für Pindar wenig hilfreich.

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gen beiden Beispielen pejorativ durch die Konnotationen des wenig Originellen) und den wertfreien οδός und κέλευθος unterscheiden.52 Die Kardinalfrage nach der Herkunft und Bedeutung der bei Pindar so plötz­ lich und so elaboriert auftretenden Wegmetaphorik ist sehr umstritten. Ein wie immer gearteter Zusammenhang mit den vorsokratischen Wegmetaphem, die un­ ten (73ff) im Zuge unserer Kallimachosinterpretation diskutiert werden, ist wahr­ scheinlich. Die Annahme jedoch, Pindar sei in seinen Wegbildern von den Vorsokratikem angeregt,53 ist allein schon deshalb wenig verlockend, weil die oben er­ wähnten vedischen Beispiele (23 Anm. 9) auf eine kontinuierliche Metaphemtradition54 deuten, deren Medium sicher weit wahrscheinlicher mit Heldenpreis als mit Lehrdichtung identifiziert werden darf. So darf man vielmehr vermuten, daß die Wegmetaphem bei Xenophanes, Empedokles und Parmenides Entlehnungen aus dieser Tradition darstellen, die letztlich vielleicht die des indogermanischen Strophenlieds ist (vgl. oben 24 Anm. 12). Aufgrund der Traditionsbindung der pindarischen Weg- und Wagenvehicles sind alle Erklärungsversuche rigoros abzu­ lehnen, die als alleinige Ursache für die tragende Rolle dieser Metaphern bei Pin­ dar seine Lebensumstände anführen. Da ist zunächst die unstete, ‘fahrende’ Le­ bensweise des Auftragspanegyrikers dieser Zeit als Metaphemquelle herangezogen worden.5556Als ob der ‘fahrende’ Sänger notwendig auch sein Lied ‘fahren’ lassen müßte! Die Ablehnung dieser Erklärung schließt nicht aus, daß umgekehrt Pindar die traditionelle Metaphorik in Einzelfällen an die Botensituation adaptiert haben mag. Weiter liegt bei Epinikien auf Sieger in Wagenrennen die Vermutung nahe, 52

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Die Unterschiede, die B ec k e r Weg 12 ( κ έ λ ε υ θ ο ς : „Fahrweg, Fahrstraße“), 2 0 (ο δ ό ς : „Gesamtweg [...] der Weg als solcher“) aufgrund der „dinglichen Konkretion“ (6) für die Wegbezeichnungen Homers feststellt, haben für Pindar anscheinend keine Bedeutung mehr. Dies scheint BOWRA Pindar 252 zu suggerieren: „[...] Pindar sees what can be done with it and turns it to original and striking purposes [...].“ BERNARDINI Programma 87 vermutet als Träger einer solchen Metaphemtradition „il formulario della lirica corale“. Die Basis seines Schlusses, die allein aus der Metaphemkonkordanz von Pindar und Bakchylides besteht, ist allerdings zu schmal für so weitreichende Schlüsse. LEFKOWITZ First Person 197, 243 Anm. 44 geht von einer Abhängigkeit der pindarischen Bil­ dersprache vom Epos aus, MEULI Scythica 172 allerdings (zu Wegmetaphem in Schamanen­ poesie) wiese doch wieder in die Richtung vorsokratischer Offenbarungsdichtung. BECKER Weg 80-81 votiert aus anderen Gründen für eine Metaphemtradition, die er allerdings leider nicht spezifiziert. Alle Ansätze, die sich in dieser Frage allein auf den griechischen Bereich beschränken, greifen zu kurz.

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M u l l e n Choreia 8 3 - 8 4 , so auch STEINER Crown 58, 77: „The actual conditions o f the poet’s trade generate the metaphors related to the path [...]“ im Rahmen ihrer konsequenten Ablei­ tung aller Metaphern aus dem lebensweltlichen Kontext Pindars. Vgl. auch HENDERSON Cha­ riot & Dolphin 151. PERON Images 2, 2 4 und 2 7 wirft die Frage auf, wie weit Pindar mit sei­ nen Adressaten oder mit seinen Auftragsgedichten mitgereist sei (von TEDESCHI Invio passim , V. a. 32 und 39^41 rein immanent argumentierend bejaht), wendet sich dann aber auch gegen die monokausal geographische Erklärung.

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Schon BECKER Weg 8 1f weist daraufhin, ist aber später vergessen worden: „Gewiß darf man dem Dichter den Doppelsinn Zutrauen, daß ihm der Gang seines Dichtens zugleich Botengang wird, aber das Umgekehrte ist unmöglich.“ „Damit wurde der ‘Botengang’ des Dichters in das Lied selbst hineingerückt, als ein dem ‘Gedankengang’ ursprünglich ‘unzugehöriges’, aber von Pindar mit ihm verschmolzenes Bild.“ (8 2 ). Vgl. BOWRA Pindar 39.

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die Wagenmetaphem seien vom sportlichen Kontext auf den dichterischen übertragen worden und dienten hier der Funktion, einerseits den Sieger sozusagen in seinem eigenen Medium zu preisen, andererseits eine programmatische Gleichstel­ lung von Dichter und Athlet zu betreiben.57 Hier dokumentiert die Metaphorik den Versuch, das Verhältnis von Dichter und Sieger als ein reziprokes zu erweisen.58 Die Intention des Versuchs beschreibt Pindar selbst sehr deutlich als νικαφόροις όμιλεΐν {Ol. 1.116f). Dieses Erklärungsmodell ist in einigen Fällen nicht von der Hand zu weisen, da Pindar sich bisweilen ganz offensichtlich metaphorisch als Athlet präsentiert.59 Aufschlußreich ist der Vergleich mit den wenigen modernen Fällen, in denen Dichter und Sportler verglichen werden:60 Hier findet sich auf­ grund des beidseitig veränderten Status von Athlet und Dichter keine programma­ tisch-kompensatorische Funktion, sondern allein eine epideiktische: Der Vergleich dient in der Moderne im Gegensatz zu Pindars Welt allein der Verdeutlichung des Dichtungsvorgangs. Darüber hinaus zeigen die Wagenmetaphem in Epinikien auf Rennfahrer eine deutliche Bezugnahme auf deren Rennsituation (oben 29 über Ol. 6) und generell eine deutlichere Ausführung des Bildes. Trotzdem befriedigt auch diese Erklärung nicht vollständig, weil die Weg- und Wagenmetapher daneben ihren angestammten Platz ebensogut in Epinikien auf Sieger in anderen Agonen hat. Oben ist eben deshalb zu jedem Epinikion der Adressat genannt worden, um zweifelsfrei zu demonstrieren, daß Weg- und Wagenmetaphem auch in Lobes­ hymnen etwa auf Pankratiasten oder Ringer begegnen: Von den oben beschriebe­ nen Weg- und Wagenmetaphem finden sich nur diejenigen aus Isth. 2, Ol. 6 und Pyth. 4 in Epinikien auf Rennsieger, Isth. 8, Isth. 3/4, Ol. 9, Nem. 6, Nem. 7, Pyth. 10 und Pyth. 11 (in der Reihenfolge unserer Behandlung) gehen dagegen auf Sie­ ger anderer Wettbewerbsarten, nämlich Pankratiasten, Ringer, Fünfkämpfer und 57

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F r e e m a n Function 153: „He is regarding himself, the poet, as a contestant

So auch K. CROTTY, Song and Action. The Victory Odes o f Pindar, Baltimore/London 1982, 7 und CAMPAGNER Metafore agricole 50 „[...] entrambi presentano le stesse caratteristiche“ mit Anmm. 49f. B o w r a Pindar 12 meint vielleicht dasselbe, wenn er die Geschwindigkeit der Fahrt mit dem „thrill“ und der „exaltation“ von Dichtung vergleicht. LEFKOWITZ Athlete 6-7 tritt für die ausschließliche Kontextualisierung der Wagenmetapher ein, zeigt daneben aber, wie Pindar sich in Abhängigkeit von dem jeweiligen Epinikienkontext von der herkömmli­ chen Metaphorik entfernt. Hier liege der deutlichste Unterschied zu Bakchylides (11), ähnlich STEINER Crown 20. Zur Funktion dieser Zusammenhänge vgl. BURGESS Praise 278, 281: „[...] Pindar’s self-praise works to intensify the praise due to the victor. But this does not mean that Pindar is not praising him self as well.“ Zur Struktur dieser Reziprozität vgl. WATKINS Indo-European Poetics 675. Vereinfachend könnte man behaupten, daß in der von WATKINS skizzierten Gesellschaft die Metaphorik des Dichters von der Weise seiner Existenzsicherung abhängt. Dies gilt für die Ursprünge dieser Tradition, für Pindar selbst greift das Modell insgesamt wohl zu kurz. Weniger materialistisch sehen BERNARDINI Aquila tebana 121 f PARRY Poets & Athletes 64 und Poiss Einheit 71, 122f die Funktion dieser Parallelen. HOEY Fusion 251 zählt Weitsprung, Wettlauf, Speerwurf und Ringen als Disziplinen der Selbstprädikationen Pindars au f differenzierter aber LEFKOWITZ Athlete 7-11 zu denselben Metaphemfeldem. PARRY Poets & Athletes 6 9 f bringt u. a. die vehicles „baseball pitcher“ (Robert Francis) und „billiards“ (Michael Hamburger).

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Läufer. Diejenigen Metaphern aus Epinikien auf Rennsieger weisen allerdings deutliche Spuren der Kontextualisierung auf Hier gilt also abgewandelt ähnlich Beckers methodische Maxime (zitiert oben 34 Anm. 56). Die Frage nach der ok­ kasionellen Einbindung pindarischer Poetologiemetaphorik gelangt hier nicht zu einem einheitlichen Ergebnis.61 In jüngerer Zeit wurde vereinzelt die Behauptung aufgestellt, die Wegmetapher habe etwas mit der Bewegung des zur Chorlyrik tan­ zenden Chors zu tun.62 Diese Idee läßt sich schwer widerlegen, doch begründet anzweifeln: In Epinikien, deren Wegmetaphem eine Kontextualisierung mit dem im zurückliegenden Rennen durchfahrenen Weg aufweisen, scheiden die Konnotationen des Tanzens sicher aus. Ferner schließen die Vorkommen der Wegmeta­ pher sowohl bei den Vorsokratikem als auch in der Komödie (gelegentlich in Mo­ nodien und Sprechversen: unten 40ff) die notwendige Verbindung mit dem Tanz aus. Falls also überhaupt zutreffend, müßte es sich um eine spätere chorlyrische Innovation gegenüber der Metaphemtradition handeln, als deren Urheber man vielleicht Alkman vermuten dürfte (vgl. oben 26 Anm. 24). Pindar selbst allerdings verrät eine solche Implikation mit keinem Wort. Zweifellos aber hat die Wagenmetapher eine sozialökonomische Komponente: Wer Wagenrennen fährt, gehört zur gesellschaftlichen Creme.63 Pindar genießt diesen Status einer sozialen Oberschicht als Auftragspanegyriker nicht, stellt sich also in seiner Bildlichkeit als Mitglied der Gruppe dar, die er bedichtet.64 Dies ist 61

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Anhand anderer Metaphern beurteilt KRUMMEN Pyrsos 5 8 f, 2 6 9 f das Phänomen situativer Einbettung als sehr deutlich: Vielleicht liegt es an dem höheren Tradidonalitätsgehalt pindari­ scher Poetologiemetaphorik, daß die besprochenen poetologischen vehicles nicht in allen Fäl­ len zu der Widmungs- und Rezitationssituation des Gedichts passen wollen. D iese Idee vertritt MULLEN C horeia 184 u. ö.: „[...] th ose ep in ician m etaphors en gen d ered b y the fact that the praise is b ein g danced and the dance is m apping out a jo u rn ey for itse lf.“ A ls V orläufer MULLENs kann WlLAMOWlTZ gelten: V g l. dazu KÄPPEL Paian 9 9 A n m . 41 m it b e ­ gründeter A b leh n u n g. MULLEN zagh aft b eip flich ten d S t e in e r C row n 85. V g l. dazu A lk m an F 1.92 PM G F (o b en 2 6 A nm . 2 4 ). W enn die T h ese MULLENs richtig w äre, m üßte der ‘B e w e gu n gsp aian ’ (dazu v g l. KÄPPEL Paian 8 2 ) b eson d ers reich an W eg m eta p h em sein: D ie s ist aber nicht der Fall.

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WlLAMOWlTZ ad Euripides Her. 779 (2.172-73): „[...] der glückliche, ruhmvolle, mächtige, prächtige erscheint dem Griechen nicht ‘stolz zu roß’ wie uns, sondern auf dem wagen.“ Ebenso verstehen B e c k e r Weg 71 „Vorstellung einer Erhöhung des Menschenwesens“ und BOWRA Pindar 12 „[...] suggests pomp and glory“ das Bild, S t e in e r Crown 5 8 -5 9 pflichtet bei. Für diese soziale Komponente hat vielleicht die epische Assoziation der Götter mit dem Wagen eine gewisse Bedeutung: so S im p so n Chariot & Bow 446, V e r d e n iu s 2.48 ad Ol. 1.110. Diese Assoziationen des Wagenfahrens sind im Athen der aristophanischen Wolken noch zu beobachten: Vgl. die Klagen des Strepsiades über die teure und snobistische Pferde­ leidenschaft seines Sohnes Pheidippides und D a v ie s bei KURKE Traffic in Praise 161 mit Anm. 9. Konkrete Berechnungen der Unterhaltskosten für einen Wagen als Klassenphänomen bzw. Statussymbol bringt die komparatistische Untersuchung von S. PlGGOTT, Horse and Chariot: The Price o f Prestige, in: D. E. EVANS u. a. (edd.), Proceedings o f the Seventh Inter­ national Congress o f Celtic Studies [...], Oxford 1986; 25-30, bes. 28f. Besonders provokant wirkt diese Aufwertung Pindars in Pyth. 10.64-66, in der er selbst als Wagenlenker, sein Auftragsgeber Thorax aber als Anschirrender (gleich Pferdeknecht) er­ scheint (vgl. oben 31 f). Dazu SIMPSON Chariot & Bow 439-40. P. V e y n e , Did the Greeks be­ lieve in their Myths? [...], Chicago 1988, 19 („As a poet he deigns to elevate to his own level

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weniger ein sozialer Aufstiegsversuch, der ja fruchtlos auf die metaphorische Ebe­ ne beschrankt bliebe, als ein Dokument intellektuellen Selbstbewußtseins. Mögli­ cherweise impliziert die Wagenmetapher in der Proportion ‘Wagenlenker: ge­ wöhnlicher Mensch = Pindars Wagenmetaphem verwendende Dichtung: andere Dichtung’ auch eine selbstbewußte Aussage über Pindars Stilhöhe, über ein „aristocratic concept of poetry“.65 Hier ist der Unterschied zu Bakchylides bedeut­ sam: Dieser steht in einem Wagen, den die Musen fahren (vgl. z. B. Epin. 5.176ff: λευκώλενε Καλλιόπα, στασον εύποίητον αρμα αύτοΰ), Pindar dagegen fahrt selbst.66 Von dieser sozialliterarischen Assoziation der Wagenmetapher mit einem gehobenem Stil lassen sich in der Rezeption deutliche Spuren nachweisen (vgl. unten 60f). Zuletzt sei noch einmal darauf hingewiesen, daß viele der elaborierteren Wegund Wagenmetaphem Pindars eine wichtige Rolle bei der Kommunikation zwi­ schen Dichter und Rezipient spielen: Wie oben gezeigt wurde, leitet Pindar z. B. mythische Digressionen oder abkürzende Zusammenfassungen (sehr deutlich in Pyth. 4) mit dieser Metaphorik ein oder entscheidet sich im Bild zweier, unter­ schiedlich bewerteter Wege für eine bestimmte Erzählweise, indem er metapho­ risch einen der beiden Wege wählt.67 Pindar kann diese Wegmetapher in einer ein­ leitenden oder einer abbrechenden Funktion einsetzen: Anfang oder Ende einer Digression können mit demselben Bildmaterial markiert werden. Diese Bilder wei­ sen also, indem sie als Hinweis auf Digressionen dienen, damit offenbar auf Ab­ weichungen von einer anderen, eben digressions- oder abkürzungslosen, Behand­ lung des Stoffes hin. Wenn der Dichter eigens auf derartige Abweichungen hin-

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the victor whom he celebrates.“) sieht mit Rekurs auf H. FRANKEL (18) die Elevationsrichtung allerdings vermutlich falsch: Der Sieger ist sozial ja höhergestellt als Pindar. SIMPSON Chariot & Bow 472. Diese Verbindung von sozialen und poetologischen Implikatio­ nen komplexer Dichtersprachen weist R. A . W h it a k e r , Pindar und die südafrikanischen limbongi-Sänger. Zwei Traditionen von Preisdichtung, in: W. KULLMANN, J. ALTHOFF (Hrsgg.), Vermittlung und Tradierung von Wissen in der griechischen Kultur, ScriptOralia 61, Tübin­ gen 1993, 111-128 auch für die heutigen lzibongo (= ‘Preisdichtungen’) nach. SIMPSON Chariot & Bow 4 4 3 weist richtig darauf hin, daß die Wagenmetapher nur in den seltenen Ausnahmen Isth. 7 .1 7 - 1 9 und Isth. 8 .6 1 - 6 2 unpersönlich formuliert sei, sonst dage­ gen immer in der ersten Person. Bakchylides dürfte wie in anderen Fällen so auch hier die traditionellere Form der Metapher verwenden: Vgl. L efk o w itz Imitation 4 5 „Bacchylides is a conventional poet.“ und LEFKOWITZ Athlete 11. B e r n a r d Denken 2 0 - 2 1 „spürt“ das „irgendwie“, formuliert den einfachen Sachverhalt aber noch nicht: „Irgendwie spürt man, wie sinnvoll gerade das Wegmotiv vor und hinter einem Mythos steht, der von einem fabelhaften, unbeschränkt glückseligen Volk in ‘utopischer’ Fer­ ne spricht [...].“ MARTINAZZOLI Pindaro 1 5 4 -1 5 5 Anm. 10 hebt die Traditionalität dieser Funktion („formule fisse di transizione“) durch einen Vergleich mit Bakchylides hervor und glaubt, Pindar gegen den Vorwurf der „povertä di fantasia“ in Schutz nehmen zu müssen. BECKER Weg 71 beschreibt das Phänomen zutreffend. Deskriptiv außerdem R. FÜHRER, Formproblem-Untersuchungen zu den Reden in der frühgriechischen Lyrik, Zetemata 4 4 , München 1967, 5 9 , der das Bild zu isoliert als Abbruchformel behandelt; LEFKOWITZ Imitati­ on 88; PERON Images 3 2 und STEINER Crown 2 6 , 8 4 - 8 5 betrachten das vehicle ‘Pfad’ als Verbindung heterogener Partien des Liedes. POISS Einheit 122 Anm. 13 spricht in diesem Zu­ sammenhang ansprechend vom „eminent kognitiven Gehalt von Pindars Metaphern“ und de­ ren ,,gedichtinteme[r] Markierungsfunktion“.

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2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphern

weisen muß, hat das Sujet oder die Tradition diese digressionslose Behandlung offenbar nahegelegt, jedenfalls der Rezipient eine solche erwartet. Insofern diese Wegbilder damit zwei Erzählweisen zueinander in Beziehung setzen, deren zweite, von Pindar favorisierte, primär durch Abweichung von der ersten gekennzeichnet ist, veranschaulichen sie metaphorisch die Struktur des Epinikions insgesamt als Zurücklegung eines Weges, der teils aus einer vorgeschriebenen Route, teils aus Abweichungen von dieser besteht. Erscheint das Wegbild, so weiß der Hörer, daß Pindar in seiner Erzählung an einem Punkt angekommen ist, an dem der Fortgang des Erzählten neu festgelegt wird, und zwar anders, als der Rezipient es nach dem bisher Gehörten oder einer traditionellen Behandlung desselben Stoffs (durch Epik etwa oder ältere lyrische Fassungen) erwarten konnte. Die Wegmetaphorik dient also dazu, auf diese Abweichungen aufmerksam zu machen und ihnen gleichzeitig den Anstoß zu nehmen, den eine unkonventionelle Behandlung eines konventio­ nellen Themas riskiert. Mit anderen Worten: Möglicherweise weist die Weg- oder Wagenmetapher, indem sie einen Digressionsbeginn oder -abbruch kennzeichnet, jeweils auf die Durchbrechung eines Erwartungshorizontes hin, den der zeitgenös­ sische Rezipient der Behandlung eines bestimmten Stoffes entgegenbrachte, von dem Pindars Darstellung dann aber abweicht. Diese Funktion von Wegmetaphorik, die man mit Poiss (vgl. Anm. 67) als ‘kognitiv’ bezeichnen könnte, findet sich sonst nur noch bei den Vorsokratikem, und dann erst viel später in veränderter Form und an ganz andere Rezeptionsbedingungen adaptiert im kallimacheischen Aitienepilog (F 112.9 P, vgl. unten 60). In Anknüpfung an den oben (27) gewählten Begriff der ‘kinetischen’ Metapher bleibt die notgedrungen spekulative Frage, worauf eine Metapher, die Dichten oder Vortragen als Bewegung bestimmt, abzielt. Worin oder im Verhältnis wozu be­ wegt sich der Dichter? Welcher Vorgang am Dichten kann als ‘Fahren’ begriffen werden, was entspricht in dieser Analogie dem Durch- oder Befahrenen? Der Raum, durch den Pindar seinen metaphorischen Weg nimmt, kann nicht mit dem aktuell vorgetragenen Gedicht identifiziert werden: Vielmehr beweisen die Dop­ pelweg- und Fahrtwahlmetaphem, in denen sich der Dichter für einen von mehre­ ren Wegen entscheidet, daß das konkrete Gedicht als veränderlicher, dem Willen des Dichters unterworfener Weg durch eben diesen Raum, diese Landschaft fun­ giert, die selbst offenbar als unveränderlich vorgegeben gedacht ist.6869 Es liegt nahe, in diesem Raum die Gesamtmenge des zum jeweiligen Thema traditionell Sagba­ ren oder bereits Gesagten zu verstehen, alles, was potentiell Stoff des jeweiligen Werkes sein könnte. Das aktuelle Epinikion kommt demnach durch eine Summe von Entscheidungen zustande, die aus dieser Traditionsmenge auswählen, was gerade vorgetragen wird. Der Dichter könnte auch mehr oder anderes sagen: Das scheint der Sinn des Topos ‘μύρια κέλευϋος’ zu sein. So entpuppt sich die meta­ phorische Bewegung des dichtenden Subjekts als Fortgang von Entscheidung zu Entscheidung: eine abstrakte Bewegung, die sich unabhängig vom potentiellen 68

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Ob die Gedichte Pindars verschickt wurden, wird von TEDESCHI Invio 3 0 - 3 2 und 3 9 -4 1 dis­ kutiert, spielt aber für unsere Frage nach der Quelle der Weg vehicles schwerlich eine Rolle. POISS Einheit 82 spricht von „immanenter Textbewegung“, läßt aber offen, worin genau er diese Bewegung sieht.

2.2 Die lyrische Wegmetapher im Kontext der Komödie

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Stoff vollzieht. Dieser ist als unbewegt vorgestellt, und erst im Gegensatz zu dieser Unbeweglichkeit kann man metaphorisch von einer Bewegung des Dichters spre­ chen.70 Dem Objekt des Dichtens, dem vorgetragenen Epinikion, entspricht als vehicle offenbar der konkrete, jeweils zurückgelegte und vom Lenker des Fahr­ zeugs selbst gewählte Weg, dessen Gesamtheit ja auch die Summe von mehreren Richtungsentscheidungen in einem unveränderlichen Raum bildet. Die Bewe­ gungsmetaphorik Pindars meint also wohl keinen tatsächlich sich bewegenden tenor, wie man gelegentlich gedacht hat, sondern bezeichnet eine zeitlich bzw. narrativ festgelegte Folge von Auswahlvorgängen, deren Summe den Inhalt des aktuellen Epinikions bildet. Dieses Aneinanderreihen von Entscheidungen läßt sich erst dadurch mit Weg vehicles fassen, daß diese Entscheidungen sich auf die Auswahl aus einem Stoff beziehen, der seinerseits topographisch vorgestellt wird. So bekommt der gesamte Prozeß eine Ähnlichkeit mit dem Zurücklegen eines We­ ges durch einen Raum, mit Bewegung.71 Die eigentlich interessante Frage, woher diese topographische, keineswegs selbstverständliche Vorstellung des Stoffes stammt, kann leider nicht beantwortet werden.

2.2 Die lyrische Wegmetapher im Kontext der Komödie Die Alte Komödie liebt es, ihre Diskurse metaphorisch zu führen,72 wobei sie den poetologischen nicht ausnimmt. Für ihre poetologischen Diskussionen borgt sie die relevante Metaphorik aus anderen Gattungen, nicht selten gerade denen, über die sie sich jeweils äußert (vgl. z. B. Aristophanes Αν. 1374). Die gewaltsame Dekontextualisierung der jeweiligen Metapher, die mit diesem Prozeß notwendig verbunden ist, wirkt wie eine Entlarvung eben dieser Metapher als eines letztlich kontingenten Bildes. Bereits eine oberflächliche Lektüre fördert eine Unmenge verschiedenartigster poetologischer Metaphern zutage, unter denen nur eine er­ staunlich geringe Zahl zur Wegmetaphorik gehört. Diese wenigen Beispiele zeigen stets besondere Sorgfalt in Ausführung und Kontextualisierung, so daß die Erwar­ tung berechtigt erscheint, diese seien besonders instruktiv für die zeitgenössischen Assoziationen der Wegmetapher. Aus den bisherigen Darlegungen wurde ersicht­ lich, daß dieses vehicle seiner Entstehung nach wahrscheinlich (chor-)lyrisch ist und in seinem traditionellen Kontext bestimmte Funktionen im Aufbau des Liedes

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Ein Anonymus bei Ibn Qutayba (f 889 AD) verwendet in sicher zufälliger, aber überraschen­ der Parallele zu Pindar den Ausdruck „in seiner Dichtung reisen“ („rahala fi Si'rihi“; nach GELDER Beyond the Line 43). STEINERS einprägsame Maxime „For Pindar, the essence o f poetry is motion.“ (Crown 66 u. ö.) ist also zwar richtig, aber in einem anderen als dem von ihr intendierten Sinn. Anhand der Begriffe ό ψ έ und ώ κ ύ ς in Nem. 3.76-84 macht sich BERNARDINI Aquila tebana 124 über die­ ses Phänomen ebenfalls Gedanken. Man denke nur an den sexuellen, dessen metaphorische Vielfältigkeit HENDERSON Maculate Muse so sorgfältig dokumentiert hat.

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2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

übernimmt. Wie verhalten sich die Wegmetaphem der Komödie zur lyrischen Metaphemtradition? Daß in den Ranae der Chor gespannt mit den Worten επυτε δαΐαν οδόν (897) den αγών eröffnet, wird man nicht als poetologische Aussage werten: Dieser kommandoähnlichen Aufforderung73 liegt zwar vielleicht die sehr verbreitete und sicher lexikalisierte Kenning von der οδός λόγων (z. B. Pax 732f)74 zugrunde. Dennoch liegt keine poetologische Äußerung vor, weil hier der άγών als juristischrhetorisches, nicht als poetisches Ereignis gemeint ist. Es ist Bedingung der dra­ matischen Illusion, daß der Chor grundsätzlich das Medium seiner eigenen Äuße­ rung ignoriert. Zwar ist der Bruch der dramatischen Illusion eine der ausgeprägte­ sten Formen aristophanischen Humors, aber nichts weist auf die Metatheatralität gerade unserer Stelle hin.75 Eine explizit poetologische Funktion ist dagegen Av. 1374 anzunehmen: Der Dithyrambiker Kinesias umschreibt seine Tätigkeit äußerst gestelzt mit den Wor­ ten πέτομαι δ όδόν αλλοτ ejü’ αλλαν μελέων und fuhrt die Wegmetapher in Vers 1376 mit νέαν (seil, όδόν) fort, die aber hier nicht mehr auschließlich poetologisch zu sein scheint. 6 Das Bild vom Fliegen77 soll seinen Wunsch legitimieren, von Peisetairos Federn zu bekommen, um Einwohner der Vogelpolis Νεφελοκοκκυγία zu werden. Als Dithyrambendichter ist Kinesias aber bereits vogelähn­ lich: Etwas salopp könnte man sagen, er hebe als Dichter ebensoleicht ab wie ein Vogel.78 Die Kommentare des Peisetairos, der Kinesias immer wieder unterbricht 73 74 75

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D o v e r Frogs 305: „the ton e o f a m ilitary com m an d “ . Vgl. T a il l a r d a t Images 434 Anm. 1. Zum Begriff ‘Metatheater’ im klassischen griechischen Drama vgl. z. B. Ch. SEGAL, Dionysiac Poetics and Euripides’ Bacchae, Princeton 1982, 216 Anm. 1 und A. F. H. BlERL, Diony­ sos und die griechische Tragödie: Politische und ‘metatheatralische’ Aspekte im Text, Classica Monacensia 1, Tübingen 1991, 23 Anm. 65, 179f Anmm. 12-15, 226 Anm. 3. Zum Bruch dramatischer Illusion in der (Alten) Komödie z. B. R. W a r n in g , Elemente einer Pragmasemiotik der Komödie, in: W. PREISENDANZ, R. W a r n in g (Hrsgg.), Das Komische, Poetik und Hermeneutik 7, München 1976; 279-333, hier 311-16; D. B a i n , Actors and Audience. A Study o f Asides and Related Conventions in Greek Drama, Oxford 1977, 208-210; F. MUECKE, Playing with the Play: Theatrical Selfconsciousness in Aristophanes, Antichthon 11 (1977) 52-67; G. A. H. CHAPMAN, Some Notes on Dramatic Illusion in Aristophanes, AJPh 104 (1983) 1-23; O. TAPLIN, Fifth-century Tragedy and Comedy: a Syncrisis, JHS 106 (1986) 163-174. Metaphorik ist in diesem Zusammenhang allerdings noch nicht grundsätzlich be­ handelt worden, hier muß leider ein kurzer Hinweis genügen: Poetologische Metaphern sind in der Tragödie, wo sie speziell in Chorliedem oder diese einleitenden Versen als Verweise auf das Lied selbst begegnen, nicht als Bemerkungen des Chores über den. Autor, also selbstreferentieller Illusionsbruch, sondern als sprachliches Erbe der Lyrik zu betrachten· Der Chor spricht illusionsimmanent über sein eigenes Lied als Lied, nicht als Teil eines Dramas Av. 1398 το τέ μέν νοτίαν στείχω ν προς όδόν verwendet Kinesias zum dritten Mal einen Wegbegriff, diesmal proprie.

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DUNBAR ad l. (S. 664f) bestimmt die Metapher unter Hinweis auf die archaische Wegmeta­ pher, die Flugvehicles bei Pindar bzw. Bakchylides und N e w i g e r Metapher 1 2 2 -3 2 anspre­ chend als „acted metaphor“, also als szenische Umsetzung eines geläufigen Bildes in Hand­ lung.

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Grundsätzlich basiert diese Szene auf der Verspottung und der gelungenen dramatischen Um­ setzung des Dichters als eines κοϋφον χρή μα (die Formulierung, nicht das Konzept, stammt

2.2 Die lyrische Wegmetapher im Kontext der Komödie

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(vor allem 1382 παϋσοα μελφδών, 1397 καταπαύσω τάς πνοάς) zeigen, daß der Dithyrambiker mit seinen Versen komischen Anstoß erregt. Die ohnehin schon vielschichtige Parodie dithyrambischer Kunst79 erreicht noch einmal höhere Kom­ plexität durch die Verwendung hochgestochener, offenbar als dichterisch empfun­ dener Phrasen (1383-5), zu denen offenbar auch die Wegmetapher zählt. Diese wird durch die Verbindung mit dem ebenfalls abgedroschenen Klischee des flie­ genden Dichters80 in ein hybrides Bild gezwungen, das sich mittels spezifisch lyri­ scher Motive auf Kosten des Lyrikers amüsiert.81 Deutlicher noch wird die Funktion der lyrischen Parodie in der Parabase der Vespae. Die Konkurrenzsituation des Komödiendichters kleidet Aristophanes in die altbekannte Metaphorik des Wagenrennens (1021f: Nachdem er zunächst seine Stücke von anderen hatte inszenieren lassen und diese Experimente erfolgreich verlaufen waren, wagte er sich in die Rennbahn ούκ άλλοτρίων άλλ’ οικείων Μουσών στόμαθ’ ήνιοχήσας [...] (1022). Mehr noch als die Wegmetapher weckt offenbar das Bild der Wagenfahrt ‘hochtrabende’ Assoziationen (oben 36f).82 Die­ se Stilhöhe aber wird durch eine Metaphemkatachrese, die bei voller Vergegen­ wärtigung des Bildes geradezu brutal klingt, gebrochen und komisch verzerrt. Die provokante Kühnheit dieser Verzerrung kann nur an der Tradition der chorlyri­ schen Wagenmetapher ermessen werden: Dort spielten die Zugtiere keine, die Mu­ sen aber eine große Rolle - als Lenker des Wagens (z. B. Bakch. Epin. 5.177f). Für Aristophanes aber sind die Musen im Gegenteil Zugvieh. Die Plastizität des Bildes wird durch die anatomische Genauigkeit verstärkt: Στόμαθ’ ήνιοχεΐν evoziert Trensen in den Mündern der Musen (ebenfalls ein ungewöhnliches Detail inner­ halb der Wagenmetapher).83 Am Ende des Elogiums auf Aristophanes fällt der Chor der Wespen in die Wegmetapher zurück: Aristophanes überholte seine Kon­ kurrenten weit (παρελαύνων τούς άντιπάλους), „zerscheiterte“ dann aber in sei­ ner Intention: την έπίνοιαν ξυνέτριψεν (1050) - er erlitt eben einen ‘Wagen­ unfall’,84 das heißt, scheiterte mit seinen ehrgeizigen poetischen Projekten. Wie-

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von Platon: Ion 534 B 3f) und der Dichtung bzw. des Inspirationserlebnisses als eines Fluges. Einen Überblick über das Forschungsspektrum gibt ZIMMERMANN Dithyrambos 119-20, der übrigens bei der Besprechung dieser Szene selbst eine Wegmetapher verwendet. Zu den virtuosen kontextuellen Implikationen der Kinesiasszene vgl. B. ZIMMERMANN, Un­ tersuchungen zur Form und dramatischen Technik der Aristophanischen Komödien, König­ stein 1985, 2.58 -6 0 und ZIMMERMANN Hippokratisches 519. Das auch noch in die Gestalt eines Anakreon-Zitates (F 378 PMG) gekleidet ist. TOSCANO Figure 77 „una Sorte di manifesto poetico in chiave auto-ironico“. TAILLARDAT Images 433—43 §744 sieht die Funktion des Lächerlichen offenbar nicht. Eupolis hat in seinen Δήμοι (F 102.1-3 PCG) die überlegene Rhetorik des Perikies mit einem Wettläufer verglichen, der selbst dann gewinnt, wenn seine Konkurrenten mit einem Vor­ sprung starten. Dieses Bild dürfte wohl von der poetologischen Metapher des Wagenrennens angeregt sein. CHIRICO Poetica 100-101 und Anm. 20 mit etwas anderer Gewichtung: „[...] Aristofane ricorre alia bella metafora del carro e, significativamente, non sono le Muse a guidare il poeta, ma 6 il poeta che regge Te redini della propria Musa’.“ Ähnlich TAILLARDAT Images 436, B r e m e r Poetry 147 euphemistisch: „[...] the poet conversing with his Muses in a familiar way, having them within easy reach MACDOWELL ad /.: „ [...] w h ile o vertak in g h is rivals he crashed his idea [...].“

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2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

derum ist das komische Instrumentarium unverkennbar: Das vielleicht geläufige Bild von literarischen Konkurrenten als unterschiedlich erfolgreichen Teilnehmern an einem Wagenrennen, das wenige Jahre später auch Choirilos F 317.4f SH und Astydamas 60 T 2a TGF (unten 47 Anm. 103), wenn auch in charakteristischer Brechung der Perspektive, verwenden, wird durch die Plastizität der überraschen­ den Wendung ebenfalls eine parodistische Wirkung erzielt haben. Das vehicle wird bis zu einem Punkt fortentwickelt, dem des Unfalls, der durch die Überraschung des Rezipienten die Metapher insgesamt in ihrer Konventionalität bloßstellt. Für alle drei85 Fälle poetologischer Weg- oder Wagenmetaphorik bei Aristo­ phanes war eine parodistische Absicht nachzuweisen, die in einem Fall direkt auf Gattungspolemik zielte, in den beiden anderen indirekt durch die Verspottung gattungstypischer Metaphern. Der Spott lag beim ersten Beispiel in der subtilen kontextuellen Integration, durch die bereits topische Metaphern einen neuen Sinn, eben den parodistischen, bekamen, bei den beiden anderen in einem Bildbruch innerhalb der Bildebene, wodurch die traditionelle Metaphorik als solche und damit als hohl entlarvt wurde.86 Natürlich muß die lyrische Wegmetapher im Kon­ text der Komödie ihre ursprüngliche Funktion einbüßen: Bei Aristophanes über­ nehmen die besprochenen Beispiele keine strukturierende Aufgabe mehr. Daß der aristophanische Spott sich der auffälligen Metapher stets nur als eines isolierten Bildes bedient, läßt vielleicht vermuten, Aristophanes - und damit doch auch sei­ nem Publikum - sei eine strukturierende Aufgabe dieser Metaphorik in ihrem ur­ sprünglichen Zusammenhang nicht bewußt gewesen. Speziell in musikkritischen Zusammenhängen ist eine bestimmte Wegmeta­ pher recht verbreitet, die auf der Vergleichbarkeit der auditiven Gestalt einer Me­ lodie mit der visuellen eines Pfades beruht: Melodien werden als „Ameisengang“

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Alexis F 19.3f PCG ημέρας δρόμφ κρείττων ist eine hyperbolische Intensivierung komparativischer Aussagen (vgl. Aristophanes Ran. 91 π λεΐν η σταδίφ λαλίστερα und Nub. 430 έκατόν σταδίοισιν αριστον), keine Wegmetapher, mag auch von Dichtem die Rede sein (2). KOMORNICKA Remarques 267 bespricht die Beispiele im Kontext von Sportmetaphem. E. F r a e n k e l hat en passant über Plautus zu diesem Vorgang sehr treffende Bemerkungen gemacht (Plautinisches im Plautus, Philologische Untersuchungen 28, Berlin 1922, 103): „Bisweilen läßt sich beobachten, wie ein schon zur ‘Metapher’ erstarrter Ausdruck vom Dichter in ursprünglicher Kraft neu empfunden [...] wird.“ 104 Anm. 2: „[...] das Eigentümli­ che [...] der plautinischen Stellen, die über den (oft nur noch leise oder gamicht mehr gefühl­ ten) bildlichen Gebrauch des Verbums energisch hinausgehen und durch übertreibende Reali­ sierung einen skurrilen Effekt erreichen. Beide Beobachtungen gelten ebenso für Aristopha­ nes. Intertextuell wird man diese Affinitäten allerdings nicht deuten wollen. Eine andere Art von Metaphemparodie ist vielleicht bei einem ungefähren Zeitgenossen des Aristophanes, Dionysios Chalkos, zu fassen, der von Μ οοσών έρέτα ς spricht und sein Lied als είρεσίη γλώ σσης bezeichnet (F 4.3—5 IEG). Der Kontrast zwischen der schweren und wenig angesehenen Tätigkeit des Ruderknechts und dem vergnügten Rätselverseschmieden beim Symposium mag komisch gewirkt haben. W il a m o w it z ’ Verdikt über Dionysios er­ scheint überzogen (Hellenistische Dichtung 1.97 Anm. 1), vgl. auch WAERN Kenning 95, gei­ stesgeschichtliche Einordnung („anticipando el γρίφ ος de los helenisticos“) bei MlRALLES Renovacion 17-19 und 29, Zitat 17 (ähnlich 31).

2.2 Die lyrische Wegmetapher im Kontext der Komödie

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bezeichnet. Die auffällige terminologische Nähe87 der drei Beispiele deutet auf einen terminus technicus musikologischer Polemik, der vielleicht durch eine Rela­ tion zu musikalischen Fachbegriffen seinen Witz erhält. In schlichter Form begeg­ net uns diese Metapher bei Pherekrates (F 31 PCG), wobei das vehicle nur auf den Wegaspekt beschränkt bleibt: άτραπίζοντες τάς άρμονίας διά πασών. Jemand, vermutlich ganz allgemein schlechte Komponisten oder die wegen ihrer chromati­ schen Musik notorisch gescholtenen Tragiker Agathon und Euripides, „schleicht sich durch alle Harmonien der Oktave“.88 Verschärft und erläutert durch den Be­ griff ‘Ameise’ begegnet dieselbe Metapher deutlich herabsetzend in den Thesmophoriazusen: Euripides fordert Mnesilochos auf zu schweigen, weil Agathon gleich singen werde. Mnesilochos fragt spöttisch (100): μύρμηκος άτραπούς, ή τί διαμινυρίζεται; Was auch immer von Agathon zu erwarten ist, es wird herabse­ tzend auf den Begriff des Ameisenganges reduziert. In ähnlicher Weise läßt Phere­ krates in seinem Cheiron die von den Dithyrambikem vergewaltigte Hetäre Μου­ σική sich über Timotheos als den schlimmsten ihrer Peiniger beklagen. Melanippides, Kinesias und Phrynis seien zwar rauh mit ihr umgesprungen, doch habe sie das alles noch ertragen. Unerträglich sei es erst mit Timotheos geworden: άγων έκτραπέλους μυρμηκίας (F 155.23 PCG). Der zeitgenössische Musiker Philoxenos trug den Spitznamen μύρμηξ.89 Was meint dieses ungewöhnliche Bild? Ein auffälliges harmonisches Kennzeichen der neuen Musik deckte sich, in einem vi­ suellen vehicle metaphorisiert, offenbar mit dem ziellosen Gewimmel90 oder den verschlungenen Gängen eines Ameisenhaufens.91 Als Kandidaten für diese anstö­ ßige Neuerung kommen entweder Chromatik oder der ständige Wechsel der Ton­ geschlechter oder beides in Frage.92 Die Gestalt der Ameise läßt spontan auch an 87

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Alle drei Beispiele der Metapher zeigen bei der Benennung des Bildinhalts ‘W eg’ Worte der „Wurzel [...] *trep- ‘trippeln’, ‘treten’, die auch in lat. trepidus und deutsch ‘trampeln’ und ‘traben’ steckt. Das ist also der getretene Weg, offenbar ein Fußpfad, ein ‘Steig’.“ (BECKER Weg 35). M u e c k e Young Woman 46 beschreibt die Erscheinung ungenau als „catchphrase“, ähnlich DÜRING Musical Terminology 195 als „catchword“, begründet durch Verweis auf Aelian NH 6.43. BORTHWICK Musica 7 0 Anm. 1: „creeping along every melodic path within the octave“, DÜRING Musical Terminology 195: ,,a) steal forward on narrow paths through the harmoniai, i. e. chromatic modulation; b) διά πασών means ‘through all o f them’, but o f course also ‘the octave’.“ Allgemein TAILLARDAT Images 4 5 7 § 7 8 4 Anm. 3. Vgl. Suda 5 . v. Φ ιλόξενος (393). Vgl. DÜRING Musical Terminology 196 und BORTHWICK Musica 69, der die interessante Parallele des aristophanischen ( Thesm. 1175) Flötenspielers Teredon (‘Holzwurm’) anführt und annimmt, sein Name beziehe sich genauso wie der ‘Am eisengang’ metaphorisch auf seine Musik. Zu Philoxenos und Teredon vgl. weiter RESTANI Chirone 179. TAILLARDAT Images 457 §784 mit Anm. 3: „Cette metaphore etait tres claire pour un Grec; il pensait aussitöt aux allees et venues confuses des fourmis ä la sortie de leur nid ou dans les galeries tortueuses de la fourmiliere.“ KOMORNICKA Metaphores 109: „Les chants incoherents et embrouilles d’Agathon re^oivent le delicieux kenning ‘senders de fourmis’.“ (übrigens kei­ ne Kenning: Vgl. oben 2 4 f Anm. 15). KOMORNICKA Parodie 62 sieht das Bildproblem nicht. Dezidiert für diese Auffassung BORTHWICK Musica 70 mit Verweis auf άνάτρητος τρόπος (Ps.-Psellus) und άνάτρησις (Plutarch). Beide Parallelen scheinen nicht schlagend. Zu diesen Neuerungen der neuen Musik generell Raü Paratragodia 103ff, DÜRING Musical Terminology 184, WEST Greek Music 364 mit Anm. 33: „Changes o f mode, genus, and

2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

musikalische Notation denken, doch wäre der Polemik, die der wenig schmeichel­ hafte Vergleich impliziert, dann die Spitze genommen. Denn wenn der entrüstete konservative Musikkritiker meinte, daß die Partitur der neuen Musik ihrem Ausse­ hen nach einem Ameisenhaufen gleiche (chaotisch, wimmelnd, regellos), träfe seine Polemik nur indirekt den Klangwert, der doch in erster Linie Unwillen er­ regt. Außerdem ist das Postulat musikalischer Notation für diese Zeit wohl ana­ chronistisch.93 Vielmehr dürfte das Bild so zu verstehen sein, daß diese Musik so klinge, wie ein Ameisenhaufen aussehe. In dem Vergleich so prätentiöser Musik mit dem unbedeutenden Tierchen liegt wahrscheinlich bereits eine Polemik gegen die selbstbewußten Neuerer.94 Die besondere Spitze dieses Bildes liegt darüber hinaus höchstwahrscheinlich in der Verwendung eines musikalischen Fachbegrif­ fes gegen die Musiker selbst: Galen berichtet in seiner Schrift über den Puls (Synopsis librorum suorum de pulsibus 12; 9.463 Kühn) von Herophilos, daß die­ ser sich bei seiner Klassifizierung von Pulsrhythmen und Pulstypen musikologischer Kriterien (und so wohl auch der Termini) bedient habe: [...] ώσπερ ol μου­ σικοί [...] παραβάλλοντες άλλήλαις αρσιν καί θέσιν [...].95 Diese Termini waren

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rhythm are particularly mentioned.“, 367 „modulatory labyrinth“, ZiMMERMANN Music 41. Zu unseren Stellen verfehlen LSJ mit „trills and arpeggios“ sicher den Sinn, ebenso WlMMEL Kallimachos 108, der von ,,gewundene[n] Wege[n] des Dichtens“ ausgeht. W e s t Greek Mu­ sic 354 äußert sich über Agathon nicht sehr hilfreich, da er das Bild nicht auflöst: „His melo­ dies were full o f intricate bends like ant-tracks, and had a sensuous effect.“ Nach Euripides war Agathon der erste, der die Chromatik in die Tragödie einflihrte (W est 165 mit Anm. 13, ähnlich 351) und als solcher ein besonders dankbares Opfer. Auch in unserem Fall wird die Polemik darauf zielen: Vgl. DÜRING Musical Terminology 196, BORTHWICK Musica 69, MUREDDU Critica 83, R e s t a n i Chirone 178 (Material Anm. 147): ,,[...] oggi defmitivamente interpretato come un riferimento all’uso del cromatismo [...]“, vgl. R e s t a n i Ambito musicale 99-100 zu δω δεκαμήχανον (Aristophanes Ran. 1327), Bemerkungen zur Chromatik-Kritik RESTANI Chirone 179, aber: „(seil, sentieri tortuosi) associati a continue metabolai.“ So auch Z im m e r m a n n Dithyrambos 122-124. BORTHWICK Musica 69 gesteht diese Auffassungsmöglichkeit aus musikhistorischen Gründen erst dem klugen Wortspiel des Lukillios AP 11.78.3-4 zu. Dieser, ein Zeitgenosse Neros, vergleicht die Narben im Gesicht des Faustkämpfers Apollophanes mit Notenschrift: όντως μυρμήκων τρυπήματα λ ο ξά καί ορθά, / γράμματα των λυρικών Λύδια καί Φρύγια. Man nannte die beim Kampf eingesetzten caestus ‘μύρμηκες’: Lukillios erinnern die Narben an Noten - die Narben sind von „Ameisen“ verursacht, die Noten sehen wie Ameisen aus. Ob Lukillios sich auf unsere Komödienverse bezieht, bleibt unklar. Vgl. A. C. CASSIO, Un Uso di ό'ντως, άληθώ ς, vere e due Epigrammi de\Y Antologia Palatina (11,78 e 394), RivFil 103 (1975) 136-143, der die „stranezza del linguaggio e delle immagini“ in den diskutierten Zei­ len unter Verweis auf die Alte Komödie deutet (141): „le ferite provocate dai cesti-[.··] vengono paragonate alle note musicali [...].“ Lukillios habe γράμματα statt σήματα gewählt, weil es ihm um die Notenschrift gegangen sei (142 mit Verweisen zur griechischen Notenschrift). Möglicherweise ist der topische Ameisenvergleich sogar eine bewußt boshafte Reaktion kon­ servativer Musikkritik (zu den polemischen Parallelen antiker und moderner Musikkritik vgl. WEST Greek Music 371 Anmm. 6 2 , 6 4 ) auf den hochtrabenden Revolutionismus der Neoteriker’, für den etwa Timotheos F 7 9 6 PMG ein repräsentatives Beispiel abgeben mag. T 183.3-5 bei H. VON STADEN, Herophilos. The Art o f Medicine in Early Alexandria, Cam­ bridge u. a. 1989, ähnlich ebd. T 184.36ff (De pulsuum dignotione 2.3; 8.871 f KÜHN). Vgl. F r a s e r Alexandria 1.352-53 mit 2.515 Anm. 102, 2.516-17 Anm. 109. Einen Aspekt dieser musiktheoretischen Einflüsse auf die hellenistische Medizin, die rhythmische Klassifizierung

2.2 Die lyrische Wegmetapher im Kontext der Komödie

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offenbar ursprünglich Metaphern, zur Zeit dieser Übernahme aber bereits als mu­ sikwissenschaftliche Fachbegriffe lexikalisiert. Nun verwenden Herophilos und Axchigenes für einen Pulsrhythmus den Begriff μυρμηκίζειν.96 Der nicht weniger musikmetaphorische Begriff des δορκαδίζειν begegnet ebenfalls. Μυρμηκίζειν erwiese sich also als musikterminologische Bezeichnung eines bestimmten Rhythmus, die Leistung des Herophilos nicht als Wortprägung, sondern als Über­ tragung aus einer bestehenden Fachsprache in eine andere. Es erscheint nun, um zur Alten Komödie zurückzukehren, unwahrscheinlich, daß Musiker ihre Termini einer Polemik gegen sie selbst entnehmen sollten. Vielmehr trifft umgekehrt diese Polemik ihr Objekt erst recht, wenn sie sich dessen Fachsprache boshaft zunutze macht. Dieselbe Vorgehensweise läßt sich auch an anderen Fachbegriffen der Mu­ siktheorie belegen.97 Zusammenfassend bleibt als Hauptcharakteristikum der Wegmetapher in der Komödie also ihre gattungspolemische Funktion festzustellen.98 Vielleicht er­ scheint ein solcher Schluß bei der geringen Zahl der Beispiele zu kühn. Als weite­ res Argument dafür kann jedoch angeführt werden, daß der Vergleich von Seefahrtsmetaphem bei Aristophanes und Pindar ein ähnliches Ergebnis erbringt.99 Diese Gattungspolemik hat zunächst nur die Intention, der Lyrik den Nimbus zu

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des Pulses nach mathematischen Zahlenverhältnissen, diskutiert L. HOLFORD-STREVENS, The Harmonious Pulse, ClQu n. s. 43 (1993) 475^179, der aber leider auf die musikologischen Metaphern bzw. Fachbegriffe, die auf demselben Wege vermittelt wurden, nicht eingeht. VON S t a d e n Herophilus (wie vorherg. Anm.) 2 7 6 und 2 8 4 , ebd. T 180 (Galen, Synopsis 8; 9 .4 5 3 KÜHN). Doch versucht Galen in seiner Einführungsschrift über Pulse (8 .4 6 0 .1 0 - 1 3 Kühn), den Begriff μ υ ρ μ η κ ίζ ω ν durch optische Analogien zur Ameise zu erklären. Zu δ ο ρ καδ'ιζω VON STADEN 2 8 6 und T 1 6 9 -1 7 0 . Vgl. TOSCANO Figure 78 mit Anm. 25 über αναβολή (Aristophanes Pax 830, ähnlich bei κάμπειν Nub. 969, Thesm 53f, 67f). Weitere W eg- und Wagenmetaphem poetologischer tenors begegnen in der Alten Komödie nicht. Der Anfang des Epigramms 5.2711 HE des Nikainetos (= Kratinos T 45 PCG) stammt sicher von Nikainetos selbst, der erst im zweiten Vers Kratinos (wahrscheinlich wörtlich, wie die außergewöhnliche Verbindung von Hexameter und jambischem Trimeter nahelegt; vgl. dazu GOW-PaGE zu Hegesippos 3.1905 HE) wiedergibt. Die Wagenmetapher des ersten Ver­ ses ist also hellenistisch und braucht für die Diskussion der Wegmetaphem in der Alten Ko­ mödie nicht herangezogen zu werden. Die pindarische vehicle -Klasse der Seefahrt, die einen Sonderfall seiner Wegmetaphem bildet, kann hier insgesamt vernachlässigt werden, da sie a) dieselben Charakteristika wie die lyri­ sche Weg- und Wagenmetapher aufweist (alles oben dazu Gesagte läßt sich auch auf sie an­ wenden) und b) für Kallimachos keine Rolle spielt (im Hellenismus begegnet sie einzig bei Krinagoras 11.1824 GPh). Repräsentative Beispiele für Pindars Seefahrtsmetaphem bieten z. B. Pyth. 10.51-54, Nem. 3.26-27, Nem. 4.69-72, Nem. 5.50-51: Zu diesen vgl. BECKER Weg 71 -7 2 , BOWRA Pindar 230, LESKY Thalatta 210-211, BERNARD Denken 23-25, WlMMEL Kallimachos 2 27-28, KAMBYLIS Dichterweihe 150-151, PERON Images 32, 44 mit Verbin­ dung zu Aristophanes Equ. 542—44, LlEBERG Seefahrt 209—11, STEINER Crown 67, 73 und HENDERSON Chariot & Dolphin 151, zur Rezeption OBERMAIER Nachtigallen und Handwer­ ker 325 Anm. 155. Auch hier begegnen im Rgveda Parallelen, z. B. 1.46.7, 2.16.7, 9.73.1, 10.116.9. Die aristophanische Schiffahrtsmetapher in Equ. 541^14 zeigt im Verhältnis zu den pindarischen Bildern ebenfalls die Erscheinungen der Desituierung und übertriebenen Detail­ treue, die beim Rezipienten zum Bewußtsein der metaphorischen Ebene, zur Erkenntnis ihrer Kontingenz und damit zu Sinnverlust und Komik führt.

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2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

nehmen. Dazu dienen die Techniken der Desituierung und übergroßen Detailtreue, die zum Auffälligwerden des vehicle selbst führt, das der Rezipient plötzlich als kontingentes Bild erkennt. Diese Bloßstellung von Gattungskonventionen wirkt komisch. Der beschriebene Prozeß bringt nebenher zwar auch eine Verjüngung der Metapher mit sich, indem er sie mit neuen Details anreichert,100 doch kann dieser Effekt vom Rezipienten synchron kaum ästimiert werden und also wohl auch nicht als Intention des Aristophanes gelten.

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos Die Weg- und Wagenmetapher erscheint also bereits dem ausgehenden fünften Jahrhundert so starr mit Lyrik verbunden, daß dieses Klischee Spott verdient. Der Schluß liegt nahe, daß das Bild als funktionsloser Manierismus empfunden wurde. In einigen zentralen Passagen des kallimacheischen CEuvre werden Wegmetaphem nun erneut funktional eingesetzt: Die Metapher durchläuft damit einen Verjün­ gungsprozeß, der sich durch Integration anderer vehicle-Bereiche vollzieht, um die es im folgenden gehen soll. Während die unprätentiöse Wegmetapher in der Form der οίμος- bzw. οιμοςKenning diachrone Kontinuität beweist (vgl. oben 26), verselbständigt sich die introduktive Funktion ihrer alten lyrischen Ausprägung, in der sie gelegentlich auch schon proömiale Züge annehmen konnte (vgl. oben 29ff), und wird zu einem festen Bestandteil des Prologs. Eigenartigerweise prägt sich dieser Prozeß beson­ ders deutlich im Lehrgedicht aus (vgl. unten 104f). Doch bereits am Ende des fünften Jahrhunderts bedient sich der samische Epiker Choirilos des poetologischen Weg- und Wagenvehicles (F 317 SH/F 2 Bemabe) im Zusammenhang seines Prologs: Früher, 6V άκήρατος ήν ετι λειμών (2), war für den fähigen Dichter kein Mangel an lockenden Stoffen, heute dagegen seien der eigenen Kreativität enge Grenzen gesetzt (3-5): νϋν δ δτε πάντα δέδασται, εχουσι δε πείρατα τέχναι, ύστατοι ώστε δρόμου καταλειπόμεί)’, ουδέ πη έστι πάντη παπταίνοντα νεοζυγές άρμα πελάσσαι. Jetzt aber, da alles aufgeteilt ist und die Künste an ihre Grenzen stoßen, bleiben wir wie beim Wettrennen als letzte zurück, und nirgends ist es möglich, einen neube­ spannten Wagen (ins Rennen) zu bringen, selbst wenn man sich überall umsieht. Diese verspielte Epigonieklage hat wegen ihres anrührenden Sentiments schon vielfach Beachtung gefunden, wobei die Artifizialität des vermeintlichen Stoßseuf­ zers meist verkannt zu werden pflegt.101 Die Bewertung als eines aufrichtigen 100 Der bei KOMORNlCKA Remarques 271 und 2 8 4 beschriebene Verjüngungsprozeß abgenutzter

Metaphern ließe sich also um unsere Metaphemklassen vermehren. 101 Zur Geläufigkeit des Gedankens vgl. Thukydides 2 .4 5 .1 . Für die Tendenz, das choirileische

Sentiment ernst zu nehmen, vgl. z. B. M a r x Prohoemium 383: „Quanta vero Atticae terrae

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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„Notrufs (Wimmel) unterschätzt die Koketterie, die darin liegt, daß ausgerechnet einem umfangreichen und neuartigen Epos, den Περοικά, diese Bildaussage vor­ angeht. Die Äußerung zielt wohl eher darauf ab, sich einem an Klassiker, an einen literarischen Kanon bereits gewöhnten Publikum102 als origineller Nachwuchspoet zu empfehlen und die Leistung dieses Neuanfangs bereits im Proömium gebührend herauszustreichen. Choirilos verbindet das fur Aristophanes bereits oben bespro­ chene und auch von Astydamas103 verwendete Bild des Dichterwettkampfs als Wa­ genrennen mit der alten Wagenmetonymie, die hier durch homerische Reminis­ zenzen (πάντα δέδασται, παπταινω) und den ve/uc/e-Bestandteil νεοζυγές, des "neuen Wagens’, variiert wird. Einen direkten Einfluß auf Kallimachos F 275 P braucht man übrigens nicht anzunehmen.104 Unter den überlieferten fünf Versen des Fragments nimmt die Wagenmetapher einen so deutlichen Schwerpunkt ein, daß sich die Frage aufdrängt, ob dieses Bild isoliert auftaucht oder eingeleitet bzw. fortgesetzt wird. Das andere erhaltene Prologfragment verwendet in weit traditio­ nellerer Weise ebenfalls eine (verbale) Wegmetapher (F 316 SH/F 1 Bemabe): ήγεό μοι λόγον άλλον, όπως Άσίης από γαίης ήλϋεν ές Εύρώπην πόλεμος μέγας.

gloria emicuit tragicae poeseos unica arte et nova, postquam hoc Choerili subtristi praeconio artes poeticas reliquas misello exitu periisse conclamatum est.“ und K r a n z Sphragis 40: „überraschend persönliche [...] Klage“, ähnlich C a p o v il l a Callimaco 1.20 und WIMMEL Kallimachos 94: „[...] aus dem Reich des Epos dringt zu uns jener modern klingende Notruf des jungen Herodotanhängers Choirilos von Samos vgl. auch 110, 320. Es ist wohl übertrieben, Choirilos zusammen mit den Ranae, Xenarchos F 7 PCG (das NESSELRATH Mittlere Komödie 294 Anm. 26 zutreffend als topisch behandelt), Astydamas 60 T 2a TGF (= Ep. 1.117 f FGE) und Antiphanes F 189 PCG als Beleg für eine Krise des Dichtens am Ende des fünften Jahrhunderts zu nehmen und die hellenistische Dichtung als Heilsweg aus dieser Kreativitätsmisere zu interpretieren, wie es oft geschieht: Stellvertretend für viele WIMMEL Kallimachos 225, CAPOVILLA Callimaco 360-61, NEWMAN New Poetry 43—45, GELZER Transformations 136—39: Diese Ansicht ist nichts als ein Schluß aus den erratischen Überlie­ ferungsresultaten, die ein Ermatten der dichterischen Produktion dieser Zeit suggerieren: Tat­ sächlich aber dürften die alten Gattungen des Epos und des Dramas quantitativ uneinge­ schränkt fortexistiert haben. Dazu treffend neuerdings H e n r ic h s Response 174—78. Gute Ein­ ordnung der Choirilos-Verse bei SUERBAUM Selbstdarstellung 15 Anm. 40 und jüngst bei HENRICHs (Response 175-176), der die Verse als geschickte captatio benevolentiae versteht. 102 Vgl. EFFE Klassik als Provokation 318f. 103 Ep. 1.117 f FGE (= 60 T 2a TGF): ώς έπ ’ αλήθειας έκρίΟην άφεΟεΐς παράμιλλος· / νϋν δέ χρόνω π ρ ο έ χ ο υ σ ’, ω (οίς TGF) φ θόνος ούχ έπεται. Als Fachbegriffe des Wagenrennens hebt PAGE 34 ad l. άφεσις und παράμιλλος hervor. Ebenso BING Well-read Muse 60 Anm. 17 (mit guter Erklärung des Doppelsinns von 4 χρόνω π ρ ο έ χ ο υ σ ’), der allerdings an eine di­ rekte Choirilosrezeption des Astydamas glaubt. Im Hinblick auf die etwa gleichzeitige, formal sehr ähnliche und ebenfalls detailliert ausgeführte Metapher in Aristophanes’ Vesp. 1050 (vgl. oben 41 f) erscheint die Annahme einer verbreiteten Vorstellung wahrscheinlicher: Über Ab­ hängigkeitsverhältnisse kann also nichts ausgesagt werden. 104 Vermutlich hängen F 275 P und Choirilos 317.3 SH voneinander unabhängig von o 412 δίχα δέ σφισι πάντα δέδασται ab: Plausibel plädieren dafür BARIGAZZI Mimnermo 169 Anm. 1 und C a p o v il l a Callimaco 1.160.

2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

Führe mir eine andere Erzählung zu, wie vom Land Asien nach Europa der große Krieg gekommen ist. Die Inspirationsbitte richtet sich sicher an eine Muse, die vermutlich im folgenden namentlich angesprochen wurde. Der Kontext des Zitats in der aristotelischen Rhetorik legt nahe, daß es sich um die erste Nennung des Themas handelt.105 Über die Reihenfolge der beiden Fragmente innerhalb des choirileischen Proömiums kann man nur spekulieren, da keines der beiden sich als Incipit zu eignen scheint. Hier muß nur darauf hingewiesen werden, daß vermutlich ein Bezug zwischen der Verbalmetapher ηγεό μοι, die die Zurücklegung einer Wegstrecke impliziert, und dem breit ausgeführten vehicle des νεοζυγές αρμα besteht: Ungeachtet der Schwierigkeiten, die sich aus dem offenbar bezugslosen άλλον des F 316 SH er­ geben, ist der Übergang von einer traditionellen, kondensierten Verbalmetapher (vgl. Xenophanes 21 B 7.1 DK unten 73) im Musenanruf zu einer originellen Ent­ faltung des Bildes leichter vorzustellen als der umgekehrte Prozeß. Für die Reihen­ folge F 316 - F 317 spricht also eventuell die Form des vehicle selbst.106 Unabhängig von der Frage nach der genauen Struktur seines Proömiums muß im Hinblick auf den kallimacheischen Aitienprolog für Choirilos hervorgehoben werden, daß sich hier bereits eine bunte Mischung aus Vegetations-, Speise-, Handwerks- und Wagenmetaphorik findet. Daß Choirilos und so wohl auch sein Rezipient sich offenbar an dieser drei- oder vierfachen Kombination inkompatibler vehicles nicht gestört hat, die fast einer Katachrese gleichkommt, legt nahe, daß er bereits geläufige Prologtopoi aufreiht,107 an deren weitgehende Kombinierbarkeit der Rezipient offenbar bereits gewöhnt war. 105 Aristoteles Rhet. III 14.1415 a l2 -2 1 stellt für das Proömium von Epos, Tragödie und Komö­ die fest, daß seine wichtigste Funktion darin bestehe, gleich zu Anfang den Rezipienten über den Inhalt des folgenden zu informieren. Als Beleg zitiert er 16-18 jeweils den ersten Halbvers von Ilias und Odyssee und das oben ausgeschriebene Choirilos-Fragment (316). Die Gruppierung legt den Schluß nahe, daß auch diese Verse den Anfang des Epos bildeten. Wei­ tere Überlegungen zur Lokalisation der choirileischen Proömienfragmente finden sich bei HÄUSSLER Historisches Epos 302-5. 106 Ein kurzer Hinweis auf das Problem der Fragmentreihenfolge findet sich bei H u n t e r Argonautica 122 Anm. 86. B a r ig a z z i Mimnermo 178 nimmt an, daß F 317 SH nicht im Prolog stand, sondern einen Unterabschnitt des Epos gegen Ende einleitete, ähnlich offenbar HUXLEY Choirilos 15. Diese Ansicht widerlegt richtig schon FLEISCHER Zweitausendjahrfeier 42. Die älteren Herausgeber und noch COLACE Reliquiae 15ff ordnen F 317 - F 316. KOSTER Epostheorien 18 nimmt an, daß λό γο ς ά λλος (F 316.1: nach ihm „historischer S to ff1) die Nichtidentität mit άοιδή (F 317.1: „mythischer S toff1) meine, so daß die herkömmliche Rei­ henfolge zwingend sei. Doch ist der Ausdruck ϊδρις άοιδής wohl speziell auf Homer ge­ münzt, etwa „Archeget der Dichtung“, so daß KOSTERS semantische Determinierung ohne Pointe wäre. Ferner zeigt auch der xenophanische λό γ ο ς (21 B 7.1 DK; vgl. unten 73) nicht diese Beschränkung auf das Nichtfiktionale. Naheliegend erscheint die Vermutung SUERBAUMs, λό γ ο ς ά λλος sei inhaltlich identisch mit νεο ζυ γές αρμα (Selbstdarstellung 19 Anm 57). 107 D u r a n t e Epea pteroenta 254 leider ohne Begründung: „Das Bild [...] erscheint am Ende des 5. Jahrhunderts bei dem Epiker Choirilos [...] in einer Form, die die Vermutung nahelegt, daß sie für den Dichter nicht neu gewesen sein dürfte.“ Μ. E. ausschlaggebend ist hier der Zitat­ kontext bei Aristoteles Rhet. III 14.1415 a 1—4, der den gesamten Gedanken bereits proömial-

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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Die auffällige poetologische Metapher des λειμών άκήρατος verdient vertief­ te Betrachtung: Dem Leser von heute ist das vehicle bekannt, die Metapher daher verständlich: Auch wir reden ähnlich etwa von ‘abgegrasten’ Themen. Möglicher­ weise ist das Bild von Choirilos über Manilius oder Lukrez in unsere Vorstel­ lungswelt gelangt.108 Doch wäre es vorschnell, die heutige Leichtigkeit des Ver­ ständnisses auf den Rezipienten des Choirilos zu projizieren. Soweit sich noch feststellen läßt, bedeutet άκήρατος vor Choirilos stets soviel wie ‘ungemischt, nicht verschmutzt, rein’ etc.109 Die Verbindung mit λειμών greift proprie wahr­ scheinlich bereits auf eine gewisse, allerdings durchaus unpoetologische Tradition zuruck.110Natürlich weist der Kontext das Bild bei Choirilos zweifelsfrei als poetologisch aus: Choirilos hat also unter Verwendung des Assoziationsrahmens her­ kömmlicher vegetativer Poetologiemetaphern111 aus einer geläufigen Formulierung ein neuartiges und in der Folgezeit erfolgreiches Bild geschaffen. Doch darf man darüber spekulieren, ob sich beim zeitgenössischen Rezipienten neben dem Bild einer saftigen Blumenwiese nicht weitere Assoziationen eingestellt haben, die mit Mähen oder Abweiden wenig zu tun haben. Sowohl λειμών als auch άκήρατος begegnen ausgeprägt in sexualmetaphorischer und kultisch-religiöser Bildlichkeit. Daß ‘Wiese’, ‘Gärtchen’ und dergleichen auf die weiblichen Genitalien anspielen können, ist wohl noch heute geläufig.112 Dem Publikum des Choirilos war diese Metaphorik aus der archaischen Jambik und Lyrik vertraut.113 Zu dieser Auffas-

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topisch interpretiert. Für HUXLEYs Gewißheit, die Wegmetaphem des Kallimachos direkt auf die des Choirilos zurückzuführen (Choirilos 16), spricht also wohl nichts. Rer. Nat. 1.928 (vgl. unten Anm. 111), Astron. 2.53 integra [...] prata. Zu Geschichte, Etymologie und Semantik des Wortes vgl. SCHULZE Quaestiones 233-237, der seine Schlußfolgerungen aus einer großen Menge an Belegen mit den Worten zusammenfaßt: „άκήρατος dicitur quod nihil alieni habet admixtum.“ Vgl. LfgrE s. v., wo Choirilos’ Begriff als „weder durch weidendes Vieh noch durch Mähen verunstaltet“ paraphrasiert wird. Kurze Bemerkungen dazu auch bei A r n o u l d Eau chez Homere 21 f. Vgl. HHomMerc. 72 λειμώνας [...] άκηρασίους, lbykos F 286.3^1 PMGF Π αρθένω ν / κήπος άκήρατος (über den Garten der Hesperiden: Vgl. dazu FOWLER Archaic Aesthetic 141, M. DAVIES, Symbolism and Imagery in the Poetry o f lbycus, Hermes 114 [1986] 3 9 9 405, hier 400: „the locus amoenus“), Euripides Hipp. 73-74, 76-77 (dazu unten 50f). Vgl. z. B. Sappho F 55.2f VOIGT βρόδων των έκ Πιερίας, Pindar Ol. 6.105 έμών [...] ύμνων ά ε ξ ’ εύ τ ερ π ές άνθος, ΟΙ. 9.26 Χαρίτων νέμομαι κόπον, Timotheos Pers. F 791.202f PMG χρυ σ εοκ ίθ α ριν άέ/ξω ν μούσαν mit Ja n s e n ad /., 231 κίθαριν έξα να τέλλει, Leonidas v. Ta­ rent Ep. 98.2564 HE, Lukrez 1.928 (= 4.3) iuvat [...] novos decerpere flores, Meleager Ep. 1.3926ff HE passim, der die traditionelle Metaphorik exzessiv erweitert. Vgl. z. B. den Butt in G . GRASS, Der Butt, Darmstadt 1977, 319 über Opitz und Agnes Kurbiella: „Nicht mal ihrem Dillgärtchen war er iambisch gewachsen.“ Eine umfangreiche Materialsammlung findet sich bei A. MOTTE, Prairies et Jardins de la Grece Antique. De la Religion ä la Philosophie, Academie Royale de Belgique. M6moires de la Classe des Lettres, 2e Serie 61.5, Bruxelles 1973, 83-87, ein Überblick bei T a il l a r d a t Images 77 §119, HENDERSON Maculate Muse 27, 134-36; J. M. BREMER, The Meadow o f Love and Two Passages in Euripides’ Hippolytus, Mnemosyne 4. s. 28 (1975) 268-280, hier 27 1 -2 7 4 , RIEDWEG Reflexe 149f mit Anmm. 156f. Zum neuen Kölner Archilochos vgl. R. MERKELBACH, M. L. W e s t , Ein Archilochos-Papyrus, ZPE 14 (1974) 97-112, 106 zu Vers 15 (Archilochos verführt die jüngere Schwester der Neobule: inzwischen F 196a 2IEG) mit Belegstellensammlung zum Sexualve/u'c/e ‘W iese’. Ob F 196a.23-24 2IEG σχήσω γάρ ές

2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

sung von λειμών fugt sich die sehr verbreitete Bedeutung von άκήρατος als ‘jungfräulich’ bzw. ‘ungeschändet’: (seil. Παρθένος o. ä.) άκήρατος (Euripides Tro. 675) oder άκήρατον λέχος (Or. 575) und ähnliche Verbindungen sind so geläufig, daß άκήρατος in dieser Bedeutung unmetaphorisch gewesen sein dürf­ te.114 Sexualmetaphem in poetologischen Zusammenhängen sind sehr selten, ver­ mutlich weil die Übertragung eine äußerst radikale ist.115 Es bleibt unsicher, ob man Choirilos eine solche Radikalität Zutrauen darf. Wenn man diese Möglichkeit akzeptiert, hätte Choirilos die Dichtung zu Homers Zeiten mit einer παρθένος verglichen, zu seiner Zeit aber habe sie diesen ursprünglichen und ‘reinen’ Zustand nicht mehr besessen. Neben einem entfernt ähnlichen Gedanken Pindars (vgl. oben 28 Anm. 32) bietet die einzige poetologische Parallele dazu ein carmen populäre (F 851 b.4 PMG), das Bakchos einen άκήρατον ύμνον singt, eine Μούσαν [...] καινάν άπαρθένευτον, ein unbeflecktes Lied, eine neue, jungfräuliche Weise (vgl. LSJ s. v. άπαρθένευτος III). Dieses Lied führt Athenaios (14.622 A - D) an bei der Besprechung des Umzugs der Φαλλοφόροι. Vielleicht nahm deren Meta­ phorik auf den Anlaß und den rituellen Kontext ihres Liedes Bezug. Dieses carmen steht in einem eindeutig kultischen Zusammenhang und führt zur Erörterung der religiösen Implikationen von λειμών. Die einzige wörtliche Parallele zum choirileischen λειμών άκήρατος findet sich etwa gleichzeitig im euripideischen Hippolytos, in dem die Fügung zweimal begegnet, άκήρατος allein sogar viermal. Hippolytos betont, daß der Kranz, den er vor dem Artemisstandbild niederlegt, εξ άκηράτου λειμώνος (73f) stamme, dort wo άκήρατον μέλισσα λειμών’ [...] διέρχεται (76f). Natürlich beschreibt die ποη[φόρους / κ]ήπους wirklich mit B r e m e r , M e r k e l b a c h /W e st und B u r k e r t Betretene Wiese 37 als offene und rüde Sexualmetapher (in der wörtlichen Rede des ‘primary narrator’ an das Mädchen, das er doch gerade zu beruhigen sucht) zu verstehen ist, bezweifle ich: Zum Sexualakt kommt es erst 48ff. Zu demselben Ergebnis kommt jetzt J. LATACZ, „Freuden der Göttin gibt’s ja für junge Männer mehrere ...“. Zur Kölner Epode des Archilochos [...], MusHelv 49 (1992) 3 -1 2 [= ders., Erschließung der Antike. Kleine Schriften zur Literatur der Griechen und Römer [...], Leipzig 1994; 345-356, vor allem 348-51], nach dem διαμηρισμός und also reales Gras gemeint sind. Ein subtiles Wiesenbild erweist fur Anakreon F 346.4-9 PMG S. R. SLINGS, Anacreon’s Two Meadows, ZPE 30 (1978) 38. Zu Empedokles F 3 1 B 66 DK σχιστούς λειμώνας [...] ’Α φροδίτης vgl. L e b e d e v Aphrodite Verses 28 mit Anm. 19 und B u r k e r t Betretene Wiese 4 0 f mit 45 Anmm. 35-39, der das Fragment dem Margites zuweist. 114 Vgl. SCHULZE Quaestiones 234. Dazu Apollonios Argon. 2.502 λέκ τρ ον άκήρατον (Kyrene ist noch Jungfrau), 4.1024-25 ετι μοι μίτρη μένει [...] άχραντος καί άκήρατος (Medea ist noch Jungfrau). 115 Seltene Ausnahmen scheint es nur in der Alten Komödie zu geben: Dazu MÜLLER·Plarnende und zeugende Dichter (wie unten 2 26f Anm. 91), daneben vielleicht Aristophanes Nub. 530 (παρθένος) und drastisch Pherekrates F 155 PCG (wie oben 43), der die musikalischen Inno­ vationen der neuen Dithyrambiker aus der Sicht der allegorischen Hetäre ‘Musik’ als sexuelle Brutalitäten verbildlicht. Auffällig ist dagegen die starke Präsenz sexueller Rezeptionsmeta­ phorik in den poetologischen Bildern des Rgveda (z. B. 1.62.11, 1.186.7, 3 .3 9 .lf, 3.62.8, 4.4.8, 5.47.6, 10.43.1, 10.91.13). Moderne Literaten und ihr Publikum haben weniger Skrupel: Vgl. z. B. J. JOYCE, Ulysses, Harmondsworth 1987, 448 (Eiben zu einer Nymphe) „on our virgin sward“ und G. GRASS, Die Blechtrommel, Neuwied a. Rhein/Berlin-West 1959, 10 „fünfhundert Blatt unschuldiges Papier“, „Unschuldiges Papier verlangte ich, und die Verkäu­ ferin errötete heftig [...].“

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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Verbindung proprie eben die Wiese, die ungemäht und nicht von weidendem Vieh befleckt ist. Darüberhinaus spielt wahrscheinlich die oben geschilderte Jungfräu­ lichkeitsmetaphorik im Zusammenhang mit Artemis eine Rolle."6 Das ungewöhn­ liche Wort hallt jedoch nach: Theseus fragt Hippolytos, von dessen Schuld über­ zeugt, sarkastisch,"7 ob er sich denn wirklich für σώφρων και κακών άκήρατος halte (949)? Vor der Katastrophe des Hippolytos wünscht sich der Chor bedrückt einen άκήραχον άλγεσι θυμόν (1114). Nun wird Hippolytos eindeutig mit Zügen geschildert, die Mysterienreligionen entstammen: Er ist Epoptes in den Eleusinia (25), Theseus wirft ihm seine prahlerische Mysterienkrämerei (καπήλευ’ 953), seinen Vegetarismus und seine orphische Buchreligion angesichts seiner ver­ meintlichen Untat als Pharisäertum vor (952-954). In diesen Kontext gehört auch die άκήρατος-Polemik des Theseus. Dabei ist ganz nebensächlich, ob Hippolytos einer bestimmten Sekte angehört und welcher. Euripides umgibt ihn mit der un­ bestimmten Aura eines religiösen Eiferers."8 Hippolytos aber wird mit den Versen eingeführt, in denen er so auffällig zweimal von der ungemähten Wiese spricht wird hier schon dieser religiöse Charakter angedeutet? Von άκήρατος ist klar, daß dieser Begriff ‘kultisch rein’ bedeuten kann."9 Welche Rolle spielt aber λειμών in den Mysterienreligionen, deren Initiant Hippo­ lytos sein soll? Ein λειμών begegnet als topischer Bestandteil aller mystischen Hadeskonzepte: In einer von Plutarch zitierten Beschreibung des ευσεβών χώρος spricht Pindar von den jenseitigen φοινικορόδοις [...] λειμώνεσσι (F 129.3 SM).11678920 Der Mystenchor der aristophanischen Ranae fordert Iakchos auf, άνά λειμώνα χορεύσων zu ihnen zu kommen (326, ähnlich 344). Wie bei Pindar sind diese Wiesen blumig (ανθηρόν [...] δάπεδον 352, εύανθεΐς κόλπους λειμώνων 373f). Der Chor tanzt blumenbekränzt auf Rosenwiesen (εις πολυρρόδους λειμώνας 448f). Im eschatologischen Mythos des Gorgias schildert Platon bei seiner Jenseitsbeschreibung „casually“ (Dodds Gorgias 373) einen λειμών (524 A 2). Einige Goldblättchen (vgl. unten 82ff) schreiben der Mystenseele vor, sie solle sich auf ihrer Jenseitswanderung zur Rechten wenden und zu den λειμώνας τε

116 Diesen Zug betont BURKERT Betretene Wiese 3 8 f besonders. 117 „Contemptuous δ ή “ : BARRETT Hippolytus 3 4 2 .

118 Meines Erachtens vergeblich bemüht sich B a r r e t t Hippolytus 342—43 zu zeigen, daß Hippo­ lytos kein Orphiker sei: Hier liegt gar nichts daran, welcher geheimniskrämerischen Sekte Hippolytos angehört. WEST Orphic Poems 16 stellt fest, daß Theseus Bakchisches mit Orphischem vermische. Er erklärt das ethopoietisch. BURKERT Craft versus Sect 11 stellt heraus, daß Theseus Hippolytos nicht als Angehörigen einer Sekte, sondern als praktizierenden ό ρ φ εο τ ελ εσ τ ή ς angreift. Zu β άκ χευε 954 vgl. WEST Hipponion 234, gegen ihn C o le Evi­ dence 228. Angesichts der notorischen Unschärfe aller kategorischen Zuweisungen (dazu un­ ten 79 Anm. 241) kann es hier nicht um religionsgeschichtliche Eindeutigkeit gehen. Vage für religiöse Konnotationen des λειμώ ν votieren H u x l e y Choirilos 16 Anm. 15 und C o l a c e Reliquiae 19: „atmosfera iniziatica e religiosa“. 119 Vgl. z. B. Platon Rep. 3.416 E 9 - 417 A 1, wo ανόσιος und άκήρατος einander gegenüber­ gestellt werden, άκήρατος also etwa dasselbe wie οσιος meinen muß. 120 Eine religiöse Färbung aller pindarischen Gartenerwähnungen zu behaupten, wie CAMPAGNER Metafore agricole 4 4 f das versucht, geht wohl zu weit.

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2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

ιερούς καί αλσεα Φερσεφονείας wandern.121 Für Plutarch gehört ein λειμών zu den τόποι καθαροί, die die Seligen aufnehmen {De Anima F 178.1 l f Sandbach). In den Orphica müssen λειμώνες eine wichtige Rolle gespielt haben.122 Es reicht nicht, die gesamte Vorstellung von λ 539 (vgl. λ 573, ω 13) abzuleiten, wo Achills Schatten φοίτα μακρά βιβασα κατ’ άσφοδελόν λειμώνα,123 weil der Unterschied zwischen den prächtigen Blumenwiesen bei Pindar und Aristophanes und anderer­ seits dem blassen, chthonischen Asphodelos zu erheblich ist.124 Die Hypothese, die odysseische Asphodeloswiese als Adaption einer traditionell fröhlichen, elysischen Hadestopographie zu betrachten, erscheint eher erwägenswert. Sicher ist zumin­ dest, daß λειμών fest genug mit Hadesvorstellungen verbunden war, um geradezu Signalwert besessen haben zu können. Die Unbestimmtheit der religiösen Asso­ ziationen125 wird diesen Signalwert noch verstärkt haben. Hippolytos wird assozia­ tiv mit Mysterienlehren verbunden, indem er von dem mystischen λειμών redet. Diese Assoziation stellt sich unwillkürlich und gegen jede logische Analogieerwä­ gung ein —daß Hippolytos sich nicht im Hades befindet, sondern es sich um eine tatsächliche, diesseitige Wiese handelt, ist also kein Einwand. Wenn aber λειμών in der Verbindung mit Reinheit (vgl. oben Plutarch) einen religiösen Beigeschmack hat, erscheint es vielleicht nicht an den Haaren herbei­ gezogen, Choirilos ebenso zu verstehen, dessen λειμών άκήρατος bei Euripides zur Charakterzeichnung seines religiösen Eiferers Hippolytos diente.126 Vielleicht muß man auch Theokrits καθαρός λειμών {Eid. 26.5) ähnlich verstehen, auf dem die Ληναι ή βάκχαι zwölf Altäre errichten.127 Choirilos’ poetologische Metapher 121 ZUNTZ Persephone 328-29, A 4.5-6 (= 1 B 20.5-6 DK = F 32[f] OF). Vgl. GUARDUCCI Osservazione. 122 F 2 2 2 .3 OF έν καλώ λειμώνι (Proklos), F 2 9 3 OF Orpheus redete über τούς των ευσεβώ ν λειμώνας (Diodor). Die mollia prata, die Claudians Fladesfürst (ille ferox 2 7 3 ) der geraubten Proserpina verspricht {De raptu Proserpinae 2 .2 8 7 - 8 8 ) , sind ein klares Echo dieser orphischen Jenseitsvorstellung. Vgl. insgesamt GRAF Eleusis 11 Anm. 5 5 . Zu Claudian GUARDUCCI Laminette 25: „il poeta [...] era notoriamente imbevuto di idee orfiche [...].“ Vgl. allgemein A. C a m e r o n , Claudian. Poetry and Propaganda at the Court o f Flonorius, Oxford 1 9 7 0 , 2 0 9 2 1 1 ,2 7 7 ,3 0 9 - 3 1 1 .

123 So D o d d s Gorgias 375, der zu 524 A 2 immerhin die Bedeutungsverschiebung gegenüber λ 539 konstatiert, aber trotzdem „an Orphic source“ fur Platon ausschließt. Genauso ZUNTZ Per­ sephone 253-54, 332. D o v e r Frogs 60 zitiert einige der religiösen Parallelen, zieht aber keine Schlüsse. 124 Das Argument auch bei GRAF Eleusis 91 Anm. 55. 125 GRAF Eleusis 92: „[...] die Blumenwiesen verweisen Plutarch nach Eleusis, Diodor und Pro­ klos an Orpheus, die Goldblättchen nach Unteritalien.“ Wie auch bei dem ‘reinen W eg’ (vgl. unten 87f) handelt es sich also um ein allgemeines und deshalb notwendig unpräzises myste­ rienreligiöses Konzept. 126 Vielleicht ist wie schon bei den οργιά Μ ουσών (unten 86 Anm. 275) Aristophanes auch hier verwandt: Die Prägung ‘λειμών Μ ουσών des Phrynichos’ (Aristophanes Ran. 1300) ist al­ lerdings etwa 23 Jahre jünger als der Flippolytos στεφ ανηφ όρος des Euripides. Choirilos wird mit seinen Περσικά vermutlich zwischen den beiden liegen. 127 Vgl. GOW 2.477 mit weiteren Parallelen zur Stelle: „The adj[ective] therefore probably carries some secondary sense o f ceremonial purity.“ Eindeutig literarmetaphorisch und religiös muß das in Anm. 126 erwähnte Bild des aristophanischen Aischylos empfunden werden: λειμώνα Μ ουσών ιερόν {Ran. 1299f).

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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müßte dann religiöse Assoziationen wecken: Die Dichtung in der idealen Vorzeit jenes ϊδρις άοιδής hatte eine Weihe, die sie in der Gegenwart nicht mehr hat,128 dieser selbst hatte den Status eines ‘poetischen Initianten’. Die traurige Gegenwart aber ist nach Choirilos profan und entweiht. Wenn man diesen Schlußfolgerungen zustimmt, steht Choirilos mit dieser Metaphorik in einer Reihe mit Aristophanes und später Poseidippos, bei denen explizit Dichterdasein und Initiantentum einan­ der bis zur Gleichsetzung angenähert werden konnten (vgl. unten 85f). Diese Möglichkeit, religiöse Assoziationen für poetologische vehicles auszunutzen, wird uns auch bei Weg- und Wagenbildem des Kallimachos begegnen. Mit der Verwendung von Wegmetaphorik bewegt sich Kallimachos also grund­ sätzlich in einer Tradition, der er sich selten genug anschließt.129 Die überwiegende Anzahl seiner Wegmetaphem versucht, die Gewöhnlichkeit der Metaphemtradition zu vermeiden. Dazu bedient er sich einer Technik der Assoziationsanreicherung des vehicles, der im folgenden unser Hauptaugenmerk gelten soll. Über den genauen Sinn des kallimacheisehen Epigramms 7 P (57.1301-4 HE) ist bisher keine Einigkeit erzielt worden: ’ Ηλθε Θεαίτητος καθαρήν οδόν, εί δ’ επί κισσόν τον τεόν ούχ αΰτη, Βάκχε, κέλευθος άγει, άλλων μέν κήρυκες έπί βραχϋν οΰνομα καιρόν φθέγξονται, κείνου δ’ Ελλάς αεί σοφίην. Bemüht man sich um eine Übersetzung, die die Probleme offen läßt, so könnte sie lauten: Theaitetos hat eine reine Straße beschritten. Wenn dieser Weg aber nicht zu dei­ nem Efeu führt, Bakchos, werden Herolde den Namen anderer zwar für einen kur­ zen Augenblick ausrufen, dessen Kennerschaft dagegen Griechenland für immer. Offenbar ist die Rede von einem Weg, der καθαρός ist, aber nicht zum Efeu des Dionysos führt. Diesen geht Theaitetos (ήλθε ingressiv aufgefaßt). Die Namen anderer werden kurzzeitig von Herolden ausgerufen, Griechenland aber wird den Namen des Theaitetos immer im Munde führen. Der Schlüssel zum Verständnis des Gedankengangs ist die καθαρή οδός. Sie steht erklärungslos am Anfang des Epigramms und muß die entsprechenden Rezeptionssignale für dessen Verständnis 128 Ganz ähnlich der hier vertretenen Meinung äußert sich neuerdings beiläufig BULLOCH Intro­

duction 127: „[...] Choerilus o f Samos (S.H. 3 1 7 ) suggested [...] that earlier poets composed in a condition o f purity and innocence, and that, by contrast, contemporary writing was some­ how hackneyed and defiled (for those are the clear implications o f his reference, in v. 2, to a time ‘before the meadow was mown’, with its connotations o f a religious sanctity still preser­ ved [...].“ 129 H I. 78 bespricht MCLENNAN ad l. zutreffend (oben Anmm. 15, 2 2 ). Daneben wäre vielleicht

noch F 2 2 8 .1 - 2 P zu nennen: Die Proömialmetaphorik der Führung des Dichters durch den Gott beinhaltet indirekt die Wegmetapher für den Dichtungsprozeß. Jüngst hat LlVREA Somnium 4 8 Anm. 1 und 51 zu F 1 1 4 .1 8 P όδεύση mit ausdrücklichem Rekurs auf F 1 .2 5 -2 8 P ίστορίην ergänzt und damit eine an F 7 5 .7 7 P εδραμε erinnernde Metapher erhalten. Doch bleibt selbst dann, wenn man das Supplement akzeptiert (wozu keinerlei zwingende Gründe vorliegen), der Kontext vollkommen unklar.

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setzen. Daß dieser Ausdruck eine Metapher darstellt, kann bei poetologischer Deutung nicht bestritten werden.130 Die Bedeutung dieses Ausdrucks allerdings muß dem Rezipienten bekannt sein, da keine Kenning Struktur einen Hinweis auf die Metaphorizität dieser οδός gibt und so die Identifikation des tenor erlaubt. Die moderne Forschung hat bislang keinen befriedigenden Vorschlag gemacht, die καϋαρότης dieser Straße zu erklären. Weder Pindars Verwendung des ähnlichen Begriffs der κέλευϋος καθαρά131 noch die offensichtliche Anspielung auf die Gattung einer dramatischen Dichtung ergeben einen Anhaltspunkt.132 Nach der herkömmlichen Interpretation hat Theaitetos mit seinen Dramen keinen Erfolg gehabt und sich einem anderen, weniger populären Genus zugewandt,134 das ihm 130 W e b e r Dichtung & höfische Gesellschaft 187 scheint die Metaphorizität dieser ‘Straße’ nicht klar zu sein. 131 Ol. 6.23 und Isth. 5.23. Daß man auch die φανερά οδός aus Ol. 6.73 hierher ziehen darf, bezweifle ich (vgl. oben 29 Anm. 34). Wenn man dort ές φανεράν οδόν ερ χεσ θ α ι als „berühmt sein versteht, was der Kontext nahelegt (vgl. 71), ist es hier sogar unmöglich, daß Parallelen bestehen. Zur Bedeutung von καθαρός: Re n e h a n s (Ambiguities 219) Vorschlag, Pindar hier bewußt zwischen zwei Bedeutungen spielen zu lassen, scheitert an der zu großen Ähnlichkeit beider Bedeutungen. B e c k e r s , B o w RAs , N e w m a n s Deutungen (oben 29 Anm. 34) überzeugen ebenfalls nicht. STEINER Crown 22 bleibt sehr vage: „[...] points us away from the actual mule race towards poetic figuration.“ Dagegen würde ein klarer Sinn des bewußt ambiguen Begriffs greifbar, wenn man auch für Pindar eine Assoziation mysterienreligiöser Konnotationen voraussetzte. Wir behandeln den gesamten Fragenkomplex unten (75ff). Kei­ ner der Forscher, die bei Kallimachos eine Pindaranlehnung annehmen, äußert sich zu der Absicht einer solchen Übernahme: G a b a t h u l e r Epigramme 51, 57-8, W im m e l Kallimachos 109, CAPOVILLA Callimaco 1.49 Anm. 1; 2.245 mit Anm. 1, FRASER Alexandria 1.592f mit 2.841 Anm. 307, M eil lier Callimaque 123-24, SCHwrNGE Künstlichkeit 18, 33, 43. 132 Vgl. z. B. A. P ic k a r d -C a m b r id g e , The Dramatic Festivals o f Athens, rev. J GOULD D M L e w is , Oxford 1968, suppl. 1988, 98 §35: „The name o f the victorious poet was proclaimed by the herald, and he was crowned in the theatre by the archon with a crown o f ivy.“ Stellen­ material ebd. 98 Anm. 6. 133 WILAMOWITZ Hellenistische Dichtung 2.123f erblickt im ‘reinen W eg’ offenbar eine spezielle Dichtungsweise, die keinen Anklang gefunden habe und bemerkt: „[...] seine eigene [sc//. Kallimachos’] Muse ging ja auch die καθαρά οδός und für die Menge war sie auch nicht.“ 134 So G o w -P a g e HE ad /., die die Möglichkeit nahelegen, dieser neue Dichtungsweg des Theaitet seien die unter diesem Namen in der AP überlieferten Epigramme, mindestens aber deren Theaitetos sei unserer. CAPOVILLA Callimaco 1.145 versteht das Epigramm ähnlich, nur bezieht er es auf die Dithyramben des Theaitetos (ebenfalls ein Massengenos, ebenfalls an den Dionysien aufgeführt). SZASTYNSKA Alexandrian Epigrammatists 225 behauptet haltlos, daß Theaitetos jetzt schreibe „to achieve wisdom“. SCHWINGE Künstlichkeit 18 versucht wie ähnhch C a p o v il l a Callimaco 1.48, καθαρός wie λεπ τός zu erklären: als alexandrinisches Dichtungsideal, das aber unscharf bleibt. Aporetisch letztlich seine (34) wechselseitige Inter­ pretation unserer καθαρά οδός mit der bekannten καθαρά [...] λιβάς (H 2.112): In einem Zir­ kelschluß wird in beide dieselbe Auffassung der „absoluten Künstlichkeit von Kunst“ hin­ eininterpretiert. Eine ähnliche Tendenz findet sich schon bei F rit z Hesiodisches 47, der ein künstlerisches Grundprinzip der καθαρότης annimmt. B r in k s „clean way“ (Callimachus & Aristotle 17) ist dürftig. BARIGAZZls „via non calcata da altri“ (Amore 188) läßt sich nur schwer einem poetologischen tenor zuordnen. F r a se r s Übersetzung „clear from the rivalry o f lesser poets (Alexandria 1.593) basiert letztlich auf der Ambiguität des englischen, nicht des gm ch'schen Begriffs. W e b e r s „neue Wege“ bleiben undeutlich (Dichtung & höfische Gesell­ schaft 186 mit Anm. 6). Auch rhetorische Begriffsparallelen (vgl. HOOK Terminology 7,

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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zumindest den Nachruhm sichert.135 Im Zusammenhang unserer Fragestellung in­ teressiert die Frage nach der konkreten Dichtungstätigkeit des Theaitetos weniger als die Bildlichkeit der ersten beiden Verse. Diese aber verwenden mögliche Bezü­ ge auf religiöse Begriffe: Wegmetapher, καθαρότης, Efeu, Unsterblichkeit bieten zahlreiche Parallelen in ‘bakchischen’ Mysterien.136 Daß die Erwähnung des Efeus sich durch den Hintergrund des dramatischen Agons hinreichend erklären ließe, bedeutet noch nicht, daß sie nicht auch eine weitere Bedeutung tragen kann. Rech­ net man mit dem assoziativen Hintergrund einer religiösen Aura, erklärt sich er­ stens die seltsam elliptische Ausdrucksweise ήλθε [...] καθαρήν οδόν: Der An­ fang des Epigramms bezieht seinen Überraschungseffekt aus der anfänglichen Isolation des merkwürdigen Ausdrucks, der erst später mit der herkömmlichen Metapher des Dichtungsweges kontaminiert wird, wenn der Rezipient bereits die geschlossene Gesellschaft der Mysterien mit dem elitären Dichtungsweg des Theaitetos auf bildlicher Ebene identifiziert hat. Diese Identifikation bietet die Pointe unseres Epigramms. Am Maßstab der Volkstümlichkeit gemessen, verhal­ ten sich der neue Dichtungsweg und die Dramatik zueinander wie der Mysterien­ weg und der öffentliche Kult, wie elitäre Esoterik und Vulgäres. Zweitens wird die merkwürdige Emphase ούχ αϋτη (2) in ihrer Einschränkung verständlich, wenn in religiösen Vorstellungen Efeu und Mysterienweg eine gemeinsame Rolle spielten: „Dieser Weg fuhrt nicht zu dir, Dionysos (im Diesseits?).“ „Dieser nicht“ bedeutet dabei die gleichzeitige Abgrenzung des Mysterien- wie dramatischen Weges vom neuen Dichtungsweg des Theaitetos, wobei allerdings der erste dem letzten dann doch wieder darin gleicht, daß er ewiges Leben, sei es konkret als Mysterienver­ sprechen („im Jenseits - oder auf metaphorischer Ebene - führt er doch zu dir“),137 O ’S u l l iv a n Stylistic Theory 14, 40, 44 -4 6 , 57f, 128) helfen uns hier nicht weiter: Innerhalb des vehicle erwartet man kein unmetaphorisches Attribut des tenor. L a PENNA Estasi dionisiaca 234 sieht in der von Theaitetos verlassenen oder abgelehnten Straße zu Dionysos ein ‘dionysisches’, also ekstatisches Dichtungskonzept, äußert sich aber nicht zur καθαρά οδός. 135 Dieser Topos (Vers 4) hat wohl überhaupt erst zu der Vermutung geführt, es handele sich bei der καθαρά οδός um Dichtung: Vgl. z. B. Simonides F 531.5 PMG, Theognis 251—2, Pindar Ol. 10.91-96, Pyth. 3.110-115, Nem. 7.12-16, Nem. 9.6-7, Bakchylides Epin. 9.79-87, Epin. 10.11-13, Simias Ep. 4 .3284f HE (über den tragischen Dichter Sophokles: Vgl. E ffe Klassik als Provokation 319), Kallimachos F 202.65-70 P, Ep. 2 .3-6 P/34.1205-1208 HE, Catull 95.6. Doch ist Identifikation nicht die einzige Möglichkeit, diese Straße zu einer Dichtungs­ gattung in Beziehung zu setzen. 136 Unten folgt eine ausführlichere Diskussion im Zusammenhang mit Kallimachos’ Aitienprolog (87f), daher sollen hier nur wenige Andeutungen genügen: Zum Mysterienweg vgl. BURKERT Griechische Religion 4 3 6 -7 mit Anmm. 2f, 444 und BURKERT Mysterien 28 mit 107 Anm. 5 1 „heilige Straße der Seligkeit“; zur κ αθα ρότης vgl. RIEDWEG Mysterienterminologie 179 i. v. καθαρμός; zum Efeu BURKERT Griechische Religion 256 (Minyadenmythos), 258 ad HHomDion. 4 0 f Vasenbilder, Thyrsos. Die Form der in Pelinna gefundenen Goldlamellen ist die eines Efeublattes: Vgl. DICKIE Pella 82, der kurz auf die Rolle von Efeukränzen in Jen­ seitsvorstellungen eingeht, und LLOYD-JONES Afterlife 282. 137 Ein Leben nach dem Tod dürfte zu den zentralen Mysterienversprechen gehört haben: Vgl. z. B. BURKERT Bacchic Mysteries 3—4 mit Anmm. 16—21 (archäologisches Material, das auf die Verbindung zwischen Dionysos und Jenseitsglauben hinweist), BURKERT Mysterien 27 über die Dionysosmysterien, FEYERABEND Proömium 2 mit Anm. 10 und F. E. BRENK, A Glea-

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sei es indirekt als Dichterruhm, verspricht.138 Die hier vorgetragene Auffassung macht das Epigramm natürlich unübersetzbar. Es soll wohlgemerkt nicht behauptet werden, daß die Dichtungen des Theaitetos inhaltlich irgendetwas mit Mysterien zu tun hätten: Kallimachos bedient sich lediglich der Assoziationen, die vage My­ sterienterminologie hervorruft, um die neuen Gedichte des Theaitetos konnotativ mit der Aura einer quasireligiösen Weihe zu versehen. Diese Deutung folgt der herkömmlichen Auffassung darin, die notorische καθαρή οδός als Dichtungsme­ tapher zu interpretieren. Dies läßt sich nur durch den Verweis auf den poetologischen Topos ‘Unsterblichkeit durch Dichtung’ des Schlußverses rechtfertigen (vgl. oben Anm. 135). Eine völlig andere Deutung des Epigramms, die auch von dieser allgemein akzeptierten Lösung noch abgeht, ergibt sich, wenn man diese Verhei­ ßung nicht poetologisch auffaßt, sondern sie für bare Münze nimmt. Diese Inter­ pretation soll unten (87f) verfochten werden. Ähnlich provokant wie die Kontamination von Dichtungs- mit Mysterienme­ taphorik wirkt das Übergleiten von poetologischem Bild zu erotischer Aussage in dem priameiartigen Epigramm 28 P (= 2.1041-1046 HE):139 έχϋαίρω τό ποίημα τό κυκλικόν (1) ist seiner Intention nach genauso eindeutig poetologisch,140 wie ming Ray: Blessed Afterlife in the Mysteries, ICS 18 (1 9 9 3 ) 1 4 7 -1 6 4 (am Beispiel helleni­ stisch-kaiserzeitlicher Isiskulte), besonders 149 mit Anmm. 7 - 9 . 138 K a m b y l is Dichterweihe 1 2 0 -1 2 1 deutet die beiden Wege als den des Wassers und den des Weines, womit er das Epigramm in den Kontext der Wein-Wasser-Antinomie einordnet (unten 130). Diese Interpretation ist gewaltsam, weil weder Wein noch Wasser hier genannt werden: καθαρός und κισσός verweisen nicht automatisch und nicht ausschließlich auf Was­ ser bzw. Wein. Derselbe Einwand trifft die Argumentation M ü l l e r s (Erysichthon 4 2 mit Anm. 140). 139 Zur Priamel vgl. schon DORNSEIFF Stil 97-102. Die Standarduntersuchung dieser Struktur (W. H. R a c e , The Classical Priamel from Homer to Boethius, Mnemosyne-Suppl. 7 4 , Leiden 1982) äußert sich nur ganz am Rande (109 Anm. 186) zu unserem Epigramm. 140 Κ υκλικός changiert wahrscheinlich bewußt zwischen den Bedeutungen ‘kurrent = abgegrif­ fen und zum epischen Kyklos gehörig’: Gewicht auf die erste Bedeutung legen LSJ s. v„ PUELMA Lucilius 120-21 Anm. 1 „vulgär, banal, abgegriffen“, „philologisches Wortspiel mit aktuell literarkritischer Pointe“; L. P. W il k in s o n , Callimachus, A P. xii 43, CIRev n. s. 17 (1967) 5 -6 votiert für die Bedeutung ‘commonplace’ (5) mit Verweis auf Pollian AP 11.130.1; N e w m a n New Poetry 4 8 -4 9 „tired old cliche“, F r a s e r Alexandria 1 756 Anm 297. Für die zweite votieren C a p o v il l a Cirene 173, G o w -P a g e ad L, B r in k Worship 548 Anm. 5 vorsichtig, H er te r Kallimachos 226, G a r r is o n Mild Frenzy 66, KOSTER Epostheonen 119, M a t t h e w s Anecdotes 47, H e n r ic h s Fastidious Priamel 211 „poetry in the tradition o f the epic cycle“, P er r in o Poetica 36, S c h w in g e Künstlichkeit 8-9, G el ze r Transforma­ tions 134, C a m e r o n Critics 5; D e V.CO Contemporanei 254 Anm. 8 nimmt bewußten Zenodot-Bezug an. Eine eindeutige Prävalenz führt auch H. J. B l u m e n t h a l , Callimachus Epigram 28, Numenius fr. 20, and the Meaning o f κυκλικός, ClQu 28 (1978) 125-27 nicht herbei, der mit „trite cyclic poem“ fur eine Kombination beider Möglichkeiten plädiert (127): In eine ähnliche Richtung weist die Untersuchung R. B. TODDs, The Title o f Cleomedes’ Treatise hilologus 129 (1985) 250-61, bes. 257f, der glaubt, daß die erste eine Verallgemeinerung der zweiten Bedeutung sei. Ähnlich kombinierend HOPKINSON Anthology 87: „well wom themes o f cyclic epic“. Naheliegenderweise fur bewußte Zweideutigkeit spricht sich jetzt KOENEN Ptolemaic King 85 Anm. 138 aus. Für WlMMELs Idee (Kallimachos 59 Anm. 1) hier spiele auch die Vorstellung einer „kreisenden Bewegung“, das „Im-Kreise-Gehen an sich als etwas Plattes, Unonginelles“ eine Rolle, spricht wenig. Dionysios von Halikamaß Comp.

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μισέω και περίφοιτον έρώμενον (4) eine eindeutig erotische Geschmackserklä­ rung bietet. Das Übergleiten von einem zum andern geschieht in einer ausgefuhrten Wegmetapher (ουδέ κελεύθω / χαίρω, τις πολλούς ώδε καί ώδε φέρει lf),141 die keine Determination ihres tenor gestattet: Er ist weder eindeutig erotisch noch eindeutig poetologisch. Danach läßt Kallimachos noch zwei doppeldeutige Aussagen folgen (3f: Quelle, abstrakte Zusammenfassung), bis er eindeutig zur erotischen Ebene zurückkehrt. Bis zur erlösenden Echo-Pointe wird der Leser der Alternative ausgeliefert, die erotischen Aussagen als poetologische Metaphern oder die literarischen Geschmackserklärungen als erotische Metaphern aufzufas­ sen.'42 Das perfekte Gleichgewicht von zwei eindeutigen und zwei metaphorischen Aussagen (Weg und Quelle: beide wiederum erotisch und literarisch interpretabel),143 das unmittelbar vor der Auflösung durch die allgemeinste aller Aussagen (σικχαίνω πάντα τά δημόσια) radikalisiert wird, muß von Kallimachos absicht­ lich konstruiert worden sein.144 Alle Interpretationen, die diesem Dilemma schon vor der Pointe seine Radikalität nehmen, sind also abzulehnen.'45 Der Reiz des Epigramms liegt offenbar gerade in dieser ausbalancierten Ambiguität, die demzu­ folge ausgehalten werden muß. Es fehlt auch nicht an Vorschlägen, allen vier Aus-

141 142 143 144

Verb. 17 (71.15 UR) bezeichnet ein anapästisches Metrum (F 1027e PMG) als κυκλικόν (v. /. κύκλον, κύκλιον, em. HERMANN). Zur Deutung dieses Begriffs vgl. L. E. Rossi, Metrica e Critica stilistica: 11 Termine ‘ciclico’ e 1’’Αγωγή ritmica, Studi di Metrica classica 2, Roma 1963: Offenbar handelt es sich hier um eine rein homonyme Verwendung. B e c k e r Weg 213 zieht zum Begriff κ έλ ευ ύ ο ς die Parallele des Aitienprologs heran, wohl in seiner Folge auch G o w -P a g e HE ad l. Gute Erklärung der Pointenstruktur jüngst bei KOENEN Ptolemaic King 87 und R ie d w e g Re­ flexe 140. B a r ig a z z i Amore 186 hält dagegen die ‘Straße’ für eine eindeutig poetologische, den ‘Brunnen’ für eine eindeutig erotische Metapher. S o jetzt auch B. M . PALUMBO STRACCA, L ’E co di C allim aco (E p. 2 8 P f.) e la T rad izion e dei V ersi ec h o ic i, S tudlt 3 a s. 6 (1 9 8 8 ) 2 1 6 - 2 2 1 , hier 2 1 6 .

145 GARRISON Mild Frenzy 41, 66 und BARIGAZZI Amore 186 lesen das ganze Epigramm eindeu­ tig erotisch. Seit jeher neigt man dazu, es ausschließlich literarkritisch zu verstehen: Vgl. z. B. HEINSIUS (1629) bei BENEDETTO Sogno 147 Anm. 188 und DlLTHEY Cydippa 5, der kurzer­ hand die beiden letzten Verse athetierte (womit auch GOW-PAGE noch liebäugeln), und C essi Αίτια 100. SCHWINGE Künstlichkeit 6 Anm. 10 votiert mit KRAFFT Echo-Epigramm für bild­ lich eindeutige Erotik, nimmt aber dann mit 5 -6 eine radikale Umkehr der Priamel an (8-9): „Denn der Inhalt der Schlußaussage [...] ist natürlich spielerische Fiktion, während die erste Aussage, die er als Dichter macht, Realitätsbezug hat.“ So liest SCHWINGE das gesamte Epi­ gramm doch literarkritisch: „wirkungsvolle Explikation einer poetologischen Verlautbarung“. Allerdings kann Lysanias genauso real oder auch das Eposverdikt genauso fiktiv sein. HENRICHS Fastidious Priamel 210 weist richtig daraufhin, daß Wegmetapher, Quellmetapher und exhaipco-Aussage auf engstem Raum in den Theognidea begegnen (599, 959-962, 5 7 9 81: wenig erhellend dazu ARNOULD Eau chez Homere 21), die damit als Prätext feststehen. Trotzdem sind Weg und Wasser häufiger dichtungsmetaphorisch belegt als erotisch. THOMAS N ew Comedy 182-184 führt den dunklen Ausdruck περίφοιτος έρώ μενος auf die Komödie zurück und interpretiert auch ihn literarkritisch als Zurückweisung der topischen Komödie (doch vgl. Theognidea 581 έχΟαίρω δε γυναίκα περίδρομον). HURST Contrepoints 153-154 legte jüngst wieder eine rein literarische Interpretation des umstrittenen Epigramms vor, in­ dem er den Echo-Effekt der letzten beiden Verse auf die unschöpferische Nachahmung der Kykliker bezieht.

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sagen den gleichen Wert zuzugestehen.146 Dann wäre hier alles eindeutig, nichts Metapher, allerdings fehlte auch jede Pointe: Denn die breite Straße unmetapho­ risch um ihrer Breite willen und das Wasser des öffentlichen Brunnens unmeta­ phorisch nur deshalb abzulehnen, weil es öffentlich zugänglich ist, erscheint doch etwas überspannt. Wen im Publikum sollte es übrigens interessieren, daß Kallimachos nicht aus der Wasserleitung trinken mag? Poetologie und Erotisches dage­ gen sind Gegenstände öffentlichen Interesses, diese Themen wird das Epigramm behandelt haben. Richard Hunter hat vorgeschlagen, die in der Tat auffälligen Pa­ rallelen zu Theognis (vgl. Gow-Page ad l. und hier Anm. 145) intertextuell zu deuten: Er versteht den Sinn des Epigramms als „ironic joke about his rejection of triteness in verses which are themselves ‘trite’“.147 Hier käme es auf den schwer zu führenden Nachweis an, daß Theognis oder wörtliche Theognisanspielungen wirk­ lich als ‘trite’ empfunden wurden (wörtliche Allusionen auf archaische Texte mit intertextuellen Intentionen sind ja als „arte allusiva“ eher geschätzt worden). Na­ türlich würde eine solche Interpretation diesem Epigramm all die grimmige Pole­ mik entziehen, die man immer in ihm gesehen hat, und daher letztlich auch den Sinn seiner Äußerung, der sich biographisch gibt. Es wäre in der Tat nur als Scherz denkbar. Festzuhalten bleibt, daß nach Abschluß des Epigramms der Rezipient überrascht die Beispiel- wenn nicht Bildfunktion der poetologischen Aussage des ersten Verses erkennt. Es wird hier offenbar der Bereich zum vehicle, der gewöhn­ lich bei Kallimachos den tenor bildet. Eine der interessantesten Wegmetaphem des Kallimachos findet sich im letz­ ten Vers der Aitia. Kallimachos hat dort die in der Chorlyrik verbreitete struktur­ gebende Funktion der Wegmetapher in (zu seiner Zeit wieder) origineller Weise genutzt, um von άζη Aitia zu den Iamboi überzuleiten. Nach einem Abschiedsgruß an Zeus und der Bitte um dessen künftige Schirmherrschaft für den οίκον άνάκτων weist er kontrastierend sich selbst eine andere Zukunft zu (F 112.9 P): αύτάρ έγώ Μουσέων πεζόν [ε]πειμι νομόν. Ich dagegen will der fußgängerischen Musen Weide beschreiten.148 Daß er mit dieser „Musenfußgängerweide“149 nicht die Πίνακες oder sonstige Pro­ saschriftstellerei, sondern die Iamboi meint, legt die Rezeption der Formulierung 146 Die kernige Paraphrase von WlLAMOWITZ: „Kyklisches gedieht, breite heerstraße, gassenhure,

wasserleitungswasser, alles, was jedem zu geböte steht, mag ich nicht.“, versteht offenbar das Epigramm insgesamt als elitäres Manifest (Homerische Untersuchungen, Philologische Unter­ suchungen 7 , Berlin 1884, 3 5 5 Anm. 3 6 ). Dieser Auffassung schließt sich K r a f f t EchoEpigramm 2 1 - 2 2 an, der ebenfalls die Ablehnung von vier gleichberechtigten Größen an­ nimmt. H e n r ic h s Fastidious Priamel 2 1 2 glaubt ebenfalls an ein „personal credo“ des Kalli­ machos. Gegen diese Richtung dezidiert B a r ig a z z i Amore 186 (allerdings mit unzureichen­ den Gründen). 147 Briefliche Mitteilung vom 6.3.1994. 148 In den Musarum pedestria pascua darf man, wie PFEIFFER ad l. vermutet, mit einer Enallage rechnen, so daß seine Übersetzung als Musarum pedestrium pascua den Sinn trifft. 149 Der Vorschlag S. G. KAPSOMENOS’ (Zum Papyrus der Δ ιηγήοεις zu Gedichten des Kalli­ machos, Byzantinisch-neugriechische Jahrbücher 16 [1939/40] 1-32, hier 28 -3 0 ), νόμ ον zu lesen, hat sich nicht durchgesetzt.

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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nahe (vgl. Pfeiffer ad 7.).150 Es handelt sich also nicht um einen Hinweis auf die biographische, sondern auf die bibliographische Chronologie, d. h. schlicht die Werksreihenfolge.151 Die Deutung dieses Bildes als eines Vermerkes, der eine spätere Ausgabe strukturierte, hat sich heute weithin durchgesetzt.152 Aus dieser Auffassung ergibt sich, daß diese Ausgabe mindestens Aitia und Iamboi, vielleicht 150 Forschungsüberblick bei FRASER Alexandria 2.1006 Anm. 12, HERTER Kallimachos 207-8, CLAYMAN Iambi & Aitia 2 7 7 f Anm. 3. 151 C l a y m a n Iambi & Aitia 285 versucht wenig überzeugend, anhand der Motivparallelen ein biographisches Nacheinander von Aitia und Iamboi zu beweisen. 152 Die klassische Formulierung in der Edition PFEIFFERS 2.xxxvi-vii, xxxix Anm. 8, xl; HERTER Kallimachos 208. Die bisherigen Hypothesen über den Aufbau der Aitien faßt PARSONS Vic­ toria Berenices 49—50 übersichtlich zusammen: Alle drei von ihm aufgeführten Theorien (PFEIFFER, E ic h g r ü n , P a r s o n s ) rechnen mit einer Überarbeitung oder Zusammenstellung der uns vorliegenden vier Bücher Aitia im Alter aus einem alten Block (Aitia 1 und 2) und ei­ nem neuen (Aitia 3 und 4), mit der Hinzufügung von Pro- und Epilog (ähnlich auch DAWSON Iambi 145f). Das relative Datum der Epiloghinzufügung oder -Überarbeitung nach PFEIFFER bzw. PARSONS wird neuerdings von KNOX Epilogue 1 59f (erste Edition) und Epilogue 11 17578 (nach CAMERON: ein späterer Herausgeber, der bereits mit der Form des Kodex rechnet) modifiziert. Das wichtigste Argument für diese Dichotomie der Aitia bildet das Musenge­ spräch, das offenbar nur in den Büchern eins und zwei die Einzelaitia verbindet (die phanta­ sievolle These von L. MALTEN bzw. WlLAMOWITZ [dazu SwiDEREK Structure 234 Anm. 18, ZETZEL Opening 31, B a r jg a z z i Simposio 22-25], nach denen in den Aitien einem Sympo­ sium mit den Musen ein sterbliches korrespondiere, wird durch PARSONS’ Rekonstruktion der Victoria Berenices leider falsifiziert: Dort verbinden sich mehrere Aitien ohne jedes Bin­ dungsgespräch), und die Rahmung des Blocks Aitia 3 und 4 durch die Berenike-Aitien. Dazu vgl. auch H a r d e r Some Thoughts 2 8 -3 0 (ähnliche Rahmung für Aitia 1 und 2 mit Aitienprolog und F 253 SH vermutet), H a r d e r Muses 9 Anm. 28 und den präzisen Überblick über die Diskussion nach PARSONS bei FÜHRER Epinikien 6 3 f mit Anmm. 216-18, KOENEN Ptolemaic King 91 f (dazu kommen neuerdings die Modifikationen von K n o x Epilogue 1 60 mit Anm. 4, 64; KREVANS Editor 149-153 [nachträgliche Einfügung der Berenike-Aitia in Aitia 3 und 4]; E. LlVREA, P. Oxy. 2463: Lycophron and Callimachus, [ClQu 39 (1989) 141-147; zitiert nach: Studia Hellenistica. Papyrologica Florentina 21, Firenze 1991, 197-205], hier 205 und HOLLIS Composition 468—471 (nachträglicher Umbau des Molorchos-Berenike-Komplexes) das Problem des Musengesprächs bleibt aber auch bei HOLLIS’ komplizierten Annahmen be­ stehen. HOLLIS’ Thesen sind durch L iv r e a s Arbeit (wie oben) ohnehin falsifiziert, ln diesen Arbeitsschritt gehört unsere Überleitung zu den Iamboi. Man hat also mit der Möglichkeit ei­ ner Gesamtedition mindestens von Aitia und Iamboi zu rechnen (zu weiteren möglichen Ver­ bindungen von Aitienprolog und Iamboi vgl. unten 166). Über das Ziel hinaus schießt PlIELMA Lucilius 324, der meint, Aitia und Iamboi hätten von Anfang an ein Buch gebildet, dessen programmatischen Rahmen Aitienprolog und 13. lambos bildeten. Allerdings erklärt sich die Überleitung als nachträgliche Einfügung leichter als die Annahme eines von Anfang an konzeptionell so heterogenen Gedichtbuches, zumal die Iamboi auch in sich eine gewisse Symmetrie aufweisen: DAWSON Iambi 144, DEPEW Ίαμβείον 325, CLAYMAN Iambi 48—9, 54, 81, der davon ausgeht, daß die Iamboi die Parodie der Aitia seien (LEHNUS Regno 96 zustim­ mend, CAMERON Genre & Style 308 dagegen). Unabhängig von der Frage nach der Chronologie der Überarbeitungen und entsprechenden konkurrierenden Reihungsprinzipien ist die Frage nach dem inneren Aufbau der einzelnen Aifien-Bücher recht selten gestellt worden: Vgl. immerhin W. EHLERS, Die Gründung von Zankle in den Aitia des Kallimachos, [Diss.] Berlin 1933, 31 („Oberstes Kompositionsprinzip ist die Kompositionslosigkeit, die als Stilmittel gewertet sein will.“) und SwiDEREK Structure 230-233 („analogies psychologiques“ 233).

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2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

sogar die ‘opera omnia1des Kallimachos (wohl ohne Epigramme)153 vereinigte und von ihm selbst noch besorgt wurde. Das futurische επειμι meint daher wohl die rezipierende Zukunft des Lesers, nicht die produzierende des Kallimachos,154 der seine Jamben wahrscheinlich lange vorher geschrieben hatte. Funktional betrachtet bietet diese Metapher also eine zeitgemäße Umwandlung der chorlyrischen Struk­ turmarkierung durch Wegmetaphorik in ein Orientierungsinstrument für ein „bookish age“.155 Vielleicht sollte der Leser damit sogar in einer Rollenfolge ori­ entiert werden.156 Das archaische Instrument der metaphorischen Strukturanzeige eines erzählerischen, gedichtimmanenten Zusammenhangs157 wird hier zu einer Überleitung von einem Werk zum nächsten in einer heterogenen Gedichtsamm­ lung, wobei diese Überleitung keinen Bezug mehr zu den Inhalten der beteiligten Gedichte aufweist.158 In der Absichtserklärung, „die Weide der Musen zu Fuß be­ gehen zu wollen“159, hat Kallimachos eine bis Terentianus Maurus und Prudentius wirksame Metapher geprägt,160 deren Bauweise Beachtung verdient: Im Kern han­ delt es sich um die soziale Komponente der Wagenmetapher161 (vgl. oben 36f), deren komplementärer Aspekt (‘zu Fuß’) in literarischen Kontexten Dürftigkeit, Armut, insgesamt Defektivität bedeuten kann.162 Diese Defektivität kann vermut 153 Die e lf Kolumnen der Diegeseis (spätes 2. Jh. AD) geben Inhaltsangaben von Aitia 3 (ab F 67 P) und 4, den 13 Iamboi, den vier Μέλη, der Hekale, des ersten und des zweiten Hymnus (Abbruch etwa bei H2.73 [so PFEIFFER] oder 91). CAMERON Critics 2 f bestreitet jetzt die Möglichkeit einer späteren Gesamtausgabe mit dem Hinweis auf den Rollencharakter der Ein­ zelschritten: Doch da Kallimachos mit Pro- und Epilog der Aitia ja offenbar bereits einen rollenübergreifenden Zusammenhang schafft, ist nicht recht einzusehen, warum mit Hilfe unse­ res Verses nicht auch die Iamboi an die Aitia geknüpft worden sein könnten. 154 Als Hinweis auf die produzierende Zukunft des Kallimachos ist der Verweis bisher meist verstanden worden: Vgl. die vorhergehende Anm., dazu jüngst D e p e w Ίαμ βεΐον 3 2 7 . Auch B a r ig a z z i Chiusa 105 versteht den Verweis rein lesetechnisch. 155 Der Ausdruck nach der englischen Ausgabe von PFEIFFER Klassische Philologie (Oxford 1968, 102 u. ö.). Vgl. ZÄNKER Realism 113, BING Well-read Muse 2 2 f, W e b e r Dichtung & höfische Gesellschaft 158 Anm. 1. 156 Für Parallelen vgl. ΚΟΕΝΕΝ Ptolemaic King 91 Anm. 156. Jedenfalls kann man die bibliogra­

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phische Strukturanzeige nicht mit dem Hinweis auf Einzelrollen unmöglich machen, wie KNOX Epilogue 1 5 9 f und Epilogue II 1 7 5 -7 8 es versucht. Vgl. oben unsere Ausführungen Uber Pindars Wegmetaphorik und unten (73) über das ver­ wandt klingende Xenophanes-Fragment 21 B 7.1 DK (= F 7 1EG). Der Zusammenhang, den KREVANS Editor 197 zu den Schlüssen der homerischen Hymnen herstellt, führt für Kalli­ machos nicht weiter (vgl. auch KREVANS Invocation 21). Zu Parallelen vgl. SICKLE Poetic Book 14. HERTER Kallimachos 207. Terentianus Maurus Metr. 2232 GLK, Prudentius Epil. 12 CUNNINGHAM. SlCKLEs interessanter Versuch, den Vers als „topographical metaphor“ zu deuten (Poetic Book 14: die ‘niedrig = am Bergfuß gelegene’ Musenweide im Gegensatz zum ‘Gipfel’ des Helikon in F 2), trifft wohl kaum das Richtige, weil mit dem Verzicht auf π εζός = ‘prosaisch’ der Hinweis auf den jambischen Charakter des folgenden Opus wegfällt. Treffend nennt THRAEDE Prudentius 53 π εζό ς eine „Gegen-Metapher“. Bei Sophokles ist π εζό ν [seil, μέλος] ein Lied ohne Musikbegleitung (F 16 TGF: π εζά καί φορμικτά), ähnlich Aristoteles F Ti R o s e . Vgl. auch das bei WlLAMOWlTZ Hellenistische Dichtung 1.210 aus MEINEKE zitierte Adespoton 228: παϋσαι μελω ιδοϋσ’ ά λλα πεζήι μοι φράσον. Diesen Ge­ gensatz möchte DAWSON Iambi 148 auch zwischen Iamboi und Aitia erkennen. Schärfer ge-

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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lieh schon im Hellenismus als ‘Prosa’ ausgelegt werden.163 Wie dem Fußgänger im wertenden Vergleich mit dem Wagenfahrer etwas fehlt, nämlich dessen Wagen, so fehlen der Prosa im Vergleich mit der Dichtung deren Vers und Rhythmus. Unter Berücksichtigung sowohl des bekannten Konzepts, daß das ίαμβεϊον μάλιστα λεκτικόν sei und damit der Prosa am nächsten stehe,164 wie der geringeren Stilhö­ he jambischer Dichtung, die Kallimachos sozial verbildlicht,165 und drittens schließlich der hochgestochenen Weidemetapher166 schafft er ein neuartiges Bild, das die unterschiedlichsten Traditionen verbindet, aber nur auf seine Iamboi paßt. Daß dabei in einer resümierenden Antithese zu den Iamboi den Aitia im Rück­ blick167 das Gepräge einer Wagenfahrt mit all den dem πεζός νομός entgegenge­

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wendet kann ποίησις ψιλή (Platon Phaidr. 278 C 2), ψιλομετρία (Aristoteles Poet. 2.1448 a 11) „ohne musikalische Begleitung“ meinen. Hier ist soziale Defektivität nicht nur als ‘ohne W agen’ (= nicht der Oberschicht zugehörig) sondern sogar als ‘nackt’ (= arm) gefaßt. Vgl. z. B. Platon Soph. 237 A 4 -7 (über Parmenides) πεζή [...] καί μετά μέτρων, Demetrios Eloc. 167 (über Sappho) έν π εζο ΐς όνόμασι μάλλον ή έν ποιητικοΐς, Philodem Rhet. 4.15a. 19; 1.197 SUDHAUS, Dionysios v. Halikamaß Comp. Verb. 6.42; 6.29.16—18 UR und 4.25-26; 6 .18.4-6 UR, POxy 724.10 (Stenographenkontrakt) εκ παντός λόγου πεζοΰ, Ps.Plutarch De Homero 2.64.672-676 KINDSTRAND ού μόνον ποιηταί άλλα καί πεζώ ν λόγω ν συνθέται. A u f das Phänomen weisen hin E. NORDEN, Die antike Kunstprosa [...] bis in die Zeit der Renaissance, 2 Bde., 91983 Stuttgart, 1.33 Anm. 3, THRAEDE Prudentius 55 Anmm. 126—136 (mit vielen Belegen), D u r a n t e Epea pteroenta 258-59 mit weiterem Material, der π εζό ς allerdings nicht als soziale, sondern als Wegmetapher deutet. Genauso unzutreffend ist die Rückführung des Bildes bei HOOK (Terminology 25) allein auf den militärischen Unter­ schied zwischen Fußsoldat und Reiter. Interessante Parallelen in späterer Rhetorik und Dis­ kussion der „ίππο-componimenti“ bei TURASIEWICZ Denominazioni 13. Im Zusammenhang mit Pindar Pae. 7b vgl. RUTHERFORD Birth o f Apollo 67. Unklar bleibt, ob das PindarFragment F 206 SM (diskutiert oben 33 Anm. 50), das ihn zu Fuß neben einem Wagen herlau­ fend zeigt, in unseren Zusammenhang gehört: Immerhin zeigt Lukian in seinen Bemerkungen über poetische Schlachtbeschreibungen in Geschichtswerken in Hist. Conscr. 45 große Ähn­ lichkeit zum Bild des Pindarfragmentes: άμεινον ούν έφ ’ 'ίππου όχουμένη τότε τή γνώμη τήν έρμηνείαν π εζή συμπαραθεΐν, έχο μ ένη ν τοΰ έφιππίου ώς μή άπολείποιτο τής φοράς: Die sprachliche Gestalt läuft neben dem Gedanken her, der ‘hochtrabend’ ist, also fährt, und muß sich am Wagen festhalten, um überhaupt mitzukommen. Aristoteles Poet. 4.1449 a25-28. BARJGAZZI Chiusa 106 glaubt, daß das gesamte Konzept speziell durch Theophrast verbreitet wurde, doch ist es bald Allgemeingut: Vgl. z. B. Ps.Skymnos 1.1 9 6 f.l-1 0 , 33-35 GGM, der seine Wahl des jambischen Metrums damit begrün­ det, daß man darin am besten διαλεγήναι βρα χέα könne (7). Ausgerechnet der καλλιμαχομάστιξ COBET bedient sich in seiner Kritik kallimacheischer Sprache eines sehr ähnlichen Bildes (Callimachea 390, über H3.66): „[...] si quis de celso affectatae epicae dictionis curru descendere velit et άνθρωπίνως δια λέγεσθαι [...].“ Vgl. Pindar Ol. 9.26, F 6b (1)3 SM, F 52m.5 SM (Bewirtschaftung des Musengartens, Mu­ senblumenpflücken). Zum vegetativen Metaphemkomplex bei Pindar finden sich kurze Be­ merkungen bei M c C r a c k e n Plants 345, S t e in e r Crown 28-29, 37, S t o n e m a n Ploughing 129. Zutreffend TAILLARDAT Images 436 §747f (zu Aristophanes Ran. 1300 λειμώνα Μ ουσών): „Ces metaphores sont banales dans la poesie lyrique.“ Dazu ebf. KOMORNICKA Remarques 272-73: Originalitätsbestrebungen zeigen Abgegriffenheit. Vgl. auch die giganti­ sche Amplifikation des Motivs durch Meleager Ep. 1.3926ff HE. Vor dem Hintergrund der Korrespondenz zwischen Aitienprolog und -epilog kann POHLENZ’ These (Antwort 64) von der abgesetzten Elegie des Prologs nicht richtig sein. Ebenso liegt in

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setzten Assoziationen stillschweigend168 zugewiesen wird,169 verweist den Leser wie in einer Ringkomposition, deren Ringschluß aber ihm selbst überlassen bleibt, auf den Aitienprolog und das Straßenve/z/c/e der Apollonparainese zurück.170 So laufen am Ende der Aitia wie an ihrem Anfang letztlich dieselben Prozesse der Sympathielenkung ab. Wenn man unterstellen darf, daß die peripatetische Auffassung des jambischen Metrums als prosanah dem Bild des Kallimachos zugrundeliegt und mit der her­ kömmlichen hochpoetischen Wagenfahrt verbunden wurde, so findet man bei Plutarch denselben Vorgang wieder: In der Ablehnung der Bezeichnung ‘ποίημα’ für Lehrgedichte (επη) wie die des Empedokles, Parmenides, Nikander und die γνωμολογίαι des Theognis noch deutlicher vom Peripatos angeregt,171 behauptet er, deren Werke seien eigentlich Prosa (λόγοι), die sich die dichterische Erhaben­ heit und das Versmaß von der Dichtung geborgt hätten wie einen Wagen, um nicht zu Fuß gehen zu müssen (Aud. Poet. 2.16 C): λόγοι είσί κεχρημένοι παρά ποιητικής ώσπερ όχημα τον ό'γκον καί τό μέτρον, ΐνα τό πεζόν διαφύγωσιν. Die Treffsicherheit der Metapher beruht dabei ganz auf τό πεζόν, das sowohl als Bestandteil des vehicle (Vermeidung des beschwerlichen Gehens) wie auch des tenor (Vermeidung der schmucklosen Prosa) Bedeutung trägt. Der Struktur nach handelt es sich also um eine Metapher komplizierterer Art, da tenor und vehicle zwei Auffassungen desselben Begriffs bilden, ja sogar das vehicle ursprünglich eine Metapher des tenor ist. Insofern diese Konstruktion ein Bewußtsein ihrer Metaphorizität voraussetzt, könnte man das Phänomen vielleicht als ‘Meta­ metapher bezeichnen. Das Bild Plutarchs dürfte übrigens kaum von Kallimachos abhängig sein. Seine Konstitution allerdings bedingen dieselben Vorstellungen. Am Ende unserer Besprechung der kallimacheischen Wegmetapher steht der Telchinenprolog zu den Aitia, der die umfangreichste und komplexeste Wegmetapher in den erhaltenen Werken des Kallimachos aufweist. Sie steht im Zusammenhang mit einer bunten Reihe poetologischer Metaphern, die sich ganz anderer vehicles bedienen und deren Unvereinbarkeit an die oben (46ff) besprochenen Proömienverse des Choirilos erinnert. Die eigentümliche Rezeptionssituation, die diese Metaphemkaskade hervorruft, ist oben bereits angedeutet worden (22ff). Unsere Wegmetapher wird aber von Kallimachos eigens herausgehoben, indem er sie Apollon selbst in den Mund legt. Der Schutzpatron der Dichter kleidet seinen erdieser Korrespondenz zwischen F 1 und 112 P ein starkes Argument gegen die Skepsis von M a a s und V o g l ia n o (vgl. oben 11 Anm. 3).

168 Wenn P u e l m a Interpretationen II 199-201 mit Anm. 25 mit der Ergänzung des Verses F 112.4 P als Wegmetapher Recht hätte, würde der Rückblick explizit. 169 Dieser Gegensatz verbietet die Interpretation CESSIs (Αίτια 103f), unseren Musenfußweg für den in der Apollonparainese des Prologs empfohlenen zu halten. 170 Ähnliches beobachtet LlVREA Somnium 49 mit Anm. 6 an F 112. Pace MEILLIER Invective et Songe 40 läßt sich wohl in παρ’ ΐχνιο ν ο ξ έ ο ς 'ίππου (F 2.1 Ρ) keine Anspielung auf die ετερω ν ίχνια (F 1.26 P) erkennen. 171 Vgl. Aristoteles Poet. 1.1447 b l7 -2 0 (doch vgl. F 70 Rose und Meteor. II 3.357 a24ff).

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sten Ratschlag in ein organologisches Bild (F 1.23f P), um dann seinen kurzen, aber eindringlichen Appell mit einer äußerst plastischen Weg- und Wagenmeta­ pher zu schließen (25-29): προς δέ σε] και τόδ’ άνωγα, τά μή πατέουσιν άμαξαι τά στείβειν, έτέρωνι'χνια μή καθ’ όμά δίφρον έλ]άν μηδ’ οίμον άνά πλατύν, άλλα κελεύϋους άτρίπτο]υς, εί καί στεινοτέρην ελάσεις. (Zusätzlich aber) trage ich dir noch dies auf: Was Wagen nicht befahren, das be­ schreite, (steuere deinen Wagen) nicht auf den Spuren von anderen und nicht auf einer breiten Straße, sondern auf (unbetretenen?) Pfaden, magst du auch einen steileren Weg fahren. Drei Bildelemente fallen ins Auge: Erstens die Polarität zweier Wege, deren meta­ phorische „dingliche Konkretion“ (Becker) der Unvereinbarkeit ihrer poetologischen Äquivalente entspricht.172 In diesem Zusammenhang kehren wir zunächst noch einmal zu Pindar zurück, um seinen Paian 7b mit den vorliegenden Aitienversen zu vergleichen (2.3.1). Verkehrstechnisch paradox empfiehlt weiter den bisher unbefahrenen Weg gerade diese Unbefahrenheit. Darauf legt Apollon den größten Wert, wie die Redundanz seiner dreimaligen Wiederholung (τά μή στείβειν έτέρων - πλατύν άλλά - άτρίπτους) beweist. Hier bietet sich die Ge­ legenheit, den Zusammenhang der kallimacheischen Wegmetapher mit den Wegund Wagenvehicles der Vorsokratiker und religiösen Wegvorstellungen zu unter­ suchen (2.3.2). Drittens wird von Apollon die Enge, d. h. Unbequemlichkeit, des unbefahrenen Weges (στεινοτέρην) reflektierend in Kauf genommen und gerade172 Dieselben konkreten Elemente zeichnen die heutige Wegmetapher immer noch aus, wobei die Motivtradition allerdings im Dunkeln bleibt (deutsch schon bei Heinrich von Meissen Frauenlob, zitiert bei O b e r m a ie r Nachtigallen und Handwerker 325 Anm. 156 „si han gevam den smalen stig bi künsterichen strazen“): Vgl. z. B. E. ROHDE, Afterphilologie [...]. Sendschrei­ ben eines Philologen an Richard Wagner, Leipzig 1872 (zitiert nach K. GRÜNDER, Der Streit um Nietzsches „Geburt der Tragödie“ [...], Hildesheim 1969, 71): „[...] den Hagel von Citaten, an der ausgefahrenen Landstrasse der gewöhnlichsten Hülfsbücher aufgelesen [...].“; W il a m o w it z Hellenistische Dichtung 1.94 „[...] Xenophon [...], der doch nur betretene Wege geht [...]“ und ebd. 1.178 „Homer selbst mit seinen Nachtretern in einen Topf zu werfen [...]“; LESKY Literatur 939: „[...] bleibt Lukian auf der breiten Straße des allgemein Bekannten P. STOTZ, Dichten als Schulfach - Aspekte mittelalterlicher Schuldichtung, Mittella­ teinisches Jahrbuch 16 (1981) 1-16, 4: „Zwar bewegt sich Ekkehard in diesen drei Schularbei­ ten auf gebahnten Pfaden [...].“ Implizite Polarität, Originalität und Bequemlichkeit verbinden ebenso wie die Wertung der polaren Wege diese und ähnliche Zeugnisse mit dem Aitienprolog. Bezeichnenderweise hat die Wegmetapher heute offenbar ihren angestammten Platz in polemischer Prosa. Aus moderner Dichtung ist mir einzig R. FROST, The Road not taken 1820 (ed. E. C. Lathem, New York u. a. 1969, 105) bekannt (eher lebenswegmetaphorisch), wenigstens aus fiktionaler Literatur nur JOYCE Ulysses (wie oben 50 Anm. 115) 160 mit cha­ rakteristischer Umwertung: „The leaning o f sophists towards the bypaths o f apocrypha is a constant quantity [...]. The highroads are dreary but they lead to the town.“ Der interessante Fall, daß das Lebenswegwahlmotiv mit dem des Dichtungsweges kombiniert wird, führt bei Ch. F. HUNOLD (1718) dazu, daß die Dichtung (als Sinnbild der vita contemplativa) mit dem breiten Weg assoziiert wird: Vgl. dazu HARMS (wie unten 95 Anm. 314) 95, 197f.

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zu parainetisch hervorgehoben, was uns zu einer kurzen Untersuchung des Motivs der Lebenswege führen soll (2.3.3). Obwohl wahrscheinlich die Wegvorstellungen religiöser und moralischer Provenienz eine gemeinsame Quelle haben, dürfen hier doch der Deutlichkeit halber beide Themenkomplexe getrennt behandelt werden, weil aus der Sicht des Kallimachos die Bezugstexte ganz andere sind: Ihm selbst und seinen Rezipienten dürfte der Zusammenhang der beiden letzteren Bereiche nicht mehr deutlich gewesen sein. 2.3.1 Die Polarität zweier Wege: Pindars Paian 7b und Kallimachos Seiner materiellen Konkretion nach ist das vehicle der kallimacheischen Meta­ pher173 in seiner Gegensätzlichkeit der Wege einerseits durch die Opposition von οίμος und κέλευθος gekennzeichnet, dann, sofern Hunts exempli-gratiaKonjektur δίφρον έλ]αν zutrifft, durch zwei unterschiedliche Wagentypen (αμαξα und δίφρος), schließlich durch die inhaltlichen Nuancen von πατεΐν, στείβειν und τρίβειν. Κέλευθος ist ursprünglich die Fahrstraße, οίμος dagegen der schmale Gehweg.174 In einer Antithese zu αμαξιτός (seil, οδός: der ‘Wagenstraße’) begeg­ net οίμος bzw. οίμος auch in einer Passage Pindars (Pyth. 4.247f), die in ihrer Terminologie für ‘alexandrinisch’ erklärt wurde.175 Man übersah, daß die beiden Ausdrücke, die Kallimachos verwendet, in seinem Kontext der herkömmlichen Begrifflichkeit widersprechen: Sein οίμος ist die große, befahrene Straße, ist πλατύς, κέλευθος dagegen der unbegangene, steile Pfad, eben ατριπτος. Beide Ausdrücke sind ein Oxymoron, geradezu eine contradictio in adiecto: Sobald ein Pfad, ein οίμος, breit wird und von vielen benutzt (έτέρων ιχνια), hört er auf, ‘Pfad’ zu sein, und wird κέλευθος. Analog kann eine un-, d. h. noch nie benutzte Fahrstraße nie Straße sein, strenggenommen nicht einmal Weg.176 Die Erklärung dieses eigenartigen Phänomens kann nicht kallimacheische Unkenntnis der ur­ sprünglichen Begriffsinhalte sein,177 sondern muß in einer Verfremdungsabsicht 173 Vgl. SNELL Entdeckung 219 ff (über die Ausformungen der Wegmetapher): „Neue Prägnanz erhält das Bild, wenn man nicht nur Ankunft und Ziel im Auge hat, sondern den ganzen Weg, der mit bestimmter Absicht betreten und durchschritten wird. [...] Bei Kallimachos wird nun sogar das Materielle des Weges deutlich in Frage gestellt.“ Das wurde es allerdings bei Pindar auch schon (oben 33f). 174 Zur Semantik der beiden Begriffe äußert sich BECKER Weg 7-14, 36-37 mit zahlreichen Be­ legen. Vgl. oben 26 Anm. 2 1 ,3 4 Anm. 52. 175 So N e w m a n New Poetry 47 und genauso N e w m a n Pindar & Callimachus 180, der den Pro­ log der Aitia aber letztlich einfach nur mit Pindars Pyth. 4 kommentiert und beide Texte wechselseitig interpretiert. Die Antithese zweier Wegbegriffe begegnet neben Pindars Paian 1b proprie auch bei Aristophanes Αν. 2 1f (wie Anm. 177), so daß von ‘alexandrinisch’ gar keine Rede sein kann. 176 Diese letzte λεπ το λο γία findet sich bei WlMMEL Kallimachos 110. "Ατριπτος erscheint hier also als eine Übertreibung des Gottes: Angebracht ist es eher in Kontexten wie Theokrit Eid. 13.6 4 f (Herakles bricht auf der Suche nach Hylas durch unwegsame Disteln: έν άτρίπτοισιν άκάνθαις [ ...] / δεδόνητο). 177 Zumindest dürfte der semantische Unterschied von οδός und ατραπός geläufig gewesen sein: Vgl. Aristophanes Αν. 21f, Antipatros Thess. Ep. 38.28H GPh und Apostolios 12 34 Leutsch .

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der Tradition, vielleicht sogar Pindars vierter Pythie, gegenüber liegen, die ja die für Kallimachos vielleicht nicht mehr scharf getrennten Begriffe178 scharf getrennt verwendete.179 Die Funktion dieser Verfremdung ist allerdings nicht ersichtlich. Um so überraschender begegnet sie in F 178.11 ff P ganz ähnlich bei der Unter­ scheidung von κισσύβιον und άλεισον wieder, wo Kallimachos die Denotationen ‘großes Gefäß' und ‘kleines’ vertauscht.180 Zum Problem zweier konträrer Wagen­ typen181 ist zu sagen, daß άμαξα natürlich άμαξιτός evoziert, eben jene Wegbe­ zeichnung, die schon bei Pindar deutlich pejorativ klingen konnte (oben 31 Anm. 44). Im Gegensatz zu diesem Lastwagen ist δίφρος aber nicht prägnant ein leichter Rennwagen, wie man hier vielleicht erwarten könnte, sondern das Allerweltswort für Wagen.182 Ein deutlicher Gegensatz scheint nicht intendiert. Das Supplement ποσσί περ]άν (Maas bei Pfeiffer ad l.) scheidet aus, weil Vers 28 (έλάσεις) be­ weist, daß Kallimachos fahren soll. Die oben favorisierte Interpretation der Meta­ pher πεζός νομός zeigt, wie verfehlt es wäre, wenn Apollon seinen späteren Jün­ ger Kallimachos hier dazu ermunterte, zu Fuß zu gehen: Kallimachos soll hohe Dichtung schreiben, also muß er metaphorisch ‘fahren’. Bemerkenswert ist schließlich die deutlich herabsetzende Kennzeichnung des abgewehrten Weges durch πατεΐν und τρίβειν (indirekt durch άτριπτος). Die Vermutung drängt sich auf, daß Kallimachos durch πατεΐν, στείβειν, τρίβειν die mit kräftigeren Asso­ ziationen beladenen Wegworte πάτος, στίβος, τρίβος verbalisiert.183 178 Die Formulierung bei Ps.-Theokrit Eid. 25.15 5 f λα οφ όρου δ’ έπέβησαν [...] κ ελ εύ θ ο υ / λεπ τή ν [...] τρίβον [...] έξανύσαντες scheint das nahezulegen (die Rede ist von Herakles und Phyleus, die von den Wirtschaftsgebäuden des Augeiashofes in die Stadt gehen): Der Dichter braucht jew eils ein strenggenommen redundantes Attribut, um die Aspekte der Wegworte zu umreißen. 179 Die Verblassungshypothese findet sich bei BECKER Weg 213, der allerdings die unwahr­ scheinliche zweimalige Denotationsvertauschung nicht erklären könnte (die er ohnehin nicht konstatiert). KAMBYLIS Dichterweihe 81 Anm. 4 versucht, κ έλ ευ θ ο ς als sozusagen amphi­ bisch ambiguen Begriff zu erklären, der zur von ihm postulierten Wassermetaphorik im zweiten Prologteil habe überleiten können. Ich halte das für unwahrscheinlich, weil die See­ fahrtsmetapher (oben 45 Anm. 99), innerhalb derer κ έλευ θ ο ς tatsächlich begegnet, mit der Trinkmetaphorik (vgl. unten 248 Anm. 27) nichts zu tun hat. Übrigens begegnet der erste Hinweis auf Wasser erst einundzwanzig (erhaltene!) Verse später: υδα[ F 2.4 P. Die Überlei­ tung, an die KAMBYLIS denkt, wäre also mißglückt. McLENNANs Hypothese (ad H l.78; S. 116), daß οίμος gewählt wurde, um auf die οιμος-Kenning anzuspielen und so einen assozia­ tiven Hintergrund für die poetologische Ebene zu schaffen, hat den einzigen Nachteil, daß damit noch nicht die zweite, die κ έ λ ε υ θ ο ς -Katachrese erklärt ist. 180 RENGAKOS Kallimachos 29. 181 D as P roblem w ird a u fg ew o rfen von WIMMEL K allim ach os 107.

182 Vgl. HENDERSON Chariot & Dolphin 150 mit Anm. 11 und HUXLEY Choirilos 16. 183 Zu deren Konnotationen vgl. BECKER Weg 37-38. KULLMANN Zenon 159 korrigiert B ec k ers Darstellungen zu Recht: Π άτος heißt in der archaischen Dichtung, sicher noch bei Parmeni­ des und wahrscheinlich sogar noch bei Platon, nicht ‘Getrampeltes’ (= Weg, Trampelpfad), sondern ‘Getrampel’ (= Menschenmasse, Gewühl etc.), so auch noch Erykios AP 7.377.5-6 (sehr deutlich abwertend), mag es auch etymologisch ‘W eg’ bedeuten: Zur Etymologie vgl. A. KUHN, Pfad, πάτος, π όντος, pons, pontifex, KZ 4 (1855) 73-77. Für das Verb π ατεΐν bei Kallimachos allerdings muß man wohl die Verblassung der zweiten aufgeführten zur ersten Bedeutung postulieren: Wagen trampeln ja nicht, sie fahren einen Weg aus, der dadurch aus-

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2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

Ein Fragment Pindars hat in neuerer Zeit184 Bedeutung speziell für die Diskus­ sion des Aitienprologs gewonnen, Paian 7b (F 52h. 10-14 SM): κελαδήσαθ’ ϋμνους, 'Ομήρου [δέ μή τρψττόν κατ’ αμαξιτόν ίόντες, ά[λλ’ άλ]λοτρίαις άν’ ϊπποις, έπεί αυ[ π]τανόν αρμα Μοισα[ ]μεν Laßt Gesänge tönen, (aber nicht) auf der (ausgefahrenen) Straße Homers gehend, sondern (auf anderen) Pferden, denn ... (Flügel-?)Wagen ... Musen ... Die Ergänzungen stammen von Lobei (τρι-, άλ-) bzw. Snell (δέ μή, -λλ’).185 Ihre Plausibilität wird unten diskutiert. Im Rahmen unserer bisher gewonnenen Kate­ gorien gewinnen wir die Bestätigung der Pejorativität von αμαξιτός. Die Polarität zweier Wege ist offenbar impliziert, indem zuerst die Art des Weges, dann dage­ gen die der Fortbewegung beschrieben zu werden scheint: eine ähnliche Mischung der Bildelemente, wie wir sie auch im Aitienprolog finden. Allerdings stehen wir hier vor dem Problem, Pindar einen Gegensatz zwischen Gehen (Ιόντες) und Fahren (vgl. Pyth. 11.39 [oben 32, 34 Anm. 52]) und damit einen leichten Wider­ spruch zu αμαξιτός unterstellen zu müssen. Den Jubel der Καλλίμαχου στρατιώται über diese Pindarworte hat indessen nicht die typologische Ähnlichkeit und die Stütze der Konjektur Pfeiffers im Kallimachostext (όίτριπτος) erregt, sondern eine rein inhaltliche Parallele: die vermeintlich klare Polemik gegen Homer,186 also gefahren wird. Verwendungen von πάτος wie in Apollonios Argon. 4.1248 legen überhaupt eine Bedeutungsänderung zu ‘W eg’ in späterer Zeit nahe: So scheint auch Lukian das Wort zu verwenden (Hist, conscr. 44: εξω πάτου όνόμασι versus τοΐς άγοραίοις), so äußert sich auch Σ Lond. 28 P zu unserer Stelle. 184 PFEIFFER weist erst in seinen Addenda 1.499 (1949) auf die Stelle hin, wo der Text als Kon­ jektur L o b e l s in der Gestalt τρι]πτον (11) erscheint, ohne Akzent: „Das scheint zu bedeuten, dass Lobei damals an ein Compositum dachte,“ (M a e h l e r brieflich), wenn es sich nicht um einen Druckfehler handelt. Bei L o b e l Callimachea 33 dagegen findet sich noch keine Spur dieser Konjektur: Die Vermutung drängt sich auf, daß sie in der Auseinandersetzung mit Pfeiffer und in der Diskussion um dessen Kallimachostext entstanden ist. 185 Pace SNELL-MAEHLER ad /., die - λ λ ’ ebenfalls L o b e l zuweisen. Vgl. M . C a n n a t A F e r a , La nuova Edizione Teubneriana dei Frammenti Pindarici, Giomale ltaliano di Filologia 43 (1991) 151-160, hier 152. 186 WlLAMOWITZ Pindaros 328 vermutete, es handele sich um verschiedene Traditionen der Ent­ stehung von Delos. Die heute allgemein akzeptierte Erklärung hat M. TREU Rez B o w r a Pindar, Gymnasium 74 (1967) 149-153, hier 151 gegeben: Pindars Polemik richte sich gegen den pseudohomerischen Apollonhymnus. Dafür spreche die Polemik gegen die τυφλαί φ ρένες (18-20), die sich auf den blinden Dichter des Apollonhymnus beziehe. Doch vgl Nem. 7.23-24: τυφ λός sei das Herz der Menschen. Der Begriff der ‘Blindheit’ kann also all­ gemein morahsch-epistemologisch verwendet werden. T r e u s Identifikationsversuch ist mit­ hin nicht zwingend. Dort auch noch einmal eine schöne Wegmetapher (19-20: οστις ά ν ε υ θ ’ Ελικωνιαδων / βαθεΐαν ε ..[..]. ων έρευνα σοφίας οδόν). Warum dieser Weg βαθεΐα sei erklärt PERON Images 296-297 („une | simple idöe de profondeur“) überzeugend, mit Material dazu T h o m a s Entwicklung der Metapher 28. Anders BECKER Weg 144 zu Heraklits βαθύς λο γ ο ς 22 B 45 DK. Im Sinne PERONs, doch von diesem nicht berücksichtigt, entscheidet das Problem Eupolis F 366 PCG (dazu das Material von K a s s e l /A u s t IN). RUTHERFORD Birth o f

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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Epik schlechthin, und das damit verbundene Votum für einen eigenen Dichtungs­ weg Pindars, der demgemäß nur ‘lyrisch’ sein könne. Nach der landläufigen Mei­ nung haben wir also nicht nur das formale, sondern auch das inhaltliche Vorbild der recusatio im Aitienprolog vor uns.187 Gegen diese communis opinio muß die Suggestivität des von Snell-Maehler abgedruckten Textes in Frage gestellt werden.188 Zunächst zum überlieferten Text: Lobei hat POxy 841 F 17 als Anfang der in POxy 841 F 16 erhaltenen Versenden und als identisch mit dem lückenhaften Anfang derselben Verse in POxy 2442 F 14b erkannt.189 Zu den Konjekturen Lobeis und Snells: Lobeis Lesung -πτόν ist zwar paläographisch plausibel,190 seine Vervollständigung τρι- aber ist es meines Erachtens nicht. Auf die Gefahr hin, Bekanntes zu wiederholen: ’Αμαξιτός ist, wie adjektivische Substantivierungen zu οδός es erwarten lassen, immer feminin,191 τριπτός als Verbal adjektiv immer dreiendig.192 Gefordert ist dagegen ein zweien-

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Apollo 67 Anm. 13 vermutet als Hintergrund der Polemik Pindars abweichende Auffassungen von der Geburtsgeschichte Apollons. Diese Auffassung beherrscht die Kallimachos- und die Pindarliteratur der letzten Jahrzehnte: Vgl. z. B. B. SNELL, Poetry and Society. The Role o f Poetry in Ancient Greece, Bloomington (Indiana) 1961, 56-57: „[...] Callimachus borrows from Pindar almost literally [...]“, BERNARDINI Programma 88 (glossiert Pyth. 4 mit Paian 7b), PERON Images 25, CLAYMAN Origins 28, RICHARDSON Pindar & Criticism 393, N e w m a n Pindar & Callimachus 182 (mit neuen Textvorschlägen, die sachlich allerdings nichts ändern), COLACE Reliquiae 25, B ing Well-read Muse 104, H u t c h in s o n Poetry 81 Anm. 108, R u t h e r f o r d Birth o f Apollo 67, HOPKINSON Anthology 89, HARDER Untrodden Paths 290: „[...] the claim o f originality in fr. 1, 2 5 ff is strongly reminiscent o f the passage in Pind. Pa. 7b. 1Off where the contrast with Homer ist explicit; therefore the same contrast is likely to be implicit in our passage.“ Ebenso jüngst F ü h r e r Epinikien 18 „eigentliche Quelle“, P a r s o n s Identities 169, Κ ο ε ν ε ν Ptolemaic King 85. Als einzige skeptische Position ist mir SIMPSON Chariot & Bow 439 Anm. 4 bekannt (allgemeiner Hinweis auf die vollkommen andere Textgestalt bei TURYN - der eben POxy 841 nicht verwendet). KLEIN Counter-Genre 219: „[...] the lyric poets did not set themselves up as antagonists o f epic.“ ist nicht implizit skeptisch, sondern hat unser Fragment schlicht überse­ hen. B. P. GRENFELL, a . S. H u n t (edd.), The Oxyrhynchus Papyri, Part five, London 1908; E. L o b e l (ed.), The Oxyrhynchus Papyri, Part 26, London 1961. Meines Erachtens ist der Papyrus schräg abgeblättert: Vom Π steht nur noch der rechte obere Winkel, ein anderer Buchstabe kommt nach dem Faksimile kaum in Frage. H. M a e h l e r da­ gegen denkt gar nicht an Π, sondern an „P oder vielleicht O“ (Brief vom 15.11.93). Vgl. BECKER Weg 35, SCHWYZER (wie folgende Anm.) 1.457, 2.34 mit Anm. 3. Mit feminin dekliniertem Adjektiv oder Pronomen: HHomDem. 177, Theognidea 599, Empedokles 31 B 133.2-3 DK, Sophokles OT 716, Euripides Rhes. 283, Herodot 7.176.2, Xenophon Hell. 2.4.10, Apollonios Argon. 3.874, Theokrit Eid. 2.76. Den meines Wissens einzigen maskuli­ nen Beleg dagegen liefern die Nikanderscholien zu Ther. 258cl: έν τοις άμαξιτοις (ein Druckfehler?). Diese grammatische Klippe hatte LOBEL in PFEIFFERS Addenda noch vermieden (sein akzent­ loses τ ρ φ ιτ ο ν konnte man ja als zweiten Teil eines Kompositums interpretieren). Noch B e n e d e t t o Paean passim erkennt das Problem nicht, das M a e h l e r als solches (oben Anm. 184) akzeptiert hat. Auch E. SCHWYZER, Griechische Grammatik, München 1939, der 1.502 bemerkt, daß gelegentlich unkomponierte Verbaladjektiva zweiendig begegnen, bietet kaum einen gangbaren Ausweg: Denn obwohl es gelegentlich Ausnahmen zu geben scheint (κλυτός

2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

diges Adjektiv, d. h. wohl ein Kompositum.193 Ohnehin wäre dem Verbaladjektiv τρίπτός in dieser Zeit das Partizip τετριμμένος weit vorzuziehen:194 Dementspre­ chend begegnet das Simplex τρίπτός erst relativ spät und ausschließlich proprie in medizinischen Texten.195 Akzeptiert man aber die Forderung nach einem Kompo­ situm, sind der rekonstruierenden Divination kaum noch Grenzen gesetzt.196 Auf­

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verbunden mit einem weiblichen Namen: B 742, ε 422; auf ähnliches scheint G. BONA [ed. comm.], Pindaro. I Peani, ο. O. 1988, 166 sich zu stützen), gilt generell: „ln der ältesten Zeit und noch später herrscht das komponierte Verbaladjektiv vor.“ Dieses Mengenverhältnis er­ klärt eine von W. KÄSTNER, Die griechischen Adjektive zweier Endungen auf -ος, Heidelberg 1967, referierte These M eil let s , nach der das Indogermanische ursprünglich vielleicht nur das komponierte Verbaladjektiv gekannt habe. KÄSTNER ist außerdem in der Lage, die weni­ gen Fälle unmovierter, also zweiendiger, Simplicia entweder durch Analogiebildung zu den jeweiligen unmovierten Komposita, Gegenteilen bzw. Synonymen oder Verlust des adjektivi­ schen Charakters zu erklären (45-52). Diese Begründungsmöglichkeiten für den seltenen Fall irregulärer Motionslosigkeit greifen für unser τρι]πτον allesamt nicht. Von den 113 Komposita auf -τος bei Pindar werden nur sieben dreiendig verwendet (άμέτρητος, άμφίρυτος, άπρίατος, δαιτικλυτός {Ol. 8.52 coni. B e r g k ), νεόκ τιστος, όνομάκλυτος, π ολύκ λειτος), bei dreien begegnet Zwei- und Dreiendigkeit (άφυκτος, θεόδμα τος, ναυσίκλυτος). Das einzige zweiendige Simplex bei Pindar ist δυνατός (Nem. 2.13 f d Σαλαμίς δυνατός), wo K ä s t n e r s Erklärung als Analogieverwendung zu αδύνατός überzeugt ([wie Anm. 192] 50). Vgl. SCHWYZER (wie Anm. 192). Die Belege bei Pindar bestätigen das: Nach meiner Zählung (auf der Basis von S la t e r s Pindarlexikon) begegnen 142 Verbaladjektive a u f-τος bei Pindar (nicht aufgenommen F 52i [A] a3 = Paian 8a(a).3), davon sind nur 27 Simplicia (άγαπατός, α’ι νητός, γναμπτός, γνωτός, διδακτός, έρατός, θαη τός, θαυμαστός, θ ετό ς, ΐατός, ίμερτός, κλειτός, κλυτός, κριτός, κρυπτός, ξεστός, όνυμαστός, πιστός, π λεκ τός, ποιητός, ραπτός, ρητός, τρη τός, ύμνητός, θατός, φορητός, χυτός (ohne die nicht mehr als Verba­ ladjektive empfundenen δυνατός und θνατός). Die Junktur οδός τετριμμένη begegnet in Philodem Rhet. F 8 col. 25.14 f (1.260 SUDHAUS), ατραπός τετριμμένη in Aristophanes Ran. 123. Vgl. z. B. Corpus Hippocraticum Vict. 2 (6 .5 3 8 .8 LlTTRE), Morb. mul. 1 ( 8 . 1 0 2 .3 f LlTTRE), Aetios Iatr. 5 .1 2 9 (CMG 8.2, 1 0 4 .2 6 O liv ie r i ), Galen Alim. fac. 1.12 (6 .5 1 0 .3 KÜHN) u. ö., überall dreiendig. Wenn Ο, Π oder P mit M a e h l e r (oben Anm. 184) als mögliche Interpretationen des Buch­ staben vor T in Frage kommen, ergeben sich als denkbare, d. h. bei Pindar selbst oder ihm kulturell und zeitlich nicht allzu fern stehenden Autoren bezeugte, Ergänzungen (nach BUCKPETERSEN) Komposita von -δοτος (θ εό δ οτος Pindar Isth. 5.23), -βροτος (άμβροτος Homer, θελξίμ β ρ ο το ς Bakchylides Epin. 5.175, τερψ ίμβροτος Homer), -κροτος (πάγκροτος Aischylos Suppl. 723, δίκροτος [Euripides IT 408] schlägt M a e h l e r vor, ίππόκ ροτος [οδός Pindar Pyth. 5.92, Euripides Hipp. 229, Hel. 207], π ολύκ ρ οτος HHomPan 37), -ραπτος (πολύρραπτος Ps.-Theokrit Eid. 25.265), -β λεπ τος (π ερ ίβλεπτος Euripides Andr. 89, HF 508), -πρεπτος (πάμπρεπτος Aischylos Ag. 117, θ εό π ρ επ το ς Pers. 905 v. /.), -στρεπ τός (εϋστρεπτος Homer), -σεπτός (περίσεπτος Aischylos Eum. 1038), -τριπτος (ατριπτος Homer, πολύτριπτος [Oppian Hal. 3.502; von M a e h l e r und B e n e d e t t o Paean 166 unab­ hängig voneinander erwogen], -γναμπτός (πολύγναμπτος Pindar Ol. 3.27), -μεμπτός (ά­ μεμπτος Aischylos Pers. 692, Supp. 629, Euripides ΙΑ 1158), -καθαρτος (ακάθαρτος So­ phokles ΟΤ 256) und -ορτος (θ έο ρ το ς Aischylos Prom. 765, Pindar Ol. 2.36). Es fiele bei einiger Phantasie nicht schwer, sich für jede dieser Ergänzungen einen passenden Sinn zu­ sammenzureimen. Ich halte Π für wahrscheinlich: Doch auch dann ist je nach interpretatorischer Vorgabe inhaltlich alles offen: Pindar kann Homer als Vorbild oder wenigstens als Sän­ gergröße anerkennen oder als abgeschmackt ablehnen.

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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grand des ruinösen Texterhaltungszustands kann mit metrischen Strukturen leider nicht argumentiert werden. Vielfältige andere Ergänzungsmöglichkeiten ergeben sich weiterhin, wenn man die von Snell konjizierte Negation und damit die gesam­ te Struktur „nicht - sondern“ anzweifelt.197 Diese aber war gerade der des Aitienprologs so ähnlich. Homer muß also nicht abgelehnt werden. Angesichts dieser Schwierigkeiten kann Paian 7b nur innerhalb der anderen pindarischen Wegmetaphem und im Rahmen einer lyrischen, selbstreferentiellen Topik als Vorbild für den Aitienprolog gewertet werden, dessen durch Pfeiffer rekonstruierte Fügung κ ελ εύ ϋ ο υ ς/ άτρίπτο]νς (F 1.27f P) ihre Plausibilität allerdings behält:198 Die Zu­ versicht der herrschenden Meinung, die in Pindars Paian ein direktes (und nicht selten sogar ausschließliches) Vorbild für die Wegmetapher des Aitienprologs vermutet, ist dagegen unberechtigt. Wollte man den Ikonoklasmus auf die Spitze treiben, könnte man sich sogar fragen, ob nicht die gesamte Rekonstruktion des Pindarfragments auf einem Zirkelschluß beruht: Ermutigt von den signifikanten Parallelen zwischen dem Aitienprolog und der Weg- und Wagenmetaphorik Pin­ dars und der (inzwischen überholten: vgl. unten 197f) These, Kallimachos greife in diesen Versen Homer an, konstruierte man während der Arbeit an einer Kallimachos-Ausgabe (!) das Vorbild, das paßgenau zum Aitienprolog stimmte.199 Trotz der intertextuellen Bezüge, die sich erschließen ließen (Apollon bedient sich einer Terminologie, die einem Paian entstammt, der auf seine eigene Geburtsstätte ver­ faßt ist und gleichzeitig auf den homerischen Hymnus Bezug nimmt, der wiederum ihm gilt: Er würde also, salopp gesagt, ‘Pressestimmen’ zitieren), bleibt eine ge­ sunde Skepsis angebracht.200 Dasselbe gilt für den Vorschlag Richard Hunters (vgl. 197 Diese ist aufgrund der von SNELL vorausgesetzten, unmöglichen Bedeutung άλλότριος:

„anderen“ (nicht Homers, sondern) „meinen eigenen“ schon oft angezweifelt worden: Pindar kann nicht gut eine Straße ablehnen und dann die Fortführung auf fremden Pferden empfeh­ len. Man liest jetzt in 12 meist μ[ήτ’ άλ]λοτρίαις: Solche und ähnliche Vorschläge bei N e w m a n Pindar & Callimachus 182, RUTHERFORD Birth o f Apollo 6 6 Anm. 4 , KOENEN bei B in g C ows 2 Anm. 5 (vgl. Well-read Muse 104 Anm. 2 6 ) und KAPPEL Paian 9 9 Anm. 4 0 , BENEDETTO Paean 1 6 4 -6 7 , vgl. KOENEN Ptolemaic King 85 mit Anm. 139. M a e h l e r (brieflich) schlägt vor, die Negation vor Vers zehn anzunehmen, um Platz für ein längeres Kompositum zu gewinnen. Die Differenzen zwischen der metrischen Interpretation S n e l l MAEHLERs, die mit einem Fragezeichen versehen ist, und derjenigen BENEDETTOS Paean 170 zeigen allein, daß hier metrisch vieles offen bleibt. 198 Vgl. für eine redensartliche Verbindung ‘κ έ λ ε υ θ ο ς α τ ρ ιπ τ ο ς ’ o. ä. außer dem bei PFEIFFER zitierten Material Philon von Alexandria Leg. alleg. 2 .9 8 .4 ; Agric. 104.2; Dionysios von Halikamaß Thuk. 9 ( 5 .3 3 6 .9 - 1 2 UR); Aelian VH 12.64; Ps.-Lukian Asinus 16 M a c L e o d ; Gregor von Nazianz Carmina de se ipso c. 6 8 .1 6 , PG MlGNE 3 7 .1 4 1 0 ; Apollinaris Metaphr. Psalm. 16.9 LUDWICH; einen Brief des Patriarchen Akakios (Acta Conciliorum oecumenicorum III ed. E. SCHWARTZ, Berlin 1940; hier 19.23); Eustathios ad Y 4 9 6 (4 .4 4 2 .4 VAN DER F a l k ). Möglicherweise ist Kallimachos zum Ausgangspunkt dieses Ausdrucks geworden. 199 D aß LOBEL erst zu m K a llim a ch o stex t die Pindarkonjektur geäußert hat (ob en 66 A nm . 184), legt die P ublikation in den PFEIFFERschen Addenda nahe. D er a llg em ein en V erbreitung d ieses P indartextes (im G e g e n sa tz zu dem BOWRAs und TURYNs) wäre es dann zu zu sch reib en , daß die verm ein tlich e w ö rtlich e k a llim a ch eisch e A b h ä n g ig k eit von d iesem Pindarfragm ent in der F orschung im m er neu durch leu ch tet wurde.

200 WIMMEL Kallimachos 109 „Die κ έλ ευ θ ο ς ατριπτος scheint vor Kallimachos nicht wörtlich aufzutreten.“ gilt substantiell also immer noch. Die dogmatische Sicherheit BENEDETTOS hin-

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2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

oben 58 Anm. 147), der hier genauso wie im Falle des Epigramms 28 P einen ,joke“ annimmt:201 Um abgegriffene Dichtungsgenera zurückzuweisen, bediene sich Kallimachos eines abgegriffenen Textes. Hier noch eher als im Falle der Theognidea ist die Einschätzung des intertextuell vorauszusetzenden Bezugstexts als ‘abgegriffen’ bedenklich. Anders als im Fall des Epigramms, einer Gattung, bei der man auf Scherze gefaßt sein darf, fallt es hier schwer, Apollon einen Witz ma­ chen zu lassen, der seine Anweisung ihrer Autorität ja gänzlich berauben müßte. Wenn die Textgestaltung Snell-Maehlers das Richtige träfe, müßte man im Sinne der oben dargelegten Wegmetaphem bei Pindar und Bakchylides nach strukturel­ len Implikationen dieser Metaphorik fahnden: Bislang hat man hier nur nach sach­ lichen Abweichungen vom homerischen Deloshymnus gesucht.202 Nach unserem knappen Überblick über die Ausprägungsformen der Wegmetapher zunächst noch ein kurzes Wort zur Frage, was Kallimachos in den Versen 25-28 des Aitienprologs mit dem Bild von den zwei gegensätzlichen Wegen und seinen Bildbestandteilen eigentlich gemeint habe. Nach unserer Terminologie zielt diese Frage auf den tenor der Wegvehicles, dessen Untersuchung ja nicht das Hauptge­ wicht unserer Überlegungen einnimmt (vgl. oben 16f). Je origineller oder elaborierter eine Metapher ist, je weniger lexikalisiert, desto weniger ist prima facie klar, was sie meint. Ein Autor, der sich für solche noch nicht lexikalisierten Meta­ phern entscheidet, vermeidet damit die Verwendung einer Terminologie, deren Bedeutung allgemein gesichert ist. Die Metaphern des Aitienprologs sind aber nichts weniger als lexikalisiert, soweit die Überlieferung einen zutreffenden Ein­ druck von der Metaphemtradition bis in den frühen Hellenismus vermittelt: Kalli­ machos nimmt demnach offensichtlich die Unklarheit der Bedeutung des Gesagten in Kauf, auf begriffliche Eindeutigkeit scheint es ihm nicht angekommen zu sein. Im Mittelpunkt seines Interesses steht dagegen wohl die starke Wirkung eines ex­ pressiven Bildes auf den Rezipienten. Im vorliegenden Fall ist von vornherein klar, daß einer der beiden Wege die Werke des Kallimachos meint, die im Augenblick der Lektüre dem Leser des Aitienprologs vorliegen. Ebenso klar ist es, welcher der beiden Wege: natürlich der von Apollon gewiesene und entsprechend höherwer­ tige. Solange diese Zuweisung eindeutig bleibt und mit ihr die entsprechende Sympathielenkung, spielt es eine untergeordnete Rolle, ob die abgelehnte Metaphemgruppe auf Epik, Elegie, Prosa oder was immer zielt. Kallimachos legte dar­ auf offenbar kein Gewicht, vielleicht wollte er auch die Polemik so umfassend wie möglich halten. Dieses Prinzip gilt, das sei hier bereits angemerkt, ebenso für den zweiten metaphorischen Gegensatz der Apollonparainese (dickes Opfer versus dünne Muse, dazu unten 156ff) und alle Antithesen des Aitienprologs überhaupt, dessen Einheitlichkeit trotz der vielen verschiedenen vehicles durch stets dieselbe Struktur gewahrt bleibt: Sicher ist immer, daß der positiv konnotierte Teil sich auf Kallimachos eigene Werke bezieht, stets ist klar, daß andere abgelehnt werden. sichtlich der kallimacheischen Pindarrezeption (Paean 174-75: „Che Callimaco presupponga il paeana 7b [...] | [...] e certo“) ist unangebracht. 201 Vgl. auch R. L. HUNTER, Jason and the Golden Fleece, Oxford 1993, xvii Anm. 19. 2 0 2 RUTHERFORD Birth o f Apollo 7 0 listet diese (meist hypothetischen) Unterschiede auf.

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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Unklar dagegen bleibt überall, welche Werke oder Gattungen diese anderen ei­ gentlich sind. Dieses Verhältnis von Klarheit und Unschärfe mit seinen Implika­ tionen für die Sympathie des Rezipienten dürfte in der Absicht des Kallimachos gelegen haben, weil er andernfalls doch einen Fingerzeig auf die Identität des tenor der abgelehnten Metaphemgruppe hätte geben können. Daher kann die Frage nach den genauen tenors des unscharfen Teils der jeweiligen metaphorischen Antithesen nicht beantwortet werden. Ähnliches gilt für die Metaphern, die sich auf Kalli­ machos selbst beziehen: Abgesehen von dem evidenten und in diesem Zusammen­ hang entscheidenden Faktum, daß der Dichter dort seine eigenen Werke meint, steht etwa von vornherein keineswegs fest, welches tertium comparationis Kalli­ machos zwischen seinem Werk und den κελεύθους άτριπτους genau gesehen haben könnte. Entsprechend aporetisch steht die Forschung vor dem Problem, was die ‘unbegangene Straße’ denn meine: Hier ist man meist ad libitum vorgegangen, nach der Vorstellung, die man sich von dem Charakteristikum der kallimacheischen Dichtung jeweils machte.203 Sicher kann man dem Text nicht ent­ nehmen, daß es Kallimachos hier programmatisch um produktionsästhetisch defi­ nierte Dichtung geht.204 Ein direkter Bezug zum berühmten F 612 P άμάρτυρον ούδέν άείδω läßt sich nicht erkennen, zumal auch der Sinn dieser drei Worte kei­ neswegs feststeht.205 Wie wir unten sehen werden, bedeutet es eine harsche Ver­ kürzung, aufgrund struktureller oder lexikalischer Parallelen innerhalb der Wegme­ taphorik Kallimachos nur einen einzigen Prätext zuzuerkennen, um ihn dann als Pindaricus oder Hesiodicus (dazu unten 99f, 243f) aufzufassen.206 Wahrscheinlich

203 Vergleichbares läßt sich in den verschiedenen Versuchen beobachten, der Metapher λεπ τός bzw. λ επ τ α λ έο ς bei Kallimachos einen bestimmten tenor zuzuordnen (vgl. unten 188). 204 S o etwa SCHWINGE Künstlichkeit 20ff, dessen Verständnis der hellenistischen Dichtung („Künstlichkeit von Kunst“: Produktionsästhetik einerseits als Bruch mit der Tradition, ande­ rerseits als politische Verweigerung) für Kallimachos problematisch erscheint: Produktions­ ästhetik ist nichts spezifisch Hellenistisches, wie die lange Tradition von poetologischer Handwerksmetaphorik lehrt (z. B. ausgeprägt schon bei Pindar und in der Alten Komödie). Die Wegmetapher selbst sagt aber nichts über Produktionsästhetik aus, sondern ist selbst eine traditionelle Form, die ihr Äquivalent in der dem Weg analogen narrativen Kontinuität einer Dichtung (oder der akustischen eines Vortrags) findet. Die berechtigte Frage nach der politi­ schen Funktion der kallimacheischen Dichtung fuhrt hier aber leider zu weit: Vgl. zum gesam­ ten Komplex umsichtig und erschöpfend WEBER Dichtung & höfische Gesellschaft. 205 WlMMEL Kallimachos 109: „Daß gerade bei Kallimachos zwischen dem gewählten, seltenen und dem unbegangenen Weg, von dem er ja auch nie spricht, zu unterscheiden ist, sagt sein Grundsatz, nichts Unbezeugtes zu singen.“ Abgesehen von dem Problem, ein desituiertes, derartig kurzes Fragment in seiner Bedeutung zu erschließen, ist es unmöglich, Metaphern, deren genauer tenor unbekannt ist, werkimmanent zu erklären. Außerdem heißt ατριπτος in unserem Zusammenhang — mit leichtem Widerspruch — ja eben ‘unbegangen’. Zur Deu­ tungstradition von F 612 P und deren Problematik vgl. z. B. SWIDEREK Tradition populaire 50 und jetzt D. MEYER, „Nichts Unbezeugtes singe ich“: Die fiktive Darstellung der Wissenstradierung bei Kallimachos, in: KULLMANN/ALTHOFF (wie oben 37 Anm. 65), 317-36. Immer­ hin spricht der Kontext dafür, daß Kallimachos hier selbst in beglaubigendem Zusammenhang redet (Σ GGM 2.428 b4, dazu MILLER Aetiological Elegy 376 mit Anm. 24). 206 Wozu REINSCH-WERNER Callimachus Hesiodicus passim bzw. FÜHRER Epinikien passim neigen.

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2 ‘Weg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

ist allein die elementare Erkenntnis, daß es hier um Originalität geht,207 und zwar um die des Inhalts,208 wie der sicher etwas Neues anreihende Einsatz Apollons (25 και τόδ ανωγα: „Und dazu noch ordne ich an!“) beweist: Die organologische Antithese der Verse 23f, die metaphorisch Μοϋσα λεπταλέη und θύος πάχιστον einander gegenüberstellt, bezieht sich nämlich im Unterschied zur vorangegange­ nen Wegmetapher209 auf einen unterminologisch-stilistischen tenor, wie später ge­ zeigt werden soll. Diesen Befund bestätigt die metaphorische Tradition: Bei Pin­ dar, Bakchylides und den Vorsokratikern meint die Wegmetapher ausnahmslos den Inhalt der Dichtung, wobei auch eine nicht episch-kontinuierliche Behandlung (vgl. Pyth. 4) noch als abweichende Inhaltsfülle, also immer noch in der Kategorie des Inhaltlichen, interpretiert wird.210 2.3.2 Die religiöse Ebene: Heilswege „Die Modernen reden so entsetzlich viel von Orphikern.“2"

Bislang so gut wie unbeachtet geblieben sind die religiösen Untertöne der kallimacheischen Wegmetapher. Allein aufgrund der bei Pfeiffer im Apparat zu Vers F 1.25ff P nachgewiesenen Zitate im Zusammenhang pythagoreischer Akusmata 207 SWIDEREK Tradition populaire 49 (vgl. zur konkreten Technik auch 58), WlMMEL Kallimachos 102^4, HERTER Kallimachos 196, FERGUSON Callimachus 34, abwertend GREEN Alexander 180 „not originality so much as the rare and exotic“, stark verallgemeinernd BARIGAZZI Amore 193, jüngst sehr pathetisch F a b ia n Literaturgeschichte 316. Vgl. die voll­ kommene Parallele bei Artemidor Oneirokr. 4.63: ίστορίαι ξέναι καί crrourroi (über Stoffe des Lykophron, des Parthenios und anderer ‘Alexandriner’). Eine gewisse Antinomie liegt in der Traditionalität des Anspruchs selbst: D o d d s Gorgias 290, HUTCHINSON Poetry 81 Anm. 108, H a r d e r Untrodden Paths 288. Zur Geschichte des Topos vgl. außer den behandelten Stellen etwa: Bakchylides Dith. 19.8-9; Pherekrates F 84 PCG; Aristophanes Nub 545-48' Timotheos F 791.202-3, 211 f, F 796 PMG; carm. popul. 5, 851.b3 PMG; F adesp. 917c.3f PMG: άρτι βρύουσαν ά ο ιδ ά ν / πρω τοπαγεϊ σοφία διαποίκιλον έκφ έρομεν, Simias Οί 3 (= ΑΡ 15.27); Boiskos F 233.1 SH; Philikos F 677 SH . Das Streben nach inhaltlicher Originalität ist also keine spezifisch hellenistische Normvorstellung, auch keine, die auf Dichtung be­ schränkt wäre: Vgl. z. B. Aristophanes Ran. 1299f, Isokrates Sophist. (13) 12-13. A uf die Frage nach der Entwicklung gewisser Normvorstellungen, die meist als typisch hellenistisch eingeschätzt werden, kann hier leider nicht näher eingegangen werden. Kurze Bemerkungen dazu finden sich bei H e a t h Unity 30-31. 2 0 8 SWIDEREK Tradition populaire 4 9 f faßt das kallimacheische Originalitätsstreben zu einseitig

als Rekurs nur auf Prosaquellen auf. 209 LOHSE Aitienprolog 28 verkennt die Verse F 1.25-29 P als Erläuterung der vorangegangenen, weshalb seine Folgerungen für die Bedeutung von λεπ τό ς gezwungen wirken. Offenbar überliest er den deutlichen Neueinsatz Apollons, der dessen kurze Rede deutlich in zwei Teile gliedert. Ähnlich mißdeutet KLEIN Counter-Genre 222 die beiden Passagen durch Konflation und gegenseitige Erklärung, so daß sich ihm die widrige Gleichung ,,λεπ τότη ς = aetiology“ ergibt. Vollkommen unangebracht ist die Behauptung C o s t a n z a s (Proemio dei Cynegetica 482ff), vor Kallimachos habe die Metapher des steilen Weges die poetische Form, nicht aber den Inhalt bezeichnet, wie aus unseren Darlegungen z. B. zu Pindar und Bakchylides bereits hervorgegangen ist. 210 Für Paian 7b richtig RUTHERFORD Birth o f Apollo 67 Anm. 12. 211 U. v. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF, Glaube der Hellenen, Bd. 2 , Berlin 1932, 199.

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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dachten bislang nur wenige und diese immer nur beiläufig in diese Richtung.212 Im folgenden sollen dieser Aspekt und seine Funktion stärker herausgearbeitet wer­ den. Wie oben (64) angedeutet, müssen diese religiösen Anklänge vielleicht im Zusammenhang mit den moralischen Implikationen des Weg vehicle hesiodeischer Prägung gesehen werden. Diese beiden Bereiche sind hier nur der Deutlichkeit halber voneinander gesondert und aufgrund der Vermutung, Kallimachos habe die entsprechenden Anregungen aus unterschiedlichen Textgattungen bzw. Richtungen erfahren (vgl. unten 98). Die religiösen Aspekte der Wegmetapher finden Parallelen bei Parmenides, dessen Proömialmetapher hier kurz im Zusammenhang anderer vorsokratischer Wegbilder besprochen sei. Die introduktive Funktion der Wegmetapher, die sie später im epischen Proömium Fuß fassen ließ, bleibt auch in der Übertragung auf neue Genera erhalten. Vielleicht schon vor Pindar, aber ganz in dessen Manier, leitet Xenophanes mit diesem Bild zur Polemik gegen Pythagoras über: vüv αύτ’ άλλον επειμι. λόγον, δείξω δε κέλευθον (21 Β 7.1 DK).213 Diese Metaphorik hat dabei offensichtlich die Funktion, einen narrativen oder polemischen Zusammen­ hang abzuschließen und einen neuen zu beginnen, wobei dieser Vorgang als Weg­ wechsel eines wandernden Erzählers gefaßt wird. Unklar bleibt, ob der vorange­ gangene Zusammenhang a posteriori metaphorisiert wird oder ob dieser Übergangsvers ein bereits proömial geäußertes Bild fortführt. So verwendet Empedokles einige Jahrzehnte später in seinem Lehrgedicht Περί Φύσεως die Wegmeta­ pher ganz offensichtlich strukturierend: πέμπε παρ’ Εύσεβίης έλάουσ’ εύήνιον αρμα (31 Β 3.5 DK). Mit der angerufenen Gottheit, der Muse, und dem poetologi­ schen Bezug auf das Gedicht als Wagen bleibt Empedokles im Bereich dessen, was wir von Pindar kennen. Wenn er allerdings später epistemologisch vom Weg der Wahrnehmung spricht (31 B 3.12 DK: όπόση πόρος έστί νοησαι) führt er das traditionell poetologische Bild des Proömiums zwar fort, beraubt es aber seines Bezugs auf das Gedicht als narrative Struktur. Diese vorsokratische Metaphorik ist daher am ehesten erklärlich als Adaption einer traditionellen Topik, aus der auch Pindar schöpft, an neue Inhalte.214 Zeitlich zwischen Xenophanes und Empedokles gelegen, nimmt Parmenides in unserer Argumentation eine Sonderstellung ein: Einerseits zeigt sein Proömium 212 Vgl. WlMMEL Kallimachos 109 (doch andererseits 135!) und die unten 79 Anm. 243 aufgeli­ steten Bemerkungen. 2 1 3 KRANZ Sphragis 4 0 behandelt den Vers als Elegiebeginn. Sein Schluß „Also stammt die Ele­

gie aus einer von Xenophanes selbst hergestellten Sammlung solcher Gedichte“ ließe sich sei­ ner Struktur nach ebensogut auf Aitia F 1 12 P und die Überleitung zu den Jamboi (oben 58ff) anwenden. Wie KRANZ auch KREVANS Editor 197—198. 214 Weder eine direkte Anlehnung Pindars an Xenophanes, wie DAVISON Conception 40 mit dem Hinweis auf gemeinsame Homerkritik meint, noch des Empedokles an Pindar erscheint wahr­ scheinlich: so ΗΟΕΥ Fusion 236 mit dem Hinweis auf die „notion o f mixing“ beider Denker. Als übergreifende Parallele zwischen beiden Gruppen dürfte auch „Wahrheitsliebe“ oder „suche“ nicht in Frage kommen, wie BOWRA Pindar 27 -8 vermutet (vgl. unten 75 Anm. 221). Vgl. B e c k e r Weg 148^19 Anm. 22. M. ERREN, Untersuchungen zum antiken Lehrgedicht, Diss. Freiburg 1956, 97 scheint davon auszugehen, daß Empedokles die intellektualmetaphorische Wegmetapher gar nicht gekannt habe.

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2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

eine im Explikationsgrad überhaupt nur mit derjenigen Pindars vergleichbare Wegund Wagenmetaphorik, die darüber hinaus sehr deutlich das gesamte Werk struk­ turiert, andererseits verläßt er die poetologische Ebene vollkommen.215 Er ist gleichzeitig der erste, der die eine Option einer Weg-und-Wagen-Altemative durch ihre Exklusivität sanktioniert: Dieser Zug, der ihn abseits aller motivstemmatischen Erwägungen eindeutig mit dem Aitienprolog verbindet, interessiert uns be­ sonders. Zunächst aber zum Proömium selbst (28 B 1 DK): Parmenides fahrt in einem von Pferden gezogenen Wagen (1-5, 21) εις φάος (10), die Heliaden fuhren ihn (5, 8f, 21), seine erhitzten Naben quietschen (6—8). Das „Tor der Bahnen von Tag und Nacht“ (Diels-Kranz 11) schließt ihm auf Intervention der Heliaden Δίκη auf (11-20), woraufhin er bis zu einer Göttin vordringt, die ihn freundlich emp­ fängt (22f) und ihm πάντα (28) enthüllt: Ihre Rede bietet das eigentliche Lehrge­ dicht, das selbst wiederum wegmetaphorisch, in der Form zweier οδοί διζήσιος, also als Doppelweg, strukturiert ist (B 2.2): ή μέν όπως εστιν τε καί ώς ούκ εστι μή είναι (3), ή δ’ ώς ούκ εστιν τε καί ώς χρεών έστι μή είναι (5). Diese Meta­ phorik fuhrt Parmenides fort (B 6.3f; B 7.2f; 8.1, 17f: meist οδός διζήσιος).216 Es kann also keine Frage sein, daß die Wegmetapher sowohl das Proömium wie auch die Darlegungen der θεά dominiert und letztere strukturiert. Ist diese Korrespondenz zufällig? Im Vergleich mit der geradezu ekphrastisch konkretisier­ ten Wagenfahrt217 des Proömiums wirkt die schlichte Kenning οδός διζήσιος gera­ dezu dürftig. Schon dies läßt es nicht plausibel erscheinen, daß eine dieser beiden οδοί mit dem Aufstiegsweg des Proömiums identisch sein soll. Es werden unter demselben vehicle (Wagenfahrt) zwei tenors metaphorisiert, die sich zwar ähneln (geistige Erkenntnis - Forschung), aber nicht gleich sind.218 Das vehicle aber ist 215 Dies übersieht WEST Orient 2 2 5 mit Anm. 4 , der Parmenides mit poetologischen Wegmeta-

phem glossiert. 216 H a v e l o c k Parmenides 137 mit 141 Anm. 26 gibt eine nützliche Auflistung der Begriffe οδός, κ έλευ θ ο ς, άταρπός und αμαξιτός in den Fragmenten des Parmenides, bei dem diese Begriffe oft nicht synonym verwendet zu sein scheinen (doch vgl. unten 78 Anm. 237). 217 Wie dieser Überschuß an konkreter Dinglichkeit zu bewerten ist, kann hier noch nicht ent­ schieden werden: Der lapidare Hinweis F r ä NKELs „Eine solche Ausstattung mit gegenständli­ chen Einzelzügen ist aber nichts anderes als die archaische Form der Hervorhebung und des Nachdrucks.“ (Wege 161) bleibt mangels Parallelen ungenügend. B o w r a Parmenides 98 be­ fürwortet im Gefolge des Sextus Empiricus das Gegenteil: „plainly allegorizing“, gibt aller­ dings zu: „The use o f allegory on such a scale is extremely rare in early Greek poetry.“ Gute Diskussion der Kategorien Allegorie, Symbol, Gleichnis oder Buchstäblichkeit in diesem Zu­ sammenhang bei BURKERT Katabasis 1. Untersuchungen zu Quelle und Konnotationsstruktur von Parmenides wie Pindar werden hier bald weiterhelfen (unten 75ff). 2 1 8 Die Identifikation dieser Wege ist von der Quelle des Sextus Empiricus vorgenommen worden {Math. 7 .1 1 2 [DK 1 .2 2 8 .1 -2 ]: [...] οδόν τοϋ δαίμονος π ορ εύεσ θα ι τη ν κατά τό ν φ ιλόσο­ φον λό γ ο ν θεωρίαν). EGGERS LAN 'Οδός πολύφ ημος 3 7 8 - 3 7 9 versucht, die Identität der Proömienstraße mit derjenigen aus B 8 .1 - 2 DK (ώς εστιν) zu zeigen: Allerdings tritt anschei­ nend die Figur des fahrenden Erzählers nach dessen Ankunft, also in der Rede der Göttin, vollkommen zurück. Sachliche Identität ist also kein Argument für die bildliche Identität, auf die BOWRA Parmenides 108 hinweist: „provides the framework for his whole scheme“. A. H. COXON, The Fragments o f Parmenides, Phronesis Suppl. 3 , Maastricht 1986, 4 2 - 4 3 besteht aufgrund erzählchronologischer Gesichtspunkte etwas naiv auf der Verschiedenheit der Wege. G. G i a n n a n t o n i, Le due Vie di Parmenide, La Parola di Passato 43 (1 9 8 8 ) 2 0 7 -2 2 1 ver-

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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absichtsvoll übergreifend gewählt worden, um die Geschlossenheit des Gedichtes zu gewährleisten. Sicher ist eine deutliche Zäsur nach den begrüßenden Worten der θεά: Das Proömium ist also abgesetzt,219 was die Fortsetzung der Metaphorik auf assoziativer Ebene nicht ausschließt, aber dafür die sachliche Identität ihrer tenors. Mit Parmenides sind Pindars Dichtungswege oft verglichen worden, vor allem Ol. 6.22ΪΪ (schon von Diels-Kranz), deren Parallelen sehr auffällig sind: Beide verbinden Weg, Wagen, führende Zugtiere und die Öffnung eines Tores.220 Pindars Epinikion kann Parmenides nicht beeinflußt haben, weil es einige Jahrzehnte nach dessen Proömium geschrieben wurde. Pindar wiederum hat sich wahrscheinlich nicht von Parmenides beeinflussen lassen, weil er schon sein ältestes Gedicht (Pyth. 10; 498 AC) mit einer elaborierten Weg- und Wagenmetapher abschließt. Ihm waren solche Wegmetaphem offenbar schon bekannt, ehe er von Parmenides hätte gehört haben können. Für die Annahme gegenseitiger Unabhängigkeit spricht auch die vorpindarische Tradition der Wegmetapher, die eine (preis-)lyrische sein muß, von der Parmenides die Ausnahme bildet, nicht Pindar. In Ol. 6 ist, wie wir oben sahen, jedes Detail des vehicle bestens motiviert. Trotz Pindars άλαθείας οδός {Pyth. 3.103) scheitert also der Versuch, Pindar als Jünger des parmenideischen Erkenntnisweges zu interpretieren.221 Eine Intention ließe sich für beide Rezeptionsrichtungen konstruieren. Bei einer Anregung aus Epinikientopik würde man Parmenides unterstellen, sich als sieghafter Athlet zu gerieren, im umgekehr­ ten Fall Pindar die Pose des genialischen Ontologen. Die Situation ist also arbi­ trär.222 Um das Problem der Motivfiliation zu lösen, hat man gelegentlich einen gemeinsamen Bezugstext oder eine -gattung angenommen.223 Parmenides spielt offenbar im Zusammenhang seines Proömiums mit einigen Begriffen, die Mysterienreligionen entstammen. Seit langem hat man seinen

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sucht, Anzahl und inhaltliche Fragerichtung der οδοί διζήσιος zu bestimmen: Seine Untersu­ chung fuhrt dazu, daß es zwei Wege gebe (220), der eine sei derjenige der ,,άλήϋεια che dice ‘che e ’“, der andere, der nicht identisch mit der δόξα sei, erforsche ‘che non έ ’. Über die Be­ ziehung dieser οδοί zu der des Proömiums äußert er sich jedoch nicht. Vgl. K. R e in h a r d t , Parmenides und die Geschichte der griechischen Philosophie, Frankfurt/Main 1916, 46 Anm. 1 und BURKERT Katabasis 3 mit Anm. 6, dessen Hinweis, die parmenideische Wagenmetapher stehe in der Tradition des alten Epos, allerdings auf schwachen Füßen steht (vgl. oben 23ff). Ähnlich STEINER Crown 91, die Xenophanes und Parmenides fur die epische Tradition vereinnahmt, und HAVELOCK Odysseus 134ff. Bei Pindar Vers 27: Vgl. DURANTE Epea pteroenta 2 5 4 - 2 5 5 . ‘Wahrheitsliebe’ als Motiv einer Übernahme von Parmenides ist schon deshalb ungeeignet, w eil ‘Wahrheit’ ein altes poetologisches, kein spezifisch parmenideisches Kriterium ist (vgl. Hesiod Theog. 2 7-28). Kaum richtig also FREEMAN Function 150. Vgl. oben 73 Anm. 214. Das Argument des jew eiligen Gattungsalters („Pindar hat Parmenides beeinflußt, weil seine Gattung älter ist als die des Parmenides“), ohnehin anfechtbar, spielt hier keine Rolle, wie un­ sere Bemerkungen zur Orphik zeigen werden. BOWRA P arm enides 101-102 p ostu liert ein „fam iliar p oem o f the sixth century“ (102). BOWRA Pindar 39 denkt d a g eg en zunächst an P arm en id es-R ezep tion durch Pindar, w e ist aber auch a u f d ie M ö g lic h k e it ein er g em ein sa m en Q u elle hin. FRANKEL W eg e 158 votiert direkt für ein e g em ein sa m e Q u elle, PERON Im ages 26 e b en so . HoEY F usion 252 bleibt d a g eg en un­ klar.

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2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

είδότα φώτα (3) als religiösen terminus technicus identifiziert, als ‘Mysten’.224 Weiter ist die eigenartige Unbestimmtheit seiner θεά (22), die viel Rätselraten ausgelöst hat,225 in eben dieser Unbestimmtheit als Mysterienepiklese erklärlich. Dasselbe gilt für ihre Anrede an Parmenides mit dem Begriff κούρος (24).226 Schließlich findet Dikes Epitheton πολύποινος (14) deutliche orphische Parallelen (z.B. F 158 OF).227 Ein weiteres Indiz könnten die άθάνατοι ήνιόχοι (24) stellen, mit denen die θεά hier die Heliaden meint: Übermenschliche Wagenlenker, die durch den Himmel fahren, begegnen gelegentlich auch in orphischer Dichtung.228 Diese Häufung der Parallelen scheint eine zufällige Koinzidenz auszuschließen, wenn auch die intentionale Interpretation dieser Parallelität, die Frage nach ihrem Sinn, unsicher ist. Schon die schwierige Überlieferungssituation der Orphica macht hier die Feststellung einer Abhängigkeit gleich welcher Richtung unmög­ lich. Jüngst hat man wieder daran gedacht, Parmenides zum Orphiker bzw. Pythagoreer zu machen.229 Wahrscheinlich erscheint dagegen lediglich, daß Parmenides sich motivisch auf eine orphische Tradition bezieht, die Ausgangspunkt der späte­ ren Orphica geworden ist.230 Unbestreitbar verwendet er diese religiös geprägten Begriffe in neuem Kontext, für den er ihre herkömmlichen Konnotationen ausbeutet: Sein neuer Erkenntnisweg hat denselben eschatologischen Anspruch und die­ selbe esoterische Exklusivität (B 1.27 άπ’ άνθρώπων εκτός πάτου, vgl. dazu unten) wie die Erzählungen, aus denen seine termini technici stammen.231 Hinter dem „Weg zu Wissen und Macht, dem Weg zum Berg, zur Höhle, zur Göttin“232 stehen als gemeinsames Muster sowohl des Parmenides als auch späterer religiöser Texte Visionsreflexe, für die sich die Klassifikation ‘schamanistisch’ eingebürgert 224 Zuerst D iels Parmenides 49, dann W. JAEGER, Paideia. Die Formung des griechischen Men­ schen I, Berlin/Leipzig 21936, 240. Zustimmend BECKER Weg 139, BOWRA Parmenides 109110 (mit Parallelstellen und Verweis auf F 233.3 OF), BURKERT Katabasis 5 Anm. 11 (mit weiterem Material). Sarkastisch und dazu meines Erachtens unbegründet lehnt HAVELOCK Parmenides 134 derartige Thesen ab: Er möchte für Parmenides nur den Bezug auf die Odys­ seus-Gestalt gelten lassen. 225 Dazu PUGLIESE CARRATELLI Θ εά mit reichlich Doxographie (337), der diese Göttin in An­ lehnung an die ‘orphischen’ Goldblättchen, besonders das aus Hipponion, als Mnemosyne bestimmt (343-345). 226 BURKERT Katabasis 13, zu κούρος 14 Anm. 32. 227 Eggers La n 'Οδός π ολύφ ημος 377, W est Orphic Poems 109. 228 Z. B. Phanes F 78 OF: Vgl. W est Orphic Poems 214. 229 Eine Auflistung der parmenideischen Affinitäten zu den Pythagoreem findet sich bei PUGLIESE CARRATELLI Θ εά 338-340, 339: „L’idea stessa di un viaggio extramondano rientra nell’immaginario dell’escatologia misterica“. 230 JAEGER Theologie 114-116, W e st Orphic Poems 109, 111; 260: Die ‘Protogonos-Theogonie’ habe auf Empedokles und Pindar, vielleicht auch auf Parmenides, Einfluß ausgeübt (vgl. dort 110 Anm. 82). Übertrieben wohl Sassi Bivio 387-390, die sogar noch die beiden Wege des Parmenides als orphische σχίσις interpretiert. PUGLIESE CARRATELLI Θ εά gibt 338-340 eine Totalerklärung des parmenideischen Proömiums aufgrund des Vokabulars der ‘orphischen’ Goldblättchen. 231 BOWRA Parmenides 112, der 108-109 auch noch die θεώ ν οδοί οΰρανιώνων (F 168.15 OF) heranzieht (109): „Parmenides’ road is supernatural like these [...]“, JAEGER Theologie 117118. 2 3 2 BURKERT K atabasis 19.

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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hat.233 Als unmittelbare Erklärung für die kühne Begriffsübertragung und das Bild­ geschehen des parmenideischen Proömiums bietet sich natürlich eine persönliche Beziehung des Autors zu Mysterienreligionen an: Die antike Tradition macht ihn stracks zum Pythagoreer (vgl. Burkert Katabasis 26), die Moderne ist ihr darin manchmal allzu bereitwillig gefolgt.234 Das parmenideische fragmentum dubium 28 B 20 DK weist eine gewisse Ähnlichkeit zu Mysterientexten auf (vgl. unten 96).235 Wenn Parmenides auch kein Myste, Orphiker oder Pythagoreer gewesen sein muß, um mystische Assoziationen evozieren zu wollen, rechnet er doch sicher mit Re­ zipienten, die das double entendre seines Vokabulars und den damit verbundenen Anspruch verstehen. Meines Erachtens ist also die Frage (oben 74 Anm. 217), ob sich Parmenides im Proömium und bei der Wahl seiner Werksstruktur bewußt bildhaft ausdrückt oder von einer ihm real erschienenen Vision berichtet, in Ver­ kennung eben dieser auffälligen Allusivität falsch gestellt. Parmenides’ Bildstruk­ tur beweist Intention und technisches Kalkül: Natürlich wählt er seine Metapher mit ihrem assoziativen Eiintergrund bewußt, von der objektiven Aufzeichnung ei­ ner schamanistischen Entrückung kann keine Rede sein. Ziel seiner religiösen Anklänge ist es, seinem intellektuellen Aufstieg mysterienhafte Weihen zu verlei­ hen. Ganz verfehlt wäre es, hier an eine Parodie zu denken.236 Parmenides wertet 233 Erstmalig wandte DIELS Parmenides 14-16 diesen Begriff auf Parmenides an. MEULI Scythica glaubte bereits, nicht nur in der poetologischen Wegmetapher überhaupt, sondern in den Plots der gängigsten griechischen Sagenkreise insgesamt (Argonauten 166, Odyssee 167-8, Herak­ les 168, Perseus und Orpheus 169) „Überlebsei schamanistischer Dichtung“ (171) nachweisen zu können. Für den Erkenntnisgang des Parmenides hat sich diese Meinung weithin durchge­ setzt: HARRIOTT Poetry & Criticism 65 mit Verweis auf GUTHRIE, BURKERT Weisheit 263 Anm. 43, WEST Orient 225 mit Anm. 6, der 222-223 Parmenides’ Proömium mit der „mescalin-induced experience“ Aldous Huxleys vergleicht, und jüngst SASS1 Bivio 386 mit Anm. 9 über die Interpretation des parmenideischen Weges als Katabasis. Zum Begriff „shamanism“ WEST Orphic Poems 5 mit Anm. 8, der Orpheus als „shamanistic figure“ be­ schreibt. Vgl. dazu jüngst den Beitrag C. GlNZBURGs: Gli Europei scoprono (o riscoprono) gli sciamani, in: F. GRAF (Hrsg.), Klassische Antike und neue Wege der Kulturwissenschaften. Symposium Karl Meuli am 11.-13. September 1991 in Basel, Basel 1992, 111-128, der 12122 mit Anm. 32 f auf die Geschichte des Begriffs ‘Schamane’ eingeht, der erst seit 1704 be­ kannt ist (durch E. lsbrandts ldes). Den B eg riff‘Schamanismus’ und seine Übertragungspro­ bleme diskutiert W. Burkert, Γόης. Zum griechischen ‘Schamanismus’, RhM 105 (1962) 3 6 55, v. a. 3 6 f mit Anmm. 7f, 45 mit Anm. 46. C. FlORE, Aspetti sciamanici di Orfeo, in MASARACCHIA Orfeo e l’Orfismo, 409^124 beschreibt mit M. ELIADE ‘sciamanismo’ zutref­ fend als Sammelbegriff für Erfahrungen jedweder „tecnica dell’estasi“ (414). 234 Doxographie (Sotion, Strabon) bei JOLY Cebes 41 Anm. 8. Den geheimnisvollen Fremden, der Kebes das ominöse Bild erklärt, nennt die Tabula Cebetis Π υθα γόρειόν τινα καί Παρμενίδειον έζηλωκώ ς βίον (2; 2 .5 -6 PRAECHTER). Zur religiösen Sphäre des Parmenides FEYERABEND Proömium 12—13. K. REICH, Parmenides und die Pythagoreer, Hermes 82 (1954) 2 87-294 macht aufgrund einer kuriosen Interpretation von 28 B 6.9 DK (πάντων δε παλίντροπ ός έστι κ έ λ ε υ θ ο ς) Parmenides zu einem Gegner der Pythagoreer: Seine Argu­ mente überzeugen aber nicht. 235 Identisch mit F 352 OF. Zu Verfasserfrage und Deutung dieses problematischen Textes vgl. LEBEDEV Aphrodite Verses 28—30, der ihn als Beschreibung der weiblichen Geschlechtsteile aus Περί Φύσεως des Empedokles ansieht. Vgl. dazu Empedokles (oben 50 Anm. 113) und unten 96 Anm. 317 im Zusammenhang mit Matthäus 7.13. 236 Wie FEYERABEND Proömium 15-20 es tut.

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sein Unternehmen durch diese Assoziationssteuerungen auf, nicht die religiöse Sphäre dadurch ab, wie eine Parodie es täte. Der parmenideische Weg zeichnet sich also vor allem durch mysterienähnliche Exklusivität aus, er liegt άπ’ ανθρώπων έκτος πάτου (Β 1.27): außerhalb des deutlich pejorativen „Getrampels der Sterblichen“,237 er ist folglich übermensch­ lich. Diese Exklusivitätsbetonung ist einer der charakteristischen Züge aller esote­ rischen Religionen.238 So könnte man ohne weiteres mit den Worten der Tabula Cebetis den parmenideisehen Weg beschreiben: οδόν τινα (seil, επί την αληθινήν Παιδείαν άγουσαν 12.3; 11.15ί) [...] ήτις ου πολύ όχλεΐται, άλλ’ ολίγοι πάνυ πορεύονται (15.2; 13.14f Praechter). Dieses eigenartige Dokument steht in der­ selben Tradition wie Parmenides. Die charakteristisch religiöse und damit exklusi­ ve Sphäre, in der sich der parmenideische Aufstieg vollzieht, muß aber nicht auf ontologische Aussagen beschränkt bleiben: Eine Anwendung ganz derselben In­ tention ließe sich bei entsprechendem Selbstbewußtsein des jeweiligen Dichters auch für poetologische Wegmetaphem denken.239 Pindar wird wie Parmenides schon antik für einen Pythagoreer gehalten,240 so daß eine der parmenideischen ähnliche Übertragungsleistung in poetologischem Kontext auch ihm zugetraut werden darf. Ganz wie im Falle des Parmenides braucht man auch dazu nicht zu unterstellen, Pindar sei tatsächlich Myste oder Pythagoreer oder ähnliches gewe­ sen: Es muß ausgereicht haben, wenn der Rezipient die Anklänge verstand. Wie aber sehen die Verwendungsweisen der Wegmetapher (oder auch eines realen Weges) in religiösen Kontexten denn überhaupt aus? Dabei geht es uns nicht um präzise dogmatische Inhalte der jeweiligen Strukturen, sondern um die Konnotationen einer ambiguen Terminologie, die notwendig unscharf bleiben 237 Vgl. KULLMANN Zenon 160 mit homerischen Parallelen. Interessant sind auch hier wieder die pejorativen Konnotationen von πάτος, die man auch am kallimacheischen π α τεΐν beobachten kann. ’Α μαξιτός (B 1.21) dagegen hat bei Parmenides ganz sicher nicht denselben schlechten Klang, den schon Pindar zeigte. Daß Parmenides seine Wegmetapher gelegentlich sorgfältig auf ihren tenor abstimmt, beweist die άταρπός in B 2.6: Dieser Weg ist „unerkundbar“ (D ie l s -K r a n z ), kann also (mit geringem logischen Widerspruch) kaum begangen, d. h. nur ein ‘Trampelpfad’ (zur Bedeutung des Wortes vgl. B ec k e r Weg 35) sein. 238 Vgl. z. B. Platon Phaid. 69 C 8 - D 1: ναρθηκοφ όροι μ έν π ο λ λ ο ί, β ά κ χοι δέ τε παϋροι, Plutarch F 178 SANDBACH τ ο ν άμύητον [...] άκάθαρτον [...] ο χλ ο ν. Insgesamt vgk G r a f Eleusis 132-138, JOLYCeb0s 43-45. 239 B o w r a Parmenides 103 Anm. 20 zitiert Hermias zu Platon Phaidr. 246 A (122.19—22 COUVREUR/Ζ γντζεν ), der zu Platons Wagenmetapher auf Homer, Orpheus und Parmenides hinweist. Leider mißdeutet B o w r a dies meines Erachtens ohne echte Argumente als Indiz ei­ ner Phaethonerzählung, die allen Ausprägungen dieses Motivs zugrundeliege. 240 Der Scholiast in Σ Ol. 2.123d (93.1 Of DRACHMANN) behauptet, daß Pindar hier Pythagoras folge. Weitere Belege bei Z u n t z Persephone 87. Pindar Ol. 6.56ff und F 133 SM hält auch BURKERT Weisheit 102 mit Anm. 6, 109 für pythagoreisch, dazu auch CAMPAGNER Metafore agricole 49 mit Anm. 48. Weitere Doxographie dazu gibt LLOYD-JONES Afterlife 259. In die­ ser Ode findet sich wohl nicht zufällig 22-25 ja auch eben die Weg- und Wagenmetapher, die zu Parmenides’ Proömium so große Ähnlichkeit aufweist! Zu F 131b SM für Pythagoreismus auch JAEGER Theologie 90 mit 261 Anm. 7 und 117 mit Anm. 28. Ähnlich zu Ol. 2.70 Διός οδόν B o w r a Parmenides 109, wozu vgl. B u r k e r t Griechische Religion 437 Anm 3 und L l o y d -J o n e s Afterlife 258-263.

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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müssen. Im folgenden wird also indifferent meist von ‘Mysterienreligionen’ ge­ sprochen.241 Wege und Straßen spielen im Bereich praktischer Lebensregeln der Pythagoreer und in den eschatologischen Vorstellungen aller Mysterienreligionen eine im Zusammenhang unseres Problems überaus wichtige Rolle. Unter den pythagorei­ schen ακούσματα oder σύμβολα - mündlich tradierten Lebensvorschriften von provokanter Einfachheit, die sicher bereits vorplatonisch sind242 —ist die Maxime überliefert ,,τάς λεωφόρους μή βαδίζειν“, deren genauer Wortlaut schwankt: In ihrer kompromißlosen Apodiktik gleicht die Vorschrift der von uns oben als Meta­ pher interpretierten Verachtung des Kallimachos für die von vielen benutzte Straße (Ep. 28. If P; oben 57), die auf unser σύμβολον anspielen könnte. Der Pythagoreer soll nicht auf den von vielen benutzten „Überlandstraßen“ (Becker Weg 39) gehen! Die Tatsache, daß zwei der fünf Überlieferungsträger zu diesem άκουσμά einen Teil der kallimacheischen Wegmetapher zitieren (Vers 26), um die es hier geht, hat dazu geführt, daß nach Schneiders und besonders Pfeiffers Nachweis der Parallel­ überlieferung nur diese beiden berücksichtigt wurden:243 Olympiodor und Eu­ stathios, die spätesten und am schlechtesten informierten Zeugen.244 Schwerer wiegt, daß dort zugunsten des selbst erklärungsbedürftigen kallimacheischen Ver241 Die strikte begriffliche Trennung von Orphischem, Pythagoreischem und Bakchischem ist unangemessen und hat neuerdings berechtigte Kritik erfahren: BURKERT Weisheit 108, BURKERT Griechische Religion 445 (zum Beispiel der unbestimmbaren Schnittmengen und dessen graphischer Darstellung vgl. BURKERT Bacchic Mysteries 6-7: „superimposed circles with some areas shared, some not“, ähnlich auch ders., Craft versus Sect 2). ‘Bakchisch’ be­ zeichnet den rituellen Aspekt, ‘orphisch’ die durch einen Verfassemamen gekennzeichnete Sakralliteratur, ‘pythagoreisch’ eine historisch greifbare Gruppe und ihren Meister. GRAF Eleusis 91 Anm. 53, 92 zur terminologischen Klassifikation der Goldblättchen, WEST Orphic Poems 3 (nur zum Begriff ‘orphisch’). BURKERT Pseudopythagorica 231 Anm. 2, 232: „Gewiß ist zumal im Bereich von Jenseitsvorstellungen alles logisch-systematische Unter­ scheiden verfehlt, hier herrscht stets und von Anfang an ein Synkretismus mannigfacher Schattierungen; es wäre möglich, daß ein Pythagoreer Dionysosmyste war, Etruskisches über­ nahm und sich in Eleusis weihen ließ.“ 242 Zu den ακούσματα insgesamt BURKERT Weisheit 150-175, WÖHRLE Gesundheitslehre 38 mit Anm. 69 (zum diätetischen Aspekt). 243 Zur κ έ λ ε υ θ ο ς in Ep. 28 P dachte F. JACOBS schon 1798 in diese Richtung (zitiert bei BENEDETTO Sogno 145). D i l t h e y verstand, da er den Kontext noch nicht kennen konnte, das Kallimachos-Zitat bei Olympiodor als tatsächliches pythagoreisches Bekenntnis (Cydippa 6). ROSTAGNl N uovo Callimaco 21 f „simbolo pitagorico“. Seine ausschließliche Verbindung der Wegmetapher mit Aristoteles Poet. 8 und 22 ist unsinnig. CAPO VILLA Callimaco 1.156 „la massima pitagorica [...] e adottata da Callimaco [...].“ Ähnlich 1.190ff, 2.5ff, CAPOVILLA Cirene 145-147. FRASER Alexandria 1.757 „[...] the metaphor o f the untrodden road may have been used in a different context by Pythagoreans.“ Dazu 2.1060 Anm. 299, HERTER Kalli­ machos 250 und La PENNA Estasi dionisiaca 231-36 (besonders 2 3 If), der bisher am weite­ sten in die religiöse Richtung dachte, aber leider nur an dem Gegensatz von „ars sottile“ und bakchischem „entusiasmo“ interessiert ist (236). CLAYMAN Iambi & Aitia 286 glaubt grund­ los, daß der Bezug auf den pythagoreisierenden Ion von Chios im 13. lambos (vgl. D 9.36 P) auch bei Kallimachos eine solche Anschauung voraussetzt. 244 Olympiodor zu Platon Phaid. 65 D 4 (31.1-4 NORVIN) bezeichnet das Gebot als π α ρ ά γγελ­ μα, Eustathius zu Ψ 585 (4.787.4f VAN DER F a lk ) lapidar als ρητόν: Keiner von beiden ver­ wendet also die terminologische Bezeichnung.

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ses eine Erklärung des pythagoreischen σύμβολον fehlt:245 Hier helfen aber gerade die erklärenden Testimonien weiter, die Kallimachos eben nicht zitieren (und in­ folgedessen bisher wenig Aufmerksamkeit fanden), sondern statt des Zitats das σύμβολον wenigstens paraphrasierend erläutern. Genauere und ältere Überlieferungen bieten Philostrats Zeitgenosse Aelian, Porphyrios in seiner Vita Pythagorae und Iamblichos.246Iamblichos (C 4) und Ae­ lian stimmen in der Begründung des Gebots überein: Die Straße, auf der viele lau­ fen, läuft Gefahr, deswegen nicht rein zu bleiben (καΟαρεύειν). Um nicht selbst unrein zu werden, solle man sie also meiden. Hier haben wir die Verbindung von οδός bzw. κέλευθος und καθαρός, die bisher bei Pindar und Kallimachos uner­ klärt geblieben war (oben 29 Anm. 34, 53ff). Porphyrios und Iamblichos (C 6) verwenden zur Illustration nicht das Kriterium der καΟαρότης, sondern eine Po­ larität, die geradezu für unsere Kallimachosstelle erdacht zu sein scheint: Nach dem ersten, der das άκουσμα offenbar als Metapher versteht, indem er ‘οδός’ als vehicle des tenor ‘γνώμη’ versteht, hatte das Verbot ,,τάς λεωφόρους μή βαδίζειν“ den tieferen Sinn, nicht den Meinungen der Masse nachzulaufen (μεταΟειν), sondern derjenigen der wenigen Gebildeten (vgl. evtl. Kallimachos F 612 P), nach dem zweiten Zeugnis des Iamblichos, die große Straße zu vermeiden (τάς λεωφόρους έκκλινων) und lieber den άτραποι zu folgen. Iamblichos entwickelt aus unserem άκουσμα ein regelrechtes elitäres Manifest in Opposition zur δημώ­ δης ζωή (Protr. 111.19ff Pistelli, vgl. Kallimachos Ep. 28.4 P/2.1044 HE δημό­ σια). Der Gegensatz zweier Wege und der Imperativ, dem weniger einladenden zu folgen, rücken die Formulierung des Iamblichos in enge Nachbarschaft zur Apollonparainese des Aitienprologs. Wie die Kallimachoszitate bei Olympiodor und Eustathios zeigen, ist impliziter Kallimachoseinfluß für die anderen Erwähnungen dieses άκουσμα unwahrscheinlich. Hätten deren Verfasser die Kallimachos-Verse vor Augen gehabt, hätten sie sie wohl ebenso zitiert. Aelian, Iamblichos und Por­ phyrios berücksichtigen bei ihrem Zitat des pythagoreischen Gebotes Kallimachos also nicht. Die auffallenden Assonanzen zwischen diesem άκουσμα und den oben zitierten Aitienversen lassen sich also nur im Sinne einer Anlehnung des Kalli­ machos an das pythagoreische Gebot deuten, stark frequentierte Straßen zu ver­ meiden. Offenbar knüpft er dabei an die metaphorisch-allegorische Tradition der Symboladeutung nach Anaximandros an.247 Eine andere Erklärung der Koinzi245 Doch findet sich bei Eustathios immerhin die kurze ‘Übersetzung’: ίσον τώ »γνώμη π ολλώ ν μή ακολουθεί«. 246 Aelian VH 4.17 (von BURKERT Weisheit 151 Anm. 5, 272 Anm. 97 den Fakten nach bereits für aristotelisch gehalten): π ρ οσ έτα ττε δε ό αυτός Π υθαγόρας [...] μηδέ βαδίζειν τάς λεω ­ φόρους· άδηλον γάρ εί καθαρεύουσι καί αυτά έκεΐνα. Porphyrios Vita Pyth. 42 (F 58 C 6, 1.465.32-466.1 DK) ‘τάς τ ε λεω φόρους μή βαδίζειν’, δι’ ου ταΐς τών π ολλώ ν επ εσθα ι γνώμαις έκώλυεν, τάς δε [N a u c k , τ ε codd.] τών ολίγων καί πεπαιδευμένω ν μεταθεΐν. Iamblichos Vita Pyth. 83 (58 C 4, 1.464.23-25 DK) unter den handlungsanweisenden άκούσματα. ού δει τάς λεω φόρους βαδίζειν οδούς [...] άδηλον γάρ έν πάσι τούτοις, εί καθαρεύουσιν οί κοινωνοΰντες. Protr. 21 (= 58 C 6, 1.466.19 DK): τάς λεω φ όρους οδούς έκκλινων διά τών άτραπών βάδιζε. Vgl. auch ebd. 111.19-28 PISTELLI. 247 Zur allegorischen Symboladeutung Anaximanders des Jüngeren (vgl. Anaximander 9 T 1 FGH) insgesamt vgl. BURKERT Craft versus Sect 14 und BURKERT Weisheit 15 8 f. Für die Zeit

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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denzen scheint kaum möglich. Dem Rezipienten waren diese Gebote wahrschein­ lich bestens bekannt, weil sie sich ja im öffentlichen Leben manifestierten, wie z. B. aus der sehr verbreiteten Kritik an pythagoreischen Speisevorschriften hervor­ geht.248 Um einen Bezug auf diese praktischen Gebote zu postulieren, muß man Kallimachos also wohl keine weitergehenden persönlichen Verbindungen zum Pythagoreismus unterstellen. Ob aber Eustathios und Olympiodor die Beziehungen zwischen dem von ihnen zitierten Vers und dem άκουσμά erkannt haben, muß zunächst offen bleiben. Die merkwürdige Situation, daß Eustathios ganz beiläufig einen Text mit einem Vers kommentiert, der von eben diesem Text maßgeblich beeinflußt ist, wird unten (106f) noch einmal zu beobachten sein. Gewagter noch als Parmenides hat Kallimachos seiner Metaphorik ihre Pla­ stizität durch Übertragung, d. h. hier ganz buchstäblich durch μεταφορά im aristo­ telischen Sinne als έπιφορά άλλοτρίων ονομάτων, aus einem ganz unpoetologischen Bereich gesichert, dem religiöser Gebote nämlich, die sich auf das prakti­ sche Leben beziehen. Sinn dieser Übertragung ist natürlich, seinen poetischen Maximen den Flair analoger, nämlich religiöser, Verbindlichkeit zu verleihen. Dieser Analogieschluß vollzieht sich beim Lesen auf assoziativer Ebene und führt dazu, daß erstens der Inhalt der apollinischen Parainese ihrem Sprecher angemes­ sen religiös klingt, daß zweitens Kallimachos, an den sich dieses Gebot richtet, die Gloriole des Erwählten erhält und daß drittens sein Gedicht als poetologischer ιερός λόγος erscheint. Religiöse Wegvorstellungen sind aber nicht nur auf das Diesseits beschränkt. Dem akusmatischen, diesseitig orientierten Weggebot korrespondieren eschatologische Vorstellungen, die eng mit Wegbegriffen verknüpft sind. Über eine theo­ logische Begründung dieser Korrespondenz kann man nur spekulieren: Die grie­ chische Jenseitsvorstellung hat wohl grundsätzlich etwas Iteratives,249dem jenseiti­ gen Weg entspricht also wohl ein diesseitiger. Dieser dürfte derjenige sein, auf den die άκούσματα Einfluß zu nehmen suchen, um mit der richtigen Wahl des dies­ seitigen gleichzeitig auch den richtigen jenseitigen Weg im vorhinein abzusichem. Wie deutlich werden wird, gibt es auch im Jenseits zwei Wege, wobei zur Erlö­ sung vermutlich der weniger begangene führt: Mysterienreligionen beziehen ihre Attraktivität daraus, daß nur die Initianten erlöst werden, diese aber eine Minder­ heit darstellen. Der Jenseitsweg, den die Initianten nach dem Tode wandeln, dürfte also keine λεωφόρος sein, sondern eine άταρπός. So ergäbe sich die einfache Gleichung: „Wer im Diesseits λεωφόροι benutzt, muß sie auch im Jenseits ge­ hen“, d. h. er wird nicht erlöst, diesseitige Pfadbenutzer dagegen bleiben auch im des Kallimachos dürfte BURKERTs Bemerkung zutreffen: „Allerdings war die neue Aus- bzw. Umdeutung für alle, die den Pythagoreismus ernst nahmen, schlechterdings unumgänglich; denn in einer aufgeklärten Zeit mußte das meiste einfach lächerlich wirken“ (ebd. 158). Die ursprüngliche Bedeutung unseres Symbolon bei BURKERT Weisheit 163. 248 Vgl. z. B . Corpus Hippocraticum Morb. Sacr. 6.354—55 L tttre, Euripides Hipp. 952, Kalli­ machos F 191.61-2 P, Theokrit Eid. 14.5-7 mit den Anmerkungen Gows (2.248^49). Den Öffentlichkeitscharakter akusmatischer Inhalte betont WÖHRLE Gesundheitslehre 38-40. 249 BURKERT Griechische Religion 437 (über den „heiligen Weg“) „[...] das Jenseits ist Iteration der Mysterien.“ könnte, obwohl ganz anders gemeint, auch hier Anwendung finden. Zur Ite­ rationsvorstellung vgl. auch FEYERABEND Proömium 4.

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Jenseits bei ihrer bevorzugten Wegkategorie, d. h. sie werden erlöst. Ein solcher, zugegebenermaßen rein spekulativer Versuch, die Korrespondenz der beiden Weg­ kategorien zu erklären, findet immerhin im stark religiös getönten Mythos des Er am Ende des platonischen Staates eine gewichtige Stütze (10.619 E 2-6; dazu un­ ten 95f). Diese Fragen stellen sich besonders deutlich bei der moralischen Ausprä­ gung der Wegmetapher und sollen dort endlich diskutiert werden. Welche eschatologischen Ausprägungen der Wegvorstellung lassen sich an­ führen? Das älteste bislang bekannte ‘orphische’ Goldblättchen, das aus einem Frauengrab bei Hipponion (etwa 400 AC)250 stammt, enthält nach seinem Incipit ,,Μναμοσύνας τόδε ήρίον (ερον Burkert)“ eine überwiegend hexametri­ sche251 Wegbeschreibung in sechzehn Versen für den Toten nach seinem Eintritt in die Unterwelt. Sie soll ihn an den rechten Weg erinnern, damit er aus purer Ver­ geßlichkeit nach einem tadellosen Leben nicht doch noch das Elysium verscherze, indem er sich verlaufe. Solche Texte sind bereits in relativ hoher Zahl bekannt.252 Allein auf unserem Fund allerdings finden sich die zwei Schlußverse (15f), die, obwohl durch die mehrfache Faltung des dünnen Goldblechs und die geringe Bil­ dung des Schreibers entstellt,253 für die eschatologische Wegvorstellung doch seinaufschlußreich sind. Der gefundene und provisorisch übersetzte Text der Verse lautet bei Foti und Pugliese Carratelli, nachdem Worttrennung eingeführt und die Langvokale bzw. Diphthonge ‘ionisch’ geschrieben wurden: καί δή καί συχνόν Ιιοδόν ερχεα(ι) Ιιάν τε καί άλλοι μύσται καί βάχχοι Ιιιεράν στείχουσι κλεινοί. Und so gehst auch du eine (?viel) Straße, die heilige, die auch andere Mysten und Bakchen beschreiten, berühmte.

250 Die Datierung erfolgt nach den Grabbeigaben: COLE Evidence 223 Anm. 3; B e r n a b e Hiponion 219; L l o y d -J o n e s Afterlife 2 68f datiert beiläufig auf 465 (ein Druckfehler?)! Über Fundumstände und Datierungsfragen orientiert die Erstpublikation: G. FOTI, G. PUGLIESE C a r r a t e l l i , Un Sepolcro di Hipponion e un nuovo Testo orfico, La Parola del Passato 29 (1974) 91-126. 251 Erst G ia n g r a n d e Lamina 236 hat bemerkt, daß hier neben 14 Hexametern zwei daktylische Heptameter verwendet wurden. 252 Seit Z u n t z Persephone, der 14 Exemplare kennt, sind neben unserem Goldblättchen aus Hip­

ponion weitere aufgetaucht: eines in Malibu (dazu R. M e r k e l b a c h , Ein neues ‘orphisches’ Goldblättchen, ZPE 25 [1 9 7 7 ] 2 7 6 ), zwei in Pelinna (dazu K. TSANTSANOGLOU, G. M. PARASSOGLOU, T wo Goldlamellae from Thessaly, Hellenika 38 [1 9 8 7 ] 3 - 1 7 ) , zwei in Pella und drei in Aigion (dazu DICKIE Pella 81). 253 Das Blech war viermal vertikal und einmal horizontal gefaltet worden, so daß ein „piccolo rettangolo di cm 1,6 x 1,4“ entstand (GUARDUCCI Laminette 8). Zum Bildungshintergmnd der Schreiber vgl. WlLAMOWITZ Hellenistische Dichtung 1.109 „Halbgebildete wie die Verfertiger der Sprüche auf den orphischen Goldplättchen“, LLOYD-JONES Orphic Tablet 225; BERNABE Hiponion 219. Zusätzliche Schwierigkeiten bereiten der Dialekt und das Alphabet: WEST Hipponion 231, ZUNTZ Goldlamelle 131, Ja n k o Forgetfulness 98, lACOBACCl Laminetta aurea 251, G ia n g r a n d e Lamina 236.

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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Sprachlich und metrisch befriedigt dieser Befund so wenig, daß eine reiche epigra­ phische und konjekturelle Kritik eingesetzt hat, deren Vorschläge der Übersicht­ lichkeit halber in Form eines Apparates dargestellt seien:254 15 και γάρ τοι LLOYD-JONES Orphic Tablet 226 | συ πιών LUPPE Abermals 23, 26, GUARDUCCI Nuove Riflessioni 386, GlANGRANDE Lamina 246, συχνάν BURKERT bei WEST Hipponion 233f, PUGLIESE CARRATELLI Hipponion 227, ZUNTZ Goldla­ melle 133, συχνήν LLOYD-JONES Orphic Tablet 226, συχνών MERKELBACH Goldtäfelchen 8, GUARDUCCI Osservazione 23, σύ τέκνον WEST Hipponion 234 || 16 κλεεινοι WEST Hipponion 233, MERKELBACH Goldtäfelchen 8, GUARDUCCI Osservazione 21, κέλευθον WEST Hipponion 233, LUPPE Abermals 23, 26 κλυτάν τε FEYERABEND Proömium 7 |||

Die Herstellung des Gesamttextes ist zudem noch dadurch belastet, daß unklar ist, inwieweit solche Texte überhaupt der stemmatischen Methode unterworfen werden dürfen.255 Burkerts συχνάν und Wests bzw. Luppes κέλευθον erscheinen im Licht unserer Wegmetaphorik als plausible Heilungsvorschläge.256 Im Jenseits wird die Seele einen Weg ins Elysium schreiten, den schon andere „Mysten und Bakchen“ vor ihr gegangen sind.257 Dieser Weg kann schwerlich der „der Vielen“ (συχνών) sein,258 da das zentrale Anliegen des Mysterienversprechens und ein großer Teil seiner Attraktivität ja gerade in der Exklusivität der Rettung vor dem endgültigen Tode besteht: Nur wenige werden diesen Weg beschreiten.259 Συχνάν meint dem­ nach also die Länge und Beschwerlichkeit der heiligen Straße, die dementspre­ chend wenige Glückliche entlangziehen. Diese Auffassung des Attributes findet

254 BERNABE Hiponion 222 und lACOBACCI Laminetta aurea 251 haben ohne Kenntnis voneinan­ der bereits versucht, einen Apparat zusammenzustellen. Die hier aufgelisteten Textvorschläge sind unabhängig von den beiden kompiliert worden. 255 Unsere Verse als stemmatisches Problem sieht PUGLIESE CARRATELLI Lamina Orfica 458, Hipponion 227—28, der gegen LLOYD-JONES und M e r k e l b a c h feststellt, daß zwar ein ιε ρ ό ς λ ό γ ο ς allen Goldblättchen zugrundeliege, daß aber das Verhältnis vermutlich ein anderes als bei literarischen Texten sei: Für heilige Texte gälten andere Reproduktionsbedingungen. Ähnlich B e r n a b e Poesia orfica 28-29. Vgl. unten 88f Anm. 284. Zum Bestand an Goldblätt­ chen vgl. JANKO Forgetfulness 89 (mit einem Stemma 99), nach dem H von allen seinem ‘Archetypos’ (Rekonstruktion 99) am nächsten, aber auch vereinzelt steht. Der Suche nach ei­ nem Archetypos huldigt auch lACOBACCI Laminetta aurea 251. 256 Die Wegvorstellung insgesamt schlägt sich auch in ό δ ο ιπ ό ρ (ε ι) A4.5 ZUNTZ Persephone 329 (= 1 B 20.5 DK) nieder. BURKERT Griechische Religion 436-37 übersetzt unter Auslassung seiner eigenen Textvorschläge. Eine Diskussion des Textes findet sich bei PUGLIESE CARRATELLI Lamina Orfica 462 und JANKO Forgetfulness 97. 257 Die βάκχοι sind der Grund dafür, daß man im Zusammenhang dieser Goldblättchen meist von bakchischen, d. h. dionysischen, Kulten spricht. WEST Hipponion 234-35 und ZUNTZ Goldlamelle 147^48 glauben als einzige, daß keine Verbindung zu Dionysos bestehe. Das Ar­ gument bei WEST Elegy & Iambus 24. Gegen WEST HENRICHS bei BURKERT Bacchic Myste­ ries 23, COLE Evidence 225ff, GUARDUCCI Hipponion 24, PUGLIESE CARRATELLI Lamina Orfica 464, 466. LLOYD-JONES Afterlife 264 bleibt dagegen vorsichtig. 2 5 8 So versteht MERKELBACH Goldtäfelchen 9 seinen Text. 259 Richtig PUGLIESE CARRATELLI Hipponion 227: „accessibile a pochi eletti.“

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eine überraschende Parallele in der πολλή οδός der aristophanischen Ranae260 und der οδός έχί την άληθινήν Παιδείαν άγουσα der Tabula Cebetis,26' die ebenfalls ausschließt, daß dieser Weg frequentiert ist (ήτις [seil, οδός] ού πολύ όχλεΐται). Die Vorstellung einer ιερά οδός erinnert an die schon mehrfach von uns pro­ blematisierte οδός bzw. κέλευθος καθαρά Pindars und des Kallimachos. Nur von Initianten wird dieser Weg beschritten: Auf einer anderen Straße gelangen die Seelen der profani ins Jenseits, wo auf sie nicht das Elysium wartet. Ob die (konjizierte) ιερά κέλευθος des Goldblättchens aus Hipponion nach der realen Prozessionsstraße von Athen nach Eleusis benannt ist, läßt sich nicht entscheiden. Identisch kann man sich beide Straßen kaum vorstellen, da ja die eine ganz deut­ lich eine jenseitige ist.262 Eine höhere Plausibilität verspricht das Prinzip der Itera­ tion: Diesseitsweg und Jenseitsweg sind gleich benannt, wobei die Frage nach der Benennungspriorität offen bleiben muß. Während der parmenideische Weg zu dem des Goldblättchens nur in dem vagen Verhältnis einer von einer Vorstellung ange­ regten Metapher zu einem entfernten, unmetaphorischen Verwandten derselben Vorstellung steht,263 liefert ein bislang in diesem Punkt unbeachteter Papyrus eine Parallele, die auch für die notorische ‘reine Straße’ Pindars bzw. des Kallimachos bedeutsam ist: Ein Bologneser Papyrus hat eine Hadesdarstellung erhalten, von der man mittlerweile meist als ‘orphischer Katabasis’ spricht (dazu unten 90 mit Anm. 288).264 Dort ist auch die Rede von einer Straße (78f): ]τον άπό χθονός ήλυθο[ν] άλλαι ]ν οδός εΰδιος ουδέ καί αύ[τ]ή.265

Jemand legt einen Weg zurück, verschiedene in verschiedenen Richtungen: Wenn auch nicht klar ist, ob hier von zwei polaren oder nur einem Weg die Rede ist, so läßt doch der Begriff der οδός εϋδιος darauf schließen, daß dieser Weg zum Ely­ sium führt: Εΰδιος denotiert eigentlich schönes Wetter und klaren Himmel. Die Mysten wandeln offenbar nicht im Hadesdunkel, sondern im jenseitigen Sonnen-

2 6 0 Vers 4 0 2 im Kontext der eleusinischen Mysterien: Vgl. N a m ia Β α σ ιλ ε ύ ς 2 8 9 . Ob Pindars ]δ ο λ ιχ ά δ ’ ό δ [ό ]ς ά θ α ν ά τ ω [ν (F 70d. 18 SM) hierher gehört, wäre zu erwägen. 261 12.3; 11.15fund 15.2, 13.14 P r a e c h t e r . Vgl. oben 78.

262 GUARDUCCI Nuove Riflessioni 394-395 erkennt hier nach MUSTI die reale Straße von Eleusis nach Athen. 263 PUGLIESE CARRATELLIs Gleichsetzung beider Wegkonzeptionen (Θ ε ά 3 4 3 ) nach dem Krite­

rium „1 una e 1 altra portano alia veritä“ verwischt die gravierenden Unterschiede (genauso N a m ia Β α σ ιλ ε ύ ς 2 8 9 mit Anm. 3): Der Weg des Parmenides führt allein zur Wahrheit, wäh­ rend der Mysterienweg essentiell zur Erlösung, allenfalls akzidentiell zur Wahrheit fuhrt. 264 Eine bibliographische Orientierung gibt B e r n a b e Poesia örfica 37. Hier wird der Text nach LLOYD-JONES/PARSONS Catabasis Orfica 94 (= PBon. 4, fol. II verso 6 -7 ) gelesen. 265 Die Lesung ο δ ό ς ε ΰ δ ιο ς , auf die es uns ankommt, stammt von S n e l l (mitgeteilt bei M e r k e l b a c h Unterweltsbeschreibung 8) und ist gegen die Interpretation von WYSS, der ε δ ο ς las, durch L l o y d -J o n e s und P a r s o n s bestätigt worden. Die Zweifel, die T r e u Unter­ weltsbeschreibung 4 2 noch an dem Wegbild hatte, sind beseitigt. WYSS ergänzte das Wort da­ vor als μ α κ ά ρ ω ]ν, das in der Bedeutung „der Seligen“ statt „der Götter“, wie WYSS es ver­ stand, zu unserer Interpretation sehr gut paßt.

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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licht.266 Dasselbe meint wohl die πορεία ουρανία Platons (Rep. 10.619 E 5, vgl. unten 95f). Aus einem anderen Bereich, dem der Wetterprognostik, wissen wir, daß εΰδιος bzw. εύδιεινός und καθαρός sich bis zur Synonymität annähem kön­ nen.267 Die καθαρότης des Weges bei Pindar und Kallimachos wird also sachlich mit der οδός εΰδιος der ‘orphischen Katabasis’ identisch sein und meint den Weg, den die Seligen nach ihrem Tod ins Elysium gehen.268 Der Ausdruck war offenbar schon zu Pindars Zeiten terminologisch genug, daß man ihn als poetologische Metapher einsetzen konnte. Ob auch die Διός όδός Pindars (Ol. 2.70) in den Kontext des Hadesweges gehört, bleibt unsicher:269 Immerhin wäre für die ‘orphische Katabasis’ ein etymologisierendes Wortspiel Διός - εΰ-διος denkbar, das die Wahl des ungewöhnlichen Attributes dann zusätzlich erklären würde. Eine solche Erklärung der όδός καθαρά wird durch die religiös synkretistische όδός [...] καθαρά παντός κακοϋ der Tabula Cebetis zusätzlich gestützt (16.5; 15.4-5 Praechter). Die Jenseitsvorstellung ist also von der Konzeption zweier Wege ge­ prägt, die unser Goldblättchen impliziert,270 und die - selbst in poetologischen Kontexten als Metapher eingesetzt - die Sympathielenkung des Rezipienten ge­ währleistet, wenn der Dichter den richtigen Weg nimmt. Wie das Weg-άκουσμα, so kann auch der Jenseitsweg metaphorisch in poeto­ logische Kontexte integriert werden: Poseidippos, der von dem Florentiner Scholiasten zu den Teichinen gerechnet wird (Σ Flor. 5 P), tröstet in einem Alters­ gedicht sich und seine Leser über seinen nahen Tod, indem er die Vorstellung ei­ nes glücklichen Weiterlebens skizziert (F 705.21-23 SH):271 μηδέ τις ούν χεύαι δάκρυον. αύτάρ έγώ γήραΐ μυστικόν οΐμον επί 'Ραδάμανθυν ίκοίμην δήμω καί λαω παντί ποθεινός έών [...]

266 Die Vorstellung ist gängig: Vgl. Pindar F 129.1-2 SM, AUSTIN zu Vergil Aen. 6.641 und GRUZELIER zu Claudian Rapt. 2.284. Der „sovrumano splendore“ GUARDUCCIs (Osservazione 24) trifft das Phänomen der iterierten Diesseitssonne nur bedingt. 267 Vgl. Arat Phain. 323, 507, 783-84, 1013 und Ps.-Theophrast Sign. §§50-52. Zumindest bei Arat scheint καθαρός schönes Wetter bei Nacht, εΰδιος bei Tag zu bezeichnen. 268 Und ist vielleicht ursprünglich identisch gewesen mit einem allgemeinen, überirdischen To­ tenweg, wie ihn W a GENVOORT Journey 153 unter Hinzuziehung von Pindar F 189 SM π όρος ιερός „crossing place for the soul“ zu erweisen versucht. 269 Für Affinität M. GlGANTE, Per l’Esegesi del Testo orfico vibonese, La Parola del Passato 30 (1975) 2 23-225, zu Recht vorsichtiger BERNABE Hiponion 229. 270 SASSI Bivio 3 9 4-95 bietet eine schematische Übersicht Uber die Dreiwegskonzeptionen bei Platon, Parmenides und den „laminette orfiche“. In Mystenkreisen konnte man sie auch ganz einfach mit der Littera Pythagorica Y ausdrücken. Vgl. JAEGER Theologie 117, JOLY Cebes 41, SASSI Bivio 390, 392-9 3 , LEBEDEV Aphrodite Verses 25 mit Anm. 6. Zum Dreiweg ins­ gesamt DODDS Gorgias 375: „infernal crossroads“, der Platon eine pythagoreische Quellen­ tradition abspricht, sich mit seiner Skepsis allerdings nicht durchsetzen konnte, Die communis opinio z. B. bei JOLY Cebes 40. Zum Fortleben der Vorstellung eines Weges mit drei Statio­ nen RlEDWEG Mysterienterminologie 142-144, die aus einer aristotelischen Adaption des Dreiwegs entstanden sei (127ff, 160 mit Anm. 151). Doch vgl. unten 99 Anm. 329. 271 Den kulturellen Hintergrund dieser Verse hat jüngst BING Bios-Tradition 622f geklärt.

2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

Und keiner vergieße mir nun eine Träne! Wenn ich doch gealtert auf dem Mystenweg zu Rhadamanthys gelangte, sehnsüchtig erwartet von allem Volk!

Für den ‘Weg ins Elysium’272 ist der μυστικός οιμος geradezu eine Floskel.273 Auch Poseidippos betont in seiner Wahl des Begriffs ‘οίμος’, daß er ein Auser­ wählter sei: Diesen Pfad gehen jedenfalls nur wenige. Ebenso wie bei Pindar, Par­ menides und Kallimachos braucht man auch hier nicht unbedingt davon auszuge­ hen, daß Poseidippos tatsächlich Myste war:274 Der Dichter ist ‘Initiant’ in den ‘Mysterien’ der Musen, d. h. eben begnadeter Dichter, und darf wie der Myste auf sein ‘Elysium’ hoffen, d. h. die Unsterblichkeit durch seine Werke. Diese Gleich­ setzung hat, soweit kenntlich, explizit als erster Aristophanes in seinen Ranae ge­ wagt.275 Der Begriff μυστικός ist deutlich und der nächstliegende: Wie man an ihn die Vorstellung des Poseidippos als eines poeta doctus zu knüpfen vermag, ist schwer nachzuvollziehen.276 Zu Poseidippos’ Zeiten handelte es sich wohl schon um einen Topos, dessen sich Kallimachos in der Weg- und Wagenmetapher des Aitienprologs auf etwas subtilere Weise eben auch bedient. Wenn man eine relati­ ve Motivchronologie erstellen wollte, so müßte man Poseidippos, der sich explizit und proprie auf Mysterienterminologie bezieht, zeitlich vor die voraussetzungsrei­ che Wegmetapher des Aitienprologs stellen.277 2 7 2 BURKERT G riech isch e R elig io n 4 3 7 A n m . 2.

273 Vgl. z. B . Alkaios Ep. 14.89 HE, Diodoros Ep. 6.2131 GPh. L l o y d -J o n e s Posidippus 93 und F e r n a n d e z Posidipo 196 bringen diverse Parallelen aus ‘echten’ Grabepigrammen: Vgl. z. B. 1330.5; 1472.2; 1539.2; 1822.6; 1826.2; 1895.13 GV1. W. BURKERT, Le Laminette auree: Da Orfeo a Lampone, in: Orfismo in Magna Grecia [...], Napoli 1975; 81-104, hier 85 hat die συχνή οδός des Goldtäfelchens aus Hipponion mit dem οίμος des Poseidippos identifiziert. Vgl. auch L l o y d -J o n e s Afterlife 272 Anm. 45. So urteilt BAR1GAZZI Testamento 210 über die Verse des Poseidippos wahrscheinlich richtig: „Nella chiusa c ’e il tono deH’epigramma sepolcrale.“ 274 Allerdings ist kürzlich in einem Grab in Pella ein Goldblättchen mit der Aufschrift ,,Φ ερσεφόνηι Π οσειδίππος μύστης ευσεβής“ aufgetaucht: Das Grab wird von den Ausgrä­ bern auf das Ende des vierten Jahrhunderts AC datiert, so daß unser Poseidippos nicht ge­ meint sein kann, sondern es sich wohl um einen älteren Verwandten handelt. Doch wird die Mystengemeinde mehrere Generationen existiert haben, so daß der Dichter Poseidippos sehr wohl tatsächlich Myste gewesen sein kann (dazu insgesamt DICKIE Pella 8 3 f). 275 Aristophanes Ran. 356-7: Der Mystenchor schließt den, der die γενναίω ν όργια Μ ουσώ ν nicht kenne und in die Κ ρατίνου τού ταυροφ άγου γλώ ττης Β ακχεία nicht eingeweiht sei, von seinem Tanz aus. Beide Ausdrücke verbinden ursprünglich Unvereinbares. Zum Begriff der Β ακχεία COLE Evidence 228, BERNABE Hiponion 229. Das κ αθα ρεύειν (355) muß auch einen religiösen Gehalt haben. L lo y d - JONES Posidippus 94 Anm. 24 fuhrt als hellenistischen Beleg dieses „commonplace“ der Musenmysterien Meleager Ep. 1.3982 HE an, für das Fort­ leben Himerios Or. 62(16).6 (226.46ff COLONNA) und Christodoros AP 2.133, zur lateini­ schen Tradition vgl. BARIGAZZI Testamento 206f. Auch Argon, orph. 7-11 μ εγ ά λ ’ όργια μύσταις beziehen sich auf das Gedicht (vgl. Originalitätsanspruch in 8!) und dessen Inhalt. Schließlich ist wohl auch der dichtende Mandulis-Jünger Maximus hierher zu ziehen (Vers 5 der Inschrift bezeichnet er sich als μύστης, vgl. unten Anm. 294). 276 So aber BERNABE Hiponion 229. LSJ s. v. μ υ σ τ ικ ό ς erweisen das Wort als Allerweltsvokabel seit Aischylos. 277 Natürlich sind solche Erwägungen mit großer Vorsicht zu behandeln: Doch sie stimmen im­ merhin mit den chronologischen Fakten überein, die z. B. FRASER Alexandria 1.557-58

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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Die poetologische Weg- und Wagenmetapher kann sich also in den verschie­ densten Zusammenhängen religiöser Färbungen bedienen. Unter der Vorausset­ zung der oben besprochenen vielfältigen terminologischen Parallelen erklärt sich das Problem der κέλευθος bzw. οδός καθαρά bei Pindar und Kallimachos (oben 54ff mit Anm. 136). Wenn auch καθαρός sowohl in akustischem Sinne wie auch als rhetorische Metapher verwendet wird, so scheiden beide Interpretationen doch durch die Zusammenstellung mit einer ‘Straße’ aus.278Das vehicle muß in sich stets stimmig sein. Wie wir schon zu Iamblichos 58 C 4 DK und Aelian (vgl. oben 80 und Anm. 246) bemerkt haben, deutet man die ungewöhnliche Verbindung am leichtesten mysterienterminologisch: Wenn die Seele des Mysten das Jenseits be­ tritt, empfiehlt sie sich Persephone mit den Worten: έρχομαι έκ καθαρών καθαρά, χθονίων βασίλεια.279

Die emphatische Begriffsdopplung weist καθαρότης als zentralen Begriff dieser religiösen Vorstellungen aus, wenn auch der genaue Bedeutungsinhalt dieser ‘Reinheit’ unklar bleibt.280 Eine zentrale Rolle des Reinheitsbegriffs darf man für Mysterienreligionen überhaupt postulieren.281 Καθαρότης kann so zum Signal­ begriff für Mysterienterminologisches schlechthin werden, wie die καθαροί άνδρες in der essentiell bildhaften Schilderung Plutarchs F 178.16 Sandbach bewei­ sen.282 Wenn also οδός und καθαρός je für sich Konnotationen mystischer Reli­ giosität annehmen können, so erst recht wohl die Verbindung beider Begriffe. Dies wird um so plausibler, als sich eine augenfällige andere Deutung nicht ergibt. So­ wohl Pindar wie Kallimachos über Theaitetos darf man also entsprechende Absich(thebanisches Altersgedicht des Poseidippos kurz nach 270 AC) und 1.720 (Aitienedition letzter Hand in den ersten Regierungsjahren des Ptolemaios Euergetes) auffuhrt. 278 Zur Akustik vgl. z. B. Aristophanes Αν. 2 15-216 καθαρά χω ρεΐ ήχώ (wohl aber wie Ion F 27.7 1EG ϊτω διά νυκτός άοιδή keine Wegmetapher). HOOK Terminology 7 bringt rhetori­ sche Parallelen, die einwandfrei mit Wassermetaphorik verbunden werden müssen (gesichert durch den Gegenbegriff des Trüben: θ ο λοΰ σ θα ι Ps.-Longinos 3.1). Zur Verwendung des po­ lemischen Begriffs κάθαρμα gegen Kallimachos in Ps.-Apollonios Ep. 1.53-54 FGE (= AP 11.275 = Apollonios F 13 CA = Kallimachos T 25 P) WlLAMOWlTZ Hellenistische Dichtung 2.96-97, F r a s e r Alexandria 2.1056-57 Anm. 276, LLOYD-JONES Miscellany 59 Anm. 27. Dieses Epigramm wird jetzt von F. CAIRNS überzeugend als Parodie eines Lexikoneintrags gedeutet (Callimachus the ‘Woodentop’ (AP XI 275), in: L. BELLONI e. a. [edd.], Studia classica Iohanni Tarditi oblata, 2 voll., Milano 1995; 1.607—615). 279 Topische Einleitungsformel der Goldblättchen: A l .l , 2.1, 3.1, ähnlich A5.1 ZUNTZ Persepho­ ne 3 00-305, 333-34 (1 B 18.1, 19.1, 19a. 1 DK). Zur Interpunktion ZUNTZ Persephone 306 (nur nach κ α θ α ρ ά sinnvoll), LLOYD-JONES Afterlife 272-73 beipflichtend. 280 ZUNTZ Persephone 307: „The special nuance o f the adjective καθαρός is in denoting purity in some particular respect and from some particular pollution.“ Dort Anm. 5 semantische Ab­ grenzungsversuche gegen δσιος und άγνός. 281 Vgl. allgemein L. DEUBNER, Attische Feste, Berlin 1932, 75 und GRAF Eleusis 44 zur Rolle von κ α θ α ρ ε ύ ω in Eleusis, wo der Begriff ebenfalls zentral ist. Material zu ε ΰ φ η μ ε ΐν und κ α θ α ρ ε ύ ε ι ν bei Ch. A. LOBECK, Aglaophamus sive de theologiae mysticae Graecorum causis [...], Königsberg 1829, 1.14ff u. ö. Vgl. RIEDWEG Mysterienterminologie 55-56 mit Zitat un­ seres Verses. 282 Zur Deutung des gesamten Fragments vgl. GRAF Eleusis 132-138.

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2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

ten unterstellen, die letztlich darauf zielen, Dichtung eine elitäre, mystische Weihe zuzuschreiben.283 Oben (53—56) wurde eine Deutung des kallimacheischen Epigramms 7 P auf Theaitetos versucht, die dessen καθαρή οδός nur als Anspielung auf Mysterien­ terminologie, nur als religiöses vehicle eines poetologischen tenor verstand, dessen Funktion es sei, den Rezipienten poetologische ‘Heiligkeit’, also einen dichteri­ schen Sonderstatus, assoziieren zu lassen. Diese Deutung ist vor dem Hintergrund der Hadesstraße möglicherweise verschärfend zu revidieren: Wenn man von der üblichen Prämisse, die ‘reine Straße’ als Metapher zu verstehen, abrückt und sie proprie zu verstehen sucht, ergibt sich zwanglos eine kohärente Deutung des Epi­ gramms als eines elaborierten Nachrufs: Theaitetos ist gerade gestorben (ήλθε [1] ingressiv: „hat angefangen, den reinen Weg zu beschreiten [seil, den die Mystenseelen nach dem Tod zum Elysium gehen]“). Ähnlich wie bei Poseidippos wird sein Dichtertum als Initiationsvorgang idealisiert, der ihm nach seinem Tod das Elysium sichert. Weiter ist klar, daß (im Gegensatz zu seinem Lebens- und Dich­ tungsweg) die κελευΟος (2), die er jetzt beschreitet, nicht zum Siegerefeu führt (sondern zum Elysium). Daß die Herolde jetzt die Namen anderer ausrufen (3), wäre nach dem Tod des Theaitetos nicht nur zwingend, sondern sogar implizit enkomiastisch zu verstehen: Erst nach seinem Tod hatte der Herold auch einmal die Gelegenheit, die Namen anderer auszurufen, weil der Museninitiant Theaitetos zu Lebzeiten so erfolgreich war, daß die anderen stets leer ausgingen (in einem Nach­ ruf sollte man den Realitätsgehalt einer solchen Aussage nicht überbewerten): Analog zur unsterblichen Existenz im Dichterelysium wäre es auch einleuchtend, daß Hellas seinen Namen ewig rühmen wird (4). Diesseits wäre er so durch seine Dichtung unsterblich geworden, jenseits lebte er alle Zeit selig im Elysium. Das Epigramm läßt sich also als Nachruf am leichtesten verstehen, wenn auch die ge­ samte Deutung an der καθαρή οδός hängt. Als Pindarreminiszenz läßt sich die kallimacheische καθαρή οδός so lange nicht akzeptieren, wie keine Funktion hinter dieser Parallele sichtbar wird. Im Hinblick auf Kallimachos stellt sich die Frage, ob angesichts der frappan­ ten Übereinstimmungen der Zwei-Wege-Topik einerseits in Texten, die von Parmenides und Pindar über religiöse Texte vielleicht schon des fünften Jahrhun­ derts284 und des Hellenismus bis hin zur Tabula Cebetis reichen, und der Unwahr283 BURKERT Pseudopythagorica 17, 21 stellt zum sog. Lysisbrief fest, daß Elitarismus sogar die hervorstechende Eigenschaft der pythagoreischen Lehre gewesen sei. ‘Reinheit’ könne dabei bedeuten, daß ein Außenstehender von den esoterischen Wahrheiten nichts erfahre. Zum Eli­ tarismus als typischer Sektenerfahrung vgl. auch B a s s i Exclusion 220, deren Deutung des kallimacheischen Apollonhymnus allerdings insgesamt darunter leidet, daß sie alle kultischen Elemente strikt poetologisch deutet, während wir umgekehrt von einer provokanten poetologi­ schen Instrumentalisierung kultisch-religiöser Sprache ausgehen. 2 8 4 WEST Hippomon 2 2 9 zu den Goldblättchen A 1 -5 ZUNTZ, die untereinander und zu H(ipponion) starke Parallelen aufweisen: „Hinter den Einzelexemplaren steckt offenbar ein Archetypus, den man jetzt ins 5. Jahrhundert (wenn nicht gar früher) hinaufdatieren muß.“ Zustimmend GUARDUCCI Hipponion 2 0 Anm. 4 . Doch vgl. oben 83 Anm. 2 5 5 . Ähnlich weit geht auch BURKERT Griechische Religion 4 3 8 für die Annahme bakchischer Mysterien zu­ rück, „die Seligkeit im Jenseits verheißen“. FräNKEL Wege 158 hatte schon 1928 für Pindar

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scheinlichkeit einer direkten gegenseitigen Einflußnahme dieser Texte aufeinander andererseits nicht die Rekonstruktion eines motivischen Archetypos der religiös konnotierten Wegmetapher gewagt werden sollte, wobei sich nicht entscheiden läßt, ob hier ein einzelner ‘autoritativer’ Text oder nicht eher eine Gattung das Ziel einer solchen Rekonstruktion sein müßte. Jede solche Rekonstruktion kann natür­ lich nur Arbeitshypothese sein.285 Welcher Text, welche Gattung könnte folgende gemeinsamen Züge aufgewiesen haben: Weg oder Wagenfahrt (zur Erlösung, zu autorisiertem Wissen, zu vollendeter Dichtung), Auszeichnung dieses Weges durch Exklusivität, Empfang durch eine göttliche Gestalt, Verkündungsrede, IchErzählung (des Erlösten, Erleuchteten, Dichters)? Die poetologische Ebene schei­ det zweifellos als Resultat einer Übertragung und damit als sekundär aus. An der parmenideischen Version ist sicher die ontologische Ebene gegenüber der ‘schamanistischen’ jünger. In diesem Bereich, dem ‘schamanistischen’ - oder ein­ fach religiösen - ist also unsere Textgattung zu suchen. Hier hat man unter Heranziehung vor allem auch der vergilischen Nekyia schon früh an eine ‘orphische’ bzw. von einer solchen beinflußte epische Katabasis gedacht.286 Zur Zeit Platons scheinen unter dem Namen des Musaios bzw. seines Sohnes pseudepigraphische Texte existiert zu haben, die eine Katabasis schilderten (Platon Rep. 2.363 C 4ff). Es ist umstritten, inwieweit und ob überhaupt die plato­ nischen eschatologischen Mythen wie der Mythos des Pamphyliers Er oder der des Gorgias sich an ‘heilige’ Texte katabatischen Charakters anlehnen (oben 52 Anm. 123). Weiter ist in ‘orphischen’ Testimonien gelegentlich von einer ,,κατάβασις“ oder „κάθοδος“ Kores die Rede (F 49.120 OF, F 50-53 OF). Immerhin hat Py­ thagoras sein göttliches Wissen möglicherweise mit dem Hinweis auf eine biogra­ phisch reale Katabasis legitimiert, die er überdies rituell iterierend praktiziert ha01. 6 und Parmenides nach einer gemeinsamen Quelle spätestens des sechsten Jahrhunderts gesucht. Vgl. auch oben 75 Anm. 223. 285 BURKERT Katabasis 19 über eine ähnliche Arbeitshypothese ebenso pathetisch wie zutreffend: „[...] doch muß man sie wohl wagen, will man auf Orientierung in der Vielfalt der Phänomene nicht ganz verzichten.“ 286 A. DIETERICH, Nekyia. Beiträge zur Erklärung der neuentdeckten Petrusapokalypse, Leipzig/ Berlin 0121913, 113ff. E. NORDEN, P. Vergilius Maro: Aeneis Buch VI, Leipzig/Berlin 31927, differenziert mythologische καταβάσεις (Orpheus, Herakles: 5) von theologischen (6-10), vgl. 23: „Vergil hat eine apokalyptische Schrift des Poseidonios zugrunde gelegt und sie in dem konventionellen Stil der ihm bekannten (wahrscheinlich auch von Poseidonios selbst be­ nutzten) transzendenten Offenbarungspoesie bearbeitet.“ Ähnlich DURANTE Epea pteroenta 255 mit Anmm. 22 -2 3 . H. LLOYD-JONES, Herakles at Eleusis: POxy 2622 and PSI 1391, Maia 19 (1967) 206-229 rekonstruiert aus einem Threnos Pindars (mittlerweile F 346 SM), dem ersten Teil der Ranae und der κατάβασις des vergilischen Aeneas eine epische HeraklesKatabasis für die Mitte des sechsten Jahrhunderts. Doch zeigt bereits die odysseische Nekyia deutliche Spuren einer Herakles-Katabasis: Vgl. λ 601-8. V. D . M a CCHIORO, La Catabasi orfica, ClPh 23 (1928) 2 3 9 -2 4 9 isoliert aus λ zwei inkompatible Vorstellungen, von denen eine homerisch, also O riginal’ sei, die andere eine Interpolation auf Grundlage einer orphischen Katabasis (243, 246). Diesen Text datiert er ins sechste Jahrhundert (248). In jedem Fall fehlt im Gegensatz zu Parmenides und Kallimachos in allen diesen Texten eine Bezeugung des Er­ leuchtungsmotivs. G r a f Eleusis 146^19 votiert in diesem Zusammenhang vorsichtig für eine vorpindarische orphisch-eleusinische Herakleskatabase des Onomakritos.

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ben könnte.287 Für eine literarische Gestaltung dieser Katabasis durch Pythagoras selbst oder unter seinem Namen fehlt allerdings jeder Anhaltspunkt, wenn man nicht die der Datierung und Autorschaft nach unsichere ‘orphische Katabasis’ hierhin ziehen möchte.288 Gelegentlich wurde auch die Hypothese geäußert, die ‘orphischen’ Goldblättchen enthielten Passagen aus einem umfangreicheren ιερός λόγος.289 Das alles ist unsicher: Was den erwähnten Ritus des Pythagoras betrifft, so scheint die Annahme plausibler, daß eben dieser Ritus aus der Anlehnung an eine dem Orpheus zugeschriebene Katabasis oder Himmelsfahrt in epischem Ge­ wand entstanden ist,290als ihn umgekehrt zum Gegenstand eines Textes zu machen. Wenn man aus der Übereinstimmung von Parmenides und den ‘orphischen’ Gold­ täfelchen deren motivischen Archetypos rekonstruieren dürfte,291 so läge es nahe, für einen oder eine Pluralität derartiger Texte als hervorstechendes Merkmal vor allem die Ich-Erzählung zu betrachten, die dem Ganzen einen visionsartigen Cha­ rakter verleiht.292 Daß der Aitienprolog als Ganzes vielleicht von Dichterweihen angeregt ist,293 ist kein Gegenargument gegen unsere Schlüsse:294 Hier geht es nur 2 8 7 BURKERT Weisheit 9 2 Anm. 3 2 , 136—141; ders. Katabasis 27; ders. Griechische Religion 4 4 5

rekonstruiert diesen Ritus —allerdings aus oft polemischen Zeugnissen (Hermippos, Hieronymos von Rhodos, Heraklit). Dazu vgl. D o d d s Gorgias 3 9 5 . 2 8 8 PBon. 4 (= P a c k 1801): Bibliographie bei B e r n a b e Poesia orfica 3 7 . Zum Papyruskodex vgl. F ia c c a d o r i /M e d d a Papiri di Bologna 3 8 9 mit Material, zur Datierung vgl. L l o y d J o n e s /P ARSONS Catabasis Orfica 88: „nobis quidem poetae et sermo et materies aetatem non Hellenisticam redolere sed prorsus Romanam videtur [...].“ und TREU Unterweltsbeschreibung 25, der die These neuplatonischer Spuren diskutiert, mit MERKELBACH Unterweltsbeschrei­ bung 1 (A. VOGLIANO): „Gewisse Momente sprachen für Antimachus als Verfasser dieses Textes.“ (Spondeen: Vgl. unten 187 Anm. 2 3 6 ). TREU Unterweltsbeschreibung 4 4 - 4 7 hält den Text für vorvergilisch, sogar vorepikureisch (51), da er frühhellenistische sprachliche Beson­ derheiten aufweise: womit wir uns in der unmittelbaren Nachbarschaft des Aitienprologes be­ fänden. Doch bleibt die Datierungsfrage weiterhin klärungsbedürftig. Zu orphischen Katabaseis vgl. auch das Bildmaterial, das BURKERT Bacchic Mysteries 3 mit Anm. 15 heranzieht. 2 8 9 Vgl. D i e t e r i c h Nekyia (wie Anm. 2 8 6 ) 128, D . COMPARETTI, The Petelia Gold Tablet, JHS 3 (1 8 8 2 ) 111—118, hier 117, D o d d s Gorgias 2 9 7 , B e r n a b e Hiponion 2 3 2 . Gegenargumente bei ZUNTZ Persephone 3 3 0 . 290 W e s t Orphic Poems 6 postuliert eine solche Dichtung aus anderen Gründen. G r a f Eleusis 141 mit Anm. 3 macht den Versuch, aufgrund von Wortparallelen zu einer konkreteren Ge­ stalt seiner (pseudepigraphischen) „sakralen eleusinischen Dichtung“ (140) vorzustoßen. 291 Wie F e y e r a b e n d Proömium 10 es versucht. 2 9 2 Aus der Übereinstimmung von Epimenides’ Höhlenerzählung, Nekyia und Parmenides’ Proömium schon von D iel s Parmenides 14 festgestellt. Ähnlich WEST Orphic Poems 1 2 -1 3 . 293 Zu den typischen Elementen der Dichterweihe vgl. den Theogoniekommentar W ests (160). Sowohl in der Dichterweihe Hesiods wie in der des Archilochos (soweit faßbar: vgl. LEFKOWITZ Poets 27f) spielt Gegenstandsübergabe eine zentrale, Metaphorik dagegen gar keine Rolle (zu Archilochos A. KAMBYLIS, Zur ‘Dichterweihe’ des Archilochos, Hermes 91 [1963] 129-150, der die Erzählung [132f] für mündlich überliefert hält). Bei den nur in knap­ per Paraphrase überlieferten Dichterweihen (des Aischylos bei Pausanias 1.21.2, des Pindar bei Chamaileon F 32a und b WEHRLI, wohl auch des Maximus Decurio [wie unten Anm. 294]) fällt als gemeinsames Element nur der Schlaf auf. Alle genannten Dichterweihen haben gemeinsam, daß der künftige Dichter Hirte ist (vgl. dazu auch Simichidas in Theokrit Eid 7.92) oder gerade Vieh treibt — was für ein Unterschied zu Kallimachos, den die Berufung beim Schreibunterricht ereilt!

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um die Bildebene der Apollonparainese, die in ihrer Metaphorizität in anderen Dichterweihen keine Parallele findet und der Herkunft ihres vehicle nach kontext­ fremd sein muß.294295 Dieses Fremdelement besteht aus einer Opfervorschrift und einer religiös klingenden Wegmetapher und trägt damit Züge von „transzendenter Offenbarungspoesie“ (Norden vgl. 89 Anm. 286). Ούδέν προς τον Καλλίμαχον? Gerade das autobiographische Element, das der Einkleidung der Apollonparainese die Gestalt eines Epiphanieberichtes gibt, verbindet Kallimachos formal mit der eben skizzierten Tradition. Im Lichte seines eigenen Apollonhymnus betrachtet, liegt bereits in der so beiläufig berichteten Tat­ sache einer persönlichen Epiphanie ein Anspruch auf Größe,296 der sich legitimie­ rend auf die Verkündung seiner poetologischen Metaphern auswirken muß. Daß hier diese Epiphanie wie bei der Dichterweihe Hesiods möglicherweise nur eine akustische sein soll, würde den gänzlichen Verzicht auf die Schilderung optischer Eindrücke in unseren Versen erklären.297 Aber es fügen sich auch die Formelemen­ te des Weges, der Verkündigung esoterischer Botschaften durch einen Gott und so die Legitimation der eigenen Anliegen harmonisch in seinen Zusammenhang ein, wobei der ‘Weg’ bildlich in die Enthüllung integriert wird. Wie oben im Falle des Weg-ακουσμα soll auch hier die These verfochten werden, daß Kallimachos sich mit der Intention der Assoziationssteuerung an religiöse Offenbarungstexte an­ lehnt. Eine isolierte Parmenidesrezeption scheint angesichts der mächtigen Tradi­ tion poetologischer Wegmetaphorik nicht wahrscheinlich.298 Als Bezugsgattung kommt am ehesten die der hellenistischen Pseudopythagorika in Frage.299 Daß zur 294 lm übrigen kultiviert ja auch die Dichterweihe in Epiphanie oder Vision einer Gottheit diese religiöse Aura: Vgl. neben den oben aufgeführten Beispielen den Extremfall des Maximus Decurio, dessen in einer Wandinschrift des Tempels für den Sonnengott Mandulis in Talmis (heute Kalabscha) geschilderter Dichtungsauftrag zwischen Dichterweihe und Reanimiertenbericht schwankt (Text: J. P. MAHAFFY, Documents Egyptiens, BCH 18 [1894] 149-151; E. ROHDE, Metrische Inschrift aus Talmis, Philologus 54 [1895] 11-15; Diskussion: H. WEIL bei A.-H. S a y c e , Inscriptions et Papyrus Grecs d’Egypte, REG 7 [1894] 284-304, zu unserem Text 285-291; R. P. FESTUGIERE, La Revelation d’Hermes Trismegiste, I: L’Astrologie et les Sciences occultes, Paris 21950 [1943], 47-49). 295 Daß Kallimachos nicht auf einem Weg kommt, sondern auf einen Weg gewiesen wird, ist unwesentlich: Auch bei Parmenides werden - in ähnlicher Weise metaphorisch - Wege emp­ fohlen, die er dann gewiesen wird, bzw. abgelehnt. Für unsere These der assoziativen Rezep­ tionssteuerung ist es ferner unwesentlich, ob es sich um reale, wenn auch jenseitige Wege (wie im Fall der Hadestopik) oder um metaphorische handelt. 296 H2.10: ό'ς μιν [seil, τ ο ν Α π όλλω να ] Ίδη, μέγας ούτος, δς ο ύ κ ϊδ ε , λιτός έκεΐνος. 297 Vgl. zur akustischen Epiphanie BRENK Epiphanies 420f, SPEYER Göttliche Stimme 13-17, 2 4 f, KOSTER Apollonpriester 18 Anm. 34 (doch wird man ihm zwei Epiphanien streichen müssen). Vielleicht darf man auch für die Branchos-Geschichte (F 229 P) eine Apollonepi­ phanie annehmen (vgl. LlVREA Somnium 51)? 298 Obwohl auch das behauptet wurde: CRANE Tithonus 271 mit Anm. 8. 299 Beispiele bei LESKY Geschichte 785, zum Problemkreis vgl. BURKERT Pseudopythagorica passim, besonders 232, skeptisch THESLEFF Pythagorean Writings 50. Die Erwähnung des Pythagoras in Iambos 1 (F 191.61-3 P) geht eindeutig auf diätetische ακούσματα altpythago­ reischer Prägung zurück. Den Text hat H. LLOYD-JONES, Callimachus, fr. 191.62, CIRev 17 (1967) 125-127 überzeugend mit οίταλοί statt des überlieferten οϊ τάδ’ ούδ’ emendiert. Die Pointe allerdings erkannte erst M. L. WEST, Callimachus on the Pythagoreans, CIRev 21

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2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

Zeit des Kallimachos viele ιεροί λόγοι im Umlauf waren, beweist das etwa eine Generation jüngere Edikt des Ptolemaios IV. Philopator von 214, der alle Charismatiker seines Machtbereichs auffordert, ein Exemplar ihres ιερός λόγος zur Überprüfung einzureichen und einen Vermittlungsnachweis εως γενεών τριών zu führen. Daß die Obrigkeit dieser Literatur offenbar politische Brisanz zutraute, wirft ein Licht auf die Präsenz solcher Texte in der Bevölkerung. Als Ziel der ge­ nerischen Allusionen im Aitienprolog denkt man spontan an eine (zuge­ gebenermaßen hypothetische) Einleitungsszene von Schriften wie der späthelle­ nistischen Kompilation ‘heiliger Reden’ des Orpheus.301 Die knappe Schilderung der Katabasis des Orpheus bei Elermesianax (F 7.1—14 CA) scheint umfangreichere Kenntnis des Stoffes bei Autor und Rezipient vorauszusetzen.302 Die Kenntnis des spezifisch orphischen Zagreus-Mythos bei Kallimachos (F 43.117 P; 643 P; evtl. 517 P) und Euphorion (F 13 CA) ist vielleicht auf solches Schrifttum zurückzufüh­ ren, da sie nicht gut akusmatisch vermittelt sein kann.303 Möglicherweise zielt der parodistisch-aitiologische μυστικός λόγος, von dem die Diegeseis zu F 199 P sprechen, auf eine solche Gattung.- Der durchaus unheilige Zustand einer (natür­ lich) phallischen Elerme wird von dieser eben ‘mystisch’ erklärt (D 8.38 P κατά μυστικόν λόγον).304 Daß Kallimachos sich bibliographisch auch mit ‘Pythagoras’ (1971) 330-31 (doch vgl. die Entgegnung durch L l o y d -J o n e s , CIRev 24 [1974] 5): Diejeni­ gen Italer werden Vegetarier, die sich aufgrund ihres widrigen Schicksals (63, d. h. ihrer Ar­ mut) ohnehin kein Fleisch leisten können, also auch als Nichtpythagoreer faktisch Vegetarier waren. Das ist gutmütiger Spott, keine scharfe Polemik, ähnlich auch ARDIZZONI Echi pitagorici 264-66, unergiebig dagegen C l a y m a n Iambi 14, 57. Ein ähnlicher Witz liegt unmittelbar davor in 56-59: Thaies habe vor der Geburt des Pythagoras von dessen früherer Metempsy­ chosis Euphorbos das σχήμα (eben den Satz des Pythagoras) gelernt: BURKERT Weisheit 397-98 richtig gegen frühere Interpretationen. Das sind geistreiche Spielereien, die CLAYMAN Iambi 56: „somewhat lame witticisms“ unterschätzt. H e r t e r Kallimachos 217 (zu Iambos 1, F 191.60flf P). „ V[ers] 62 lehnt K[allimachos] mit dem Vegetarismus auch das übrige Pythagoreertum ab.“ ist also haltlos. Ebenso CAPOVILLA Callimaco 2.382-3. 300 Text Sammelbuch 3 (1926) Nr. 7266. V gl. dazu G. Z u n t z , Once more: The so-called ‘Edict o f Philopator on the Dionysiac Mysteries’ (BGU 1211), Hermes 91 (1963) 2 28-39, v. a. 237 und BURKERT Craft versus Sect 7 (Literatur 185 Anm. 30). 301 Diese Schrift erwähnt BURKERT Griechische Religion 4 4 2 . 302 Dazu vgl. F a b io Catabasi di Orfeo 199-200 mit Anm. 3. Er äußert sich leider nicht über die konkrete Gestalt, in der dieser Mythos zur Zeit des Hermesianax allgemein bekannt gewesen sein könnte. 303 Dazu auch CAPOVILLA Saggi 119 und 126f. Zum Zagreus-Mythos, dessen ältester sicherer Zeuge Kallimachos ist, vgl. W. BURKERT, Homo necans. Interpretationen altgriechischer Op­ ferriten und Mythen, Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 32, Berlin/New York 1972, 140 Anm. 41: „[...] hiervon sprach Kallimachos gewiß nicht aus eigener Erfindung [...]“, 249 mit Anm. 43 (gegen die These von der Erfindung des Mythos in frühhellenistischer Zeit): „Die Zurückführung des Mythos auf Onomakritos [...] ist antike Philologenvermutung doch könnte ein Gedicht des 6. Jhs. im Hintergrund stehen.“ Vgl. auch B u r k e r t Bacchic Myster.es 4 mit Anm. 25 und L l o y d -J o n e s Afterlife 261. Dem Zagreus-Mythos widmet sich besonders M. DI MARCO (Dioniso ed Orfeo nelle Bassaridi di Eschilo, in: MASARACCHIA Or­ feo e l’Orfismo, 101-153), der 136 darauf hinweist, daß F 31 OF (einen Papyrus aus Gurob) em Zeitgenosse des Euphorion geschrieben haben dürfte. 3 0 4 THESLEFF Pythagorean Writings 2 0 führt für ‘Pythagoras’ oder Hippasos den Werkstitel Μ υ­

στικός λόγος auf (nach Diogenes Laertios 8.7).

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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befaßt hat, legt F 442 P nahe.305 Rezeption - wenn auch wahrscheinlich indirekte anderer ιεροί λόγοι durch Kallimachos ist erst kürzlich erwogen worden.306 Es spricht also vieles dafür, Kallimachos und seinem Publikum Vertrautheit mit der­ artigen ιεροί λόγοι zuzutrauen, wenn man auch über ihre konkrete Gestalt wenig sagen kann. Es kann nicht genug betont werden, daß eine derartige poetologische Instrumentalisierung verbreiteter religiöser Vorstellungen keinerlei Rückschlüsse auf den Grad persönlicher Religiosität des Literaten erlaubt.307 Wir fassen zusammen: Wenn spätere Gelehrsamkeit die kallimacheische Weg­ metapher mit dem pythagoreischen λεωφόρος-ακουσμα zusammenstellt, so hat sie damit in einem tieferen Sinne recht: Nicht nur die Wegmetapher selbst, sondern die gesamte Stimmung der visions- oder epiphanieartigen Apollonszene lehnt sich an religiöse Offenbarungsliteratur an.308 Diese hat kein apokryphes Schattendasein geführt, sondern muß im Alltag eine gewisse Präsenz besessen haben,309 so daß die Wirkung dieser religiösen Färbung auf den zeitgenössischen Leser gewährleistet war. Einsichtig genug liegt der Effekt darin, zunächst die Apollonparainese, dann die Dichtung, auf die sich diese in einem fiktiv-biographischen Rückblick ja be­ zieht, d. h. die vorliegenden Aitia und eventuell das gesamte kallimacheische Werk (dazu oben 59f), assoziativ mit der Autorität eines ιερός λόγος auszustatten. Die verbindende Assoziation liefert esoterischen Elitarismus310 und eschatologische 305 Rein inhaltliche Beziehungen zu religiösen Texten diskutiert C a p o v il l a Saggi 118f. 306 Vgl. G. MASSIMILLA, Callimaco fr. 115 Pf., ZPE 95 (1993) 33-44, 41: „Si puö supporre che

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Callimaco narasse proprio il ιερός λό γ ο ς di Assesso.“ und E. LlVREA, Callimaco e gli Anelli dei Cabiri, ZPE 101 (1994) 33-37, Präzisionen dazu bei LlVREA Somnium 53f mit Anm. 14. Allerdings wird er dessen Kenntnis vielleicht eher aus Maiandrios/Leandrios von Milet (vgl. MASSIMILLA [wie oben] 44 Anmm. 3 8 -4 0 zu Nikolaos Damaszenos 90 F 52 FGH) bezogen haben als aus direkter Kenntnis. Weitere Beispiele von „prosopopea pitagorizzante“ bei ARDIZZONI Echi pitagorici 2 6 6 f (zu F 61, 553 P), dazu vielleicht noch F 586 P. Nach der A. W. BULLOCH, The Future o f a Hellenistic Illusion. Some Observations on Calli­ machus and Religion, MusHelv 41 (1984) 209-230, fragt. Er stellt die beunruhigenden Aspekte kallimacheischer Religiosität heraus, doch hätte sein Ergebnis vielleicht anders gelau­ tet, wenn er über die mimetischen Hymnen hinaus auch die Aitien oder die Epigramme be­ rücksichtigt hätte. Generell nimmt man eine ironisch-distanzierte Einstellung gegenüber My­ sterienreligionen für Kallimachos an: Vgl. z. B. C a p o v il l a Saggi 118f: „[...] riteniamo che le [seil, le teorie orfiche e quelle pitagoriche] considerasse da una visuale distaccata, come gli fossero estranee [...]“ mit Anm. 114, ähnlich 132. LlVREA Somnium 51 hält in anderem Zusammenhang (zu F 114 und 115 P, die er in die Pro­ logsituation miteinbezieht) alle religiösen Anspielungen des Kallimachos ausschließlich für eine „griglia di elegante dottrina che consente a capriccioso Leichtsinn del poeta di evitare la stucchevole solennitä epica [...]“. Vgl. andeutend schon CESSI A nna 101 (allerdings zum Somnium) und A. MASARACCHIA, Orfeo e gli O r fic i’ in Platone, in: MASARACCHIA Orfeo e l’Orfismo, 173-197, 175: „N ell’Atene classica coesistono una letteratura omerico-esiodea e una letteratura ‘orfica’, ambedue dotate di grande prestigio, oggetto ambedue di impegnati commenti e di meditate riflessioni.“, dessen Aussage wohl auf das frühhellenistische Alexandria übertragen werden darf. Zur Präsenz von dionysischen ιεροί λό γο ι in Alexandria vgl. das oben erwähnte (92 mit Anm. 300) Dekret des Ptolemaios Philopator. Zu den oben bereits diskutierten Belegen abschließend G r a f Eleusis 80: „Der ‘secret society’ der Mysteriengemeinde ging es darum, ihren Mitgliedern ihr ausgezeichnetes Los auszuma-

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2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

Heilsgewißheit für das poetologische Selbstbekenntnis des Kallimachos. Dies ist die Assoziationsebene, mit der der Rezipient mindestens die folgenden vier Bücher Aitia lesen soll und lesen wird. 2.3.3 Die moralische Ebene: Lebenswege Apollon fordert Kallimachos auf, bei der Wahl des originellen Weges die Enge der Fahrbahn, d. h. ihre Unbequemlichkeit, zu tolerieren: εί καί στεινοτέρην έλάσεις (F 1.28 Ρ). Dieser Aspekt ist so deutlich weder in der pindarischen Polarität der Erzähl- noch in der religiösen der Heilswege impliziert, spielt aber in der Gestal­ tung des Lebenswegmotivs eine zentrale Rolle. Diesem Motiv hat bereits Hesiod seine kanonische Gestalt verliehen: An den μέγα νήπιος Πέρσης gewandt, kleidet er die Antithese von κακότης und άρετή in das Bild zweier polarer Wege: λειη μεν οδός, μάλα δ’ έγγύθι ναιει (seil, κακότης Ορρ. 288). Was dagegen die άρετή betrifft (290-292), μάκρος δέ καί οράιος οιμος ές αύτήν καί τρηχύς τό πρώτον έπήν δ’ εις άκρον ϊκηται, ρηιδίη δήπειτα πέλει, χαλεπή περ έοΰσα. Dem Gegensatz der Wegwörter (οδός: ‘Straße’, das Moment der hohen Frequenz ergibt sich aus ίλαδόν 287 [West ad 1. 230]; οιμος: ‘kleiner Fußweg’) entspricht illustrierend der der Attribute: Der eine Weg ist eben und kurz (288), der andere lang, steil (όρθιος), uneben (τρηχύς), insgesamt dadurch χαλεπή. Über die wört­ liche Parallele des οιμος hinaus und jenseits der erklärlichen Differenzen311 ist die Ähnlichkeit zur Wegmetapher der kallimacheischen Apollonparainese nicht zu übersehen.312 Natürlich schwingt bei Hesiod keine poetologische Nuance mit, ebensowenig in der reichen sprichwörtlichen Tradition dieser Verse bis in den Hellenismus und über diesen hinaus.313 Die Opposition der Wege bleibt eine mora­ lische, wie man am deutlichsten in der bekannten Allegorie des Prodikos (84 B 2:

len: um die Uneingeweihten kümmerte man sich nur insofern, als sie als Folie zu den eigenen Vorstellungen dienten.“ Der letzte Satz paßt poetologisch gelesen genau auf den Aitienprolog. 3 Diese Differenzen lassen sich alle darauf zurückführen, daß Kallimachos fahren muß, um die sozialen Implikationen der Wagenfahrt stilmetaphorisch für die Sympathielenkung seines Re­ zipienten auszunutzen (vgl. oben 65 und unten 1050- Hesiod spricht vom schwitzenden Bergsteiger - es ist einsichtig, daß dessen Wege von vornherein nicht für einen Wagenfahrer zugänglich sind, so daß die Aspekte ‘Unebenheit’ und ‘Steilheit’ im hesiodeischen Prätext ge­ gen ‘Enge’ bei Kallimachos ausgetauscht werden mußten. 312 Vgl. z. B. SNELL Entdeckung 222, WlMMEL Kallimachos 103 Anm. 1 und 108, N e w m a n Pindar & Callimachus 584, Re in s c h -W e r n e r Callimachus Hesiodicus 334-335 313 Vgl. die Testimonien bei W e st und in der editio maior Rz a c h s . Bei Simonides ist nur der Teil über die Tugend erhalten, der - Hesiod verdichtend - sagt, die Tugend wohne δυσαμπετραίς (F 5192 PMG)· Die Fülle der antiken Paraphrasen bei HOMMEL Aspera 157-163, der 160 eine hilfreiche tabellarische Aufstellung der Rezeptionskriterien bietet. Lei­ der verfolgt er das Motiv nicht bis in die griechische Kaiserzeit und läßt alle Motivadaptionen außer acht.

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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Herakles am Scheideweg),314 aber auch noch bei Quintus von Smyrna sieht,315 und bezieht sich auf den Wert körperlicher Arbeit. Daß bei Hesiod möglicherweise in άρετή und κακότης noch mehr Materiell-Soziales als Moralisches mitschwingt (W EST ad 1. 287ff, S. 229), kann man in unserem Zusammenhang vernachlässigen, da die Rezeption, um die es hier ja geht, diesen Gedanken offenbar rein moralisch aufgefaßt hat. Ein gewichtigeres Problem wirft Quintus auf, dessen ιερός οίμος stark an die oben besprochene Mysterienterminologie erinnert: Abgesehen vom Bild des schweißtreibenden Aufstiegs könnte der gesamte Vers auch vom Weg zum Ely­ sium gesagt sein: παϋροι δ’ ιερόν οίμον άνήιον ίδρώοντες. ‘Heiligkeit’ und Ex­ klusivität, die in einem gegenseitigen Bedingungsverhältnis stehen, zeichneten auch den Mysterienweg aus, wie aus den oben behandelten Texten ersichtlich ist. Die Frage drängt sich auf, in welchem Verhältnis überhaupt die religiöse Vorstel­ lung der Zwei-Wege-Topik zur moralischen steht. Zur Klärung dieses Verhältnis­ ses können einige Zeugnisse herangezogen werden, die in einem moralisch­ religiösen Zwischenbereich stehen: Die metaphorische Antithese, die der platoni­ sche Sokrates in der Unterhaltung mit Kephalos zwischen zwei Lebensverlaufswe­ gen aufstellt {Rep. 1.328 E 2—4), die er als τραχεία und χαλεπή bzw. ραδία und εύπορος bezeichnet, bezieht sich auf das Alter und vielleicht auf die Totenreise, die Attribute ihres vehicle jedenfalls sind vom Bild der Lebenswege angeregt. Doch unterbleibt hier jede Wertung, die dagegen in dem Mythos des Pamphyliers Er, dessen religiöser Ton unbestreitbar ist, um so deutlicher hervortritt {Rep. 10.619 D 8 - E 5): εϊ τις αεί, οπότε εις τον ενθάδε βίον άφικνοΐτο, ύγιώς φιλοσοφοί καί ό κλήρος αύτω τής αίρέσεως μή έν τελευταίοις πίπτοι, κινδυνεύει εκ των έκεΐθεν απαγγελλόμενων ού μόνον ένθάδε εύδαιμονεΐν αν, άλλα καί τήν ένθένδε έκεΐσε καί δεύρο πάλιν πορείαν ούκ αν χθονίαν καί τραχεΐαν πορεύεσθαι, άλλά λείαν τε καί ούρανίαν.

Die jeweils zweiteilige Antithese erinnert sehr an die eben besprochene Metapher des Sokrates: Terminologisch können dieselben Quellen oder eher Anregungen vorausgesetzt werden.316 Abgesehen vom Wiedergeburtskonzept, dem des Seelen314 An die Prodikosgestaltung lagert sich das mittelalterliche Motiv der Lebenswegwahl an: Vgl. dazu W. H a r m s , Homo Viator in Bivio. Studien zur Bildlichkeit des Weges, Medium Aevum. Philologische Studien 21, München 1970; zur Alternative ‘breit’ versus ‘schmal’ 255-264. 315 ln dessen Schildbeschreibung (5.49-56 VlAN), die ganz hesiodeisch ‘schildert’, nur in der Beschreibung der ’Α ρετή, die im Gegensatz zu Hesiod personifiziert ist und genauer be­ schrieben wird, und in der stärkeren Herausarbeitung des Gegensatzes von π ο λ λ ο ί und παΰροι (5 4 -5 6 ) über Hesiod hinausgeht. Vielleicht hat sich Quintus bei der Gestaltung dieser Personifikation von Arats virgo Astraea ( Phain. 96—136) anregen lassen. Ebenfalls auf der moralischen Grundlage des bekannten Motivs operiert die Parodie Lukians (Ver. Hist. 2.30), der für die Insel der Verdammten das Bild eines Distelpfades braucht (ακανθώδους καί σκ ολόπω ν μεστής ατραπού). 316 FEYERABEND Proömium 9 kommt es darauf an, derartige platonische Formulierungen als Hesiodrezeption zu erweisen, was sie gelegentlich zu sonderbaren Annahmen zwingt (über 614 E - 615 A): „Hier scheint Platon die hesiodsche Fassung des Topos des Weges nachzu-

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2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphern

gerichts und des Lebensloses, die in unserem Zusammenhang nicht berücksichtigt werden müssen, gibt Platon eine klare Relation von Diesseits- und Jenseitsweg an: Wer hüben gut war, wird es drüben gut haben, oder als Wegmetapher formuliert, wer den richtigen Lebensweg gegangen ist, wird auch den richtigen Jenseitsweg finden. Die ουρανία πορεία Platons läßt unwillkürlich an die οδός εΰδίος der orphischen Katabasis denken, deren εύδία ja zunächst eine Bezeichnung des leuchtenden Himmels ist (vgl. oben 84f). Das Iterationskonzept wird hier auf einer abstrakteren Stufe besonders deutlich (vgl. oben 81 mit Anm. 249). Moralische und religiöse Ebene sind in der Formulierung Platons eine harmonische Verbin­ dung eingegangen. Die oben aufgestellte hypothetische Gleichung von Jenseitsund Lebensweg (8 lf) hat sich also als zutreffend erwiesen. Struktur des Bildes und Kontext weisen auf eine große Nähe zur oben besprochenen Mysterienterminolo­ gie. Das bekannte Bild aus der Bergpredigt317 wiederum weist zum platonischen größte Nähe auf. Obwohl die Unterschiede nicht zu verkennen sind,318 ist die An­ nahme einer gemeinsamen Tradition kaum zu vermeiden: Die beiden Oppositionen von Exklusivität (ολίγοι) gegen Massenfrequenz (πολλοί είσιν οί εισερχόμενοι) und Beschwerlichkeit (σθένη και τεθλιμμένη) des ‘guten’ Weges gegen den be­ quemen, aber schlechten (ευρύχωρος ή οδός), sind zwei Elemente, die sich im gesamten religiösen Bereich und sehr deutlich noch selbst bei dem durch diesen angeregten Kallimachos ausprägen. In der frühchristlichen Prägung sind Moral und Religion, d. h. diesseitiger Lebensweg und Jenseitstopographie, vollkommen verschmolzen: Die Wege sind gleichzeitig moralische Lebens- wie auch eschatologische Jenseitswege. Für Matthäus ist also die Annahme naheliegend, daß er entweder Mysterienterminologie bewußt als Metapher gebraucht oder daß in seine Gestaltung der ‘Bergpredigt’ Elemente griechischer Vorstellungen Eingang gefun­ den haben. Letzteres hätte über das hellenistische Judentum erfolgen können.319Die sog. Διδαχή, eine aus heterogenen Traditionen kompilierte Kirchenordnung vom Ende des ersten Jahrhunderts, der wohl jüdisch-hellenistische Quellen zugrunde­ liegen,320 zeigt in ihrem ersten Teil ein strukturbestimmendes, lebenswegmeta-

ahmen, während er die Epitheta umstellt.“ Welche Veranlassung sollte Platon dazu aber eehabt haben? 5 317 Matthäus 7.13: Ε ίσ έλθα τε διά τής στενής πύλης· cm π λα τεία ή πύλη και εύρύχω ρος ή οδος η άπαγουσα εις τή ν απώ λειαν καί π ολλοί είσιν οί εισ ερ χόμ ενοι δι’ αύτής· 14 τί στενή ή πύλη και τεθλιμμένη ή οδός ή άπάγουσα εις τήν ζω ήν καί ολίγοι είσιν οί ευρισκοντες αύτήν. Zu den sonderbaren Interpretationen, zu denen diese Stelle im Zusam­ menhang mit Ps.-Parmenides F 28 B 20 DK (= F 352 OF) in gnostischen Kreisen geführt hat vgl. L e b e d e v Aphrodite Verses 24—25. 318 Statt einer Hadesreise geht es um eine Reise zum Leben. Eschatologisch sind Tod und Leben

vertauscht: Irdisches Leben ist eigentlich Totsein. Zum Topos des ‘Diesseits-Hades’ vgl L e b e d e v Aphrodite Verses 25 und 3 1 . 319 Man könnte hier an jüdisch-hellenistische Pseudopythagorika wie F 245 6 f OF (εύ δ’ έπίβαινε/άτραπιτοϋ) denken (vgl. F 247.7-8 OF), wo das Bild des Weges'allerdings rein diesseitig lebenswegmetaphorisch dominiert begegnet (vgl. L a P e n n a Estasi dionisiaca 233). 320 K. N ie d e r w im m e r , Die Didache, Kommentar zu den Apostolischen Vätern 1, Göttingen 1993, 56 und 67 nimmt als eine Quelle des Didachisten „eine oberflächlich christianisierte ursprünglich jüdische Schrift de duabus vüs“ an (67), deren literarische Vorformen wiederum

2.3 Die Umformung der Wegmetapher durch Kallimachos

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phorisches Zwei-Wege-Schema, das demjenigen in der Bergpredigt auffallend ähnelt.321 Matthäus ist es wohl, der das Bild dem lateinischen Christentum und damit dem Mittelalter übermittelt.322 Die Tabula Cebetis, ein Zeuge zweifelhaften Alters und synkretistischer Provenienz, der im Gewand eines Dialogs über eine allegorische Bildtafel vom Hades berichtet, bewahrt das Bild des Doppelweges ebenfalls in jenem uneindeutig moralisch-religiösen Zwischenbereich.323 Diese Zeugnisse zeigen die Affinität zwischen eschatologischer und morali­ scher Ausprägung der Wegmetapher. Die sachliche Nähe und das gegenseitige Bedingungsverhältnis beider Bereiche machen es schwierig, eine Priorität festzu­ stellen. Die Annahme, die Mysterienreligionen hätten den gesamten Topos aus den oben zitierten Hesiodversen abgeleitet,324 hat wenig für sich, da dort Eschatologi-

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auf vorchristliche Zeit zurückgingen (56 und Anm. 49). Ebd. 83-87 weitere Beispiele für jü­ dische Zwei-Wege-Topik. Der erste Teil dieses Traktats ist durch die zwei Wege strukturiert: 1.1 —4.14 fj οδός της ζωής, 5.1-6.1 ή τοϋ θανάτου οδός. Beide ‘W ege’ präsentieren sich als eine Aufzählung der Gebote bzw. Verbote, deren Befolgung bzw. Übertretung zum jeweiligen Ziel führt. Im Bereich dieser Schematik ist offensichtlich das unmittelbare Umfeld für das Wegbild der Bergpredigt zu se­ hen. Genauere Ausführungen über das Verhältnis von Matthäus 7.13-14 zum ersten Teil der Διδαχή finden sich bei C. N. JEFFORD, Did Ignatius o f Antioch know the Didachel, in: ders. (ed.), The Didache in Context. Essays on its Text, History and Transmission, Suppl. Novum Testamentum 77, Leiden/New York/Köln 1995; 330-351, hier 343f mit Anmm. 2 5 f mit w ei­ terführender Literatur. Vgl. Prudentius Cath. 3.87 CUNNINGHAM, Augustinus Conf. 6.5; 106.21-26 SKUTELLA und den ‘Archipoeta’ 1.13.1-2 KREFELD. Vielleicht ist die Hypothese nicht abwegig, das oben 63 Anm. 172 angeführte moderne Material wenigstens tendentiell aus Matthäus herzuleiten: Die einheitliche Abwertung der ‘ausgetretenen Pfade’ spräche dafür, die ebenso einheitliche ‘säkularisierende’ Übertragung vom Moralisch-Religiösen aufs Intellektuelle allerdings müßte erklärt werden. Offensichtlich liegt im christlichen Bereich dem Namen Θ εοδρόμος eine le­ benswegmetaphorische Anschauung zugrunde (vgl. GORDON Mystery 111 mit Anm. 39). F. SUSEMIHL, Geschichte der griechischen Litteratur in der Alexandrinerzeit, 2 Bde., Leipzig 1891-92, 2.6 5 7 f mit 1.22ff und Anm. 66 datiert diesen Text auf das dritte vorchristliche Jahr­ hundert, worin ihm allerdings niemand gefolgt ist. Einen Überblick über die verschiedenen Klassifikationsversuche gibt JOLY Cebes 8-9 , der selbst den Text als neupythagoreisch be­ stimmt (22, 58). Folgende Einflüsse sind auffällig: Der παιδεία-Gedanke (Platon?), Neigung zur allegorischen Personifikation (Empedokles? Pythagoreismus?), die Wegmetaphorik aus Mysterienkontexten, seine άδιάφορα-Lehre (Stoa?), lnteressanterweise polemisiert der Autor gegen alle diese Gruppen (28.5ff; 11.23-12.2 PRAECHTER) und verurteilt sie als Anhänger der ψευδοπαιδεία. Einzig ausgenommen sind dort die Mysten, was einen Hinweis auf die Pro­ venienz des Textes geben dürfte. Die Wegmetaphorik des ‘Kebes’ ist noch nicht näher unter­ sucht worden, die Kemstellen sind 4.3, 4.13-14; 6.3, 6.3—4; 12.3, 11.15; 14.3, 12.16-13.1; 15 passim·, 16.3, 14.19; 16.5, 15.3-5; 21.2, 18.15 PRAECHTER. Diese Stellen zeigen enge Paralle­ len zu Parmenides, Platon und den oben diskutierten religiösen Texten, aber auch zur Ge­ samtheit der Lebenswegmetapher. Herausragend ist die allegorische Tychedarstellung des ‘Kebes’, die Affinität zeigt sowohl zu Galens Protreptikos 2 (Scripta minora ed. MARQUARDT 1.104) und zu Pacuvius Inc. Fab. 37^46 WARMINGTON. Man vermutet dahinter eine frühhel­ lenistische Bildquelle, die aber bisher noch nicht nachgewiesen ist: Vgl. dazu G. VOGT-SPIRA, Dramaturgie des Zufalls. Tyche und Handeln in der Komödie Menanders, Zetemata 88, Mün­ chen 1992, 36 mit Anm. 4, 37 mit Anm. 6, 53 Anm. 125, 57 mit Anm. 146. Allenfalls ist also der terminus post quem näher zu bestimmen. So wenig überzeugend FEYERABEND Proömium 10.

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sches keine Rolle spielt. Weiter ist die Vorstellung des Lebensweges eine Meta­ pher-, die eschatologische aber beschreibt eine ‘reale’ Hadestopographie. Es ist schwer vorzustellen, daß man von einer Metapher eine topographische Realität ableitet. Nach diesem Kriterium ist das bivium im Hades die ältere Vorstellung. Die Ausrichtung auf ein Leben nach dem Tode vermag der diesseitigen, morali­ schen Wegmetapher erst ihren Sinn zu geben, so daß die eschatologische Kompo­ nente die zugrundeliegende wäre. Es ist also nicht auszuschließen, daß Hesiod sich bei der Prägung des Bildes an religiösen Vorstellungen - welcher Herkunft auch immer325 - orientiert hat. Hier mag es ausreichen, eine ursprüngliche Einheit beider Bereiche zu postulieren, so daß sich die Konkretisierungen dieser Vorstellung in moralische Metaphern und eschatologische Topographie zwanglos erklärt. Es ist unwahrscheinlich, daß Kallimachos solche Überlegungen angestellt hat: Ihm wa­ ren religiöse Texte und Hesiod als voneinander unabhängige Quellen für je ver­ schiedene Aspekte der Zwei-Wege-Topik verfügbar. An den in der hesiodeischen Ausprägung zentralen Begriff der ‘Arbeit’ nun knüpft Kallimachos an: Unter Verwendung des spezifisch hellenistischen πόνοςKonzeptes326 kann Kallimachos dem traditionellen Bild poetologische Nuancen unterlegen. Wie die ungebrochene Tradition des hesiodeischen Topos zeigt, dürfte für den zeitgenössischen Rezipienten die moralische Ebene dabei assoziativ erhal­ ten bleiben. Was moralisch gemeint war, klingt nun poetologisch: doch mit der Konsequenz, daß umgekehrt poetische Qualität auf einmal auch moralische Inte­ grität impliziert.327 Diese Kontamination zweier ursprünglich disparater Elemente stellt sich bei Kallimachos als gezielter Rückgriff auf Hesiod dar328329und ist nicht durch Pindar vermittelt. Die kallimacheische Idee treibt Honestos, ein ungefährer 325 Das Motiv des lebenswegmetaphorischen Zweiweges existiert auch in frühen semitischen Literaturen (vgl. etwa Jesaja 40.3 und allgemein NIEDERWIMMER [wie oben Anm. 320] 84f). Könnte man davon ausgehen, daß diese Vorstellung dort von Hesiod und anderen griechi­ schen Quellen gänzlich unabhängig ist, so wäre vielleicht umgekehrt eine Beeinflussung He­ siods aus dieser Richtung nicht abwegig. 326 In der Abkehr von herkömmlichen Inspirationsmodellen betont der Gedanke die selbstquäleri­ sche Disziplin und sprachliche Verantwortung des Dichters und hebt sich von der traditionel­ len Handwerksmetaphorik eben dadurch ab. Diese Umwertung findet sich zwar einmal schon bei Pindar (F 52h.21-22 SM), erfährt aber hellenistisch eine so deutliche Ausprägung, daß of­ fenbar ein gewandeltes Selbstverständnis dahinter steht: Vgl. z. B. Kallimachos Ep. 6.1 P/55.1293 HE, Theokrit Eid. 7.51 (dazu PLAZENET Idylle 7 86f), Antipater Sidonios Ep. 16.270 HE, Asklepiades Ep. 28.942 HE, Meleagros Ep. 129.4724 HE, Philitas F 10.3 CA und die Stellen bei S z a s t y n s k a Alexandrian Epigrammatists 221. Später wird der Begriff auch auf die Komposition von Prosa übertragen: Vgl. z. B. Dionysios von Halikamaß Pomp. Gern. 6.3ff (6.245.10 UR) über Theopomp von Chios, Longos praef. 3 έξεπ ονησά μην, wozu die gesamte Interpretation von IMBERT Logic & Poetics 205f abzulehnen ist. Zum Phänomen all­ gemein G o l d h il l Poet’s Voice 233f. 3 2 7 Einen ähnlichen Prozeß stellt CHIRICO Poetica 111 für den Terminus ψ υ χ ρ ό ς fest - die einzi­

ge mir bekannte Parallele. 328 Wie vor allem die Quintus- und Honestos-Parallelen nahelegen, scheint für die hellenistischen Dichter der gesamte Bildkomplex des Lebensweges von Hesiod erfunden zu sein: Mit anderen Argumenten stützt diese Ansicht HOMMEL Aspera 161. 329 Das Bild des steilen Weges Isth. 2.33-34 [...] ουδέ προσάντης ά κ έ λ ευ θ ο ς γίνεται [...] kann weder mit unserem engen’ Weg noch mit Hesiods ‘steilem’ etwas zu tun haben: Pindar be-

2.4 Fazit und Ausblick

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Zeitgenosse des Tiberius, dann auf die Spitze (Ep. 5.2418-21 GPh): άμβαίνων Έλικώνα μέγαν κάμες (2418) - ούτως καί σοφίης πόνος όρθιος (2420). Σοφία sollte man hier mit einer spätestens seit Kallimachos terminologischen Metonymie als ‘Dichtung’ auffassen.330 Das Ersteigen eines Berges wird in allen Phasen mit der Tätigkeit des Dichters verglichen, wobei folgerichtig der Berg der Helikon werden mußte. Zahlreiche Wortentlehnungen aus Hesiod und vor allem die dort vorgegebene und in der Tradition oft unterschlagene Perspektive vom Gipfel hinab auf den zurückgelegten Weg sichern die Verse aus den Opera als Bezugstext. Honestos reichert seine Szenerie durch den Trunk aus der helikonischen Hippukrene an (2419), läßt also, um die poetologische Ebene ganz deutlich zu machen, auch noch das Proömium der hesiodeischen Theogonie mitanklingen. Die Analogie wird dadurch so dicht, die Bildebene in den ersten beiden Versen so terminologisch, daß mit der Lesart όντως in Vers 2420 der erste Teil des Epigramms zur Metapher würde und damit Allegorie und Allegorese zusammenfielen. Eine direkte Kallimachos-Nachfolge kann man Honestos allerdings kaum unterstellen.331

2.4 Fazit und Ausblick Wir haben versucht, den komplexen Kontaminationsprozeß nachzuzeichnen, mit dem Kallimachos ein Bild, das dem zeitgenössischen Leser aus der spätarchai­ schen Chorlyrik vertraut sein mußte und das bereits der Alten Komödie abgegrif­ fen erschien, von neuem nutzbar macht. Die formale Seite seiner Bildanwendung ist dabei wahrscheinlich von Pindar inspiriert, inhaltlich liefern religiöse Texte und die moralische Allegorie hesiodeischer Prägung den Rahmen dieser neuen Kom­ plexität. Die Allusivität speziell dieser Metapher erschöpft sich nicht im zitieren­ den Verweisen auf einzelne Vorbilder, sondern setzt grundverschiedene Assozia­ tionsbereiche zu einer neuen Totalität zusammen: Dichtungs-, Heils- bzw. Ergrüßt gerade die Leichtigkeit des Dichtens, den breiten Weg (oben 30). Die bildimmanente Wertung verhält sich also geradezu gegensätzlich. Überhaupt findet sich bei Pindar keine Wegmetapher, die Bequemlichkeit des Weges und Poetologie der Aussage vermengt: Der krumme Weg findet sich bei ihm ausschließlich moralisch wertend (Nem. 1.25, 65; Nem. 8.35f). Zu Pindars mutmaßlicher Adaption des hesiodeischen Lebenswegmotivs BECKER Weg 75-76. Unrichtig NEWMAN Pindar & Callimachus 177 Anm. 22, der in Threnos 7 (F 129131a SM) die Lebensweg-Metaphorik erkennt. Dort allerdings, wie Plutarch deutlich sagt, handelt es sich um drei Wege: Von einer Polarität in unserem Sinne kann also schon formal nicht die Rede sein. Ob diese Dreizahl eine Beziehung zur Dreistufigkeit des Mysterienweges nach R ie d w e g (oben 85 Anm. 2 7 0 ) aufweist, ist unsicher. 330 Zu Pindars σ ο φ ία und ähnlichen Begriffen BALASCH Teoria poetica 376-379. Vgl. Kalli­ machos Ep. 7.4 P/57.1304 HE, Kastorion F 310.3^1 SH, Dionysios Ep. 2.1449 HE, Ennius Ann. 7.2 1 1 -1 2 SKUTSCH, Meleagros Ep. 129.4729 HE, Theokrit Eid. 17.5-8, Theodoridas Ep. 14.3558-59 HE. 331 Wäre der eigentliche Aitienprolog (F 2 P) besser erhalten, der Kallimachos vielleicht deutli­ cher auf hesiodeischen Geleisen zeigt, könnte hier sicherer abgewogen werden. KAMBYLIS Dichterweihe 89-121 berücksichtigt dieses Epigramm leider nicht.

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kenntnisweg und Lebensweg überlagern sich plötzlich.332 Angesichts dieser Überlagerung schon der vehicles ist die Frage nach den lite­ raturgeschichtlich korrekten tenors dieser Metapher nicht vollständig zu beantwor­ ten: Wenn Kallimachos hier wirklich Wegbilder verschiedener, auch unpoetologischer, Herkunft gezielt ineinander gearbeitet hat, dann bleibt nur der Schluß, daß er die Unschärfe des tenor, die eine solche Kontamination notwendig mit sich brach­ te, zugunsten der Wirkung seines vehicle ebenfalls bewußt in Kauf genommen hat. Doch bleibt bei aller Komplexität der Metaphorik ja nur unsicher, welcher der ge­ naue tenor des abgelehnten Weges ist. Ganz klar hingegen bezieht sich der positiv konnotierte Weg auf Kallimachos’ eigene, vorliegende Dichtung, die Aitien bzw. die vorliegenden ‘opera omnia', die ja das augenfällige Resultat der fiktiv biogra­ phischen Apollonparainese repräsentieren. In diesem Licht betrachtet erfüllt die Unsicherheit, welcher tenor im abgelehnten Weg gemeint sei, wahrscheinlich so­ gar eine wichtige Funktion: Da der Leser nur die Aitien bzw. nur die vor ihm lie­ genden kallimacheischen Werke sicher als den einen der beiden Wege bestimmen kann, muß er jede andere Dichtung dem ungeliebten Weg zuweisen. Seine Sympa­ thie wird also viel wirksamer und nachhaltiger beeinflußt, als wenn er dem breiten und befahrenen Weg eindeutig nur das homerisierende Epos, nur die Elegie antimachischer Prägung zuweisen könnte. Polemik nur gegen eine Gattung wird also kaum die Intention des Kallimachos gewesen sein. Dasselbe Verhältnis läßt sich auch an den anderen metaphorischen Gegensatzpaaren des Aitienprologs feststel­ len. Die beobachtete einseitige Unschärfe des tenor dieser Doppelwegmetaphorik darf also wohl als beabsichtigt gelten. Technisch bemerkenswert ist die deutlich zu erkennende Bemühung, die er­ wünschte Sympathielenkung des Rezipienten mittels Assoziationen zu gewährlei­ sten, die auf der Tradition der einzelnen Bildbereiche beruhen. Der Leser akzep­ tiert nach dem Willen des Verfassers intellektuell und emotional den Unterschied zwischen Kallimachos’ eigenen Werken, die diese neue Komplexität ja auszeich­ net, und den fremden, denen dagegen nur die totale Defektivität bleibt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Systematik sollen noch einige Beispiele für das griechische Fortleben dieser Metapher in poetologischer Prägung um und nach Kallimachos gegeben werden.333 Vorwegnehmend sei bemerkt, daß den bei­ läufigeren Beispielen die religiöse Konnotationsebene fehlt, während diese bei dem ausführlicheren Oppian wie bei Kallimachos voll erhalten bleibt, was als In­ diz dafür angesehen werden kann, daß Kallimachos der Urheber dieser Kontami­ nation ist. Oben (26) ist bereits gezeigt worden, daß die schlichte οΐμος-Kenning formal unverändert bis Kallimachos verwendet wird. Sein unmittelbarer Vorgänger 332 So irrt KAMBYLIS Dichterweihe 157 grundsätzlich, wenn er feststellt: „Bei Kallimachos ist das Bild des Weges mit keiner weiteren Vorstellung verbunden. Der schmale, unberührte Weg fuhrt, äußerlich gesehen, nicht zu einem bestimmten Ziel.“ Doch: zur Erleuchtung, zur Erlö­ sung, zur ‘richtigen’ Dichtung. 333 Die römische Rezeption des ersten Jahrhunderts AC darf hier getrost vernachlässigt werden: Das Material ist bereits von WlMMEL Kallimachos 1^19, 128-331 und KAMBYLIS Dichter­ weihe 125-204 gründlich aufgearbeitet worden.

2.4 Fazit und Ausblick

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Philitas von Kos liefert das beste Beispiel dafür, wie geistreich diese herkömmli­ che Form in neuem Kontext verwendet werden kann.334 Die Axt des Epeios wurde, wie Simias von Rhodos in seinem zweiten Technopaignion ausführt, durch die Einnahme Trojas unsterblich: νΰν δ’ ές Όμήρειον εβα κέλευθον σάν χάριν, άγνά πολύβουλε Παλλάς (174.7f Gow). Die Komik, die in der spitzfindigen Vorstellung liegt, die Axt des Epeios habe den Krieg ent­ schieden, findet ihre Entsprechung in dem drolligen Bild der wandernden Axt.335 Κέλευθος kann hier nicht pejorativ klingen, vermutlich ist die Assoziation des Vielbefahrenen (vgl. oben 34 Anm. 52) dem Simias nicht mehr präsent: Seine Axt fährt ja auch nicht, sie geht.336 Die Beiläufigkeit des Simias klingt, als verwende sie ein gängiges Bild: Von dem ‘Altersgedicht’ des Aitienprologs kann er nicht gut gewußt haben - haben wir also vielleicht einen Bezug auf Pindars Paian 7b (F 52h. 11 SM) vor uns?337 Diese vage Hypothese schwächt zusätzlich die Notwendig­ keit des kallimacheischen Pindarbezugs im Aitienprolog ab, sollte die Metapher schon vor Kallimachos verbreitet gewesen sein.

334 Philitas F 10.4 CA μύθων παντοίω ν οιμον έπιστάμενος. Zur Deutung: R. RJEITZENSTEIN, Epigramm und Skolion. Ein Beitrag zur Geschichte der alexandrinischen Dichtung, Gießen 1893 (Nachdruck: Hildesheim/New York 1970), 179 (Mädchen gibt sich nur Gebildetem), WlLAMOWlTZ Hellenistische Dichtung 1.116 (in diesem Sinne Bittis über Philitas). Diesen folgen P o w e l l CA ad Philitas F 10, Q. C a t a u d e l l a , Hellenistica (Filita, Menandro, Callimaco, Teocrito, Eroda), Helikon 7 (1967) 402^413; hier 402^404. Jüngst ist gegenüber dieser Auffassung von L a t a c z Plappermäulchen 81 und unabhängig von P. BrNG, The Alder and the Poet. Philetas 10 (p. 92 Powell), RhM 129 (1986) 222-226 und BING Well-read Muse 3 1 33 mit neuen archäologischen Argumenten die alte These KUCHENMÜLLERS vertreten worden, hier spreche die Schreibtafel selbst. 335 Das der Scholiast übrigens nicht empfunden zu haben scheint: Er glossiert trocken νΰν όέ έχώ ρ η σ εν εις την Ό μ η ρ ου ποίησιν διά την Ά θ η ν ά ς χάριν (GOW 175.7), ersetzt also das vehicle κ έ λ ε υ θ ο ς ohne zu Zögern durch dessen tenor ποίησις. 336 Diese Stelle hätte sich demnach für BECKERS Verblassungshypothese (Weg 213) besser ge­ eignet als die, die er tatsächlich anführt (vgl. oben 65 Anm. 179). Daß auf dem für Wagen vorgesehenen Weg gegangen wird, verbindet Simias mit Pindars Paian 7b. Platon Phaid. 95 B 7 -8 ist keine Parallele. 337 Der etwas eigenartige Ausdruck όόός τις [...] βίου 'Ομηρική (Platon Rep. 10.600 B 1-2) ist zwar im Zusammenhang gut als ‘Lebensweg’ erklärlich, erhielte aber eine unerwartete Pointe, wenn man hier einen Bezug auf einen Text annähme, der von den homerischen Gedichten als ‘homerische Straße’ redete. Die Nähe zu Simias (wie oben) fällt ins Auge, doch reicht sie nicht aus, um in Pindars Paian 7b ein gemeinsames Vorbild zu erblicken. Eine andere Mög­ lichkeit, den platonischen Ausdruck zu erklären, wäre die leicht parodistische Abwandlung eines (hypothetischen) Ausdrucks wie Π υθαγορική όόός, an den die (natürlich nachplatoni­ sche) Tabula Cebetis immerhin in manchen Passagen erinnert (vgl. oben 97 Anm. 323). Wohl eher in diesen als den poetologischen Bereich gehört auch der markante Ausspruch Euklids, der seinem über die Länge der euklidischen στοιχείω σις zur Geometrie klagenden Schüler Ptolemaios erwiderte: μή είναι βασιλικήν ατραπόν επί γεω μετρίαν (Proklos Comm. Euch 6 8 .15f FRIEDLEIN). Die herkömmliche Exklusivitätsvorstellung findet sich hier mit Bezug auf den illustren Schüler als „königlicher Sonderweg“ (unser sprichwörtlicher ‘Königsweg’), das Ziel ist statt des ewigen Lebens oder ähnlich Hehrem die Geometrie —wie man es von Euklid auch nicht anders erwartet.

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Eventuell lassen sich auch die vielen Fälle, in denen Apollonius wegmetapho­ risch seine epische Erzählung kommentiert, als Pindarrezeption verstehen:338 Ob­ wohl natürlich schon das unhomerische Proömium des Choirilos und der traurige Erhaltungsstand des Großteils aller epischen Produktion nach Elomer und vor Nonnos davor bewahrt, hier allzu bereitwillig von der so oft bemühten ‘Kreuzung der Gattungen’ zu sprechen,339 sind doch Abbruchformeln wie άλλα τά μέν τηλοΰ κεν άποπλάγξειεν άοιδης (Argon. 1.1220), mit der Apollonius die HeraklesTheiodamas-Geschichte abbricht, ihrem vehicle, ihrer Funktion und ihrer sprachli­ chen Gestalt nach durch eine erstaunliche Nähe zu den oben (3Off) erwähnten Be­ merkungen Pindars gekennzeichnet.340 Solche Abbruchformeln als ‘epic voice’ zu bezeichnen, stößt auf die Schwierigkeit, daß dieses Verfahren ursprünglich viel­ leicht gar kein episches gewesen ist.341 Weiter finden sich in den Argonautika eini­ ge beiläufige Wagenmetaphem, unter denen sich auch die poetologische Doppel­ metapher κραιπνόν έυτροχάλοιο μέλος κανάχησεν άοιδης (4.907 von Orpheus’ Gesang) findet, die aus einem einfachen Rückaustausch des traditionellen vehicle ‘Wagen’ gegen dessen tenor ‘Lied’ besteht, wobei allerdings das Epitheton (schnell, mit gutlaufenden Rädern) des vehicle beibehalten wird, so daß sich eine strenggenommen absurde Junktur ergibt, deren Verständlichkeit auf einer implizi­ ten Metapher beruht.342 Ökonomischer und zugleich wirkungsvoller läßt sich eine Metapher nicht aufbauen.343

3 3 8 Vgl. allgemein HUNTER Apollonius 17 und HUNTER Argonautica 116: „It is [...] clear that

both Callimachus and Apollonius are indebted to the personal voice o f archaic lyric, and par­ ticularly to Pindar, in whose poetry all o f the devices we have been examining may be readily identified.“ Stellensammlung ebd. 1 0 1 -1 1 9 . 339 Geprägt von W. KROLL, Studien zum Verständnis der römischen Literatur, Stuttgart 1924 (Nachdruck. Darmstadt 1964), 202ff, dessen Vorgänger in diesem Gedanken F a n t u z z i Sistema letterario 43 und 50 auffuhrt. Die neuere Diskussion zu demselben Phänomen bei Z ä n k e r Realism 150 Anm. 1, HUTCHINSON Poetry 164 Anm. 34, FÜHRER Epinikien 23 Anm 56, DEPEW Ίαμ βείον 313 Anm. 2. 3 4 0 Daß die „subjectivization“ der narrativen Elegie auf Erzähltechniken der Lyde reagierte, braucht also pace CAMERON Genre & Style 311 nicht angenommen zu werden: Schon S c h a d e w a l d t Aufbau 3 1 2 stellt die Persönlichkeit pindarischer Abbruchformeln angemes­ sen heraus. GOLDHILL Poet’s Voice 291 sieht hier außerdem einen Bezug zur Handlung: Hylas, Herakles und Polyphemos ‘gehen’ ja auch ‘w eg’. Daraus schließt er auf eine „selfreflexive“ Ironisierung des Konzepts der Abbruchformel durch Apollonios. In eine ähnliche Richtung weist auch FEENEYs Prädikat der „inetafiction“ (bei RENGAKOS Apollonios 10). 341 Jedenfalls steht der Menge an chorlyrischen nur eine geringe Zahl epischer Beispiele gegen­ über: M 176, Hesiod Theog. 35. Vgl. FÜHRER Epinikien 121-125, v. a. 124 Anm. 460. Typi­ sche Beispiele von außerepischer ‘epic voice’ wären z. B. Theokrit Eid. 16.29 17.115 22.115-117; Kallimachos H 3.182. 342 Zur fixen Verbindung von εΰτρ όχα λος und Wagen o. ä. vgl. 1.845 έυτρ οχάλοισιν άμάξαις, 2.46 έυτρ όχαλοι (metaphorisch von schnellen Boxhieben), 3.889 έυτρ οχά λοιο άπήνηςϊ Vielleicht gehört auch der συν-οίμιος ύμνος, den die Argonauten zu Orpheus’ Begleitung singen (2.161), hierher (anders aber LSJ s. v.).

343 Das großartige Bild, mit dem Argon. 1.545f das Kielwasser der Argo mit einer ατραπός [...] χλ ο ερ ο ΐο διειδομένη πεδίοιο verglichen wird, hat pace DEFOREST Callimachean Epic 45 (zu deren Ansatz vgl. unten 230 Anm. 108) mit dem Aitienprolog wohl kaum etwas zu tun.

2.4 Fazit und Ausblick

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Wie schon in der Komödie, wie bei Choirilos und Astydamas, so begegnen auch unter den hellenistischen Epigrammatikern (Nikainetos, Lobon) Beispiele des poetologischen Wagenrennens, das z. T. eine breite Ausgestaltung seines vehicle erhält.344 Bei Ennius begegnet dieselbe Vorstellung in einer Abwandlung, die die Eigenständigkeit dieses hellenistischen Epikers gegenüber seinen griechischen Zeitgenossen eindrucksvoll demonstriert.345 Wegmetaphem, die aus nur einem Verbalbegriff bestehen, neigen dazu, lexikalisiert zu werden, wie man es für Pamprepius 35 F 3 Heitschfast annehmen möchte.346 Die Rezeption der Metaphorik im Aitienprolog ist, was den griechischen Be­ reich betrifft, bislang weithin noch terra incognita: Drei isolierte Beispiele sollen kurz erwähnt werden.347 Singulär ist das polemische Lob der Thebais des Anti­ machos durch Antipater von Thessalonike (Ep. 66.638-47 HE). Antipater behaup­ tet, daß dem Leser die Thebais des Antimachos gefallen müsse, ε’ι τάν ατριπτον και άνέμβατον άτραπόν αλλοις / μαίεαι (642f). Nun ist es kaum denkbar, ein 344 Nikainetos (etwa Zeitgenosse des Kallimachos) Ep. 5.2711 HE: Οίνος τοι χαρίεντι π έλει ταχύς 'ίππος άοιδω. Das Epigramm, dessen Witz in der Verarbeitung eines Kratinos-Zitats besteht, wird uns unten im Zusammenhang mit Wein und Wasser beschäftigen (128). Lobon von Argos nennt Timotheos κιθάρας δεξιόν ή νίοχον (F 518.2 SH). Ob ein parodistischer Ef­ fekt in der widrigen Vorstellung des Instrumentes als Wagen oder Zugtier liegt, läßt sich nicht entscheiden. Geistreich vergleicht Parmenion (Datierung unsicher, wohl zwischen Meleagros’ [etwa 80 AC] und Philippos’ [etwa 40 AD] Epigrammsammlungen) das Distichon mit einem Diaulos-Lauf (11.2608-2611 GPh): Wie in einem Stadion wegen des häufigen Hinundher kein δό λ ιχο ς gelaufen werden solle, so überschreite auch ein Epigramm nicht die Länge von zwei Distichen! M e y e r Leser 174 nimmt hier direkte Kallimachos-Rezeption an. Die „hypertrophische tragische Botenszene“ (K. ZIEGLER im ‘Kleinen Pauly’ 3.815 s. v. Λυκόφρονος ’Α λεξάνδρα ), die Lykophrons Gedicht ausmacht, verwendet am Ende ihres Proömiums eine sehr elaborierte Metaphorik aus dem Pferderennsport (9-15), deren Bildlichkeit ge­ legentlich die Analogie von vehicle und tenor nicht mehr erkennen läßt. Obwohl der Wächter fiktionsimmanent natürlich nicht dichtet, sind diese Sätze ihrer proömialen Funktion halber wohl doch poetologische Metaphern, wie der Zusammenhang mit den anderen Beispielen für Wagenrennen zeigt: Die Ebene des Verfassers überlagert hier die des fiktiven Berichterstat­ ters. Die Verse 10-11 könnten den Anonymus AP 9.191.1-2 zu seinem Bild des Labyrinthes für die Dichtung Lykophrons angeregt haben. 345 Ennius Ann. F 5 22f SKUTSCH: sicut fords equos spado qui saepe supremo / vicit Olympia nunc senio confectus quiescit. Ennius spricht von sich selbst im Bild eines alternden Renn­ pferdes (vgl. W il l ia m s Tradition & Originality 697). Neu ist meines Wissens die Verschie­ bung des vehicle ‘Zugtier’, das im griechischen Bereich zum ‘Wagen’ gehört und den tenor des Dichtungsvorgangs oder des konkreten Einzelgedichtes meint, auf den tenor ‘Dichter’ selbst (vgl. daher unten zu BtNGs Theorien 228). 346 Im jambischen Proömium der Descriptio diei autumnalis\ 3 όπου γάρ [. . . .]y συντρέχουσιν οί λόγο[ι. Hierher gehört wohl auch Arat Phain. 100 λό γ ο ς [...] έντρ έχει άλλος. 347 Der umstrittene achte Mimiambus des Herondas gehört meines Erachtens nicht hierher. Mö­ gen auch in den Versen 16f, 18 und 27 Elemente eines Weges (vage) erkennbar sein, reichen die Parallelen doch nicht aus, um mit F.-J. SIMON, Τά κ ύλλ’ άείδειν. Interpretationen zu den Mimiamben des Herodas, Studien zur Klassischen Philologie 57, Frankfurt am Main/ Bem /New York/Paris 1991, 75 festzustellen: „Traum und der Weg ins unbegangene Steile sind Elemente dieser [seil, literarkritischen] Symbolik.“ Dafür, diesen Mimiambus überhaupt poetologisch zu deuten, wie das auch KREVANS Editor 86 eher beiläufig tut, bieten allerdings 7 0 ff und die Parallelen zu Kallimachos F 203 P hinreichenden Anlaß.

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2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

herkömmliches Heroenepos überhaupt, geschweige denn eine derart abgegriffene Thematik wie diese, als „unbegangenen Pfad“ anzupreisen.348 Die Metapher kann sich also nur auf Stilistisches beziehen. Dies aber wäre eine Neuerung: Wie oben deutlich geworden ist (71), bezieht sich das Wegvehicle gerade unter dem Aspekt der Originalität auf Inhaltliches. Diese Inkongruenz, die man als Abwandlung des gängigen Bildes durch Antipater auffassen darf, erklärt sich dagegen, wenn man eine polemische Reaktion auf den Aitienprolog annimmt, die durch Wort- oder Motivübemahmen erst ihre Spitze bekommt.349 Dieser Hintergrund ermöglicht es Pfeiffer (erst 1949), zusammen mit Oppian Antipater zur Rekonstruktion des Pro­ logs zu den Aitia heranzuziehen, was wahrscheinlich gerade nicht in dessen Sinne gewesen wäre (zum Streit um die Lyde unten 185f). Geradezu topisch werden bestimmte Elemente der Kallimachosrezeption im Proömium des Lehrgedichtes, wo wir sie zuerst im lateinischen Bereich fassen.350 Die griechische Tradition tritt erst fast ein halbes Jahrtausend nach Kallimachos bei Oppian von Apamea zur Zeit Caracallas hervor,351 doch ist wohl von einer lükkenlosen griechischen Tradition auszugehen. Trotz der insgesamt deutlichen Ab­ hängigkeit von den Halieutika des kilikischen Oppian352 hat unser Jagddichter sein Proömium vollkommen anders, nämlich in enger Kallimachos-Anlehnung gestal­ tet. Nach einer üppig huldigenden Adresse an Caracalla (1-15) stellt Oppian lapi­ dar sein Thema vor (16: θήρης κλυτά δήνε’ άεΐσαι), um dann wieder sehr breit das Berufungserlebnis zu schildern, das ihn zur Bearbeitung dieses ungewöhnli3 4 8 H ä USSLER Historisches Epos 78 sieht den Widerspruch auch, erklärt ihn aber anders: Die

Wendung könne nur „Randgebiete und Einzelzüge“ meinen. Den Bezug auf Kallimachos sieht er nicht. Die communis opinio z. B. bei SERRAO Lide 9 5 - 9 6 , KREVANS Fighting 149 Anm. 5. Zu spätklassischen bzw. hellenistischen Thebaides vgl. ZIEGLER Epos 18, der allein drei noch namentlich kenntliche T/ieAa/.?-Dichter anfuhrt. 349 Viele der anderen Ausdrücke des Epigramms erklären sich auch durch eine derartige Verwen­ dung: Das hat bereits GABATHULER Epigramme 1 0 0 -1 0 1 so weit herausgearbeitet, wie es oh­ ne Berücksichtigung des Aitienprologs möglich ist (der allerdings 1937 bereits seit zehn Jah­ ren bekannt war). Zu dem Epigramm vgl. WlMMEL Kallimachos 106 und G 0W -P a g e ad l. 2 .8 7 wie GABATHULER. H a r d e r Untrodden Paths 2 8 8 Anm. 3 vereinnahmt angesichts dieser persönlichen Beziehungen Antipater vielleicht zu schnell für ihre Idee der Toposbildung. 3 5 0 Vgl. M. L a u s b e r g , Epos und Lehrgedicht. Ein Gattungsvergleich am Beispiel von Lucans Schlangenkatalog, WüJbb 16 (1 9 9 0 ) 1 7 3 -2 0 3 , 199 (über Statius Silv. 2 .7 .5 1 zu Lukan) mit Anm. 1 2 0 -1 2 1 . Beispiele bringen WlMMEL Kallimachos 106 (Lukrez, Vergil, Manilius) und NIKITINSKI Vergangenheitsbezug 141 Anm. 11 (Plinius maior), sehr deutlich etwa auch Terentianus Maurus praef. 5 1 - 5 8 GLK. Die Tradition der proömialen Wegmetaphorik hält sich bis in die Renaissance, wo sie bisweilen fast parodistisch klingen kann: Vgl. Marco Giro­ lamo Vida, Scacchia Ludus, Basel 1537 (geschrieben etwa 15 1 0 ), Verse 7 -1 0 : nulla via est, tarnen ire iuvat, quo me rapit ardor / inviaque audaci propero tentare iuventa. / vos per inac-

cessas rupes et inhospita euntem / saxa, Deae, regite, ac secretum ostendite callem. 351 Oppian Hai. 4 .6 8 ά τ ρ ίπ τ ο ισ ι κ ε λ ε ύ Ο ο ις ist unpoetologisch (Vergleich der Solidarität einer

Brassenart mit Männern, die sich bei einer Bergbesteigung nachts, d. h. „in unwegsamem Ge­ lände“ an den Händen fassen): Vielleicht liegt ein lexikalischer Bezug zu Kallimachos vor, wahrscheinlicher allerdings einer zu der oben 6 9 mit Anm. 198 erschlossenen Redensart. 3 5 2 E f f e Dichtung und Lehre 1 7 4 -1 8 0 zur strukturellen Abhängigkeit des jüngeren vom älteren Oppian. Zur Nichtidentität der beiden Oppianoi vgl. G. W . BOWERSOCK, in: Cambridge Histo­ ry o f Classical Literature (wie BULLOCH Hellenistic Poetry), 1 .4 .9 3 ^ 1 , 2 2 7 - 2 8 .

2.4 Fazit und Ausblick

105

chen Stoffes veranlaßt habe: Kalliope und Artemis selbst haben es ihm nahegelegt (17: κέλεται). Er selbst habe sie nur gehört, nicht gesehen (18f). Genau weitere zwanzig Verse berichtet Oppian dann von dem Dialog, den er mit Artemis geführt habe. Hier kommt es auf die Worte an, mit denen Artemis sich an den künftigen Dichter wendet (20f):353 Έ γ ρ ε ο , καί τρηχεΐαν έπιστείβωμεν άταρπόν, την μερόπων οϋπω τις έης έπάτησεν άοιδαΐς. Auf! Laß uns den holprigen Pfad beschreiten, den noch kein Sterblicher mit seinen Gesängen je betreten hat!

Oppian erklärt unterwürfig seinen bedingungslosen Sangeswillen. Danach wird die typische recusatio gängiger epischer Themen dialogisch fortgesetzt (24-34), bis Artemis endgültig das Thema festlegt (35: μέλπε μόϋους Οηρών τε και άνδρών άγρευτήρων). In der Wahl einer Hörszene, an der eine Muse beteiligt ist, folgt Oppian Hesiods Theogonie.354 Ob auch die Apollonerscheinung im Aitienprolog eine rein akustische ist oder ob Oppian sie zumindest so verstanden haben könnte, lassen wir offen. Dialogizität könnte man als eine Anregung aus dem Aitiengespräch der ersten beiden Bücher Aitia des Kallimachos auffassen. Oppian hat also die zweite Edition der Aitia benutzt, wenn er Apollonparainese und Aitiengespräch voraussetzt.355 Während dort die Musen im Laufe der Erzählung den Apollon der Prologparainese abwechselnd356 ersetzten, verdrängt Artemis bei Oppian gegen­ läufig Kalliope im Verlauf der Schilderung: Sie ist einerseits natürlich παγκοίρανε Οήρης (4.21-24), also gewissermaßen zuständig in kynegetischen Fragen, an­ dererseits führt sie sich mit der kallimacheisch klingenden Wegmetapher als Schwester des Apollon aus dem Aitienprolog ein. Oppian bricht die kurze, wuchti­ ge Rede des Apollon im Aitienprolog dialogisch auf, wobei er der Gattungstradi­ tion357folgend die recusatio in den Dialog einbindet, statt sie wie Kallimachos vor­ zuziehen (F 1.3-5 P). Gegenüber der kallimacheischen Wegmetapher fällt zu­ nächst die Kollegialität auf, mit der Artemis spricht: έπιστείβωμεν. Apollon hatte an Kallimachos eine apodiktische, autoritäre Weisung gerichtet, keine freundliche Aufforderung, doch mit ihm ‘zusammen zu gehen’. Oppian schreibt sich also stei­ gernd eine größere Gottesnähe zu, als Kallimachos es wagt. Wiederum steigernd 353 Nach COSTANZA Proemio dei Cynegetica 482-83 mit Anm. 13 spricht hier Kalliope. Die Parallele zum Aitienprolog legt aber eher nahe, daß Artemis allein spricht. 354 Daß es sich beim Proömium der hesiodeischen Theogonie um keine echte Begegnung mit den Musen, sondern um ein Hinhören auf den Gesang der unsichtbaren Musen handelt, hat meines Wissens zuerst K. LATTE, Hesiods Dichterweihe, in: O. GlGON u . a. (Hrsgg.), Kurt Latte. Kleine Schriften [...], München 1968, 66-67 (= A&A 2 [1946] 157) festgestellt. Έ γ ρ ε ο könnte ein Hinweis darauf sein, daß Oppian sich implizit träumend schildert: Dies wäre als Hesiodabkehr hin zu Kallimachos zu betrachten. 355 Vgl. oben 59 Anm. 152. FLEISCHER Zweitausendjahrfeier 35 verwechselt Dialogizität mit Dramatik. COSTANZA Proemio dei Cynegetica 481 Anm. 11 stellt fest, daß Kalliope eine be­ sonders eng mit Apollon verbundene Muse sei. Artemis wird noch in 2.1 —4 und 4.21—24 an­ gerufen, Kalliope in 3.461-62: Artemis dominiert also deutlich. 356 Zu F 4 3 .5 6 f P BARIGAZZI Simposio 6. 357 Zu dieser vgl. EFFE Dichtung und Lehre 168 (über Nemesians Cynegetica).

106

2 ‘W eg’ und ‘Wagen’ als Dichtungsmetaphem

verzichtet Oppian auf die Wagenfahrt: Seine άταρπός ist so steil, daß sich der Gedanke an eine Wagenfahrt von selbst verbietet.358 In den Verbalaspekten folgt Oppian Kallimachos (-στείβειν, πατεΐν), wobei er mit άοιδαΐς Artemis das ve­ hicle dann doch noch durchbrechen läßt.359 Angesichts der engen Parallelität und der jeweils deutlichen Bezugsintention läßt sich ein direkter Rückgriff Oppians auf Kallimachos schwerlich bestreiten. Oppian präsentiert sich dem Leser als poten­ zierter Kallimachos, als Überkallimachos. An den beiden disparaten Beispielen Antipater und Oppian wird die Funktion der Wegmetapher als Topos der Gat­ tungspolemik deutlich: So war sie schon in der Alten Komödie hervorgetreten (vgl. oben 45), ähnlich wird sie auch heute noch verwendet (vgl. oben 63 Anm. 172). Wir beschließen unseren groben Überblick mit Eustathios, dem schon oben (81) eine tiefere Einsicht in die Nuancen der kallimacheischen Wegmetaphorik zugetraut worden war. In der Einleitung zu seinem nicht erhaltenen Pindarkommentar360 charakterisiert Eustathios die Sprache Pindars mit einem Zitat eben der­ jenigen Stelle des Kallimachos, die aus dessen gesamten (Euvre formal am deut­ lichsten in der Tradition Pindars selbst steht. Pindar ουδέ λαλεϊν έϋέλει κατά τούς πλείονας (23, 20.1-4 Kambylis), sondern τάχα που καί αύτω Οελήσαντι πατεΐν έτέρων ϊχνια μή καθ’ όμά, εϊποι αν Καλλίμαχος.361 Eustathios scheint Kallimachos aus dem Kopf zu zitieren: Er verwechselt πατεΐν mit στείβειν.362 Wie schon in seinem Iliaskommentar anhand des pythagoreischen Weg-άκουσμα äu­ ßert sich Eustathios nicht darüber, mit welcher Intention er Kallimachos zitiert: illustrierend oder um ein Rezeptionsbeispiel zu bringen. Die Wiederholung der 358 Möglicherweise folgt er in der Wahl des Adjektivs τρη χύς und in der Betonung des Gehens Hesiods unpoetologischem Lebenswegmotiv (vgl. oben 94f). Nach Kallimachos aber muß ein solches betontes Übergehen der nächstllegenden Bezugsgröße eine polemische Absicht haben, zumal ja die vielen anderen Parallelen beweisen, daß Oppian sich auf Kallimachos bezieht. 359 Nemesians Cynegetica zeigen neben den auf die lateinische Tradition der Originalitätsbeteue­ rung im Bilde der Wegmetapher zurückgehenden Versen 8 -9 interessante Parallelen zur grie­ chischen Proömialtopik: Vers 1 Venandi cano mille vias ist strukturell und lexikalisch dem μυρία-κέλευθος-Topos, den wir aus Pindar und Bakchylides kennen (vgl. oben 30) auffal­ lend ähnlich. Vers 10-11 virides en ire per herbas imperat erinnert an die ungemähte Wiese des Choirilos (oben 49f). E ffe Dichtung und Lehre 167 Anm. 4 bezieht im Gefolge von LUISELLI die Formulierung auf Vergil Georg. 3.162. Aber dort ist nicht von Literatur die Re­ de, sondern von Rindern. Vielleicht muß man für Nemesian doch mit einer stärkeren Berück­ sichtigung griechischer Proömialtopik rechnen, als E ffe und LUISELLI dies getan haben, die ihn als Nachahmer nur der lateinischen Klassiker auffassen. 360 Hier zitiert nach: A. KAMBYLIS (Hrsg.), Eustathios von Thessalonike. Prooimion zum Pindarkommentar [...], Veröffentlichung der Joachim-Jungius-Gesellschaft [...] 65, Göttingen 1991. F a lk Eustathius 369-370 argumentiert für direkte Kallimachos-Kenntnis des Eustathios, w e­ nigstens des Aitienprologs. 361 Die Auswertungsgeschichte der Eustathiosstelle bei PFEIFFER Altersgedicht 3 2 1 . 362 A uf eine Parallele weist FALK Eustathios 368 hin: Eustathios ad λ 316 (1.419.24 STALLBAUM) zitiert Kallimachos H1.55 ebenfalls fehlerhaft aus dem Kopf (τάχα [ταχύ STALLBAUM] statt καλά, von PFEIFFER daher auch nicht als Variante akzeptiert). Τ άχα που und der Optativ im Pindarkommentar sind nicht eindeutig zu interpretieren, zumal der Optativ auch bei Eustathios ad Ψ 585 an vergleichbarer Stelle begegnet (ώς α ν ό Κ αλλίμα χος εϊποι 4.787 9 -1 0 VAN DER F a l k ).

2.4 Fazit und Ausblick

107

eigenartigen Verweisungsstruktur läßt aber vielleicht doch eher exegetische Ab­ sicht als Zufall vermuten.363 Im Falle einer anderen, ebenfalls elaborierten Wegme­ tapher nämlich verwendet Eustathios sehr kallimacheisch klingende vehicleElemente fur Pindars Stil,364ohne eine Quelle zu nennen (2, 6.13-17 Kambylis): ή δέ λυρική διαχείρισις, έν ή προλάμπει ό κατά τούς σεμνολογοϋντας μεγαλοφωνότατος Πίνδαρος, έξαίρετόν τινα έτεροιότητα φδικήν εχει παρά γε τάς παλαιάς ού ποικίλως έγκροαίνουσα, καθά τρέχοι αν 'Όμηρος καί οί κατ’ αύτόν, άλλ’ οδόν άπλουστέραν έλομένη τινά καί όλιγοσχιδή. Die lyrische Darstellungsweise, in der unter den Meistern des hohen Stils Pindar als der sprachmächtigste hervorleuchtet, besitzt eine künstlerische Qualität, die er­ lesen und doch grundsätzlich (seil, von der Tradition) verschieden ist, indem sie sich im Gegensatz zu den alten (seil. Darstellungsweisen) nicht vielfältig ausbrei­ tet, wie Homer auszuschreiten pflegt und dessen Epigonen, sondern gewissermaßen einen einfacheren Weg wählt und weniger verzweigten.

Offenbar denkt er in kallimacheischen ve/z/c/e-Oppositionen, ohne dies mit einem Zitat zu sichern. Dessen namentliche Erwähnung hat also oben vielleicht doch den Zweck, die singulären literarischen Bezüge, die zwischen zitiertem und dem durch das Zitat glossierten Text bestehen, deutlich werden zu lassen. Ob das Verfahren des Eustathios Methode hat365 oder auf seiner philologischen Intuition basiert, müßte eine eingehende Untersuchung seiner Zitate erweisen, die hier nicht unter­ nommen werden kann.

363 RICHARDSON Pindar & Criticism 393 äußert sich nicht dazu, F a l k Eustathius 368 und FÜHRER Epinikien 261 votieren für Zufall. A. KAMBYLIS, Eustathios von Thessalonike über Pindars Epinikiendichtung. Ein Kapitel der klassischen Philologie in Byzanz, Berichte [...] der Joachim-Jungius-Gesellschaft 9.1, Göttingen 1991, 67-68 sieht das Problem nicht. 364 Einfachheit und geringe Größe, hier auf den Weg übertragen, werden unten für Kallimachos in Kapitel 4 diskutiert. Auch dieser Satz wird von KAMBYLIS nicht kommentiert. 365 Vergleichbares im Σ Pindar Pyth. 4.459c (2.162.6f DRACHMANN) u n d ! Pyth. 5.99a (2.184.2f DRACHMANN), die zum pindarischen Bezugstext kallimacheische Rezeptionsverse (F 716.1 P und H2.74) als Kommentarersatz zitieren.

3 Wassermetaphorik: der kallimacheische A p o llo n h y m n u s

Der Apollonhymnus des Kallimachos ist Gegenstand zahlreicher Kontroversen geworden. Vor allem die kunstmythologische, in sich abgeschlossene Begegnung von Φθόνος und Apollon (105-112) ist in ihrer Deutung nach wie vor umstritten. Es ist erstens schon unklar, wie sie mit dem übrigen Hymnus zusammenhängt.1 Zweitens besteht Uneinigkeit darüber, ob diese Szene biographisch gedeutet wer­ den kann und ob sie mit dem von der biographischen Tradition überlieferten Streit zwischen Apollonios und Kallimachos zu tun hat.2Drittens bereitet wie auch schon 1

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B u n d y Quarrel 42: „The verses have little or no connection with what precedes, and this lack o f connection seems unnatural on any interpretation thus far advanced.“ (Geschichte der Lö­ sungsversuche ebd. 42^14). Zum Problem vgl. auch ERBSE Apollonhymnos 411, 419, 423; EICHGRÜN Apollonius 159-161, BASSI Exclusion 219. KÖHNKEN Envy 421 will hier die Er­ weiterung einer Abbruchformel der Chorlyrik erkennen. Jüngst hat HÜBNER Verknüpfung 290 die ‘Sphragis’ als mikrostrukturelle Weiterführung des ,,Motiv[s] άείδη“ (104) aufgefaßt. Makrostrukturell sei „die markant plazierte mythische Anekdote [...] ein ‘Hauptstück’ des Motivkataloges für den Hymnus“. Es ist allerdings kein Mythos bekannt, der diese Episode schildert. Die Zusammenhänge, die CALAME Poetic Procedure 51 mit Anmm. 25-26 zwischen unseren Versen und der vierten Aitionszene entdeckt, sehe ich nicht, pace BASSI Ex 'usion 223, 2 2 7 f ebensowenig, wie der Anfang des Hymnus in seiner „exclusiveness“ mit der Schlußszene zusammenhängt, die ja Apollon gerade einem als Außenseiter gezeichneten Kri­ tiker gegenüberstellt (vgl. unten 151f). Die ältere Forschung hielt diesen Streit aufgrund der Angaben der spätantiken Apolloniusviten (Prolegomena A a. 8-12; b. 7, 13f WENDEL) überwiegend für historisch, so daß es zu einer regelrechten historisch-biographischen Allegorese der Φ ϋόνος-Szene kam. Bei BENEDETTO Sogno 4 0 -8 2 findet sich eine genaue Beschreibung der Forschungsgeschichte. Besonders drollig mutet die Abfolge der wechselnden Schuldzuweisungen an. Exemplarisch sei für das methodische Vorgehen dieser Zeit SMILEY Callimachus’ Debt 57, SMILEY Quarrel 2 8 8-89 mit den grotesken Versuchen angeführt, aus dem Ά σσ ύρ ιος ποταμός (108) eine Anspielung auf die Argonautika herauszupressen. Methodisch ähnlich fehlgeleitete Exponenten dieser Rich­ tung, der jüngst wieder ähnlich CORSANO Fondazione di Cirene 65-70 (unterschiedliche Ver­ sionen der Ktisis Kyrenes bzw. der Euphemidensaga auf Thera bei Kallimachos [H2.65-68] und Apollonios [4.1755-64] seien Reflex des Streites) und KAHANE Poetics o f Mud 123, 12832 (metapoietische Interpretation der Argonautenhandlung nach DEFOREST Callimachean Epic als Polemik gegen Kallimachos) huldigen: VOSS (1684), WlLAMOWITZ (1893), KNAACK (1894), GERCKE (1899), NEUMANN (1904): Über alle diese liest man bei B u n d y Quarrel 40 Anm. 3 treffend von „wasted ingenuity“. Eine Übersicht über die Geschichte der Kontroverse findet sich bei SMOTRYTSCH Literarische Kritik 254 Anm. 32 (COPPOLA, WEHRLI, T a r n , SlNKO gegen die Historizität des Streits) und Anm. 33 (ROSTAGNI, WlLAMOWITZ, CESSI, HERTER dafür). Die älteste Gegenstimme ist diejenige S piros (1893), zitiert bei BARJGAZZI Mimnermo 165 Anm. 2. BUNDY Quarrel 39^14 argumentiert ausgezeichnet gegen diese Richtung: Die positive Darlegung seiner eigenen Meinung hat er sich leider für den zweiten

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3 Wassermetaphorik: der kallimacheische Apollonhymnus

bei der Apollonparainese des Aitienprologs die Rede dieses Gottes Schwierigkei­ ten, die aus einer einzigen, strukturell komplizierten Metapher besteht. Diese wird zwar in der Bemerkung des Φθόνος bereits vorbereitet, aber über ihren tenor be­ steht weniger Einigkeit als je zuvor. In den folgenden Bemerkungen wird die Metaphorizität dieser Szene im Vordergrund stehen, die im Zusammenhang mit ande­ ren poetologischen vehicles ähnlicher Provenienz betrachtet werden muß. Der oben skizzierten Problemstellung gemäß (16f) interessiert hier die Frage nach der ge­ nauen Stoßrichtung dieser Polemik, also nach dem tenor ihrer poetologischen Metaphorik, weniger als das Verständnis ihrer Metaphorizität. Lediglich einleitend sei also eine Stellungnahme zu den ersten beiden der oben genannten Probleme gegeben: Erstens können die zur Diskussion stehenden Verse als integraler Bestandteil einer wenn auch verfremdeten Hymnusstruktur angese­ hen werden.3Zweitens zeigt eine Betrachtung der Testimonien zum vermeintlichen Streit zwischen Kallimachos und Apollonius im Kontext anderer Dichterviten, daß dieser Streit mit großer Wahrscheinlichkeit nicht als historisch angesehen werden kann. Um so unsicherer muß also die biographische Auswertung eines auch noch

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Teil seiner einflußreichen Studie aufgehoben, der aber nie erschienen ist. Noch WlMMEL Kal­ limachos 59-62, F ritz Hesiodisches 47 und EICHGRÜN Apollonios 141-179 identifizieren orthodox Φ θ ό ν ο ς mit Apollonios. Mahnend H e r t e r Kallimachos 235, vermittelnd HUXLEY Bees 213-14, MEILLIER Callimaque 18-19, die die Kontroverse zwischen Kallimachos und Apollonios als reale Meinungsverschiedenheiten, nicht als persönlichen Streit auffassen. Zur Gegensätzlichkeit der beiden Dichter skeptisch ERBSE Apollonhymnos 42 7 f mit Anm. 4. Zum Verhältnis von Apollonios und Kallimachos sonderbar GRIFFITHS Williams 160: Apollonios sei der schlechteste Schüler innerhalb der Schule des Kallimachos gewesen —ein Scherz? Die herkömmlichen Bezeichnungen ‘Sphragis’ oder ‘Epilog’ (oder auch „clausule“: HURST Contrepoints 150, 158, 162) sind irreführend: Es handelt sich schlicht um die Fortführung der hymnustypischen Aretalogie, die geistreich mit einer fiktiven Großtat des Gottes fortgesetzt wird und mit ihrem allegorisch-fabulösen Geschehen fiktionsimmanent in der hymnischen Vergangenheit bleibt. WlLAMOWITZ hat die Faktizität des Geschehens hervorgehoben (Hellenistische Dichtung 2.85—86, allerdings dann auf den Weggang des Apollonios aus Alexandrien bezogen), was sich einer aretalogischen Klassifikation gut fügt. Die Euchai fol­ gen dann 113 ( χ α ι ρ ε [...] ν έ ο ιτ ο ). Natürlich ist das Gleichgewicht zwischen Epiklese, Areta­ logie und Euchai bei Kallimachos nicht so streng gewahrt wie in den herkömmlicheren Hym­ nen etwa des Kleanthes oder des Proklos. Zur Hymnusstruktur vgl. E. NORDEN, Agnostos Theos. Untersuchungen zur Formengeschichte religiöser Rede, Darmstadt 4195 6 [Leipzig/ Berlin 1913], 149-163 und J. G r u b e r , Kommentar zu Boethius De Consolatione Philosophiae, Texte und Kommentare 9, Berlin/New York 1978, 2 7 7 f zu Boethius’ Cons. 3m9. Eventuell resultiert diese Strukturverschiebung aus einer stärkeren Hinwendung zu lyrischen Gattungen: Vgl. LlVREA (wie unten 116 Anm. 30) 209, der Affinitäten zu Bakchylides Epin 5.188-90 bemerkt. Der von WlLAMOWITZ am Bukolikertext entwickelte, hymnusfremde Be­ griff der ‘Perikope’ (PASQUALI Quaestiones 3) bringt uns hier nicht weiter. LEFKOWITZ Quarrel passim (entspricht etwa Poets 117-135) hat mit ihrer These, daß, wie grundsätzlich alle Vitensubstanz aus den Werken der entsprechenden Autoren selbst extrapo­ liert sei, so auch in unserem Fall lediglich lnterpretationsakte von spekulationsfreudigen Grammatikern vorliegen, der Forschung neue Impulse gegeben. Ihre Meinung beginnt sich zu Recht durchzusetzen: L l o y d -J o n e s Miscellany 60 mit Anm. 32, beipflichtend P a r s o n s Identities 162 mit Anm. 88, FUSILLO Apollonio Rodio 111 mit Anm. 6, sehr radikal C P e l l in g bei BING Bios-Tradition 627 Anm. 22. Weiter erschüttert die Glaubwürdigkeit der Apollonios-Viten CAMERON Mistresses 306-311. R e n g a k o s Biographie hat in der Folge der

3 Wassermetaphorik: der kallimacheische Apollonhymnus

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metaphorischen Zeugnisses ausfallen: Von einer solchen, gewissermaßen ‘biographistischen’, Betrachtung der Schlußszene ist aus diesem Grund vollständig ab­ zusehen.5 Die Metaphorizität des kurzen Dialogs zwischen Apollon und Φθόνος ist von Wasserve/uc/es dominiert: Dem Rezipienten begegnen die Ausdrücke πόντος (106), ποταμοΐο [...] ρόος(108), ϋδωρ(109), πίδαξ (112) und ολίγη λιβάς(112). Poetologische Wassermetaphorik ist überaus weit verbreitet, demgemäß in ihrer verbalen Ausprägung spätestens bei Pindar wahrscheinlich lexikalisiert und so insgesamt weit weniger prägnant als die Wegmetapher.6Eine Ableitung des Motivs aus „epischer Formel“ ist versucht worden,7doch weist wie oben (24f) im Fall der Wegmetapher auch hier die lapidare Selbstverständlichkeit, mit der Homer und Hesiod die auf den Verbalbegriff reduzierte Metapher (z. B. Homer A 249 ρέεν αύδή, τ 521 χέει [...] φωνήν; Hesiod Theog. 39 ρέει αύδή, 84 έ'πε’ [...] ρεΐ) ver­ wenden, auf eine ältere Tradition. Wie dort, so darf man sich auch in diesem Fall diese Tradition eher Tyrisch’ als ‘episch’ denken. Über eine ähnliche Konvention indogermanischer Dichtersprache ist allerdings weit weniger bekannt als über die Weg- und Wagenvehicles. Immerhin existiert diese vehicle-Klasse in poetologischen Kontexten durchaus.8 Das implizite tertium comparationis, das die Deut­ lichkeit des tenor und damit die Verständlichkeit dieser Metapher garantiert, liegt in der Kontinuierlichkeit einer Bewegung: Wie ein Fluß, so strömen Rede oder Gesang dahin. Die Kontinuität des akustischen Ereignisses und der erzählte Fort­ gang des dabei mitgeteilten Inhalts fallen im Bild des Fließens zusammen. Im Ge­ gensatz zu diesen Kontinuitätsmetaphem haben metaphorische Verwendungen des im Mittelmeer tidenlosen Meeres ihren Ursprung im rein akustischen Phänomen des Wassers, das sich am Ufer bricht und dabei rauscht. Seefahrtsmetaphem dage­ gen gehören nicht hierher, sondern hängen generell eher mit der Weg- als mit der Wassermetapher zusammen (vgl. oben 45 Anm. 99). Die Wassermetaphem bei Pindar sind Legion.9 Er vergleicht sein Lied mit einem rollenden Stein, den die

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Arbeiten von LEFKOW1TZ versucht, alle Testimonien des Streites als historische Fakten zu ent­ kräften und sie als Werkextrapolationen Theons zu erweisen (56-57 mit Doxographie). Brüsk gegen diese Auffassung äußern sich GENTILI Comunicazione 126 und SCHWINGE Künstlich­ keit, der 84 Anm. 3 von einer„fatalen generellen Enthistorisierungstendenz“ spricht. KAHANEs Ansatz einer „interpretive community“, die die letzten Verse des Apollonhymnus auf A pollonius’ Argonautika bezogen haben müsse (Poetics o f Mud 122-24, Zitat 123), er­ scheint bei der heterogenen Literaturproduktion der Zeit alles andere als zwingend: Vgl. Z ie g le r Epos 16-22 und M. FANTUZZls Aufzählung hellenistischer Epiker im Vorwort zur italienischen Übersetzung des ZiEGLERschen Büchleins (Bari 1988, LVI1—LXXXVIII). WlLHELMI Fließen 4 -7 5 gibt von Homer bis hin zu Pindar und den Tragikern eine umfangrei­ che Beispielsammlung. 71 erst folgt die Einsicht, daß die Metaphorizität dieser Ausdrücke „verblaßt“ sein könnte. HARDIE Allusive Language 193; MAEHLER Dichterberuf 86 Anm. 2 (Zitat). Vgl. z. B. Rgveda 1.141.1, 1.190.7, 4.58.6, 5.44.9, 8.6.34, 8.12.5, 8.13.8, 8.14.10, 8.35.20, 8.40.7,9.34.6, 9.95.3, 10.89.4. PERON Images 235 zählt die sechs wesentlichen Typen der Trinkwassermetapher Pindars auf. Hinzu kommen F 5 2 g .9 -l 1 SM und F dubium 334a3. Eine einführende Darstellung der pindarischen Wassermetaphorik geben GlANOTTl Poetica Pindarica 112-114, KAMBYLIS Dich-

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Welle wegspült (νϋν ψάφον έλισσομέναν / όπά κύμα κατακλύσσει ρέον ΟΙ. 10.9f vgl. Peron Images 240-44), oder eine preiswürdige Tat mit einem Steinwurf in einen Fluß und impliziert die Identifikation des durch das Lied wachsenden Ruhmes mit den auf der Wasseroberfläche sich ausbreitenden Kreisen: εί δε τύχη τις έρδων, μελίφρον’ αιτίαν / ροαΐσι Μοισάν ένέβαλε (Nem. 7.11-12).10 Aber fünfzig Verse später kann Pindar seine Verse auch ganz unprätentiös als ΰδατος ώτε ροάς oder generell als παγά άμβροσίων έπέων (Pyth. 4.299) bezeichnen. Auf den schwierigen Ausdruck άκρον άωτον und den Vergleich zweier Wasser braucht erst unten im Zusammenhang mit Kallimachos eingegangen zu werden. Im Gegensatz zur Wegmetapher läßt sich eine strukturierende Funktion des Wasservehicle nicht erkennen: Auch die Aspekte inhaltlicher Kontinuität und akustischer Analogie sind in der Mehrzahl der Fälle nicht expliziert. Eine im Hinblick auf Kallimachos interessante Ausnahme bietet wiederum Empedokles, dessen penibel strukturierende Wegmetaphorik oben (73) schon besprochen wurde: Proömial faßt er sein ganzes Gedicht als Quellfluß (31 B 3.2 DK: έκ δ’ όσιων στομάτων καθαρήν όχετεύσατε πηγήν). Καθαρήν dabei ausschließlich als Hinweis auf die Wasserqualität aufzufassen, wäre ein typisches Mißverständnis des ökologisch sensibilisierten modernen Interpreten." Wie schon όσιων zeigt, ist hier ebenso wie bei der καθαρά οδός und vielleicht bei καθαρός überhaupt mit religiösen Asso­ ziationen zu rechnen (oben 87f).'2 Das Bild des Wassers strukturiert das Fragment B 35.2 λόγου λόγον έξοχετεύων genauso wie die Wegmetapher die Über­ leitung’ von einem Gedanken zum anderen, die Empedokles als ‘Ableitung’ (έξ­ οχετεύων) auffaßt (vgl. auch Becker Weg 148-49 Anm. 22). Im Hinblick auf die lexikalische lyrische Metapher wie auf den Άσσύριος πο­ ταμός des Aitienprologs müssen zwei aristophanische Bilder diskutiert werden: Im Antikatakeleusmos des Agons der Ranae ermutigt der Chor Aischylos dazu, die zweite Runde des αγών zuversichtlich zu beginnen: θαρρών τον κρουνόν άφίει (1005). Aristophanes bleibt hier in der charakteristischen Ambiguität zwischen Rhetorik und Poetologie, auf die oben bereits gerade zu den Ranae hingewiesen wurde (40). Sein Neologismus κυκλοβορεΐν (Ach. 381) geißelt die Rhetorik des verhaßten Kleon durch den Vergleich mit dem reißenden attischen Flüßchen Κυκλοβόρος (vgl. LSJ 5 . v. κυκλοβορέω und Hesych κ 4476 Latte).13 In diesem Bild sind sowohl der akustische Aspekt des rauschenden Flusses gemeint, wie in einem ähnlichen Kontext Κυκλοβόρου φωνήν έχων (Equ. 137) beweist, als auch der inhaltlich wertende und so die Sympathie des Rezipienten lenkende des terweihe 153 Anm. 93; Bemerkungen dazu bei MOST Measures 141 Anm 23 POISS Einheit 92 Anm. 30. 10

BOWRA Pindar 19 versteht die Worte meines Erachtens richtig. HARDIE Allusive Language

194 denkt an Schaum und Spritzer oder an „causing a fountain“, PERON Images 236-237 zu kompliziert. 11 12

13

Zu Gelegenheit und Folgen solcher Mißverständnisse vgl. unten 167f. ARNOULD Eau chez Homdre 21 weist auf ά γ ν ό ς in (unpoetologischer) Verbindung mit Wasser bei Simonides F 577 (b) PMG (ά γ ν α ν [...] χ ε ρ ν ίβ ω ν ) und Pindar Isth. 6.74 (Δ ίρ κ α ς ά γ ν ό ν ϋ δ ω ρ ) hin. Zum Wort vgl. TAILLARDAT Images 2 8 5 § 5 0 4 , KOMORNICKA Remarques 2 7 1 . SOMMERSTEFN

adl. „a stream in Attica [...] notorious for its volume and its roar when in spate.“

3 Wassermetaphorik: der kallimacheische Apollonhymnus

113

Schmutzes, den dieser Fluß mit sich führt.14 Dieser Schmutz wird im Namensbe­ standteil des Flusses -βόρος mitgehört (vgl. βόρ-βορος: Equ. 309 βορβοροτάραξι: Kleon „wirbelt Schlamm auf1- um im Trüben zu fischen?).15Kleons bil­ lige Rhetorik ist offenbar nach Klangerlebnis und Sinn des Gesagten gleicherma­ ßen wertlos. Bildtechnik und Bildinhalt der umfangreichsten aristophanischen Flußmeta­ pher verdienen besondere Beachtung: In der Parabase der Ritter redet Aristophanes über seine Vorgänger und hebt Kratinos besonders hervor, der im Gegensatz zu der traurigen Figur, die er als alternder Alkoholiker jetzt mache (531), früher von gro­ ßer Sprachgewalt gewesen sei (526—28), ος πολλφ ρεύσας ποτ’ έπαίνω διά τών άφελών πεδίων έρρει, καί της στάσεως παρασΰρων έφόρει τάς δρυς καί τάς πλατάνους καί τούς έχθροϋς προθελΰμνους.

Natürlich ist die Metapher hier poetologisch zu verstehen: Es geht um den ‘gewaltigen’ Stil des Kratinos, der von antiker Literarkritik sprachlich mit Aischylos verglichen wurde (εις τον Αισχύλου χαρακτήρα: Τ 2a. 10 PCG, zum Stil T 17, 19, 28). Das breit ausgeführte vehicle des angeschwollenen Stroms wird nur durch πολλώ έπαίνω von seinem tenor durchbrochen16 und schließlich mit dem dritten Glied der Baumaufzählung, das überraschend die zum tenor gehörigen εχθροί bilden, aufgelöst (trotzdem werden auch sie noch bildlich „von den Wur­ zeln ausgerissen“). In einer Technik, die bei Kallimachos ein Pendant finden wird (vgl. unten 116f, 199ff), verwendet Aristophanes für sein Bild ein homerisches Gleichnis (Λ 492-^195), das eine Aristie des Aias beschreibt. Die wörtlichen und inhaltlichen Parallelen sichern diesen exklusiven Bezug.17 Vor dem Hintergrund der homerischen Gleichnisstruktur ergibt sich als Pointe, daß Applaus (έπαινος) auf den Dichter wirkt wie Regen auf einen Fluß (493 σπαζόμενος Διός δμβρω), die Gegner des Dichters aber Schlamm (495 άφυσγετόν) sind. Formal wirft die Aufgabe der Gleichnisform bei gleichzeitiger immanenter Erläuterung der neuen Metapher durch ve/u'c/eexteme Elemente ein bezeichnendes Licht auf die Rück­ sicht, die Aristophanes dem Verstehensprozeß des Publikums einräumt. Kein Wunder, daß Kratinos sich das gelungene Bild in seiner Πυτίνη im Jahr darauf (423) selbst zunutze machte: Er führt das Wasserbild des Aristophanes weiter und insistiert so darauf, daß er immer noch auf der Höhe seiner Schaffenskraft stehe: [...] τών επών τού ρεύματος,/ καναχοΰσι πηγαί. δωδεκάκρουνον (τό) στόμα 14

O ’SULLIVAN Stylistic Theory 115-16 folgt dem Scholiasten R KOSTER zu Equ. 137d (μ ε τ ά

ψόφων ρέω ν), wodurch er auf der Suche nach Bestätigung für seine Stiltheorien den akusti­ schen tenor überbetont. 15 16

17

M . DE FATIMA S o u s a E S il v a , Critica ä Retorica na Comedia de Aristofanes, Humanitas 3 9 -

40 (1987-88) 44-1 0 4 weist 76 zu Recht auf die Verwandtschaft beider Vorstellungen hin. ’Α φ ελή ς kann seit Aristoteles in der rhetorischen Theorie als ‘schlicht’ terminologisch wer­ den, doch paßt gerade dieser tenor hier wenig zum Bild des reißenden Flusses, so daß man den Begriff wohl wörtlich zu nehmen und daher nicht als Bruch des vehicle aufzufassen hat. 492 π εδίονδ ε, 494 δρυς, 495 π ο λ λ ό ν [...] άφ υσγετόν. Die Baumaufzählung, die Aristopha­ nes mit ε χ θ ρ ο ί ausklingen ließ, setzt Homer mit πεύκας fort. Zu den Problemen des homeri­ schen Gleichnisses vgl. FRANKEL Gleichnisse 25 (im Kontext anderer Flußgleichnisse).

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[...] (F 198.1-2 PCG).18 Diese Metapher richtet sich also direkt gegen die aristo­ phanische, wie die Πυτίνη insgesamt offenbar auf den (aber wohl kaum aus­ schließlich in den Rittern formulierten) Trunkenheitsvorwurf reagiert, indem sie ihn zum Gegenstand eines komischen Stückes macht und ihm so die Schärfe nimmt. Kratinos kann die Metapher in der Fortführung des Bildes bereits verbal konzentrieren: απαντα [...] κατακλύσει ποιήμασιν (5). Poetologisch ist die Fluß­ metapher in der Folge akzeptiert (z.B. Eupolis F inc. fab. 392.6 PCG ganz beiläu­ fig von unqualifizierten Kritikern: παραρρεΐ). Ohne auf die Differenzen im wer­ tenden Ton und der Struktur des vehicle hinzuweisen, hat man die Verse aus den Equites gelegentlich als Vorbildstelle für den Άσσύριος ποταμός des Kallimachos behandelt.19 In die Moderne hat das Bild durch Horaz Eingang gefunden, der es auf Pindar überträgt (monte decurrens velut amnis c. 4.2.5).20 Wenn also die Überlieferungslage die tatsächlichen Verhältnisse nicht voll­ kommen verzerrt hat, ist die Tradition poetologischer Wassermetaphorik von einer Menge schon früh lexikalisierter Verbalmetaphem geprägt, von denen sich das elaborierte Bild des Aristophanes deutlich abhebt. In ihrer wassermetaphorischen Komplexität sticht die Schlußszene des kallimacheischen Apollonhymnus wieder­ um aus der gesamten Tradition heraus: Mit komplizierter Antithetik stehen sich drei Wasser gegenüber: das Meer (πόντος 106), der große Fluß (Άσσυρίου ποταμοιο μέγας ρόος 108-109), die geringe Wassermenge aus heiliger Quelle (πίδακος έξ ιερής ολίγη λιβάς 110-112). Quantitative Kategorien mischen sich auf undurchsichtige Weise mit hygienischen: Der Fluß ist groß, fließt (schnell?) dahin (ρεϊν aus ρόος 108) und schwemmt viel Dreck mit (λύματα γης και πολλόν έφ’ ΰδατι συρφετόν ελκει 109), die Quelle klein, „kriecht“ (langsam?) aus dem Bo­ den (άνέρπει 111) und ist sauber (καθαρή τε καί άχράαντος 111). Die Passage endet (auf die Quelle bezogen) mit dem höchsten Prädikat, das man für Wasser vergeben kann: ακρον αωτον (dazu unten 119f). Die Bienen (ΔηοΓ δ’ ούκ από παντός ύδωρ φορέουσι μέλισσαι 110), die zunächst so wenig in den Kontext der Wasservehicles zu passen scheinen, geben dem komplizierten Gebilde zunächst

Den Bezug erkannte schon WiMMEL Kallimachos 2 2 3 . O ’SULLIVAN Stylistic Theory 116 kümmert sich zuwenig um die Bildebene. Zur Rezeptionstrategie des Kratinos vgl. HANDLEY bei B r e m e r Poetry 168: „he could tum the image o f full blow his own way.“ 19 S m il e y Callimachus’ Debt 7 0 „may have been influenced“, C o ppo l a Cirene 113, W im m e l Kallimachos 2 2 3 , 271 Anm. 3 und O ’SULLIVAN Stylistic Theory 1 0 8 -9 , 116 Anm. 6 5 , 122 (im Sinne einer historischen Topik). Gegenüber den reichen Belegen des Bildes in der späte­ ren rhetorischen Theorie (z. B. Philostrat Vit. Soph. 8; 2 .1 0 .2 9 KAYSER) und der großen Ver­ breitung von Trinkmetaphem findet sich in der hellenistischen Dichtung außer vielleicht bei Hermesianax aus Kolophon F 7 .4 1 ^ 1 2 CA (über Antimachos) kein Beleg unserer Metapher. Zu Kallimachos F 8 1 4 P (= Antimachos F 191 IEG = F 7 9 SH) vgl. KNOX Callimachean Po­ lemics 119. (Unpoetologische) Wassermetaphem sind geradezu auffällig präsent in der helle­ nistischen Philosophie: Vgl. zu Zenons Wassermetaphem (1 .8 0 , 184, 2 0 3 , 2 3 4 SVF) L STROUX, Vergleich und Metapher in der Lehre des Zenon von Kition, [Diss.] Berlin 1965, 1 4 5 -1 5 0 , der leider auf die theoretischen Grundlagen gar nicht eingeht, und A. THIELEMANN, H. WREDE, Bildnisstatuen stoischer Philosophen, AM 104 (1 9 8 9 ) 109—155 120 2 0 SNELL Entstehung 2 4 5 , WlLHELMl Fließen 1 0 5 -1 1 9 . Zur Rezeption des Bildes in der französi­ schen Renaissance vgl. SCHMITZ Pindarrenaissance 8 1 - 8 2 , 127, 2 0 3 - 2 0 4 Anm. 175. 18

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mit Hilfe eines sehr geläufigen Bildes einen deutlich poetologischen Klang.21 Wie für den τεττιξ des Aitienprologs22 wird auch für unser Bienenbild gelegentlich die These einer Abhängigkeit des Kallimachos von Platons Ion erwogen:23 Vor dem Hintergrund der Topik des Bildes aber, für die neben den zahlreichen Belegen der aristophanische Spott als Indiz bereits ausreicht,24 und der möglichen Abneigung des Kallimachos gegen Platon25 ist eine solche Abhängigkeit wenig wahrschein­ lich. Zudem stellt Platon selbst sich mit den Worten λέγουσι γάρ δήπουϋεν προς ή μας οί ποιηταί (534 A 7) eindeutig in eine Bildtradition, der eben Kallimachos unabhängig von Platon ebenfalls verpflichtet ist. Neben dieser poetologischen Ebene erhöhen die Bienen die metaphorische Komplexität des Bildes, indem sie auf der Ebene eines anderen vehicle die Quelle emphatisch aufwerten: Anknüpfend an die Reinheit des Wassers26 lösen sie religiöse27 und poetologische Assoziationen aus, die der emotionalen Bewertung des Fluß-Quelle-Gegensatzes zugunsten der Quelle Richtung verleihen. Was die Sympathielenkung betrifft, so kann hier also dasselbe wie für die Apollonparainese des Aitienprologs vorausgesetzt werden: Was Apollon empfiehlt, wird aus verschiedenen Perspektiven als erstrebenswert 21

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27

Die poetologische Ebene garantiert der Bienen-Dichter-Vergleich, der äußerst geläufig gewe­ sen sein muß: Dies belegt am besten das umfangreiche Bienenbild des platonischen Ion (534 A 7 - B 3), das die ältere Tradition des Bildes sammelt und auf ihr basiert: Zu dieser vgl. z. B. Simonides F 593 P M G , der als Erfinder des Topos gilt; Pindar Pyth. 10.54, vielleicht F 158 SM mit Σ Pyth. 4.106a; Bakchylides Epin. 10.10; eventuell F adesp. lyr. 947a PM G , Aristo­ phanes Αν. 748-52, Eccl. 973; Σ Sophokles OC 17; Christodoros AP 2.69-71, 108-110, 392, AP adesp. 9.187.1-2; 9.523. Hinweise bei FREEMAN Function 156; BOWRA Pindar 14-15, 230, 241; B e r n a r d Denken 13-14; WlMMEL Kallimachos 62 Anm. 1, 112; KAMBYLIS Dich­ terweihe 146; M a e h l e r Dichterberuf 91 mit Anm. 2; HOEY Fusion 258; NEWMAN New Poe­ try 46; BERNARDINI Programma 83; H e r t e r Kallimachos 199, 236; BUNDY Quarrel 93; RICHARDSON Pindar & Criticism 398; POLIAKOFF Nectar 42 Anm. 2; MÜLLER Erysichthon 39 Anm. 127; CRANE Tithonus 272, 278; FÜHRER Epinikien 17 Anm. 22, 256-57 Anmm. 84 6 47. Zum Nachleben des Topos vgl. J. H. W a s z in k , Biene und Honig als Symbol des Dichters und der Dichtung in der griechisch-römischen Antike, Rheinisch-Westfalische Akademie der Wissenschaften: Vorträge G 196, Opladen 1974 (übergeht leider Kallimachos), und J. VON STACKELBERG, Das Bienengleichnis [...] , Romanische Forschungen 68 (1956) 271-293. HUNTER Wings 1 -2 , ähnlich DEPEW Ί α μ β ε ΐ ο ν 3 2 7 Anm. 3 8 , AMBÜHL Arcadian Asses 2 1 0 . MÜLLER Erysichthon 41. Unklar ist, wie weit das Bienenbild mit dem ‘Höhenflug’ des Dichters verknüpft ist, den Ari­ stophanes verspottet: Vgl. dazu KOMORNICKA Metaphores 92; TAILLARDAT Images 430—31 §738, 433 §742-43; DALFEN Polis & Poiesis 90; DOVER Criticism 4; DOVER Frogs 28; Z im m e r m a n n Intellektuelle 2 7 0 -7 5 ,2 8 4 -5 ; Z im m e r m a n n Music 44. Vgl. P f e if f e r Klassische Philologie 122 mit Anm. 41, 171. Die Reinheit des Wassers garantieren die Bienen bei Aristoteles HA VIII 1 1 .5 9 6 b l7 f (ϋ δ ω ρ δ ’ η δ ισ τ α ε ι ς έ α υ τ ά ς λ α μ β ά ν ο υ σ ιν ο π ο ύ αν κ α θ α ρ ό ν α ν α π ή δ α ). Vgl. die selbstverständli­ che Verbindung von Bienen und Quellwasser (in einem Soldatengleichnis) bei Choirilos: H u x l e y Choirilos 2 0 . Die interessante Interpretationsvariante H u x l e y s , Kallimachos spiele hier auf den von der minderen Wasserqualität der pontischen Flüsse verursachten ungesunden pontischen Honig an (Bees 2 1 4 - 1 5 ) , scheitert wohl an der Nichterwähnung des doch für poe­ tologische Zwecke bestens auszubeutenden Honigs. Zu den religiösen Assoziationen in diesen Versen insgesamt vgl. F 990.2 SH, Σ Pindar Pyth. 4.106c, PASQUALI Quaestiones 86-91, PFEIFFER Klassische Philologie 341—42, JANNACONE Fiume assiro 206, L a P e n n a Estasi dionisiaca 232.

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dargestellt.28Zugunsten einer Diskussion dieser expliziten Antithese zweier Wasser muß die Diskussion des meistdiskutierten πόντος zunächst aufgeschoben werden. Im Gegensatz zu der komplex gezeichneten Quelle kann man den großen Fluß und sein Schwemmgut als Prägung eines poetologischen aus einem unpoetologischen Bild Homers auffassen: Der Aias der Ilias gleicht einem Fluß, der im Winter Bäume wegreißt und πολλόν δέ τ ’ άφυσγετόν εις άλα βάλλει (Λ 495). Die Technik gleicht der oben besprochenen des Aristophanes genau: Sowohl Aristo­ phanes wie Kallimachos zeigen deutliche Anlehnungen an den Homertext, nur sind es jeweils andere (πολλφ/πολλόν ist unabhängiger Anklang an Λ 495): Kalli­ machos bezieht sich also wohl ausschließlich auf Homer, die Ähnlichkeit zu Ari­ stophanes ist verblüffend, aber zufällig: Eine inverse ‘window-reference’ liegt wohl kaum vor.29Ob Kallimachos daneben seine Meinung zur Athetese von Φ 195 durch Zenodot kundtun möchte, läßt sich schwer entscheiden.30 Die plastische Welt der homerischen Gleichnisse scheint überhaupt ein Ansatzpunkt für die Bil­ dung poetologischer Metaphorik geworden zu sein.31 Das kallimacheische Bild hat unter Altphilologen Karriere im polemischen Sprachgebrauch gemacht.32 Ist aber 28

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Die Probleme PFEIFFERS rühren daher, daß er „die dichterische Einfachheit“ des Textes sucht (Klassische Philologie 342) - aber es geht ja gerade um das Anklingenlassen der religiösen Assoziationsebene neben anderen, also eine komplexe Situation. C r a n e Bees without honey 402-3 sieht das Bild nur vor dem Prätext der Aristoteles-Stelle und verkennt so seine Viel­ schichtigkeit. Zur Kontaminationstechnik gut im Gefolge von WILLIAMS Apollo 9 2 f C a l a m e Poetic Procedure 52 Anm. 27, der allerdings auch noch an die Bienenfrau des Semonides (F 7.83-93 IEG) und Weberei denkt, und 53 mit Anm. 29. Der Begriff stammt von THOMAS Art o f Reference 188: „[...] it consists o f the very close adaptation o f a model, noticeably interrupted in order to allow reference back to the source o f that model.“ In der vorliegenden Konstellation müßte man den inversen Vorgang vertreten: Adaption eines Prätextes unter gleichzeitigem Hinweis auf einen weiteren Rezeptionstext. Vgl. dazu E. L iv r e a , Rezension von WILLIAMS Apollo, RivFil 110 (1982) 80-82 [= Studia Hellenistica, Papyrologica Florentina 21, Firenze 1991; 207-209, danach hier zitiert], 209: Er votiert dafür, daß H2.108 ποταμοΐο μέγας ρόος sich auf Φ 195 βαθυρρείταο μέγα σ θ ένος Ω κεανοίο beziehe und damit die Unangemessenheit der Athetese demonstriere. Zu Kalli­ machos’ Haltung zum Zenodot-Text vgl. allerdings RENGAKOS Homertext 41 mit Anmm. 3^t und 86, nach dem Kallimachos Zenodot meist folge (Übersicht 169). Das gilt für Pindar und Bakchylides, deren poetologische Adlermetaphem wahrscheinlich auf den Kriegergleichnissen der Epik beruhen (vgl. FRÄNKEL Gleichnisse 8 0 f) und einen Umdeu­ tungsakt manifestieren: Zu den Bildern allgemein B e r n a r d in i Aquila tebana 124, die die Ansicht R. STONEMANs (The ‘Theban Eagle’, ClQu n. s. 2 6 [1 9 7 6 ] 1 8 8 -1 9 7 ), daß sich die Vogelflugmetapher nicht auf Poetologisches, sondern auf den Athleten beziehe, zu Recht zu­ rückweist, und BALASCH Teoria poetica 3 7 4 . Möglicherweise bietet die poetologische Geier­ flugmetapher in Rgveda 1.88.4 eine Parallele. Auch der Zikadenwunsch des Kallimachos (F 1-32—34 P) erklärt sich gut vor dem Hintergrund etwa von F 150—5 2 , wo neben der Akustik wohl auch das Alter der trojanischen Greise ein tertium comparationis bildet (ähnlich AMBÜHL Arcadian Asses 210). Nur zwei jüngere Beispiele: G. T a r d it i , Rezension von Ch. SEGAL, Euripides’ Bacchae and Dionysiac Poetics, Princeton 1982, Aevum 58 (1 9 8 4 ) 8 9 - 9 0 in bewußter Umwertung der kallimacheischen Metapher „la [...] lettura [seil, del libro dell’Autore] έ purtroppo appesantita da uno stile farraginoso: il Segal - non me ne voglia male - precede come il fiume assiro, ma nella sua piena c ’e anche una vera ricchezza di osservazioni importanti.“ (9 0 ). R. KASSEL, Antimachos in der Vita Chisiana des Dionysios Periegetes, in: Ch. SCHÄUBLIN (Hrsg.), Cata-

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die Idee zweier entgegengesetzter Wasser überhaupt genuin kallimacheisch?33 Pin­ dar kennt offenbar den Kontrast von Süß- und Salzwasser: Es hat nicht an Stim­ men gefehlt, die einige Verse eines lückenhaft erhaltenen thebanischen Partheneion (F 94b.76-77 SM) μ ή ν ϋ ν ν έ κ τ α [ ρ ........................ ] ν α ς έ μ α ς δ ι ψ ώ ν τ ’ α [ ................................] π α ρ ’ ά λ μ υ ρ ό ν

ο ϊχ ε σ θ ο ν

poetologisch verstehen wollten und als Quelle unseres Wasservergleichs aufgefaßt haben.34 Abgesehen von den großen Lücken, die jede Deutung des Textes sehr hy­ pothetisch erscheinen lassen, bieten sich hier aber noch weitere Schwierigkeiten: Erstens fehlt die Kategorie der Quantität. Zweitens werden nicht dieselben Wasser einander gegenübergestellt: Der kallimacheische Vergleich bezieht zunächst Fluß und Quelle ein, nicht Meer und Quelle. Kallimachos kontrastiert zwei Süßwasser, sein Salzwasser dagegen wird gerade als das außer Konkurrenz Positive bewertet (unten 122f). Drittens geht es im Apollonhymnus um Sauberkeit (und vielleicht Akustik: άείδει 106, dazu unten 120), nicht um Trinkbarkeit. So basiert das Pindarbild letztlich auf Speise- bzw. landwirtschaftlicher Fertilitätsmetaphorik, ohne daß ein poetologischer Begriff fällt. Wirklich enge Parallelen zu Kallimachos bleiben also abgesehen von der reinen - überdies in Pindars Fall zweigliedrigen, bei Kallimachos durch den πόντος verwickelteren dreigliedrigen - Antithetik nicht.35 Landwirtschaftliche Assoziationen aber hat Kallimachos mit der Wahl des assyrischen Flusses sogar vermieden. Denn auf die wenig diskutierte Frage, warum er nicht den nächstliegenden großen, schlammigen Fluß, den Nil, verwendet hat, kann die Antwort nur lauten: um die positiv fertilen Konnotationen zu vermeiden, mit denen gerade der Nilschlamm notwendig verknüpft ist.36 Sein Fluß dagegen ist

33 34

35 36

lepton. Festschrift B. Wyss, Basel 1985; 69-76, 69 (über COLONNAs Polemik gegen RÜHL): „Aber wie es so geht, hat der Nachfolger, der sich über die ‘vitiorum sentina’ seines Vorgän­ gers ereifert, auch nicht immer frisches Quellwasser sprudeln lassen.“ So die communis opinio: Vgl. z. B. WlLHELMl Fließen 113: Der „Flußvergleich“ sei „strenger alexandrinischer Schematismus“. Wie so oft heißt auch hier ‘alexandrinisch’ kallimacheisch. PERON Images 236 erwägt andeutend, unter Salzwasser „la poesie des rivaux“ zu verstehen. POLIAKOFF Nectar 42 findet die Idee des poetologischen „small water“ bereits bei Pindar in Pyth. 5.98f δρόσφ μαλθακά und biegt sich unsere Stelle so zurecht: „The poet wams Aeoladas and Pagondas, who have received νέκταρ from him, not to go thirsting to briny (άλμυρόν) water. That is to say, they should not seek the encomia o f rival poets. The nectar o f what seems to be a small body o f water is contrasted with the undesirable briny water.“ (43). Generell zustimmend STEINER Crown 72-73 mit Anm. 8, RICHARDSON Pindar & Criticism 392, MÜLLER Erysichthon 32 Anm. 81. Kallimachos bleibt der Erfinder des Bilds: PFEIFFER Klassische Philologie 159 gilt weiterhin. Die Antwort, die SMILEY Callimachus’ Debt 57 und ders. Quarrel 288-89 auf die Frage nach dem Sinn des Ά σ σ υ ρ ίο υ ποταμοΐο bereithielt, ist obsolet. Er und HUXLEY Bees 211-13 wi­ dersprechen als einzige der Identifikation des Scholiasten (großer Fluß = Euphrat: zu H2.108 P). Der letztere bezieht ausführlicher als SMILEY unser Bild auf die Topographie des zweiten Buches der Argonautica. „[...] Apollo gently criticizes the geographical pretensions o f Argonautika Book II.“ MEILLIER Callimaque 94: „Quant ä Fimage du fleuve assyrien, eile ne fait qu’eloigner les adversaires de Callimaque dans le monde confus des barbares, etranger aux

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essentiell Gegenbild alles Erstrebenswerten. Einen interessanten Kontrast bietet Ps.-Longinos Subl. 35.4 (unten 127), der seine stilkritisch-metaphorische Flußreihe mit dem Nil beginnt und mit Rhein und Donau fortfährt. Während der Schmutz des Flusses einer Homerreminiszenz poetologischen Sinn verleiht, bleibt die καϋαρότης des Quellwassers in der biologisch-religiösen Ambiguität des Bienenbildes (vgl. oben 115 Anm. 26f): Aristoteles spricht HA VIII 11.596 b l7 f von ΰδωρ καθαρόν. Unter den Kategorien, mit denen man sach­ lich Wasserqualität beschreibt, ist καθαρός offenbar ein geläufiger Terminus. Daß er außerdem religiösen Sinn annehmen kann (vgl. oben 87f), wenn auch nicht muß, ist selbstverständlich und schon gezeigt worden. Im Gegensatz zu den Interpreta­ tionen der aporetischen Forschungsdebatte, wie der Begriff hier genau aufzufassen sei,37 erscheint es naheliegend, das assoziative, deshalb adäquat unübersetzbare, Schillern zwischen Hygiene und Heilsbegriff für die eigentliche Intention des Kallimachos zu halten. Die καϋαρά πηγή des Empedokles (31 B 3.2 DK, oben 112) war in einem ähnlichen Sinne ‘rein’: In seinem Musenanruf mischen sich ebenso Poetologie, Wasserhygiene und Religiöses.38 Der Begriff der λύματα begegnet im rituellen Kontext der Entsühnung von der Ermordung des Apsyrtos auch bei Apollonios {Argon. 4.710), wo folgerichtig zu Zeus Καϋάρσιος gebetet wird (704-717). Für die Gegensätze von Schlamm und reinem Wasser in Verbindung mit Sühnekonzepten finden sich in Eleusis interessante Parallelen.39 Analog zur oben diskutierten Wegmetapher darf also auch hier mit religiösen Konnotationen gerechnet werden: Diese erläutern auf einer assoziativen Ebene, warum diese Wasser Apollon gefallen bzw. mißfallen. Verglichen mit dem Aitienprolog ent-

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Cyr£n£ens, et meme hostile, erklärt nicht die definitive Flußwahl. In unserem Sinne der we­ nig beachtete Gedanke von Ja n n a c o n e Fiume assiro 206: „[...] pensiamo che egli [seil. Callimaco] lo [seil, il Nilo] abbia considerate fiume sacro ed abbia evitato di parlare con spregio del suo limo.“ Ähnlich schon WlLAMOWlTZ Hellenistische Dichtung 2.86 Anm. 1 und PASQUALI Quaestiones 86, HUXLEY Bees 211, HERTER Kallimachos 235. Doch geht JANNACONE 207: „[...] cioe vediamo qui una prova del riguardo che Callimaco ha avuto per la rehgione ellenistica.“ wohl zu weit: Kallimachos wollte einfach alle positiven Assoziationen des Zuhörers bzw. Lesers vermeiden. Daß Euphrat statt Nil gewählt wurde, um auf ein ägypti­ sches Publikum Rücksicht zu nehmen, spricht wohl gegen CoPPOLAs These, der Apollonhym­ nus sei für einen kyrenaischen Rezipienten verfaßt (Cirene 13f). W il l ia m s Apollo 94 geht von einfacher Aristoteles-Rezeption aus, wobei ihm aber auffällt, daß ein großer Teil der Parallelen, die er bringt, kultisch situiert ist. PFEIFFER Klassische Phi­ lologie 159 scheint καθαρός begründungslos mit „Neuartigkeit“ zu paraphrasieren, E ic h g r ü n Apollonios 72-73 ohne wirkliche Klärung als „technische Vollkommenheit“,’ S c h w in g e Künstlichkeit 18 mit Anm. 43 versteht den Begriff produktionsästhetisch (also wohl etwa wie ElCHGRÜN).

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WlMMEL Kallimachos 2 2 2 Anm. 2 denkt zu diesem Empedoklesfragment in eine verwandte Richtung: „[...] Vorstellungen des Einnehmens (Trunk, Mund) [sind] oft mit solchen des Ausstromens (Quelle, Gesang) direkt vermengt, was auf magische Anschauung zurückgeht und dem Geheimnisvollen der Inspiration angemessen bleibt [...]“, faßt dann aber unsere Kallimachosverse doch nur hygienisch auf (2 2 4 mit Anm. 1).

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GRAF Eleusis 103-107 mit zahlreichen Belegen aus Jenseitsvorstellung und Sühneriten, die

aus der „Gegend archaischer Religiosität“ kommen, „in welcher auch Orphik und frühes Pythagoreertum wurzeln“ (107).

3 Wassermetaphorik: der kallimacheische Apollonhymnus

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spricht also der Analogie des Rahmengeschehens (Verkündigung Apollons) die der konnotativen Bildgehalte.40 Die Rede Apollons schließt gewichtig mit dem seltsamen Ausdruck ακρον άωτον, den man gern als Pindarreminiszenz deutet.41 Dort begegnet er zwar oft,42 aber immer abstrakt als Umschreibung eines qualitativen Superlativs,43 nicht zu­ letzt poetologisch für Pindars eigene Dichtung.44 Es gibt reichlich konkrete Über­ setzungsvorschläge, deren Abweichungen die Fruchtlosigkeit des Versuchs zeigen, das Wort konkret zu fassen.45 Der homerische αωτος nun weist stets die wertungs­ lose Bedeutung „flock or fibers“ auf.46 Aus der Tatsache, daß Pindar ihn nie in die­ sem Sinne proprie und dazu in Isth. 7.18 gleich mit zwei auch noch in sich inkom­ patiblen vehicles verwendet, ergibt sich, daß der Ausdruck für Pindar bereits lexikalisiert war, wenn auch wahrscheinlich als hochpoetische Glosse: Für ihn war αωτος mit einiger Sicherheit keine Metapher mehr. Wer also behauptet, Kallimachos habe hier eine Metapher von Pindar übernommen, drückt sich mindestens ungenau aus.47 Er verwendet vielmehr ein Wort, das spätestens unmittelbar nach

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Etwas vage denkt KOSTER Apollonpriester 18-21 ähnlich: Er deutet freilich die Sprecherrolle des "Ich’ in H2 als ‘Apollonpriester’ und argumentiert hauptsächlich mit der römischen Kallimachosrezeption. S m il e y Callimachus’ Debt 58, Ric h a r d s o n Pindar & Criticism 392, R e n g a k o s Apollonios 155. Schon BUTTMANN Lexilogus 2.16: „[...] Pindar, der das Wort fast ein wenig zu sehr liebt [...]“ mit Verweis auf Eustathios ad N 599 (3.520.60ff VAN DER F a l k ). Ähnlich S ilk Archaism 317, HOEY Fusion 252, MCCRACKEN Plants 341, FÜHRER Epinikien 50: „[...] Pindar zeigt nicht nur eine besondere Vorliebe für das Wort, sondern er scheint vor Kallimachos der einzi­ ge zu sein, der das Bild zur Qualifikation von Dichtung verwendet.“ 20 Belegstellen finden sich im Pindarlexikon SLATERs. V g l. Ol. 1.15 μ ο υ σ ικ ό ς έ ν ά ώ τ φ , Ol. 3 .4 'ίππω ν äccrrov, Ol. 5.1 ύ ψ η λ α ν ά ρ ε τ ά ν κ αί σ τ ε ­ φ άνω ν ά ω το ν γλυ κ ό ν.

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Vgl. Isth. 7.18 σοφίας άωτον άκρον in Verbindung mit Fluß- und (!) Wagenmetapher, ähn­ lich Pyth. 10.53, Isth. 8.16a, F 6b.f2 SM, F 52f.59 SM. H a r d ie Allusive Language 194 „flower or crown“, B e r n a r d Denken 62 „Flor“, F r e e m a n Function 147 mit Anm. 3 „blossom“, MAEHLER Dichterberuf 89 mit Anm. 3 spricht zwar von „metaphorischer Bedeutung“, fuhrt aber keine einzige Stelle an, in der Pindar proprie spräche. SVOBODA Idees 109 „le flocon de laine“ (bei Pindar unter Voraussetzung auch nur der be­ scheidensten Bildlogik oft genug unmöglich!), SIMPSON Chariot & Bow 447^18 „high sum­ mit“, E. DÖNT (Hrsg., Übs.), Pindar. Oden, Stuttgart 1986, 20 zu Ol. 3.4 „hohe Zier“, MCCRACKEN Plants 342 „the choicest“. Zur Abstraktion dagegen PERON Images 238, RAMAN αω τος 195f, 200-01 hat sicher Recht: „general abstract connotations o f ‘the best, | the quint­ essence’ o f its kind“ mit Verweis auf antike Lexikographentradition. Ähnlich SILK Archaism 317: „The word is both an iconym and subjected to Pindar’s idiolectal creativity. It is futile to try and fabricate stable meanings from that.“ LfgrE 1793 5 . v. B: I 661, N 599, a 443, t 434. BUTTMANN Lexilogus 2.18 „die Wolle schlechtweg“, 19 „das Geflock“, so auch noch Theokrit Eid. 2.2. RAMAN αωτος 196-97 gibt eine Doxographie der Forschungsversuche, Homer und Pindar zur Kongruenz zu bringen, 198 zur Wertung. Zur Wortgeschichte am besten SILK Interaction 239^10. V ie lle ic h t BUTTMANN L e x ilo g u s 2 .2 1 , WlMMEL K a llim a ch o s 80, RICHARDSON Pindar & Cri­ ticism , FÜHRER E p in ik ien 5 0 - 5 1 .

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3 Wassermetaphorik: der kallimacheische Apollonhymnus

Pindar zur Glosse wurde,48 vielleicht bereits für diesen daher einen gewissen Reiz hatte. Es erscheint nicht abwegig, für Kallimachos’ Zeit und vielleicht schon für diejenige Pindars Glossensammlungen anzunehmen.49 Ganz im pindarischen Stil findet sie sich in F 399.2 P von einem Krug mit edlem Wein: Pfeiffer ad l. deutete hier wohl zu Unrecht αωτος als ά-ωτος, d. h. ‘ohren(=henkel)-los’.50 Diese Glosse verwendet Kallimachos in seinem Sinne proprie F 288.57 SH (= 260 P) als „weißen Schaum auf einer Welle“, dessen Farbe der Rabe früher hatte. Die Bedeu­ tung könnte auch in unserem Zusammenhang passen: Dann wäre der Ausdruck an sich nicht poetologische Metapher, sondern proprie Wasserterminus im Rahmen des vehicle und erst im gesamten Bild poetologisch aufzulösen. Ob dabei der bei Pindar oftmals poetologische Kontext der Glosse noch eine Doppelsinnigkeit ver­ leiht, kann nicht entschieden werden. Im Stil kallimacheischer Kontaminations­ technik läge es zweifellos.51

3.1 Π όντος, Homer und das Τ έμ α χ ο ς-Schema Die dreiteilige Reihe der Wassermetaphem am Ende des kallimacheischen Apol­ lonhymnus leitet πόντος ein (106). Hier ist der Dichtungsbezug noch explizit: Zweimaliges άείδειν sichert die poetologische Metaphorizität des Begriffs ‘πόντος’ - oder einfacher gesagt: „a πόντος that sings [...] cannot be the real sea . Auf die Ellipse eines Verbs, das zu ‘Meer’ paßt,53 weist nichts, weit natürli­ cher mußte ein zweites άείδειν ausfallen. Der Epiphanietopos εύφημε! καί πόν­ τος (18) kann nicht als Argument dafür herangezogen werden, daß auch bei άείδει in Vers 106 keine wirkliche Metapher vorliege: Εύφημεϊν ist religiöser terminus 48 49 50

Zutreffend SlLK Interaction 239-240, 239: „[...] what one sees is chiefly the private poetic associative faculty at work (and mostly Pindar’s) and not a public meaning.“ Die Geschichte der Homerglossen läßt sich bis ins sechste Jahrhundert zurückverfolgen: Vgl. RENGAKOS Apollonios 151. ° R a m a n α ω τ ο ς 195 Anm. 1 zeigt, daß hier eine echte Pindarreminiszenz vorliegt. Zum Begriff

Vg'· P' R^ DICI C0LACE (ed·)’ Lexicon Vasorum Graecorum, Vol. 1: Abakinon - Aoton, Testi e Matenali 12, Pisa 1992, 343 mit Diskussion, ob es sich vielleicht um eine Philitas-Referenz handelt.

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Ob dabei noch eine „correction“ (nach THOMAS Art o f Reference 185: „GlANGRANDE’s od positio in imitando“) im Spiele ist hinsichtlich des Geschlechts von αωτος, das bei Homer nur in den obliquen Kasus begegnet, bei Pindar aber maskulin verwendet wird und von den Alexandnnem offenbar als Neutrum aufgefaßt wurde, ist denkbar. Zur Sache B u t t m a n n Lexilogus 2.15, SlLK Interaction 240, WILLIAMS Apollon 95, FÜHRER Epinikien 51 G i a n g r a n d e Literary Theories 58 zur Syllepsis. Theoretisch durchleuchtet diese Methode euaph0" z,tat nachzuweisen (Vermeidung von „semantic nonsense“ 103-104), S e a r l e Metap or ,1 0 8 (Zitat): „The most common, but not the only strategy, is based on the fact that die utterance is obviously defective if taken literally.“ Dieselbe Überlegung fuhrt auch zu dem Konzept der Konterdetermination’ WElNRiCHs (vgl. unten 225 Anm 84)

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PASQUALIs Übersetzung des Verses 106 z. B. rechnet mit einer solchen Ellipse: „Poetam non S r r Ι Γ - ' Γ 1™ r dem Canat qUantUm “ mare caPi l “ Vollkommen unzulässig die Übersetzung bei ATKINS Criticism 1.179. 6

3.1 Π όντος, Homer und das Τ έμ α χος-Schema

121

technicus bei Epiphanien und wird nicht anthropomorph aufgefaßt.54 Andererseits werden in Zusammenhang mit Gewässern als geräuschbeschreibende Verben ge­ wöhnlich nicht solche verwendet, die starke anthropomorphisierende Assoziatio­ nen wecken.55 In F 239.9 SH (ηει]σεν δ’ άλλο μέλος σιπύ[η]) verwendet Kallimachos eine analog konstruierte Metapher, deren Metaphorizität noch deutlicher wird.56 Πόντος muß daher als deutliches vehicle empfunden werden. Obwohl die­ se Metapher die knappste, sprachlich und formal schlichteste der drei ist, sieht man in ihrer Auflösung doch „that knottiest of problems.“57 Die Polemik des Φθόνος argumentiert offenbar quantitativ: Er schätze den Dichter nicht (ούκ αγαμαι),58der nicht einmal so viel (ούδ’ δσα) singe wie das Meer.59 Der eigenartige quantitative Maßstab, der Berücksichtigung beansprucht,60 wird uns unten (135-198) einge­ hend beschäftigen: Man kann ihn, so viel sei vorwegnehmend gesagt, wohl nur als Stilmetapher begreifen.61 Festzuhalten bleibt also, daß πόντος zwar offenbar am meisten oder doch sehr viel singt, daß aber diese Quantität auch für Φθόνος keine hinreichende Bedingung, sondern nur eine condicio sine qua non ist: Im Sinne des Kritikers akzeptabel singt noch nicht unbedingt, wer so viel singt wie das Meer, aber wer nicht einmal das tut, fällt in jedem Fall durch. Anders läßt sich ούδ’ όσα gerade vor dem Hintergrund der lexikalischen Parallele bei Apollonius (vgl. Anm. 59) kaum verstehen. Der quantitative Aspekt am Gesang des πόντος wird dem­ nach als ein positiver, quantitativer Standard verstanden.62 Apollon antwortet nun, 54 55

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Vgl. DODDS zu Euripides Ba. 1084 (21960: 213f), GOW zu Theokrit Eid. 2.38 ήνίδε σιγή [...] π όντος und Mesomedes Hymn. 2.1 εϋφαμείτω πας αιθήρ. Vgl. ζ. Β. Homer Ρ 264 β έβ ρ υ χεν μέγα κϋμα, Σ 576 π οταμόν κελάδοντα, Simonides F 533a PMG έβ ό μ β η σ εν θαλάσσας, Poseidippos Ep. 20.3166 HE ού ποταμός κελάδω ν επί χείλεσ ιν. Ob Arat Phain. 910 αίγιαλοί βοόω ντες und 912 κορυφαί τε βοώμεναι οϋρεος ακραι anthropomorph zu verstehen sind, ist sehr zweifelhaft (vgl. Ξ 394, P 265). Vorsichtiger Ergänzungsvorschlag von H. LLOYD-JONES. Gegen BULLOCH New Interpretation 273 ff (mit Material) bestreitet hier HARDER Some Thoughts 24 Anm. 20, daß eine „extravagantly unusual“ Metapher vorliege. Ihr Beispiel (H6.39 κακόν μ έλος ίαχεν) eignet sich allerdings nicht, da hier der Plot ja eben die Anthropomorphisierung des geschundenen Nymphenbaumes verlangt. G r if f it h s Williams 160. P a s q UALI (Quaestiones 78) war wohl der letzte, der hier keinen Diskussionsbedarf sah. S m il e y Quarrel 286 wundert sich auf dem Hintergrund seiner Theorien über die mit AP 11.275.1-2 verglichen „exceedingly mild representation“ von ούκ αγαμαι. Zur Interpretation dieser Formulierung sollte nur sprachlich die Analogie von Apollonius Argon. 3.932 herangezogen werden (eine Krähe zu Mopsos): άκλειής όδε μάντις, ός ούδ’ όσα παΐδες ϊσασιν. Apollonius drückt sich nicht metaphorisch aus, der gesamte Kontext läßt nicht die geringste poetologische Nuance zu. Entweder hat einer vom anderen eine Satzstruk­ tur ohne erkennbare Rezeptionsintention übernommen, oder beide gehen auf ein wohl unpoetologisches Vorbild zurück. Literaturüberblick dazu jetzt bei KYRIAKOU Hapax legomena

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175f Anm. 129. LEHNUS Regno 101, der „che non canta come il mare“ übersetzt, unterschlägt ihn. Vielleicht meint GREEN dies, wenn er diese Szene als „slash at ornate and diffuse Orientalism“ versteht (Alexander 180) - gleichzeitig nämlich sieht er sie traditionell als Polemik gegen

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Apollonios! Die Idee FERGUSONS, daß sich die Polemik auf die mangelnde Länge des aktuell vorgetrage­ nen Hymnus beziehe (Callimachus 115, ähnlich BING Impersonation 192, zum Problem BASSI

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3 Wassermetaphorik: der kallimacheische Apollonhymnus

ohne πόντος zu erwähnen,63 fuhrt aber die Kategorie der Quantität an einem nega­ tiven, großen und einem positiven, kleinen Beispiel durch. Diese Nichterwähnung impliziert offenbar einerseits die Akzeptanz der quantitativen Positivität des πόν­ τος auch durch Apollon, andererseits die Ablehnung des Umkehrschlusses, daß Größe allein schon Garant eines bewundernswerten Zustands sei. Daher seine Bei­ spiele: Es gebe eben auch Großes, das schlecht, und genauso Kleines, das gut sei. Diese Auffassung impliziert, daß kein Gegensatz zwischen Meer und Quelle qua καϋαρότης, keiner zwischen Meer und Fluß qua μέγεθος besteht. Die Auffas­ sungen von Reinheit und Riesigkeit lassen sich mit πόντος mühelos verbinden.64 Sucht man nach einer poetischen Größe, deren Akzeptanz einerseits sogar so ver­ schiedene Charaktere wie Apollon und Φθόνος widerspruchslos eint, die anderer­ seits stilmetaphorisch quantitativ als höchste Steigerungsstufe beschrieben werden kann (etwa wie man ΰψος proprie von tatsächlicher und translate von Stilhöhe verwendet), ergeben sich zwanglos die homerischen Epen.65 Die Geltung Homers als eines Überdichters im Hellenismus ist zu Recht unbestritten.66Daß die nahelie-

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Exclusion 218f), überzeugt nicht: Der hellenistische Götterhymnus (vgl. Kleanthes 1 CA, das Proömium des Arat, weiter die kaiserzeitlichen Hymnen des Iulian Apostata, Calcidius, Tiberian und Proklos, die alle über 100 Verse nicht hinausgehen) muß nicht so lang wie die kano­ nischen homerischen Hymnen sein. Interessant ist die kurze Bemerkung von WlLAMOWlTZ, der ούδ’ δσα als „nicht einmal stofflich erschöpfend“ versteht (Hellenistische Dichtung 2.86).’ E r b s e Apollonhymnos 424: „Es fällt sofort auf, daß die Replik des Gottes dieses Bild [seil. das Φ θόνος bringt] gar nicht berücksichtigt.“ Ebenso H e r t e r Kallimachos 235. Anders und sehr naiv MEILLIER Callimaque 92, der vor der Annahme eines geschichtlichen Dichterstreites voraussetzt, Vers 106 sei so oder ähnlich wirklich geäußert worden (aber wer griffe in erhitz­ ten Diskussionen zu uneindeutigen Metaphern, wenn er etwas Handfestes vorzubringen hät­ te?), und Apollons Weiterführung als rhetorische Strategie im Sinne einer Ablenkung versteht. Vgl. E r b s e Apollonhymnus 4 2 4 mit Anm. 3 zur Reinheit, nach diesem MÜLLER Erysichthon 32 und Anm. 89 mit weiteren Belegen, LlEBERG Seefahrt 2 2 0 und 2 3 5 zur Quantität. PO­ LIAKOFF Nectar 4 3 - 4 5 versucht zu zeigen, daß im Griechischen π ό ν τ ο ς „not uniformly posi­ tive“ konnotiert sei (was bei Seefahrern auch wenig überrascht: Vgl. z. B. Semonides F 1.1517 IEG), doch in Bezug auf Größe und Reinheit leistet sein Stellenmaterial nichts. Ob m der Vorstellung des lauten Meeresrauschens eine weitere Stilmetaphorik liegt, sei hier nur kurz erwogen: Daran denken H e r t e r Kallimachos 2 3 5 , WiMMEL Kallimachos 223: Bei άείδειν assoziiert man allerdings spontan keinen Lautstärkegrad. Lautstärke als eine Ausfor­ mung des quantitativen Maßstabs wird unten diskutiert (1 9 3 ff). Vgl. dazu z. B. Theokrit Eid. 16.20: τίς δε κ εν άλλου άκούσαι; αλις πάντεσσιν "Ομηρος (wo der Gedanke als allgemein geläufig vorausgesetzt und daher in einem ganz anderen Kon­ text verwendet werden kann, nämlich als Begründung der ignoranten Ablehnung, zeitgenössi­ sche Dichter zu fördern), Leonidas von Tarent Ep. 30.2147-50 HE, Neoptolemos F 6 4 4 f M ette μέ[γιοτος] ή ν ποιητής, Euphorion F 118 CA, zu den Bildzeugnissen z B die ‘Apotheose Homers’, ein R elief (British Museum 2191) des Archelaos von Priene (dazu W e b s t e r Poetry & Art 145 mit Anm. 2), zu den Homereia F 979 SH und B in g Bios-Tradition 620 Anm. 5. Klassisch zu diesem Komplex B r in k Worship 548-556, bes. 549· vgl auch WlLAMOWlTZ Hellenistische Dichtung 1.104 mit dem treffenden Ausspruch des Persinos von Ephesos (F 666B SH ). SCHWINGE Künstlichkeit 10-11 mit weiterer Literatur, HUTCHINSON Poetry 202 mit Anm. 102 und jüngst PARSONS Identities 161 zum hellenistischen Homerbild und dessen Auswüchsen. Wahrscheinlich meint auch die lapidare Formulierung τ ο ν άοιδών έσ χα το ν in Kallimachos Ep. 27.2 P/56.1298 HE Homer. Dazu vgl. u. a. das drollige Vorge­ hen von DlLTHEY Cydippa 12 und LUDWIG Phainomena 427 (Auseinandersetzung mit älterer

3.1 Π όντος, Homer und das Τ έμ α χος-Schema

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gende Identifikation von Homer und πόντος, die erst Williams in aller Deutlich­ keit gewagt hat (Apollo 86-89, 98f), bisher immer noch umstritten ist,67 hegt an der allgemeinen Unfähigkeit, neben der Wassermetaphorik auch die Größenbegrif­ fe in unserer Passage als Metaphern zu interpretieren.68 Wer diesen Schritt nicht vollzieht, sieht sich verwickelten Problemen gegenüber.69 Natürlich hat eine Inter­ pretation, die von einer Gleichsetzung des πόντος mit Homer ausgeht, den Status einer poetologischen Allegorese - allerdings hat der Dichter mit der poetologischen Metapher πόντος άείόει auch ein entsprechendes Rezeptionssignal gesetzt. Die Belege, die für die Homeixjtovrc^-Gleichung im allgemeinen angeführt werden, reichen entweder nicht bis in das dritte vorchristliche Jahrhundert zurück oder sind nicht zu datieren, worauf die Gegner dieser Gleichung unermüdlich hinweisen.70 Diese Gleichsetzung nimmt in ihrer literarkritischen Topik meist die Identifikation Homers mit einem großen Gewässer an, von dem dann andere Dichtungen wie Kanäle abgeleitet werden:71 Ein anonymes, wahrscheinlich fiktives Titulusepigramm gebraucht das Bild in einer Aufzählung der sieben Lyriker sehr deutlich vom poetischen Verhältnis des Stesichoros zu Homer (Ep. 36a. 1196-97 FGE): 'Ομηρικόν ος τ ’ άπό ρεΰμα εσπασας οίκείοις, Στησίχορ’, έν καμάτοις. Herakleitos Alleg. Horn. 18.1 Buffiere beschreibt das Verhältnis zwischen homeri­ scher und platonischer Seelenkonzeption mit demselben Bild ([...] έκ πηγης των 'Ομηρικών επών εις τούς ίδιους διαλόγους ό Πλάτων μετήρδευσεν),72 wobei der Verbalbegriff bei Platon selbst eine gewisse Parallele findet {Rep. 6.485 D 8).

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Forschung); gegen ihn überzeugend HERTER Kallimachos 226 (wie WILAMOWITZ Hellenisti­ sche Dichtung 1.206). REITZENSTEIN S tilth eorie 47 A n m . 1 w ar bereits 1931 WILLIAMS b eilä u fig zu vorgek om m en : „ [...] der V erg leich H om ers m it dem M eere, den K allim ach os sch on kennt h. 2, 106.“ B e so n ­ ders p o lem isch ist d ie D eb atte zw isc h e n KÖHNKEN E n vy und GlANGRANDE Literary T h eories geführt w ord en . SCHWINGE K ü n stlich k eit 17 A n m . 42 sch ließ t sich KÖHNKEN an, die v o r lie ­ g en d e A rbeit d a g eg en natürlich WILLIAMS und GlANGRANDE. In der S ach e für WILLIAMS jetzt auch d ie b eso n n e n e A b w ä g u n g KoSTERs (A p o llo n p riester 17 A n m . 28).

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Woran WILLIAMS selbst übrigens auch nicht denkt. Vgl. die folgende Anm. G r i f f i t h s W illia m s 161 z w e ife lt an der WlLLlAMSschen H y p o th ese, w e il ούδ’ οσα „not even (and th at’s n ot m u c h )“ h eiß e, w as m an vo n Ilias oder Odyssee nicht sagen könne: 24 G esä n g e se ie n eb en d och v ie l. W enn m an aber vo n οσα als „hoher Lautstärke“ = „ h om erisch er (= ep isch hoher) S tilla g e “ au sgeh t, ergibt sich k ein P roblem . WILLIAMS hatte offen b ar bei „not e v e n “ nicht d ie K on n otation „and that’s not m u ch “ : Er kennt das Problem nicht. S c h w in g e K ü n stlich k eit 17 fragt sich , ob Q uantität hier Q ualität im p liziere, und bejaht das, da K lein es eher sauber sei. D ie se Ü b erleg u n g führt hier w o h l n ich t w eiter, w e il D ich tu n g proprie eb en ­ so w e n ig ‘k le in ’ w ie ‘sau b er’ sein kann. D o x o g ra p h ie zu m N e x u s zw isc h e n Q uantität und Q ualität in unseren V ersen fin d et sich b ei b ei GlANGRANDE Literary T h eo ries 61 A n m . 2.

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G r if f it h s Williams 160, KÖHNKEN Envy 415 Anm. 23. WILLIAMS zitiert Belege von Mani-

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lius bis Byron. Das wichtigste Material findet sich schon bei BRINK Worship 533-34. LSJ s. v. μεταρδεύω: „divert a stream“. WlLHELMl Fließen 86 Anm. 7. Beide Stellen führt W i l l i a m s Apollo nicht auf.

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3 Wassermetaphorik: der kallimacheische Apollonhymnus

Die Belege (vgl. weiter Williams Apollo 98-99) reichen allerdings insgesamt nicht aus, um eine schon präkallimacheische Topik zu postulieren, der Kallimachos sich bedient hätte. Bei der bisher nachgewiesenen Komplexität seiner poetologischen Metaphern ist dieses Ziel vielleicht auch falsch definiert. Vertraut mutet die Affini­ tät der πόντος-Metapher zu Φ 195-97 (Okeanos ist der Vater aller Gewässer, vgl. Xenophanes F 21 B 30.3, 5-6 DK: πόντος Vater aller Gewässer)73 an: Wie wir schon am Άσσύριος ποταμός sahen (und für die Pygmäen in F 1.13-14 P unten 199-207 wieder diskutieren werden), bedient sich Kallimachos bei der Kreation kühner Bilder auf sachlicher Ebene gerne des allen bekannten Homertextes. Die Vorstellung, daß Homer die άρχή sei, von der die nachfolgenden Dichter etwas entnahmen, findet sich im Bereich der Speisemetaphorik schon vor Kallimachos: Athenaios berichtet von dem bekannten Auspruch des Aischylos, seine Dramen seien nur τεμάχη των Όμηρου μεγάλων δείπνων (8.39, 347 Ε). Auf das Konzept der Tranche74 eines großen Fisches spielt Anaxilas in seinen Μάγειροι (F 19 PCG) bereits an. των Αισχύλου πολύ μάλλον είναι μοι δοκεΐ / ΙχΟύδι’ όπτάν. Augen­ scheinlich bezeichnet Anaxilas die Stücke des Aischylos als Gegensatz zu ‘kleinen Fischen , doch wohl eine Reaktion auf den τέμαχος-Gedanken, der damit minde­ stens ins vierte Jahrhundert datierbar wäre.75 Polemisch gewendet begegnet im dritten Jahrhundert unter Verwendung der seltenen Rudermetapher (vgl. oben 42 Anm. 86) dieselbe Struktur, wenn Theodoridas die Elegien des Mnasalkes „einen Splitter vom Ruder des Simonides“ nennt.76 Die Vielfalt des vehicle spricht bei diesem Motiv für das Alter des tenor. Es ist Kallimachos durchaus zuzutrauen, eine solche geläufige Vorstellung mit einer neuen Bildebene zu versehen, die letztlich gerade dem Dichter entnommen ist, auf den das neue Bild dann ange­ wandt wird. Daß das Bild der Kanalderivation nicht zweifelsfrei bis in die frühhel­ lenistische Zeit verfolgt werden kann, ist also kein Argument gegen die Identifizie­ rung des kallimacheisehen πόντος mit Homer: Wie man am τέμαχος-Schema sieht, ist dessen gedankliche Struktur —und damit auch die der Kanalderivation — erheblich älter. Sie dürfte Kallimachos wohl bekannt gewesen sein. Daß vorgebene tenor-Strukturen mit vielerlei wiederum traditionellen vehicles versehen werden können, ist einsichtig. Das aus moderner Sicht anstößige Bild Galatons, eines hel­ lenistischen Malers, das Aelian beschreibt, und die verschrobenen Verse eines an73 74 75

76

V g l. dazu auch A r n o u l d Eau ch e z H om ere 17.

Die terminologisch präzise Übersetzung von τέμ α χος, das die Bemerkung des Kynulkos (347 D) als kulinarischen terminus technicus erweist. F 8 PCG des Anaxilas ist auf etwa 342 AC zu datieren. Zum Bezug auf den bei Athenaios berichteten Ausspruch vgl. O liv a Parodia 31 mit Anm. 10. In fast allen Kommentaren zu den Ranae des Aristophanes findet sich zu Vers 1040 δ'Οεν ήμή φρήν άπομαξαμένη π ολλά ς αρετας επ οη σ εν der Hinweis auf Athenaios 347 E: z. B. von FRITZSCHE (1845) über KOCK (1889), R a d e r m a c h e r (1921) und S t a n f o r d (1958) bis hin zu D o v e r (1993). Doch ist hier die Vorstellung eine ganz andere: Die τέμ α χο ς-Struktur zielt auf die Übernahme inhaltlicher Substanz, wahrend Aristophanes davon redet, sich technische Anregungen bei Homer für die Charakterschilderung seiner Figuren zu holen. Ferner ist die Bildlichkeit der beiden Vorstel­ lungen völlig inkompatibel. Zur Handwerksmetaphorik dieses Bildes vgl. STÖHN Agathonszene 200-01 ^Ahstophanes Tto/?. 1040 ist also leider kein Beleg für das τέ μ α χ ο ς-Schema. Ep. 15.3564f HE. α Μωσα δ αυτώ τάς Σιμονίδα πλάΟας / ής άποσπάραγμα.

3.2 Zur Rezeption: F adesp. 961 SH und Ps.-Longinos

125

onymen Berliner Papyrus sind Zeugen für Rezeption des Motivs bereits in kallimacheischer Prägung:77 Auch sie haben die Derivationsidee der τέμαχος-Struktur bereits auf Wasservehicles übertragen. Vielleicht sind sie als parodistische Indizien für die Geschichte des sich entwickelnden Topos vor Ps.-Longinos am leichtesten zu verstehen.

3.2 Zur Rezeption: F adesp. 961 SH und Ps.-Longinos Die Schlüsselbegriffe Quelle, Fluß, Schlamm und Meer lassen sich in den zwölf z. T. stark zerstörten Distichen des Papyrus PLitLond. 60 (= Pack 21593) in enger Nachbarschaft mit Liedern, Musen und anderen literarkritisch nutzbaren Verbin­ dungen entdecken. Voraussetzung dazu ist allerdings die Phantasie Lasserres, der das Fragment ingeniös vervollständigt78und so einen sehr eng an Kallimachos an­ gelehnten Bezugstext erhält, ja geradezu einen Cento kallimacheischer Poetologiemetaphem.79 Ein Vergleich mit dem von Lloyd-Jones und Parsons gebotenen 77

78

Aelian VH 13.22: Γαλάτω ν [...] ό ζω γράφος έγραψ ε τον μέν 'Ό μ η ρ ον αυτόν έμοϋντα, τούς δε άλλους π οιη τάς τά έμ ημ εσμ ένα άρυομένους. Vgl. dazu schon REITZENSTEIN Stiltheorie 47 Anm. 1. Für eine Parodie der Flußmetapher plädiert BRINK Worship 555, hält allerdings die gesamte Tradition des Motivs für nicht-kallimacheisch (weil er fälschlicherwei­ se davon ausgeht, daß Kallimachos H2.106 polemisch gegenüber π όντος sei). GOWERS Loa­ ded Table 83 mit Anmm. 126, 127 behandelt das Bild richtig im Zusammenhang mit dem τ έ μ α χ ο ς -Schema, verkennt aber wohl dessen Wertung. Lyr. adesp. 10.10-17 CA (= Berliner Klassikertexte 21, 5.2; 134, PBerol. 9775 1 10-17 = GLP 93a): Alle verwenden deiner Stoff, Homer, 13 την τ ’ άπό Μ ουσώ ν άφθιτον αύδήν, / ήν συ μερίμναις ταισιν άτρυτοις / κ αθυφ ηνάμενος π ό ντο ς τις όπως / επτυσας άλλοις [...] φωσίν έπ ’ άκτάς. Die Urteile über die Qualität dieser Verse sind seit jeher hart: Vgl. SCHUBART/WlLAMOWlTZ ad 1. über einzel­ ne Formulierungen „mit kaum denkbarer Härte“, „beides [...] mißfallt“, „abundant“; BRINK Worship 554 „some uninspired anapaestic lyrics“, „awkwardly muddled imagery“, πτύω er­ innert an Galaton. Einzig hier wird die H o m er^ o v ^ -G leich u n g explizit vollzogen. LASSERRE A n th o lo g ie 227 (V erse 9-16: ού Φ οίβου μ]εδέοντος έμών έπ ιθή σετ’ ά[οιδών / άς νϋν έκ Μ ου]σέω ν είπα διδασκόμενος, / ά λ λ ’ άπό τή ς κρ]ήνης [ξ]ϋν’ ο ϊσ ετε φύλλα καί άν[θη / δρεψ άμενοι, δί]ψη δ’ ούκ άκέ[σ]εσθε ποτώι. / Ά μ φ ί γάρ] Ά ρσ[ι]νόης ποταμός μ [ε]τεβ ά λλετο ρε[ϋμα / ούδέ πά]τος [σ]ύρων δαψιλές οιδμα φέρει / ού πίε βοϋς] άγ[ε]λαίη, ό θ ε ν καί π[ό]ντος άποπτ[ος / ώς έ'τυχεν ραί]νων ύετός αίθροπετης. D er T ext in SH aber m acht sk ep tisch : Z. B. k ön n en w ed er πάτος ούρων n o ch πόντος nach F 961 SH g e le se n w erden. LLOYD-JONES/PARSONS 465 zu anderen V o rsch lä g en LASSERREs: „aliter Lasserre, qui H ed y li, A n y ta e, L eo n id a e n om in a in p apyro detexit: n os nihil n isi atram enti m acu las v id em u s [...].“ LASSERRES F olg eru n g en (A n th o lo g ie 238-9) und die WEBSTERs (P oetry & Art 45, v. a. zu V ers 11) sin d dam it h in fä llig . O hne die K enntnis d es A itien p ro lo g s hätte d ieser T ext n ie ‘rekonstruiert’ w erd en kön n en . Früher nahm m an w e g e n der A u fsch rift a u f dem ver­ so (σύμμεικτα έπιγράμματ[α Π οσειδιππρυ) an, das G ed ich t geh öre dem P o seid ip p o s, d och ist d ie se A n sich t p a p y ro lo g isch seit den Ü b erleg u n g en H. J. METTES, A rtikel ‘P o seid ip p o s

(3)’, RE 22.1, Stuttgart 1953, Spp. 428^146; 439 und der B estä tig u n g MlLNEs überholt. A ll­ g em ein darstellend dazu FRASER A lexan d ria 1.607, 668.

79

Vers neun entspricht motivisch dem Apollon-Element in H 2.105-12, F 1.21-29 P, Vers elf Ep. 2 8 .3 -4 P/2.1043f HE, Vers 13f H 2.108-09, Vers 15 Ep. 28.4 P/2.1044 HE.

126

3 Wassermetaphorik: der kallimacheische Apollonhymnus

Text erweist Lasserres spekulative Ergänzungen allerdings als haltlos: Im Kontext des Epithalamions einer ägyptischen Königin ist naheliegenderweise schlicht von der Nilschwemme die Rede - ein poetologisches double entendre ist nicht nach• RO zuweisen. Ein Beispiel sicherer, wenn auch nicht notwendig direkter, Kallimachosrezeption dagegen bietet die äußerst metaphemreiche Abhandlung des Ps.-Longinos,81 der gern in Wasserbildem spricht: Er verwendet beispielsweise das Bild von den πέντε [...] πηγαί τινές αί της ύψηγορίας (8.1),82 Ciceros Redefluß gilt ihm als χύσις (12.4), Platon als ein fließendes Gewässer (τοιούτφ τινί χεύματι άψοφητί ρέων 13.1). Wie eine Kontamination der oben (123f) diskutierten Vor­ stellungen von der Homerabhängigkeit des Stesichoros bzw. Platons mutet 13.3 an. Platon sei von allen Schriftstellern μάλιστα {seil. Όμηρικώτατος), άπό τοΰ Ομηρικού κείνου νάματος εις αυτόν μυρίας όσας παρατροπάς άποχετευσάμενος: eine eindeutige τέμαχος-Struktur in der seit Kallimachos verbreiteten Wasservariante.83 Die Affinität dieser Beispiele zu Kallimachos geht über die einer allgemeinen Topik allerdings nicht hinaus. Grundsätzlich neu dagegen ist die Direktheit zweier Flußvergleiche, die quantitative Aspekte mitberücksichtigen und sich als direkte Polemik gegen Kallimachos verstehen lassen. Ps.-Longinos argumentiert, daß εν ποιήμασι καί λόγοις μέγεθος έν ένίοις διημαρτημένον doch allemal beeindrukkender sei als τό σύμμετρον μεν έν τοΐς κατορΟώμασιν ύγιές δε πάντη καί άδιάπτωτον (33.1). ‘Großes’ (im Sinne der υψος-Kategorie: stilistisch Gehobe­ nes) kann sich ruhig ein paar Fehler erlauben, es wirkt doch mehr als ‘Kleines’, mag dies so fehlerlos sein, wie es wolle. Das Gegensatzpaar erinnert bereits an Kallimachos, Schlüsselbegriffe wie καθαρός verstärken diese Tendenz.84 Als Bei­ spiele bringt Ps.-Longinos für die ‘kleinen’ Dichtungen u. a. die Argonautika des Apollonios (33.4: Wer würde nicht trotz dessen Fehlerlosigkeit Homer vorziehen?) und Eratosthenes’ Erigone (διά πάντων γάρ άμώμητον τό ποιημάτιον 33.5), dessen formaler Tadellosigkeit gegenüber Archilochos doch der größere Dichter sei (μείζων ποιητής), „wenn er auch viel Unmäßiges anschwemmt“ (πολλά καί

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LLOYD-JONES/PARSONS erwähnen diese Deutung nicht einmal. Dasselbe Ergebnis erhält man, wenn den Text L a s s e r r e s mit der Textgestalt H. J. M. MlLNEs vergleicht (Catalogue o f the iterary Papyri in the British Museum, London 1927, 45^16). FERNANDEZ Posidipo 198ff liest den Text wie LASSERRE und hält ihn für vielleicht poseidippeisch: Die Assonanzen an Kallimachos werden aber nur als „paralelismos“ interpretiert, keine Bezugsrichtung vermutet. Unbegreiflich H o o k Terminology 8: „The interesting treatise On the Sublime, [...] while it possesses a sufficiently wide vocabulary, yet does not present us with many new or metaphor i r a l ttarrn c u

82 83

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*

Wobei wie bei Eustathios (vgl. oben 106 mit Anm. 362) der optativische Einschub ώς αν ειποι τις just vor dem Bild auf ein bislang nicht identifiziertes Zitat deuten könnte. Vgl. διοχετεύω mit Erklärung bei Ps.-Longinos 32.5 (Zitat von Platon Tim. 77 C - 79 A). Zu Komposita von οχετεύω in der späteren rhetorischen Fachschriftstellerei vgl μ ετοχετεύω bei Dionysios von Halikamaß Imit. F 6 (6.203.10 U R ) und RUSSELL zu Ps.-Longinos 13 3 Ähnlich F u h r m a n n Dichtungstheorie 201. Zustimmend D. A. RUSSELL, Longinus revisited Mnemosyne ser. 4 34 (1981) 72-86, 8 0 f mit Anm. 5.

3.2 Zur Rezeption: F adesp. 961 SH und Ps.-Longinos

127

άνοικονόμητα παρασύροντος).85 Flußmetapher, quantitativer Gegensatz, Rein­ heitsbegriff und Identifikation der abgelehnten Gruppe mit alexandrinischen Dichtem machen einen direkten Bezug auf den Apollonhymnus sehr wahrschein­ lich. Der Name des Kallimachos selbst fällt in der Schrift Περί ϋψους allerdings nicht.86 Ps.-Longinos nun steht dezidiert auf der Seite der großen Flüsse. Worauf er Wert legt, zeigt sich besonders deutlich in der Synkrisis Homers (O 624-28) und Arats (Phain. 299): Diesen hellenistischen Vertreter einer avantgardistischen Äs­ thetik (vgl. Ep. 27 P) verurteilt Ps.-Longinos trocken mit der Bemerkung μικρόν αύτό και γλαφυρόν έποίησεν αντί, φοβερού (10.6).87 Unsicher bleibt, ob μικρόν und γλαφυρόν als verächtlich interpretierende Reaktionen auf quantifizierende Metaphorik und λεπτός-Assoziationen kallimacheischer Provenienz aufzufassen sind (vgl. unten 156—189). Die charakteristische Aufspaltung in drei Wasser, die uns außer bei Kallimachos noch nirgends begegnet ist, verwendet Ps.-Longinos im Gegensatz zu diesem, um sich emphatisch für die großen Ströme auszusprechen (35.4): ενθεν φυσικώς πως αγόμενοι, μά Δ ί\ ού τά μικρά ρείθρα Οαυμάζομεν, εί καϊ διαυγή καί χρήσιμα, άλλα τον Ν είλον καί Ί σ τρ ο ν ή Τήνον, πολύ δ’ ετι μάλ­ λον τον ’Ωκεανόν.

Für Ps.-Longinos wie für den Apollon des Kallimachos ist also Homer die unbe­ strittene Größe.88Ps.-Longinos aber bricht eine Lanze für die ‘natürliche’, d. h. die spontane, naive, nicht artifiziell-avantgardistische Ästhetik (φυσικώς πως αγό­ μενοι), die den großen Strom eben doch beeindruckender findet.89 Dieser Satz richtet sich offenbar direkt gegen die Wassermetaphemreihe des Apollonhymnus.90

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Π αρασύρειν verwendet Ps.-Longinos 32.4 und 33.5 flußmetaphorisch: Vgl. σύρ-φετος bei Kallimachos H2.109. WlLHELMI Fließen 113 Anm. 6 denkt hier merkwürdigerweise an Horaz Sat. 1.4.11 statt an die dort zugrundeliegenden Kallimachosverse des Apollonhymnus. A RI ETI Longinus 251 versteht den Begriff ebenfalls als Flußmetapher. RICHARDSON Pindar & Criticism 399 akzeptiert die Polemik gegen alexandrinische Dichter und vermutet, Kallimachos tauche deshalb nicht auf, weil er sich aus deren Gruppe in den Augen des Ps.-Longinos doch noch herausgehoben habe. Die Polemik in 35.4 allerdings rich­ tet sich doch direkt gegen die Präferenzen des kallimacheischen Apollon. Auch Uber Ion von Chios, gegen den Ps.-Longinos 33.5 polemisiert, und F 203 P kommt man in Περί ϋψους pace LEURINI lone 13 nicht direkt an Kallimachos heran. EFFE bestimmt diese Äußerungen als ‘klassizistisch’ (Klassik als Provokation 3 2 6 und Anm. 40), doch rekurriert Ps.-Longinos hier zunächst auf die empirisch festzustellende Wirkung beim jeweiligen Rezipienten (35.4: φυσικώς πως αγόμενοι), nicht auf einen Normenkanon. Die Identifikation von Okeanos und Homer ist viel gängiger als die von π όντος und Homer, Ps.-Longinos gebraucht sie fast explizit in 13.3. Vgl. insgesamt WILLIAMS Apollo 98-99. R. B randt , Pseudo-Longin, Der hohe Stil, Das Altertum 9 (1963) 136-142, 139 verkennt den Autor, wenn er hier bloß eine „romantische Naturauffassung“ erblickt, die er auf Poseidonios zurückführt. Entscheidend ist an dieser Stelle die literarische Evaluation, die sich der Natur­ schilderung nur bedient.

90

G rundsätzlich ähnlich RUSSELL C riticism 3 6 m it A n m . 12, FUHRMANN D ich tu n gsth eorie 2 0 1 .

128

3 Wassermetaphorik: der kallimacheische Apollonhymnus

3.3 Wasser und Wein Wasser fließt nicht nur, es läßt sich auch trinken. Ein dichtungsmetaphorischer Einsatz dieses Faktums steht zwischen der oben behandelten Wasser- auf der einen und Speisemetaphorik auf der anderen Seite (vgl. unten 248). Die poetologische Dichotomie von Wein- und Wassertrinkem wird oft für kallimacheisch erklärt91 und hat jüngst zur Stützung kühner Hypothesen gedient.92 Die vorhellenistische Tradition dieses Gegensatzes ist aber nicht eigentlich poetologisch: Zwar gleicht man die Trunkenheit des Dichters dem rauschhaften Inspirationsvorgang an, doch offenbar geschieht dies durchweg scherzhaft als Apologie übermäßigen Weinge­ nusses.93 Archilochos findet den willkommenen Vorwand eines handfesten Rau­ sches (οϊνω συγκεραυνωθείς φρένας F 120 IEG) im Gegenstand seines Dithyrambos: Dionysos muß man eben betrunken feiern.94 Denselben Gedanken über­ trägt Epicharm auf die gesamte dionysische Gattung des Dithyrambos (ούκ εστι διθύραμβος δκχ’ ύδωρ πιης F 132 CGF).95 Noch um einen weiteren Schritt gene­ ralisiert bezieht sich das von Nikainetos epigrammatisch eingebundene Zitat aus der Πυτίνη des Kratinos (ύδωρ δε Jtivcov ούδέν αν τέκοις σοφόν)96 insgesamt auf die poetische Invention: Der Dichter verteidigt sich selbstironisch gegen den Vor­ wurf des Alkoholismus - wenn er nicht betrunken sei, falle ihm eben nichts Spri­ tziges ein.97Das Motiv ist also scherzhaft apologetisch und nicht stilkritisch aufzu91

92 93

Zuerst DlLTHEY Cydippa 15ff, dann ausführlicher M. RUBENSOHN, Gegen die Wassertrinker, Hermes 26 (1891) 153-156. Die heute herrschende Meinung markieren WlMMEL Kallimachos 225, K a m b y l is Dichterweihe 120—122, SUERBAUM Selbstdarstellung 231, VlLLARD Eau & Ivresses 270. M ü l l e r Erysichthon 42-43 (unten 229 mit Anm. 105).

Der Rausch als ein ernsthaftes Inspirationskonzept läßt sich allenfalls durch komparatistische Erwägungen erweisen: DURANTE Terminologie 264 mit Anm. 10 (Parallele des vedischen ‘Soma’. Vgl. dazu K. F. GELDNER, Der Rig-Veda [...], Harvard Oriental Series 33-36, Bd. 4, London/Wiesbaden 1957, 241-250). Bei Pindar läßt sich pace Poiss Einheit 69 kein rechter Zusammenhang von Wein und Lied erkennen. Simonides F 647 PMG Σιμωνίδης τη ν αυτήν αρχήν τίΟησιν οίνου καί μουσικής (Athenaios 2.40 Α) interpretiert B o w r a Pindar 24 mit einigen Pindarstellen (z. B. Isth. 6.2; Ol. 7.1-10), der aber einfach sein Gedicht als Getränk memt. Dagegen ist Simonides wohl inspirationstheoretisch aufzufassen: Allerdings könnte der Ausspruch genauso gemeint gewesen sein wie die des Aristophanes und des Epicharm. 94 ZIMMERMANN Dithyrambos 21 (ähnlich 137) wertet das Fragment vielleicht zu ernsthaft aus­ schließlich gattungshistorisch aus. Wenn συγκεραυνόω wirklich schon in dieser Zeit eindeu­ tig „dionysische Sprache“ ist (so ZIMMERMANN mit Verweis auf Euripides Ba. 1103 und Anm. 10 [Literatur]), so wird der Scherz noch deutlicher. 95 O ’SULLIVAN Stylistic Theory 118 Anm. 78-80 wertet Epicharm zu bereitwillig als Zeugnis emer schon früh ausgebildeteten Stilterminologie aus („bombast was compared to drunken­ ness more than once“ 118). O ’SULLIVAN überträgt dabei die unbestreitbare Tatsache einer Polemik gegen den jüngeren oder neuen Dithyrambos (vgl. dens. 38 Anm. 77) eines Agathon oder Timotheos (vgl. dazu ZIMMERMANN Dithyrambos 118-128) auf den älteren, für den sie außer vielleicht durch Pindar F 70b. 1 SM nicht bezeugt ist. 96 Ep. 5.2712 HE = Kratinos T 45 PCG. Vgl. oben 45 Anm. 98, 103 Anm. 344. 97 So ohne die Darstellung der Tradition meines Erachtens richtig KNOX Callimachean Polemics 109-110. ROUX Maitre disparu 260 erklärt das κραμβότατον στόμα des Krates in Aristopha­ nes Equ. 539 als Anspielung auf den ‘trockenen Stil’ des „archichou“ Krates ( Erzkohl“· Kohl

3.3 Wasser und Wein

129

fassen. Aristophanes (F 688 PCG), der den literarischen Geschmack der Athener metaphorisch beschreibt, indem er ihn als Bevorzugung milden und süßen Weines vor pramnischen Sorten (συνάγουσι τάς όφρϋς τε και την κοιλίαν) schildert, bietet eine spontane Erweiterung der gängigen Geschmacksmetaphorik (unten 201 Anm. 294). Hier liegt aber kein Gegensatz von Wein und Wasser vor, wahrschein­ lich auch keine Stilkritik, sondern ein Bezug auf Inhaltliches.98 Wenig Beachtung hat gefunden, daß mehr und eindeutigere Beispiele des Wassertrinkens sich in ganz unpoetologischen Kontexten finden: Mit Nachtarbeit und der Ausarbeitung von Gerichtsreden verbindet Aristophanes (Equ. 348-49: την νύκτα θρύλων [...] ύδωρ τε πίνων) ein Bild, das Isokrates ganz allgemein als Chiffre für gesunden Menschenverstand und verläßlichen Intellekt einsetzt (Περί ειρήνης (8) 13: [...] νομίζετε δημοτικωτέρους είναι τούς μεθύοντας των νηφόντων και τούς νούν ούκ έχοντας των εύ φρονούντων, wobei die zweite Antithese offenbar die erste erläutert).99Als unproblematisches vehicle für den Le­ benswandel des ‘demokratischen’ Menschen setzt Platon dann ύδροποτεΐν und κατισχναίνομαι (sich in Askese üben) in eines und dem Begriffspaar μεθύων καί καταυλούμενος gegenüber {Rep. 8.561 C 9). Wein- und Wasserkonsum werden so zu Chiffren für Lebensweisen und Charaktereigenschaften: Amphis F 41 PCG und Adesp. com. 1278 CAF sind wohl genauso zu verstehen.100 In auffallender Pa­ rallele zu den eben zitierten Versen des Aristophanes tritt ‘Wassertrinken’ vor al­ lem in der romanhaft ausgeschmückten Tradition der Demosthenes-Biographie auf: Dort hat das Motiv keinerlei stilkritische Implikationen, sondern dient, ob polemisch oder enkomiastisch, dazu, den Lebenswandel des Demosthenes, seine arbeitsame Verbissenheit, zu veranschaulichen, wie die fast stereotype Verbindung mit Nachtarbeit nahelegt.101 Trotz der mit derartig anekdotischem Material verbun­ denen Datierungsunsicherheit können die oben zitierten Verse der Equites die Existenz derartiger Vorstellungen schon lange vor Demosthenes gerade auch für die Ausarbeitung juristischer Prosa belegen. Die Assoziation von Wein und Was­ ser mit der Polarität entsprechender Lebensweisen und Arbeitsauffassungen

98

99

[κράμβη] ein Antidot gegen Trunkenheit) im Gegensatz zu dem dionysisch-trunkenen des Kratinos. Unrichtig wohl die Ansicht ROUXs, die Metapher ginge auf den ‘Attizismus’ des Krates (was immer das bei einem attischen Schriftsteller sein mag). SOMMERSTEIN Old Comedians 25 hält das Fragment für „λέξις-criticism“ und verweist (2 6 Anm. 7 5 ) auf Phrynichos F 6 8 PCG (Sophokles wird mit pramnischem Wein verglichen). Auch dort allerdings kann es sich um inhaltliche eher als sprachliche Charakteristika handeln. Zum Phrynichos-Fragment auch CROWTHER Wine & Water 5 Anm. 2 0 , gegen dessen Inter­ pretation KNOX Callimachean Polemics 1 0 9 -1 1 0 Anm. 9 richtig feststellt: „[...] this is a slen­ der thread on which to hang a school“. CROWTHER Water & Wine 5 Anm. 2 0 „Isocrates VIII 13 distinguished between sobriety and drunkenness in literature“ irrt sich offenbar: Isokrates redet metaphorisch vom φρονεΐν, das sich am Lebenswandel beurteilen läßt.

100 Amphis: ένη ν αρ’, ώς εοικ ε, κάν olvcol

δ’ ϋδωρ πίνοντές είσ’ άβελτερ οη offenbar als Polemik gegen eine communis opinio, die οίνος als Zeichen von habitueller α β ελ τερ ία verstehen kann. F adesp. 1278 CAF: ϋδωρ δε πίνει, το ν δε Βιβλινον στυγει. 101 Belege bei DRERUP Demosthenes 9 - 1 0 , 6 4 , 164, 2 1 4 . Die meisten Belege gehören in die zweite Sophistik, nur einmal scheint mit Pytheas ein Zeitgenosse des Demosthenes das Motiv polemisch zu gebrauchen (9 - 1 0 ).

λόγος· /

cviol

130

3 Wassermetaphorik: der kallimacheische Apollonhymnus

scheint ohnehin weitaus naheliegender als die mit einer stilkritischen Klassifika­ tion. Mindestens aber ist eine Übertragung vom Bereich des Lebenswandels auf die poetologische Ebene weitaus wahrscheinlicher als der umgekehrte Fall: Eine solche Übertragungsrichtung, die sich notwendigerweise daraus ergibt, daß poeto­ logische Probleme im Alltag wenig Platz haben und erst auf einer kulturellen Stufe verhandelt werden, die für die meisten lebensweltlichen Belange bereits Metaphern ausgeprägt hat,102103 war auch schon bei der Lebenswegmetapher aufgetreten (oben 98). Soweit Kallimachos uns erhalten ist, finden sich bei ihm keine Spuren der po­ lemischen Polarisation von Wein und Wasser, nicht einmal die emphatische Selbstbezeichnung als Wassertrinker.104Der Seitenhieb auf die thrakischen Saufge­ lage in der Konversation mit dem Icus gehört nicht hierher (F 178.11-12 P): Un­ mäßiges wird von mäßigem Weintrinken abgehoben, Wasser nicht einmal er­ wähnt.105 Wenn Kallimachos zitatähnlich vom μεθυπλήγος φροίμιον ’Αρχιλόχου (F 544 P) spricht, so bezieht er sich auf entsprechende Selbstaussagen des Archilochos (z. B. das oben angeführte F 120 IEG). Einen polemischen Bezug zu unter­ stellen, steht bei der Isolation des aus drei Worten bestehenden Fragments jedem frei, bleibt aber immer ein Akt der Willkür,106der die spätere Polemik von Weingegen Wassertrinker umgekehrt auf das Verhältnis von Kallimachos und Archilochos reprojiziert. Die Gegenüberstellung von καθαρά οδός und dem κισσός des Dionysos in Ep. 7 P meint wohl nicht Wein und Wasser, wie man geglaubt hat,107 sondern läßt sich leichter mysterienterminologisch verstehen (vgl. oben 53ff, 87f). Darüberhinaus ist schwer zu sehen, wie sich eine ‘reine Straße' auf das Trinken von Wasser beziehen soll. Die κρήνη aus Ep. 28.3 P in diesen Zusammenhang zu 102 Phrynichos F 74.2 PCG, der den Musiker Lampros als άνθρω πος ύδατοπότης be­ zeichnet, bietet kein Gegenargument: Die Zusammenstellung mit άνθρω πος zeigt vielmehr, daß es sich um eine Kennzeichnung seines Charakters (‘ein trockener Typ’), nicht seiner Mu­ sik handelt. Umgekehrt liegt der Fall bei Euboulos F 133 PCG: Wasser macht εύρετικούς [...] τούς πίνοντας, Wein dagegen ήμών τω φ ρονειν έπισκοτεΐ(ν): Auch hier wird allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit diskutiert (einsichtig genug), nicht Poetologie. 103 Das gilt natürlich nur fur vehicles, die synchron für unpoetologische und poetologische tenors begegnen, nicht dagegen für solche, die auf einer frühen Stufe ausschließlich poetologisch verwendet werden. Diese sind selbstverständlich genauso alt wie die Gedichte selbst die sie beschreiben: Vgl. z. B. W a t k in s Indo-European Poetics 676-684 104 Richtig CROWTHER Water & Wine 5: „ln the fragments o f Callimachus there is no allusion to the debate’ between water-drinkers and wine-drinkers.“ Die herrschende Meinung behauptet allerdings das Gegenteil: Vgl. z. B. HERTER Kallimachos 199 und 2 5 8 , WlMMEL Kallimachos 225 und neuerdings BENEDETTO Sogno 1 0 -1 3 , der die Ansichten HECKERs, DILTHEYs SCHNEIDERS, M a a s s ’ und W il a m o WITZ’ referiert. 105 Vgl. unten 2 2 7 . Für Wein-und-Wasser-Metaphorik zaghaft SCODEL Anthesteria 3 9 Anm. 9;

Wasser läßt sich auch nicht über das Bild der Mischung durch die lectio difficilior ζω ροποτ ε ι ν in 12 einfuhren: Vgl. ebd. 3 8 Anm. 3 und A. S. HOLLIS, Two Notes on Callimachus CIRev n. s. 2 2 (1 9 7 2 ) 5, der mit Agathias AP 5 .2 8 9 .4 für ζ ω ρ ο π ο τ ε ι ν votiert.

106

Tou“ gehört vielleicht nicht mehr zum Zitat (PFEIFFER ad /.). An Polemik glaubte schon DILTHEY Cydippa 16 „[...] contemptim eundem Archilochum ut vinolentum increpat Callima­ chus [...] , so auch KAMBYLIS Dichterweihe 121-22.

107 MÜLLER Erysichthon 42 mit Anm. 140.

3.3 Wasser und Wein

131

ziehen, verbietet sich von selbst. Für die Berufungsszene auf dem Helikon eine Polarität zweier Wasser und den Inspirationstrunk aus einem dieser beiden anzu­ nehmen, heißt letztlich, F 2 P mit dem Schluß des Apollonhymnus und lateinischen Inspirationschilderungen zu supplementieren (dies ist im wesentlichen die Tech­ nik, die Kambylis Dichterweihe 98-102, 118-122 u. ö. anwendet).108 Hier muß alles Hypothese bleiben. Den Tautropfen aber, den sich „winged Callimachus“ (Hunter) F 1.33—34 P als Speise (εΐδαρ εδων) wünscht, zu einem Beleg für das Konzept des ύδροπότης zu machen, verbietet die deutliche Betonung des Essens, die Verwertung gängigen ZikadenWissens und schließlich die Differenz zwischen Tautropfen und Wasser: Die Tau verzehrende Zikade ist kein ‘Wassertrinker’.109 Die spätere Polemik, die unter dem Leitbegriff ύδροπόται Kallimachus und seine Anhänger angreift,110 kann also wahrscheinlich die Prägung des Begriffs nicht aus diesem ableiten, sondern dürfte auf die ältere Begriffsgeschichte und vor allem das charakteristische πόνος-Konzept zurückgreifen, um seine Werke genau­ so und genauso herabsetzend als ‘Wassertrinken’ zu bezeichnen, wie die Alte Ko­ mödie und die anekdotische Tradition des Demosthenes-Romans dies schon getan hatten. Man kann hier die Entwicklung einer Lebenswandel- und Intellektmetapher 108 Äußerst skeptisch auch CROWTHER Water & Wine 3 und ΚΝΟΧ Callimachean Polemics 107. Die herkömmliche Meinung z. B. bei WlLAMOWlTZ Hellenistische Dichtung 2.95, WlMMEL Kallimachos 2 33-238. Erst recht bleibt die Rekonstruktion des Wassergegensatzes für Philitas und das Postulat der Philitasfolge für Kallimachos ganz im spekulativen Bereich: kühn daher MÜLLER Erysichthon 42. Jüngst hat KYRJAKOU Hapax legomena 222-231 sehr vorsichtig ver­ sucht, die Schlußszene der theokriteischen Thalysien mit Hilfe der Wein-Wasser-Debatte zu verstehen, meiner Ansicht nach ohne überzeugendes Resultat. 109 Vgl. PFEIFFER Altersgedicht 324-326 über parallele Vorstellungen antiker Zoologie: Die Zikade ernährt sich immer von ‘Tau’, nie von ‘Wasser’ (z. B. Aristoteles HA IV 7.532 blOff; V 30.556 b 16). Grundlegend dazu BORTHWICK Grasshopper’s Diet 105-08. Tau beinhaltet die Vorstellung von Süße: Ps.-Hesiod Asp. 395, vgl. WASZINK Biene & Honig 6 -8 , MÜLLER Erysichthon 39 Anm. 127, ist also nicht mit ‘Wasser’ identisch. Vgl. die Beispiele bei WlMMEL Kallimachos 225 Anm. 1. HUNTERS oben 115 Anm. 22 erwähnte These (Wings 12), Kallimachos sei von Platons Ion beeinflußt, verkennt meines Erachtens, daß dort nicht von τέτ τ ιγες die Rede ist, sondern eher die traditionelle Bienenvorstellung zugrundeliegt. 110 Die Kallimachos-Polemiken, die sich heute in der Anthologia Palatina finden, gehören ver­ mutlich alle in das späte zweite oder frühe erste Jahrhundert: Antigonos Ep. 1.67-72 GPh (es spricht ein Metallffosch auf der Innenseite eines Mischkruges (710: φεϋ τίνες ύδωρ / πίνουσιν μανίην σώφρονα μαινόμενοι), Antipater von Thessaloniki Ep. 3.87-88 GPh (witziges Spiel mit Helikon, dessen Wasser Hesiod inspirierte, und einem κούρος ομώνυμος, der aber italischen Wein ausschenkt), Ep. 20.185-190 GPh (weist ποιητών φ ϋλον άκανθολόγω ν weit von sich, schätzt alkoholisierte Dichter wie Archilochos und Homer mehr), Ep. 36.267-272 GPh (Parodie eines Berufungserlebnisses: Bakchos rät mit Hinweis auf Hippolytos und Aphrodite dem Verfasser, lieber mehr zu trinken, der daraufhin dem Wasser abschwört); Ep. 37.273-275 GPh (Antipater fürchtet weder Pleiaden noch Wogen noch Gewitter so sehr wie κακόν άνδρα / [...] καί μύθων μνήμονας ύδροπότας). In allen diesen Epigrammen wird Kallimachos nicht namentlich genannt, es zeigen sich aber einige gedankliche Parallelen zu Epigrammen mit namentlicher Polemik (Philippos Epp. 60, 61 GPh, Antiphanes Ep. 9 GPh, vgl. aber Krinagoras Ep. 11 GPh), die diesen Bezug auch für die Wein-versus-WasserEpigramme sichern. Vgl. insgesamt REITZENSTEIN Stiltheorie 56 Anm. 1, NORTH Sophrosyne 2—16, CROWTHER Water & Wine 4 mit Anm. 17, KNOX Callimachean Polemics 108 Anm. 3. M öglicherweise gehört auch Ennius Sat. lib. inc. F 64 VAHLEN hierher.

132

3 Wassermetaphorik: der kallimacheische Apollonhymnus

zu einer terminologischen Verengung auf Stilbegriffe glänzend beobachten.1" Ganz derselbe Vorgang - diesmal aber schon von Kallimachos selbst vollzogen ist auch für die άγρυπνία Arats (Ep. 27.4 P/56.1300 HE) anzunehmen: Den πόνος, den Arat in die Abfassung seiner Φαινόμενα investiert hatte, umschreibt Kalli­ machos selbst in seinem Arat-Lob doppelsinnig"2 mit „angespannter113 Schlaflo­ sigkeit“. Auch hier wird eine bestimmte Form der Askese, die ursprünglich (vgl. oben 129 mit Anmm. lOOf) und auch später114 ausschließlich über den Lebenswan­ del etwas aussagt, als poetologisches Etikett verwendet. Die Übertragung ermög­ licht allein der πόνος-Begriff (vgl. oben 98 Anm. 326).115 Die römische Tradition der Wassertrinker-Polemik als Chiffre116 einer Stildebatte leitet man also besser von späteren hellenistischen Epigrammatikern her als von Kallimachos selbst."7 111 Zu einem vergleichbaren Prozeß bei Kallimachos (F 114 P), der aus einem „simbolismo etico“ einen „simbolismo estetico“ werden läßt, vgl. LlVREA Somnium 52: „Si tratta di una trasposizione in campo critico-letterario di una sanzione etica ben nota [...].“ Nach LlVREA sei diesel­ be Umwertung auch scherzhaft in F 239.5ff SH zu beobachten. 112 Um die Sterne zu beobachten, muß man nachts wach bleiben. Arat wachte auch, allerdings um am Schreibtisch Eudoxos’ Φαινόμενα in ein zeitgemäßes Lehrgedicht zu transformieren. RJEDWEG Reflexe 132 sieht hier keine Doppelsinnigkeit, sondern allein die πόνοςVorstellung, umgekehrt M. HOSE, Σύντονος άγρυπνίη (Kallimachos Epigramm 27 Pf.), Glotta 72 (1994) 196-99 nur den Hinweis auf reale Stembeobachtung. H a in s w o r t h Idea o f Epic 164 Anm. 20 hält die Aussage des Kallimachos über Arats Φαινόμενα für implizit ta­ delnd, THOMAS New Comedy 200 άγρυπνία für einen auf erotische Bereiche (letztlich den des παρακλαυσίϋυρον) beschränkten Topos. Doch zeigen auch Ps.-Theokrit Eid. 21.36f und Theokrit Eid. 24.106 Schlaflosigkeit ausschließlich als Lebenswandels- bzw. Gelehrsam­ keitsmetapher. Schließlich bringt Ep. 134.1613 FGE die Übersteigerung des kallimacheischen Einfalls: Philitas stirbt an νυκτών φροντίδες έσπέριοι. 113 Überlieferung und Konjekturen diskutiert G. KAIBEL, Aratea, Hermes 29 (1894) 82-123, hier 120f. Das überlieferte σύντονος άγρυπνίη ist pace PFEIFFER der Konjektur RUHNKENs σύμ­ βολου άγρυπνίης, für die auch KAIBEL votiert, vorzuziehen: Vgl. dazu z. B. G. LOHSE, Σύν­ τονος Ά γρυπνίη, Hermes 95 (1967) 379-81; R ie d w e g R e fle x e 126f Anm. 21. M an’sollte bedenken, daß seit Pratinas F 712.1 PMG σύντονον auch eine musikalische Qualität bezeich­ net, so daß Arats Nachtarbeit möglicherweise nicht nur als für diesen erschöpfend, sondern auch als musisch’ bezeichnet wird. Für das Problem unergiebig P. E. SONNENBURG Carmina vigilata, RhM 66 (1911) 477^180. 114 Dazu A. CAMERON, Callimachus on Aratus’ Sleepless Nights, CIRev n. s. 22 (1972) 169-70 zu σύντονος άγρυπνία in hagiographischer Literatur des fünften nachchristlichen Jahrhun­ derts. Wenn bei Martianus Capella eine Magd der Philologia ‘Agrypnia’ heißt, so ist unser Topos aus einer Metapher für den Lebenswandel dort zu einer Allegorie geronnen (Nupt. 2.112 und 145). 115 Ganz analog wird im Rgveda von der Dichtung und dem Sänger gesprochen, der früh wach sei (3.39.1, 2; 3.41.7; 5.30.2). 116 In Antipatros Thess. Ep. 38.282 GPh wird π εζός gegen ύδροπότης ausgetauscht: Die poetologischen Metaphern sind reine Etiketten geworden. 117 Zur Rezeption griechischer Epigramme in Rom vgl. z. B. die Ähnlichkeit von Lukrez 4.181 (= 4.910) und Antipater von Sidon 58.566 HE, von Kallimachos Ep. 41 P/4 HE und Lutatius Catulus F 1 BÜCHNER/M o r e l /B l ä NSDORF. Diese Übernahme fällt vermutlich in den Über­ gang vom zweiten zum ersten vorchristlichen Jahrhundert, in die zweite Popularitätsphase des Kallimachos (vgl. dazu Z ie g l e r Epos 13, 30, WEBSTER Poetry & Art 303-305), woher sich auch die Prominenz dieser Motive über Vermittlung von Antipater, Philodem, Parthenios etc. in Rom erklärt.

3.3 Wasser und Wein

133

Darauf scheint auch die deutliche Situationsgebundenheit des Motivs bei seinem älteren Zeitgenossen Hedylos hinzudeuten,118 in der man allenfalls eine Vorform des Gedankens erkennt, die aber etwa dem Ausspruch des Kratinos noch sehr ver­ wandt erscheint: Denn auch bei Hedylos kommt ‘Wasser’ gar nicht vor. Er zeigt darüber hinaus keine über den unmittelbaren situativen Kontext des Symposiums hinausgehenden Ambitionen, ‘Wein’ zu einer allgemeinen poetologischen Chiffre zu erheben. Hedylos ist also ebenfalls noch wie die oben zitierten früheren Beispie­ le jener rein apologetischen Ebene zuzuordnen, der es mehr um die Trinkapologie als um literarische Kritik geht.119 Der Gegensatz von Wein und Wasser nimmt ei­ nen breiten Raum in den Stilmetaphem späterer griechischer Literaturkritik ein120 und findet wohl über Horaz (z. B. ep. 1.19. 2-3, 6-8) seinen Weg ins Mittelalter121 und in die Neuzeit, in der die Antinomie oft wieder gegensätzliche Lebensweisen beschreibt.122 Philologen haben sich dieser polemischen Bildlichkeit kreativ be118 Hedylos Ep. 5.1854 HE fällt nur beim Weinkonsum λεπ τόν καί τι μ ελιχρ όν έπ ος ein. Ep. 6.1862 HE fordert er einen Kollegen auf, der ein mächtiger Trinker ist: καί γράφε καί μέθυε. Diese Aussagen sind ganz im Stil des oben angeführten Nikainetos/Kratinos-Verses gesagt einen direkten Bezug zu Kallimachos muß man nur wegen λεπ τό ν (1854) oder μελιχρ ό τ ερ ο ν (1860) noch nicht sehen (vgl. unten 175f Anm. 187, 201 Anm. 294), wie ihn z. B. KAMBYLIS Dichterweihe 121 und CROWTHER Water & Wine 5 postulieren: Es handelt sich im einen Fall um eine traditionelle Intellektualmetapher, im anderen um eine nicht weniger gän­ gige poetologische Geschmacksmetapher. Vielmehr erscheint noch ganz wie im Stil des Archilochos und des Epicharm der Gedanke als scherzhafte Entschuldigung im sympotischen Kontext - für Hedylos mit großer Wahrscheinlichkeit eine Apologie gegen den lebensweltli­ chen Primat der Wassertrinker. Poetologische Konnotationen sind also femzuhalten. Den He­ dylos, der nach T 45 P (vgl. auch F 458 SH) einen Kommentar zu den Epigrammen des Kal­ limachos geschrieben hat, hält PFEIFFER (in seiner Edition 2.cii) mit REITZENSTEIN für einen homonymen Grammatiker aetatis posterioris, doch vgl. WEBER Dichtung & höfische Gesell­ schaft 422; G al li CALDERINI Edilo 370-71, LLOYD-JONES/PARSONS zu SH 460, CAMERON Anthology 370f. Wenn aber wirklich der frühhellenistische Hedylos die Epigramme des Kal­ limachos kommentiert hat, wird er kaum dessen Gegner gewesen sein. 119 Diese beiden Epigramme werden aber in der Forschung seit DlLTHEY Cydippa 12 Anm. 2 unisono für die Tradition des poetologischen Wein-Wasser-Gegensatzes vor Kallimachos an­ gesehen: Vgl. z. B. GALLI CALDERINI Epigrammi 96-97 mit Anm. 101, G al li C a l d e r in i Edilo 368, 370 Anm. 37, 371 Anm. 35, WEBER Dichtung & höfische Gesellschaft 193 Anm. 4. CAMERON Anthology 370 konjiziert in Hedylos Ep. 6.1861 HE für das „intolerably flat“ ‘δή π ο λ ύ ’ ‘τή ς Λ ύδη ς’, so daß Hedylos auch noch in die Lyr/e-Kontroverse hineingezogen wird (dazu vgl. unten 186). 120 Beispiele für Ps.-Longinos und Lukian bringt NORTH Sophrosyne 15 mit Anm. 93, für Phi­ lostrat und die lateinische Stildiskussion O ’SULLIVAN Stylistic Theory 118 mit Anm. 80. 121 Zu Horaz, der vielleicht auf Ennius zurückgeht, vgl. S u e r b a u m Selbstdarstellung 231-236. Im Mittellateinischen und -hochdeutschen ist das Motiv geläufig: Vgl. z. B. Archipoeta 10.18.3f KREFELD und die Carmina Burana 193-94 BlSCHOFF, im deutschen Sprachraum Hugo von Trimberg Renner 1199ff EHRISMANN. Zum ‘Archipoeta’ O. ZWIERLETN, Antike Motive beim Archipoeta und im ‘Ligurinus’, Mittellateinisches Jahrbuch 7 (1972) 102-124, 121 Anm. 84. 122 Vgl. z. B. die Korrespondenz zwischen RAMLER und GLEIM (1748) bei E. LEFEVRE, Horaz. Dichter im augusteischen Rom, München 1993, 12 oder H. HEINE, Deutschland, ein Winter­ märchen, Kaput 1, Strophe 8 (über den Gesang vom irdischen Jammertal): „Ich kenne die Weise, ich kenne den Text, / Ich kenn’ auch die Herren Verfasser; / Ich weiß, sie tranken

3 Wassermetaphorik: der kallimacheische Apollonhymnus

dient.123 Es wäre unvorsichtig, diese Tradition als kallimacheisch aufzufassen: Sie stammt aus einem wesentlich älteren und vor allem unpoetologischen Bereich und hat wohl erst nach Kallimachos eindeutig poetologische Geltung erlangt.

heimlich Wein / Und predigten öffentlich Wasser.“ Das Motiv läßt sich bis in die Gegenwart verfolgen. Vgl. z. B. R. MUSIL, Der Mann ohne Eigenschaften. Roman, hrsg v A FRISE Hamburg 1970 [1 9 5 2 ], 2 .3 8 (S. 1023): „[...] stünde es nicht in unserem Belieben, ob wir Weiii oder Wasser vorziehen, Atheisten oder Frömmler sein wollen [...]“, TH. BERNHARD Einfach kompliziert, Bibliothek Suhrkamp 9 1 0 , Frankfurt ' 1986, 19: „Gewöhnlichkeit / ist mir immer verhaßt gewesen / Biertrinker immer gehaßt / Klarwasserfanatismus.“ 123 Vgl. U. VON W il a m o w it z -M o e l l e n d o r f f , Die griechische Literatur des Altertums, in: ders.

u. a., Die griechische und lateinische Literatur und Sprache, Die Kultur der Gegenwart hrsg. von P. HlNNEBERG 1.8, Leipzig/Berlin 31912, 4 4 über die Anakreontea : „Wem diese matte Limonade nicht unausstehlich ist, der soll nicht nach dem hellenischen Weine greifen.“

4 Quantifizierende Antithesen

In die Besprechung der kallimacheischen Weg- und Wassermetaphorik spielten quantitative Aspekte bereits hinein: Dem μέγας ρόος des verschlammten Flusses steht die ολίγη λιβάς der reinen Quelle gegenüber, und der wenig begangene Pfad ist selbstverständlich ‘kleiner’, d. h. schmaler, als die stärker frequentierte Land­ straße. In diesen beiden Fällen ergibt sich die quantitative Differenz im Kontext der anderen Komponenten des vehicle von selbst. Doch zieht sich grundsätzlich derselbe Gegensatz durch so viele poetologische Metaphern des Kallimachos, daß die Ausprägungsvielfalt dieser metaphorischen Struktur eine eigene Diskussion erfordert.1 Die Perspektiven von räumlicher Ausdehnung, Gestaltmetaphorik und Akustik, in denen sich diese Struktur jeweils konkretisiert, verschmelzen dabei oft genug miteinander.2

4.1 Dimensionen: groß versus klein Genaugenommen kann man von Literatur in der Kategorie Quantität proprie nicht anders als mit der Begriffsopposition ‘lang’ versus ‘kurz’ reden. Diese Antithese spielt bei Pindar eine bedeutende Rolle: In ihrer einfachsten Form begegnet sie in dem knappen Hinweis, auf Ausführlichkeit und damit Länge verzichten zu wol­ len.3 Der Sinn dieser Äußerungen ergibt sich erst durch den Vergleich mit einer zweiten Gruppe von Aussagen, in denen Pindar seine Kürze begründet: Kürze sei ein Gebot der Rücksicht auf den Rezipienten. Da der Dichter vorgibt, von diesem abhängig zu sein, wird das Gebot, reale Länge zu vermeiden, zum objektiven Zwang. Die Fiktion dieses äußeren Zwangs4 täuscht nicht darüber hinweg, daß es 1 2 3

4

Die verschiedenen Aspekte quantitativer Antithetik werden meist auf den Bereich von „physical dimensions“ reduziert: WEHRLI Stil 31-32, NORTH Sophrosyne 1 (Zitat). B rink Callimachus & Aristotle 17 konstatiert diese Verschmelzung für den Bereich räumli­ cher Dimensionen. Ol. 13.98 παύρφ έ'πει (implizit), Pyth. 8.29f είμι δ’ ά σ χολος άναϋέμ εν / πάσαν μακραγορίαν, Nem. 10.19 βραχύ μοι στόμα π άντ’ άναγήσασΟ’, 10.46 μακροτέρας γάρ άριϋμησαι σ χο λά ς, Isth. 1.60-63 πάντα δ’ έξειπ ειν [...] 62 άφαιρειται βραχύ μέτρον έχω ν /ύ μ ν ο ς , 6.56 έμοί δε μακρόν πάσας αγήσασΟ’ άρετάς. Nem. 4 .3 3 -3 4 τά μακρά δ’ έξενέπ ειν έρύκει με τεΟμός / ώραί τ ’ έπειγόμεναι: Meines Erachtens kleidet Pindar die Forderungen seiner persönlichen Poetik in die bescheidene Fik­ tion äußeren Zwanges: Wenn er wollte ( Pyth. 4), konnte er sich auch 299 Verse leisten. Auch dort begegnet das Argument des Zeitdrucks (247 ώρα γάρ συνάπτει)! Zu Nem. 4.33ff anders

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4 Quantifizierende Antithesen

sich hier um eine rezeptionsästhetisch fundierte Kompositionsregel Pindars han­ delt. Es geht ihm zuerst darum, den κόρος des Publikums bzw. den aus diesem notwendig folgenden μώμος derselben Gruppe zu vermeiden, die allzulangen Vor­ trägen anscheinend nicht minder skeptisch als ein heutiges Publikum gegenüber­ stand. In diesen Zusammenhang gehört auch die oben (32f) diskutierte Antithese zweier Erzählwege, die Pindar stets zugunsten des kurzen entscheidet. In einem zweiten Schritt kann die Berücksichtigung des Rezipienten zu einer autorenzen­ trierten und damit produktionsästhetischen Poetik intemalisiert werden: Denn die verkürzte Darstellung komplexer Sachverhalte bei gleichbleibender ‘Farbigkeit’ (βαιά δ έν μακροισι ποικιλλειν) erfordere höhere Kunstbeherrschung und sei daher eine άκοά σοφοις, ein Hörerlebnis, was nur dem kompetenten Rezipienten zugemutet werden könne (Pyth. 9.77f).6 Ob die Verbindung von παϋρα und [γλώ]σσαργον in F 140b. 12-13 SM in diesen Zusammenhang gehört, ist unsi­ cher.7Wenn man γλώσσαργος als positiv wertenden akustischen Begriff versteht,8 liegt eine affirmative Verbindung gerade des ‘Kleinen’ mit akustischer Ästhetik vor. Pindars Polemik gegen den älteren Dithyrambos (F 70b. 1 SM) basiert auf dem sicher abwertenden Begriff der σχοινοτένειά τ ’ άοιδά, deren (melodiöser oder narrativer?) Fortgang wenig schmeichelhaft als ερπειν bezeichnet wird. Σχοινο­ τενής beinhaltet viel später literarkritisch einen pejorativ quantifizierenden Aspekt, etwa „langatmig, weitschweifig“ (LSJ 5. v. bieten Hermogenes, Philostrat und Eustathios). Im Hinblick auf das metaphorisch gebrauchte Kilometermaß der σχοινος Περσίς bei Kallimachos (F 1.18 P) ist die Verlockung groß, auch für Pindar einen ähnlichen Sinn anzunehmen.10 A. M. M i l l e r , N. 4.33-34 and the Defense o f Digressive Leisure, Classical Journal 78 (1983)

202-~220. Pyth. 1.81-2 καιρόν εί φ θέγξαιο, π ολλώ ν πείρατα συντανύσαις / έν βραχεί, μείων έ'πεται μώμος ανθρώ πω ν άπό γάρ κόρος άμβλύνει [...]; Pyth. 8.29-32 (vgl. oben Anm. 3) μή κορος ελθώ ν κνίση. Richtig dazu B e r n a r d in i Programma 85. Der Gegenbegriff zu βραγύς wäre μακρός: Vgl. Philemon F 99 PCG und O l iv a Parodia 31 (dazu vgl. unten 143f Anm 44). Zu dem Verhältnis von βραχύτης und κόρος bei Pindar weisen „0rev/to-Form el“ und Jastidmm- Formel“ der lateinisch geprägten Tradition bis ins Hochmittelalter enge Parallelen ?,Uf’ die E· R· CuRTIUS’ Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter, Bem/München 1993 [1948], 479-85 skizzenartig darstellt. Sein Verständnis des Topos als eines essentiell rhetorischen trifft das Phänomen für Pindar allerdings kaum.

7

Zur Konjektur ά κ ό ν α durch WlLAMOWlTZ vgl. PoiSS Einheit 83 Anm. 32: „Für die Zeitgenos­ sen Pindars war also eine intellektuelle Ohrenfreude (ά κ ο ά ), was für uns Spätgeborene zum grammatischen Prüfstein (ά κ ό ν α ) wird.“ Dazu vgl. HENDERSON Chariot & Dolphin 152-53 mit Anm. 24.

8

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Π ο ίτ ι W7 TThe Etymol° 8y and MeaninS o f γλώ σσαργος and στόμαργος, AJPh 63 ( 942) 87 90. LSJ ί. v. γλω σσαλγος verstehen den Ausdruck im Gefolge von Pollux als γλω σσαλγος. „talking till one’s tongue aches“, also nicht akustisch und eindeutig negativ Doch die Verbindung mit λιγ[υ (Vers 9, dazu oben 27f) könnte auf ein akustisches Verständ­ nis hinweisen. Dann ware γλώ σσαργος der dem bildlichen λιγ[υ proprie korrespondierende poetologisch-rhetorische Terminus. Dazu vgl. auch G o l d h il l Allusion 6 Anm. 26.

10

Ohne den Bezug zu Kallimachos erwägen quantitative Literarmetaphorik WlLAMOWlTZ Pin90

Tni42^80^

Pmdar l94~ 5’ DURANTE Terminol° g k 2 7 5 , BERNARDINI Programma 8 9 -

4.1 Dimensionen: groß versus klein

137

Pindars quantifizierende Antithesen sind also keine Metaphern, sondern bezie­ hen sich stets proprie auf die tatsächliche Länge oder Kürze eines Gedichtes oder einer narrativen Einheit." Die rigorose Ablehnung jeder Form von Länge ist ur­ sprünglich nicht Teil eines poetologischen ‘Programms’, sondern rezeptionsästhe­ tisch motiviert.112 Zur produktionsästhetischen Norm wird ‘Kürze’ erst in einem zweiten Schritt intemalisiert. Dieser Vorgang ist bei Pindar noch nachzuvollzie­ hen. Vorgreifend stellen wir fest, daß Kallimachos diese Art quantitativer, unmeta­ phorischer Literarkritik auch kennt. Bevor Hipponax redivivus den versammelten Philologen Alexandrias seine Geschichte erzählt, beruhigt er sein —offenbar unge­ duldiges - Publikum: Er habe selbst nicht viel Zeit, also werde er auch nicht lange reden (F 191.32-34).13 Wenn der Rezipient mitdenken soll, damit der Vortrag kür­ zer werde, bewegt sich Kallimachos in pindarisehen Bahnen, wenn auch auf scherzhaft-rüde Weise: αυτός έπιφράσσαιτο, τάμοι δ’ απο μήκος άοιδη (F 57.1 P/F 264.1 SH).14 Ob Kallimachos hier schon auf die rhetorische Tugend der συν­ τομία anspielt, die besonders in stoischen und kynischen Kreisen später auf die Spitze getrieben wurde,15 ist zu bezweifeln: Es handelt sich um einen Scherz mit dem in Pindars Lyrik topischen βραχύτης-Gebot, das noch um einen Schritt wei­ ter getrieben wird: Der Rezipient wird zum Vollstrecker produktionsästhetischer Normen deklariert, die einzuhalten wohl eher Sache des Autors wäre (und natür­ lich auch bleibt, da der kallimacheische Autor ja selbst im Vorhinein entscheidet, wo sein Rezipient mitdenkend narrative Lücken füllen soll).16 Mit demselben 11

Meist wird diese Tatsache gerade im Hinblick auf die hellenistische Quantitätsmetaphorik übersehen: HOEY Fusion 243, N e w m a n Pindar & Callimachus 181 Anm. 3, PERON Images 47 Anm. 6, RICHARDSON Pindar & Criticism 390-91. Definitiv unrichtig BUNDY Quarrel 88 Anm. 110. Die einzige quantitative Metapher bei Pindar bildet das Höhenve/i/c/e [...] ψαλμόν ά ντίφ θογγον ύψηλας [...] πακτίδος in F 125.3 SM (über Terpander). Auch im Rgveda finden sich so gut wie keine quantitativen Metaphern (Ausnahme: 2.17.7).

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STÖHN V oraristotelisch e P oetik 6 9 A nm . 1 übertreibt.

13

3 2 -3 4 ού μακρήν αξω, / ώ λω στε μή σίμω νε, καί γάρ οΰδ’ αυτός / μέγα σχολάζ[ω -] δ[ε]ΐ με γάρ μ έσ ον δινειν. DIEHL Digressionsstil 17f mit Anm. (m) geht davon aus, daß diese bei­ den Verse Kallimachos’ eigene Stilvorlieben beleuchten: In einer Digression wehre er Digressionen ab. Da aber Hipponax spricht, kommt eine autobiographisch-stilistische Interpretation schwerlich in Betracht. Hipponax äußert sich vielmehr ‘pindarisch’ in einer ethopoietischen Annäherung an wirkliche Redesituationen. Die Wirkung dieses Appells beschreiben treffend WEBSTERs „direct flashes“ (Poetry & Art 100). PFEIFFER ad l. αυτός sc. ό άναγιγνώσκων vel b άκούων ipse exeogitet quid aliud fecerint. Mit diesem knappen Hinweis überspringt Kallimachos wahrscheinlich Details der Begegnung von Herakles und Molorchos (FÜHRER Epinikien 7 2 f glaubt an Abbruch des Kampfberichts und zieht 119 eine Parallele zu Pindar Pyth. 4), um dann nur von dem Gespräch der beiden zu

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berichten. Textbelege, Literatur und anekdotisches Material bei T h ie l e m a n n /W r e d e (wie oben 114 Anm. 19) 123 mit Anm. 83-86. Überdies ist das Gebot der Kürze ein allgemein rhetorisches und nicht auf den Hellenismus beschränkt: Vgl. z. B. Aischylos Aga. 1296, Euripides Hec. 1177, Platon Gorg. 519 E lf, Philodemos De Poematis 5, col. 29.19 ff MANGONI. Material auch bei STÖHN Voraristotelische Poetik 22. P. B ing , Ergänzungsspiel in the Epigrams o f Callimachus, A&A 41 (1995) 115-131, ver­ sucht, mit dem von ihm geprägten Begriff ‘Ergänzungsspief (dazu 116) Charakteristika kal-

4 Quantifizierende Antithesen

Grundsatz äußerlicher Längenvermeidung treibt er Ep. 8 P/58 HE sein Spiel: Aus­ gehend von der Vorstellung, daß der Triumphschrei des dramatischen Siegers („νικώ“ 2/1306) erheblich kürzer sei (μικρή τις ρήσις 1/1305) als das zerknirschte Eingeständnis des Verlierers („σκληρά τά γιγνόμενα“ 4/1308), bittet der Sprecher des Epigramms Dionysos nicht direkt um den Sieg, sondern um βραχυσυλλαβίη (6/1310), den kurzen Siegesruf. Beide Aussagen sind proprie gemeint und behal­ ten ihre Pointe, ohne daß die Hypothese eines poetologischen Hintersinns im Sinne der Quantitätsantithesen etwa des Aitienprologs zwingend wäre.17 Die konventio­ nelle Figur des Redeabbruchs in erotischen Kontexten kennt Kallimachos ebenso wie Theokrit.18 Hier dient die Willensbekundung, nicht μακρά erzählen zu wollen, dem Kunstgriff, bestimmte Vorgänge der Phantasie des Rezipienten zu überlassen. Dieses Vorgehen hat mit poetologischen Quantitätsmetaphem ebensowenig zu tun wie manche andere Erwähnung von Quantitätsbegriffen bei Kallimachos oder Theokrit.19 limacheischer Epigramme zu erklären und sieht unseren Vers als Explikation dieses Konzepts (123f). Doch folgen epigrammatisches ‘Ergänzungsspiel’ und die auch bei Apollonios (vgl. oben 102) begegnenden Abbruchformeln pindarischen Klangs, zu denen unser Fragment aus der Victoria Berenices gehört, unterschiedlichen Gattungskonventionen: Die Begründung der Längenvermeidung wäre im Epigramm ganz zwecklos. 17 Ähnlich EFFE Schwinge 79. HUTCHINSON Poetry 83 mit Anm. 111 und VOUTIRAS Wortkarge Söldner 31 (mit weiterer Literatur) interpretieren das Epigramm dagegen im Kontext der poetologischen Diskussion um Kallimachos, GOW-PAGE 2.210 ad l. machen daraus nur einen Beleg für die Suda-Mitteilung, daß Kallimachos auch Dramatiker gewesen sei. Nach dem Prinzip LEFKOWITZ’ (vgl. oben 11 Of Anm. 4) wirkt die umgekehrte Annahme plausibler. Die Wahrscheinlichkeit, daß Kallimachos in Athen Dramen aufgeführt hat, ist gering: Vgl. unten 149 Anm. 72. Paulus Silentiarius (Zeitgenosse Justinians) variiert das kallimacheische έμοί δ’, ώναξ, ή βραχυσυλλαβίη intelligent mit έχϋαίρω τή ν άϋυροστομίην (ΑΡ 5.252.6). Die Aussage ist dieselbe, nur mit Hilfe der seltenen Glosse invers formuliert, wobei sich diese neue Formulierung an Kallimachos Ep. 28.1 P anschließt. Um die Zeitenwende lehnt ein Parmenion ähnlich spielerisch wie Kallimachos die πολυστιχία eines Epigramms durch den Diaulos-Vergleich ab (Ep. 11.2608-2611 GPh; oben 103 Anm. 344). Auch hier wäre es verfehlt, an die όλιγοστιχία des Aitienprologs (F 1.9 P) zu denken, weil diese einen Gegenbegriff zu ‘vielzeiligen’ Werken oder Gattungen formuliert, zu denen Epigramme nicht zu rechnen sind. 18 Kallimachos Ep. 52.4 P/6.1070 HE ούκέτι μακρά λέγω , Theokrit Eid. 2.142 ώς [...] μή μα­ κρά [...] θρυλέοιμι (Simaitha über ihr erstes Rendezvous mit Delphis, sehr pointiert Paulus Silentiarius [wie Anm. 17], Dazu HUTCHINSON Hellenistic Poetry 158 Anm. 24 und G o w ad /.). _ 19

Kallimachos F 238.14 SH (= F 625 P ) ......] ή β α ιή ν ο ϋ τ ι κατά πρόφασιν (offenbar soviel wie unwichtig, geringwertig’), F 253.1 1 SH αίεί τοις μικκοις μικκά διδοΰσι θεοί (möglicherweise ein ironischer Verweis darauf, daß die Musen ihn nur im Traum eines Bei­ sammenseins gewürdigt haben [so NlKITINSKl Vergangenheitsbezug 25-28], HARDER Some Thoughts passim, LEFINUS Regno 85 Anmm. 3 8 f votieren hier für eine poetologische Deu­ tung, wozu vgl. unten 165f Anm. 149), F 287b.8 SH π]ουλύ δε μήκει (Hekale über die Kör­ pergröße ihrer Söhne), Ep. 11 P/35.1209f HE (Sema eines kleinen Kreters: Dazu vgl. G r o n e w a l d Neuer Poseidippos 29, VOUTIRAS Wortkarge Söldner 28, MEYER Leser 173 „rhetorische oder dichtungstheoretische Diskussion über die angemessene Proportion von Re­ de und Gegenstand“ - aber liegt die Wirkung des Epigramms nicht gerade darin, diese Ver­ bindung ins Absurde zu treiben?), Theokrit Eid. 8.64 (hier bekommt die Bitte des kleinen Hirten eine unerwartete Pointe, wenn man als Hintergrund das Sprichwort ‘μικκά μικκοΐσι’

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Unter den Metaphern, die Aristophanes für seine Literatur- und Sprachkritik prägt, finden sich auch zahlreiche quantifizierende Bilder. Das elementare μέγα verwendet er in zwei poetologischen Speisemetaphem:20 Die τρυγφδοποιομουσι­ κή des Krates sei ein μέγα τι βρώμα (Thesmophoriazusae II, F 347 PCG), die aufwendige Dichtkunst eines Tragikers (nach Kock des Euripides) sei καταπυγοσύνη im Vergleich zu solider (seil, poetischer) Kost, προς κρέας μέγα (Geras, F 128 PCG). Μ έγας bildet natürlich in beiden Beispielen ein als positives Prädikat intendiertes vehicle, wenn auch die Übertragung von der metaphorischen auf die poetologische Ebene Schwierigkeiten bereitet und vielleicht gar nicht beabsichtigt ist.21 Weder die Auflösung ‘langes Gedicht’ noch ‘gehobene Stilebene’ machen hier Sinn, wenn Krates, nicht aber Euripides μέγα sein soll.22 Deutlicher wird die quantifizierende Metaphorik in der Aischylos-Kritik der Ranae: Der Chor spricht von seinen ρήμαΐ)’ ίπποβάμονα (821),23 Dionysos traut ihm ein κεφάλαιον ρήμα zu (854), Euripides verurteilt sie als ρήματα [...] βόεια (924), und Aischylos selbst fordert für die ήμίΟεοι seiner Dramen auch ihnen an­ gemessene Worte, eben ρήματα μείζω (1060). Diese Metaphemklasse ist nicht auf die Ranae beschränkt: Trygaios überlegt, mit welchem „Tausendeimerwort“ (Seeger; ρήμα μυριάμφορον, Pax 521) er Theoria grüßen soll. Diese vehicleKlasse begegnet auch sonst in der Alten Komödie häufig: Krates redet von έ'πη τριπήχη (F 21 PCG), Platon comicus von einem γωνιαΐον ρήμα (F 69 PCG) und Polyzelos von ρήμαΌ’ άμαξιαΐα (F 7 PCG), womit er offenbar dasselbe meint wie Kantharos mit seinen άμαξιαΐα κομπάσματα (F 8 PCG), nämlich Worte, „für de­ ren Transport man einen Wagen braucht“.24 Alle diese Bilder zielen nicht proprie auf die tatsächliche Länge eines Wortes oder Verses, sondern verspotten den hoch-

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annimmt: „Wolf, friß mich nicht, weil [d. h. als Strafe dafür, daß] ich als Kleiner eine so große Herde hüte [d. h. gegen das similia-similibus-Prinzip verstoße]!“). Zur poetologischen Speisemetaphorik vgl. unten 248 mit Anm. 27. TAILLARDAT Images 440 §752 behandelt die Verse nur als Beispiel des Motivs „le poetecuisinier“, ähnlich GOWERS Loaded Table 84 mit Anmm. 133, 134. Vgl. KOCK zu F 128 PCG: hoc dich: locutionem Euripidis, tamquam cenam aceto et laserpitio artificiose conditam [...] ut [...] libidinosam prorsus contemnendam esse prae cibo simplici ac valido. Die Verbindung zu Euripides ist allerdings nur durch Ran. 942 τευτλίοισι (hier 1: τευτλίον) zu ziehen und daher unsicher (zu τευ τλ ίο ν vgl. unten 173 Anm. 178). Zum μέγα βρώμα vgl. weiter ROUX Maitre disparu 261. Pace TURASIEWICZ Denominazioni 9, der vom „Stile elevato“ sagt: „Uno dei denominatori di questo stile in Aristofane e l’aggettivo μέγας.“ Genausowenig wie die oben angeführten Ver­ se kann dafür Av. 465 μέγα [...] έπ ος herhalten, das genau wie Pindar Nem. 6.27 μέγα είπών weder auf die Länge noch den Stil des Geäußerten, sondern allein dessen Anspruch geht. Die τριχοίνικα έπη, die der Chor der Wespen zitiert (Vesp. 481) meinen dasselbe, nämlich in­ haltliche Bedeutsamkeit. Genau genommen ist ίπποβάμω ν wahrscheinlich eine soziale Metapher, keine quantifizieren­ de. Wie unser vehicle ‘hochtrabend’ von demjenigen, der ‘hoch zu Roß’ daherkommt, also sozial höhersteht und dementsprechend spricht, genommen ist, so ίπποβάμων vom Wagen­ fahrer (wohl nicht vom Reiter: so O ’SULLIVAN Stylistic Theory 8, DOVER Frogs 294). Zum Komplex vgl. oben 3 6 f mit Anm. 63. Erhellend dazu Phrynichos Praep. Soph. 43.5 BORRIES (zitiert von TAILLARDAT Images 22 §13 und bei PCG ad /.), der das Wagen vehicle folgendermaßen auflöst: μεγάλα ά φέροι άν άμαξα, ούκ άνθρω πος ή ύποζύγιον.

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gestochenen tragischen Stil, dessen extremer Vertreter Aischylos ist. Die gehobene Stilebene wird also von Aristophanes (und offenbar seinen Kollegen, soweit wir das beurteilen können) als quantitativ ausgedehnt metaphorisiert.25 Für die Interpretation des Quantifikationsnetzes, das die poetologi sehen Verse des Kallimachos so auffällig überzieht, markieren also Pindar und Aristophanes den Rahmen, innerhalb dessen quantifizierende Aussagen über Dichtung möglich sind: Es handelt sich dabei letztlich um die Pole einer quantifizierenden und einer qualifizierenden Ästhetik. Einerseits lassen sich Größenbegriffe mit unmetaphori­ schem Bezug auf faktische bzw. narrative Länge beziehen, wie Pindar es tut. Diese Verwendung rückt das verurteilte Erzeugnis in die Nähe von ‘Lang’-weiligkeit. Andererseits können quantifizierende Metaphern Stilhöhen unterscheiden, wie die Belege aus der Alten Komödie gezeigt haben. Solche vehicles meinen vielleicht ‘geschwollene’ oder ‘hochtrabende’ Ausdrucksweise. Die Position der kallimacheischen Quantifikationen innerhalb dieses Rahmens ist umstritten und soll im folgenden geklärt werden. Der Einfachheit halber wird dabei die erste Auffassung als ‘pindarisch’, die zweite als ‘aristophanisch’ bezeichnet. Mit Nachdruck sei dar­ auf hingewiesen, daß die Verwendung dieser Etiketten nur aus praktischen Grün­ den erfolgt. Implikationen dieser Terminologie für Postulate intertextueller Bezie­ hungen sind femzuhalten. Beginnen wir mit dem einfachsten Beispiel, dem Apollonhymnus, dessen oben (116ff) bereits eingehend besprochene Antithese zweier Wasser einen klaren quan­ tifizierenden Gegensatz impliziert: Der schmutzige Fluß ist ‘groß’ (μέγας 108), die reine Quelle dagegen ‘klein’ (όλιγη 112). Obwohl hinsichtlich der Wasseranti­ these selbst der Konsens herrscht, sie als poetologische Metapher aufzufassen, werden ihre akzidentiellen Quantitäten proprie verstanden, also als ‘pindarisch’ im Sinne unserer Alternative interpretiert: Kallimachos setze kurze gegen lange Ge­ dichte.26 Eine stilmetaphorische Interpretation ergibt sich natürlicher aus dem Ge­ samtbild. Statt der tatsächlichen Länge der gemeinten Gattungen metaphorisiert Kallimachos ihre Stilebenen quantifizierend, also ‘aristophanisch’. Die Erklärung dieser Verse ist auf diejenige des Aitienprologs angewiesen: Wir setzen uns mit diesem Problem daher erst unten (147ff) auseinander. Wenig beachtet ist der quan­ titative Gegensatz der Trinkgewohnheiten, auf die Kallimachos bei der Sympo­ siumsschilderung in F 178 P (Icus) anspielt: Sein Gesprächspartner haßt genauso wie er selbst das thrakische Saufen in einem Zug (1 lf: Θρηΐκίην μέν άπέστυγε χανδόν αμυστιν / οίνοποτειν),27 freut sich dagegen an einer kleinen Tasse (όλίγω 25

Darüber ist man sich gemeinhin einig: Vgl. T a il l a r d a t Images 122-3 §241-3, 280 §499, K o m o r n ic k a Remarques 268, TURASIEWICZ Denominazioni 12 „defmizioni maliziöse del lessico tragico“, O ’SULLIVAN Stylistic Theory 15-16.

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Bezogen auf die Länge des aktuellen Hymnus von BUNDY Quarrel 92, KÖHNKEN Envy 417 Diese Interpretation weist SCHWINGE Künstlichkeit 18 Anm. 45 überzeugend zurück. Zu ο ύ δ ’ δσα vgl. H u t c h in s o n Poetry 67-68, der einfach den Bezug auf die Gedichtlänge vermutet. Merkwürdig B u n d y Quarrel 63, der damit epische Kataloge assoziiert. Zur Variante ζω ροποτεΐν (Athenaios 11.477 C), die neuerdings bevorzugt wird, vgl. M e r k e l b a c h bei SCODEL Anthesteria 38 Anm. 3 und FABIAN Aitia 329-331. E. NARDUCCI,

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δ’ ήδετο κισσυβίφ).28 Ein Zusammenhang mit der Wein-Wasser-Debatte läßt sich nicht erkennen:29 Wasser spielt hier keine Rolle, der Gegensatz polarisiert Wein­ menge und eventuell (bei Adoption der Nebenüberlieferung ζωροποτεΐν) Mi­ schungsverhältnisse. Trinkgefäßgrößen scheinen für αξία ζητήσαι gehalten wor­ den zu sein.30 So kann man von einem poetologischen Hintersinn nicht ausgehen, aufschlußreich ist diese quantifizierende Antithese nur als Indiz für den Ge­ schmack des Kallimachos, der anscheinend ‘Kleines’ auch außerhalb poetologischer Kontexte bevorzugte, oder doch Gründe besaß, sich in dieser Form zu in­ szenieren. ‘Μ έγας’ ist immer prädestiniert dazu, bei modernen Kallimachoslesem poetologische Konnotationen zu wecken (vgl. unten 142 Anm. 39): Gehört das umstrit­ tene Epigramm über die ΟϊχαΜας αλωσις (Ep. 6 P/55.1293-96 HE) auch in diesen Zusammenhang? Τοϋ Σαμίου πόνος ειμΐ δόμφ ποτέ θειον άοιδόν δεξαμένου, κλείω δ’ Εϋρυτον δσσ’ έ'παθεν, καί ξανθήν Ίόλειαν, Ό μήρειον δε καλεϋμαι γράμμα- Κρεωφύλφ, Ζεϋ φίλε, τοϋτο μέγα. Des Samiers Arbeit bin ich, der einst den göttlichen Sänger in seinem Haus aufge­ nommen hat. Ich künde von Eurytos, was alles er erduldet hat, und von der blonden Iole. Man nennt mich eine homerische Schrift: Für Kreophylos, mein lieber Zeus, ist das viel!

Beinhaltet das indirekte Verdikt, das Werk sei Κρεωφύλφ μέγα, d. h. sein home­ rischer Anspruch sei unberechtigt, in diesem μέγα eine poetologische Quantität? Herkömmlich sieht man darin das Äquivalent des deutschen ‘eine Nummer zu groß’.31 Diese Interpretation impliziert ein negatives Qualitätsurteil für das zykli­ sche Epos: Es ist für Homer zu schlecht, mit der Fälschungsabsicht hat sich Kreo­ phylos also übernommen. Berücksichtigt man Leonidas von Tarent, der Arats Phainomena als έ'ργον μέγα bezeichnet (Ep. 101.2577 HE), so ist dort der Sinn ‘physische Ausdehnung’ ebenso wie ‘gehobene Stilebene’ ausgeschlossen.32Poetologisches μέγα, sei es ‘aristophanisches’, sei es ‘pindarisches’, fallt demnach wohl

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Nota a Callimaco, Fr. 178 Pf. vv. 11-12, Maia n. s. 24 (1972) 61f denkt bei ζω ροποτεΐν an eine Autorenvariante. Kallimachos verwendet hier offenbar eine Homerglosse, deren quantitative Denotation ihm nicht mehr klar war: Vgl. dazu Athenaios’ Kritik bei METTE Neoptolemos 6 (zu F 1 0 .2 5 ff) und RENGAKOS Kallimachos 2 9 . Andeutend KNOX Callimachean Polemics 111 Anm. 15. SCODEL Anthesteria 37-41 und FABIAN Aitia 327-335 beschäftigen sich nur mit Ethnologischem, Gefäßformen und Trinkge­ bräuchen. Vgl. z. B. Dikaiarchos F 98 WEHRLI (Zitat), Chamaileon F 9 WEHRLI. Vgl. z. B. SCHWINGE Künstlichkeit 11, dessen π όνος-Auffassung allerdings übertrieben wirkt. Arats Phainomena werden durchgängig als λ επ τό ν τι angesehen (vgl. unten 179ff), eine stil­ metaphorische Interpretation des έρ γο ν μέγα ist also wenig wahrscheinlich.

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auch hier aus.33 Man hat bisher τοϋτο (4/1296) nicht verstanden: In der gängigen Perspektive des Pseudo-Titulus spricht das Gedicht als Person selbst.34Es kann auf sich selbst aber nicht gut als τοϋτο hinweisen: Dies meint vielmehr resümierend den vorher geäußerten Anspruch ,,Όμήρειον [...] καλεϋμαι“. Daß das Gedicht überhaupt als homerisch gelten kann, dies (τοϋτο) ist für Kreophylos schon ein gewaltiger Erfolg (μέγα). Es handelt sich also um ein ironisches Lob des Kreophy­ los: Die Fälschung ist zwar als Fälschung kenntlich, aber technisch akzeptabel immerhin so gut, daß eine Zuschreibungsunsicherheit entstehen konnte.35 Weder Gedichtlänge noch poetologische Stilmetaphorik spielen demnach hier herein.36 Im Lichte der Donnermetapher des Aitienprologs (F 1.20 P) läßt sich hier noch eine weitere Pointe erkennen: Der Ausruf ,,Ζεϋ φίλε“ bezieht sich wahrscheinlich auf Homer, der unter den Dichtem ‘Zeus’ ist (vgl. dazu unten 196f). Das sprechende Gedicht wendet sich also, den Plagiator entschuldigend, an das Opfer des Plagiats, das gleichzeitig in Echtheitsfragen seiner eigenen Werke natürlich der kompeten­ teste Ansprechpartner sein muß. Dieser Pointenreichtum weist darauf, daß ein sol­ ches Epigramm (vgl. auch F 397 P) kaum die primäre Äußerung einer Echtheits­ kritik gewesen sein dürfte.37 Das isoliert überlieferte dictum Καλλίμαχος ό γραμματικός τό μέγα βιβλίον ίσον έλεγεν είναι τω μεγάλφ κακω (F 465 Ρ) ist bereits von Casaubonus literarkritisch, aber nach unserer Terminologie ‘pindarisch’, aufgefaßt worden38 und zwar mit strukturell derselben Begründung, mit der dies bis heute geschieht: durch den Vergleich mit den quantitativen Antithesen des Apollonhymnus (heute zieht man meist noch den Aitienprolog hinzu, den Casaubonus natürlich noch nicht kannte).39 33

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N e w m a n Epic 346 hat bisher als einziger versucht, dies poetologisch als Stilmetapher zu

verstehen: Das hieße, daß der Οίχαλίας αλωσις gleichzeitig der homerische Anspruch abge­ sprochen und ein im Sinne des Apollonhymnus negatives Qualitätsurteil zuerkannt würde. Vgl. z. B. Meleagros Ep. 129.4722-29 HE (eine Koronis über Stephanos), dazu B in g Wellread Muse 34-35. Den Effekt des Epigramms trifft W h it e Cleombrotus 156 Anm. 3 6 sehr gut mit der Formulie­ rung „extols a poem at some expense to its poet“. Doch sollte man nicht mit PUELMA Lucilius 139—141 Anm. 2 zu viel aus dem π όνος des ersten Verses herauslesen. Die Einschätzung von KRANZ (Sphragis 61: „läßt das Epos [...] sich selbst verspotten“) halte ich für einseitig, eigenartig (Mühe hat es den Samier gekostet, selbst anonym zu bleiben) SERRAO N uovo Stile 225 und ders. Aspirazioni 932, vergleichbar B a rig a zzi Amore 194: „Egli [ic//. Creofilo] ha ottenuto di cancellare se stesso [...].“ Der hier vorgeschlagenen Inter­ pretation ist schon diejenige DlLTHEYs ähnlich (Cydippa 10), vgl. auch W BURKERT Die Leistung eines Kreophylos [...], MusHelv 29 (1972) 74-85, 76 (leider ohne Diskussion der ge anklichen Struktur), der allerdings glaubt, daß Kallimachos sich hüte, „zwischen Ironie und Anerkennung sich festzulegen.“ Die Extreme bisheriger Interpretation finden sich ebd. Anm. 11: „‘Bewunderung’ fand F. G. WELCKER [...] bei Kallimachos, ‘verächtlich’ fand E BETHE [...] die Verse.“

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Daher verfehlt das Etikett „pesante atacca“ (LEHNUS Regno 104) hier den Sinn.

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I:]£ a sa u b o n u s> Animadversionum in Athenaei Deipnosophistas libri quindecim, Lugdunum 1621, Sp. 147, 111 1: „Constat doctissimum virum calumniandi causam invidentibus praebuisse, quod multa quidem, sed brevia carmina ederet, ipse de hac malevolorum calumnia conquentur in Apollinis hymno [...].“

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PFEIFFER Klassische Philologie 171 im Vergleich mit F 1 P und H2: „[...] μέγας in bezug auf

Literatur ist immer tadelnd“; BORNMANN Callimachea 4 4 , 50; TORRACA Prologo 7 6 —7 7 „[.. ]

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Dieser Ausspruch wurde von Hecker in seinen Commentationes criticae von 1842 sogar dem Aitienprolog zugeordnet.40 Auf der Suche nach der Raffinesse, die die poetologischen Aussagen des Kallimachos gemeinhin auszeichne, wurde man fündig in der vermeintlichen Spannung, die zwischen dem Deminutiv βιβλίον und seinem Attribut μέγα bestehe.41 Nun ist βιβλίον zwar noch morphologisch, seiner Semantik nach aber nicht mehr Deminutiv zu βύβλος/βίβλος, sondern hat von Anfang an neben der Bedeutung ‘Buch’ die Bedeutung ‘Stück Papyrus’, also ‘Geschäftsbrief.42 Dabei muß μέγα dem unvoreingenommenen Betrachter eher als Indikator der Verblassung des Deminutivs als umgekehrt als Bestandteil eines Oxymorons gelten.43 Die skeptische Ansicht dagegen, hier artikuliere sich nicht irgendein poetologischer, sondern einfach bibliothekarischer Mißmut über Bücher unhandlichen Formats, vermag das ungewöhnliche Gewicht zu erklären, das der Epitomist auf ό γραμματικός (— Bibliothekar?) gelegt hat. Kallimachos’ Prosa­ schriften werden gewöhnlich nicht mit diesem Zusatz zitiert. Von den 64 fragmenta grammatica Pfeiffers gibt nur F 465 diesen präzisierenden Hinweis auf die Tä­ tigkeit des Kallimachos.44 Da kein anderer Kallimachos bekannt ist, der diese Be-

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condanna [...] la lunga composizione organica [...] in quanto lunga“; CAPOVILLA Callimaco 1.108; CAPOVILLA Contributi 101-103; B o n e l l i Decadentismo 18; KLEIN Big Book 17 (Verbindung mit „slender Muse“), 21 (= αεισμα διηνεκές), 22 (Bezug zu Apollonius: wie CAPOVILLA Callimaco 2.574); KLEIN Counter-Genre 223 „should be taken to apply more to the contents o f a work than its bulk“; MATTHEWS Antimachos 130 Anm. 11. Das μέγα ποίημα des Scholiasten zu H2.106 stellt wohl eine verfälschende Banalisierung des zunächst unklaren Ausdrucks αεισμα διηνεκές dar und gehört nicht hierher. In der hexametertauglichen Gestalt κακω μ εγά λφ μέγα βιβλίον ϊσον: Vgl. dazu BENEDETTO Sogno 62 und WlLAMOWiTZ Hellenistische Dichtung 1.212, der höhnisch von „schlechten Daktylen“ spricht. CAPOVILLA Callimaco 2.399 „chiastica insistenza“, CAPOVILLA Contributi 100-103: ,,Un’ occasione tanto favorevole per il suo acuto spirito riflessivo e umoristico non puö sfuggirgli“ (Zitat 101), LELIEVRE Big Book 123: „Whether Callimachus is likely to have based a near­ epigram [seil. F 465 P] on a morphological nicety [seil, eben diese Spannung] must remain a matter o f speculation: but the possibility perhaps deserves consideration.“ Vgl. LSJ s. v. 1; F. PREISIGKE, Fachwörter des öffentlichen Verwaltungsdienstes Ägyptens in den griechischen Papyrusurkunden der ptolemäisch-römischen Zeit, Göttingen 1915, 40 s. v. βιβλίον; ders., Wörterbuch der griechischen Papyrusurkunden [...], Bd. 1, Berlin 1925, 267f, ähnlich Bd. 4.363f; LEWIS Papyrus 78f. G. PASCUCCI, Note stilistiche sulFUso del Diminutivo Greco, Studlt 2a s. 37 (1965) 189-240, 209 zu βίβλος/βιβλίον, 210 zu unserem μέγα βιβλίον „svalutazione del suo senso diminutivo conseguente alia presenza dell’epiteto qualificante μέγα [...]“. Vgl. SCHWYZER (oben 67 Anm. 192) 1.471: „Nach und nach verliert sich das Gefühl für ‘deminuierendes’ -ιον [...].“ Dort auch die semantisch ‘echten’ Deminutive von βύβλος: βιβλάριον, βιβλίδιον, βιβλιδάριον. Zu βιβλίον vgl. W. SCHUBART, Das Buch bei den Griechen und Römern. Eine Studie aus der Berliner Papyrussammlung, Berlin 1907, 23: „Am richtigsten scheint [...] byblos und byblion [...] der Jurist Paullus [...] definiert zu haben: es ist nicht Rolle, sondern ein abgeschlossenes Schriftwerk [...].“ Das Wort setzt also keinen Mindestumfang voraus. Γραμματικός wird er meines Wissens sonst einzig vom Verfasser der Apollonios-Vita (A b .5 -6 Wendel) genannt: ούτος [seil. ’Α πολλώ νιος] έμ αθή τευσε Κ αλλιμάχφ έν Α λ ε ξ ­ ανδρεία όντι γραμματικά) [...]. Zu unserem Fragment ähnlich WlLAMOWiTZ Hellenistische Dichtung 1.212 mit dem ganz richtigen Argument, ein langes Buch müsse ein βιβλίον μα­ κράν sein. Zu μακρόν in diesem Sinne vgl. z. B. Philemon F inc.fab. 99.2f, 7 PCG, F adesp.

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rufsbezeichnung verdiente, könnte eine ‘grammatische’ Schrift des bekannten Lite­ raten von dessen Dichtungspolemiken abgehoben worden sein. Da die γραμματι­ κοί Alexandrias ein gewisses Gruppenbewußtsein entwickelt zu haben scheinen,45 mag der Zusatz eine Äußerung bezeichnen, die in dieser Gruppenfunktion getan wird und sich an die anderen Mitglieder eben dieser Gruppe richtet, und somit wieder auf eine Prosa-Schrift verweisen. Natürlich kann man sich auch in Prosa­ schriften poetologisch äußern: Für Προς Πραξιφάνην ist dies sogar sehr wahr­ scheinlich.46 Es hat nicht an Versuchen gefehlt, einen mehrschichtigen Sinn anzu­ nehmen, der poetologischen und bibliothekarischen Sinn vereint.47 Im Gegensatz zu γράμμα allerdings, das auch metonymisch für ‘Gedicht’ gebraucht wird,48 be­ zeichnet βιβλίον das Schriftwerk als materielles Ding: Ein metonymischer Ge­ brauch fehlt ganz (vgl. LSJ 5 . v.), so daß man nicht leicht von der gehobenen Stil­ ebene eines βιβλίον reden wird. Ein ‘langes’ Buch aber wäre ein μακρόν τι und sicher kein βιβλίον, sondern ein γράμμα. Übrig bleibt als nächstliegende Interpre­ tation das seinem Format nach große Buch. Buchgrößen waren einer zeitlichen Mode unterworfen, so daß das Diktum des Kallimachos je nach Begleitumstän­ den gegen die zu seiner Zeit moderne oder die Buchästhetik vergangener Zeiten wettern könnte. Wenn wir beiläufige Bemerkungen bei Cicero und Plinius maior über macrocolla50 anachronistisch für die Zeit des Kallimachos auswerten dürften, ergäbe sich, daß Kallimachos gegen nutzlose Prachtausgaben in einem unprakti­ schen Format wettere. Er äußert sich hier also, modern gesprochen, über peritextuelle Elemente, nicht über einen Text selbst.51 Das episierende Beiwort μέγα (vgl. Anm. 44) verteufelt das ungeliebte Buchformat in der ironischen Pose des Epikers,

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252.1 CGFP (= 1008.1 PCG) μακρολόγος und O l iv a Parodia 31. Ähnlich Μ. M. GILLIES (ed.), The Argonautica Book III, Cambridge 1928, repr. Hildesheim 1973, xliii „no more than thb petulant comment o f a librarian on the inconvenient size o f a papyrus roll“. Vgl. dazu PFEIFFER ad /., dessen Argument, statt μακρόν stehe hier μέγα aufgrund einer Homerreminis­ zenz (O 134, 1 423: μέγα κακόν), allerdings nicht recht zu einer Prosaschrift passen will. Vgl. P a r s o n s Identities 156 mit Hinweisen auf Philikos F 6 7 7 SH und Timon F 7 8 6 SH. B r in k Callimachus & Aristotle 17 Anm. 3, MATTHEWS Anecdotes 4 7 . L el iev r e Big Book 121 („physical size“, „literary judgement“); FERGUSON Callimachus 2 7 vermutet „aesthetic judgement ‘, „librarian’s comment“ und „schoolmaster’s comment“; HOPKINSON Anthology 88 („punning qua librarian“: poetologisch, artistisch, bibliothekarisch). Vgl. z. B. F 398 P, evtl. F 532 P, Asklepiades Ep. 32.961 HE. Zum Format vgl. E. G. TURNER, Greek Manuscripts o f the Ancient World, sec. edit. ed. P. J. PARSONS, Bulletin o f the Institute o f Classical Studies Suppl. 46, London 1987, 19: „Fashions apply to sizes and formats o f manuscripts just as they do to hairstyles.“ mit Anm.”l06, und K r e v a n s Editor 31 ff mit 111-12 Anm. 4 f mit reichlich Material, die nach KENYON die durchschnittliche Größe des Papyrusblattes mit 10 x 7,5 Zoll bestimmt und zusammenfaßt: „The size o f the sheets o f papyrus, the rolls, and the columns o f writing varies considerably.“ (Zitat 31). Bei Plinius NH 13.78 findet sich ein Überblick über die verschiedenen Güten und Größen der Papyrusblätter zu seiner Zeit (vgl. auch L e w is Papyrus 37). Cicero Att. 13.25.3; 16.3.1; Plinius NH 13.80 (mit Hervorhebung der Nachteile dieses For­ mats). Vgl. G. Genette, Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, Frankfurt a. M ./New York 1989 [Original: Seuils, Paris 1987], der die paratextuelle Wirkung des Peritextes ‘Formate’ anhand vorwiegend französischer Buchformate des 18. und 19. Jahrhunderts diskutiert (2 3 -

4.1 Dimensionen: groß versus klein

145

die wir sehr viel ausgeprägter in F 259 SH im heroischen Kampf des mäusegeplag­ ten Molorchos wiederfinden,52 als homerisches μέγα κακόν.53 Wenn also über­ haupt eine Pointe in unserem Fragment zu suchen ist, dann liegt sie in der Verbin­ dung des prosaischen βιβλίον mit dem unbestimmt epischen μέγα κακόν. ‘Aristophanischer’ Sinn scheidet demnach wie ‘pindarischer’ aus. Neben F 178.11 P haben wir hier wahrscheinlich ein weiteres, unpoetologisches Zeugnis der ostentativen kallimacheischen Alltagsästhetik vor uns, die in einer umfassenden Selbststilisierung (vgl. Ep. 28 P) alles Überdimensionale ablehnt. Ob allerdings Ausspruch wie dahinterstehendes Ressentiment emstzunehmen sind, darf wie im Falle der Θρηϊκίη αμυστις bezweifelt werden.54 Quantitative Evaluationskriterien bestimmen Polemik und Apologie im erhal­ tenen Teil des Aitienprologes (F 1 P). Der Leser tut gut daran, sich vor einem In­ terpretationsversuch dieses Textes seine Funktion zu vergegenwärtigen, die nicht darin liegt, einen authentischen Bericht zu liefern.55 Kallimachos stellt eine Gruppe von mythischen Neiderfiguren dar,56 deren Übertragung auf eine neue - die literarpolemische - Ebene der Szene das Ambiente eines poetologischen Kunstmythos verleiht. Die Verbindung von Übel wollen und Handwerkskunst, die die mythi­ schen Teichinen auszeichnet, legen hier die Vermutung nahe, Kallimachos habe sich gegen Polemik von ‘Verseschmieden’ gewehrt. Diese Neiderfiguren greifen den Ich-Erzähler verbal an. Die Szenerie dient offensichtlich dazu, eine Verteidi­ gungssituation gegen den banausenhaften Kritiker zu schaffen und den Leser in diese Abwehrhaltung einzubeziehen, um ihn so für den Autor zu gewinnen. Kalli­ machos reagiert mit der Abwehr telchinischer Polemik nicht auf einen Erwar­ tungshorizont des Publikums,57 sondern bietet eine negative Identifikationsfigur: 52

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Dazu ähnlich PARSONS Identities 169: „domesticated heroism, ironic contrast“, FÜHRER Epinikien 70 und 104f, die Anm. 400 instruktiv Boethos’ ‘Ganswürger’ (München, Pinakothek 268) als Stimmungsparallele heranzieht. Vgl. auch E. LlVREA, Callimachi Fragmenta De Muscipulis, in: Studia Hellenistica [wie oben 116 Anm. 30]; 1.175-180, der 178f Reminiszenzen und Phraseologieähnlichkeiten in Batrachomyomachia und Katomyomachia feststellt: Der Ton ist also eindeutig der einer Eposparodie. Vgl. oben 144 Anm. 44. Eposparodisch dieselbe Formulierung auch bei Aristophanes Thesm. 394. Schon DlLTHEY sah hier ein „dicterium [...] iocosius“ (Cydippa 25). WlLAMOWlTZ markiert mit seiner prägnanten, aber meines Erachtens sachlich unrichtigen Formulierung „Kallimachos ist durch [...] den Prolog der zweiten Ausgabe der Aitia erst eine wirkliche Person geworden“ (Brief vom 28 IV 31 an James Loeb, ediert von W. M. CALDER III, Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff to James Loeb: Two Unpublished Letters, ICS 2 [1977] 3 15-332, hier 326) die bis heute vorherrschend biographistische Interpretation dieses Textes. Vgl. zum mythologischen Hintergrund und den verschiedenen Aspekten der Telchinenbenennung z. B. DE VlCO Contemporanei 352 mit Anmm. 2-3; P. WALCOT, Envy and the Greeks. A Study o f Human Behaviour, Warminster 1978, 78-79; KAPPEL Paian 113 Anm. 89; D a s e n Dwarfs 196f; AMBÜHL Arcadian Asses 211; LlVREA Somnium 52; DEFOREST Callimachean Epic 29f. Zu έπιτρύζω vgl. RENGAKOS Kallimachos 36 (Kallimachos verwendet ein homeri­ sches απαξ nach den D-Scholien). Zur Ergänzung des Verses 7 vgl. MEILLIER Invective et Songe 39, LEHNUS Ά λ ιτ ρ ό ν 9fund HOPKINSON Anthology 93. So M eyer Leser 171 (vgl. unten 215: Die Forderungen der Teichinen lassen sich keinem historisch belegbaren, theoretisch-expliziten Erwartungshorizont zuweisen).

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4 Quantifizierende Antithesen

den ignoranten Aggressor. Ziel dieser Strategie (und ihre Wirkung bis heute) ist der Schulterschluß von Autor und Rezipient gegen die ignorante Aggression und der daraus resultierende Sympathiegewinn für den Autor. Dieser Sympathievorsprung sichert eine wohlwollende Rezeption der folgenden Aitia. Abgesehen da­ von, daß die Telchinen-Identifikationen des „nennfreudigen“ (Wimmel) Florenti­ ner Scholiasten kein Zutrauen verdienen,58 ist für das Funktionieren der beschrie­ benen Situation nicht einmal die Historizität der Telchinen-Invektive überhaupt unabdingbar. Wenn Kallimachos die Teichinen nicht namentlich oder durch be­ stimmte Attribute bezeichnet, sieht er es offenbar nicht als notwendig an, daß sein Rezipient hier bestimmte Individuen vor Augen habe. Behandelt man die Gruppe der Teichinen als eine fiktive Konkretion möglicher Kritiker, muß die Sympathie­ lenkung des Rezipienten noch vollkommener funktionieren. Die Erfindung eines solchen Angriffs dient der Abwehr aller denkbaren Gegner des folgenden Gedichts und gewährleistet nur dadurch die Totalität der Rezeptionssteuerung. Für die mythosahnliche Schlußszene des Apollonhymnos und den 13. Jambus ist ein ähnlicher Prozeß anzunehmen.59 Für diese Technik ergeben sich bei Philodem vielleicht ent­ fernte Parallelen,60 bei Horaz und in mittelhochdeutscher Dichtung wahrscheinlich 58

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Vgl. dazu die unten erwähnten Arbeiten vor allem von L e f k o w it z und RENGAKOS (llO f Anm. 4). Daß Asklepiades und Poseidippos biographisch eng zusammengehören, zeigt C a m e r o n Anthology 369-371 und ders. Mistresses 287-304 deutlich: Doch ergibt sich dar­ aus noch nichts für eine Opposition zu Kallimachos. Wenn Hedylos eng zu Poseidippos und Asklepiades gehört und wirklich er Kallimachos’ Epigramme kommentiert hat (so C a m e r o n Anthology 370), wird diese Opposition vielmehr unwahrscheinlicher. Wenn sich weiter der theokriteische Simichidas auf Asklepiades und Philitas beruft {Eid. 7.39f), Lykidas ihm aber mit einem strukturell kallimacheischen Bild zustimmend antwortet (45-48), wird die Wahr­ scheinlichkeit für eine strikte Opposition Asklepiades versus Kallimachos noch geringer (vgl. unten 198). Ob ‘Asklepiades’ Ep. 35.977 HE sich wirklich polemisch auf Kallimachos H5.2 bezieht, wie C a m e r o n Mistresses 2 9 8 f („transference as a whole from a solemn, hymnic context to a crude, erotic context“ 299) meint, läßt sich nicht erweisen. Hier sei schließlich darauf hingewiesen, daß die bisher ungeklärte Formulierung des Scholiasten Π οσειδίππφ τφ ovo (5 P) sich eventuell auf den (sprichwörtlichen! Vgl. dazu unten 195 Anm. 269f) θ όρ υ β ος όνων (F 1.30 P) bezieht. Der Scholiast könnte, ebenso wie hier die Teichinen, dort die Esel ‘identifizieren’. Dies hätte katastrophale Folgen für die Glaubwürdigkeit des Scholions. Dem­ gegenüber sind die Versuche, aus Poseidippos’ Werken Grund für die Gegnerschaft zu Kalli­ machos zu gewinnen (z. B. bei F e r n ä n d e z Posidipo 16 und 42), wenig überzeugend. Jüngst hat LEHNUS vorsichtig (Dionisii 28) die beiden Dionysioi (Σ Flor. 3 P: Δ ιονυ σία ς δυ[σί]) mit Dionysios Skythobrachion und Dionysios Κ υκλογράφος zu identifizieren versucht (Dionisii passim, mögliche Differenzen zwischen den beiden und Kallimachos 26f). Allerdings können gerade solche Fakten den Scholiasten dazu gebracht haben, die beiden hier einzureihen: Bei Dionysios Κ υκλογράφος könnte dazu schon der Beiname ausgereicht haben. Jüngst rechnet auch CAMERON Critics 2 (in anderem Zusammenhang) für den 13. Jambus mit der Fiktivität des Vorwurfs der πολυείδεια, der in Wirklichkeit nur „a neat and vivid device by which the poet boasts o f his versatility“ sei. CAMERON allerdings hält die Kritiker selbst für real. lm Traktat Περί Ποιημάτων apostrophiert Philodem Gegner, die ihm zu sehr auf klangliche Effekte achten, als Κ ορΰβαντες (F. SBORDONE [ed.], Φ ιλοδήμου περί Π οιημάτων 111 Ricerche sui Papiri Ercolanesi 11, Napoli 1976, 201; F c, col. II 5-13). Der Konstitutionspro­ zeß der Benennung ist durchsichtig: Die Fixierung auf akustische Phänomene ist hier offenbar ausschlaggebend gewesen (so auch ASMIS Epicurean Survey 399). ln seiner Rhetorik (F.

4.1 Dimensionen: groß versus klein

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engere.61 Die Voraussetzung von Kritikern durch einen Dichter dient dabei als de­ monstrativer Hinweis auf seine eigene Bedeutung und läßt keinen Schluß auf deren historisch-reale Existenz zu. Ob man die Teichinen nun jedoch als Maskeraden historischer Kallimachos-Kritiker ansieht und damit dem Aitienprolog einen Ort (welchen auch immer) in einer historischen Debatte zuweist, oder ob man, wie es eben vorgeschlagen wurde, die gesamte Szene in allen ihren Elementen für fiktiv hält und damit dem Aitienprolog vorwiegend die Funktion der Sympathielenkung zuweist, macht für die im folgenden vorgeschlagenen Interpretationen keinen Un­ terschied. Die diagnostizierten Prozesse der assoziativen Rezeptionslenkung funk­ tionieren auch bei einer historisch identifizierbaren Kritikergruppe. Aber zurück zu den Quantitäten: Die Teichinen greifen Kallimachos an, weil er kein άεισμα (3) έν πολλαις [...] χιλιάσιν (4) produziere, sondern sein έπος [...] έπί τυτϋόν έλ[ίσσει (5, -ισσω suppl. Hunt). Die schwierige Exemplareihe der Verse 9-12 leitet Kallimachos mit dem auf die Teichinenpolemik der πολυστιχία offensichtlich reagierenden Schlagwort [ολιγόστιχος ein: Die Antithetik der Quantitäten fuhren πολύ την μακρήν (10), vielleicht αί κατά λεπτόν (11),62 und ή μεγάλη [...] γυνή fort. ‘Groß’ begegnet uns weiter in den Massagetenversen (13 nach der Vermutung Pfeiffers [1948]63 und sicher 15 μακρόν) und schließlich im Kilometermaß der σχοΐνος Περσίς (18). Kallimachos lehnt einen ‘μέγα’ tönen­ den Gesang ab (19), und Apollon legt ihm die Μούσα λεπταλέη ans Herz (24). Zunächst fällt hier die Entwicklung von präzisen zu metaphorischen Antithe­ sen auf: Πολλαί χιλιάδες (seil, στίχων) bedürfen ebenso wie ολιγόστιχος keiner Interpretation, die Werkspersonifikationen der Verse 9-12 werden in ihren quanti­ tativen Beziehungen untereinander bereits unklar, die Funktion der Kraniche und Massageten weist dann neben quantitativen bereits akustische Aspekte auf und die Antithese von Ούος und Μούσα organologische. Aus diesem Gewirr von proprie und translate gebrauchten Ausdehnungsbegriffen aus Größen, Längen, Akustik und Organologischem ist zuerst die Grundopposition ‘groß versus klein’ zu unter­ suchen.

LONGO AURICCHIO, Φ ιλοδήμου περί 'Ρητορικής 1-11, Ricerche sui Papiri Ercolanesi III, Na­

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poli 1977, 109; B col. 3 1.19-30 [1.60.30 SUDHAUS]) kehrt die despektierliche Bezeichnung in der polemischen Diskussion wieder, ob die πολιτική wirklich eine τέχνη sei. Im Gegensatz zum ersten Fall (dort waren offenbar Krates und seine Anhänger gemeint: col. XXVI 7-11) sieht man im zweiten weder Sinn noch Zielgruppe. Die Bemerkungen, die WILLIAMS Tradition & Originality 568-69 über die Kritiker in ep. 1.19 macht („[...] these envious critics are creations o f Horace’s poetical imagination, but this by no means implies that they did not exist in Rome at the same time: the poem is not, on its own, hard evidence o f their existence“), passen ebensogut auf die kallimacheischen Telchinen, ohne daß Horaz hier von Kallimachos abhängig sein müßte. Immerhin schließt WILLIAMS aus einer „topic o f Envy“ bei Kallimachos, Horaz, Properz und Ovid auf eine größere Verbreitung dieses Motivs in hellenistischer Dichtung. Zum erfundenen Kritiker in der mittelhochdeut­ schen Dichtung vgl. OBERMAIER Nachtigallen und Handwerker 359f. Suppl. ROSTAGNI. Vgl. unten 156, 180 Anm. 204. Wogegen er 1928 noch [κ λ α γ γ ]ό ν supplementierte: PFEIFFER Altersgedicht 305, 315-316. Vgl. unten 199f mit Anm. 288.

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4 Quantifizierende Antithesen

Einer der wenigen Begriffe, die in diesem Geflecht klar erscheinen, sind die „Tausende“ {seil, von Versen), deren Fehlen die Teichinen offenbar zur Kritik an Kallimachos motiviert. Kallimachos selbst lehnt diesen quantitativen Maßstab ab: Mit τέχνη werde man der σοφίη gerecht, nicht mit der σχοΐνος Περσίς. Hier wird nicht das große zugunsten eines kleinen Maßes verworfen, sondern das quantitative, das akzidentiell groß ist, zugunsten eines qualitativen: Nur dies kann die Gegenüberstellung von τέχνη und σχοΐνος meinen, da τέχνη keine quantita­ tive Kategorie bezeichnet.64 Schon der Gegensatz von αεισμα (3),65 das die tradi­ tionelle Pose des Rhapsoden evoziert,66 und έπος έλίσσειν (5),67 dessen vehicle sich auf den beim Lesen und Schreiben unumgänglichen Vorgang des Rollenwikkelns, also die neue Schriftlichkeit, bezieht,68verrät einen tiefergehenden Konflikt, als es ein Streit um das oberflächliche und uneindeutige Kriterium der Gedichtlän­ ge69je sein könnte: Es geht um das Selbstverständnis des Dichters, das sich in sei64

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FÜHRER Pindaric Feature 53 grundsätzlich richtig, doch mit einem merkwürdigen τέχνη Begriff (als Qualität des Produzenten, nicht des Rezipienten), der gerade hier nicht paßt. Σοφίη muß sich hier auf den zu beurteilenden Autor, τέχνη auf den Beurteiler als ‘Kunstverstand’ beziehen. Seil, vielleicht ράπτειν, ύφαίνειν o. ä.: Vgl. F 26.5, 8 P. Dieser Kontrast erscheint aber nur hier so deutlich: Sonst ist SZASTYNSKA (Alexandrian Epi­ grammatists 226) darin Recht zu geben, daß αεισμα, έπη und sogar ρήσιες „quite loosely“ benutzt werden. Die Ergänzung H u n t s wird jetzt wieder von L e h n u s Callimaco 24 bezweifelt, der für FRIEDLÄNDERs Ergänzung έλ[αύνω Metrodoros Ep. 14.121.10-11 AP als Stütze heranzieht: Doch folgt aus dem recht deutlichen Kallimachos-Zitat des Verses 10 (δισσάς ηνυσα χιλιάδας: al­ lerdings unpoetologisch von Reiseentfemungen!) noch nicht, daß der nächste Vers (προς δ’ έτι πένα’ επί ταΐς εκατοντάδας ένθ εν έλαύνων) ebenfalls noch Kallimachos zitiert. CAPOVILLA Contributi 111-19 versucht, das έπος τυτθόν mit konkreten Dichtungsarten zu identifizieren (Apollonius): ein Zirkelschluß. Ganz ähnlich interpretiert COPPOLA Prologo 5 0 52 die beiden Begriffe als Umschreibung des technischen Begriffs ‘έπ ύλλιον’. Zu έλίσσω vgl. Kallimachos F 468 P γράμματα [...] ούχ εϊλισσεν άπόκρυφα und vor allem Poseidippos F 705.16 SH βίβλον έλίσσων, dazu Nonnos Ev. loh. 7.191 βίβλον έλίσσων, Ep. 9.540.1 AP ε ϊλ ε ε βίβλον und eventuell κυλίων ρήματα GLP 106.3f (Apollonios Argon. 1.463 gehört nicht hierher). Zur lateinischen Rezeption vgl. Ennius Ann. 6.164 evolvere mit SKUTSCHs Kommentar ad /., Lukrez 1.954 evolvamus. DURANTE Terminologie 2 7 5-77 leitet das Bild wenig überzeugend vom Spinnen her. Das Supplement F rjedl An d e r s (Retractationes 383) έλ[αύνω gewinnt vor dem Hintergrund von Kallimachos Ep. 1.9-12 P eine gewisse Suggestivität, ergäbe aber keinen Gegensatz zu αεισμα: Die Wickelmetapher scheint besser belegt. Mit F r ie d l ä n d e r sympathisiert T o r r a c a Prologo 29. Die von P fe if fe r Altersgedicht 311 gegen die Schriftlichkeitsdeutung vorgebrachten Argumente überzeugen mich nicht (er rech­ net noch nicht mit Poseidippos). KOSTER Epostheorien 118 konstruiert die Gegensätze άεισμα: έπος und διηνεκές: έπί τυτθ όν meiner Ansicht nach verzerrt, weil er das Bild des Rol­ lens und damit der Schriftlichkeit nicht erklären kann: αεισμα (gesungenes Lied) ist vielmehr Antithese zur gesamten Schriftlichkeitsmetapher der Verse 5-6, π ολλα ι χιλιάδες eine der er­ sten untergeordnete zweite Antithese zu τυτθόν. Zur Frage nach der Tmesis eines Verbs έφελίσσειν vgl. PFEIFFER ad l. Daß es natürlich Literaturkritik gibt, in der Quantitatives auch theoretisch eine zentrale Rolle spielt, sei nicht bestritten: Für frühislamische arabische Literatur vgl. dazu GELDER Beyond the Line 25 (mit überraschenden Parallelen zum herkömmlichen Verständnis der hellenisti­ schen Quantitätsdebatte), für hochmittelalterliche westeuropäische ECO Bellezza 55ff.

4.1 Dimensionen: groß versus klein

149

ner Arbeitsweise deutlich zeigt und in seinem Stil manifestiert. Welche Funktion erfüllt dabei aber der Kindervergleich (6 παΐς ατε), der syntaktisch noch in die Invektive der Teichinen hineingehört?70 Man hat ihn gedeutet als eine poetologi­ sche Identifikation von Spiel und Dichtung.71 Dieser Ansatz erklärt aber nicht den polemischen Gehalt des Telchinenvorwurfs und muß daher aufgegeben werden. Im fiktiven Rückgriff der Apollonvision erzählt Kallimachos von sich selbst als einem ABC-Schützen: καί γάρ οτε πρώτιστον έμοϊς έπί δέλτον εϋηκα / γούνασιν (21-22), einem Bildungsstadium, das damals wie heute notwendig mit Schriftlich­ keit verknüpft war.72Die gesamte Visionsszene ist nur als Apologie des παΐς-ατεVorwurfs der Teichinen zu verstehen: Kallimachos läßt sie ihm vorwerfen, daß er als älterer Mann (6 των δ’ έτέων ή δεκάς ούκ ολίγη) immer noch wie ein Ele­ mentarschüler an die Schreibtafel geklammert dichte.73 Diese Diskrepanz74 ist der Kern der Polemik. Sie zielt auf die vermeintliche Unsicherheit und Unselbständig­ keit, die mangelnde Souveränität eines Autors, der nicht nur konzeptuell schrift-

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Die Perspektive ändert sich natürlich grundlegend, wenn man den Satz schon als von Kalli­ machos selbst in der Entgegnung gesagt versteht (so etwa KERKHECKER Musenanruf 23 mit Anm. 2 0 und Verweis auf PUELMA). Doch ist dies aufgrund des δ ’ in Vers 5 unwahrschein­ lich, das den zweiten Teil der Telchinenpolemik bildet, während Kallimachos erst in Vers 7 wörtlich auf die von ihm in indirekter Rede berichtete Invektive entgegnet. Vgl. SNELL Entdeckung 249, M u t h Poeta ludens 259 Anm. 33, GOLDHILL Allusion 2 f mit Anm. 5, WEBER Dichtung & höfische Gesellschaft 188. Zum Begriff der ‘hellenistischen Lite­ raturtheorie des Spiels’ vgl. auch PARSONS Identities 164 mit Anm. 113. Vgl. dazu unten 210. Hier scheint der Begriff nicht zu passen: Wie und warum sollte ein Kind ein έπος έπί τυτθόν έλίσσειν, außer beim Schreiben? Falls Λ ύκιος auf das Λ υκ εΐο ν des Peripatos anspielt (was aber wohl nicht wahrscheinlich ist: Vgl. unten 192f), könnte auch ein weiterfuhrendes Bildungsstadium gemeint sein: Vgl. CAHEN Callimaque 649, POEILENZ Antwort 63-64 Anm. 1 mit Verweis auf ROSTAGNI. Ob Kallimachos allerdings selbst jemals in Athen war (so E. ROHDE, Der griechische Roman und seine Vorläufer, Leipzig 31914, 106f Anm. 3), bleibt unsicher (mißverständlich FABIAN Litera­ turgeschichte 315): Das attische Didaskalienfragment Κ αλλ[ auf Kallimachos zu beziehen und ihn in Verbindung mit der Behauptung der Suda, Kallimachos habe Dramen geschrieben, an dramatischen Wettbewerben teilnehmen zu lassen, ist wohl zu kühn: Zum inschriftlichen Befund vgl. H. J. METTE, Urkunden dramatischer Aufführungen in Griechenland, Texte und Kommentare 8, Berlin/New York 1977, 177, C 1, col. 7.3 (= T *2 PCG). LEHNUS (wie oben 12 Anm. 9) behandelt dies als Novum, Dubium wäre aber wohl vorziehen. Aus dem oben 138 mit Anm. 17 besprochenen Epigramm geht wohl kaum zwingend hervor, daß Kallimachos selbst Dramatiker gewesen ist. LATACZ Plappermäulchen 83 erkennt als erster den Vorwurfscharakter des παΐς ατε, nicht aber den Bezug zur Apollonvision, wodurch seine Interpretation schief wird: Wie kann in ei­ ner Gesellschaft, deren literarische Avantgarde von Epigrammatikern dominiert wird, jemand einem Dichter die Produktion von ‘Kleinform’ zum Vorwurf machen? Die Erklärung, die CLAYMAN Origins 31 vorschlägt (Vergleich mit Ps.-Longinos 30.2), überzeugt nicht: Eine Parallelität der beiden Äußerungen läßt sich nicht erkennen. Deshalb ist es unsinnig, aus dieser Stelle schließen zu wollen, daß Kallimachos selbst noch wirklich παΐς sei, und so Datierungshilfen für den Aitienprolog zu gewinnen: so CESSI Αίτια 98.

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4 Quantifizierende Antithesen

lieh, sondern sogar unter Heranziehung von Fachliteratur75 und so notwendigerwei­ se zögerlich und skrupulös komponiert, letztlich also auf die poetischen Resultate dieses Arbeitsstils. Wer so arbeitet, kann „seinen Vers stets nur auf eine kleine Strecke vorwärtsbringen“76 - wie ein Kind, das Schreiben lernt.7778Die Kritik zielt auf die Produktion von „poesia da tavolino“ n Kallimachos reagiert darauf, indem er die Apollonvision in ein dieser Technik auch aus der fiktiven Sicht der Teichi­ nen angemessenes Setting versetzt. Daß πρώτιστον die Kindheit, die ersten Schreibübungen und nicht den Anfang des Werkes selbst79 meint, sichert die Po­ larität von Kindheit und Alter, die in den Versen 37—38 die Musenlieblinge, sei es als παΐδας, sei es als πολιούς, der Gnade der Inspiration versichern. Zusammen­ genommen mit der helikonischen Traumszene, die Kallimachos offenbar in ju ­ gendlichem Alter schildert (άρτιγένειος ών Σ Flor. 18 P), wird im Aitienprolog zweiter Edition eine autobiographische Perspektive ununterbrochenen Musenbzw. Apollondienstes kenntlich. Die im Begriff des έπος επί τυτθόν έλισσόμενον implizierte Polemik der Teichinen orientiert sich also genausowenig wie die Apologetik des Kallimachos an einem poetologiemetaphorischen Quantitätsbe­ griff, sondern an seiner Produktionstechnik,80 die es ihm nicht ermöglicht, impo­ sante Mengen in kurzer Zeit zu schreiben. Wenn die Quantifikationen des Aitienprologs hier nur stilmetaphorisch ge­ meint sind, warum werden die Teichinen dann mit einer Polemik eingefuhrt, die eindeutig auf die Zeilen- oder Versmenge (πολύ- versus όλιγοστιχία) der zur Disposition stehenden Literatur zielt? Weil Kallimachos ihre Polemik verzerrt. Hier handelt es sich nicht um die getreue Wiedergabe einer literarkritischen Debat­ te in ihrer Historizität,81 sondern einer der Gegner läßt den andern auftreten, insze-

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RENGAKOS Apollonios 2 2 erscheint „die Vorstellung eines ständig in seinem Homerlexikon herum blätternden [...] hellenistischen Dichters [...] recht fraglich“, doch ist offenbar gerade dieses Recherchieren (natürlich nicht nur im „Homerlexikon“) hier gemeint. Ob man dabei ‘Tmesis’ eines Verbs έ φ ε λ ί σ σ ε ι ν und τ υ τ θ ό ν als reinen Distanzakkusativ annimmt oder das Simplex mit einer präpositionalen Richtungsangabe versieht, macht inhalt­ lich keinen Unterschied.

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Ä h n lich bereits A . VOGLIANO bei COPPOLA C irene 122 (v g l. ebd. 4 0 und 172).

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FALIVENE Mimesi 103, in sich unsinnig die Übersetzung ZANKERs (Realism 155). M e y e r Leser 173 f erklärt den Vorwurf vor dem Hintergrund der „Analogie eines menschlichen Ma­ ßes wie Alter (mit der Assoziation der Körpergröße) mit dem Umfang der Dichtung“. So z. B. der Verfasser der B a tra c h o m y o m a c h ia (2f), vielleicht Ovid Fast. 1.93ff, H0GEL Poe­ tic I 280, KREVANS Editor 34: „first draft o f poetry“, wofür man δ έ λ τ ο ι natürlich genausogut wie für Schreibübungen benutzen kann. Dies beweist z. B. Poseidippos F 705.6 SH. Für die Kindheitsinterpretation ebf. KOSTER Apollonpriester 9, andeutungsweise ähnlich H a r d e r Some Thoughts 25.

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KOSTER Epostheorien 119 (allerdings zu Vers 17f): „Das rational-technische Schaffen ist für Kallimachos das gültige.“ trifft hier das Richtige.

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Alle Vertreter von ‘HERTERs Gesetz’ (vgl. unten 152 Anm. 86) verstehen den Aitienprolog biographistisch. Besonders deutlich auch L o h s e Aitienprolog 3 4 , der das von uns konstatierte ‘shifting’ im Kern richtig beobachtet, aber mißdeutet: „Es ist deutlich, daß Kallimachos der in der ‘Teichinen’-Kritik erkennbaren Diskussion, ihren Begriffen und ihrer Argumentations­ ebene ausweicht.“ Dem aber, was man selbst gestaltet, wenn nicht ganz erfindet, muß man wohl kaum ausweichen.

4.1 Dimensionen: groß versus klein

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niert dessen Polemik: natürlich nicht mit validen Argumenten, sondern als Karika­ tur jeder möglichen Kritik, d. h. mit verzerrten oder lächerlichen Positionen,82 de­ ren Widerlegung um so suggestiver erscheinen muß. Schon mit der Formulierung des Angriffs muß der Rezipient davon überzeugt sein, daß dieser haltlos ist. Diese Annahme gilt schon für einen historisch realen Gegner, wieviel mehr erst für einen fiktiven! Die bloße Feststellung, daß Kallimachos großen „Eifer und persönliches Engagement“ zeige,83 hilft nur dann weiter, wenn man den gesamten Text als po­ lemische Äußerung liest, als prologus galeatus.84 Dieselbe Technik beobachten wir in der ouö’-öaa-Polemik des Μώμος aus dem Apollonhymnus. Um die Behaup­ tung, nur lange Dichtung sei gut, bequem zu widerlegen, braucht Kallimachos hier nur vier Verse (9-12), sein Apollon selbst nur einen mehr (H2.108-112). Kallimachos stellt die polemische Antithese des Tang versus kurz’ als den wesentlichen Punkt seiner Kritiker hin, um den Kredit aus der leichten Widerlegung einer so naiven Maxime wie ‘big is beautiful - and big only’ für die gesamte Auseinander­ setzung mit seinen Stilgegnem auszunutzen: Ist epischer (= ‘hoher’) Stil mit dem akzidentiellen ‘groß’ einmal metaphorisiert, so kann die folgende Ausfaltung in organologische und akustische Metaphern mit ihrem Bekenntnis zum Dünnen und Leisen sich der Sympathie eines Lesers bedienen, der die Akzidenz der Größe als Argument verwerfen mußte und damit auch das substantielle Kriterium der geho­ benen Stilebene ablehnt. Die deutliche Abgrenzung von Quantität und Stilhöhe wird durch die folgenden antithetischen Metaphern weiter verwischt. Diese kalku­ lierte Unschärfe und die damit verbundene Affektsteuerung des Lesers dienen of­ fenbar nicht der ernsthaften Diskussion poetologischer Differenzen,85 sondern si­ chern auf einer fiktionalen Ebene die Solidarität von Leser und Autor gegen den inkompetenten Kritiker, der von außen die Harmonie zwischen Autor und Rezi­ pient zu stören sucht - eine suggestive Form der captatio benevolentiae. Ein ähnli­ cher Prozeß läßt sich für F 203 P wahrscheinlich machen (vgl. unten 165). Es ist deutlich, daß der ‘pindarische’, also proprie aufzufassende Teil der Begriffsstruk­ tur ‘groß versus klein’ der Ausgangspunkt für die poetologische Metaphernbildung 82

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Bei ansonsten divergierenden Auffassungen sind HUNTER Argonautica 190-191 und ich un­ abhängig voneinander in diesem Punkt zu einer ähnlichen Ansicht gelangt. Ähnlich auch HEATH Unity 58 „mocking distortion“ mit Anm. 5. Spöttelnd kritisiert LEFKOWITZ Poets 124 vollkommen zu Recht die biographistischen Tendenzen moderner wie antiker Philologen: „To refer to the Aitia prologue as ‘Reply to the Telchines’ is rather like calling the end o f Pythian 2 ‘Reply to the Foxes’.“ Trotz seiner Kritik an LEFKOWITZ deutet auch CAMERON Critics 4 (im Zusammenhang der Datierungsdiskussion) den Telchinenvorwurf als Verzerrung einer emstzunehmenden Kritik, wie ich jetzt sehe. W e b e r Dichtung und höfische Gesellschaft 164: Die Problematik des gesamten konventionel­ len Ansatzes liegt meines Erachtens darin, daß man die Debatte als historisch gegeben be­ trachtet und nun Kallimachos’ Verhalten in dieser Situation beschreibt - die aber doch ganz auf Kallimachos basiert: Kallimachos schildert sich dem Leser als in einer Situation befind­

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lich. Den Begriff verwenden beiläufig A. F. N a EKE, Callimachi Hecale, in: F. G. WELCKER (ed.), A. F. Naekii Opuscula philologica II: Callimachi Hecale, Bonn 1845; 28 und DlLTHEY Cydip-

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pa 25 Anm. 1. Eine metaphorische Deklaration poetologischer Grundsätze muß ihren apologetischen Zweck verfehlen, sofern sie keinen sicheren Hinweis auf den tenor ihrer Metaphern bietet.

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4 Quantifizierende Antithesen

eben dieser Antithetik wird, die dann ‘aristophanisch’ in weiteren quantifizieren­ den Oppositionen fortgesetzt wird. Wer die Quantitätsfixierung der Teichinen für bare Münze im Sinne historischer Glaubwürdigkeit nimmt, ist der Strategie des Kallimachos, diesem schleichenden Übergang vom Buchstäblichen zum Metapho­ rischen, erlegen.86 Kallimachos geht es also unserer Auffassung nach nicht um Quantitäten.87 Daß Grammatiker ihr Augenmerk durchaus auch auf Quantitatives legten, be­ weist der Papyrusfund eines hellenistischen Kommentars, vielleicht zu den Argonautika des Kleon von Kurioi (F 339A SH), der sich quantitativer Kategorien wie σύντομος und in peripatetischer Tradition stehender (dazu unten 218 Anm. 51) narratologischer wie συνεχής bedient,88 doch spricht nichts für die kühne Annah­ me, hier habe es sich um mehr als akzidentielle Umfangs- und Strukturbeschrei­ bungen gehandelt. Eine Verknüpfung mit ästhetischen Urteilen begegnet nicht. In der späteren Rhetorik sind Quantitätsbegriffe meist stilmetaphorisch gebraucht.89 86

Die Fraktion derer, die die Ansicht vertreten, daß es Kallimachos essentiell um den Gegensatz von kurzen und langen Gedichten gehe, ist stark und kompetent, e. g.: L o b e l Callimachea 32, H e r t e r Bericht 213-215, JACQUES Acrostiche 53, KOSTER Epostheorien 116-118, TORRACA Prologo 75, H e r t e r Kallimachos 195, 250 ( ‘H er ters Gesetz’ - meine Bezeichnung): „Sein Kunstprinzip [...] ist auf die einfache Formel zu bringen: ein Gesang, der eine durchlaufende Handlung hat (διηνεκές) und darum ein einheitliches Werk (έν) ist, darf nur geringen Um­ fang haben, während ein langer Gesang kein solches έν και διηνεκές sein soll, sondern ver­ schiedene Handlungen umfassen und so aus kleinen Einheiten zusammengesetzt sein muß. Dieses Prinzip hat unumstößlich und unveränderlich für K[allimachos] gegolten [...].“ H e r t e r verwechselt meines Erachtens akzidentielle Kürze und substantielles Form(= Stil) Ideal. Neuere Vertreter dieser Position sind WILLIAMS Apollo 86 (einschränkend), KÖHNKEN Envy 415, P o l ia k o f f Nectar 47, SCHWINGE Künstlichkeit 15-17 (vermittelnd: quantitative Priorität habe qualitative Valenz), R ie d w e g Reflexe 130 mit Anm. 38. H a in s w o r t h Idea o f Epic 58 zeigt die Auswirkungen der kallimacheischen Strategie, wenn er sich unsicher zeigt, „whether Callimachus saw a necessary connection between length and morbid style“. 87 Mit anderen Argumenten vertreten die Priorität qualitativer Aspekte: Zuerst J HEUMANN De Epyllio Alexandrino, Königsee 1904, 10-11 (über Σ H2.106): „[...] magnitudo ipsa ei [seil. Callimacho] causa offensionis esse non potuit.“ (Zitat 5); REITZENSTEIN Stiltheorie 32 (vermittelnd); E r b s e Apollonhymnus 426 Anm. 3; Q u a d l b a u e r Genera dicendi 71-72; W ehrli Stil 30-31; N e w m a n New Poetry 48, 50-51; LOHSE Aitienprolog 27; N e w m a n Epic 345-7, dessen vermittelnde Auffassung, Kallimachos schreibe ‘Kleindichtung’ weil seine formalen Ansprüche ihm keine Zeit für Großepen ließen, bereits durch die Aitien selbst wider­ legt wird; KLEIN Big Book 18, 22; TÖCHTERLE Μ εγάλη γυνή 229-230; FUHRMANN Dich­ tungstheorie 200, CAMERON Genre & Style 310 („who ever heard o f anyone being criticized for not writing a long enough poem?“) und jüngst G a r g iu l o Bilancia 126-127, der allerdings bei Aristophanes und Kallimachos die Intention vermutet, den quantitativen Maßstab durch le Absurdität seines Einsatzes zu diskreditieren, also dessen Historizität für die Polemiker doch voraussetzt.

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Der gmmmaticus anonymus vergleicht u. a. Apollonios (10, 33), Kleon (3) und Dionysios Skytobrachion (6), wobei Quantität und Kontinuität eine Rolle zu spielen scheinen: 9 στίχοις διαθεμενος, 11 σύντομός τις, 15 έναντίως έχ ε ι μακροτερ-, 17 σ υνεχέσι και πολυστιχοις. LEHNUS Dionisn 2 7 schließt aus diesem Papyrus auf eine Gegnerschaft des Dionysios Skythobrachion zu Kallimachos. HOOK Terminology 20 mit Beispielen für μ έ γ ε ύ ο ς , μ ικ ρ ό τ η ς , μ ικ ρ ο λ ο γ ία . Vgl. vor allem

s.- onginos μ ε γ α λ η γ ο ρ ία , μ ε γ α λ ο ρ ρ ή μ ω ν , μ ε γ α λ ο φ υ ή ς , μ έ γ α ς , μ ε γ ε ύ ο π ο ι έ ω , μ έ γ ε ύ ο ς ,

4.1 Dimensionen: groß versus klein

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4.1.1 Die Werkspersonifikationen der Verse F 1.9-12 P Diese vier Verse sind eine einzige crux.90 Wir geben uns mit der vagen Einsicht zufrieden, daß die Einleitung ολιγόστιχος antithetisch auf die πολλαί χιλιάδες der Teichinen (4) bezogen ist: Nach der schmähenden Anrede, die mit έπιστάμενον (8) endet, muß hier ganz kurz der schlagende Einwand gegen die exklusive Norm der Größe gebracht worden sein, wohl in Form einer empirischen Falsifikation: etwa „x war doch auch geringzeilig!“,91 wobei x eine akzeptierte Dichterpersönlichkeit vorstellt, deren kurze Werke sich allgemeiner Beliebtheit erfreuen.92 Das rein defensive Argumentationsziel ist hier nicht der Nachweis, daß umfangreiche Werke schlecht seien, sondern daß auch solche von geringem Um­ fang gut sein können. Eine sehr ähnliche Argumentationsstruktur finden wir bei Antipater von Sidon in seinem Lob der Gedichte Erinnas.93 Aus der Widerlegung der vermeintlichen Norm, daß Länge schon Güte bedeute, folgt natürlich nicht, daß Kallimachos seine Aitia als kurz hinstellen möchte,94 sondern daß er einen quanti­ tativen Maßstab insgesamt für unangebracht hält. Diesen Einwand hat vor dem metaphorischen Abgleiten in die Kranich- und Massagetenverse ein evidenter Vergleich illustriert: etwa des Sinnes, daß auch kurze Gedichte höchste Kunst sein können.95 In der verfahrenen Frage nach den hier gemeinten Autoren und Gedich­ ten reicht es für unsere Belange aus, sich derjenigen Interpretationsströmung anzu­ schließen, die hier die kurzen Gedichte des Philitas und Mimnermos deren langen

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μεγεθύνω , μικροποιός, μικρός, μικρότης (siehe dazu RUSSELLS Index), von O ’SULLIVAN Stylistic Theory leider nicht berücksichtigt. Ebenso Demetrius von Phaleron F 190 WEHRLI zur μικρολογία der homerischen Charaktere; vgl. PODLECKI Peripatetics 117 mit Anm. 30. Vieles spricht dafür, daß auch in der Umgangssprache ähnliche Phänomene begegneten: Vgl. z. B. Theokrit Eid. 10.20 μή δή μέγα μυθεΰ und dazu Gow ad l. Reale Quantitäten meint Lukian, wenn er - aus heutiger Perspektive wenig verständlich - Parthenios, Euphorion und Kallimachos Weitschweifigkeit vorwirft (Hist, conscr. 57: πόσοις [...] επεσι). Neuerdings macht sich eine gewisse Resignation breit: TORRACA Prologo 4 5 f („un vero γ ρ ί φ ο ς “) befürchtet „acrobazie cerebrali“; WEST IEG 2.84: „locus non intellegitur“; KREVANS Fighting 156 „Without more evidence it seems impossible that anyone will produce a convin­ cing interpretation o f this passage.“ Jüngst gibt ALLAN Mimnermus 146-156 einen genauen Überblick über die vorgeschlagenen Ergänzungen und Interpretationen. Leider läßt sich gerade dieses logische Verhältnis nicht rekonstruieren: Wenn man ]ρ εη ν als ]ρ εη ν deutet, so bleibt immer noch die Person des Verbs umstritten: PRETAGOSTINI Poesia Alessandrina 123 votiert für die erste Person, für die dritte dagegen WlMMEL Kallimachos 8 7 88; SMOTRYTSCH Literarische Kritik 251; LOHSE Aitienprolog 25-26; MATTHEWS Anti­ machos 137; TÖCHTERLE Μ εγάλη γυνή. Meines Erachtens läßt sich die Passage tatsächlich nur mit der zweiten Auffassung befriedigend deuten. Die Identifikation, die ALLAN Mimnermus 153f für ή μεγάλη γυνή anbietet (die Smyrneis des Mimnermus) scheitert meines Erachtens deshalb auch daran, daß diese Elegie schwerlich proprie μ εγάλη gewesen sein kann: Dies aber erfordert das Argument hier. Ep. 58.560f HE in seinem Epigramm auf Erinna: παυροεπής 'Ή ριννα καί οϋ πολύμ υθος άοιδαΐς / ά λ λ ’ ε λ α χ ε ν Μ ούσας τούτο τό βαιόν έπος. Die Struktur „nicht lang, aber (trotzdem) gut“ schließt übrigens aus, daß physische Kleinheit ein positiver Maßstab gewesen sein soll (wenn man das Epigramm nicht scherzhaft lesen möchte). Dies glaubt offenbar HEATH Unity 57. So z. B. N ewman Epic 344.

4 Quantifizierende Antithesen

überlegen sein läßt, welchen auch immer.96 Die Buchstabenreste in F 203.7 P (]τριτη. ό Μιμν[) fuhren hier wohl nicht weiter. Daß der Text in Σ Flor. 15 P αύτ(ών) lautet, hat die Kürzungsspezialistin McNamee endgültig erwiesen.97 Von Antimachos ist hier demnach offenbar weder im Text noch im Scholion die Rede.98 96

M im nerm os w ird im Fragm ent selb st (V ers 11) genannt, Philitas liefert Σ Flor. 14. D ie „kurzen“ (?) (αί κατά λεπ τόν) G ed ich te des M im n erm os sind ein e a llg em ein akzeptierte Er­ gän zu n g R o s t a g n is aufgrund vo n Σ L ond. 11 P (v g l. dazu die bei BENEDETTO C ongettura 119 abgedruckte Postkarte MlLNEs an VOGLIANO v o m 2 2 .4 .1 9 3 1 ). D ie W erksstruktur b eider D ichter ist v o llk o m m en unklar. D as F eld w ird deshalb v o n sp ek u lativen S u p p lem en ten b e­ herrscht. Für den A n fan g v o n V ers 10 w urden v o rgesch lagen : δρϋν (ein e ein flu ß reich e K o n ­ jektur H o u s m a n s zu H u n t [w ie ob en 11 A n m . 1] 4 9 , 5 2 . Ihm sch ließ en sich P f e if fe r A lters­ ged ich t 3 1 2 - 1 3 , 31 6 ; HERTER B ericht 99; PuELMA L u ciliu s 2 4 0 ; PUELMA Interpretationen 1 184f; BARIGAZZI M im n erm o 172; ERBSE A p o llo n h y m n u s 4 2 5 A n m . 2; WlMMEL K a llim a ch o s 87, 88 A nm . 2; ElCFlGRÜN A p o llo n iu s 74; LOHSE A itien p ro lo g 2 2 u. a. an); γραϋν (g em ein t sei die Bittis des Philitas. D azu C. G a l l a VOTTI, N u o v i T esti letterari da O ssirin co , A e g y p tu s 2 2 [1942 ] 1 0 7 -1 1 6 , hier 116, der in d ieser A rbeit v on sein em alten Standpunkt [P ro lo g o 2 3 3 f] a u f HouSM ANs L ösu n g u m sch w en k t, 1950 aber w ied er zu γραϋν konvertiert: V g l. TORRACA P rologo 36: D o c h w ürde K allim ach os die G elieb te des Philitas als „ A lte“ b ezeic h n en ? ); ροϋν (LENCHANTIN bei TORRACA P rologo 3 5 m it A n m . 59); Kö>v (VlTELLl ad PSI 1219 F 1 -1 5 : gem ein t sei ein e k o isch e K tisis-D ich tu n g des Philitas); ναϋν (VOGLIANO bei A l l a n M im nerm us 149; unabhängig vo n d iesem SMOTRYTSCH Literarische Kritik 2 5 0 : D er A u sd ru ck b e z ie ­ he sich a u f die A rgo der Argonautika - ein B iograp h ism u s); Οεϋν (H o l l is C allim ach u s 4 0 3 und m it d iesem zw ar g le ic h z e itig , d och vo n ihm unabhängig MATTHEWS A n tim a ch o s 1 3 1 -3 6 : G em eint sei die Artemis des A n tim ach os. D azu richtig ableh n en d L a t a c z P lap p erm äu lch en 84). Hinter der μεγάλη γυνή des M im nerm os (1 2 ) verm utet m an ein e Σμυρνηίς , ein e K tisisD ich tu n g Sm yrnas, da m an die Ναννώ (B o w ie Early G reek E le g y 2 8 sieht hier m it C a m e r o n ein e w itz ig e A n sp ielu n g a u f νάνος. D o ch könnte natürlich auch im um gek eh rten Fall ein e Pointe lieg en ) nicht gern als ‘g ro ß ’ b ezeich n en m öchte: WEST E le g y & Iam bus 7 4 v o rsich tig nach COLONNA; C a p o v il l a C allim aco 1.112; PRETAGOSTINI P o esia A lessan d rin a 1 3 2 -3 3 ; TOCHTERLE Μ εγάλη γυνή 2 2 5 ; B o w ie E arly G reek E le g y 2 8 . W eitere E rgän zu n gsvorsch läge bei A l l a n M im nerm us 148f.

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So schon die editio princeps von M. NORSA und G. VlTELLl, deren Auffassung TORRACA Prologo 34 zitiert. Anhänger der aür(cöv)-Auflösung sind z. B. PFEIFFER (1948); TORRACA Prologo 46, HOLLIS Callimachus 404-06; TÖCHTERLE Μ εγάλη γυνή 228-234; PRETA­ GOSTINI Poesia Alessandrina 130. M c N a m e e Long & Short 84-86 hat die statistischen Daten aus ihrem papyrologischen Kürzungsindex (K. M c N a m e e , Abbreviations in Greek Literary Papyri and Ostraca, Bulletin o f the American Society o f Papyrologists, Suppl. 3, Chico 1981) auf den Papyrus angewandt. Bislang argumentierte man (z. B. H o l l is Callimachus 403) auf dem veralteten Stand B il a b e l s (Art. ‘Siglae’, RE 11 A.2, Stuttgart 1923, 2279-2315, bes. 2297). Der Papyrus bietet αυτ', das nach M c N a m e e die geläufige Abkürzung für -ών ist (30mal belegt), -ά werde dagegen selten abgekürzt, wenn aber doch, dann m it '. ln Σ Flor. 15 P verwendet unser Kommentator für -ά konventionell ' (M c N a m e e Long & Short 85-86), dagegen steht in den Zeilen 17, 19, 26 und 31 unseres Textes ebenso gängiges ’ für -töv. HERTER Bericht 99-101 begründete mit seiner Behauptung, hier könne αύτ(ά) gelesen wer­ den und damit neben Mimnermos und Philitas ein dritter Dichter genannt sein, eine regelrech­ te Schule, die unisono behauptet, hier werde die Λύδη des Antimachos angegriffen, was P f e if fer Altersgedicht 313, G a l l a v o t t i Prologo 232 und P o h l e n z (bei A l l a n Mimnermus 147) vor der Entdeckung der Florentiner Scholien auch erwogen hatten. Es handelt sich dabei letztlich um eine biographistische Kommentierung des Aitienprologs mit F 398 P: BARIGAZZI Mimnermo 162-64; PUELMA Vorbilder 161-66, PuELMA Interpretationen 1 173; ElCHGRÜN Apollonius 74-75; CAPOVILLA Callimaco 1.112, 200; SMOTRYTSCH Literarische Kritik 253

4.1 Dimensionen: groß versus klein

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Da die Lyde des Antimachos ja offenbar engagierte Anhänger aufzuweisen hatte (vgl. Asklepiades Ep. 32.958-61 HE), die hier gemeinten längeren Werke aber von allen und gerade seinen Gegnern den kürzeren nachgestellt werden müssen, hätte Kallimachos für seine Argumentation mit der Erwähnung der Lyde als Negativbei­ spiel nichts gewonnen." Was läßt sich aber zur wenig beachteten Metaphemkonstitution dieser Passage feststellen? Die beiden transitiven Verben καθέλκει (9)100 und έδίδαξε (12) erfordern aktive, handelnde und damit personale Subjekte: ομπνια Θεσμοφόρος (10) und ή μεγάλη [...] γυνή (12) erfüllen als Personen diesen Anspruch.101 Deren poetologische Relevanz aber garantiert die Tatsache, daß es sich bei diesen Personen um personifizierte Werke oder sogar Werkstitel handelt. Die bisherigen Beschreibungen unseres Phänomens als „parole-chiave“ oder „allusioni generiche“102 verkennen die vorliegende Technik, die der Werks- oder Titelpersonifikation. Alle Konjekturen für den Widerpart der Demeter in Vers zehn, die die Metaphemstruktur der Personifikation nicht oder schwerlich zulas­ sen, sind also mit aller Vorsicht abzulehnen: Das betrifft die oben genannten (Anm. 96) Vorschläge δρΰν (Housman), ροϋν (Lenchantin), ναΰν (Smotrytsch),

(wenn ich ihn richtig verstanden habe); MATTHEWS Antimachus 131-35; HERTER Kalli­ machos 195-96; FRASER Alexandria 1.747^19, 754; 2.1053 Anm. 253, 1058 Anm. 287; K l e in Prologues 358; M ü l l e r Erysichthon 89-97, S c h w in g e Müller 181 f. Diese Interpreta­ tionen sind papyrologisch nicht zu stützen und syntaktisch unwahrscheinlich. Zu der logischen Unmöglichkeit dieser Interpretation treffend bereits NEWMAN Epic 344 Anm. 9, P r e t a GOSTINI Poesia Alessandrina 131-33, L a t a CZ Plappermäulchen 83, jüngst LOMBARDI Antimaco 64. Die von POHLENZ vorgeschlagene Vermittlung (Kallimachos’ Aitia, Hermes 68 [1933] 3 1 3 -2 7 , hier 3 18-19), daß sich auch α ΰ τ (ώ ν ) auf dritte beziehen könne, hat später kei­ ne Befürworter gefunden. Neuerdings bezieht CAMERON Genre & Style 309 (ähnlich Critics 6) die kallimacheische Polemik implizit wieder auf Antimachos (so auch schon COPPOLA Cirene 141), w eil er glaubt, daß sich die gesamte Polemik gegen die zeitgenössische Elegie richte: Schon die beiden Forderungen der Teichinen (Könige/Heroen, mehrere tausend Verse) lassen aber eher an Epik denken. Meines Erachtens kann die Ansicht CAMERONs aufgrund der Funk­ tion des Begriffs δ ι η ν ε κ έ ς (unten 218ff) und der Dreierstruktur (unten 198) widerlegt werden. So gilt immer noch COPPOLA Prologo 46: „[...] di Antimaco non si parla“ (doch anders COPPOLA Cirene 141). 99 So auch BOWIE Early Greek Elegy 2 8 und ALLAN Mimnermus 152. 100 Zur in κ α θ έ λ κ ε ι implizierten Handlung jüngst GARGIULO Bilancia 1 2 2 -2 3 : Leichteres läßt transitiv das Schwerere sinken: Die Vorstellung, daß die leichtere Demeter ‘überwiege’, sei femzuhalten. So noch COPPOLA Prologo 4 2 , HOLLIS Callimachus 4 0 3 —4 0 4 , MÜLLER Ery­ sichthon 3 7 Anm. 115. Vgl. auch Theokrit Eid. 17.95 und GOW 2 .3 4 1 . Für die herkömmliche Auffassung spricht allerdings Aristophanes Ran. 1398. 101 Die Identifikation der Ο ε σ μ ο φ ό ρ ο ς mit der Demeter des Philitas (F 5-8 KUCHENMÜLLER = 1 4 CA), die HUNT und HOUSMAN (vgl. oben 11 Anm. 1) noch nicht erkannten, hat vor der Ent­ deckung von Σ Flor, bereits W. M. EDWARDS, The Callimachus Prologue and Apollonius Rhodius, ClQu 24 (1930) 109-112, hier 110 vorgeschlagen (wenn er HouSM ANs δ ρ ΰ ν auch noch mit der Argo identifizierte). Sie ist heute allgemein anerkannt (mit der älteren Ausnahme von CATAUDELLA Proemio 42). Doxographie bei MATTHEWS Antimachus 130 Anm. 10. Die Demeter ist durch Σ H2.33a (2.47 PFEIFFER) auch explizit im Zusammenhang mit Kalli­ machos bezeugt. 102 PRETAGOSTINI Poesia Alessandrina 126, TORRACA Prologo 46.

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4 Quantifizierende Antithesen

Κών (Vitelli).103Derselbe Einwand, auf Vers 12 bezogen, führt zum Zweifel an der Ergänzung von ρήσίες durch Rostagni (vgl. unten 180 Anm. 204 und 207). Der Einfall, Werkstitel über ihre abstrakte Personifikation hinaus konkret vor dem Le­ ser miteinander konkurrieren zu lassen, begegnet hier erstmalig.'04 Die Lebendig­ keit der Metaphorik in ihrem Antagonismus nach Paaren erinnert ein wenig an die Allegorien in der Psychomachie des Prudentius. Einen Personennamen überhaupt als Titel einer Gedichtsammlung zu wählen, scheint Antimachos zuerst gewagt zu haben:105 Konsequenzen für unsere Verse wird man daraus schwerlich ableiten, da eine solche formale Entsprechung noch kein Anspielungsverhältnis begründet.

4.2 Organologisches: dick versus dünn Wenn wir uns jetzt mit den metaphorischen Quantitätsoppositionen befassen, die auf die oben skizzierten schwierigen Verse folgen, ist es vielleicht angebracht, mit der deutlichsten zu beginnen, die der erste Teil der Apollonparainese bietet: Die visionäre Wucht dieser Szene resultiert aus der Konzentration auf nur zwei Meta­ phern, deren zweite und breiter ausgeführte, die Weg- und Wagen vehicles, oben (63ff) bereits ausführlich diskutiert wurde. Dichter noch ist das eigenartige Bild, mit dem Apollon einsetzt (F 1.23-24 P): ]... άοιδέ, τό μέν ΐΐύος δττι πάχιστον ]ν Μούσαν δ’ ώγαϋέ λεπταλέην. Sänger! [...] das Opfer möglichst fett, [...] die Muse aber, mein Bester, dünn! Diese vordergründig organologische106 Antithese übersteigt an Komplexität alle bisher diskutierten poetologischen Metaphern. Man sollte sich daher nicht vor103 Aus anderen Gründen (die Karikatur des Wägevorgangs lasse keine tatsächlich wägbaren Dinge zu) kommt GARGIULO Bilancia 128 zu einem ähnlichen Schluß, der allerdings auf der anfechtbaren Abhängigkeit unserer Stelle von Aristophanes Ran. 1365-1413 beruht Außer­ dem bleibt unklar, inwiefern unsere Verse eine Karikatur darstellen sollten. 104 Die Personifikation (gut dazu B e r n a r d Denken 44) von Werken oder Werkstiteln ist vor allem als Bestandteil von Titulustopik weit verbreitet, doch ist dort nie eine personal vorgep n ite, o o ™ n8. i mit TerknüPft: vielleicht F 604 P νόθοι δ’ ηνθησαν άοιδαί; Ep. 2.5 r / j 4 . 1207 HE αι δε τεαι ζωουσιν αηδόνες (mit den Mutmaßungen von G ow -P age ad 1) Das sprechende Gedicht in Ep. 6 P/55 HE handelt ebenfalls nicht In F "tos p (= £.1 m n

s vehicle aus dem Bereich der τέχνη definiert sind, so organologische durch ein vehicle, das proprie einen Organismus be­ schreibt.

4.2 Organologisches: dick versus dünn

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schnell und isoliert auf λεπτός bzw. λεπταλέος stürzen, jenes vermeintliche „Zentralwort der kallimacheischen Dichtungsauffassung“,107 sondern lieber sorg­ fältig die Multivalenz dieses Bildes zu ihrem Recht kommen lassen, die zunächst aus den zwei Komponenten der Opferanweisung und des παχύς-λεπταλέοςGegensatzes besteht, der durch die Endstellung dieser Attribute im Vers besonders betont ist. Dieser muß seinerseits unter organologischen, intellektualmetaphorischen und schließlich akustischen Aspekten betrachtet werden.108 Die beiden Verse bieten proprie gelesen eine Opfervorschrift. Je nachdem, ob man in der Ergänzung des Verses 24 die Betonung eher auf den Opfervorgang oder dessen Vorbereitung, d. h. die Ernährung des Opfertieres, legen möchte, handelt es sich um eine Schlachtvorschrift oder eine veterinärdiätetische Opferanweisung: Die Vorschläge Hunts (δούναι τή]ν), Bignones (ρέζειν τή]ν) und Wilamowitz’ (αμμι φέρειν) betonen den Vollzug, die Pfeiffers (θρέψοα τή]ν) und Rostagnis (βόσκειν τή]ν) mehr die vorbereitende Ernährung des Opfers. Die Gegenüberstel­ lung „fett - dünn“ verbunden auf der einen Seite mit Μοΰσα, die stets Personalität und damit anthropomorphe Vorstellungen mitschwingen läßt,109 verbietet auf der anderen Seite die Übersetzung „Weihrauch, Räucherwerk“ für θύος,110 unter dem folglich ein wörtlich ‘fettes’ Opfertier zu verstehen ist.111 Θύος stellt auch in der 107 S c h w in g e Künstlichkeit 13, ähnlich 15; P a r s o n s Identities 164 („buzzword“); G el ze r Transformations 145 („keyword“); RlEDWEG Reflexe 131 („Schlüsselbegriff für Kallimachos’ Kunstverständnis“) markieren jüngst die herrschende Meinung, E ffe Hellenismus 84f redet von einem „Prinzip der λ επ τ ό τ η ς“. 108 Den Gegensatz von λ επ τ ό ς und παχύς in den Elementenbezeichnungen der Vorsokratiker, den REITZENSTEIN Stiltheorie 28 in unserem Zusammenhang erwähnt, sollte man genauso­ wenig hierherziehen wie die Möglichkeit, denselben Gegensatz von Geweben auszusagen (λ επ τ ό ς z. B. I 661, Σ 595, X 511, Kallimachos F 383.15 P/254.15 SH λεπ τα λέους έΖυοαν, Dioskorides Ep. 22.1601 HE u. ö.; παχύς z. B. Platon Krat. 389 B 8; vgl. mit weitei^n Bei­ spielen HOOK Terminology 37): Zwar können sich unter einer Metapher mehrere voneinander differierende tenors verbergen, doch kann nicht schon das vehicle selbst zwei inkompatible Ebenen aufweisen: Organologische Ebene und Webemetaphorik schließen einander aus. 109 Theokrit treibt es in seinen Χάριτες so weit, nicht nur die Gedichte als solche zu personifizie­ ren, sondern auch noch die Rollen, auf denen sie geschrieben sind, anthropomorphisierend zu beschreiben (16.5-12). 110 So mit überraschender Selbstverständlichkeit COPPOLA Cirene 123f „incenso [...] molto“; KAMBYLIS Dichterweihe 81 „der Weihrauch, den er den Göttern darbringen möchte“; MEILLIER Callimaque 95 „la grasse fumöe“; FUHRMANN Dichtungstheorien 159 „den dicken Weihrauch“ und BARIGAZZI Amore 186 „denso fumo dei sacrifici“. Weihrauch wäre wohl eher θύον, obwohl beides gelegentlich durcheinandergeht. Θύος ist eindeutig Schlachtopfer z. B. in Z 270-75; I 499; Aischylos Aga. 1409. PFEIFFERS biographistische und vom inzwischen allgemein aufgegebenen Frühansatz ausgehende Interpretation „Aber es ist in dem Distichon [...] eine fast grimmige Ironie, wenn wir ihn zu jener frühen Zeit so denken, wie die SuidasVita andeutet [seil, als schlechtbezahlten Grundschullehrer], Da war die Μ οΰοα notwendig ‘mager’, und mit dem fetten Opfer wird es seine Schwierigkeiten gehabt haben.“ (Altersgedicht 322) geht natürlich auch selbstverständlich von „Opfertier“ aus, ebenso H0GEL Poetic I 279. Sehr seltsam (wie eine Zutat) faßt CAPOVILLA Callimaco 1.52 θύος auf (über angebliche poetologische Theorien des Poseidippos:) „Sifatte teorie erano messe in pratica nel poemetto Άσωπεία [...], composto con quel θ ύο ς contro cui si scaglia [...] Callimaco [...].“ 111 Ein entfernt vergleichbarer Fall liegt bei Aristophanes Αν. 465 μέγα καί λαρινόν έπ ος τι mit Σ c KOSTER έκ μεταφοράς των βοών- λέγονται γάρ τινες λαρινοί βόες οί λιπαροί (vgl.

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Bedeutung ‘Weihrauch’ immer das selbst Verbrannte vor, die brennende Substanz, nie den sich daraus entwickelten Rauch. ‘Fetter Rauch’ heißt bei Pindar und Apollonios καπνός κνισήεις.112 In Μοΰσα liegt bereits eine Verbindung zweier gängiger Konzepte vor: erstens die aus der lyrischen Dichtung stammende Vorstel­ lung, das Produkt des Dichters sei sein O pfer’ an seinen göttlichen Patron, die auch bei Kallimachos selbst Parallelen hat,113 zweitens die Metonymie μοΰσα für ‘Gedicht’."4 Eine Kontamination beider ermöglicht die Vorstellung, „seine Muse zu opfern“. Wie immer in solchen Fällen, so könnte man auch hier das kapitale My von Μοΰσα diskutieren. Daß hier von Muse als (natürlich anthropomorphem) Le­ bewesen die Rede ist, nicht nur von einer Metonymie ‘Gedicht’, legt die Antithese zum Lebewesen Opfertier’ nahe. Die Frechheit des Aristophanes (vgl. oben 41f), die Muse regelrecht als Nutzvieh zu betrachten, möchte man Kallimachos in die­ sem Zusammenhang ungern Zutrauen, da ein derartiger Scherz zum ernsten Ton der Prologszene nicht paßt und im Mund Apollons zusätzlich befremden müßte: Λεπταλέος wird hier also proprie eine anthropomorphe Frauengestalt beschreiPax 925 λ α ρ ιν ό ς β ο ΰ ς ) und bei Aristophanes F 663 PCG (Aischylos wird mit dem harten Le­ der eines Tiemackens verglichen: κ ό λ λ ο ψ . Dazu SOMMERSTEIN Old Comedians 2 6 Anm. 7 5 ) vor: implizite Tiermetaphem für Literarisches. 112 Isth. 3/4.84 κνισάεντι [...] καπνω, Argon. 1.858 καπνω κνισήεντι. 113 Auch hier liegen enge Parallelen im Rgveda vor (z. B. 1.61.1, 6.16.47). Die griechische Tra­ dition bei Pindar Pyth. 5.96-101 (Lieder sind Trankopfer), Nem. 4.9-11 τό μοι θ έ μ ε ν Κρονίδα [...]; Isth. 6.8-9; F 86a SM θύσω ν διθύραμβον, vgl. zum Motiv weitere Beispiele bei KÄPPEL Paian 96-98. Bei Kallimachos findet sich das Motiv vielleicht FI 1.1, sicher F 383.1-3 P/254.1-3 SH Ζ η \ί τ ε καί Ν εμ έη ι τι χαρίσιον εδνον οφείλω und die dichterische Selbstdefmition F 494 P άκαπνα γάρ αίέν άοιδοί / θ ύ ο μ εν (fur die weitere Tradition vgl. P feiffers Material ad /.). Ebenso Theokrit Eid. 17.8 und 22.221—23. Später werden neue Versmaße zur Votivgabe: Boiskos von Kyzikos F 233.2 SH (Anathema für Phoibos) und des­ sen Parodie bei Philikos F 677 SH (neues Versmaß den γραμματικοί als ‘Weihgeschenk’). Zum Weiterleben der Gleichung „Gedicht = Opfer“ bis in die spätantike christliche Dichtung vgl. T h r a e d e Prudentius 28—46. 114 Vgl. VOGLIANO Nuovo Proemio 207. Dieser Typ von Metonymie und das dahinterstehende Konzept dürften Bestandteil indogermanischer Dichtersprache gewesen sein (vgl. Rgveda z. B. 1.110.6 und die in der vorhergehenden Anm. genannten Stellen; mit anderem Material TOPOROV Ursprünge 199-200) und ist wohl ebenfalls ‘lyrischer’ Herkunft: Pindar Nem. 3.28, Aischylos Suppl. 694—95 (gleichzeitig Beispiel für Anm. 113). Besonders ausgeprägt bei Kalhmachos F 112.1 P έμή μοΰσα (meint wahrscheinlich die Aitien insgesamt), F 215 P τρα ­ γωδός μοΰσα ληκυθίζουσα, F 222 P έργάτις [...] Μ οΰσα, F 228.1-4 P glossiertes μοΐσαι (dagegen PFEIFFER ad l. und Add. 1.506), vielleicht F 384.2 P, F 538 P μουσέω ν δ’ ού μάλα φιδός εγώ. ln all diesen Fällen kann man diskutieren, wie weit die Personifikation geht. Die gängige Metonymie wird typisch hellenistisch durch den Gebrauch der jeweiligen Musenna­ men verfremdet: Kallimachos F 75.77 P (die Geschichte von Akontios und Kydippe εδραμε direkt) ές ή μ ετέρ η ν [...] Κ αλλιόπηv, die nach Bing Well-read Muse 28 hier der Gesprächs­ partner des Kallimachos ist. Vielleicht aber liegt doch nur eine Gedichtmetonymie vor: Das ές nämlich klingt doch sonderbar bei Personen und paßt besser auf γράμματα. Vgl. dazu die ένReihung in F 75.55, 6 4 f P; H 3.138^10: Alle die έν-Reihen beziehen sich auf ein literarisches (wenn auch pace BlNG Well-read Muse 19 Anm. 18a nicht notwendig schriftliches) Inhalts­ konzept, und stammen letztlich aus der homerischen Schildbeschreibung (vgl. den Mantel des lason bei Apollonios). Der zf/'r/eH-Stelle vergleichbar ist vielleicht Poseidippos Ep. 16.3141 HE, der mit ληναίκή Κ αλλιόπη offenbar ‘Komödie’ meint.

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ben. Damit scheiden die Konjekturen Bignones und Rostagnis aus: „Schlachten“ und „weiden“ passen nur auf θύος,115 auf Μοΰσα in unserer Auffassung übertra­ gen bewirkten sie einen Stilbruch.116 Derartiges wäre allenfalls in den Iamboi zu erwarten. Die hier erwähnte, anonyme oder sogar metonyme Muse ist mit den per­ sonalen Gottheiten, die auf die Fragen des Kallimachos später die Aitien der ersten beiden Bücher vortragen werden,117nicht zusammenzubringen.118 Die Apollonparainese zerfällt in zwei Metaphern, deren vehicles oberflächlich betrachtet keine Verbindung zueinander aufweisen. Man hat sich nie gefragt, was eigentlich auf bildlich assoziativer Ebene die Einheit dieser Anweisung gewähr­ leiste, die man aufgrund ihrer isolierten, blockartigen Form erwartet. Oben (72ff) wurde gezeigt, daß die Wegmetaphorik im zweiten Teil unserer Parainese ein reli­ giöses Gepräge trägt: Das Opfer selbst aber ist eine religiöse Handlung. Könnten also auch hier religiöse Texte, in diesem Fall bestimmte Opfervorschriften, eine Rolle spielen? Orphiker’ opferten zu Platons Zeit nach pseudepigraphischen Or­ pheus- oder Musaiosschriften.119 Sollte also dieses Schrifttum im alexandrinischen Alltag eine ähnlich prominente Rolle gespielt haben, verweisen eventuell unsere Opfermetapher und die Wegmetaphorik sogar auf dieselbe Gruppe von religiösen Prätexten. Für die Anweisung, die Muse solle mager sein, ließe sich in diesem Be­ reich sogar die zugegebenermaßen entfernte Parallele intensiven schamanistischen Fastens anführen.120 Es bestehen bestimmte Verbindungen zwischen eleusinischen Reinheitsvorstellungen und Fasten.121 Das Konzept der ασκησις ließe wie ύδρο-

115 Zum Ton von βόσκειν vgl. Timon F 786.1 SH (Masthaltung der βιβλιακοί χαρακΐται) und Kallimachos H6.104, dessen Stilebene COBET Callimachea 395 zutreffend beschreibt (allerdings unsinnig tadelt): „quae verba irati patris perspicua magis quam exquisita. Homo ex infima plebecula non aliter dixisset quam sic Vgl. allerdings Aristophanes Nub. 334. 116 Ein solcher Stilbruch erschiene in unserem Zusammenhang funktionslos. 117 Die Übergänge von F 1 P zu F 2 P sind inzwischen weitgehend geklärt (vgl. oben 21 f Anm. lf), von F 2 P zu F 3 P dagegen nur unbefriedigend gelöst. Weiter kann Apollons Forderung unmöglich lauten, ihm diejenige(n) zu opfern, die später Inspirationsgaranten sind. Drittens zeigen die Musen des Aitiengesprächs Namen und Personalität. Sie sind Gottheiten, deren körperliche Konstitution mit λεπ τ α λ έο ς wohl etwas salopp bezeichnet wäre. 118 Ebensowenig mit der Μ ούσα in F 1.2 P, die offenbar einen personifizierten Sammelbegriff wie ‘Dichtung schlechthin’ oder ‘Kunst überhaupt’ meint. 119 GRAF Eleusis 15 mit Anmm. 50-51 verweist auf Platon Rep. 2.364 E 3ff: βίβλων δέ δμαδον π α ρ έχο ντα ι Μ ουσαίου καί Ό ρφ έω ς [...] κ α θ ’ ας Ουηπολοΰσιν. ln diesen Zusammenhang gehört auch die Parodie des Orakelfälschers in Aristophanes Αν. 959ff, der (freilich in eige­ nem Interesse) 9 7 Iff sehr detaillierte Opfervorschriften erteilt. Die Vermutung BURKERTs (Mysterien 60) „[...] ein ιερός λ ό γ ο ς im Stil des Orpheus [könnte] mit einer ars sacrificandi [vgl. Liv. 25.1.12] geradezu identisch sein [...].“ paßt zu unseren Spekulationen (oben 89ff). Weiteres Material bei BURKERT Mysterien 118 Anm. 28 und NORDEN Agnostos Theos (vgl. oben 110 Anm. 3) 343 mit Anmerkung. 120 BURKERT Weisheit 139 mit Anm. 270 diskutiert die bei Hermippos erwähnte Tatsache, daß Pythagoras während seiner καταβάσεις zum Skelett abmagerte und bemerkt: „Intensives Fa­ sten gehört stets zu schamanen- oder fakirartigen Leistungen.“ 121 R. PARKER, Miasma. Pollution and Purification in Early Greek Religion, Oxford 1983, 283 allgemein und über die eleusinischen Mysten: „At some stage, too, they fasted, although the occasion and duration o f this fast are uncertain.“ Allerdings ist Fasten stets mit dem Tabu be-

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ποτεΐν und αγρυπνία (vgl. oben 129ff) eine Übertragung auf den poetologischen Bereich immerhin möglich erscheinen.122 Über derartig vage Andeutungen hinaus läßt sich hier leider kein sicherer Grund gewinnen. Immerhin ließe eine solche Interpretation die Apollonparainese auf der assoziativen Ebene nicht in zwei gänz­ lich disparate Teile zerfallen. Die religiösen Konnotationen hätten auch hier die Wirkung, das Musenopfer als kultisch und dann auch poetologisch ‘rein’ zu konnotieren und damit die Dichtungsdiskussion nach Rang und Wichtigkeit über ihren Gegenstand hinauszuheben, bis zu einer Identifikation von poetologischer Ästhetik und Heilslehre. 4.2.1 Gestalt und Diätetik Die παχύς-λεπταλέος-Antithese unserer Verse beschreibt zunächst die Beschaf­ fenheit zweier Körper, deren einer therio-, der andere anthropomorph zu denken ist. Daß das Opfer fett sein soll, liegt in allen Religionen nahe, deren Anhänger ihre Opfer’ schließlich selbst verspeisen.123 Ein mageres Opfertier weist allen sichtbar auf die Armut oder den Geiz des Opfernden hin. Eine normative Opfer­ vorschrift entwickelt sich daraus sehr leicht: Wer Fettes opfert, den liebt Apollon eben sehr, wie es einer der Hirten Theokrits formuliert.124 Wer dagegen κρέα τυτM opfert, riskiert den Zorn der Gottheit und eine soziale Blamage.125 Diese Paral­ lelen (vor allem die wörtliche Entsprechung in λεπτόν ίερεΐον: vgl. Anm. 125) skizzieren den assoziativen Rezeptionshintergrund der ersten Anweisung hinrei­ chend. Wie steht es mit der weniger selbstverständlichen Vorschrift, der anthrostim m ter S p eisen verbunden (P a r k e r 3 5 7 - 6 5 ) und b ezieh t sich nicht a u f M agerk eit in sg e ­ samt. 122 Zu diesem Komplex vgl. E. R. D o d d s , Pagan and Christian in an Age o f Anxiety. Some As­

pects o f Religious Experience from Marcus Aurelius to Constantine, Cambridge 1965, 30 mit Anm. lim it weiterem Material. 123 Dieser Gedanke zeigt sich sehr deutlich in dem Dialog zwischen Demos und dem Chor in den aristophanischen Equites (1127-1140): Demos päppelt ενα προστάτην (1128) auf: Erst wenn dieser fett genug sei, solle er ihn opfern und schmausen, empfiehlt ihm der Chor: τούτω ν δς αν ή π α χ ύ ς /θ ύ σ α ς έπιδειπνεΐς (1139^10). Kallimachos Η 3.145-161 dagegen handelt einzig von der Gefräßigkeit des Herakles und ist hier femzuhalten (anders DEFOREST Callimachean Epic 300124 Eid. 5.82-83: και γάρ εμ ’ 'Ωπόλλων φιλέει μέγα, καί κ αλόν αύτφ / κριόν εγώ βόσκω. Man wird nicht fehlgehen, wenn man καλός hier als synonym mit παχύς versteht. Ähnlich gewinnt die panegyrische Aussage in Eid. 17.126 erst durch πιανθέντα volles Gewicht. Auch die λιπαραί όνοσφαγίαι der Hyperboreer in Kallimachos F 186.9-10 P, die NlKITINSKI Ver­ gangenheitsbezug 3 2 f Anm. 154 wohl kaum zu Recht poetologisch versteht, gefallen (τέρπουσιν) Apollon eben, weil es sich um fette Esel handelt. 125 Für den Verfluchungscharakter von Theokrit Eid. 4 .2 0 - 2 2 („Wenn doch der Demos Lampriadas einen ebenso mageren Stier der Hera opferte!“) bieten die Scholien beide Aspekte, den theologischen und den sozialen (vgl. GOWadl.). Zu κρέα τυτθά vgl. Theokrit Eid. 7 .1 0 8 mit Σ, das an einem arkadischen Brauch (bzw. einem auf Chios) sehr plastisch erklärt, was es be­ deutet, wenn οί χο ρ η γο ί λεπ τό ν ίερ εΐον θύσωσι. Zum φιλοθύτης und Sozialprestige durch Opferluxus vgl. Theophrast L 84 FORTENBAUGH, zum entgegengesetzten Aspekt des sozialen Erwartungsdrucks vgl. z. B. Hermippos Κέρκωπες F 3 6 PCG, Aristophanes Δράματα F 2 9 9 .2 PCG, Av. 8 9 l f und D u n b a r adl. (S. 8 8 9 -9 0 2 ) .

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pomorphe weibliche Körper habe ‘dünn’, vielleicht ‘schlank’, zu sein?126 Bildliche Darstellungen der Musen127 oder anderer weiblicher Sujets fuhren hier leider nicht weiter, da man nicht einmal dann, wenn eine Muse für den modernen Betrachter eindeutig λεπτή oder παχεΐα erschiene (was nicht der Fall ist), sicher sein könnte, daß die moderne Denotation der Begriffe mit der antiken übereinstimmte. Wenn man also zunächst nur auf der Basis des vorliegenden Texts argumentiert, darf man zunächst davon ausgehen, die implizite Bewertung Apollons müsse proprie der Akzeptanz des Lesers gewiß sein, so daß die poetologische Übertragung von die­ sem mitvollzogen und ebenso akzeptiert wird.128 Grundsätzlich kommen als Auslö­ ser dieser Akzeptanz ästhetische (‘dünn ist schön') oder populärmedizinische (‘dünn ist gesund1) Anschauungen in Frage, die sich auch wechselseitig bedingen können. Was ließe sich aus der ästhetisch bewertenden Sicht des Zeitgenossen zur Μοΰσα λεπταλέη sagen? Zunächst ist zu bemerken, daß der diätetische Terminus ‘schlank’ ein moderner Euphemismus ist, den das Griechische nicht kennt. Man ist fett (παχύς) oder dünn (λεπτός, ισχνός)129 oder keines von beiden. Diesen Zwi­ schenbereich bezeichnet man einfach als μέσος.130Die Muse des Kallimachos wäre also korrekt als ‘dünn’ zu bezeichnen. Wie sind die sympathielenkenden Konnotationen von ‘dünn’ einzustufen? Mindestens für die Frühzeit ist ‘dünn’ mit Armut und Erbärmlichkeit verbunden, ‘dick’ dagegen mit ansehnlichem Reichtum. Wenn Archilochos seine Mitbürger λιπερνήτες nennt (F 109 1EG), das vermutlich via ‘mager’ Armut bezeichnet, so setzt er sie damit mitleidig herab.131 Λεπτός und παχύς sind zwar offenbar auch ohne bewertende Untertöne gängige Gegensätze menschlicher Gestaltbeschreibung: Im Frauenkatalog des Xenarchos (4. Jh. BC) wird die λεπτή der παχεΐα ebenso wertfrei gegenübergestellt wie die νέα der παλαιά (Πέντα&λος F 4.8-9 PCG). Die Sophisten jedoch bezeichnet Antiphanes mit 126 Kallimachos Ep. 46.3 P/3.1049 HE cd Μ οισαι τόν έρωτα κατισχναίνοντι gehört trotz der entfernten phraseologischen Ähnlichkeit in den ganz anderen Bereich der remedium-amorisTopik (vgl. SZASTYNSKA Alexandrian Epigrammatists 224-225). 127 Vgl. dazu M. BONAMICI, Artikel ‘Mousa, Mousai’, LIMC 6.1.657-685 (Bilddarstellungen dazu 6.2.383—407). 128 Die intertextuelle Interpretation unserer Verse allein vor dem Hintergrund von Hesiod Theog. 26 -2 8 , die KREVANS Editor 2 81-282 vorschlägt, überzeugt nicht: Dort fehlt der Opfergedan­ ke und es handelt sich um personell und kollektiv aktive Musen (vgl. oben Anm. 117). Ferner steuert die Sympathielenkung dort in die entgegengesetzte Richtung. 129 So vom menschlichen Körper zuerst Simonides F 543.20 PMG (Danae über das Ohr des Säuglings Perseus). Zu λεπ τό ς in der archaischen Zeit findet sich ein Überblick bei FOWLER Archaic Aesthetic 144 (Betonung des Haptischen, wohin auch Kallimachos F 254.15 SH zu ziehen ist). 130 Vgl. z. B. Corpus Hippocraticum Morb. Mul. 2.180; 8.362.17 LlTTRE. 131 Diskussion des Begriffs und des Fragments bei KUDLIEN Λ ιπερνήτες πολιται 129-131. ln der hellenistischen Dichtung denotiert das Wort ‘bettelarm’ und ist wohl als ArchilochosRezeption zu bewerten: Vgl. Kallimachos F 254.2 P/41.2 HOLLIS und einen Fall von HekaleRezeption in F epic, adesp. 4.17—18 CA, wo der Kontext einen Sinn von arm nahelegt, der sehr stark von der mangelhaften Emährungsmöglichkeit her geprägt ist. Zur hellenistischen Archilochos-Rezeption vgl. Kallimachos F 544 P (besprochen oben 130), und FRASER Alex­ andria 1.452, 462.

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λεπτός und ασιτος als ‘Hungerleider’, was mit Sicherheit als Beschimpfung auf­ zufassen ist (Κλεοφάνης F 120.4 PCG). Die personifizierte Πενία im aristophani­ schen Πλούτος plädiert mit medizinischen Untertönen, vor allem aber ästheti­ schen132 für die Armut, indem sie das erschreckende Bild des Reichen schildert, der als krank und fett geschildert wird (καί γαστρώδεις καί παχύκνημοι καί πίονές είσιν άσελγως 560). Dieser Vers bekommt seinen Witz erst dadurch, daß man Reiche auch ganz einfach als πίονες bezeichnen kann.133 Wie es der gesamten Struktur ihres Agons mit Chremylos entspricht, kehrt sie mit ihrem Urteil aller­ dings die communis opinio um: Infolge der Assoziation von Reichtum und Fett­ leibigkeit134 wird παχύτης also ästhetisch vielleicht sogar positiv bewertet worden sein, Magerkeit aber, die als λεπτότης auch einfach ‘Armut’ bezeichnen kann,135 natürlich negativ. Aber auch in späterer Zeit findet sich kein eindeutig positives Urteil über λεπ­ τοί: Wenn etwa zur Zeit des Kallimachos Kleochares von Myrlea den Stil des Isokrates mit dem {seil, άδρον) σώμα von Athleten, den des Demosthenes dagegen mit dem abgehärteten Körper von Soldaten vergleicht (Photios Bibi. 176. 121 B 915),136137so kommt dieser σώμα-Vergleich zwar an unseren recht nahe heran: Denn Kleochares war ein begeisterter Anhänger des Demosthenes und wird die soldati­ sche Magerkeit daher den Muskeln der Bodybuilder emphatisch vorgezogen ha­ ben. Diese Wertung muß aber nicht explizit gewesen sein: Photius berichtet sie nicht. Allerdings bezieht man sich nicht auf soldatische Magerkeit qua Magerkeit, sondern qua Abhärtung als Funktionswert. Es kommt also nicht auf einfache ‘Dünnheit’ an, da ja Soldaten, die nichts weiter als ‘dünn’ sind, keinen militäri132 ’Α σελγώ ς wertet gewöhnlich moralisch, dürfte hier aber eine ästhetische Implikation haben, da Moral in diesem Kontext irrelevant ist und für Medizinisches ασελγής nicht gebraucht wird. 133 Vgl. Platon Rep. 4.422 B 8 πλουσίοιν [...] καί πιόνοιν und die in der folgenden Fußnote ge­ gebenen Belege. Zum Phänomen dieser Metonymie H. BOLKESTEIN, Wohltätigkeit und Ar­ menpflege im vorchristlichen Altertum. Ein Beitrag zum Problem ‘Moral und Gesellschaft’ Groningen 1967 [Utrecht 1939], 183 mit Anmm. 1 und 2. 134 Vgl. dazu B u r g ie r e bei PROST/ViNCENT (wie unten 167 Anm. 153) 263 und die terminolo­ gisch gewordene Unterscheidung des mittelalterlichen italienischen Stadtadels als ‘popolo grasso’ vom einfachen Volk, dem ‘popolo magro’. Ohne den Gegenpol des ‘magro’ bieten Herodot mit oi π α χ έ ε ς 5 .3 0 .1 ; 5 .7 7 .2 ; 6 .9 1 .1 ; 7 .1 5 6 .2 und Aristophanes Pax 6 3 9 mit τούς π α χεις καί πλουσίους (ähnlich Pax 1170, Equ. 1139, Vesp. 2 8 7 ) eine vollkommene sozialmetaphorische Parallele, die die Assoziation von Armut und Magerkeit voraussetzt. 135 V gl. KUDLIEN Λ ιπ ε ρ ν ή τ ε ς π ο λ ίτ α ι 131, BOLKESTEIN (w ie oben A n m . 133) 183 m it A n m . 3.

136 In anderem Zusammenhang diskutiert von Q u a d l b a u e r Genera dicendi 66 mit Anmm. 9 9 101, O S u l l i v a n Stylistic Theory 11 Anm. 49. Zur Genese des σ ώ μ α - Vergleichs Phoibammon zu Hermogenes’ Περί Ιδεών (Rhetores Graeci 14.384.2-6 R a b e ), dazu QUADLBAUER Genera dicendi 65, D o d d s Gorgias 332 zu Platon Gorg. 505 C 10 - D 2. 137 Zu Kleochares (zur Datierung vgl. M. J. LOSSAU, Untersuchungen zur antiken Demosthenes­ exegese, Palingenesia 2, Bad Homburg/Berlin/Zürich 1964, 52 Anm. 131) und Demosthenes vgl. D r e r u p Demosthenes 9 3 . Er geht von dem Gegensatz ‘akademisch - leblos’ (Athlet, Isokrates) zu ‘lebend18 - agonistisch’ (Soldat, Demosthenes) aus; 9 4 - 9 5 mit interessantem Überblick über die Rezeption dieses Bildes bis zu Dionysios von Halikamaß. LOSSAU (vgl. oben) 5 7 - 5 8 mit Anm. 146 bestimmt den Gegensatz als den zwischen „Schau“ und realem „Kam pf“. Zur ‘Gleichnisfiliation’ vgl. dort 58 Anm. 148.

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sehen Nutzen bringen, sondern auf körperliche Leistungsfähigkeit. Überhaupt han­ delt es sich bei dem gesamten Bild wohl lediglich um die Remetaphorisierung der rhetorischen Termini άδρός und ισχνός (vgl. unten 177ff), die die eigentlichen Träger der Wertung sind: Wir gewinnen daraus wenig, da Fett hier ohnehin keine Rolle spielt. Die antithetisch gruppierten Anekdoten Aelians über die Fettleibigkeit des Dionysios von Herakleia {VH 9.13) und die Magerkeit des Philitas (9.14) ver­ urteilen zwar das gigantische Übergewicht des Dionysios, weil es ihn und seine Ärzte zu grotesken Maßnahmen zwingt, aber bewerten demgegenüber die phanta­ stische Magerkeit des Dichters gar nicht. Ästhetische Kriterien bleiben undeutlich: Hier werden keine exempla eines generellen ästhetischen Kanons gegeben, sondern phantastische Extreme zur Unterhaltung geschildert. Generelle Bewertungen lassen sich daraus nicht ableiten. Plutarch äußert sich in Περί Παίόων 'Αγωγής 11 (8 D 5ff) über die größere soldatische Eignung des ισχνόν σώμα: Aber auch hier wird nicht ästhetisch gewertet, sondern aus praktischer Erfahrung gesprochen.138 Die Tabula Cebetis allerdings gruppiert in ihrer allegorischen Beschreibung des Όδυρμός die Attribute δυσειδής [...] και λεπτός καί γυμνός, zu dem seine Gesellin, die Άθυμία, bestens paßt: Diese ist αισχρά καί λεπτή (10.3; 10.2—4 Praechter). Die hier vorliegende Denotationsebene ist eindeutig die der Häßlichkeit. Aus dem spärlichen Material kann offenbar nicht der Schluß gezogen werden, weibliche λεπτότης habe zu irgendeiner Zeit ein allgemeines Schönheitsideal bedeutet.139 Begründeter scheint die vorsichtige Behauptung des Gegenteils, für die sich mit Theokrit und Philitas auch synchrone Anhaltspunkte beibringen lassen.140 Trotz der oben formulierten (161) Kautel, was die Auswertung von Bildquellen betrifft, scheinen deutlich als dick gekennzeichnete Frauen in erotischen Darstel­ lungen von der Spätarchaik bis in die Zeit des Kallimachos selbst ein Argument für die gegenteilige Ansicht zu liefern: Diese Darstellungen müssen wohl als reiz138 W . WlMMEL, Siegende Magerkeit. Zum Text von Plut., Mor. (περί παίδων αγωγής) 8 D, Hermes 107 (1979) 3 82-384 äußert sich leider nur zu Text- und Sinnproblemen, nicht zu un­ serem Anliegen. 139 Es ist auch nicht klar, wie Terenz Eun. 3 1 3 - 3 1 7 zu bewerten ist: Einerseits halten sich die Töchter der besseren Familien unter der Knute ihrer Mütter künstlich schlank, andererseits ist das Objekt der Begierde Chaereas corpu' solidum et su ciplenum (318) und erscheint gerade dadurch ihm (und so wohl dem Zuschauer) als attraktiv. L. GIULIANI weist in seiner Rezension des Buches von S. PFISTERER-HAAS (vgl. unten Anm. 141; Rez. Gnomon 65 [1 9 9 3 ] 2 8 2 - 2 8 4 ) darauf hin, daß man vermutlich von einer Pluralität von Schönheitsidealen auszugehen habe und verweist auf das maskuline Ideal der archaischen Koren, das nur für bestimmte soziale Schichten Geltung besessen habe. Unsere Bemerkungen zur Bewertung von Magerkeit in der Frühzeit scheinen auf ein gegenteiliges Schönheitsideal zu weisen, das demzufolge das einer komplementären Gesellschaftsgruppe sein dürfte. 140 ln Eid. 10.17-18 bezeichnet Milon Polybota, in die Boukaios sich verliebt hat, herabsetzend als μάντις [...] καλαμαία (eine Heuschreckenart): Gow ad l. vermutet, daß hier „the girl’s skinny figure“ gemeint sei. Darauf deuten auch die Verse 26—28 hin, in denen Boukaios er­ klärt, daß er an ihr gerade schön findet, was die anderen für häßlich halten: Σύραν καλέοντί τυ π άντες, / ίσχνάν, άλιόκαυστον, έγώ δέ μόνος μελίχλω ρον (derselbe Gedanke allgemei­ ner bei Lukrez 4 .1 166f). Magerkeit gilt also als häßlich, ln Eid. 14.3 wird die λεπ τότη ς des liebeskranken Aischines klar als ein Zug seiner insgesamt verwahrlosten Erscheinung be­ zeichnet. Zu Philitas F 17 CA (ähnlich wie Theokr. Eid. 14.3) vgl. ZÄNKER Realism 56.

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voll empfunden worden sein.141 Ein Rezipient, den diese Figuren ansprechen, kann unsere Μοϋσα λεπταλέη schwerlich mit ‘Schönheit’ assoziieren. Für die Beurteilung des Problems bei Kallimachos nun142 sind zwei seiner Fragmente hinzuzuziehen, die in diesem Zusammenhang gewöhnlich unbeachtet bleiben: Unmittelbar vor seiner Rückkehr in den Hades spricht Hipponax redivivus in dunklen Versen von feigenessenden Musen (F 191.92-93 P): ά ν ]ή ρ 143 μ ο ϋ ν ο ς ε ί λ ε τ ά ς [Μ ο ]ύ σ α ς . ö l χ λ ω ρ ά σ ΰ κ α τ ρ ω γ ο ύ σ α [ς.

]

Jemand „nahm (?) als einziger {seil, im Gegensatz zum streitenden Philologen­ pack?) frische Feigen kauende, d. h. schlecht ernährte,144 Musen'". Eine auffällige Parallele bei Theokrit macht die Auffassung des Feigenkauens als einer poetologischen Metapher sehr wahrscheinlich.145 Der Begriff ‘fett’ begegnet am Ende des 13. Iambos: Kallimachos verteidigt sich dort gegen seine Widersacher, die ihm nach seiner Schilderung die πολυείδεια seiner Gedichte (D 9.34 P) vorwerfen, mit 141 Vgl. die Symposienszenen auf den Gefäßen Paris, Louvre G 13 (Pedieusmaler; ca. 510-500 AC); Florenz, Museo Archeologico 3921 (Brygosmaler?, ca. 490 AC); Malibu, The J. Paul Getty Museum Inv. 80.AE.31 (Phintias?, ca. 510 AC) und Boston, Museum o f Fine Arts 95.61 (ca. 510-500), die alle füllige Hetären mit schweren Hängebrüsten, plastischen Bauch­ falten und üppigen Schenkeln zeigen. Das Material hat S. P f ist e r e r -H a a s , Darstellungen alter Frauen in der griechischen Kunst, Europäische Hochschulschriften 38, Archäologie 21, Frankfurt/Main u. a. 1989 aufgearbeitet (und durch Terrakottafiguren des vierten Jahrhunderts ergänzt, die dieselben Charakteristika zeigen und wahrscheinlich ebenfalls Hetären darstel­ len). Es spricht allerdings nichts dafür, diese Frauen für alt oder häßlich zu halten (wofür die Verfasserin neben ihren persönlichen ästhetischen Anschauungen auch keine weiteren Belege beibringt) - im Gegenteil: Handwerker und Kundschaft haben die Abbildungen offenbar an­ gesprochen. Vergleicht man abgesehen von den oben erwähnten Terrakotta-Figürchen die frühhellenistische Statue der sog. ‘kauernden Aphrodite’ (Museo Nazionale Romano Inv. 108 597 [Nr. 293]; dazu FOWLER Hellenistic Aesthetic 137-38), so findet man dieselben Charak­ teristika, vor allem die schweren Brüste und die wulstigen Bauchfalten. Nach der üblichen Zuweisung stammt die Statue von Doidalsas (um 250/240) und wäre demnach eine recht ge­ naue Zeitgenossin unseres Aitienprologs. 142 K. Z ieg le r , Kallimachos und die Frauen, Die Antike 13 (1 9 3 7 ) 2 0 ^ 1 2 hilft hier nicht weiter: Der Verfasser geht von der auf einer biographistischen Interpretation der Jambenfragmente beruhenden Hypothese aus, Kallimachos sei homosexuell gewesen, so daß rein textimmanent sein weibliches Schönheitsideal gewonnen wird (2 8 ), nämlich ein essentiell männliches. 143 ErgänzungsVorschlag von H u n t bei DAWSON Iambi 2 0 . 144 Grüne Feigen sind Sklaven- und Arme-Leute-Futter: Vgl. CLAYMAN Last Word 30, dazu Cato ''ÜR·. §56f M a z z a r in o . T a r d it i Muse povere 1015: „mangiare fichi [...] sinonimo di vita misera (er zitiert Archilochos, Hipponax (!), Alexis); 1016: „Le Muse che mangiano fichi sono dunque Muse povere“. Seine Erklärung für χλω ρά als Euripides-Zitat (F 907.1 Nauck2) über­ zeugt nicht: Es handelt sich vielmehr nicht um getrocknete, sondern frisch von den Bäumen gegessene Feigen, die sonst nur Sklaven nahmen (vgl. Cato). Insgesamt überschätzt TARDITI 1019 biographistisch die Armut des Kallimachos. Daß grüne Feigen abführend wirken (vgl. M a r in o n e 95 Anm. 96 zu Galen Viel. au. §89 [CMG 5.4.2 Kalbfleisch; 4 4 6 .3 Iff], gehört wohl nicht in diesen Zusammenhang. 145 Aipolos sagt Eid. 1.147^18 zu Thyrsis: „Wenn doch dein Mund stets voller Honig wäre και άπ Αίγίλω ίσχάδα τρώ γοις / άδειαν.“ Wie der erste, so bildet auch der zweite Teil des Sa­ tzes eine Metapher für die Gesangsqualität des Thyrsis.

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dem Verweis auf Ion von Chios. Das Verfahren des Verfassers ist hier offenbar dasselbe wie im Aitienprolog (vgl. oben 150ff): Kallimachos legt seinen Gegnern einen sich bereits mit seiner Äußerung als unhaltbar erweisenden Vorwurf in den Mund, den er dann durch einen Verweis auf ein allgemein akzeptiertes Gegenbei­ spiel als doppelt unsinnig brandmarkt. Am Ende scheinen die Gegner einen Grund für die vermeintliche ‘Dürftigkeit’ seiner Gedichte geliefert zu haben, der vom Erzähler in indirekter Rede (55 φησι) berichtet wird.146 Diese Dürftigkeit beschrei­ ben sie folgendermaßen (F 203.60-62): τ ο ϋ δ ’ ο ΰ ν ε κ ’ ο ύ δ έ ν π ϊο ν , ά [λ λ ά ] λ ιμ η ρ ά έ κ α σ τ ο ς α κ ρ ο ις δ α κ τ ύ λ ο ις ά π ο κ ν ίζ ε ι, ώ ς τ η ς έ λ α ίη ς , ή ά ν έ π α υ σ ε τ η ν Λ η τ ώ . D e sw e g e n kratzt jed er nichts Fettes, sondern H ungriges m it spitzen Fingern ab w ie von d em Ö lbaum , der L eto ein e Stütze bot.

Obwohl Kallimachos dann offenbar für sich allein antwortet (άείδω 63, doch vgl. Anm. 146), reihen ihn die Kritiker doch in eine Gruppe ein, deren jeder Mageres mit den Fingernägeln abschabt. Der Zusammenhang legt nahe, daß hier von Poetologischem die Rede ist und metaphorisch gesprochen wird. Obwohl Pfeiffers Skepsis berechtigt ist (zusammenfassend nach 66: at singula adhuc obscura), reicht in unserem Zusammenhang doch aus, daß Fett und Dürftigkeit in poetologischer Metaphorik einander gegenübergestellt werden.147 Es ist möglich, F 191.9293 P in einem ähnlichen Sinne zu verstehen: Der einzige (Mann?), den Hipponax dort wahrscheinlich lobend hervorhebt und der so magere Gedichte (vgl. unten 166 Anm. 150) produziert, ist wohl auch Kallimachos, wenn der Iambos einen apolo­ getischen Sinn haben soll.148 Es ergeben sich also mit hoher Wahrscheinlichkeit zwei enge Parallelen für unsere Μούσα λεπταλέη, nur daß sich diese wertende Magerkeit etwas verzerrt ausnimmt, und zwar bizarrer, wenn Kallimachos sie sei­ nen Gegnern direkt in den Mund legt, als wenn Hipponax selbst. Übrigens muß nicht jede Bemerkung über Armut und Ernährung bei Kallimachos notwendig poetologiemetaphorisch aufzufassen sein.149 Was die relative Chronologie der Äu146 Die stark zerstörte Partie der Verse 57-59 schildert aus der Sicht der Gegner vielleicht, wie die Musen (57, PFEIFFER liest allerdings a λ υ σ α ι αί Μοΰσαι vix legi potest.) an Kallimachos vorbeifliegen (58 π α ρ έ π τ η σ α ν ) , d. h. ihn eines Aufenthalts und damit einer Inspiration nicht würdigen, ln Vers 63 redet der Dichter wahrscheinlich wieder selbst (άείδω), möglicherweise wird auch hier wie in F 1.3ff P der gegnerische Vorwurf in indirekter Rede berichtet. M. TREU, Selbstzeugnisse alexandrinischer Dichter (Kallimachos, 13. Iambos; Theokrit 16), in. Miscellanea di Studi Alessandrini in Memoria di Augusto Rostagni, Torino 1963; 273-90; hier 2 7 8 f nimmt an, daß vor 63 Kallimachos über seine Gegner rede. 147 Die Verse werden üblicherweise nicht poetologisch verstanden, sondern proprie auf den Le­ bensunterhalt bezogen: CLAYMAN Last Word 34, TARDITI Muse povere 1019 und PARSONS Identities 156 mit weiterer Literatur, der allerdings hinter diesen „positive assertations o f po­ verty“ doch schon einen Hinweis auf „the superiority o f a slender Muse“ vermutet. 148 Aus anderen Gründen ebenso TARDITI Muse povere 1017. 149 Vgl. BULLOCH New Interpretation 273—75 und HARDER Some Thoughts 2 2 f zum Lied des Brotkastens in F 239b.9-12 SH, zustimmend NIKITINSKI Vergangenheitsbezug 18-25, skep­ tisch F a b i a n Aitia 2 82-289. Autobiographisch - auf das alte Klischee des ‘armen Poeten’ be-

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ßerungen betrifft, so muß hier alles offen bleiben: Das eigenartige Bild, das Kallimachos seine Kritiker im 13. Iambos wählen läßt, scheint voraussetzungslos eher noch weniger verständlich zu sein als die ‘dünne’ Muse des Aitienprologs: Die Jambenstellen zeigen also mit gattungstypischer Verzerrung dieselbe vehicleAntithese, die uns beim fetten Opfertier und der dünnen Muse begegnet war. Die Musen der Iamboi beziehen sich natürlich auf die anonyme, dünne Muse der Apollonparainese, nicht auf die namentlich genannten, persönlich agierenden Göt­ tinnen, die mit Kallimachos später das Aitiengespräch der ersten beiden Bücher führen.150Die jambentypische Entstellung stellt sich in diesem Fall schlicht als eine nochmalige, ins Groteske spielende Metaphorisierung oder metaphorische Um­ schreibung der vehicles ‘dick’ und ‘dünn’ dar. Wenn diese Opposition verfrem­ dungsfähig war, so muß sie bereits eingeführt gewesen sein. Es läßt sich also ent­ weder ein Bezug der beiden Versgruppen aus den Iamboi auf die Verse des Aitien­ prologs denken: Da dieser aber wohl später hinzugefügt wurde, müßte dieser Be­ zug aus einer Überarbeitung der Iamboi für dieselbe Ausgabe stammen. Der meta­ phorische Gegensatz würde dann leitmotivisch das erste Gedicht des ersten Teils (der Aitia) und das erste und letzte Gedicht des zweiten Teils (der Iamboi) aufein­ ander verweisen.151 Eine ähnliche Technik war auch anhand der Wegmetapher schon aufgedeckt worden (vgl. oben 58f mit Anm. 152).152 Die andere Möglichkeit wäre die unterschiedliche metaphorische Bezugnahme aller drei Beispiele auf ei­ nen in der zeitgenössischen Diskussion virulenten poetologisehen Gegensatz. Die inhaltliche Bestimmung der metaphorischen Magerkeit allerdings, der tenor dieser Metapher, bleibt bei allen drei Belegen weiterhin offen. Sicher hingegen ist, daß die Kritiker diese Magerkeit negativ bewerten, das Fette, πΐον, dagegen sehr be­ grüßen: Wie allerdings λιμηρά belegt, geht es deutlicher als beim θύος πάχιστον des Aitienprologes bildlich ums Essen, nicht um Frauengestalten. Sofern sich diese Bewertung überhaupt auf ästhetische Figururteile übertragen läßt, kann man, wie zogen - wollte bereits B a r b e r in der editio princeps F 239b SH verstehen (bei J. W . B. B a r n s , H. ZILLIACUS [eds.], The Antinoopolis Papyri. Part III [Nr. 111-124], Egypt Explora­

tion Society, Graeco-Roman Memoirs 47, London 1967; 14). Gerade vor dem Hintergrund des gnomischen Verses 5 kann ich hier allerdings mit dem bei H a r d e r Anm. 17 zitierten Stobaios nur einen moralischen, keinen poetologischen Sinn entdecken, vielleicht in erotischem Kontext (vgl. F 193 und D 6.33^10 P). LlVREAs (Somnium 60) Interpretationen zu F 114.14 δατεϊσθαι erscheinen ebenso gewagt. Ebenfalls möchte ich nicht mit GENTILI Comunicazione 126 die έργάτις Μ οΰσα aus F 222 P in diesen Zusammenhang ziehen. 150 C l a y m a n Iambi & Aitia 281 möchte sie als Parodien der Gesprächsmusen aus den Aitia se­ hen. 151 Ähnlich anhand der Musen CLAYMAN Iambi & Aitia 280. Auch LlVREA spricht von der Armut als „Leitmotiv della propria poetica“, ohne allerdings den Zusammenhang der Stellen zu un­ tersuchen (Polittico callimacheo 23). 152 Zusammen mit der leitmotivisch verwendeten Wegmetapher spricht das Leitmotiv ‘Mager­ keit für eine konzeptionelle —wenn wohl auch sekundäre —Einheit von Aitia und Iamboi oh­ ne die Μέλη (F 2 2 6-229 P). Allerdings könnte F 229 P (Branchos, vgl. D 10.15-17 P) über das Visionsmotiv einen ringkompositorischen Anschluß an die Apollonparainese von F 1 P bilden. Für die Zugehörigkeit der Μέλη zu den Iamboi argumentiert A. ARDIZZONI, Considerazioni sulla Struttura del Libro dei Giambi di Callimaco, in: Miscellanea di Studi Alessandrini in Memoria di Augusto Rostagni, Torino 1963; 257-262.

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oben demonstriert, nicht von einer allgemeinen Ablehnung fülliger ‘Musen’ aus­ gehen: Also müßte das Gebot Apollons den abweichlerischen Geschmack des Kallimachos legitimieren und ließe sich nur als Reaktion auf Polemiken verstehen, die der in F 203 P geäußerten glichen. Eine solche Strategie täte jeder allgemein verbindlichen Sympathielenkung empfindlichen Abbruch. So ist also ein ästheti­ sches Verständnis der μοΰσα λεπταλέη als ‘schön’ für den zeitgenössischen Kallimachos-Rezipienten femzuhalten. Während die Frage nach den ästhetischen Bewertungsmaßstäben des dritten vorchristlichen Jahrhunderts nicht zu der Erkenntnis geführt hat, Schlankheit sei gängiges Schönheitsideal gewesen, sondern eher zu der des Gegenteils, so ist es doch aus hermeneutischer Neugier interessant, den Philologen des (meist) ausge­ henden zwanzigsten nachchristlichen Jahrhunderts dieselbe Frage zu stellen. Der Wechsel der ästhetischen Figurparadigmen von früherem ‘fett’ zu heutigem ‘schlank’ wird von soziologischer Seite mit dem Übergang von einer Agrar- zu einer Industrie-, d. h. mit der modernen ‘Überflußgesellschaft’ und ihren Wertvor­ stellungen begründet.153 Auch die Kallimachos-Philologie unseres Jahrhunderts hat sich diesem ästhetischen Diktat nicht entziehen können: Symptomatisch dafür ist die unbewußte Identifikation der Μοΰσα λεπταλέη mit einer ‘schönen Frau’, mit dem Schönheitsideal des Philologen selbst.154 Als Indiz dafür diene die allgemein übliche Übersetzung von λεπταλέος als ‘schlank’ bzw. ‘slim’ statt ‘dünn’ oder ‘mager’.155 In einem unwillkürlichen ästhetischen Anachronismus neigt man dazu, die eigene Schönheitsnorm auf das Alexandria des Kallimachos zu projizieren.156 Dies geschieht, weil der Rezeptionsakt die Metaphorik mit ihren sympathielenken­ den Assoziationen automatisch in den lebensweltlichen Kontext des Lesers einord­ net.157 Man darf sich sicher sein, daß in der gleichen Weise, wie die Metaphern die Sympathielenkung des antiken Lesers beeinflußten (vgl. oben 17f), diese spezielle dies auch heute noch leistet, weil ihr vehicle uns an eigene Wertbegriffe erinnert. Die kommentarlose Selbstverständlichkeit, mit der gerade unsere Verse so oft zi­ tiert zu werden pflegen, stützt sich auf ihre scheinbare Klarheit, die wiederum nur aus der scheinbaren Kongruenz einer antiken poetologischen Metapher mit moder153 Stellvertretend für viele jüngst: A. PROST, G. VINCENT (Hrsgg.), Geschichte des privaten Lebens, 5. Band: Vom ersten Weltkrieg zur Gegenwart, dt. von H. FLIESSBACH, Frankfurt/Main 1993; 263: „Es wäre zu einfach, die Geschichte des Schönheitsideals vom weibli­ chen Körper auf die eindimensionale Entwicklung von der Üppigkeit zur Schlankheit zu re­ duzieren. Gewiß wird in den unterernährten Gesellschaften Leibesfülle bewundert [...].“ 2 6 5 66: „Die Ästhetik der Schlankheit - charakteristisch für eine Überfluß-|gesellschaft, der Fett für ‘schädlich’ und Beleibtheit für ‘vulgär’ gilt - wird heute von den Medien propagiert und beschert den Frauen die ‘bewußte Ernährung’ und immer neue Varianten der Gymnastik [...].“ 154 HOPKINSON Anthology 87 formuliert salopp: „Books, like girls, are better slim [...].“ Eine ähnliche Ästhetik bei LOHSE Aitienprolog 2 2 zu F 1.11 P und F 3 9 8 P: „Neben den schlanken koischen Mädchen kann die dicke Lyde nicht bestehen [seil, weil sie dick ist].“ 155 Eine rühmliche Ausnahme bietet PFEIFFER (Altersgedicht 322), der 1933 unsere Muse als ‘mager’ bezeichnet. 156 JACQUES Acrostiche 53 Anm. 3: „La Muse de Callimaque est d’accord avec le canon de la beaute Alexandrine.“, ebd.: ,,[...] la Muse en qui lui plait une 616gante minceur. Ähnlich GOWERS Loaded Table „aesthetic o f slimness“ (Zitat 44, ähnlich 122, 192). 157 Vor grundsätzlich Vergleichbarem warnt in einem anderen Zusammenhang HEATH Unity 2.

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nen ästhetischen Präferenzen resultiert. Wie oben (16Iff) ausgeführt wurde, kann von wirklicher Übereinstimmung der Bewertung von ‘schlank’ oder besser ‘dünn’ für menschliche Schönheit aber nicht die Rede sein. Die Mechanismen der Sympa­ thielenkung werden umgekehrt bei E. Reitzenstein in einzigartiger Weise deutlich, der seine Ressentiments gegen das zu seiner Zeit (1931) noch nicht so selbstver­ ständliche Schlankheitsideal und seine Skepsis gegenüber vermeintlich effeminierten Gelehrten deutlich bei der Diskussion von λεπτός durchscheinen läßt.158 Noch der moderne Philologe läßt also —ob positiv, ob negativ —seine Sympathie durch die von Kallimachos gewählten vehicles beeinflussen. Es spricht alles dafür, einem antiken Rezipienten ähnliche Reaktionen zu unterstellen. Gelegentlich wird auf die vermeintliche Affinität von kallimacheischem λεπτός-Begriff und den Erzählungen von der außerordentlichen λεπτότης des Philitas (Athenaios 12.552 B und dazu Aelian VH 10.6 [vgl. oben 163]) hingewiesen.159160 Cameron hat diese Geschichten überzeugend aus dem Spott der Alten Komödie über dünne Leute hergeleitet, dessen prominentestes Opfer stets Kinesias ist (Philitas 535, 537). Es ist nicht zu bezweifeln, daß beide Dichter tatsächlich dünn waren. Im topischen Spott über sie erkennen wir vielleicht auch ein Indiz für die generell eher negative ästhetische Bewertung von Magerkeit. Die Untersuchung der ästhetischen Bewertungsmöglichkeiten hat den Schluß na­ hegelegt, daß λεπτός auf dieser Ebene, der ästhetischen, vom Rezipienten wohl kaum begrüßt worden sein wird. Wie steht es mit der anderen, der medizinischen 158 Stiltheorie 33: „Jedenfalls wird [...] durch λεπ τός etwas ausgedrückt, was dem ästhetischen Empfinden des Griechen voll entsprach, was er ‘schön’ fand. Aber war es bei λ επ τό ς als Be­ zeichnung der Körperbeschaffenheit nicht gerade umgekehrt? ln der älteren Zeit umschloß das Wort zweifellos ein abfälliges Urteil. Sehr begreiflich. Der Mensch des tätigen Lebens muß gesund, kräftig an Körperbau sein. Nunmehr ist, wenigstens in gewissen Schichten, eine Ver­ änderung des Körperideals eingetreten. Die Geschmacksrichtung der Mode muß sich damals bei der Weiblichkeit in sehr ähnlichen Bahnen bewegt haben wie heute. [... zu Terenz Eun. Es ist nicht m kühn> auch diese Gelehrtenkreise etwas Ähnliches einzusetzen. Γ...1 Wie die Dichtung der Alexandriner gegenüber der alten, großen Tradition etwas Feminines hat [...], wie für sie das weibliche Geschlecht als Gegenstand und Publikum viel mehr in den Vordergrund gerückt ist, so hat sich auch ihr Menschenideal dem der feinen, modischen Frau genähert. 159 Lapidar CAMERON Philitas 534 (geht dem Gedanken nicht weiter nach); H o p k in s o n Antholo­ gy 9 und 90, sehr weitgehend MÜLLER Erysichthon 40. Schon REITZENSTEIN Stiltheorie 34 mit Anm. 3 hatte richtig diese vermeintliche Parallele für zufällig erklärt. B a r ig a z z i Mim164 mit Anmm· 3~ 4 versucht, die interpretatorischen cruces der Verse F 1.9-12 mit Hilfe dieser Anekdote zu klären. Noch einen Schritt weiter geht jüngst G a r g iü l o Bilancia 127 mit Anm. 17, der sogar vermutet, die Magerkeit des Philitas sei aus F 1.11 P αί κατά λ επ τ ό ν spater extrapoliert worden: Aber dort ist eindeutig von dessen Gedichten die Rede' 160 ln eine ähnliche Richtung hatte schon REITZENSTEIN Stiltheorie 34 mit Anm 3 gewiesen der als ltterarhistorisiAen Hintergrund dieser Geschichten die Epigrammgruppe des Lukillios εις ε π τ ο υ ς (AP 11.91 9 4 ) annahm. Im Kontext der Epigrammreihung (8 7 auf einen Riesen 88 eine Zwergin, 89 einen Däumling, ebenso 9 0 und 9 5 ) wird deutlich, daß es sich um systemati­ sche Inventionsspielereien handelt, die keinen Schluß auf allgemeine ästhetische Bewertungen zulassen: Es handelt sich nicht um echten Spott. Die Absurdität der Bleischuhe, die den dün­ nen Philitas auf der Erde halten (Aelian VH 9 .1 4 ), erinnert an den Stil dieser Epigramme

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Auffassung ‘dünn ist gesund’? Die Frage nach der humanmedizinischen Relevanz einer Forderung, die Dünnheit für ein anthropomorphes weibliches Wesen ver­ langt, muß zunächst die medizinischen Kenntnisse des Kallimachos und seines Publikums eruieren. Offenbar bestand in Alexandria ein reges öffentliches Interes­ se an medizinischen Fragen. Kallimachos bildete keine Ausnahme: Bei den zahl­ reichen, z. T. anspruchsvollen medizinischen Anspielungen seiner Gedichte mußte er in dieser Beziehung mit dem hohen Niveau seiner Rezipienten rechnen kön­ nen.161 Kallimachos berücksichtigte auch medizinische Autoren in seinen Πίνα­ κες.'62 Die Verwendung medizinischer Kenntnisse in frühhellenistischer Dichtung ist kürzlich einem ästhetischen Wirkungsziel, dem des Realismus, überzeugend untergeordnet worden.163 Was unsere παχύς-λεπτός bzw. λεπταλέος-Antithese 161 Den eigentlichen Beginn der Forschung repräsentiert H. OPPERMANN, Herophilos bei Kalli­ machos (1925), in: S k ia d a s Kallimachos, 1-20, der die Wendung σ ά κ ε ι [...] τ ε τ ρ α β ο ε ί φ (H3.53) auf die durch Herophilos gerade erst entdeckte Anatomie des Auges bezieht. Ihm sind G. MOST, Callimachus and Herophilus, Hermes 109 (1981) 188-196 (Geburtsschilderung in H 4.116-17, 206-211 verarbeitet gynäkologische Schriften des Herophilos mit bestimmter Be­ zugsintention: 195-96, doch vgl. die Kritik durch H. VON STADEN Herophilos [wie oben 44f Anm. 95] 394f) und LANGHOLF Hippokratische Frage 5-17 (10-11: H6.92-93 έ τ ά κ ε τ ο , μ έ σ τ ’ έ π ί ν ε ύ ρ ο ις / δ ε ιλ α ίφ ρ ιν ό ς τ ε κ α ί ό σ τ έ α μ ώ ν ο ν έ λ ε ίφ θ η bietet wörtliche Anklänge an De Flatibus 12 (6.110 .4 f LlTTRE) σ ά ρ κ ε ς [...] αί τ η ξ ό μ ε ν α ι λ ε ίπ ε τ α ι γ ά ρ ό σ τ έ α κ αί ν ε ϋ ρ α κ α ί ρ ιν ό ς (ν. /. Ιν ε ς ); über die medizinischen Implikationen des H6 allgemein: 9 Anm. 35 „Wortspiel des gängigen technischen Terminus in raffinierter archaisierender Weise“) ge­ folgt. Zur medizinischen Bildung des Publikums LANGHOLF 15. Doch vgl. zur These LANGHOLFs den Einwand C. W. MÜLLERS (Ein neues Epiker-Fragment. Zu Kallimachos H. 6,92f. und Hippokrates De Flat. 12 [110,4 Littre], in: W. GÖRLER, S. KOSTER [Hrsgg.], Pratum Saraviense. Festgabe für Peter Steinmetz, Palingenesia 30, Stuttgart 1990; 41-49), nach dem bei beiden Autoren voneinander unabhängige Zitate aus einem verlorenen epischen Zu­ sammenhang vorliegen. Vgl. da auch F. KUDLIEN, Hippokrates-Rezeption im Hellenismus, in: G. Baader, R. Winau (Hrsgg.), Die hippokratischen Epidemien [...], Sudhoffs Archiv Beiheft 27, Stuttgart 1989, 355-376, hier 363f. Die Rolle der Medizin in Alexandria diskutieren FRASER Alexandria 1.356, 369-70; 2.525, 545^16; M eillier Callimaque 314 Anm. 82, ZÄNKER Realism 124f, neuerdings N ik it in sk i Vergangenheitsbezug 109-37. Die medizini­ schen Kenntnisse des Apollonios erörtern F. SOLMSEN, Greek Philosophy and the Discovery o f the Nerves, MusHelv 18 (1961) 150-167; 169-197 (195-197 zu Apollonios Argon. 3.76165) und H. E r b s e , Homerscholien und hellenistische Glossare bei Apollonios Rhodios, Her­ mes 81 (1953) 163-196 (186-190 zu medizinischen Termini). Zu Arats Beschäftigung mit ’Ι α τ ρ ικ ά vgl. MAASS Aratea 223f, zum „brain drain“ koischer Ärzte nach Alexandrien LANGHOLF Hippokratische Frage 16 Anm. 56. Eine Ausnahme stellt offenbar Eratosthenes F 25 CA mit seiner archaischen (nach Plutarch, der das Fragment zitiert, platonischen) Vorstel­ lung dar, man trinke in die Lunge (vgl. SOLMSEN 196 Anm. 61 und die hippokratische Schrift De natura ossium 9.186.1 LlTTRE): ein literarischer Archaismus? 162 Dazu PFEIFFER Klassische Philologie 191 mit Verweis auf F 429 P (über den Arzt Philistion aus Sizilien: zu diesem jüngst WÖHRLE Gesundheitslehre 89-91). Dazu kannte Kallimachos mindestens den Arzt Philipp persönlich: Vgl. Ep. 46.3 P/3.1049 HE mit C a p o v il l a Saggi 84. 163 ZÄNKER Nature 132, weniger überzeugend allerdings dessen Versuch, dieses Streben nach Realismus seinerseits einzig einem sozialästhetischen Zweck unterzuordnen, demjenigen nämlich, den Griechen in Alexandria ein Identitätsgefühl zu schaffen (137-140). Ferner sollte man berücksichtigen, daß nicht alle ‘gelehrten’ Elemente ffühhellenistischer Dichtung zu ei­ ner realistischeren Darstellung führen: Die vielen Bezüge auf den Homertext und Homerzetemata beispielsweise müssen eher die gegenteilige Wirkung zeitigen.

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allerdings betrifft, so ist hier zunächst sicher, daß keine medizinischen Fachbegrif­ fe im engen Sinne vorliegen.164 Trotzdem bewerten Aristophanes und Platon sie implizit bereits in einer Weise, die vulgärmedizinische Assonanzen aufweist.165 Vor allem λεπτός begegnet im Corpus Hippocraticum mit der signifikanten Un­ bestimmtheit, die es in der Umgangssprache genauso aufweist (vgl. Index Hippocraticus 470: Dasselbe gilt für ισχνός). Bei einer Durchmusterung der medizini­ schen Corpora ergibt sich ein merkwürdiger Befund: Zwar kennt man die Opposi­ tion von παχύς und λεπτός und gibt sogar Vorschriften, wann und wie man Ge­ wicht zu verlieren habe. Aber diese Anweisungen beziehen sich nie auf Fettleibig­ keit im allgemeinen, sondern stets wird eine Gewichtsreduktion im Zusammen­ hang nur mit bestimmten Erkrankungen empfohlen.166 So gibt z. B. der Autor der gynäkologischen Schrift De morbis muliebribus in einer Reihe von Rezepten ge­ gen Uterusschmerzen die Anweisung (2.180; 8.362.16-17 Littre): κην ύποφύηται πιμελή σαρκοειδεστέρη, τηκεδόνα έντιθέναι, καί λεπτύνειν μέσως· αί γάρ λίην λεπτυνόμεναι άραιαί είσιν καί έκτιτρώσκουσιν. Und wenn fleischiges Fettgewebe hochwächst, soll er [seil, der Arzt] ein Redukti­ onsmittel verabreichen und sie [seil, die Patientin] mäßig abnehmen lassen. Frauen, die zu viel Gewicht verlieren, sind nämlich dünn und neigen zu Fehlgeburten. Wie sich die Diagnose des ‘fleischig aufwachsenden Fettes’ zum Problem des Ute­ russchmerzes verhält, exponiert der Autor nicht, allein vor den Folgen übermäßi­ gen Gewichtsverlustes, dem Risiko einer Fehlgeburt, wird gewarnt. Ähnlich sind die Empfehlungen in Περί άρϋρών εμβολής zu beurteilen (50; 187.2-5 Kühle164 Nach keinem der vier Kriterien, die DOVER Stil 1 3 4 -3 5 für den „Fachbegriff1 aufstellt (1.

Fachbegriffe müssen alltägliche Synonyme haben oder 2. in der jeweiligen Fachsprache an­ ders verwendet werden als in der Umgangssprache oder 3. in der jeweiligen Fachsprache ge­ nauer sein oder 4 . in der Umgangssprache unbekannt sein), ist λεπ τό ς oder παχύς ein medi­ zinischer terminus technicus. Vgl. schon DOVER Aristophanes 63 zu MILLER Medical Lan­ guage passim. ZIMMERMANN Hippokratisches 515 fordert im Zuge seiner Aufstellung von vier Typen möglicher medizinischer Fachwortverwendung bei Aristophanes zu Recht, daß der Anteil medizinischer Konnotationen eines Begriffs im Kontext geprüft werden müsse und le­ diglich verbale Koinzidenz mit dem Corpus Hippocraticum nicht ausreiche. Zum Fachbegriff und seiner Verspottung bei Aristophanes richtungsweisend schon 1927 D e n n is t o n Technical Terms 113. 165 Zu Aristophanes vgl. oben 162. Platon Rep. 8.556 D 4 vergleicht die Kampfkraft magerer, sonnenverbrannter Armer und die dekadenter, fetter Reicher und stellt fest, daß die letzteren überflüssiges Fleisch mit sich herumschleppen: π ολλά ς έ'χοντι σάρκας άλλοτρίας. Diese Auffassung liegt wohl auch dem σώμα-Vergleich des Kleochares zugrunde (vgl. oben 162f). Hier ergänzen sich bereits primitive diätetische Beobachtungen und eine topische Dekadenz­ polemik (vgl. Platons Ausführungen zur τρυφώσα πόλις [Rep. 2.372 A 5ff], die 373 E 7-8 eindeutig medizinische Metaphern verwenden, ähnlich Rep. 3.404 A 3-5, E 3 -5 ) zu einer Verurteilung von Fettleibigkeit. 166 Der Traktat De victu salubri gibt zwar ausnahmsweise allgemeine Anweisungen zur Ge­

wichtsabnahme (4; 6 .7 6 .1 2 L it t r e : τ ο ύ ς δ έ π α χ έ α ς χ ρ ή κ α ί ό σ ο ι β ο ύ λ ο ν τ α ι λ ε π τ ο ί γ ε ν ε σ υ α ι [··.]). doch ergehen in gleicher Allgemeinheit gegenteilige an die λ ε π τ ο ί zur Zu­

nahme (6 .7 6 .2 0 : ο κ ο σ ο ι δ έ β ο ύ λ ο ν τ α ι λ ε π τ ο ί έ ό ν τ ε ς π α χ έ ε ς γ ε ν έ σ Ο α ι [...]). Eine Bewertung eines der beiden Zustände findet sich jedoch nicht.

4.2 Organologisches: dick versus dünn

171

wein/4.220.17—19 Littre bzw. 33; 152.8—9/4.152.6—154.1): Im Falle eines Kiefer­ bruchs und einer Rippenprellung empfiehlt der Arzt zehntägige Diät (ίσχναίνειν). Wieder findet sich nur eine eng begrenzte Anwendung reduktiver Diäten. Als aufschlußreich erweist sich eine Betrachtung des einzigen medizinischen Traktats, der sich systematisch mit Gewichtsreduktion befaßt: Galens Schrift Περί λεχτυνούσης διαίτης (CMG 5.4.2; 431-451 Kalbfleisch).167 Diese Abhandlung fuhrt nach einer Einleitung (§§1-11) eine lange Liste von Abfuhr- und Schlank­ heitsmitteln auf, um mit allgemeinen therapeutischen Bemerkungen zu schließen (§§104—118). Auch hier findet sich keine generelle Feststellung, daß Fettleibigkeit an sich ungesund sei. Schon der Ansatz Galens ist bezeichnend: Es geht ihm nicht darum, um eines generellen Schlankheitsgebotes willen Übergewicht zu vermeiden oder abzubauen, sondern darum, ganz bestimmte Krankheiten durch Gewichtsre­ duktion sparsamer medikamentieren zu können (§1; 433.4—5): Er nennt άρθρΐτις und νεφρΐτις (§2; 433.8). Beachtenswert scheint ferner, daß Galen das hohe Alter dieser Methode und ihre Kenntnis auch bei Laien besonders betont (§3; 433.19). Trotz des Bezugs auf ganz bestimmte Erkrankungen erreicht Galen gelegentlich eine bemerkenswerte Abstraktion: [...] υγιεινή μεν ή λεπτύνουσα δίαιτα, νοσώδης δε ή παχύνουσα (§108; 449.30—31). Nimmt man diese letzte Aussage zusammen mit der Beobachtung, daß auch im Corpus Hippocraticum Fettabnahme meist als gesundheitsforderlich beurteilt wird, selten der Aufbau von Fett, so könnte man vielleicht doch eine laienmedizinische Vorstellung vermuten, nach der Fett als gesundheitsschädlich angesehen wurde. Eine beiläufige Bemerkung des Aristoteles scheint in diese Richtung zu weisen.168 Dies ist offenbar auch die Vor­ stellung, die im Hintergrund der von uns angeführten Stellungnahmen des Aristo­ phanes und Platons stehen könnte. Wenn der zeitgenössische Rezipient des Aitienprologs eine solche Vorstellung mitbrachte, so würde λεπταλέος von ihm als ‘gesund’ konnotiert. Ebenfalls bei Galen im Θρασύβουλος (5.878 Kühn) findet sich eine sprich­ wörtliche Weisheit in Gestalt eines jambischen Trimeters (= Adesp. com. 1234 CAF), die eine überraschende Nähe zur Antithese des Aitienprologs aufweist. Sie könnte geradezu zu den betreffenden Kallimachosversen zitiert worden sein, so vollkommen paßt sie: π α χ ε ΐ α γ α σ τ ή ρ λ ε π τ ό ν ο ύ τ ίκ τ ε ι ν ό ο ν .

Die im Deutschen unübersetzbare Gnome findet sich im Kontext von Athleten­ polemik.169 Ob die Versgestalt authentisch ist oder nicht, spielt für unsere Argu167 WÖHRLE Gesundheitslehre berücksichtigt diese Schrift leider nur am Rande (246 Anm. 80). 168 Phys. II 3.194 b35 - 195 al: In der Erörterung der causa fmalis gibt Aristoteles das Beispiel, daß man um der Gesundheit willen abnehme - καί δσα δή κινήσαντος ά λλου μεταξύ γίγνεται τού τ έλ ο υ ς, ο ιο ν τής ύγιείας ή Ισχνασία ή ή κάθαρσις ή τά φάρμακα ή τά όργανα. Es ist unsicher, ob das nur die Verallgemeinerung spezifischer Fälle oder doch ein allgemei­ nes Verhalten beschreibt. 169 Informationen zu diesem im zweiten Jahrhundert längst topischen Sujet bietet R. B. BRANHAM, Unruly Eloquence. Lucian and the Comedy o f Traditions, Revealing Antiquity 2, Cambridge, Mass./London 1989; 242 Anm. 25.

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4 Quantifizierende Antithesen

mentation eine untergeordnete Rolle.170 Galen beruft sich auf das sprichwörtliche άληθέστατον171 fur seine in platonischer Tradition stehende Forderung, Leibes­ übung und Geistesarbeit in der Erziehung zu verbinden: Wie die Naivität des Vo­ kabulars zeigt, handelt es sich um eine populärmedizinische Volks Weisheit, deren Witz darin besteht, daß sie die Termini proprie und intellektualmetaphorisch zu­ gleich verwendet (dazu unten 175). Der Mediziner vermag ihr einen diätetisch­ pädagogischen Sinn abzugewinnen. Das Sprichwort bewertet Fettleibigkeit ganz deutlich negativ, Galen überträgt es mit bewußt unscharfer Polemik auf die ‘dicken’ Muskeln der Athleten.172 Obwohl natürlich die Datierung dieses άδέσποτον unklar bleiben muß,173 darf es als Sprichwort ein gewisses Alter bean­ spruchen.174Zusammengenommen mit dem auch von Galen bezeugten hohen Alter vulgärdiätetischer Vorstellungen darf man seine Bekanntheit für den Hellenismus vielleicht voraussetzen. Gestalt und Bewertung dieses Gedankens liefern genau den assoziativen Hintergrund, den der Rezipient bei der Lektüre der Aitienverse brauchte, um mit einer unproblematischen Selbstverständlichkeit Apollons Anwei­ sung zu akzeptieren und die ‘dünne’ Muse zu begrüßen. Dieser würde hier asso­ ziativ Gesundheit und Intelligenz beigemessen. Der Umkehrschluß, dieses Sprich­ wort sei vom kallimacheischen Gegensatz zwischen παχύς und λεπτός bzw. λεπταλέος abgeleitet, wird niemanden überzeugen, da dieser dazu viel zu komplex aufgebaut ist: Die medizinisch-intellektualmetaphorische Ebene hat zweifellos Priorität vor der poetologischen. Die Verwendung eines Sprichworts als Substrat eines poetologischen vehicle findet sich bei Kallimachos wohl ebenfalls in seiner Verwendung des θόρυβος όνων als akustischer Stilmetapher (vgl. unten 195f).175 170 Die Kodizes L und C bieten einheitlich Prosa (vgl. G. H e l m r e i c h [ed.], Claudii Galeni Per­ gament Scripte minora, vol 3, Leipzig 1893, 85.8f): ά λ η θ έσ τα τον ώς γα στήρ (+ ή L2) παχεΐα τον νοΰν ού τίκτει τό ν λεπ τόν. Der Trimeter scheint eine willkürliche Umgestaltung des überlieferten Textes durch C h a r t e r i u s zu sein (ed. Galen, Basel 1679). Zu ähnlichen Fällen vgl. J. KoLLESCH, Rene Chartier. Herausgeber und Fälscher der Werke Galens, Klio 48 (1967) 183-198, vor allem 188ff. In dieser Form hat es als lepidum proverbium ex aliquo comico ( C o b e t bei KOCK F 1234 CAF) Eingang in die Komödiencorpora gefunden, erst K o c k zweifelte wegen des unkontrollierten νόον daran. 171 Vgl. zur griechischen Tradition nach Galen LEUTSCH 2.337 zu Apostolios 5.22a. LEUTSCH bringt auch etliche Beispiele lateinischer Rezeption des Sprichworts bis Hincmar von Reims. Charakteristisch ins Christliche transformiert begegnet der Satz bei Ps.-Beda Proverbiorum li­ ber, MIGNE PL 90.1099 incrassata caro gustat coelestia raro. Ά λ η θ έσ τ α τ ο ν begegnet häufig ei Galen als Hinweis auf ein Sprichwort: Vgl. z. B. Loc. aff. 8.49 KÜHN, Cris. 9.742 KÜHN Meth. med. 10.400 KÜHN. ’ ’ 172 Zur Einordnung der Schrift vgl. WÖHRLE Gesundheitslehre 119-122. 173

° alenS Ζε'1 ‘n diCSer Gestalt bereits Sprichwort war, muß seine dichterische Form erheblich alter sein, die aber ihrerseits vielleicht noch eine inhaltliche Tradition voraussetzt. Horaz (Serm. 2.6.14-15) steht mit seinem pingue pecus und Ingenium gedanklich in einer gewissen Nähe zu unserer Gnome: Wenn der Schein nicht trügt, hat das Sprichwort eine ge­ wisse Verbreitung gehabt. 6

175 Vgl. LSJ . v. όνος, dazu Kratinos F 247 PCG mit Material und die Paroemiographen Apostolios 12.82, 83; Diogeman 7.33 (mit dem Kommentar LEUTSCH/SCHNElDEWINs ad /.), Grego­ rios Kypros 4.66 (Cod. Mosq.) und Makarios 6.38, 39 (zitiert nach LEUTSCH/SCHNEIDEWIN) PFEIFFER denkt anscheinend nicht an diese Möglichkeit, den Vers zu erklären. Eine vergleich­ bare Technik zeigt Ovid in seinen Epistulae ex Ponto 4.2.16 sed siccum sterili vomere litus 5

4.2 Organologisches: dick versus dünn

173

Man hat die ästhetischen Vorlieben des Kallimachos in einer populärmedizini­ schen Metapher als Versuch bezeichnet, die Kunst einer „dieta dimagrante“ zu unterziehen.176 Dies paßt besser auf einige Verse der Ranae des Aristophanes, de­ ren Euripides die Tragödie des Aischylos tatsächlich einer Schlankheitskur unter­ zogen haben will (939-943): άλλ’ ώς παρέλαβον την τέχνην παρά σοΰ τό πρώτον ευθύς οίδοΰσαν ύπό κομπασμάτων και ρημάτων έπαχθών, ΐσχνανα μέν πρώτιστον αυτήν καί τό βάρος άφεϊλον έπυλλίοις καί περιπάτοις καί τευτλίοισι λευκοΐς, χυλόν διδούς στωμυλμάτων άπό βιβλίων άπηθών. G leich als ich die K unst v o n dir übernahm, die g esch w o llen war von Bom bast und sch w erverd au lich en W örtern, habe ich sie zuerst a u f D iät gesetzt und ihr G ew icht verm indert durch leich te V erse, Spaziergänge und w eiß e Rüben. D azu gab ich ihr Saft v o n G esch w ätz, das ich aus B üchern geseih t hatte.

Das Bild geht von der als Frauengestalt personifizierten Tragödie aus,177 allegorisiert dann den gewichtigen Stil des Aischylos als ‘Körpergewicht’, gegen das tat­ sächliche Abführmittel Anwendung finden.178 Die eindeutig medizinische Ebene wird scherzhaft gebrochen, indem unter wirkliche typisch euripideische ‘Medika­ mente’ gemischt werden.179Es kann allerdings nicht geleugnet werden, daß esoteriaro : Auch hier wird ein Sprichwort in einem poetologischen Zusammenhang neu situiert. All­ 176 177

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gemein zur Rolle von Sprichwörtern in alexandrinischer Philologie ZÄNKER Realism 160. BORGOGNO Poetica 131 Anm. 4: „[...] nel suo [seil, di Callimaco] tentativo di attingere il mondo dell’arte per mezzo di una dieta dimagrante [...]“ und ähnlich RlEDWEG Reflexe 131. Vgl. zur Technik im Rahmen der Komödie NEWIGER Metapher 131, HARRIOTT Poetic Criti­ cism 151 (allerdings mit ungeeigneten Beispielen - im wesentlichen τίκτω-Metaphe .i) und oben 43 die von den neuen Dithyrambikem vergewaltigte ‘Hetäre Musik’. Zum Rezept stellen MILLER Medical Language 80 und TAILLARDAT Images 452 §779 Anmm. 4 -5 fest, daß es sich bei τευτλία und deren χυ λός tatsächlich um Abführmittel handele (mit Belegen). Vgl. dazu auch Galen Vict. att. §9; 5.4.2 CMG 434.27. TAILLARDAT Images 439 §751 führt die interessante Parallele eines kulinarischen Rezeptes zur Tragödienbereitung an: Vgl. dazu im Zusammenhang mit der reversiblen Kochmetapher unten 249 Anm. 29. Spontan als m ed izin isch beurteilt von SNELL E n tdeckung 114 im G e fo lg e NIETZSCHES („H au sm ittel“, v g l. d ie fo lg e n d e A n m .); KOMORNICKA M etaphores 114. Parallelen aus dem Corpus Hippocraticum für ίσχναίνεσ», οίδεΐν (v . a. Fract. 21 [3.488 L it t r e ] οϋτω γάρ αν τάχιστα ισ χνό ν τό οίδημα γένουτο) bei TAILLARDAT Im ages 452 §779. W eitere Parallelen aus m ed izin isch e n S chriften bei D o v e r F rogs 310 und jü n g st bei R. KASSEL, Z u den ‘F rö sch en ’ d es A ristop h an es, RhM 137 (1994) 33-53, hier 49. U m fa n g reich e, aber m eth o­ d isch zu u n b ed en k lich e P ara llelstellen sa m m lu n g bei MILLER M ed ical L anguage 80. Für alle so lch en K la ssifik a tio n sv ersu ch e gilt das vo n DOVER b zw . ZIMMERMANN form ulierte Caveat (v g l. oben 170 A n m . 164). Zur T ech n ik v g l. ZIMMERMANN H ippokratisches 524: „U m so un­ erw arteter steht dann inm itten der literarischen H eilm ittel auch das derbe Purgierm ittel τευτ-

λίον.“ B e z e ich n en d e r w e ise w irken d ie eu rip id eisch en H eilm ittel nicht nur durch ihre D esitu ierung k o m isch , sondern auch durch die m in im ale A b w a n d lu n g tatsächlicher M ittel: N ach MILLER ist έπυλλίοις „surprise for έρπύλλω “ bei χ υ λ ό ν άπηΟών höre man die hippokrati­ sch e W en d u n g χ υ λ ό ν δ ιη θ έο ντες (Acut. 3 [2.240 LlTTRE]), v g l. auch PEGORARO A m b igu itä aristofan esca 402. Zur V ersp ottu n g d es E uripides aufgrund sein es WOODBURY (w ie unten 245 A n m . 18) 355.

B ü ch erw issen s v g l.

174

4 Quantifizierende Antithesen

sehe medizinische Begriffe, also Fachtermini im Sinne Dovers (vgl. 170 Anm. 164) nicht begegnen: Das abfällige „Hausmittel“ Nietzsches trifft die semantische Ebene wahrscheinlich genauer,180 und die Richtung der Polemik dürfte durch die Karikatur des Euripides als ‘bookish poet’ eindeutig sein. Aristophanes läßt seinen Euripides sich also selbst abqualifizieren, dabei aber aus Rücksicht auf die rezi­ pientenbestimmte Komik auf einer medizinisch volkstümlichen und damit allge­ mein verständlichen Ebene bleiben.181 Die Parallelität der aristophaneischen Verse zu unserer Μοϋσα λεπταλέη ist allerdings nicht vollkommen.182 Denn das Bild des Aristophanes beruht nicht auf organischem Fett, sondern auf stilmetaphori­ schem βάρος, das wie όγκος literarisch und medizinisch verstanden werden kann.183 Es ist außerdem möglich, daß Aristophanes eher an Kolik als an Fett ge­ dacht hat. Zweitens wertet natürlich Aristophanes implizit umgekehrt: Denn die ‘schwere’ Dichtung gewinnt ja schließlich den Agon. So kann nicht von einer di­ rekten Rezeption ausgegangen werden, es sei denn, man nähme für Kallimachos Rezeption bei gleichzeitiger Umkehrung des Motivs an. Abschließend läßt sich also feststellen, daß die Antithese von παχύς und λεπτός bzw. λεπταλέος proprie eher auf vulgärmedizinischen Konnotationen als auf ästhetischen Normen aufbaut: Immerhin greift auch Ps.-Longinus ‘kallimacheische’ Dichter unter dem 180 Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (Basel 1872), in: G. COLLI, M. MONTINARJ (Hrsgg.), Nietzsche: Werke. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 3.1, Berlin/New York 1972, 3-152, hier 72.34-73.3: „Was Euripides sich in den aristophanischen | ‘Fröschen’ zum Verdienst anrechnet, dass er die tragische Kunst durch seine Hausmittel von ihrer pomphaften Beleibtheit befreit habe, das ist vor allem an seinen tragischen Helden zu spüren.“ 181 Zu dieser Technik allgemein K. J. D o v e r , Aristophanic Comedy, London 1972, 186. Andere medizinische Metaphern bei Aristophanes weisen dieselbe Struktur auf: Vgl. z. B. έξήμβλωκας (Nub. 137, wozu vgl. MILLER Medical Language 77), φάρμακον στραγνουοίαε (Vesp. 810: ebd. 83). 182 N e w m a n Pindar & Callimachus 182 gruppiert kühn Pindar, Aristophanes und Kallimachos: „[...] what Aristophanes calls ‘reduction’ [er meint ισχναίνω] in a play which shows how much ‘Alexandrian’ vocabulary was current in Athens a century after Pindar had been there.“ O SULLIVAN Stylistic Theory 9 denkt an „language o f thinness“ und assoziiert λ ε π τ ό ς . 183 Zu medizinischem βάρος vgl. MILLER Medical Language 80 (= topor ): Diese Annahme al­ lerdings beraubt die Metapher ihrer Metaphorizität: Denn wenn βάρος nicht gleichzeitig rhetorisch-literarkritisch verstanden werden kann, geht der Bezug zur Tragödie verloren. Vgl. ZIMMERMANN Hippokratisches 524: „Sie ftc;7. die Dame Tragödie] leidet ja auch nicht an ei­ nem gewöhnlichen Übergewicht, sondern ist angeschwollen durch Wortblähungen, denen man eben nur mit destillierten Wortsäften zu Leibe rücken kann.“ A u f rhetorisch-stilistischem βάρος beruht auch die genial-absurde Wägeszene der Ranae ( 1 3 6 5 - 1 4 1 3 ) , in der ‘meta­ metaphorisch’ nicht nur stilmetaphorisches βάρος real gewogen wird, sondern stilistisches βάρος sich in Versen manifestiert, die ihrem Sinn nach schwere Dinge enthalten! Hier liegt eine mehrfache Verdrehung von tenor und vehicle vor. Für einfachere Komik plädieren KOMORNICKA Metaphores 117; N e w ig e r Metapher 53 „lustige Symbole“; R a u Paratragodia U 4 —25 „lächerlich sind nur die angewandten Mittel der Kritik“; HARRIOTT Poetry & Criti­ cism 155; D o v e r Criticism 11. Zu den späteren rhetorischen Gewichtsmetaphem aus dem Be­ reich der Medizin (z. B. οίδέω, όγκος, tumor, torpor etc.) vgl. z. B. N o r d e n Kunstprosa (wie oben 61 Anm. 163) 1.69 Anm. 1; HOOK Terminology 3 4 -3 5 ; POHLENZ Anfänge 4 3 8 Anm. 2; QUADLBAUER Genera dicendi 78; TAILLARDAT Images 4 5 3 §7 7 9 ; TURASIEWICZ Denominazioni 17 und LANGHOLF Hippokratische Frage 17 Anm. 6 0 .

4.2 Organologisches: dick versus dünn

175

Stichwort ύγιές an (33.1; vgl. oben 126), womit er eventuell eine in deren Kreisen geläufige Selbstprädikation aufnimmt und gegen diese kehrt. Die affirmative Be­ wertung von Schlankheit, die die Μούσα λεπταλέη beim Leser voraussetzt, ge­ hört in diesen Bereich volkstümlicher Medizin. 4.2.2 Intellektualmetaphorisches παχύς versus λεπτός In einer lexikalisierten, quasi ‘toten’ Metaphorik184bezeichnen λεπτός bzw. παχύς intellektuelle Qualitäten, etwa ‘schlau, gewitzt’ bzw. ‘dumpf, dumm’: Für Strepsiades sind αμαθής und παχύς synonym (Aristophanes Nub. 842). Die Bedeu­ tungsverschiebung von Körpern auf Intellekte läßt sich in der Ilias noch erahnen:185 Die ‘hippokratische’ Schrift Περί'Αέρων Ύόάτων Τόπων liefert nur scheinbar ein missing link.'*6 Das oben (171) von Galen als πάντων αληθέστατου zitierte άδέσποτον spielt mit der Homonymität der Begriffe: Der Bauch kann nur physio­ logisch, also proprie παχεΐα sein, der Geist nur intellektualmetaphorisch —und damit ursprünglich translate - λεπτός. Daß aber in jedem der beiden Bereiche dieselbe Antithese möglich ist, garantiert der γνώμη ihre witzige Logik, die zu einem überraschenden und doch evidenten Ergebnis führt: Wenn ein proprie ‘dicker’ Bauch keinen metaphorisch ‘dünnen’ Einfall erzeugt, ist er auch translate παχεΐα, also ‘dumm’. In der Alten Komödie spielt intellektuelle λεπτότης eine für die Sympathielenkung zentrale Rolle: Sie bezeichnet einen im negativen Sinne überfeinerten, etwa ‘spitzfindigen’, Intellekt und stellt ausnahmslos diejenigen bloß, von denen der Begriff gebraucht wird.187 In einer Art semantischem 184 KÖLLERs metaphorisches „tot“ meint dasselbe wie STRUBs „lexikalisiert“ (oben 15 Anm. 22, unten 189 Anm. 244). Zu den Begriffen „dead metaphor“ und „catachresis“ vgl. auch SILK Interaction 27f, 21 Of und STEINER Crown 10 Anm. 25. 185 Ψ 5 8 9 -9 0 (Antilochos entschuldigt sich für seine gewagte Fahrweise bei dem älteren Mene­ laos): οΙσΟ’ οΐοα νέο υ άνδρός ύπερβασίαι τελέΟ ουσυ / κραιπνότερος μέν γάρ τ ε νόος, λεπ τή δέ τ ε μήτις. Der Satz meint entschuldigend die größere Hitzköpfigkeit junger Männer, deren Geist ‘beweglicher’ ist. Dieselbe Beweglichkeit könnte übertragen auf intellektuelle, nicht emotionale, Geistestätigkeit zur intellektualmetaphorischen Bedeutung von λεπ τό ς ge­ führt haben. 186 82.6 D ill er /2 .9 2 L it t r e : έ ς τ ε τ ά ς τ έ χ ν α ς π α χ έ ε ς κ α ί ο ύ λ ε π τ ο ί ο ύ δ ’ ό ξ έ ε ς (über die Menschen in fruchtbaren Gegenden mit hohen Temperaturunterschieden). Daraus, daß dies offenbar auf die Skythen geht, die proprie fett sind (68.16/72: τ ά ε ϊ δ ε α α υ τ ώ ν π α χ έ α έσ τ ί κ α ί σ α ρ κ ώ δ ε α [...]), den Schluß zu ziehen, ε ις τ έ χ ν α ς π α χ ε ϊ ς heiße „mit zu dicken Gliedern, als daß sie diffizile Handwerkstätigkeiten ausüben könnten“, überstrapaziert die Stelle, die nur von intellektuellen Fähigkeiten spricht: Dies beweist sicher ό ξ έ ε ς , das proprie nicht von Körpergliedem gesagt werden kann. Spätere Parallelen für diesen Gebrauch ab Platon siehe bei LSJ v. π α χ ύ ς 111. Ob der oben (157 Anm. 108) zitierte Bedeutungszusammenhang mit Ele­ mentarqualitäten, vor allem dem π ν ε ύ μ α bei Diogenes von Apollonia (vgl. z. B. F 64 A 20 DK [2.57.1] und C 2 DK [2.67.24f]), etwas mit der Bedeutungsverschiebung vom Physiologi­ schen aufs Intellektuelle zu tun hat, ist unsicher. Ein ähnlicher Verschiebungsprozeß vom Physischen aufs Intellektuelle läßt sich auch für κ ω φ ό ς vermuten (vgl. Pindar Pyth. 9.87; LSJ i. v. κ ω φ ό ς 11.5 und THOMAS Entwicklung der Metapher 48). 187 Eine kurze Übersicht findet sich bei DENNISTON Technical Terms 119, der den Begriff als „intellectualist“ beschreibt, allerdings sein diffuses Konzept des damit verbundenen „amuse­ ment“ nicht präzisiert. Die generelle Übertragung auf Stilhöhe im Sinne des rhetorisch-

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4 Quantifizierende Antithesen

‘Rückkopplungseffekt’ wird der Begriff in seiner intellektualmetaphorischen Be­ deutung gelegentlich mit Handwerksmetaphorik kombiniert, für die eigentlich die physiologische Bedeutung ‘dünn’ einzig angebracht wäre.188 Daß λεπτός in der Frühzeit generell mit pejorativer Tendenz gebraucht wurde (so Reitzenstein Stiltheorie 36), kann man aus der tendenziösen Sophistenkritik der Alten Komödie, deren Schlüsselwort λεπτός geradezu zu sein scheint, natürlich nicht schließen: Näher hegt die Annahme, die neuen Intellektuellen hätten das Wort im Sinne der herkömmlichen intellektualmetaphorischen παχύς-λεπτός-Antithese programma­ tisch für sich gebraucht und die Alte Komödie es dann gegen sie gekehrt.189 Der­ selbe Prozeß ließ sich für die ‘Ameisenpfade’ der Dithyrambenkritik plausibel machen (vgl. oben 42ff). Der oft beschworene, angebliche Rückgriff der kallimacheischen λεπτότης auf das pejorative λεπτός des Aristophanes und seiner Kollegen müßte also die Schwierigkeit einer polemischen Begriffsumwertung be­ rücksichtigen.190 Dagegen ist es erheblich wahrscheinlicher, daß nicht die polemi­ sche Begriffsverzerrung der Alten Komödie den konnotativen Hintergrund des Lesers liefert, sondern die alltägliche intellektualmetaphorische Antithese, die λεπτός wie Hedylos191 als ‘intelligent’, παχύς dagegen als ‘dumm’ versteht. Die Μούσα λεπταλέη des Kallimachos präsentiert sich auf assoziativer Ebene also terminologischen germs tenue, die O ’SULLIVAN Stylistic Theory 137-138 vomimmt, wird der Verwendung des Wortes in der Alten Kömodie nicht gerecht: O ft genug beschreibt es ja rein intellektuelle, nicht notwendig rhetorisch artikulierte Vorgänge: Vgl. zur Verwendung insge­ samt z. B. Aristophanes Ach. 445, Av. 317 λεπτώ λογιστά, Nub. 153 ώ [...] της λ επ τό τη το ς των φρένων, 359 λεπτότατω ν λήρων ίερεϋ, 1404 γνώμαις δε λεπταις καί λόγοις, 1496 διαλεπτολογοϋμαι, Ran. 828 ρήματα δαιομένη κ ατα λεπ τολογή σει, 956 λεπτώ ν τε κανόνων, 1108 κάποκινδυνεύετον λεπ τόν τι καί σοφ όν λέγειν, Amphis Φιλάδελφος F 33.5-6 PCG (über φρόνησις) τό λεπτώ ς καί πυκνώς / π άντ’ έξετά ζειν (offenbar kann hier πυκνός nicht, wie sonst häufig, synonym mit παχύς sein), Hermippos Δημόται F 21 PCG λεπτολογία. Zur pejorativen Konnotation vgl. T a il l a r d a t Images 295 §315, K o m o r n ic k a Parodie 66-67. 188 Aristophanes F 6 5 6 PCG τ ά λ [ε π ]τ ά (suppl. WiLAMOWITZ) ρ ή μ α τ ’ [ έ ξ ε σ ] μ ή χ ε τ ο , Alexis

Ταραντΐνοι F 2 2 3 .7 - 9 PCG λ ό γ ο ι / λ ε π τ ο ί δ ιε σ μ ιλ ε υ μ έ ν α ι τ ε φ ρ ο ν τ ίδ ε ς τ ρ έ φ ο υ σ ’ ε κ ε ί ­ ν ο υ ς (über Pythagoreer). BUHR (oben 2 4 f Anm. 15) 181 mit Anm. 6 müßte dieses Phänomen

als „katachretische Metapher“ bezeichnen. 189 Die berühmte Invektive des Kratinos gegen Aristophanes τίς δε σύ; κομψός τις εροιτο θεατής. / ύ π ο λεπ το λό γο ς, γνωμοδιώκτης, εύριπιδαριστοφανίζων (F 342 PCG) scheint sich gegen dessen sprachliche Verfeinerung zu richten, die ihn dem Euripides gleichsetze: Da­ zu vgl. KOMORNICKA Metaphores 108-09; ZIMMERMANN Music 48, der hier ein „Aristophanic paradox“ erkennt (Aristophanes polemisiert gegen eine Gruppe, deren Technik er aber übernehme); BREMER Poetry 147-148; SOMMERSTEIN Old Comedians 22 („verbally bracketing him with Euripides and with the sophists“). 190 Was überwiegend gem in Kauf genommen wird: Vgl. z. B. SNELL Entdeckung 114 „seine [sctl. des Aristophanes] Wertung geradezu auf den Kopf stellte“, 247 „gerade umgekehrt“; PFEIFFER Klassische Philologie 173 „charakteristischer Bedeutungswandel“; CAMPBELL Notes 45 „specific Aristophanean source“, genauso CAMERON Critics 7. 191 Hedylos fällt nur beim Wein etwas Geistreiches ein (5 .1 8 5 4 HE εϋροιμ’ αν λ επ τό ν καί τι μ ελιχρ όν έπος). Nichts spricht dafür, daß hier kallimacheisches λεπ τό ν eine Rolle spielt: lm Kontext der Wein- und Wasserdebatte (oben 133 Anm. 118) ist nur die intellektualistische Interpretation erforderlich. KAMBYLIS Dichterweihe 121 „kallimacheische Begriffe“ und P f e i f f e r Klassische Philologie 173 gehen also zu weit.

4.2 Organologisches: dick versus dünn

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nicht nur nach Gesundheit, sondern auch nach Intelligenz als dem armen θύος πάχιστον überlegen. 4.2.3 Akustisches λεπτός versus παχύς Doch die ‘dünne’ Muse hat noch weitere Qualitäten aufzuweisen: Die episierende192 λεπτός-Variante λεπταλέος findet sich im Rahmen der Schildbeschreibung, in der ein jugendlicher Sänger dargestellt ist, der λεπταλέη φωνή vorträgt (Σ 571, ein homerisches άπαξ λεγόμενον).193 Wenn bei Kallimachos die Amazonen ihr ένόπλιον zu Ehren der Artemis tanzen und ihre Instrumente dazu λεπταλέον klingen (H3.242-43 ύπήεισαν δε λίγεια ι/ λεπταλέον σύριγγες), so verwendet er das seltene Wort ganz mit homerischer Semantik.194 In demselben Sinne spricht Apollonios von dem Weinen der Schwestern Chalkiopis und Medea als ίώη / λεπταλέη {Argon. 3.708f). Ein positives ästhetisches Urteil ist hier abgesehen von dem kallimacheischen Vers nicht notwendig impliziert: Es geht um die Kinder­ stimme des homerischen Sängers und um das mädchenhafte Weinen der Schwe­ stern, also essentiell um die Tonhöhe. Dieselbe Bedeutung kann einfaches λεπτός auch tragen (vgl. Aristophanes Αν. 235 von der Stimme der Nachtigall). Doch auf­ grund der Opposition zu παχύ, das Arat von der „Fettes krächzenden Krähe“ akustisch verwendet (953 παχέα κρώζουσα) und das man wohl zutreffend als „dissonant“ interpretiert,195 ist für unser λεπταλέος die Konnotation musikalischer Harmonie vorauszusetzen. Die ‘dünne Muse’ des Aitienprologs ist nicht nur ge­ sund und klug, sie präsentiert sich außerdem in musikalischem Sinne als ‘harmonisch’. Auch diese Qualität dürfte der Rezipient natürlich dem folgenden Gedicht zumessen, für das sie Metapher ist. Der Scholiast paraphrasiert die Μούσα λεπταλέη, indem er sie mit einem Begriff konkretisiert, der an rhetorische Termini erinnert (Σ Flor. 8-9 P): τοΐς 192 V g l. SCHWYZER (wie oben 6 7 Anm. 192) 48 4 : ,,-α λ έ ο /α - breitete sich seit Homer in der epi­

schen Poesie immer stärker aus [...], erscheint aber auch in ‘ionischer’ Prosa [...].“ 193 Die Beziehungen dieser Stelle zum Homertext behandelt RENGAKOS Homertext 84 und ders.

Kallimachos 46. 194 Ja c q u e s Acrostiche 53 Anm. 3, LOHSE Aitienprolog 28, die beide davon ausgehen, die Tatsa­ che, daß es sich um ein homerisches απαξ handele, habe Kallimachos bewogen, es hier zu verwenden. Bezeichnend für Kallimachos ist der Überraschungseffekt, der dadurch entsteht, daß das unpersönliche Subjekt weit hinausgezögert wird, während man ein persönliches er­ wartet. 195 KREVANS Fighting 157. Kallimachos F 238.6 SH ]. ιδων oi λιπαροί κόρακες bezieht sich auf den ersten Blick auf das ölig glänzende Gefieder der Raben (vgl. LSJ λιπαρός 1.1 und IV.), nicht auf den akustischen Wert ihres Krächzens; ARNOTTs Omithologika dazu bei A. S. HOLLIS, Epops in the Erchian Sacred Calendar and the Aetia o f Callimachus, in: E. M. CRAIK (ed.), Owls to Athens. Essays on Classical Subjects presented to Sir K. Dover, Oxford 1990; 127-130, hier 130. Sollte LOBELs Supplement άηδο]νίδων (vgl. SH S. 91) allerdings das Richtige treffen, wäre wohl von einem Gegensatz von Nachtigallen und Raben auszugehen, der sehr wahrscheinlich nicht das Erscheinungsbild, sondern die ästhetische Qualität ihrer Äu­ ßerungen meint. Hier wäre die konzeptuelle Nähe zu Arats Krähe offensichtlich. Einen akusti­ schen Wert bezeichnet wohl auch crassum bei Persius Sat. 5.190.

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με]μφομ(έν)ο[ι]ς αύτοΰ τό κάτισ|χνον των ποιη]μάτ(ων). Hier hat man den terminus technicus des rhetorischen χαρακτήρ ισχνός assoziiert (Pfeiffer ad /.), der der Stilqualität des άδρόν entgegengesetzt ist: Offenbar dieselbe Unterschei­ dung meint die Antithese von λεπτός versus παχύς, die sich in der rhetorischen Theorie in einem undefinierbaren Niemandsland zwischen ästhetischer, intellektualmetaphorischer und akustischer Bedeutung und vielleicht als Summe dieser Semantiken bewegt. Das Verhältnis dieser Bezeichnungen eines schlichten und eines aufwendigen Stiles zum Somavergleich ist ebenso unklar wie die Filiation der beiden Antithesen: Sollte λεπτός versus παχύς die ältere sein, so muß am Anfang nicht ein physiologisches Bild gestanden haben, sondern die jeweilige Se­ mantik der Harmonie oder des Intellekts wären ebenso möglich.196 Der Verdacht liegt nahe, daß Kleochares in seinem Bild der beiden Körper die bereits lexikalisierten Begriffe ‘rückverbildlicht’, remetaphorisiert hat (vgl. oben 162f). Einiges spricht hingegen dafür, daß παχύς eine polemische Verengung des grundsätzlich wertneutralen άδρός ist, die in der späteren Rhetorik grundsätzlich pejorativ ge­ braucht wird197 und sich dazu der Assoziationen der außerrhetorischen Antithetik bedient: Diese Polemik setzt allerdings eine ästhetische oder akustische Bewertung der παχύτης voraus. Die Parallele zum Ούος πάχιστον springt ins Auge. Der Umkehrschluß lautete, daß unser λεπταλέος auf der rhetorischen Antithese basie­ re und also das Gesamtbild eine Metaphorisierung dieser Stilpole sei.19819Diese Schlußweise liegt in Form eines theoretischen Anachronismus implizit auch beim Scholiasten des Dionysios Periegetes vor, der behauptet, daß Aristophanes und Kallimachos die παχύτης των ποιημάτων angegriffen hätten.’99 Die Unmöglich­ keit allerdings, die rhetorischen Inhalte des χαρακτήρ ισχνός auch nur halbwegs mit der (übrigens konkret, d. h. ihrem metaphorischen tenor nach, nicht genau bestimmbaren) Μούσα λεπταλέη zur Deckung zu bringen, hat berechtigte Ske-

196 H o o k T erm in o lo g y 19 verm utet a llein p h y sio lo g isc h e P roven ien z.

197 Α δρός z. B. άδρόν πλάσμα Vita Aischyli 331.14 PAGE sicher nicht pejorativ: ebenso wertfrei über λεπ τότη ς (332.9), die nicht Sache des Aischylos sei. Dionysios von Halikamaß verur­ teilt παχύς entschieden in der berühmten Diskussion der Πλατωνική διάλεκτος, wo sich Ισχνός, καθαρός, διαυγής, διαφανέστατα των ναμάτων, άκριβής und λ επ τό ς einerseits {Dem. 5, 5.136.11-20 UR), andererseits κ αλλιεπεΐν und π α χύ τερ ον (137.7-10 UR) gegen­ überstehen. Vgl. O ’SULLIVAN Stylistic Theory 14. Dionysios verurteilt weiter in De Isaeo den Gorgiasschüler Alkidamas als π α χύ τερον όντα τήν λέξιν καί κ ενότερ ον (19, 5.121.25 UR). Zur rhetorischen παχύτης generell vgl. QUADLBAUER Genera dicendi 81, zur Topik des Auf­ gedunsenen und Geschwollenen in der ‘Asianerkritik’ W eh rli Stil 24-25. 198 Diese Diagnose hatte schon REITZENSTEIN Stiltheorie 40-41 gegeben: „Ferner scheidet Kallimachos innerhalb derselben Dichtungsgattung zwei verschiedene Stilarten, was absolut neu und unerhört ist.“ „Entweder ist Kallimachos der Vorfahr bzw. der Urheber der rhetorischen Lehre von den genera , oder sie war damals bereits bekannt, und er hat sie für seine Zwecke nutzbar gemacht. Dann und nur dann war die Übertragung verständlich.“ Beipflichtend COP­ POLA Cirene 131, TORRACA Prologo 50 und prinzipiell auch PARSONS Identities 164, wenn er λεπ τό ς als „Sophistic inheritance“ bezeichnet. 199 Σ D io n . P erieg. GGM 2.427 b6 (v o n PFEIFFER zitiert zu F 398 P): τήν δε παχύ τη τα των ποιημάτων ίκανώς μεν διασύρει ’Α ριστοφάνης εν τοΓς Βατράχοις, ού μήν άλλά καί Κ α λ­ λίμαχος· Λύδη - τορόν.

4.2 Organologisches: dick versus dünn

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psis hervor gerufen.200 Schließlich ist daraufhinzuweisen, daß eine Polarität zweier Stilebenen sich auch ohne theoretischen Überbau aus der alltäglichen Kommuni­ kationserfahrung ergibt (vgl. die deutschen Quantitätsmetaphem ‘geschwollen’ oder ‘gestelzt’). Eine sich entwickelnde rhetorische Theorie wird eher auf diese vortheoretische Erfahrung zurückgreifen und sie weiterentwickeln als umgekehrt die alltägliche Rede ‘abgesunkenes’ terminologisches Material verwerten. Die Tat­ sache, daß sich schon sehr früh, und quer durch alle genera, ein Bewußtsein zweier rhetorischer Stilebenen nachweisen läßt, spricht ebenfalls für den empirischen und untheoretischen Charakter dieser Erfahrung.201 Nur in diesem untheoretischen Sin­ ne sind die Metaphern des Aitienprologs als Stilmetaphem zu verstehen. Das Pro­ blem, ob und inwieweit die poetologischen Metaphern des Kallimachos Affinitäten zur Terminologie der theoretischen Rhetorik zeigen, ist also zu lösen, indem man den Gegensatz λεπτός versus παχύς unabhängig von rhetorischer Theorie im Kontext der anderen quantifizierenden Antithesen als Stilmetapher betrachtet: So lassen sich poetologische Stilmetaphorik und die offenbare Differenz zu termino­ logisch-theoretischen, d. h. später lexikalischen, Stilmetaphem rhetorischer Pro­ venienz vereinbaren. Bevor sich unsere Beobachtungen zusammenfassen lassen (vgl. unten 189), müssen allerdings noch einige umstrittene Zeugnisse der Opposi­ tion von παχύς und λεπτός betrachtet werden. 4.2.4 Λεπται ρήσιες und παχύ γράμμα Die bisher als Bestandteile einer bipolaren, allerdings ihrem tenor nach polymor­ phen Antithetik diskutierten Begriffe λεπτός und παχύς begegnen bei Kallima­ chos außerdem isoliert: in der Gestalt einerseits der λεπται ρήσιες, als die Kalli­ machos die Phainomena Arats bezeichnet (Ep. 27.3^4 P/56.1297-98 HE) und mit denen man die αί κατά λεπτόν (seil, ρήσιες nach der Konjektur Rostagnis zu F 1.11 P) vergleichen darf, andererseits des παχύ γράμμα der Lyde (F 398 P/67 HE). Unter den λεπται ρήσιες verbergen sich die personifizierten Phainomena·. Λεπτός ist also poetologische Metapher. Der Kontext des Epigramms beweist ferner, daß es sich um emphatisches Lob, also positiv konnotiertes λεπτός han­ delt.202 Diese beiden Umstände fügen die Metapher über die lexikalische Parallele 200 CLAYMAN Origin 30 (flüchtig); sehr heftige, sachlich unangemessene Polemik gegen REITZENSTEIN übt STARK Theocritea 383, der RElTZENSTEiNs Stellenbasis für absichtlich manipuliert erklärt. PEGORAROs Gegenüberstellungen zeigen fur Aristophanes, wie vage die Parallelen zur theoretischen Rhetorik bleiben (Ambiguitä aristofanesca 39 0 f Anm. 23). A uf die Differenzen zwischen χαρακτή ρ ισ χνός und Kallimachos’ λεπ τός bzw. λεπ τα λ έο ς wei­ sen richtig hin WEHRLI Stil 30, der die grundsätzliche Inkompatibilität von peripatetischer Sprachnorm und hellenistischer Dichtung (Glossen, Pathos etc.) umrißartig richtig herausar­ beitet, und O ’S u l l iv a n Stylistic Theory 4 (ohne allerdings das Problem ernst zu nehmen). 201 Jüngst hat O ’SULLIVAN Stylistic Theory 1-22, 106-150 versucht, diese Stilpolarität als urrhetorische, sich durch alle literarischen Genera ziehende Dihärese zu erweisen, die bereits Aristophanes voraussetze. Meines Erachtens ist eine ‘urrhetorische’ Stilunterscheidung zu­ nächst eine praktische, also gleichzeitig untheoretisch und damit in einem prägnanten Sinne auch unrhetorisch. 202 Zur Deutung vor allem der umstrittenen Begriffe έσ χα τον und όκνέω μή vgl. SCHWINGE Künstlichkeit 12-13 (Doxographie in Anmm. 2 6 -31) und oben 122 Anm. 66.

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hinaus in die oben diskutierte Antithetik. Die Phainomena haben dem Geschmack des Kallimachos offenbar weitgehend entsprochen.203 Personifikation und deutlich positive Bewertung finden sich ebenso bei den αί κατά λεπτόν [ρήσιες des Aitienprologs (F 1.11 f P),204 deren Zusammenhang erfordert, daß von kurzen Gedich­ ten die Rede sein muß (vgl. oben 153). Doch wäre es dort bereits verfehlt, davon auszugehen, daß λεπτός deshalb auch ‘kurz’ bedeute:205 Der Gedankengang erfor­ dert dort eher, daß diese αί κατά λεπτόν zusätzlich zu ihrer akzidentiellen Kürze auch ihrer dichterischen Qualität nach allgemein akzeptiert sind, so daß das Bei­ spiel die Behauptung widerlegen kann, Länge allein sei die entscheidende Norm (vgl. oben 150ff). Im Rahmen einer Personifikation kann die Formulierung αί κατά λεπτόν kaum voraussetzungslos ‘die Kurzen’ oder ‘die Feinen’ heißen:206 Das wären schlicht αί λεπταί. Übrigens erfordert die Technik der Personifikation in diesem Zusammenhang ein Substantiv, das personelle Assoziationen auszulösen vermag: Rostagnis ρήσιες ist zu blaß.207 Der ganze Passus des Aitienprologs macht nur dann Sinn, wenn die Gedichtsammlung des Mimnermos unter dem Sammelti­ tel ‘(τά) κατά λεπτόν’ dem Leser bekannt war,208 so daß in Opposition zu einer μεγάλη γυνή der geläufige Titel als Titel zu einer metaphorischen Personenbe­ schreibung werden konnte, in der λεπτόν die figürlichen Assoziationen dieser Person auslöste. Was κατά λεπτόν als Titel ursprünglich gemeint haben mag, ist unsicher: Es sei hier vorgeschlagen, daß die Bezeichnung eine Mehrzahl von (?Gelegenheits-)Gedichten, die natürlich keiner der gängigen Großgattungen und damit auch nicht deren Stillage zuzuordnen waren, von diesen abhob, so daß eine Beziehung zur Länge dieser Sammlungsteile akzidentiell wäre. Nicht auszuschlie­ ßen ist eine Qualitätsbezeichnung (vgl. Anm. 209). Selbst wenn der Sammlungsti­ tel κατά λεπτόν ursprünglich auf die Länge der Einzelstücke bezogen gewesen sein sollte (was sich aus den üblichen Bedeutungen von λεπτός nicht leicht ablei203 Offenbar hat Kallimachos Arat in Προς Πραζιφάνην gegen diesen als perfekten Dichter in Schutz genommen: [...] πάνυ επαίνων αυτόν ώς πολυμαθή καί άριστον π οιητήν F 460 Ρ (= Praxiphanes Τ 5a BRINK). 204 Den Text hat ROSTAGNI aus Σ Lond. 11 Ρ (έδίδαξαν αί κατά λεπ τ(όν)) ergänzt. Mag er auch auf den ersten Blick bestechend wirken, sollte man doch berücksichtigen, daß es sich beim Text des Scholions auch um eine Extrapolation des Kommentators aus Ep. 27 P handeln könnte. Jedenfalls treffen den Kommentator eher Vorbehalte als Kallimachos selbst (WEST Elegy & Iambus 74 dazu unklar). 205 So LOHSE Aitienprolog 22, der andererseits wieder vom „Körperbau“ der Lyde und von den „schlanken koischen Mädchen“ redet. 206 „Les Petites“ bei H. J. M. MILNE, Callimachus on Mimnermus, CIRev 43 (1929) 214. 2 0 7 MlLNEs ώ δ ε μ έ ν mißfällt aus demselben Grund (vgl. PFEIFFER). HURST Contrepoints 155 stellt fest, daß χ α ί ρ ε τ ε λ ε π τ α ί ρ ή σ ιε ς im Ep. 2 7 P als „salutation hymnique finale“ auf der Materialisation der „paroles subtiles“ bestehe. Meines Erachtens ist gerade umgekehrt dieser Gruß Indiz für die Personifikation des gemeinten Textes. 208 Dazu vgl. natürlich Vergils Catalepton, ein Titel, der auch für Arat bei Strabon 10.5.3 und in den Aratkommentaren bezeugt ist (vgl. Arat F 108f SH). Zur Titelgeschichte insgesamt R e it z e n st e in Stiltheorie 25-26. Den Titel faßt M a a s s Aratea 227-28 gestützt auf Aristoxenos Werkskatalog als auf die Kürze der Einzelstücke bezogen auf, ähnlich BENEDETTO C on gettura 117. Dabei geht der Titel der Sammlung wahrscheinlich nicht auf Mimnermos selbst zurück: Vgl. oben 156 zu Antimachos und Mimnermos.

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ten läßt), bedeutet das noch nicht, daß hinter der poetologischen Allegorie des Kallimachos substantiell derselbe Sinn steckt. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die personifizierende Metaphembildung αί κατά λεπτόν von einem Autor stammt und mit Rezipienten rechnet, denen zwar der Sammlungstitel κατά λεπτόν sehr vertraut, sein ursprünglicher Sinn aber unbekannt ist. Die Schreibweise Κατάλεπτον209 trüge dieser Terminologisierung Rechnung. Doppelt problematisch ist die Annahme, auch von Arats Phainomena sei in unserem Epigramm lobend die Kür­ ze hervorgehoben worden: Bereits sein Einsatz sagt deutlich, daß es um stilistische Fragen und/oder μίμησις geht (Ησιόδου τό τ ’ άεισμα και ό τρόπος),210jedenfalls nicht um die Quantität einer Versmenge.2" Mit ihren 1154 Versen sind die Phainomena innerhalb der Gattung Lehrgedicht nicht herausragend kurz (vgl. Nikander). Daß aber das Lehrgedicht als solches kürzer als ein Epos ist, liegt in der Gattung und dürfte kaum zu einem enthusiastischen Lob Anlaß geben. Für Arat ist eine Gedichtsammlung κατά λεπτόν bezeugt,212 was ohnehin nahelegt, daß dieser 209 Die sich ja aus eben diesem Grund für die lateinischen Gedichtssammlungen dieses Titels auch eingebürgert hat — obwohl auch deren Publikum genügend Griechisch verstand, um κατά λ ε π τ ό ν zu verstehen, wenn eine semantisch eindeutige Beziehung zu λεπ τός bestanden hätte. Diese Schreibweise wird vielleicht in PTeb 120 vi 85 (Privatrechnung des 1. Jh. AC: κ α τ α λ ε ()) und sicher in POxy 1729.6 (Privatrechnung des 4. Jh. AD) favorisiert. Obwohl die Herausgeber GRENFELL/HUNT sich in beiden Fällen nicht auf eine Bedeutung festlegen möchten, scheint es doch um Qualitätsbezeichnungen zu gehen. 210 Zweifel bei FANTUZZI Sistema letterario 71. Η. N . PORTER, Hesiod and Aratus, TAPhA 77 (1946) 158-170 bezieht das möglicherweise stilistische Prädikat auf metrische Ähnlichkeiten zwischen Hesiod und Arat, der sich von den anderen frühhellenistischen Dichtem durch auf­ fallende metrische Eigenheiten abhebe, die ihn mit Hesiod verbänden (Statistik über metrische Auffälligkeiten 162-169). A.-M. LEWIS, The Popularity o f the Phaenomena o f Aratus [...], in: C. DEROUX (ed.), Studies in Latin Literature and Roman History VI, Coll. Latomus 217, Bru­ xelles 1992; 9 4-118, spricht sich 97 mit Anmm. 13-14 ebenfalls für stilistische Prävalenz („subtle or refined discourses“) aus. MILLER (Aetiological Elegy 374) und CAMERON (Genre & Style 310) vertreten die ansprechende Meinung, Arat sei hier als Vertreter eines hellenisti­ schen Kollektivgedichts (der Begriff nach E. MARTINI, Ovid und seine Bedeutung für die römische Poesie, in: Epitymbion H. Swoboda, Reichenberg 1927; 165-94) gewürdigt worden, ein Subgenus, das insgesamt unter hesiodeischem Einfluß stehe. Der Enthusiasmus des Kalli­ machos wird dann erst verständlich, wenn man bedenkt, daß seine Ailia mit den Heteroioumena Nikanders, der Ornithogonia Boios, eventuell der Leonlion des Hermesianax u. a. na­ türlich auch zu dieser Gruppe gehören (andeutend so SWIDEREK Structure 229). EFFE dagegen konstruiert eine etwas zu rigide Trennung zwischen der Hervorhebung des Hesiodrekurses im ersten Vers des Epigramms und einem „neuem Kunstwollen“ (Klassik als Provokation 326). 211 CAPOVILLA Cirene 169 redet ganz selbstverständlich von den „brevi componimenti, le λεπτα'ι ρήσιες di Arato“. In unserem Zusammenhang votieren für einen stilistischen tenor (obgleich verfehlt abgrenzend von der vermeintlich rein quantitativen Bedeutung im Aitienprolog) MAASS Aratea 228; HUTCHINSON Poetry 84 Anm. 116 (gegen REITZENSTEINs Deutung). STARKs Urteil „Wenn Theokrit λεπ τό ς gebraucht, so bezieht sich das stets auf Form und Ge­ stalt, nicht auf'die λέξις [...]. Das bekannte Urteil des Kallimachos über Arat [...] war nicht anders gemeint [...].“ (Theocritea 383) entbehrt jeder Grundlage, da Theokrit ja eben λεπ τός nicht poetologisch gebraucht. Λ επ τό ς kann von Literatur nicht proprie gesagt werden: STARKs Übersetzung „Durchsichtigkeit und Klarheit (384), die bereits im Deutschen bei ei­ nem literarischen tenor eine Metapher bildet, kann unmetaphorisches λεπ τός nicht leisten. 212 Vgl. Arat F 108f SH (oben 180 Anm. 208).

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Sammlungstitel semantisch nicht mit λεπτός assoziiert wurde: Denn Kallimachos kann nicht gut die Phainomena Arats (daß von ihnen die Rede ist, beweist die άγρυπνίη des vierten Verses: Vgl. oben 132 Anm. 112) ‘λεπταί ρήσιες’ nennen, wenn ein anderes Werk desselben Verfassers den regelrechten Titel κατά λεπτόν trägt und λεπτόν in dieser Verbindung semantisch noch auffällig wäre - der Re­ zipient hätte die Verse wohl fälschlich, aber unvermeidlich immer auf das zweite Werk bezogen.213 So ergibt sich für den Sinn von λεπται ρήσιες dasselbe wie für λεπταλέος im Aitienprolog: Es handelt sich um die Beschreibung einer metapho­ rischen Person, hier einer Personengruppe, die dem Leser gesund, intelligent und im musikalischen Sinne ‘harmonisch’ Vorkommen soll. Nicht nur Kallimachos, sondern alle Arat-Enthusiasten loben in ihren Epi­ grammen die λεπτότης der arateischen Phainomena,2H In den Phainomena Arats selbst tritt nun ‘λεπτή’ als Akrostichon auf (783-787: Λεπτή, Ευδιος, Πνευματίη, Τέτρατον, Ήέ). Im Kontext ist nur von der Mondsichel am dritten Tage unmittelbar nach dem Mondaufgang die Rede (781): Die Gestalt dieser schmalen Sichel beschreibt λεπτός proprie vollkommen. Die Verse geben Wetterzeichen für klares, windiges oder regnerisches Wetter, der Kontext läßt keinerlei poetologische Relevanz zu. Trotzdem kann dieses Akrostichon kein zufälliges wie das homeri­ sche ΛΕΥΚΗ sein:215 Es ist offensichtlich vom Autor markiert, d. h. der erste

213 Es wäre immerhin auch denkbar, Kallimachos diese Verwirrung absichtlich hervorrufen zu lassen. Es läge dann eine mutwillige Umdeutung des λ επ τό ν aus dem Buchtitel zu einem stilmetaphorischen λεπ τό ν vor: Die zugrundeliegende Aussage müßte man als „Die Phaino­ mena sind auch ein κατά λεπ τόν, wie Arats anderes Gedichtbuch, aber in eifern anderen (eben dem stilistischen) Sinn.“ rekonstruieren. Diese kompliziertere Deutungsmöglichkeit er­ scheint mir allerdings weniger plausibel, weil sie gerade vom Gesichtspunkt der Sympathie­ lenkung schwer zu deuten ist: Ein Gedichtbuch κατά λεπ τό ν zu schreiben, kann wohl kaum an sich schon Arat der Sympathie des Lesers versichert haben. 214 Leonidas von Tarent spricht Ep. 101.2573-74 HE von der λεπτή/φροντίδι Arats. Obwohl hier vordergründig nur wie in der Alten Komödie mit einer lexikalisierten Metapher intellektualmetaphonsch gesprochen wird, bekommt die Formulierung doch im Zusammenhang mit dem Epigramm des Kallimachos und dem bei E. M a a s s , Commentariorum in Aratum Reli­ quiae, Berlin 1898, 79 angeführten Arat-Lob des Ptolemaios (Ep. 1.314 FGE: ά λ λά τό λ ε π ­ το λό γ ο υ σκηπτρον [coni. SCAL1GER σκήπτου codd.] 'Ά ρ α τος εχει: ebenfalls formal intellektualmetaphorisch, allerdings wohl nur indirekt auf Arat selbst bezogen) einen besonderen Klang. Möglicherweise läßt sich die Koinzidenz allerdings auch als Rezeption eben des ge­ nannten Kallimachos-Epigramms interpretieren (so vielleicht implizit G o w /P a g e zu Kalli­ machos Ep. 56.1300 HE). 215 Ω 1-5 (Λ ϋτο, Εσκίδναντ’, 'Ύ πνου, Κ λαιε, Ή ιρ ει), schon von Gellius und Eustathios fur zufällig gehalten: Vgl. JACQUES Akrostiche 49 Anm. 1 „tout accidentels qu’ils sont“ (50), ebenso VOGT Akrostichon 82-85. „Neckische [seil, lateinische, akrostichische] Spiele des Zu­ falls listet I. HlLBERG, Ist die Ilias Latina von einem Italicus verfaßt oder einem Italicus ge­ widmet?, WSt 21 (1899) 264-305; Nachtrag 22 (1900) 317-18 (Zitat 269) auf. Dazu treffend D. P. F o w l e r , An Acrostic in Vergil (Aeneid 7.601-604)?, ClQu n. s. 33 (1983) 298· In any competition for monuments o f wasted labour the collection o f accidental acrostics in Latin poets published by Hilberg [...] would stand a good chance for a price.“ JACQUES, VOGT und LOHSE Aitienprolog 27 Anm. 20 votieren mit unterschiedlichen Argumenten entschieden für die Absichtlichkeit des arateischen Akrostichons.

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Buchstabe leitet vertikal und horizontal dasselbe Wort ein,216 was es deutlich vom homerischen unterscheidet. Zweitens tauchen Begriffe proprie auf, die bei Kallimachos als Metaphern starke poetologische Konnotationen tragen: καθαρή (783), παχίων (785) in einem Kontrast zu λεπτή, und λεπτή selbst wird wiederholt (784). Drittens erweist die thematische Parallele von Ps.-Theophrast De Signis §12, §38, §51 Wimmer, wie die Schrift insgesamt auch zum Arattext stehen mag,217 daß dieses Vokabular hier nicht gefordert ist: Alle drei Wörter begegnen dort im Kontext der Mondsichel nicht, Arat mußte sogar λαμπρός (§51) in καθαρός ändern. Er hat also eventuell sprachliche Sonderwege beschritten, um sein Akrostichon einzubauen, dessen Intention partiell sicher in einer gelehrten Anspielung auf das homerische Akrostichon liegt.218 Uns beschäftigt die Frage, ob ein Bezug zur schon beinahe stereotypen λεπτότης-Preisung der Epigramme auf Arat und damit zur kallimacheischen λεπτός-Metaphorik überhaupt besteht. Die Möglichkeit einer graphischen Elervorhebung des Akrostichon in antiken Arataus­ gaben ist vielleicht nicht vollkommen von der Hand zu weisen:219 Diese Annahme 216 E. COURTNEY, Greek and Latin Acrostichs, Philologus 134 (1990) 3-13, hier 11 listet weitere Beispiele dieser Markierungstechnik auf; allerdings betrifft das stets Namen in Inschriften. 217 Den Versuch eines inhaltlichen Stemmas der Wetterzeichentradition liefert R. BÖKER, Artikel ‘Wetterzeichen’, RE Suppl. 9, Stuttgart 1962, 1609-1692, hier 1611-1612, nach dem Arat und Ps.-Theophrast De Signis zwei verschiedene Überlieferungsstränge dokumentieren. Ein Referat der früheren Forschungsgeschichte ab der editio princeps (Venedig 1405 bei Aldus Manutius) liefert W. E. GILLESPIE, Virgil, Aratus and others. The Weather-sign as Literary Subject, Diss. Princeton N. J. 1937 [1938], 11-23. Heute dominiert O. REGENBOGENS Wort der „Quellengemeinschaft“ die herrschende Meinung (Artikel ‘Theophrast’ (3), RE Suppl. 7, Stuttgart 1940, 1354-1562, 1414): Von der Quelle spricht man allgemein als ‘Grundschrift’ (z. B. LUDWIG Phainomena 436). Vgl. z. B. HUTCHINSON Poetry 214-15; HOPKINSON Antho­ logy 59 (beide ohne Erwähnung REGENBOGENs). 2 1 8 JACQUES A cro stich e 61; „cu rieu x e x e m p le de ζ ή λ ο ς 'Ο μ η ρ ικ ό ς “ ; VOGT A k rostich on 8 4 -8 5 sehr v a g e zu einer äh n lich en B ezu g sin ten tio n .

219 Akrosticha überhaupt sind natürlich ein Phänomen von Dichtung, die ihren schriftlichen Cha­ rakter deutlich herauskehrt. Möglicherweise hat schon Epicharm seine Werke so gekenn­ zeichnet: Vgl. Diogenes Laertios 8.78 zu F 23 A 3 DK (1.191.18-19). Bezeichnenderweise stammt das erste nachweisbare Akrostichon vom Ende des vierten Jahrhunderts (Chairemon 71 F 14b TGF; dazu B. SNELL, Szenen aus griechischen Dramen, Berlin 1971, 159-160, 16668): Vgl. BING Well-read Muse 15 (Diskussion der bekanntesten griechischen Akrosticha), 29 Anm. 39 (zu Philostephanos von Kyrene) und den zu hadrianischer Zeit lebenden Besantinos (Bucolici Graeci ed. GOW 184-185). Zum Phänomen allgemein vgl. J. HENNER, Ein unbe­ kannter Christushymnus mit alphabetischer Akrostichis, WSt 106 (1993) 61-67 zu dessen Akrostichon (PVindob. gr. 26224.4 ά-φϋάρτου, 7 β-ρέφως, 11 γ-νωρίσαντες) die Autorin bemerkt: „Wie vielfach üblich, ist auch hier der erste Buchstabe für die sichtbare und auffälli­ ge alphabetische Gliederung größer geschrieben.“ (65). Das Beispiel stammt allerdings erst aus dem sechsten bis siebten Jahrhundert. Nach PACK2 sind leider keinerlei Papyri unserer Arat-Verse erhalten. Die geradezu kabbalistischen Spielereien von E. L. BROWN, Numeri Vergiliani. Studies in ‘Eclogues’ and ‘Georgies’, Coll. Latomus 63, Bruxelles-Berchem 1963, 98-1 0 5 , die nachzuweisen versuchen, daß Vergil in der inhaltlich entsprechenden GeorgicaPassage auf Arats Akrostichon reagiere, würden die graphische Kennzeichnung fast zwingend nahelegen, wären sie überzeugend (was sie leider gar nicht sind: Vgl. die Rezeptionsstelle Lucan Bell. civ. 5.540 [M-], 543 [A-], 546 [L-] - auch hier ergibt sich eine Verfasserchiffre, ebenfalls zufällig). BROWNS Thesen hält P. M. BING, A Pun on Aratus’ Name in Verse 2 o f

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4 Quantifizierende Antithesen

böte neben Kallimachos-Rezeption eine überzeugende Erklärung der λεπτότηςTopik späterer Epigramme. Welche Beziehung besteht aber zwischen dem meta­ phorischen λεπτός des Kallimachos und dem unmetaphorischen Substrat des arateischen Akrostichons? Die communis opinio betrachtet das Akrostichon ungeach­ tet chronologischer Probleme als ein programmatisches Bekenntnis zu Kalli­ machos und setzt damit entweder bereits die öffentliche Signifikanz der λεπτότης als Diskussionsinhalt oder den hohen Bekanntheitsgrad der von uns bespro­ chenen poetologischen Verse des Kallimachos voraus, die dann λεπτός zu einem Signalwort mit unvermeidlich poetologischem Hintergrund hätten werden lassen. Die umgekehrte Annahme, Arat sei eventuell sogar mit diesem Akrostichon Urhe­ ber der hellenistischen λεπτό ς-Metaphorik geworden,221 scheitert bereits daran, daß der Ort dieser dann originären Kundgebung höchst eigenartig gewählt wäre: Die Versuche, den Versen 783-87 eine formal herausragende Position innerhalb der Phainomena zu verleihen, müssen als gescheitert angesehen werden.222 Es hätte kaum einen Anlaß gegeben, aus der Mondbeschreibung, die λεπτός proprie ver­ wendet, eine poetologisch-‘programmatische’ Metapher zu entwickeln. Am ein­ fachsten erklärt sich das Akrostichon als gelehrte Allusion auf ein ζήτημα der Homerphilologie, das nach der Echtheit des homerischen Akrostichons fragte, also unmetaphorisch und unpoetologisch. Die Intention dieses Bezugs allerdings wäre unsicher: Sowohl eine emphatische Bejahung der Absichtlichkeit des homerischen Akrostichons durch ein ähnlich lautendes, sicher absichtliches, ließe sich denken wie auch der von Arat durch die sorgfältige Markierung seines Akrostichons ge­ führte Hinweis darauf, daß das homerische zufällig sei, weil dort eben jede Mar­ kierung fehle. Bei der notorischen Multivalenz des Allerweltswortes λεπτός muß der Bezug zur poetologischen Metaphorik des Kallimachos also skeptisch the Phainomend?, HarvSt 93 (1990) 281-85, 284 Anm. 5 immerhin für erwägenswert, ähnlich M. HASLAM, Hidden Signs: Aratus Diosemeiai 46ff., Vergil Georgies 1.424ff„ HarvSt 94 (1992) 199-204, 203. Dem Akrostichon als Zeugnis selbstbewußter Schriftlichkeit verwandt ist das Anagramm, vgl. L lo y d - J o n e s /P a r s o n s zu Lykophron F 531 SH und PARSONS Identi­ ties 106 Anm. 108.

220 Ja c q u e s A crostich e 5 4 , L o h se A itien p ro lo g 3 3 , VOGT A k rostich a 87, REINSCH-WERNER C alhm achus H esio d icu s 1 2 -1 3 , S c h w in g e K ü n stlich k eit 15 m it A nm . 3 7 , R ie d w e g R e fle x e 132 HERTER K a lh m a ch o 5 22 6 : „Er [seil. Arat] hat sich selb er als G esin n u n g sg e n o sse n des K |allim ach o s] testiert und zu letzt COURTNEY (w ie A n m . 2 1 6 ) lOf.

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222

G el z e r Transformations 145 vertritt die Meinung, daß Kallimachos und Leonidas von Arat angeregt sind, wenn sie ihn λεπ τό ν nennen, schweigt aber zu dem Problem, wovon konkret diese Anregung ausgegangen sei. J a c q u e s Acrostiche 55 versucht sich meta-meteorologisch: Ein aufziehendes Unwetter (7 85· wenn d'e Mondsichel παχίων sei, drohen Sturm oder Regen) sei [seil, für Bauern und Seeleute

! ° SC0hI ei llCh] Wie 6m παχυ γραμμα für Literaten. V o g t Akrostichon 84 „[...] die Verse y,erSeAalso’ die betont am Eingang des zweiten Teils des Lehrgedichtes stehen [ ]“ irrt sich. Die Διοσημεΐα beginnen schon 7 3 3 , lediglich die eigentliche Mondprognostik 7 7 8 . er Verweis auf das bekannte Akrostichon Nikanders (Ther. 345-353), dessen Position eben­ falls unmotiviert zu sein scheint, bringt uns hier nicht weiter (vgl. dazu K r a n z Sphragis 60). ort legt es offenbar Gewicht auf das Aition (vgl. VOGT Akrosticha 88): Bei Arat ist eine sol­ che Funktion nicht zu erkennen. 223 RENGAKOS Apollonios bzw. Homertext berührt unser Problem leider nicht.

4.2 Organologisches: dick versus dünn

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betrachtet werden,24 zumal das Problem der Homerphilologie mit einer in unserem Sinne poetologischen Diskussion nichts zu tun hat. Ebenso vereinzelt wie λεπτός in dem genannten Epigramm auf Arat findet sich sein Antipode παχύς in einem kallimacheischen Epigrammfragment, das von dem bereits erwähnten Dionysios-Scholiasten (oben 177f) überliefert wird, der es im Sinne terminologischer rhetorischer Theorie deutet, aber offenbar nicht mehr als Metapher empfindet (F 398 P): Diese bruchstückhafte Invektive, Λ ύδη καί π α χύ γράμμα καί ού το ρ ό ν,

reagiert offensichtlich polemisch auf Asklepiades, der die Lyde des Antimachos in einem wahrscheinlich fiktiven Titulus-Epigramm emphatisch lobt (Λυδή και γένος είμί καί ούνομα: Ep. 32.958 HE). Die Bezugsrichtung ist hier eindeutig, da die topische Tituluspersonifikation225 von Kallimachos untypisch aufgegeben wird und die Selbstvorstellung des Gedichts nach Name und Herkunft offenbar in der Struktur der kallimacheischen Replik bis hin zu klanglichen Effekten (καί/καί; ού/ού-) nachgeahmt wird. Diese Nachahmung gerät hier zu einer polemischen Parodie.226 Die Polemik kann wohl nur Ausfluß, nicht Auslöser einer poetologi­ schen Debatte gewesen sein.227 Kallimachos ist von der Gedichtpersonifikation (dazu oben 158) abgerückt: Das nach dem Frauennamen harsch einsetzende Neu­ trum läßt in Verbindung mit dem wenig zur Personifikation geeigneten γράμμα dieses παχύ nicht spontan als Beschreibung eines Lebewesens erkennen.228 Evoka­ tionen der μεγάλη γυνή (F 1.12 P) oder des Ούος πάχιστον (F 1.23) sind also genau besehen nicht zwingend. Ob damit impliziert sein soll, daß das angegriffene Gedicht unlebendig wirke, muß offen bleiben. Die Formulierung läßt uns im un­ klaren, ob και hier additive („und dazu noch“) oder explikative („und das heißt“) Funktion hat, ob es sich hier also um ein oder zwei Kriterien handelt: Die Überse­ tzungen spiegeln das Dilemma.229 Von einer explikativen Auffassung geht selbst224 Der Status von παχύς und καθαρός als Signalwörtem darf ebenfalls angezweifelt werden: καθα ρός z. B. begegnet bei Ps.-Theophrast De Signis §50 (als Gegenteil von ‘dunstig’), §51 ( ‘klares’ Licht der φάτνη), §52 (‘reine’ Luft). Vom Mond allerdings werden die beiden bei Arat begegnenden Begriffe bei Ps.-Theophrast nicht gebraucht, soweit ich sehe. 225 Zu dieser Struktur allgemein vgl. B ing Well-read Muse 30. 226 U . v. WlLAMOWlTZ-MOELLENDORFF, Die Thukydideslegende, Hermes 12 (1877) 326-367; 357 Anm. 42 zu Recht: „[...] das Verhältniss von Original und Parodie ist [...] völlig durch­ sichtig [...].“ RlEDWEG Reflexe 134 glaubt an die entgegengesetzte Bezugsrichtung. 227 Galla VOTTl Prologo 235 wohl kaum zutreffend: „Si capisce bene, cosi, come la polemica su queste μεγάλαι γυναίκες si potesse facilmente estendere a quella sui poemi ciclici ed epici [...].“ 228 Der Scholiast zu Dionysios Periegetes 3 (GGM 2.427 b6 bei PFEIFFER zu unserem Fragment) interpretiert es gänzlich stilmetaphorisch im Sinne eines rhetorischen terminus technicus, wo­ bei ihm allerdings dieser Sinn aus der Prosa seiner Zeit geläufig gewesen sein dürfte (oben 178 mit Anm. 197). 229 Additiv übersetzen: WILAMOWITZ Hellenistische Dichtung 1.178 „plump [...] und unrein, unklar“; D e VlCO Contemporanei 253 „opera troppo grossa e non ben lavorata“; WEBSTER Poetry & Art 103^4 „Lyde, a | thick and unclear book“; MlRALLES Renovacion 29 „macizo y nada claro“; PFEIFFER Klassische Philologie 172 „plumpes und unklares Buch“; LEFKOWITZ

4 Quantifizierende Antithesen

verständlich aus, wer παχύ mit ού τορόν gleichsetzt, also von der Gegenteiligkeit der Begriffe παχύ und τορόν überzeugt ist. Das Mißverständnis, das der quantita­ tive Maßstab überhaupt in der Interpretation der poetologischen Metaphern bei Kallimachos ausgelöst hat, schlägt sich auch hier nieder: Man hat παχύ γράμμα oft genug als „langes Buch“ verstanden, ohne allerdings diese Auffassung durch Testimonien über die Länge der Lyde stützen zu können, die nur von zwei Büchern sprechen: Es spricht also nichts dafür, daß die Lyde länger gewesen sei als zwei Bücher der Aitien.230 Im Zuge der Rekonstruktionen eines ‘kallimacheischen Pro­ gramms’ sind auch noch kühnere Interpretationen geäußert worden.231 Wie oben gezeigt wurde, hat παχύς noch andere semantische Ebenen: Die intellektualmetaphorische Bedeutung von παχύτης setzt ein personales Subjekt voraus und paßt so vielleicht nicht zu γράμμα. Für τορόν dagegen kommt nur eine akustische Se-

Quarrel 3 „fat and not incisive“; BULLOCH Hellenistic Poetry 21 „a gross and muddled work“; HOPKINSON Anthology 87 „a gross and obscure book“; G el z e r Transformations 140 „fat and

inelegant“; RIEDWEG Reflexe 133 „ein feistes und unklares Buch“; FANTUZZI Sistema letterario 70 Anm. 94 „pesante e non chiara“; CAMERON Critics 6 „flabby and lacking in clarity“. Explikativ offenbar PFEIFFER zu F 1.23 P; L e s k y Literatur 799 „feistes Poem“; MÜLLER Erysichthon 92 „fett und ungeschlacht“, 33 mit Anm. 93: „gemästet und plump“. Wie oben schon zur Μ οϋσα λεπ τα λέη bemerkt, tendieren moderne Interpreten auch hier dazu, τ ο ρ ό ν als Ge­ gensatz zu παχύς einzig aus einer individuell-emotionalen Konnotation dieses Begriffs zu bestimmen. Der einzige, der die explikative Prämisse seiner Übersetzung offenlegt, ist C a p o VILLA Callimaco 2.306: „opposto a παχύ e το ρ ό ν“. 230 W y s s (ed. Antimachos) xix: „De huius quoque carminis ambitu non satis constat: laudatur liber secundus a Stephano Byzantio [...], sed illud π α χύ γράμμα plurium fuisse librorum veri similius est.“; B a r ig a z z i Mimnermo 168 mit Anm. 1; FRASER Alexandria 1.755 „bulk and obscurity“; SERRAO Lide 91-98 (mit dem eigenartigen Hinweis [98] auf das aristotelische εύμνημόνευτον, Poet. 7.1451 a5f); C a p o v il l a Callimaco 2.378 behandelt aufgrund einer of­ fensichtlichen Kontamination mit den Begriffen des Aitienprologs unser π α χύ als quantitati­ ven Gegensatz zu τυτθόν, das es schon rein semantisch nicht ist. Zur Buchzahl der Lyde vgl. K r e v a n s Fighting 154 mit Anm. 36. Die Parallele, die SERRAO Lide 96-98 argumentativ verwendet (Aischylos Suppl. 274: βραχύς τορ ός θ ’ ό μύθος), ist nur aufgrund der ungesi­ cherten Prämissen, daß unser καί explikativ sei und daß παχύς organologische Metaphorik für Quantitatives sei, eine wirkliche Parallele: Beides ist aber eher unsicher. Die jüngste Arbeit zu Antimachos, LOMBARDI Antimaco, versteht πάχιστον und π α χύ γράμμα auch stilmetapho­ risch, äußert sich aber zum metaphorischen Prozeß nicht (62-63 Anm. 26). Neuerdings G o w e r s Loaded Table 122 „bulky text“ wieder wie F r a s e r . 231 PUELMA Lucilius 120-21 Anm. 1 „massive Sentimentalität“; C a p o v il l a Callimaco 1.110 „una certa pesantezza e pedanteria stilistica“, ebd. Anm. 1 ,,lo stile lezioso“. Wie groß aller­ dings die tatsächliche Affinität gerade des Kallimachos zur Lyde war, stellt anhand eines De­ tails zutreffend A. HENRICHS, Toward a New Edition o f Philodemus’ Treatise On Piety, GRBStud 13 (1972) 67-98, hier 74-77 fest (über F 78 SH: ein anonymer Kommentator be­ hauptet, daß Kallimachos etwas von Antimachos übernahm: μ ε ]τ α λ α β ώ ν ). An der Tatsache der Affinität ändert auch G. GlANGRANDE, Kallimachos und Antimachos, Hermes 102 (1974) 117-119, nichts, der μ ε τ α λ α μ β ά ν ε ιν in diesem Zusammenhang gegen H e n r ic h s als ‘pole­ misch korrigierend’ deutet. K r e v a n s Fighting 150, 152-53 u. ö. geht von einer sehr weitge­ henden Ähnlichkeit der beiden Dichter aus. Auch K n o x Callimachean Polemics 114-116 zweifelt an der poetologischen Grundsätzlichkeit des ‘Streites’.

4.2 Organologisches: dick versus dünn

187

mantik (‘klar’, ‘deutlich’) in Frage,232 die allerdings Assoziationen ins Intellektuel­ le zuläßt.233 Die akustische Ebene scheint für τορός auch die polemische Reaktion des Antipater (Ep. 66.640f EIE: ει τορόν ούας / ελλαχες) nahezulegen. An der Verwendung von τορός fällt auf, daß es seit Aischylos recht häufig in Paaren be­ gegnet, die eher explikativen Charakter haben.234 Vielleicht darf man also auch an unserer Stelle von einem solchen Gebrauch ausgehen.235 Gerade durch die Kombi­ nation mit τορόν bietet sich hier für παχύς also die akustische Bedeutung gerade­ zu an, die mit stilistisch-metrischen Anstößen, die als rhetorische παχύτης bewer­ tet werden könnten, kongruiert.236 Man müßte das Verdikt dann notdürftig paraphrasierend als „metrisch anstößig und (= d. h.) kakophon“ auffassen. Daß Kakophonie bzw. ευφωνία ein sehr emstzunehmendes Kriterium für die Bewertung von Literatur sein konnte, zeigen Reflexe bei Philodem.237 Die Möglichkeit, damit gleichzeitig den intellektuellen Status des Werks zu geißeln, steht bei der häufigen intellektualmetaphorischen Verwendung beider Adjektive ebenfalls offen. Im Deutschen würden alle Aspekte durch das ebenso schlichte wie vernichtende ‘plump’ abgedeckt.

232 Vgl. dazu die Worterklärungen bei Herodian Pros. cath. 8 (Grammatici Graeci 3.1 LENTZ, p. 191.20) καί t ö το ρ ό ς δέ άπό τοϋ τρώ; Eustathios ad Β 103 (1.279.9 VAN DER F a lk ), ad Λ 236 (3.184.18), a d M 310 (3.399.20). 233 Z. B. rein akustisch von klaren Lauten: Aischylos Suppl. 196, 931, 944, Cho. 32, Aga. 26, 269 (pointiert), 632, 1584; Euripides Ion 696, Cassius Dio Hist. Rom. 63.15.2, 75.12.1, Plutarch Pyth. Orac. 405 B 8, Lukian Anach. 21.2, Philostratos μείζων Imagines 2.17 (2.368.15 KAYSER), Flavius Philostratos Vitae Sophistarum 1.25.10 (2.52.24 KAYSER). Bei Verben oder Substantiven der Rede oder des Hörens ins Intellektuelle hinüberspielend: Aischylos Aga. 1062, 1162, Cho. 741, Pers. 479, Prom. 604, 609, 870, Euripides Rhes. 656. Rein intellektu­ ell: Empedokles F 31 B 23.11 DK, Aischylos Prom. 699, Euripides Rhes. 77, 737, Aristopha­ nes Ran. 1102. Übertragen aufs Optische: Aischylos Aga. 254. 234 Z. B. Platon Theait. 175 E 5 τορώ ς τε καί όξέω ς, zitiert von Athenaios 1.38 (21 B) als όξέω ς τ ε καί τορώ ς, 6.99 (270 Α) σαφώς καί τορώς, Lukian Merc. Cond. 35.6 τορώς καί συγκεκροτημένω ς, Bacch. 7 .6 f φΟέγμα τορόν καί πνεύμα λιγυρόν, Flavius Philostratos Her. 19.12 (2.206.7 KAYSER) τ ο ρ ό ν τε καί εναυλον, Aristides Quintilianus Mus. 1.20 τορ όν καί έξά κ ουσ τον, Porphyrios Vita Plot. 2.14 τ ο ρ ό ν καί εϋη χον. Eindeutig additiv dagegen nur bei Aischylos Suppl. 274 βραχύς το ρ ό ς 0 ’ ό μύθος, Flavius Philostratos Vita Apoll. 5.21 (1 .1 8 1.17f KAYSER) τ ο ρ ό ν καί λευκ όν, und Themistios Βασαν. 253 B 3 f (2.32.20f SCHENKEL/DOWNEY/NORMAN) τορώ ς καί ποίκίλως, eventuell bei Synesios Calv. Enc. 4.66 B 9 (196.14 TERZAGH1) άκμαΐόν τι καί τορόν. 235 Sollte hier allerdings doch eine additive Verbindung vorliegen (was Asklepiades mit καί γ έν ο ς καί οϋνομα vielleicht auch nahelegt), kann die Verbindung semantisch noch weniger bestimmt werden. 236 KREVANS Fighting 159 kommt aufgrund anderer Kriterien zu dem Schluß, hier sei „florid language and metrical roughness“ gemeint, was zur obigen Interpretation bestens paßt. Be­ sonders gut zur π αχύτη ς paßt ihr Schluß, hier gehe es um versus spondiaci (159). Die Ver­ bindung, die NEWMAN Epic 357 mit Anm. 57 zu Quintilian Inst. Orat. 10.1.53 vis et gravitas zieht, deutet trotz der Unbestimmtheit und der positiven Wertung der lateinischen Prädikate vielleicht in dieselbe Richtung. 237 Philodem polemisiert in Περϊ Ποιημάτων III (PHerc. 1676, F n, col. XVII.2-9 SBORDONE) gegen Grammatiker (Krates), die εύφωνία zum einzigen Kriterium machten. Dazu ASMIS Epicurean Survey 397f.

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4 Quantifizierende Antithesen

Wenn wir die poetologische Verwendung von λεπτός bzw. λεπταλέος bei Kallimachos im Rückblick überschauen, so wird bei der Vielzahl der möglichen Bedeu­ tungen einerseits und der geringen Wortfrequenz in den Fragmenten andererseits die Bestimmung des tenor, naiv gesagt der ‘Bedeutung’, dieser Metapher höchst zweifelhaft.238 Daneben gilt wie für die anderen poetologischen Metaphern des Aitienprologs auch hier, daß Kallimachos offenbar mehr Wert auf die Wirkung des Bildes als auf begriffliche Klarheit legte. Es ist natürlich unpassend, diese Unsi­ cherheit dem Kallimachos als Kunstfehler anzukreiden,239 weil sie zweifellos kal­ kuliert, ja intendiert ist. Wie oben anhand der Wegmetapher (100) und der quanti­ tativen Metaphorik des Aitienprologs (145ff) bereits festgestellt werden konnte, geht es um die assoziative Steuerung von Rezeptionsaffekten, nicht um begrifflich eindeutige Deklarationen. Lediglich die Gültigkeit der λεπτός-Metaphorik für den Bereich der Stilistik läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit erkennen, da ja F 1.25 P mit ] καί eine inhaltsbezogene oder erzähltechnische zu einer stilistischen An­ weisung hinzufügt (vgl. oben 72). Angesichts der Multivalenz des Begriffs er­ scheint die Frage nach einer Quelle mit Sicherheit als wenig produktiv.240 Weiter ist die organologische Metaphorik eine Metamorphose des quantitativen Maßstabs: ‘dick’ versus ‘dünn’ beruht auf demselben tenor wie ‘groß’ versus ‘klein’. Wie weit jenseits der metaphorischen Ebene die intellektuelle und die akustische Se­ mantik der unmetaphorischen Begriffe mitschwingt, also nicht nur der Affektbe­ einflussung des Rezipienten dient, bleibt offen.241 Unmetaphorisches bzw. lexikalisiertes λεπτός ist, wie vor allem die Opposition zum lexikalisierten, pejorativen παχύς medizinischer und akustischer Bedeutung zeigt, ein eindeutig positiv be­ wertender Begriff242

238 Diese Unsicherheit steht in krassem Gegensatz zu der Sicherheit, mit der man kallimacheische λεπ τότη ς meist in einem Zirkelschluß aus den erhaltenen Gedichten in das Konstrukt des ‘kallimacheischen Programms’ projiziert: Meist umschreibt man den Begriff mit moderner Technologiemetaphorik, vgl. unter vielen z. B. FÜHRER Pindaric Feature 53 „stylistic refine­ ment and technical polish“, MÜLLER Erysichthon 33 „an die kleine Form gebundene Feinheit und Subtilität der Gestaltung“. Letztlich eine Abstraktion dieser Strömung ist die Ansicht SCHWlNGEs Künstlichkeit 23, 26 u. ö., hier sehe man ein Signalwort der „autonomen Ästhe­ tik , die „Poesie der absoluten Ästhetik“ etc. Anders versteht NEWMAN New Poetry 49 Μ οϋσα λεπ τα λέη als Erneuerung epischen Vokabulars im Stile des Apollonios (wie also GlANGRANDE ‘arte allusiva’ verwendet). Isoliert KLEIN Big Book 23 (entspricht CounterGenre 221): „It was precisely the λεπ τότη ς o f poetic aetiology which he opposed to the σεμνοτης o f traditional ‘cyclic’ epic. [...] The λεπ τότη ς o f poetic aetiology constituted the main ingredient o f the slender book’“, von dem ja ohnehin nie die Rede ist. KLEINs λ επ τό ς wäre schwer auf die Phainomena zu übertragen, die nicht von Aitiologischem geprägt sind. 239 LOHSE Aitienprolog 34 bemerkt mißbilligend: „Statt eines Programms mit operationablen, rational überprüfbaren Begriffen konstatieren wir bei Kallimachos Eklektik und einen mit Un­ bestimmtheitsfaktoren belasteten, irrationalen λ επ τό ς-Begriff.“ 240 CAMPBELL Notes 44 erkennt die Schwierigkeit, versucht sich aber doch an einer, natürlich unzureichenden, Quellenbestimmung (Aristophanes). 241 O ’S u l l iv a n Stylistic Theory 142 nimmt λεπ τότη ς wieder zu terminologisch als „a quality o f sound as much as o f mind“. 242 Weshalb auch die Beschreibung dieses Begriffs oder der dahinterstehenden Haltung als eines understatements (PUELMA Dichterbegegnung 233) meines Erachtens nicht paßt.

4.3 ‘Vertikale’ und akustische Quantitätsantithesen

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Λ επτός bzw. λεπταλέος wird für die Bezeichnung von Körpern, Intellekten und Klängen proprie oder in einer lexikalisierten Metaphorik gebraucht, die sich synchron von unmetaphorischer Verwendung nicht unterscheiden läßt. Die beiden einzigen sicher poetologischen Verwendungen bei Kallimachos (F 1.24 P, Ep. 27.3 P) sind personifiziert und bedienen sich der physiologischen und intellektualmetaphorischen Implikationen durch die Übertragung auf ein anthropomorph vorge­ stelltes Gedicht,243 nämlich auf die Aitia des Kallimachos bzw. die Phainomena Arats. Dasselbe gilt für das θύος πάχιστον (F 1.23 P), das sich aber wohl nicht nur auf einen anthropomorphisierten Text, sondern eher auf eine abgelehnte Gat­ tung oder sogar Gattungsgruppe mit ihren stilistischen Implikationen bezieht, am wahrscheinlichsten aber mit berechnender Unschärfe auf alles Nicht-Kallimacheische gemünzt ist (vgl. 100). Dieser Prozeß läßt sich als eine gezielte Metaphemprägung aus den herkömmlichen λεπτός- bzw. παχύς-Verwendungen be­ schreiben, genauer als Wiederbelebung einer ‘toten’, d. h. lexikalischen, Metapher durch das Mittel der Personifikation.244 Natürlich handelt es sich nur aus unserer diachronen Sicht um eine ‘Wiederbelebung’, aus der des Kallimachos einfach um eine ‘Belebung’, eben eine Personifikation. So ist es nicht unwahrscheinlich, daß Kallimachos der Urheber der poetologischen λεπτός-Metapher und damit unbe­ absichtigt des späteren terminologischen λεπτός-Begriffs bzw. seiner lateinischen Äquivalente überhaupt ist.245 Die spätere Rezeption dieser Prägung hätte ihre le­ bendige Metaphorizität ebenso verkannt wie die moderne Beschäftigung mit die­ sem vermeintlichen ‘Programmbegriff, der sich erst nach Kallimachos und viel­ leicht gerade aufgrund der Wirkung des Aitienprologs poetologisch lexikalisierte und damit überhaupt erst programmfähig wurde.

4.3 ‘Vertikale’ und akustische Quantitätsantithesen Eine weitere Ausprägung des quantitativen Maßstabs ist die Differenzierung von Stilebenen in ‘hoch’ und ‘tief: Eine buchstäbliche Deutung ist unmöglich, diese poetologische Antithese ist also notwendig metaphorisch. Der Alten Komödie 243 HOPKJNSON Anthology 90, der von „Callimachus’ humorous concretization o f λεπ τότη ς, his ‘lean M use’“, spricht, denkt offenbar in eine ähnliche Richtung. Leider aber ist λεπ τός ja in der wichtigsten seiner Valenzen, der physiologischen, kein abstrakter, sondern ein sehr kon­ kreter Begriff, so daß „concretization“ die Prägung schwerlich trifft. 244 W. KOLLER, Semiotik und Metapher. Untersuchungen zur grammatischen Struktur und kom­ munikativen Funktion von Metaphern, Stuttgart 1975, 93 beschreibt treffend die lexikalisierte Metapher: „Wenn den Kommunikanten nicht bewußt ist, daß Metaphern Verstöße gegen so­ zial eingeschliffene Sprachnormen und Wirklichkeitsvorstellungen sind und sein sollen, dann denaturieren sie sehr schnell zu ‘toten’ Metaphern mit einer rein objektsprachlichen Informa­ tionsfunktion.“ STRUB Absurditäten 246 paßt auf unseren Fall: „Wenn Metaphern ‘lexikalisierf sind, heißt dies nun gerade, daß die jeweilige lexikalisierte Bedeutung der Me­ tapher als unfigürliche [...] gemeint werden kann. [...] es sei denn, die tote Metapher würde in einem speziellen Kontext ‘wieder zum Leben erweckt’.“ 245 Auch LOHSE Aitienprolog 29 vermutet dies, allerdings für theoretisch-abstraktes λεπ τός.

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scheint sie bereits so gut bekannt zu sein, daß sie ihrerseits mit bunten Metaphern umspielt werden kann. Wenn der aristophanische Euripides Aischylos des Schwulstes anklagt, so metaphorisiert er dessen ‘hohen’ Stil mit zwei bekannten Bergen, deren real unmöglicher Plural das vehicle bricht und damit das Bild sofort wieder abstrahiert {Ran. 1056-57): [...] σύ λέγης Λυκαβηττούς / καί Παρνασσών ήμΐν μεγέθη [...]. Dazu gehört auch das Bild κρημνούς έρείδων bzw. κρημνοποιός {Equ. 628 über die schwülstige Rhetorik Kleons, Nub. 1367 über Aischylos).246Der Scholiast zu Nub. 1367e Koster ersetzt hier nur einen Aspekt der quantitativen Metapher gegen einen anderen, wenn er μεγάλας λέξεις ποιοΰντα glossiert.247 Der Begriff des (έξ-)οικοδομεΐν oder άνατειχίζειν, der von Aristo­ phanes {Pax 749-50 über sich selbst; F 657 PCG) und Pherekrates {Κραπαταλοί F 100 PCG über Aischylos) für die literarische Verfeinerung des Dramas gebraucht wird, stammt aus demselben Bereich und meint weniger Masse als Höhe.248 Sehr deutlich wird das gesamte Konzept in der Wendung πυργώσας ρήματα σεμνά {Ran. 1004 über Aischylos), wo von Größe nur als Höhe die Rede sein kann und σεμνά den tenor von πυργόω liefert. Die „ίππσ-componimenti“249 ίπποβάμων, ίππόκρημνος und ίππόλοφος {Ran. 821, 929, 818) beziehen sich bildlich wahr­ scheinlich nicht auf die faktische Höhe des Reiters gegenüber dem Fußgänger, sondern auf die sozial ‘hohe’ Stellung des Wagenfahrers.250 In der späteren rhetori­ schen Theorie sind einfache Höhenbegriffe, die den Bestandteil ύψος enthalten, vor allem natürlich bei Ps.-Longinos als lexikalisierte Stilmetaphem sehr verbrei­ tet.251 Diese Klasse poetologischer Metaphern findet sich bei Kallimachos nicht,252 um so deutlicher aber in den in ihrer Gesamtdeutung nach wie vor umstrittenen 2 4 6 DOVER Criticism 4 mit Anm. 10 versteht die beiden Bilder meines Erachtens unrichtig als

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Gewichtsmetaphem. Richtig dagegen TURASIEWICZ Denominazioni 11 „concezione di elevatezza e sublimitä“. Vgl. insgesamt auch T a il l a r d a t Images 4 3 8 § 7 5 0 . Hier geht TAILLARDAT Images 281 §500 wohl kaum richtig davon aus, daß dies die Reduk­ tionsstufe der Pamasse und Lykabettoi sei. Vielmehr wird das Bild dem Rezipienten allein bei umgekehrter Genese verständlich erscheinen. Von O SULLIVAN Stylistic Theory 122 unzutreffend als „imagery [...] o f massive size“ ver­ standen (ähnlich 15f). Dazu vgl. oben 139. CHIRJCO Poetica 104 schließt aus den Belegen statt auf eine allgemeine Topik auf die direkte Aischylos-Nachfolge des Aristophanes! Doch vgl. oben 113 zu Kratinos. TURASIEWICZ Denominazioni 13. Vgl. oben 36 Anm. 63. DURANTE Epea pteroenta 251 rückt diese Bildungen zu eng an die Weg- und Wagenmetapher, HOOK Terminology 16 zu eng an „weight, height, and length“ mit dem interessanten Hinweis auf die ίπποτυφία bei Diogenes Laertios und Lukian. Vgl. TURASIEWICZ Denominazioni 13 zum rhetorischen ίππικός/πεζός. Einzelne Beispiele finden sich schon bei Platon, der vom Stil der Tragödie als ύψ η λ ο λο γ εϊν spricht {Rep. 8.545 E 3). Für Ps.-Longinus gibt RUSSELLS Index 92 dreimal ύψηγορία, zw ei­ mal ύψ ηλοποιός, 15mal υψηλός, einmal ύψηλοφανης, 44mal ΰψος, einmal ύψόω, daneben z. B. Ps.-Longinos 1.3 sehr deutlich: άκρότης καί έξο χή τις λόγω ν. Weitere Parallelen bei HOOK Terminology 15-17, TURASIEWICZ Denominazioni 8-12. Wenn man nicht mit SICKLE Poetic Book 14 den π ε ζ ό ς ν ο μ ό ς in F 112.9 P als „topographical metaphor“ im Gegensatz zum Gipfel des Helikon sehen will, was nicht geraten scheint (vgl. oben 58f).

4.3 ‘Vertikale’ und akustische Quantitätsantithesen

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Thalysia Theokrits. Simichidas hatte gerade erklärt, daß er als Dichter mit Asklepiades und Philitas noch nicht konkurrieren könne, sondern ihnen gegenüberstehe wie ein Frosch Heuschrecken.253 Lykidas schenkt ihm daraufhin seine κορύνα und erläutert, warum ihm Simichidas’ Bescheidenheit so Zusage (7.45-^18): ώς μot καί τέκτων μέγ’ άπέχθεταί δστις έρευνη ίσον δρευς κορυφα τελέσαί δόμον Ώ ρομέδοντος, καί Μοισάν δρνιχες ö o o l ποτί Χ ίον άοίδόν άντία κοκκύζοντες έτάκπα μοχθίζοντυ So ist mir jeder Baumeister sehr verhaßt, der versucht, ein Haus zustandezubrin­ gen, das dem Gipfel des Oromedon (an Höhe) gleicht, und alle Musenvögel, die gegen den Sänger aus Chios ankrähen und sich dabei vergeblich abmühen.

Diese Verse, die Lykidas seinem Teil des Wettgesangs unmittelbar vorangehen läßt, erklären sich selbst. Dem mit ώς eingeleiteten bildlichen Teil folgt mit καί dessen auflösende Wiederholung, deren Aussage wegen des eindeutig bestimmba­ ren Χίος άοίδός trotz der Vogelmetaphorik vollkommen klar ist: Inferiore „Musenvögel“ sollen sich nicht mit Homer vergleichen (seil, vielleicht: indem sie sich an derselben Gattung versuchen). Diesen Gedanken verbildlicht Theokrit im Rekurs auf die gängige poetologische Baumetaphorik.254Die absolut unerreichbare Höhe, die literarmetaphorisch Homer markiert, zeichnet aus der Perspektive des Architekten proprie das Palastgebirge (oder den Gebirgspalast?) des sagenhaften Oromedon aus.255 Wenn man diesen Vergleich neben die Metapher der drei Wasser im Apollonhymnus setzt (dazu oben 120ff), so erweisen sich beide als strukturell vollkommen parallel. In beiden ve/zzc/e-Ebenen werden jeweils drei Größen zuein­ ander in Beziehung gesetzt, ein unerreichbares Maximum an Größe bzw. Höhe 253 E ffe Programm 9 0 f hält diese Gruppierung von Asklepiades und Philitas für widersprüchlich,

weil unvereinbar mit Σ Flor. 4 f P: Wenn Asklepiades und Poseidippos Gegner des Kallimachos seien, der aber Anhänger des Philitas, könne Simichidas nicht Asklepiades und Phili­ tas als Vorbilder nennen. Daraus leitet er die Diskreditierung bzw. Ironisierung der Person ‘Simichidas’ ab. Näherliegend wäre vor dem Hintergund des strukturell kallimacheischen Lykidasbildes zweifellos, die Glaubwürdigkeit des Florentiner Scholiasten anzuzweifeln (vgl. oben 146 mit Anm. 58). 254 Neben den oben angeführten Beispielen aus der Alten Komödie, die ihrerseits auf der Traditionalität dieser Metaphorik beruhen (dazu MÜLLER Verspottung 33-36, UGOLINI Critica Letteraria 261-6 3 , CHIRICO Poetica 103^4. Zu den indogermanischen Parallelen [z. B. Rgveda 1.38.1, 1.64.1, 1.110.1, 2.28.5, 3.29.2, 5.29.15, 6.9.2-3, 6.44.6, 6.67.2, 8.12.10-12, 10.5.3, 10.53.6, 10.106.1]: DURANTE Epea pteroenta 250, WÜST Zusammenhänge 31), vgl. z. B. Pin­ dar Ol. 3.3 ϋμνον όρθώ σαις, Ol. 6.3 π ά ξο μ εν (STEINER Crown 55), Pyth. 3.113 τέκ τονες οΐα σοφοί / αρμοσαν, Pyth. 6.6f θ ησα υρός [...] τετείχισται (BERNARDINI Programma 82), Nem. 3 .4 -5 μελιγαρύω ν τ έκ το νες κώμων νεανίαι, Demokrit 68 Β 21 DK (über Homer) έτεκ τήνα το, Sophokles F 159 TGF τ εκ τό να ρ χος μοϋσα (BOWRA Pindar 20-21), Timotheos F 791.232 PMG θ η σ α υρ ό ν πολύυμ νον und für weitere Beispiele DENNISTON Technical Terms 114. Zur Nachwirkung in der Rhetorik HOOK Terminology 40^41. 255 Der offenbar etymologische Name und sein Verhältnis zu diesem Berg ist unklar. Vgl. WILLIAMS Theophany 281 Anm. 37; S. HATZIKOSTA, a Stylistic Commentary on Theocritus’ Idyll VII, Classical and Byzantine Monographs 9, Amsterdam 1982, 89-90 und HUTCHINSON Poetry 202 mit Anm. 103.

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(πόντος, bzw. όρος Ώρομέδοντος), der notwendig unvollkommene Versuch, diese zu erreichen (ποταμός bzw. ίσος δόμος) und schließlich ein Minimum (ολίγη λιβάς, bei Theokrit als in μέγ’ άπέχθεται enthaltenes Gegenteil zum „gleichen Haus“ faßbar). Was bei Theokrit metaphorisch Höhe, ist bei Kallimachos Wassermenge. Zur Ähnlichkeit der Struktur kommt die der Bewertung hinzu. Einzig der Aspekt der καθαρότης (vgl. oben 118), der bei Kallimachos neben dem der Quantitäten noch ein zusätzliches Bewertungsmoment hineinbrach­ te, fehlt bei Theokrit. Die Eindeutigkeit, mit der hier Homer als das non plus ultra gesehen wird (vgl. oben 122f Anm. 66), und die analoge Struktur des Dreierver­ gleichs lassen Homer als im πόντος des Apollonhymnus gemeinte Größe sehr wahrscheinlich werden. Die Parallelität der vehicles erlaubt die Annahme eines identischen tenor,256 Welche der beiden Ausprägungen dieser auffälligen Struktur­ parallele allerdings Priorität beanspruchen darf, ist nicht sicher zu entscheiden.257 Das Verhältnis von Deutlichkeit und Kryptik weist nach dem Grundsatz, daß meist die deutlichere Ausprägung Vorbild, die kryptischere aber Anspielung ist, auf die Priorität Theokrits. Dieselbe Dreierstruktur jedoch wird im Aitienprolog auch an akustischen vehicles auffallen. Andererseits muß, wenn der Apollon des Aitienprologs Λύκιος heißt, weil er als Wolf die Teichinen tötete,258 ‘Lykidas’ aber nicht anders erklärt werden kann, dieser nach jenem benannt sein. Sollte der Lykidas der Thalysien wirklich eine Anspielung auf den kallimacheischen Apollon Λύκιος darstellen259 (das umgekehrte Verhältnis ist wohl auszuschließen), müßte man die 256 Dies scheint mir eines der stärksten Argumente gegen die neue These CAMERONs zu sein, daß die kallimacheische Polemik nicht den Eposepigonen, sondern den Elegikern gelte (skizziert Genre & Style 309 bzw. Critics 6, beiläufig angedeutet [„Callimachus is attacking poets wri­ ting within the elegiac tradition itself (...)“ 361] schon von K l e in Prologues 361). 257 LÖHSE Kunstauffassung 416, P u e l m a Vorbilder 156 Anm. 14 halten ohne emstzunehmende Argumente Kallimachos fur die Quelle Theokrits. KOSTER Epostheorien 116 verkennt den Unterschied der metaphorischen Paradigmen und geht außerdem von Länge und Kürze als proprie Gemeintem aus. Ältere Literatur über die Thalysia und die Metapher des hohen Pala­ stes bei H e r t e r Kallimachos 251. 258 Vgl. L iv r e a Somnium 54 Anm. 15 - doch scheint zu dieser Hypothese der Ort des Beina­ mens im Prolog nicht mehr recht zu passen: Σ Lond. 23—5 P befriedigt wenig. COPPOLA Cirene 38 40, 123-126 versucht, Λ ύκιος als simple Ortsbezeichnung eines kyrenäischen Kultes zu deuten, doch entstehen hier große chronologische Schwierigkeiten (vgl. unten Anm. 260). Die materialreiche Studie D. E. GERSHENSONs, Apollo the Wolf-God, Journal o f IndoEuropean Studies Monograph 8, McLean 1991 bietet für unser Problem leider keinen Auf­ schluß. Wie C a p o v il l a Saggi 89 mit seinen phrygischen Parallelen unser Problem lösen möchte, bleibt unklar. 2 5 9 Zu der langen Geschichte der Identifikationsversuche für den theokriteischen Lykidas, auf die

hier nicht eingegangen werden kann, vgl. z. B. E ffe Destruktion 5 9 -6 1 Anm. 4 , E ffe Pro­ gramm 88 Anm. 2 . In Lykidas mit WILLIAMS Theophany passim Apollon zu erkennen, liegt nahe, wenn man in den Thalysien eine Dichterweihe erkennt - meinetwegen auch mit der Ein­ schränkung „where the Dichter has absented him self“ (GOLDHILL Poet’s Voice 2 2 9 ). Das Problem des Postulats einer Göttermaskerade überhaupt, für die mit der Annahme einer Dichterweihe gewichtige Gründe sprechen und das sich nach den Arbeiten CAMERONs (1 9 6 3 ), LUCKs (1 9 6 6 ) und W i l l i a m s ’ (1 9 7 1 ) wohl durchzusetzen beginnt (E ffe Destruktion 5 9 - 6 2 Anm. 4, ZÄNKER Realism 8 lf, PUELMA Dichterbegegnung 2 4 1 —4 3 , PLAZENET Idylle 7 8 9 f) besteht allerdings immer noch darin, dem Lied des Lykidas einen Sinn zu verleihen

4.3 ‘Vertikale’ und akustische Quantitätsantithesen

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Ähnlichkeit unserer ve/?zc/e-Struktur ebenfalls als Hinweis auf diesen Prätext und den Apollonhymnus interpretieren: Lykidas/Apollon würde dann Metaphern zweier Texte ‘zitieren’, in denen er selbst eine tragende Rolle spielte: Einmal äußert er sie als Wassewehicle selbst, einmal erscheint sie im unmittelbaren Kontext seiner ei­ genen Epiphanie als akustisches vehicle. In Anbetracht der damit verbundenen chronologischen Probleme jedoch260 und der Unsicherheit der Lykidas-Identifikation einerseits, andererseits der Traditionalität der Wasser-, wie der Höhenund Baumetaphorik und schließlich des Homerbildes (vgl. die τέμαχος-Struktur: oben 120ff) läßt sich trotzdem auch eine unabhängige Entstehung beider Bilder oder eine gemeinsame Quelle261 vertreten. Ein poetologischer Maßstab der Höhe ist im literarkritischen Traum des Herondas dagegen nicht zu erkennen.262 Eine ganz andere, ebensogut poetologisch verwendbare vehicle-KAasse bildet die Gruppe akustischer Quantitätsbezeichnungen. Die Bezeichnung akustischer Phä­ nomene dient schon der Alten Komödie als poetologische Metapher: Peisetairos unterbricht die hochgestochenen, mit Tragikerzitaten gespickten Drohungen der Iris (Aristophanes Αν. 1238-42), indem er sie unbeeindruckt anfährt: παύε των παφλασμάτων (1243). Ganz ähnlich malt das „Giganten-Schnaufen“ des Aischylos boshaft seinen angestrengten Stil (γηγενές φύσημα Aristophanes Ran. 825).263 In beiden Fällen ist die Vehemenz der lautlichen Äußerung dynamisch als Laut­ stärke aufzufassen. An Aristophanes erinnert nicht nur wegen des berüchtigten ληκύθιον άπώλεσεν ein jambisches Fragment des Kallimachos: ητις τραγωδός (WILLIAMS Theophany 279 und PLAZENET Idylle 7 95 schwach), womit der Ansatz der Men­

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schenmaskerade natürlich keine Schwierigkeiten hat, da er den Liedinhalt einfach biogra­ phisch und damit als für Zeitgenossen verständlichen Hinweis auf die wahre Identität des Lykidas verstehen kann. W il l ia m s ’ Bemerkung „1 am reluctant to make more than this brief sally into the minefield of Alexandrian chronology“ (Theophany 285 Anm. 57) kann ich mich nur anschließen. Die bei CORSANO Fondazione di Cirene 65 Anm. 8 gegebenen Datierungen fur H2 schwanken zwi­ schen 280 und 246 AC. Die Annahme, daß Λυκίδας von Λύκιος abhänge, der Aitienprolog aber ein Spätwerk sei, läßt sich in die herkömmlichen chronologischen Konstrukte nur müh­ sam einfügen. FALIVENE Mimesi 125 und LEHNUS Regno 78 verwenden unbrauchbare Datie­ rungskriterien für den Apollonhymnus, den als letzter wohl CESSI Αίτια 100 nach dem Aitien­ prolog entstanden glaubte. GOW l.xxiii Anm. 3 dachte hier an Philitas. HUTCHINSON Poetry 203 „The connections with Callimachus do not seem striking.“ macht es sich jedenfalls zu leicht. Zu Herondas 8.16-18, 67 meint F.-J. SlMON, Τά κ ύλλ’ άείδειν. Interpretationen zu den Mimiamben des Herodas, Studien zur Klassischen Philologie 57, Frankfurt a. M./Bem/New York/Paris 1991, 75 hier poetologische Metaphern zu erkennen: „Traum und der Weg ins un­ begangene Steile sind Elemente dieser Symbolik.“ Deutliche Ähnlichkeiten zu Kallimachos sind meiner Ansicht nach allerdings nicht vorhanden. SUERBAUM Selbstdarstellung 84-86 und R. M. ROSEN, Mixing o f Genres and Literary Program in Herodas 8, HarvSt 94 (1992) 2 0 5 216 erwägen dieses ‘Element’ nicht. Die Boshaftigkeit liegt auf der Ebene des Autors, nicht des Chores, der unparteiisch ist: Es ist unsicher und hier eher unwahrscheinlich, ob man im Gigantischen die übliche pejorative Konnotation des θ ε ο μ ά χ ο ς mithören muß oder nicht. T a il l a r d a t Images 445-46 §766 weist dazu auf die rhetorische Verwendung des Begriffs π ν ε ύ μ α hin (bei Dionysios von Halikamaß und Ps.-Longinos), vgl. auch QUINCEY Λ ή κ υ θ ο ς 44.

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μοϋσα ληκυύίζουσα (F 215 P).264 Ein Scholion zu Hephaistion (vgl. Pfeiffer ad /.) erklärt den Vorgang: Gemeint ist das hohle Dröhnen, das man durch Blasen über dem Hals der Lekythos erzeugen kann (υπό πνεύματος άνδρός).265 Klangfarbe und Lautstärke verbildlichen die hohe Stilebene tragischer Diktion,266 wobei die Assoziation des ‘Hohlen’ mitspielen kann. Warum Kallimachos im zweiten Iambos (F 192.12f P) den Tragöden die Stimme der Fische zuweist, bleibt umstrit­ ten.267 Im Kontext unserer quantifizierenden Antithesen ist der Gegensatz Taut’ versus leise von besonderem Interesse: Statt sich ins Unmetaphorische aufzulö­ sen, setzen sich die beiden metaphorischen Antithesen der Apollonvision in der in die Gegenwart des Sprechers zurückkehrenden Erzählung des Kallimachos mit einer akustischen Polarisierung fort (F 1.29-30 P): τ φ π ιθ ό μ η ] ν ένί τ ο ΐς γ ά ρ ά ε ίδ ο μ ε ν ο ϊ λ ιγ ύ ν ή χ ο ν τ έ τ τ ιγ ο ς , θ ] ό ρ υ β ο ν δ ’ ο ύ κ έ φ ίλ η σ α ν όνω ν. D em fo lg te ich:] Unter denjenigen näm lich singen wir, die den hellen [Z ikaden]laut, nicht aber den Lärm der E sel liebgew onnen haben.

Obwohl λιγύς gewöhnlich eine Klangfarbe, nicht eine Lautstärke, bezeichnet (vgl. oben 27f), verlangt die Antithese des θόρυβος doch, daß eine dynamische Impli­ kation mitspielt. Mag es sich äußerlich wie in F 178.11-12 P (oben 140f) auch um 264 Wegen der bildlichen Handlung, die ληκυθίζουσα beschreibt, scheint kapitales My hier an­ gebracht, doch vgl. oben 158 Anm. 114: Der genaue Punkt, an dem Personifikation beginnt und Metonymie endet, läßt sich selten sicher bestimmen. 265 Anders als das Scholion erklärt THOMAS New Comedy 189 das Bild: „to make a booming sound, as if declaiming into a λή κ υθ ος“ mit Verweis (Anm. 37) auf Phrynichos und Horaz. Doch ist wohl eine normale λήκυθος zu klein, als daß es widerhallte, wenn man in sie hinein­ spräche. Die Erklärung des Scholiasten ist daher vorzuziehen. Zum Problemkreis allgemein vgl. QuiNCEY Λ ήκυθος 36-44. J. HENDERSON, The Lekythos and Frogs 1200-1248, HarvSt 76 (1972) 133-143, hier 140 bestreitet die Bedeutung „bombast“ (für Euripides) mit dem schwachen Argument, daß dieser Schwulst sich in euripideischer Tragödie ja nicht finde. Ab­ gesehen davon, daß zumal deren Chorlieder mit dem π εζός νομός der Iamboi verglichen im­ mer noch ‘schwülstig’ sind, geht es Jambikem wohl kaum um literarhistorische Gerechtigkeit. QUADLBAUER Genera dicendi 71 mit Anm. 134 bettet die Metapher mit anderen Erklärungen die allerdings nicht überzeugen, in die ‘Asianerkritik’ ein. Eine gute Diskussion des Bildes als Stilmetapher findet sich bei O ’SULLIVAN Stylistic Theory 110. 266 TAILLARDAT Images 2 9 7 f §518 meint letztlich auch Stilistisches, wenn er von „emphase“ spricht. „[...] de Callimaque ä Pline le Jeune, la chaine est ininterrompue pour les termes techniques λ η κ υ θ ίζ ε ιν , parier avec emphase, et λ ή κ υ θ ο ς , l ’emphase.“ Seine Erklärung des aristophaneischen λ η κ ύ θ ιο ν ά π ώ λ ε σ ε ν befriedigt allerdings nicht. C r a n e Tithonus 276 „The simple volume o f a sound could also serve as a metaphorical gauge for its appeal and its' success. trifft den Sinn unserer akustischen Metapher nicht genau (bezieht sich allerdings auch auf Theokrit Eid. 5.29, 7.41, 4 7 -4 8 u. a.). 267 B in g Voice 3 4 f sieht den Sinn des Vergleichs im Prädikat ά μ ο υ σ ο ν (vgl. Empedokles 3 1 B 74 D K ), das er gleichzeitig mit WlLAMOWITZ in Kallimachos F 1.7 P ergänzt, und zieht zoologi­ sche Literatur zu Lauten von Wasserlebewesen heran. E. COURTNEY dagegen plädiert für Stummheit (Callimachus Iambus II Fr. 192, ZPE 74 [1988] 276). Pherekrates Μυρμηκανϋρωποι F 117.If PCG (τί λ η ρ ε ΐς ; ά λ λ α φ ω ν ή ν ο ύ κ έ'χ ειν / ί χ θ ύ ν γ ε φ α σ ί τό π α ρ ά π α ν ) konnte zugunsten der zweiten Auffassung entscheiden, womit allerdings die Aussage des Kallimachos noch unklarer würde.

4.3 ‘Vertikale’ und akustische Quantitätsantithesen

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eine reine Geschmackserklärung hier allerdings akustischer Präferenzen, handeln, verlangt doch das Gesetz der Reihe einen poetologischen Hintersinn: Wenn auf zwei stilmetaphorische Antithesen eine dritte, gleichfalls in derselben Weise und mit derselben Wertung quantifizierende folgt, so wird auch sie stilmetaphorisch zu verstehen sein. Ebenso wie bei dem breiten Weg und dem fetten Opfer beinhaltet die Metaphorik sympathiesteuemde Konnotationen: Der als Symbol akustischer Harmonie verstandene τέττιξ fungiert regelrecht als Programmtier der Dichter­ zunft,268 der Esel ist herkömmlich fleischgewordene Dummheit.269 Der Vorstellung des kunstfeindlichen θόρυβος ό'νων liegt außerdem mit hoher Wahrscheinlichkeit die sprichwörtliche Redewendung ‘ονος λύρας’ zugrunde,270 deren Kallimachos sich zur Sympathielenkung des Lesers außerdem noch bedient.271 Die Technik, ein (unpoetologisches) Sprichwort zur Grundlage eines poetologischen vehicle zu ma-

268 Zum Problem der Taunahrung des τέττιξ in F 1.33f P vgl. oben 131 mit Anm. 109. Der Zika­ denvergleich steht sprichwörtlich für akustische, d. h. dichterische Qualität: Hesiod Opp. 5 8 2 83 ή χ έ τ α τέττιξ / [...] λιγυρήν κ α τα χεΰ ετ’ άοιδήν, Scut. 393-95 ή χέτα τέττιξ / [...] ά ε ίδ ε ιν / άρχεται, Aristophanes Nub. 1360 (Sänger mit τέττιξ gleichgesetzt). Der Zikaden­ mythos in Platon Phaidr. 259 B 5 - D 7 beruht auf derselben Tradition dichterischer τέττιξMetonymien wie Kallimachos. Abhängigkeit trifft demnach das Verhältnis nicht (anders HUNTER Wings 1-2). Als zeitgenössische Belege des Motivs vgl. z. B. Leonidas von Tarent Ep. 91.2521-23 HE (τέττιξ über sich): οίδα [...] άείδειν [...] άοιδός, Poseidippos Ep. 6.3074 HE τω ν Μ ουσώ ν τέττιγα (Metonymie für Dichter: B ing Well-read Muse 37), F adesp. 695 CAF τέττιγο ς εΰφ ω νότερος (Stimmvergleich). Treffend also CRANE Tithonus 272 „emblem o f his [seil. Callimachus’] poetry“. Eine genaue Interpretation der Zikadenvorstellung und des Tithonos-Vergleichs bei Kallimachos findet sich bei H. DlLLER, Zu Kallimachos, Hermes 90 (1962) 119-121, hier 119f. 269 Vgl. Äsop Fab. 195 H a u s r a t H/H u n g e r . BORGOGNO Poetica 130-32 hält diesen Text für die Quelle unserer Verse. Doch ist sein biographistischer Ansatz problematisch, da nach der Ein­ leitung der Apollonparainese Kallimachos wieder in die Rolle des alten Dichters zurück­ springt (vgl. 3 3-34!), der ‘Schüler’ Kallimachos also vergessen ist. Für diese Verse nach ei­ nem ‘Schultext’ als Quelle zu suchen, ist also zwecklos. Zweitens wird die Suche nach einer einzigen Quelle der Multivalenz kallimacheischer Metaphemkonstitution nach unseren bishe­ rigen Ergebnissen nicht gerecht: Die Fabel beinhaltet überdies keinerlei poetologische Ebene. Daß Σ Flor. 5 P Π οσειδίππω τώ ovo den Esel auf Poseidippos bezieht, muß man befürchten (so auch CAPOVILLA Callimaco 1.108, anders COPPOLA Prologo 35-37, der όνο[ματολόγω ergänzt). Richtig CRANE Tithonus 273, der die Fabel nur als Indiz für die Rezeptionssituation wertet (offenbar ohne Kenntnis der These ßORGOGNOs), unwahrscheinlich dagegen vor dem Hintergrund der Verse 11-12 seine These (275), es handele sich bei 33-35 um eine Polemik gegen Mimnermos. Aus Gründen der Sympathielenkung irrelevant ist hier der Hinweis LlVREAs, die kallimacheische Muse zeige Sympathie für Esel (Polittico callimacheo 26). 270 Diogenian 7.33 und Apostolios 12.91a LEUTSCH/SCHNEIDEWIN. Die Tradition dieses Motivs vom dritten Jahrtausend AC (Ur) über Boethius bis ins letzte Jahrhundert (Keller, Wagner) zeigt H. ADOLF, The Ass and the Harp, Speculum 25 (1950) 49-57. 271 Es ist also nicht anzunehmen, daß Kallimachos sich in F 1.43 P Ά ρ κ α δ ( ) π ε μ π () selbst auch nur implizit mit Eseln vergleicht, wie LlVREA Somnium 5 7 das annimmt. Weitaus plausibler dagegen erscheint AMBÜHLs Ansicht (Arcadian Asses 213), es sei vom Verhalten der Gegner die Rede.

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chen, ließ sich schon bei der Μοϋσα λεπταλέη vermuten (vgl. oben 172f Anm. 175).272 Die Metapher akustischer Dynamik liegt am deutlichsten in der Weigerung des Kallimachos vor, eine μέγα ψοφέουσα άοιδή hervorzubringen (F 1.19 P). Diese Weigerung begründet der Verweis auf den Donner des Zeus: βροντάν ούκ έμόν, άλλα Διός (20). Soll die Begründung gedanklich kohärent sein, muß die Lautstär­ ke das verbindende Glied von μέγα ψοφεϊν und βροντάν sein. Doch die abgelehn­ te άοιδή ist proprie nicht laut, sondern stilistisch bombastisch. Dafür ist ψόφος seit Aristophanes eine zur Lexikalisierung neigende Metapher, fast ein terminus technicus.213 Der ausschließliche Nexus des Donners mit Zeus impliziert nicht nur eine Ablehnung des Donnerns für Kallimachos selbst, der nicht Zeus ist, sondern auch für alle anderen, die ebensowenig Zeus sind. Der Gedanke ist also apologe­ tisch und polemisch zugleich.274 Seine Allusivität aber ist in dem Hinweis auf die stilistischen Implikationen des lauten Donners noch nicht erschöpft: Poetologisch metaphorisiert ist ‘Zeus’ nämlich Homer.275 Mit dieser Übertragung spielt schon Aristophanes, wenn er Aischylos als έπιβρεμέτας bezeichnet (Ran. 814), ein Epitheton, das exklusiv Zeus zukommt (N 624, vgl. ύψιβρεμέτης A 354, ε 4, ψ 331).276 Im rhetorischen Bereich ist (wohl sekundär) dasselbe Bild für Perikies ge272 KYRIAKOU Hapax Legomena 190-210 deutet jetzt die Begegnung von Orpheus und Sirenen in den Argonautika des Apollonius (4.891—921) im Licht dieses dynamischen Gegensatzes und erkennt dort eine latente Polemik des Apollonios, bei dem sich der laute Orpheus gegen die leiseren Sirenen durchsetzt, gegen den Aitienprolog des Kallimachos. 273 Bei Aristophanes (Nub. 1367) berichtet Strepsiades vom Tadel des Pheidippides an Aischylos, den er u. a. ψόφου πλέω ν nennt. Für Aristoteles Rhet. 111 3.1406 b2 ist das ψοφώδες gerade­ zu Eigenart des Dithyrambikers: Dazu POHLENZ Anfänge 438 Anm. 2 (Aristophanesrezeption bei Kallimachos, wozu vgl. auch oben 174 Anm. 182), W eh rli Stil 3 1 -3 2 Anm. 4, O S u l l iv a n Stylistic Theory 109. Daß ψοφέω hier an das Meer erinnern soll, läßt sich nicht erweisen: so wohl REITZENSTEIN Stiltheorie 37 Anm. 2 („Naturgewalten“). Auch im Apollon­ hymnus konnte άείδει (106) keine auf das Meer passende akustische Denotation zugewiesen werden (daher oben 120 als Bruch des vehicle ‘Meer’ durch den tenor ‘Homer’ oder innerhalb der Meermetapher ‘konterdeterminiert’ behandelt). Das Meer als akustisches Phänomen be­ handelt L e s k y Thalatta 192 (Archilochos) und 260 (Apollonios): Ψ όφ ος und άειδειν kennen beide in diesem Zusammenhang nicht. Μ έγα meint hier nur Dynamik, nicht Klangfarbe (anders BtNG Well-read Muse 50 „hollow-thundering“). 274 Lapidar mutet die Interpretation des Londoner Scholiasten an (18f P): ούκ έχω τά μακρά | ώσπερ οΰδ(έ) τά βροντ(ήματα) - „Das Lange kann ich nicht (zuwege bringen), ebensowe­ nig wie den Donner.“ SCHWINGE Künstlichkeit 33 versteht den Vers wahrscheinlich falsch, wenn er meint, hier werde der Donner des Zeus abgelehnt. Kallimachos lehnt nicht den Don­ ner selbst, sondern jeden Usurpator des Donners ab, also jeden, der donnert, ohne Zeus zu sein. Der Lärm der Esel dagegen wird pauschal disqualifiziert. 2 7 5 Genauso beiläufig auch BULLOCH Hellenistic Poetry 19, ders. Introduction 129. 2 7 6 TAILLARDAT Images 4 4 2 § 7 5 6 . Ebd. 3 5 § 2 3 -2 4 mit Anm. 1 poetologische Gewittermetaphem (reichlich Belege aus Tragikern und Pindar), die ebenfalls auf diesem Topos aufbauen (wohl eher, als ihn später zu ermöglichen). Die Konnotationen des Epithetons für Aischylos trifft RAU Paratragodia 123 „parodistischer Zierat aus heroischer Sphäre“ besonders gut. O S u l l iv a n Stylistic Theory 108 und C a m e r o n Critics 7 scheinen bei έ π ι β ρ ε μ έ τ α ς an eine originale Übertragungsleistung des Aristophanes zu glauben. Doch ist „the archetypal grand poet“ eben nicht Aischylos, wie O ’SULLIVAN meint (1 0 8 ), sondern Homer. Wahrscheinlich hat also schon Aristophanes den Topos von Homer auf Aischylos übertragen.

4.3 ‘Vertikale’ und akustische Quantitätsantithesen

197

prägt worden.277 Natürlich ist es unmöglich, hier Kallimachos einen Bezug auf die Rhetorik des Perikies unterstellen zu wollen,278weil es ihm wie im Apollonhymnus und wie Theokrit in den Thalysien um die Auseinandersetzung mit der poetologischen Normativität Homers geht. Auf die poetologische Identifikation von Homer und Zeus spielen Timotheos, Leonidas von Tarent, Ps.-Longinos, Quintilian und Plutarch an.279 Wahrscheinlich verwendet auch Kallimachos selbst in seinem Kreophylos-Epigramm (6.4 P/55.1293-96 HE, dazu oben 142) diese Vorstellung. Wer also in diesem Vers nur eine übliche Warnung vor Hybris erkennt, irrt.280Hier wird natürlich vor poetologischer Hybris gewarnt: Diese Umwertung liegt ganz im Zu­ ge der allgemein bei Kallimachos beobachteten Konnotierung poetologischer Normen mit quasireligiöser Verbindlichkeit.281 Der poetologische Bezug auf Ho277 O ’SULLIVAN Stylistic Theory 107-112 mit Verweis auf Aristophanes Ach. 530f Π ερικ λεή ς ο ύ λ ύ μ π ιο ς / ή σ τρα πτ’, έβρόντα, ähnlich Plutarch Per. 8; 156 B 9. A t k in s Criticism 32 mit Anm. 1 und O ’SULLIVAN 109 Anm. 16 zur Donnermetapher in späterer Rhetorik. 278 QUADLBAUER Genera dicendi 71: „Kallimachos weist die ‘donnernde’ Redegewalt eines Pe­ rikies von sich.“ Ebenso spricht nichts dafür, hier einen Verweis auf Ptolemaios zu erblicken, der natürlich andernorts oft in eine gewisse Nähe zu Zeus gerückt wird: Vgl. H1.84ff; Theo­ krit Eid. 7 .9 3 , 17.131; Meleagros Ep. 3 .3 9 9 6 HE. 279 Wenn Timotheos in seinem poetologischen Sukzessionsmythos die Parole ausgibt „νέος ό Ζευς βασιλεύει“ (F 796.3 PMG), so meint er damit nicht nur den Anbruch eines neuen Zeitalters, sondern speziell auch die Entthronung der alten poetologischen Autoritäten: Timo­ theos selbst nimmt von nun an Homers Platz ein, der ein poetologischer ‘Ζευς παλα ιός’ wäre, d. h. eigentlich Κ ρόνος άγκυλομήτης: A uf dem Substrat des Homertextes bleibt die meta­ phorische Sympathielenkung also eindeutig. Leonidas’ Behauptung, daß Arat Διός δεύτερος sei (Ep. 101.2577f HE), wird meines Erachtens nur dann verständlich, wenn ‘Zeus’ auch hier Homer meint, dessen αστρα φ αεινότερα aber die homerischen Gedichte. Eine verwandte Vorstellung zeigt sich im Ep. 30.2147-50 HE, in dem Leonidas Homer mit der Sonne, die Steme aber mit den ύμνοπόλοι ά γελη δ όν vergleicht. Quintilians Einsatz Inst. orat. 10.1.46: [...] ut Aratus ab love incipiendum putat ita nos rite coepturi ab Homero videamur bekommt volle Kohärenz und Hintergründigkeit erst, wenn in literaturgeschichtlichen Zusammenhän­ gen Homer ‘Zeus’ ist. Desgleichen erhält unter derselben Prämisse auch der Ausspruch des Ps.-Longinos 9.14 τι γάρ αν άλλο φήσαιμεν ταϋτα [seil. Ungereimtheiten in der Odyssee] ή τφ ό'ντι τού Δ ιός ενύπνια; erst seinen rechten Sinn. RUSSELL ad l. 98f vermutet dahinter ein Sprichwort. JACQUES Acrostiche 48 beginnt seinen Artikel scherzhaft wie Quintilian (s. o.), aber setzt Homer und Arat deutlicher in Beziehung zueinander (ohne unser Problem zu berüh­ ren). Auch das von PRETAGOSTINI Tuonare 622 besprochene (und verkannte) Zitat unseres Verses bei Plutarch ( Quom. adul. 10.54 D) ergibt einen weit besseren Sinn, wenn der κόλαξ entschuldigend darauf verweist, daß er schließlich nicht Homer sei und man ihn nicht über­ forden! solle. 280 So HUTCHINSON Poetry 79: Kallimachos empfehle seinen Gegnern „the prudent avoidance o f hybris“, was etwa von Rhianos F 1.12 f CA zutrifft. PRETAGOSTINI Tuonare 619f sieht den Be­ zug zu Homer nicht, geht so von einer generell negativen Bewertung des ‘Donnems’ aus und wundert sich daher über positive Rezeptionszeugnisse des kallimacheischen Motivs (624). 281 Einen analogen Vorgang glaubt WILLIAMS Theophany 281 für die Baumeister des LykidasBildes zu erkennen, die versuchen, ein dem (H)Oromedon (= dem Apollon heiliger Berg) gleichhohes Gebäude zu errichten: Doch bleibt diese Ebene dort ganz implizit. Ein deutlich poetologischer Hybris-Begriff begegnet jedoch bei Pratinas F 708.2 PMG (= 4 F 3.2 TGF): τίς ΰβρις έμ ο λ ε ν έπί Διονυσιάδα πολυπάταγα θυμέλαν; Pratinas geißelt damit das Eindrin­ gen von neuen musikalischen Elementen. PUELMA Lucilius 240 sieht in der Fabel Babrius 36

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4 Quantifizierende Antithesen

mer ist der Metapher bereits inhärent. In Struktur und Bewertung ähnlich sind sich die Dreiecksbezüge poetologischer Metaphern im Apollonhymnus (Meer, Fluß, Quelle), in den Thalysien (Gebirge, großes Haus, [sc//, kleines Haus]) und hier (Donner des Zeus, Lärm der Esel [entspricht der ve/zz'c/e-Struktur nach der μέγα "ψοφέουσα άοιδή], Zirpen der Zikade). Die letzlich beliebigen vc/z/c/c-Ebenen von Wasserquantität, Höhe und Akustik werden auf das immer gleiche Verhältnis von Homer, Nachahmer Homers und poetologischem Dissident übertragen. Die Paral­ lelität dieser Bildstrukturen sichert für den Apollonhymnus und für den Aitienprolog den tenor der poetologischen Metapher ‘πόντος’ bzw. ‘Ζεύς’.282 In einem zweiten Schritt dürfte damit auch der tenor der drei vehicles deutlich werden, die hybrid Größe beanspruchen: Die Polemik kann sich nur gegen Homerepigonen richten.283 In unserem Fall erinnert die Austauschbarkeit von poetologischer Meta­ phorik und religiöser Sphäre sehr an die für die Weg- und Wassermetapher oben behauptete Affinität beider Bereiche (vgl. 93f, 118). Fassen wir unsere Beobachtungen zum gesamten Bereich quantifizierender Antithetik zusammen! Die organologischen (4.2), ‘vertikalen’ und akustischen Gegen­ sätze (4.3) müssen poetologische Metaphern sein, da in ihren Kategorien proprie über Dichtung nicht gesprochen werden kann. Vollkommen parallel zu diesen dreien ist die dimensional-quantifizierende Antithese (4.1) gebaut, mit der eine deskriptive Poetik durchaus proprie arbeiten könnte. Das hat dazu geführt, quanti­ tativen Parametern die zentrale Rolle innerhalb der von Kallimachos metaphorisch geführten Polemik zuzuerkennen. Aus den vorliegenden Betrachtungen ist deutlich geworden, daß diese Auffassung eine Verkennung der metaphorischen Struktur dieser Polemik bedeutet. Wenn die drei anderen Antithesen metaphorisch interpre­ tiert werden müssen, die dimensional-quantifizierende aber dieselbe Metaphemstruktur wie diese aufweist, so muß man auch sie als metaphorisch betrachten. Wie einerseits der Kontrast zum Wegbild der Apollonparainese zeigt, das sich auf In­ haltliches bezieht (vgl. oben 72), andererseits die quantitätsmetaphorischen Paral­ lelen vor allem in der Alten Komödie, bezeichnen unsere vier quantitativen Metaphemkategorien offenbar einen stilistischen Kontrast, d. h. sie sind in den Katego­ rien der von uns vorgeschlagenen Dihärese als ‘aristophanisch’ einzustufen.

die ϋβρις der Eiche gegenüber dem λεπ τός κάλαμος als poetologisch an, um HouSMANs δρυς F 1.10 P zu stützen. 282 Um so bedauerlicher ist es, daß diese Strukturparallelen im Streit um die Bedeutung des π ό ν­ τος nicht berücksichtigt werden (oben 123 mit Anmm. 67ff). 283 Es scheint mir daher nicht wahrscheinlich, daß sich die vehicles gegen zeitgenössische Elegi­ ker richten, wie CAMERON Genre & Style 309 meint (ähnlich CAMERON Critics 5f), mögen diese auch sprachlich Homeranlehnung gezeigt haben.

4.4 Inhaltspersonifikationen·. Pygmäen, Kraniche und Massageten

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4.4 Inhaltspersonifikationen: Pygmäen, Kraniche und Massageten Die Werkspersonifikationen der Verse F 1.9-12 P und die Ablehnung des quanti­ tativen Maßstabs in den Versen 17-18 sind durch zwei Distichen verbunden, deren Bezug auf ihren poetologischen Rahmen nicht leicht zu erkennen ist (F 1.13-16 P): .......]ov έπί Θρήϊκας άπ’ Αίγύπτοιο [πέτοιτο αϊματ]ί Πυγμαίων ήδρμένη [γ]έρα[νος Μασσαγέται και μακρόν όϊστεύοιεν επ’ άνδρα Μήδον]· ά[ηδονίδες] δ’ ώδε μελιχρ[ό]τεραι. ...] mag auch von Ägypten der Kranich zu den Thrakern [fliegen] aus Freude an Pygmäen[blut], mögen auch Massageten weit auf den [medischen] Feind schießen: [Nachtigallen] sind so doch süßer.284285 Vorher haben die Werkspersonifikationen die Lächerlichkeit des quantitativen Maßstabs erwiesen, nach unserer Versgruppe verwünscht Kallimachos das Βασκανίης όλοόν γένος und dessen σχοΐνος Περσίς. Wie der die Überleitung do­ minierende Optativus concessivus2ii und der summierende Schlußsatz nahelegen, müssen noch einmal zwei verbildlichte Beispiele der abgelehnten Gattung und ihres Stils Revue passieren. Die genaue Struktur der Beispiele wirkt zunächst un­ klar. Vor dem Hintergrund der bisher diskutierten Polarisationen und des unmittel­ baren Kontexts ist wenigstens einsichtig, daß es sich nur um eine metaphorisch quantifizierende Antithese handeln kann: Dies legt die vorangegangene μεγάλη γυνή ebenso wie die folgende σχοΐνος nahe. Erst ab Vers 19 gleitet der Gedan­ kengang in organologische und akustische Metaphern ab. Die Massageten schleu­ dern ihre Speere μακρόν, d. h. wohl adverbial „über eine weite Distanz“.286 Dieses μακρόν fügt sich in die quantitative Metaphorik und schließt gleichzeitig eine akustische Interpretation der Kranichverse aus: Ein Übergang von dem quantifizie­ renden μέγας des Verses zwölf (ή μεγάλη [...] γυνή) zu einem akustischen ve­ hicle, das dann mit den Massageten wieder zu einer Quantifikation zurückkehrt, um bis zum ‘persischen Kilometermaß’ dort zu verharren, erschiene unmotiviert.287 Die Lücke am Beginn des Verses 13 ist also μακρ]όν oder sinngemäß zu ergänzen: Κλαγγ]όν verbietet sich demnach aus Gründen der Gedankenführung.288Hier wird 2 8 4 Μ η δ ο ν ist eine Ergänzung PFEIFFERS, ά η δ ο ν ίδ ε ς eine HouSM ANs. Für andere Ergänzungen

vor allem des Verses 16 durch G a l l a VOTTI, CATAUDELLA, PUELMA und BARIGAZZI vgl. A l l a n Mimnermus 1 4 9 -1 5 1 . 2 8 5 KÜHNER-GERTH (w ie unten 2 1 7 A n m . 4 7 ) § 3 9 5 .4 ; 2 .2 2 8 . 286 PUELMAs Verbindung von μακρόν und έπ ’ ανδρα ist abzulehnen (Lucilius 223 Anm. 1): Die

traditionellen Feinde der Massageten, die Meder, sind nicht größer als die Massageten selbst (zu PUELMAs Konjektur Κ φ ο ν vgl. unten 202 Anm. 299). 287 BORNMANN Callimachea 48 sieht das Problem nicht, BARIGAZZI Mimnermo 174 betont be­ reits den Vorteil gedanklicher „unitä“, der sich aus der Annahme quantifizierender vehicles ergibt. 288 Für μ α κ ρ ό ν aus anderen Gründen BARIGAZZI Mimnermo 174-75 (im Gefolge von G a l l a v o t t i und C a t a u d e l l a ); C a p o v il l a Callimaco 1.134; MÜLLER Erysichthon 38. Zur akustischen Interpretation vorsichtig schon PFEIFFER Altersgedicht 305 und 316, der sich

4 Quantifizierende Antithesen

wieder die Adaptionskreativität des Kallimachos deutlich: Aus dem traditionellen, epischen Gleichnis der Geranomachie, das in der Tradition auf einem akustischen oder optischen tenor basiert,289wird bei Kallimachos eine poetologische Metapher, die er quantitativ umgewertet hat, wie er auch die Flugrichtung der Kraniche prä­ zisiert hat.290 Die stilistische Ebene der ‘großen’ Dichtung verbildlichen hier also der weite Flug der Kraniche und der weite Wurf der Massageten.291 Der Nachsatz, daß „Nachtigallen (auch) so süßer“ seien (Vers 16) knüpft an diese quantitative Metaphorik an: Die ά[ηδονιδες] bilden ve/u'c/e-immanent wohl nicht einen primär akustischen Gegensatz zu der blutrünstigen’ γερανός:292 Vielmehr wird sich in diesem Bild zunächst die quantitative Antithese als Gegensatz von kleinem und 1949 in seiner Ausgabe jedoch korrigiert, und PUELMA Lucilius 223 Anm. 1. B o r n m a n n Callimachea 47 argumentiert mit der Rezeption: Nonnos’ Gleichnis (vgl. unten Anm. 290) be­ ruhe auf einer akustischen Analogie (was wohl unrichtig ist), Lukrez 4.180-81 [= 4.909f] verwende es ebenso (B o r n m a n n 45): Doch sehe ich in dessen Bild wegen der Verbindung mit dem cycni canor, der vermutlich unkallimacheisch ist, keine Notwendigkeit, überhaupt Kallimachosrezeption anzunehmen. Überhaupt scheint der Vers des Antipater von Sidon (Ep. 58.566 HE) ähnlicher. Σ Lond. 2 0 f P muß pace B o r n m a n n 47 mit κ ρ α υ γ ά ν ο (ν τ α ι) nicht die Kraniche meinen: Wahrscheinlicher ist dies eine metaphorische Beschreibung des μ έ γ α ψ ο φ ε ϊν mit dem Handlungssubjekt der Teichinen. Daß die Pygmäen bei Hekataios 1 F 328 FGH ( - Σ Γ 6, Eustathios ad Γ 6 [1,588.4ff v a n DER Fa l k ]) die Kraniche mit κ ρ ό τ α λ ο ι, also akustisch, abwehren, spielt hier keine Rolle, da ja auch auf das topische Kranichgeschrei kein Gewicht gelegt wird. Diplomatisch nimmt H er te r Kallimachos 196 ein Oszillieren zwischen Akustik und räumlicher Ausdehnung an. 289 Homer Γ 2 - 7 vergleicht die κλαγγή der vorrückenden Troer mit der κλαγγή ziehender Kra­ niche. Vgl. FRÄNKEL Gleichnisse 72. Oppians Gleichnis (vgl. folgende Anm.) beinhaltet gleichfalls deutliche akustische Momente (621 ήεροφώνων), wenn auch das Hauptgewicht auf der optischen Parallele liegt. 290 Über den Grund der Flugrichtungspräzisierung kann man nur spekulieren. E. BICKEL, Der Kallimachospapyrus „Die Locke der Berenike“ und Catull als Übersetzer, RhM 90 (1941) 8 1 146, 97-98 vermutet als Motiv das enge Verhältnis des Kallimachos zur Θράισσα Arsinoe Zephyntis. Es ist allerdings ein verbreiteter Irrtum, bei Homer von einem Nord-Süd-Flug aus­ zugehen: Die Kraniche fliegen nur επ ’ ’ΩκεανοΤο ροάων, „ans Ende der Welt“, eine Him­ melsrichtung ist also nicht impliziert: richtig KlRK ad Γ 5 (264). B a r ig a z z i Mimnermo 182 verwendet die Flugrichtung also irrtümlich als Rezeptionsindikator. Oppian Hai. 1.620-625 .f!" ί Τ / ο ο 60 ^ 1Phin,schwarm mit Kranichen vergleicht und eindeutig von Homer abhängt

{Hat 1.620 απ [...] Α ιγυπτοιο ροάων), zeigt dieselbe Flugrichtung wie Kallimachos (Südord, der Flug findet also etwa im März statt), während Nonnos Dion. 14.332-337 in einem Gleichnis für indische Kämpfer die Südwanderung thrakischer Kraniche im Oktober be­ schreibt, ohne wörtliche Parallelen zu Γ 2 ff zu zeigen. Offenbar hat Oppian unabhängig von Kallimachos die homerische Flugrichtung präzisiert, während Nonnos dasselbe in umgekehr­ ter Richtung getan hat. Je nach dem Standort des Betrachters ergibt sich die Notwendigkeit d S A ’tl0n ?6r 3 8 7 .3

südlich oder nördlich zu postulieren: Favorinos Exil.

1 B a r ig a z z i beschreibt den Kranichzug aus der Perspektive des nach Chios Verbann­

ten als einen Zug von Thrakien nach Ägypten, ohne daß man eine polemische Umkehrung der Kalhmachos-Verse oder Nonnosbezug vermuten müßte (pace PFEIFFER für uns also bedeu• ° h ' Vg ' WUST Pygmai01 2065 zur Konstruktion zweier Pygmäenpopulationen, einer im Norden, einer im Süden. 291 Die von PFEIFFER ad l. beigebrachten Parallelen deuten darauf, daß diese Fähigkeit der Mas­ sageten ein ethnologischer Topos war, weiteres Material dazu bei CATAUDELLA Proemio 43. 292 Überbetont von H e r t e r Kallimachos 196, der überdies einen karikierenden Effekt sieht.

4.4 Inhaltspersonifikationen: Pygmäen, Kraniche und Massageten

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großem Vogel, danach unter der Rücksicht auf die Distanz der Lebensbereiche von Stand- und Zugvogel niederschlagen.293 Auf dieser Verknüpfung erst basierend gewinnt der Gegensatz weitere Assoziationsbereiche durch die άηδών-Metonymie für Dichtung und die akustisch-poetologischen Implikationen von μελιχρός.294 So reagiert das demonstrative ώδε („auch so [seil, wie sie sind]“, d. h. trotz ihrer ge­ ringen Größe und ihrem engen Lebensradius) auf den konzessiven Vordersatz, μελιχρότεραι aber verdeutlicht diese Überlegenheit, indem es ihren qualitativen Grund beschreibt. Auf einer lexikalischen Ebene führt also μακρόν wahrscheinlich in Vers 13, sicher in Vers 15, mittels zweier neuer Bilder die Größenmetaphorik aus Vers zehn (μακρήν, ähnlich Vers zwölf) fort. Doch ist damit die Komplexität dieser Passage noch nicht zur Genüge erfaßt: In welcher Beziehung steht der Inhalt der diskutier­ ten vier Verse zum Ziel des apologetischen Angriffs? Es ließen sich die Möglich­ keiten einer personifizierenden Allegorie, in der Kallimachos seine fiktiven Gegner mit Kranichen und Massageten identifizierte, oder einer Inhaltspersonifikation denken:295 Im zweiten Fall erschienen hier die zu einem Bild kondensierten Hand­ lungen von für uns allerdings nicht recht zu fassenden Literaturformen als Bild, um eben diese Formen zu symbolisieren. 293 CATAUDELLA Proemio 43 stellt aus diesem quantitativen Gegensatz, in dem er die ‘Größe’ als eine positive Leistung erkennt, einen konzessiven Zusammenhang zwischen anderen Berei­ chen (Kraniche, Massageten) und der poetologischen Debatte in diesen Versen her („Ma nella poesia e un’altra cosa.“), was sich weder mit der Gedankenftihrung noch mit der Sympathie­ lenkung vereinen läßt und vollends schwierig wird, wenn man es mit stilistischen Größenmetaphem zu tun hat. 294 Hier Nachtigallen zu vermuten, war eine glänzende Idee HOUSMANs. Andere Ergänzungsvor­ schläge (G a l LAVOTTI und CATAUDELLA α[ί Κώιαι] bei ALLAN Mimnermus 149) verzichten auf den Gegensatz zur γερα νός. Zur άηδών-Metonymie vgl. P feiffers Material, dazu z. B. Hesiod Opp. 202-212, dessen Nachtigallenfabel mehr Sinn erhielte, wenn man zu seiner Zeit Sänger bereits als ‘Nachtigall’ bezeichnen konnte; Sappho F 136 VOIGT; Alkaios F 307c VOIGT; F adesp. 964b PMG; Theognis 939; Bakchylides Epin. 3.98; Nossis Ep. 10.2829 HE Μ ουσάω ν ολίγα τις άηδονίς (drückt genau unseren Gedanken aus, ohne daß man ein Ab­ hängigkeitsverhältnis anzunehmen brauchte); Poseidippos F 705.18 SH (von Anakreon: an­ ders BING Well-read Muse 57); Simias F 26.4 C A (von Anakreon); Hermesianax F 7.49 CA; eventuell Kallimachos Ep. 2.5 P/34.1207 HE (wo die άη δόνες wohl Werke meinen, vgl. dazu MACQUEEN Death & Immortality 52). Das polemische Pendant bilden oft Raben- und Krä­ henpersonifikationen (vgl. allgemein BERNARDINI Aquila tebana 123f): so z. B. bei Pindar Ol. 2.87 κ όρα κ ες ώς; Antipater von Sidon Ep. 58.566-67 HE (κολοιών/κρωγμός); ähnlich Theokrit Eid. 5.137 (Komatas polarisiert Nachtigall und Eichelhäher, Schwan und Wiede­ hopf). Mit geschmacksmetaphorischen μέλι- bzw. γλυκυ-Bildungen bezeichnet man die sinnliche Qualität von Dichtung gern: Vgl. zur rhetorischen Vorgeschichte des Topos z. B. Homer A 249; 0 172; Hesiod Theog. 84, 97; Pindar Nem. 3.77-79; Bakchylides Epin. 3.97 (über sich), Aristophanes Αν. 749—750; rein poetologisch z. B. Alkaios Ep. 12.73—74 HE; Antipater von Sidon Ep. 16.271-73; Hedylos Ep. 10.1877-78 HE; Kallimachos Ep. 27.2-3 P/56.1298-99 HE; Meleagros Ep. 1.3947, 3958 HE; Simias Ep. 5.3290 HE. 295 Ähnlich BORNMANN Callimachea 44: „[...] non si sa se i due esempi del volo delle gru e delle saette dei Massageti siano una semplice similitudine, oppure un’allegoria oppure un’allusione a qualcosa di determinato.“

202

4 Quantifizierende Antithesen

Die Sympathielenkung des ersten Distichons ist eindeutig: Die Aggressivität des Kranichs (14 αϊματ]ί Πυγμαίων ήδομενη [γ]έρα[νος) hebt Kallimachos (wie Nonnos Dion. 14.336f) stärker als Homer (Γ 6f) heraus, der den Aspekt der Mord­ lust ebensowenig wie Oppian betont. Der Rezipient empfindet spontanes Mitleid mit den notorisch unterlegenen Pygmäen.296Dieser Sympathiegewinn der Pygmäen allerdings sollte hier nicht dazu verfuhren, eine Personifikation entweder der ‘Kallimacheer’ oder der ‘kleinen’ Gedichte hinter den natürlich ‘kleinen’ Pygmäen zu vermuten: Denn die Geranomachie als ganzes wird doch abgelehnt, nicht etwa nur die Kraniche.297 Schließlich sind die Pygmäen komische Gestalten von gerin­ gem Ansehen, die man sich nicht als Leitpersonifikation vorstellen mag. Ähnliches gilt für das ansonsten dunkle Verhältnis von barbarischen Massageten298 und ihren (wohl ebenso barbarischen) Feinden. Die Annahme einer personifizierenden Alle­ gorie ist daher abzulehnen.299 Die zweite Möglichkeit, nämlich hier eine Inhaltspersonifikation und damit ei­ ne „allusione generica“300 auf das Epos als Gattung anzunehmen,30' führt vielleicht weiter. Diese Allusion könnte entweder über die Evokation eines speziellen Textes oder über gattungstypische Formelemente auf eine Gattung zielen.302 Für ein spe­ zielles Epos, nämlich die Persika des Choirilos, votiert Barigazzi, dessen These 2 9 6 Zu deren Schwäche v g l. WÜST Pygmaioi 2 0 6 5 - 6 6 und D a s e n Dwarfs 187, die daraufhin­

weist, daß auf Vasenbildem die Zahl der gefallenen Pygmäen die der toten Kraniche weit übersteigt. 297 Auch eventuelle akustische Implikationen des Bildes tragen nicht zur einseitigen Sympathie­ lenkung bei: Nicht nur die Kraniche verursachen indistinkten Lärm, sondern auch die Pygmä­ en (vgl. oben 200 Anm. 288). 298 Möglicherweise hat das Publikum des Kallimachos mit den Massageten die Vorstellung von rituellem Endokannibalismus verbunden: Vgl. zum Brauch Herodot Hist. 4.26 (über die Ίσσηδόνες) und A. H e r r m a n n , Art. ‘Massagetai’, RE 14.2, Stuttgart 1930, 2123-2130, hier 2127. Dies würde wohl eine Sympathielenkung in der vermuteten Richtung hervorrufen. 299 Vgl. PUELMA Vorbilder 159f, der allegorisch interpretiert und in Vers 16 Κ ω ον (= Philitas) konjiziert. Aber warum sollten Massageten auf Koer schießen, obwohl sie doch notorisch mit den Medern im Krieg liegen? Ähnlich allegorisch CAPOVILLA Callimaco 1.163 „[...] i piccoli Pygmei, simbolo delle κατά λ επ τ ό ν ρήσιες“. Eine Kombination beider bietet TORRACA Prologo 41 „i Massageti, come le sanguinarie gru, simboleggiano i nemici dei poeti λεπ τοί [...]. So noch FRASER Alexandria 2.1058 Anm. 287. Diese Ansätze weist schon B a r jg a zzi Mimnermo 174-75 mit guten Gründen zurück (mit Rekurs auf ältere Literatur). Die Annah­ me, als Grund der Ablehnung von Kranichen, Pygmäen, Massageten (und Medern?) sei deren barbarischer Status als Symbol der Unbildung anzunehmen (so PUELMA Vorbilder 160f), läßt sich schwer in die quantitative Ebene der beiden Bilder einfugen, die wohl die maßgebliche ist. Und zumindest Kranichen gegenüber wäre der Vorwurf der mangelnden Bildung wohl kaum besonders geistreich. 300 CATAUDELLA bei TORRACA Prologo 39. 301 Einen Bezug auf die Demeter des Philitas zu postulieren, in der Kraniche und Massageten vorkamen (so TORRACA Prologo 40 mit älterer Literatur, HERTER Kallimachos 196), verbietet sich aufgrund der emphatisch positiven Wertung dieses Gedichtes in F 1.10 P (vgl. oben 155 Anm. 101). Kallimachos kann das Gedicht also hier nicht ablehnen, da doch offenbar derselbe Gegensatz wie in den Versen 9—12 weitergefuhrt wird. 302 In einer Zusammenstellung von Technopaignia (F 996.8 SH) begegnen Pygmäe und Kranich wieder, doch unergiebig für unsere Fragestellung.

4.4 Inhaltspersonifikationen: Pygmäen, Kraniche und Massageten

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Bemabe immerhin dazu bewogen hat, unsere Verse unter die Testimonia dubia der Persika aufzunehmen (189).303 Doch wäre die zwingende und exklusive Allusion unserer Verse an die Persika die Voraussetzung dieser Interpretation. Gerade dies aber leistet die Theorie nicht: Ganz abgesehen von der Unschärfe der Testimonien (vgl. Anm. 303) läßt sich die Existenz einer literarisch fixierten Geranomachia bereits spätestens für die erste Hälfte des sechsten Jahrhunderts wahrscheinlich machen: Auf der sogenannten ‘Fran^is-Vase’ des Kleitias (ABV 76.1: ca. 570 AC) und einem Aryballos des Nearchos (ABV 83.4: ca. 570-55 AC) finden sich die bekanntesten Darstellungen von Geranomachien. Diese sind vielleicht die ge­ lungensten Beispiele, aber bei weitem nicht die einzigen. Sie gehören vielmehr in einen Kontext von insgesamt 51 z. T. fragmentarisch erhaltenen Darstellungen gegen Kraniche kämpfender Pygmäen.304 Bemerkenswert ist einerseits die weite geographische Streuung nicht nur der Fundorte, sondern vor allem der Werkstätten (obwohl die meisten Zeugnisse aus Athen stammen),305 andererseits die ungebro-

303 BARIGAZZI Mimnermo 170, 176-182, dem CAP0V1LLA Callimaco 1.134 und HUXLEY Choirilos 13-15 folgen. Doch BARlGAZZls These ruht auf unsicheren Hypothesen: 1) der Annahme einer Polemik gegen Antimachos in F 1.11-12 P (vgl. dazu oben 154f) und der literaturge­ schichtlichen Affinität von Choirilos zu Antimachos (170-72): Die erste Annahme ist unsi­ cher, sogar unwahrscheinlich, die zweite nichtssagend. 2) Vermutungen über den Inhalt der Persika , die natürlich die Massageten berührt haben können (aber nicht müssen: 177-82). 3) dem Namen der Stadt Gerania, den Choirilos vielleicht erwähnt hat (179: Plinius NH 4.11.44 in Verbindung mit Σ Bern, ad Vergil Georg. 1.482) - freilich muß man dazu wie BERNABE und BARIGAZZI den Text des Scholions von „Germania“ in „ Gerania“ ändern. Doch die bloße Verwendung dieses Stadtnamens, der sicher aus der zugrundeliegenden Vorstellung einer Geranomachie abgeleitet ist, impliziert noch nicht die Erzählung des eponymen Kampfes in einer solchen Ausführlichkeit, wie sie eine generische Allusion unseren Ausmaßes erforderte. BARlGAZZls These erscheint also nicht zwingend. A. BERNABE, Querilo y la Geranomaquia. Sobre el ff. 13 COLACE (= 14 KINKEL = Suppl. Hell. 332), Emerita 52 (1984) 319-323 hat neuerdings versucht, seine editorische Entscheidung im Anschluß an BARIGAZZI zu rechtferti­ gen, bringt aber keine neuen Argumente. Abenteuerlich mutet das Verfahren STALs an (Γ ερ ανομ αχία 270), F 1.14 P aufgrund der Übereinstimmung mit Iulianus Ep. 11.369.2 AP als wörtliches Fragment einer epischen Geranomachie zu behandeln: Ihm scheint entgangen zu sein, daß es sich hier um einen Pentameter handelt. 304 Diese Zählung beruht auf dem Dokumentationsstand von 1993, den DASEN Dwarfs 294-304, Plates 5 8 -7 0 gibt (FREYER Geranomachie verzeichnet nur zwanzig Beispiele): In DASENs Katalog zeigen die Zeugnisse G 40 -4 3 , G 45—48, G 53, G 57-58 (archaisch), G 60-73, G 75, G 78-83 (klassisch), G 84-93, G 94-100, G 102-103 mit Sicherheit eine Geranomachie, d. h. Pygmäen, Kraniche und e ine Kampfhandlung o. ä. Neben Gefäßen finden sich ein ostgriechi­ sches Goldband aus Rhodos und ein korinthisches Altarfragment (FREYER Geranomachie 77, DASEN Dwarfs G 58, G 53). 305 Das Thema war schon vor dem sechsten Jahrhundert international verbreitet: FREYER Gerano­ machie führt Beispiele aus Boiotien, Rhodos, Samos, Attika, Korinth, Lakonien und einen et­ ruskischen Kelch (7 9 -8 1 ) an, sie nimmt allerdings auch reine Pygmäendarstellungen auf. Da­ zu WÜST Pygmaioi 2068 „allermeist aus Randgebieten der griechischen Kultur“. Die präzise­ ren Angaben von DASEN Dwarfs 294-304 geben insgesamt 38 attische, ein korinthisches, zwei ‘ostgriechische’, neun boiotische und ein süditalisches Zeugnis. STAL Γ ερανομαχία 96ff nennt einige rotfigurige Beispiele eines „Kerch Style“, von denen ich nicht feststellen konnte,

ob sie auch von DASEN angeführt werden.

204

4 Quantifizierende Antithesen

chene ikonographische Tradition bis ins vierte Jahrhundert.306 Bildbezeugungen dieses Motivs finden sich später in römischen Wandmalereien wieder.307 Das The­ ma erfreute sich also in der griechischen οικουμένη wahrscheinlich mindestens vom sechsten Jahrhundert bis in die Zeit des Kallimachos und darüber hinaus einer großen Beliebtheit. Diese Beliebtheit läßt sich sicher nicht ausschließlich auf das homerische Gleichnis zurückfuhren: Der Bildkontext lediglich einer einzigen Kleinmeisterschale (‘Antidoros’ ABV 159.1 A: Geranomachia; B: Eberjagd) legt einen thematischen Bezug auf die Bilderwelt des homerischen Gleichnis nahe.308 Vielmehr ist ja das homerische Gleichnis selbst durch einen Allusionscharakter gekennzeichnet, weil es thematisch aus den homerischen Gleichnissen mit seinem Bezug auf einen mythisch-historischen Vorgang durchaus hervorsticht.309 Die älte­ ren Bildzeugnisse und das Gleichnis der Ilias weisen also auf die Existenz einer äußerst populären, vermutlich in epischer Form konkretisierten Geranomachia lange vor Choirilos. Über deren Elandlung, Herkunft und Tonlage kann man nur 306 Bei D a s e n Dwarfs 294-305 finden sich elf archaische Beispiele, 21 klassische und 19 aus dem vierten Jahrhundert (vgl. oben Anm. 304). 307 WÜST Pygmaioi 2072. Die Funde sind aufgelistet und beschrieben bei V. D a s e n , Artikel Pygmaioi , LIMC 7.1 (1994) 594—601; hier 596 (vier Wandmalereien [Tarquinia 5. Jh. AC, Kertsch 2.-1. Jh., zweimal Pompeji 1. Jh. AD], zwei Mosaiken [Rom ca. 100-125 AD, Byblos 2. Jh.]). Vielleicht kann man auch damit rechnen, daß das Thema im Gryllos begegnete: Zu dieser Gattung vgl. LlVREA Polittico callimacheo 22. 3 0 8 Herr Professor Luca GIULIANI weist mich darauf hin, daß dieses Argument sich nicht pressen lasse: Unter Umständen also ergibt sich gar kein augenfälliger Bezug auf die homerischen Epen. 309 Dazu FRÄNKEL Gleichnisse 73. Der erzählerische Zusammenhang dieses Mythos wird aus dem Gleichnis selbst vollends nicht deutlich. Zum Sondercharakter dieses Gleichnisses vgl. besonders R. HENNIG, Der kulturhistorische Hintergrund der Geschichte vom Kampf zwi­ schen Pygmäen und Kranichen, RhM 81 (1932) 20-24; hier 23: „Völlig aus der Luft gegriffen konnte die Erzählung [...] nicht wohl werden. Ein solches homerisches Gleichnis würde ganz vereinzelt dastehen.“, der aber seltsamerweise diese Auffälligkeiten feststellt und trotzdem behauptet: „Die Geschichte geht bekanntlich zurück auf Homers Darstellung [...].“ (20). Seine These der Wissensvermittlung von realen Pygmäenkämpfen mit Kranichen in den Nilsümpfen (23) an „die homerischen Dichter“ mutet in mehr als einer Hinsicht phantastisch an: Schließ­ lich mußte auch der Rezipient ‘Homers’ diese Geschichte kennen. DASEN Dwarfs 177-180 zur möglichen Entstehung der Geschichte und 182 mit interessanten Hypothesen zu ihrer ge­ sellschaftlichen Funktion. Für unsere Fragestellung ist die ausgreifende Abhandlung L. MUELLNERs, The Simile o f the Cranes and Pygmies. A Study o f Homeric Metaphor HarvSt 93 (1990) 59-101 leider irrelevant. 3 1 0 FREYER Geranomachie 76, die behauptet, Homer „führe“ in Γ 2 - 7 die Geranomachie

an“ und d a s e n Dwarfs passim, die ungenau von „stories“, „legend“ oder „tale" spricht enthalten sich jeder Hypothese über die literarische Konkretion dieser Geranomachie. WÜST Pygmaioi 2 0 6 4 bemerkt richtig, Homer dürfe „offenbar nicht nur die Kunde von einem P[ygmäen]-Volk bei seinen Hörem als bekannt voraussetzen, sondern auch die Erzählung vom Kampf der P[ygmaen] gegen die Kraniche.“ Eine solche Erzählung wird aber episch gefaßt gewesen sein. F r a n k e l Gleichnisse 73 geht sogar vollkommen selbstverständlich von einem „Epos Geran­ omachia“ aus, ebenso VOGLIANO Nuovo Proemio 2 0 6 . S t a l Γ ε ρ α ν ο μ α χ ία 2 9 3 - 9 5 rekonstru­ iert kühn eine entsprechende Erzählung bereits für die Mitte des zweiten Jahrtausends als Mythos eines Stammes aus dem nördlichen Schwarzmeergebiet, der von den angrenzenden Völkern übernommen und schließlich schon in vorhomerischer Zeit den Griechen tradiert

4.4 Inhaltspersonifikationen: Pygmäen, Kraniche und Massageten

205

spekulieren.3" Natürlich kann sich ab einem bestimmten Zeitpunkt eine ikonographische Tradition unabhängig von literarischen Behandlungen desselben Themas allein auf der Basis älterer Darstellungen entwickeln, doch wenigstens für die erste Popularitätsphase des Bildthemas wird man die Bekanntheit einer entsprechenden nichtbildlichen Behandlung voraussetzen müssen.312 Demnach ist der vor allem aus der ägyptischen Literatur bekannte Stoff offenbar schon in archaischer Zeit unter Griechen bekannt geworden,313 und reiht sich angesichts der auffälligen ägypti­ schen Parallelen vielleicht in andere derartige Kulturbeziehungen der ‘orientalisierenden’ Epoche.314 Ob auch noch dem Rezipienten des Kallimachos ein solcher Text bekannt gewesen sein könnte, muß unsicher bleiben: Wenn Aristoteles den Kampf zwischen Pygmäen und Kranichen als nicht (nur) einen μϋΟος bezeichnet und Favorinos diesen Mythos sogar zusätzlich noch als ποιητικός kennzeichnet, so scheinen sie immerhin auf eine literarische Fixierung dieses Mythos Bezug zu nehmen.315 Daß sie damit das Gleichnis Homers meinen, legt die Unvollständigkeit worden sei. Das einzige bekannte derartige Gedicht bleibt allerdings die lateinisch abgefaßte

Πνγμαιογερανομαχία ADDISON s {Πυγμαίο-Γερανομαχία sive Prcelium inter Pygmaeos et Grues commission, in: R. HURD [ed.], The Works o f the right Honourable Joseph Addison, 6 voll., London 1877-82; 1.239-243). 311 Die späten Aitiologien für den Kampf zwischen Kranichen und Pygmäen bei Antoninus Liberalis Metam. 16, Aelian NH 15.29, Athenaios Deipn. 9.393 E-F und Eustathios ad Ψ 660 (4.808.13-809.5 VAN DER F a lk ) bieten einen epischen Handlungsrahmen. Eine Synopse der Handlungsmöglichkeiten einer Pygmaiogeranomachia bietet A. BALLABRIGA, Le Malheur des Nains. Quelques Aspects du Combat des Grues contre les Pygmees dans la Litterature Grecque, REA 83 (1981) 57 -7 4 , hier 64f. DASEN Dwarfs 187 erblickt in den Bildzeugnissen eine parodistische Tendenz: Möglich wäre das ganze Handlungsspektrum der Eposparodie. 312 Aufgrund einer vergleichbaren Überlieferungssituation hat F. VlAN deshalb berechtigt auf Existenz und Plot eines archaischen Epos ‘Γ ιγαντομαχία’ geschlossen (La Guerre des „eants. Le Mythe avant l’Epoque hellenistique, Etudes et Commentaires 11, Paris 1952, 184-222). 313 Vgl. M. L. WEST, Near Eastern Material in Hellenistic and Roman Literature, HarvSt 73 (1969) 1 13-134, der zum Genos der Eposparodie 123-125 ägyptische Tierkriege und ihren Einfluß auf griechische Eposparodien diskutiert und die These aufstellt: „There is no hint of the existence o f any such poems before the Hellenstic age.“ Was die „Battle o f Cranes“ be­ trifft, so präzisiert er: „The Battle o f Cranes perhaps never existed; it may derive from a mis­ understanding o f some author who, like Strabo [...], used the expression γερανομαχία in re­ ferring to II. 3.3ff.“ (125 Anm. 36). Doch wie oben gezeigt sprechen die sonderbare Form des homerischen Gleichnisses und die Bilddarstellungen dafür, daß der Stoff schon sehr früh be­ kannt war. In die Nähe eposparodistischer παίγνια rückt den Stoff auch DASEN Dwarfs 181. 314 Vgl. dazu W. BURKERT, Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Litera­ tur, SBHeid 1984.1, vor allem 110-114 über Tiergeschichten und Fabeln, deren Ausprägun­ gen bei Hesiod, Archilochos und Ibykos große Ähnlichkeit zu vorderasiatischen Texten auf­ weisen. Zu den Vermittlungswegen dort 113: „Man wird hier an mündliche Erzähltradition denken.“ Die Formen dieser Tradition läßt BURKERT leider undiskutiert. A. SCOBIE, The Battle o f the Pygmies and the Cranes in Chinese, Arab, and North American Indian Sources, Folklore 86 (1975) 122-132 und ders., A Further Note on Pygmies and Cranes in North America, Folklore 88 (1977) 8 6 f ist gegen R. DANGEL (86) der Ansicht, die gesamte Motiv­ gruppe des eurasischen Raumes gehe auf eine Quelle zurück (die SCOBIE als griechisch be­ stimmt: 122!), die nordamerikanischen Belege aber seien unabhängig von dieser. 315 Aristoteles HA IX 12.597 a4ff: μεταβάλλουσι γάρ εκ των Σκυθικών πεδίων εις τά έλη τά ανω τής Α ίγυπτου, δΟεν ό Ν ε ίλ ο ς ρεί, ού καί λέγονται τοΐς Πυγμαίοις έπ ιχ ε ιρ εΐν ού

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4 Quantifizierende Antithesen

in dessen Darstellung des Mythos nicht eben nahe.316 Die Scholiasten zu Γ 2-7 kannten später diesen hypothetischen Text sicher nicht mehr, bei dem belesenen Autor der Πίνακες und dem entsprechend informierten Teil des Publikums kann man sich dessen allerdings nicht so sicher sein. Der weniger gebildete Rezipient dagegen kann die Verse nicht als Anspielung auf das homerische Gleichnis und damit die Ilias verstehen, weil Homer kein Ziel kallimacheischer Polemik sein kann (vgl. oben 122f), sondern muß sie via gattungstypisches Gleichnis als generi­ sche Anspielung auf das Epos überhaupt auffassen, in dem die Pygmäen ausge­ hend von Γ 2-7 zwar selten, aber dann sehr elaboriert und immer als Gleichnis begegnen (vgl. oben 200 Anm. 290 zu Oppian und Nonnos).317 Dieser Hieb richtete sich also gegen stereotype Gleichnisse, mithin gegen formal erstarrte genustypi­ sche Strukturen des Epos.318Daß Kallimachos hier gegen eine hellenistische Eposparodie, wie West sie für derartige Stoffe annehmen möchte (vgl. Anm. 313), po­ lemisiere, kann kaum angenommen werden, da er sich ja gegen unzeitgemäße Er­ scheinungen epischen Stils richtet: Derartige Polemik träfe aber parodische Stilei­ genheiten natürlich nicht. Ob nun wirklich ein gelehrter Bezug auf jenes ver­ schwundene Epos Γερανομαχία vorliegt oder eine „allusione generica“ mittels des Gleichnisinhalts: Die Verse über die Pygmäen und die Kraniche sind ihrer meta­ phorischen Struktur nach am ehesten als Inhaltspersonifikation zu bestimmen. Die Metaphorizität dieser Struktur beruht damit nicht auf dem Zusammenspiel von tenor und vehicle, die durch ein tertium comparationis miteinander korrespondie­ ren, sondern auf der Personifikation einer zitatähnlichen, gattungs- oder werkstypi­ schen Begriffsgruppe, die als narratives Ganzes zum vehicle eines tenor werden, den der Kontext bildet, aus dem sie stammen. Eine ähnliche Struktur läßt sich mit weitaus größeren Unsicherheiten auch für die Massageten und ihren (medischen?) Erzfeind vermuten.320 Während alle anderen poetologischen Metaphern des Kalli­ machos, die wir bisher diskutiert haben, entweder werkinteme Parallelen fanden γάρ έστι τούτο ^μΰθος. Favorinos (vgl. oben 200 Anm. 290) τό δέ των Πυγμαίων ποιητι­ κός αρα μύθος ήν (6f). 316 Κ. PRAECHTER, Zur antiken Literatur über Kraniche und Pygmäen, RhM 82 (1933) 162-64 glaubt, daß Aristoteles sich direkt auf die Homerverse aus dem Γ beziehe. 317 Sehr deutlich prägt sich das in der lateinischen Tradition aus: Vgl. Vergil Aen. 10.264-66, Valerius Flaccus Argon. 3.359-361, Lucan Bell. civ. 5.711-16, Statius Theb. 5.11-14,’ 12.515-18, Claudian Gild. 474—478. Für das nachhomerische griechische Epos darf man wohl ähnliches vermuten. 318 Ob er auch gegen Choirilos qua homerischen Epiker ginge, ist nicht zu entscheiden. 319 Wenn SNELLs Analyse des homerischen Gleichnisses als der Amplifikation einer Verbalmeta­ pher zuträfe (Entdeckung 183-84, 196), hätten wir in der kallimacheischen Technik den um­ gekehrten Fall: eine Reduktion von umfangreicheren Handlungen auf eine gleichnisähnliche Struktur. 320 Deren Metaphorik muß trotz der μακρ]όν (13)-μακρόν (15)-Parallele anders strukturiert ge­ wesen sein: Weder für eine 'Μασσαγητομηδομαχία' noch für ein topisches Gleichnis bietet sich hier das geringste Indiz. Wenn man BARlGAZZIs Hypothesen (Mimnermo 177; oben 202f mit Anm. 303) zu den Persika bzw. Medika des Choirilos akzeptiert, die insgesamt überzeu­ gender sind als seine Mutmaßungen über die Geranomachia, so hätte Kallimachos zwei anti­ thetische Inhaltspersonifikationen geprägt: eine aus einem wahrscheinlich alten, äußerst ob­ skuren Epos, eine aus einem modernen.

4.4 Inhaltspersonifikationen: Pygmäen, Kraniche und Massageten

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oder doch in einer gewissen Tradition standen, ist diese Art der Inhaltspersonifika­ tion ebenso ökonomisch, wie sie einzigartig ist.321 Beziehungen zwischen homeri­ scher Gleichniswelt und poetologischer hellenistischer Metaphorik begegnen aber eventuell bei Theokrit.322 Der entfernt verwandte Kunstgriff des Ps.-Longinus, der Homer sich durch sein eigenes, wörtlich zitiertes, Gleichnis charakterisieren läßt (9.11 mit Zitat von O 605—7), wirkt neben dem kallimacheischen geradezu matt.

321 Eine literargenealogische Vorstufe unserer Struktur bietet Aristophanes, der Kratinos mit einem kratinosextemen, einem homerischen Gleichnis charakterisiert (oben 1130- Wenn das Flußbild des kallimacheischen Apollonhymnus wirklich auf Homer Φ 195-97 anspielt, erken­ nen wir dort eine Vorstufe unserer Technik, der allerdings noch der Personifikationscharakter und daher die lebendige Handlung fehlen. 322 Theokrit verwendet in Eid. 17.9-10 eine poetologische Holzfällermetapher, um die Stoffulle seines Sujets ‘Ptolemaios’ zu beschreiben. Unter Umständen ist dabei in dem iliadischen Holzfällergleichnis Ψ 114ff ein Prätext zu erblicken, vielleicht aber ist bei Theokrit auch nur der poetologische ϋ λ η -Begriff (für uns zuerst zu fassen bei Polybios 2.16.14 πασα ή τραγική καί τούτη προσεοικυϊα ϋλη und ähnlich Ps.-Longinos 13.4 , 43.1) in eine elaborierte Meta­ pher umgesetzt worden.

5 Aitienprolog und poetologische Theorien

In den vorangegangenen Kapiteln sind Bildung und Funktion poetologischer Me­ taphorik bei Kallimachos beleuchtet worden. Natürlich bildete der Aitienprolog dabei den Schwerpunkt der Untersuchung. Es hat sich gezeigt, daß die dort zu be­ obachtende Verlagerung von unmetaphorischer auf metaphorische Auseinander­ setzung höchst effizient der Absicht dient, den Rezipienten für das ‘Ich’ des pri­ mary narrator einzunehmen. Das seltene Nebeneinander von unmetaphorischer und metaphorischer Rede im Aitienprolog aber bietet darüberhinaus die Chance, nach den Beziehungen zu fragen, die die nach der Regie des Verfassers proprie vorgebrachten Vorwürfe der Teichinen zur zeitgenössischen Landschaft poetologi­ scher Theoriebildung aufweisen. Stellt Kallimachos die Teichinen als Anhänger einer bestimmten theoretischen Richtung dar? Könnte man auf diesem indirekten, sozusagen negativen Wege wenigstens näherungsweise bestimmen,1 welche Posi­ tion Kallimachos vor dem Rezipienten sich selbst den etablierten philosophischen Poetologien gegenüber zuwies? Die Aitia beginnen mit einem dreiteiligen,2 unmetaphorischen Vorwurf seitens der Teichinen (F 1.3-5 P), der in direkter Rede lauten müßte: „Du hast nicht εν αεισμα διηνεκές verfaßt, das von Königen oder Heroen in vielen Tausenden (von Versen) handelt!“ Die danach vorgebrachte metaphorische Anschuldigung (F 1.56 P) „Vielmehr rollst du den Vers eine kleine Strecke παΐς ατε, obwohl du bereits alt bist!“ hat in Verkennung der eigentlichen Polemik über die Assoziation des Kindlichen dazu geführt, Kallimachos eine ‘Theorie des Spiels’ zu unterstellen.3 Diese Theorie hat man meist einerseits in Anlehnung an Passagen aus dem siebten platonischen Brief (341 C Iff) und dem Phaidros (276 D 2ff), andererseits an rö-

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Einfach die Negation des Telchinenvorwurfs als Intention des Kallimachos zu nehmen, wie es W eber Dichtung & höfische Gesellschaft 186 Anm. 5 tut, scheint nicht gerechtfertigt. Unsere Interpretation von διηνεκές (vgl. unten 217ff) wird nahelegen, daß διηνεκές und έν π ο λλα ΐς χιλιάσιν nicht dasselbe meinen. Die Anwendung dieser Theorie auf Kallimachos beruht letztlich wohl auf einer Feststellung SNELLs (Entdeckung 249: „Kallimachos nennt sein Dichten ‘kindliches Spielen’ (παίζειν) und seine Gedichte ‘Spiel’ (παίγνιον) [...].“), die bestenfalls als Mißverständnis von F 202.33 bzw. 63 P zu erklären ist. Kallimachos verwendet weder παίζειν noch παίγνιον für Dichtung, vgl. statt dessen Hedylos Ep. 10.1883 HE παίγνια Μ ουσέων. MUTH Poeta ludens 66f Anmm. 4, 77, 80 hat den Gedanken aufgegriffen und mit den kulturphilosophischen Konzepten Platons, HUIZINGAS und FlNKs angereichert (ähnlich ders., Randbemerkungen zur griechischen Litera­ turgeschichte: Zur Bedeutung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit der Wortkunst, WSt 79 [1966] 2 4 6 -6 0 , 259 Anm. 33).

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5 Aitienprolog und poetologische Theorien

misch-neoterische Belege skizziert.4 Doch hat unser Vers nichts mit kindlichem Spiel zu tun, wie oben (149f) bereits gezeigt wurde, sondern mit der schriftlich recherchierenden Produktionsweise des Dichters. Hier bliebe überdies vollkom­ men unklar, wie sich diese ‘Spieltheorie’ in das Zusammenspiel von Angriff und Apologie einordnet.5 Überhaupt geben die kallimacheischen poetologischen Meta­ phern nichts für eine ‘Theorie des Spiels’ her, die seiner Zeitgenossen ebensowe­ nig.6 Daß modernen Lesern manches an der frühhellenistischen Dichtung als spielerisch erscheint, besagt nichts für eine theoretische Konzeption dieser Dichtung aus der Sicht ihrer Produzenten oder ihres zeitgenössischen Publikums.7 Das platonische Konzept der παιδιά für literarische Produktion hat offenbar weder bei Kallimachos noch bei seinen Zeitgenossen fortgewirkt, weder in zustimmender Identifikation noch in Ablehnung.8 Die gesamte alexandrinische Literaturdebatte wenn es derartiges überhaupt gegeben hat - wird sich wohl kaum über die Ausein­ andersetzung um die Lyde des Antimachos aus der Polemik gegen eine platonische Vorliebe entwickelt haben.9 Auch für weitere vereinzelte platonische Aussagen zur

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MUTH Poeta ludens zur römischen Konzeption passim , zu Platon 78-79 (Literatur 6 6 f Anm. 4; ebenso ders., Randbemerkungen [wie vorige Anm.] 249-52). Die Verfechter einer poetologischen ‘Spieltheorie’ für Kallimachos gehen implizit offenbar davon aus, daß in F 1.5f P έπος δ’ bereits die Erwiderung des Kallimachos einsetzt, der seine Spieltheorie’ dann apologetisch instrumentalisieren müßte. Doch wie oben gezeigt (149 Anm. 70), erstreckt sich der Vorwurfsteil bis zum Ende von Vers 6. Bei der Einbeziehung des παις-άτε-Gedankens in die Polemik der Teichinen allerdings wird die Annahme einer ‘Spieltheorie’ sinnlos, weil eine Spieltheorie nicht in polemischen Gegensatz zum Alter des Theoretikers zu bringen ist und somit als Vorwurf gar nicht taugt. Weder das ‘Mitlachen’ des kallimacheischen Autoepitaphs Ep. 35.2 P/30.1186 HE (oivcp καίρια συγγελάσαι) noch Hedylos’ produktive Weinseligkeit (Ep. 5.1853-56 HE) lassen auf ‘Spiel’ schließen, wie z. B. PUELMA Lucilius 163, 320f, D e VlCO Contemporanei 252 und F a n t u z z i Sistema letterario 64 behaupten. Der kallimacheische Epitaph auf Krethis (Ep. 16.1 P/37.1215 HE. έπισταμένην καλά παίζειν) hat pace GlGANTE ( s . u .) keine poetologischen Implikationen: Kallimachos schildert eine unaufhörlich heiter plaudernde συνέριθος. Soweit ich sehe, ist Hedylos Ep. 10.1883 HE παίγνια Μ ουσέω ν der einzige Beleg dieses Gedankens, doch fehlt dort jede theoretische Konzeption. Die Beispiele, die M. GlGANTE, Marginalia hellenistica, Studlt 84 3.a s. 9 (1991) 54-56 anführt, stammen wie die Belegstellen für das römi­ sche Poeta-ludens-Konzept aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert. Selbst wenn man aber für die genannten Epigramme des Hedylos und Kallimachos poetologische Denotationen feststellen könnte, wäre es immer noch unzulässig, von auf Symposiumskontexte bezogenen Aussagen auf allgemeine poetologische Theorien zu schließen. Schließlich muß jede Art von παιδιά mit dem σοφία-Konzept (oben 99 mit Anm. 330) schwer zu verbinden, mit dem π ο νο ς-Gedanken (oben 98 Anm. 326) sogar unvereinbar sein. Für das kallimacheische συγγελασαι hat KÖHNKEN Schlußpointe 440 gegen R. RJEITZENSTEIN richtig festgestellt, daß von Dichten nicht die Rede ist.

Vgl. z. B. SCHWiNGE Künstlichkeit 44. WEBER Dichtung & höfische Gesellschaft 187-99 problematisiert im Gefolge von H.-J. GEHRKE, Geschichte des Hellenismus, Oldenbourg Grundriß der Geschichte 1A, München 1990, 90 (der ptolemäische H of als „Spiel-Raum“) diesen Charakter des Spielerischen aus historisch-soziologischer Perspektive. Zu demselben Ergebnis kommt WEBER Dichtung & höfische Gesellschaft 193 Diese These bei G a l l a v o t t i Prologo 2 3 2 : „La polemica alessandrina sarebbe una filiazione della polemica antiplatonica.“

5.1 Zeitgenössische Poetologien und Telchinenvorwurf

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Literarästhetik10 ist für den frühen Hellenismus keinerlei Rezeption nachzuweisen, die nicht wahrscheinlicher über den Peripatos erfolgt sein könnte.

5.1 Zeitgenössische Poetologien und Telchinenvorwurf Eine differenzierte Poetologie nachhaltiger Wirkung hat in frühhellenistischer Zeit der Peripatos geboten,11 wenn auch unklar bleibt, ob und in welcher Form die uns aus der aristotelischen Poetik vertrauten Grundsätze Kallimachos zugänglich ge­ wesen sein könnten12 oder wie sich die Lehren späterer Peripatetiker von den ari­ stotelischen unterschieden.13 Definitiv ist Aristoteles-Rezeption für Kallimachos nur in dem Fall geographischer Mirabilien nachzuweisen,'4 womit er sich der all10

Z. B. Phaidr. 264 C 2 -5 (ζ ω ο ν -V er g le ic h , ähnlich 258 D 7ff), Gorg. 503 E 1-504 A 1 (zur Ü bertragbarkeit a u f Literatur v g l. HEATH U n ity 25f), Rep. 3.394 C lf, w o z u v g l. DAHLMANN D e P oem atis 152.

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Vgl. z. B. WlLAMOWlTZ Hellenistische Dichtung 1.95, PUELMA Lucilius 330, RICHARDSON Exegetical Scholia 2 65-270. Zur Nachwirkung peripatetischer Poetologie im islamischen Kulturbereich vgl. G e l d e r Beyond the Line 15, 166-93. Im b e r t Logic & Poetics bringt lei­ der für unsere Fragestellung nichts. Die alte Stoa besaß anscheinend kein Interesse an Poetik, auf Seiten der Epikureer vor Philodem nur Demetrios Lakon (vgl. M. E r l e r , Die Schule Epi­ kurs §18: Demetrios Lakon, in: H. FLASHAR [Hrsg.], Grundriss der Geschichte der Philoso­ phie. Die Philosophie der Antike 4: Die hellenistische Philosophie, Basel 1994, hier 260f). Mindestens die Aristophanes von Byzanz vorliegenden biologischen Schriften und die von Kallimachos in F 407.58 §16 P ohne Titel zitierte Aristoteles-Schrift verbieten es, die von Strabon und Plutarch so plastisch geschilderten Überlieferungswege uneingeschränkt zu ak­ zeptieren. Doch im Gegensatz zur Historia animalium bzw. den anderen biologischen Schrif­ ten gibt es keinen Hinweis darauf, daß die Poetik im Alexandria des dritten Jahrhunderts be­ kannt war: Vgl. ATKINS Criticism 1.168, irrig COPPOLA Cirene 47. Zur letztlich ungeklärten Überlieferungsgeschichte der aristotelischen Pragmatien, deren Problematik hier nicht aufge­ rollt werden kann, vgl. P. MORAUX, Der Aristotelismus bei den Griechen. Von Andronikos bis Alexander von Aphrodisias, Bd. 1: Die Renaissance des Aristotelismus im 1. Jh. v. Chr., Peripatoi 5, Berlin 1973, 12f und 15 Anm. 36 mit Literatur, nach dem die alexandrinische Biblio­ thek von Neleus einen Teil des Aristoteles-Nachlasses gekauft habe. Daß poetologisch-rhetorisch geforscht und publiziert wurde, ist offensichtlich, wenn auch technitographische und zetematische Literatur den Schwerpunkt gebildet zu haben scheint: Vgl. insgesamt z. B. (alle zitiert nach WEHRLI) Aristoxenos F 113-116, Chamaileon F 31-32, Demetrios F 33, 156-81, 190-93, 204-7; Dikaiarchos F 90-93, Eudemos F 25-29, Herakleides F 166-178, Hieronymos F 2 9 -3 3 , Kritolaos F 8-11, 25-39, evtl. Phainias F 32-33, Praxiphanes F 8-23 und Theophrast bei Diogenes Laertios 5.47. Eine technographische Schrift Περί Ποιητικής ist dabei allein für Herakleides bezeugt: HURST Contrepoints 151 also allzu optimistisch. F 407.58 §16 P = Aristoteles F 531 R o s e /5 3 8 .1 GlGON, F 410 P (dazu WHITE Cleombrotos 148). In zwei weiteren (F 31b -g P vgl. Aristoteles F 546 Rose/552 Gigon; F 43.70f P vgl. Aristoteles Pol. V 4.1303 a35) könnte Kallimachos eventuell von Aristoteles’ Politeiai abhängen: FRASER Alexandria 1.724, 766, 771; 2.1011 Anm. 47, 1071 Anm. 348 und 1080f Anm. 387. Die Sachlage ist aber alles andere als zwingend. Die Behandlung von Jamben als prosa­ nah durch Kallimachos (vgl. oben 61 Anm. 164) kann wohl kaum als dezidierter Zugriff auf die aristotelische Poetik interpretiert werden.

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5 Aitienprolog und poetologische Theorien

gemeinen Zeittendenz des „Wonder-Book“ anschließt (oder diese etwa begrün­ det?).15 Daneben liegt die Verarbeitung peripatetischer Ornithologie im Buch Περί Όρνέων nahe,16was sich gut zur Textgeschichte der Historia animalium fugt (vgl. Anm. 12). Für literarkritische Fragen läßt sich daraus nichts ableiten. Bis Cicero scheinen mindestens in den thematischen Bereichen, in denen exoterische Schrif­ ten existierten (was eben für die geographischen und biologischen Schriften nicht zutraf), deren esoterische Gegenstücke nicht bekannt gewesen zu sein. Der aristo­ telische Dialog Περί Ποιητών dürfte Kallimachos sicher zugänglich gewesen sein,17 doch ist aus den wenigen Fragmenten für unsere Fragestellung nichts zu gewinnen.18 Die weitere peripatetische Tradition scheint sich eher an Περί Ποιη­ τών als an Περ'ι Ποιητικής orientiert zu haben: Es herrschen technitographische19 und damit biographisch-exoterische Fragestellungen vor, während die im Aitien­ prolog relevanten Probleme von Gattungsnormen eher in den technographischen Bereich gehören. Wie verhält sich nun der oben skizzierte dreiteilige Vorwurf der Teichinen zur peripatetischen, d. h. für uns notgedrungen eben doch aristoteli­ schen, Literaturkritik?20 Immerhin zählt das Σ Flor. 7-8 P den Peripatetiker Praxiphanes unter die Teichinen, unter dessen Fragmenten sich aber keines direkt auf unseren Zusammenhang bezieht.21

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FRASER Alexandria 1.774 (vgl. auch ebd. 2.1017 Anm. 75, 1018 Anm. 87, 1036 Anm. 173). F 4 1 5 , 4 2 1 , 4 2 7 P; vgl. WHITE Cleombrotus 145, der allerdings ebd. Anm. 18 in der Annahme

von Klearchos-Rezeption für Kallimachos’ Sprichwortkenntnisse wohl zu weit geht. 192, vgl. H. FLASHAR, Aristoteles, in: ders. (Hrsg.), Grundriss der Ge­ schichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike 3: Ältere Akademie, Aristoteles - Peripatos, Basel/Stuttgart 1983, 284. H u n t e r Argonautica

Inhaltsangabe bei FLASHAR ( s . v o rig e A n m .), der den U n tersch ied zur Poetik zu R echt her­ ausstreicht. D ie Fragm ente behandeln literarische D ich tereig en tü m lich k eiten (F 7 0 -7 1 R ose/F 17, 18, 19, 863 GlGON), G attungszuordnungen (F 73 R o s e /F 8 6 2 GlGON), R ealien fra g en (F 74 ROSE/F 16 GlGON), C h ro n o lo g isch es (F 75 ROSE/F 21.1 GlGON), ε ύ ρ ε τ α ί (F 7 2 R o s e /F 14, 15 GlGON) und B io g ra p h isch es (F 7 6 R o s e /2 0 .1 ; 5 GlGON) und verraten in sg esa m t ein en eher anekdotisch en Charakter.

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Zur Dihärese von techno- und technitographisch vgl. H. DAHLMANN, Studien zu Varro ‘De Poetis’, AbhMainz 1962.10, 551-675; 558 (gerafft: DAHLMANN De Poematis lO lf). Die biographischen und literarhistorischen Realien peripatetischer Dichtungskritik faßt PODLECKI Peripatetics 115-131 übersichtlich zusammen. Er begreift die historische Dimen­ sion der peripatetischen Tradition als „homogeneous body o f scholarship“ (131): Dem über­ lieferungstechnisch verschuldeten Zwang, für Kallimachos-Interpretationen statt hellenisti­ scher Peripatetiker Aristoteles heranzuziehen, kann also vielleicht trotzdem etwas abgewon­ nen werden. Die Historizität der Auskunft des Σ Flor, verdient ohnehin Skepsis: Wie nämlich zwei der bekanntesten Epigrammatiker der Zeit, Asklepiades und Poseidippos, die das Σ Flor. 4 - 5 P ebenfalls unter die Teichinen zählt, Kallimachos angreifen können, weil er nicht π ολλά ! χι­ λιάδες fabriziere, bleibt unklar. Die Möglichkeit, daß alle diese Namen aus den Werken des Kallimachos selbst (z. B. Πρός Πραζιφάνην) oder den Epigrammen der angeblichen Gegner in der Λ ύδη-Kontroverse genommen sind, erscheint mir erwägenswert: Vgl. LEFKOWITZ Quarrel 1 0 -1 1 , ebenso KNOX Callimachean Polemics 114 und mit angebrachtem Sarkasmus R e n g a k o s Biographie 6 4 . Die Testimonien und Fragmente des Praxiphanes bei BRINK Calli­ machus & Aristotle 1 9 -2 2 , MANGONI Filodemo 5 0 Anm. 117 mit Überlegungen zur Werks­ struktur. Ob es in Kallimachos F 4 6 0 P wirklich um die Frage eines langen Epos geht, darf

5.1 Zeitgenössische Poetologien und Telchinenvorwurf

213

Zunächst stellt sich die Frage, ob εν und διηνεκές, was man ausnahmslos bei­ geordnet als εν και διηνεκές verstanden hat,22 den termini des aristotelischen Ein­ heitskonzeptes εν, δλον und τέλειον entspreche und die Teichinen also Peripatetiker vorstellen. Dies ist allgemein bejaht worden.23Nun ist bei Zahladjektiven eine solche Beiordnung ohne καί sehr unwahrscheinlich.24 Naheliegend dagegen er­ scheint es, αεισμα διηνεκές als begriffliche Einheit aufzufassen, die dann weiter­ hin durch εν der Anzahl nach beschrieben würde. Viel schwerer wiegt jedoch der Ein wand, daß das aristotelische Einheitskonzept mit unserem Telchinenvorwurf inhaltlich schwer zu vereinbaren, ja fast gegensätzlich zu ihm ist: Der poetologische Aspekt des aristotelischen εν bezieht sich nämlich auf die innere Einheit des μύθος25 und grenzt sich von äußerlich zeitgebundenen und oberflächlichen Ein­ heitsvorstellungen beispielsweise der kyklischen Epik deutlich ab {Poet. 8.1451 al9-22). Zwischen der Norm einer μία χράξις ολη καί τελεία {Poet. 23.1459 al 9) und dem Ruf nach einem (εν?) αεισμα διηνεκές bestehen offenbar keine Pa­ rallelen, da αεισμα im Gegensatz zu πράξις die konkrete Werksgestalt meint. Zur aristotelischen Einheitsforderung, die gerade nicht biographisch oder chronolo­ gisch begründet ist, sondern auf einen inneren Kausalnexus Gewicht legt, steht das telchinische Anliegen, βασιλ[η [...] ήρωας (F 1.3-5 P) zum Gegenstand zu ma­ chen, überdies in deutlichem Widerspruch: εν ist hier also nicht aristotelisch ge­ braucht. Dem zweiten und dritten Bestandteil der Polemik, nämlich der Forderung, He­ roen und Könige zu besingen, und dies in vielen Tausenden von Versen, läßt sich ebenfalls keine peripatetische Norm zuordnen. Absolute Länge, wie sie der Ruf nach πολλαί χιλιάδες offenbar fordert, stellt kein peripatetisches Kriterium dar,

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man bezweifeln: Praxiphanes kann Arat wie Ps.-Longinos (vgl. oben 127) auch aus ganz an­ deren Gründen angegriffen haben. Orthodox dagegen MATTHEWS Anecdotes 46-47, MANGONI Filodemo 5 1 -5 2 mit Anm. 124. Vgl. zusätzlich zu dem in Anm. 2 3 genannten Material jüngst wieder explizit DEFOREST Callimachean Epic 28. Z. B. PlERTER Bericht 112, TORRACA Prologo 27, PFEIFFER Klassische Philologie 172, NlSBET-HUBBARD 1.97 ad Horaz c. 1.7.6, BRINK Callimachus & Aristotle 19, L e s k y Literatur 799, PlERTER Kallimachos 250, F r a s e r Alexandria 1.747 und 755, SERRAO N uovo Stile 223, SERRAO Aspirazioni 931, SERRAO Lide 98, KLEIN Big Book 20, SCHWINGE Künstlichkeit 21, vage FABIAN Literaturgeschichte 315. Gegen diese Richtung KOSTER Epostheorien 117-121. Neuerdings skeptisch H e a t h Unity 56: „[...] the convergence o f their [seit, the ‘Telchines’] demands with those o f Aristotle merely reflects the accuracy with which the latter had descri­ bed the traditional form.“ Bei Zahladjektiven ist nämlich Einordnung die Regel (vgl. KÜHNER-GERTH [wie unten 217 Anm. 47] §405.4; 1.277; SCHWYZER-DEBRUNNER [wie oben 67 Anm. 192] 2.180f d), so daß eine Beiordnung, wäre sie gemeint, auch in Dichtersprache unbedingt zu kennzeichnen wäre. Z. B. Poet. 8.1451 a l7 περί ένα, τφ ένί, 18 πράξεις ένός, 23.1459 a23 ενός χρόνου. Zum peripatetischen Einheitskonzept vgl. außerdem Probl. XVIII 9.917 b8-12: Man hört lieber ίστορίαι π ερ ί εν συνεστηκυιαι als thematisch vielfältige, weil τό μέν ούν εν ώρισται, τά δέ π ο λ λ ά το ύ απείρου μ ετέχει. Auch hier ist offenbar eine Handlungseinheit, nicht notwendig eine der Darstellung, gemeint. Doch verwendet Aristoteles in PA I 3.643 b l 7-19 εν in einem äußerlichen Sinne von einem λ ό γο ς, den man συνδέσμφ zu einer Einheit machen kann (ähnlich Poet. 20.1457 a29f über die Ilias). Das ohnehin wenig prägnante Numerale hatte also wohl keine ausschließlich im Sinne der Poetik terminologische Bedeutung.

214

5 Aitienprolog und poetologische Theorien

erst recht keine positive Norm.26 Peripatetische Quantitätsbetrachtungen haben stets einen auf Gattung und Inhalt bezogenen, also relativen Quantitätsbegriff zum Gegenstand (besonders deutlich Poet. 26.1462 b3-7).27 So beinhaltet etwa das zentrale Kriterium des εύσύνοπτον eine gattungsspezifische und deshalb relative Quantitätsnorm unter rezeptionsästhetischen Gesichtspunkten.28 Dasselbe gilt ins­ gesamt für den peripatetischen Vorstellungskreis der bei Platon zuerst begegnen­ den poetologischen ζωον-Metapher und den essentiell relativen Begriff des quanti­ tativen πρέπον.29 Insgesamt ist der Gegensatz von langen und kurzen Texten oder Gattungen, wie Kallimachos ihn uns im ersten Teil des Aitienprologs präsentiert, kein Gegenstand aristotelischen Interesses.30 Epik kennzeichnet eine gewisse Län­ ge: Diese Verbindung liegt aber auf einer so evidenten und damit trivialen Ebene, daß eine Norm sich daraus für Aristoteles und die Quellen der Iliasscholien offen­ bar nicht ergab.31 Für die Forderung der Teichinen nach Heroen oder Königen als Protagonisten ergibt sich ähnliches.32 Daß Epen entweder mythologischen oder historisch-panegyrischen Inhalt haben, liegt zu nahe, als daß man darüber theoretiDas „Je länger, desto besser {Poet. 7.1451 alO—11: άεί ο μειζων [seil, μύθος] μέχρι τού σύνδηλος είναι καλλιών έστί κατά τ ό μ έγεθ ο ς) gilt nur in den Grenzen des εύσύνοπτον. Allzu große Länge (allerdings des μύθος) wird vielmehr abgelehnt: 23.1459 a32f). Meines Erachtens unrichtig deshalb HArNSWORTH Idea o f Epic 51. Das von H e a t h Unity 112 und 113 Anm. 32 zitierte Material der lliasscholien (z. B. Σ N 1—7 T: μήκος άμα καί ποικιλίαν περιποιεΐ) bezieht sich auf die lobend vermerkte Erzeugung von Retardationen, nicht von absolu­ ter Länge. Zur Forderung der ποικιλία vgl. RtCHARDSON Exegetical Scholia 266 mit Anm. 4. In den Iliasscholien finden sich im Gegenteil reichlich emphatische Begrüßungen von Kürze: eine Übersicht bei R ic h a r d s o n Exegetical Scholia 277 Anm. 40. 27 Nach Poet. 7.1451 a3—15 sind äußere Längenbestimmungen quasi συμβεβηκότα. 28 Z. B. Poet. 7.1450 b39—51 a2, wonach die quantitative Obergrenze sich danach zu richten hat was der Rezipient noch aufnehmen kann (vgl. 24.1459 b l 8-20), die Untergrenze danach, wie weit ein kausal bestimmter plot aufgebaut werden kann, um das τ έλ ο ς der οικεία ήδονη zu erreichen. Wenn die Tragödie deshalb dem Epos überlegen ist, weil sie in kürzerer Distanz (έν ελάττονι μήκει 26.1462 al8ff) ihr τ έλ ο ς erreicht und das άΟροώτερον ήδιον η π ολλω κεκραμένον τφ χρόνω sei, so wird die Relativität des Ausdehnungsbegriffs sehr deutlich. Daß μ έγεθ ο ς dem Epos eher als der Tragödie eignet, hat gattungsstrukturelle Gründe und beinhal­ tet keinerlei positive Wertung (24.1459 b22-28). Interessante Parallelen zum Übersichtlich­ keitsgedanken in arabischer Literaturkritik bei G e l d e r Beyond the Line 25, die seiner Ansicht nach unabhängig von der Poetik sind. 26

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Dazu vgl. DAHLMANN De Poematis 121 und ausführlich C. M. J. SlCKrNG, Organische Kom­ position und Verwandtes, Mnemosyne 4. s. 16 (1963) 225-242, zu unseren Fragen vor allem 2 2 6 f mit Anm. 3. Zum Lexikalisierungsprozeß dieser Metapher ebd. 242. Die Poetik blendet Kleinformen vollkommen aus: Vgl. B r in k Horace 7 1 , der zu Recht auf die Möglichkeit hinweist, daß sich in der Folgezeit die peripatetische Perspektive geändert haben könnte, wofür wir allerdings keine Belege haben.

31

Vgl. Poet. 24.1460 a2f und RICHARDSON Exegetical Scholia 266: „The Scholia occasionally refer to the length o f the poem as a fundamental epic feature, but they tend to take this for granted.“

32

J. C. SCALIGERs Vorschrift für die Charakterwahl der Gattung ‘Epos’ lautet: Partes [...] potiores inter personas dantur regibus atque heroibus {Poet. 3.96; 144b B). Da die Verse 4 und 5 des Aitienprologs nicht parallel überliefert sind, handelt es sich bei Scaliger offenbar um einen Schluß aus der Masse ihm bekannter Epen. Ähnlich empirisch hat man sich das Vorgehen vorzustellen, mit dem Kallimachos die Teichinen diskreditiert.

5.1 Zeitgenössische Poetologien und Telchinenvorwurf

215

sieren müßte.33 Die Forderung, speziell βασιλήας zu besingen, ließe sich evtl. Höflingskreisen und ihrem Bedürfnis nach Panegyrik zuweisen.34 Aus diesem Blickwinkel wird deutlich, daß die Teichinen von Kallimachos nicht als theore­ tisch, d. h. peripatetisch, gebildete Literarkritiker dargestellt werden, sondern eher als theoriefeme Empiriker, die aus dem Üblichen35 ihre Norm gewinnen. Ein ähnli­ ches Ergebnis zeitigt die Untersuchung des Begriffs διηνεκές (vgl. unten 217ff). Abgesehen von der peripatetischen Poetologie ist uns aus Philodems Περί Ποιημάτων 5 in Umrissen36 die des Neoptolemos von Parion bekannt. Neoptolemos war nicht nur ungefährer Zeitgenosse des Kallimachos und ebenso ποιητής αμα καί κριτικός,37 sondern schrieb als solcher offenbar auch über Dichtung. Wenn auch unklar bleibt, ob er sich jemals in Alexandria aufgehalten hat,38 wären bei ihm doch Reflexe der vermeintlich dem Aitienprolog zugrundeliegenden De­ batte zu vermuten. Der bei Neoptolemos zentrale Begriff des ποίημα allerdings zeigt keine Beziehung zum morphologisch ähnlichen αεισμα der Teichinen.39 Da33

34 35

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37 38

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Vgl. z. B. ZIEGLER Epos 16. Daß die aristotelische Poetik die Protagonisten der Tragödie thematisiert (2.1448 a l7 f, vor allem aber 9.1451 b l 9-26), beruht offenbar auf der Existenz von Dramen, die ihre Protagonisten nicht dem Mythos entnahmen (vgl. Agathon). Eine ähnli­ che Diskussion für das Epos scheint nicht notwendig gewesen zu sein. Worauf mich freundlicherweise Herr Professor Joachim Latacz hinweist. lm Sinne von Poet. 23.1459 a29f σ χεδ ό ν δέ οί π ο λ λ ο ί των ποιητών τοϋτο δρώσι (über die verfehlte biographisch-chronologische Einheitskonzeption der meisten Epiker) wären die Tei­ chinen schlicht die Vertreter der οί π ολλοί. Philodemos berichtet nur aus einer rein polemischen Perspektive, der vielleicht ein systemati­ scher Überblick der Theorien des Neoptolemos vorausgegangen war: Vgl. MANGONI Filodemo 7 9 -8 0 und ASMIS Classification 207: „In the absence o f such an exposition, Philodemus’ criticism is often opaque.“ Weiterhin ist unklar, ob Philodem über Neoptolemos aus erster oder zweiter Hand berichtet: Dazu vgl. MANGONI Filodemo 48^19 zur Interpretation von οί μέν in col. 12.12. Die dogmatische Einordnung des Neoptolemos ist weiterhin umstritten: Während B r in k Horace 90 bzw. 128 von „Aristotelianism revised“ spricht, rückt ASMIS Classification 223, 2 2 9 -3 0 ihn energisch in die Nähe der Akademie (vor allem aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit seiner Argumentation zu Ciceros Partitiones oratoriae). ZIEGLER Epos 44 ordnet Neoptolemos aufgrund des Epentitels Dionysias allerdings der hel­ lenistischen ‘kyklischen’ Epik zu. Dieser Aufenthalt wurde schon von O. IMMISCH, Horazens Epistel über die Dichtkunst, Philologus Suppl. 24.3, Leipzig 1932, 24, danach von BRINK Horace 149 Anm. 3 postuliert und be­ ruht auf einer Kombination von Neoptolemos F 5 METTE, Lucilius 95 4 f MARX und Horaz Ars 431 mit Porphyrios Bemerkungen ad l. Wie M et te Neoptolemos 26 und CESARE Neottolemo 127 allerdings feststellen, schrieb Neoptolemos möglicherweise ionisch, was für Parion nor­ mal, für Alexandria aber ungewöhnlich sei. Die Pergamon-These NORDENS (bei CESARE 129f) gilt heute als überholt. Ob die Unterscheidung von ποίημα und ποίησις auf Theophrast zurückgeht, wie DAHLMANN De Poematis 126-27 meint, spielt hier kaum eine Rolle: Die wirkungsreiche Unterscheidung der ποιητική in die drei Koordinaten ποιητής, ποίημα und ποίησις zieht sich jedenfalls durch die Gesamtheit der Neoptolemos-Exzerpte: Die terminologische Bedeutung von ποίημα und ποίησις wird aber nur aus F 6.14—20 METTE (= col. 14.26—15.2 MANGONI) deutlich, wo­ nach ποίησις eine ύπ όθ εσ ις vorauszusetzen scheint, während ποίημα lediglich eine formale Kategorie bezeichnet. Die Unterscheidung zielt also verallgemeinert auf die nach Stoff und Form differenzierten Aspekte einer Dichtung (ähnlich ASMIS Epicurean Survey 413-14 mit Anm. 108, ASMIS Classification passim spricht von „message“ und „medium“). Die Lage wird

216

5 Aitienprolog und poetologische Theorien

gegen hat man andere Reflexe gesehen: Brink supplementierte auf der Basis von Jensens Ausgabe40 in col. 16.5-8 Mangoni (= F 6.38-39 Mette), daß es Aufgabe des vollendeten Dichters (τω τελείω ποιητη) sei, άρμονίαν ή συν[έχεια]ν καί τοΐς μ[εγάλοις πο]ήμασιν περτθή[σειν. Συνέχεια ließ sich dabei glänzend mit dem διηνεκές des Aitienprologs vereinbaren und μεγάλα ποήματα mit den πολλαί χιλιάδες, während das καί auf eine Forderung zu reagieren schien, nach der ‘Harmonie’ (von Brink als „stylistic finish“ interpretiert) und ‘Zusammenhalt’ nur ‘kleinen’ Gedichten zukomme.41 So erschien Neoptolemos als ein Theoretiker, der vermeintlich kallimacheische Forderungen auf das Großepos ausdehne, und damit als „Aristotelian classicist“ mit kallimacheischem Einschlag.42 Während schon Mettes Supplemente derselben Stelle eine ganz andere Auslegung möglich erscheinen lassen und συνέχεια ausschließen,43 zeigt Mangonis verbesserte Lesung jedoch,44 daß Brinks Auffassung unmöglich und der Sinn der Passage vollkommen ungeklärt ist. Von άρμονία und μεγαλότης kann nicht mehr die Rede sein, wäh­ rend die Brinksche συνέχεια sich neben ήγεμονία sehr eigenartig ausnähme. Der vermeintliche Reflex auf die Auseinandersetzung mit der telchinischen Polemik hat sich damit im Gegenteil eher als eine moderne Extrapolation aus dieser erwie­ sen. Während Neoptolemos wahrscheinlich auf Eratosthenes reagiert, ist gleiches also für eine Beziehung zu Kallimachos nicht nachzuweisen.45 Es wirft vielmehr dadurch kompliziert, daß ποίησις gleichzeitig als ‘langes Gedicht’ firmieren kann, während ποίημα wiederum neben seiner terminologischen Bedeutung auch Sammelbegriff für plotlose, vielleicht formintensive, Kurzgedichte wird (z. B. col. 7.27ff; 8.6f, 19f): Vgl. M a n g o n i Filodemo 81, A sm is Classification 215 mit Anm. 39. Diese Unschärfen sorgen dafür, daß in der weiteren Tradition der Dihärese (Poseidonios F 44 E d e ls t e in / K i d d , Lucilius F 338^17 M a r x , Varro Men. Parm. F 398b BÜCHELER) bald qualitative, bald quantitative Aspekte im Vordergrund stehen: Dazu vgl. D a h lm a n n De Poematis 121-22 Anm. 3, 137-145, BRINK Horace 67-70, M e t t e Neoptolemos 17, FUHRMANN Dichtungstheorie 147, ASMIS Classifica­ tion 212ff, 230. Es ist also deutlich genug, daß der Telchinenvorwurf mit der ποίημαποίησις-Dihärese nichts zu tun hat: Dieser fehlt jeder Vorwurfscharakter, außerdem müßte άεισμα eher ‘ποίησις’ bedeuten. 40

41

Ch. Je n s e n , Philodemos: Über die Gedichte. Fünftes Buch, Zürich 1923 (Nachdruck Dublin/Zurich 1973), 33 (col. 13.5-8): [...] άρμονίαν ή συν[τέλεια]ν καί τοΐς μ[εγάλοις πο]ήμασιν περι·&ή[σειν [...]. B rink Horace 56-57.

42

B r in k Horace 72 und 145, vorsichtiger bereits CESARE Neottolemo 126. Daraus, daß Neopto­ lemos συντομία positiv bewertet (z. B. col. 6.13-19, 28-30; 7.3-4, 18-20; 31.18-20 M a n ­ g o n i) wird man nichts für Kallimachos-Affinitäten folgern können, da diese Auffassung weit­ verbreitet ist: Vgl. oben 137 Anm. 15.

43

Neoptolemos F 6.38f M e t t e : [...] άρμονίαν ή συν[ήχη]σι(ν) καί τοΐς ά[σαφέσιν ποίήμασιν περι6ή[σειν] [...]. 1 ικ

44

M a n g o n i Filodemo 143: [...] η γ ε μ ό ν α ν ή Σ Υ Ν |[......... ]. .καί τοΐς Α[. . . ,|..........]ήμασιν π ερι·& ή|[σειν [...] (col. 1 6 .5 -8 ). Verwirrend aber der T ext bei ASMIS Classification 2 1 7 - 1 8 mit

45

Anm. 51 ή ]γ ε μ ο ν ία ν η σ υ ν [τ έ λ ε ια ν ], für den sie sich ausdrücklich auf M a n g o n i beruft. CESARE Neottolemo 131 unrichtig. Die durch Horaz so wirkungsmächtige Lehre des Neopto­ lemos, nach der der Dichter nützen und unterhalten müsse (col. 3.25-27; 4.3 l f M a n g o n i) , steht im direkten Gegensatz zu Eratosthenes’ Ausspruch, der Dichter habe auf ψυχαγωγία abzuzielen, nicht auf Belehrung (Strabon Geogr. 1.2.3 = F 1 A 20 B e r g e r ) . Die KallimachosAssonanzen der horazischen Ars (vgl. WlMMEL Kallimachos 103-11) rühren also wohl kaum

5.2 Die Bedeutung von αεισμα διηνεκές

217

ein bezeichnendes Licht auf die hinter dem Telchinenangriff vermutete literarkritische Debatte, daß ein zeitgenössischer Theoretiker, der zudem in seiner Werks­ struktur gewisse Affinitäten zu Kallimachos aufweist, nicht die leiseste Resonanz dieser Debatte zeigt.46

5.2 Die Bedeutung von αεισμα διηνεκές Wenn nun offenbar mit ούχ εν αεισμα διηνεκές von Kallimachos keine Anleh­ nung an eine poetologische Terminologie beabsichtigt wurde, was ist dann der Sinn des singulären Ausdrucks? Wir haben oben gesehen (213), daß das eingeord­ nete Numerale εν den gesamten Begriff αεισμα διηνεκές bestimmt. Zunächst ist εν also wohl nicht als inhaltlich-strukturelle Einheitsbestimmung zu αεισμα zu ziehen. Da der telchinische Vorwurf in der Verneinung liegen muß, nicht ein sol­ ches ‘Lied’ geschaffen zu haben, und diese Verneinung sich dementsprechend so­ wohl auf έν wie auf διηνεκές beziehen läßt, erkennen wir hier eine doppelte An­ schuldigung. Deren Hauptgewicht liegt wohl darauf, daß Kallimachos kein αεισμα διηνεκές dichte, daneben wird ihm vorgehalten, es seien auch noch mehrere Ge­ bilde dieser Art. Zunächst zum zweiten Aspekt: Verneintes έν kann nicht in der Bedeutung „nicht einmal eines“ verstanden werden (seil, ‘geschweige denn mehre­ re in vielen tausend Versen, was besser wäre’). Das hätte wohl ούδ’ έν heißen müssen.47 Wenn man sich vor Augen hält, daß der Aitienprolog den Leser vermut­ lich auf eine aus vielen heterogenen Einzelgedichten bestehende ‘Werksausgabe’ einstimmen und den Vorwurf der Heterogenität antizipieren sollte, so versteht man ούχ έν als Hinweis darauf, daß ihn im folgenden nicht ein Gedicht (seil, ‘sondern mehrere’) erwarte.48 Ούχ έν antwortet also ganz natürlich auf die Frage ‘wie vie­ le?’, wofür sich bei Kallimachos Parallelen finden.49 Es paßt zu unseren früheren

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von Neoptolemos-Rezeption her, wie BRINK Horace 1 0 9 -1 1 0 mit Anm. 2 meinte, sondern aus direkter Kallimachos-Nachwirkung. Natürlich könnte das Ergebnis bei direkter Neoptolemos-Überlieferung anders aussehen. OTIS Epic 320f (Abstract eines auf dem 78. Annual Meeting der APA am 26.12.1946 verlesenen, leider bisher unveröffentlichten Papers) hat offenbar Beziehungen zwischen Philodems fünf­ tem Buch Περί ποιημάτων und dem Aitienprolog gesehen: Doch aus seinen Andeutungen wie aus seiner Benutzung der Edition JENSENs kann sich nur Skepsis ergeben. KOSTER Epostheorien 117-18 vertritt diese Auffassung, die sprachlich unwahrscheinlich ist: Vgl. R. KÜHNER, B. GERTH, Grammatik der griechischen Sprache, 2. Teil: Satzlehre, 2 Bde., Hannover 1992 [ = 31904], §535.7; 2.294. Daß die Aitia selbst den Telchinenvorwurf widerlegen, wie HEATH Unity 5 6 erwägt, halte ich für ausgeschlossen, da der Leser das Gedicht noch gar nicht kennt, wenn er die Polemik der Teichinen liest: Das hier vertretene Sympathielenkungsmodell geht vielmehr davon aus, daß die Äußerung der Polemik den Rezipienten bereits gegen die Polemiker einnimmt und der dann mit diesem Sympathiegewinn die folgenden Aitia liest. Genauso H3.33 ο ύ χ ένα πύργον (seil, sondern viele) und H l.89 ο ύ χ ένί (seil, sondern in mehreren Jahren), affirmativ im Epigramm 23.3—4 P/53.1275-76 HE: Für den Selbstmord des

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5 Aitienprolog und poetologische Theorien

Überlegungen, daß darin kein theoretisch fundierter, sondern allenfalls ein naiv empirischer Anstoß artikuliert wird. Bei der Untersuchung des schwierigen Begriffs διηνεκές sei einleitend noch einmal darauf hingewiesen, daß dem Telchinenvorwurf eine sympathielenkende Funktion zukommt: Die Äußerung der Polemik muß die Polemiker selbst als eben­ so schlecht entlarven, wie es aus ihrer Bezeichnung eben als ‘Telchinen’ bereits hervorgeht. Die oberflächliche Gleichung von διηνεκές mit μέγα o. ä. leistet dies nicht. Ein flüchtiger Blick auf die vernachlässigte Wortgeschichte von διηνεκής lehrt dagegen, daß es sich bis in den Hellenismus um eine spezifisch epische Vo­ kabel, fast einen ‘Homerismus’, keinesfalls jedoch um einen literarkritischen ter­ minus technicus zeitgenössischer Philosophie handelt, wie man für εν noch allen­ falls annehmen konnte.51Neben räumlichen (vgl. Σ M 134 bT, 3.327.48 Erbse) und zeitlichen Denotationen beschreibt διηνεκές im archaischen Epos eine natürliche rhetorische Tugend, nämlich ausführlich und in der richtigen Reihenfolge, eines nach dem andern und daher ‘genau und vollständig’ einen Sachverhalt von Anfang bis Ende zu erzählen:52 ‘der Reihe nach’ (chronologisch und/oder der Wichtigkeit nach). Daneben schwingt ein Optimum von Redelänge zu Inhaltsreichtum mit

Kleombrotos war schon Πλάτωνος/εν τό περί ψυχής γράμμα Motivation genug - über die innere Struktur des Phaidon ist damit nichts gesagt. 50 Solche Auslegungen sind wohl aus den notorischen πολλα ΐ χιλιάδες gewonnen: Vgl. Hesych s- v. ή νεκ ές (η 81)· μακράν, δι’ δλου und das μέγα ποίημα des Scholiasten zu Kallimachos H2.106, das wohl ebenfalls als Paraphrase des άεισμα διηνεκές aufzufassen ist. 51 Der Thesaurus Linguae Graecae weist etwa 2150 Verwendungen von διηνεκής nach. Diese ungeheure Zahl kommt allerdings erst durch die große Beliebtheit des Wortes in der zweiten Sophistik und dann vor allem bei den Kirchenvätern zustande: Als Adverb wird es in einem zeitlichen Sinne ( ‘ew ig’) Lieblingswort pastoraler Rhetorik bei Johannes Chrysostomos, bei dem allein es schon über 1050mal begegnet. Bis Kallimachos begegnet διηνεκής nur an 25 Stellen (wörtliche Homerzitate bei Philosophen nicht gerechnet): Homer H 321, M 134, 297; δ 836, η 241, μ 56, v 195, ξ 437, σ 375; Hesiod Theog. 627, 812; HHomAp. 255 = 295; Aischylos Aga. 319; Korinna F 657 PMG ή διανεκώς εΰδεις; Empedokles F 31 B 59.3 DK; F adesp. 382.1 CAF ‘άνδρες δικασταί’ φ θεγγομ ένους διηνεκώς; Apollonios Argon. 1.649, 847, 2.391 (διηνεκές coni. BRUNCK, διηνεκέως codd.), 480, 3.401, 4.1247, davon nur zw ei­ mal in Prosa: Heraklit F 22 B 72 DK, Platon Leg. 8.839 A 3. Ps.-Arist. Plant. I 2.817 b39 und I 4.819 a27f ist zeitlich schwer festzulegen, dazu unten 221 Anm. 69 (ήνεκ- ohne Dichterzita­ te bei Philosophen nur sechsmal: Empedokles 31 B 17.35, 135.2 DK; Kallimachos F 26 8 p· Nikander Alexiph. 517, 592; Arat Phain. 445, in Prosa gar nicht). In der Kaiserzeit wird διη­ νεκής so gut wie ausschließlich temporal ‘lang dauernd’ verwendet und sehr häufig durch ei­ nen zweiten Begriff wie άδιάλειπτος, αιώνιος, ά(κατά)παυστος, άνένδοτος, χρόνιος und dgl. erläutert. Daß es gelegentlich in die Nähe von συνεχής im physikalisch-peripatetischen Sinne von ‘kontinuierlich’ zu rücken ist (z. B. Marcus Aurelius Medit. 5.23, Alexander von Aphrodisias Mixt. 223.12 B r u n s [CAG Suppl. 2.2] τή σ υ ν εχ εΐ τ ε καί διηνεκεΐ ρΰσει, später dann verblassend: Johannes Chrysostomos Laz., MlGNE PG 48.992 [doch vgl. ebd. 1013!] und öfter), besagt für unser Problem wenig, weil die peripatetische Poetik nirgends fordert, ein Gedicht müsse ‘kontinuierlich’ sein (Poet. 10.1452 a l5 heißt συνεχής eine πράξις ‘ohne Pe­ ripetie und Anagnorisis’). Dion Chrysostomos 36.12 verwendet μακράν τινα καί συνεχή ποίησιν ganz äußerlich, um die Struktur der homerischen Ilias von den gnomischen Zweizei­ lern des Phokylides abzuheben. 52

Vgl. δ 836, η 241, μ 56; Hesiod Theog. 627; ebenso noch Aischylos Aga. 319.

5.2 Die Bedeutung von άεισμα διηνεκές

219

deutlichem Wahrheitsanspruch mit.53 Negiertes διηνεκές hat in diesem Zusam­ menhang eine (meist implizit) entschuldigende Funktion.54 Dieser Gebrauch hat sich bis in die Zeit des Kallimachos gehalten.55 Die hellenistischen Dichter variie­ ren diese urrhetorische Norm: Wenn Apollonius sich als Erzähler weigert, διηνεκέως zu erzählen (1.648—9), so handelt es sich um eine gelungene oppositio in imitando56 auf der Basis der homerischen Begriffstradition.57 Phineus redet im Ge­ gensatz zu seinem Vorbild Kirke nicht διηνεκές (2.391), ohne eine entschuldigen­ de Begründung zu liefern;58 Aietes kreidet es seinem Gast Iason sogar an, daß die­ ser ausführlich erzählt (3.401). Kallimachos selbst verwendet in der Pose des Rhapsoden59 und unter Verwendung einer geläufigen Etymologie dieser Standes53

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Vgl. W. LUTHER, ‘Wahrheit’ und ‘Lüge’ im ältesten Griechentum, Boma/Leipzig 1935, 17, 65 zu Hesiod Theog. 627f, 75. Δ ιηνεκής gerät dadurch semantisch in die Nähe von αληθής und άτρεκής. So zeigt es schon bei Homer in dieser ‘rhetorischen’ Bedeutung keinen Bezug mehr zu seiner Etymologie: Vgl. H. F r is k , Griechisches Etymologisches Wörterbuch, Bd. 1, Heidelberg 1960, 391; P. CHANTRAINE, Dictionnaire etymologique de la Langue Grecque. Histoire des Mots, Paris 1980 [1968], 1.282 und LfgrE 5. v. 2. So δ 836 (das Schattenbild der Iphthime kann trotz des Verlangens der Penelope nicht aus­ führlicher werden), μ 56 (Kirke darf Odysseus nicht die genaue Zukunft sagen, um ihn nicht von seiner Verantwortung zu entbinden). Vgl. ganz homerisch rhetorisch Apollonios Argon. 1.847, gegenständlich 2.480, 4.1247 von räumlicher oder zeitlicher Kontinuität. Wenn sich Apollonios Argon. 4.450-51 fragt: πώς γάρ δή μετιόντα κακω έδάμασσεν ό λ έ θ ρ φ / ’Ά ψ υρτον;, um dann die Richtigkeit der narrativen Chronologie mit der Feststellung τό γάρ ήμιν έπισχερώ ή εν άοιδής zu bejahen, so kommt dieses έπ ισχερώ sehr nahe an διηνεκές heran (vgl. zu έπισχερώ RENGAKOS Apollonios 89f). Ferner entspricht das bei Apollonius begegnende έξειης {Argon. 2.314; 771) dem διηνεκές unter Verzicht auf die Wahrheitsimplikationen: DEFOREST Callimachean Epic 89 Anm. 7 macht allerdings zuviel aus dieser Wendung. HÜBNER Verknüpfung 284 und 289 versteht den Begriff διηνεκές zwar richtig als Nacheinander, wendet ihn aber kontextfremd auf den kallimacheischen Apollonhymnus an. Vgl. THOMAS Art o f Reference 171 Anm. 3 und seine „correction“ (1 8 5 - 8 8 ) . Hier paßt GlANGRANDEs Bezeichnung besser: Vgl. oben 120 Anm. 51. GOLDHILL Poet’s Voice 292 mit Anm. 23 meint mit C. B e y e , die Stelle sei als Bekenntnis des Apollonios „to a poetics o f discontinuous, disjunctive narrative“ zu verstehen. DEFOREST Callimachean Epic 87 setzt diese Bemerkung ebenfalls in Beziehung zum Aitienprolog (ähnlich KAHANE Poetics o f Mud 125 mit dem Hinweis auf den ‘Apollonhymnus’ im ersten Buch der Argonautikä). Originell N e w m a n New Poetry 49: „What Apollonius did was to write an epic divided into books at a time when Homer was still undivided Die geläufige Iliaseinteilung ist allerdings wohl doch vorzenodoteisch (vgl. P fe if fe r Klassische Philologie 1 4 7 _ 1 4 9 j 1 7 7 ). Apollonius hatte eventuell Aversionen gegen Zenodot: Vgl. ebd. 184 und neu­ erdings mit sehr genauer Diskussion aller Einzelstellen auch RENGAKOS Homertext 66ff. Apollonius hätte allerdings einen wenig prägnanten Ort ftlr eine solche Polemik gewählt. Stattdessen verwendet Phineus eine in pindarischer Tradition stehende Abbruchformel (vgl. oben 102 Anm. 338). Ob hier Kallimachos selbst spricht oder vielleicht einen Sänger sich selbst charakterisieren läßt, ist für den Effekt von ή νεκ ές unwesentlich: DlLTHEY Cydippa 25f, der dieses Fragment noch zum Prolog und dessen vermeintlicher Homerpolemik rechnete, mußte resigniert bemer­ ken: „nec dum inventus est, qui haec conciliaret.“ (26). A. KÖRTE, Literarische Texte mit Ausschluß der christlichen, APF 5 (1913) 531-572, 545: „Viel gewinnen wir ja aus dem Fet­ zen nicht [...].“, ähnlich U. v. WlLAMOWlTZ-MOELLENDORFF, Ein neues Bruchstück der Aitia des Kallimachos, Hermes 46 (1911) 471-7 3 , der Proömiales vermutet, es aber nicht einordnen

220

5 Aitienprolog und poetologische Theorien

bezeichnung60 dessen traditionelle Norm: ήνεκές άείδω δείδεγμένος (F 26.8 Ρ).61 Beide Blöcke der Aitia dürften in ihrer episodischen Struktur diese archaische Norm nicht erfüllt haben.62 Wenn er also den Teichinen den Maßstab des διηνεκές in den Mund legt, so läßt er ethopoietisch die Anwälte einer unzeitgemäßen Litera­ turgattung das signifikant veraltete Vokabular einer obsoleten Ästhetik verwenden. Διηνεκές bewirkt die Diskreditierung der Teichinen als rückwärtsgewandte63 Ignoranten - wie schon deren Verwendung des quantitativen Maßstabs (vgl. oben 150ff). Nichts läge Kallimachos ferner, als hier einen Bezug zur zeitgenössischen Kritik herzustellen.64 Diese Auffassung bestätigt die Verwendung von σείσμα, das theoretisch vollkommen unscharf bleibt (vgl. oben 215), weil es eine ausgespro­ chen poetische Bezeichnung von Dichtung bietet.65 Neben dieser sympathielen­ kenden Funktion hat das Schlagwort διηνεκές als Homerzitat eines hellenistischen Dichters überhaupt eine distanzierende Wirkung.66 Die Polemik Pollians (AP 11.130.1-2) gegen die »αύτάρ έπειτα« λέγοντας trifft unseren Begriff von διη­ νεκές inhaltlich vollkommen. Seine polemische Technik ist übrigens der kallimacheischen nicht unähnlich: Beide diskreditieren ihre Gegner durch deren eige­ nes Vokabular, Pollian, indem er zitiert, Kallimachos in indirekter Rede. Wenn die kann. Gewöhnlich wird ήνεκές als Objekt zu άείδω aufgefaßt, wodurch die gedankliche Pa­ rallele zum άεισμα διηνεκές sehr eng erscheint (die durchaus intertextuell beabsichtigt sein könnte). Doch ließe sich wohl auch ein Bezug zu δείδεγμένος und damit ή νεκ ές als Attribut eines Gegenstands (vgl. 5) vermuten - womit die Parallele weit weniger auffällig wäre. 60 5 Ρ: καί τόν επί ράβδω ύφαινόμενον. Vgl. dazu Η. PATZER, Ταψωδός, Hermes 80 (1952) 314-325, hier 323 Anm. 2; M c In t o s h Web 194 mit Anm. 6; A. F o r d , The Classical Definiti­ on o f Ταψωδία, CIPh 83 (1988) 300-307, hier 300 Anm. 4, F ü h r e r Epinikien 45f. Pace PATZER neige ich zu der Annahme, Kallimachos habe sich gegen eine starke Tradition (z. B. Hesiod F dub. 357.2 MERKELBACH-WEST, Pindar Nem. 2.2) für die falsche Etymologie von ραψωδός entschieden (aus ράβδος: Doch vgl. ebenso Pindar Isth. 3/4.56). 61 Η νεκ ές ist (abgesehen von Empedokles) nur bei hellenistischen Dichtem belegt (vgl. oben Anm. 51), wird aber immer wie διηνεκές gebraucht (vgl. LSJ s. v.). 62 Vgl. zusammenfassend B u l l o c h Hellenistic Poetry 15: „[...] the connexion is frequently a secondary, or even less important, m otif or incidental point, and the extraordinary achieve­ ment o f the poem consists precisely in the sustaining o f a large-scale work through concentra­ tion on the episodic. LEHNUS Regno 83 hält dagegen die Struktur der ersten beiden Aitienbücher für διηνεκές, kaum zu Recht. 63

Vielleicht hat der Vorwurf der πολυείδεια im 13. Iambos (D 9 .3 4 P) eine ähnliche Wirkung: Schon D a w s o n Iambi 130 bemerkte hier: „But the complaint lodged against Callimachus has an anachronistic air about it.“ Vgl. auch A m b ü h l Arcadian Asses 2 1 2 zu ihrer Deutung von F 1.43 Ρ Ά ρκ α δ( ) πεμπ( ), die hier eine Identifikation der Teichinen mit arkadischen Eseln sieht und glaubt, daß Arkadien als „land o f the hill-billies“ gewählt wurde „to stand as a sym­ bol for the antiquated style o f poetry in blatant contrast to the modem metropolis o f Alexan­ dria and its new poetry“. Diese Auffassung fände eine perfekte Parallele in unserer Interpreta­ tion von διηνεκές.

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Unserer Interpretation genau entgegengesetzt argumentiert HUNTER Argonautica 191: „[...] it would be very much in Callimachus’ manner to place in the mouth o f the Telchines a phrase redolent o f scholastic theorizing“, zu seinen Argumenten vgl. unten Anm. 6 9 . Einzig bei Platon (άσμα Prot. 343 C 7ff) scheint es den - im Aitienprolog vollkommen un­ passenden —Sinn ‘lyrische Ode’ anzunehmen.

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Dieses Prinzip wird ganz allgemein von BoNELLl Decadentismo 1 0 -1 4 („[effetto] deepicizzante“), 2 0 erwogen und von E ffe Klassik als Provokation 3 2 0 deutlicher herausgearbeitet.

5.2 Die Bedeutung von άεισμα διηνεκές

221

hier vorgeschlagene Interpretation des Begriffs als Schlagwort einer rhetorischen Norm im alten Epos richtig ist, können die Anwälte des διηνεκές nicht als zeitge­ nössische Elegiker gezeichnet sein,67 sondern nur als homerisierende Epiker. Her­ kömmliche Interpretationen des Begriffs verkennen also dessen Verwendung: Διη­ νεκές bezieht sich nur auf die narrative Kontinuität unter dem Aspekt der Auswahl des Dargestellten, weder auf das Metrum noch eigentlich auf den Inhalt.68 Ein Be­ zug zum Peripatos liegt nicht vor:69 Wenn der Scholiast des Σ Flor. 9 P den Begriff des μήκος verwendet, so folgt daraus nichts für διηνεκές: Erstens paraphrasiert er damit offenbar nur die πολλαί χιλιάδες und läßt διηνεκές fallen, zweitens ist μήκος ein Allerweltswort und muß keinen kritisch-terminologischen Sinn haben, 67 68

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Wie jetzt C a m e r o n Genre & Style 309 vorschlägt, präzisiert bei C a m e r o n Critics 7f. Natürlich kann man die Hekale angesichts ihrer ausgedehnten Rückblenden (Erzählung Hekales: F 40—66 HOLLIS, vgl. dazu auch COPPOLAs radikale These, die gesamte Hekale sei von ei­ nem Vogel referiert worden [Cirene 58f]) und Aitien (allein schon F 260 P = 288 SH col. i-iv 61!) nicht im Sinne von ‘Herters Gesetz’ (vgl. oben 152 Anm. 86) als άεισμα διηνεκές be­ zeichnen, wie es KOSTER Epostheorien 117-18 und H e a t h Unity 59 möchten. Richtig dage­ gen FRASER Alexandria 1.755 mit 2.1051 Anm. 248. Ob dieser ‘Digressionsstil’ bewußter Gegensatz zur ‘kyklischen’ Art ist, wie D ieh l Digressionsstil 2 6 f mit Anm. (z) meint, muß of­ fen bleiben. B r in k s Ansicht (Callimachus & Aristotle 17 Anm. 2), διηνεκές beziehe sich auf „metre and literary style“, ist sprachlich nicht zu begründen. Sonderbar POHLENZ Antwort 64, der zu seiner Beobachtung einer Ringkomposition im Aitienprolog feststellt: „Es ist bei aller Kürze ein έν άεισμα διηνεκές [...]“ und MEILLIER Callimaque 93: „le fleuve assyrien n’est ni εν ni διηνεκ ές“ (beide gehen offenbar vom aristotelischen Einheitsbegriff aus). Die beiden einzigen Belege aus peripatetischem Umfeld erweisen sich bei näherem Hinsehen als überaus zweifelhaft: De Plantis I 2.817 b38f, [...] ό κόσμος όλοτελ ή ς έσΤί και διηνεκής (Polemik gegen Empedokles [b35], von dem der Übersetzer sich vielleicht hat anregen lassen, [δι]ήνεκής zu gebrauchen: Vgl. oben Anm. 51). Nach dem Index Aristotelicus begegnet aber ό λ ο τ ε λ ή ς einzig hier im gesamten Corpus Aristotelicum, διηνεκής tritt nur noch ein \ eiteres Mal in derselben Schrift (I 4.819 a27f: των κλάδους έχόντω ν τινά διηνεκή ορρ. άπό έτους μετά έτος) auf, wo offenbar ein zeitliches Kontinuum gemeint ist. Die in der AkademieAusgabe abgedruckte pseudo-aristotelische Schrift De Plantis stellt allerdings nur die griechi­ sche Rückübersetzung der lateinischen Bearbeitung Alfreds von Sareshel dar, dem seinerseits nur eine von einer syrischen Übersetzung genommene arabische Version vorlag, deren grie­ chische Vorlage von Nikolaos Damaszenus (t nach 4 AC) stammte und ein Kompilat aus ari­ stotelischer und theophrastischer Botanik bildete. Der ‘peripatetische Beleg’ von διηνεκής stammt also aus einem um 1300 verfaßten Text, „four times removed from the original Greek o f N icolaus“, der erst 1539 Einzug in das Corpus Aristotelicum hielt! Vgl. dazu H. J. DROSSAART LULOFS, E. L. J. POORTMAN (eds.), Aristoteles semitico-latinus. Nicolaus Damascenus De Plantis. Five Translations, Verhandelingen der koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, Afd. Letterkunde, n. R. 139, Amsterdam/Oxford/New York 1989, xvi (Stemma der verwickelten Übersetzungsverhältnisse) und 2f, neue Edition des Textes mit Scholien 563-652. Der griechische Anonymus übersetzte mit ό λ ο τελ ή ς καί διηνεκής Al­ freds perpetuus sempiternus (bei DROSSAART LULOFS 525 §58, vgl. 529 §83). Davon, διηνε­ κής sei ein peripatetischer terminus technicus zur Zeit des Kallimachos gewesen, kann also gar keine Rede sein. HUNTER Argonautica 193-194 läßt seine Interpretation unserer Verse auf der ersten der oben zitierten Stellen basieren, die aber - selbst abgesehen von der Textsituati­ on - gegenüber der Masse der epischen eindeutig von geringer Aussagekraft sind. Seine Deutung basiert deshalb wieder auf der Annahme, der terminus sei peripatetisch, unterstellt dann aber den Teichinen einen inneren Widerspruch: Ihr έν καί διηνεκές kombiniere Unver­ einbares und gebe sie durch diesen Selbstwiderspruch der Lächerlichkeit preis.

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5 Aitienprolog und poetologische Theorien

schon gar keinen peripatetisehen.70 Wenn Hesych das ήνεκές des F 26.8 P mit δι’ δλου glossiert, so meint er möglicherweise wie Σ η 241 E (1.345.31 Dindorf) δι’ δλον απ’ άρχης καί εως τέλους die homerische Bedeutung ‘vollständig’ und liest demnach keinen peripatetischen Sinn hinein.71 Die Verurteilung der kyklischen Epik erfolgt bei Aristoteles (Poet. 8.1451 al6ff: Kriterium der inneren Einheit) und Kallimachos (Ep. 28.1/2.1041 HE: Kri­ terium der Originalität? Vgl. oben 72 mit Anm. 207) aufgrund vollkommen in­ kompatibler Kriterien: Hier liegen offenbar weder Affinität noch Opposition vor.72 Gleiches gilt für den Aitienprolog. Die einzige wirklich ‘aristotelische’ Äußerung des Kallimachos ist dagegen unbeachtet geblieben: In seinem Hymnus auf Zeus verurteilt er den Mythos, die drei Brüder Zeus, Poseidon und Hades hätten ihre Herrschaftsbereiche ausgelost, aus logischen Gründen und fahrt fort: ψευδοίμην, άίοντος α κεν πεπίθοιεν άκουήν (Η 1.65), etwa „Wenn doch meine Fiktionen wenigstens den Hörer überzeugten (seil, wenn es denn schon Fiktionen sind)!“ Kallimachos votiert hier mit komisch deplaziertem Pathos für eine realistische Darstellung des Fiktiven.73 Diese Maxime weist ihrer Aussage nach große Ähn­ lichkeit zu einer Anweisung des Aristoteles auf (προαιρεισθαι [...] δει άδύνατα είκότα μάλλον ή δυνατά απίθανα: Poet. 24.1460 a26-27), die eine deutliche Wirkung gezeitigt hat.74 Die Rezeptionszeugnisse zeigen allerdings deutlich, daß diese mimetische Norm nicht über die Poetik überliefert worden sein kann (vgl. oben 21 lf). Der despektierliche Scherz liegt darin, daß die im Kontext mimetischer Dichtung seriöse Anweisung des Aristoteles durch das harte ψεύδεσθαι und den Μ ήκος kann bei Aristoteles ‘Erzählzeit’ (= Werkslänge: Poet. 18.1456 a l3 -1 4 ) wie ‘erzählte Zeit’ (Poet. 5.1449 b l2 -1 6 ; besonders aufschlußreich Poet. 7.1451 a 6 - ll: Unterscheidung von erzählter und Erzählzeit) bedeuten. 71 Kaum richtig also CAPOVILLA Callimaco 2.62, der Hesych als peripatetischen Zeugen ver­ wendet, so auch TORRACA Prologo 27. 72 Das Kriterium des Kallimachos verkannt bei KLEIN Big Book 20. Für Affinität: POHLENZ Antwort 63-64 mit Anm. 1, vorsichtig E r b s e Apollonhymnos 427 Anm. 3, SNELL Entdekkung 247, N e w m a n Epic 355. Die Ähnlichkeit von peripatetischem χαρακτήρ ισ χνός und kallimacheischem Stilideal der λεπ τ ό τ η ς’ ist begrifflich sehr vage und konkret vollends un­ bestimmbar: Dazu vgl. oben 177f und HERTER Bericht 214, BRINK Callimachus & Aristotle 19 Anm. 3 (sehr vorsichtig), PUELMA Lucilius 330-32. Für Opposition: BRINK Callimachus & Aristotle 18, SERRAO Nuovo Stile 228 (= Aspirazioni 936) glaubt, daß F 612 P sich gegen Aristoteles Poet. 24.1460 a l9 -b l richte, doch vergißt H l . 65; PFEIFFER Klassische Philologie 172-173 (einflußreich: „Die neue Dichterschule des Kallimachos und seiner Nachfolger war ostentativ anti-aristotelisch.“), genauso RUSSELL Criticism 36. 73 So auch ZÄNKER Nature 130, der allerdings F 612 P noch hinzuzieht: Dies aber verbietet sich, weil ψεύδεσθαι und ούδεν άμάρτυρον sich nicht vereinbaren lassen. 74 Zum πιθανόν vgl. RICHARDSON Exegetical Scholia 278 mit Material, dem Plautus Pseud. 401^104 und dessen verisimile hinzuzufügen wäre, vgl. auch RÖSLER Fiktionalität 319 zu Horaz Ars 151f. Im Gegensatz zu WlLAMOWlTZ Hellenistische Dichtung 2.10 mit Anm. 3 kann ich eine Parallele zwischen unserem Kallimachos-Vers und Pindar Ol. 9.80 nicht erkennen. WILLIAMS Tradition & Originality 697 sieht hier offenbar keinerlei theoretische Implika­ tionen. G o l d h il l Poet’s Voice 293 beschreibt auf Apollonius bezogen die intertextuelle Si­ tuation hervorragend: „[...] Callimachus [...] writes in and against an Aristotelian commitment to the plausible, and nowhere with more complexity and irony than when the values o f ‘truth’, ‘likelihood’, ‘persuasiveness’ are explicitly broached.“, erwähnt aber H1.65 nicht. 70

5.2 Die Bedeutung von οίεισμα διηνεκές

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Zusammenhang der Göttersage, in dem man nicht ‘lügen’ darf, plötzlich anrüchig klingt. Typisch kallimacheisch verbirgt sich hinter dem scheinbaren Aristotelismus fast ein Anti-Aristotelismus: Als ernsthafte Aussage sind beide natürlich nicht zu nehmen, erst recht nicht als Bekenntnis einer theoretischen Schulzugehörigkeit. Zusammenfassend sei festgehalten, daß die Telchinenpolemik sich keiner uns faßbaren zeitgenössischen poetologischen Strömung zuordnen läßt. Dieser Vor­ wurf ist vielmehr durch Theoriefeme und eine Wortwahl geprägt, die ein ungün­ stiges Licht auf die Polemiker selbst wirft. Obwohl hier nicht einmal in metaphori­ scher Sprache geredet wird, erblicken wir doch wieder das Hauptinteresse des Kallimachos nicht in der Kommunikation theoretischer Gehalte, sondern in der emotionalen Beeinflussung des Lesers. Wenn sich aber die Polemik keinem theo­ retischen Hintergrund zuordnen läßt, dann auch schwerlich die Apologie. Kalli­ machos steht offensichtlich über der literarästhetischen Theorie seiner Zeit, von ihm führt kein Weg zur Rekonstruktion zeitgenössischer Poetologie.7576 Diese Auf­ fassung bestätigen auch unsere Ausführungen zu λεπτός (177ff), die bereits eine Affinität der kallimacheischen Körpermetaphorik zu dem der peripatetischen rhe­ torischen Theorie entstammenden Begriff ισχνός zurückgewiesen haben. Dennoch bleiben solche Koinzidenzen bemerkenswert: Vielleicht darf man derartige Paral­ lelentwicklungen als je spezielle Ausprägungen einer allgemein hellenistischen „cultural agoraphobia“ auffassen.77 Dieses Zeitgeist-Phänomen allerdings würde wohl erst erklärlich als umfassende Reaktion kultureller Eliten auf typisch helle­ nistische Megalomanie-Manifestationen.78 Die These einer solchen Gegenreaktion 75 76

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Das hat CoBET Callimachea 403 („mentiatur - hoc ipso verbo utitur!“) bereits gespürt, wenn seine moralische Entrüstung darüber heute auch unsinnig erscheint. Das gegen ATKINS Criticism 1.177. ln der Terminologie O b e r m a ie r s (Nachtigallen und Handwerker 3 58-360) handelt es sich mithin um die „pragmatisch-kommunikative“ species von „Dichtung über Dichtung“, nicht die „ästhetisch-poetische“. Wie ich jetzt sehe, deutet COPPOLA Cirene 137f bereits an, daß Kallimachos auf zeitgenössische Theorien nicht reagiert, bestimmt dann aber eigenartigerweise seinen theoretischen Ort als „neoclassicismo“ (2 3 Iff, Vergleich mit Ingres 235). Dieses Stichwort ist von PARSONS Identities 169-70 in die Debatte geworfen worden: „The key to the age is cultural agoraphobia [...]. | [...] λεπ τός is a buzzword o f poets, ισχνός a technical term o f rhetoric, λιτός describes a Stoic virtue, λεπ τομ ερή ς applies to the elements o f fire and air. Did contemporaries feel these as part o f a single value system? [...] 1 have no answers.“ Doch ist dieses Wertesystem so einheitlich nicht, wie PARSONS suggeriert: Vgl. z. B. Kallimachos H2.10, wo offensichtlich μέγας der positiv konnotierte Begriff ist im Gegen­ satz zu λιτός (mit einem sonderbaren Ambivalenzprinzip zu dieser Stelle BrNG Impersonation 193), vergleichbar F 384.32 P. G reen Alexander 182 bietet einen interessanten Ansatz (Kallimachos als Indikator von „social trends“), den er aber aufgrund überholter Prämissen nicht ausschöpft. Eine solche Reaktion wäre politisch erst über die Instrumentalisierung einer ästhetischen Stellungnahme, für die nichts spricht (daher unangemessen GREEN Alexander 183). Zum Megalomanen hellenistischer Kunst vgl. B. R. BROWN, Novelty, Ingenuity, Self-aggrandizement, Ostentation, Extravagance, Gigantism, and Kitsch in the Art o f Alexander the Great and His Successors, in: M . B a r a s c h , L. F r e e m a n S a n d l e r (eds.), Art, the Ape o f Nature. Studies in Honor o f H. W. JANSON, New York 1981, 1-13, 3 mit zahlreichen Beispielen aus Architektur, Schiffsbau etc., ähnlich auch andeutend ZIEGLER Epos 44 und LESKY Literatur 784. Den Kontrast zwischen frühhellenistischer Dichtung und hellenistischer Kunst betont C. A.

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bestätigen die vielfältigen Affinitäten frühalexandrinischer Dichter zu zeitgleicher Kleinkunst,79 die ihrerseits diesen Reaktionscharakter gegenüber monumentaler Repräsentationskunst aufweisen muß (da ein umgekehrtes Verhältnis nicht anzu­ nehmen ist: Denn wann hätte sich jemals offizielle Kunst in konzeptueller Polemik auf die Avantgarde bezogen?).

5.3 Μεταποίησες - ‘wilde’ Poetologiemetaphem bei Kallimachos? Interpreters of Callimachus have to steer a careful course between Scylla and Charybdis. [...] they must resist the temptation to see significance where there is none, and to erect fantastic structures on nonexistent foundations.80

Im folgenden soll auf der Basis unserer Untersuchungen zur expliziten Poetologiemetaphorik zu einem nahe verwandten Sondergebiet Stellung bezogen werden, dessen Erforschung momentan besonders en vogue ist. Im Rahmen dieser Arbeit kann das allerdings nur beiläufig geschehen. Bei diesem hier als ‘Metapoiesis’ bezeichneten Phänomen handelt es sich lexikalisch um einen Neologismus nach dem Muster der üblichen μετά-Komposita,8' semantisch um eine species poetologischer Dichtung, nämlich implizites Dichten über Dichtung.82 Dieses Phänomen ist von den a parte gesprochenen Bemerkungen, in denen der Autor sich explizit an den Rezipienten wendet oder seine Erzählung kommentiert, scharf zu trennen.83

79 80

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82

83

TRYPANIS, The Alexandrian Age. Alexandrian Literature with Special Relevance to Alexan­ drian Poetry, in: B. B a r r -S h a r r a r , E. N . B o r z a (eds.), Macedonia and Greece in Late Classical and Early Hellenistic Times, Studies in the History o f Art 10, Washington 1982, 5 3 57, hier 55. Beispiele bei WEBSTER Poetry & Art 156-169, 174-177. Das Motto ist aus seinem Zusammenhang gerissen: So äußert sich GRIFFITHS Williams 159 über die Identifikation des π ό ν τ ο ς im Apollonhymnos mit Homer (W il l ia m s Apollo 9 1 - 9 9 ) , natürlich in seinem eigentlichen Zusammenhang unserer Meinung nach ganz zu Unrecht. Meta-Zusammensetzungen dienen dazu, die Selbstreferentialität einer Äußerung zu kenn­ zeichnen. Vgl. J. CULLER, Dekonstruktion. Derrida und die poststrukturalistische Litera­ turtheorie, übs. von M. MOMBERGER, Rowohlts Enzyklopädie 474, Hamburg 1988, z. B. 13839 („Meta-Hinweisschilder ). Diese Neologismen (metalanguage, meta-metaphorics, metapoetics, metatheatre etc.), dringen gerade erst in das moderne Sprachbewußtsein ein: Zur Begriffsstruktur, -genese und Beispielen ab 1856 (EMERSON) vgl. Oxford English Dictionary2 9.662ff. y

So gebraucht finden sich dieser oder ähnliche Begriffe z. B. bei KAHANE Poetics o f Mud 129 („meta-poietic vessel über die Argo der Argonautika, 132 „meta-epic joum ey“ über den Ar­ gonautenzug). Gelegentlich findet man die Begriffe ‘metapoietics’ oder ‘metalitteraire’ auch verwendet als explizites Dichten über Dichtung (z. B. DEPEW Ί α μ β ε ΐ ο ν 316, HURST Contrepoints 150), wovon wir hier einfach als ‘poetologische Dichtung’ sprechen. Solche expliziten und meist unmetaphorischen Äußerungen nennt man auch „the epic voice“, die z. B. in Musenanrufen, Abbruchformeln, Bewertungen und dem Hinweis auf eine Sänger­ tradition die Stellung des Sängers zum Stoff und zum Rezipienten festlegt. Für eine Gesamt­ darstellung dieses und ähnlicher Phänomene vgl. GOLDHILL Poet’s Voice passim, zu Apollonios und Kallimachos HUNTER Argonautica 101-129.

5.3 Μ εταποίησις - ‘w ilde’ Poetologiemetaphem bei Kallimachos?

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Unter den Begriff ‘Metapoiesis’ zu subsumierende Strukturen sind gerade dadurch gekennzeichnet, daß die als metapoietisch bestimmte Aussage gleichzeitig eine narrative Funktion im Kontext erfüllt und so nur implizit selbstreferentiell sein kann. Wenn Metaphorik üblicherweise zutreffend durch das Konzept der Konter­ determination beschrieben wird,84 so liegt hier der Sonderfall vor, daß eine im er­ zählten Zusammenhang sinntragende Sequenz durch Analogie zu in anderen Kon­ texten konterdeterminierten Strukturen erst auf einer Metaebene als konterdeter­ miniert erkannt und daher zum vehicle erklärt wird. Die metapoietische Metapher ist durch ihren primären Kontext also nicht konterdeterminiert. Die Untersuchung textueller Selbstreferentialität ist zur Domäne der sog. ‘Dekonstruktion’ geworden, deren Methoden eine (sträflich vereinfacht gesagt) darin besteht, ‘Differenzen’ oder Hierarchien, auf deren Verdrängung die Intention eines Textes basiert, der ‘Logik des Supplements’ folgend für die Interpretation eben desselben Textes an­ zuwenden.85 Dieses Verfahren unterscheidet sich seinem Selbstverständnis nach von herkömmlicher Literaturwissenschaft: Die Dekonstruktion hat den Glauben an den objektiv fixierten Sinn eines Textes als Intention des Autors längst aufgege­ ben. Der Interpretationsakt sagt also allein oder doch vor allem etwas über den Interpreten aus (Culler [wie Anm. 81] 69-94). Dekonstruktion ist damit Metaphilo­ logie. Auf die poetologischen Passagen des Kallimachos übertragen, läge ein ty­ pisch dekonstruktives Verfahren darin, die ‘Differenzen’ ‘tenor/vehicle’ und ‘poetologisch/narrativ’ umzukehren, so daß man Verse, die offenbar keinen ex­ plizit poetologischen, sondern allein narrativen Sinn tragen und nicht metapho­ risch, sondern proprie zu verstehen sind, als poetologische Metaphern läse. Pro­ grammatische Stellungnahmen zu der Umkehrung von ‘metaphorisch’ und ‘un­ metaphorisch’ finden sich tatsächlich in den Schriften entsprechender Theoreti­ ker.86 Kallimachos-Interpretationen, die, was das Verfahren der Umkehrung von 84

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Dazu vgl. H. WEINRJCH, Semantik der Metapher, Folia Linguistica 1 (1967) 3-17, vor allem 6: „Wir wollen diesen Vorgang [seil, die beim Rezeptionsvorgang einer Metapher sich voll­ ziehende Ent-täuschung des Rezipienten] Konterdetermination nennen, weil die tatsächliche Determination des Kontextes gegen die Determinationserwartung des Wortes gerichtet ist. Mit diesem Begriff ist die Metapher definierbar als ein Wort in einem konterdeterminierenden Kontext.“, und EMONDS Metaphemkommunikation 66. Diese Methode hat J. DERRIDA, L ’Ecriture et la Difference, Paris 1967 entwickelt. Ihre Ziele, Methodologie und Metamorphosen beschreibt CULLER (vgl. oben 224 Anm. 81) 99-256. Vgl. z. B. P. DE M an, The Epistemology o f Metaphor, Critical Inquiry 5 (1978-79) 13-30 (über Metaphern im kantischen Diskurs), 28: „[...] it turns out to be impossible to maintain a clear line o f distinction between rhetoric, abstraction, symbol and all other forms o f language. In each case, the resulting undecidability is due to the asymmetry o f the binary model that op­ poses the figural to the proper meaning o f the figure.“ (28). Konzeptuell ähnlich J. DERRIDA, La M ythologie blanche. La Metaphore dans le Texte philosophique, in: ders., Marges de la Philosophie, Paris 1972, 2 47-324, bes. 301: „Tout [...] delimitation philosophique de la meta­ phore se laisse dejä construire et travailler par des ‘metaphores’“, was im folgenden an der Metaphemdefinition des Aristoteles gezeigt wird. Vgl. auch dens., Le Retrait de la Metaphore, Po&sie 7 (1979) 103-126, der an Heidegger durchexerziert, warum über Metapher nicht un­ metaphorisch geredet werden kann. Zusammenfassend dazu J. HABERMAS, Der philosophi­ sche Diskurs der Moderne. Z w ölf Vorlesungen, Frankfurt 31986 [1985], 227 (mit dem Bei­ spiel der Umkehrung von ‘metaphorisch/unmetaphorisch’ - rekurriert leider nur auf CULLER).

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tenor und vehicle betriffit, in methodischer und (abgesehen von Friedländer) zeitli­ cher Nähe zur Dekonstruktion eine solche Umkehrung vollziehen, hat es tatsäch­ lich reichlich gegeben und ihre Zahl nimmt ständig zu:87 Allen liegt ein immer gleicher Analogieschluß zugrunde, der aber nicht als solcher reflektiert wird. Eine —gewiß unvollständige —Sammlung solcher Ansätze in der Kallimachosforschung wird die inhärenten Strukturparallelen des Gedankengangs zeigen. Friedländer hat, seiner Zeit weit voraus, bereits 1929 in seinen Retractationes (383) beiläufig eine metapoietische Interpretation von Ep. 1.12ff P/54.1288-92 HE geliefert, freilich in der Intention, für F 1.5 P statt der heute zu Recht allgemein akzeptierten Ergänzung Hunts έλ[αύνω vorzuschlagen.88 Diese Ergänzung basiert auf dem Gedanken, dem Ruf der Jungen im genannten Epigramm „την κατά σαυτόν ελα“ eine poetologische Metaphorizität zu unterstellen, die der Kontext in keiner Weise nahelegt. Als Grundannahme wird dabei die zu την κατά σαυτόν zu ergänzende ‘Straße’ als metaphorisch poetologischer Dichtungsweg identifiziert. So kann nach Friedländer das vermeintliche Kreiselspiel auch im Aitienprolog zur Dichtungsmetapher avancieren.89 Ohne von diesem Pionier zu wissen, sind neuer­ dings italienische Forscher auf denselben Gedanken verfallen. Sie stützen sich al­ lerdings im wesentlichen auf die Annahme, daß Wegmetaphorik hier (την κατά σαυτόν [seil. κέλευΟον] ελα) wie im Aitienprolog poetologisch gemeint sein müsse.90 Doch ist die Annahme erheblich naheliegender, es handele sich um eine Lebenswegmetapher, die natürlich ebenfalls per definitionem Weg vehicles ver­ wendet (dazu oben 94ff). Die gesamte Anekdote beinhaltet traditionell nur diesen Aspekt.91 Jedes poetologische Rezeptionssignal fehlt. Alle anderen metapoieti87 88

Es ist auffällig, daß offenbar in keinem dieser Fälle ein bewußter Rekurs auf die Dekonstruk­ tion vorliegt, deren Vertreter oder Grundsätze nie genannt werden. H u n t s Ergänzung (έλ[ίσσω) ist durch die Wickelmetapher nahezu sicher: Vgl. oben 148 mit Anm. 68.

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FRJEDLÄNDER Retractationes 383: ,,Haud scio an praestet ελ[αύνω. Ludum puerilem respicit poeta non alium fortasse atque in epigr. 1 [...], ita ut suam artem cum turbinum ludo comparantes adversaries fingat.“

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Zuerst COPPOLA Cirene 119f, der mit Verweis auf den Aitienprolog in Vers 16 statt des in der Nebenüberlieferung erhaltenen ,,σύ Δίων“ für wegmetaphorisches ,,σύ γ ’ ίων“ nach den Kodi­ zes plädiert. Ähnlich N a n n in i Lirica Greca 76, G. SERRAO, Problemi di Poesia Alessandrina I. Studi su Teocrito, Roma 1971, 53—54, beiläufig LEHNUS Callimaco 24 (mit weiterem Mate­ rial Anm. 4). BORGOGNO Poetica 133-34 baut diese Interpretation noch aus, indem er das Thema des Epigramms, die Heiratsffage, ebenfalls metapoetisch erklärt und vollkommen willkürlich „νύμφη“ mit „poesia“, „γάμος“ mit „dedizione totale“ glossiert. Heiratsmetapho­ rik begegnet meines Erachtens nie in der Tradition der griechischen poetologischen Metapher (allenfalls vielleicht in der Πυτίνη des Kratinos, in der eine personifizierte Κωμωδία mit dem Dichter verheiratet ist: Vgl. Πυτίνη T 2 PCG = Σ Aristophanes Equ. 400a), so daß diese Inter­ pretation dem Rezipienten unzugänglich gewesen wäre. Vgl. Σ Aischylos Prom. 887. Wenn man unbedingt ein double entendre erkennen möchte, dann läge es im Kontext von Heiratsfragen sicher nahe, statt des unausgesprochenen κ έλευ θ ο ν bzw. οδόν den Begriff γυναίκα o. ä. zu ergänzen und die Aufforderung der Jungen se­ xualmetaphorisch und zwar mittels des vehicle des ‘Rudems’ zu interpretieren: Zu έλαύνειν in diesem Sinne vgl. LSJ 5. v. 5. und HENDERSON Maculate Muse 162 §260-261. Ein poetologisch-sexualmetaphorischer Scherz findet sich bei Aristophanes: dazu jüngst C. W. MÜLLER, Aristophanes über harnende und zeugende Dichter, RhM 138 (1995) 96.

91

5.3 Μ εταποίησις - ‘w ilde’ Poetologiemetaphem bei Kallimachos?

227

sehen Interpretationen gehören in die letzten fünfzehn Jahre: Scodel bezog in einer Fußnote das όλίγον κισσύβιον in F 178.12 P vorsichtig auf die poetologische Metaphorik der Wein-Wasser-Debatte.92 Neuerdings macht sich der Grundsatz breit, alles, was proprie vermeintlich unerklärlich sei, müsse bei Kallimachos als Metapher und damit metapoietisch zu interpretieren sein. Dies sind gleich zwei methodisch problematische Prämissen, hinter denen offenbar die unausgesproche­ ne Überzeugung steht, daß Kallimachos geradezu zwanghaft ausschließlich über Dichtung gesprochen habe.93 So erklärt sich Mineur die Beschreibung des ναύτης έμπορος und seines sonderbaren Beißens in den delischen Ölbaumstumpf in H4.316-323 mit Hinweis auf die Möglichkeit poetologischer Segelmet^phorik metapoietisch: Der segelnde Kaufmann sei dem dichtenden Kallimachos gleichzu­ setzen.94 Nun mündet die Struktur allerdings in ein Aition (323-24), was die Hi­ storizität des merkwürdigen Brauchs beweist. Im Kontext geht es nicht um Dich­ tung: Wodurch soll dann der Rezipient den metapoietischen Bezug enttarnen, wenn außerdem eine Intention dieser Metapoiesis nicht zu erkennen ist?95 Dieselbe gedankliche Struktur weist der Versuch Bings auf, die großartigen Verse H3.175-182 zu deuten: In ihnen wünscht der Dichter sich, seine Rinder nicht verleihen zu müssen, wenn Helios den Nymphenchor der Artemis betrachte. Der Sonnengott nämlich bleibe dann auf seinem Wagen stehen, in deren lieblichen Anblick versunken, so daß der Tag länger werde und die Rinder, die man offenbar tageweise vermietete, vollkommen derangiert zurückkehrten, seien sie auch noch so stark. Bing vermutet nun unter dem Hinweis auf poetologische Pflügemetaphem96 hinter den pflügenden Rindern metapoietisch den dichtenden Kalli92 93

94

95 96

SCODEL Anthesteria 39 Anm. 9. Dazu vgl. oben 130 Anm. 105. Von der „maniere ininterrompue [seil, parier de litterature]“, die HURST Contrepoints 151 bei Kallimachos feststellt, vollziehen die Metapoietiker den geringfügigen Schritt zur Diagnose der entsprechenden Manie. W . H. MINEUR, Callimachus. Hymn to Delos. Introduction and Commentary, MnemosyneSuppl. 83, Leiden 1984, 246. Zur Segelmetaphorik vgl. oben 45 Anm. 99. Das in seinem Sin­ ne schlagkräftige Argument, F 203.61-62 P heranzuziehen, das in offensichtlich poetologischem Zusammenhang denselben Brauch erwähnt, läßt er sich dagegen entgehen. Doch auch dort verwendet, wie ώς zeigt, Kallimachos den unmetaphorischen, real existierenden Brauch zur Erläuterung des gerade vorher gegebenen poetologischen vehicle. Die Verse haben bisher noch keine sachlich befriedigende Deutung gefunden: Vgl. F a l iv e n e Mimesi 112 und ΚΟΕΝΕΝ Ptolemaic King 84. Zur poetologischen Metapher des Pflügens vgl. Pindar Pyth. 6.1-3, wo αρουραν άναπολίζειν ‘dichten’ bedeutet, Nem. 6 .32-34 Dichter sind Πι,ερίδων άρόται., Nem. 10.26 Μοίσαισί τ ’ εδω κ’ άρόσαι, Pratinas F 710 PMG γδ ν αϋλαιασμέναν άρών, F adesp. 923.4 PMG άλλοτρίοις [-αις coni. ed. pr.] δ’ ού μίγνυται μοϋσαν άρούραις und BECKER Weg 27, dazu das späte Beispiel von Maximus Decurio (ed. ROHDE [wie oben 91 Anm. 294]) 5 π όνον γεω ργεΐν, das Pflügemetaphorik wohl voraussetzt. UGOLINI Critica letteraria 263 bringt un­ richtig Aristophanes Ran. 1298ff (δρέπειν) mit der Pflügemetapher in Verbindung. Zum inhä­ renten ‘Dualismus’ dieser Metapher vgl. DAVISON Conception 39, zur pindarischen Pflügeme­ tapher überzogen CAMPAGNER Metafore agricole 45—49. Möglicherweise bezieht sich das ve­ hicle ‘pflügen’ schon bei Pindar und Pratinas in erster Linie auf den Vorgang des ‘eingrabenden’ Schreibens wie später wohl bei Prudentius (dazu THRAEDE Prudentius 79-108, der das vehicle als Schreibmetapher für eine Schöpfung der römischen Komödie und die Verbindung mit den oben aufgefuhrten Beispielen für sekundär hält). Als Schreibmetapher

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5 Aitienprolog und poetologische Theorien

machos.97 Ausschlaggebend fur diese Vermutung war die angeblich „wholly un­ characteristic rustic pose“ (Well-read Muse 87) des Dichters in diesen Versen.98 Die Struktur des hypothetischen Bildes allerdings macht diese Idee bereits zunich­ te: In den - übrigens seltenen - Fällen von Pflügemetaphem nämlich ist natürlich der Dichter der Pflüger, die Furche bezeichnet das Gedicht: Bildimmanenten Rin­ dern und Pflug kommt kein standardisierter poetologischer tenor zu. Danach müßten hier entweder die Rinder selbst oder ihr Pächter (176 άλλότριος άροτήρ) der Dichter sein: Was gänzlich ausgeschlossen ist, da ja Kallimachos im (hypothetischen) Bild selbst als Eigentümer der Rinder begegnet. Eine konsequent durchgeführte metapoietische Auslegung führt also dazu, Kallimachos entweder gerade nicht als Dichter, sondern dichten Lassenden zu erweisen oder ihn sich selbst als Lohnarbeiter oder gar als Rind verbildlichen zu lassen. Beides wirkt we­ nig überzeugend. Zusätzlich gibt auch hier der Kontext keinerlei poetologisches Rezeptionssignal. Drittens lassen sich die Verse leicht anders erklären.99 Dasselbe Verfahren wendet Bing in größerem Stil noch einmal auf den vierten Hymnus ins­ gesamt an, den er als ganzen metapoietisch interpretiert.100 Ohne seinen Argumen­ tationsgang im einzelnen nachzuzeichnen, wollen wir hier nur hervorheben, daß der Anstoß seiner Überlegungen wiederum eine scheinbare Ungereimtheit ist, nämlich das Bing erstaunlich erscheinende Interesse des Kallimachos für diese unbedeutende Insel (91, 96 u. ö.), und daß alle seine Argumente analogischer Na­ tur sind: Bing trägt möglichst viele Parallelen zwischen seiner Vorstellung von kallimacheischer Idealpoesie und der Beschreibung der Insel Delos im Hymnos zusammen.101 Methodisch bleibt bedenklich, daß entweder auf der einen oder der anderen Seite letztlich willkürliche Interpretationsakte notwendig sind, um die Kongruenz der beiden grundverschiedenen Bereiche zu behaupten. Die wenigen wirklichen Parallelen erschöpfen sich in der Beziehung der Insel wie des Dichters zu Apollon, zwei Fakten, die offensichtlich gänzlich unabhängig voneinander sind. Bing versteht sein Vorgehen offenbar als Allegorese und weist daraufhin, daß ge­ rade diese Art der Interpretation zur Zeit des Kallimachos „its great blossoming“

könnte man sie wie die Wickelmetapher genealogisch klar vom indogermanischen vehicleSubstrat abgrenzen. 97

B in g C ows 1-7, BING Well-read Muse 84-87, beipflichtend CAMPAGNER Metafore agricole 46 Anm. 23. BENEDETTO Paean 167 Anm. 1 wendet sich nur gegen BlNGs Versuch (Cows 2-3 Anm. 5), auch noch Pindar F 52h. 12 SM in seine Interpretation zu integrieren, nicht gegen seine metapoietische Interpretation insgesamt.

98

Ü ber die sich auch COBET C allim ach ea 431 sch o n w underte und die er sch a rf kritisierte.

99 Als Bezug auf σ 3 7 Iff, den B ing Cows 4 auch sieht und vorzüglich erläutert. 100 Well-read Muse 95, 110-128. 101 Die Teichinen spielen auf Delos und im Aitienprolog eine Rolle (112), die Insel sei „small and pure“ wie die angeblich favorisierte Dichtung des Kallimachos auch (115), der Niobe-Mythos „contraposes quantity to quality“ (117), wie vermeintlich das kallimacheische ‘Programm’, die Insel sei λεπ τό ς (119), die Gegner der Insel zeigen Züge der Gegner im Aitienprolog (123), etc. B ing akzeptiert insgesamt zu bereitwillig das Phantom der realen Quantität in der kallimacheischen Metaphorik. Zustimmend jüngst WEBER Dichtung & Höfische Gesellschaft 217 mit Anm. 6 und AMBÜHL Arcadian Asses 211 mit Anm. 14.

5.3 Μ ε τ α π ο ίη σ ις - ‘w ild e ’ P o e to lo g iem eta p h em bei K allim ach os?

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erfahren habe (95).102 Doch Homer theologisch-allegorisch zu interpretieren und selbst poetologisch-allegorisch zu dichten, sind zwei verschiedene Techniken, zu­ dem dies der einzige Fall poetologischer Allegorie wäre.103 Der Rezipient wäre mithin durch seine Kenntnis der Homerallegorese um nichts mehr in der Lage, den verschlungenen Pfaden metapoietischer Interpretation zu folgen. Methodisch identisch mit Bing, doch von diesem unabhängig, interpretiert Müller den kallimacheischen Demeterhymnus ebenfalls metapoietisch. Auch hier steht am Anfang das subjektive θαυμάζειν, wie Kallimachos diesen merkwürdigen Stoff habe anziehend finden können (Erysichthon 30),104 dem dann eine Reihe mehr oder weniger problematischer Analogien folgt.'05 So gerät der Demeterhym­ nus zur großangelegten ‘narrativen Metapher’, die das poetologische ‘Programm’ des Kallimachos verbildliche. Beiläufig wird die Blendung und Berufung des Teiresias im Hymnus Εις Λουτρά τής Πάλλαδος als Dichterweihe aufgefaßt, so daß zwei poetologische Hymnen die Hymnensammlung beschlössen - ein verlocken­ der Gedanke vor allem vor dem Hintergrund des leitmotivischen Rahmungsprin­ zips, das Aitia und Iamboi erkennen lassen (vgl. oben 58f mit Anm. 152, 166 mit Anm. 152.106 Den vorläufig letzten metapoietischen Interpretationsakt zu Kalli­ machos vollzieht Calame, den es erstaunt, daß der jugendliche Apollon seinen Al­ tar „flicht“ (επλεκε: H2.61), und der mit dem Hinweis auf poetologische Webe-

102 Doch sollte man gelegentliche Kritik an diesem Verfahren nicht unterschlagen: Vgl. z. B. Philodem Περί Ποιημάτων III, col. 2.25—3.14 SBORDONE 223 f mit ASMIS Epicurean Survey 405f. 103 Zum Phänomen der Allegorie grundlegend J. WHITMAN, Allegory. The Dynamics o f an An­ cient and Medieval Technique, Oxford 1987. Dort wird deutlich (14-57), daß die Allegorese ein theologisch-philosophischer Vorgang der Dichterkritik ist, der sich stets auf ‘tiefere Wahrheiten’ richtet, nie auf Poetologie. Zur Unterscheidung von „allegoria produttiva o poetica“ und „allegoria interpretativa“ vgl. ECO Bellezza 73f mit Verweis auf PEPIN und vor allem R. LAMBERTON, Homer the Theologian. Neoplatonist Allegorical Reading and the Growth o f the Epic Tradition, Berkeley/Los Angeles/London 1986, 144-161, der nicht nur vor Prudentius „deliberately allegorical literature“ nicht findet, sondern insgesamt poetologischallegorische Dichtung nicht kennt. 104 B ulloch Erysichthon 101, 112-114 hat auf dieselbe Frage meines Erachtens eine überzeu­ gende Antwort gefunden, indem er Kallimachos’ Erysichthonerzählung als satirische Verzer­ rung eines moralistischen Exempels betrachtet. 105 MÜLLER sieht Parallelen in den Bereichen der Speisemetaphorik (Erysichthon 35-9), der Wegmetaphorik (37), der λύματα (37: H6.115 = H2.109), von Bienen und Wasser (41), der Dramatisierung der Demeter (35), von Ibis und Erysichthon, des Weintrinkens (43f: „Warum stillt Erysichthon seinen unbändigen Durst nicht mit Wasser?“ Weil das seinen Vater wohl kaum ruiniert hätte!). Zustimmend WEBER Dichtung & höfische Gesellschaft 186 Anm. 1. N. HOPKINSON, Rezension MÜLLER Erysichthon, CIRev n. s. 38 (1988) 401 m ild:,,[...] it is to be feared thafm ost readers will find too many o f M[ÜLLER]’s arguments too far-fetched to carry conviction.“ Doch hat SCHWINGE Müller 175-177 MÜLLERS metapoietische Interpretationen jüngst noch ausgebaut. MÜLLERS Argumentation ruht allerdings in weiten Teilen auf der alten und nach wie vor nicht allgemein akzeptierten HOUSMANschen Konjektur δρϋν in F 1.10 P (die aber auch SCHWINGE Müller 175 offenbar favorisiert). 106 MÜLLER Erysichthon 58.

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und Knüpfmetaphem hier metapoietische Implikationen vermutet.107 Weitere metapoietische Experimente sind zu erwarten.108 Zusammenfassend kann die Struktur dieser Interpretationen auf eine einfache Formel gebracht werden: Erklärungsbedürftige, narrative Verse eines Dichters, der gelegentlich poetologische Metaphern verwendet, werden per analogiam zu diesen poetologisch gelesen. Der allegoresenauslösende Ansatz des Erklärungsnotstands findet sich in theoretischen Betrachtungen zur Allegorese von Kronios109 bis Iser, der diese Interpretationstechnik als Reaktion des Lesers auf einen unerträglichen Unbestimmtheitsgrad versteht:110„Dem hohen Unbestimmtheitsgrad wird mit einer massiven Bedeutungsprojektion geantwortet.“ Der metapoietische Analogieschluß kann sich auf lexikalische Parallelen (z. B. bei Friedländer, Calame) oder auf in­ haltliche Proportionen (z. B. bei Bing, Müller) berufen und erweist sich damit methodisch als direkter Abkömmling antik-mittelalterlicher Allegorese oder voll­ kommene Parallelbildung zu dieser.111 Die Annahme eines metapoietisch zu ent107 C a l a m e Poetic Procedure 52 „Apollo’s architectural construction parallels the construction o f

poetic making mit Anm. 28. Eine rationale Erklärung der Verwendung von π λέκ ειν liefert PASQUALI Quaestiones 34. Zu dieser Szene knapp SwiDEREK Tradition populaire 53. 108 Vgl. neuerdings die metapoietische Gesamtinterpretation der Argonautika des Apollonios durch DEFOREST Callimachean Epic, die selbst die Toleranzen eines prinzipiell zu metapoietischen Interpretationen geneigten Rezensenten sprengte: „While Metapoietics is certainly a legitimate approach to Alexandrian (or indeed, Roman) poetry, and while the distinction bet­ ween author and narrator is an essential one, there are times at which D e F o r e s t ’s ‘Argonautica’ seems to have been written by Pirandello rather than Apollonius“ (J. E. G. ZETZEL, Bryn Mawr Classical Review 3.11.1995). DEFOREST geht davon aus, daß Apollonios selbst Kallimacheer, sein Erzähler aber Homeriker alter Schule sei (andeutend hatte das bereits FUSILLO Apollonio Rodio 112f mit seiner Betonung inhärenter Paradoxien des Epos vorweg­ genommen, den D e f o r e s t nicht zu kennen scheint), und verfolgt die sich aus dieser Konzep­ tion ergebenden Konflikte (programmatisch z. B. 7—10, 36). Der Abstrusität der These ent­ spricht die Oberflächlichkeit der Argumentation, die ausschließlich auf Analogieschlüssen basiert. Neuerdings versucht KAHANE Poetics o f Mud passim, besonders 128-131, auf den Ergebnissen DEFORESTS aufbauend neues Material zum Streit zwischen Kallimachos und Apollonios zu gewinnen. Jetzt denkt auch K y r ia k o u Hapax Legomena 190-210 vorsichtig an eine metapoietische Interpretation der Orpheus-Sirenen-Episode in Argon. 4.891-921. Einen Grenzfall repräsentiert BASSI Exclusion 222-231: Aufgrund der berechtigten Prämisse, H2 bilde eine Einheit, deutet sie den gesamten Hymnus poetologisch, was für die ersten 104 Ver­ se zu einer metapoietischen Interpretation fuhrt. Meines Erachtens ist selbst dieses Vorgehen ungerechtfertigt, weil die Einheit des Hymnus nicht durch die Poetologizität der ersten 104 Verse, sondern durch die Aretalogizität’ der letzten neun garantiert wird (vgl. oben 110 mit Anm. 3). Schon die Quantitäten sprechen für diese Auslegung. 109 Vgl. das Referat der allegorischen Prinzipien des Kronios bei Porphyrios Antr. Nymph. 4; 4.27-30 WESTERINK: τ ο ιο ύ τ ω ν α σ α φ ε ίω ν π λ ή ρ ο υ ς ο ν τ ο ς τ ο ϋ δ ιη γ ή μ α τ ο ς π λ ά σ μ α μ έ ν ώ ς ε τ υ χ ε ν ε ις ψ υ χ α γ ω γ ία ν π ε π ο ιη μ έ ν ο ν μή είνα ι, ά λ λ ’ ο ύ δ ’ ισ τ ο ρ ία ς τ ο π ικ ή ς π ε ρ ιή γ η σ ιν ε χ ε ιν , ά λ λ η γ ο ρ ε ϊ ν δ έ τι δ ι’ α υ τ ο ύ τ ό ν π ο ιη τ ή ν [...]. 110 W. ISER, Die Appellstruktur der Texte. Unbestimmtheit als Wirkungsbedingung literarischer

Prosa, Konstanzer Universitätsreden 2 8 , Konstanz 1970, 3 0 - 3 2 (Zitat 3 1 ) bietet als Beispiel die Beckett-Rezeption (31): „So zeigt die Beckett-Allegorese, daß hohe Unbestimmtheitsgrade ganz offenbar Bedeutungen provozieren, die auf Eindeutigkeit hin tendieren.“ 111 ECO Bellezza 7 0 -7 1 „analogia schematica, rapporto di analogia“ mit Verweis auf HuiZINGAs Beispiel allegorischer Rosendeutung.

5.3 Μ εταποίησις - ‘w ilde’ Poetologiemetaphem bei Kallimachos?

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schlüsselnden Substrats bewegt sich in einer überraschend vollkommenen säkula­ ren Parallele zur alten theologischen Lehre vom mehrfachen Schriftsinn,112 deren sensus mysticus oder spiritualis die Metapoietiker zeitgemäß durch einen sensus poetologicus ersetzen. Natürlich kann nicht behauptet werden, daß dies intentional geschieht, rein zufällig aber dürfte die Parallele auch nicht sein.113 Wie schon bei dem oben angedeuteten Verfahren der Dekonstruktion ist auch hier keinem der Metapoetiker die hermeneutische Parallelität seines Vorgehens bewußt,114 trotzdem träfe das Verdikt Diltheys sie nicht weniger empfindlich.115 Der herkömmliche Ort dieses Ansatzes ist die Ekphrasisinterpretation, auf die man sich gelegentlich beruft, um die Methode insgesamt zu legitimieren.116 Daß unmetaphorische und nicht narrative explizite Ekphrasisgehalte, wie z. B. die Szenen auf Jasons Mantel in den Argonautika des Apollonios, das Geschehen in­ haltlich deuten können, ja müssen, wenn die Ekphrasis im Zusammenhang des Erzählganzen einen Sinn haben soll,117 leuchtet ein. In Einzelfallen ist dies schon von antiken Scholiasten gesehen worden.118 Ein Interpretationsverfahren, das diese Tatsache ausnützt,119 ist allerdings nicht als metapoietisch im oben beschriebenen 112 Mittelalterliche theologische Allegorese geht von einem doppelten Schriftsinn aus: einem sen­ sus historicus oder litteralis und einem sensus mysticus oder spiritualis, der seinerseits in die drei Aspekte allegoricus, tropologicus und anagogicus zerfallt. Vgl. dazu z. B. F. OHLY, Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, in: ders., Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungs­ forschung, Darmstadt 1977 [zuerst: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 89 (1958) 1-23], 1-31, hier 13f. 113 Vgl. OHLY Schriften (wie vorige Anm.) xi: „Manches vermeintlich Neue könnte sich dann [seil, wenn nach den Konvergenzen mit moderner Linguistik gefragt wird, nachdem die mit­ telalterliche Bedeutungslehre erforscht ist] als älter erweisen als man dachte.“ 114 Die interessante Frage, wie der Zusammenhang von alter Allegorese, dekonstruktivistischen Elementen und metapoietischer Interpretation zu deuten ist, verdiente eine eigene Untersu­ chung (die zu liefern ich nicht vorhabe). 115 W. DlLTHEY, Die Entstehung der Flermeneutik, in: ders., Gesammelte Schriften Bd. 5, Stuttgart/Göttingen 41957, 317-338, hier 322 „eine ebenso unentbehrliche als nichtsnutzige Kunst“ über herkömmliche Allegorese. Ob aber Metapoietik wirklich unentbehrlich ist? 116 Vgl. die exemplarisch metapoietische Interpretation von Theokrit Eid. 1.45—54 und 7.130ff durch GOLDHILL Allusion 2 -5 und die Bemerkungen HUNTERs (Apollonius 56, 58f zu Jasons Mantel Argon. 1.730-67; R. HUNTER, Plautus and Herodas, in: L. BENZ u. a. [Hrsgg.], Plautus und die Tradition des Stegreifspiels [...], ScriptOralia 75/A19, Tübingen 1995, 155-169, hier 157 [über Herondas 2.27-38, 57-78]: „It is now a critical commonplace that the description in a written text, even a dramatic text, o f the viewing o f a work o f art inscribes within that text an analogy - perhaps a deliberately misleading one - o f the reception o f the written (or heard) text itself.“ und brieflich). 117 Die herkömmliche (vage kosmologische) Allegorese des Scholiasten (1.763-64a WENDEL) liefert diesen Sinn gerade nicht. 118 So z. B. Σ Γ 126f bT (Helena verziert ein Gewebe mit αεϋλοι): άξιόχρεω ν ά ρ χέτυπ ον ά νέπ λ α σ εν ό ποιητής τής ιδίας ποιήσεω ς. ϊσως δε τούτω τοΐς όρώσιν έπειρατο δεικνύναι τ ή ν Τρώων βίαν καί τή ν Ε λλή νω ν δικαίαν ίσχύν (1.381.71-74 ERBSE). Dazu A. WLOSOK, Gemina doctrina? Über Berechtigung und Voraussetzungen allegorischer Aeneisinterpretation, in: dies., Res humanae —res divinae. Kleine Schriften hrsg. von E. HECK und E. A. SCHMIDT, Heidelberg 1990, 392^102, hier 400 mit Anm. 30. 119 Z. B. ZÄNKER Realism 7 5 f und 106 Anmm. 74-76. Hier ist auf die umfangreiche Arbeit Ch. R a TKOWITSCHs (Descriptio Picturae. Die literarische Funktion der Beschreibung von Kunst-

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5 Aitienprolog und poetologische Theorien

Sinne zu erkennen, weil es weder von ‘narrativen Metaphern’ (der Ausdruck nach Müller Erysichthon) ausgeht noch eine in eigentlichem Sinne poetologische Äuße­ rung untersucht.120 Das antike Wissen um die narrative Funktion der Ekphrasis kann daher nicht zur Legitimation der metapoietisehen Methode herangezogen werden.121 In der Natur dieser Interpretationen liegt es, daß man ihre Richtigkeit oder wenigstens Möglichkeit mit herkömmlichen philologischen Mitteln, d. h. durch die Anführung von Parallelen, weder beweisen noch falsifizieren kann.122 Allein auf der Evidenz der vorgebrachten Parallelen beruht also die Schlüssigkeit der Argu­ mentation. ‘Evidenz’ aber, letztlich ein Anschauungserlebnis,123 ist hinreichendes124 Kriterium für die Wahrheit eines Urteils allenfalls für „sehr simple analytische oder auf Eigenseelisches bezogene Sätze, nicht aber in Fragen, welche die Außen­ welt betreffen“.125 Nun gehört aber unser Problem natürlich zur ‘Außenwelt’. Mag weiter Evidenz nach Szondi auch ein adäquates Kriterium bei der Interpretation von Kunstwerken darstellen, die unter auch für den Betrachter noch gültigen Be­ dingungen entstanden sind, so führt doch eine vorsichtige Vergegenwärtigung werken in der lateinischen Großdichtung des 12. Jahrhunderts, WSt Beihefte 15, Wien 1991) hinzuweisen, die an verschiedenen Epen des zwölften Jahrhunderts das Verhältnis von Ek­ phrasis und Plot untersucht und überall sehr klar die handlungsdeutende Funktion der jew eili­ gen Ekphraseis herausarbeitet (zum theoretischen Aspekt andeutend vgl. ebd. 10). 120 Da hier nicht in Dichtung Uber Dichtung als Dichtung gesprochen wird, sondern in Dichtung das in dieser berichtete Geschehen, die narrativen Fakten kommentiert werden. Man könnte diese Erscheinung also statt als metapoetisch genauer als ‘meta-narrativ’ bezeichnen. 121 Sondern nur als Beleg für die ohnehin unbestreitbare Tatsache, daß kein antiker Dichter funktionslose Exkurse bzw. Ekphraseis bietet. 122 Beweisen kann man sie nicht, weil Gegner und Befürworter jedes einzelnen metapoietischen Thesengebäudes nicht eine Stelle finden werden, die beide Gruppen als Parallele akzeptieren. Für eine Falsifikation müßte vor allem bewiesen werden, daß es keine Belege gibt, nicht daß keine von den Gegnern erkannt werden, was zu beweisen natürlich unmöglich bleibt. SZONDI Philologische Erkenntnis 273-277 spielt diese Überlegungen an einem Vers aus Hölderlins Friedensfeier durch, dessen Metaphorizität umstritten ist. 123 Vgl. M. SCHLICK, Das Wesen der Wahrheit nach der modernen Logik, in: B. P hilippi (Hrsg.) Moritz Schlick: Philosophische Logik, Frankfurt/Main 1986 [zuerst 1911], 31-109 der ‘Evidenz’ als „Identitätsgefühl“ betrachtet (76). 124 M. SCHLICK, Allgemeine Erkenntnislehre, Berlin 21925, der darauf hin weist, „daß ein Evidenzerlebnis sich auch bei notorisch falschen Urteilen einstellt“ (136). 125 F. VON K u t s c h e r a , Moritz Schlick über Evidenz, in: B. McGuiNESS (Hrsg.), Zurück zu Schlick. Eine Neubewertung von Werk und Wirkung, Wien 1985, 5 1 - 5 6 , hier 5 4 V o n KUTSCHERA hat im Anschluß an SCHLICK (wie vorige Anm.) gegen F. B r e n t a n o und W. S t e g m u l l e r gezeigt, daß Evidenz „nicht zugleich ein subjektiv entscheidbares und ein ob­ jektiv zureichendes Wahrheitskriterium sein“ könne (5 4 ), vgl. auch dens., Grundfragen der Erkenntnistheorie, Berlin/New York 1982, 3 6 - 1 2 , und ähnlich schon R. M. C h is h o lm Evi­ dence as Justification, Journal o f Philosophy 5 8 (1 9 6 1 ) 7 3 9 - 7 4 8 , hier 748: „[...] we may find it necessary to choose between saying a) that some evident statements may be false and saying b) that the only statements that are evident are statements describing those subjective states 1 have called self-presenting.“ 126 Vgl. SZONDI Philologische Erkenntnis 276 und besonders 280: „Evidenz aber ist das adäquate Kriterium, dem sich die philologische Erkenntnis zu unterwerfen hat.“ SZONDI ist sich der oben berührten Evidenzproblematik offenbar nicht bewußt.

5.3 Μ εταποίησις - ‘wilde’ Poetologiemetaphem bei Kallimachos?

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der von der modernen so verschiedenen Rezeptionssituation unserer Texte zu grundsätzlicher Skepsis gegenüber spontaner Akzeptanz von vermeintlich Eviden­ tem. Vor allem der radikale Anachronismus schon des Ansatzes bereitet Unbeha­ gen: Was modernen Interpreten der höchst fragmentarisch überlieferten Literatur einer uns prinzipiell fremden Gesellschaft Kopfzerbrechen verursacht, muß für den antiken Rezipienten nicht erklärungbedürftig gewesen sein.127 Wo die Moderne Analogien sieht, dürfte der Zeitgenosse bestenfalls bedeutungslose Homonymien erkannt haben. Unwahrscheinlich aber macht diese Deutungen allein die Tatsache, daß die Gedichte, denen sie unterstellt werden, für die Rezeption bestimmt waren, daß aber der antike Rezipient Metapoietisches nicht erwarten durfte.128 Kalli­ machos markiert selbst den seltenen Fall unpoetologischer Allegorien überdeut­ lich.129 Hätte er da nicht deutlicher werden sollen, wo es um narrative Metaphern für seine poetologischen Ansichten ging? Die Position, die Haslam in seinen Worten über Arat so präzise beschreibt,130 kennzeichnet die moderne Einstellung des Dichters zu seinem modernen Rezipienten. Diese Einstellung geht von der 127 Selbstverständlich zutreffend BULLOCH Introduction 129: „Our unease as readers and critics is often a sign o f the inadequacy o f the evidence available, and o f the limitations o f our own per­ spective, rather than a failing o f the Hellenistic writers we are trying to understand.“ 128 Der Einwand, daß doch die Rezitationsumstände, von denen wir so wenig wissen, das metapoietische Rezeptionssignal hätten setzen können, liegt nahe: Vgl. dazu die Mutmaßungen bei WEBER Dichtung & höfische Gesellschaft 129-30 mit 130 Anmm. 1 und 2. Doch warum hätten die hellenistischen Dichter, die mindestens sekundär für Leser produzierten, in der Buchausgabe dann so leichtsinnig auf einen geeigneten Ersatz dieses Signals verzichten sol­ len? Der letztere Umstand läßt umgekehrt darauf schließen, daß auch bei der Erstrezitation solche Signale nicht eingeplant waren. Zu einem vergleichbaren Problem (der Einführung neuer Allegorien) vgl. M. FUHRMANN, Rom in der Spätantike. Porträt einer Epoche, München/Zürich 1994, 237 (über Allegorie/Allegorese bei Prudentius): „Außerdem [seil, abgese­ hen von durch die Tradition standardisierten Allegorien] kommt es vor, daß ein Autor neue Allegorien erfindet, deren Sinn nicht plan zutage liegt; dann schuldet er dem Leser den Schlüssel, den Code, den er für die Deutung angewandt wissen will.“ Gilt dies schon für bibli­ sche Allegorese, bzw. allegorische Bibeldichtung, also einen Bereich, in dem jeder Rezipient mit Allegorien rechnen durfte, wird metapoietische Allegorese, die es per definitionem mit ‘narrativen Metaphern’ zu tun hat, also jeder Auflösung beraubt ist, noch unwahrscheinlicher. 129 ln F 195.23-29 P werden eine Feuer- und eine Rennmetapher für triebgesteuertes Verhalten gegeben: Choiroboskos und andere Grammatiker sahen hier eine αλληγορία δι’ εύλάβειαν η δι’ αισχύνην (ζ. Β. Τρόπ. ποιητ. 3 ,245.6ff Rhet. Graec. SPENGEL, zitiert bei PFEIFFER ad /.). Bemerkenswert sind die Techniken, mit denen Kallimachos die ‘Allegorie’ für den Leser markiert: a) der fehlende narrative Bezug der lnvektive: ,,Ταΰτα ού κυρίως εϊρητα ν ούτε γάρ π ερί πυρός οϋτε περί ιπποδρομίας ό λό γ ο ς αύτφ“, wie schon Choiroboskos feststellt; b) die Aneinanderreihung zweier proprie vollkommen unvereinbarer Bilder, die diese sofort als Bilder auffällig werden läßt; c) der explizite Hinweis auf die Bildlichkeit der Rede (3 1 34). Dabei wäre zumindest im Falle der Feuermetapher ein solches Vorgehen nicht unver­ zichtbar gewesen, da es sich in erotischen Kontexten um eine traditionelle Metapher handelt (vgl. dazu C o p p o l a Cirene 96). V. BARTOLETTIs Arbeit (L’Allegoria del Fuoco nei Giambi di Callimaco, Studlt n. s. 10 [1932] 223-229, übersetzt in: SKIADAS Kallimachos, 153-159) ist seit 1934 durch den Fund der Diegeseis überholt. 130 H a s l a m (wie oben 184 Anm. 219) 203 über das Arat-Akrostichon und dessen Rezeption bei Vergil: „An author may hide something in his text, and if he does, it is likely to be himself, if he buries him self all but irretrievably deep, that is his affair.

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5 Aitienprolog und poetologische Theorien

Autonomie des Textes aus. Nun beraubt aber die Ansicht, Dichtung sei Sache al­ lein des Dichters, diese mindestens potentiell ihrer Wirkungsmöglichkeiten. Poeto­ logische Geschmacksverlautbarungen wiederum können sich nur an ein Publikum richten, da ja der Dichter selbst sich seiner Normen nicht zu versichern braucht: Es ist bezeichnend, daß im Werk metaphorischer Individualisten wie etwa Trakls her­ kömmliche Poetologie eine geringe Rolle spielt. Die Intention der poetologischen Metapher verlangt also abgesehen von der metaphemimmanenten Undeutlichkeit wenigstens die absolute Deutlichkeit der Äußerung als poetologische, mag auch der reale tenor dieser poetologischen Metapher im Einzelfall unbestimmbar blei­ ben.131 Im Laufe dieser Arbeit ist nachgewiesen worden, wie die Antinomie zwi­ schen intentional deutlicher Poetologie und a priori undeutlicher Metaphorizität in der Praxis vermieden wird: Alle poetologischen Metaphern sind durch ihren Kon­ text, die Traditionalität ihrer Struktur und ihre unmetaphorisch markierte Intention eindeutig als solche bestimmbar und erfüllen nie eine narrative Funktion. Diese Konstituentien ‘domestizieren’ gewissermaßen die inhärente Ambiguität der Me­ tapher, gegenüber der die metapoietische Metaphorik ‘wild’ erscheinen muß: Diese durchbricht die Konventionen, die poetologische Metaphern als solche zuallererst kenntlich machen. Auf die von uns untersuchten hellenistischen Buchdichtungen bezogen geht der metapoietische Ansatz also an der „Logik ihres Produziertseins“ vorbei.132 Das Phänomen metapoietischer Interpretation ist demgegenüber nur von einer modernen Einstellung her zu verstehen: Der moderne Dichter (oder das Bild, das wir uns von ihm machen) arbeitet nicht notwendigerweise primär für einen Rezipienten: Er produziert einen autonomen Text. ‘Metapoiesis’ ist also nur als meta-philologischer Modernismus zu begreifen.133 Solange diese Metlfode auf an­ tike Texte angewandt wird, bleibt damit ihr Anspruch, über den interpretierten Text etwas auszusagen, letztlich unberechtigt.

131 SZONDI Philologische Erkenntnis passim berücksichtigt bezeichnenderweise rezeptionsorien­ tierte Fragestellungen mit keinem Wort, weil er sich mit Hölderlin beschäftigt, für den er wohl mit Recht - eine der HASLAMschen ähnliche Auffassung zugrundelegt und damit davon ausgeht, daß Dichtung sich grundsätzlich durch einen subjektiven Charakter auszeichne (271). 132 Diesen von ADORNO stammenden Begriff verwendet SZONDI Philologische Erkenntnis 286. 133 Strukturell dieselben Einwände treffen auch andere Meta-Strategien jüngerer Zeit, die auf antike oder mittelalterliche Literatur angewandt werden, z. B. die metatheatralische EuripidesInterpretation (vgl. dazu oben 40 Anm. 75) und die Meta-Kosmographie bei L. L o m p e r is , From God s Book to the Play o f the Text in the Cosmographia, Medievalia & Humanistica n. s. 16 (1988) 51-71. Aus heuristischen Gründen ist trotzdem BuLLOCHs polemische Maxime zu beherzigen (Difference & Dissonance 332).

6 Schlußbemerkungen

Trotz des notwendigerweise disparaten Materials, das zur Interpretation herange­ zogen wurde und diese manchmal auf unerwartete Wege geführt hat, ergeben sich klare Antworten auf die eingangs (16ff)' skizzierten Fragen. Die Betrachtung der Bildebene vor allem kallimacheischer Poetologiemetaphorik hat sich auf die Gene­ se der jeweiligen Metaphern als Bilder, ihre Differenz zur Bildtradition und schließlich ihre Wirkung auf den Leser konzentriert.

6.1 Zusammenfassung Die Wegmetaphem des Kallimachos, unter denen die des Aitienprologs im Mittel­ punkt unseres Interesses stehen, basieren auf einer langen Tradition. Diese haben wir andeutungsweise über die Alte Komödie und Pindar hinaus bis auf das Substrat einer indogermanischen Dichtersprache zurückverfolgt (23ff), für die auf­ fällige Parallelen mit indoiranischen Texten deutliche Indizien liefern. Die homeri­ schen Beispiele dieses Metaphemtyps dagegen sind so beiläufig formuliert, daß sie ihrerseits auf dieser Tradition basieren müssen. Weil es sich um dichterische Selbstaussagen handelt, dürfte der ursprüngliche Träger dieser bildsprachlichen Konvention eine Gattung gewesen sein, die den persönlich hervortretenden Dichter zuließ. Vielleicht darf man hier eine strophische Liedform mythologischen oder panegyrischen Charakters vermuten (24), einen archaischen Vorfahren der griechi­ schen Chorlyrik. Diese wäre also metaphemgenetisch betrachtet älter als das ho­ merische Epos. Einen Hinweis darauf, daß das Bild alt, doch nicht homerisch ist, liefert die Frage nach seiner Funktion im Gesamtgedicht, für die sich nur in spätar­ chaischen bzw. frühklassischen Texten eine Antwort ergibt: Tatsächlich beobach­ tet man noch bei Pindar und einigen Vorsokratikem, daß alle elaborierten Wegme­ taphem im Kontext des jeweiligen Gedichtes strukturanzeigende Funktion besi­ tzen: Sie markieren das Abweichen des Dichters vom traditionellen Stoff, etwa Digressionen oder Verkürzungen, bzw. die Rückkehr der Erzählung auf ein dem Hörer vertrautes Terrain. Diese Beobachtung spricht gegen die verschiedenen Be­ gründungen, die für die auffällige Präsenz von Wagen- und Bewegungsmetaphorik bei Pindar überhaupt gegeben wurden und meist eine Verbindung zur Lebenswelt des Dichters suchen (34ff): Offenbar hat die Metapher der Fortbewegung ihre 1

Die im folgenden angeführten Seitenzahlen verweisen nur auf die zusammenfassenden Passa­ gen.

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6 Schlußbemerkungen

Wurzel in einer topographischen Vorstellung des Themas oder des Stoffs, den der Dichter neu gestaltet. Bevor er einsetzt, sind noch μύριαι κέλευθοι des Liedaufbaus möglich (30f). Seine Bewegung wird dabei als unabhängig vom unbewegli­ chen, topographisch vorgestellten Dichtungsobjekt (38f) begriffen. Wie ein Wan­ derer oder Wagenfahrer aus bestimmten Gründen einen speziellen Weg durch eine Landschaft nimmt, der sich vom üblichen unterscheiden kann, so wählt Pindar die aktuelle Darstellung eines Themas: Andere Darstellungen sind denkbar oder be­ reits gegeben worden. Der Weg- und Wagenmetapher fällt in ihren markantesten Beispielen dabei die Aufgabe zu, den Rezipienten über den Ort der Abweichung von einer herkömmlichen oder zu erwartenden Darstellung und ggf. die Gründe zu informieren, die für diese Entscheidung des Erzählers Pindar ausschlaggebend waren (37f). Für diese markierende Funktion pindarischer Wegmetaphorik lassen sich nur wenige Parallelen bei den Vorsokratikem, später außer bei Kallimachos gar keine mehr beibringen. Dies legt den Schluß nahe, das praktische Wissen um diese mögliche Funktion von Wegmetaphem sei weitgehend verschwunden. So läßt sich in der Alten Komödie die Verspottung der ihrem ursprünglichen Kontext ganz entfremdeten und sehr seltenen Wegmetapher als eines ausgehöhlten Lyrismus feststellen (39ff), eines sprachlich verfestigten gedanklichen Formulars. Die Technik dieser Verspottung besteht darin, die traditionelle Metapher durch irgendeinen kontextuell motivierten Bildbruch überhaupt erst als Bild wieder auf­ fällig werden zu lassen und damit als kontingentes Merkmal eines obsoleten Stils zu erweisen (45f). In der neuartigen Epik des ausgehenden fünften Jahrhunderts, bei Choirilos, wird die Wegmetapher, wie später in den Aitia und dem noch späteren Lehrgedicht (Lukrez, Nemesian, Oppian), zum topischen Prologbestandteil (46f, 104f): Dieser Vorgang läßt sich erklären als Verselbständigung nur einer der beiden Funktionen der alten Wegmetapher, die man bei Pindar noch beobachten kann, nämlich An­ fang und bzw. oder Ende eines ‘Weges’ anzuzeigen. Im Prolog verselbständigt sich offenbar dieses Bild nur in seiner einleitenden Funktion. Übergangsphänome­ ne beobachten wir bei Empedokles und Parmenides, die einerseits von der vorpindarischen Bildtradition der Weg- und Wagenmetapher beeinflußt sind, andererseits diesen Bildbereich vorwiegend, aber noch nicht ausschließlich, als Einleitungsmetaphem verwenden (73ff). Auf dieser Tradition aufbauend erneuert Kallimachos die Wegmetapher: Als einem Prologbestandteil fällt ihr eine primär rezeptionssteuemde Funktion zu. Um den ersten Kontakt seines Textes mit dem Leser in seinem Sinne zu beeinflussen, nutzt Kallimachos die emotionalen Wirkungen, die bei der Rezeption expressiver Bildlichkeit durch die mit den jeweiligen Bildern verbundenen Assoziationen auftreten. Vereinzelte Vorläufer dieser Strategie lassen sich feststellen (46ff), doch bietet der Aitienprolog die Möglichkeit, anhand vieler Metaphern die Verwirkli­ chung stets derselben Intention zu beobachten und so auf eine übergreifende Stra­ tegie zu schließen. Angestrebt ist offensichtlich die affektive Identifikation von Autor und Leser unter dem Gesichtspunkt gemeinsamer Vorstellungen, die einer nichtpoetologischen Ebene zugehören. Um diese Steuerung des Rezipienten zu gewährleisten, verbindet Kallimachos die Polarität zweier Wege mit religiösen und

6.1 Z u sam m en fassu n g

237

moralischen Konnotationen, deren ursprüngliche Identität er nicht gesehen haben dürfte. Diese Konnotationen werden nicht durch die Anspielung auf ganz bestimm­ te Prätexte geweckt, sondern indem eine ganze Textgattung evoziert wird. So greift etwa der Versuch, Kallimachos als Quelle seiner Wegmetaphem nur Pindar oder nur Hesiod zuzuweisen, entschieden zu kurz. Erst recht darf man bezweifeln, daß Kallimachos sich mit seiner Doppelwegmetapher nur auf einen einzigen Text, Pin­ dars Paian 7b, bezieht (64ff). Zusätzlich zur inhaltlichen oder erzählerischen Ori­ ginalität, um die es schon Pindar in seinen Wegmetaphem geht, kommen bei Kal­ limachos ganz neue Bedeutungsebenen hinzu. Dieser Anreicherangsprozeß arbeitet mit vieldeutigen Begriffen, die eine neue Konnotationsvielfalt und ggf. die Evoka­ tion ganzer Gattungen ermöglichen. So befrachtet Kallimachos im Aitienprolog seine Metapher des unbetretenen Weges bzw. der breiten Straße mit den Konnota­ tionen moralischer Integrität und eschatologischer Heilsgewißheit (93f). Der Kon­ text der Apollonparainese, die Kallimachos als Epiphanie oder Vision schildert, unterstützt die Wirkung dieser Metaphorik, so daß der Rezipient auf assoziativer Ebene mit der kallimacheischen Dichtung den Rang eines poetologisch, quasireli­ giös und moralisch absolut verbindlichen Textes assoziiert. Daneben erfüllt im Aitienepilog die Wegmetapher, die bei Pindar die Funktion besaß, den Rezipienten im Handlungsaufbau nur eines einzigen Liedes zu orientieren, eine neue Aufgabe: Offenbar soll der Zusammenhang von Aitia und Iamboi in einer größeren Gedicht­ sammlung deutlich herausgestellt werden. Die Umfunktionierung dieses Bildes ergibt sich also aus den Bedürfnissen eines ‘bookish age’, dessen bezeichnendes Produkt die Aitia sind. Dabei dient im Aitienepilog die Vorstellung des Fußgän­ gers zusätzlich einer wechselseitigen Gattungsbestimmung von Aitia und Iamboi, die mit sozialmetaphorischen Bildern gezeichnet wird (58ff). Am Ende dieser viel­ fältigen und komplizierten Prozesse, deren Wirkung einfach, deren Technik aber schwer zu erklären ist, steht eine neue, sehr wirkungsvolle Wegmetapher, die sich von Kallimachos ausgehend zu einer Topik verdichtet, die, über die lateinische Rezeption vermittelt, noch in unserer Zeit präsent ist. Die elaborierte Metaphorik dreier Wasser am Ende des Apollonhymnus baut ebenfalls auf poetologischen Bildern auf, die sich für das archaische Epos, Pindar und die Alte Komödie nachweisen lassen (11 Iff). Indogermanische Provenienz ist auch hier zu erwägen und an einzelnen Beispielen auch zu belegen. Die kompli­ zierte Antithetik der drei Wasser, die der Angriff des Φθόνος und die brüske Ver­ teidigung des Apollon bieten, läßt sich als Umsetzung einer älteren Struktur in eine neue Bildebene fassen. Sie dient dazu, das Verhältnis Homers zu späteren Dichtem als das von Ursprung und Anleihe zu bestimmen und in verschiedenen Bildern auszudrücken (Speise- bzw. Trink- und Wassermetaphorik und Rudermetaphem sind neben den Beispielen bei Kallimachos bezeugt). Nach der bekanntesten dieser Metaphern, dem bei Athenaios von Aischylos überlieferten Ausspruch, seine Tra­ gödien seinen nur τεμάχη vom Mahle Homers, wird das gesamte Motiv hier als ‘Τέμαχος-Schema’ bezeichnet (120ff). Kallimachos hat dessen Struktur freilich modifiziert. Das Schema ist, wie aus dem Ausspruch des Aischylos ersichtlich, ursprünglich zweiteilig, es umfaßt nur Homer und den Epigonen, während die kallimacheische Erweiterung drei Größen aufweist: Homer, den Epigonen und einen

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6 Schlußbemerkungen

positiven Gegenentwurf. Die zur Gestaltung dieser Struktur von Kallimachos ein­ gesetzten Bilder weisen teilweise Affinität zur homerischen Gleichniswelt und zu den Wassermetaphem bei Aristophanes auf Der Aura des Sprechers Apollon ge­ mäß muß man auch hier mit religiösen Konnotationen rechnen (118f). Daß dieses Τέμαχος-Schema so gut wie immer von Homer gebraucht wird, weist ebenso auf die umstrittene Bedeutung des kallimacheischen πόντος wie die dreifache meta­ phorische Differenzierung eines unerreichbaren Vorbilds, eines quantitativ ausge­ dehnten Versuchs, dieses Vorbild zu erreichen, und einer winzigen Gegenreaktion, die sich bei Kallimachos im Aitienprolog und bei Theokrit ebenfalls finden (vgl. die Ausführungen zu Quantitätsmetaphem unten 240). Der poetologische Gegen­ satz von Wein und Wasser, als dessen Archeget Kallimachos oft angesehen wird, gehört ursprünglich nicht in poetologische Auseinandersetzungen, sondern in die zunächst moralische Polemik konträrer Lebensweisen und -auffassungen. Diese Antithetik läßt sich von der Alten Komödie bis in den späten ‘DemosthenesRoman’ nachweisen (128ff). Poetologische Verwendungen von Wein- und Wasserbildem sind eine Ableitung dieser Metaphorik und mit großer Wahrscheinlich­ keit erst in den späteren Hellenismus zu datieren. Unter den poetologisch verwendeten Begriffen des Kallimachos bilden Quanti­ tätsbezeichnungen die größte Gruppe. Meist stehen sich ‘groß’ und ‘klein’ gegen­ über, gelegentlich finden sich auch Dreiergruppen, deren Quantitäten dann die Struktur des Gesamtbildes bestimmen. So beobachtet man etwa bei der Polarität zweier Wege im Aitienprolog {schmaler Pfad, breite Straße) oder der komplizier­ ten Opposition dreier Wasser im Apollonhymnus {riesiges Meer, großer Fluß, klei­ ne Quelle), daß hier in die Beziehungen zwischen den einzelnen metaphorischen Begriffen, die im jeweiligen Bild eine große Zahl weiterer Assoziationen evozie­ ren, Größenbegriffe bereits hineinspielen. Im Aitienprolog wie im Apollonhymnus dominieren diese Quantitätsbezeich­ nungen die gesamte Bildlichkeit. Sie sichern so durch strukturell immer gleiche Gegensatzpaare überhaupt erst die Einheit des Prologs, die durch die Fülle ver­ schiedenster Metaphern andernfalls gefährdet wäre. Nun können Größenbegriffe in poetologischen Diskursen metaphorisch oder unmetaphorisch verwendet werden: Im Hinblick auf Kallimachos stellt sich die Frage, ob in den Metaphern, die Quantitätsbegriffe verwenden, diese Quantitäten selbst noch metaphorisch aufzu­ fassen sind oder bereits zum tenor gehören. Wenn z. B. von der „großen Flut“ des assyrischen Flusses die Rede ist, meint Kallimachos damit etwas real ‘Großes’ (etwa ein langes Gedicht) oder steht ‘groß’ als Metapher für etwas anderes? Auf dieser Ambivalenz beruht die alte Unsicherheit der Kallimachos-Forschung, ob es diesem in seiner Polemik essentiell um den Gegensatz von langen und kurzen Ge­ dichten gehe oder nicht. Untersucht man die Verwendung poetologischer Quanti­ tätsbegriffe vor Kallimachos (135ff), um den Erwartungshorizont eines frühhelle­ nistischen Kallimachosrezipienten zu rekonstruieren, so stellt man zwei einander nicht ausschließende, aber nie nebeneinander verwendete Gebrauchsweisen fest, die bei Pindar und Aristophanes jeweils isoliert begegnen: Für den ersten läßt sich eine unmetaphorische, ursprünglich rezeptionsorientierte Verwendung dieser Quantitäten feststellen. Begriffe wie z. B. ‘τά μακρά’ {Nem. 4.33) meinen eine

6.1 Zusammenfassung

239

lange, ausführliche Darstellung. Ein solcher Gebrauch von unmetaphorischen Grö­ ßenbegriffen wird hier einfach als ‘pindarisch’ bezeichnet (140). Er zielt auf die reale Länge eines Textes oder Vortrags. Bei Aristophanes dagegen und in der Al­ ten Komödie überhaupt finden sich quantifizierende Begriffe ausnahmslos stilme­ taphorisch gebraucht, d. h. nach der hier vorgeschlagenen Terminologie ‘aristo­ phanisch’ (140f): ‘Ρήματα μείζω’ (Ranae 1060) beispielsweise und metaphori­ sche Umspielungen der Größenangabe sind nicht ‘lange’, sondern ihrem Anspruch nach ‘gehobene’ Worte. Sie bezeichnen eine oft negativ bewertete sprachliche Ebene. Diese wird nicht aufgrund theoretischer, d. h. hier rhetorischer, Kriterien abgelehnt bzw. verspottet, sondern wegen ihrer Distanz zu kommunikationsorien­ tierter Sprache und der funktionslosen Künstlichkeit dieser Distanz. Man könnte sagen, der Spott ziele auf eine ‘geschwollene’ oder ‘/zocMrabende’ Ausdruckswei­ se, würde man sich damit nicht ebenfalls einer quantifizierenden Metapher bedie­ nen. Im Sinne dieser Alternative zwischen ‘pindarischem’ und ‘aristophanischem’ Gebrauch von Quantitätsbegriffen konnte eine eingehende Untersuchung aller quantifizierenden Polaritäten im Aitienprolog diese durchgängig eher als ‘aristo­ phanisch’, also stilmetaphorisch, klassifizieren (198). Kallimachos läßt zwar die Telchinenpolemik von realen Größenbegriffen aus ihren Vorwurf lancieren, doch nützt er die offensichtliche Absurdität dieser Polemik (dazu unten 241) für seinen metaphorischen Gegenangriff aus. Aus realen Quantitäten werden quantifizierende Metaphern. Ebenso wie bei Aristophanes steht kein theoretisches Konzept hinter dieser Metaphorik (dazu unten 240f). Vielmehr stehen wie die Wegmetapher des Kallimachos auch hier die Größenmetaphem ganz im Dienst der Sympathielen­ kung. Für die intertextuellen Beziehungen zwischen Kallimachos und Aristopha­ nes ist mit dieser Parallele allerdings noch nichts behauptet. Im einzelnen kann neben einer Betrachtung der metaphorischen Quantitäten außerhalb des Aitienprologs (137ff, 140ff) für diesen gezeigt werden, daß die Werkspersonifikationen der Verse 9-12 keinen Bezug auf Antimachos erfordern und ihre Belebtheit bestimmte Supplemente ausschließt (153ff). Weiter hat eine Untersuchung der bislang als ‘schön’ verstandenen Μοΰσα λεπταλέη ergeben, daß diese nicht als ästhetisch ‘schön’, sondern als vulgärmedizinisch ‘gesund’ verstanden werden sollte und auf dieser Ebene die Sympathie des zeitgenössischen Lesers lenkt (156ff). Doch illustriert die anachronistische Assoziation von Schön­ heit bei unserer dünnen Μοΰσα durch den modernen Leser sehr deutlich unsere Auffassung, wie die Metaphorik des Aitienprologs sympathielenkend wirkt und wirken soll: Der Rezipient ordnet die Bildebene der jeweiligen Metapher in seine eigene Lebenswelt und deren Wertsysteme ein und weist ihr damit eine bestimmte Bewertung zu, die sich automatisch auf den tenor der jeweiligen Metapher über­ trägt. Wahrscheinlich unterstützen auch im Rahmen dieses zweiten Bildes der Apollonparainese, das der Bildebene des Opfervorgangs entnommen ist, religiöse Konnotationen diese affirmative Aufwertung (159f). Weitere Dimensionen gewinnt die Bewertung durch die intellektualmetaphorische (175ff) und die musikalisch-harmonische Konnotationsebene der Antithese von παχύς und λεπτός (177ff). Stets bietet λεπτός den positiv konnotierten Teil

240

6 Schlußbemerkungen

der Antithetik. So läßt sich an λεπτός bzw. λεπταλέος sehr genau die Kontami­ nationstechnik des Kallimachos nachweisen, die auch in seinen Wegbildem bereits beobachtet wurde. Wie dort, so erfüllt auch hier diese Technik denselben Zweck: eine ausschließlich affirmative Reaktion des Lesers auszulösen. Die akustischen Metaphern im Aitienprolog (Verse 19-20; 29-30), eine weite­ re Metamorphose des Gegensatzes von Quantitätsmetaphem, zeigen wie die Rede des Lykidas in Theokrits Thalysia (7.45-48) eine große strukturelle Ähnlichkeit mit dem Τέμαχος-Schema, wie es am Schluß des Apollonhymnus begegnet. Da Theokrit den Bezugspunkt seiner Bildebene angibt, den Χίος άοιδός, mit dem natürlich niemand anders als Homer gemeint sein kann, erklären sich die drei Metaphemkomplexe gegenseitig: Mit ‘Ζευς’ ist im Aitienprolog ebenso ‘Homer’ ge­ meint wie mit dem ‘πόντος’ des Apollonhymnus (192f, 196ff). Für die poetologische Gleichung von Homer und Zeus lassen sich außerkallimacheische Parallelen anführen. Das Konzept ‘poetologischer Hybris’, die Kallimachos damit seinen Gegnern zuweist, indem er ihnen metaphorisch das Verhalten des Salmoneus vorwirft, ist in dieser Radikalität neu. Genau besehen bildet es aber einen voll­ kommenen, sogar notwendigen Widerpart der kallimacheischen Strategie, sich religiöser Konnotationen bei der Aufwertung seiner eigenen Werke zu bedienen. Wenn das Ziel der religiösen Färbung der Wegmetapher darin liegt, ihren Autor als poetologisch sakrosankt auszuweisen, ist es nur folgerichtig, daß seine Gegner als quasireligiöse Frevler erscheinen müssen. Abschließend können wir die schwieri­ gen Verse des Aitienprologs, die sich mit Pygmäen, Kranichen und Massageten befassen, unter Hinzuziehung von Vasenbildem als Inhaltspersonifikationen erklä­ ren (202ff), die sich in das Netz quantifizierender Metaphorik einordnen. In einem letzten Schritt wird eine vielbehandelte Frage aufgegriffen, die sich nach der Betrachtung der poetologischen Metaphern von selbst stellt: Welchen theoretischen Hintergrund haben diese Bilder? Zeichnet Kallimachos die Teichi­ nen durch die Formulierung ihrer Polemik als Anhänger oder Gegner einer be­ stimmten poetologischen Strömung, speziell des Peripatos? Beides hat man oft behauptet. Bei näherem Hinsehen ergeben sich jedoch keinerlei Berührungspunkte. Das hat Konsequenzen für jeden Versuch, die theoretische Position des Kalli­ machos zu bestimmen: Er bewegt sich offenbar weder in Affinität noch in Opposi­ tion zum Peripatos, dessen Lehren ihm aber aus den aristotelischen Dialogen oder doxographischen Texten wohl geläufig gewesen sein müssen. Da auch keine Paral­ lelen zu den bei Philodem besprochenen Lehren des Zeitgenossen Neoptolemos von Parion noch irgendeiner anderen theoretischen Richtung vorliegen (211 ff), kann für den Kallimachos des Aitienprologs eine dezidiert un- und übertheoreti­ sche Position den Gegenständen herkömmlicher Poetologie gegenüber angenom­ men werden (223f). Daß er hier Metaphern verwendet, zeigt bereits, daß es ihm nicht um gelehrte Diskussionen geht (vgl. unten 246f zum Begriff ‘Programm’). Vermutlich kannte er theoretische Poetologien, doch soll im Aitienprolog der Le­ ser auf irrationalem Weg beeinflußt werden, wozu Kallimachos zwar bestimmte Bilder, jedoch keine Theorien brauchen kann. Die Untersuchung des umstrittenen Ausdrucks ‘αεισμα διηνεκές’ bestätigt unsere bisherigen Ergebnisse, indem sie ihn als ethopoietische Verwendung altepi-

6.2 Übergreifende Fragen

241

sehen Vokabulars erweist. Die Teichinen formulieren ihren Vorwurf so, daß er allein auf dem Hintergrund homerischer Vorstellungen von Rhetorik Sinn macht und damit einem Leser des Kallimachos in hohem Grade unzeitgemäß erscheinen muß. Die Kritik der Teichinen ist von absurder Rückständigkeit. Die Funktion dieser Ethopoiie ist es demnach, die Teichinen als ästhetische Reaktionäre zu dis­ kreditieren (217ff). Auch hier steht ein merkwürdiger, allerdings unmetaphori­ scher, Begriff allein im Dienst einer Steuerung des Rezipienten, nicht der Kom­ munikation theoretischer Stellungnahmen. Abschließend wechseln wir zu Fragen moderner Theoriebildung und mustern bestimmte Tendenzen der jüngsten Kalümachos-Philologie, die hier unter dem Begriff metapoietisch’ gebündelt sind (224ff). Metapoietische Interpretationen versuchen, offensichtlich unpoetologischen Passagen bei Kallimachos, die dem heutigen Interpreten Schwierigkeiten machen, eine dichtungstheoretische Aussage zuzuweisen. Das Instrumentarium dieses Zugriffs besteht aus Analogieschlüssen auf der Basis der sicher poetologischen Aussagen. Es handelt sich also um eine poetologische Allegorese. Die Zurückweisung der Prämissen wie der Ergebnisse dieser Richtung führt dazu, die deutliche Grenze zwischen Metaphorizität und ei­ gentlicher Rede bei Kallimachos zu akzeptieren und jeden allegorischen Ansatz mit Skepsis zu betrachten. Kallimachos bedient sich zur Durchsetzung bestimmter Ziele poetologischer Metaphern, deren Gebrauch, Funktion und Umfang sich prä­ zise bestimmen läßt. Diese Metaphern sind als virtuose Mittel zu einem nahelie­ genden Zweck konzipiert, dem der Rezeptionslenkung. Eine poetologische Kallimachos-Allegorese hieße, diese Metaphern im Hinblick auf das Gesamtwerk über­ zubewerten: Kallimachos hat erheblich mehr zu bieten als nur Poetologie.

6.2 Übergreifende Fragen An diese Ergebnisse schließen sich drei lose weiterführende Fragen an, die zwar oft berührt und teilweise bereits beantwortet wurden, aber unabhängig von einzel­ nen Textstellen die Bildbereiche übergreifen, so daß sie hier zusammenfassend behandelt werden sollen. 1. Wie verhält sich Kallimachos zur metaphorischen Tradition? 2. Wie stark basiert seine poetologische Metaphorik auf Prätexten, oder aus der Sicht des Rezipienten gefragt: Wie kompetent muß ein Publikum sein, damit die diagnostizierten Prozesse der Sympathielenkung noch ablaufen können? Für wen hat Kallimachos also geschrieben? 3. Wenn Kallimachos in seinen poeto­ logischen Äußerungen überall Metaphern gebraucht, was sagt das über sein ‘poetologisches Programm’?

242

6 Schlußbemerkungen

6.2.1 Zur Traditionalität poetologischer Metaphorik Die Interaktionstheorie der Metapher,2 die Strub mit dem Oxymoron der „kalkulierten Absurdität“ beschrieben hat, geht davon aus, daß der Reiz einer Me­ tapher in der Zusammenfügung von strenggenommen Unvereinbarem und den Wechselwirkungen des Zusammengefugten besteht. Dieser sprachschöpferische Gewaltakt wird immer dann nötig, wenn vorhandene sprachliche Mittel zur Dar­ stellung neuer Sachverhalte oder Empfindungen nicht ausreichen. Im Falle der oben untersuchten Metaphern greift dieses Paradigma allerdings nicht: Wir haben es ausnahmslos mit Variationen traditioneller vehicles zu tun, deren Traditionalität ihre ursprünglich vielleicht empfundene Absurdität3 wohl vollkommen verdeckt.4 Zwischen der noch empfundenen Absurdität einer Metapher, die den Zeitpunkt ihrer Prägung kennzeichnet, und ihrem ‘Tod’ durch Lexikalisierung,5 der jede viel­ gebrauchte Metapher erwartet, erstreckt sich die breite Spanne eines Metaphemgebrauchs, dessen Traditionalität die Absurdität der Fügung bereits mildert oder be­ seitigt und der sich trotzdem noch des bildlichen Effektes einer lebendigen Metaphorizität bedient. In genau diesen Zeitraum sind die poetologischen Metaphern des Aristophanes und des Kallimachos zu setzen und, sofern wir die vorpindarische Tradition der poetologischen Metapher erahnen können, auch diejenigen Pin­ dars.6 Die deutlich parodistischen Tendenzen, die Aristophanes bei der Verbildli­ chung seiner poetologischen Ansichten - oder derjenigen seiner Charaktere - er­ kennen ließ, sind nicht auf die Erkenntnis der grundsätzlichen strukturellen Ab­ surdität einer jeden Metapher, sondern auf die Verspottung einer bereits zur Lexi­ kalisierung neigenden lyrischen Metaphemtradition zurückzufiihren.7 Ebenso er2

3

4 5 6

7

Einen kurzen Überblick über diese Theorie findet man bei B u h r (oben 24 Anm. 15) 180 Anm. 4, einen langen bei S t r u b Absurditäten 79—140, die klassische Formulierung des Kon­ zepts bei B l a c k Metaphor 291-294. WATKINS Indo-European Poetics 682-684 weist darauf hin, daß das Rätselhafte als absurd empfundener Metaphorik ursprünglich ein Auszeichnungselement des Dichters gewesen sein könnte. In der von E m o n d s Metaphemkommunikation 16 beschriebenen Terminologie liegen also „konventionelle“ Metaphern vor. V g l. oben 189 Anm. 2 4 4 , dazu STANFORD Greek Metaphor 3 8 f, 103, 129. K r u m m e n Pyrsos 48 -5 0 , 5 8 f erläutert sehr überzeugend an (meist) unpoetologischen Meta­ phern Pindars „die Spannung zwischen kulturell Vererbtem, unbewußt Erwartetem und okka­ sionell Geschaffenem, zwischen Tradition und unmittelbar erlebter Gegenwart“. (Zitat 59). Doch scheint mir der Anteil an kulturell Vererbtem im Bereich der poetologischen Metaphern besonders hoch. M u r p h y s Versuch, die Konstitutionsweise der aristophaneischen Metaphern als „rejuvena­ ting“ zu bezeichnen (C. T. MURPHY, Rezension von TAILLARDAT Images, AJPh 89 [1968] 241 43, hier 43), trifft hier die Intention des Aristophanes nicht, da darin noch kein Witz liegt. M ü l l e r Verspottung 32, 40^11 beschreibt die aristophanische Technik am besten, ähnlich D o v e r Frogs 2 9 . B r e m e r Poetry 149ff, besonders 155, weist daraufhin, daß Aristophanes nicht ausschließlich zu parodistischen Zwecken metaphorisiere. Doch ist zweifellos ein Großteil zumindest seiner poetologischen Metaphern durch subversive Untertöne gekenn­ zeichnet. Insgesamt halte ich die Einschätzung M i l l e r s (Medical Language 74 Anm. 2 [über „terms drawn from literary criticism“]: „Many o f these, in typical Aristophanic fashion, are parodies o f the actual terms.“) für einseitig: Aristophanes parodiert nicht nur die gerade erst

6.2 Übergreifende Fragen

243

klärt sich das kallimacheische Streben nach metaphorischer Originalität nicht aus einer Erkenntnis der ‘absurden’ metaphorischen Struktur, sondern aus Emeuerungsgelüsten gegenüber einer in ihrer Bildlichkeit zur Erstarrung neigenden, ver­ brauchten Topik: Indem sie mit deren verbrauchten Bestandteilen spielt, basiert sie aber dennoch auf ihr.8 Die Interpretation des Phänomens als eines gewaltsamen Neuanfangs verbietet sich also.9 Im Rahmen der Alternative von Absurdität und Kalkül erscheinen sowohl Alte Komödie wie auch Kallimachos und mit Ein­ schränkungen —aus der Sicht des modernen Rezipienten - auch Pindar als eindeu­ tige Vertreter des Kalküls. Die starke Traditionsgebundenheit, in deren Rahmen dieses Kalkül sich erst seine Originalität leistet, wird auch aus der prinzipiellen Irreversibilität des Verhältnisses von tenor und vehicle deutlich.10 Zusammen mit der traditionell eng begrenzten Menge der poetologisch brauchbaren vehicleBereiche garantiert diese Unumkehrbarkeit erst die grundsätzliche Deutlichkeit jeder poetologischen Metapher. Nie ist zweifelhaft, wann metaphorisch gesprochen wird und wann proprie. So wird das potentiell ‘wilde’, d. h. in seiner Wirkung schwer zu kalkulierende, Phänomen der Metapher gewissermaßen domestiziert (vgl. oben 234): Hier liegen offenbar ungeschriebene Gesetze vor,11 die erst der moderne Theoretiker überschreitet (vgl. 225 Anm. 86). 6.2.2 Zum Rezipienten poetologischer Metaphorik Was muß der zeitgenössische Rezipient einer poetologischen Metapher wissen, damit die Prozesse eintreten, die ihr Autor intendiert hat? Rechnet der Dichter in den von uns untersuchten Fällen mit einem hohen literarischen Niveau seiner Leser oder Hörer? Welche Konsequenzen ergeben sich aus unserem Material für die Fra­ ge nach den intertextuellen Beziehungen der von uns am intensivsten untersuchten Autoren, Pindars, Aristophanes’ und des Kallimachos? Alle drei artikulieren sich zwar in poetologischen Metaphern, deren vehicles ähnlichen Bereichen zugehören, doch nie sind die Parallelen so evident, daß ein direkter Bezug sicher erscheint. Aristophanes hat Pindar mit Sicherheit gekannt, doch gilt sein metaphorischer Spott eher der Gattung als einem spezifischen Dichter.12 Kallimachos kannte Pin­

8 9 10

11 12

entstehende Fachsprache seiner Zeit, sondern ebenso die alte poetologische Metaphorik seiner Dichterkollegen. So lösen sich auch O ’SULLIVANS Probleme (Stylistic Theory 123 Anm. 112), der sich fragt, wie „[the] first instance o f so many metaphors (especially in literary criticism)“ ein Parodist sein könne. Parallelen finden sich bei anderen Komikern: Vgl. O liv a Parodia 30 zu Antiphanes. Diese Tendenzen sind auch an anderen Metaphemtraditionen zu beobachten: Allgemein dazu COOPER bei Gordon Mysteries 119 und WEINRJCH bei KRUMMEN Pyrsos 49. Beispielhaft ist die Fehleinschätzung von THOMAS New Comedy 181: Gerade die poetologi­ schen Passagen des Kallimachos beruhen auf der metaphorischen Tradition. Die einzige mir bekannte Ausnahme bilden die in der Appendix behandelten Beispiele. Die in diesen erzeugte Komik allerdings basiert natürlich wieder auf der prinzipiellen Unumkehrbar­ keit von tenor und vehicle. Diese άγραφα νόμιμα des Metaphemgebrauchs nennt SEARLE Metaphor 108 „shared strate­ gies on the basis o f which the hearer can recognize that the utterance is not intended literally.“ MOST Measures 13 mit Anm. 14 behandelt die direkten Pindaranspielungen und -zitate bei Aristophanes (mit Literatur). Pauschal LEVER Poetic Metaphor 222.

244

6 Schlußbemerkungen

dar mit ebenso großer Sicherheit:13 Unsere Untersuchungen haben allerdings ge­ zeigt, daß selbst die vermeintlich engste Parallele zur Wegmetapher des Aitienprologs, die Polarität zweier Wege in Pindars Paian 7b, nicht an die Vielschichtigkeit der kallimacheischen Verse heranreicht. Diese schließen in der Komplexität ihres Allusionscharakters die Festlegung auf einen einzigen Bezugstext geradezu aus. Zwar erinnert manches bei Kallimachos an Pindar,14 doch geht der hellenistische Dichter nicht in der Beziehung auf seinen spätarchaischen Vorläufer auf. Mit Ari­ stophanes und der attischen Komödie überhaupt war Kallimachos gleichfalls durch seine literarhistorischen Arbeiten vertraut,15 aber auch hier verhindern, wie oben vor allem zum quantitativen Maßstab festgestellt werden konnte, stets gravierende Differenzen die Identifikation eines direkten Anspielungsverhältnisses.16 Wir wis­ sen schließlich nicht, welche Bildlichkeit die zahlreichen anderen Komiker in ihren poetologischen Stücken verwendeten.17 Die Frage nach einer ‘Quelle’ poetologi-

13

D as Σ zu Pindar P. 2 ( 2 .3 1 .8 - 1 4 DRACHMANN = K allim ach os F 4 5 0 P) berich tet, daß K a lli­ m achos d iese O de als Ν ε μ ε α κ ή bestim m t habe: V g l. MOST M easu res 6 4 m it A n m . 2 2 f. In e i­ ner ähnlichen W eise w ar K allim ach os auch am D efm itio n sd isp u t über die G attung der Kas­

sandra des B a k ch y lid es b eteiligt (F 2 9 3 SH ). D azu v g l. G el z e r Lyriker 137, FÜHRER E pinikien 3 3 - 3 8 , PARSONS Identities 168.

14

Schon früher hat man Pindar und Kallimachos gern zusammengestellt: N e w m a n Pindar & Callimachus 170 Anm. 5 zitiert Palladas, Tertullian, Pindars editio princeps und Milton. Die Fraktion von Philologen der jüngeren Vergangenheit, die Kallimachos in seinen poetologi­ schen Metaphern generell dominanten Pindarbezug unterstellen, ist stark: S m il e y Callima­ chus’ Debt 47^18 (Aufzählung biographischer Gemeinsamkeiten, die heute meist skeptischer beurteilt werden); SNELL Entdeckung 319 Anm. 6; N a n n in i Lirica Greca 73; N e w m a n New Poetry 45; G e l z e r Lyriker 139; POLIAKOFF Nectar 41 Anm. 1; N e w m a n Pindar & Callima­ chus 179 (zu λεπ τός), 181: „He [scil. Pindar] lends to Callimachus both images and attitu­ de.“; c r a n e Tithonos 276-8 Anm. 26; L l o y d -J o n e s Miscellany 58; BING Well-read Muse 97; F ü h r e r Epinikien 14-15 Anmm. 17-19 (zur Geschichte des Kallimachos-PindarVergleichs), 15-17, 224, 259.

15

Kallimachos hat auch die Komiker in seinen Πίνακες klassifiziert: P feiffer Klassische Philo­ logie 163-64 zu Aristophanes, Menander, Alexis und Diphilos. Die Suda (= T 1.16-17 P) be­ richtet von einem Spezialverzeichnis dramatischer Didaskalien: Vgl. dazu NESSELRATH Mitt­ lere Komödie 173 Anm. 67 mit Material, der 172—76 diese Fragen ausführlich erörtert. SUSEMIHL Geschichte (wie oben 97 Anm. 323) 1.426 Anm. 88 vermutet in Kallimachos sogar den Urheber der terminologischen Dreiteilung der Komödie: N e s s e l r a t h Mittlere Komödie 172-73 äußert sich dazu allerdings skeptisch.

16

A uch hier artikuliert sich die F orschung b isw eilen m it befrem d en d er Sicherheit: CAPOVILLA C allim aco 2 .3 5 8 , 3 6 0 -6 1 ; RUSSELL C riticism 22; MUREDDU C ritica 85; PFEIFFER K la ssisch e P h ilo lo g ie 173; C l a y m a n O rigin s 2 8 - 3 4 ; CAMPBELL N o te s 4 6 ; DEFOREST C allim ach ean E pic 2 6 , 3 5 . M it gesu n d er S k ep sis D o v e r F rogs 33 A n m . 65: „ [...] it is n ot surprising i f tw o p eo p le talking about sim ilar th in gs u se sim ilar w o rd s.“

17

Antiphanes F 189 PCG und Aristophanes (F 466-67 PCG) haben eine Ποίησις geschrieben Alexis Ποιηταί (F 187f PCG) und Ποιήτρια (F 189 PCG), Biottos, Platon comicus und Phoinikides einen Ποιητής (vgl. Ka s s e l / A u s t in ad Biottum TI PCG), Phrynichos Μοϋσαι (F 3 2 36 PCG), Platon comicus außerdem Λάκωνες ή Ποιηταί (F 69-75 PCG). Zu weiteren Stücken der Alten Komödie, in denen Literarkritik begegnet sein könnte, vgl. ATKINS Criticism 1.22f. Für alle diese Stücke jedenfalls ist mit poetologischer Metaphorik zu rechnen. Schon zwischen den Stücken des Aristophanes und den erhaltenen Komikerfragmenten fallt die Parallelität der

6.2 Übergreifende Fragen

245

scher Metaphorik also, einem eindeutig zu lokalisierenden und ausschließlichen Prätext, erweist sich aus rezeptionstheoretischem Kalkül für Aristophanes,18 aus poetologischem für Kallimachos als unangemessen. Als Mittel der Rezeptions­ steuerung werden in der Regel bloß generische Anspielungen eingesetzt,19 die as­ soziativ auf bestimmte Gattungen verweisen. Um ein Funktionieren wenigstens der von Kallimachos intendierten Rezeptionsprozesse innerhalb der poetologischen Passagen zu gewährleisten, müssen die Kenntnisse des Lesers wahrscheinlich bei weitem nicht so stupend gewesen sein, wie allgemein angenommen wird. Der Ver­ breitung des kallimacheischen (Euvre scheint seine Allusivität ohnehin nicht im Wege gestanden zu haben.20 Da Kallimachos wohl selbst eine sammelnde Ausgabe seiner Werke bearbeitet hat (vgl. oben 59f), muß er mit einem größeren Rezipien­ tenkreis gerechnet haben. Weil nun poetologische Metaphorik die Aufgabe hat,

18

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20

vehicles auf: Nichts berechtigt zu dem Schluß, etwa der Flußvergleich oder das Waagenbild hätten sich nur bei Aristophanes gefunden. Dazu D o v e r Criticism 6, 11 der zu Recht darauf hinweist, daß Aristophanes schon wegen seines heterogenen Publikums generische Allusionen bevorzugen mußte, deren Komik man verstehen konnte, ohne die betreffenden Prätexte genau zu kennen. Treffend dazu schon UGOLINI Critica letteraria 217: „Inoltre la critica che Aristofane offre a’ suoi spettatori non esige molta cultura per esser compresa: sono, in fondo, i criteri con cui anche oggi le sartine giudicano i romanzi e le donnine pie i predicatori.“ Zu ähnlichen Schlüssen kommen die Un­ tersuchungen, die anhand der παρατραγωδία die Tragikerkenntnisse des aristophanischen Publikums untersuchen: z. B. W . SEDGWICK, The Frogs and their Audience, CIMed 9 (1947) 1-9; R. HARRIOTT, Aristophanes’ Audience and the Plays o f Euripides, Bulletin o f the Institu­ te o f the Classical Society 9 (1962) 1-8; P. WALCOT, Aristophanic and other Audiences, Greece & Rome 18 (1971) 35-50; L. WOODBURY, Aristophanes’ Frogs and Athenian Liter­ acy: Ran. 5 2 -3 , 1114, TAPhA 106 (1976) 349-57. Für den Bereich der Lyrik zeigt SILK Lyric Poet 102-108, 125, 134, 142 überzeugend, daß sich die aristophanische Lyrik meist auf die Chorlieder der Tragiker und auf diese nur über deren generische Gemeinsamkeiten bezieht. FÜHRER Epinikien 39, 60 Anm. 201, 98 Anm. 371, 101-03, 128-134, 179, 195, 201, 204 zeigt unbeabsichtigt am Beispiel der kallimacheischen ‘Epinikien’, daß der kallimacheische Rückgriff auf die Chorlyrik weit überwiegend über Topoi auf die Gattung, nicht auf Einzel­ texte erfolgt. Dagegen sind eventuelle wörtliche Bezugnahmen selten: Vgl. ebd. 128ff. M. R. LEFKOWITZ, First-Person Fictions. Pindar’s Poetic Τ’, Oxford 1991, 158 „Callimachus’ echoes o f Pindaric phrases have a concreteness that is lacking in the original but is present in the scholia [...]“ beschreibt den Sachverhalt treffend (leider ohne weitere Ausführungen). Die archäologischen Rezeptionsfakten weisen in eine ähnliche Richtung, worauf kürzlich PARSONS Identities 157 erstmals deutlich hingewiesen hat: „It was the charge o f the nineteenth century that these learned professions wrote only for urban coteries. That is not wholly true: If we dip into the Egyptian rubbish dumps o f the third century, we can see what circulated in the Hellenistic backwoods.“ Der von H. C. YOUTIE, Callimachus in the Tax Rolls [1970], in: ders., Scriptiunculae II, Amsterdam 1973, 1035-41, besonders 1039ff beschriebene Rezepti­ onsfall (ein Steuerbeamter in Karanis übersetzt spaßeshalber ägyptische Namen ins Griechi­ sche, Π ανπΐν mit άνδίκτης, das er direkt der Victoria Berenices [F 259.33 SH] entnommen haben muß), bestätigt die Verbreitung des Kallimachos (wenn auch erst für 171-175 AD). Aus anderen Blickwinkeln erschüttern HUTCHINSON Poetry 5-7 und KYRIAKOU Hapax legomena 9 mit Anm. 4 die traditionelle Auffassung: Zu dieser vgl. z. B. WlMMEL Kallimachos in Rom 71, der als Adressaten ein „Forum von brennend interessierten Kunstsachverständigen“ annimmt, oder CAPO VILLA Saggi 77 mit Anm. 1.

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6 Schlußbemerkungen

möglichst jeden denkbaren Leser zu beeinflussen, nicht nur den Grammatiker,21 ist dies ohnehin wohl nicht der Ort, an dem man definitiv Intertextuelles erwarten sollte.22 Die Forschung ist hier verständlicherweise meist der Suggestivität einer Überlieferung verfallen, die die kümmerlichen Reste stets verwandt erscheinen läßt. Daß bei diesen Gattungs- und Stimmungsevokationen im Werk des Kallimachos die Chorlyrik präsenter ist als die Alte Komödie, ist evident: Einerseits spielt elaborierte Poetologiemetaphorik dort überhaupt eine größere Rolle, ande­ rerseits vermochte Kallimachos die Pose des lyrischen Ich seiner eigenen Rolle leicht zu parallelisieren.23 Sichere intertextuelle Beziehungen zwischen unseren drei Dichtern jedoch, die über diejenigen allgemeiner Art (ähnliche veÄ/c/e-Felder etc.) hinausgehen, die stets zwischen annähernd gleichzeitig existierenden Gattun­ gen herrschen oder sich im Rückgriff auf gleichzeitig rezipierte einstellen werden, lassen sich in ihrer poetologischen Metaphorik nicht nachweisen. Der Schluß hegt nahe, daß sie nicht beabsichtigt gewesen seien. 6.2.3 Zum ‘Programm’ des Kallimachos Immer wieder liest und hört man von dem poetologischen ‘Programm’ des Kallimachos oder gar der Alexandriner’: Als Klassifikation der von uns untersuchten poetologischen Äußerungen besonders des Kallimachos ist aber der Begriff des ‘Programms’ ungeeignet und irreführend.24 Was uns im Aitienprolog oder am Schluß des Apollonhymnus vorliegt, ist bestenfalls als metaphorische Reaktion auf eine poetologische Debatte einzuschätzen, deren unmetaphorischer Gehalt sich unserer Kenntnis leider weitgehend entzieht. Abgesehen von den diskreditierten 21

Wenn Philikos (F 677 SH) seinen metrisch gewagten Demeterhymnus den γραμματικοί widmet, so kann man daraus nicht den Schluß ziehen, nur für diese sei er geschrieben- Vgl auch R ie d w e g Reflexe 124.

22

Natürlich ergibt sich bei Betrachtung mancher der unpoetologischen Passagen kallimacheischer Gedichte ein anderes Bild. Trotzdem bedarf die herkömmliche Sicht, die Kalli­ machos ausschließlich ein hochgelehrtes Publikum zuweist, der Korrektur. Ansätze dazu er­ gäben sich z. B. aus Z ä n k e r s Idee (Nature 141-145), eine identitätsstiftende Funktion für alexandrinische Griechen hinter den Gedichten des Kallimachos und seiner Zeitgenossen zu vermuten (doch vgl. oben 169 Anm. 163), oder aus der Frage nach den politischen Motiven ptolemäischen Mäzenatentums, das ja doch gewiß irgendeine Breitenwirkung entfalten wollte. BULLOCH Difference & Dissonance 3 3 2 trifft mit seiner Bemerkung über die Beziehung zwi­ schen Kallimachos und Pindar „Callimachus spotted an artistic soul-mate, not a literary mo­ del.“ wahrscheinlich das Richtige, PARSONS Identities 169 dagegen nimmt die Quantitätsbe­ griffe bei Kallimachos wohl zu wörtlich. Eine flüchtige Durchsicht des Materials ergibt neben ‘Programm’ z. B. folgende synonyme Begriffe, die ebensowenig treffen: „canone estetico“ (C a p o v il l a Callimaco 1.104), „fermo credo estetico“ (PERRINO Poetica 35), „poetische Theorie“ (KOSTER Epostheorien 114), „critical pronouncement“ (CLAYMAN Origins 27), „aesthetic theory“ (BING Well-read Muse 46), „literary theories (L l o y d -JONES Miscellany 60), „Dichtungsprogramm“ (L a t a c z Plap­ permäulchen 82), „declarations o f stylistic loyalty“ (O ’SULLIVAN Stylistic Theory 7), „teorie estetiche (L e u r in i lone 12 Anm. 14), „‘manifesto’ della nuova poetica“ (PRETAGOSTINI Tuonare 617). Meines Wissens der einzige, der den Begriff ‘Programm’ überhaupt reflektiert (für Pindar), ist B e r n a r d in i Programma 80-81, ähnliches für „Theorie“ bei B a l a s c h Teoria poetica 372 Anm. 14.

23

24

6.2 Übergreifende Fragen

247

πολλαί χιλιάδες der fiktiven Telchinenpolemik (bzw. der όλιγοστιχία als Aus­ gangspunkt der kallimacheischen Refutation) und ihrem zweischneidigen Begriff άεισμα διηνεκές enthält die Gesamtheit aller poetologischen Aussagen des Kallimachos keinen unmetaphorischen Begriff25 Und selbst in diesen beiden Fällen ist die Funktion dieser beiden unmetaphorischen Ausdrücke genau dieselbe wie die der poetologischen Metaphern: Es geht erkennbar nur um Sympathielenkung. Von einem Programm im Sinne der Propagation abstrakter Dichtungs- oder Ästimationsnormen kann also nicht die Rede sein: Eine metaphorische Poetik ist aber un­ sinnig, wenn ihr keine verbindliche, unmetaphorische Begrifflichkeit vorausgeht, weil sie sich ja durch ihre Metaphorizität jeder Funktion berauben müßte, die in der Kommunikation normativer Konzepte liegt. Eine solche Terminologie hatte zwar der Peripatos geliefert, doch bezieht sich die kallimacheische Metaphorik offenbar gerade auf dessen einfache Maximen substantiell nicht (vgl. oben 21 Iff). Nun mag Pindar noch keine andere Möglichkeit gehabt haben, als sich metapho­ risch auszudrücken:26 Kallimachos dagegen hat sich dieser terminologischen Mög­ lichkeiten offenbar bewußt nicht bedient. Exuberante Metaphorik zeichnet erst die spätere rhetorisch-poetische Theorie aus, die im Fall des Ps.-Longinos gelegentlich sogar als Kallimachosrezeption erweislich ist. Ältere Traktate wie die aristoteli­ sche Poetik oder Rhetorik dagegen sind ausgesprochen metaphemarm, noch Philo­ dems Schriften bieten dasselbe Bild. Kallimachos will also nicht abstrakt über lite­ rarische Kunstformen diskutieren. Fragt man, welchen Sinn seine Metaphern dann haben, so lautet die Antwort einfach: Kallimachos versucht mit seinen Metaphern, auf die Rezeption des dem Leser aktuell vorliegenden Gedichtes Einfluß zu neh­ men. Die kallimacheische Metaphorik zielt über konnotativ gelenkte Rezeptions­ prozesse auf den Effekt einer konkreten poetologischen captatio benevolentiae. Bei der Lektüre des Aitienprologs spürt das Publikum schon vor der Rezeption des eigentlichen Werks, wie gut es ihm gefallen wird. Dieser Effekt ist eingetreten und tritt noch heute ein, wie verschiedenste Rezeptionszeugnisse zeigen. Daß Kalli­ machos natürlich bestimmte Vorstellungen von geglückter und von mißglückter Dichtung besaß, soll nicht geleugnet werden: An den einzelnen stilmetaphorischen Oppositionen wird es deutlich genug. Doch sind seine poetologischen Metaphern offenbar nicht der Ort, diese Vorstellungen zu reflektieren.

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Pace O ’SULLIVAN Stylistic Theory 4 („‘Connotation’ rather than ‘denotation’ is the mode o f ancient critical language“) kann man die Poetologiemetaphem des Kallimachos nicht mit den metaphorischen Prägungen der rhetorischen Traktatliteratur vergleichen: Jenen kennzeichnet der Wille zur radikalen Metapher, diese verwenden neben geprägten termini technici auch harmlose, meist verbale Metaphern, die oft einen hohen Anteil lexikalisierter Metaphorik aufweisen.

26

BOWRA Pindar 14.

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6 Schlußbemerkungen

Appendix: Die reversible Kochmetapher Alle von uns untersuchten Metaphern waren diachron irreversibel, d. h. zu keinem Zeitpunkt der gesamten poetologischen Tradition konnte man die Umkehrung von vehicle und tenor der poetologischen Metapher beobachten: Weg und Wagen, Wasserfluß und quantitativer Maßstab dienen stets zur Verbildlichung poetologischer Gehalte, nie metaphorisiert umgekehrt etwa ein Gedicht das Fließen eines Baches. Diese Erscheinung findet sich einzig in der hellenistischen Komödie: Auf­ bauend auf exzessiven Essens- und Zubereitungsmetaphem für Rezeption und Produktion von Dichtung in der Alten Komödie27 kann plötzlich der umgekehrte Fall eintreten, daß Musiker und Musik oder Dichtung und Dichter zur metaphori­ schen Beschreibung des Kochs avancieren. Bei Athenion (Σαμόϋρακες F 1.31 PCG) „stimmt“ der Koch ein Gericht: διεγίγγρασ’ seil, οϊνω.28 Hegesippos läßt in seinen 'Αδελφοί den Koch τούπτάνιον „komponieren“ (άρμόσωμ’, F 1.19 PCG) und Machon gibt einen regelrechten Vergleich von Würzen und Stimmen eines Instrumentes ( Επιστολή F 2.9-11 PCG: ώσπερ λύραν έπίτειν’, εως

27

28

Wahrend bei Pindar eher der κρατήρ Μ ουσών, also das feierliche Trinken, im Vordergrund der Metaphorik steht (dazu STONEMAN Ploughing 129, außerdem vgl. Pyth 9 103-105 Nem 3.76-79, Isth. 6 .1-3, 74-75, F 6b.(f)l SM, F 94b.76 SM, vielleicht F 1 2 4 a .l-2 SM μεταδόρπιον, F 354 SM άνοΐξαι π ίθον ϋμνων und Dionysios Chalkos F 1.1-2, 4; 4.1 IEG), kommt es in der Alten Komödie zu einer breiten Ausmalung der Speise- und Zubereitungsme­ taphorik: z. B. Alexis Λίνος F 140.15 PCG (όψ οποιός von Schauspieler), Antiphanes Αγροίκος F 1 PCG (Tragödie des Sophokles mit Anrichten einer Mahlzeit verglichen), Ari­ stophanes Ach. 665-678 (inhaltliche Rustikalität mit bäuerlichen Speisen verglichen),’^ « . 538-9 (Komödien des Krates haben Zuschauer immer gut gesättigt: Vgl. R oux Maitre d’isparu 259), Nub. 523 („auffuhren“ gleich άναγεύειν: nach T a il l a r d a t Images 440-41 § 7 5 4 al­ lerdings verblaßt), Vesp. 461-62 των μελώ ν τών Φ ιλοκλέους βεβρω κότες, 1019-20 εις αλλοτριας γαστέρας ένδύς κωμωδικά π ο λλά χέασθαι: Aristophanes über seine pseudony­ men Anfänge), Thesm. 162 ο ϊ περί άρμονίαν έχύμισαν (Agathon über Ibykos, Anakreon kaios), F 128 PCG (über Dichtungen, die in der Form von exotischen Speisen und Gewür­ zen aufgezählt wurden:) καταπυγοσύνη ταϋτ’ έστί π ρος κρέας μέγα, d. h. im Vergleich zu v f ika!em ‘ESSen’X F 162 PCG θ ερ ά π ευ ε Καί ™ v μονωδιών, F 158 PCG (die Σ θ ενελ ο υ ρήματα sind nur genießbar, wenn man sie mit Essig und Salz wurzt), Astydamas Ηρακλής Σατυρικός 60 F 4 TGF (= Adesp. com. 1330 CAF), Krates Λαμία F 21 PCG έπη τριπήχη Θετταλικώς τετμημένα (die Worte eines Dichters’sind so riesig wie die Fleischstücke, die die notorisch gefräßigen Thraker zuschneiden). Eine späte Ubeitreibung dieser Metapher bietet das jambische Proömialepigramm des Agathias (etwa 570 AD, AP 4.3.1 41), das aus einer einzigen riesigen Speisemetapher besteht. Ähnlich der Anonymus in AP 16.311.2 über die Halieutika Oppians: θήκατο πάσι νέοις ό'ψον άπειρεσιον. Die Thematik behandeln fur Aristophanes KOMORNICKA Remarques 274 und MÜLLER Verspottung 35-36 oberflächlich, sehr gut GOWERS Loaded Table 79-86, die das Material allerdings nur im Hinblick auf die römische Komödie diskutiert und auswäh’lt und so auf die metaphorische Struktur selbst nicht eingeht. Vgl. zum Instrument γίγγρας WEST Greek Music 92, 94 Anm. 67.

Appendix: Die reversible Kochmetapher

249

άρμοση, ε ίθ ’ όπόταν ήδη πάντα συμφωνεΐν δοκής [,..]).29 Das neue Selbstbe­ wußtsein des Kochs macht auch vor der Zunft der Dichter nicht halt: ούδέν ό μάγειρος τοϋ ποιητοϋ διαφέρει, läßt Euphron seinen Koch ausrufen (inc. fab. F 10.15 PCG) und beruft sich auf die Intellektualität beider Berufe: ό νοΰς γάρ έστιν έκατέρφ τούτων τέχνη (16). In einem perfekt ‘paralyrischen’ Charitenan­ ruf stellt ein Koch sein Fischgericht unter den Schutz der Chariten: ώ Χάριτες αίσι μελουσιν έψητοί (Eupolis Αιγες F 16 PCG). Die Komik dieser metaphori­ schen Umkehrung beruht einerseits auf der grundsätzlichen Unumkehrbarkeit der herkömmlichen Speisemetapher, andererseits gerade auf dem außerordentlichen Bildungskontrast, der gewöhnlich zwischen dem Koch (und Metzger) und dem Dichter besteht. Eine andere Spielart dieser Umkehrung bildet der gelehrte Koch, der seinen Herrn entweder durch die Aufzählung homerischer Glossen zum Wahnsinn treiben30 oder ausführlich aus Timotheos zitieren kann.31 Die AnimierRhesis des Kochs der Μέση wird in deutlicher Anlehnung an die Sprache des jün­ geren Dithyrambos gestaltet.32 Die Komik auch dieser Perversion hegt zuerst im Kontrast von Materie und sprachlichem Aufwand, die natürlich damit auch dem Dithyrambos selbst unterstellt wird, dann aber auch in der Umkehrung einer Meta­ phorik, die so herkömmlich war, daß man sie für unumkehrbar halten mußte. Die­ ses Spiel mit herkömmlicher Topik zeigt eine nicht geringere Souveränität im Umgang mit der Tradition, als man sie der alexandrinischen Avantgarde gewöhn­ lich unterstellt.

29

Weitere Beispiele dieser Metapher bieten Damoxenos Σύντροφοι F 2.49-54 PCG, Dioxippos Άντιπορνοβοσκός F 1.1 PCG, Nikomachos Ειλεώνia F 1.8-9 PCG ό'ψον ή γ ο ρ α σ μ έ ν ο ν /[...] σκευάσαντα μουσικώς und das Com. adesp. F 294k.3 -5 CGFP ο λ ο ν | Εύριπίδην | προς τοΐσι δ’ έμ β α λ εΐν αλας | μ[εμ]νη|μένος δ’ όπως | αλας καί μή λά|λας. Seltener ist der Ver­ gleich eines Kochs mit anderen angesehenen Berufen: Vgl. NESSELRATH Mittlere Komödie 303.

30

V g l. OLIVA Parodia 5 9 - 6 0 über den „ cu o co om erista“ Stratons.

31

Vgl. N e s s e l r a t h Mittlere Komödie 248M 9, 298-309 über die Entwicklung der Rolle des Kochs in der nacharistophanischen Komödie. Er sieht die αλαζονεία eher als „Versuch, die Kochkunst nachgerade zu einer hellenistischen Über-Wissenschaft zu steigern“ (Zitat 307) und beraubt sich dadurch des erheiternden Effektes, der in der Umkehrung einer eigentlich festen Topik liegt. N e s s e l r a t h Mittlere Komödie 257-58.

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Register

1 Begriffe

άγνός 112 Anm. 12. αγρυπνία 132f, 132 Anm. 112, 160. αδρός 178. άείδειν 120f, 196 Anm. 273. άεισμα 148, 148 Anm. 66 und 68, 213, 215, διηνεκές 143 Anm. 39, 217ff. άηδονίς, άηδών 200f. άκήρατος 49ff. άκρον ά'ωτον 114, 119f. αλαζονεία 249 Anm. 31. άλεισον 65. άληϋέστατον 172 Anm. 171. άλλότριος 69 Anm. 197. άμαξα 65. άμαξιτός/άμαξιτός 31 Anm. 44, 32, 64, 66, 67, 67 Anm. 191, 74 Anm. 216. άμουσος 194 Anm. 267. άνάτρησις 43 Anm. 91. άνδίκτης 245 Anm. 20. αποχετεύω 126 Anm. 83. άσελγής 162 Anm. 132. άσκησις 159f. Άσσύριος ποταμός 117f Anm. 36. άταρπός/άτραπός 64 Anm. 177, 74 Anm. 216, 78 Anm. 237. ά'τριπτος 64 Anm. 176, 66, 72 Anm. 207. αύτάρ έπειτα 220. βαθύς 66f Anm. 186. βάκχοι 83. βάρος 174 Anm. 183. βιβλίον 143f. βόσκειν 159 Anm. 115. βραχύς 136 Anm. 5. γιγαντομαχία 205 Anm. 312. γλώσσαργος 136.

γράμμα 144, 185. γραΰς 154 Anm. 96. δέλτος 150 Anm. 79. διηνεκές 154f Anm. 98, 209 Anm. 2, 215, 217ff, und D e Plantis 221 Anm. 69. δι’ όλου 222. διοχετεύω 126 Anm. 83. δίφρος 65. δορκαδίζειν 45. δρυς 154 Anm. 96, 229 Anm. 105. έλίσσειν 148. εν 213f, 217. έξείης 219 Anm. 55. έπισχερώ 219 Anm. 55. έπος τυτϋόν 148 Anm. 68. έπύλλιον 148 Anm. 68. εϋδιος 84, 85 Anm. 267, εύδίη 182. εύμνημόνευτον 186 Anm. 230. εύσύνοπτον 214. εύτρόχαλος 102 Anm. 342. εύφημεΐν 120f. ζωροποτεΐν 130 Anm. 105, 140 Anm. 27. ΟολοΰσΟαι 87 Anm. 278. Ούος 157f. ιππικός 190 Anm. 250. ίπποβάμων 139 Anm. 23. ισχνός 161 ff, 178, 223. κάθαρμα 87 Anm. 278. καθαρός 29 Anm. 34, 53, 54f Anm. 134, 84, 84 Anm. 267, 86 Anm. 277, 87, 87 Anm. 280, 112, 118, 126, 183. κατά λεπτόν 180f. κέλευΟος 64, 74 Anm. 216, 83, 101, άτριπτος 69 Anm. 198.

R egister

κισσΰβιον 65. κλαγγόν 199, κλαγγή 200 Anm. 289. κλυτός 67fAnm. 192. κόρος 136. Κορύβαντες 146f Anm. 58. κοϋφος 40f Anm. 78. κράμβη 128fAnm.97. κραυγάνομαι 200 Anm. 288. κυκλικός 56f Anm. 140. κύκλο βορεΐν 112. κωφός 175 Anm. 186. λειμών 49ff. λεπτός 71 Anm. 203, 72 Anm. 209, 156ff, und Gewebe 157 Anm. 108, bei Medizinern 170ff, Sophistenpolemik 175f. λήκυθος 193. λιγΰς 27, 136 Anm. 8, 194. λιμηρός 166. λιτός 223 Anm. 77. λόγος 48 Anm. 106. Λοκριστί 28. Λΰκιος 149 Anm. 72, 192. λύματα 118. μακρός 136 Anm. 5, 143f Anm. 44, 199. μέγας 139, 141, 143f Anm. 44, 223 Anm. 77. μέγεθος 152f Anm. 89. μελέτη 31. μελιχρός 201. μεταλαμβάνω 186 Anm. 231. μεταρδεύειν 123 Anm. 72. μήκος 22If. μικρολογία 152fAnm. 89. μικρότης 152f Anm. 89. μυρία κέλευθος 30f, 32f Anm. 48, 38, bei Nemesian 106 Anm. 359. μυρμηκίζειν 45, μύρμηξ 33 Anm. 50, 43, μύρμηκες 44 Anm. 93. μυστικός 86, λόγος 92, 92 Anm. 304, οίμος 85f. νάνος 154 Anm. 96. οϊμη 24ff. οιμος/οιμος 24f, 64. παίζειν 209 Anm. 3. παλαιός 31 Anm. 44. παρασύρειν 127 Anm. 85.

πατεΐν 65, 65f Anm. 183, πάτος 65f Anm. 183, 78 Anm. 237. παχύς 160ff, 185ff, οί παχέες 162 Anm. 134. πεζός 33 Anm. 50, 58ff, 61 f, 190 Anm. 250, und ύδροπότης 132 Anm. 116. πιθανόν 222 Anm. 74. πίων 162f, 165f. πλέκειν 230 Anm. 107. πνεύμα 193 Anm. 263. ποίημα 215, und ποίησις 215f Anm. 39. ποικιλία 214 Anm. 26. πολυείδεια 164, 220 Anm. 63. πολυστιχία 147. πόνος 98f, 98 Anm. 326, 141 Anm. 31, 142 Anm. 35. πόντος 120ff, und Homer 123ff. πούς 33 Anm. 50. πράξις 213. πρέπον 214. ρήσιες 156. σοφία 99, 148 Anm. 64. συγγελάσαι 210 Anm. 6. συγκεραυνόω 128 Anm. 94. συνεχής 152, 218 Anm. 51, συνέχεια 216. σύντομος 152, συντομία 137, 216 Anm. 42. σύντονος 132 Anm. 113. συχνός 83. σχοϊνος 148. σχοινοτενής 136. τέμαχος 124 Anm. 74. τέττιξ 115, 116 Anm. 31. τευτλίον 139 Anm. 21, 173 Anm. 176. τέχνη 148, 148 Anm. 64. τορός 186f. τρηχύς 106 Anm. 358. τριπτός 66 Anm. 184, 67f. ύδροποτεϊν 160, ύδροπότης 131ff. ύλη 207 Anm. 322. ύψος 190. ψιλός 60f Anm. 162. ψόφος 196. ψυχαγωγία 18 Anm. 35. 216 Anm. 45. ψυχρός 98 Anm. 327.

1 Begriffe Abbruchformel 30 Anm. 42, 31, 37 Anm. 67, 102, 102 Anm. 341, 109 Anm. 1, 138 Anm. 16, in erotischem Kontext 138 mit Anm. 18. Adlermetapher 116 Anm. 31. Agrypnia 132 Anm. 114. Aischylos: und Homer 124. Aitien: Aufbau 59 Anm. 152, zweite Edition 59 Anm. 152, 86f Anm. 277, 105, und la m b o i 59, 59 Anm. 151, 59 Anm. 152, 166. Aitienprolog: Einheit 70, 199 Anm. 287, Funktion 12, 22 Anm. 4, 145, Über­ gang zum Som nium 21 f Anm. 1. Aitiologie: und λεπτότης 188 Anm. 238. Akrostichon 182f. Akusmata 72ff, 79ff. Allegorese 228ff, historische 109 Anm. 2, poetologische 123, und Dekonstruktion 231 Anm. 114, und Unbe­ stimmtheitsgrad 230, von Akusmata 80. Allegorie 74 Anm. 217, 132 Anm. 114, 156, personifizierende 201, und Kallimachos 233. Allusion, generische 202, 245, 206, und Metapher 206. Ameisengang 33 Anm. 50, 42, 44 Anm. 94, 45 Anm. 96, 176. Anachronismus 178, des Rezipienten 167. Anagramm 184 Anm. 219. Analogieschluß, metapoietischer 230ff. Animierrhesis 249. Anreicherung: des vehicle 46, 53. Antimachos: A rtem is 154 Anm. 96, im Aitienprolog 154f, 203 Anm. 303, Lyde 154 Anm. 98, 155, 179, 185ff, 186 Anm. 231, 210, Sammlungstitel 156. Apollonhymnus: Datierung 193 Anm. 260, Einheit 109. Apollonios Rhodios: und Kallimachos 121 Anm. 59, 219 Anm. 57, 230 Anm. 108, und Medizin 169 Anm. 161, und Ps.-Longinos 126, und Zenodot 219 Anm. 57.

273

Apollonparainese 21, 23, 62ff, 70, 91, 93? 100, 105, 115, Einheit 159, und Branchos 166 Anm. 152. Arat: Gedichtsammlung 181f, und He­ siod 181, und Homer 197 Anm. 278, und Iatrika 169 Anm. 161, und Kalli­ machos 179ff, 184, und Leonidas von Tarent 182 Anm. 214, und Praxiphanes 213 Anm. 21, und Ps. Longinus 127, 213 Anm. 21, und Vergil 184 Anm. 219, und Zetematik 184. Archelaos von Priene 122 Anm. 66. Archilochos: und Kallimachos 130, 161 Anm. 131. Aristophanes: und Fachsprache 242f Anm. 7, und Homer 116, 207 Anm. 321, und Kallimachos 174, 176, 196 Anm. 273, 244f, 243, und Publikum 113. ‘aristophanisch’ 140, 152. Aristoteles: und Aristophanes von By­ zanz 211 Anm. 12, und Kallimachos 118 Anm. 37, 222f. Armut: poetologisch 165, 165f Anm. 149, 166 Anm. 151. Ästhetik, unpoetologische: bei Kalli­ machos 141, 145. Athlet: und Poet 29, 35. Baumetaphorik 191. Berenike-Aitien 59 Anm. 152. Bergpredigt 96. Biene 114f, und Dichter 115 Anm. 21. Bildervermischung 15 Anm. 23. Biographismus 109ff, 145 Anm. 55, 150f Anm. 81 f, 154f Anm. 98, 164 Anm. 142, 165 Anm. 147, 195 Anm. 269. Boethos: ‘Ganswürger’ 145 Anm. 52. Boio: O rnithogonia 181 Anm. 210. bookish age 60, 60 Anm. 155. Branchos'. und Apollonparainese 166 Anm. 152. brevitas- Formel 136 Anm. 5. Buchformate 144. captatio benevolentiae 47 Anm. 101, 151,247. Choirilos: und Geranomachie 202f. Chromatik 43, 43f Anm. 92. correction 120 Anm. 51.

274 cultural agoraphobia 223f. d ea d m etaphor 15 Anm. 22, 175 Anm.

184. Dekonstruktion: und Allegorese 231 Anm. 114, und Metapher 225ff. Dekontextualisierung: der Metapher 39. Delos 228. Demetrios Lakon 211 Anm. 11. Demosthenes: Vita 129f, 131. Dichter: und Koch 248f. Dichtersprache, indogermanische 23ff, 111, 158 Anm. 113, 158 Anm. 114, 191 Anm. 254. Dichterweihe 90, Gegenstandsübergabe in 90 Anm. 293. D idache 96. Diesseits-Hades 96 Anm. 318. Digression 29, 32, 37, 137 Anm. 13. Digressionsstil 221 Anm. 68. Dionysii: im Scholium Florentinum 146 Anm. 58. Dithyrambiker 40f, 43, 50 Anm. 115, 128 Anm. 95, 136, 173 Anm. 177. Dithyrambos: und Koch 249. Doidalsas: ‘kauernde Aphrodite’ 164 Anm. 141. Donnermetapher 142, 196. Dreiervergleich 192. Efeu 55, 55 Anm. 136. effetto deepicizzante 220 Anm. 66. Ekphrasis 23Iff. Elegie, hellenistische 154f Anm. 98. Elitarismus 93, 101 Anm. 337, religiöser 88 Anm. 283. Empedokles: und Pindar 73 Anm. 214. epic voice 102, 224 Anm. 83. Epigonie: Pose der 46, 46f Anm. 101. Epigramme, griechische: in Rom 132 Anm. 117. Epimenides 90 Anm. 292. Epiphanie 91, akustische 91, 105. Epiphanietopik 120f. Eposparodie 145 Anm. 52, 205 Anm. 311, 205 Anm. 313. Eratosthenes: und D e O ssibus 169 Anm. 161, und Neoptolemos 216, und Ps.Longinos 126. Ergänzungsspiel 137fAnm. 16. Erwartungshorizont 145 Anm. 57.

Register

Esel 22 Anm. 1, 146 Anm. 58, 160 Anm. 124, 172, 194f, und Teichinen 220 Anm. 63. Euphrat 117f Anm. 36. Eustathios: und Kallimachos 106ff, 106 Anm. 361 f. Evidenz 232. Fachbegriff: Kriterien 170 Anm. 164, medizinischer 169ff. Fasten 159. fa stid iu m -F orm e\ 136 Anm. 5. Feigen: -kauen 164. Fertilitätsmetaphorik 117. fe r v o r C allim acheus 11,12 Anm. 5. Fettleibigkeit 161 ff, Bilddarstellungen 164 Anm. 141, erotisch 163f, verurteilt 17Off. Feuermetapher 233 Anm. 129. Fische: stimmlos 194. Florentiner Scholiast 146, 146 Anm. 58. Flußmetapher 113, 125 Anm. 77, 127. Fußgänger 58f. Galaton 124f. Gattungspolemik 42, 45f, 100, 106. Gebärmetapher 173 Anm. 177. Geierflugmetapher 116 Anm. 3 1. Gerania 203 Anm. 303. Geranomachie 200ff, Bildzeugnisse 203f, und Choirilos 202f, und homeri­ sches Gleichnis 203f. Geschmacksmetaphern 18, 201 Anm. 294. Gewichtsreduktion 171 ff. Gigantomachie 205 Anm. 312. Gleichnis 13, homerisches: und poetologische Metapher 113, 116, 116 Anm. 31, 124, 206. Glossen, homerische: und Pindar 119f. Goldblättchen: und Parmenides 84, 84 Anm. 263, 85 Anm. 270, 90, und Poseidippos 86 Anm. 274. Grabepigramme 86 Anm. 273. Grammatiker, alexandrinische 144. Gryllos 204 Anm. 307. Hadestopographie 98, und Lebensweg 96. Handwerksmetaphern 18, 28 Anm. 33, 71 Anm. 204, 98 Anm. 326, 176, 188

1 Begriffe Anm. 238, indogermanisch 24 Anm 11. Hedylos: Kallimachoskommentator 133 Anm. 118, 146 Anm. 58, und Kallimachos 133 Anm. 118. Heiratsmetaphorik, poetologische 226 Anm. 90. H ekale: Prolog 11 Anm. 3. Herakleides Pontikos 211 Anm. 13. Hermesianax: Leontion 181 Anm. 210. Herondas: und Poetologie 193. ‘Herters Gesetz’ 150 Anm. 81, 152 Anm. 86. Hesiod: und Arat 181 Anm. 210, und Kallimachos’ A itien 71, 181 Anm. 210, und Kallimachos, und Religion 98, 98 Anm. 325. Hippolytos 50f, 51 Anm. 118. Hipponion 82ff. Holzfällermetapher 207 Anm. 321. Homer: Geltung 66. 69, 127, 191 f, im Hellenismus 122, und Arat 197 Anm. 278, und Aristophanes 207 Anm. 321, und Kallimachos 177 Anm. 191 f, und Nonnos 200 Anm. 290, und Oppian 200 Anm. 290, und Platon 123, und πόντος 123ff, 125 Anm. 77, und Ps.Longinos 127, 207, und Stesichoros 123, und Theokrit 207 Anm. 322, und Zeus 142, 196f. Homereia 122 Anm. 66. Honig 115 Anm. 26. Horaz: und Kallimachos 216f Anm. 45. Hybris, poetologische 197. Hymnusstruktur 110. Iam bor. und A itien 59, 59 Anm. 15lf, 166, und Prosa 61, 61 Anm. 164. iconym 119 Anm. 45. Inhaltspersonfikation 201. Inspirationsmodelle 98 Anm. 326. Intellektmetapher 172f, 186. Ion von Chios: und Kallimachos 127 Anm. 86. Irreversibilität: von tenor und vehicle 243, 248. Iteration 81,81 Anm. 249, 84, 89f, 96. Izibongo 37 Anm. 65. Jamben: prosanah 211 Anm. 14. Jenseitssonne 84f.

275

Jenseitstopographie 51, 118 Anm. 39. Jenseitsweg 81 f: poetologisch 85f, und Diesseits 95. Kallimachos: A itien, und Hesiod 181 Anm. 210, als Apollonpriester 119 Anm. 40, in Athen 149 Anm. 72, als Dramatiker 149 Anm. 72, und Gram­ matiker-Polemik 131 Anm. 110, ho­ mosexuell 164 Anm. 142, und Politik 246 Anm. 22, Popularität in Rom 132 Anm. 117, und Allegorie 233, und Apollonios Rhodios 121 Anm. 59, 219 Anm. 57, 230 Anm. 108, und Arat 179ff, 184, und Archilochos 130, 161 Anm. 131, und Aristophanes 174, 176, 196 Anm. 273, 244f, und Aristoteles 118 Anm. 37, 21 Iff, 222f, und De F latibus 169 Anm. 161, und Elegiker 192 Anm. 256, und Eustathios 106ff, 106 Anm. 36lf, und Hedylos 133 Anm. 118, und Herophilos 169 Anm. 161, und Hesiod 71, und Homer 116, 177 Anm. 191 f, und Horaz 216 f Anm. 45, und Ion von Chios 127 Anm. 86, und Klearchos 212 Anm. 16, und Lyde 186 Anm. 231, und Neoptolemos 215ff, und Parmenides 73f, 91, und peripatetische Rhetorik 178f, und Philitas 120 Anm. 50, und Pindar 67, 67 Anm. 187, 71, 88, 120 Anm. 50, 222 Anm. 74, 244, und Pindarscholien 107 Anm. 365, und Platon 115, 210f, und Poseidippos 86, 126 Anm. 80, und Praxiphanes 180 Anm. 203, 212, und Ps.-Longinos 125ff, 127f, 127 Anm. 86, und Pythagoreer 92 Anm. 299, und Religiosität 93 Anm. 307f, 118 Anm. 36, und Rezipient 245f, und Theokrit 192 Anm. 257, und Wein-WasserPolemik 131 Anm. 110, 13 Iff, und Zenodot 116 Anm. 30. Kallimachosrezeption: bei Asklepiades 10 3 f griechische 18, lOOff 103, la­ teinische 11 Anm. 3, \ 6 } 16 Anm. 29, 100 Anm. 333, im Lehrgedicht 104ff, bei Oppian 104f. Katabasis: des Herakles 89 Anm. 286, des Orpheus 92, epische 89f, orphische 84f, 89 Anm. 286, rituelle 89f.

276 Kenning 24f Anm. 15. Kindervergleich 148ff. Klassiker 47, 47 Anm. 102. Klassizismus 127 Anm. 87. Klearchos: und Kallimachos 212 Anm. 16. Koch: und Dichter/Musiker 248f. Kochmetapher 173 Anm. 178. Königsweg 101 Anm. 337. Kollektivgedicht 181 Anm. 210. Kontamination: des vehicle 99f, 120. Konterdetermination 120 Anm. 52, 225 ff. Kontextualisierung: der Metapher 26, 29, 34, 34 Anm. 56, 36 Anm. 61. Kontinuitätsmetaphem 111. Kratinos 113f. Kreuzung der Gattungen 102, 102 Anm. 339. Kritik, fiktive: 146f, in mhd. Dichtung 147 Anm. 61. Kronios 230. Ktisis-Dichtung 154 Anm. 96. Kunstmythos, poetologischer 145. Kürze, rhetorische 137 Anm. 15. Lautstärke: metaphorisch 122 Anm. 65. Lebensweg 30 Anm. 39, 64, 94ff, christlich 97, mittelalterlich 94 Anm. 313, und Hadestopographie 96. Lehrgedicht 46, 181, und Kallimachosrezeption 104ff, 104 Anm. 350. Leonidas von Tarent: und Arat 182 Anm. 214. Zyc/e-Kontroverse 104, 133 Anm. 119. Lykidas: Namenserklärung 192f. m acrocolla 144. Magerkeit 161 ff, ästhetisch 16Iff, häß­ lich 163, medizinisch 168ff. Maskerade 192f Anm. 259. Medizin: in Alexandria 169f, und Ari­ stophanes 174 Anm. 181, und Rhetorik 174 Anm. 183, Populär- 171 ff. Μ έ λ η 166 Anm. 152. m etafiction 102 Anm. 340. ‘Metametapher’ 62, 174 Anm. 183. ‘meta-narrativ’ 232 Anm. 120. Metapher: a cted 40 Anm. 77, com pari­ son view 16 Anm. 27, Definition 13 ff, domestiziert 234, 243, Gegenmetapher

Register 60f Anm. 162, implizite 102, inter­ action theory 17 Anm. 31, 242 katachretische 176 Anm. 188, kinetische 23, 27, lexikalisierte 15 Anm. 22, 70, 189 Anm. 244, 242, narrative 229ff, organologische 156 Anm. 106, Parodie der 42 Anm. 86, poetische: Definition 12f, poetologische: Definition 12, 13 Anm. 10, poetologische: Funktion 17f, poetologische: aus Lebens- 13Off, 132 Anm. 111, poetologische: und homeri­ sches Gleichnis 113, 116, 116 Anm. 31, 124, rejuvenating 46, 46 Anm. 100, 242 Anm. 7, substitution view 16 Anm. 27, topographical 60 Anm. 161, 190 Anm. 252, tot 175 Anm. 184, und Absurdität 242f, und Dekonstruktion 225ff, und generische Allusion 206, und Poetik 247, wilde 234, 243. Metaphemprägung 189. Metapherntheorie: aristotelische 13, hel­ lenistische 13fAnm. 15. Metaphemtradition 34, indogermanische 26 Anm. 24. Metapoiesis 109 Anm. 2, 224ff, und Rezitation 233 Anm. 128. Metatheatralität 40, 234 Anm. 133. Metonymie 13. μίμησίς Hesiods 181. Mirabilienliteratur 21 lf. Mnasalkes 124. Mnemosyne 76 Anm. 225. Motion: von Verbaladjektiven 67f, 67f Anm. 192. Muse: Bilddarstellungen 161 Anm. 126. Musenanruf 21 f Anm. 1. Musengespräch 59 Anm. 152. Musenmetonymie 158f, indogermanisch 158 Anm. 114. Musennamen: metonymisch 158 Anm. 114. Musenvögel 191. Musikmetaphorik 33 Anm. 50. Mysterienmetapher 52f, 55f, 86, 91, 93, 96, bei Parmenides 75f, 77f, poetolo­ gische 86 Anm. 275, 87. Nabengeräusch 27f. Nachruf 87f. Nachtarbeit 129ff.

1 Begriffe Nekyia, odysseische 89 Anm. 286, 90 Anm. 292, vergilische 89f. Nemesian: Griechenrezeption 106 Anm 359. n eo cla ssicism o : und Kallimachos 223 Anm. 76. Neoptolemos: und Eratosthenes 216, und Kallimachos 215ff, und Philodem 215 Anm. 36. Nikander: Akrostichon 184 Anm. 220, H etero io u m en a 181 Anm. 210. Nil 117, 126. Nonnos: und Homer 200 Anm. 290. Notenschrift 44. οιμος-Kenning 46, 65 Anm. 179, 100. Okeanos 124, und Homer 127 Anm. 88. Onomakritos 89 Anm. 286, 92 Anm. 303. Opferluxus 160 Anm. 125. Opfermetonymie 157f, indogermanisch 158 Anm. 113. Opfertier: fett 160ff. Opfervorschrift 156ff, religiöse 159. Oppian: und Homer 200 Anm. 290. op p o sitio in im itando 120 Anm. 51. Originalität 72 Anm. 207f, inhaltliche 72. Oromedon 191. Orphik: und Parmenides 76f. Para- und Peritexte 144 mit Anm. 51. παρατραγωδία 245 Anm. 18. Parmenides: als Pythagoreer 77, und Goldblättchen 73f, 84, 84 Anm. 263, 85 Anm. 270, 90, und Kallimachos 73f, 91, und Odyssee 76 Anm. 224, und Orphik 76f, und Pindar 75 Anm. 223, 89 Anm. 284. Parodie 166, 185. Perikope 110 Anm. 3. Personifikation 189: der Tragödie 173, von Buchtiteln 153ff, 180. Pflanzenmetaphorik 49, 49 Anm. 111. Pflügemetapher 227f. Philitas: D em eter 155 Anm. 101, mager 163, 168, und Kallimachos 120 Anm. 50, und Wein-Wasser-Polemik 131 Anm. 108. Philodem: und Neoptolemos 215 Anm. 36.

277

Philopator, Edikt des 92, 93 Anm. 309. Pindar: als Pythagoreer 78 Anm. 240, und Aristophanes 243, 244, und Empedokles 73 Anm. 214, und Ho­ merglossen 119f, und Horaz 114, und Kallimachos 54 Anm. 131, 66ff, 67f Anm. 187, 71, 88, 120 Anm. 50, 222 Anm. 74, und Parmenides 75 Anm. 223, 89 Anm. 284, und Xenophanes 73 Anm. 214. Pindarscholien: und Kallimachos 107 Anm. 365. ‘pindarisch’ 137 Anm. 13, 140, 151. Platon: und Homer 123, und Kalli­ machos 21 Of. Poet: und Athlet 29, 35, und Biene 115 Anm. 21. Poetik: und Metapher 247. Poetologie, philosophische 209ff: und Publikum 234, und Religion 197. πόνος-Konzept 98, 98 Anm. 326, 131, 132, 210 Anm. 6. p o p o lo m agro/grasso 162 Anm. 134. Poseidippos: und Aitienprolog 195 Anm. 269, und Goldblättchen 86 Anm. 274, und Kallimachos 86, 126 Anm. 80. Poseidonios 127 Anm. 89. Praxiphanes: und Arat 213 Anm. 21, und Kallimachos 180 Anm. 203, 212. Priamel 32, 56f. p rim a ry narrator 22. Produktionsästhetik 71, 71 Anm. 204: bei Pindar 136f. Programm 16, 188 Anm. 238. p ro lo g u s galeatus 151. Prostitution: der Muse 28 Anm. 32. Prudentius: P sychom achie 156. Ps.-Longinus: und Arat 213 Anm. 21, und Homer 207, und Kallimachos 125ff, 127 Anm. 86. Pseudopythagorika 91, 96 Anm. 319. Publikum: und Poetologie 234. Pulsrhythmen 45. Pygmäen 124. Pythagoreer: und Kallimachos 92 Anm. 299. Quantität, absolute und relative 213f.

Register

Quantitätsbegriffe: p ro p rie bei Kallimachos 137f, bei Theokrit 138, bei Aristophanes 139ff, im Aitienprolog 147ff, in arabischer Literaturkritik 148 Anm. 69, bei Pindar 135ff, 137 Anm. 11, im R gveda 137 Anm. 11, in Rhe­ torik 152. reader-response criticism 17 Anm. 34. Realismus 169: Sinn 169 Anm. 163. recusatio 67, 105. Remetaphorisierung 162, 178. Rennmetapher 233 Anm. 129. Rezeptionsästhetik: bei Pindar 136f. Rezitation: und Metapoiesis 233 Anm. 128. Rhetorik, peripatetische: und Kallimachos 178f, stoische 137, und Meta­ pher 247 Anm. 25. Ringkomposition 61f, 61 f Anm. 167. Rollenwickeln 148f, 148 Anm. 67. Rudermetapher 42 Anm. 86, 124. Rudern 226 Anm. 91. Schamanismus 76f, 77 Anm. 233, 89. Schiffahrtsmetapher 26 Anm. 24, 31 Anm. 45, 65 Anm. 179, 111,227. Schönheitsideal: antik 163ff, modern 167 ff. Schreibmetaphem 227f Anm. 96. Schriftlichkeit, konzeptionelle 148f, 149 Anm. 75, 210. Schützenmetaphern 28 Anm. 33. sensus p o eto logicus 231. Sexualmetaphorik 39 Anm. 72, 49f, 49f Anm. 113, 50 Anm. 115, 226f Anm. 91. sim bolism o etico/estetico 132 Anm. 111. σοφία-Konzept 210 Anm. 6. σώμα-Vergleich 162, 162 Anm. 136f, 170 Anm. 165, 178. Speisemetaphern 139, 248f. Spieltheorie 149, 149 Anm. 71, 209f. Sprichwort: als poetologisches vehicle 172, 172f Anm. 175. Stesichoros: und Homer 123. Strophenlied, indogermanisches 24 Anm. 12, 34. Sukzessionsmythos, poetologischer 197 Anm. 278. Süß- und Salzwasser 117.

Symbol 13. Sympathielenkung 17, 17f Anm. 35, 62, 100, 115, 146, 151, 159, 167ff, 182 Anm. 213. Tanz 36. Tau 131, 131 Anm. 109. Techno- und Technitographie 211 Anm. 13,212, 212 Anm. 19. Teichinen 145, 145 Anm. 56, 209ff, Historizität der 146, und Esel 220 Anm. 63, und οι πολλοί 215 Anm. 35, und Peripatos 213ff. τέμαχος-Schema 124ff, 193. tenor, absichtliche Unschärfe des 100, Definition 14. Terminologie, musikalische 43f, poetologische 70. T halysien : und die Wein-WasserPolemik 131 Anm. 108. Theokrit: und Homer 207 Anm. 322, und Kallimachos 192 Anm. 257. Theon 111 Anm. 4. Tierkriege, ägyptische 205 Anm. 313. Tiermetapher, poetologische 157f Anm. 111. Tithonos 195 Anm. 228. Titulustopik 142, 156 Anm. 104, 185. Topos ‘μυρία κ έλευθος’ 30f, 32 Anm. 48, 38, bei Nemesian 106 Anm. 359. Trinkapologie 128 ff. Trinkgebräuche, thrakische 140f. Trinkmetapher 248 Anm. 27, 65 Anm. 179. Unbestimmtheitsgrad: und Allegorese 230. Unsterblichkeit: durch Dichtung 55, 55 Anm. 135. veh icle : Definition 14. Verbalmetapher 111. Vision 91 Anm. 294. Viten 110, des Apollonios 109 Anm. 2. Wägemetapher 155 Anm. 100, 156 Anm. 103, 174 Anm. 183. Wagenbau 24 Anm. 11. Wagenmetapher 60, 139 Anm. 24. Wagenrennen 23ff, 41, 47, 103. Wassermetaphem, stoische 114 Anm. 19, strukturierend 112.

2 Stellen

Webemetapher 25 Anm. 17, 157 Anm 108. 229f. Weg, gerader 32, 98 Anm. 329. Wegmetapher: abbrechend 30, einleitend 30, im Prolog 46, 62ff, in der Tabula C ebetis 97 Anm. 323, modern 63 Anm. 172, Polarität zweier V^egbegriffe 63f, 64 Anm. 175, religiöse vehicles 72ff, strukturierend 73, tenor 72. Weidemetaphorik 61 Anm. 166. Wein und Wasser 56 Anm. 138, 141, 176 Anm. 191, 227, modern 133f.

279

Werkspersonifikation 199. Wickelmetapher 226 Anm. 88. Wiederbelebung: von Metaphern 189. w indow -reference 116. Xenokritos 27 Anm. 30. Xenophanes: und Pindar 73 Anm. 214. ΰλη: poetologisch 207 Anm. 321. Zagreus-Mythos 92, 92 Anm. 303. Zenodot: und Apollonios 219 Anm. 57. Zeus: und Homer 142, 196f. Zikade 195 Anm. 268. ζφον-Vergleich 211 Anm. 10, 214.

2 Stellen Fragmente und Pseudepigrapha werden nach den vollständig überlieferten Werken eines Autors aufgeführt, anonymes Scholien- und Vitenmaterial im Anschluß an den Bezugsautor.

AELIAN: N H 6.43 43 Anm . 87, 15.29 205

A nm . 311, V H 4 Α Ί 80 Anm . 246, 9.13f 163, 9.14 168 Anm . 160, 10.6 168, 12.64 69 A nm . 198, 13.22 125 Anm . 77. AETIOS (CMG 8.2): Iatr. 5.129 68 Anm . 195. ÄSOP: Fab. 195 Hausrath-Hunger 195 A nm . 269. AGATHIAS (A P ): Ep. 4 .3 .1 -4 1 248 Anm . 27, 5.289.4 130 Anm . 105. AISCHYLOS: P ers. 479 187 Anm . 233, 692 68 A nm . 196, 905 68 Anm . 196, 604, 609 187 Anm . 233, 699 187 Anm. 233, 870 187 Anm . 233, H ik e t. 181 27 Anm . 31, 196 187 Anm . 233, 274 186 A nm . 230, 187 A nm . 234, 629 68 Anm . 196, 694f 158 Anm . 114, 723 68 Anm . 196, 931 187 Anm . 233, 944 187 Anm . 233, A g a . 26 187 Anm . 233, 117 68 A nm . 196, 254 187 A nm . 233, 269 187 A nm . 233, 319 218 Anm . 57, 319 218 A nm . 52, 632 187 Anm . 233, 1062 187 A nm . 233, 1162 187 Anm . 233, 1296

137 Anm . 15, 1409 157 Anm . 110, 1584 187 Anm . 233, Cho. 32 187 Anm. 233, 741 187 Anm . 233, 765 14, E u m . 1038 68 Anm . 196, P ronu 765 68 Anm. 196. Σ From. 887 226 Anm . 91. Vita p. 331.14, 332.9 Page 178 Anm . 197. A l e x a n d e r v o n A p h r o d is ia s : Mixt.

223.12 Bruns 218 Anm . 51. A l e x i s (PCG): F 19.3f PCG 42 Anm.

85, 140.15 PCG 248 Anm . 27, 187189 PCG 244nl7, 223.7-9 176 Anm . 188. ALKAIOS (HE): Ep. 12.73-74 201 Anm. 294, 14.89 86 Anm . 273. ALKAIOS: F 3 0 7 c Voigt 201 Anm . 294. ALKMAN (PMGF): F 1.92 2 6 Anm . 24, 36 Anm . 62. AMPHIS (PCG): F 33.5f 176 Anm . 187, 41 129. ANAKREON (PMG): F 346.4-9 PMG 50 Anm . 113, 378 41 Anm . 80.

Register A n a x im a n d e r (FGH): 9 T 1 80 Anm .

247. A n a x i l a s (PCG): F 8 PCG 124 Anm.

75, 19 PCG 124. A n o n ym i : Ep. 9.187.1-2 AP 115 Anm . 21, 9.191.If AP 103 Anm . 344, 9.523 AP 115 Anm. 21, 9.540.1 AP 148 Anm. 68, 16.311.2 AP 248 Anm . 27, F 4 .17f CA 161 Anm . 131, 10.10.-16 CA 125 Anm . 77, F 382.1 CAF 218 Anm . 51, 695 CAF 195 Anm . 268, 1234 CAF 171, 1278 CAF 129, F 294k.3-5 CGFP 249 Anm . 29, F 106.3f GLP 148 Anm. 68, Ep. 36a. 1196f FGE 123, 134 FGE 132 Anm . 112, F 1008.1 PCG 144 Anm . 44, F 917c.3f PMG 72 Anm . 207, 923.4 PMG 227 Anm . 96, 947a PMG 115 Anm . 21, 964b PMG 201 Anm . 294, F 1027e PMG 57 Anm . 140, F 961 SH 1 2 5 / 979 SH 122 Anm . 66, F 990.2 SH 115 Anm . 27, F 996.8 SH 202 Anm . 302. ANTIGONOS (GPh): Ep. 1 .6 7 -7 2 131 Anm . 110. A n t im a c h o s (SH): F 78 186 Anm . 231, 79 114 Anm . 19.

(HE): Ep. 16.270 98 Anm . 326, 16.271-73 201 Anm . 294, 58.560f 153 Anm . 93, 58.566-67 201 Anm . 294, 58.566 132 Anm . 117, 200 Anm . 288, 66.640f HE

A n tip a te r

von

S id o n

187. A n t i p a t e r v o n T h e s s a l o n i k e (GPh): Ep. 3.87f 131 Anm . 110, 20.185-190

131 Anm . 110, 36.267-272 131 Anm . 110, 37.273-75 131 Anm . 110, 38.28H 64 Anm . 177, 38.282 132 Anm . 116. ANTIPHANES (GPh): Ep. 9 131 Anm.

110. ANTIPHANES (PCG): F 1 248 Anm . 27,

120.4 162, 189 47 Anm . 101, 189 244 Anm . 17. A n t o n i n u s L ib e r a lis : M etam . 16 205

Anm . 311.

APOLLONIOS RHODIOS: Argon. 1.463 148 Anm . 68, 1.545f 102 Anm . 343, 1.648f 219, 1.649 218 Anm . 51, 1.73067 231 Anm . 116, 1.845 102 Anm . 342, 1.847 218 Anm . 51, 1.847 219 Anm .

55, 1.858 158 Anm . 112, 1.1220 102, 2.46 102 Anm . 342, 2.161 102 Anm . 342, 2.314 218 Anm . 55, 2.391 218 Anm . 51, 2.391 219, 2.480 218 Anm . 51, 2.480 218 Anm . 55, 2.502 50 Anm. 114, 2.771 218 Anm . 55, 3.401 218 Anm . 51, 3.401 219, 3.708f 177, 3.761-65 169 Anm . 161, 3.874 67 Anm . 191, 3.889 1 02 Anm . 342, 3.932 121 Anm . 59, 4.450f 2 1 8 Anm . 55, 4.704-717 118, 4.891-921 196 Anm . 272, 4.891-921 230 Anm . 108, 4.907 102 4.1024f 50 Anm . 114, 4.1247 218 Anm . 51, 4.1247 218 Anm . 55, 4.1248 66 Anm. 183, 4.1755-64 109 A nm . 2. Σ A rgon. 1.763-64a Wendel 231 Anm . 117. Vita A a.8-12; b 7, 13f Wendel 109 Anm . 2, A b.5f 143 Anm . 44.

Ps.-Apollonios: Ep. 1.53f FGE = ll.2 7 5 .lf AP 87 Anm . 278, 121 Anm . 58. A p o l l i n a r i s v o n L a o d ik e ia : M etaphr. Psalm . 16.9 LUDWICH 69 A nm . 198. APOSTOLIOS: 5.22a L eutsch 172 Anm .

171, 12.34 64 Anm . 177, 12.82f 172 Anm . 175, 12.91a 195 Anm . 270. ARAT: P hain. 96-136 95 Anm . 315, 100 103 Anm . 346, 299 127, 323 85 Anm . 267, 445 218 Anm. 51, 507 85 Anm . 267, 778 184 A nm . 222, 781 182, 783787 182ff, 783f 85 Anm . 267, 785 184 Anm . 222, 910 727 Anm . 55, 912 727 Anm . 55, 953 777, 1013 85 Anm . 267, F 108f SH 180 Anm . 208, 181 Anm .

212. ARCHILOCHOS (2IEG): F 109 161, 120

128, 196a.23f, 48ff 49 A nm . 113. ARCHIPOETA: 1.13.I f Krefeld 97 Anm .

322, 10.18.3f 133 Anm . 121. A r i s t i d e s Q u in t ilia n u s : Mus. 1.20 787 Anm . 234. A ristophanes : A ch. 381 772, 445 775 Anm . 187, 530f 197 Anm . 277, 665678 248 Anm . 27, E q u . 137 772, .309 113, 348f 729, 526-528 113, 531 113, 538f 248 Anm . 27, 539 72 8 Anm . 97, 541—44 45 Anm . 99, 628 790, 11271140 160 Anm . 123, 1139 162 Anm .

2 Stellen

134, N u b . 137 174 Anm . 181, 153 175 Anm . 187, 334 159 Anm . 115, 359 175 Anm . 187, 430 42 Anm . 85, 523 248 Anm . 27, 530 50 Anm . 115, 545-48 72 Anm . 207, 842 175, 969 45 Anm . 97, 1360 195 Anm . 268, 1367 190, 1367 196 Anm . 273, 1404 1 75 Anm . 187, 1496 175 A nm . 187, Vesp. 287 162 A nm . 134, 461 f 248 Anm . 27, 481 139 Anm . 22, 810 174 Anm . 181, 1019f 248 A nm . 27, 102 l f 41, 1050 41, 1050 47 Anm . 103, P a x 521 139, 639 162 Anm . 134, 732f 40, 749f 190, 830 45 A nm . 97, 925 157f Anm . 111, 1170 162 Anm . 134, A v . 21f 64 Anm . 1 7 5 ,2 U 6 4 Anm . 177, 215f 87 Anm . 278, 235 177, 317 175 Anm . 187, 465 139 Anm . 22, 465 157 A nm . 111, 748-52 115 Anm . 21, 749-750 201 Anm . 294, 89l f 160 A nm . 125, 959ff 759 Anm . 119, 123842 193, 1374-1376 40, 1374 39, 1382 41, 1383-1385 41, 1397 41, 1398 40 A nm . 76, T hesm . 53f, 67f 45 Anm . 97, 100 43, 162 248 Anm . 27, 394 145 Anm . 53, 1175 43 Anm . 89, R a n . 91 42 Anm . 85, 326, 344 51, 352 51, 356f 86 Anm . 275, 373f 51, 402 84 Anm . 260, 448f 57, 814 196, 818 190, 821 139, 190, 825 193, 828 175 Anm . 187, 897 40, 924 139, 929 190, 939ff 173, 942 139 A nm . 21, 956 7 7 5fA nm . 187, 1004 190, 1005 112, 1040 124 Anm . 75, 1056f 190, 1060 139, 239, 1102 187 Anm . 233, 1108 176 Anm . 187, 854 139, 1298ff 227 Anm . 96, 1299f 52 A nm . 127, 72 A nm . 207, 1300 52 Anm. 126, 61 A nm . 166, 1323f 33 Anm . 50, 1327 44 A nm . 92, 1365-1413 156 Anm . 103, 174 Anm . 183, 1398 155 Anm . 100, E ccl. 973 115 Anm . 21, P lfut. 560 162, F 128 PCG 139, 128 248 A nm . 27, 158 248 Anm . 27, 162 24 8 A nm . 27, 299.2 160 Anm . 125, 347 139, 466f 44 Anm . 17, 656 176 Anm . 188, 657 790, 663 158 Anm . 111, 688

129. Σ Equ. 137d Koster 113 Anm . 14, Σ N ub 1367e Koster 190, A v. 465c Ko­ ster 157 Anm . 111.

281 A r isto te le s: Phys. II 3.194 b35ff 777 Anm . 168, M ete. II 3.357 a24ff 62 Anm . 171, H A IV 7.532 blOff 131 Anm . 109, V 30.556 bl6 131 Anm . 109, VIII 11.596 b l7 f 115 Anm . 26, 118, IX 12.597 a4ff 205 Anm . 315, PA I 3.643 b l7 ff 213 Anm. 25, Pol. V 4.1303 a35 211 Anm . 14, R h et. III 3.1406 b2 196 Anm. 273, III 4.1407 a ll-1 5 13 Anm . 14, III 14.1414 b l9 21 23 Anm. 8, III 14.1415 a l-4 48 Anm . 107, III 14.1415 al2-21 48 Anm. 105, Poet. 1.1447 b l7-20 62 Anm. 171, 2.1448 a l l