Zwischen Romanistik und Germanistik: Carl Georg von Waechter (1797–1880) [1 ed.] 9783428500253, 9783428100255

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Zwischen Romanistik und Germanistik: Carl Georg von Waechter (1797–1880) [1 ed.]
 9783428500253, 9783428100255

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Zwischen Romanistik und Germanistik Carl Georg von Waechter ( 1797- 1880)

Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 81

Zwischen Romanistik und Germanistik Carl Georg von Waechter (1797-1880)

Herausgegeben von Bernd-Rüdiger Kern

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Zwischen Romanistik und Germanistik : Carl Georg

von Waechter (1797 -1880) I Hrsg.: Bemd-Rüdiger Kern.Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zur Rechtsgeschichte; H. 81) ISBN 3-428-10025-5

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 3-428-10025-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Vorwort Carl Georg von Waechter ( 1797 bis 1880) galt noch um die Jahrhundertwende als einer "der größten deutschen Juristen aller Zeiten". Zeit seines Lebens und auch noch bis Ende des vergangeneo Jahrhunderts wurde Waechter als einer der größten deutschen Juristen gewürdigt und auf eine Stufe mit Savigny und Windscheid gestellt. Hoelder, Demburg und Windscheid bescheinigten ihm nach seinem Tode, daß er als einziger deutscher Jurist fahig gewesen wäre, allein ein deutsches Zivilgesetzbuch zu schaffen. Kein Geringerer als Bernhard Windscheid, der Nachfolger Waechters auf dessen Leipziger Lehrstuhl, sagte über ihn: ,,Es hat gelehrtere Juristen gegeben, als Waechter. Es hat tiefsinnigere Juristen gegeben, als ihn. Aber einen juristischeren Juristen, einen Juristen, in dem sich harmonischer Alles vereinigt hatte, was zur Pflege des Rechts erforderlich ist, hat es unter den großen deutschen Juristen nicht gegeben."

Der erste Versuch, sich Leben und Werk Waechters zu nähern, fand um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert statt. Dabei wurden jedoch seine wissenschaftlichen Leistungen weithin nicht berücksichtigt. Die Darstellungen gelangten nicht über den Inhalt der zumeist unkritischen und stark positiven Nachrufe hinaus. Sie gipfelten jedoch in der angeführten Einschätzung Windscheids. Eine eingehende Betrachtung von Einzelfragen erfolgte dann erst Mitte der Zwanziger Jahre durch Danneobergs Schrift über ,,Liberalismus und Strafrecht" und Häckers philosophische Dissertation über die parlamentarische Tatigkeit Waechters. Die neuere Forschung erwähnt Waechter - wenn überhaupt - zumeist nur am Rande. In dem Standardwerk von Gerd Kleinheyer und Jan Sehröder "Deutsche Juristen aus fünf Jahrhunderten" erscheint Waechter nur noch im Anhang als Kurzbiographie. Beide Autoren ordnen ihn also nicht unter die wissenschaftsgeschichtlich wirklich bedeutenden Juristen ein. Stolleiss' neues Werk über ,,Juristen" (Ein biographisches Lexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert) nennt ihn gar nicht. Ausnahmen bilden Eberhard Schmidt, der sich mit Waechter im Zusammenhang mit der Entwicklung der modernen Strafrechtstheorie auseinandersetzt, Ferdinand Elsener, Müller Dietz und auch Joachim Rückert, der sich mit Waechter im Verhältnis zu Reyscher befaßt. Eine intensive Bearbeitung eines Aspektes aus Waechters Werk erfolgte in Sandmanns Dissertation über die !PRLehre Carl Georg von Waechters. Die Aufzählung macht deutlich, daß bis zum heutigen Tag eine umfassende und kritische Würdigung des Lebenswerkes Carl Georg von Waechters nicht stattgefunden hat.

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Vorwort

Carl Georg von Waechters 200. Geburtstag bot Anlaß, seine Stellung in der Wissenschaftsgeschichte neu zu bestimmen. Das Ansehen, das er zu seiner Zeit in der Fachwelt genoß, war Grund genug, sich erneut und intensiv mit dem Leben und dem Werk dieses bedeutenden Juristen zu beschäftigen. Vom 7. bis zum 9. November 1997 fand deshalb in Leipzig, einer der Stätten seines langjährigen Wirkens, das Symposion "Carl Georg von Waechter" statt. Ermöglicht wurde das Symposion durch großzügige Spenden der Württembergischen Feuerversicherungs AG Stuttgart. Eine Erinnerungsveranstaltung des Deutschen Juristentages e.V. konnte in das Symposion integriert werden. Der zweite bedeutende Wirkungsort Waechters, Tübingen, war gewissermaßen durch die Vortragenden aus der juristischen Fakultät präsent. Das Symposion wurde von einer kleinen Autographen- und Nachlaßausstellung der Bibliotheca Albertina, der Universitätsbibliothek Leipzig, unter Leitung von Dr. Ekkehardt Henschke ergänzt. Drei Tage lang bot sich im Festsaal des alten Rathauses der Stadt Leipzig und in der direkt neben dem Reichsgerichtsgebäude gelegenen Villa Tillmanns die Gelegenheit zum fachlichen Austausch über eine der wichtigsten Juristenpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts, die an den Brennpunkten der wissenschaftlichen und politischen Debatte ihrer Zeit gestanden hat. Ganz wesentlich bereichert wurde das Symposion durch die Anwesenheit von Nachfahren und Verwandten des Geehrten, Frau Ministerin a. D. Dr. Annen1arie Griesinger und Herrn Dr. Kar! Römer, ohne deren tätige Mithilfe im Vorfeld die Veranstaltung wohl nicht zustande gekommen wäre. Der Eröffnungsvortrag am 7. November 1997 von Prof. Dr. Hans-Jürgen Rabe war gleichzeitig Eröffnung der 1997er Herbstsitzung der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages, dessen erster Präsident v. Waechter gewesen ist. Herr Prof. Dr. Rabe stellte das Leben und Wirken v. Waechters plastisch vor und setzte so den Rahmen für die Vorträge der folgenden Tage. Am 8. und am 9. November folgten dann die einzelnen werkgeschichtlichen Beiträge: zunächst Mactin Lipps, Gießen, zur Stellungnahme v. Waechters in der von Thibaut und Savigny aufgeworfenen Kodifikationsfrage, dann Bernd-Rüdiger Kerns, Leipzig, zu v. Waechters Schmerzensgeldtheorie, weiter Lars Jungemanns, Heidelberg, zu v. Waechters Strafrechtsdogmatik und schließlich Christoph Mauntels, Berlin, zu v. Waechters großem Württembergischen Pandektenrechtslehrbuch. Dann beleuchtete Wolfgang Pöggeler, Tübingen, v. Waechters Rolle auf den berühmten "Germanistentagen" und befaßte sich Thomas Schaefer, Leipzig, mit v. Waechters politischer Tätigkeit als Abgeordneter. Schließlich stellte Gottfried Schiemann, Tübingen, v. Waechters Zuordnung zu den Romanisten heraus. Die ebenfalls vorgetragenen Gedanken von Gero Dolezalek, Leipzig, zu v. Waechters Rolle im Internationalen Privatrecht und von Hans-Peter Benöhr, Berlin, zu Leben und Werk des Sohnes des Geehrten, Oscar v. Waechter, konnten aus verschiedenen Gründen leider nicht in gedruckter Form erscheinen, was ich sehr bedauere.

Vorwort

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Ich freue mich sehr, daß es nun endlich gelungen ist, zumindest den größten Teil der Erträge des Symposions, die sich vor allem in den vorliegenden Beiträgen manifestieren, gesammelt zu präsentieren. Auch hieran hat die Württembergische Feuerversicherung AG, Stuttgart, Anteil, da deren Spende auch die Drucklegung dieses Bandes ermöglichte. Bemd-Rüdiger Kern

Inhaltsverzeichnis Carl Georg von Wächter (1797 - 1880). Praktischer Rechtsgelehrter und konstitutioneller Parlamentarier von der Zeit des Vormärz bis zur Reichsgründung Von Adolf Laufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kar! Georg von Waechter als Parlamentarier Von Thomas Schaefer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Carl Georg von Wächter und die Lübecker Germanistentage 1847 Von Wolfgang Pöggeler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wächters Bemühungen um die Vereinheitlichung des Privatrechts in Deutschland Von Martin Lipp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Pandekten - Waechter als Romanist Von Gottfried Schiemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . ..

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Carl Georg von Wächter und sein Handbuch des im Königreich Württemberg geltenden Privatrechts Von Christoph Mauntel.......... . ...................................... .. .. . ... . ... . 101

" Die Grundprincipien des Strafrechts"- Carl Georg von Wächter und die Straftheorie Von Lars Jungemann..... . ... . ...... . .. . ...... . ...... .. . . ........... . .. . ... . . . .. . ... 131 ,,Die Busse bei Beleidigungen und Körperverletzungen": Bedeutung für die Geschichte des Schmerzensgeldes Von Bernd-Rüdiger Kern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Personenregister . . .. .. . .. . .. . . . . . . . . .. . . .. . . .. .. .. . .. . . . . . . .. .. .. . . .. . . .. .. . . .. . . . . .. . . 157 Sachregister .. .. . . .. .. . .. . .. . . . . .. .. . . .. .. . . .. .. . .. .. . . . . .. . .. . .. .. .. .. . .. . .. .. . . .. . .. . 160

Carl Georg von Wächter (1797 -1880)* Praktischer Rechtsgelehrter und konstitutioneller Parlamentarier von der Zeit des Vormärz bis zur Reichsgründung 1 Von Adolf Laufs In den Städten seines Wirkens, zu Tübingen, Stuttgart und Leipzig, tragen Straßen den Namen des großen Juristen. Stuttgart besitzt nicht nur eine Wächterstraße, sondern auch eine Wächterstaffel. Außerdem erinnert dort an den rechtsgelehrten Parlamentarier das Relief der Jubiläumssäule, die zu Ehren König Wilhelms I. auf dem Schloßplatz steht. Auf dem metallenen Relief huldigen die erste und zweite Kammer des Landtages dem Monarchen zu seinem fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläum im Jahre 1841 2 . Wächter, dessen Portrait nach dem Zeugnis des Sohnes "vorzüglich gelang"3 , führt die Gruppe der Abgeordneten an. Als Präsident der Kammer der Abgeordneten hatte er selbst namens des Ständischen Ausschusses im Parlament am 27. Oktober 1841 beantragt, "es möchte Se. Majestät der König gefragt werden, Seinen Ständen zu gestatten, daß sie die Pestsäule, die den Schloßplatz ziert und die aus vergänglichem Material errichtet ist, von Eisen, als bleibendes Denkmal ... auch für die späteste Nachwelt aufführen lassen"4 • Über die Umbrüche und Katastrophen der deutschen Geschichte hinweg bezeugt das Relief die einst trotz mancher Spannungen tief begründete Loyalität zwischen Königtum und Ständen im konstitutionellen Württemberg, eine Verbundenheit, in deren Dienst sich Wächter auf hervorragende Weise stellte. Vor zweihundert Jahren, am 24. Dezember 1797, kam zu Marbach am Neckar als Sohn des dortigen württembergischen Oberamtmanns Carl Georg Wächter zur Welt, "einer der größten deutschen Juristen aller Zeiten"5 , im 19. Jahrhundert

* Erstveröffentlichung in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte, 57. Jg. (1998), S. 285-304. I Erweiterte und mit Nachweisen versehene Fassung des Vortrages, den der Autor beim Württembergischen Geschichts- und Altertumsverein zu Stuttgart am 8. Februar 1997 hielt. Der Vortrag geht zurück auf eine Studie des Verfassers zur Rechtslehre Wächters, die unter dem Titel "Das wirklich geltende, durch den allgemeinen Willen gesetzte Recht" in der Festschrift für Kar! Kroeschelll997, S. 617-634, erschienen ist. 2 Abbildung des Reliefs bei Grube, Der Stuttgarter Landtag 1457- 1957, 1957, nach S. 492 (Abb. 28). 3 Oskar v. Wächter, Car1 Georg von Wächter, 1881, S. 56. 4 Verb. d. Württ. Landstände, 1841/42, Kammer d. Abgeordneten Bd. 1, S. I.

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Ado1fLaufs

hochberühmter Professor für das Privatrecht, zugleich "nach Feuerbach und vor Kar! Binding der bedeutendste Dogmatiker des Strafrechts"6 . Ehrenvolle Nachrufe und Würdigungen7 erschienen nach dem Tode des zu Lebzeiten je und je Ausgezeichneten, unter denen die Schrift des Leipziger Lehrstuhlnachfolgers Bernhard Windscheid8 und das Buch des Sohnes Oskar9 , eines namhaften Rechtsanwalts, Professors und nationalliberalen Politikers, herausragen. In den modernen großen Standardwerken führt Wächter dagegen ein Schattendasein 10, in der Lexiographie eine Existenz zweiten Ranges 11 • Dafür leuchtet seine Spur in der Sachliteratur zu Recht und Geschichte um so deutlicher: Im Internationalen Privatrecht gilt Wächter vor und neben Friedrich Carl von Savigny als Begründer der modernen, von der überkommenen Statutentheorie abrückenden Denkweise 12• In den Publikationen über das Rotteck-Welckersche Staatslexikon 13 , zu den Ereignissen der Jahre 1848/49 14, in den Schriften zu den württembergischen Bemühungen um eine Vereinheitlichung des Privat- und Prozeßrechts 15 , zu Strafgesetzgebung und Strafvoll5 Landsbe ,-g, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, 3. Abt., 2. Halbbd., Text, 1910, s. 386. 6 Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 1965 (Nachdr. 1995), S. 284. 7 Demburg, Carl Georg von Wachter, 1880; Hugo Meyer; Kar! Georg von Waechter, 1898; v. Eisenhart, ADB 40, 1896, S. 435 -440; Mandry, Besondere Beilage des Staats-Anzeigers für Württemberg, Nr. 3 v. 18. 2. 1880, S. 33-43, u. a. s Windscheid, Carl Georg von Waechter, 1880, 91 S., mit chronologischer Bibliographie. 9 Oskar v. Wächter, Carl Georg von Wachter. Leben eines deutschen Juristen, 1881, 192 S., wertvoll auch durch viele abgedruckte Quellen. 1o Vgl. etwa Wieacker; Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 2. Auf!. 1967 (Nachdr. 1996), S. 459 Anm. I; Erik Wolf, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, 4. Auf!. 1963, S. 637, 716. Wachter erscheint nicht in der Liste gewichtiger Autoren von Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. II: 19. Jahrhundert, 1989. II Kleinheyer/Schröder; Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, 4. Auf!. 1996, S. 517; Sturm, HRG, 37. Lfg., 1994, Sp. 1076-1078. 12 v. Bar; Internationales Privatrecht, 1. Bd., 1987, S. 398 -400; Kegel, Internationales Privatrecht, 7. Auf!. 1995, S. 143-147. Kritisch differenzierend Sturm, Savigny und das internationale Privatrecht seiner Zeit, in: Coing (Hrsg.), Ius Commune VIII, 1979, S. 92-105. Wertvoll die Münsteraner Diss. von Nikolaus Sandmann, Grundlagen und Einfluß der internationalprivatrechtliehen Lehre Carl Georg von Wächters (1797-1880), 1979; darin auch vortreffliche Auskünfte zu Wachters Rechts- und Staatsverständnis, S. LXVII-LXXXV. Die Arbeit Wachters (Über die Collision der Privatrechtsgesetze verschiedener Staaten) in: AcP 24, 1. Heft, 1841, S. 230 - 311; 25, 1. Heft, 1842, S. 1- 60; 2. Heft, S. 161-200; 3. Heft, S. 361-419. n Zehntner; Das Staatslexikon von Rotteck und Welcker. Eine Studie zur Geschichte des deutschen Frühliberalismus, 1929 (Nachdr. 1984). t4 Mann, Die Württemberger und die deutsche Nationalversammlung 1848/49, 1975; Sieber; Stadt und Universität Tübingen in der Revolution 1848/49, 1975, mit zahlreichen kritischen Auskünften zur Rolle Wachters. 15 Elsener; Carl Georg von Wächter (1797 -1880) und die Bemühungen Württembergs um eine Vereinheitlichung des Privat- und Prozeßrechtes in der Zeit des Deutschen Bundes

Car1 Georg von Wächter (1797 -1880)

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zug im Königreich Württemberg 16, auch zur württembergischen Organisationskommission17 und nicht zuletzt zur Geschichte des sächsischen BGB 18 erscheint Wachter mit seinen gewichtigen Beiträgen. Aber einen neuen Biographen fand er bisher nicht 19, anders als sein gleichfalls im württembergischen Konstitutionalismus wurzelnder, nur wenig jüngerer Schüler, Fakultätskollege und Konkurrent August Ludwig Reyscher20. Wachter war eine vielseitige Persönlichkeit und "in allen Sätteln gerecht" 21 : Rechtslehrer und Fachschriftsteller, Richter und Parlamentarier, ein Mann der konstitutionellen Mitte, der praktischen Vernunft, des rechten Maßes und des Ausgleichs. In seinen zahlreichen öffentlichen Ämtern hat er sich, wie die Quellen zeigen, vermittelnd eingesetzt in strenger Loyalität zu Dienstherren und Wahlern. Sein umfangliches, nach vielen Bänden zählendes privat- und strafrechtliches Werk läßt sich keiner bestimmten Schule zurechnen, so wenig wie der Autor selbst schulbildend gewirkt hat. Seine Arbeitsmethode und sein Rechtsdenken tragen durchaus originelle Züge bei aller Eingebettetheit in das zeitgenössische juristische Denken während der Epoche der Historischen Rechtsschule und der Pandektenwissenschaft22. Insbesondere die historisch-positivistisch liberale Postulate aufnehmende Rechtsquellenlehre Wachters darf das Interesse der Nachwelt beanspruchen. Doch richten wir zuerst den Blick auf den äußeren Berufsweg des Juristen, ohne den sich die Wachtersehen Einsichten nicht voll erschließen. Der Sohn hat der Biographie des Vaters als Motto einen Satz vorangestellt, den dieser am 9. Juni 1848 in der Württembergischen Kammer der Abgeordneten sprach: ,,Man mag mich einen Stockjuristen nennen; ich habe mir immer in mei(1847 I 1849), in: Ebert (Hrsg.), Festschrift Hermann Baltl, 1978, S. 193 -209; Gabriele Mayer; Württembergs Beitrag zu den rechtsvereinheitlichenden Bemühungen des Deutschen Bundes auf dem Gebiet des Privatrechts (1815 -1847), iur. Diss. Heidelberg, 1974. 16 Sauer; Im Namen des Königs. Strafgesetzgebung und Strafvollzug im Königreich Württemberg, 1984. Über das strafrechtliche Werk liegt inzwischen die Heide1berger juristische Dissertation vor : Lars Jungemann, Carl Georg von Waechter (1797- 1880) und das Strafrecht des 19. Jahrhunderts, Berlin 1999. 17 Mann, Die württembergische "Organisations-Kommission" von 1848, ZWLG 40, 1981 (1982), S. 519-546. . 18 Ahcin, Zur Entstehung des bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen von 1863/65, 1996, S. 189-198, mit instruktiven Hinweisen auf Wächters Rechtsdenken. 19 Die bei Baranowski in Leipzig geschriebene Diplomarbeit von Löper zählt nicht: Leben und Wirken des Juristen Carl-Georg von Waechter, maschinenschriftlich 1986. Ergiebiger die Tübinger phil. Diss. von Häcker; Die parlamentarische Tätigkeit des Kanzlers Carl Georg von Wächter (Masch.schr. 1924, 1927). 2o Überaus gehaltvoll Rückert, August Ludwig Reyschers Leben und Rechtstheorie, 1802- 1880, 1974, mit erhellenden Aufschlüssen zu Wächter, vgl. insbes. S. 35-37, 343344, 375-377. 21 E. I. Bekker, Puchta und Wächter, Schattenrisse, Deutsche Juristenzeitung 1909, Sp. 943-947 (943). 22 Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, 5. Autl 1996, Kap. VII.2.

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AdolfLaufs

nem Leben das Recht zur Richtschnur genommen, und ich glaube mir das Bewußtsein erhalten zu haben, mit Wissen dieses Recht niemals verletzt zu haben." Rechtlichkeit und Pflichtbewußtsein kamen als Erbteil aus der altwürttembergischen Beamtenfamilie, der Wächter entstammte. Traditionsgemäß begann seine akademische Laufbahn an der Landesuniversität, 1815. In Tübingen hörte der junge Burschenschaftier die Kollegien des römischen Rechts bei Eduard Schrader. Im Wintersemester 1817 /18 begeisterten ihn zu Heidelberg Anton Friedrich Justus Thibaut23 , dessen bewegende Schrift "Ueber die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland" 1814 den epochalen Kodifikationsstreit ausgelöst hatte, und Karl Theodor Welcker24, der 1813 sein Werk "Die letzten Gründe von Recht, Staat und Strafe philosophisch und nach den Gesetzen der merkwürdigsten Völker rechtshistorisch entwickelt" hatte erscheinen lassen. Beide Lehrer haben Wächter nachhaltig geprägt und dessen Wunsch geweckt, die Professorenlaufbahn anzustreben. Einem glänzenden Examen in Tübingen 1818 folgten bald darauf die höhere Dienstprüfung für das Departement der Justiz in Stuttgart und nach kurzem Probedienst die Bestallung als Assessor beim Kreisgericht Esslingen am Neckar. Noch im selben Jahr 1819 berief ihn eine königliche Entschließung zum außerordentlichen Professor der Rechte an die Universität Tübingen. Er lehrte Strafrecht, Institutionen, Pandekten, Strafprozeß und württembergisches Privatrecht. Das Jahr 1822 brachte dem Fünfundzwanzigjährigen die ordentliche Professur und kurz danach die Promotion aufgrund seiner ersten Schrift, einer bereicherungsrechtlichen Dissertation25 , das Jahr 1825 die Wahl zum Rektor der Universität: in ein schweres Amt, von dem der Dienstherr ihn auf wiederholten Antrag 1829 entlastete, um ihn zum Vizekanzler, zum Dirigenten des Senats, zu ernennen, was ihn weiterhin mit dem heiklen Geschäft der Neuorganisation der Universität befaßt ließ26• Aus dieser Pflicht entließ ihn der König schließlich antragsgemäß. Seine Idee der Universität hat Wächter auch in öffentlicher Rede dargelegt27 . "Wir wollen Lernfreiheit, und um diese gehörig und nicht bloß dem Scheine nach festzustellen, wollen wir, daß die Fakultäts-Prüfungen abgeschafft werden". Wenn das Ministerium "mit vollkommen freier Hand über die Besetzung der 23 Aus der neueren Literatur seien genannt HattenluiUer, Anton Friedrich Justus Thibaut und die Reinheit der Jurisprudenz, Heidelberger Jahrbücher XXXIV, 1990, S. 20-35, mit weiteren Nachweisen; ferner Staehelin, Anton Friedrich Justus Thibaut und die Musikgeschichte, ebenda, S. 37-52. 24 Müller-Dietz, Das Leben des Rechtslehrers und Politikers Kar! Theodor Welcker, 1968 (mit zahlreichen Wächter-Spuren); Welker, HRG, 37. Lfg., 1994, Sp. 1252- 1258. 25 Die Arbeit, bei Laupp in Tübingen als Klein-Oktav-Bändchen von 134 S. mit 148 Anmerkungen 1822 erschienen, trägt den Titel: Doctrina de condictione causa data causa non secuta in contractibus innominatis. (Die seltene Schrift ist im Eigenbesitz des Verf.) 26 In diesem Zusammenhang vgl. auch Oelschlägel, Hochschulpolitik in Württemberg 1819-1825. Die Auswirkungen der Karlsbader Beschlüsse auf die Universität Tübingen, 1995, S. 180, zu Wächters Kanzlerschaft ab 1835 (zurückhaltendes Urteil). 27 So als Kanzler in der Kammer der Abgeordneten am 30. Januar 1849, Verh. d. Württ. Landstände 1848/49, Bd. 2, 70. Sitzung, S. 1509 ff.

Car1 Georg von Wächter ( 1797- 1880)

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Lehrstellen auf die bloßen Gutachten des Senats" entscheide, so habe der Universitätskanzler um so mehr als "eine zweite unbetheiligte, durch die Verhältnisse der Fakultäten weniger berührte Stimme" sich "geltend zu machen". Die Konkurrenz sei "ein Lebensprinzip" der Universität: "Der Eifer der Lehrer wird durch sie doppelt belebt, und deshalb war man bei uns stets darauf bedacht, die wichtigsten Fächer doppelt zu besetzen". Wächter wünschte sich sehr, "daß in der Kammer, wie auf der Universität, und überhaupt bei uns der freie Vortrag durchaus herrschend werden und bleiben möchte. Wir Süddeutsche bedürfen hierin eines Fortschreitens, namentlich gegenüber von den Norddeutschen. Wenn wir ihnen auch in der geistigen Kraft gleichstehen mögen: so ziehen wir doch oft gegen sie den Kürzeren, weil wir im freien Vortrage die Waffe nicht immer so wie sie zu handhaben wissen". Ein "hauptsächlicher Maßstab" für den "Stand der Universität" sei "unter anderem auch die Zahl der Ausländer", die sie besuchen. Für Mediziner und Naturwissenschaftler reichten "bloße theoretische Vorträge" keinesfalls aus. Erforderlich seien angemessen ausgestattete Institute und Kliniken, die Gelegenheit zu "tüchtiger Praxis" böten. Das gelte auch für Tübingen, "wohl eine Universität zweiten Ranges" - hinter Wien und Berlin. Das müsse die Finanz-Commission einsehen. ,,In einer Zeit, in welcher jeder sich streichen lassen muß, wird auch die Universität nicht zurückbleiben dürfen. Aber möge es doch mit Maß geschehen". Inzwischen hatte Wächters Name einen so guten Klang im Lande gewonnen, daß ihn die Wahlkomitees der Oberämter Münsingen und Heidenheim aufforderten, sich in die Ständeversammlung wählen zu lassen. Wächter lehnte ab, um die rechtswissenschaftliche Arbeit nicht beschränken zu müssen. Nachdem er seinen Ruf nach Zürich abschlägig beschieden hatte, folgte er einem solchen nach Leipzig, wo er drei Jahre wirkte- auch als Mitglied des Spruchkollegiums und Rat am neu errichteten Appellationsgericht. Rufe nach Erlangen und Bonn schlug er aus. Das königliche Angebot der Stelle eines Kanzlers und außerordentlichen Regierungsbevollmächtigten und ersten Mitglieds der Tübinger Juristenfakultät nahm er 1835 an. Wächters Nachfolger in Leipzig war kein geringerer als Georg Friedrich Puchta, der berühmte Rechtsdenker und Lehrer des römischen Rechts, der Schüler Savignys28 • Für den in Tübingen mit höchsten Ehren Aufgenommenen begann nun eine Zeit intensivster Arbeit. Nach der Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg von 181929 gehörte der Kanzler der landständischen zweiten Kammer an. Damit gelangte Wächter voll in das politische Leben des Landes. In den Jahren 1839 bis 1848 amtete er als gewählter und wiedergewählter Präsident des Parlaments. Als Kammerpräsident mußte Wächter in der Landeshauptstadt wohnen und seine Lehrtätigkeit aufgeben, aber nicht die Jurisprudenz. In den Stuttgarter Jahren erschien wohl sein wichtigstes Werk, "eine wissenschaftliche Leistung allerersten Ranges" (Windscheid): das "Handbuch des im Königreiche Württem28

Kleinheyer/Schröder, wie Note 11, S. 327 ff.

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§ 133 Ziff. 4.

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berg geltenden Privatrechts"30• In der Kammer der Abgeordneten nahm er- wie die Protokolle der Verhandlungen zeigen - maßgebend Anteil am Zustandekommen des württembergischen Strafgesetzbuchs von 1839. In der parlamentarischen Arbeit bewies Wächter Treue zum König, der ihn wiederholt mit Orden auszeichnete und ihn nobilierte, aber ebenso rechtsstaatlich-liberalen Sinn. ,,Die ganze Hannover'sche Angelegenheit" des Jahres 1837, die Affaire der Göttinger Sieben3 \ so bekannte er dem preußischen Minister Karl C. A. H. von Kamptz, sei "ein Unglück für Deutschland" und der im ganzen durch und durch rechtliche Charakter der Deutschen scheine "tief verletzt zu sein". Wächter rief zur Einmütigkeit auf: ,,Jetzt müssen wir unsere volle Überzeugung kund geben, daß der Rechtszustand von Deutschland wesentlich gefährdet sei"32 . Wächter besuchte als gefeierter Teilnehmer die Germanisten-Versammlung 1847 zu Lübeck, wo er sich zwar ftir die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtspflege, aber mit guten Gründen gegen Geschworenengerichte aussprach. Er warb entschieden ftir die Rechtseinheit in Deutschland und für die Verbindung des deutschen Rechts mit dem römischen, ftir ,,Frieden zwischen Germanisten und Romanisten'm. Seine Rede am Schluß des Landtags im März 184834 beschwor die Notwendigkeit einer Verbindung von Fortschritt und Freimut einerseits mit Loyalität und Treue zu "unseren Rechten und Fürsten" andererseits - ein Bekenntnis zum Konstitutionalismus. Die Liberalen und die Radikalen forderten vor 152 Jahren übereinstimmend die Bildung eines deutschen Nationalparlaments. Nachdem der Abgeordnete Hassermann am 12. Februar 1848 in der badischen, der Abgeordnete Heinrich von Gagern am 28. Februar 1848 in der hessischen Zweiten Kammer die Berufung eines 30 Bd. I 1, 1839; Bd. I 2, 1842; Bd. II, 1842. Das Werk blieb unvollendet; eine Vervollständigung bieten die Erörterungen aus dem Römischen, Deutschen und Württembergischen Privatrecht, 2 Bde., 1845, 1846. Dazu mit liebevoller biographischer Umrahmung Elsener; Der Jurist Carl Georg von Wächter (1797 - 1880). Sein "Handbuch des im Königreiche Württemberg geltenden Privatrechts" und seine Stellung zur Kodifikationsfrage. Sein Nachleben, in: Decker-HauffI Fichtner I Schreiner (Hrsg.), Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen 1477-1977, 1977, S. 471-496. 31 Die Literatur zum Staatsstreich in Hannover und zu den Göttinger Sieben bei Laufs (o. Fußn. 22), Kap. VIII.l. Das Zitat nach Oskar v. Wächter (wie Note 9), S. 54. 32 Häcker (wie Note 19), S. 73. 33 Vgl. Verhandlungen der Germanisten zu Lübeck am 27., 28. und 30. September 1847, Lübeck 1848, S: ll8-125 (Geschworenengericht), S. 236-239 (Germanisten und Romanisten). Daraus zwei Zitate: "Über Freiheit und Ehre nach den Gesetzen und nach juristischen Principien zu erkennen, diesen wichtigen Beruf soll man Jemand anvertrauen, der nie sich auf diesen Beruf vorbereitet, nie in ihm gelebt hat ... ?" (S. 120)- Die "Germanisten unserer Zeit ... wollen dem Volke an den Puls fühlen, sie wollen sehen, welche nationale Elemente sich im Volke erhalten haben, und die da sind, sollen bleiben. In diesem Bestreben werden wir ihnen allen zurufen: mögt ihr glücklich sein! ... Wir wollen beides verbinden, das Gute des einen mit dem Guten des anderen ... " (S. 238). 34 Oskar v. Wächter (o. Fußn. 9), S. 68.

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deutschen Nationalparlaments verlangt hatten, traten am 5. März 1848 in Heidelberg einundfünfzig Politiker aus den verschiedenen deutschen Ländern zusammen, um die Wahl eines deutschen Nationalparlaments vorzubereiten und zu diesem Zweck alle früheren und gegenwärtigen Ständemitglieder zu einem Vorparlament nach Frankfurt am Main einzuladen. "Zufällige Umstände", wie er im Landtag sagte, hielten Wächter von der Heidelberger Versammlung ab. Den Plan selbst hielt er für gut. ,,Als der Abgeordnete Hassermann in Carlsruhe eine Motion über ein deutsches Parlament einbrachte", so Wächter am 27. März 1848 im württembergischen Landtag, "was haben die meisten von uns darüber gedacht? Ich kann es ihnen offen sagen . .. Sie hat meine Brust und mein Herz sehr bewegt ... Das, was wir damals für unmöglich und undurchführbar hielten, ist jetzt durchführbar und zwar durchführbar auf legalem Wege, und so begrüße ich und gewiß Jeder in Deutschland freudig diese Durchfürbarkeit". Wächter hielt eine "durchgreifenste Reorganisation" des Deutschen Bundes, dieser Föderation von Obrigkeiten, für unvermeidlich. Die Mitglieder der zweiten Kammer der württembergischen Landstände, die Deputierten also der Kammer der Abgeordneten, sollten ,,künftig rein auf die Wahl des Volkes gegründet" sein, Prälaten, Adel und der Kanzler der Landesuniversität also dem Landtag nicht mehr angehören 35 . Lassen wir den Präsidenten Wächter selbst zu Wort kommen mit seiner Rede nach den Landtagsprotokollen vom 24. Januar 1848. Die Ansprache stand im Zeichen hoher Erregtheit einer seit den Hungerkrawallen nicht mehr zur Ruhe gekommenen Öffentlichkeit. Der Redner erwies sich als ein mäßigender Politiker nicht des Umsturzes und der Revolution, sondern der behutsamen Veränderung, der maßvollen Evolution. "Wir leben in einer Zeit des entschiedenen Fortschrittes, und zwar nicht in einer Zeit des Fortschrittes, dem erst in seinen Principien Bahn zu brechen wäre, sondern wir beginnen schon die Früchte von dem Fortschritte zu ernten. Die Principienfragen sind meistentheils, ich glaube das sagen zu dürfen, auf unserem festen constitutionellen Boden glücklich gelöst. In den allgemeinen Grundsätzen herrscht beinahe durchweg zwischen der Regierung und den Ständen Einklang und es waltet über dieselben in unserem Staate zu Folge seiner politischen Ausbildung kein Zweifel, kein Zwiespalt mehr ob. Wer meine Herren, würde sich noch jetzt gegen die Preßfreiheit erheben? Regierung und Stände sind einig, daß die Preßfreiheit etwas nothwendig Gewordenes sey. Wer würde wohl der Freiheit des Bodens nicht das Wort sprechen? auch in den Kreisen, welche bei dieser Frage nicht von der Seite der Verbindlichkeit, sondern von der Seite der Berechtigung betheiligt sind, spricht sich überall nur Eine StirnJS Die angeführten Zitate finden sich an folgenden Stellen: Verh. d. Abgeordneten auf dem Landtage von 1848, I . Bd., S. 200 (20. Sitzung v. 22. 23. 1848), S. 264 (24. Sitzung v. 27. 3. 1848), S. 213 (22. Sitzung v. 24. 3. 1848); Verh. d. Abgeordneten auf dem Landtag von 1848/49, I. Bd., S. 89 (8. Sitzung v. 30. 9. 1848). -Zum folgenden: Bd. I, I. Sitzung, Eröffnungsrede des Präsidenten Wächter, S. 3 f.

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me dahin aus, daß die Freiheit des Bodens etwas durch die Zeitverhältnisse Gebotenes sey? Wer ist es, der jetzt noch gegen Oeffentlichkeit und Mündlichkeil des Gerichts-Verfahrens nicht blos in Criminal-Sachen, sondern auch in Civii-Sachen sich erheben wollte? Wer ist es, der nicht ganz dafür sich ausspräche, daß in unserem Deutschland bei den meisten Verhältnissen Alles noch weit gemeinsamer werden müsse? Wer sollte je in Deutschland seyn, der nicht mit der größten Freude zu einem gemeinsamen deutschen Gesetzbuche ,,Ja" sagen wollte? Wer ist es, der nicht entschieden anerkennt, daß wir gegen das Ausland eine ganz andere Stellung annehmen müssen, als bisher, daß wir namentlich in den Mercantilverhältnissen uns nicht mehr so viel dürfen gefallen lassen, als vor 10 oder 15 Jahren? Es handelt sich nur um die Durchführung der Principien und davon, mit der Regierung die rechten Mittel und Wege zu finden, diese Principien auf's Entschiedenste zu realisieren. Welchen Standpunkt wird bei allen diesen Fragen die Kammer der Abgeordneten einnehmen? Auf dem vorigen Landtage, auf welchem wir unter Verhältnissen zusammen kamen, die allerdings etwas bange machen konnten, auf jenem Landtage schon hatte ich die Ueberzeugung und Zuversicht, daß die Kammer sich auf den Standpunkt des entschiedensten Fortschrittes und Freimuthes, verbunden mit Festhaltung an wahrer Loyalität stellen, und daß sie in diesem Sinne der Regierung entgegenkommend gerne in jeder Beziehung die Hand bieten werde. Ich habe mich in dieser Zuversicht, die ich am ersten Tage des außerordentlichen Landtages ausgesprochen, nicht getäuscht. Ich konnte am Schluß des Landtages bezeugen, daß die Stände sich immer am rechten Platze finden lassen, wenn es das Wohl von König und Vaterland gilt, und daß sie mit entschiedenstem Freimuth im Sinne des Fortschrittes gesprochen und gehandelt, aber dabei die Schranken durchaus geachtet haben, die das Gesetz und die Sitte vorschreiben. Ich glaube mit gleicher Zuversicht auf den Beginn des gegenwärtigen Landtages blicken zu können. Bieten wir uns gegenseitig redlich die Hand zum gemeinsamen Werke; wollen wir uns nicht verhehlen, daß die letzten drei Jahrzehnte, die wir durchlebten, so lange Württemberg eine Geschichte hat, die glücklichsten unseres Vaterlandes gewesen, ein Satz, den gewiß Jeder, der unsere Geschichte kennt, leicht nachzuweisen im Stande seyn wird. Bringen wir das Gute, das wir noch erzielen wollen, immer mehr zu weiterer Entwicklung; vermeiden wir die in Extremen auslaufenden Abwege und lassen Sie uns so auf dem festen Boden unserer Verfassung, die wir noch manchem deutschen Bruderstamme zu seinem Wohle gewiß sehr gönnen werden, gewissenhaft für das Wohl unseres Königs und Vaterlandes wirken." Im April1848 ging Wachter zum Frankfurter Vorparlament, zur "ersten Gesamtvertretung der deutschen Revolution" 36• Das stark südwestdeutsch geprägte vorläufige Parlament wählte ihn in den Fünfzigerausschuß, der die Rechte des Volkes bis zum Zusammentritt der Nationalversammlung wahrzunehmen hatte. Als Mitglied dieses Ausschusses beteiligte er sich an einer Deputation, die in Böhmen die Beschickung des deutschen Parlaments in die Wege leiten sollte. Zur Kandidatur 36

Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. II, 3. Aufl. 1988, S. 599.

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und Wahl in die Paulskirche kam es niche7 . Die Berufung des württembergischen Märzministeriums aus der Minderheit der Abgeordneten veranlaßte Wächter, sein Amt als Präsident der Kammer niederzulegen. Im Oktober 1848 zog sich Wächter auch aus der württembergischen "Organisations-Kommission" zurück, die unter seinem Vorsitz die Verwaltung im Sinne der Märzbewegung reformieren sollte, aber mit diesem Vorhaben scheiterte. Die öffentliche Proklarnation des Prograrnms38 hatte, mit der Unterschrift des Tübinger Kanzlers ohne das "von" des Namens, ,,Freiheit und Einfachheit im Staatsleben bei entschiedenem Festhalten an Recht und Ordnung" postuliert mit dem für Wächter bezeichnenden konservativen Zusatz, es sei "arn Bestehenden nur dann zu ändern, wenn überwiegende Gründe für die Änderung sprechen und das an seine Stelle zu Setzende als entschieden Besseres sich nachweisen lasse". ,,In England", so Wächter arn 26. Januar 1848 im Landtag, "ist die Freiheit stark geworden, dadurch, daß man festgehalten [hat] an den Sitten, die sich gebildet haben. Wenn wir aber jeden Augenblick umstoßen wollen, was in langer Zeit durch Übung sich festgestellt hat, wie sollten wir dann zu einem festen Boden kommen?'' Oder, am 5. Oktober 1848: "Wir wollen gerade in Zeiten, in denen man so sehr versucht ist, die Grenze des Rechtes zu überschreiten, weil faktisch die Möglichkeit hierzu so leicht gegeben ist, zeigen, daß der Deutsche seinen wahren Ruhm darein setzt, dem Recht stets die Ehre zu geben, aber allerdings, indem er dem Recht die volle Ehre angedeihen läßt, auch alle die Freiheiten reklamiert, die einem mündigen, einem seiner Würde bewußten Volke gebühren".39 Wenig durchschlagender Erfolg blieb auch der Universitätslehrertagung im September 1848 zu Jena beschieden, welcher der viel erprobte Verhandlungsleiter Wächter gleichfalls präsidierte. Das Ringen um eine Universitätsreform, für die Wächter eintrat, und - als Haupt des Tübinger Politischen Vereins - mit den kommunalen Gegnern kostete Kräfte. Im Wintersemester 1848/49 kehrte der politische Professor auf sein Katheder zurück, um Pandekten zu lesen. In der Folge verschloß er sich auch einer Kandidatur bei der Wahl zur nächsten Ständeversammlung oder gar einem Ministerarnt40. Er legte vielmehr im April 1851 auch das Kanzleramt nieder. Wie eine Erlösung aus den württembergischen Mühen und Verstrickungen mag Wächter die Berufung an die Spitze des wohl angesehensten deutschen Gerichts er37 Sieher (o. Fußn. 14), S. 96: Als .,Mann des vonnärzlichen Systems" sei er von keiner Seite aufgefordert worden. Vgl. ferner die Protokolle der Verhandlungen des Fünfziger-Ausschusses, in: Verhandlungen des Deutschen Parlaments, zweite Lieferung, 1848: zu Wächter S. 32, 34, 117 f., 182 f., zur böhmischen Mission S. 286-291. 38 Schwäbischer Merkur/ Schwäbische Kronik Nr. 180 v. I. 7. 1848, S. 957-960. 39 Die aufgeführten Zitate finden sich an folgenden Stellen: Verb. d. Abgeordneten auf dem Landtage von 1848, I. Bd., S. 25 (3. Sitzung v. 26. I. 1848); Verb. d. Abgeordneten auf dem Landtage von 1848/49, I. Bd., S. 150 (2. Sitzung vom 5. 10. 1848). 40 Seine .,Pandekten" gab erst posthum der Sohn Oskar 1880 heraus (1: Allgemeiner Teil). Zu einer möglichen Wahl oder Ernennung vgl. Oskar v. Wächter (o. Fußn. 9), S. 109, 112.

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schienen sein: Als Nachfolger Georg Arnold Reises wurde er Präsident des 1820 in Lübeck errichteten Oberappellationsgerichts für die Freien Städte Hamburg, Lübeck, Bremen und Frankfurt41 • Bei dieser Position, so hatte ihm Savigny geschrieben, ,,ist mir für Sie gerade der Umstand empfehlend, daß Sie durch dieselbe, mehr als durch jede andere, der Politik entfremdet werden"42 . Die bürgerliche Revolution hat auch den großen Rechtsdenker, Berliner Professor und preußischen Minister Friedrich Carl von Savigny43 von den Staatsgeschäften weggeführt. Er lebe in Lübeck, schrieb Wächter 1852 an seinen alten Lehrer Sehrader nach Tübingen, "zufrieden und frei". Die Bürgerschaft gehe Hand in Hand mit dem Senat; sie wisse, "daß Freiheit ohne Gesetz und Ordnung nicht bestehen kann". "Der Senat aber - hierin ein seltenes Beispiel unter den deutschen Regierungen - war vor 1848 zur rechten Zeit liberal und geht jetzt keinen Schritt zurück, und hält das Wort, das er vor und nach dem März gegeben hat." 44 Freilich drückte die Arbeitslast, die keine Zeit ließ für das Wächter Wesentliche: die fachliterarische Arbeit. Darum streckte Wächter alsbald seine Fühler wieder nach Dresden aus und erhielt auch 1852 durch den sächsischen Staatsminister Friedrich Ferdinand Freiherr von Beust erneut einen Ruf nach Leipzig, wo er bis zu seinem Tode wirkte. Rufe nach Wien und zurück nach Tübingen lehnte er ab. In seiner zweiten Leipziger Periode gewann der charismatische akademische Lehrer des Pandekten- wie des Strafrechts und produktive juristische Autor sich und seiner Fakultät hohen Ruhm. Als Mitglied des sächsischen Staatsrats und des Staatsgerichtshofs45, als Ordinarius primarius und Vorsitzender des Spruchkollegiums stand der Gelehrte an der Spitze seiner Fakultät. Als die Universität 1859 ihre Vierhundertfünfzigjahrfeier beging, bekleidete er das Amt des Rektors. Wächter wurde Stadtverordneter und- wie zuvor in Tübingen- Ehrenbürger der Universitätsstadt Das Wirken des Gelehrten blieb nicht auf Leipzig beschränkt. Wächter förderte den 1860 zu Berlin gegründeten, bis heute rechtspolitisch aktiven und gewichtigen Deutschen Juristentag, der sich vornehmlich in den Dienst der Rechtseinheit stellte46. Schon der erste Juristentag, der ungefähr achthundert Juristen in der preuDöhring, Geschichte der deutschen Rechtspflege seit 1500, 1953, S. 31 f. Bei Oskar v. Wächter (o. Fußn. 9), S. 126. 43 Den der preußische Richter und Vorkämpfer der Demokratie in seinen Augenzeugenberichten der deutschen Revolution 1848/49 (neu hrsg. von Hettinger 1996) sehr negativ beleuchtet. 44 Bei Oskar v. Wächter ( o. Fußn. 9), S. 127 f. 45 Dazu allgemein Mi/hauser, Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen, mit Einschluß des Privatfürstenrechts und der völkerrechtlichen Verhältnisse, systematisch dargestellt, I. Bd., 1839, S. 324 ff.; Otto Mayer, Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen, 1909, S. 216 ff., 257; Blaschke, in: Jeserich I Pohl/ v. Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2, 1983, S. 616; Frotscher, ebenda, Bd. 3, 1984, S. 430 ff. 46 Olshausen, Der deutsche Juristentag. Sein Werden und Wirken, 1910, S. I - 29; Conrad, Der Deutsche Juristentag 1860-1960, in: v. Caemmerer/Friesenhahn/Lange (Hrsg.), Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Bd. 1, 1960, S. 1-7; Conrad, Dilcher und Kurland, Der Deutsche Juristentag 1860- 1994, 1997. 41

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Bischen Hauptstadt zusammenführte, wählte Wächter zu seinem Präsidenten. Auch dem dritten Juristentag zu Wien 1862, dem vierten zu Mainz 1863, dem fünften in Braunschweig 1864 und dem sechsten in München 1867 präsidierte der herausragende Professor. Im Februar 1867 gelangte er als in Leipzig gewählter Abgeordneter in den konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes. Wächter schloß sich keiner der parlamentarischen Fraktionen an. In den Verfassungsberatungen setzte er sich ein für die deutsche Rechtseinheit "Warum wollen wir nicht überhaupt dem künftigen Parlament die Befugniß geben, in Vereinigung mit der vollziehenden Gewalt des Bundes ein gemeinsames Civilrecht, ein gemeinsames Strafrecht und einen gemeinsamen Civil- und Strafprozeß festzustellen?" 47 Er warb nachdrücklich ftir ein Bundesgericht. "Die Macht ist nicht dazu da, das Recht zu beherrschen, sondern sie ist dazu da, das Recht zu schützen und zu schirmen und möglichst dafür zu sorgen, daß die Herrschaft des Rechts eine überall anerkannte werde, und deshalb, meine Herren, geben Sie ein Bundesgericht."48 In der Ministerverantwortlichkeit erkannte er den "Schlußstein einer jeden constitutionellen Verfassung"49 • Hohen Rang maß Wächter dem parlamentarischen Budgetrecht bei. "Es ist ein Hauptgrundsatz in allen Verfassungen, welche wirklich den Namen einer constitutionellen Verfassung verdienen, daß das Verwilligungsrecht im Wege der Gesetzgebung ausgeübt werden muß, daß also, wenn auch nur ein Factor der Gesetzgebung nicht übereinstimmt, von einer Verwilligung mit Erfolg nicht die Rede sein kann, und so haben wir in Beziehung auf alle diese Puncte - wir und unsere Nachkommen nothwendig mitzuwirken." 50 Im Blick auf Gewährleistungen in den Landesverfassungen und die Erfahrungen der Frankfurter Nationalversammlung hielt Wächter freilich dafür, von einem Grundrechtskatalog in der Norddeutschen Bundesverfassung abzusehen51 • Als am 16. April 1867 der konstituierende Reichstag den umgestalteten Verfassungsentwurf in der Schlußabstimmung mit 230 gegen 53 Stimmen annahm 52, da gehörte neben den polnischen und welfischen Abgeordneten, den Führern der bundesstaatlich-konstitutionellen Fraktion, der Fortschrittspartei und dem Sozialdemokraten Bebe! auch Wächter zu den Ablehnenden. "Ich kam", so berichtete er3 , "schwer zu dem verneinenden Votum. Allein bei wiederholter ruhiger und reiflicher Erwägung konnte ich nicht zu einem anderen Resultat kommen. Durch das Bennigsen-Ujest'sche Amendement54 (die Beschränkung der parlamentarischen 47 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, 1867, S. 287 (16. Sitzung am 20. 3. 1867). 48 Ebenda, S. 662 (30. Sitzung am 9. 4. 1867). 49 Ebenda, S. 361 (19. Sitzung am 26. 3. 1867). so Ebenda, S. 564 (27. Sitzung am 5. 4. 1867). SI Ebenda, S. 252 (15. Sitzung am 19. 3. 1867). 52 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 111, 3. Auf!. 1988, S. 666. 53 Oskar v. Wächter (o. Fußn. 9), S. 173.

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Budgetgewalt zugunsten eines festen Militärhaushalts, d. Verf.) wird für immer eine Militärmacht mit ganz unverhältnismäßig großer und drückender Friedenspräsenz begründet und das Budgetrecht des Parlaments wesentlich beeinträchtigt. Das Verbot, Diäten zu beziehen, ist eine Beschränkung der Wählbarkeit, durch welche die tüchtigsten Kräfte vom Parlament ausgeschlossen werden; für die dringendsten Fälle fehlt es an einem Bundesgericht und für die gesetzliche Ausübung der mit einer eminent weit gehenden Macht ausgestatteten Centratgewalt fehlt es ganz an den nothwendigen konstitutionellen Garantien. Diese Momente bestimmten mich hauptsächlich zum ." Wächter, "ein echter Veteran des deutschen Konstitutionalismus", wie ihn die sächsische Presse nach seiner Heimkehr von Berlin feierte 55, hat im konstituierenden Reichstag seine Unabhängigkeit und Liberalität erneut bewiesen. Seine Loyalität zu den Kronen hat ihm den Weg zu politischen Positionen der maßvollen und kritischen Mitte nie verlegt. Als zu höchsten gesellschaftlichen Ehren Aufgestiegener hat er auch die Nöte der Schwachen in seiner juristischen Arbeit nicht übersehen. Das zeigt sich an vielen Stellen, etwa bei seinem Eintreten für einen humanen Strafvollzug56 oder bei seinem Votum gegen die herkömmlichen strafrechtlichen Sanktionen nach dem Selbstmord57. Wo Reformen geboten erschienen, hat Wachter sie als Schriftsteller und als Amtsträger verfochten. Seine öffentlichen Ämter haben seine unablässige literarische Produktion nicht geschwächt. Immer wieder erweist und bewälut sich in Wort und Schrift seine Gabe, zu vermitteln, auszugleichen58. Die Rechtslehre eines so vielbewanderten, erprobten und erfolgreichen Juristen darf darum wohl Interesse beanspruchen. Wachter hat sie in seinen Büchern immer wieder entfaltet und dabei insbesondere über die Rechtsquellen nachgedacht. Als reifer Mann hat Wachter in einem Beitrag von fast monographischem Zuschnitt für das Rotteck-Welckersche Staatslexikon, einem Abriß der deutschen Rechtsgeschichte unter dem Gesichtspunkt der Quellen59, seine Rechtslehre dargeHuber (o. Fußn. 52), S. 663 f. (Gesetzgebung und Kommandogewalt). Sächsische Zeitung Nr. 93 v. 23. 4. 1867; zit. nach Oskar von Wächter(. Fußn. 3), S. 174. 56 Schon in seinem Buch von 1832, einer Fundgrube auch für empirische Daten: Die Strafarten und Strafanstalten des Königreichs Wilrttemberg. Nach der älteren und neueren Gesetzgebung und Praxis. Bezeichnend, daß er das Fallbeil dem Schwert beim Vollzug der Todesstrafe vorzog und eine gesetzliche Festlegung des "Vollziehungsinstruments" forderte; Verb. d. Kammer d. Abgeordneten d. Königreichs Württemberg auf d. Landtage von 1838, 9. Bd., S. 23 (92. Sitzung v. 9. 6. 1838). 57 Revision der Lehre von dem Selbstmorde nach dem positiven Römischen und gemeinen Deutschen Rechte und den neuen Gesetzgebungen, Neues Archiv des Criminalrechts 10, 1828, s. 72-111, s. 216-266; 11, 1829, s. 634-680. 58 Die Rolle des Moderators mag auch der Grund daftir sein, daß er in späteren Berichten nicht im Vordergrund steht. Grube, Der Stuttgarter Landtag 1457-1957, 1957, nennt Wächter nur einmal, aufS. 521! 59 Insofern verwandt Ebels Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, Neudr. d. 2. Aufl. 1958, 1988, die aber Wächter keinen Raum gibt. 54

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legt60• Sie folgt weder den Doktrinen der Aufklärung noch denen der Historischen Schule, so sehr letztere den Autor auch prägte. Wächters Rechtsbegriff faßt als Quellen im Interesse der Klarheit allein das Gesetz und die Gewohnheit. Seine Position ist durchaus positivistisch. ,,Die sittliche Norm, durch welche das sociale Leben mit äußerer Autorität und, soweit es nöthig ist, mit zwingender Macht beherrscht werden soll, das Recht, kann in einer bürgerlichen Gesellschaft nur durch allgemeine Anerkennung zur Geltung und so als maßgebende Norm zur Entstehung kommen. Nicht das, was vernünftig und was zum allgemeinen Wohl und dem der Einzelnen nothwendig und förderlich ist, kann als solches objectives Recht bilden, da ein untrügliches objectives Kriterium dafür fehlt und die Erkenntniß des Vernünftigen und Ersprießlichen stets rein subjectiv ist. Es kann daher eine Norm, welcher objective Geltung zukommen soll, nur durch den Willen derjenigen, deren Leben sie beherrschen soll, oder durch ihre verfassungsmäßig dazu berufenen Organe bestimmt und dadurch zu wirklich geltendem, durch den allgemeinen Willen gesetztem Recht werden (positives Recht)." 61 Das in strengem Sinne verfassungsmäßige Gesetz62 hat bei Wächter den Vorrang. Er verlangte 1862 für "das gesammte deutsche Vaterland" "das große Gut und das feste Band einer gemeinsamen nationalen Gesetzgebung", nachdem er zuvor schon Ende der Dreißigerjahre die Kodifikationsidee für die Einzelstaaten des Deutschen Bundes, besonders für Württemberg möglichst im Verbund mit anderen Ländern, befürwortet und gefördert hatte. Im Privatrecht erschien Wächter "das Bedürfnis der Codiflcation" freilich weniger dringlich als im Straf- und im Prozeßrecht, "weil im gemeinen Privatrecht wenigstens materiell die Grundlage eine gute ist". cso Gesetzgebung (Deutsche); Gesetzbücher, in: Welcker (Hrsg.), Das Staats-Lexikon. Encyldopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, Bd. 6, 3. Aufl. 1862, s. 482-517. 61 Staats-Lexikon, Bd. 6, 1862, S. 482. Zuvor schon im Handbuch des im Königreiche Württemberg geltenden Privatrechts, Bd. I 1, 1839, S. 9 ff.- Beleg für die Beständigkeit des Wächtersehen Rechtsdenkens. 62 Handbuch des im Königreiche Württemberg geltenden Privatrechts, Bd. II, 1842, S. 20 f.: "Die gesetzgebende Gewalt übt der König aus. Allein unser Staatsrecht geht hierin von dem Grundcharakter des Rechts aus, daß es eine durch gemeinsame Überzeugung und Zustimmung festgesetzte und objectiv gültig gewordene Norm, der Ausdruck des allgemeinen Willens, seyn soll. Es ist deßhalb der König bei der Er1assung der Privatgesetze an die Zustimmung der Landstände gebunden, und zwar, wenn beide Kammern versammelt sind, an die Zustimmung beider Kammern, so daß jede Kammer flir sich ein unbedingtes Veto gegen jedes Gesetz hat. Dieses bezieht sich nicht blos auf das Aufheben eines bestehenden und Erlassen eines neuen Gesetzes, sondern auch auf einzelne Änderungen und Modificationen eines Gesetzes und auf authentische Auslegungen der Gesetze. Außerdem muß noch der Entwurf des Gesetzes im Geheimemathe berathen und mit dessen Gutachten an den König gebracht worden seyn. Die Erfüllung dieser Forderungen der Verfassungsurkunde genügen aber nicht zur Entstehung eines gültigen Gesetzes. Es gehört noch weiter dazu, daß ihre vollzogene Erfüllung im Gesetze selbst ausdrücklich bemerkt wird, und daß der König das Gesetz verkündet."

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Durch die Kodifikation solle, so Wächter, "ein festes, möglichst lückenloses, namentlich auch die praktischen Streitfragen entscheidendes und soweit möglich beseitigendes Recht festgestellt werden". Der Autor gibt seinem Begriff Profil durch die Auseinandersetzung mit einer scharfsinnigen Schrift des Oberappellationsrates und ordentlichen Professors H. A. A. Danz63 , der zwischen ,,lncorporation" und "Codification" unterschied. Unter ersterer verstand er "die Sammlung, Sichtung und zweckmäßige Anordnung aller wirklich in einem Staate geltenden Gesetze. Sie hat die Absicht: den Gesamtinhalt des bisherigen Rechts aufrecht zu erhalten und nur im Einzelnen abzuändern. Sie will ... der Theorie einen für ihre Arbeit Boden geben." Die Incorporation also wolle "keine neue Quelle des Rechts schaffen, sondern nur die alte reinigen". Dabei gelte es vor allem zu prüfen, "ob das, was die äußere Form eines Gesetzes hat, auch in Wahrheit noch einen praktischen Inhalt habe, noch geltendes Recht sei, oder nicht". Die Kodifikation hingegen breche mit der Vergangenheit und schaffe "ein völlig neues Recht". Die aus sich selbst zu erklärende Kodifikation bedeute "die Zusammenfassung und Neuformulierung des gesammten Rechtes eines bestimmten Staates, wie dasselbe im Momente seiner Publication zum Bewußtsein gekommen ist und in diesem Sinne von diesem Momente an gelten soll". Die Kodifikation ändere im Unterschied zur Inkorporation also den Gesamtinhalt ab und erhalte nur materiell Einzelnes. Danz schlug nun vor, für ein gemeinsames deutsches bürgerliches Gesetzbuch nach dem Vorbild des spätantiken Corpus iuris Justinians'l4 Inkorporation und Kodifikation miteinander zu verbinden. Dagegen wandte sich Wächter, der die Kodifikation in ihren historischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen gesehen wissen wollte. Die Kodifikation solle "sich möglichst an das bestehende Recht anschließen", sie solle das, "was im Rechtsbewußtsein des Volkes lebt und die socialen Verhältnisse durchdrungen hat, nicht ohne ganz dringende, überwiegende und unabweisliche Gründe von sich ausstoßen, soll selbst, wenn der Werth des Bestehenden zweifelhaft ist, an demselben festhalten, solange nicht ganz klar nachgewiesen werden kann, daß man durch eine Neuerung entschieden gewinnt". Verfahre der Gesetzgeber auf solche Weise, so breche er nicht völlig mit der Vergangenheit, auch werde der bisherige Sinn der in den Kodex aufgenommenen alten Rechtssätze nicht ,,rechtlich völlig indifferent". Jedes Recht sei aus seinen Quellen auszulegen und aus seiner geschichtlichen Entwicklung. Auch das kodifizierte Recht habe seine Geschichte65 • Nicht zuletzt verwehre das Verfahren der Danzschen Inkorporation eine gemeinsame deutsche Gesetzgebung. Eine Inkorporation, wie Danz sie wolle, sei eine Unmöglichkeit; sie führe zu großen Inkonvenienzen. Aber am Ende und im Ergebnis lägen er und Danz nicht so sehr auseinander. ,,Auch er will ein das 63 Die Wirkung der Codificationsformen auf das materielle Recht, Leipzig 1861; das Folgende aufS. 6 f., 83 f. 64 Dessen Institutionen kodifiziert seien, während die übrigen Teile inkorporiert worden seien. 65 Wächter. Staats-Lexikon, Bd. 6, 1862, S. 499.

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ganze Privatrecht umfassendes Gesetzbuch; er will es bilden durch Codification und Incorporation, er will durch seine Incorporation den Zusammenhang mit dem früheren Recht und den Sinn und Inhalt desselben festhalten. In allem diesem wird man auch bei einer Codification, wenn sie in der rechten Weise gemacht wird, sich dem, was er erreichen will, sehr nähern; nur in seiner Incorporationsform und in seiner Charakteristik der Codifikation im Gegensatz zur Incorporation wird man ihm nicht beitreten können." Wächter folgte der Kodifikationsidee zuerst für die Einzelstaaten des Deutschen Bundes, dann für Deutschland, blieb dabei aber stets den Grundideen der Historischen Rechtsschule mit ihrer Vorliebe für das Herkommen und die still wirkenden Geisteskräfte verbunden. Daraus ergab sich für ihn eine maßvoll-behutsame, vermittelnde und letztlich bewahrende Linie. Das Recht bedarf der Anker im Strom der Zeit, wenn es im Volke tief befestigte Gültigkeit haben soll. Wächters Position läßt sich vergleichen mit derjenigen maßgeblicher Vertreter der Historischen Rechtsschule in der Schweiz, die für kantonale Zivilrechtskodifikationen eintraten - trotz ihrer geistigen Verbundenheit mit dem Gegner gesetzlicher Rechtsbildung Friedrich Carl von Savigny. Zu nennen sind Johann Caspar Bluntschli mit seinem Zürcherischen Privatrechtlichen Gesetzbuch, Johann Baptist Reinert und das Solothurnische Civilgesetzbuch, schließlich Johann JakobBlumerund das Glarnerische Bürgerliche Gesetzbuch66. In der Wächtersehen Kritik am Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für Sachsen67 treten die Kriterien klar hervor, denen eine Kodifikation genügen muß. Wächter tadelte zuerst die Unvollständigkeit. "Von einer Codifikation erwartet man, daß das Gesetzbuch möglichst vollständig den Kreis, der seine Aufgabe bildet, zu erschöpfen sucht." Weiter darf die Kodifikation nicht zu viel völlig neues Recht enthalten und nicht hinter bewährtes Bestehendes zurückfallen. Außerdem darf das Gesetzeswerk nicht "die nöthige Schärfe und genaue umsichtige Fassung" vermissen lassen, weil sonst "in einzelnen Beziehungen Unsicherheit des Rechts und viele neue Controversen erzeugt werden müssen". Schließlich darf "die Construction der Begriffe . .. und ihre Schärfe (wohl zu unterscheiden von den Definitionen) - durch welche gerade das Römische Recht in hohem Grade sich auszeichnet und die so wichtig ist für Sicherheit und Gerechtigkeit in Beurtheilung und Entscheidung der Rechtsverhältnisse", nichts Wesentliches zu wünschen übrig lassen. Nur ein ius finitum, ein Recht von ,,Bestimmtheit, Festigkeit, Sicherheit" kann den Erfordernissen des Verkehrs und der Gewährleistung der bürgerlichen Freiheit genügen68 • Die Notwendigkeit eines festen und sicheren Rechts gebietet die KodiElsener (o. Fußn. 30), S. 480. Wächter, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Sachsen. Ein Beitrag zur Beurtheilung desselben, 1853; das Folgende aufS. 10 ff. 68 So Wächter bereits in der Kritischen Zeitschrift für Rechtswissenschaft VI, 1829, S. 294, 307, 312. Zur modernen Lehre vgl. insbes. Hans Schneider, Gesetzgebung. Ein Lehrbuch, 66 67

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fikation und beschränkt sie zugleich inhaltlich. Die Gesetzgebung darf nicht auf eine "Umwälzung des bisherigen Rechtszustandes" hinauslaufen. Der eigentliche Geltungsgrund der Kodifikation, nämlich die "allgemeine Anerkennung", legitimiert diese Beschränkung und verbürgt einen Rahmen für die individuelle Freiheit. Auch das ungerechte Gesetz verlangt Achtung. In der Debatte um das württernbergische Frohn-Gesetz, die Aufhebung alter Lasten, führte Wächter aus: "Es handelt sich besonders auch darum, ein Unrecht gut zu machen, was schon viele Jahrhunderte lang gegen diejenigen begangen wurde, die durch diese Lasten gedrückt sind. Dieses Unrecht wollen wir aber nicht durch ein zweites Unrecht gut machen, gegen diejenigen, die diese Gefälle bezogen, und dieselben nicht durch Unrecht, sondern durch Recht erworben haben, das durch die Gesetzgebung aller Zeiten und Staaten geheiligt ist; wenn wir hier einen ungerechten Zwang üben wollten, so würden wir an die Stelle des alten Unrechts nur ein neues setzen."69 Mit der Berufung auf die Verbindlichkeit des Rechtsherkommens zeigt sich der Konstitutionalist Wächter zugleich eingebunden in die altständische, gerneinrechtliche Tradition und ihre Lehre von den iura quaesita. Der danach den wohlerworbenen Rechten zustehende Bestandsschutz ließ allein evolutionäre, vermittelnde Übergänge zu. Neben dem Gesetz steht nach der Lehre Wächters das Gewohnheitsrecht als zweite Rechtsquelle. "Es kann ein eigentliches Gewohnheitsrecht sich bilden durch die Thätigkeit der Juristen und der Gerichte, so ferne der Grundsatz, den sie in ihren gleichförmigen Entscheidungen lange Zeit befolgten, ein Ausfluß ist der herrschenden Volksverhältnisse und der von ihnen, als den Sachverständigen und denen, die mit der Sache zunächst zu thun haben, ausgesprochenen rechtlichen Volksüberzeugung. In solchen Fällen ist der Gerichtsgebrauch wahres Gewohnheitsrecht." Diese Auskunft Wächters in dem von ihm mitherausgegebenen Archiv für die civilistische Praxis70 hat seine Gültigkeit behalten. ,,Der Richter ist Organ des bestehenden Rechts", nicht dessen Quelle. Dem Gerichtsgebrauch, der Praxis, dem usus fori kann "eine äußere Gültigkeit nicht zukommen". Mit diesen Sätzen trat Wächter anderen Autoren wie Christian Friedrich Mühlenbruch und Anton Friedrich Justus Thibaut entgegen. Wie sollte sich auch die angebliche Gesetzeskraft des Gerichtsgebrauchs zu einem Ganzen fügen? Es mußte sich doch "das wohl Unerhörte und Unmögliche ergeben, daß in demselben Staate über eine und dieselbe Frage zwei verschiedene direct entgegengesetzte Rechtsnormen nebeneinander gelten". Allerdings können Gebräuche "Quellen allrnählig entstehender wah2. Aufl., 1982, S. 42: ,,Jede allgemeinverbindliche Rechtsnorm muß den Tatbestand und seine rechtliche Bedeutung festlegen. Dies muß mit einem Mindestmaß an Bestimmtheit und Klarheit geschehen, dergestalt, daß die gesetzlichen Festsetzungen oder Regeln von den betroffenen Kreisen verstanden und von Verwaltungsbehörden und Gerichten ohne Willkür gehandhabt werden können." 69 Verb. d. Kammer d. Abgeordneten auf dem Landtage von 1836, S. 35 (89. Sitzung v. II. 6. 1836). 10 Wächter, Beitrag zu der Lehre vom Gerichtsgebrauche, AcP 23, 1840, S. 432-446 (432).

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rer Gewohnheitsrechte seyn; das Gericht wird überhaupt wohl daran thun, im Zweifel einem solchen Gebrauche zu folgen, und so auf Festigkeit und Sicherheit des Rechts hinzuwirken; allein an und für sich bildet er keine bindende Rechtsnorm, selbst nicht bei Lücken oder zweifelhaftem Sinn der Gesetze."71 Wächter betont die Gebundenheit des Richters an das Gesetz. "Bei der Anwendung des Rechts hat der Richter überall auf den Geist und die Absicht des Gesetzes zu sehen und auf die ihm zu Grunde liegende Rechtsansicht und auf den Zusammenhang desselben mit der ganzen Gesetzgebung, und namentlich wenn eine Befolgung des wörtlichen Inhalts des Gesetzes auf eine nicht gewollte Härte oder auf eine Entscheidung, die nach andem, gesetzlich anerkannten, Grundsätzen ungerecht erscheint, führen würde, die wahre Absicht des Gesetzgebers und nicht die stricten Worte zu befolgen."72 Der Richter hat "das positive Recht" "bei Lücken desselben lediglich aus sich selbst zu ergänzen'm. Unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit oder aequitas gelte nichts anderes. Nach der praktischen Bedeutung dieser aequitas habe "der Richter ihre Grundsätze keineswegs aus subjectiven Ansichten und dem Naturrechte (naturalis aequitas) zu schöpfen, sondern aus den dem positiven Rechte zu Grunde liegenden Principien, den Grundregeln des positiven Rechts; die für ihn maaßgebende aequitas ist daher blos die aus dem Geiste des positiven Rechts abgeleitete, die Analogie des positiven Rechts."74 Für die Strafrechtspflege forderte Wächter 1838 "als allgemeinen Grundsatz unseres Gesetzbuches", "daß in keinem Falle mehr ein Richter eine Handlung bestrafen dürfe, für deren Bestrafung er nicht ein bestimmtes Gesetz anführen kann". Der gerichtlichen Bestrafung sollten nur solche Handlungen oder Unterlassungen unterliegen, "die in einem Gesetze dessen Wort oder Sinne nach mit Strafen belegt sind"75 . Übrigens bewies sich Wächters rechtsstaatlich-freiheitlicher Geist auch bei seinem Widerstand gegen eine mit der Strafe auf Verdacht verhängte polizeiliche Aufsicht. Eine polizeiliche Maßregel, welche die Freiheit des Bürgers beschränke, werde sich als bloße polizeiliche Maßnahme nie rechtfertigen lassen. "Es müsse eine Maßnahme seyn, die bloß wegen eines begangenen Verbrechens, nicht aber wegen der ,,Persönlichkeit eines Menschen verhängt wird". Einen Menschen nach seiner ,,Persönlichkeit" gewissen Beschränkungen seiner Freiheit zu unterwerfen, lasse sich nie rechtfertigen. "Eine Stellung unter polizeiliche Aufsicht nach erstandener Strafe kann von dem Gericht erkannt werden, wenn durch die Art und die Umstände des verübten Verbrechens der Verbrecher sich der öffentlichen Ordnung und Sicherheit besonders gefährlich zeigte"76• Wächter, AcP 23, 1840, S. 440 ff. n Wächter, Handbuch (o. Fußn. 62), S. 63 f. 73 Wächter. Handbuch (o. Fußn. 62), S. 61. 74 Wächter. Handbuch (o. Fußn. 62), S. 63. 75 Verh. d. Kammer d. Abgeordneten auf dem Landtage von 1838, 1. Bd., S. 9 (5. Sitzung V. 23. 1. 1838). 71

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Als Rechtswissenschaftler von herausragender Produktivität schätzte Wachter selbstverständlich die Bedeutung der Jurisprudenz hoch ein, ohne ihr freilich den Charakter einer unmittelbaren Rechtsquelle zuzuerkennen. Immer wieder betonte er den Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis, die Aufgabe des Rechtswissenschaftlers, dem Rechtsleben zu dienen. "Das Lebenselement eines Rechts", so lehrte er, sei "eine tüchtige Wissenschaft und eine von der Wissenschaft durchdrungene und getragene Praxis.'m Die Gemeinsamkeit eines dem Geist der Nation und ihren Bedürfnissen entsprechenden Rechts sei "von unschätzbarer Bedeutung für die deutsche Rechtswissenschaft und Praxis und eben damit für gedeihliche Fortbildung des Rechts ... , während Wissenschaft und Praxis bei einem Zersplittern der Kräfte ... verkümmern müßten"78 . Mit Rücksicht auf die "praktischen Bedürfnisse Derjenigen, welche als Richter oder Sachwalter unser Recht zur Anwendung zu bringen haben", legte Wachter seine literarischen Werke an, vornehmlich sein wohl bedeutendstes, wenngleich unvollendetes: das "Handbuch des im Königreiche Württemberg geltenden Privatrechts". Die Ansprüche des praktischen Bedürfnisses wie gleichermaßen die Anforderungen der Wissenschaft geböten, "was im Leben und in der Anwendung unseres Rechts seit Jahrhunderten als ein Ganzes bestand", auch als ein Ganzes aufzufassen. Infolge der Art und Weise, wie sich das einheimische Recht an das römische anschloß, lasse "ein vollständiges, innerlich zusammenhängendes System des gesammten bei uns geltenden Privatrechts sich wohl bilden". Zu diesem Zweck sei es unumgänglich notwendig, "in gleicher Art und in gleichem Maaße alle Elemente, aus welchen dieses Recht gebildet wird, zu berücksichtigen; es ist der Inhalt der fremden Quellen, soweit sie bei uns zur Anwendung zu bringen sind, also namentlich der des Römischen Rechts, soweit wir aus demselben unsre einheimische Quellen zu ergänzen haben, in gleicher Weise in seinem genauen Detail darzustellen, wie der Inhalt der einheimischen Quellen"79 • Wachter anerkannte das römische Recht als "Kern des Rechtszustandes". Die lateinische Tradition nahm breiten Raum ein in seinen Schriften sowohl zum Zivilwie zum Strafrecht- bis hin zur Carolina80• Aber er sah in der Rezeption, dem vielschichtigen Prozeß der Aufnahme des römischen Rechts nördlich der Alpen zu Beginn der Neuzeit, der Verwissenschaftlichung der Rechtspflege 81 , einen Vorgang der Aneignung, nicht der Überfremdung, wenngleich manche Regeln des römischen Rechts den deutschen Ansichten und Verhältnissen fremd blieben. "Wir haben uns 76 11

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Verb. d. Württ. Landstände 1838, Bd. 9, S. 14 f. Wächter. Staats-Lexikon, Bd. 6, 1862, S. 506. Wächter, Staats-Lexikon, Bd. 6, 1862, S. 505 f.

Wächter. Handbuch, Bd. I 1 (o. Fußn. 30), S. VI (Vorrede). Wächter, Über die lateinische Übersetzung der Carolina und ihre Wichtigkeit für die Auslegung der letzteren, Neues Archiv des Criminalrechts 12, 1830, S. 82-99. 81 Aus der reichen Literatur Lange, Das Problem der Rezeption im Recht, 1987 (Mainzer Akademieschriften). 79

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in dasselbe hineingelebt; es ist zum großen Theile wahrhaft deutsches Recht geworden, und was wir ihm für die Reform unsers Privatrechtszustandes, für tieferes Erkennen des Rechts, für Befahigung zum juristischen Denken und für unser Wissen überhaupt danken, wird kein gerechter und unbefangener Beurtheiler verkennen."82 Wachter bejahte die maßvolle Rezeption und Fortführung des römischen Rechts. Die Geltung eines gemeinen deutschen Rechts aber bestritt er, so sehr er ein gemeinsames nationales Recht herbeiwünschte83 . "Ein Recht ist verschiedenen Bezirken juristisch gemein - nicht blos materiell, sondern auch formell gemein -, wenn die Gemeinsamkeit des Rechts sich auf eine für die verschiedenen Bezirke gleichmäßig bestehende juristische Nothwendigkeit gründet (gemeines Recht im eigentlichen Sinne). Diese juristische Nothwendigkeit und somit die dadurch begründete Gemeinsamkeit des Rechts ist in der Regel eine staatsrechtliche, kann aber auch eine völkerrechtliche seyn." Erstere sei gegeben, "wenn eine gemeinsame Staatsverbindung für sich der Grund der dauernden Gemeinsamkeit des Rechts ist"- nämlich "im Entstehen, Bestehen und Fortbilden des Rechts". Das verfassungsrechtliche Verständnis des Staatsmannes, das sich auch an anderen Stellen, etwa im Handbuch des württembergischen Privatrechts, zeigt, bewährt sich also auch bei der Kritik an dem verbreiteten und mißverständlich gebrauchten Begriff des gemeinen Rechts. Leben und Werk erweisen Carl Georg von Wachter als einen zu seiner Zeit mit Grund hochberühmten Juristen von außergewöhnlicher Vermittlungs- und Integrationskraft Wie kein anderer beherrschte er sowohl das Zivil- wie das Strafrecht84 mit der dazugehörenden Rechtsgeschichte 85 . Ohne selbst das öffentliche Recht akademisch und fachschriftstellerisch zu betreiben, behielt er - dank seiner vielfaltigen politischen Erfahrungen - den Blick für die staatsrechtlichen Zusammenhänge. Deren Grund lag für ihn im Königtum, mit dem der Konstitutionelle die Idee des Liberalismus zu verbinden wußte - nicht im Sinne eines fundamentalen Dualismus86, sondern einer wohlverstandenen, gewachsenen Einheit. Unauslöschlich geprägt von der Historischen Rechtsschule vertrat der Gelehrte doch die - durch seinen geschichtlichen Sinn gemäßigte - Kodifikationsidee. Sein Positivismus Wächter, Staats-Lexikon, Bd. 6, 1862, S. 495. Wächter. Gemeines Recht Deutschlands, insbesondere gemeines deutsches Strafrecht, 1844, Vorrede S . VIII, S. 10 f. 84 Vgl. u. a. Wächter. Lehrbuch des Römisch-Teutschen Strafrechts, zwei Teile, 1825, 1826; Das Königlich-Sächsische und das Thüringische Strafrecht, drei Lieferungen, 18561858; Beitrag zur Geschichte und Kritik der Entwürfe eines Strafgesetzbuchs ftir den Norddeutschen Bund, 1870; Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, 1877; zahlreiche Rezensionen und Abhandlungen in dem von ihm mitherausgegebenen (Neuen) Archiv des Criminalrechts und an anderen Orten. ss Vgl. etwa Wächter. Beiträge zur deutschen Geschichte, insbesondere zur Geschichte des deutschen Strafrechts, 1845 (Neudr. 1970). 86 Ein Wort Ernst Rudolf Hubers, zur Kennzeichnung des deutschen konstitutionellen Systems, eines eigenständigen und über ein Jahrhundert währenden Verfassungstypus. 82

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bleibt letztlich gegründet auf den Volksgeist und damit gleichfalls moderat. Im Berufsleben mit seinem pädagogischen und seinem richterlichen Dienst wie bei der Gelehrtenarbeit traten praktische und theoretische Erfahrungen zusammen und durchdrangen sich. Sein fortschrittliches Verständnis der Rezeption als Aneignung und Anverwandlung, als - durchaus schon im Wieackersehen Sinne - Verwissenschaftlichung der Rechtspflege bewahrte Wächter vor der Teilnahme an dem überspannten Streit und der Eifersucht zwischen Romanisten und Germanisten. Seine Position über den Schulen und Gegensätzen mag dazu beigetragen haben, daß sein Ansehen unter den Nachlebenden verblaßte. Die Verirrungen und Abgründigkeiten dieses zu Ende gehenden Jahrhunderts, auch die in ihm gewonnenen Einsichten in den Gang der Rechtsentwicklungen lassen die Leistung Wächters wieder glänzen: als ausgewogene umfassende Synthese. Wer Wächter mit guten Gründen einen Platz zuerst in der württembergischen Landesgeschichte anweist, schmälert seinen Beitrag zum deutschen Zivil-, Strafund Internationalen Privatrecht keineswegs, auch nicht die Leistungen des Leipziger Rechtslehrers. Der Jurist hat seine tiefe Verbundenheit mit Württemberg zeitlebens aufrechterhalten. Über lange Jahrzehnte gehörte er zum Kern der "Göppinger Versammlung", eines Kreises Tübinger Universitätsfreunde87• In der Zeitspanne von 1822 bis 1872 hat Wächter fünfundzwanzig dieser jährlich Anfang September stattfindenden Zusammenkünfte besucht. Das "Gästebuch" dieser Versammlung verspricht Aufschlüsse zu dem Geflecht persönlicher Beziehungen, in dem der Rechtsgelehrte sich bewegte. In seinen Werken zum württembergischen Privat- und Strafrecht erweist sich Wächter als bester Kenner der württembergischen Landesgeschichte. Auf diesem Feld erwarb er sich nicht zuletzt Verdienste auch als Herausgeber der "sämmtlichen Werke" von Ludwig Timotheus Freiherr von Spittler88• Dieser aus dem Tübinger Stift hervorgegangene Gelehrte, Professor zu Göttingen, dann Geheimer Rat in Stuttgart89, hatte sich im späten 18. Jahrhundert einen Namen gemacht auch mit einer württembergischen und einer Hannoveraner Geschichte. ,,Mit diesen beiden Landesgeschichten hat er die Bahn gebrochen für eine richtige Behandlung derartiger Monographien, indem er die inneren politischen Zustände, namentlich das Verhältnis der ständischen Rechte zu der Iandeshoheitlichen Gewalt, ins Licht gestellt hat"90• Die Unbestechlichkeit dieses Mannes, der sich der Wissenschaft 87 Der Verfasser verdankt diesen Hinweis Michael Klein, dessen Buch: Die Handschriften der Sammlung J I im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, 1980, auf die Spuren des Göppinger Kreises führt (S. 236, 542). 88 15 Bände, 1825-1837. 89 Klüpfel, WVjh X, 1887, S. 94 f. Vgl. ferner Grube, Der Stuttgarter Landtag, S. 123, 388, 456, 460, 470, 474. Thieme berichtet, daß Savigny Universalgeschichte "bei dem ausgezeichneten Spittler" hörte (ZRG, germ. Abt. 80, 1963, S. 4). Stradal weist im Zusammenhang einer Rezension auf Spittler als Verfechter des verfassungsrechtlichen Postulats nach optimaler Vertretung des dritten Standes und als Realpolitiker hin (ZRG, germ. Abt. 89, 1972, S. 239). 90 Klüpfel, WVjh X, 1887, S. 94.

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und der Politik verschrieben hatte und der, im Fürstendienst zu Stuttgart wenig glücklich geworden, schon 1810 starb, seine historische Sachlichkeit und Rechtlichkeit mögen es Wachter angetan haben. In seinen Vorreden zu den einzelnen Bänden hat er manches aufschlußreiche Detail hinzugebracht, seinen Autor auch gegen Kritiker wie Reyscher verteidigt91 und "schöne Stellen" hervorgehoben wie jene "über die Einseitigkeit des Urtheils angeblicher Patrioten, welche immer nur für die Stände und stets gegen die Regierung Partei nehmen zu müssen glauben"92. Auch in der Landeshistoriographie - der Kreis schließt sich - begegnet uns Wachter also wieder mit seinem Gerechtigkeitssinn, der ihn nie zum einseitig blinden Verfechter und unzugänglichen Parteigänger werden ließ. Die Erinnerungszeichen, die ihm die Nachwelt in Tübingen, Stuttgart und Leipzig gesetzt, hielten im Unterschied wohl zu manchen anderen - einer kritischen Überprüfung durch uns Heutige durchaus stand.

91 13. Bd., 1837, S. VIII ff. "Es darf nicht zur Sitte werden, gegen die, auf deren Schultern wir stehen, deren Bemühungen wir unsere glücklichere Lage in Beziehung auf Benützung der Quellen verdanken, - und wer hat für die Veröffentlichung der Archive eifriger gekämpft als Spittler! - sich Ungerechtigkeiten zu erlauben" (S. XIV). 92 13 Bd., 1837, S. VII.

Karl Georg von Waechter als Parlamentarier Von Thomas Schaefer

I. Einleitung Zwei Urteile über den Menschen und Politiker Waechter sollen zunächst vorgestellt werden: Das erste fällte Robert von Mohl in seinen Lebenserinnerungen: 1 "Wächter ist zwar nicht ungutmütig, nicht neidisch, gönnt jedem alles Gute, vorausgesetzt, daß es nicht mit seinen eignen Interessen streitet; aber er ist ein hartgesottener Egoist, welcher rücksichtslos über alles weggeht, was ihm im Wege steht, und von Zuverlässigkeit ist so wenig die Rede als von einer ernstlichen Überzeugung. Zehnmal in seinem Leben hat er seine politische Richtung geändert, wie eben der Wind ging, denn zum Märtyrer findet er sich nicht berufen." Das zweite ist aus jüngster Zeit: 2 "W. war königstreu und - was von einem Burschenschaftler, der Gründungsmitglied der Tübinger Arrninia war, erstaunt - liberalem Gedankengut nicht besonders hold."

II. Württembergische Kammer der Abgeordneten bis 1847 Waechters politische Laufbahn begann in Württemberg. Mit Schreiben des württembergischen Kultusministerialchefs Schlayer vom 14. Oktober 1835 wurde ihm die Stelle eines Kanzlers und außerordentlichen königlichen Bevollmächtigten an der Universität Tübingen und zugleich ersten Mitgliedes an der Juristischen Fakultät angeboten.3 Erst 1832 war er von Tübingen auf den Lehrstuhl für Strafrecht an der Universität Leipzig berufen worden. Den Ruf zurück nach Tübingen nahm er rasch ent-

Robert von Mohl, Lebenserinnerungen, Stuttgart und Leipzig, 1902, Bd. I, S. 198. Stunn in: HRG, Bd. 5, Sp. 1077. 3 Oskar von Wächter, Carl Georg von Wachter, Leben eines deutschen Juristen, Leipzig, 1881, S. 44. I

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schlossen an. Beweggründe für diese Entscheidung waren sein stets betontes Heimatgefühl und wohl auch der Glanz der angebotenen Stellung.4 Der Kanzler galt nach der Universitätsverfassung5 als Repräsentant des Landesherrn bei der Universität. König und Regierung verfügten mit diesem Amt über eine Möglichkeit der Einflußnahme auf die Universität. 6 Als Kanzler der Universität hatte Waechter die Virilstimme der Universität in der württembergischen Kammer der Abgeordneten. Er gewann schnell eine angesehene und einflußreiche Stellung in der Kammer. Während der Debatte auf dem Landtag 1838 über die Schaffung eines neuen württembergischen Strafgesetzbuches konnte Waechter aufgrund seiner fachlichen Voraussetzungen naturgemäß sofort eine bestimmende Rolle einnehmen. Im Jahre 1832 wurde von einer von der Regierung eingesetzten Kommission ein Entwurf eines Strafgesetzbuches für das Königreich Württemberg veröffentlicht.7 Waechter hat noch während seiner ersten Leipziger Zeit diesen Entwurf im Archiv des Criminalrechts begutachtet und die Lücken und Widersprüche desselben aufgezeigt. 8 Er schrieb u. a.: 9 "Von einer neuen Strafgesetzgebung erwartet man namentlich auch, und gewiß mit Recht, daß sie solche Fragen, welche bisher in der Doctrin und Praxis sehr bestritten waren, entscheide, und so, durch die bisher gemachten Eifahrungen auf das aufmerksam gemacht, was einer gesetzlichen Feststellung bedarf, Zweifel und Ungewißheiten für die Zukunft abschneide. Dies zu thun unterläßt der vorliegende Entwuif in manchen Fällen ... " Die Opposition im Landtag versuchte, die Strafen, insbesondere die ftir politische Verbrechen, möglichst niedrig zu halten. Waechter vertrat den Standpunkt eines genügend hohen Strafmasses. 10 Er trat für Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens ein: 11 "Ich glaube, es wird darüber kein Zweifel sein, daß im Strafprozeß, wenn er seinen Zweck, den Angeschuldigten vollkommen zu sichern und eine strenge und unparteiische Rechtspflege herbeizuführen, völlig erreichen will, auch auf das Prinzip der Öffentlichkeit und Mündlichkeif bis auf einen gewissen Grad gebaut sein muß. " Windscheid, Carl Georg von Wächter, Leipzig, 1880, S. 8 s Zur Entwicklung der Universitätsverfassung vgl. Otto Häcker, Die parlamentarische Tätigkeit des Kanzlers Carl Georg von Wächter, Tübingen, 1927, S. 45 ff. 6 Eberhard Sieber, Der politische Professor um die Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Hansmartin Decker-Hauff, Gerhard Fichtner und Klaus Schreiner (Hrsg.), Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen, Band I, Tübingen, 1977, S. 297. 7 Entwurf eines Strafgesetzbuchs für das Königreich Württemberg, Stuttgart, 1832. 8 Carl Georg Wächter, Über den Entwurf eines Strafgesetzbuches für das Königreich Württemberg, Archiv des Criminalrechts, Neue Folge, 1834, S. 303 ff. 9 Carl Georg Wächter, Über den Entwurf eines Strafgesetzbuches für das Königreich Württemberg, Archiv des Criminalrechts, Neue Folge, 1834, S. 329. 10 Otto Häcker (o. Fußn. 5), S. 70. 11 Otto Häcker (o. Fußn. 5), S. 70. 4

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Wie sehr um jeden Paragraphen gekämpft wurde, zeigt Waechters eigene AnalyseY Danach wurden von den 438 Artikeln, die der Entwurf enthielt, 131 ohne Änderung angenommen. Im übrigen kam das Gesetz mit 447 Änderungen zustande. Eine detaillierte Darstellung würde den Rahmen des Vortrages sprengen. In Waechters Zeit fällt des weiteren die Verabschiedung verschiedener Gesetze über die Ablösung der Feudallasten. 13 Waechter äußerte sich in der Kammer auch zu der Hannoverschen Verfassungsfrage. Die stürmische Beratung hierüber war mit Angriffen auf das konstitutionelle System verbunden. Waechter rief zur Einmütigkeit auf und sagte: 14 ,.Ich möchte nur fragen, ob man glaube, daß die Sache uns berühren würde, wenn der Rechtsboden nicht verletzt worden wäre? Dies ist der einzige Grund, warum wir hier eine Verwahrung einlegen. lWire das Recht nicht verletzt, so würden wir uns enthalten, ein Wort zu sprechen, allein jetzt müssen wir unsere volle Überzeugung kund geben, daß der Rechtszustand von Deutschland wesentlich gefährdet sei." Mit 82 zu 2 Stimmen wurde dann ein Antrag angenommen: Die Kammer legte eine Erklärung im Protokoll nieder, daß in der einseitigen Aufhebung der Hannoverschen Verfassung durch eine Machthandlung des Regenten eine offenbare Rechtsverletzung liege und daß dadurch der Rechtszustand von ganz Deutschland gefährdet werde. Im Jahre 1839 wurde er zum Präsidenten der Kammer auf 6 Jahre gewählt; die Wahl wiederholte sich 1845. 15 Dies bedeutete für ihn persönlich, daß er seine Lehrtätigkeit einstellen und seinen Wohnsitz nach Stuttgart verlegen mußte. Die wissenschaftliche Tätigkeit ließ er jedoch nicht ruhen, wie seine umfangreichen schriftstellerischen Arbeiten aus dieser Zeit zeigen. 1839 wurde das Strafpo1izeigesetz, 1841 I 43 die Strafprozeßordnung und der Eisenbahnbau beraten. Bemerkenswert ist seine Haltung bezüglich Dr. Zeller und Prof. Vischer. Im Fall Zellerging es um dessen Anstellung an der Philosophischen Fakultät der Universität Tübingen. Waechter vertrat in seinem diesbezüglichen Gutachten den Standpunkt, daß ein christlicher Staat einen Gegner des Christentums nicht als Lehrer anstellen dürfe. 16 Ebenso entschied er sich im Fall Vischer. Vischer, ein Gegner des Pietismus und Vertreter einer pantheistischen philosophischen Anschauung, hatte in seiner Inauguralrede das Christentum stark angegriffen. 17 Auch hier hatte er in seiner Funk12 Carl Georg Wächter, Die Ausübung der Gesetzgebungsgewalt unter Theilnahme der Ständeversammlungen, in: Arch. d. Criminalrecht 1839, S. 345, 366. 13 Oskar von Wächter (o. Fußn. 3), S. 55. 14 Otto Häcker (o. Fußn. 5) S. 70. 15 Oskar von Wächter, (o. Fußn. 3}, S. 55. 16 Gutachten vom 31. Juli 1843, abgedruckt in: Oskar von Wächter (o. Fußn. 3), S. 58 f. 17 Gutachten vom 2. Februar 1845, abgedruckt in: Oskar von Wächter ( o. Fußn. 3), S. 59 f.

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tion als Kanzler den Bericht zu erstellen. Vischer wurde entgegen Waechters Vorschlag nur für zwei Jahre unter Bezahlung der Bezüge vom Dienst suspendiert. 18 Die Angelegenheit kam auch im Landtag von 1845 zur Sprache, als während der Debatte um den Etat der Universität Friedrich Römer den Antrag stellte, daß die Besoldung Vischers solange nicht bewilligt werde, als ihm oder einem andem Lehrer der Ästhetik nicht erlaubt werde, Vorlesungen in diesem Fach zu halten. Römer berief sich dabei auf die Lehrfreiheit. 19 Entgegen seiner sonstigen Unparteilichkeit gab Waechter hier das Präsidium ab und trat in die Debatte ein. Er sprach sich entschieden für die Lehrfreiheit aus, sah diese indes durch die Maßnahme nicht verletzt. Er selbst sei für eine schärfere Maßregel eingetreten. Römers Antrag wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. 20 Im Landtag von 1847 wurde hauptsächlich über Zensur und Pressefreiheit, Abschaffung der Lebenslänglichkeit von Gemeinderäten und Ablösung der Grundlasten beraten.

111. Die Ereignisse des Jahres 1848: Württembergische Kammer der Abgeordneten, Vorparlament, 50er Ausschuß Am 24. Januar 1848 wurde der neue Landtag durch den Präsidenten Waechter eröffnet. In seiner Eröffnungsrede sagt Waechter: 21 ., Wir leben in einer Zeit des entschiedenen Fortschrittes und zwar nicht in einer Zeit des Fortschrittes, dem erst in seinen Principien Bahn zu brechen wäre, sondern wir beginnen schon die Früchte von dem Fortschritte zu ernten. Die Principienfragen sind meistentheils, ich glaube Das sagen zu düifen, aufunseremfesten konstitutionellen Boden glücklich gelöst. In den allgemeinen Grundsätzen herrscht beinahe durchweg zwischen der Regierung und den Ständen Einklang und es waltet über dieselben in unserem Staate zu Folge seiner politischen Ausbildung kein Zweifel, kein Zwiespalt mehr ob." Der Landtag wurde am 12. Februar 1848 vertagt22 und nurmehr durch den "Ständischen Ausschuß" vertreten, dem auch Waechter angehörte.23 Aufgrund ts Otto Häcker (o. Fußn. 5), S. 80. Otto Häcker (o. Fußn. 5), S. 81 . 20 Otto Häcker (o. Fußn. 5), S. 81. 21 Verhandlungen der Württembergischen Kammer der Abgeordneten auf dem Landtage von 1848, Bd. I, Stuttgart, 1848, S. 3. 22 Bernhard Mann, Die Württemberger und die deutsche Nationalversammlung 1848/49, Düsseldorf, 1975, S. 15. 23 Verhandlungen der Württembergischen Kammer der Abgeordneten auf dem Landtage von 1848, Beilagenband 2, Stuttgart, 1848, S. 147. 19

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der Ereignisse Ende Februar I Anfang März 1848 kam es zu einer Regierungsumbildung. Der Konservative von Linden sollte den bisherigen Minister Schlayer ablösen. Aufgrund der Feindseligkeit der Öffentlichkeit mußte der König jedoch mit der liberalen Opposition Verbindung aufnehmen. Den Liberalen gelang es, ihren stärksten Mann an die Spitze des Ministeriums zu bringen, Friedrich Römer.24 Waechter war an diesen Vorgängen weder beteiligt noch billigte er sie?5 So sagte er in einer Unterredung mit dem Präsidenten des Geheimen Rats von Maucler: 26 "Man muß nicht in der ersten Gefahr die letzte Kane ausspielen. Aus einer kleinen Minorität einer loyalen und freisinnigen Kammer ohne weiteres das Ministerium zu bilden - ist ein folgenschwerer, nicht gerechtfertigter Schritt." Am 14. März trat die Kammer wieder zusammen. Waechter, noch immer Präsident, paßte sich den veränderten Verhältnissen an27 und sagte zur Eröffnung diesbezüglich: 28 ,.Scharen wir uns fest um den Thron und den Bund, und geben wir rückhaltslos, redlich und treu unsere volle Unterstützung den Rathgebem, die unser König gewählt hat." Er blieb Präsident der Abgeordnetenkammer bis kurz vor der Auflösung der Kammer Ende März, obwohl er den Schritt überlegt hatte, das Amt sofort abzugeben... Wenn ich aber jetzt sehe, daß wir in wenigen Tagen aufgelöst werden, so glaube ich meine Stelle nicht niederlegen zu sollen, da in diesen wenigen Tagen die Kammer nicht zu einerneuen Wahl wird schreiten wollen." Doch auch unter den veränderten Machtverhältnissen war Waechters Einfluß noch vorhanden. Waechter versuchte, die Verhandlungen über die deutsche Frage zu beeinflussen. Am 27. März, dem Tag vor Auflösung der Kammer, vertrat Waechter deutlich die nationale Sache. Er sprach sich für die Notwendigkeit der Gründung eines freien deutschen Parlaments unter einem Bundeshaupte und die Kompetenzerweiterung für den Deutschen Bund unter Garantie nationaler Volksvertretung aus. Dabei nahm er auf den Kommissionsbericht Welckers, mit dem er befreundet war,29 über die Anträge Hassermanns bezug. Ihm gelang es zwar nicht, die württembergischen Teilnehmer an der seit 12. März auf den 30. März nach Frankfurt/Main eingeladenen "Versammlung der Männer des Vertrauens" 30 auf eine gemeinsame Linie festzulegen. Er konnte aber einen Teil von ihnen in seinem gemäßigt liberalen Sinne beeinflussen. 31 Bernhard Mann (o. Fußn. 22), S. 20 f. Vgl. Waechters Aufzeichnungen, abgedruckt in: Oskar von Wächter (o. Fußn. 3), S. 68 f. 26 Vgl. Waechters Aufzeichnungen, abgedruckt in: Oskar von Wächter (o. Fußn. 3), S. 69. 27 Vgl. Bernhard Mann (o. Fußn. 22), S. 32. 28 Verhandlungen der Württembergischen Kammer der Abgeordneten auf dem Landtage von 1848, Bd. I, Stuttgart, 1848, S. 163. 29 Oskar von Wächter (o. Fußn. 3), S. 9. 30 Friedrich Siegmund Jucho (Hrsg.), Verhandlungen des deutschen Parlaments, Erste Lieferung, Frankfurt IM., 1848, S. IX. 31 Bernhard Mann (o. Fußn. 22), S. 33 f. 24

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Waechter ging im April nach Frankfurt/M. zum Vorparlament Dort stimmte er mit der Mehrheit gegen den Antrag, das Prinzip der direkten Wahlen für jeden Staat verbindlich festzulegen. 32 Ebenso stimmte er mit der Mehrheit gegen den Antrag der Gruppe Hecker-Struve auf Permanenz der Nationalversammlung. 33 Waechter wurde knapp34 in den Fünfzigerausschuß, der "die Vollziehung der Einberufung der constituirenden Nationalversammlung zu betreiben" 35 hatte, gewählt. Im Fünfzigerausschuß hatte die Gruppe um Welcker und Gagem, zu der auch Waechter zu zählen ist, die Mehrheit. Welcker selbst war Mitglied des Vorparlaments36 und des Bundestages; nicht jedoch des Fünfzigerausschusses.37 Waechter wurde in die Kommission zur Ausarbeitung der Geschäftsordnung des Fünfzigerausschusses gewählt. 38 Der Ausschuß sah seine Hauptaufgabe darin, die Vollziehung der Beschlüsse des Vorparlaments zu überwachen. Bedeutsam war die Arbeit des Fünfzigerausschusses hinsichtlich der Wahlen zur Nationalversammlung. Er erreichte die Zurücknahme des preußischen Dekrets vom 5. April über die Wahl der Nationalvertreter durch die früheren Landstände. Statt dessen wurde die preußische Wahlverordnung vom 11. April 1848, die allgemeine, gleiche und indirekte Wahlen vorsah, angewendet. 39 Zur Frage der Kompetenz des Fünfzigerausschusses sagte Waechter in der Sitzung vom 11. April:40 "Wir sind zu dem Schritte, den das Präsidium in Antrag gebracht hat, 41 gerade so competent, wie zu allem dem Handeln, das wir bis jetzt in Frankfurt entwickelten. Wir sind mit einem Wort zu allem dem competent, wozu uns Deutschland competent machen will, und wir haben bloß herauszufühlen, was der Sinn und Gedanke Deutschlands ist. Wenn wir mit diesem zusammentreffen, so wird Niemand uns unsere Competenz bestreiten, und wenn wir einerseits der Reaction und andererseits der Anarchie entgegentreten, so wird ganz Deutschland, Friedrich Siegmund Jucho (Hrsg.) (o. Fußn. 30), S. 164. Friedrich Siegmund Jucho (Hrsg.) (o. Fußn. 30), S. 167. 34 50. mit 190 Stimmen; Hecker erreichte mit 171 Stimmen als 51. nicht die Wahl in den Ausschuß. Friedrich Siegmund Jucho (Hrsg.) (o. Fußn. 30), S. 161. 3S Friedrich Siegmund Jucho (Hrsg.) (o. Fußn. 30), S. I. 36 Friedrich Siegmund Jucho (Hrsg.) (o. Fußn. 30), S. XIV. 37 Friedrich Siegmund Jucho (Hrsg.), Verhandlungen des deutschen Parlaments, Zweite Lieferung, Frankfurt/M., 1848, S. 3. 38 Friedrich Siegmund Jucho (Hrsg.) (o. Fußn. 37), S. 4. 39 Bernhard Mann (o. Fußn. 22), S. 95; vgl. auch Friedrich Siegmund Jucho (Hrsg.) (o. Fußn. 37), S. lO ff. 40 Friedrich Siegmund Jucho (Hrsg.) (o. Fußn. 37), S. 52. 41 Aus Kassel wurde die blutige Zerschlagung von Demonstrationen gemeldet. Das Präsidium des Ausschusses machte den Vorschlag, eine Deputation nach Kassel zu senden. Die Kornmission sollte die Verhältnisse erforschen und die Regierung Kurhessens beraten: vgl. Friedrich Siegmund Jucho (Hrsg.) (o. Fußn. 37), S. 48 ff. 32 33

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wenn wir auch bloß Privatmiinner sind, unsere Competenz zu dem entschiedensten Handeln anerkennen. "

Auf der Sitzung vom 17. April stellte Waechter den Antrag, der Fünfzigerausschuß, die Bundesversammlung und die siebzehn Vertrauensmänner möchten eine gemeinsame Kommission aus ihrer Mitte ernennen, um die durch die außerordentliche Lage Deutschlands gebotenen Maßregeln zu beraten.42 Waechter wollte die Einsetzung einer provisorischen Bundeszentralbehörde von drei Mitgliedern erreichen, die als Einheit dem zukünftigen Parlament gegenübertreten sollte; eine Politik, die Welcker im Bundestag vertrat. Dieser Plan ließ sich letztendlich aufgrund der zwischen Fünfzigerausschuß und Bundesversammlung ·herrschenden Atmosphäre des Mißtrauens und der Eifersucht nicht verwirklichen. 43 Zur Vorbereitung der Wahl wurde Waechter am 25. April zusammen mit lgnaz Kuranda nach Prag geschickt, um die Frage der böhmischen Beteiligung am deutschen Parlament zu untersuchen.44 Sie erstatteten dem Fünfzigerausschuß am 3. Mai detaillierten Bericht über die Verhältnisse in Böhmen.45 Allein der Fünfzigerausschuß konnte in Böhmen aufgrund des erstarkenden tschechischen Nationalbewußtseins wenig Einfluß ausüben.46 Mit dem Zusammentreten der Nationalversammlung zu ihrer konstituierenden Sitzung am 18. Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche war die Tätigkeit des Vorparlaments und des Fünfzigerausschusses beendet. Waechter war nicht in die Nationalversammlung gewählt worden.

IV. 1848/49 Württembergische Kammer der Abgeordneten Nach der Rückkehr aus Frankfurt wurde von der Regierung Römer eine Organisationskommission eingesetzt, die sich am 15. Juni 1848 konstituierte. Waechter wurde zum Vorsitzenden gewählt und veröffentlichte kurz darauf das Programm der Kommission.47 Den Landtag wollte die Regierung Römer zunächst nicht einFriedrich Siegmund Jucho (Hrsg.) (o. Fußn. 37), S. 77 u. 83. Bernhard Mann (o. Fußn. 22), S. 96 f.; zur Diskussion im Fünfzigerausschuß über den Antrag: Comitesitzung des Fünfziger-Ausschusses vom 18. und 19. April, Friedrich Siegmund Jucho (Hrsg.), Verhandlungen des deutschen Parlaments, Lieferung 2, 50er Ausschuß, Frankfurt IM., 1848, S. 117 ff. und S. 152 ff., insbesondere S. 182 f. sowie Bericht des Vorsitzenden des Fünfzigerausschusses und darauffolgende Diskussion ebd. S. 218 ff.; An dieser Diskussion konnte Waechter nicht teilnehmen, vgl. ebd. S. 244. 44 Friedrich Siegmund Jucho (Hrsg.) (o. Fußn. 43), S. 206. 4S Friedrich Siegmund Jucho (Hrsg.) (o. Fußn. 43), S. 283 ff., 286 ff. 46 Bernhard Mann (o. Fußn. 22), S. 96. 47 Schwäbische Kronik, Nr. 180 vom 1. Juli 1848, S. 957 ff. 42

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berufen, obwohl etwa vierzig Abgeordnete dies auf Reyschers Anregung hin forderten.48 Die Regierung wollte zunächst die Ergebnisse der Frankfurter Nationalversammlung abwarten. Waechter arbeitete in der Organisationskommission und engagierte sich stark im Vaterländischen Verein in Stuttgart.49 Im Herbst 1848 begann er wieder, Pandekten zu lesen. Seinen Sitz in der Kammer nahm er nur sporadisch ein.5° Zur Eröffnung des Landtagesam 20. September fehlte Waechter. Statt dessen präsidierte er der Professorenversammlung in Jena, auf der er sich für Lehr- und Lernfreiheit einsetzte.5 1 Der Landtag 1848 I 49 stand unter dem Zeichen der Umbildung und Weiterbildung der württembergischen Verfassung. Am 5. Oktober 1848 nahm Waechter an der Debatte über die Rechte der zukünftigen verfassungsrevidierenden Versammlung Württembergs und ihr Verhältnis zur Reichsverfassung regen Anteil. Er sagte u. a.: 52 "Es sind aber auch wesentliche rechtliche Änderungen in unseren Veifassungsverhältnissen nothwendig, wenn auch keine Grundrechte von Frankfurt in den nächsten Wochen publicirt würden. Das müssen wir zugeben, daß mit der jetzigen Zeit Privilegien, oder privilegierte besondere Stände sich nicht vertragen; und würden auch keine Grundrechte verkündigt werden, so müßten wir doch versuchen, die Hand an die Veränderung der Veifassung zu legen, um die volle Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetze herzustellen." In der gleichen Sitzung sagte er zur Verteidigung gegen Angriffe, er habe sich früher anders ausgesprochen: 5 3 "Ich habe aus meinen politischen Grundsätzen nie ein Geheimnis gemacht. Zu dem Programm, zu dem ich mich heute bekenne, habe ich mich von jeher bekannt; ich habe heute kein Wort gesprochen, das ich nicht schon früher gesprochen hätte. Wenn ich mich aber je in Acht nahm, nicht anders zu sprechen, als früher, so habe ich mich in den letzten sechs Monaten in dieser Beziehung in Acht genommen. Im Fünfziger-Ausschuß hätte ich Gelegenheit genug gehabt, mich zu überstürzen; lesen Sie meine Worte nach, ob ich dort nicht mit demselben Streben nach Mäßigung und Besonnenheit, aber auch mit demselben Festhalten an konstitutioneller Freiheit, gesprochen habe, wie heute. " In den folgenden Monaten nahm Waechter zur Frage des Jagdrechts und der Reform des Wahlgesetzes Stellung. Er sprach sich erneut dafür aus, daß der Kanzler Bernhard Mann (o. Fußn. 22), S. 118 f. Bernhard Mann (o. Fußn. 22), S. 166 f., 185 ff. so Oskar von Wächter (o. Fußn. 3), S. 72. SI Bernhard Mann (o. Fußn. 22), S. 197 155 . 52 Verhandlungen der Württembergischen Kammer der Abgeordneten auf dem Landtage von 1848/49, Bd. 1, Stuttgart, 1848/49, S. 149 f. 53 Verhandlungen der Württembergischen Kammer der Abgeordneten auf dem Landtage von 1848/49, Bd. I, Stuttgart, 1848/49, S. 160. 48 49

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als solcher nicht in der Kammer sitzen solle.54 Des weiteren verteidigte er die Tätigkeit der früheren Kammer der Abgeordneten gegen Angriffe der Finanzkommission.55 Am 13. April 1849 wurde über den Antrag, die Regierung aufzufordern, die Reichsverfassung anzuerkennen, debattiert. Waechter forderte in der Debatte mit deutlichen Worten den Anschluß an Preußen.56 Am 31. Mai 1849 sprach er sich gegen eine Unterstützung Badens und der Rheinpfalz durch Württemberg aus. 57 In der Debatte vom 9. Juni 1849 ging es im wesentlichen um die Frage der Anerkennung des Rumpfparlaments, das nach Stuttgart übergesiedelt war.58 Waechter sprach dem Rumpfparlament die Qualität einer Nationalversammlung als Versammlung des deutschen Volkes ab. 59 In der Folgezeit lehnte Waechter mehrere Angebote zur Teilnahme an der Wahl zum nächsten Landtag ab und begründete dies damit, sich soweit immer möglich aus der Politik zurückziehen und sich seiner akademischen Tätigkeit widmen zu wollen. 60 Ebenso hatte er kein Interesse daran, Minister in Württemberg zu werden.61 Im Jahre 1851 wurde Waechter- immer noch Kanzler der Universität- durch ein Ministerialdekret vom 5. April 1851 aufgefordert, seinen Platz in der zweiten Kammer einzunehmen. Er schrieb an den König: 62 "Ein Zurückgreifen auf die durch das Wahlgesetz von 1849 aufgehobene ständische Repräsentation ist nach meiner rechtlichen Überzeugung mit jenem Gesetze nicht vereinbar und ich kann sie daher nur aus dem Gesichtspunkte der Oktroyirung auffassen." Er stellte daraufhin das Kanzleramt zur Verfügung und wurde noch im April vom Amt des Kanzlers enthoben.63 Damit endete seine politische Tätigkeit in Württemberg. Noch im Oktober gleichen Jahres verließ er Württemberg. 54 Verhandlungen der Württembergischen Kammer der Abgeordneten von 1848/49, Bd. I, Stuttgart, 1848/49, S. 267 ff. 55 Verhandlungen der Württembergischen Kammer der Abgeordneten von 1848/49, Bd. 2, Stuttgart, 1848/49, S. 1048 f. 56 Verhandlungen der Württembergischen Kammer der Abgeordneten von 1848/49, Bd. 3, Stuttgart, 1848/49, S. 2635. 57 Verhandlungen der Württembergischen Kammer der Abgeordneten von 1848/49, Bd. 5, Stuttgart, 1848/49, S. 4087. 58 Oskar von Wächter (o. Fußn. 3), S. 98. 59 Verhandlungen der Württembergischen Kammer der Abgeordneten von 1848/49, Bd. 5, Stuttgart, 1848/49, S. 4165. 60 Oskar von Wächter (o. Fußn. 3), S. 109 f. 61 Oskar von Wächter (o. Fußn. 3), S. 110. 62 Abgedruckt in: Oskar von Wächter (o. Fußn.3), S. 123 f. 63 Oskar von Wächter (o. Fußn. 3), S. 124.

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V. Konstituierender Reichstag des Norddeutschen Bundes Waechter wurde im Februar 1867 zum Abgeordneten des Königreichs Sachsen, 12. Wahlkreis, Stadt Leipzig, für den konstituierenden Reichstag des norddeutschen Bundes gewählt.64 Er setzte sich erst im zweiten Wahlgang gegen den Vizebürgermeister Stephani durch.65 Waechter selbst schrieb, als er die Wahl dem Ministerium anzeigte: 66 "Im Anfange dieses Jahres wurde ich von einem Komite, welches wegen der Wahlen zum Reichstage des norddeutschen Bundes sich vereinigt hatte, befragt, ob ich eine Wahl zum Reichstage anzunehmen geneigt sein werde. - Es kßm mir der Antrag ganz unerwartet und ohne das geringste Zuthun von meiner Seite, wie ich auch bei den Wahlen in keiner Weise als Bewerber auftrat und weder direkt oder indirekt irgend für meine Wahl zu wirken suchte. Allein bei den gegebenen Verhältnissen hielt ich es für meine Pflicht, mich der Wahl, wenn sie auf mich fallen würde, nicht zu entziehen. " Der konstituierende Reichstag des norddeutschen Bundes mußte gegensätzliche Standpunkte vereinigen. Der Bismarcksche Verfassungsentwurfs war bestimmt von den militärischen Lebensnotwendigkeiten des Bundes und einer starken preußischen Dominanz. Auf der anderen Seite standen die insbesondere von den Nationalliberalen als unerläßlich festgehaltenen Mindestforderungen der konstitutionellen Doktrin.67 Die Arbeit wurde erschwert, weil der Entwurf erst am 12. Februar ohne Motive veröffentlicht wurde. Im Reichstag kam den beiden gemäßigt liberalen Fraktionen und den Freikonservativen das entscheidende Gewicht zu. 68 Waechters direkter Einfluß auf den konstituierenden Reichstag ist eher gering. 69 Dies hing zum großen Teil damit zusammen, daß er keiner Fraktion beigetreten ist. Zwar kam es zu Verhandlungen über die Bildung einer Fraktion mit Hannoveranern, Schleswig-Holsteinem und einigen anderen Abgeordneten. Waechter konnte sich letztendlich doch nicht für den Beitritt in deren Fraktion entschließen. Eine entscheidende Rolle hierbei spielte die Tatsache, daß er sächsischer Abgeordneter war70• Er schrieb dazu selbst: "Ich ging davon aus, daß wir uns durchaus auf dem 64 Oskar von Wächter (o. Fußn. 3)S. 160; Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Nr. I, S. 41. 65 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Erster Band, Berlin, 1867, S. 71. 66 Abgedruckt in: Oskar von Wächter (o. Fußn. 3), S. 160. 67 Heyderho/f. Deutscher Liberalismus im Zeitalter Bismarcks, Bd. 1, Die Sturmjahre der preußisch-deutschen Einigung 1859-1870, Bonn und Leipzig 1925, S. 326. 68 Fenske, Deutsche Verfassungsgeschichte: vom Norddeutschen Bund bis heute, 3. Auflage, Berlin 1991, S. 13 f. 69 In der politischen Briefsammlung von Heyderhoff(o. Fußn. 67) tritt Waechter weder als Adressat noch als Adressant auf. Er ist nicht in den abgedruckten Briefen erwähnt. 70 V gl. auch zur Rolle der sächsischen Abgeordneten den Brief Max Dunckers an Heinrich von Treitschke vom 23.Juni 1867 (abgedruckt in: Beyderhoff (o. Fußn. 67), S. 381): ,,Der

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Boden der gegebenen Thatsachen halten und deshalb die Vergangenheit ruhen lassen müssen, daß wir namentlich, worauf ich als Sachse besonderes Gewicht zu legen hatte, Alles zu vermeiden haben, was von Preußen als ein Angriff wegen des Vergangenen, als Protest oder als Ausfluß animoser Opposition aufgejaßt werden könnte, und daß solche Angriffe auch nicht von Einzelnen als solchen aus der Mitte der Fraktion ausgehen dürften. " 71 Waechter spielt hier wohl auf die bei den sächsischen Abgeordneten immer noch vorhandene Furcht vor einer Annexion an. Bei der Wahl des Präsidenten des Reichstages kommt Waechter auf die engere Wahlliste; unterliegt jedoch deutlich dem Nationalliberalen Simson.72 Ebenso kommt Waechter bei der Wahl des Ersten Vizepräsidenten auf die engere Wahlliste; er unterliegt hier dem Freikonservativen Herzog von Ujest.73 Zum Zweiten Vizepräsidenten wurde der Nationalliberale von Bennigsen gewählt.74 Waechter ahnte seine politische Bedeutungslosigkeit durchaus. Allein seine persönliche Haltung ließ ihm keine andere Möglichkeit. Er schrieb: 75 ,.Durch meine vorstehend bezeichnete Stellung wird allerdings meine Wirksamkeit im Reichstage geschwächt und bei Wahlen kann ich auf keine Stimme rechnen. Aber ich glaube, daß es vor allem darauf ankommt, unbekümmert um die Folgen, in Übereinstimmung mit meiner Überzeugung und mit dem, was ich nach reiflicher Überlegung für meine Pflicht gegen Deutschland überhaupt und gegen Sachsen insbesondere erachte, zu handeln." Längere Reden zur Wahlprüfung und zum Verfassungsentwurf hielt Waechter innerhalb der 37 Sitzungen76 insgesamt sechs Mal; zudem sind vier kürzere Meldungen zur Geschäftsordnung bzw. zur Wahlprüfung zu verzeichnen. Mehrfach hatte sich Waechter auch vergeblich zum Wort gemeldet; durch Annahme von Anträgen auf Schluß der Diskussion kam er nicht mehr an die Reihe. 77 Eine Wortmeldung vom 8. März 186778 betraf die Wahl des Abgeordneten Wiggers. Dieser war in Mecklenburg wegen Teilnahme am Versuch des Hochverrats zu Zutritt (ins Zentrum d.V.) der 5, mit Gerber vielleicht 6 Sachsen war ebensowenig erwünscht, aber er war nicht zu hindern, da die Abgeordneten Sachsens sich systematisch in alle Parteien verteilten." 71 Abgedruckt in: Oskar von Wächter (o. Fußn. 3), S. 161. 72 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Erster Band, Berlin, 1867, S. 38. 73 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Erster Band, Berlin, 1867, S. 39. 74 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Erster Band, Berlin, 1867, S. 39. 75 Abgedruckt in: Oskar von Wächter (o. Fußn. 3), S. 161. Eröffnungssitzung, 1.- 35. Sitzung sowie Schlußsitzung. V gl. nur Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Erster Band, Berlin, 1867, S. 247. 78 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Erster Band, Berlin, 1867, S. 87. 76

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einer Zuchthausstrafe verurteilt worden. Diese Strafe hatte er vor seiner Wahl teilweise verbüßt. Wiggers wurde im 3. Berliner Wahlkreis in den Reichstag gewählt. Nach mecklemburgischem Recht fehlte Wiggers die aktive Wahlfähigkeit, während er sie nach preußischem Recht weiterhin besaß. Waechter erörterte die Frage, ob die rechtlichen Folgen dieser Tatsache nach preußischem oder nach mecklenburgischem Recht zu beurteilen seien und sprach sich für die Anwendung des preußischen Rechts aus. In der Sitzung vom 19. März 186779 hat Waechter für die unveränderte Annahme des Artikel 3 des Verfassungsentwurfes und dagegen gesprochen, Artikel über Grundrechte in die Verfassungsurkunde aufzunehmen. Zur Grundrechtsfrage führt er aus: 80 "Ich befürchte, daß wir uns eine große Klippe für unsere Verhandlungen schaffen und eine große Schwierigkeit herbeiführen werden für die Erreichung unseres Zieles, ähnlich, wie dies in Frankfurt der Fall war." Am 20. März 186781 hat Waechter sich zur Frage der Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemeldet. Der ursprüngliche Entwurf sah für Artikel 4 folgende Fassung vor: 82 ,.Der Beaufsichtigung seitens des Bundes und der Gesetzgebung desselben unterliegen die nachstehenden Angelegenheiten: ... 13) die gemeinsame Civil-Prozeß-Ordnung und das gemeinsame Konkurs-Verfahren, Wechsel- und Handelsrecht." Waechter sprach für die Annahme der Nr. 13). In seiner Rede führte er aus: 83 ,. ••• ich bin insofern für diese Nr. 13, als ich durchaus für das Princip, auf dem sie fußt, bin, d. h. einmal einen Keim zu einer gemeinen Deutschen Gesetzgebung, oder wenigstens der Möglichkeit zu einer solchen gemeinen Deutschen Gesetzgebung zu legen. Aber ich möchte die Bestimmung des Entwurfs etwas verallgemeinem; der Herr Abgeordnete von Osnabrück hat ganz recht, wenn er meint, daß wir uns das Ziel möglichst hoch und möglichst weit stellen müssen." Er plädierte für eine Ausdehnung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf die Gebiete des Zivilrechts und des Strafrechts. Angenommen wurde Artikel 4 Nummer 13 nach Abschluß der Debatte dann in folgender Fassung: 84 ,,Der Beaufsichtigung seitens des Bundes und der Gesetzgebung desselben unterliegen die nachstehenden Angelegenheiten: . . . 13) die gemeinsame Gesetzgebung über das Obligationenrecht, Strafrecht, Handels- und Wechselrecht und das gerichtliche Verfahren." 79 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Erster Band, Berlin, 1867, S. 251. 80 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Erster Band, Berlin, 1867, S. 252. 8t Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Erster Band, Berlin, 1867, S. 287. 82 Sammlung särnrntlicher Drucksachen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Berlin, 1867, Nr. 10, S. 2 f. 83 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Erster Band, Berlin, 1867, S. 287. 84 Sammlung särnrntlicher Drucksachen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Ber1in, 1867, Nr. 128, S. 125.

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In der 19. Sitzung vom 26. März 186785 hat Waechter sich für die Ministerverantwortlichkeit ausgesprochen. Zur Militärfrage meldete sich Waechter in der 27. Sitzung vom 05. April 86 ebenfalls zu Wort. Hinsichtlich der Schaffung eines Bundesgerichts sprach Waechter in der 30. Sitzung am 9. April 186787 für die Errichtung eines solchen und schlug als provisorische Übergangslösung das Oberappellationsgericht zu Lübeck vor. Diesbezüglich hat Waechter auch eine Antragsschrift eingereicht. 88 Die darin gestellten drei Anträge betrafen die Artikel 69 und 70 des Entwurfes der Verfassung. In diesen war eine Kompetenz des Oberappellationsgerichts in Lübeck für Hoch- und Landesverratsprozesse vorgesehen.89 Statt dieser Regelung sollte ein Bundesgericht geschaffen werden, dem über diese Kompetenz hinaus weitere Kompetenzen zugewiesen werden sollten. Der erste der betreffenden drei Anträge erledigte sich durch Annahme des Artikels 69 des Entwurfes, die anderen beiden wurden abgelehnt. 90 Bei der Schlußabstimmung über den ganzen Entwurf am 16. April 1867 stimmten 230 Abgeordnete für und nur 53 gegen den Entwurf; unter ihnen Waechter.91 Er schrieb hierüber: 92 "Ich kam schwer zu dem verneinenden Votum. Allein bei wiederholter ruhiger und reiflicher Erwägung konnte ich nicht zu einem anderen Resultate kommen. Durch das Bennigsen-Ujest'sche Amendement93 wirdfür immer eine Militärmacht mit ganz unverhältnismäßig großer und drückender Friedenspräsenz begründet und das Budgetrecht des Parlaments wesentlich beeinträchtigt. Das Verbot, Diäten ,oder Entschädigungen' zu beziehen, ist eine Beschränkung der Wählbarkeit, durch welche die tüchtigsten Kräfte vom Parlament ausgeschlossen werden; für die dringendsten Fälle fehlt es an einem Bundesgericht undfür die gesetzliche Ausübung der mit einer eminent weit gehenden Macht ausgestatteten Centratgewalt fehlt es ganz an den nothwendigen konstitutionellen Garantien. Diese Momente bestimmen mich hauptsächlich zum ,Nein'." 85 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Erster Band, Berlin, 1867, S. 360 f. 86 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Erster Band, Berlin, 1867, S. 564. 87 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Erster Band, Berlin, 1867, S. 661 f. 88 Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Berlin, 1867, Nr. 94. 89 Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Berlin, 1867, Nr. 10. 90 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Erster Band, Berlin, 1867, S. 670, S. 674 f. 91 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Erster Band, Berlin, 1867, S. 729. 92 Abgedruckt in: Oskar von Wächter (o. Fußn 3), S. 173. 93 Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Berlin, 1867, Nr. 123; Nach ihm sollte ein Pauschquantum von 225 Talern pro

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Der Nationalliberale Heinrich von Treitschke hingegen sah die Verfassung in gänzlich anderem Licht: 94 "Indem wir aber noch einmal die Verfassung im Ganzen überschauen, können wir uns nicht begnügen mit dem selbstverständlichen Worte, daß das Beschlossene Achtung und Unterordnung verlangt, noch mit der mattherzigen Versicherung, der Tadel gegen einzelne Punkte berechtige nicht zum Verwerfen des Ganzen. Wir müssen rundweg die Überzeugung aussprechen: Diese Verfassung ist der Markstein des größten Fortschrittes, den das politische Leben der Deutschen je vollzogen hat . .. " Die Sächsische Zeitung schrieb über Waechters Tatigkeit im Reichstag: 95 "Der Vertreter Leipzigs im Reichstag, Geheimrath von Wächter, ist am Sonnabend von Berlin zurückgekehrt. Wie wüthend war er bei der Wahl bekämpft worden, und wie glänzend gerechtfertigt steht jetzt diese Wahl da! Wenige deutsche Städte- darüber herrscht jetzt nur eine Stimme in unseren Mauem - haben einen so rührigen, gediegenen, würdigen Vertreter gehabt. Ein echter Veteran des Konstitutionalismus, hat er diesen bei jeder Gelegenheit, namentlich bei den entscheidenden Schlußabstimmungen treu gewahrt. *Ire die Zeit zu rauschenden Ovationen angethan, so würde Leipzig nicht ermangeln, seinem wackeren Vertreter eine glänzende Huldigung zu bringen, und die Demokratie - das haben wir allerseits gehört, würde sich nicht davon ausschließen. So mag ihm der Gruß der gleichgesinnten Presse, das Schweigen seiner beschämten Gegner die Anerkennung ausdrücken, die seine mannhafte Haltung auf dem Reichstag bei allen Schichten der Bürger- und Einwohnerschaft unserer Stadt gefunden hat. "

Für die Wahl zum ordentlichen Reichstag des Norddeutschen Bundes kandidierte Waechter nicht. 96

VI. Abschluß Zwei provozierende Äußerungen über Waechter waren an den Anfang gestellt worden. Festhalten läßt sich, daß er uneingeschränkt königstreu war. Er vertrat das konstitutionelle Prinzip; betonte den Verfassungsvertrag. Dieser sei Ausgangspunkt jeder Politik. Insofern ist er aus heutiger Sicht historisch konservativ einzuordnen. Kopf der Friedensstärke bis zum 3l.Dezember 1871 bewilligt und die Regelung der Prüfung für diese 4 Jahre in der Verfassung als "interimistisch" bezeichnet werden. Die endgültige Feststellung sollte später durch Bundesgesetz erfolgen. (Heyderhoff[o. Fußn. 67), S. 376). 94 Heinrich von Treitschke, Die Verfassung des norddeutschen Bundes, in: Preußische Jahrbücher, 19. Band, 1867, S. 732. 95 Sächsische Zeitung 1867, Nr. 93, abgedruckt in: Oskar von Wächter (o. Fußn. 3), S. 174. 96 Oskar von Wächter (o. Fußn. 3), S. 174.

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Allerdings war für Waechter der Verfassungsvertrag kein statisches Gebilde. Er war der Ansicht, daß sich sowohl das Recht innerhalb des bestehenden Verfassungsvertrages fortentwickeln als auch die Verfassung entwickeln kann. Dabei ließ Waechter liberales Gedankengut einfließen. In den Jahren 1848/49 ist er in die Nähe Welckers und von Gageros einzuordnen; er begrüßt sowohl den nationalen als auch den liberalen Aspekt der Revolution. Mohls Urteil ist sicher zu hart. Deutlich wird jedoch, daß auch bei Waechter eine Entwicklung stattfand. Diese erklärt sich aus dem eben Gesagten. Basis der politischen Haltung war ftir Waechter - wie auch stets in seiner juristischen Arbeit - das bestehende Recht. Änderte sich das bestehende Recht und änderten sich die tatsächlichen Verhältnisse und Gegebenheiten, dann entwickelte Waechter seine Ansicht weiter; streng unter dem Gesichtspunkt: "Freiheit mit Recht und Ordnung"97.

97 Verhandlungen der Württembergischen Kammer der Abgeordneten auf dem Landtage von 1848/49, Bd. 1, Stuttgart, 1848/49, S. 252.

Carl Georg von Wächter und die Lübecker Germanistentage 1847 1 Von Wolfgang Pöggeler

I. Die in ihrer Zeit aufsehenerregenden Germanistentage fanden zweimal statt, die ersten im September 1846 in Frankfurt am Main2 • Es folgten die Versammlungen im Lübecker Rathausam 27., 28. und 30. September 1847. Für das folgende Jahr war eine Fortsetzung in Nümberg geplant. Sie fiel aus, weil sich Interesse und Kraft der Germanisten ganz auf die Revolution konzentrierte. Die Teilnehmer der Germanistentage verstanden sich als eine "Versammlung deutscher Sprachforscher, Rechtsgelehrter und Geschichtsforscher" 3 . Die Juristen und ihre Themen dominierten. Das liegt zum einen daran, daß die Mehrheit der Teilnehmer Juristen waren und zum anderen an der politischen Brisanz der juristischen Themen; sie korrespondierten hervorragend mit der vorrevolutionären Stimmung jener Tage. Über der gesamten Versammlung lag, trotz mancherlei inhaltlicher Differenzen, dasselbe verbindende patriotische Gefühl. Das politische Ziel aller war die deutsche Einheit. Als kleinster gemeinsamer Nenner bedeutete das ein parlamentarisches "Organ nationaler Vertretung"4 , wie man formulierte. Inzident war damit natürlich auch eine oberste Reichsgewalt gefordert und die Beendigung der deutschen Vielstaaterei. Die Frankfurter Germanistentage gehen auf eine Anregung des Tübinger Germanisten August Ludwig Reyscher (1802-1880)5 zurück. Das Einladungsschreiben ' Der Fließtext entspricht dem Vortrag auf dem Leipziger Karl Georg v. Wächter - Symposion am 8. November 1997. Die Vortragsform wurde vollständig beibehalten, Anmerkungen und Anregungen dem Fußnotenapparat hinzugefügt. 2 24.-26. September. 3 So der Hamburger Archivar Lappenberg in seinem Kommissionsbericht über die Auslandsdeutschen, vergl. Verhandlungen der Germanisten zu Lübeck, Verlag von Carl Boldernano (1848) 32. Offiziell heißt es im Inhaltsverzeichnis des Lübecker Tagungsbands "Verhandlungen der deutschen Rechts-, Geschichts- und Sprachforscher". 4 So Wurm in seinem Vortrag über die Geschichte der deutschen Hanse, Lübecker Verhandlungen, S. 18. 5 Zu Reyscher vergl. Joachim Rückert, August Ludwig Reyschers Leben und Rechtstheorie, 1974. 4 Kern

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trägt 18 eindrucksvolle Namen. 6 Die 6 Juristen darunter waren Beseler, Falck, Mittennaier, Reyscher, Runde und Wilda; hinzu kamen die Sprachforscher Ernst Moritz Amdt, Jakob und Wilhelm Grimm, Moritz Haupt, Lachmann und Uhland; für die Historiker zeichneten Dahlmann, Gervinus, Lappenberg, Pertz, Adolf Schmidt und Ranke. Die Agenda von Frankfurt war von drei wesentlichen Gegenständen beherrscht: (1.) die Schleswig-Holsteinische Frage, (2.) das Verhältnis des römischen zum deutschen Recht und (3.) die Frage der Geschworenengerichte. In Lübeck ging es ein Jahr später nicht mehr um Schleswig-Holstein, aber die Geschworenengerichte und der Streit der Gennanisten und Romanisten dominierte die Veranstaltung weiterhin.

II. Welche Bedeutung ist den Gennanistentagen im Rahmen der deutschen Geschichte und Rechtsgeschichte zuzumessen? Nun, ich möchte mit einer Extrembewertung beginnen: Ernst Rudolf Huber erwähnt die Gennanistentage in seiner 7bändigen Verfassungsgeschichte nur zweimal. 7 Einmal beiläufig im Text (im Rahmen der Biographie Georg Beselers) und einmal noch beiläufiger in einer Fußnote8 . Die Gennanistentage als Fußnote (!), diese Behandlung ist- um es in Anlehnung an eine Fonnulierung Kar! Bindings zu sagen - diese Behandlung ist wohl der tiefste Punkt, zu dem ihre Verkennung herabsinken kann. 9 Bei Lichte betrachtet gehören sie zu einem Kanon von vier Kollektivereignissen, die man als Vorboten der Revolution von 1848 bezeichnen kann. Damit meine ich: 1. den 1819 gegründeten "Deutschen Handels- und Gewerbeverein" unter Fried-

rich List, 10

6

20.

Vergl. Otto v. Gier/ce, Die historische Rechtsschule und die Germanisten, Berlin (1903),

7 E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. II, 2. A., S. 392 und S. 524 Fn 69. s Im Rahmen der Biographie des Frankfurter Rechtsanwalts Eduard Souchay, der an beiden Germanistentagen teilnahm. 9 Karl Binding, Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts (Bes. Teil), 2. Bd., I. Abt., 2. Aufl. 1904, S. 184. Die Formulierung entstammt Bindings Kampf gegen die Anerkennung der sogenannten Beweiszeichen als Urkunden im Sinne des § 267 StGB. Das Reichsgericht hatte der Papierscheibe einer Kontrolluhr, die an sich keine Urkunde war, Urkundenqualität zugemessen, weil sie (zu Täuschungszwecken) durchstochen wurde. Das Durchstechen sollte aus der Scheibe nach der von Binding bekämpften Ansicht des Senats eine Urkunde machen. Daher schimpfte Binding: ,,Das Loch als Urkunde ist wo(h)l der tiefste Punkt, bis zu welchem deren Verkennung herabsinken kann." IO Friedrich List wurde 1789 in Reutlingen geboren. Er erhielt 1818 in Tübingen die neuerrichtete Professur flir Staatskunde und Staatspraxis. Schon im Jahr darauf legte er sein Amt

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2. das Harnbacher Fest, 11 nieder und begann seine Tätigkeit für den Handelsverein, dessen Mitbegründer er 1819 war. 1820 wurde er in die zweite Württembergische Kammer, die "Kammer der Abgeordneten" (§ 133 Württembergische Verfassung 1819), gewählt. Im Februar 1821 wurde ihm der Abgeordnetensitz wieder entzogen, weil er eine Reihe von Mißständen in Verwaltung und Rechtspflege gerügt hatte. - Der Handelsverein war als eine Vereinigung von Kaufleuten und Fabrikanten mit dem Ziel gegründet worden, ,,im verfassungs- und gesetzmäßigen Wege zu streben, daß Handel und Gewerbe in Deutschland wieder gehoben werden". List und der Verein scheiterten daran, daß die reaktionären deutschen Regierungen eine selbstorganisierte politische Initiative des Bürgertums nicht akzeptieren wollten. List wanderte 1825 in die Vereinigten Staaten aus, wo er wirtschaftlich erfolgreich war (Kohleabbau) und sich im Eisenbahnbau engagierte. 1833 wurde List zum amerikanischen Konsul in Leipzig ernannt. Er nahm seine politische publizistische Tätigkeit wieder auf. Zu nennen sind seine Beteiligung bei der Gründung des "Staatslexikons" von Rotteck und Welcker und seine Agitation zugunsten des Eisenbahnbaues und einer Schutzzollpolitik für die junge deutsche Industrie. Wirkliche staatliche Anerkennung fand List zu Lebzeiten nie. Am 30. November 1846 nahm er sich auf einer Alpenreise in Kufstein durch einen Pistolenschuß das Leben. Vergl. Heinrich Lutz, Zwischen Habsburg und Preußen (Deutschland 1815 -1866), Siedler (1994) 72 ff. 11 Das Harnbacher Fest fand am 27. Mai 1832 bei Harnbach in der Pfalz statt (nahe Neustadt an der Weinstraße). Über 20.000 Menschen versammelten sich friedlich. Redner forderten bürgerliche Freiheiten (u. a. Pressefreiheit) und die politische Einheit Deutschlands. Adolf Laufs schreibt, daß ,,Enthusiasmus, Erregtheit und oft auch Trunkenheit die Gemüter beherrschten" und "aus allen Reden vor der vieltausendköpfigen bunten Menge klang, oft pathetisch und einfach, der Zorn über die Zerrissenheit Deutschlands und die Fürstenherrschaft, der Ärger über bedrückende öffentliche Zustände, das Bekenntnis zu den alten Rechten der Volkshoheit" (Rechtsentwicklungen in Deutschland, 3. Auf!., 210 f.). Die Nachricht vom Fest verbreitete sich rasch in allen deutschen Staaten. Die Regierungen Österreichs und Preußens waren sehr verärgert. Die bayerische Regierung schickte ihren Feldmarschall Fürst Wrede und ein ganzes Armeekorps, um die Ruhe in der Pfalz wieder herzustellen. - Das Fest war maßgeblich mitbestimmt vom sog. "Preß- und Vaterlandsverein", der Anfang 1832 in Zweibrücken gegründet wurde. Das Zentralkommitee des Vereins bestand aus drei Pfälzer Anwälten: Ferdinand Geib, Joseph Savoye und Friedrich Schüler, der 1831 in die Zweite Kammer des Königreichs Bayern gewählt worden war. - Das Harnbacher Fest gehört in den Kontext eines gesamteuropäischen Freiheits- und Modernisierungsdrangs am Anfang der 1830er Jahre. Dazu zählten unter anderem: I. Die französische Julirevolution von 1830. Sie führte zur Flucht des antiliberalen Königs Kar! X. und dessen Abdankung. Der bourbonische Herzog Louis-Philippe von Orleans wurde zum König gewählt, die Verfassung liberalisiert. 2. Im August 1830 erkämpften die Belgier ihre Unabhängigkeit vom Königreich der Vereinigten Niederlande. Ein Nationalkongress in Brüssel wählte Leopold von Sachsen-Koburg zum König und errichtete eine freiheitliche konstitutionelle Verfassung, die das Prinzip der Volkssouveränität formulierte. 3. Im russisch beherrschten Königreich Polen (Kongresspolen) kam es 1830 und 31 zu einem langdauernden, zähen Aufstand gegen den Zaren und seinen Statthalter, den Grassfürsten Konstantin. Der Zar trug am Ende den Sieg davon und ersetzte die relativ freiheitliche Verfassung von 1815 durch das repressive Organische Statut vom 26. Februar 1832. Mit ihrem Freiheitskampf lösten die Polen in Westeuropa eine Sympathiewelle aus. Literarisch drückte sie sich in den sog. Polenliedern aus, in denen Schriftsteller in Deutschland, Frankreich und England für Polen Partei ergriffen (vergl. H. Delbrück, Deutsche Polenlieder, 1917). 4. In England führten leidenschaftliche Diskussionen in der Öffentlichkeit und im Parlament zur Wahlrechtsreform 1832. Die Entwicklung erregte auch in Deutschland die Gemüter (vergl. Th. Heuss, 1848 Werk und Erbe, 35). Zum Beispiel äußerte sich Hege) 1831 ausführlich darüber in der Allgemeinen preußischen Staatszeitung (vergl. W Pöggeler. Die deutsche Wissenschaft vom englischen Staatsrecht, 55 ff.). 4*

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3. die Affäre der Göttinger Sieben 12 und eben 4. die Gennanistentage. Wie sehr die Gennanistentage eine Etappe auf dem Weg zur Revolution waren ergibt sich bereits aus personellen Kontinuitäten. Fünf der Göttinger Sieben er12 Wilhelm IV. trug die Krone Englands und die Hannovers. Er setzte 1833 eine Verfassung für das Königreich Hannover in Kraft. Das parlamentarische Element bestand wie in den anderen deutschen Verfassungsstaaten aus zwei Kammern. Mitwirkungsrechte der Kammern und monarchische Rechte waren geregelt. Der König war Haupt der Exekutive und er· nannte die Minister. Wilhelm IV. starb am 20. Juni 1837 im Alter von 72 Jahren. In England folgte ihm seine !&jährige Nichte Victoria (1819-1901) auf den Thron. Diese Tatsache war für die Weiterentwicklung des parlamentarischen Regierungssystems der Insel von erheblicher Bedeutung. Denn dem Premierminister stand nun zunächst einmal ein junger Mensch und vor allem eine Frau gegenüber. Übermäßige monarchische Einflußnahme auf die parlamentarisch kontrollierte Regierung war daher nicht zu fürchten (vergl. Sir Uewellyn Wood· ward, The Age of Reform 1815-1870, 2"d ed., 1962, p 103). Ganz anders im Königreich Hannover! Dort bestieg der jüngere Bruder Wilhelms IV., Herzog Ernst August von Cumberland (1771 -1851) den Thron. Anfang Juli 1837 erklärte der neue König, die Verfassung von 1833 sei für ihn nicht bindend. Im Herbst löste er den Landtag auf und erklärte die Verfassung mit Patent vom l. November 1837 für von Anfang an nichtig. Dagegen protestierten sieben Göttinger Professoren: Wilhelm Eduard Albrecht, Friedrich Christoph Dahlmann, Ge· org Gottfried Gervinus, Jacob und Wilhelm Grimm, Heinrich Ewald und Wilhelm Weber. Alle sieben wurden im Dezember 1837 durch den neuen König entlassen. Dahlmann, Jacob Grimm und Gervinus wurden sogar aus dem Königreich Hannover ausgewiesen und verließen am 17. Dezember das Land. Die Empörung im deutschen Bürgertum war enorm und die Solidarität eindrucksvoll. Ein Unterstützungsverein bildete sich, der den Professoren ihre Gehälter weiterzahlen konnte. Der Bundestag in Frankfurt schritt nicht gegen den Staatsstreich Ernst Augusts ein, und auch gerichtliche Hilfe war nicht zu erhalten. Dennoch mußte Ernst August im Jahre 1840 eine neue Verfassung erlassen, eine, die im Großen und Ganzen nicht hinter der moderaten Liberalität der aufgehobenen von 1833 zurückblieb. Alle Professoren fanden neue Lehrstühle und blieben dauerhaft Ikonen des Vormärz. Vergl. Laufs, Rechtsentwicklungen, 198 ff.; Lutz, Zwischen Habsburg und Preußen, 196 ff. Die hannoversche Verfassungsfrage war am 17. und besonders am 18. Januar 1838 Gegenstand der Verhandlungen der württembergischen Kammer der Abgeordneten. Wachter beteiligte sich zwar nicht in exponierter Weise an der Debatte, förderte sie jedoch durch eine geschickte Interpretation der Geschäftsordnung und an seinen Beiträgen wird deutlich, daß er das Handeln Ernst Augusts für rechtswidrig hielt. Der Präsident Freiherr von Gaisberg stellte am Ende der Diskussion die Frage zur Abstimmung: "Soll der Antrag ... angenommen werden, welcher dahin geht, die Kammer möge die Erklärung ins Protokoll niederlegen, daß in der einseitigen Aufhebung der Hannöverischen Verfassung durch eine Machthandlung des Regenten, eine offenbare Rechtsverletzung liege, und daß dadurch der Rechtszustand von ganz Deutschland gefährdet werde?" Diese Frage wurde mit 82 gegen 2 Stimmen bejaht. Auch Wachter befand sich unter der überwältigenden Mehrheit. Vergl. Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Königreichs Württemberg, Landtag 1838, Bd. I , Protokoll vom 17. Januar 1838, S. 6 ff. (Wächters inhaltliche Stellungnahme findet sich aufS. 12: ,,Mir scheint es von großer Wichtigkeit zu seyn, daß die Kammer gerade in dem jetzigen Zeitpunkte entschieden und offen vor ganz Deutschland ihre Gesinnung über diese Angelegenheit ausspreche." Seine Anmerkung zur Geschäftsordnung aufS. 14) und Protokoll vom 18. Januar 1838, S. 9 - 45. - Bemerkenswert ist, daß der Ministertisch während der Hauptdebatte am 18. Januar komplett unbesetzt war. Die Exekutive wollte in der hannoverschen Affare offensichtlich nicht zu einer Stellungnahme gezwungen werden.

Wachterund die Lübecker Germanistentage 1847

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schienen in Frankfurt oder Lübeck: Albrecht, Dahlmann, Gervinus, Jacob und Wilhelm Grimm. Jacob Grimm warbeideMale der Vorsitzende. (Die Abwesenheit der beiden übrigen Göttinger, Ewald und Weber, geht wohl auf deren Fächer zurück: Der eine war vor allem Orientalist, der andere Physiker.) Noch deutlicher wird der personelle Zusammenhang mit der Revolution, wenn man schaut, wieviele Teilnehmer der Germanistentage im Vorparlament oder im Paulskirchenparlament selbst saßen: 13 Albrecht, Althof, Arndt, Behn, Beseler, Christ, Dahlmann, Fallati, Gervinus, Jacob und Wilhelm Grimm, Jaup, Kriegk, Michelsen, Mittermaier, Reyscher, Adolf Schmidt, Souchay, Stenze), Thöl, Uhland, Waitz, Welcker, Wippermann, Wachter, Wurm.

Programmatische Parallelen kann ich hier nur andeuten: § 179 der Frankfurter Reichsverfassung v. 28. 3. 1849 sah Schwurgerichte in schweren Strafsachen und politischen Vergehen vor. § 178 lautete: Das Gerichtsverfahren soll öffentlich und mündlich sein. § 143 regelte die Meinungs- und Pressefreiheit. § 132 führte das einheitliche Reichsbürgerrecht ein, § 133 hieß: Jeder Deutsche hat das Recht, an jedem Orte des Reichsgebietes seinen Aufenthalt und Wohnung zu nehmen, Liegenschaften .. . zu erwerben ... , jeden Nahrungszweig zu betreiben, das Gemeindebürgerrecht zu gewinnen. - Alle genannten Normen entsprechen Forderungen der Germanistentage, genauso wie der staatsrechtliche Kern der Revolution: die Einrichtung eines gesamtdeutschen Reichsparlaments und einer Reichsregierung. Die Germanistentage zu Frankfurt und Lübeck waren daher, wie Otto v. Gierke 1903 völlig zurecht sagte, eine ,.nationale Kundgebung, die als eines der unmittelbaren Vorspiele des Jahres 1848 geschichtliche Bedeutung gewann" 14 • Zur Lübecker Veranstaltung meinte Gierke: "Es ist, als ob man das Wehen spürte, daß der nächste Lenz zum Sturm entfachen sollte. " 15 Und er resümierte: "So erschien manchem die Versammlung in der Paulskirche geradezu als eine Fortsetzung der Germanistenversammlung. " 16 Aber nicht nur für das Paulskirchenparlament leisteten die Germanisten Geburtshilfe. Die Germanistentage gelten auch als bedeutender Impuls ftir die Begründungdes "Deutschen Juristentages" im Jahre 1860Y Eine Begründung dafür bezieht sich auf Wachter - Wachter, der renommierteste Romanist auf den Germanistentagen, wurde bekanntlich der erste Präsident des Juristentages. (Und er präsidierte darüber hinaus zwischen 1862 und 1867 auf dem dritten bis sechsten JuriHierzu Otto v. Gierke, Die historische Rechtsschule . . . , dort Fn 91. Otto v. Gierke, Die historische Rechtsschule und die Germanisten (Rede zur Gedächtnisfeier des Stifters der Berliner Universität König Friedrich Wilhe1m 111. am 3. August 1903), Ber1in (1903) 19 f.- Entsprechend wertete Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. (1967) 412. lS Gierke, 25. 16 Gierke, 25 a. E.- Ähnlich auch Hans Fehr, Deutsche Rechtsgeschichte, 6. Aufl. (1962) 284. n Stintzing-Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, III 2, 522. 13 14

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stentag.) Das war naheliegend, denn es war vor allem Wächter, der maßgeblich zu einer versöhnlichen Tonlage zwischen Romanisten und Germanisten beitrug. Und erst die Beendigung des Kriegszustandes innerhalb der juristischen Profession machte einen gemeinsamen Juristentag möglich. 18

111. Es ist jetzt an der Zeit, etwas zu Wächters Rolle auf den Lübecker Germanistentagen zu sagen. Die wenigen Romanisten in Lübeck waren auf ausdrückliche Einladung erschienen.19 Wächter hatte zum damaligen Zeitpunkt die größte Reputation unter ihnen. Daneben werden folgende Teilnehmer dem romanistischen Lager zugerechnet20: von der Pfordten21 aus Leipzig, Blume22 (Bonn), Buchka23 aus Rostock, Fein24 18 Wie sehr seine Fähigkeiten dort geschätzt wurden, zeigt das spontane Gedenken auf dem 15. Juristentag in der Aula der Universität Leipzig am 9. September 1880 (vergl. Verhandlungen des 15. dt. Juristentages 1880, Bd. 2, S. I, 5 und 6). Wächter war am 15. Januar des Jahres kurz nach seinem 82. Geburtstag gestorben. Zu seiner Bedeutung für den Juristentag vergl. auch die Gedenkbeiträge zur Geschichte des Juristentages von Neumann und Stenglein, DJZ 1902, 398 ff. Darin wird deutlich, dass Wächters parlamentarisch erprobtes Geschick in der Verhandlungsleitung besonders gefragt war. 19 Stintzing-Landsberg, III 2, 521. 20 Diese Zuordnung stammt bis auf Mommsen, den ich aus naheliegenden Gründen hinzuzähle, von Landsberg, in: Stintzing-Landsberg, III 2, 521. 21 Ludwig Karl Heinrich Freiherr von der Pfordten wurde 1811 in Ried, der Hauptstadt des damals noch bayerischen Ionkreises (des sog. Innviertels) geboren. Bereits sein Vater war Jurist (Landrichter). Von der Pfordten studierte 1827-30 in Erlangen und ging dann nach Heidelberg. Dort legten ihm Thibaut und Mittermaier eine akademische Laufbahn nahe. In Würzburg wurde er 1836 ordentlicher Professor für römisches Recht und baierisches Zivilrecht. Im Jahre 1843 wurde er Nachfolger Puchtas auf dessen Lehrstuhl in Leipzig. Von der Pfordten galt als guter Didakt und zählte sich politisch zu den Freisinnigen oder Liberalen. Am 13. März 1848 ernannte der sächsische König Friedrich August II. ihn zum Innen- und Außenminister, später übernahm er anstau des letzteren das Kultusministerium. Von der Pfordtens Biograph Wippermann beschreibt dessen weitere Entwicklung als ein sukzessives Abgleiten von der Liberalität in die Reaktion. Im Februar 1849 traten alle sächsischen Minister zurück, so auch von der Pfordten. Derbayerische König Max II. nutzte diese Gelegenheit und machte den politisch talentierten und kenntnisreichen von der Pfordten am 19. April 1849 zum bayerischen Minister des königlichen Hauses, des Äußeren und des Handels. Im Dezember wurde er erster Minister. Den Grundtenor seiner in den nächsten Jahren folgenden Politik formulierte er am 7. November 1849 vor der zweiten bayerischen Kammer so: ,,Das Ziel der baiensehen Politik darf ganz allein die Ausbildung der baierischen Souverainität sein." Er stellte sich dabei Bayern als führende Figur des dritten Deutschland vor, also der deutschen Staaten außerhalb Preußens und Österreichs. Diese Bewertung überschätzte die tatsächliche Bedeutung Bayerns durchaus. Gegen Ende der 1850er Jahre geriet von der Pfordten mehrfach unter politischen Druck der zweiten Kammer und trat im März 1859 als Minister zurück. Im Mai wurde er vom König zum Gesandten am Bundestag ernannt. Dieser

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(Jena), Rudolf v. Jhering25 (Rostock), und Theodor Mommsen (der 1847 noch Lehrer an einer Mädchenprivatschule in Altona war)26• Eines fallt auf: Der größte Abschied vom Kabinett war nicht endgültig. Der neue bayerische König Ludwig 11. machte ihn am 4. Dezember 1864 wiederum zum ersten Minister. Sein Lavieren im politischen Spannungsfeld zwischen Österreich und Preußen wirkt hektisch und blieb ohne besonderen Effekt. Die großen Bewegungen gingen am kleinen Bayern einfach vorbei. Am 29. Dezember 1866 trat von der Pfordten als Minister zurück. Er starb am 18. August 1880 "in peinlicher Vereinsamung in München". Vergl. ADB (Wippermann), 25. Bd. (1887), S. 695 ff. 22 Friedrich Blume (alias: Bluhme) wird von Landsberg als Romanist und Germanist bezeichnet (III 2, 521). Otto v. Gierke nennt ihn unter den hervorragenden Germanisten (a. a. 0., Fn 101). Der 1797 in Harnburg geborene und 1874 in Bonn gestorbene Blume ist durch seine Publikationen als beides ausgewiesen. Blume wurde 1823 Professor in Halle, 1831 in Göttingen, 1833 Oberappellationsgerichtsrat in Lübeck, 1843 Professor in Bonn. 23 Im offiziellen Verzeichnis der Teilnehmer an der Germanistenversammlung erscheint ein ,,Herr Dr. Buchka von Rostock". Dabei wird es sich um Hemumn Friedrich Ludwig v. Buchka handeln (nicht zu verwechseln mit dem 1851 in Neustrelitz geborenen Dr. Gerhard v. Buchka, der als Mitglied der Xß. Reichstagskommission 1895 und 1896 den dritten Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches mitberiet und Berichterstatter für das Sachenrecht war, vergl. Jahnel in Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, Bd. I, S. 117). Er wurde 1821 in Schwanbeck (Mecklenburg-Strelitz) als Sohn eines Kirchenrates geboren, studierte ab 1837 in Göttingen, Berlin und Heidelberg, wo man ihn 1841 promovierte. 1842 bis Anfang 1843 war er Verwaltungsbeamter in Mecklenburg-Schwerin, habilitierte sich 1843 an der Universität Rostock. Seine Vorlesungen, die er - offenbar als Privatdozent - hielt, bestehen im wesentlichen aus gemeinem deutschen und mecklenburgischen Zivilprozeßrecht, gemeines deutsches Kriminalrecht und Pandekten. Im Oktober 1847 wurde Buchka ,)ustiz- und Consistorialrath" in Neustrelitz, 1853 Oberappellationsgerichts-Rath in Rostock. Zusammen mit Budde gab er die Entscheidungssammlung des Rostocker Oberappellationsgerichts heraus. 1866 wechselte er als "Staatsrath" ins Justizministerium; dort war er 27 Jahre lang tätig und machte sich, wie man ihm nachsagt, "durch die umsichtige Durchführung der neuen Reichsgesetze verdient" (Heinrich Klenz). 1891 wurde Buchka in den erblichen Adelsstand erhoben; er starb 1896 in Schwerin. Vergl. ADB Bd. 47 (Klenz). 24 Eduard Fein (1813 -1858), Habilitation in Heidelberg 1843 und im selben Jahr Professur für römisches Recht in Zürich. 1845 Professur in Jena, 1852 Nachfolger Wächters in Tübingen. Feins Hauptwerk war ,,Das Recht der Kodizille" (Erlangen, 1851-53); es bildet den 44. und 45. Teil von Glücks ,,Erläuterungen der Pandekten". 25 Rudolf v. Jhering ( 1818- 1892) war nun zweifellos Romanist und man rechnet ihn bekanntlich zu den ganz großen Juristen des 19. Jahrhunderts. Allerdings schrieb er seine epochalen Werke erst in der zweiten Jahrhunderthälfte. Er stand 1847 noch am Anfang seiner Karriere. Sein Berliner ,,Doktorvater" war der Germanist Homeyer, der Herausgeber des Sachsenspiegels; bei ihm wurde Jhering 1842 promoviert, war im Jahr darauf Privatdozent in Berlin, 1845 in Basel und 1846 Professor für römisches Recht in Rostock. (Es folgten Professuren in Kiel, Gießen, Wien und zuletzt Göttingen.) 26 Theodor Mommsen (1817 -1903) erhielt erst 1848 in Leipzig einen Lehrstuhl für römisches Recht. Davor war er für einige Monate Redakteur der revolutionären "Schleswig-Holsteinischen Zeitung". Maßgeblichen Anteil an Mommsens Berufung nach Leipzig hatte von der Pfordten, der 1848 nicht mehr den romanistischen Lehrstuhl in Leipzig betreute, sondern sächsischer Innen- und Kultusminister war. Vergl. Kleinheyer-Schröder und Stintzing-Landsberg, III 2 (Text), S. 866 ff.

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Romanist jener Zeit, Friedrich Carl von Savigny, fehlte; er war vermutlich auch nicht eingeladen. Puchta, der zweitgrößte Romanist der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, war bereits 1846 gestorben. Wächter und von der Pfordten wurden so zu den Wortführern der Romanisten. Wächters Beiträge können in drei Gruppen zusammengefasst werden: 1. Anmerkungen zum Verfahren, 2. zu den Geschworenengerichten und 3. zum Streit der Romanisten und Germanisten. 1.

Bereits mit seiner ersten Wortmeldung bricht er eine ausführliche Geschäftsordnungsdebatte vom Zaun. 27 Seine Anregung war dabei völlig vernünftig. Die Versammlung hatte nämlich gerade einen faktenreichen Kommissionsbericht über die Lage der Auslandsdeutschen gehört. Im Tagungsprotokoll füllt der Bericht 25 engbedruckte Seiten. Er ist, ehrlich gesagt, nur in Grenzen spannend und wurde von dem Hamburger Archivar Lappenberg28 verlesen. Über dessen rhetorische Fähigkeiten schweigen seine Biographen. - Wächter wünschte sich, derartige Vorträge in Zukunft im voraus und gedruckt zu erhalten. Er bezog sich insoweit auf eigene Erfahrungen in seiner Württembergischen Ständeversammlung, in der, wie er sagte, "die größten Berichte in 2-3 Tagen" gedruckt werden würden. Merkwürdigerweise sprachen sich verschiedene Teilnehmer gegen den Druck aus. Darauf lenkte Wächter ein und formulierte, er "fordere den Druck nicht absolut". Die Diskussion endete ohne Ergebnis. Meine Damen und Herren, Sie werden fragen, weshalb ich dieses Geschäftsordnungsscharmützel überhaupt anspreche. Nun, aus zwei Gründen. Erstens zeigt es einen Hauptcharakterzug Wächters: seine Kompromißbereitschaft29 als ein Aspekt seiner "Vermittlungs- und Integrationsfähigkeit" (A. Laufs) und darüber hinaus sein Geschick und seine Erfahrung in Fragen des technischen Ablaufs von Verhandlungen. Und zweitens bringt Wächter eine Analogie zum parlamentarischen Verhandlungen, 48-53. Johann Martin Lappenberg ( 1794-1865). Zuerst medizinische Studien (in Edinburgh), dann historisch-politische. Er lebte einige Zeit in London, um die englische Verfassung und Verwaltung kennenzulernen. In Berlin und Göttingen rechtshistorische Studien. Er publizierte u. a. ältere deutsche Rechtsquellen. Lappenberg schrieb die bekannte "Geschichte von England", die von Pauli fortgesetzt wurde. Meyers Konversations-Lexikon widmet Lappenberg in der 5. Aufl. 1897 ( Bd. 6, S. 20) noch einige Aufmerksamkeit. 29 Diese Eigenschaft v. Wächters sah sein Tübinger Kollege, der bedeutende Staatsrechtier Robert v. Mohl bekanntlich in einem ganz anderen Licht: " . .. und von Zuverlässigkeit ist so wenig die Rede als von einer ernstlichen Ueberzeugung. Zehnmal in seinem Leben hat er seine politische Richtung geändert, wie eben der Wind ging, denn zum Märtyrer findet er sich nicht berufen." Vergl. ,,Lebenserinnerungen von Robert von Mohl 1799 - 1875", Bd. 1 (1902), 198. Wächters professionelle Fähigkeiten und die anderen Facetten seines Charakters werden in v. Mohls Autobiographie allerdings durchweg positiv geschildert. 27

2&

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Verfahren in die Diskussion. Später ist Wächter dann auch in seiner Terminologie "parlamentarisch"; so beantragt er beispielsweise ein ,,Amendement" zu einem Antrag des Historikers Gervinus?0 Wächter spricht seine parlamentarischen Erfahrungen immer wieder einmal in einem Halbsatz an?' Möglicherweise schwingt dabei eine gewisse Freude über die erreichte gesellschaftliche und parlamentarische Position mit. Immerhin ist es ein eindrucksvoller Weg vom Marbacher Buben zum Parlamentspräsidenten. Sicher ist, daß die Germanistenversammlung durch die teilnehmenden Parlamentarier - und zumal solche, die ihre parlamentarischen Erfahrungen einbringen - selbst einen parlamentarischen Zug erhielt. Aus diesen Gründen scheint mir Wächters Beitrag zur Geschäftsordnungsdiskussion bemerkenswert.

2. Ich komme zum politisch bedeutendsten Beitrag Wächters: seine Stellungnahme zur Einrichtung von Geschworenengerichten in Strafsachen. Kein Gegenstand wurde in Lübeck intensiver behandelt.32 Die Geschworenengerichte wurden rechtshistorisch und rechtsvergleichend beschrieben. Insbesondere zwei Modelle waren in der Diskussion: das englische und das französische? 3 Die englische Jury bestand aus 12 Geschworenen und hatte ihr Urteil einstimmig zu fassen. Zum Geschworenen konnte annähernd jeder Bürger ernannt werden. Im Gegensatz dazu wurden in Frankreich nur die hochbesteuerten Bürger zur Jury zugelassen und ihr Votum war ein einfacher Mehrheitsbeschluß. Die Geschworenengerichte waren mehr als eine bloße rechtspolitische Frage des Strafprozesses. Man beobachtet im Vormärz - und ganz besonders in jenen Lübecker Septembertagen 1847- eine merkwürdige Gleichsetzung (ich möchte beinahe von einer Amalgamierung sprechen) einer strafprozessualen Frage mit dem ganzen revolutionären Impetus der Zeit. Die Forderung nach Geschworenengerichten wurde zum Symbol für sämtliche Forderungen der bürgerlichen Emanzipationsbewegung, für sämtliche Forderungen der Revolutionäre.

Verhandlungen, 59. Z. B. Verhandlungen, 124. 32 Die Diskussion beginnt im Verhandlungsband aufS. 66 und endet nach rund einhundert Seiten aufS. 165. 33 Einen gründlichen rechtshistorischen Überblick über die Geschichte der Jury in Deutschland gab zuletzt Peter Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte in Deutschland im 19. Jahrhundert bis 1870, in: Antonio Padoa Schioppa (Hg.), The Trial Jury in England, France, Germany 1700- 1900, Berlin (1987), 242-304. Ausdrücklich zu den Lübecker Germanistentagen auf den Seiten 263-266. 30 31

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Manchem schien die Idee der Volkssouveränität mitzuschwingen. Die Volkssouveränität, der größte Schrecken des monarchischen Prinzips! Diese Vorstellung ging dem etablierten Bildungs- und Beamtenbürgertum, das die Germanistentage dominierte, dann doch zu weit. Und man bestritt eine Verbindung von Volkssouveränität und Geschworenengerichten vehement. 34 Die alternative Formel, die bald in aller Munde war, sah in der Jury "das Hereinziehen des volkstümlichen Elements in die Rechtsprechung." 35 Weite Zustimmung fand auch die Annahme, daß Geschworenengerichte ein stärkerer Garant für die Gerechtigkeit des Strafurteils seien,36 stärker als andere Organisationsformen des Gerichts. Gegen das Argument, Geschworenengerichte seien zu milde und sprächen den Angeklagten zu leichtfertig frei, hatte Mittermaier sich bereits ins Zeug gelegt. 37 Nach ihm sprach sich der liberale Darmstädter Heinrich Jaup 38 für Geschworenengerichte aus und darüber hinaus für öffentliche und mündliche Verhandlungen (im Gegensatz 7U den alten Geheimverfahren). 39 Als der Berliner Obertribunalrath und Professor Heffter40 aufstand und bekannte, daß er nach gründlicher Abwägung vom Gegner zum Befürworter der Geschworenengerichte geworden sei, war das Publikum begeistert. Im Protokoll heißt es: "Lebhafter Bravoruf in der Versammlung und auf den Tribünen."41 So Jaup, Verhandlungen, 100 f. und Heffter, Verhandlungen, 111. Mittermaier, Verhandlungen, 159. Ähnlich Beseler, er spricht von einer "volkstümlichen Gestaltung", 117. 36 Verhandlungen, 111 (Heffter). 37 Verhandlungen, 68-91. 38 Heinrich Karl Jaup ( 1781 - 1860) wurde in Gießen geboren. Sein Vater war dort Professor des Staatsrechts. Jaup studierte in Gießen und Göttingen. 1804 wurde er a. o., zwei Jahre später ordentlicher Professor der Rechte in Gießen. Engagierte sich bei der Einführung des Code Napoleon. 1815 als Geheimer Referendar in das Staatsministerium nach Darmstadt berufen, 1820 Geheimer Staatsrat. 1824 an der Spitze der Gesetzgebungskommission, 1828 Präsident des Kassations- und Revisionsgerichts für Rheinhessen. Anhänger der Verfassungsidee. 1832 zum Mißfallen der Landesregierung Landtagsabgeordneter. 1833 daher zwangspensioniert. 1848 Mitglied des Vorparlaments und der Nationalversammlung. Am 16. Juli 1848 Innenminister des Großherzogtums Hessen. Die reaktionären Kräfte verdrängten den liberalen Jaup 1850 von seiner Position. 39 Verhandlungen, 92 f. Ebenso Heffter, Verhandlungen, 116. 40 August Wilhelm Heffter ( 1796- 1880) studierte in Leipzig, wurde 1820 Richter in Köln, später Düsseldorf. Aufgrund einer Schrift über "Die athenäische Gerichtsverfassung" wurde er 1823 an die Universität Bonn berufen. Es folgten Professuren in Halle (1830) und zuletzt Berlin (1833). Dort wurde er Geheimer Obertribunalrath, Kronsyndicus und Mitglied des Herrenhauses. Der Schwerpunkt seiner Forschungstätigkeit lag auf dem römischen und deutschen Zivilprozessrecht Daneben findet sich ein ,,Lehrbuch des gemeinen deutschen Kriminalrechts" (6. Aufl. 1857) und "Das europäische Volkerrecht der Gegenwart" (zuerst 1844). Er gab die Institutionen des Gajus heraus (1830) und war Redakteur beim "Neuen Archiv des Kriminalrechts". 41 Verhandlungen, 110. 34

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In dieser Situation gehörte durchaus Mut dazu, gegen die Einführung der Jury zu sprechen. Wächter hatte diesen Mut. 42 Er war zwar für Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtspflege, aber kompromißlos gegen die Beteiligung von Geschworenen.43 Wachter argumentierte gegen Geschworene: Sie seien zu sehr abhängig von einer vielfach unreifen öffentlichen Meinung.44 Sein Haupteinwand gegen Geschworene aber war, daß sie über wissenschaftliche Fachfragen zu urteilen haben, ohne Fachleute zu sein. Das erschien ihm in einer arbeitsteiligen Welt gewissermaßen als Anachronismus.45 Wachter malt dieses Arbeitsteilungsargument liebevoll aus: .. Wir leben in einer Zeit der Theilung der Arbeit. Im 15. und 16. Jahrhundert besorgte jede Familie den größten Theil der Bedürfnisse ihres Hauses selbst; die Frauen unserer Vorältern übten sogar die Heilkunde aus, nicht blos als Krankenpflegerinnen, sondern sie curirten und hatten Apotheken, und so wurde damals im Hause auch für die übrigen Bedürfnisse des Menschen gesorgt. Allmälig aber kamen wir auf die Theilung der Arbeit: der Arzt curirte seine Kranken; der Schuster ist weit entfernt, seinen Rock sich selbst zu machen; wir sind weit entfernt, wenn wir einen Rath über Landwirthschaft brauchen, ihn bei einem Juristen einzuholen. Auf der anderen Seite aber gehen wir nicht zu einem Bauer(n), wenn wir einen Proceß haben, sondern zum Juristen. "46

Mit dem Arbeitsteilungsargument war ganz plötzlich der Geist Friedrich Carl v. Savignys im Lübecker Rathaus. Sein Name war bisher genauso sorgsam vermieden worden wie später. Aber das war Savigny wie ihn alle kannten! In seiner Programmschrifi "Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft" formulierte er bereits 1814: "Bei steigender Cultur nämlich sondern sich alle Thätigkeiten des Volkes immer mehr, und was sonst gemeinschaftlich betrieben wurde, fällt jetzt einzelnen Ständen anheim. Als ein solcher abgesonderter Stand erscheinen nunmehr auch die Juristen. Das Recht bildet sich nunmehr in der Sprache aus, es nimmt eine wissenschaftliche Richtung, und wie es vorher im Bewußtseyn des gesammten Volkes lebte, so fällt es jetzt dem Bewußtseyn der Juristen anheim, von welchen das Volk nunmehr in dieser Function repräsentiert wird. " 47 Verhandlungen, 118. Verhandlungen, 119. 44 Verhandlungen, 123. 4S Verhandlungen, 120. 46 Verhandlungen, 120. 47 S. 12. - In der Diskussion im Anschluß an den Vortrag wandte Lipp gegen meine These, daß mit Einführung des Arbeitsteilungsarguments durch Wächter, eine Position Savignys angesprochen wurde, ein, es existiere ein Unterschied zwischen den Arbeitsteilungskonzepten beider. Dem stimme ich insoweit zu, als bei Wächters Skizze der Repräsentationsgedanke Savignys fehlt. Aber der Kern des Arbeitsteilungsarguments, und damit ein casus belli im Zwist der Romanisten und Germanisten, besteht nach meiner Einschätzung der Debatte in den 1840er Jahren in der praktischen Folge, daß die Nichtjuristen ("das Volk") aus der Rechtschöpfung weitgehend ausgeschlossen waren. Genau das ist ja auch Wächters Folgerung aus der Arbeitsteilungsthese. So gesehen stimmte Wächters Begriff der Arbeitsteilung mit Savignys überein. Und insoweit war damit auch Savigny angesprochen. - Bestätigt finde ich meine 42 43

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Unterstützt wurde Wächter in der Ablehnung der Geschworenengerichte durch seinen romanistischen Kollegen von der Pfordten aus Leipzig. Er wiederholte im wesentlichen Wächters Argumente,48 fügte aber noch das abschreckende Beispiel der sogenannten Volksgerichte der französischen Revolution hinzu.49 Heffter und Heinrich J aup, der oben schon genannte Präsident des hessischen Kassationshofs, versuchten das Arbeitsteilungsargument zu entkräften. Heffter erkannte völlig korrekt Wächters Haupteinwand gegen die Jury, nämlich seinen Zweifel an "der Capacität von Männem des Volkes, ein Urtheil zu fällen". 50 Er selbst hatte diese Zweifel nicht. Diese Einschätzung unterstützte Jaup mit der Feststellung, daß die Geschworenen im wesentlichen Tatsachenfragen zu beantworten hätten.51 - Wächters Behauptung von der Beeinflussbarkeil der Geschworenen durch die öffentlichen Meinung, beantwortete er mit dem Hinweis auf dieselbe Situation beim professionellen Richter. Bei ihm sei es ja nicht anders.52 Die Debatte über die Geschworenengerichte wurde am Morgen des letzten Verhandlungstages (30. September 1847) durch eine ausführliche Stellungnahme des bedeutendsten Kriminalisten der Versammlung, Mittermaier53 , abgeschlossen. Ausdrücklich kam er auf Wächters Arbeitsteilungs-Argument zu sprechen. Er versuchte es mit einem Blick auf England zu entkräften: Trotz Jury seien die professionellen Juristen dort unentbehrlich und betrieben ihre Wissenschaft auf hohem Niveau. -Nun, ich denke, Mittermaier ist hier nicht sehr präzise auf Wächters Argument eingegangen. Aber das mußte er auch gar nicht, denn er hatte die ganze nationale Aufbruchstimmung der Versammlung auf seiner Seite. Sein eindeutiges Plädoyer für die Einführung der Geschworenengerichte blieb daher unwidersprochen. Die Revolution von 1848 führte in den meisten deutschen Staaten zur Einführung von Schwurgerichten.54 Sie verloren aber im Laufe der Jahre an Popularität. Das wird darauf zurückgeführt, daß die Geschworenen bei der Subsumtion des Falles unter den Tatbestand überfordert waren, zumal die deutsche StrafrechtsdogmaAnsicht durch Georg Beselers "Volksrecht und Juristenrecht" von 1843. Darin kritisiert der Autor vehement Savignys Arbeitsteilungslehre, weil das Volk dadurch von ,jeder unmittelbaren Theilnahme an der Rechtsbildung" ausgeschlossen werde (S. 64). 48 Verhandlungen, 146, 148. 49 Verhandlungen, 148. so Verhandlungen, 134. st Verhandlungen, 145. 52 Verhandlungen, 145. 53 Kar[ Joseph Anton Mittermaier (1787-1867). Als sehr junger Mann Privatsekretär (Paul Johann Anselm) Feuerbachs. 1809 Privatdozent und Professor in Landshut mit den Fächern Strafprozeß, Deutsches Privatrecht und deutsche sowie römische Rechtsgeschichte, später auch Zivi1prozeßrecht. Professuren in Bonn und Heidelberg. Fast im gesamten Vormärz badischer Landtagsabgeordneter, mehrfach Präsident der zweiten Kammer. 1848 Präsident des Vorparlarnents. Vergl. Kleinheyer/Schröder, 2. Aufl., 177. S4 Landau, 268.

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tik im 19. Jahrhundert mächtig voranschritt Darüber hinaus sieht man im wachsenden Vertrauen in den angestellten professionellen Richter einen Grund für die Abkehr von der Jury.55 Seit 1870 befanden sich, wie Peter Landau resümierte, die Anhänger der Geschworenengerichte in der Defensive.56 1902 schlug das Reichsjustizamt die völlige Abschaffung der Schwurgerichte vor. Sie erfolgte 1924 durch die Emminger'sche Justizreform. Wer will, kann darin einen späten Sieg Carl Georg v. Wachtees sehen.

3. Auf verlorenem Posten stand Wachter im Lübecker Rathaus auch in einer anderen Frage: im Streit der Germanisten mit den Romanisten. Die programmatische Stellungnahme hierzu lieferte allerdings nicht Wachter, sondern von der Pfordten.57 Das römische Recht, so meinte er in der heißen Phase der Debatte, sei aus der zukünftigen Rechtsentwicklung Deutschlands genauso wenig hinwegzudenken wie die normannischen Elemente aus der englischen Sprache.58 Am Beginn seiner Ausführtingen war von der Pfordten den Germanisten allerdings ein Stück entgegen gekommen59 : In früheren Jahrhunderten hätten die deutschen Juristen die Ansicht gehabt, das corpus iuris civilis enthalte grundsätzlich allein das in Deutschland gültige Recht. Neben dieser Alleinherrschaft sei das germanische Recht höchstens als Modifikation in Betracht gekommen. Diese Position setzte er gleich mit dem Begriff des usus modemus. Und er fahrt fort: "Ich glaube, man kann diese Ansicht als abgethan bezeichnen; sie ist vorüber; meine Herren. Zwar mögen vielleicht noch einige sporadisch vorkommen, die dieser Meinung anhängen, aber die zählen nicht. " 60 Als von der Pfordten das sagte, war wiederum Savigny unter ihnen, allerdings nicht körperlich, denn er hielt sich zu dieser Zeit vermutlich in Berlin auf, wo er bekanntlich preußischer Justizminister war. Die Ansicht aber, die von der Pfordten gerade skizziert und abgelehnt hatte, findet sich fast wörtlich im 1840 erschienenen ersten Band von Savignys "System des heutigen Römischen Rechts". 61

Landau, 303. Landau, 302. 57 Beginn: Verhandlungen, 224. 58 Verhandlungen, 231. 59 Verhandlungen, 227. 60 Verhandlungen, 227. 61 Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, Berlin 1840. 55

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Mit dieser Preisgabe des romanistischen Heros war das Entgegenkommen von der Pfordtens aber noch nicht beendet. Er stellte anschließend nämlich die bekannten Grundpositionen zur Geltung des römischen oder deutschen Rechts vor, und erklärte, daß er sich nicht entscheiden wolle, ob eine Vermutung für die Geltung des deutschen oder des römischen Rechts bestände, oder ob die Geltung des einen oder des anderen jeweils im Einzelfall nachgewiesen werden müsse. 62 Immerhin bestand von der Pfordten auf den "durchgreifenden Einfluß des römischen Rechts auf die moderne Particulargesetzgebung" und "auf die juristische Technik".63 Hart blieb von der Pfordten zunächst bei der umstrittenen Frage, ob das Corpus iuris als Gesetzbuch (also .. in complexu ") rezipiert wurde. Allerdings erklärte er diesen Umstand für ein ,,Nationalunglück".64 Er berichtet, es habe ihm "das Herz weh gethan",65 wenn er als Richter einem deutschen Bauern Recht sprechen mußte und ihn auf die Pandekten zu verweisen hatte, auf die Pandekten, die der Bauer nicht verstehen konnte, weil er das Lateinische nicht beherrschte. Uneingeschränktfür das römische Recht führte von der Pfordten an, daß es vielfach allgemeine Rechtsgedanken ausspreche, die in keiner Weise national gefärbt sind.66 Die Eigentumslehre, die Servitutenlehre, große Teile des Obligationenrechts und des Erbrechts rechnete er dazu. Gegen das römische Recht sprach nach von der Pfordten der unzeitgemäße Inhalt des öffentlichen Rechts römischen Ursprungs. Deshalb sah er in der freiheitlichen Gestaltung des öffentlichen Rechts eine Zukunftsaufgabe der Germanisten, nicht der Romanisten.67 (Wächter schloß sich dieser Meinung später ausdrücklich an.)- Die Entwicklung des Privatrechts der Zukunft sah von der Pfordten als Gemeinschaftsaufgabe beider. Das römische Recht sei von dieser Aufgabe durchaus nicht zu verdrängen.

Georg Beseler, der bekanntermaßen kämpferischste Germanist68 seiner Zeit, antwortete auf die Ausführungen von der Pfordtens. Er verneinte die Theorie von der 62 Verhandlungen, 227 f. Die romanistische Extremposition, die er nicht selbst vertrat, formulierte er so: "Das römische Recht hat ... die Vermuthung der Geltung in ganz Deutschland für sich ... ; von den römischen Instituten braucht nicht bewiesen zu werden, daß sie gelten, sondern sie gelten, so lange nicht bewiesen ist, daß sie ausgeschlossen sind; die germanischen haben diese Vermuthung der Geltung nicht für sich, sie sind nur dann anwendbar, wenn bewiesen wird, daß sie gelten." 63 Verhandlungen, 228. 64 Verhandlungen, 228. 6S Verhandlungen, 229. 66 Verhandlungen, 229 f. 67 Verhandlungen, 231 f. 68 Vier Jahre vor den Lübecker Germanistentagen war er ja mit seinem einschlägigen "Volksrecht und Juristenrecht" an die Öffentlichkeit getreten.

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Rezeption des römischen Rechts in complexu.69 Er sprach von einem "Princpienkampf" , der durchzufechten sei und stellte die Gegensätze schärfer dar als von der Pfordten. Carl Georg v. Wachter ging diese Schärfe zu weit. Er mahnte eindringlich, die Extreme zu vermeiden. 70 Sein Rezept für die künftige deutsche Rechtsentwicklung war eine Verbindung romanistischer und germanistischer Gedanken, gewissermaßen zum Wohle des Vaterlandes. Dieses Anhängsel war ein psychologisch geschickter Schachzug. Wachter prophezeite, daß mit dem Erreichen des großen Zieles (nämlich eines Strafrechts und eines Privatrechts für ganz Deutschland) der Friede zwischen Germanisten und Romanisten hergestellt sein würde. Und er schloß seine Rede, indem er allen Anwesenden rhetorisch die Hand bot "um die heißesten Wünsche unseres Vaterlandes zu befriedigen ...".71 Diesen Vortrag fand Jacob Grimm, der Vorsitzende, so gut, daß er die Rednerliste schloß, der Stadt Lübeck dankte und die Versammlung für beendet erklärte. Beendet ist damit auch mein Vortrag. Ich bedanke mich für Ihr Interesse!

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Verhandlungen, 234. Verhandlungen, 237. Verhandlungen, 239.

Wächters Bemühungen um die Vereinheitlichung des Privatrechts in Deutschland* Von Martin Lipp

I. Gemeinrechtliche Dogmatik als Ersatz für die gescheiterte Privatrechtskodifikation (Franz Wieacker)? ,,Die deutsche Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts beherrschte das Privatrecht ihrer Zeit zufolge der besonderen Lage, daß die gemeinrechtliche Dogmatik ein gemeindeutsches Privatrechtsgesetzbuch vertreten mußte, das nach 1814 an der Restauration und dem Programm der historischen Schule gescheitert war."- Dieses Zitat aus der Privatrechtsgeschichte Franz Wieackers 1 fokussiert brennspiegelgleich das Ringen um die deutsche Privatrechtseinheit im 19. Jahrhundert auf zwei wirkmächtige Ereignisse der Jahre 1814/15. Das erste war die strikte und, wie bekannt, erfolgreiche Zurückweisung der Forderung Thibauts nach einer Privatrechtskodifikation für ganz Deutschland2 durch Friedrich Carl von Savigny. Nicht umfassende Gesetzgebung, sondern eine sich geschichtlich verstehende Rechtswissenschaft sei das Gebot der Stunde: ,,In dem Zweck sind wir einig: wir wollen Grundlage eines sicheren Rechts, . . . Für diesen Zweck verlangen sie ein Gesetzbuch ... Ich sehe das rechte Mittel in einer organisch fortschreitenden Rechtswissenschaft, die der ganzen Nation gemein seyn kann . . ." 3 • Das zweite Ereignis war die Gründung des Deutschen Bundes im Jahre 1815. Sie besiegelte mit der Absicherung "der Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit der einzelnen deutschen Staaten"4 den partikularistischen Staatenbund, der im Verein mit

* Vortrag, gehalten am 8. November 1997 anläßlich des von der Leipziger Juristenfakultät vom 7. bis 9. November 1997 veranstalteten Karl Georg von Waechter-Symposions. Die Vortragsform wurde beibehalten; der wissenschaftliche Apparat beschränkt sich auf wichtigste Nachweise. • F. Wieacker. Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967, S. 458 f. 2 A. F. J. Thibaut, Über die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland, Heidelberg 1814. 3 F. C. von Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Heidelberg 1814, in: Thibaut und Savigny. Ihre programmatischen Schriften, hg. v. H. Hattenhauer, 1973, S. 95 ff., 192. 5 Kern

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politischer Restauration und dem Scheitern der national-liberalen Einheitsbewegung das gemeindeutsche Privatrechtsgesetzbuch in weite Feme rücken sollte. An dessen Stelle trat die gemeinrechtliche Dogmatik, die das einheitliche, die Territorien überspannende System des geltenden deutschen Privatrechts zu verbürgen versprach. Der privatrechtsgeschichtliche Befund scheint gesichert5 , und doch werden Nachdenklichkeil und Zweifel ausgelöst durch Stimmen, die sich der glatten Linie gewünschter Schlüssigkeil nicht ohne weiteres fügen: ,,Der Schrift Thibaut's trat sofort der gewichtigste Gegner, Savigny, entgegen ... . Zur Codification spricht er Deutschland Befahigung und Beruf ab.... Über (die) Trefflichkeil (der Schrift)6 war nur eine Stimme, aber ihrem Resultate stimmten doch wo! nur die Wenigsten bei. Die allgemeine Stimme war von Beginn jenes Streits an für Codification auch im Privatrecht. ... Viele Einzelne erhoben dafür ihre Stimmen und die meisten Ständeversammlungen der einzelnen deutschen Staaten erklärten sich beinahe einstimmig dafür"- so der rückblickende Carl Georg von ~chter im Jahre 18627 . Gleichwohl, die Kodifikation war vorerst gescheitert.8 Gescheitert war damit auch Carl Georg von Wächter mit seinem Engagement für eben jenes Ziel. Schon Ende der zwanziger Jahre hält er ein einheitliches württembergisches Privatrechtsbuch, wenn auch vorläufig nicht erreichbar, so doch für höchst wünschenswert9 , und um die Mitte der vierziger Jahre sollte ihn schließlich der Gedanke an eine gemeinsame Kodifikation - zunächst für mehrere Staaten, dann für ganz Deutschland - endgültig gefangen nehmen. 4 Deutsche Bundesakte v. 8. Juni 1815, Art. 2: "Der Zweck desselben ist Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit der einzelnen deutschen Staaten"; Text bei E. R. Huber; Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte Bd. 1, 1961, S. 75 ff., 76.

' Neben F Wieacker; Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, z. B. S. 396, 443, vgl. etwa derselbe, Die Ausbildung einer allgemeinen Theorie des positiven Rechts in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Festschr. f. Kar! Michaelis, 1972, S. 354 ff., 359 ff.; derselbe, Der Kampf des 19. Jahrhunderts um die Nationalgesetzbücher, in: Festschr. f. W. Felgentraeger, 1969, S. 409 ff.; ferner K. Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte 3, 2. Aufl. 1993, S. 129 ff., insbes. S. 131 ("Das pandektistische Rechtssystem schien von so einleuchtender Richtigkeit zu sein, daß man von ihm aus an die geltenden Kodifikationen die selbstbewußte Frage stellen konnte, ob ,die gesetzlich fixierten Sätze auf theoretische Anerkennung noch Anspruch machen können' .... Es war so gekommen, wie Savigny es gefordert hatte.") u. S. 139 ("Im Privatrecht hat dagegen sich die Vorstellung von der kontinuierlichen Entwicklung der Pandektenwissenschaft von SAVIGNY bis zu WINDSCHEID bisher behauptet."). 6 Im Original: "Über ihre Trefflichkeil war ... ", vgl. Fn. 7. 7 Art. "Gesetzgebung", in: Rotteck/Welcker; Staatslexikon, 3. Aufl. 1862, S. 482 ff., 509. s Zu Befürwortern und Gegnern einer (allgemeinen) Gesetzgebung in der zeitgenössischen Diskussion vgl. an dieser Stelle nur H. Hattenhauer; oben Fn. 3, S. 211 ff., 231 ff. 9 C. G. v. Wächter; in: R. Mohl/C. Scheuerlen/C. G. Wächter (Hg.), Die Literatur des gesammten württembergischen Rechtes aus dem letzten Jahrzehend, historisch-kritisch dargestellt, Stuttgart 1830, S. 166: "Wir gestehen offen, daß uns, ganz in Uebereinstimmung mit unsern Ständen, die Verfassung eines umfassenden Gesetz- oder richtiger R e c h t s b u c h es für Württ. höchst wünschenswertherscheint ... ".

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Der erste Eindruck mutet widersprüchlich und gebrochen an: Wächter, glänzender Lehrer des Pandektenrechts, gefeierte wissenschaftliche Gestalt des 19. Jahrhunderts, er bekennt sich zur Geschichtlichkeil des Rechts und ist doch gleichzeitig fast leidenschaftlicher Verfechter der allgemeinen Kodifikation. Wie ließen sich diese Positionen vereinbaren, welchen Einfluß konnten sie entwickeln angesichts der Dominanz einer Gestalt vom Formate Savignys, angesichts des wissenschaftstheoretischen Kontextes der Zeit, aber auch angesichts der zeitgenössischen verfassungspolitischen Lage und Diskussion? - Lassen Sie mich meinen Beitrag zu diesem Symposion nutzen, vor der Folie des eben skizzierten Fragenkreises die Bemühungen "'7-ichters um eine Vereinheitlichung des Privatrechts in Deutschland nachzuzeichnen und dabei die eingangs aufgegriffene These Wieackers von der Rechtseinheit durch Dogmatik als Ersatzmodell für eine Kodifikation auf den Prüfstand stellen, auf den Prüfstand des Werks und der Person Carl Georg von "'7-ichters.

II. Wächters endgültige Position Seine endgültige Ansicht in der Frage der Rechtseinheit auf dem Gebiete des Privatrechts hat "'7-ichter 1862 in seinem Artikel über "Gesetzgebung" im Staatslexikon von Rotteck und Welcker niedergelegt. Mit flammenden Worten tritt er für ein einheitliches Privatrechtsgesetzbuch ein und stellt, inmitten der Bemühungen deutscher Einzelstaaten um eigene territoriale Kodifikationen die Frage, ob diese gegenwärtige Entwicklung einem berechtigten Interesse entspringe: "Unsere Zeit ist an umfassenden legislativen Versuchen ... ganz besonders reich, und ein sehr verbreitetes Verlangen drängt auf dem eingeschlagenen Wege noch weiter zu gehen, ihn aber nicht isoliert für die betreffenden einzelnen Staaten zu verfolgen, sondern auf das gesammte deutsche Vaterland auszudehnen .... Was ist der eigentliche Sinn und die Tragweite dieses Verlangens?" 10 "'7-ichters Antwort: "So bildet in diesen Staaten ein krauses Gemisch fremder und einheimischer Rechtsquellen ihr positives Privatrecht 11 • •• Es ergibt sich hieraus, daß die Frage über Codification ... beinahe für ganz Deutschland entschieden ist" 12 • Nach knapp fünfzig Jahren scheint mit der Stimme Wächters erneut Thibaut zu sprechen, der die Notwendigkeit eines allgemeinen deutschen Privatrechtsgesetzbuchs 1814 mit der ernüchternden Feststellung begründet hatte: "So ist also unser ganzes einheimisches Recht ein endloser Wust einander widerstreitender, vernichtender, buntschäckiger Bestimmungen ..." 13• Und schon Thibaut warnte davor, 1o C. G. v. Wächter. Gesetzgebung, S. 482. 11 C. G. v. Wächter. Gesetzgebung, S. 495. 12 C. G. v. Wächter. Gesetzgebung, S. 502. 13 A. F. J. Thibaut, Über die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts, oben Fn. 3, S. 68. 5*

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"das krause Gemisch des alten Wirrwarrs ... wieder herzustellen ..." 14 . Fünfzig Jahre historische Rechtsschule, fünfzig Jahre programmatische Absage an die Kodifikation, fünfzig Jahre Systembildung im "heutigen römischen Recht", mit den Lehrund Pandektenwerken Savignys 15, Puchtas 16, Jherings 17 längst zu glänzenden Höhepunkten gebracht und in der Übernahme der begrifflich-systematischen Methode durch Gerber18 auch deutschrechtlichem Stoff aufgenötigt - dennoch: der Ruf nach einer Kodifikation ist lauter denn je, die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts läßt selbst im Zenit der gemeinrechtlichen Dogmatik die Forderung nach einer Kodifikation nicht verstummen. - Wo stand Wächter als Romanist in dieser Jahrzehnte dauernden Auseinandersetzung? Was eröffnete ihm den Zugang zum Modell des Gesetzes? Wo lag sein rechtstheoretischer Ausgangspunkt?

111. Die Einheit des Privatrechts - Einheit durch Wissenschaft oder Einheit durch Kodifikation? 1. Wächter als Vertreter der Historischen Schule In der zweiten Abteilung des ersten Bandes seiner "Geschichte, Quellen und Literatur des Württembergischen Privatrechts", 1842, kommt Wächter auf den Anlaß dieses literarischen Unternehmens zu sprechen. Seit 1820 wird von der württembergischen Ständeversammlung immer wieder die Forderung nach einer Kodifikation des Landesrechts erhoben 19 • ,,Bei dem Civilgesetzbuche", schreibt Wächter20, ,,nahm sie die Sache wohl etwas zu leicht." Voraussetzung dafür sei nämlich eine vorgängige, vollständig-handbuchartige Darstellung des gesamten, historisch überkommenen geltenden Rechts. Wächters Vorstellungen stehen hier ganz im Einklang mit der Auffassung Savignys und es verwundert nicht, wenn nach den Worten Julius Glaseri 1 Wächter der erste war, der "die Anwendung der Ergebnisse der von Savigny gegründeten Rechtsschule auf ein Particularrecht unternommen" hat: Der Komplex des geltenden Rechts ist als ein Ganzes faßbar, und zwar durch die wissenschaftliche Durchdringung des historisch gegebenen Stoffs auf der A. F J. Thibaut, ibidem, S. 67. F C. v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, 1840- 1849. 16 G. F Puchta, Lehrbuch der Pandekten, 1838; Cursus der Institutionen, 1841/42. 17 R. v. Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, 1852-1865. 18 K. F W. Gerber, System des deutschen Privatrechts, 1848/49. 19 Näheres hierzu bei C. G. v. Wächter, Geschichte, Quellen und Literatur des Württembergischen Privatrechts Bd. I, 2. Abth. 1842, S. 1056 ff. 20 lbidem, S. 1059. 21 J. Glaser, Kar! Georg von Wächter, Nachruf in: Allgemeine Österreichische GerichtsZeitung v. 20. 1. 1880, n. F. 17. Jhg., Nr. 6, S. I ff. 14

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Grundlage eines als vollständig gedachten inneren Systems nach dem Vorbild des ius Ronumum: " ... denn was im Leben und in der Anwendung unsres Rechts seit Jahrhunderten als ein Ganzes bestand und durch das Leben ... immer mehr organischen Zusammenhang erhielt, muß auch von der Wissenschaft als ein Ganzes aufgefaßt und dargestellt werden; .. . Auch wird es sich zeigen lassen, daß durch den Gang, den unser Recht in seiner Ausbildung nahm, und durch die Art und Weise, wie es sich an das Römische anschloß, ein vollständiges, innerlich zusammenhängendes System des gesammten bei uns geltenden Privatrechts sich wohl bilden läßt'.22. Eine Kodifikation in Angriff zu nehmen, kann, so Wächter damals, kein aktuelles Anliegen sein. Denn "allein um das bestehende Recht in einem möglichst vollständigen Rechtsbuche zusammenzufassen, muß man es vorher v o II s t ä n d i g und g r ü n d I i c h ü b er s e h e n . .. und in dieser Gestalt es umsichtig prüfen. Es fehlt uns aber noch ganz eine wissenschaftliche Darstellung des g e s a m m t e n bei uns geltenden Privatrechts, .. . Erst wenn man durch ein solches Handbuch einen klaren und umfassenden Ueberblick über den gesammten Rechtszustand in seinem ganzen Detail erhalten hat, und wenn es durch Theorie und Praxis einige Zeit geprüft worden ist, dann wird man mit Erfolg an die Abfassung eines vollständigen Gesetzbuches . .. schreiten können"23 • - Eben jene vollständige Darstellung für das Privatrecht Württembergs zu leisten, war der Sinn seines Werkes - in Erfüllung eines Auftrages der Württembergischen Regierung aus dem Jahre 183624 • In gleichem Maße, wie Wächter das Bekenntnis zum geschichtlich vorgegebenen Recht mit der Historischen Schule geteilt hat, hat er mit ihr die zurückliegende Gesetzgebung des Naturrechts verworfen. Weit entfernt von der stofflichen Durchdringung des positiven Rechts durch die Wissenschaft ging ein polizeistaatlich-bevormundender Landesherr völlig vergeblich davon aus, "alles bis ins Einzelnste legislativ zu normieren und alle möglichen Rechtsfalle zu erschöpfen, und verlor sich dadurch in seinen mehr als 19000 Paragraphen in einem casuistischen Detail, welches, auf ein verfehltes System gebaut, der principiellen Behandlung und der Beherrschung des Stoffes ermangelte"25 • 26. - Widerstand gegen das Naturrecht verspürt Wächter zutiefst aber auch aus einem weiteren Grund: Er mißtraut jeder C. G. v. Wächter, Württembergisches Privatrecht I, S. V, VI. lbidem, S. 1059; ebenso schon in: Die Literatur des gesammten württembergischen Rechts, oben Fn. 9, S. 171 f.: ,)enes ausführen zu können (sc.: ein einheitliches Gesetzbuch), muß man das Bestehende vorher ganz übersehen. Hier ist noch eine ungemeine Lücke unsrer wissenschaftlich=praktischen Arbeiten auszufüllen. Beinahe keiner unsrer Württ. Juristen hat sich noch das g e s a m m t e in Württ. geltende Recht ... ·zusammengestellt, . .. wir haben ... noch kein Handbuch, welches das g e s a m m t e , i n W ü r t t. g e I t e n d e Recht in seinem Detail darstellte. Ein solches Handbuch muß nothwendig einem sog. Gesetzbuche ... vorangehen." 24 Vgl. C. G. v. Wächter selbst, Württembergisches Privatrecht I, 2. Abth., S. 1060. 25 C. G. v. Wächter, Gesetzgebung, S. 489. 26 Vgl. ferner ibidem, S. 488 f.: ,,Aber freilich ließ damals (sc.: 18. Jh.) der Standpunkt der Rechtsphilosophie und der Wissenschaft des positiven Rechts noch gar zu vieles zu wün22

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richterlichen Entscheidung auf der Grundlage der "Rechtsphilosophie", und eben sie erkennt er im Gewande des Naturrechts. Es entscheidet richterliche Willkür und nicht das positive Recht. Hierauf wird zurückzukommen sein27 • Nicht geteilt hat \Wichter den rigiden wissenschaftstheoretischen Standpunkt Savignys, wonach die Theorie des positiven Rechts eine ausschließlich historische sei: Danach müsse grundsätzlich jede Kodifikation - weil in den Entwicklungsfluß der Geschichte eingreifend und deshalb die "wahrhaft regierende Rechtsquelle" verfälschend28 - als Übel empfunden werden. Wächter hingegen sieht das einheitsstiftende Gesetzbuch als erstrebenswertes Fernziel: "Es dürfte sich leicht nachweisen lassen, daß die Abfassung eines umfassenden Deutschen Rechtsbuches höchst wünschenswerth ist, und zwar eines Rechtsbuches, welches nicht den gegenwärtig bestehenden Rechtszustand umformt, sondern den selben wie er ist, mit Entscheidung des Zweifelhaften und Aenderung des durch die Er f a h r u n g untauglich Erwiesenen in sich aufnimmt"29. Nicht das Verdikt über die Kodifikation als Rechtsquelle, sondern die noch mangelnde historisch-systematische Aufarbeitung der zerklüfteten Rechtsmasse verwehren es um 1842, ein Privatrechtsgesetzbuch in Angriff zu nehmen. Diese Beobachtung verdient unsere Aufmerksamkeit. Hier drückt sich nicht nur eine bestimmte rechtspolitische Haltung für oder gegen die Kodifikation aus. Vielmehr geht es um eine grundlegende Abweichung vom Konzept einer "geschichtlichen Rechtswissenschaft" im Sinne Savignys, und: Hier liegt auch begründet, weshalb für \Wichter die gemeinrechtliche Dogmatik niemals das Gesetzbuch vertreten konnte. sehen übrig; man hielt ein auf der Oberfläche sich haltendes Naturrecht für Rechtsphilosophie, die Gesetzgebungspolitik stand noch im Kindesalter und die Wissenschaft des positiven Rechts ließ nur zu sehr die rechte Durchdringung und Beherrschung des Rechtsstoffs, zu wel·cher nur Geschichte und gründliches Quellenstudium führen konnte, vermissen. . . . Auch herrschte noch eine übermäßige polizeiliche Bevormundung, das weitgreifende Einmischen der Staatsverwaltung in alle Verhältnisse der Unterthanen und engherzige, ängstliche Beschränkung der bürgerlichen und politischen Freiheit, ein Geist, der in allen diesen Gesetzgebungen ... sich aussprach." 27 Vgl. unten bei Fn. 93. 28 F. C. v. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit, oben Fn. 3, S. 110; vgl. Zitat unten bei Fn. 35. 29 C. G. v. Wächter, Privatrecht I, 2. Abth., S. 1059. Entschieden für eine (sofortige) Kodifikation ist Wächter auf dem Gebiet des Strafrechts eingetreten, vgl. Uebersicht über die Literatur des gesammten Württembergischen Rechtes aus den letzten zehen Jahren (Strafrecht), in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft 6 (1829), S. 268 ff., 271, 272 f.; ebenso schon 1830 für Württemberg, vgl. oben Fn. 9; dort auch zum Charakter des erstrebten Gesetzbuchs, S. 171: "Wir wollen keine Umwälzung des bisherigen Rechtszustandes .... Wir wollen bloß . . . eine feste, sichere Begründung des b e steh e n d e n Rechts, aber angemessen u n s er e n j e t z i g e n vielverzweigten Verhältnissen und unsrem jetzigen Culturzustande, - also eine d e u t s c h e , p r ä c i s e S a m I u n g d e s B e s t e h e n d e n , E n t s c h e i d u n g des Zweifelhaften und Aenderung des durch vieljährige Erfah r u n g a I s u n tau g I i c h Er w i e s e n e n. Wir wünschen ein möglichst vollständiges Rech t s buch, kein eigentliches reformirendes G e s e t z buch."

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2. Wächter und das Spezialistendogma: ,,Juristenrecht" kontra Gesetz Savignys Rechtstheorie baut auf einer Rechtsquellenlehre auf, die dem Gesetzbuch einen originär normativen Stellenwert nicht zuerkennt: Das bürgerliche Recht trägt wie Sitte, Sprache und Verfassung des jeweiligen Volkes einen eigentümlichen Charakter. Diese ,,Erscheinungen haben kein abgesondertes Daseyn, es sind nur einzelne Kräfte und Tathigkeiten des einen Volkes, in der Natur untrennbar verbunden, ... Was sie zu einem Ganzen verknüpft, ist die gemeinsame Ueberzeugung des Volkes, das gleiche Gefühl innerer Nothwendigkeit, welches allen Gedanken an zufallige und willkührliche Entstehung ausschließt" 30. Bei fortschreitender Entwicklung des Rechts wird es den einzelnen Mitgliedern freilich unmöglich, die rechtlichen Details noch im Bewußtsein zu halten. Aber dies durchschneidet das Band zwischen Recht und "Volk" nicht. Denn die Tatigkeiten des einen Volkes sondern sich immer stärker, "und was sonst gemeinschaftlich betrieben wurde, fällt jetzt einzelnen Ständen anheim. Als ein solcher abgesonderter Stand erscheinen nunmehr auch die Juristen" 31 , von welchen das Volk in seiner rechtsbildenden Funktion repräsentiert wird. "Dann wird sich ein besonderer Stand der Rechtskundigen bilden, welche, selbst Bestandteil des Volkes, in diesem Kreise des Denkens die Gesammtheit vertritt. Das Recht ist im besondern Bewußtseyn dieses Standes nur eine Fortsetzung und eigenthümliche Entwicklung des Volksrechts"32• Fazit: ,,Die Summe ... also ist, daß alles Recht auf die Weise entsteht, welche der herrschende, ... , Sprachgebrauch als G e w o h n h e i t s r e c h t bezeichnet, d. h. daß es erst durch Sitte und Volksglaube, dann durch Jurisprudenz erzeugt wird, überall also durch innere, stillwirkende Kräfte, nicht durch die Willkühr eines Gesetzgebers"33. Das "Volk", repräsentiert durch den Juristenstand, ist die eigentlich wirkende, nie stillstehende Quelle des Rechts. Das umfassende Gesetz dagegen unterbricht ahistorisch, willkürlich, in anmaßendem, "völlig unerleuchtetem Bildungstrieb"34 diesen organischen Prozeß. Es suggeriert lediglich rechtserzeugende Qualität. In Wirklichkeit hemmt und verdeckt es die wahren Rechtsquellen und verschüttet damit späteren, berufeneren Zeiten den Zugang zu ihrem Reche5 • Gesetze können nur deklaratorisch, bereits existierendes "Volksrecht" ausweisen: F. C. v. Savigny, Vorn Beruf unserer Zeit, a. a. 0., S. 102. F. C. v. Savigny, ibidem, S. 104. 32 F. C. v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts Bd. 1, 1840, S. 45. 33 F. C. v. Savigny, Vorn Beruf unserer Zeit, a. a. 0 ., S. 105; derselbe, System Bd. 1, S. 34 ff. 34 F. C. v. Savigny, Vorn Beruf unserer Zeit, a. a. 0., S. 100. 3S F. C. v. Savigny, ibidern, S. 110: ,,Die Rechtspflege wird scheinbar durch das Gesetzbuch, in der That aber durch etwas anderes, was außer dem Gesetzbuch liegt, als der wahrhaft regierenden Rechtsquelle, beherrscht werden. Dieser falsche Schein aber ist höchst verderblich...."; S. 111: "eben so nachtheilig aber ist die Wirkung auf die folgende Zeit. Denn wenn in dieser günstigere Bedingungen für die Behandlung des Rechts eintreten, so ist nichts förderlicher, als die vielseitige Berührung mit früheren einsichtsvollen Zeiten: das Gesetzbuch aber steht nun in der Mitte und hemmt und erschwert diese Berührung auf allen Seiten." 30

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,,Fragen wir zuerst nach dem Inhalt des Gesetzes, so ist derselbe schon durch die Herleitung der gesetzgebenden Gewalt bestimmt: das schon vorhandene Volksrecht ist dieser Inhalt, oder, was dasselbe sagt, das Gesetz ist das Organ des Volksrechts"36. Savigny akzeptiert Gesetze nur dort, wo sie ihrer Natur nach ganz unbestimmte Materien, wie etwa die Verjährung, für die Rechtspraxis konkretisieren37 . Aber auch hier geht es nicht eigentlich um Rechtssetzung. Das Gesetz fördert lediglich "das wirkliche Recht, den eigentlichen Willen des Volkes" und erhält ihn rein38 . Damit waren die Weichen für das sog. "Spezialistendogma", für die rechtserzeugend-normative Wirkung des wissenschaftlichen Systems, für das "Juristenrecht", gestellt: ,,Diese besondere Art der Rechtserzeugung bezeichne ich als das wissen s c h a ft I ich e Recht: anderwärts wird sie das Juristenrecht genannt"39.

*ichter, so könnte es scheinen, hat diesen Grundsatz geteilt, wenn er die wissenschaftlich-systematische Verarbeitung des historisch vorgegebenen Stoffs fordert - als notwendige Vorbedingung eines Rechtsbuches, welches "nicht den gegenwärtig bestehenden Rechtszustand umformt, sondern den selben, w i e er i s t , mit Entscheidung des Zweifelhaften und Aenderung des durch die Er f a h r u n g als untauglich Erwiesenen in sich aufnimmt ..."40• Savigny schreibt im ,,Beruf': ,,Erst wenn wir durch ernstliches Studium vollständigere Kenntniß erworben, vorzüglich aber unsren geschichtlichen und politischen Sinn mehr geschärft haben, wird ein wahres Urtheil über den überlieferten Stoff möglich seyn"41 • Doch die Parallelität täuscht. Wächters Anschauung weicht in Kernpunkten von jener Savignys ab: ,,Die Entstehungsarten unseres Privatrechts sind G e s e t z g e b u n g ... , Ge wo h n h e i t s r e c h t und mittelbar die W i s s e n s c h a f t " 42 . Im Gegensatz zu Savigny verwirft *ichter mit Schärfe eine rechtsbildende Funktion der Jurisprudenz: "Die Wissenschaft entwickelt den Inhalt der bestehenden Rechtsquellen ... , geht auf die Principien des bestehenden Rechts zurück, baut auf ihnen consequent fort, ... Dieß ist aber eigentlich kein Schaffen eines n e u e n Rechts, F. C. v. Savigny, System Bd. 1, S. 39. Nur in diesem Bereich vermag auch die Gewohnheit als fortwährende Übung den Rechtsgrund des "Gewohnheitsrechts" abgeben. Tatsächlich hat die "eigentliche Grundlage" des Gewohnheitsrechts .~hr Daseyn, ihre Wirklichkeit, in dem gemeinsamen Bewußtseyn des Volks" ("Volksrecht"). Durch Übung, Sitte, Gewohnheit gibt sich dieses (vorhandene) Recht nur (äußerlich) zu erkennen, vgl. F. C. v. Savigny, System Bd. I, S. 34 ff. 38 F. C. v. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit, a. a. 0 ., S. 107. 39 F. C. v. Savigny, System Bd. I, S. 49. 40 C. G. v. Wächter, Württembergisches Privatrecht I, 2. Abth., S. 1059; ferner S. 1060 in bezug auf die Absicht des Gesetzgebers: "Das von ihm beabsichtigte Gesetzbuch soll nicht in einer Umwälzung des bisherigen Rechtszustandes bestehen, sondern auf der Grundlage des Bestehenden verfaßt werden, demnach . . . eine Zusammenfassung und Revision des bestehenden Rechts bilden"; ebenso schon oben bei Fn. 29. 41 F. C. v. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit, a. a. 0., S. 164. 42 C. G. v. Wächter, Württembergisches Privatrecht II, 1842, S. 18. 36 37

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sondern mehr nur ein Aufdecken dessen, was zum Theile unentwickelter Inhalt des bestehenden und gewordenen Rechts ist. Sofern aber die wissenschaftlichen Resultate theils durch die Kraft der Wahrheit an sich, theils durch die Autorität einzelner Träger der Wissenschaft ... in das rechtliche Bewußtseyn ... übergehen, kann man die Wissenschaft in so weit mittelbar eine Quelle des Rechts nennen, und, wenn man so will, das durch die Wissenschaft . . . zur Geltung gekommene Recht ... J u r i s t e n r e c h t bezeichnen. Nur kommt an sich den bloßen Resultaten der Wissenschaft eine äußere Gültigkeit nicht zu ..." 43 . "Das Produkt dieser wissenschaftlichen Täthigkeit hat k e i n e form e 11 e G e 1tu n g als Rechtsnorm; es gilt nicht an und für sich und deßhalb, weil es Produkt der Wissenschaft ist, . .."44 • Wächter kehrt das Verhältnis von Ursache und Wirkung um. Das dem Volke entglittene Regelsystem wird nicht dadurch positives Recht, daß es von Juristen gleichsam in Organschaft des Volkes gefunden und deduziert wird, sondern umgekehrt. "Will man ... das ... J u r i s t e n r e c h t bezeichnen: so darf man nur dabei nicht vergessen, daß es kein Juristenrecht als besondere ftir sich bestehende Rechtsquelle giebt, sondern daß Das, was man so nennt, entweder bloß die Entwicklung Dessen ist, was an sich schon im bestehenden Rechte liegt ... , oder daß es der Kern und die Veranlassung einer sich bildenden Volksgewohnheit werden kann und dann gilt, nicht weil es Juristenrecht ist, sondern weil es Gewohnheitsrecht geworden ist"45 •

So bleiben als autonome Rechtsquellen allein Gewohnheitsrecht und Gesetz. Nirgends verwahrt sich Wächter gegenüber dem Akt der Gesetzgebung. Im Gegenteil: "Im engeren Sinne bedeutet Ge s e t z e i n e n der Hauptentstehungsgründe des Rechts, die Festsetzung der höchsten gesetzgebenden Gewalt im Staate über das Recht"46• Gesetz ist ihm nicht Abschnürung einer sich mit historischer Notwendigkeit vollziehenden Emanation des "Volkswillens", Gesetz drückt den Volkswillen selbst aus: ". . . unser Staatsrecht geht . . . von dem Grundcharakter des C. G. v. Wächter, ibidem, S. 47 f. So in Pandekten I, 1880, hg. von 0. v. Wächter, S. ll3 f.: ,,Nicht selten wird das sog. J u r i s t e n r e c h t oder R e c h t der W i s s e n s c h a f t als Rechtsquelle aufgeführt. Allein auch dies ist unrichtig. . . . Die Wissenschaft des positiven Rechts soll den Inhalt der bestehenden Rechtsquellen entwickeln.und nach allen Seiten zum Bewußtsein bringen. ... Allein das so gefundene Resultat giebt keine n e u e Rechtsnorm; die Wissenschaft darf die durch das positive Recht gezogenen Schranken hierbei nicht überschreiten, sondern deckt eigentlich nur Dasjenige auf, was noch unentwickelt im bestehenden positiven Rechte selbst liegt, und bringt die in ihm liegenden positiven Keime zu naturgemäßer Entfaltung. Das Produkt dieser wissenschaftlichen Thätigkeit hat k e i n e f o r m e II e G e I t u n g als Rechtsnorm; es gilt nicht an und für sich und deßhalb, weil es Produkt der Wissenschaft ist, sondern kann nur Anspruch auf Geltung machen, wenn es wahr ist, d. h. wenn und so weit es wirklich mit dem Inhalt des bestehenden positiven Rechts oder der dadurch bestimmten Natur der Sache übereinstimmt. ... Will man ... das ... J u r i s t e n r e c h t bezeichnen: so darf man nur dabei nicht vergessen, daß es kein Juristenrecht als besondere für sich bestehende Rechtsquelle giebt .. ." 45 C. G. v. Wächter, Pandekten I, S. 114. 46 C. G. v. Wächter, Württembergisches Privatrecht II, 1842, S. 3. 43

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Rechts aus, daß es eine durch g e m e i n s a m e U e b e r z e u g u n g u n d Z u s t i m m u n g f e s t g e s e t z t e u n d o b j e c t i v g ü I t i g g e wo r d e n e Norm, der Ausdruck des a II g e m e i n e n Willens, seyn sol1"47 . 3. Zwischenergebnis Ziehen wir ein erstes Zwischenergebnis. Für Savigny ist die Klage über den gegenwärtigen Rechtszustand verständlich und berechtigt48 • Aber der Kern des Problems liegt gar nicht in einer tatsächlich existierenden Rechtsvielfalt und Rechtsverworrenheit. Das Problem ist vielmehr die desolate Rechtswissenschaft. Wird sie erst wahrhaft historisch betrieben, so wird sie ,jeden gegebenen Stoff bis zu seiner Wurzel ... verfolgen, und so sein organisches Princip .. . entdecken, wodurch sich von selbst das, was noch Leben hat, von demjenigen absondern muß, was schon abgestorben ist, und nur noch der Geschichte angehört"49 . Der so historisch destillierte Rechtsstoff trägt Vollständigkeit und Rechtseinheit schon in sich - ähnlich einem Dreieck, das durch zwei Seiten und den dazwischen liegenden Winkel gegeben ist. Eben jene allgemeinen Sätze "heraus zu fühlen, und von ihnen ausgehend den innern Zusammenhang ... aller juristischen Begriffe ... zu erkennen, gehört ... zu den schwersten Aufgaben unsrer Wissenschaft"50• - Privatrechtseinheit durch die Dogmatik des gemeinen Rechts. Wer, wie lWichter, den Steinbruch des zeitgenössischen positiven Rechts nicht der formenden Hand der Wissenschaft überantworten konnte, weil er ihr rechtsschöpferische Qualität absprach, war auf das Gesetz verwiesen. - Privatrechtseinheit durch Kodifikation. So teilt lWichter mit Savigny bis in die 40er Jahre hinein die Auffassung vom mangelnden Beruf der Zeit ftir eine allgemeine Gesetzgebung. Er teilt mit ihm die Ansicht, daß historische Sichtung und Bearbeitung des geltenden Rechts unverzichtbar seien. Nicht teilt er den Glauben an die normative Produktivität der Rechtswissenschaft, Abhilfe kann nur der Gesetzgeber schaffen. Dieses Ergebnis zu konstatieren ist eines, die Frage, weshalb lWichter jenes Herzstück der historischen Doktrin zu akzeptieren sich nicht in der Lage sah, eine andere. Sie soll uns im folgenden beschäftigen. - Doch zunächst bleibt jene zwanzigjährige Spanne zwischen 1842 und 1862, zwischen dem "Württembergischen Privatrecht" und dem Artikel über "Gesetzgebung" zu schließen: Wächters Stationen auf dem Weg zur allgemeinen deutschen Privatrechtskodifikation. 47 C. G. v. Wächter, ibidem, S. 20. - Zu Wächters Anschauung von Geschichte, Rechtswissenschaft und Gesetz vgl. aber auch J. Rückert, August Ludwig Reyschers Leben und Rechtstheorie 1802-1880, 1974, S. 35 ff., 343 f., 375 ff., mit teilweise anderer Akzentsetzung (S. 44: Juristenrecht). 48 F. C. v. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit, a. a. 0., S. 162 f. 49 F. C. v. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit, a. a. 0., S. 166. so F. C. v. Savigny, ibidem, S. 110.

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IV. Das allgemeine Privatrechtsgesetzbuch 1. Die Wendung zur Kodifikation

Hatte Wächter sein Handbuch zum Württembergischen Privatrecht noch in der Überzeugung begonnen, vor einer Kodifizierung des Landesrechts müsse dessen vollständige historisch-stoffliche Durchdringung stehen, so begegnet er uns fünf Jahre nach Erscheinen der "Allgemeinen Lehren"51 -das Werk bricht dann abmitten im Einsatz ftir das Gesetzbuch, eine Privatrechtskodifikation zunächst des Königreiches Württemberg, aber schon mit dem Ziel einer Rechtsangleichung zwischen den Einzelstaaten. Nachdem der Württembergische König52 im April 1847 sein Einverständnis mit weiteren "auf die Abfassung eines Civil-Gesetzbuches Bezug habenden Anträgen" gibt53, wird der daraufhin eingesetzten Kommission sofort die Frage mitgegeben, " ... was zum Behufe der so wünschenswerthen möglichsten Übereinstimmung des Württembergischen Civil-Gesetzbuches mit den ähnlichen Arbeiten in Bayern und Hessen-Darmstadt zu thun sein möchte"54• Vorsitzender der Kommission ist Wächter. Sogleich nimmt er Verhandlungen über ein gemeinsames Zivilgesetzbuch in Darmstadt, München und in Dresden auf - im Ergebnis ohne Erfolg. Aber seine Berichte nach Stuttgart machen eine geänderte Position deutlich: "Ich gestehe ... offen, daß es mir für die Jurisprudenz in Wissenschaft und Praxis, für den Verkehr ... und für ein festes Zusammenhalten in Deutschland ... unheimlich wird, wenn ich annehmen soll, daß nun in wenigen Jahren jeder von den etlichen dreißig deutschen Staaten seine besonderen Gesetzbücher haben solle und dadurch eine Scheidewand zwischen den deutschen Staaten aufgerichtet würde ... Der Segen einer gemeinsamen Gesetzgebung aber wäre in jeder Hinsicht nicht blos in Beziehung auf die unmittelbare Wirkung auf den Verkehr, auf eine tüchtigere Wissenschaft und damit auch auf eine tüchtige Praxis, sondern auch in politischer Beziehung so groß, daß die Sache wohl wenigstens eines Versuches werth seyn möchte ..." 55 • Nach der Absage Bayerns an das gemeinschaftliche Projekt notiert Wächter: ,,Mir scheint .. , , daß der Gedanke, den Anfang einer wahrhaft gemeinsamen Gesetzgebung in Deutschland vorzubereiten, keineswegs aufgegeben werden sollte"56, und diesen Standpunkt gibt er auch nach dem Rückzieher Sachsens nicht auf: " ... Ich berührte die traurigen Aussichten für den ganzen Rechtszustand in Deutschland, Handbuch des im Königreiche Württemberg geltenden Privatrechts, Bd. 2, 1842. Wilhelm /. (1816-1864). 53 Vgl. näher F. Elsener, Carl Georg Wächter (1797-1880) und die Bemühungen Württembergs um eine Vereinheitlichung des Privat- und Prozessrechts in der Zeit des Deutschen Bundes (1847/1848), in: Festschr. f. Hermann Baltl, 1978, S. 193 ff., 195 f. 54 F. Elsener, ibidem, S. 197; vgl. auch C. G. v. Wächter selbst, Gesetzgebung, S. 511. 55 Zit. nach F. Elsener, ibidem, S. 197 f. 56 Zit. nach F. Elsener, ibidem, S. 203. 51

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wenn von mehr als dreißig deutschen Staaten jeder sich, isoliert vom andern, eine Reihe abgeschlossener Partikular-Gesetzbücher geben würde ... Eine Gemeinsamkeit in der Gesetzgebung für ganz Deutschland sey freilich unter den dermaligen Verhältnissen vorerst nicht zu erreichen, aber es sollten wenigstens einzelne Staaten beginnen und es würde schon ein sehr großer Gewinn seyn, wenn nur einige wenige Staaten in dieser Beziehung vorangiengen"57 . Daß diese Bemühungen letztlich fruchtlos blieben, hat mehrere Gründe: unterschiedliche prozedurale Vorstellungen der Beteiligten über das gemeinschaftliche Vorgehen58, unterschiedliche Gewichtung der Priorität einzelner Gesetzgebungsvorhaben59 und - dies hat schließlich die noch verbliebene Absicht, wenigstens unter den Ländern Württemberg, Hessen und Nassau eine Einigung herbeizuführen, zunichte gemacht60 - die politischen Ereignisse des Jahres 1848. Betroffen hiervon war Wächter in eigener Person: Nach Ernennung eines Ministeriums aus der Minderheit der Abgeordneten im März 184861 tritt er als Präsident der Kammer zurück; seine Tätigkeit im Dienste der württembergischen Regierung und Politik endet62. Eingebettet ist die persönliche Erfahrung und Betroffenheit in den allgemeinen politischen Wandel. Mit der Märzforderung nach sofortiger Herstellung eines deutschen Parlaments63 einher geht die Forderung nach einem gemeinschaftlichen Gesetzbuch- nunmehr stärker denn je auch als eine Forderung nach einem deutschen Nationalgesetzbuch64. Die Frankfurter Reichsverfassung schafft dafür mit Zit. nach F. Elsener, ibidem, S. 207. Dies gilt für die Absage Bayerns. Die dortige Regierung wollte selbst einen Entwurf erund überarbeiten und erst die sanktionierte Fassung den Beteiligten zuleiten. Wächter trat dagegen für eine von Anfang an gemeinsame Kommission ein. Er befürchtete, anderenfalls würde man sich später schwerlich auf gemeinsame Inhalte einigen können; vgl. F. Elsener, Festschr. f. H. Baltl, S. 202. 59 Hieran scheiterte die Zusammenarbeit mit Sachsen; dort wurde keine gesteigerte Notwendigkeit einer zivilrechtliehen Gesetzgebung gesehen, auf die gerade Wächter Wert legte, vgl. Nachweise bei F. Elsener, Festschr. f. H. Baltl, S. 203 ff., und B. Dölemeyer, Einflüsse von ALR, Code civil und ABGB auf Kodifikationsdiskussionen und -projekte in Deutschland, Ius Commune VII, 1978, 179 ff., 213 ff., 217. 60 Dazu F. Elsener, ibidem, S. 208 f. 61 Zu den ,,Märzministerien" etwa W. Siemann, Vom Staatenbund zum Nationalstaat. Deutschland 1806-1871, 1995, S. 376 ff. 62 V gl. Wächters eigene Stellungnahmen zu den Märzereignissen von 1848 bei 0 . v. Wächter, Carl Georg von Wächter. Leben eines deutschen Juristen, Leipzig 1881, S. 66 ff. 63 Zu den ,,Märzforderungen" W. Siemann, oben Fn. 61, S. 365 ff. 64 Für ein allgemeines Zivilgesetzbuch in dieser Zeit kennzeichnend: G. Geib, Die Reform des deutschen Rechtslebens, Leipzig 1848, S. 7 ff., 27 ff.: ,,Auch darüber, ... , werden jetzt Alle einig sein, daß jene Reform auf dem Wege der Gesetzgebung zu bewerkstelligen ist", S. 38: " ... so leuchtet es von selbst ein, daß, wo immer der Wunsch nach politischer Einheit, das Streben nach Verschmelzung der verschiedenen Stämme eines Volks zu einem gemeinsamen Ganzen hervortritt, nothwendig auch die Einheit des Rechts anerkannt werden muß. Wer den Zweck will, der muß auch das Mittel wollen: das Mittel zur politischen Einheit aber ist die Einheit des Rechts ...." 57 58

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§ 64 zwar die Voraussetzungen 65 , freilich: aktiviert werden sollte diese Rechtsgrundlage nie66 • Gleichwohl: die Zeit der dilatorischen Behandlung der Kodifikationsfrage war vorbei. Einzelne Länder hatten sich bereits zur Kodifikation entschlossen; nach dem Scheitern der Revolution griffen sie auf ihre Pläne erneut zurück. Teils gelang die Verabschiedung eines Gesetzbuchs67 , teils kam es zu Entwürfen68. Feststeht, auch diese Aktivitäten verloren das Ziel eines gemeinsamen Vorgehens nie aus dem Auge69.

Die Würzburger Konferenz des Jahres 1859 machte das gemeinsame deutsche Zivilgesetzbuch auch zum Thema im reanimierten Deutschen Bund70, und am Ende dieser Bemühungen steht der sog. Dresdner Entwurf eines allgemeinen Obligationenrechts71 • In der Rechtswissenschaft ist das Dogma von der Rechtsgeltung kraft Historizität endgültig gefallen. Noch erscheinende Stellungnahmen gegen die Kodifizierung des Privatrechts sind rar72, ihr beschwörender Ton schon Klage über den Verlust bislang in Anspruch genommener Vorherrschaft des eigenen wissenschaftlichen Standpunkts73 • Die von Savigny im "System des heutigen Römischen 65 Art. XIII § 64: "Der Reichsgewalt liegt es ob, durch die Erlassung allgemeiner Gesetzbücher über bürgerliches Recht, Handels- und Wechselrecht, Strafrecht und gerichtliches Verfahren die Rechtseinheit im deutschen Volke zu begründen"; Text bei E. R. Huber; Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte Bd. 1, S. 304 ff., 310. 66 Dazu G. Wesenberg, Die Paulskirche und die Kodifikationsfrage, SZ Rom Bd. 72 (1955}, 359 ff. 67 So in Sachsen, Bürgerliches Gesetzbuch fllr das Königreich Sachsen vom 2. I . 1863, in Kraft getreten am 1. 3. 1865. 68 So vor allem in Bayern und Hessen-Darmstadt, hierzu B. Dölemeyer; in: H. Coing (Hg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neuereneuropäischen Privatrechtsgeschichte Bd. III/2, 1982, S. 1472 ff.; 1518 ff. 69 Für Hessen-Darmstadt vgl. B. Dölemeyer; a. a. 0., S. 1528 f. (Widerstand gegen forcierte Wiederaufnahme der Bemühungen im Hinblick auf das zu erstrebende gemeinsame Gesetz). 70 Jedenfalls nach 1848 wurde § 64 WSA ("Vorschläge zu gemeinnützigen Anordnungen") nicht mehr als geeignete Rechtsgrundlage für eine originäre Tätigkeit des Bundes auf dem Gebiet des Zivilrechts angesehen; vgl. dazu F. Laujke, Der Deutsche Bund und die Zivilgesetzgebung, in: Festschr. f. H. Nottarp, 1961, S. 1 ff., 3.- Zur Würzburger Konferenz vom 23. II. 1859 ibidem, S. 7, 45 ff.; zum politischen Tauziehen um die dann in der Folge ausgelöste Tätigkeit, ibidem, S. 48 ff. 71 Zur Kodifikationsgeschichte B. Dölemeyer; a. a. 0., S. 1562 ff., und J. W Hedemann, Der Dresdner Entwurf von 1866, 1935. 72 Dies sind im wesentlichen C. F. F. Sintenis, Zur Frage von den Civilgesetzbüchern. Ein Votum in Veranlassung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen, Leipzig 1853; P. Roth, Ueber Codifikation des Privatrechts, Arch. für praktische Rechtswissenschaft Bd. 8, 1860, S. 303 ff.; H. A. A. Danz. Die Wirkung der Codifikationsformen und das materielle Recht, Leipzig 1861. - Mit ihnen setzt sich Wächter in seinem Artikel "Gesetzgebung" auseinander, vgl. S. 496 ff. 73 Vgl. C. F. F. Sintenis, Civilgesetzbücher, oben Fn. 72, S. IV: "Wenn ich es daher unternehme, ... mich öffentlich auszusprechen, so geschieht dies zunächst im Interesse der Wissenschaft, der ich mein bestes geistiges Streben gewidmet habe, und weil das Gebiet ihrer Wirksamkeit von einer neuen Einschränkung bedrohet ist . . ."

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Rechts" eben erst gegebene lehrmäßige Darstellung der historisch-wissenschaftlichen Theorie74 wird die weitere rechtspolitische Entwicklung nicht mehr beeinflussen. Für Wächter war jene Zeit seit Beginn der frühen Mitte des Jahrhunderts eine Zeit der Entwicklung vom zunächst nicht für realisierbar gehaltenen Gesetzbuch über Territorialgesetze auf der Grundlage einer möglichst breiten Zusammenarbeit mit weiteren Ländern bis hin zur gemeinschaftlichen Kodifikation für ganz Deutschland. Deutliche Zeichen setzt schon der Germanistentag 1847 in Lübeck, wo ~chter den Zwist zwischen Romanisten und Germanisten endgültig dann für bereinigt sieht, wenn die gemeinsame Arbeit einem einzigen, in ganz Deutschland geltenden Gesetzbuch gewidmet sein wird75 , dann der Vorsitz in der Gesetzgebungskommission Württembergs seit 1847, seine Tatigkeit als Präsident der Württembergischen Abgeordnetenkammer, wo er in der ersten Sitzung des neuen Landtages im Januar 1848 die Frage stellt: "Wer sollte je in Deutschland sein, der nicht mit der größten Freude zu einem gemeinsamen deutschen Gesetzbuche ,Ja' sagen wollte?"76, und endgültig schließlich sein Eintreten für die Kodifikation als Vorsitzender des Ersten Deutschen Juristentages 186077 und sein Artikel über "Gesetzgebung" aus dem Jahre 1862.

F. C. v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 1, §§ 7-15 (S. 13-57). C. G. v. Wächter, Verhandlungen der Germanisten zu Lübeck, Lübeck 1848, S. 239: "Die wahre Einheit liegt in der Uebereinstimmung alles Materials, was in Deutschland auf unser Leben einwirken kann. Hier wollen wir nach wahrer Einheit streben, nach Einheit von Maß und Gewicht, nach Einheit in unseren Handelsverhältnissen, nach Einheit in unseren Zollverhältnissen und endlich nach Einheit in unserem Rechte. Wenn wir das große Ziel erreicht haben, daß e i n Gesetzbuch im Straf= und Privatrechte herrscht, dann Friede zwischen Germanisten und Romanisten, dann wird der Gegensatz durchaus wegfallen, und dazu wollen wir die Hand bieten, daß wir nach diesem Ziele streben, um den Frieden nicht bloß zwischen Germanisten und Romanisten herzustellen, sondern um die heißesten Wünsche unsers Vaterlands zu befriedigen und den Tag seines wahren Wohles kommen zu sehen." 76 Zit. nach 0 . v. Wächter, Carl Georg von Wächter, a. a. 0 ., S. 67. 77 Vgl. § I der Vorläufigen Ordnung für den Deutschen Juristentag: "Der Zweck des Deutschen Juristentages ist: ... , auf den Gebieten des Privatrechts, des Prozesses und des Strafrechts den Forderungen nach einheitlicher Entwicklung immer größere Anerkennung zu verschaffen, die Hindernisse, welche dieser Entwicklung entgegenstehen, zu bezeichnen und sich über Vorschläge zu verständigen, welche geeignet sind, die Rechtseinheit zu fördern" angenommen auf dem ersten Juristentag am 28. 8. 1860 in Berlin; gleichzeitig wird Wächter per Akklamation zum Ersten Präsidenten berufen - vgl. Verhandlungen des Ersten Deutschen Juristentages, 1860, S. 3, 179, 180. Ebenda zum Antrag Ungers auf Abfassung eines gemeinschaftlichen Obligationenrechts, erweitert in der Abteilungssitzung um den Antrag von Wächters, "man möge aussprechen, daß, da die Abfassung eines gemeinsamen Gesetzbuches höchst wünschenswerth, ja ein dringendes Bedürfniß sei, die Umstände zur Zeit die Ausflihrung dieses Unternehmens nicht gestatten, die Deutschen Regierungen ersucht werden möchten, mindestens eine gemeinsame Gesetzgebung über das Obligationenrecht herbeizuführen", S. 225 ff. Zum dringenden Bedürfnis eines allgemeinen deutschen Strafgesetzbuches vgl. dort s. 239 ff. 74

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Gewiß, diese Entwicklung wäre ohne Einbezug des politischen Hintergrundes, ohne Berücksichtigung des Strebens nach nationaler Verbundenheit nur unzulänglich ausgeleuchtet, aber eine hinreichende Erklärung für lWichters Standpunkt finden wir hier nicht. Schon auf dem Germanistentag in Lübeck tritt Wächter für den föderativen Staatenbund ein78 , und als Abgeordneter des konstituierenden Reichstages des Norddeutschen Bundes konnte er zwar die Verfassung ablehnen, zugleich aber den Antrag Johannes von Miquels nach der Bundeskompetenz für eine gemeinsame Gesetzgebung auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts unterstützen79. Die maßgeblichen Sachgründe für die Kodifikation liegen tiefer, und sie beschäftigen lWichter nicht erst seit den Frankfurter Tagen. Im wesentlichen geht es um dreierlei: Erstens: Das gemeine Recht ist weder seiner romanistischen noch seiner germanistischen Schattierung nach imstande, die versprochene Einheit in der zersiedelten deutschen Rechtslandschaft herzustellen. Zweitens: Die dringende Flurbereinigung des Privatrechts kann, versagt man dem ,)uristenrecht" die Bonität der Rechtsquelle, nur durch Gesetz, und sie mußim konstitutionellen Staat - durch Gesetz geschaffen werden. Drittens: Vor der Alternative- Einzelkodifikationen der Länder oder allgemeines Gesetzbuch - sind es politische, wirtschaftliche, vor allem aber wissenschaftliche Gründe, die den Ausschlag für ein gemeinsames Gesetzbuch geben.

2. Keine Einheit durch das gemeine Recht Zum ersten: Weshalb war das subsidiär geltende, gemeine Recht für Wächter nicht ausreichend, Rechtseinheit durch Wissenschaft herzustellen und damit die Kodifikation zu ersetzen? Der Befund lWichters zur Existenz eines gemeinen deutschen Privatrechts fällt dramatisch negativ aus. Ein solches Recht kann nur aus deutschen Reichsgesetzen oder aus allgemeinem Gewohnheitsrecht geformt sein80. Die Ausbeute an geltenden Reichsgesetzen privatrechtliehen Inhalts ist mäßig: Reichsnotariatsordnung von 1512, Reichspolizeiordnung 1577, der Jüngste Reichsabschied von 1654. Darin aufgegriffene Regeln über Testamentsabfassung, Vormundschaft, Wucher sind 78 C. G. v. Wächter, Verhandlungen der Germanisten zu Lübeck, oben Fn. 75, S. 239: "Ich bin der Ansicht, es ist ein wahres Glück Deutschlands, daß unsere verschiedenen Interessen in verschiedenen Staaten gewahrt werden, so wie die Schweizer es für ein Glück erachten, daß die Cantone alle verschiedenen Einzelnheilen dieses ganz kräftigen Volkes vereinigen, aber die Individualität bewahren." 79 Vgl. H. Getz, Die deutsche Rechtseinheit im 19. Jahrhundert als rechtspolitisches Problem, 1966, S. 155 f., und B. Dölemeyer, a. a. 0 ., S. 1575 ff. so C. G. v. Wächter, Württembergisches Privatrecht I, 2. Abt., S. 1078.

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größtenteils in modifizierter Form längst als landesrechtliche Bestimmungen übernommen und entbehren deshalb fast durchgehend aktueller Bedeutung. Die Beschlüsse des Deutschen Bundes gelten nur als (Württembergisches) Partikularrecht. Nur wenn sie als solches vom König verkündet sind, entfalten sie Rechtswirkung81. Im Einklang mit den Germanisten der Historischen Rechtsschule anerkennt \Wichter die Möglichkeit und tatsächliche Ausformung eines allgemeinen deutschen Gewohnheitsrechts82. Allerdings wurde dessen Inhalt vielfach in Landesrecht transformiert, so daß jenes Recht als gemeines Recht seine unmittelbare Bedeutung verloren hat. Im übrigen aber handelt es sich bei dem historisch zum Vorschein gebrachten deutschen Gemeinrecht um ein doppelt hypothetisches. Denn es steht erstens - wie das römische - unter dem Vorbehalt einer fehlenden landesrechtlichen Regelung. Es muß aber zweitens in diesem Falle, so Wächter, auch tatsächlich anwendbar sein. Dies bedingt den Nachweis, daß das theoretisch und historisch faßbare Institut "in dem einzelnen betreffenden Lande w i r k 1i c h zur Geltung kam", d. h. es muß durch dessen Rechtsquellen (Landesgesetz oder Landesgewohnheitsrecht) als solches anerkannt sein: ,,Denn aus dem Umstande, daß ein Institut z. B. in zwanzig Deutschen Staaten in gleichem Charakter sich bildete, folgt noch nicht, daß es auch in den übrigen Deutschen Staaten bestehe und in denselben auf Gültigkeit Anspruch machen könne"83 . Ergebnis: Es gibt eine Theorie des deutschen gemeinen Privatrechts, aber es gibt kein wirklich geltendes gemeines deutsches Recht, das, wenn auch nur subsidiär, eo ipso rechtliche Wirksamkeit entfalten könnte. Abhilfe vermag aber auch das subsidiär geltende gemein-römische Recht nicht zu schaffen. \Wichter hat keinen Zweifel an der Geltung des römischen Rechts krafteiner Rezeption in complexu84• Aber sein gegenwärtiger Zustand erfüllt nicht das drängende Bedürfnis nach ,,Festigkeit, Sicherheit und Zugänglichkeit des Rechts". Das gemeine Recht löst die Forderung nicht ein, "die socialen Lebensverhältnisse zu regeln." ,,Soll es", so \Wichter85, "wie die römischen Classiker forderten, ein jus finitum, sicher, bestimmt, übersehbar, einem Schwanken und einer Ungleichförmigkeit in der Anwendung möglichst wenig ausgesetzt sein, so wird die Grundlage des geltenden Rechts eine andere werden müssen, als sie es dermalen in den Staaten des gemeinen Rechts ist." Schon die Sichtung des heute noch anwend81 § 3 der Verfassungsurkunde für das Königreich Wümemberg v. 25. 9. 1819: "Das Königreich Württemberg ist Theil des deutschen Bundes; daher haben alle organischen Beschlüsse der Bundesversammlung, welche die verfassungsmäßigen Verhältnisse Deutschlands oder die allgemeinen Verhältnisse deutscher Staatsbürger betreffen, nachdem sie von dem Könige verkündet sind, auch für Württemberg verbindende Kraft .... " 82 C. G. v. Wächter. Württembergisches Privatrecht I, 2. Abt., S. 1080 ff. 83 C. G. v. Wächter. ibidem, S. 1082. 84 C. G. v. Wächter. Gesetzgebung, S. 495; derselbe, Württembergisches Privatrecht I, 2. Abt., S. 1091 ff., 1092. 85 C. G. v. Wächter. Gesetzgebung, S. 494.

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baren Rechts erweist sich als so schwierig, daß nur ganz wenige sich dieser Aufgabe stellen können86. Hier werden beste Kräfte vergeudet: Am Ende bleibt doch nur ein Resultat, das wiederum höchst zweifelhaft ist. Sogar eine authentische Handschrift des Gesetzes fehlt, so daß sich nicht einmal der Text, um dessen Auslegung gestritten wird, mit Sicherheit feststellen läßt87 . Ziehtman schließlich jene Ansichten mit in Rechnung, die davon ausgehen, daß "vom Römischen Recht ... nur sein rationelles Element bei uns gelten, das, was ... universeller Natur sei und als Bestandtheil der modernen Rechtsbildung behandelt zu werden verdiene, sodaß es eigentlich gar nicht als positives Recht gelten und die Anwendbarkeit der Bestimmungen desselben von der subjectiven Ansicht jedes einzelnen Richters ... abhängen würde" 88 , so ist abzusehen, daß die gemeinrechtliche Lehre allmählich dazu führen müßte, "den Boden des positiven Privatrechts in den Staaten des gemeinen Rechts mehr und mehr zu erschüttern und unsicher zu machen" 89 •

3. Bedeutung des "Gesetzes" im konstitutionellen Staat Erweist sich danach das Gesetz als einzig probates Mittel, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu schaffen, so ist für lWichter das "Gesetz" aus einem zweiten Grunde unabdingbar. Erneut wird eine letztlich unüberbrückbare Kluft zur historischen Doktrin deutlich. Es geht um die staats- und verfassungsrechtliche Bedeutung des "Gesetzes". lWichters Gesetzesverständnis ist eingebunden in die konstitutionelle Staatsauffassung, eingebunden in die Überzeugung, daß Recht seine Verbindlichkeit nur durch das von der Verfassung gewiesene Gesetzgebungsverfahren gewinnen kann. Dies greift über den privatrechtliehen Kodifikationsstreit hinaus: "Gesetz" ist nicht nur Rechtsentstehung aus dem und durch das "Volk"; im konstitutionellen Verfassungsstaat wird das "Gesetz" vielmehr zum ersten und zum regelmäßig unabdingbaren formellen Vehikel, eben jenen "Volkswillen" zu fassen und als Recht zu legitimieren. Für lWichter ist das verfassungsgemäß zustandegekommene Gesetz das Zentrum des staatlichen Rechtslebens. Der Gesetzesbegriff im materiellen Sinn ist die Drehscheibe für die Balance zwischen monarchischem Prinzip und konstitutioneller Bindung. "Das Gesetz - der ver e i n i g t e W i 11 e d e s K ö n i g s u n d d e s V o 1k e s ... - ist an keine Schranke gebunden; ihm ist Alles möglich. . .. Das schlechte und ungerechte Gesetz hat dieselbe, und muß nothwendig dieselbe äußere Gültigkeit, Macht und Unverletzlichkeit haben, wie das weise und gerechte C. G. v. Wächter, Gesetzgebung, S. 495. 1bidem. 88 Ibidem. 89 lbidem. Zur Existenz eines allgemeinen (deutschen) Privatrechts ganz ähnlich wie Wächter die Bewertung etwa von P. Kosclulker, Europa und das römische Recht, 4. Auf!. 1966, S. 255 f., 263. 86 87

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Gesetz, wenn es nur auf formell gültige Weise zu Stande kam. Es ist der a II g e meine W i II e dem sich Jeder im Staate unterwerfen muß"90. Aus diesen Sätzen spricht, darauf hat schon Ernst Landsberg hingewiesen91 , gewiß positivistisches Denken. Aber dieser Positivismus ist nicht stumpfe Gesetzesunterwerfung, zu seiner Zeit feiert er die Herrschaft des Gesetzes auf dem Wege zum konstitutionellen Verfassungsstaat. Wächter fügt dem eben angeführten Zitat in einer Note - hervorgehoben - hinzu: "G e r a d e d i e s e große Ge w alt d e s Ge s e tzes macht die Schranke, welche der Regierung bei der Ausübung der Gesetzgebungsgewalt in constitutionellen Staaten gesetzt ist, doppelt wicht i g'm. Hier nun finden wir auch den Grund, weshalb Wächter, obwohl.fiir die Kodifikation, sich doch als Rechtsanwendender gegen jedes Naturrecht ausspricht93 . Fundamental seine Kritik in der Stellungnahme zum Entwurf des Sächsischen BGB, der in Anlehnung an das Österreichische ABGB das Naturrecht als subsidiäre Rechtsquelle bestimmt hatte94: "Beachtet man, daß das im Staate geltende und von den Richtern zur Anwendung zu bringende Recht eine objective Norm ist, welcher Alles im Staate sich zu unterwerfen hat, daß aber Niemand im Staate den subjectiven Ansichten von Recht und Gerechtigkeit Einzelner unterworfen seyn kann, daß eine 90 C. G. v. Wächter, Württernbergisches Privatrecht Il, S. 22 f. Rechtsgrundlage dafür ist § 124 Württ. Verfassung: " ... Vermöge dieses Berufes haben sie (sc.: die Stände) bei Ausübung der Gesetzgebungs-Gewalt durch ihre Einwilligung mitzuwirken, ... , die nach gewissenhafter Prüfung für nothwendig erkannten Steuern zu verwilligen ..."; Text bei E. R. Huber, Dokumente a. a. 0 ., S. 183 f. 91 R. Stintzing I E. Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Abth. 3 Halbb. 2, 1910, S. 387, 389,618. 92 C. G. v. Wächter, Württernbergisches Privatrecht II, S. 23 N. 14. Zur konstitutionellrechtsstaatliehen Bedeutung des Gesetzes siehe ferner die Ausführungen ebenda über Freiheit und Bindung des Richters (S. 26 ff.). Bezeichnend in diesem Zusammenhang auch die Frage, worüber die Kammern im Gesetzgebungsverfahren abzustimmen haben (nur über die Grundlagen des Gesetzes oder auch über die Detailregelungen?)- Wächter will unter Aufgabe seiner früheren Ansicht (S. 355) den Kammern als Gesetzgebungsorganen (,,Mandatare des Volkes", S. 364) auch Entscheidungen über Einzelheiten zuschreiben, vgl. Die Ausübung der Gesetzgebungsgewalt unter Theilnahrne von Ständeversammlungen, in: Arch. d. Crirninalrechts n.F. 1839, S. 345 ff. (dort auch zur Bindung des Richters an die Motive des Gesetzgebers, S. 349); ebenso die Bewertung des Gesetzes als Rechtsquelle im rechtsstaatlich-liberalen Konstitutionalismus bei A. Laufs, "Das wirklich geltende, durch den allgerneinen Willen gesetzte Recht" - Zur Rechtslehre Carl Georg von Wächters (1797- 1880), in: Wirkungen europäischer Rechtskultur, Festschr. f. Karl Kroeschell, 1997, S. 617 ff., 621 f., 624, 626 f. 93 Vgl. schon oben Fn. 27. 94 Nach § 9 sollten von Ausländern im Ausland vorgenommene Rechtshandlungen, "wenn das ausländische Recht weder notorisch ist, noch nachgewiesen wird, nach inländischem Rechte und in wie weit dieses auf eigenthürnlichen Einrichtungen beruht, nach natürlichen Rechtsgrundsätzen zu entscheiden" sein; ferner§ 15: ,,Ein Rechtsfall, für den sich keine besondere oder allgerneine Vorschrift in den Gesetzen findet, ist nach den auf denselben höheren Gründen beruhenden Bestimmungen über ähnliche Fälle zu beurtheilen. Reichen auch diese nicht aus, so muß unter Erwägung der Umstände nach natürlichen Rechtsgrundsätzen entschieden werden."

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Norm, der sich Alles unterwerfen soll, ihre objective Gültigkeit nur erhalten kann dadurch, daß sie den allgemeinen Willen bildet, ... , und daß dieser allgemeine Wille sich nur in Gewohnheiten oder in den vom verfassungsmäßigen Gesetzgeber ausgesprochenen Anordnungen ausdrücken kann, . . . so beantwortet sich . . . von selbst die Frage, aus welchen Quellen der Richter die Lücken des positiven Rechts zu ergänzen hat. . . . Der Richter muß für sie die Entscheidung im G e i s t e des p o s i t i v e n Rechts suchen. . .. Das aber, was er nach seiner s u b j e c t i v e n philosophischen Auffassung ftir das dem Rechtsbegriffe Entsprechende hält, darf er als solches nicht zur Anwendung bringen"95 • Unvereinbar damit die Auffassung Savignys. "Gesetz" und "Gesetzgeber" überall nebelhaft, nirgends greifbar: "Fragen wir zuerst nach dem Inhalt des Gesetzes, ... : das schon vorhandene Volksrecht ist dieser Inhalt, oder, was dasselbe sagt, das Gesetz ist das Organ des Volksrechts. Wollte man daran zweifeln, so müßte man den Gesetzgeber als außer der Nation stehend denken; er steht aber vielmehr in ihrem Mittelpunkt, so daß er ihren Geist, ihre Gesinnungen, ihre Bedürfnisse in sich concentrirt, und daß wir ihn als den wahren Vertreter des Volksgeistes anzusehen haben. Auch ist es ganz unrichtig, diese Stellung des Gesetzgebers als abhängig zu denken von der verschiedenen Einrichtung der gesetzgebenden Gewalt in dieser oder jener Staatsverfassung. Ob ein Fürst das Gesetz macht, oder ein Senat, oder eine größere, etwa durch Wahlen gebildete Versammlung, ob vielleicht die Einstimmung mehrerer solcher Gewalten für die Gesetzgebung erfordert wird, das ändert Nichts in dem wesentlichen Verhältniß des Gesetzgebers zum Volksrecht, und es gehört wieder zu der schon oben gerügten Verwirrung der Begriffe, wenn Manche glauben, nur in dem von gewählten Repräsentanten gemachten Gesetz sey wahres Volksrecht enthalten"96. Savignys "stillwirkende Kräfte", seine organische Repräsentanz des Volkes durch den normativ wirkenden Juristenstand entsprechen nicht der staatsrechtlichen Auffassung des Vormärz. Auf diese Weise läßt sich im konstitutionellen Staat positiv verbindliches Recht nicht mehr begründen. Einem Geist wie Wächter, der zudem selbst über Jahre in Gesetzgebungsorganen tätig war97 , konnte diese Rechtsentstehungs- und Rechtsquellenlehre keine Heimat bieten. Sie sah nicht die Bedeutung und den Rang des Gesetzes für den verfaßten Staat. 95 C. G. v. Wächter, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Sachsen, Leipzig 1853, S. 266 f.; ebenso schon S. X f. Dazu auch A. lAufs, oben Fn. 92, S. 631 , und Chr. Ahcin, Zur Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen von 1863/65, Diss. iur. Berlin (FU) 1993 (als Monographie erschienen 1996), S. 133 ff. (zum Naturrecht), S. 140 ff. (zu Wächters Rechts- und Gesetzesverständnis insgesamt); ferner B. Dölemeyer, oben Fn. 59, S. 219. 96 F. C. v. Savigny, System Bd. I, S. 39 f. 97 Als Kanzler der Universität Tübingen und Präsident der Württembergischen Abgeordnetenkammer; zum Zweikammersystem des Konstitutionalismus siehe M. Stolleis, ,,Zweikammersystem", in: HRG Bd. V, 1997, Sp. 1833 ff.

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4. Gründe für das allgemeine Gesetzbuch Wo schließlich liegen die Gründe, die den Einsatz für das allgemeine deutsche Gesetzbuch steuern? Man darf daran zweifeln, ob Wächter in den späten vierziger Jahren die von ihm geforderte wissenschaftlich-historische Sichtung des positiven Rechts als Vorbedingung einer Kodifikation tatsächlich für geleistet hielt. Entscheidend für ihn war der jetzt gefallene Entschluß einzelner Staaten zu kodifizieren. Denn dies konnte die endgültige Beseitigung der Subsidiarität und damit der normativen Geltung des gemeinen Rechts bedeuten. Mit dem gemeinen Recht war dann aber auch die Disziplin einer allgemeinen Rechtswissenschaft gefallen. Dort sah er die Gefahr, und deshalb mußte im Verbund mit einzelnen Kodifikationsbemühungen sofort auch das nationale Recht als gemeinsames Anliegen ins Auge gefaßt werden. "Stehen nun die meisten deutschen Staaten auf dem Punkte, im ... Privatrecht .. . zu codificieren, ... so liegt der Gedanke an eine gemeinsame deutsche Codification ... sehr nahe"98 . Landeskodifikationen würden, weil legislativ gegeneinander abgeschottet, die Rechtsvielfalt in Deutschland vertiefen. Inhaltliche Übereinstimmungen wären bloß zuflilliger Natur. Nirgends hätten sie den Charakter eines allgemein verbindlichen Maßstabes. Die territoriale Kodifikation, so Wächte,-99, "kann uns nie ein lebendiges praktisches gemeinsames Recht Deutschlands geben oder ersetzen. Dies ist nur durch eine gemeinsame, das Ganze beherrschende und die particulären Ausläufer in Harmonie setzende Gesetzgebung möglich." Mit praktischem Sinn und wissenschaftlicher Klarheit sieht Wächter die Konsequenzen durchgreifender Territorialgesetzgebung. Seine Stellungnahme zum geplanten Sächsischen BGB nennt die maßgeblichen drei Gründe in aller Deutlichkeit: politische, wirtschaftliche und - dies ganz besonders - die Sorge um die Pflege des Rechts selbst und um den Charakter der Rechtswissenschaft: "Bejaht man aber auch die Frage über Codification überhaupt, so ist damit noch nicht d i e Frage bejaht, ob denn jeder einzelne Deutsche Staat zu einer i s o I i r t e n Codification seines Rechts schreiten soll. Es wäre überflüssig, die unendliche Wichtigkeit, welche Gemeinsamkeit des Rechts für eine große Nation hat, erst noch beweisen zu wollen. Wenn in einem Volke von mehr als 40 Millionen beinahe 30 verschiedene Gesetzgebungen gelten, was wird dann die Folge hiervon seyn? p o I i t i s c h - eine immer größere Kluft und Entfremdung zwischen den einzelnen Völkerstämmen; für den Verkehr - die nachtheiligste Unsicherheit in demselben und schwer zu bewältigende Fesseln; für d a s Re c h t s e I b s t - in kleineren Territorien der Mangel einer zum Gedeihen des Rechts unerläßlichen lebendigen Fortbildung desselben durch Wissenschaft und Gerichtsgebrauchs. . .. auch eine sogenannte vollständige Gesetzgebung kann nie die Hülfe der Jurispru98 99

Wächter. Gesetzgebung, S. 504. Wächter. Gesetzgebung, S. 506.

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denz entbehren, ... jedes von der Wissenschaft verlassene Recht ist der Gefahr des Verdumpfens in einer buchstabenmäßigen Auffassung und Anwendung durch Organe, die in seinen Geist sich nicht hineingelebt haben, ausgesetzt" 100• Die Vorstellung eines auch nach einer Welle territorialer Gesetze noch positiv geltenden, gemeinen Privatrechts ist Chimäre. Auch wenn die Gesetzbücher gemeinrechtliche Partien rezipierten, so würden diese doch nicht mehr als ius commune, sondern nur als territorialer Rechtsbestand Gültigkeit haben, dem Landesgesetzgeber zu weiterer Verfügung anheimgegeben. Eine Wissenschaft vom "gemeinen Recht" beschäftigt sich mit einem dann nicht (mehr) geltenden, einem nur noch virtuellen Recht 101 • Hand in Hand mit seiner Tätigkeit ftir eine territoriale Gesetzgebung in Württemberg hat *ichter deshalb von Anfang an den Gedanken einer zumindest partiell gemeinschaftlichen Kodifikation mit anderen Ländern aufgegriffen - auch und vor allem um die Gefahr einer Zertrümmerung der Rechtswissenschaft in bloße Landesrechtsjurisprudenzen zu bannen 102 . Wie sehr ihmamBestand einer deutschen Gemeinrechtswissenschaft gelegen war, läßt nichts besser als die Antwort *ichters gegenüber Paul von Roth 103 , der das heilbringende Mittel in umfassender, systematischer Erschließung der territorialen Rechte sieht, deutlich werden. Für Wächter ist dessen Verwunderung darüber, daß dieser Weg noch kaum beschritten sei, "eine sehr erklärliche. Es gehört viel Selbstverleugnung dazu, in dem beschränkten Kreise des Rechts eines der Staaten, ... , beinahe die ganze wissenschaftliche Täthigkeit aufgehen zu Jassen ... Das gegenseitige befruchtende Zusammenwirken vieler tüchtiger Kräfte fehlt auf den beschränkten Gebieten der deutschen Partikularrechte; die Unsicherheit der Grundlage unsers Privatrechtszustandes aber und alle die Übelstände, die eine durchgreifende Reform desselben

10o C. G. v. Wächter. Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Sachsen, a. a. 0., S. 1 f. 101 Hierzu vor allem C. G. v. Wächter, Gemeines Recht Deutschlands, Leipzig 1844, S. 4 ff., 10: "Wahrhaft gemeines Recht aber wird weder durch eine solche materielle Uebereinstimmung der Rechtssätze, noch selbst durch eine gemeinschaftliche, aber in jedem Staate blos als sein besonderes Recht geltende, Rechtsquelle begründet. Ein Recht ist verschiedenen Bezirken j u r i s t i s c h gemein - nicht blos materiell, sondern auch formell gemein - wenn die Gemeinsamkeit des Rechts sich auf eine für die verschiedenen Bezirke gleichmässig bestehende juristische Nothwendigkeit gründet (gemeines Recht im eigentlichen Sinne)"; kennzeichnend ferner S. 11 f.: "Sobald daher in einer Provinz bIo s particuläre Strafrechts(Privatrechts- usw.) Quellen gelten, hört der Staat auf, ein gemeines d. h. in allen Theilen des Staates juristisch gemeinsames Strafrecht, Privatrecht usw. zu haben". 102 Das gleiche Argument wird auch von seiten beteiligter Regierungen vorgebracht, so vom Großherzogtum Hessen in der angestrebten kodifikatorischen Zusammenarbeit mit Württemberg: "Wenngleich die Großherzogliche Regierung von der Nothwendigkeit, das bestehende gemeine bürgerliche ... Recht ... einer ... gänzlichen Umgestaltung zu unterwerfen, ... überzeugt ist, so verkennt sie doch keineswegs die Nachtheile, die für Wissenschaft und Leben sich erzeugen müssen, wenn jeder deutsche Staat sich seine individuelle Rechtsgesetzgebung bildet ..."; zit. nach F. Elsener. Festschr. f. H. Bald, S. 201. 103 P. v. Roth, Über Codifikation des Privatrechts, in: Arch. für praktische Rechtswissenschaft Bd. 8, 1860, S. 303 ff.

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gebieten, können durch tüchtige wissenschaftliche Versuche nicht beseitigt werden"104. Die Kodifikationspläne der Länder waren der Motor für das allgemeine Gesetzbuch. Als lliichter im Jahre 1862 diese Zeilen niederschrieb, waren die Gegner einer Kodifikation in der rechtspolitischen wie in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung weitgehend verstummt. Die Überzeugung von der Notwendigkeit einer gemeinschaftlichen Privatrechtskodifikation war allgemein 105, und es blieb für ihn eine einzige Frage: " ... sind wir überhaupt fähig, das Privatrecht auf eine befriedigende Weise zu codificiren?" 106. Noch einmal wendet er sich der Kodifikationsabsage Savignys zu. Dessen Verdienst bleibe ungeschmälert 107• Aber seit jener Schrift sind knapp fünfzig Jahre vergangen, "eine Zeit des Gärens, Schaffens und Werdens. Ein Gesetzbuch, in jener Zeit entstanden, lief noch zu sehr Gefahr, von dem Standpunkte, den wir jetzt in der Hauptsache einen überwundenen nennen können, wesentlich zu leiden und in den starren Buchstaben des Gesetzes Irrwege der früheren Zeit zur maßgebenden Norm zu machen. Jetzt dagegen wird man den Kampf einen mit befriedigendem Erfolg größtentheils durchgekämpften nennen können .... Unserer Zeit den Beruf und die Berechtigung zur Gesetzgebung abzusprechen, werden wenige mehr gesonnen sein. Sollte man aber auch je gegen diese Befähigung noch Zweifel erheben, so ist es die gebieterische Nothwendigkeit gegebener Verhältnisse, die uns über jedes Bedenken hinwegsetzen müßte" 108•

V. Resümee und Ausblick Damit hatte lliichter seinen endgültigen Standpunkt gewonnen, dem die ganz breite Meinung in Rechtspolitik und Rechtswissenschaft entsprach: nach der Allgemeinen Deutschen Wechselordnung von 1848 109 und dem Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch, das die Bundesversammlung am 31. Mai 1861 angenommen hatte 110, stand das allgemeine Zivilgesetzbuch auf der politischen Tagesordnung. Wenn trotz dieses Siegs des Kodifikationsgedankens sich das gemeinschaftliche Werk vorläufig nicht vollenden ließ, so lag es, wie Franz Laujke geschildert hat 111 , eben an jenen "gegebenen Verhältnissen". In der Sitzung vom C. G. v. Wächter, Gesetzgebung, S. 497. tos Vorbehalte blieben in den Bereichen von Familien- und Erbrecht. 106 C. G. v. Wächter, Gesetzgebung, S. 500. 104

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C. G. v. Wächter, Gesetzgebung, S. 501 (.,hatte seine unverkennbare Berechtigung").

tos C. G. v. Wächter, Gesetzgebung, S. 501. 109 ADWO v. 27. 11. 1848, in den Bundesstaaten (außer Österreich) in Kraft getreten am 1. 5. 1849; zur Frage ihrer Rechtmäßigkeit als Bundesgesetz vgl. H. Schlosser, Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte, 8. Aufl. 1996, S. 150, mit weiteren Nachweisen. no Näher bei H. Schlosser; ibidem, S. 150 ff. llt F. Laufke, Festschr. f. H. Nottarp, a. a. 0., S. 1 ff.

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11. Juni 1866 wurde der fertiggestellte "Dresdner Entwurf' eines gemeinschaftlichen Obligationenrechts von der Bundesversammlung dem Ausschuß für Errichtung eines Bundesgerichts zugewiesen. In der gleichen Sitzung beantragte Österreich die Mobilisierung des Bundesheeres gegen Preußen 112• Der Deutsche Bund war endgültig zerbrochen. Noch einmal erhob Wächter als Mitglied des konstituierenden Reichstags des Norddeutschen Bundes 1867 seine Stimme für ein allgemeines Gesetzbuch, verlangte die Kompetenz des Bundes auf dem gesamten Gebiet der Zivilgesetzgebung und forderte "ein gemeinsames bürgerliches Gesetzbuch für den ganzen Norddeutschen Bund und für diejenigen Staaten, die wir hoffentlich noch zum Bunde heranziehen werden" 113 . Politische Rücksichtnahme beschränkte damals die Gesetzgebungszuständigkeit auf das Obligationenrecht 114, und in dieser Form ging sie 1871 auf das Reich über. Als schließlich nach der LexLasker vom 20. Dezember 1873 das Bürgerliche Gesetzbuch in Angriff genommen wurde, stand lWichter wenige Tage vor seinem sechsundsiebzigsten Geburtstag. Die Vollendung des Ziels, für das er Jahrzehnte gestritten hatte, zu erleben, war ihm nicht mehr vergönnt. Aber die mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18. August 1896 erzielte deutsche Rechtseinheit steht auch auf den Schultern lWichters. Ich komme auf meine Ausgangsfrage zurück, auf die Frage, ob die deutsche Privatrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts das 1814 gescheiterte Gesetzbuch tatsächlich vertreten hat und vertreten konnte. Für die Person Carl Georg von Wächters erhärtet sich die These Wieackers jedenfalls nicht. Die gemeinrechtliche Dogmatik sollte und konnte in den Augen dieses Mannes die Kodifikation nie ersetzen. Im Gegenteil: Für lWichter war die Wissenschaft durchaus nicht berufen, an Stelle des Gesetzbuchs zu treten, sondern im Dienste der Vorbereitung eines allgemeinen Gesetzbuchs zu wirken. Und noch mehr: So wie die Dinge lagen, war sie nicht nur kein Ersatz für die Kodifikation, vielmehr war die Kodifikation selbst für Wächter die Voraussetzung für den weiteren Bestand einer gemeinen deutschen Rechtswissenschaft.- Hans Hattenhauer hat in seiner Einführung zu den programmatischen Schriften von Thibaut und Savigny die wissenschaftliche Szenerie des 19. Jahrhunderts pointiert und scharf skizziert: "Zwei Wege wurden gewiesen, deren einer unter Savignys Leitung sicher zum Heile, der andere ebenso sicher zur Hölle führen sollte. Savigny stellte seine Generation vor die Entscheidung zwischen Wahrheit und Lüge -einen dritten Weg gab es nicht"m. Wenn auch in den Augen des Berliner Meisters das tertium non datur stand, so ändert das doch nichts daran, daß dieser dritte Weg, der Weg zur Rechtssicherheit zwischen historischer Erkenntnis des geltenden Rechts und seiner Fortbildung durch den verfassungsmäßig berufenen Gesetzgeber, die tatsächliche Entwicklung des positiven Rechts im 19. Jahrhundert am ehesten widerspiegelt. Carl Georg von lWichter ist diesen Weg gegangen. Vgl. F. Laujke, ibidem, S. 16. Zit. nach H. Getz. a. a. 0., S. 156. 114 Der Wunsch war, die süddeutschen Staaten nicht durch eine zu starke Zentralkompetenz vorn Beitritt abzuhalten; vgl. H. Getz, a. a. 0., S. 156. 11s H. Hattenlwuer; Thibaut und Savigny, a. a. 0., S. 48. 112 113

Pandekten - Waechter als Romanist Von Gottfried Schiemann

I. Einleitung Waechter hat als Romanist begonnen. Seine erste, 1822 veröffentlichte Schrift handelte von der condictio causa data causa non secuta1• Auch am Ende des wissenschaftlichen Lebens und der wissenschaftlichen Wirkung Waechters steht eine zeittypische Romanistenleistung: Es sind die von seinem Sohn noch im Jahre seines Todes 1880 herausgegebenen Pandekten2 . Im Gesamtbild der wissenschaftlichen Persönlichkeit Waechters würde daher eine wichtige Farbe - vielleicht: die Grundierung - fehlen, vernachlässigte man Waechter als Romanisten. Die spezifische Leistung Waechters auf dem Gebiet der Pandektenwissenschaft ist freilich nicht leicht zu fassen. Dies hängt mit dem Charakter der Quellen zusammen, in denen jene Leistung am ehesten aufzusuchen ist: Der besondere Ruhm Waechters beruhte ja neben dem Strafrecht vor allem auf seiner Pionierarbeit im Territorialrecht, dem seit 1839 erschienenen Handbuch des württembergischen Privatrechts3. Zu den Gründen für die weit über Württemberg hinausreichende Wirkung des Handbuchs hat bereits Landsberg4 treffend festgestellt: "Weil er dabei die Vorbildung und die Gesamtauffassung des Gemeinrechtlees mit hinübernimmt, deshalb ist hier sein Eingreifen so wesentlich geworden." Man braucht nur z. B. die Lehrbücher des preußischen Rechts von Förster-Eccius5 und Dernburg6 aufzuschlagen, um zu erkennen, wie sehr der Waechter'sche Stil der pandektistischen Behandlung des Territorialrechts Schule gemacht hat. Dem im einzelnen nachzuDoctrina de condictione causa data causa non secuta in contractibus innominatis, 1822. Karl Georg von Wächter, Pandekten, hersg. von 0 . v. Wächter, 2 Bände, 1880. 3 Handbuch des im Königreich Württemberg geltenden Privatrechts. 1. Bd., 1. Abt., 1839; l. Bd., 2. Abt. und 2. Bd., 1842. 4 R. v. Stintzing I E. Landsberg, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, 3. Bd., 1910, TextS. 613. s Vgl. etwa F. Förster, Theorie und Praxis des heutigen gemeinen preußischen Privatrechts auf Grundlage des gemeinen deutschen Rechts, 4 Bände, 1864 ff.; F. Förster/ M. E. Eccius, Lehrbuch des Preußischen Privatrechts, 4 Bände, 7. Aufl. 1896/97. 6 H. Dernburg, Lehrbuch des Preußischen Privatrechts, I. Aufl., 3 Bände, 1871-80.- Zu nennen wäre hier auch etwa: P. Roth/V. v. Meibom, Kurhessisches Privatrecht, 1858; P. v. Roth, Bayerisches Civilrecht, 3 Bände, 1871-75. t

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gehen, wäre aber wohl ein Übergriff in ein späteres Referat7 . Für mein eigentliches Thema wäre es zudem unangebracht, sich dem Beitrag Waechters zur Pandektenwissenschaft gleichsam von der Peripherie her zu nähern. Freilich bleibt es wichtig für das Selbstverständnis und für die weitreichende Akzeptanz der Pandektenwissenschaft als einer (auch) praktischen Jurisprudenz, daß Waechter für Württemberg ein Beispiel gegeben hat, wie die pandektistische Art der Behandlung des Rechts sich an einem gegenwärtigen und durchaus praktischen Gegenstand bewähren kann. Von vomherein näher liegt für die Würdigung Waechters als Romanist eine Beschäftigung mit dem Pandektenbuch selbst. Aber in den nach seinem Erscheinen noch verbliebenen zwei Jahrzehnten der Herrschaft der Pandekten hatte dieses Werk keine allzu guten Chancen, ins allgemeinen Bewußtsein, der Juristen oder auch nur der Rechtswissenschaft einzugehen. Systematische Stringenz und wissenschaftliche Vertiefung suchte man mit Recht eher bei Windscheid8 , neuere Ansätze bei Brinz9 und später in dem Fragment von Regelsberger 10, didaktische Eingängigkeit (ab 1884) bei Demburg 11 • Die Pandekten Waechters sind also weniger ein Buch für die Zukunft als ein Dokument der vergangeneo Lehrtätigkeit ihres Autors - gleichsam eine authentische Vorlesungsnachschrift Gerade die Vorlesungstätigkeit Waechters und hier wiederum insbesondere seine Pandektenvorlesung ist aber anscheinend sehr erfolgreich gewesen. Die Zahl seiner Hörer soll Anfang der siebziger Jahre 200-300 Studenten betragen haben 12 - in der damaligen Zeit selbst für Leipzig außerordentlich viel. Deshalb ist davon auszugehen, daß die im Pandektenbuch niedergelegten Lehren in erster Linie durch den früheren mündlichen Vortrag gewirkt haben. Freilich: Wieviel davon bei den Hörern wirklich "angekommen" ist, wird sich heute kaum mehr feststellen lassen. Die Wirkungsgeschichte Waechters als Romanist bleibt insoweit ein offenes Problem. Erheblichen Einfluß auf Wissenschaft und Praxis dürften die zahlreichen Aufsätze Waechters über romanistische Einzelfragen im AcP 13 , die ,,Erörterungen aus Vgl. den Beitrag von C. Mauntel in diesem Band. B. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 3 Bände, 1862-70; 9. Auf!. bearbeitet von Th. Kipp, 3 Bände, 1906. Vgl. dazu G. Kleinheyer I J. Schröder, Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, 4. Auf!. 1996, S. 442 ff., mit Literatur S. 445 f. 9 A. v. Brinz. Lehrbuch der Pandekten, 2 Bände, 1857/71 ; A. v. Brinzl Ph. Lotmar, Lehrbuch der Pandekten, 2. Auf!., 4 Bände, 1873-94, und dazu J. Rascher, Die Rechtslehre des Alois von Brinz, 1975. 10 F. Regelsberger, Pandekten, Bd. 1, 1893. 11 H. Demburg, Pandekten, 1. Auf!., 3 Bände, 1884-87; 7. Auf!., 3 Bände, 1902/03, und dazu W Süss, Heinrich Demburg- Ein Spätpandektist im Kaiserreich, 1991, insbes. S. 56 f., 179 ff. 12 B. Windscheid, Carl Georg von Waechter, in: Kleine Schriften, Reden und Rezensionen, Teil II, 1984, S. 335,402 (selbständig erschienen 1880, dort S. 66). 13 Nachweise bei B. Windscheid, a. a. 0 . im Anhang (S. 418 ff. /82 ff.), darunter am bekanntesten die grundlegende kollisionsrechtliche Arbeit ,.Ueber die Collision der Privat7

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dem Römischen, Deutschen und Württembergischen Privatrecht'" 4 und eine Reihe weiterer Monographien 15 ausgeübt haben. Die Verifikation hierfür bedürfte aber detaillierter Untersuchungen über Rechtsprechung und Literatur des 19. Jahrhunderts. Denn solche "schlagenden" und daher überall greifbaren dogmatischen Entdeckungen wie Jherings culpa in contrahendo 16 oder Labands abstrakte Vollmacht17 sind nicht darunter- konnten es, wie mir scheint, aus methodischen Gründen, von denen noch zu sprechen ist, auch gar nicht sein. So beschränke ich mich im folgenden fast ganz auf die veröffentlichten "Pandekten". Denn beim gegenwärtigen Forschungsstand dürfte es am ergiebigsten sein, Waechter mit Hilfe derjenigen Quelle zu würdigen, die vielleicht als Summe seines Werkes im Privatrecht angesehen werden darf. Hierfür habe ich mir drei Schritte vorgenommen: Zunächst möchte ich einige Überlegungen Waechters zum Wert des Pandektenstudiums, zur Bedeutung der Pandekten für das Recht des 19. Jahrhunderts und zu den pandektistischen Methoden wiedergeben. In einem zweiten Abschnitt sollen einige grundlegende Sachprobleme des Pandektenrechts zur Sprache kommen; und schließlich möchte ich einige erste Folgerungen hieraus für die Einordnung Waechters ziehen.

II. Wert und Bedeutung der Pandekten und ihres Systems in der Sicht C. G. Waechters Waechter war nach allem, was wir wissen, ein zwar überaus gründlicher, aber letztlich eher unproblematischer und pragmatischer Wissenschaftlertyp 18 • Große theoretische Entwürfe zu der Frage der Geltung des Gemeinen Rechts in seiner Zeit können wir daher bei ihm von vornherein nicht erwarten. Ihm mußte aber daran gelegen sein, den Zuhörern und Lesern plausibel zu machen, weshalb er überhaupt Pandektenrecht las. Hierzu hatte er durchaus einen selbständigen und reflektierten Standpunkt. a) Dessen Grundlage war Waechters Sicht der Rezeption des römischen Rechts 19. Sie war ihm eine aus dem Zustand des mittelalterlichen deutschen Rechts rechtsgesetzeverschiedener Staaten, AcP 24 (1841), 230-311; 25 (1841), 1-60, 161-200, 361-419. 14 Erstes Heft 1845, zweites und drittes Heft 1846. 15 Vgl. die Nachweise bei B. Windscheid (o. Fußn. 12), S. 425 f. (89 f.), darunter insbes.: Die bona fides, 1871 und: Die Busse bei Beleidigungen und Körperverletzung, 1874, dazu B. R. Kern in diesem Band. 16 Vgl. dazu etwa D. Medicus, Zur Entdeckungsgeschichte der culpa in contrahendo, in: Iuris Professio, Festgabe für Max Kaser zum 80. Geburtstag, 1986, S. 169 ff. m. Nachw. 17 P. Laband, Die Stellvertretung bei dem Abschluß von Rechtsgeschäften nach dem Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch, in: ZHR 10 ( 1866), 183 ff. 18 B. Windscheid (o. Fußn. 12), S. 387 ff. (51 ff.).

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erklärbare historische Tatsache. Zwar sei das römische Recht durch den steigenden Einfluß der gelehrten Juristen allmählich als Gewohnheitsrecht eingeführt worden. Aber dabei sei es nicht geblieben. Vielmehr sei etwas - wie Waechter es nennt "formell Vermittelndes" 20 hinzugekommen, nämlich der Gedanke, daß das römische Recht "so gut ein kaiserliches Recht sey, wie ein anderes vom Kaiser ausgegangenes Recht". Auf dieser Basis sei das römische Recht in complexu rezipiert worden und hieran habe sich bis zum Ende des alten Reiches nichts geändert. Freilich sei das römische Recht auch materiell kein fremdes Recht geblieben. Der "deutsche rechtsbildende Geist" habe "das recipirte römische Recht den deutschen Verhältnissen und Auffassungen anzupassen" gewußt, "das damit Unverträgliche, das die specifisch römische Farbe tragende mehr und mehr" ausgestoßen, es vielfach umgebildet und in vielem ergänzt. In einer Fußnote setzt Wächter wörtlich hinzu21 : "Unser Pandektenrecht ist nicht reines römisches Recht. Es gibt uns einen Rechtszustand, wie er allmählich in Durchdringung germanischer und römischer Elemente aus dem Konflikt des Germanischen mit dem Römischen hervorgegangen ist. Es ist dieses ein wichtiges und nicht immer gehörig beachtetes Element des gemeinen Rechts, dem nur unsere Juristen nicht immer die gehörige Durchbildung und Konsequenz gaben. Sie nahmen sich darin nicht die römischen Juristen zum Muster, sondern den Justinian, wie er es bei seinen Neuerungen machte. Was man für Willkür der alten Praktiker und Theoretiker hielt, z. B. Lauterbach, Leyser war im Gegenteil ein Herausfühlen des lebendigen germanisierten römischen Rechts." Diese Ausführungen Waechters sind bemerkenswert als Gegensatz zu der von Savigny begründeten, im 19. Jahrhundert herrschenden Einschätzung des usus modernus22. Dabei hält auch Waechter mit methodischer Kritik an der deutschen Jurisprudenz der frühen Neuzeit nicht zurück23 : ,,Man vernachlässigte gründliches Quellenstudium und historische Entwicklung des Rechts; man verkannte, daß die Rechtsgeschichte wesentlich zum richtigen Auffassen des Bestehenden dient; man begnügte sich an der Stelle einer wahren Geschichte des Rechts mit einer äußerlichen Zusammenstellung von Antiquitäten, hielt sich, statt das Recht principiell zu begreifen zu suchen, häufig ganz oberflächlich an die Quellen und folgte dabei nur zu sehr den Ansichten angesehener Praktiker, welche man vielfach mit eigentlichem Gewohnheitsrecht verwechselte. Dabei stellte man auch nicht selten ein flaches Naturrecht über die Quellen." Hiernach ist es nicht verwunderlich, daß Waechter feststellt: ,,Besonders viel verdankt unsere Wissenschaft der sog. histori19 Pandekten (o. Fußn. 2), Bd. I, S. 52 ff., ausführlicher schon: C. G. Waechter, Gemeines Recht Deutschlands, insbesondere gemeines deutsches Strafrecht, 1844. 20 Gemeines Recht (o. Fußn. 19), S. 27. 21 Pandekten (o. Fußn. 2), S. 24 f. Fußn. 2. 22 F. C. v. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1814 (hrsg. von Hattenhauer 1973), passim, insbes. S. 48 ff. 23 Pandekten (o. Fußn. 2), S. 70.

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sehen Schule. " 24 Als bloßen Nachfolger dieser Schule betrachtet er sich freilich keineswegs. Er kritisiert vielmehr25 , daß "manche ihrer Anhänger einen einseitigen Wert auf Geschichte legten und dieselbe nicht als Mittel zur Erkenntnis des gewordenen Rechts, sondern als Selbstzweck behandelten und darüber oft das lebendige Recht übersahen." b) Waechter beläßt es nicht bei allgemeinen Bekenntnissen. Als Beispiel hierfür möchte ich die 1846 veröffentlichte Untersuchung "über den Einfluß der Verschiedenheit der Klagen auf die Freiheit der richterlichen Behandlung und Beurteilung" anführen26 . Wie der Untertitel bereits deutlich macht, geht es um die actiones stricti iuris (condictiones) und bonae fidei. Über fast 70 Seiten entwickelt Waechter genau, unter ausführlicher Verwertung auch des Gaius die Geschichte der beiden Klagen in der Antike bis zu Justinian. Was durch das Corpus Iuris zum Gegensatz beider Klagen überliefert ist, kann er auf diese Weise als "einige einzelne . . . , wegen ihrer Isoliertheit bedeutungslose Ruinen" bezeichnen27 . Überzeugend legt er dar, daß man wegen der Dürftigkeit der traditionellen Quellenbasis mit diesen Ruinen in der älteren gemeinrechtlichen Wissenschaft nichts Rechtes anzufangen wußte. Vor allem aber kann er auf die universelle Verwendbarkeit des pactum im neueren rezipierten Recht28 verweisen, durch die das strictum ius "alle seine principielle Bedeutung" verloren habe29• Auf den verbleibenden 14 Seiten seiner Abhandlung braucht Waechter dann nur noch darzulegen, wie verfehlt alle Hilfskonstruktionen, insbesondere aus der Behauptung irgendwelchen speziellen Gewohnheitsrechts sind, um die Unanwendbarkeit der besonderen Grundsätze der römischen actiones und negotia stricti iuris zu begründen. Die historische Analyse selbst genügt hierfür vollkommen. Zugleich wird deutlich, wie fest Waechter auf der verbindlichen Geltung des justianischen Rechts aufbaut, so daß nach wie vor die Vermutung für die Anwendbarkeit des römischen Rechts spricht30 • Sonst wäre ein derart weitgehender historisch-kritischer Aufwand gänzlich überflüssig gewesen. c) Ehe die methodische Haltung Waechters noch genauer beschrieben werden kann, ist demnach aber auf die Rezeptionsfrage zurückzukommen: Gerade weil Waechter eine Rezeption in complexu auf dem Grund einer (historischen) Auffassung des römischen Rechts als Kaiserrecht annahm, mußte er das Erlöschen der Geltung dieses Rechts mit dem Ende des alten Reiches 1806 konstatieren31 . Wieso A. a. 0., S. 71. A. a. 0., S. 71. 26 Erörterungen (o. Fußn. 14), 2. Heft, S. 43 ff. 21 A. a. 0 ., S. 112. 28 Eingehend dazu R. Zimmermann, The Law of Obligations, Roman Foundations of the Civilian Tradition, 1990, S. 508 ff. 29 Erörterungen (o. Fußn. 14), 2. Heft, S. 112. 30 So insbes. Gemeines Recht (o. Fußn. 19), S. 186 ff., 196 f. ; Pandekten (o. Fußn. 2), s. 58 f., 65. 31 Pandekten (o. Fußn. 2), S. 31. 24

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konnte dann Pandektenrecht überhaupt noch im fortgeschrittenen 19. Jahrhundert verbindlich sein? Gewiß: In einzelnen deutschen Staaten, z. B. in Württemberg, galt das gemeine Recht auch nach 1806 fort, jedoch nur als Teil seines Landesrechts. Denn für Waechter blieb die Geltung des Rechts an einen "besonderen Staatswillen" gebunden32 • Demnach war z. Z. der Leipziger Pandektenvorlesungen das römische Recht nur noch in einem kleineren Teile Deutschlands in Geltung, in Leipzig selbst seit dem Inkrafttreten des Sächsischen BGB (1865) z. B. gerade nicht mehr. Die Pandektenvorlesung ist dadurch aber nicht obsolet geworden. Denn "das bei einem Volke geltende Recht ist nicht etwas Willkürliches. Es ist teils Ausfluß der im Volke lebenden Rechtsidee, teils trägt beinahe jedes soziale Lebensverhältnis sein Recht in sich als die maßgebende Norm, durch die es beherrscht wird . . . Es kommt nur darauf an, es gehörig durch Denken zu erforschen und es zu finden. Und darin eben waren die römischen Juristen Meister .. . Der größte Teil dieses römischen Rechts ist nichts anderes, als Entwicklung der Natur der Sache, treffendes Finden des Rechts, wie es in den sozialen Lebensverhältnissen liegt und konsequente Durchführung der leitenden Prinzipien - meist das, was Viele unter Naturrecht verstehen . .. Die Pandekten sind die vorzüglichste Bildungsquelle für den Juristen. Dem tüchtigen Pandektisten wird alles andere Rechtsstudium leicht, auch das Hineinarbeiten in andere Gesetzgebungen."33 Mit der ,,Natur der Sache" taucht in diesem Zitat ein Topos auf, den Waechter gerade im Zusammenhang mit dem römischen Recht sehr oft gebraucht. Darüber hinaus hat sie einen festen Platz in Waechters Rechtsfortbildungs lehre. In ihr unterscheidet er - wie die "klassische" Methodenlehre bis heute - zwischen Gesetzesund Rechtsanalogie 34• Zur Rechtsanalogie gehöre die Natur der Sache, "d. h. Daß, was aus den allgemeinen unserem positiven Recht zugrundliegenden Principien und aus der faktischen Natur des betreffenden Verhältnisses (und der rechtlichen Natur verwandter Rechtsinstitute) mit logischer Konsequenz sich ergibt".35 Dieser Begriff der Natur der Sache ist weit von einer naturrechtliehen Rechtsbegründung entfernt. Vielmehr gilt auch für die Rechtsfindung aus der Natur der Sache folgender Obersatz36 : .,Hat das positive Recht Lücken, so ist es aus sich selbst zu ergänzen, d. h. es müssen die Lücken im Geiste und aus dem Geiste des positiven Rechts (hier fügt Waechter als Fußnote ein 37 : ,,Also nur aus der Analogie des positiven Rechts") ergänzt werden." Zuvor schon bezeichnet Waechter die frühere Vorstellung, daß bei Lücken unseres positiven Rechts nach dem "sogenannten Natur32 Pandekten (o. Fußn. 2), S. 6 f., 19 f. u. ö. und schon: Gerneines Recht (o. Fußn. 19), passim. 33 Pandekten (o. Fußn. 2), S. 29 f. 34 Vgl. schon Handbuch (o. Fußn. 3), 2. Bd., S. 60 ff., und hierzu J. Schröder; ZRG (GA) 114 (1997), I, 30 mit Fußn. 135. 35 Pandekten (o. Fußn. 2), S. 124 f. 36 Pandekten (o. Fußn. 2), S. 123. 37 A. a. 0., Fußn. I.

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recht" zu entscheiden sei, der Richter also nach dem, was er für vernünftig und der Rechtsidee für entsprechend halte, entscheiden solle, als "entschieden falsch". Der Grund hierfür ist die notwendige Subjektivität der Erkenntnis des Vernünftigen: "Was der Einzelne für vernunftgemäß hält, ist Sache seiner individuellen Überzeugung, welcher Andere sich nicht zu fügen haben, da kein Mensch infallibel ist. Hieraus folgt: in einem menschlichen Vereine, also auch im Staate, kann eine Norm nur dann objektive Geltung haben, so daß alle sich ihr fügen müssen, wenn sie ein Ausfluß des allgemeinen Willens ist und durch diesen aufrechterhalten werden soll, also von den Vereinsgenossen als objektiv gültige Rechtsnorm gesetzt ist." 38 Waechter ist demnach - wie Savigny - Anhänger eines "selbständigen Daseins"39 des Rechts. Er glaubt an dessen inneres System. Zu seiner Errichtung muß man "den Sinn und Gedanken des Gesetzes erforschen". Dies geschieht durch Auslegung, und zwar logische und grammatische. Sie "umfassen die ganze mögliche Tätigkeit des Auslegers". 40 Großes Gewicht hat hierfür auch die korrekte wissenschaftliche Terminologie. Deshalb widmet Waechter z. B. 184541 eine über 20-seitige Erörterung allein den verschiedenen Bezeichnungen der Hauptgattungen und gewisser Haupteigenschaften der Privatrechte; denn erst aus der richtigen Bezeichnung ergibt sich "die Stellung der Realrechte und Reallasten im Systeme".42 Hiernach erscheint es mir etwas irreführend, wenn Windscheid in seiner Würdigung Waechters fast unmittelbar nach dessen Tod ein eher distanziertes Verhältnis Waechters zur Begriffsjurisprudenz feststellt43 . Zwar sind ihm Konstruktionen nach Art der "naturhistorischen Methode" fremd. Aber er steht doch fest auf demselben Boden der eigenständigen positiven Rechtswissenschaft wie alle Pandektisten seit Savigny.

111. Einige dogmatische Grundfragen Die praktischen Auswirkungen des methodischen und wissenschaftstheoretischen Standpunktes Waechters als Pandektist können hier nur kurz angedeutet werden: a) Ich wähle dafür zunächst das Personenrecht Beachtenswerterweise faßt Waechter die römische Kategorie des status für natürliche Personen sehr weit: AusPandekten (o. Fußn. 2), S. 6. Savigny (o. Fußn. 22), S. 30, und dazu vor allem J. Rückert, Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei F. C. v. Savigny, 1984, S. 309 ff.; ders., Autonomie des Rechts in rechtshistorischer Perspektive, 1988, S. 56 ff. 40 Pandekten (o. Fußn. 2), S. 128. 41 Ueber die verschiedenen Bezeichnungen ... , in: Erörterungen (o. Fußn. 14), I. Heft, S. 106-126. 42 So ein Teil des Titels der Abhandlung. 43 (0. Fußn. 12), S. 391 f./55 f. Vgl. dazu allgemeiner- auch für das Folgende - J. Sehröder (o. Fußn. 34), S. 53 m. Nachw. Fußn. 246 f. 38 39

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drücklieh spricht er von absoluten Personenrechten, die der Person als solcher zukommen und die gegen jeden geltend gemacht werden können, der in sie eingreift44. Als Bestandteile dieses Rechts erwähnt er u. a. die Unverletzlichkeit und Achtung der Person, die Freiheit, das Leben und die Ehre. Die Verletzung dieser Rechte führt nach Waechter45 freilich in der Regel zu einem Kriminalprozeß. Das Argument der älteren Pandektisten gegen den Persönlichkeitsschutz, daß es sich um Rechte handele, deren Objekt die Person selbst sei, daß man aber nicht gegen sich selbst Rechte und Verbindlichkeiten haben könne46 , weist Waechter zurück: Es handele sich um Rechte gegen jeden Dritten, also um ein Element der Ordnung der sozialen Lebensverhältnisse der Menschen zueinander. Mit dieser Stellungnahme lag Waechter zwar auf der Linie von Gareis, Kohlerund Gierke47 • Aber unter den Pandektisten scheint er der erste gewesen zu sein, der das ,,Allgemeine Persönlichkeitsrecht" so deutlich in das System des Allgemeinen Privatrechts integriert hat. Dies kann ihm nicht schwergefallen sein, schreibt er doch48 : "Um aber über den ganzen Kreis des gemeinen Privatrechts zu orientieren und es zu ermöglichen, den Stoff des gesamten gemeinen Privatrechts mit Sicherheit zu beherrschen, muß in den Vorlesungen über Pandektenrecht überall gezeigt werden, wo und wie ein Institut des Germanikums im gemeinen Rechte eingreift und wie es auf den Kreis des Pandektenrechts wirkt; nur daß die nähere Entwicklung solcher Institute dem Germanikum zu überlassen ist." Aber Waechters Sicht des Persönlichkeitsrechts ging noch darüber hinaus, da er sie gar nicht ausdrücklich als "Germanikum" bezeichnete, sondern eben als zur Pandektistik gehörenden Teil der ,,Allgemeinen Theorie der subjektiven Privatrechte". Eine ähnlich integrierende Kraft zeigt Waechter bei der Darstellung der juristischen Person: Zunächst wendet er sich49 gegen die Fiktionstheorie: ,,Allein bei den Korporationen ... führt die Natur des Verhältnisses auf die Notwendigkeit, sie als besondere Person anzuerkennen; auch zur juristischen Konstruktion des Verhältnisses bedarf es hier nicht einer Fiktion. Die Korporation, welche sich gebildet hat, ist zwar ein unkörperliches Wesen, aber sie besteht in Wirklichkeit als besonderes Subjekt, macht sich als solches von selbst geltend, hat eine wirkliche Existenz für sich. Nur in Beziehung auf Willensfähigkeit bedarf sie einer Ergänzung. Diese erhält sie aber durch Vertretung." Waechter folgt also eher solchen Gedankengängen, wie Gierke sie auf den Begriff gebracht hat50, als der in Savigny kulminierenden Pandekten (o. Fußn. 2), S. 173. A. a. 0., Fußn. 2. 46 A. a. 0 ., Fußn. 4 m. Nachw. 47 Vgl. nur H. Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. II, 19. Jahrhundert, 1989, S. 296 ff. m. Nachw. 48 Pandekten (o. Fußn. 2), S. 25 f. 49 A. a. 0., S. 235 Fußn. 2 von S. 234. so 0. Gierke, Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, 1887, und vor allem ders., Das Wesen der menschlichen Verbände, 1902 (Neudr. 1965). 44 45

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Pandektistentradition51 • Auch rechtspolitisch plädiert Waechter52 für die Einführung des Systems der Normativbedingungen für wirtschaftliche Vereine und begrüßt daher die Reform des Aktienrechts ( 1870) und das Genossenschaftsrecht des Norddeutschen Bundes. Anders als beim Recht der natürlichen Person verweist Waechter hinsichtlich dieses letzten Punktes allerdings auf das "Germanikum". b) Ein zweiter tragender Pfeiler jedes pandektistischen Systems im vorigen Jahrhundert ist das subjektive Recht53 . Eine spezielle Facette der hierzu entwickelten Lehren sind die Auffassungen zu Anspruch und Klagerecht Waechter54 definiert das subjektive Recht als "eine Macht oder Herrschaft, welche vermöge der Bestimmungen des objektiven Rechts einer Person in gewissen Kreisen zukommt". Das objektive Recht, das diese Macht oder Herrschaft verleiht, hat seinerseits nach Waechter die Aufgabe, die Freiheit des Menschen "in den Kreisen seiner Lebensinteressen" anzuerkennen, zu ordnen und zu schützen. Dies hält formal eine Mittelposition zwischen Windscheids Willensmacht und Jherings rechtlich geschütztem Interesse55 , steht allerdings mit den Elementen Macht und Herrschaft material der Willenstheorie sehr viel näher als der lnteressentheorie. Waechter steigert sogar noch den Machtcharakter, indem er u. a. gegen Windscheid56 betont, man könne "sein Recht selbst dann ausüben, wenn man es auch aus schlechten Motiven" tue57 . Darin spricht sich dieselbe Haltung aus, die Waechter zur Ablehnung alles nur Subjektiven bei der Beschreibung des Rechtes insgesamt geführt hatte. Das Recht, das jemandem zukommt, gibt dem Inhaber nach Waechter einen Anspruch, und diesen kann er als Klage vor den Richter bringen58 • Den römischen Begriff der actio versteht Waechter daher in einem doppelten Sinne: sowohl als Klage wie auch als "den ganzen Anspruch selbst, den man vermöge des Rechts ... geltend zu machen befugt ist".59 Die Klage selbst ist nicht selbständiges Recht, sondern lediglich Mittel, um ein Recht gerichtlich geltend zu machen. Waechter hat also - in der Nachfolge Windscheids60 - die traditionelle Auffassung Savig51 F. C. v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. li, 1840, §§ 85 ff. (insbes. S. 239 ff.) und differenzierend dazu W Flume, in: Festschrift für F. Wieacker zum 70. Geburtstag, 1978, S. 340 ff.- Weiteres bei Coing (o. Fußn. 47), S. 339 ff. m. Nachw. 52 Pandekten (o. Fußn. 2), S. 246. 53 Vgl. Coing (o. Fußn. 47), S. 270 ff. m. Nachw. 54 Pandekten (o. Fußn. 2), S. 168m. Fußn. I. 55 Vgl. Windscheid, Lehrbuch (o. Fußn. 8), Bd. I, § 37, einerseits, R. v. Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Bd. 111, I. Abt., 1865, § 6 I. andererseits. 56 Lehrbuch (o. Fußn. 8), Bd. I,§ 121, und hierzu Wächter, Pandekten (o. Fußn. 2), S. 169 Fußn. 7. 57 A. a. 0., S. 169. 58 A. a. 0., S. 170, 502 f. 59 A. a. 0., S. 171. 60 Die actio des römischen Civilrechts vom Standpunkte des heutigen Rechts, 1856, passim.

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nys61 und Muthers62 überwunden und folgt bereits dem modernen Verständnis des Verhältnisses von materiellem Recht und Prozeßrecht. c) Waechter unterscheidet die Privatrechte in Personenrechte, Forderungsrechte und Sachenrechte. Die beiden ersten habe ich kurz gestreift. So bleibt noch ein Blick auf die dinglichen Rechte zu werfen. Mein Beispiel aus diesem Bereich, die res extra commercium, bietet sich an wegen der dezidierten Stellungnahme Waechters zu dem Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts so lebhaft (bis zu persönlichen Beleidigungen unter Gelehrten) geführten Streit über die Basler Festungsanlagen63. Jhering64 und andere65 hatten die Auffassung vertreten, an den öffentlichen Sachen gebe es kein privates Eigentum sondern nur den Gemeingebrauch und ein Hoheitsrecht. Waechter meint dazu 66 , dies entspreche "nicht der Natur des Verhältnisses und nicht der Auffassung des römischen Rechts". Darüber hinaus gelangt Waechter zu dem Ergebnis, daß außer Luft, strömendem Wasser und dem menschlichen Leichnam überhaupt keine res extra commercium mehr existierten. Er folgt hiermit der Tendenz des Rechts der bürgerlichen Gesellschaft, das verkehrsfahige private Eigentum so universell wie möglich einzusetzen und anzuerkennen.

IV. Zusammenfassung Versuchen wir, in aller Kürze eine vorläufige Summe zu ziehen: Als Romanist war Waechter ein äußerst gründlicher Historiker, der jedoch die Geschichte nicht um ihrer selbst willen betrieb, sondern um mit ihrer Hilfe festzustellen, wie weit das römische Recht geeignet sei als gegenwärtig anwendbares Recht. Das allgemeine Rechtsverständnis Waechters, wie es in den ,,Pandekten" zum Ausdruck kommt, entspricht den Grundüberzeugungen Savignys und seiner Nachfolger. Den Weg vom "selbständigen Dasein" zur Begriffs- und Konstruktionsjurisprudenz der naturhistorischen Methode ist er nicht mitgegangen. So hat Jhering ihn denn auch mit Recht in den juristischen Begriffshimmel nicht aufnehmen lassen 67 . Bedenkt man, daß Waechter noch im 18. Jahrhundert geboren war, ist seine Offenheit für moderne Fragestellungen und Lösungen beachtlich. Dem über 30 Jahre jüngeren System (o. Fußn. 51), Bd. V,§§ 204 f. Zur Lehre der römischen actio. 1857. 63 Vgl. dazu Süss (o. Fußn. II). S. 88 ff. 64 Der Streit zwischen Basel-Land und Basel-Stadt über die Festungswerke der Stadt Basel, in: Vermischte Schriften juristischen Inhalts. 1879 (Neudr. 1968), S. 103 ff. 6S Z. B. F. L v. Keller, Nachtrag zu den Gutachten über den Baseler Festungsstreit, 1860, vgl. dazu Wachter, Pandekten (o. Fußn. 2), S. 275. 66 Pandekten (o. Fußn. 2), S. 276. 67 R. v. JhLring. Scherz und Ernst in der Jurisprudenz. 13. Aufl. 1924 (Neudr. 1988), s. 254. 61

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Demburg oder dem fast 45 Jahre jüngeren Gierke steht er teilweise näher als dem 20 Jahre jüngeren Windscheid. Mit dieser Elastizität des Denkens hat er offenbar besonders glaubwürdig seinen Hörern vorleben können, was er an den römischen Juristen so lobend hervorhob: ihre Nähe zu der ,,Natur der Sache", zu den praktischen Bedürfnissen, aber auch zur Selbständigkeit und Positivität des Rechts68 . Er verkörperte die Tradition der von ihm geschätzten69 praktischen Gelehrten des usus modemus wie Lauterbach und Leyser ebenso wie die historisch-kritische Erudition seiner Zeit, die über seinen Lehrer Eduard Schrader70 auf ihn gekommen war. Sein Pandektismus wirkt sicher und abgewogen - frei von eigenbrötlerischer Skurrilität oder praxisferner Überhöhung, dafür ausgestattet mit dem Gespür für das Zeitgemäße. Dennoch kamer-wie zu Beginn angedeutet- mit der Gesamtdarstellung des Pandektenrechts zu spät. Deshalb wohl hat ihn die Wissenschaftsgeschichte im allgemeinen alsbald unter seinem Wert verbucht - fast nur noch als Material für Fußnoten bei Bemhard Windscheid.

Vgl. oben bei Fußn. 33 und 38 f. Vgl. das Zitat oben nach Fußn. 21 a. E. 70 Vgl. F. Elsener, Der Jurist Carl Georg von Wachter (1797 -1880), in: H. Decker-Hauff u. a. (Hrsg.), 500 Jahre Eberhard-Karls-Universität Tübingen, 1977, S. 471, 473 m. Fußn. II (S. 486) u. dort. Nachw. 68 69

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Carl Georg von Wächter und sein Handbuch des im Königreich Württemberg geltenden Privatrechts Von Christoph Mauntel

I. Rahmenbedingungen und Vorgeschichte Eine Beschränkung auf die wissenschaftliche Bearbeitung von Partikularrechten erfordere von einem Juristen eine gehöriges Maß an "Selbstverleugnung", hat Carl Georg von Wächter einmal bemerkt. Wenn dem so ist, dann kann das "Handbuch des im Königreich Württemberg geltenden Privatrechts" auch als ein Ausdruck seiner Leidensfähigkeit gelten. Mit dem Hinweis auf Selbstverleugnung spielte Wächter darauf an, daß die Partikularrechte der Wissenschaft im Vergleich zum traditionellen gemeinen Recht nur einen vergleichsweise kleinen Wirkungskreis offerieren konnten. Dies galt nicht nur in territorialer Hinsicht, sondern betraf auch und vor allen Dingen die geringeren Rezeptionsaussichten im wissenschaftlichen Diskurs. In einer national ausgerichteten Wissenschaft des gemeinen Rechts hätten rechtswissenschaftliche Erkenntnisse, die ganz in den Eigenarten eines Partikularrechts wurzelten, nur eine geringe Reichweite. Ein Wissenschaftler, der seine Schaffenskraft gänzlich hierin aufgehen ließ, stand also stets in der Gefahr, als bornierter Regionalist mißachtet zu werden. Berücksichtigt man dies, so stellt sich unweigerlich die Frage, warum gerade Wächter als Romanist den Preis der "Selbstverleugnung" zu zahlen bereit war. Bereits im "Lehrbuch des Römisch-Teutschen Strafrechts" aus dem Jahre 1825 warf Wächter die Frage auf, ob von einem gemeinen deutschen Strafrecht "seit 1806" noch die Rede sein könne. 1 1844 schließlich wuchs sie zu dem zentralen Thema seiner Abhandlung über das "Gemeine Recht Deutschlands" heran.2 In dieser Programmschrift bewertete Wächter die Auflösung des alten Reiches im Jahre 1806 als grundlegende Zäsur. Der Fortfall des staatsrechtlichen Rahmens habe auch das Ende des "formell und staatsrechtlich" gemeinen Rechts in Deutschland herbeigeführt. Fortan habe es in den einzelnen Staaten juristisch nur noch als PartiEinleitung, § 4 Gemeines Recht Deutschlands insbesondere Gemeines Deutsches Strafrecht. Leipzig 1844 (Im folgenden zitiert als Gemeines Recht). I

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kularrecht gegolten. Die fortbestehende "materielle oder historische Übereinstimmung" des Rechtsstoffs verschiedener souveräner Staaten habe zwar zu einem gemeinsamen Recht geführt, diese faktische Übereinstimmung stehe der Annahme juristischer Geltung aber nicht gleich. 3 Diese eigentümliche Sicht der Quellenlage war direkt gegen die gemeinrechtlich orientierte Jurisprudenz, welche den Anspruch hatte, eine Wissenschaft des geltenden Rechts zu sein, gerichtet. 4 Mit dem Wegfall der Bedingungen für ein gemeines Recht war ihr der Gegenstand abhanden gekommen. Die "nationalpolitische Mission" der Pandektenwissenschaft5 angesichts des Rechtspartikularismus zu Zeiten des deutschen Bundes ließ sich allenfalls mit einem theoretischen Anspruch aufrechterhalten. Um als praktische Wissenschaft tatsächlich die nationale Kodifikation zu ersetzen, fehlte ihr der Boden unter den Füßen. Wächter wurde mit seinen - hier nur skizzierten - Ansichten zu dem entschiedensten Verfechter eines wissenschaftlich begründeten Partikularismus, auch wenn er keineswegs so allein stand, wie es aus heutiger Sicht mitunter erscheinen mag.6 Zwar hatte die zeitgenössische Literatur die Zäsur von 1806 und ihren Einfluß auf die Quellen des gemeinen Rechts nicht einheitlich bewertet, dennoch gab es profilierte Vorläufer wie Paul Johann Anselm Feuerbach7 und Nikolaus Thaddäus Gönner8 . Diese beiden Autoren hatten sich schon sehr bald nach dem Gemeines Recht, S. 169 f. Die Zusammenstellung der zahlreichen Diskussionsbeiträge aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu dem Streit um den ,,Begriff des gemeinen Rechts" findet sich bei J. Rückert, August Ludwig Reyschers Leben und Rechtstheorie. 1802- 1880. Berlin 1974, 163 f. Dort auch die Stimmen der Kritik zu Wächters Position in "Gemeines Recht" (S. 164 Fn 507). s Für die Pandektenwissenschaft, so das Urteil von Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Auflage, Göttingen 1967, S. 443. 6 Vgl. die Darstellung bei Thieme, Artikel "Gemeines Recht", in: HRG, Band I, Berlin 1971, S. 1506, 1508, der namentlich nur Wachter hervorhebt. 7 Feuerbach hatte 1807 in einem Vortrag "Ueber die Collision verschiedener in demselben Staatsgebiete geltender Strafgesetzgebungen" (abgedruckt in: Themis, oder Beiträge zur Gesetzgebung, Landshut 1812, S. 271-294) und folgend in der 1808 erschienenen vierten Auflage seines Lehrbuches (vollständig: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, Vierte, sehr verbesserte Auflage, Oiesen 1808) die Auffassung geäußert, daß durch die Auflösung der Reichsverfassung das gemeine Recht überhaupt "den Charakter juridischer Allgemeingültigkeit verloren" habe und "seiner Form nach" nicht mehr gelte, es nunmehr als "particulares Landesrecht" oder "seinem Inhalte nach" in Deutschland fortbestehe (§ 3, s. 2 f.). s Gönner, einer der letzten Reichspublizisten, der in dessen Spätphase im Jahre 1804 noch für die Einheit des Reiches und die abgeleitete Staatsgewalt der Territorien eingetreten war, zeigte sich nach dem Bruch von 1806 sehr flexibel und wurde der "am schnellsten reagierende Vertreter einzelstaatlicher Souveränität" (Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Zweiter Band, München 1992, S. 55 f.). 1807 veröffentlichte er eine kleine, vielzitierte Schrift "Ueber den Umsturz der deutschen Staatsverfassung und seinen Einfluss auf die Quellen des Privatrechts in den neu souveränen Staaten der rheinischen Conförderation". Ausgehend von der Erkenntnis, daß ,jedes denkbare Privatrecht ( ... ) auf dem öffentlichen Rechte als seiner Basis" ruht, verneinte er nach dem Umsturz der deutschen Staatsverfassung "die 3 4

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Zusammenbruch des Reiches gegen die Annahme unverbrüchlicher Kontinuität ausgesprochen und ihre Entscheidung auf die Abhängigkeit des Privatrechts vom öffentlichen Recht gestützt.9 So diffus dieses Verhältnis in dogmatischer Hinsicht auch erscheinen mochte; Feuerbach und Gönner hatten deutlich gemacht, daß durch die gesamte Problematik der Kern einzelstaatlicher Souveränitätsinteressen betroffen war. 10 Auch Wächter erstrebte mit seinem Votum für Diskontinuität eine theoretische Aufwertung einzelstaatlicher Reformgesetzgebung. Seit März 1820 stand in Württemberg die Forderung nach Abfassung eines allgemeinen Zivilgesetzbuches auf der politischen Agenda. 11 In den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren kam es, ausgelöst durch eine staatliche Modemisierungspolitik, zu einer wahren Existenz eines im Rechtssinne [H.i.O., C.M.] bestehenden gemeinen Privatrechts" für die ,,neuen souveränen Staaten". Auch bei Gönner findet sich die Unterscheidung zwischen historischer und rechtlich sanktionierter Gemeinsamkeit des Rechts. 9 So war Feuerbach der Überzeugung, daß das Privatrecht in Abhängigkeit von staats- und verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen zu sehen war. Deutlich wird dies in den "Betrachtungen über den Geist des Code Napoleon, und dessen Verhältnis zur Gesetzgebung und Verfassung teutscher Staaten überhaupt, und Baiems insbesondere" (abgedruckt in: Themis, oder Beiträge zur Gesetzgebung, Landshut 1812, S. 4): ,,Die Gesetzgebung des öffentlichen Rechts gründet die Gesetzgebung des Privatrechts, aber diese dient zugleich als Stütz- und Strebepfeiler für jene." Diese Sicht der Rechtsquellen war zu der Zeit keineswegs üblich. Denn "[d]aß überhaupt bei der Einführung eines bürgerlichen Gesetzbuches die Staats- und Landesverfassung mit in Frage kommen könne, wird denjenigen unbegreiflich scheinen, welche sich das bürgerliche und öffentliche Recht in so scharf getrenntem Gegensaze zu denken gewohnt sind, daß sie kaum eine Berührung beider in ihren äussersten Grenzlinien, geschweige denn eine innere Verwandschaft derselben anerkennen." Diese von Feuerbach monierte Sichtweise hat möglicherweise ihre Fortsetzung in der Privatrechtsgeschichte gefunden, die die Frage des Verhältnisses von Privatrecht, Privatrechtsgesetzgebung und Verfassung im 19. Jahrhundert bisher ,,zu wenig berücksichtigt" hat (so D. Grimm, in: H. Coing [Hrsg.], Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Dritter Band, Erster Halbband, München 1982, S. 17-22). JO Ein frühes Beispiel bietet wiederum Gönner, dessen Vemeinung der Existenz eines gemeinen deutschen Privatrechts in besonderer Weise den Interessen der bayerischen Souveränitätspolitik unter Monteg1as entsprach. Die Aufwertung der Partikulargesetzgebung eröffnete eine erhebliches Reformpotentia1, machte "die Bahn frei" für die Abschaffung überkommener Adels- und Kirchenprivilegien. Vgl. Stolleis, wie Fn 8, S. 65 f. m. w. N. II Es entspann sich ein Kodifikationsstreit, der gewissermaßen eine Spiegelung der Kontroverse zwischen Savigny und Thibaut auf partikularer Ebene darstellte und in dem sich mit Bolley, Schrader, von Georgii und Reyscher die namhaftesten württembergischen Juristen zu Wort meldeten. Eine Zusammenfassung der Diskussion, bereichert um seinen eigenen Standpunkt, lieferte Wächter in einer Literaturüberschau aus dem Jahre 1830 in: Mahl, Scheurlen, Wächter, Die Literatur des gesammten württembergischen Rechtes aus dem letzten Jahrzehend, Stuttgart 1830, S. 159 f.; vgl. auch die Darstellung im Handbuch des im Königreich Württemberg geltenden Privatrechts, Erster Band, Zweite Abteilung, Stuttgart 1842, S. 1056 f. (im folgenden zitiert als: Handbuch, I 2.). Die Quellen zur Kodifikationsdiskussion in Württemberg finden sich bei B. Dölemeyer in: H. Coing [Hrsg.], Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Dritter Band, Zweiter Halbband, München 1982, S. 1431.

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"Gesetzesflut". 12 Dies war der Hintergrund, vor dem Wächter die Einbettung der Privatrechtsordnung in das frühkonstitutionelle System betrieb. Zu dieser Strategie gehörte, daß das Verhältnis von öffentlichem Recht und Privatrecht durch den Vorrang der Verfassung zweifelsfrei bestimmt war. Dem Handbuch selbst lag das Modell eines verfassungsgebundenen Privatrechts zugrunde. 13 Das Problem der Rechtseinheit hatte Wächter dabei nicht aus den Augen verloren. Er fürchtete jedoch stets den Verlust konstitutioneller Errungenschaften in einem von der Exekutive beherrschten Prozeß der Rechtsvereinheitlichung. Wächter war nicht bereit, die nationale Einheit des Rechts mit Einbußen an "bürgerlicher" und "politischer" Freiheit zu erkaufen. Solange das "constitutionelle Princip" im Vormärz nur in einzelnen Bundesstaaten verwirklicht war, kam der Rechtseinheit nur eine "secundäre Wichtigkeit" zu. 14 Daher sollte auch für die Wissenschaft der Weg zur Rechtseinheit nur über den Partikularismus führen, von dem er - scheinbar paradox - "die Entwicklung nationaler Rechtsprinzipien" erwartete. 15 Dieser 12 Vgl. H. Brandt, Parlamentarismus in Württemberg 1819-1870. Anatomie eines deutschen Landtags, Düsseldorf 1987, S. 274. Besonders augenfällig war der Reformbedarf gerade auch im Hinblick auf tradierte Privilegien des Fiskus. Der "gerechtere Geist der neueren Gesetzgebung" - so Wächter (Handbuch, II I, S. 68) - war angetreten, diese zu beseitigen. Durch das württembergische Pfandgesetz vom 15. April 1825 bspw. wurden dessen privilegierte Pfandrechte abgeschafft, wobei der Reform der wirtschaftspolitisch motivierte ,,Zweck, dem Pfandgläubiger möglichste Sicherheit zu verschaffen" und damit den "Credit des Grundeigenthümers" zu verbessern, zugrunde lag (Handbuch, I 2, S. 884, 975). 13 Einen Katalog von Verfassungsnormen, die für das Privatrecht relevant und daher in dessen Bearbeitung zu berücksichtigen waren, stellte Wächter im ersten Band des Handbuches (I 2, S. 887 f.) zusammen. Sein "(b]esonderes Interesse" galt dabei u. a. den Regelungen "über die Ausübung des s. g. jus eminens des Staates", d. h. die Enteignung von Privateigentum(§ 30 der Verfassung), und den damit verbundenen ,,richterlichen Schutz gegen Eingriffe der Staatsgewalt in Privatrechte"(§§ 94, 95 der Verfassung, abgedruckt bei E. R. Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, Deutsche Verfassungsdokumente 1803-1850, 3. Auflage, Stuttgart 1978, S. 198; dazu auch Handbuch des im Königreich Württemberg geltenden Privatrechts, Zweiter Band, Erste Abteilung, Stuttgart 1842, S. 70 f., im folgenden zitiert als Handbuch, II 1), und "über die Ausübung der Gesetzgebungsgewalt" (§§ 85, 88, 89, 124, 172 der Verfassung, bei E. R. Huber, a. a. 0., S. 197 f., 201, 212; dazu auch unten II. 3). Die Abhängigkeit des Privatrechts von der Verfassung ist in diesen Fällen vor allem dadurch zum Ausdruck gebracht, daß über die verfassungsrechtliche Regelung der Ausübung der legislativen Gewalt der Inhalt der Privatrechtsgesetze vorstrukturiert wird (vgl. D. Grimm, wie Fn 9, S. 18 ff.). 14 Vgl. Wächter während der "Verhandlungen der Germanisten zu Lübeck am 27., 28. und 30. September 1847" (Lübeck 1848, S. 118 ff.) und seine Ausführungen im Artikel Gesetzgebung, in: Staats-Lexicon oder Encyclopädie der Staatswissenschaften. In Verbindung mit den angesehensten Publicisten Deutschlands herausgegeben von Carl von Rotteck und Theodor Welcker, 3. Auflage, Altona 1862, Bd. VI, S. 504 ff. 15 Vgl. Gemeines Recht, S. 206 und 232 ff.; sowie in einem Aufsatz über "Die deutsche Strafrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts und ihre Aufgaben" in: Jahrbücher der deutschen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung, hrsg. von H. Th. Schletter, I. Band (1855), S. 112. Unter dieser Prämisse gestaltete sich die Bearbeitung der Partikularrechte in den folgenden Jahrzehnten allmählich zu einer Bestandsaufnahme zur Vorbereitung einer allgemei-

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dogmatischen und rechtspolitischen Grundüberzeugung entsprach das Handbuch des im Königreich Württemberg geltenden Privatrechts.

II. Versuch eines Werkprofils Schon in den Jahren 1825 bis 1832 hatte Wächter in Tübingen Vorlesungen über das württembergische Privatrecht gehalten. 16 Der erste Band des Handbuches erschien in zwei Abteilungen 1838 und 1842. Der zweite Band ist unterteilt in drei Abteilungen, folgte in den Jahren 1842, 1846 und 1851 und enthält die allgemeinen Lehren. Danach brach das Werk ab und blieb unvollendet, da zwei weitere Bände noch geplant waren. 17 Seine Würdigung wird sich auf drei charakteristische Punkte beschränken.

1. "Vom praktischen Nutzen der Geschichte"Stellenwert und Methode der rechtsgeschichtlichen Forschung Zu einer programmatischen Äußerung über den Stellenwert der geschichtlichen Forschung hat sich Wachter im Handbuch an keiner Stelle veranlaßt gesehen, und dies, obwohl seit dem Aufkommen der historischen Rechtsschule die eigentliche "wissenschaftliche Gewissensfrage" lautete, welcher Erkenntniswert der Rechtsgeschichte beigemessen, welche Stellung ihr innerhalb der Jurisprudenz zuerkannt werden sollte, wobei es im besonderen um die Bestimmung des Verhältnisses zur Darstellung des geltenden Rechts und seiner Dogmatik ging. 18 Der Leser muß sich nen deutschen Gesetzgebung. So der Befund von St. Gagner, Die Wissenschaft des gemeinen Rechts und der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis, in Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Band I, herausgegeben von Helmut Coing und Walter Wilhelm, Frankfurt a. M. 1974, S. 96. Zu den "dialektischen Versuchen", im Vormärz über partikulare (Straf-)Gesetzgebungen das Ziel einer nationalen Gesetzgebung zu fördern, vgl. auch H. Getz, Die deutsche Rechtseinheit im 19. Jahrhundert als rechtspolitisches Problem, Bonn 1966, insbes. S. 50 ff. 16 Handbuch des im Königreich Württemberg geltenden Privatrechts, Erster Band, Erste Abteilung, Vorrede S. VI (Im folgenden zitiert als Handbuch, I 1); die literarische Fundierung des Werkes hatte Wächter 1829 mit einer Übersicht über die gesamte Literatur des württembergischen Privatrechts der vorangegangenen zehn Jahre geleistet (in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft, Band VI, 1829, Heft 2 und 3, S. 294 - 408). 17 ,,Ergänzung und Vervollständigung" des Handbuches bilden die ,,Erörterungen aus dem Römischen, Deutschen und Württembergischen Privatrecht". Erstes Heft. Stuttgart 1845, Zweites und drittes Heft. Stuttgart 1846 (Vgl. die Vorrede zum ersten Heft, S. IV f.). 18 Vgl. zum ganzen die allgemein rezipierte Schrift von Wilhelm "[z]ur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert" (Frankfurt a.M. 1958, S. 17 f.). Rechtsgeschichtliche Forschung ließ sich als Hilfsmittel der Rechtswissenschaft begreifen oder aber als eine Bedingung wissenschaftlicher Behandlung des Rechts überhaupt, was bedeutete, daß Rechtswis-

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mit einem Verweis auf die Ausführungen Nikolaus Falcks zu Berechtigung und Stellenwert der geschichtlichen Forschung begnügen, die dieser in seinem "trefflichen"19 Handbuch des Schleswig-Holsteinischen Privatrechts gemacht hatte.2° Ebenso wie dieser war Wächter vom geschichtlichen Rechtsbegriff und dem Quietismus der historischen Schule weit entfernt, grundsätzlich war für ihn die Gegenwart nicht gehindert, zwischen "Gutem und Schlechtem"21 die Wahl zu treffen, wofür seine Haltung in der Kodifikationsfrage den Beweis erbringt. Eine derartige "Wahl" setzte für ihn aber voraus, daß man sich zunächst über das Objekt vergewissert hatte. Daher sollte im Handbuch der "Gegenstand der ganzen Arbeit", das geltende Recht, durch die historische Forschung "bestimmt" werden. 22 Die Identifizierung des wirklich geltenden Rechtsstoffs war auch für Wächter das Problem der Zeit. 23 Hierin lag der eigentliche Nutzen, den geschichtliche Kenntnisse für die Arbeit des Juristen vermitteln, dies allein schien eine ausreichende Begründung für die historische Grundlegung des Handbuches zu liefern. Darüber hinaus erklärt sich Wächters Wertschätzung der "Geschichte" unmittelbar aus der "extrem subjektiven" Ausrichtung seiner Auslegungslehre.24 Historisenschaft dann nicht anders als "geschichtliche Rechtswissenschaft" möglich sein sollte. In der zeitgenössischen Methodendebatte ließen sich die Grenzen anband der Unterscheidung eines entwicklungsgeschichtlichen von einem statisch-antiquarischen Ansatz ziehen, wobei es bekanntlich gerade die entwicklungsgeschichtliche Rechtsbetrachtung war, durch die sich die historische Schule von den "unhistorischen" Juristen absetzen wollte. Das noch weithin vorherrschende Bild einer unwissenschaftlichen und unhistorischen Aufklärungshistorie erfährt in jüngster Zeit eine Neubewertung, indem es selbst als unhistarische Erfindung des Historismus im 19. Jahrhundert identifiziert wird. Vgl. aus neuester Zeit bspw. D. Klippe[, Die Historisierung des Naturrechts, in: F. Kervegan/H. Mohnhaupt (Hrsg.), Recht zwischen Natur und Geschichte, Frankfurt a.M. 1997, S. 103 ff. 19 Handbuch, I 1, Vorrede S. IX. 20 Falck hatte die Rechtsgeschichte als erste der Hilfswissenschaften der Jurisprudenz bezeichnet und ihr damit eine untergeordnete Funktion zugewiesen. Dieses pragmatische Geschichtsverständnis kann als Ausdruck eines "naturrechtlichen Erbes" und Falck als Vertreter der "pragmatischen Aufklärungshistorie" gelten (K. Volk, Die juristische Enzyklopädie des Nikolaus Falck, Berlin 1970, S. 98 ff.). Die entsprechenden Zitate finden sich im Handbuch des Schleswig-Holsteinischen Privatrechts, Erster Band, Altona 1825, S. 11 f., 154 f. sowie in der Juristische[n] Encyclopädie, Kiell821, § 140, 141. 21 So der Ausdruck von F. C. v. Savigny, Ueber den Zweck dieser Zeitschrift, in: Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft, Erster Band (1815), S. 4. 22 Handbuch, I 1, Vorrede, S. IX. 23 "Vor mehr als 40 Jahren in Deutschland den Beruf zur Gesetzgebung auf dem Gebiete des Privatrechts zu leugnen, hatte seine unverkennbare Berechtigung", schrieb Wächter 1862, um im nächsten Atemzug darauf hinzuweisen, daß sich die Situation geändert habe, man zum "wahren und allseitigen Begreifen des Rechts" gelangt sei (Artikel Gesetzgebung, wie Fn 14, S. 501). 24 Coings Einschätzung, daß in den Formulierungen Wächters die subjektive Theorie in einer "strengen Form" ihre "klassische Ausprägung" gefunden habe, läßt sich insoweit nicht aufrechterhalten, als damit eine strikte Bindung des Richters assoziiert wird (Staudinger/ Coing [1995] Ein! 133, 202 zum BGB). Zu Wächters Methodenlehre vgl. demnächst meine Dissertation. Auch Jan Sehröder sieht ihn als den Vertreter einer "extrem" subjektiven Aus-

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sehe Forschung dient in diesem Zusammenhang der praktischen Erkenntnis des Gesetzgeberwillens, sie ist wie für Falck ein "Hilfsmittel" für die logische Interpretation des geltenden Rechts, durch die Vorgaben der Methodenlehre streng funktionalisiert und anw~ndungsbezogen. So konnte ohne weiteres der Eindruck entstehen, Wächter betrachte historische Erkenntnisse als das "Handwerkszeug" eines jeden Juristen. 25 Mehr Aufschluß über Wächters Geschichtsverständnis verspricht der geschichtliche Teil des Handbuchs selbst. Im Hinblick auf Methode und Zielsetzung historischer Forschung erweist es sich als eine aufschlußreiche Quelle. Der erste Band des Handbuches umfaßt 1146 Seiten und trägt den Titel "Geschichte, Quellen und Literatur des württembergischen Privatrechts". Er beruht groBteils auf archivalischen Studien ("durch Autopsie"), in deren Rahmen Wachter die Dokumente historisch-kritisch verwertet. 26 Die Untersuchung umfaßt den Zeitraum vom Beginn des dreizehnten Jahrhunderts bis in das Jahr 1836, wobeiWachterinnere und äußere Rechtsgeschichte 27 nach der periodisierenden, synchronistischen Methode behandelt und fünf Zeiträume unterscheidet. 28 Eine Verbindung von Verfassungslegungslehre an (Gesetzesauslegung und Gesetzesumgehung. Das Umgehungsgeschäft in der rechtswissenschaftliehen Doktrin von der Spätaufklärung bis zum Nationalsozialismus, Paderborn, München Wien Zürich 1985, S. 36, 98). 25 Schon Windscheid (Carl-Georg von Waechter, Leipzig, 1881, S. 35) entdeckte die Originalität der Wächtersehen Methode in einem - so wörtlich - "unnachsichtliche[n] Herabdrücken aller historischen Kenntnisse auf das Niveau von Handwerkszeug". Zu einer Verbindung von historischer und dogmatischer Methode, wie sie die Methodik der historischen Schule kennzeichnet, hat sich Wächter daher auch nie bekannt. Beide Bereiche wurden sauber geschieden, die Domäne der Rechtswissenschaft war die Dogmatik, so daß man sein Verständnis von Rechtswissenschaft im Sinne Puchtas als durchaus "einseitig" beschreiben kann (Cursus der Institutionen. Erster Band, 8. Auflage, Leipzig 1875, S. 56). Im Handbuch manifestiert sich Wächters Haltung in der auch äußerlich klaren Trennung von Geschichte und Dogmatik. Das geltende Recht wollte er klar getrennt vom historischen, und damit von einem ,,rein praktischen Standpunkt aus" darstellen (Handbuch, I l, Vorrede S. X). 26 Handbuch, I 1, Vorrede S. XII. 27 Die durch die historische Schule propagierte entwicklungsgeschichtliche Rechtsbetrachtung war verbunden mit einer Unterscheidung von .Jnnerer" und "äußerer" Rechtsgeschichte. Auch bei Wächter heißt es: ,,Es ist daher nicht nur eine genaue Geschichte unserer Quellen gegeben, sondern auch eine Geschichte der wissenschaftlichen Bearbeitung und der Einwirkung unserer Gerichte und des Gewohnheitsrechts auf [sc. die] Weiterbildung des Rechts, und nachzuweisen gesucht wie die einzelnen Hauptinstitute unseres Rechts äußerlich und innerlich sich historisch entwickelten." (Handbuch, I 1, Vorrede S. X.). Eichhorn hatte 1808 konstatiert, daß die ,,Zweckmäßigkeit einer Verbindung der inneren und äußeren Rechtsgeschichte ( ... ) wohl ziemlich allgemein anerkannt" sei (Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, hier zitiert nach der 3. Ausgabe, Göttingen 1821, Vorrede S. IV). Nach Puchta war innere Rechtsgeschichte die "Geschichte der der einzelnen Glieder des Rechts" (wie Fn 25, S. 58), d. h. insbesondere der einzelnen Rechtsinstitute und Rechtslehren. 28 Handbuch, I 1, S. 17 f. Damit befand er sich in den Bahnen germanistischer Tradition, die von der Göttinger Schule über K. F. Eichhorns "Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte" (1808) führte. Vgl. F. Wieacker, (wie Fn 4), S. 404 m. w. N. Falck dagegen hatte lediglich die äußere Rechtsgeschichte nach der sychronistischen Methode dargestellt, da sich für die

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und Privatrechtsgeschichte war 1839 nicht mehr neu, sondern entsprach durchaus einer germanistischen Gepflogenheit. Wächter ging jedoch hieriiber hinaus. "Unser Privatrecht" - so heißt es in der Vorrede29 - "bildete sich nicht isoliert, sondern unter den verschiedenartigsten Einflüssen" und die Vielzahl dieser Einflüsse bedingte eine gleichsam soziologische Betrachtungsweise, die die Entwicklung des Privatrechts eingebettet in die Geschichte des gesamten politischen und gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses nachvollzieht. Als beeinflussende Faktoren benannte Wächter daher nicht nur Staatsrecht und Verfassung, sondern auch Verwaltung, Kirche, die verschiedenen Stände, die Städte, das Gerichtsverfassungsund Prozeßrecht und zum Teil auch das Strafrecht. Sensibilisiert duch eine liberale Grundüberzeugung setzt Wächter dabei einen besonderen Akzent auf die Darstellung "der Geschichte jener Behörden", die aufgrundeiner "weit getriebenen polizeilichen Fürsorge unserer Gesetzgebung" gehalten waren, auch in "nichtstreitige privatrechtliche Verhältnisse sich einzumischen". 30 Als Folge dieses Ansatzes entstand eine fast universelle, germanistische wie romanistische Fachgrenzen überschreitende Rechtsgeschichte Württembergs. 31 Daneben widmet sich das Handbuch einer "inneren" Rechtsgeschichte der "Hauptinstitute" des württembergischen Rechts, als deren Zweck Wächter angibt, daß "das Praktische vom Unpraktischen genauer gesondert werde und die Entwicklung des geltenden Rechts in den praktischen Theilen reiner und schärfer in seiner ganzen Eigenthümlichkeit hervortrete." 32 Der Gegenwartsbezug geschichtlicher Forschung tritt gerade darin deutlich zutage, daß "diejenigen Institute, welche durch die Gesetzgebung der neueren Zeit eine wesentliche Umgestaltung erlitten" haben, in das Zentrum der Aufmerksamkeit geruckt werden. 33 Das neue Recht war innere Rechtsgeschichte nach seiner Ansicht "keine durchgreifenden Perioden angeben lassen". (N. Falck, Handbuch des Schleswig-Holsteinischen Privatrechts, Erster Band, Altona 1825, S. 154; dazu K. Volk, wie Fn 19, S. 102.) 29 Handbuch, 11, Vorrede S. X. 30 Handbuch, II, Vorrede S. XI. Mit einem liberalen Privatrechtsverständnis nicht zu vereinbaren war das systemfremde polizeiliche ,,Einmischen" des Staates in Privatrechtsverhältnisse. Beispielhaft sei hier auf die Ausführungen Wächters zum Notariatsedict vom 29. 8. 1819 verwiesen, das zwar die behördliche Einflußnahme durch "Obsignationen, Inventuren und Theilungen" nach Eintritt eines Erbfalles beschränkte, hierin aber - nach Wächter - immer noch hinter den Anforderungen der "freien Bewegung der Privaten" zurückblieb (ebenda, S. 1054 f.). 31 Hierzu das äußerst wohlwollende Urteil Otto Stobbes in: Windscheid, wie Fn 25, S. 29 f. 32 Handbuch, I 1, Vorrede S. X. 33 Handbuch, I 1, Vorrede S. X. Beispielhaft sei auf die Untersuchungen zum Pfand- und Prioritätsrecht verwiesen, deren monographischer Umfang, insgesamt umfassen die Ausführungen 112 Seiten (Handbuch, I 1, S. 549-638 und I 2, S. 972-995), Zeugnis gründlicher Vorgehensweise ist. Der historischen Darstellung vorangestellt ist eine aus deren Kontext herausgehobene abstrakte Erörterung von "Sinn und Zweck" des Instituts, demnach die "einzige Aufgabe und der einzige Zweck des Pfandrechts" darin bestehe, "einem Gläubiger die Befriedigung wegen einer ihm zustehenden Forderung zu sichern." (a. a. 0., S. 549). Eine gesetzliche Regelung des Pfandrechts habe den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes, des

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für Wächter eben auch aus einem "Contrast" zum älteren Recht und seinen Mängeln zu erklären und die rechtspolitischen Forderungen der Gegenwart größtenteils Lehren, die sich aus geschichtlichen Fehlentwicklungen ziehen ließen. Der Bezugspunkt historischer Forschung lag auf jeden Fall in der Gegenwart, im geltenden Recht. Wächters Methode geschichtlicher Forschung stand unter entwicklungsgeschichtlichen Vorzeichen. Hierin haben seine Biographen eine Verwandtschaft zur Lehre der historischen Schule gesehen und seinen wissenschaftlichen Standort auf der Folie dieser Lehre zu bestimmen versucht. So zählt Bernhard Windscheid, Leipziger Nachfolger und Schüler34, den Verstorbenen in einem Nachruf eindeutig nicht zu den "Intimen der Schule", sondern charakterisiert ihn als Vertreter einer eigenständigen Richtung, der sich zwar "alle in der historischen Schule erarbeiteten gelehrten Hülfsmittel vollständig angeeignet" habe, dem die geschichtliche Rechtsbetrachung, abgekoppelt von den praktischen Bedürfnissen der Gegenwart dagegen suspekt war. 35 Ernst Landsberg sieht diese Mischung aus Nähe und Distanz als entscheidenden Vorzug Wächters und stilisiert ihn zu einer Gegenfigur

Prioritätsgrundsatzes sowie des Publizitätsgebotes zu genügen (a. a. 0., S. 549 f.). Den realen Hintergrund für diese Thesen gab die einschneidende Reformgesetzgebung aus dem Jahre 1825 ab, die größtenteils deren Verwirklichung angestrebt und unter anderem mit Generalund stillschweigenden Pfandrechten, die zur Entwertung des Pfandrechts als Kreditsicherungsmittel beigetragen hatten, aufgeräumt hatte (hierzu Handbuch, I 2, S. 975 f.). Zwar verlor "der bei weitem größere Theil des ( . . . ) bis dahin bestandenen Rechts ( .. . ) seine unmittelbare praktische Bedeutung", dennoch war für Wächter "die Kenntnis desselben selbst für das jetzt Geltende, um die Entstehung, die Gründe und häufig auch den Sinn des letzteren zu erklären und festzustellen, von vielfachem Interesse." (Handbuch, I 1, S. 549). Die Gestalt des Pfand- und Prioritätsrechts in Württemberg wurde bis zum Jahre 1825 im wesentlichen durch das erste und dritte Landrecht geprägt. (abgedruckt bei Reyscher, Vollständige, historisch und kritisch bearbeitete Sammlung der württembergischen Gesetze, Band V, Stuttgart und Tübingen 1832, S. I ff.). Wächter begann mit einer die zeitgenössischen Kenntnisse zugrundelegenden Darstellung des Pfandrechts nach römischem Recht (Handbuch, I I, S. 551560). Die eigentliche Entwicklungsgeschichte aber setzt ein mit der Schilderung der Rezeption des römischen Rechts und dessen Modifikationen durch die deutsche Rechtsbildung in der Zeit vorAbfassungdes ersten Landrechts und führt bis in das Jahr 1841. Dabei werden nicht nur in ausführlicher Weise die gesetzgebensehen Änderungen unter Heranziehung der Materialen und Protokolle, sondern auch die Einflußnahme von "Doctrin" und Praxis auf die Fortbildung des Rechts behandelt. Wächter hatte für den beschränkten Bereich des württembergischen Partikularrechts ein "wahrhaft historisches Verfahren" verwirklicht. 34 So die Selbsteinschätzung Windscheids, wie Fn 25, S. 58 f. 35 Windscheid, wie Fn 25, S. 51. Wächter respektiere darüber hinaus deren Leistungen (S. 52.). Der methodische Ansatz des Handbuches des württembergischen Privatrechts etwa zeige, daß die "Grundgedanken der historischen Schule ( .. . ) in ihm [sc. Wächter] vollständig lebendig" sind (S. 28). Aber "[d]ie der historischen Schule eigenthümliche Freude an dem Rechte als einem Stück Geschichte, an dem Werden und Wachsen eines positiven Rechts als solchem, ganz abgesehen von irgend welcher praktischen Verwerthung des Rechts, hat er nicht besessen" (S. 51). Das Verhältnis Wächters zur Schule sei von "kühler" Anerkennung geprägt gewesen (S. 51).

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der frühen historischen Schule, wobei insbesondere die Differenzen in der Kodifikationsfrage als Beleg für Wächters Praxisbezug gelten. 36 Wächter war Positivist und wollte geschichtliche Forschung als praktische Erkenntnisquelle für den Juristen fruchtbar machen. Seine "subjektive" Auslegungslehre forderte die Dominanz historischer Argumente in der Dogmatik des geltenden Rechts geradezu. Einem geschichtlichen Rechtsbegriff hat er jedoch eine klare Absage erteilt, die theoretische Eigenständigkeil und den Vorrang der Dogmatik hat er nicht Preis gegeben. 37

2. "Das ganze Gebäude des im Staate geltenden Privatrechts" Die Methode der Verschmelzung von römischem und deutschem Recht Carl Friedrich Gerber hatte 1846 in seinem Werk über "[d]as wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts" geschrieben, daß "schwerlich ein Bedürfnis zu Ergänzung eines Localrechts aus einem gemeinen deutschen Privatrechte gefühlt werden [sc. würde], wenn man bereits in allen Partikularstaaten Werke aufzuweisen hätte, wie das von Wächter für Württemberg begonnene."38 36 Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, München 1910, Abt. 3 Hbd. 2, Text, S. 387. Wachters "stets aufsteigende, außerordentlich erfolgreiche Tatigkeit" stehe im Zeichen "eines wissenschaftlichen Positivismus, den er geradezu verkörpert, nahe genug berührt von den Vorzügen der historischen Schule, um gelegentlich dazugerechnet zu werden, dennoch ihr gegenüber selbständig durch die leitende aufs Praktische und Positive, durch das Verständnis für die Berechtigung und für die Aufgaben der Gesetzgebung und durch die Abneigung gegen romanistische Überspannung, kurz, durch einen echt schwäbischen Wirklichkeitsinn und durch die Fülle gesunden Menschenverstandes." Döhring (Geschichte der deutschen Rechtspflege seit 1500, 1953, S. 336) dient Wächters Geschichte des württembergischen Privatrechts als Beleg dafür, daß außerhalb der Schule "geschichtliche Werke hervorgebracht [sc. wurden], die sich in Form und Methode dem Besten anreihen lassen, was die historische Schule zu bieten vermochte". Nach Kleinheyer/Schröder (Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, 4. Aufl., Heidelberg 1996, S. 7) steht das Handbuch "weitgehend unter dem Einfluß der historischen Schule". wohingegen Wachter durch H. H. Jakobs ( Wissenschaft und Gesetzgebung im bürgerlichen Recht nach der Rechtsquellenlehre des 19 Jahrhunderts, Faderborn 1983, S. 68 N. 127) ohne nähere Begründung für die historische Schule vereinnahmt wird. 37 Ähnliches klingt schon bei Windscheid an (wie Fn 25, S. 52): "Aber der treibende Gedanke der historischen Schule ist ihm sympathisch; man wird weniger sagen dürfen, dass er ihn von ihr entlehnt habe, als vielmehr, dass er ihn mit ihr teile." 38 Gerber, Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts, Jena 1846, S. 279 N. 10; im "System des Deutschen Privatrechts", Jena 1848, betont er noch einmal die Vorbildfunktion des Wächtersehen Handbuches. Im Gegensatz zu den "an sich schätzbaren Stoffsammlungen" forderte er "vollständige, nach wissenschaftlichen Grundsätzen geleitete Ausführungen alles in einem Einzelstaate geltenden Rechts nach dem trefflichen Muster der von Wächter gelieferten Arbeit (S. 55). Als die "an sich schätzbaren Stoffsammlungen" des jeweiligen partikularen Privatrechts galten Gerber die Werke von Haubold, Sachse, Weißhaar, Reyscher, Falck, Grefe und Steinacker (S. 54 N. II). Nur lobende Worte fand Gerber auch in

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Wächters Vorreiterrolle für die wissenschaftliche Bearbeitung der Partikularrechte ist nur unter Berücksichtigung des wissenschaftsgeschichtlichen Kontextes zu erfassen. Auf der Grundlage der Trennung von römischem und deutschem Recht führten die teils offen, teils latent propagierten Totalitätsansprüche beider Systeme zu einem Verzicht auf ein einheitliches gemeines Recht in Deutschland. Wie man sich im 19. Jahrhundert die Überwindung dieser Spaltung als Vorarbeit für die Schaffung eines nationalen Gesetzbuches vorstellte, hat Klaus Luig dargetan und hierfür den Begriff der "Verschmelzung" von römischem und deutschem Recht gewählt. 39 Den Bemühungen der Theorie folgte jedoch in der rechtswissenschaftliehen Literatur kein nennenswerter Versuch der praktischen Durchführung; seit Gerber galt die Zeit für derartige Darstellungen mangels gründlicher Vorarbeiten als noch nicht reif.40 Das deutsche Privatrecht war ein zu unscharfes Gebilde geblieben, als daß es mit dem fest gefügten Pandektenrecht eine Einheit hätte eingehen können. 41 Unter der Prämisse, daß das subsidiäre gemeine Recht im wesentlichen durch das römische Recht gebildet wurde, boten allein die Partikularrechte den "festen Boden" für eine Gesamtdarstellung des - wenn auch nur territorial geltenden Privatrechts. Nur in diesem Rahmen war die Verschmelzung des vorrangig anwendbaren einheimischen Rechts mit dem subsidiären gemeinen Recht durchzuführen und im Ergebnis ein unbedingt geltendes Recht zu erzielen, nach dem alle Rechtsfälle entschieden werden konnten. Die Quellenlage war dabei verhältnismäßig homogen. Württemberg hatte sich anders als Baden der Einführung des Code civil entzogen, 42 das wichtigste Landesgesetz und die Grundlage des einheimischen Privatrechts war das dritte Landrecht aus dem Jahre 1610, dessen Quellen fast ausschließlich römisches und kanonisches Recht waren.43 Daneben seiner Laudatio auf Wächter anläßlich dessen fünfzigjährigen Professorenjubiläums in Leipzig (in gedruckter Form erschienen unter dem Titel "Herrn Carl Georg von Wächter zur Feier seines fünfzigjährigen Professorenjubiläums arn 13. August 1869 überreicht von der Juristenfakultät zu Leipzig", Leipzig 1869, S. 7 f.). 39 Klaus Luig, Die Theorie der Gestaltung eines nationalen Privatrechtssystems aus römisch-deutschem Rechtsstoff, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Band I, herausgegeben von Helmut Coing und Walter Wilhelm, Frankfurt a.M. 1974, S. 217 f.; in bezugauf die dem Handbuch zugrundeliegende Methode hatte schonE. Hoelder (C. G. von Waechter, Leipzig 1897, S. 16) den Begriff der "Verschmelzung" geprägt. 40 Gerber, Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts, Jena 1846, S. 304 f. 41 Luig, wie Fn 39, S. 241 f. 42 Die territorialstaatliche Entwicklung Württembergs infolge der Bestimmung des § 6 des Reichsdeputationshauptschlusses löste im Lande einen Integrations- und Zentralisationsprozeß aus ( Kurzüberblick zur territorialstaaatlichen Entwicklung bei Köhler, Historisches Lexikon der deutschen Länder, 5. Auflage 1995, S. 705-708). Die "innere Staatsbildung" wurde durch ein Bündel administrativer Reformen vollzogen, in deren Kontext auch die auf eine Rechtsvereinheitlichung abzielende administrativ verordnete Erstreckung des altwürttembergischen Rechts auf das Gebiet Neuwürttembergs am 4. Mai 1806 mit Wirkung zum 1.1. 1807 erfolgte. (Handbuch, I 2, S. 795). Vgl. den Überblick bei W A. Boelcke, Sozialgeschichte Baden-Württembergs 1800-1989, Stuttgart 1989, S. 22.

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bestanden nur in sehr beschränktem Umfang Lokalstatute, so daß innerhalb des Landesterritoriums die Rechtszersplitterung kein signifikantes Problem darstellte.44 Die einheimischen Quellen umfaßten zwar das gesamte Personenrecht 43 Handbuch, I 1, S. 345-357 und I 2, S. 1062 f.; dort auch die Aufzählung der wichtigsten Einzelgesetze. Rezeptionsgeschichtlich betrachtet gehört schon das erste Landrecht im Jahre 1555, weit mehr aber das dritte Landrecht von 1610 zu den ,,romanisierenden" Gesetzbüchern, ein Umstand, aufgrund dessen für Wächter der "Kampf zwischen der Germanischen Privatrechtsverfassung und der Römischen Rechtswissenschaft" in Württemberg zugunsten der letzteren entschieden war. Das germanische Element trat nur noch als Modifikation des römischen Rechts in Erscheinung (Handbuch, I 1, S. 241). Vgl. hierzu auch die im wesentlichen auf Wächter gestützte Einleitung von Kunkel in: Kunkel, Thieme, Beyerle, Quellen zur Neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands, Erster Band, Zweiter Halbband, Weimar 1938, S. XXII ff. 44 Die vorlandesrechtlichen Ortsstatute Altwürttembergs wurden durch das erste Landrecht vom 6. Mai 1555 insoweit aufgehoben, als sie zu diesem in Widerspruch standen. Theorie und Praxis gingen jedoch von einer völligen Aufhebung aus (Handbuch, I 1, S. 239 f., 680). Ein heftiger, im Ton scharf (hierzu die Anmerkung Wächters in bezug auf Reyscher in: Monatsschrift für die Justizpflege in Württemberg. Redigiert durch A. Sarwey. Fünfter Band 1841, S. 428) geführter Disput entbrannte um die Frage der Fortgeltung der statutarischen Gesetze Neuwürttembergs. Erst 1831 hatte Weishaar die subsidiäre Geltung dieser Rechte behauptet (Handbuch des Wuertembergischen Privatrechts, 3. Auflage, § 2., 5., 27). Ihm war Reyscher beigetreten (Das gesamte württembergische Privatrecht, Bd. I, Ttibingen 1837, S. ll3 f.). Die weitaus überwiegende Anzahl der württembergischen Juristen, namentlich der Präsident des Obertribunals von Georgii, sein Nachfolger Bolley, Mohl, Karl von Wächter, Michaelis und auch Wächter selbst (alle Nachweise bei Wächter, Ueber die Ungültigkeit der statutarischen Gesetze Neu-Württembergs, in: Monatsschrift für die Justiz- Pflege in Württemberg. Redigiert -durch A. Sarwey. Vierter Band 1840, S. 399 f.) gingen jedoch von deren Ungültigkeit aus. Wächter fand es "auffallend", daß diese praktisch so wichtige Frage erst in neuerer Zeit, "nachdem ein Menschenalter über die Einführung des Württ. Rechts in den neuenGebieten hingegangen war" in Streit geraten war (Handbuch, I 2, S. 792 N. 1). In der Tat ist eine Ideologisierung des Themas auffallend. Sie läßt sich daraus erklären, daß diese Kontoverse auf der Ebene des Partikularrechts eine Widerspiegelung der Diskussion, die für das gemeine Recht um die Vorherrschaft des deutschen oder römischen Rechts zwischen Germanisten und Romanisten geführt wurde, darstellt. Letztlich ging es darum, dem deutschen Recht, das in den Statuten enthalten war, zur Durchsetzung gegenüber dem römischrechtlich geprägten Landrecht zu verhelfen. Mehr noch: Wächter macht darauf aufmerksam, daß die Ansicht Reyschers und Weishaars zur Folge gehabt hätte, daß ausfUhrliehe statutarische Gesetze, die an Regelungsdichte das württembergische Partikularrecht übertrafen, ftir nicht unbedeutende Teile des Landes die subsidiäre Geltung des römischen Rechts ausschließen, und in verschiedenen Städten das ALR als subsidiäres Recht gelten würde (C. G. v. Wächter, Ueber die Ungültigkeit der statutarischen Gesetze Neu-Württembergs, in: Monatsschrift für die Justiz- Pflege in Württemberg. Redigiert durch A. Sarwey. Vierter Band 1840, S. 400 f.). Die durch das Landrecht geschaffene relative Homogenität der Quellenlage wäre einem Bild territorialer Rechtszersplitterung gewichen. Dies hätte auch den methodischen Ansatz, der Wächters Handbuch zugrundelag, wenn nicht praktisch zunichte gemacht so doch in seinen Grundfesten erschüttert. Daß für Wächter die Festlegung der Quellen des in Württemberg geltenden Rechts eine essentielle Frage darstellte, belegt schon der literarische Aufwand, den er hierzu betreibt (neben dem erwähnten Aufsatz vgl. noch die Rezension von Reyscher, Sammlung altwürttembergischer Statutar-Rechte, in: Repertorium der gesamten deutschen Literatur, Band I 1834, Heft 2, S. 100-102; sowie ders., Handbuch, 1 2, S. 792 - 806, 10721074).

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mit dem Familienrecht, das Pfand- und Prioritätsrecht, einzelne Fragen der Bauernleben und Reallasten, einzelne Bereiche des Schuldrechts (Unerlaubte Handlungen, Vertragsrecht), das Wechselrecht und Erbrecht. Die allgemeinen Lehren des Privatrechts jedoch, insbesondere die Regeln über das Eigentum und andere dingliche Rechte waren dem gemeinen Recht zu entnehmen. 45 Weniger als die Hälfte des gesamten geltenden Privatrechts beruhte somit auf einheimischen Quellen.46 Wollte man ein "System" des territorialen Privatrechts in Verfolgung des Ideals von "Einheit und Vollständigkeit" bilden47 , mußte man diese Lückenhaftigkeit berücksichtigen und konnte das römische Recht als subsidiäres Recht nicht außer acht lassen. Wachter faßte den Begriff des partikularen Privatrechts daher weiter und bezog das gesamte im Staate geltende Recht, "beruhe es nun auf einheimischen particulären oder gemeinen Deutschen, oder auf recipirten fremden Quellen" mit ein.48 Nur in dieser Gestalt könne das Handbuch auch den Bedürfnissen der Praxis gerecht werden.49 Aber auch die wissenschaftliche Behandlung und Fortbildung des Partikularrechts konnte nur unter der Voraussetzung einer Einbeziehung des dogmatischen Potentials des römischen Rechts als gesichert gelten. Professionelle Berührungsängste ließ Wachtee erst gar nicht aufkommen. "[D]enn was im Leben und in der Anwendung unseres Rechts seit Jahrhunderten als ein Ganzes bestand und durch das Leben und die Anwendung immer mehr organischen Zusammenhang erhielt, muß auch von der Wissenschaft als ein Ganzes aufgefaßt und dargestellt werden." 50 Auf diesem Fundament betrieb Wachtee die "Pandektisierung" des territorialen Rechts. "[E]s wird sich zeigen lassen, daß ( .. . ) durch die Art und Weise, wie es Handbuch, I 2, S. I 064. So die Schätzung Wächters im Handbuch, I 1, S. 16. 47 Diesen Anspruch hatte 1837 auch Reyscher erhoben. Zu Reyschers ,,Das gesammte württembergische Privatrecht", Tübingen 1837 und 1843 und einem Vergleich mit Wächters Handbuch vgl. Rückert, wie Fn 4, S. 38 - 46. Wächters Standpunkt im Handbuch, I 1, S. 16. 48 In engerem Sinne umfaßte es lediglich das auf einheimischen Quellen beruhende Recht (Handbuch, I 1, S. 15). Diese engere Begriffsbestimmung hatte noch Weishaar seinem "Handbuch des Wuertembergischen Privatrechts" im Jahre 1804 zugrundegelegt: ,,Daß ich aus dem gemeinen Recht nur dasjenige aufnehmen durfte, was der wuertembergische Gesetzgeber aufzunehmen für gut gefunden hatte, folgt aus dem Begriff des wuertembergischen Privatrechts." (Vorwort zur ersten Auflage, abgedruckt in Band li, S. IV-V der dritten Auflage). 49 Hätte man doch unter Anwendung der Trennungsmethode für eine vollständige Darstellung des territorial geltenden Rechts drei verschiedene Lehr- oder Handbücher zu Rate ziehen müssen: Römisches Recht, Deutsches Privatrecht und Partikularrecht. Die praktische Durchführung der Methode läßt sich u. a. anband der Ausführungen zu den ,,Mängel[en] der Rechtsgeschäfte, deren Folge und ihre Hebung" sowie der Stellvertretung nachvollziehen (Handbuch, II 3, S. 655 f., sowie 675 f.). so Handbuch, I I, Vorrede S. V. In der Berufung auf das ,,Leben" lag eine Spitze gegen die "in Römischer Weise befangene Einseitigkeit" vieler Romanisten. Aber auch der extrem germanistische Standpunkt ist Zielscheibe der Kritik Wächters. Vgl. Gemeines Recht, S. 204 f., wo er nochmals die "lebendige Verbindung des Römischen Elements mit dem Deutschen Rechtsleben" einfordert. 45

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8 Kern

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[sc. das einheimische Recht] sich an das Römische Recht anschloß, ein vollständiges, innerlich zusammenhängendes System des gesammten bei uns geltenden Privatrechts sich wohl bilden läßt."51 Die offene Frage, welches System als Ordnungsgefüge für die Aufnahme der Rechtssätze verschiedener Quellenkreise dienen könne, war damit beantwortet. Wächters Vorgehen markierte insgesamt die Aufgabe der Trennungsmethode, die Anfang des Jahrhunderts die wissenschaftlichen Darstellungen der Partikularrechte beherrscht hatte.52 Windscheid sprach 1881 rückblickend von dem ,,Muth", den der Ansatz des Werkes erforderte und den vor Wächter und lange nach ihm niemand mehr aufbrachte. 53 Zu einer Zeit der zunehmenden Ideologisierung des Streites zwischen Romanisten und Germanisten hatte Wächter die Realität nicht aus den Augen verloren und sich damit zwischen die Fronten begeben. Seine Ausführungen unter der Überschrift "Einheimisches und recipirtes Privatrecht" muten wie ein lakonischer Kommentar zur Kontroverse um nationales Recht an: "[D]aß der Staat einen Rechtssatz aus einer fremden Gesetzgebung geschöpft hat, bestimmt noch nicht den Begriff des fremden recipirten Rechtes im Gegensatz zum einheimischen. Dadurch vielmehr, daß der Staat Rechtssätze aus fremden Legislationen in seine Gesetze oder Gewohnheiten völlig aufnimmt und sie von der Form, in der sie im fremden Lande gelten, entkleidet, werden sie ein Bestandtheil seines einheimischen Rechts. ( ... ) Allein dadurch, daß sie [sc. die römischen Quellen] in die Württembergischen Gesetze ihrem Inhalt nach aufgenommen und in besonderer Form publizirt wurden, sind sie einheimisch geworden."54 Mit der Verschmelzung des Privatrechts hatte Wächter auf den seit Beginn der zwanziger Jahre durchgeführten Prozeß staatlicher Modernisierung reagiert. Der SI

Handbuch, I 1, Vorrede S. VI.

sz Dieser lag in einigen Fällen die Überzeugung zugrunde, daß - so Hauhold für das säch-

sische Privatrecht - eine "Vermischung der Quellen" der wissenschaftlichen Bearbeitung der einheimischen Rechte abträglich sei (vgl. dazu das bei Luig, wie Fn 39, S. 245 Fn 149 angeführte Zitat aus dem Vorwort seines ,,Lehrbuch des Königlich-Sächsischen Privatrechts", Leipzig 1820). In anderen Fällen, wie bei Falcks Bearbeitung des schleswig-holsteinischen Privatrechts war sie schlicht eine Folge der Rechtszersplitterung innerhalb der Länder. Falck (Handbuch des Schleswig-Holsteinischen Privatrechts. Erster Band, Altona 1825, S. 3 f.) verstand das schleswig-holsteinische Privatrecht als "Inbegriff von Rechtsgrundsätzen ( . . . ), welche nicht aus den Quellen des gemeinen Rechts entnommen werden könne". So mußte er sich darauf beschränken, "alle Rechtsnormen, welche neben dem gemeinen Recht zur Anwendung kommen, in einer Übersicht zusammenzustellen.", einschließlich das ,,Recht der einzelnen Destricte". Der Anspruch "möglichster Vollständigkeit" ließ das Werk auf fünf Bände anschwellen. SJ Es klingt auch wie eine Selbsterkenntnis, wenn Windscheid meint, die "hergebrachte, durch die Noth aufgedrängte Trennung des in Deutschland geltenden Rechts nach seinen verschiedenen Bestandtheilen" habe, wie ,,kein Einsichtiger bestreitet", "für die Erkenntnis des wirklich geltenden Rechtes, und wohl auch flir die wissenschaftliche Ergründung (!) eines jeden der Bestandtheile Uebelstände zur Folge gehabt." (wie Fn 25, S. 26). 54 Handbuch, I I, S 13. Entgegengesetzte zeitgenössische Ansichten führt Luig an (wie Fn 39, S. 244 f., insbesondere Rundes Standpunkt aufS. 247 Fn 157).

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württembergische Gesetzgeber schickte sich an, das Privatrecht auf eine neue Grundlage zu stellen, und es war die Frage, ob man diese Herausforderung als eine Bedrohung oder als eine Chance für die Wissenschaft auffaßte. In einer ersten ausführlichen Stellungnahme aus dem Jahre 1829 offenbarte sich Wachter als ein Befürworter der Kodifikation. 55 Diese Kodifikation solle für das Privatrecht "bloß" leisten, "was die Römer mit ihren XII. Tafeln wollten, eine feste, sichere Begründung des bestehenden Rechts, aber angemessen unsren jetzigen vielverzweigten Verhältnissen und unserm jetzigen Culturzustande" [H.i.O., C.M.].56 Wachter sprach sich gegen einen allzu großen "legislatorischen Eifer" und "Umwälzung des bisherigen Rechtszustandes" aus. 57 Sein Traditionalismus kulminierte in dem Satz: "Wir wollen ein möglichst vollständiges Rechtsbuch, kein eigentliches reformierendes Gesetzbuch." 58 Anstatt daher in der Gesetzgebung einer "abstracten Theorie" zu folgen, empfahl Wachter die Wissenschaft als "Sammler und Siebter des Vorhandenen". 59 Durch eine Anknüpfung an das "Bestehende" sollte der dogmatische Erfahrungsschatz der gemeinrechtlichen Wissenschaft in die partikulare Gesetzgebung einfließen. Dabei ging es im Vorfeld der Gesetzgebung um mehr als nur eine Bestandsaufnahme des geltenden Rechts. Wachter reklamierte selbstbewußt ein Gestaltungsrecht der Wissenschaft. Die Errichtung des systematisch-dogmatischen Fundaments der Gesetzgebung eröffnete Raum für eine direkte Einflußnahme durch Rechtsfortbildung. Mit dem Handbuch wollte Wachter diesen Raum ausfüllen, den Gesetzgeber leiten und ihm "da und dort" wo der Zusammenhang im bestehenden Recht fehle "den Weg zeigen". 60 Die Chancen für dieses Vorhaben standen ursprünglich mehr als gut. Am 25. September 1836 hatte Wachter als der "erste württembergische Jurist" durch König Wilhelm den Auftrag erhalten, sein

55 Vgl. seine "Übersicht über die Literatur des gesammten würtembergischen Rechtes aus den letzten zehn Jahren. Privatrecht", in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft, Band VI (1829), S. 312 f. 56 Übersicht über die Literatur des gesammten würtembergischen Rechtes aus den letzten zehn Jahren. Privatrecht, in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft, Band VI (1829), s. 312. 57 Übersicht über die Literatur des gesammten würtembergischen Rechtes aus den letzten zehn Jahren. Privatrecht, in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft, Band VI (1829), s. 312. 58 Übersicht über die Literatur des gesammten würtembergischen Rechtes aus den letzten zehn Jahren. Privatrecht, in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft, Band VI (1829), S. 312. 59 Übersicht über die Literatur des gesammten würtembergischen Rechtes aus den letzten zehn Jahren. Privatrecht, in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft, Band VI (1829), s. 309. 60 "Auch ftir die Gesetzgebung möchte eine solche Darstellung unseres Rechts eine dringende Vorarbeit, und für den Gesetzgeber es von großen Interesse seyn, durch sie mit einem [H.i.O., C. M.] Blicke das ganze Gebäude des im Staate geltenden Privatrechts überschauen zu können, indem sich nur dadurch Mängel, Lücken und Disharmonie in der Gesetzgebung gehörig erkennen und vermeiden" lassen (Handbuch, I I, Vorrede, S. VI). 7•

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bereits geplantes Handbuch als vorbereitende Revision und Zusammenfassung des geltenden Rechts im Hinblick auf eine umfassende Kodifikation auszurichten. 61

3. "Die einzelnen Entstehungsgründe des Privatrechts" Eine frühkonstitutionelle Rechtsquellenlehre Seit lokrafttreten der auf dem Vertragswege zwischen Regent und Ständevertretung vereinbarten Verfassung im September 1819 war das Verfassungsleben im württembergischen Frühkonstitutionalismus von "gouvernementaler Eintönigkeit" geprägt. 62 Im Zuge der Landtagswahlen im Jahre 1833 war die Regierung unter massiver und mißbräuchlicher Beeinflußung des Wahlgeschehens erstmals als "Wahlpartei" aufgetreten. Die Wahlen im Spätherbst 1838 gerieten zu einem Spiegel der Krise des Liberalismus, des Verfalls der politischen Öffentlichkeit und der unangefochtenen Machtstellung der Administration. 63 Die Geisteshaltung der regierungsfreundlichen Mehrheit der Kammerabgeordneten macht ein Wort Robert von Mohls deutlich, wonach diese "den Verfassung-Vertrag als den Schluß, nicht als den Anfang einer neuen Constituierung des Staates betrachteten". 64 Die Staatspraxis im Vormärz war insgesamt durch den konsequenten Ausbau bürokratischer Herrschaftsformen gepräg, und das frühkonstitutionelle System, Ergebnis eines monarchisch-liberalen Kompromisses, in seinem Inneren den Anfechtungen eines omnipräsenten bürokratischen Verwaltungsstaates ausgesetzt. 65 Vor diesem gesellschaftlichen und politischen Hintergrund entfaltet Wachter eine Rechtsquellenlehre, die sich streng an den normativen Vorgaben der Verfassung orientiert. Als ,,Entstehungsarten unseres Privatrechts", führt er einleitend 61 Handbuch, I 2, S. 1060. Zu dieser Vorgeschichte des Handbuches vgl. F. Elsener, Der Jurist Carl Georg von Wächter ( 1797- 1880). Sein "Handbuch des im Königreiche Württemberg geltenden Privatrechts" und seine Stellung zur Kodifikationsfrage - Sein Nachleben. S. 475 f. in: Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen 1477-1977. Hrsg. von HansMartin Decker-Hauffu. a., Tübingen 1977. 62 E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band I. Reform und Restauration 1789 bis 1830. S. 384. 63 Ausführlich: Brandr, wie Fn 12, S. 127 -135; M. Hettling. Reform ohne Revolution. Bürgertum, Bürokratie und kommunale Selbstverwaltung in Württemberg von 1800 bis 1850. Göttingen 1990, S. 120 f. 64 Mahl, Das Staatsrecht des Königreiches Württemberg. Erster Band. Das Verfassungsrecht. Zweite Auflage. Tübingen 1846. S. 51. An gleicher Stelle (S. 52) formuliert Mohl, der ein guter und auch heute noch gern zitierter Beobachter der politischen Realitäten in Württemberg war, daß "der Zustand der Homogenität zwischen Gesinnung und Gesetz" in Staat und Gesellschaft noch nicht erreicht sei. 6S Der Meinungsspiegel zeitgenössischer "Verwaltungskritik" findet sich bei M. Hettling, wie Fn 63, S. 109 f. Eine Sammlung von Beispielen aus der württembergischen Staatspraxis, in denen die Exekutive durch Verordnungen in den Bereich der Gesetzgebung übergriff, finden sich bei Mahl, Das Staatsrecht des Königreiches Württemberg. Erster Theil, das Verfassungsrecht, Tübingen 1829, § 38 N. 3 bis 6.

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"Gesetzgebung ( ... ), Gewohnheitsrecht und mittelbar die Wissenschaft" an. 66 Dem Gesetz kam bei stetig zunehmender gesetzgebenscher Tatigkeit schon nach rein quantitativen Gesichtspunkten unter den Quellen das Primat zu, es war der "Hauptentstehungsgrund" des Rechts. 67 Die württembergische Verfassung hatte das monarchische Prinzip68 unangetastet gelassen, das Initiativrecht oder "die gesetzgebende Gewalt" als Verkörperung der Staatsgewalt stand allein dem Monarchen zu69 , wohingegen das Gesetzgebungsverfahren-nach einem geläufigen Ausdruck- von "drei Factoren", dem König und den beiden Kammern, getragen wurde. Die Stände wirkten bei der ,,Ausübung der Gesetzgebungs-Gewalt durch ihre Einwilligung mit" (§ 124 S. 2 der Verfassung), ohne ihre Zustimmung konnte ,,kein Gesetz gegeben, aufgehoben, abgeändert oder authentisch erläutert werden" (§ 88 der Verfassung). 70 Dieses Vetorecht der Kammern bei Erlaß von Gesetzen hatte nach Wachter zur Folge, "daß eine durch gemeinsame Ueberzeugung und Zustimmung festgesetzte und objectiv gültig gewordene Norm, der Ausdruck des allgemeinen Willens" wurde.71 Ein verfassungsgemäß verabschiedetes Gesetz sollte an materielle Schranken nicht stoßen können, auch "das schlechte und ungerechte Gesetz" ist für Wachter durch das formelle Verfahren absolut legitimiert, "es ist der allgemeine Wille ( ... ), dem sich jeder im Staate unterwerfen muß."72 Dieser Handbuch, II 1, S. 18. Handbuch, 111, S. 3. 68 Grundlegend hierzu H. Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, Düsseldorf 1975. 69 § 4 S. 1 der Verfassungsurkunde lautete: ,,Der König ist das Haupt des Staates, vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt und übt sie unter den durch die Verfassung festgesetzten Bestimmungen aus." (abgedruckt bei E. R. Huber, wie Fn 13, S. 188). Nach§ 172 S. 1 konnten Gesetzesentwürfe nur durch den König "an die Stände, nicht aber von den Ständen an den König gebracht werden." (bei E. R. Huber, a. a. 0., S. 212). In Ansehung des Initiativrechts war das den Ständen durch § 172 S. 2 eingeräumte Recht der Petition de jure nicht mehr als ein Surrogat. Dennoch erwuchs es in der parlamentarischen Praxis zu einem faktischen Initiativrecht, da es die Herstellung von Öffentlichkeit in bestimmten Fragen ermöglichte und damit zum Druckmittel gegen die Regierung avancieren konnte (hierzu und zum Meinungsstand der zeitgenössischen Publizistik in dieser Frage vgl. Brandt, wie Fn 12, s. 272 f.). 70 Der Text abgedruckt bei E. R. Huber, wie Fn 13, S. 201 sowie S. 198. 71 Handbuch, II 1, S. 20. Um das konstitutionelle Gesetz vor einer Interpretationsherrschaft der Regierung in Schutz zu nehmen, bestand Wächter im Rahmen einer subjektiven Auslegungstheorie darauf, daß der "vom Bürger und Richter zu befolgende Sinn eines Gesetzes nicht der Sinn, den die Regierung ihm beilegt, sondern der, den übereinstimmend Regierung und beide Kammern ihm beilegen" sei (S. 20 N. 8 und S. 146 f.). Zu Wächters Auslegungslehre vgl. auch die Einordnung durch Staudinger/Coing (1995), Einll33 zum BGB. n Handbuch, II 1, S. 23. Der auf diese Art entfesselte allgemeine Wille sollte auch bei Eingriffen "in wohlerworbene Rechte Einzelner" nicht durch präventiv wirkende Ansprüche auf Entschädigung gebändigt werden. Wächter spricht sich in dieser Frage gegen die Ansicht Reyschers (Das gesamte württembergische Privatrecht, Band 1, Tübingen 1837, § 88 N. 8) aus, wonach in Analogie zu § 30 Verfassung, der die Entschädigung nach erfolgter Administrativenteignung regelte, ein Ersatzanspruch der Privaten begründet sei (Handbuch, I l, S. 23 N. 16). Daß Voraussetzung flir die Allgemeinheit des Willens nicht auch die Allgemeinheit der Repräsentation des Volkes war, entsprach der landläufigen frühkonstitutionellen Vorstel66 67

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fast grenzenlos optimistische Glauben an einen gerechten Gesetzgeber läßt sich nur verstehen, wenn man berücksichtigt, daß der "allgemeine Wille" Ausdruck der zentralen Errungenschaft der frühkonstitutionellen bürgerlichen Gesellschaft war. Er bedeutete ein Stück verwirklichter bürgerlicher Freiheit vom Staat, beruhte auf Partizipation in einem förmlichen auf Konsens angelegten Verfahren und bildete daher die Antithese zum absolutistischen Einzelwillen. So liest man auch bei Wächter, daß die dem Gesetz eigene "große Gewalt" das verfassungsmäßige Vetorecht der Kammern "doppelt wichtig" mache. 73 Jedoch drohte dieses Mitwirkungsrecht der Stände, das die beste und einzige Sicherung der bürgerlichen Sphäre gegen den Obrigkeitsstaat abgab, unter den Bedingungen des "bürokratischen Verwaltungsstaates" ausgehöhlt zu werden. Es galt daher, diese durch die Verfassung eingeräumte Rechtsposition zu schützen. Während das Gesetz zum Hoffnungsträger der bürgerlichen Gesellschaft avancierte74, blieb die Verordnung auch im frühkonstitutionellen System das ,,Residuum" absolutistischer Maßnahmegewalt Die Abgrenzung der Regelungsbereiche von Gesetz und Verordnung wurde daher zur Sollbruchstelle des Konflikts. Die württembergische Konstituante hatte mit der Verfassung von 1819 die bewußte Abkehr von einem durch die Freiheits- und Eigentumsklausel beschriebenen sachlichen Vorbehaltsbereich der Gesetzgebung vollzogen. 75 Der bereits erwähnte § 88 der Verfassung war Ausdruck dieser Enthaltung.76 Dem Gesetzgeber wurde dadurch zwar ein "gegenständlich uneingeschränktes"77 Recht zur Normsetzung eingeräumt, der

lung über das allgemeine und gleiche Wahlrecht. In Württemberg war gern. § 137 der Verfassung das aktive Wahlrecht allen direkt besteuerten Staatsbürgern zuerkannt. Da nur die Grundsteuern direkte Steuern waren, war das Wahlrecht an den Grundbesitz gebunden. Vgl. E. R. Huber, wie Fn 62, S. 344 f.; umfassend auch mit statistischen Nachweisen jetzt Brandt, wie Fn 12, S. 51 f. 73 Handbuch, II l, S. 23 N. 14. 74 So richteten sich Wächters Hoffnungen ganz konkret auf die ständische Gesetzgebung, wenn es darum gehen sollte, die "übermäßigen polizeilichen Beschränkungen und Gebote", durch welche er die "freie Bewegung der Privaten" bedroht sah, zu überwinden. Vgl. nur Handbuch, II 1, S. 38. 7' Die Freiheits- und Eigentumsklausel war in Titel VII, § 2 der Verfassung für das Königreich Bayern vom 26. Mai 1818 und§ 65 der Verfassung für das Großherzogtum Baden vom 22. August 1818 verankert (vgl. E. R. Huber, wie Fn 13, S. 161 sowie S. 181). Zu dem Mißverständnis der spätkonstitutionellen Staatsrechtslehre, die hierin die Definition des materiellen Gesetzesbegriffes erblickte, vgl. E. W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt. Von den Anfängen der deutschen Staatsrechtslehre bis zur Höhe des staatsrechtlichen Positivismus, hier zitiert nach der ersten Auflage, Berlin 1958, S. 75 f. 76 Die württembergische Verfassung hatte damit den aktuellen Streit um die materielle Auslegung des Gesetzesbegriffs lapidar abgeschnitten. Ein Novum war, daß der Bereich parlamentarischer Gesetzgebung nicht mehr aus der Perspektive der Abwehr staatlicher Gewalt, als Reflex, ausgelöst durch Eingriffe in Freiheit und Eigentum gesehen wurde. Dementsprechend normierte die Verfassung auch keinen Katalog zustimmungsbedürftiger und damit dem Gesetzesvorbehalt unterliegender Materien. Ein kurzer Abriß über die Entstehungsgeschichte der Verfassung sowie weitere Verweise bei Brandt, wie Fn 12, S. 271 f.

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Verzicht auf die materielle Definition eines Vorbehaltsbereiches für das Gesetz hatte aber auch seine Schattenseite, da er zu Unsicherheiten in der Abgrenzung der Verordnung vom Gesetzesrecht führte. 78 Die Verfassung selbst deutete zwar eine Bereichstrennung an, konnte bei entsprechender Auslegung aber auch einer Unterminierung der Herrschaft des Gesetzes Vorschub leisten. Dreh- und Angelpunkt war die Auslegung der §§ 88 und 89 der Verfassung. Nach § 89 hatte der König "das Recht, ohne die Mitwirkung der Stände die zur Vollstreckung und Handhabung der Gesetze erforderlichen Verordnungen und Anstalten zu treffen und in dringenden Fällen zur Sicherheit des Staates, das Nöthige vorzukehren." 79 In dieser Formulierung fand zwar die Auffassung der vollziehenden Gewalt als gesetzanwendender und -ausführender Funktion ihren Niederschlag;80 ob hiermit allerdings abschließend der Regelungsbereich der Verordnung im Sinne einer Beschränkung auf den Gesetzesvollzug festgelegt wurde, oder ob nicht auch der vollziehenden Gewalt eine Rechtssetzungsbefugnis in Form der Verordnung zukam, blieb offen. Ein Satz, wonach ,jeder (abstrakte) Rechtssatz nur im Wege der Gesetzgebung erlassen werden dürfte", war nicht Bestandteil des württembergischen Verfassungsrechts. Desto mehr war daher eine dogmatische Präzisierung des Verhältnisses angezeigt. Um den Umfang des ständischen Zustimmungsrechts zu bestimmen, kam es auf den Begriff des Gesetzes und die Abgrenzung von Gesetz und Verordnung an. Beides wurde durch die Verfassung nicht festgelegt, sondern vorausgesetzt, so daß konkurrierenden Interpretationsmodellen Tür und Tor geöffnet waren. Auf der Ebene der dogmatischen Begriffsbildung wurden hochpolitische Kompetenzfragen abgehandelt. 81 Wächters Formulierungen deuten auf einen engen Verordnungsbegriff hin, nach dem die Verordnung stets an die Ausführung oder nähere Bestimmung eines Gesetzes gebunden ist.82 Ihre eigentümliche Schärfe erhält diese Definition dadurch, 77 R. Grawert, Artikel "Gesetz" in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von Brunner, Conze, Koselleck, Bd. 2, Stuttgart 1975, S. 904; zu den verfassungsgeschichtlichen Hintergründen der Ausweitung des ständischen Zustimmungsrechts vgl. E. W. Böckenförde, wie Fn 67, S. 78. 78 Ein Beispiel hierfür bildet Robert von Mohl (Das Staatsrecht des Königreiches Württemberg. Erster Theil, das Verfassungsrecht, Tübingen 1829, § 38), dem aus heutiger Sicht allerdings bescheinigt wird, daß ihm die Abgrenzung der Verordnungen vom Gesetz nicht wirklich gelingt (So Stolleis, wie Fn 8, S. 260 in bezugauf Mohls ,,Die Polizei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates", Band 1, 2. Auflage, Tübingen 1844, § 6). 79 E. R. Huber, wie Fn 13, S. 198. so Die Hintergründe kurz bei E. W. Böckenförde, wie Fn 74, S. 78 f. 81 So auch E. W. Böckenförde, wie Fn 74, S. 71 f., 73; auch wenn den zeitgenössischen Schriftstellern klar war, daß die Handlungsform des Gesetzes nicht stärker sein konnte, als es die politischen Kräfte zuließen, wie R. Grawert (Gesetzgebung im Wirkungszusammenhang konstitutioneller Regierung, in: "Gesetzgebung als Faktor der Staatsentwicklung", Der Staat, Beiheft 7, Berlin 1984, S. 160) bemerkt, so läßt sich bei Wächter- wie zu zeigen sein wirddas Bemühen feststellen, die Faktizität politischer Macht in rechtliche Bahnen zu lenken und ihr die Narrnativität der Verfassung zur Seite zu stellen.

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daß die Betonung des vollziehenden Charakters der Verwaltungstätigkeit in Beziehung zum Rechtssetzungsmonopol des Gesetzgebers gesetzt wird: wenn Recht nur durch den Gesetzgeber gesetzt werden kann, die Verwaltung auf dessen Vollzug beschränkt war, so ließ sich daraus herleiten, daß eine Verordnung "nicht in den Kreis der Gesetzgebung eingreifen" durfte. 83 Dieser exklusive Bereich der Gesetzgebung mußte, trotz der prinzipiellen Offenheit der Verfassung in dieser Frage, benannt werden, um die Verordnung negativ dagegen abzugrenzen. Letztere dürfe "in materieller Hinsicht", nach den Worten Wächters, "weder eine neue allgemeine, die Privatrechtsverhältnisse betreffende Norm aufstellen, noch gegen eine solche bestehende Norm im Ganzen oder in einzelnen Beziehungen angehen, also namentlich nicht Ausnahmen von einer solchen bestehenden Norm festsetzen, noch erworbene Rechte Einzelner beeinträchtigen."84 Daß diese formale ("Allgemeinheit" des Gesetzes im Sinne einer abstrakt-generellen Regelung) ebenso wie herkömmliche materielle Elemente ("wohlerworbene Rechte" im Sinne der "Freiheit und Eigentum"-Klausel) in sich vereinigende Definition keine einengende Festlegung des Gesetzesbegriffs darstellte, machte Wächter klar. Denn "umgekehrt" sollte keine Beschränkung gelten, jeder denkbare Gegenstand einer Verordnung auch Inhalt der Gesetzgebung sein können. Das Gesetz war damit keineswegs nur auf allgemeine, im Sinne von generell-abstrakten Regelungen beschränkt, sondern konnte auch eine Einzelfallregelung zum Gegenstand haben. 85 Dieser denkbar weite Gesetzesbegriff korrespondierte mit dem Ansinnen, den Umfang des ständischen Mitspracherechtes prinzipiell auszudehnen.

82 Hierzu knüpft er an die eher offene Formulierung des § 89 der Verfassung an: "Das den Gesetzen Gemäße zu vollziehen und diejenigen Anordnungen zu treffen, welche zu dieser Vollziehung und zur Vollstreckung und Handhabung der Gesetze nothwendig sind, ist Sache der Verwaltung, der vollziehenden Gewalt." (Handbuch, 111, S. 18). 83 Für Wächter lag die Unterscheidung zwischen Gesetz und Verordnung in der ,,Natur der Verhältnisse". Zwar ließe sich der Begriff der Verordnung auch in einem weiteren Sinne verstehen, so daß er jede "allgemeine, von der höchsten Gewalt ausgehende, Anordnung ( ... ) also auch die eigentlichen Gesetze" umfasse. Diese Begrifflichkeil sei aber an ein absolutistisches Staatsverständnis geknüpft. Unter diesen Umständen hatte man "früher" weniger Grund, den "Gegensatz so scharf herauszuheben und so genau zu unterscheiden, was der Verwaltung und was der Gesetzgebung angehört" (Handbuch, II I, S. 18 Fn 2) Genau dies war der Grund warum konservativ-monarchisch gesinnte Autoren eine definitorische Differenzierung der Begriffe bekämpften. Sie suggerierte die Trennung der Regelungsbereiche von Gesetz und Verordnung und stand der Annahme einer einheitlichen Gesetzgebungsgewalt des Monarchen diametral entgegen. Vgl. zu Nachweisen aus der zeitgenössischen Literatur R. Ogorek, Richterliche Normenkontrolle im 19. Jahrhundert: Zur Rekonstruktion einer Streitfrage. in: ZNR 1989, S. 20. 84 Handbuch, 111, S. 19; Von Wächter wurde der Begriff ,,materiell" in der Bedeutung von ,Jnhaltlich" verwandt. An anderen Stellen heißt es: "Der Name, unter dem sie [sc. die Verordnungen] erlassen wurden, entscheidet natürlich nichts. ( . . . ) Es kommt hier lediglich auf den Inhalt an" (Handbuch, II 1, S. 31 N. 3). ,,Der Unterschied zwischen Gesetz und V.O. ist ein materieller, in der Natur der Sache liegender." (Handbuch, II I, S. 32 N. 4). ss Handbuch, II I, S. 20 N. 6.

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Wie aber waren Übergriffe der Exekutive justitiabei zu machen? Wächter sah die Lösung in einem Normenkontrollrecht der Richter. Die Debatte über dessen Zulässigkeit füllte im 19. Jahrhundert ganze Bibliotheken, was nicht weiter verwundert, da anband dieser Frage das Verhältnis der Staatsgewalt im Spannungsfeld zwischen Monarchie und Konstitutionalismus thematisiert wurde. 86 Als argumentativer Ausgangspunkt diente Wächter die Garantie der Unabhängigkeit der Justiz, wie sie in § 93 der Verfassung verankert war. 87 Seine Argumentationsschritte lassen sich verkürzt wie folgt darstellen88: Nach § 93 der württembergischen Verfassung waren die Richter unabhängig, das hieß den Geboten der Exekutive nicht unterworfen und nur an das bestehende Recht gebunden. Dieses konnte jedoch nur insofern als Entscheidungsmaßstab dienen und den Richter binden, als es "gültiges" Recht war. "Gültig" übersetzte Wächter als "im Einklang mit den Vorgaben der Verfassung zustandegekommenes Recht". 89 So wie der Richter generell sich darüber zu vergewissem habe, "daß das, was er als Rechtsquelle behandelt, eine wahre, somit gültige Rechtsquelle ist," so habe er bei Anwendung "einer als Gesetz sich ankündigenden ( ... ) Verfügung", eines "Scheingesetzes"90 zu untersuchen, "ob sie wirklich Gesetz ist", das hieß, ob die verfassungsmäßig vorgegebenen formellen Erfordernisse eines gültigen Gesetzes, insbesondere das Vorliegen der ständischen Zustimmung erftillt waren. Aus einer verfassungsmäßig garantierten Unabhängigkeit erwachse dem Richter hierzu gleichermaßen ,,Befugnis und ( ... ) Pflicht".91 Wollte man ihm diese Kompetenz absprechen, so Wächter, führe dies dahin, "daß der Richter nicht bloß dem Gesetze, sondern auch der vollziehenden Gewalt unterworfen, seine verfassungsmäßige Unabhängigkeit somit aufgehoben und das Recht des Bürgers, blos verfassungsmäßigen Gehorsam der vollziehenden Gewalt schuldig zu seyn, vernichtet würde."92 Entscheidend aber war, daß 86 Einen umfassenden Überblick über den Meinungsstand, Argumentationslinien und grundsätzliche Dimension des Streites, sowie die heutige Literatur zum Thema gibt R. Ogorek, wie Fn 83, S. 12-38. Noch 1871, zu einem Zeitpunkt als die Diskussion längst ihren Höhepunkt überschritten hatte, wurde heftig gestritten. Siehe H. H. A. Böhlau, Mecklenburgisches Landrecht, Erster Band, Weimar 1871, S. 305 f. 87 Die herkömmliche Ableitung des richterlichen Prüfungsrechts, deren Ansatz im Gesetzesvorbehalt bei Eingriffen in Eigentum und Freiheit lag, war ihm nach der württembergischen Verfassung verwehrt (vgl. die Darstellung der hergebrachten Argumentationsmuster bei R. Ogorek, wie Fn 83, S. 20). § 93 der Verfassung hatte folgenden Wortlaut: .,Die Gerichte, sowohl die bürgerlichen, als die peinlichen, sind innerhalb der Grenzen ihres Berufes unabhängig." ( E. R. Huber, wie Fn 13, S. 198). 88 Handbuch, II I, S. 26 f. 89 Handbuch, II 1, S. 25, 26 f. 90 So die Ausdrucksweise des Prüfungsrechtsbefürworters R. v. Jhering auf dem Juristentag von 1862 (Verhandlungen des 3. deutschen Juristentages I, 1862, Stenographische Berichte, 14, S. 52 f.). 91 Handbuch, II I, S. 26 f.; daß die Prüfungskompetenz als dem ,,richterlichen Beruf' immanent erscheine, so hat P. Roth später die Ansicht Wachters charakterisiert und ihn als Begründer dieser Ansicht dargestellt (vgl. Bayrisches Civilrecht, Erster Theil, Tübingen 1871, S. 125).

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"am Ende auch das werden könnte." 93

~tändische

Zustimmungsrecht zu den Gesetzen ganz vereitelt

Das die Rechtsquellenlehre flankierende Prüfungsrecht wirkte wie ein Transmissionsriemen, der den normativen Vorgaben der Verfassung zur Durchsetzung in der Staatspraxis verhalf. Es unterstrich die Funktionstrennung von Gesetzgebung und Verwaltung und bewirkte die Sicherung der ständischen Beteiligungsrechte bei der Gesetzgebung, indem Übergriffe der verordnenden Exekutivgewalt unter die Kontrolle der Justiz gestellt wurden.94 Wächters Standpunkt war dabei nicht so sehr die Folge tagespolitischer, regierungskritischer95 Erwägungen, sondern wurde aus einer grundsätzlichen Abwehrhaltung gegenüber absolutistischer Machtvollkommenheit gespeist. Der im Vormärz allgemein schwelende Verfassungskonflikt zwischen Monarch und Kammern kehrte auch in Württemberg wieder in Gestalt der Antinomie von Gesetz und Verordnungsgewalt

92 Handbuch, II 1, S. 29; daß alle Staatsbürger den "gleichen verfassungsmäßigen Gehorsam zu leisten" stand in § 21 der württembergischen Verfassung (E. R. Huber. wie Fn 13, S. 190). Zu dem Versuch Mohls aus dieser Formel ein materielles Prüfungsrecht abzuleiten vgl. R. Ogorek, wie Fn 83, S. 36 Fn 121. 93 Handbuch, II 1, S. 29; Wächter glaubte für Württemberg konstatieren zu können, daß die einhellige Meinung in Theorie und Praxis das richterliche Prüfungsrecht für zulässig erachte (S. 29 Fn 5). Wenn er jedoch im Handbuch anführt, daß selbst württembergische Regierungsorgane sich für die Zulässigkeil des Prüfungsrechts ausgesprochen hätten, so ist Skepsis angebracht. Der Ober-Tribunalrath und Regierungskomrnisar von Prieser war in einer Kammerdehatte durch den Abgeordneten Römer, einem der Wortführer der liberalen Opposition, dazu aufgefordert worden, die Haltung der Regierung in dieser Frage darzutun (Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Königreichs Württemberg auf dem Landtage von 1838, Dritter Band, Stuttgart 1838, 32. Sitzung, S. 73 f.). Den äußeren Rahmen bildete die politisch brisante Beratung des Art. 139 ("Unerlaubte Verbindungen und Gesellschaften") aus dem Entwurf für ein Strafgesetzbuch, der wie keine andere Vorschrift das politische Strafrecht "metternichscher Prägung" versinnbildlichte ( vgl. zum Hergang der Beratungen Brandt, wie Fn 12, S. 289 f., 302 f.). Die Regierungsvorlage war haltlos gewesen, seine Anwälte gerieten selbst gegenüber den Anhängern der Regierung in die Defensive. Prieser, selbst Richter, machte in dieser Situation Konzessionen, formulierte aber vorsichtig. Zwar bejahte er das Prüfungsrecht in seinen Voraussetzungen, äußerte sich zur Kompetenz des Richters, eine verfassungswidrige Norm außer Anwendung zu lassen jedoch sehr vage ("glaube", a. a. 0., S. 73). Der liberale Abgeordnete Römer führte gegen den vermeintlichen Konsens in der Theorie die Realität des Rechtsprechungsalltages ins Feld und bezweifelte, daß Richter aus Angst vor Repressionen von ihrem Recht zur Normenkontrolle Gebrauch machten (a. a. 0 ., S. 73 f.). 94 Da die Rechtsprechung als unabhängige Staatsfunktion trotz vereinzelter Übergriffe als solche nicht in Frage gestellt wurde, man sich zudem allgemein der "Illusion eines lendenzieH liberalen Richterstandes" hingab, erschien sie als adäquater AUiierter im Konflikt mit der Regierung. Allgemein dazu R. Ogorek, wie Fn 83, S. 24 f. 95 Die regierungsfreundliche Haltung des Politikers Wächter ist in der Literatur notorisch, aus neuerer Zeit vgl. daher nur Brandt, wie Fn 12, S. 191 f. m. w. N. aus der gängigen biographischen Literatur, insbes. S. 310 zu einem Beispiel der parlamentarischen Tätigkeit Wächters.

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Als "zweite ( ... ) Hauptquelle des Privatrechts" behandelte Wächter das Gewohnheitsrecht.96 Seine praktische Relevanz war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Zeichen zunehmender gesetzgebenscher Tätigkeit nicht allzu hoch einzuschätzen, dagegen siand aber eine theoretische ,,Dignität"97 , die es bekanntermaßen durch die Rechtsquellenlehre der historischen Schule erlangt hatte. 98 Die Annahme einer prinzipiellen Gleichrangigkeil von Gesetz und Gewohnheitsrecht war von alters her Stein des Anstoßes und wurde auch im 19. Jahrhundert von vielen Schriftstellern außerhalb der Schule als Konflikt mit dem Rechtsetzungsmonopol des Fürsten gewertet. Eine Lösung fand man zumeist in einer fiktiven Autorisierung des Gewohnheitsrechts durch den Gesetzgeber im Wege der stillschweigenden Übereinstimmung (sog. tacitus consensus).99 Diese Ansicht von der abgeleiteten Geltung des Gewohnheitsrechts widerlegt zu haben, gehöre "zu den Verdiensten der sog. historischen Schule" schrieb Wächter 1862 rückblickend. 100 Es ist für ihn nicht Derivat des gesetzgebefischen Willens, sondern ursprünglich durch die ,,Natur der Sache" und zeitlich "bei der Ausbildung des Rechts den Gesetzen in der Regel vorausgehende" Quelle des Rechts. 101 Handbuch, II I, S. 32. Der Ausdruck von B. Windscheid in seinem ,,Lehrbuch des Pandektenrechts", Erster Band, 9. Auflage, Frankfurt a.M. 1906, S. 81 N. 4. 98 Ihr erweist Wächter seine Referenz, indem er in seinen Literaturangaben vorrangig auf Puchtas Gewohnheitsrecht und Savignys Ausführungen im ersten Band des Systems verweist. 99 Auch die Ausführungen Wächters deuten zunächst in Richtung auf eine solche Fiktion, denn es heißt, daß das Gewohnheitsrecht "in unseren Gesetzen vielfach als Rechtsquelle anerkannt" sei (Handbuch, II 1, S. 32). Savigny (System des heutigen römischen Rechts, Band I, Berlin 1840, S. 168 f.) hatte die verschiedenen Spielarten der "Anerkennungslehren" als die herrschende Ansicht bezeichnet. Er räumte ein, daß sich die Lehre vom Gewohnheitsrecht hervorragend für politische Zwecke instrumentalisieren ließ, da sie, je nachdem welchen politischen Standpunkt man einnahm, für konservative ebenso wie für progressive Inhalte offen war. Monarchische Staatsverfassungen vor Augen, hatte er aufgezeigt, daß "Gewohnheitsrecht als eine Art Opposition gegen die Regierung, als Anmaßung eines Zweigs der höchsten Gewalt" angesehen werden könne und daher bedürfe ein "solches Unternehmen ( ... ) einer besonders vorsichtigen Rechtfertigung". Vor ihm hatte schon Puchta (Gewohnheitsrecht, Erster Theil, S. 134) von dem "Irrthum" gesprochen, der "die ganze Theorie unserer Rechtsquellen auf den Kopf zu stellen" vermöge, weil er "das Gewohnheitsrecht als ein von den Unterthanen ausgehendes Recht betrachtet". Die Lehre, die es von der Konzession des Gesetzgebers abhängig machte, zielte also vor allen Dingen auf die unterstellte anarchische Komponente des Gewohnheitsrechts ab, und wurde unter absolutistischen, konstitutionellen ebenso wie republikanischen Vorzeichen vertreten (Nachweise hierzu bei Windscheid, wie Fn 97, S. 77 N .I; aus heutiger Sicht R. Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat? Zur Justiztheorie im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1986, S. 172 f.). Für Württemberg lieferte Mohl das Beispiel, indem er eine analoge Anwendung der Verfassungsnormen über die Gesetzgebung forderte (Staatsrecht des Königreich Württemberg, 2. Aufl., S. 31 f., 93 f.). Hiergegen Wächter, a. a. 0., S. 35 Fn 14. IOO Artikel Gesetzgebung, wie Fn 14, S. 482. ,,Das Gewohnheitsrecht trägt seine Geltung in sich als der stillschweigend ( . .. ) ausgesprochene allgemeine Wille; es bedarf zu seiner Geltung nicht erst der Autorisirung durch den Gesetzgeber, der selbst seine Macht ursprünglich häufig erst dem Gewohnheitsrecht verdankt". 96 97

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Spannungen ergaben sich jedoch anhand der Folgen einer Kollision desselben mit dem theoretisch gleichrangigen konstitutionellen Gesetz: problematisch war die "Kraft des Gewohnheitsrechts". Das Problem verlagerte sich von der Ebene der Entstehungsvoraussetzungen zu der Frage, ob dem Gewohnheitsrecht gesetzesabändernde Wirkung zuerkannt werden konnte. Denn es war offensichtlich, daß der Widerstreit der Quellen die Entwertung des Gesetzes bewirken konnte, weshalb nach gemeinem Recht dieses Problem auch heillos umstritten war. 102 Wächter sah für das württembergische Recht diesen Konflikt jedoch als gelöst an, indem die Landesgesetze das Gewohnheitsrecht "blos als subsidiäre Rechtsnorm" behandelten.103 Hieraus resultierte, daß "[a]us einer Gewohnheit, welche im Widerspruche mit den Bestimmungen der Landesgesetze steht, ( . . . ) ein gültiges Gewohnheitsrecht nicht hervorgehen" kann. Und deutlich: "Das Gewohnheitsrecht gilt nicht gegen den Inhalt unserer Württ. Gesetze." 104 Die ,,klare und bestimmte" Entscheidung des Gesetzgebers war zugleich Anfang und Ende der Diskussion. Hierdurch geriet Wächter aber in entschiedenen Widerspruch zu den theoretischen Prämissen seiner Rechtsquellenlehre. Da das Gewohnheitsrecht als ursprünglichere Quelle des Rechts keiner Autorisierung durch den Gesetzgeber bedurfte, sprach alles für die Annahme prinzipieller GleichrangigkeiL Die Lösung von KollisionsfaJ.len nach dem Gesichtspunkt von Rangverhältnissen wäre demnach ausgeschlossen gewesen. Da die Geltung des Gewohnheitsrechts nicht zur Disposition des Gesetzgebers stand, hätte allein der Faktor ,,zeit" darüber entschieden, ob eine nachfolgende die vorhergehende Norm abzuändern vermochte. Wächters Beharren auf der gesetzliche angeordneten Subsidiarität läßt seine theoretischen Ausführungen zum Geltungsgrund des Gewohnheitsrechts, mit denen er sich vor der Gewohnheitsrechtslehre der historischen Schule verneigte, als Lippenbekenntnis erscheinen. In der Konsequenz war die Negation der "derogatorischen Gewohnheit" 105 nur eine Spielart der "Anerkennungslehre" 106. Die KornHandbuch, II I, S. 32. Nachweise bei Puchta, Das Gewohnheitsrecht, Zweiter Theil, Erlangen 1837, S. 199 f.; Savigny System des heutigen römischen Rechts, Erster Band, Berlin 1840, S. 194 f.; für das 19. Jahrhundert der Überblick bei B. Windscheid, wie Fn 97, S. 92 N.1a. 103 Wachter bezog sich auf eine Stelle aus dem dritten Landesrecht, derzufolge der Richter Recht sprechen soll u. a. nach "ehrbaren Statuten und Gewohnheiten, die unserem Landrecht, Satzungen und Ordnungen directo nicht zuwider". Hierdurch sah Wä.chter das Verhältnis "des Gew. Rechts zum Gesetze genau und bestimmt entschieden" (Handbuch, II 1, S. 36 N. 16 und I 2, S. 1076). 104 Alle Zitate in: Handbuch, II 1, S. 36. 10s Handbuch, II 1, S. 37 N. 20. 106 Nach Puchta lag den Ansichten, die "dem Gewohnheitsrecht die aufhebende Kraft entziehen" die Vorstellung zugrunde, "daß ( .. . ) das Recht eigentlich allein von der gesetzgebenden Gewalt ausgehe, jede andere Entstehung daher wie eine Art Ursupation zu betrachten sey, die wenn auch nicht ganz zurückgewiesen, doch wenigstens so weit als nur immer möglich eingeschränkt werden müsse" (Das Gewohnheitsrecht, Zweiter Theil, Erlangen 1837, S. 205). Wie konsequent Wä.chter seine Ansicht durchführt und dabei immer mehr Wider101

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petenz des Gesetzgebers, eine Hierachie der Quellen auszugestalten, war Ausfluß seines Rechtssetzungsmonopols. Eine Rangordnung der Quellen sicherte unmittelbar die Autorität des konstitutionellen Gesetzes und versprach mehr Sicherheit in der Rechtsanwendung. Sie führte zu einem klaren Primat des Gesetzgebers in politischen Richtungsentscheidungen und zu einer Entpolitisierung der Justiz. 107 In diesen Grenzen hob Wächter die besondere Stellung der Juristen ausdrücklich hervor. Den Richter bezeichnete er als den wichtigsten Repräsentanten der ,,rechtlichen Volksüberzeugung" und in ausdrücklicher Anlehnung an Puchta auch als "Sachverständigen". 108 Originäre Rechtsfortbildungskompetenzen sprach er der Richterschaft aber ab. Daß ein usus fori als Gewohnheitsrecht Rechtsnormen erzeugen konnte, war in der damaligen herrschenden Lehre nahezu unangefochten. Auch für Wachter war der Gerichtsgebrauch nur als eine "Unterart" des Gewohnheitsrechts, als Ausfluß einer kontinuierlich geübten "rechtlichen Volksüberzeugung" legitimiert. 109 Zudem lehnte er es ausdrücklich ab, einem Präjudiz oder Gerichtsgebrauch die "vis legis" beizumessen, auch bei Lücken oder zweifelhaftem Sinn der Gesetze sollte der Richter nur für den Einzelfall bindend entscheiden können. 110 Die von Instanzenspruch erzeugt, zeigen die Ausführungen zu der Möglichkeit, daß ein Gesetz durch Gewohnheit abgeschafft wird (desuetudo). Zwar könne sich "die Kraft der rechtlichen Überzeugung im Volke"(!) in der Weise geltend machten, daß "bestehende Gesetze überwunden und völlig außer Anwendung gesetzt werden." Angesichts der eindeutigen Aussage der "Gesetze über das rechtliche Verhältnis des Gewohnheitsrechts zu den Landesgesetzen kann man jene Erscheinung nur als etwas factisch sich so Vorfindendes, nicht aber als rechtlich bestehend behandeln." (Handbuch, II 1, S. 37). Ein faktisch abgeschafftes Gesetz kann daher rechtsverbindlich nur durch den Gesetzgeber aufgehoben werden (ebenda, S. 38 Fn 23). 107 In diesen Zusammenhang paßt auch die Parteinahme Wächters für die herrschende Lehre vom zweifachen Entstehungsgrund des Gewohnheitsrechts. Neben die rechtliche Überzeugung (opinio necessitatis)- "[d]ie innere Grundlage ( ... )durch welche die Gewohnheit bestimmt wird" - tritt ein "äußerer" Entstehungsgrund, die Übung oder Gewohnheit (Handbuch, Il I, S. 33). An die Stelle dieses empirisch-rationalen wurde bei Puchta und Savigny ein sogenannter "spirtualistischer" Begriff des Gewohnheitsrechts gesetzt, dessen praktische Konsequenzen, der Verlust empirisch-rationaler Kriterien für Überprüfbarkeil und Kontrolle des Begriffs und der damit verbundene Machtzuwachs bei den Gerichten mit dem verfassungsrechtlich abgesicherten Primat des Gesetzgebers in politischen Gestaltungsfragen nicht zu vereinbaren waren (dazu nur J. Rücken, Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Karl von Savigny, Ebelsbach 1984, S. 305 f., m. w. N.). 108 Handbuch, Il 1, S. 44. 109 Handbuch, II 1, S. 44. 110 Demnach war zu folgern, daß kein Instanzgericht "formell", d. h. rechtlich an die Entscheidungen anderer Gerichte, sowohl höherer als auch untergeordneter Instanz, oder aber an die eigene Praxis gebunden sein konnte. Wächter weist auf Inkonsequenzen der gegenteiligen Ansicht hin und verwirft sie mit einem argurnenturn ad absurdum: "Soll z. B. wenn beim Unter- und Obergerichte verschiedene Gerichtsgebräuche über eine Frage bestehen, über einen und denselben Rechtsfall nach verschiedenen Rechtsquellen und Rechtsnormen [H.i.O., C.M.] entschieden werden, der Bürger somit zwei verschiedenen, einander direct widerstreitenden, Rechtsnormen zugleich unterworfen sein?" Oder "[m]uß nicht", fahrt Wächter fort,

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zug und oberstrichterlicher Rechtsprechung ausgehende vereinheitlichende, für den Bürger Vorhersehbarkeit und Kalkulierbarkeit der Urteilspraxis vermittelnde Wirkung, wollte Wächter jedoch nicht missen. Zur Lösung des Zielkonflikts zwischen Flexibilität und Konformität der richterlichen Entscheidung betonte er die "bedeutende Auctorität" von Gerichtsgebrauch und Präjudizien. Er setzte der rechtlichen damit eine faktische, aus sachlichen Erwägungen begründete "Bindung" entgegen. Diese lockere Bindung war überprüf- und korrigierbar, denn letztlich bestand eine unbedingte Verpflichtung des Richters nur darin, "seiner Ueberzeugung ueber den wahren Inhalt des bestehenden Rechts" zu folgen und einer hiermit im Widerspruch stehenden Praxis seine Gefolgschaft zu versagen. lll Der axiomatische Satz für diesen Komplex der Rechtsquellenlehre lautet denn auch: "Der Richter ist Organ des bestehenden Rechts." 112 Wächters Rechtsanwendungsmodell folgte den Vorgaben des geltenden württembergischen Verfassungsrechts. Als Rechtsquelle war der Richter dort nicht vorgesehen. Dies präjudiziert gleichsam die Aussagen zum wissenschaftlichen Juristenrecht, zu den Versuchen, den Resultaten der Wissenschaft "äußere Gültigkeit" beizulegen.113 Eine "productive Jurisprudenz" will Wächter, anders als Puchta und Savigny, auf die er sich in seinen Ausführungen zu "wissenschaftlichen Rechte" wiederum bezieht 114 , nicht gelten lassen. ,,Die Wissenschaft", so steckt er einleitend deren Tätigkeitsfeld ab, "entwickelt den Inhalt der bestehenden Rechtsquellen, legt ihn nach allen seinen Seiten aus, geht auf die Principien des bestehenden Rechts, baut auf ihnen consequent fort, erwei"vielmehr das Obergericht in der Appellationsinstanz nach derselben Rechtsquelle den Fall entscheiden, welche auf ihn in der unteren Instanz anzuwenden ist? und würde hieraus nicht die wunderliche, aber ganz nothwendige, Consequenz sich ergeben, daß das Obergericht an die Praxis des Untergerichts gebunden sey?" (Handbuch, II I, S. 42 N. 6, ausführlich dazu auch Wächters "Beytrag zur Lehre vom Gerichtsgebrauch", in: AcP, Bd. 23, 1840, S. 432446). Insgesamt war diese Frage sowohl nach gemeinem Recht als auch unter den württembergischen Schriftstellern lebhaft umstritten. Vgl. hierzu R. Ogorek, wie Fn 99, S. 178 ff., 181 ff. Ill Handbuch, II 1, S. 43. 112 Dies war aber nur die eine Seite der Formel. Deren doppelte Stoßrichtung wird klar, wenn man die Akzente verschiebt. Legt man die Betonung auf das Wort "bestehend", so ist die Bindung des Richters angesprochen, geht es darum, dem Richterrecht den Riegel vorzuschieben. Die Betonung des Wortes ,,Recht" dagegen stellt klar, daß der Richter Verordnungen der Exekutive nicht unterworfen ist. ll3 Handbuch, li 1, S. 47 f. Zunächst beklagte Wächter - wie viele seiner Zeitgenossenden Mißbrauch, der in früheren Zeiten durch den unreflektierten Rückgriff auf eine "Communis opinio doctorum" getrieben wurde. Auch die neueren Bestrebungen, hierin eine Quelle verbindlichen Rechts zu sehen, lehnte er vehement ab. Maurenbrecher, dem entschiedensten Verfechter dieser Ansicht hält er entgegen, daß "gerade von der communis opinio die Bedeutung und Stellung, die er der Communis opinio gibt, verworfen" wird (Handbuch, li I, S. 47 N. 25). Vgl. auch die für Wächter ungewöhnlich scharfe Kritik an Maurenbrechers Juristenrecht in: Gemeines Recht, S. 206 ff. 114 Handbuch, li I, S. 47 Fn 23.

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tert die Rechtssätze durch analoge Anwendung auf verwandte Fälle und sucht das gegebene Recht mit den Bedürfnissen und Anforderungen der Gegenwart zu vermitteln."m

Diese Vorgehensweise beinhalte aber "kein Schaffen neuen Rechts [H.i.O., C.M.], sondern mehr nur ein Aufdecken dessen, was zum Theile unentwickelter Inhalt des bestehenden und gewordenen Rechts ist." 116 Wachters Formulierungen geben dem Dilemma Ausdruck, in dem er sich befand. Auf der einen Seite galt es, den Aussagen des Rechtsanwendungsmodells gerecht zu werden. Auf der anderen Seite läßt sich das Bemühen feststellen, die Tätigkeit des Juristen (in Praxis und Wissenschaft) vor der Abwertung durch logischmechanische Anwendungskonzepte zu bewahren. Unter diesen Umständen vollzog Wächter den "winzigen Schritt" 117, der noch fehlte, um in der dargestellten Vorgehensweise einen Akt der Rechtsschöpfung zu sehen, bewußt nicht. Denn mit einem solchen Schritt, der offenen Anerkennung von Rechtsfortbildungskompetenzen, hätte er den Boden der Verfassung verlassen. Die Brisanz einer "staatsfreien Rechtserzeugung" durch Juristenrecht lag offen zu Tage. Auch verfassungspolitisch wäre es keinesfalls klug gewesen, dem konstitutionellen Gesetz mit dem wissenschaftlichen Juristenrecht einen dem Einfluß der Stände entzogenen und damit unkontrollierbaren Konkurrenten zur Seite zu stellen. Wie im Falle des Gerichtsgebrauches suchte Wachter nach einer Kompromißformel. Er hob die sachliche Autorität des ,,Juristenrechts", dem mitunter "die Kraft der Wahrheit an sich" zukommen könne, hervor. Statt selbst Quelle zu sein, gehe es in das ,,rechtliche Bewußtseyn und Leben selbst" über, werde auf diese Weise zur Grundlage aller Rechtsbildung und daher zu einer "mittelbaren" Quelle des Rechts. 118 In seiner Methodenlehre zeigte Wachter, daß er keineswegs so naiv war zu glauben, man könne die faktisch existierenden Freiräume für die richterliche Rechtsfortbildung beseitigen oder auch nur nennenswert einengen. In der Rechtsquellenlehre war der Blickwinkel ein anderer. Hier lautete die Frage, welches Ausmaß an richterlicher Freiheit verfassungsrechtlich zu legitimieren war. Der eigentliche Schlüssel zu Wächters Rechtsquellenlehre bilden seine Ansichten zu Begriff und Geltungsgrund des Rechts. 119 Er vertrat der Sache nach eine generelle Anerkennungslehre, nach der Recht der "allgemeine Wille" der Rechtsunterworfenen ist und eine Norm gilt, insofern und weil sie genereller Anerkennung Handbuch, II I, S. 47. Handbuch, II 1, S. 47. 117 R. Ogorek, wie Fn 99, S. 214. 118 Handbuch, II 1, S. 47. Beispiele hierfür aus der Geschichte des württembergischen Rechts werden im ersten Band auf den S. 353 f., 636 und 667 ff. angeführt. Die letztgenannten Fundstellen beschreiben den Einfluß einzelner Rechtslehrer sowie der Consilien der Tübinger Juristenfakultät auf die Rechtsanwendung. 119 Die Grundlagen der Wächtersehen Rechtslehre können hier nur eine Andeutung erfahren. Vgl. dazu die Ausführungen im Handbuch (I I, S. 9 f.; II 1, S. 4 f.), sowie in Gemeines Recht (S. 7) und den Pandekten (hrsg. durch 0. v. Wächter, Allgemeiner Theil, Leipzig 1880, s. 5). IIS

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teilhaftig wurde. ,,In einem menschlichen Vereine", Wächter hatte den konstitutionellen Staat der Gegenwart vor Augen, äußere sich der allgemeine Wille in den verfassungsmäßig hierfür vorgesehenen Formen, d. h. vorrangig durch die Gesetzgebung. Die Jurisprudenz hatte unter diesen Voraussetzungen kein Mandat für die Rechtserzeugung. Zieht man ein Resümee dieser Rechtsquellenlehre und berücksichtigt man dabei die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, so wird das frühkonstitutionelle Ethos eines Bürgertums sichtbar, dessen Selbstbewußtsein gegenüber dem Monarchen sich aus den durch den Verfassungsvertrag garantierten politischen Partizipationsmöglichkeiten speiste. Zwar zählte Wächter politisch zu der von Mohl beschriebenen Gruppierung, die in der damaligen Verfassung das Ende der Entwicklung sah; das Etikett des Konservatismus ist für den Juristen Wächter jedoch wenig aussagekräftig. Der politische Besitzstand der Stände, verkörpert durch die Verfassung, konnte Zeitgenossen keinesfalls als unangefochten gelten; Theorie und Praxis divergierten hier oftmals in hohem Maße. In einem repressiven bundespolitischen Umfeld wuchs in den frühkonstitutionellen Staaten ein Gefühl des Bedrohtseins. Aus diesem Gefühl heraus mußte die "absolute Herrschaft ( ... ) doppelt zeigen, von welch hohem Wertheine constitutionelle Verfassung sey" 120• Wächters Rechtsquellenlehre, sein wissenschaftlich begründeter Partikularismus insgesamt, waren darauf angelegt, diesen Wert zu erhalten und zu steigern. Primär war sein Bemühen auf die Konsolidierung des status quo gerichtet, wozu er, wie die Ausführungen zum richterlichen Prüfungsrecht zeigen, allerdings auch die Grenzen des Systems auszureizen verstand. Das monarchische Prinzip ließ Wächter unangetastet, durch die Verfassung aber war die dynastische Herrschaft entmythologisiert und der König auf bestimmte Funktionen verwiesen, zum Staatskönig mutiert. 121 Der ständige Bezug auf das positive Verfassungsrecht hatte eine wichtige, nicht zu unterschätzende Bedeutung. Die Verfassung als Argument transportierte das Leitbild einer normativen, das Privatrecht und die Gesellschaft privatautonomer Bürger überwölbenden Ordnung.

111. Zeitgenössische Stimmen der Kritik Gleichsam als Epilog einige Worte zur Aufnahme des Handbuches durch die Wissenschaft: Auch hier wird man den Kontext der rechtspolitischen Auseinandersetzungen nicht unberücksichtigt Jassen können. In einem Brief an Wächter aus dem Jahre 1856 schrieb Jhering, voll des Lobes für das Werk: "Windscheid hatte vollkommen Recht, wenn er meinte, die Romanisten halten ihr Buch für ein Handbuch, I 2, S. 696. Wächter nannte ihn den "Gesetzgeber" oder sprach synonym und entpersonalisiert von der "Gesetzgebungsgewalt". Vgl. etwa Handbuch, I 2, S. 1060. 120 121

Handbuch des im Königreich Württemberg geltenden Privatrechts

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deutsch-rechtliches, die Germanisten für ein romanistisches." 122 In einer Zeit der heftigen Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Lagern hatte sich Wächter offensichtlich zwischen alle Stühle gesetzt. Dennoch erfreute sich das Handbuch insbesondere unter den Germanisten besonderer Wertschätzung. Neben die Autoren Gerber und Stobbe treten die Namen von Beseler, Thöl und Falck, um nur einige zu nennen, die das Werk positiv würdigten. 123 Auch in den Kreisen der Bearbeiter der Partikularrechte wurde das Handbuch als beispielhaft empfunden. Böhlau bezeichnete die Wächtersehe Methode noch 1871 in der Vorrede zu seinem ,,Mecklenburgischen Landrecht" als ,.unerreichtes Muster". 124 Das Echo von seiten der Romanisten fiel dagegen quantitativ geringer aus. Dies lag vor allem daran, daß seit Savignys Ausführungen im ,.Beruf' die Romanisten den gemeinrechtlichen Alleinvertretungsanspruch für sich reklamierten und die Partikularrechte als Terrain der Germanisten ansahen. Windscheid erklärte denn auch seine eigene späte Kenntnisnahme des Handbuchs damit, daß der Titel ihn "irre" geführt habe: sich auch noch um württembergisches Recht zu kümmern, dafür habe man ,.als übermäßig in Anspruch genommener Theoretiker" schlichtweg ,,keine Zeit" gehabt, obwohl das Buch auch für die gemeinrechtliche Wissenschaft einen ,.Schatz" berge. 125 Dies meinte auch Jhering, der in dem schon erwähnten Brief mit Blick auf die mangelnde Rezeption seitens der Romanisten weiter ausführte: .Jch werde fortan das Meinige dazu thun, um meinen Kollegen in Justinian den Staar zu stechen".126 Wächters Erkenntnis über den selbstverleugnenden Charakter seiner Arbeit spannt den Bogen und soll das anfangs wiedergegebene Zitat in Erinnerung rufen. Es stammt aus dem Jahre 1862, findet sich in Wächters Artikel über die ,.Gesetzgebung" in Rottecks und Welckers Staatslexikon 127 und war veranlaßt durch eine "scharfsinnige" Stellungnahme Paul Roths, der sich 1860 gegen eine gesamtdeutsche Kodifikation und für eine Beschränkung auf die wissenschaftliche Bearbeitung der Landesrechte ausgeprochen hatte. 128 Diese Beschränkung und die damit 122 Abgedruckt bei Oskar von Wächter, Carl Georg von Wächter, S. 148. 123 Grundlage dieser Aussage sind Wächters eigene Schilderungen von der Versammlung

der Germanisten 1847 in Lübeck (abgedruckt bei Oskar von Wächter, wie Fn 122, S. 63 f.). 124 Böhlau, Mecklenburgisches Landrecht, Erster Band, Weimar 1871, Vorrede S. VII. 12s Windscheid, wie Fn 25, S. 33 f.; daß die beschränkte Resonanz des Werkes außerhalb der Landesgrenzen auf dem methodischen Ansatz der Verschmelzung zurückzuführen gewesen sei, heben die Verfasser der Nachrufe auf Wächter sämtlich hervor. Vgl. E. Hoelder (C. G. von Waechter, Leipzig 1897, S. 16) und H. Meyer, der in seiner Gedächtnisrede (Karl Georg von Waechter, Leipzig 1898, S. 40) von "Tragik" spricht, sowie H. Seeger (Karl Georg von Wächter, in: Unsere Zeit. Deutsche Revue der Gegenwart, Jahrg. 1880, 2. Band, S. 729) und G. Mandry (Carl Georg von Wächter, in: Besondere Beilage des Staatsanzeigers für Württemberg, No. 3, Stuttgart 18. Februar 1880, S. 39). 126 Abgedruckt bei Oskar von Wächter, wie Fn 122, S. 148. 127 Artikel Gesetzgebung, wie Fn 14, S. 497, 504. 12s Ueber Codifikation des Privatrechts in: Archiv für praktische Rechtswissenschaft, Achter Band (1860), S. 303-347. In einer nüchternen Analyse der "Gründe, welche man für die 9 Kern

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verbundene "Selbstverleugnung" wollte Wächter im Jahre 1862 anders als noch 1842 nicht mehr tragbar und realistisch erscheinen. In der Tat hatten sich seit seinem Vorgang die Rahmenbedingungen für eine gesamtdeutsche Kodifikation gravierend geändert. Von den Tagungen der Germanisten 1846 und 1847 in Frankfurt und Lübeck, über die ,,Allgemeine Deutsche Wechselordnung" aus dem Jahre 1848 bis zum ersten deutschen Juristentag im August 1860 gibt Wächter selbst eine Chronologie der Ereignisse, die eine gesamtdeutsche Kodifikation in den Bereich des Möglichen gerückt hatten. Auf dem Weg zu nationaler Rechtseinheit drohte ein bornierter Partikularismus nun zu einem Hindernis zu werden.

Nothwendigkeit und Nützlichkeit einer gemeinsamen Codification des Privatrechts anführt" (S. 305), setzt sich Roth auch mit der von Wächter zu Bedenken gegebenen "Gefahr völliger Zerspaltung" des Rechts durch den Partikularismus in Gesetzgebung und Wissenschaft auseinander (S. 334). Dieser hatte -wie erwähnt - in seiner Schrift über das "Gemeine Recht Deutschlands" den Partikularismus wissenschaftlich aus der Nichtexistenz eines geltenden gemeinen Rechts begründet und hatte aus dieser Grundhaltung heraus "die Aufgabe der Wissenschaft" in einer durchdringenden Bearbeitung der Parikularrechte gesehen. Insofern kann man von einer Deckungsgleichheit der Positionen sprechen. Wächter hatte die nationale Rechtseinheit aber nie aus den Augen verloren, in ihr vielmehr das Endziel der partikularen Bestrebungen gesehen, während Roth "Vortheil" (S. 338) und "absoluten Werth" (S. 341) derselben bestritt. Wie wenig die Positionen von Gegner und Befürworter der Kodifikation in diesem Fall aber auseinanderlagen, belegen die Ausführungen Wächters, der sich gegen eine absolute Nivellierung des Rechtes durch die gemeinsame Gesetzgebung aussprach und dem "berechtigten Particularismus sein Recht erhalten" will (Artikel Gesetzgebung, wie Fn 14, s. 507 f.).

"Die Grundprincipien des Strafrechts"Carl Georg von Wächter und die Straftheorie 1 Von Lars Jungemann

I. Die Straftheorie Carl Georg von Wächters ,.Die wichtigste Frage für das Strafrecht", so fonnuliert Carl Georg von Wachter in seinem Lehrbuch des Römisch-Teutschen Strafrechts aus dem Jahre 1825, .. ist die über die Begründung des Rechts zur Bestrafung, also über den rechtlichen Grund und Zweck der Strafe." In der fundierten und philosophisch-kritischen Begründung einer Straftheorie liegt für Wachter sowohl das unverzichtbare Fundament jeder strafrechtlichen Argumentation als auch das über den positiven Rechtsregeln stehende Instrument zur Ennittlung der Strafgerechtigkeit 2 Ausgehend von diesen Prämissen entwickelt Wachter eine durchaus eigenständige Straftheorie, die er in Herleitung und Begründung im Gegensatz zu seinen sonst äußerst knappen Ausführungen zu theoretischen Grundlagen strafrechtlicher Dogmatik ausführlich und umfangreich gestaltet. 3

1. Hinweise auf das Staatsverständnis Wächters als Fundament Beginnend mit der Rechtfertigung staatlicher Strafe legt Wachter an abgelegener Stelle den Ausgangspunkt seiner Straftheorie dar: das Staatsverständnis, jedoch nur in äußerst knappen Anmerkungen, die einen erhöhten Interpretationsbedarf verlangen: ,.Das Recht gründet sich in seiner Verwirklichung und in seinen objectiven Gültigkeilen auf freie Anerkennung und Einigung derer, unter welchen es herrschen soll. Der Friede ist die Folge, seine Erhaltung der nächste Zweck dieser I Grundlegend dazu die iur. Dissertation des Verfassers, Carl Georg von Wächter ( 1797 1880) und das Strafrecht des 19. Jahrhunderts. Strafrechtliche Lehre und Wirkungsgeschichte, Duncker & Humblot, Berlin 1999, Schriften zur Rechtsgeschicht, Heft 79. 2 C. G. v. Wächter. Lehrbuch des Römisch-Teutschen Strafrechts, Theil I, Stuttgart 1825, S. 40 f. 3 C. G. v. Wächter, Deutsches Strafrecht, Vorlesungen von Carl Georg v. Wächter, hrsg. v. Oskar v. Wächter, Leipzig 1881, S. 20- 26; Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, Stuttgart 1877, Bd. I, S. 46 - 56; Das Königlich Sächsische und das Thüringische Strafrecht, Bd. I, Stuttgart 1857, S. 66-69, 84-85.

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rechtlichten Vereinigungen. Er ist das harmonische, jede gegenseitige Störung ausschließende Bestehen und Wirken verschiedener Kräfte und somit, angewendet auf rechtliche Verhältnisse, das ungetrübte Bestehen der Herrschaft des Rechts, der Zustand, in welchem der Freiheitsgebrauch eines jeden sich innerhalb des Rechtsgebietes hält. "4 Wächter erklärt danach den staatlichen Zusammenschluß einer Rechtsgemeinschaft erst durch gegenseitige Willensübereinstimmung für existent, wodurch die Regeln der Rechtsordnung als Instrument des Rechtsfriedens für jedes Individuum verbindlich festgelegt werden. Wachter setzt dabei die Legitimität rechtlicher Regelungen innerhalb der Rechtsgemeinschaft zwingend voraus. Erst durch diese könne eine freiheitliche Verwirklichung der individuellen Persönlichkeit garantiert werden. 5 Jedes Mitglied der Rechtsgemeinschaft erkenne diese Garantie durch die .,freie" Willensübereinstimmung an. Folgerichtig müsse es auch für den Erhalt individueller Freiheit einstehen. Damit begründet Wachter letztlich die Pflicht jedes einzelnen Mitglieds der Rechtsgemeinschaft, sich dem Sanktionsmittel zur Aufrechterhaltung der harmonischen, die individuelle Rechtssphäre achtenden Ordnung zu unterwerfen . .. Es kann daher eine Norm, welcher objective Geltung zukommen soll, nur durch den Willen derjenigen, deren Leben sie beherrschen soll, oder durch ihre verfassungsmäßig dazu berufenen Organe bestimmt und dadurch zu wirklich geltendem, durch den allgemeinen Willen gesetztem Rechte werden. "6 Unklar bleibt jedoch, welche qualitativen Anforderungen Wachter an diese staatsbürgerliche Willensübereinstimmung im Einzelnen stellt. a) Johann Gottlieb Fichte ( 1762- 1814) Obwohl Wachter von .. Anerkennung und Einigung" spricht, isttrotzder Kürze der Ausführungen über das Staatsverständnis eine Anlehnung an die wegen ihrer extremen Pointierung interessanten naturrechtliehen Staatsvertragstheorie Johann Gottlieb Fichtes nicht nachzuweisen. Nach Fichte dient dieser Staatsvertrag, der zwischen den einzelnen Bürgern einerseits und dem staatlichen Verband andererseits durch formale willentliche Übereinstimmung7 in Form eines Sozialkontrakts geschlossen werde, der freiheitlichen 4 C. G. v. Wächter, Faustrecht, Fehde, Friede (Königsfriede, Burgfriede, Hausfriede, Gottesfriede, Landfriede, Religionsfriede), Friedensbruch (Landfriedensbruch, u.s.w.), in: Das Staats-Lexikon, hrsg. v. K. v. Rotteck u. K. Welcker, 3. Auflage 1861, Bd. V, S. 297. s Vgl. E. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Göttingen, 3. Auflage 1965, S. 284. 6 C. G. v. Wächter, Gesetzgebung (Deutsche), Gesetzbücher, in: Das Staats-Lexikon, hrsg. von K. v. Rotteck u. K. Welcker, Bd. VI, 3. Auflage 1862, S. 482. 7 J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts, Jena-Leipzig 1796 (Neudruck 1922), S. 199 ff. ; R. Zaczyk, Das Strafrecht in der Rechtslehre J. G. Fichtes, in: Schriftenreihe zur Rechtstheorie, Heft 96, Berlin 1981, S. 77.

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Entwicklung der individuellen Persönlichkeit8 durch die dauerhafte Verhinderung des Krieges aller gegen alle9 . Dieser Vertrag garantiere sich selbst, indem er die Person, die gegen ihn verstoße, ausschließt, sie für vogelfrei erklärt 10, andererseits aber den pflichttreuen Bürger vollständig einbindet. 11 Die Kritik Wachters an dieser naturrechtliehen Vertragslehre setzt im Schwerpunkt an der Fiktion des sogenannten "Abbüssungsvertrags" an, in dem sich alle Bürger im vorhinein stillschweigend versprechen, wegen begangener Rechtsverletzungen nicht vom staatlichen Verband ausgeschlossen zu werden, sondern anderweitig Strafe verbüßen zu dürfen 12. Es sei nicht einzusehen, so Wachter, warum der Rechtlose durch einen Vertrag mit dem Staat Rechte erwerben und behalten könne, obwohl doch der Staat gerade an einem Verbrecher, der die geltende Ordnung mißachte, kein ernsthaftes Interesse haben könne. Außerdem sei die Annahme, ein jedes, noch so geringes Unrecht müsse den Verlust der Bürger- oder sogar der Menschenrechte nach sich ziehen, so daß der Tater "zum rechtlosen Thiere herabsinkt", unannehmbar, weil menschenverachtend. 13 Wachter wendet sich schließlich auch gegen die Existenz eines stillschweigend formal geschlossenen Staatsbürgervertrags als freiwillige Unterwerfung unter die staatliche Sanktionsgewalt. Denn, so Wachter, " ... die Bürger unterwerfen sich manchen Anordnungen der Staatsgewalt, ohne dass daraus ihre wirkliche Zustimmung zu denselben gefolgert werden könnte. " 14 Die Annahme einer stillschweigend geschlossenen, für alle Bürger verbindlichen vertraglichen Einigung sei reine Fiktion. Die eingangs zitierten Ausführungen Wachters zum Staatsverständnis könnten damit die einheitliche Ausrichtung der widerstreitenden individuellen Interessen innerhalb einer bürgerlichen Rechtsgemeinschaft auf einen einheitlichen, die Willkür einschränkenden und die individuelle Freiheit garantierenden Willen bedeuten. Allein insofern ist eine "freie Anerkennung und Einigung", also eine selbstbestimmte Unterwerfung unter das Rechtssystem, zur objektiven Gültigkeit der Rechtsordnung erforderlich und möglich. Ohne diesen Grundkonsens der Subjekte würde der staatliche Verband nicht in die Lage versetzt, seine Aufgaben zu erfüllen: Er könne in diesem Fall nicht "das ungetrübte Bestehen der Herrschaft des Rechts, der Zustand, in welchem der Freiheitsgebrauch eines jeden sich innerhalb des Rechtsgebietes hält, ... gewährleisten". Damit fordert Wachter als Grundvors J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts, S. 210 f. J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts, S. 197. 1o J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts, S. 264. 11 J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts, S. 211. 12 J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts, S. 265. 13 C. G. v. Wächter. Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, S. 25. 14 C. G. v. Wächter. Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, S. 21; vgl. auch Deutsches Strafrecht, S. 13. 9

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aussetzung eines funktionierenden staatlichen Verbandes die "freie ... Anerkennung"15 der Existenz gemeinsamer Grundwerte der Staatsbürger, ohne dafür eine formale vertragliche Konstruktion zwingend vorauszusetzen. 16 Dem geltenden positiven Recht, das auf der freien und selbstbestimmten Unterwerfung jedes einzelnen Rechtssubjekts beruht, kommt damit eine umfassende freiheitsverbürgende Garantie zu: Zunächst regelt es Umfang und Grenzen individueller Freiheitsverwirklichung, andererseits jedoch beruht diese Einschränkung auf einem gesamtgesellschaftlichen Wertekonsens privatautonomer Rechtssubjekte. 17 Damit erlangt das Recht erst durch die Errichtung und Aufrechterhaltung des staatlichen Verbandes seine volle Wirksamkeit. Insoweit liege dann auch im Schutz und Erhalt der Rechtsordnung die wesentliche Aufgabe des Staates. " Wer daher die Rechtsordnung zu handhaben hat, ist verbunden und eben damit auch berechtigt, das Unrecht durch die dazu nothwendigen Minel zu bekämpfen, zu beschränken und möglichst wieder aufzuheben, soweit ... das öffentliche Wohl, die Erhaltung der Rechtsordnung, es erheischt. " 18 Allein aus diesem Interesse der Gemeinschaft am Erhalt einer funktionierenden Rechtsordnung und der Partizipation am gesamtgesellschaftlichen Wertekonsens sei der Übertreter verpflichtet, sich den erforderlichen staatlichen Sanktionsmaßnahmen zu unterwerfen und damit die uneinschränkbare Geltung der gemeinsamen Grundwerte der Rechtsgemeinschaft anzuerkennen. 19 1s Der Schwerpunkt der Formulierung muß damit auf "Anerkennung", nicht auf "Einigung" liegen. 16 V gl. dazu Wächters Ausführungen zur konstitutionellen Monarchie als Staatsform, in: Verhandlungen der Württembergischen Kammer der Abgeordneten auf dem Landtage von 1848/49, 1849, Bd. I, S. 149 f. Nach Wächter ist damit der "freie Vertrag" zwischen den Subjekten der Gesellschaft stets das entscheidende Moment für die Gründung und die fortdauernde Existenz eines Staates, unabhängig von der jeweilig konkreten Staatsform. 17 C. G. v. Wächter, Handbuch des Privatrechts, Bd. I, I. Abtlg., Stuttgart 1839, S. lO f.: "Es kann daher in einem Vereine -und somit in einem Staate -eine Norm nur dadurch äußerlich gültig werden und alle Vereinsgenossen binden, daß sie von den Vereinsmitgliedern als objectiv gültig anerkannt wird, sey es unmittelbar - ausdrücklich oder stillschweigend durch Rechtsgewohnheiten - oder mittelbar, indem sie von dem verfassungsmäßig hierzu befugten und bestimmten Organe, entweder dem Gesetzgeber unter den verfassungsmäßigen Formen, oderden Gerichten durch deren legale Gewohnheitenfestgesetzt wird. Dadurch entsteht in einem Staate das positive, d. h. das durch den Staat gesetzte und in demselben wirklich geltende Recht." Vgl. auch: Gesetzgebung (Deutsche), Gesetzbücher, in: Das Staatslexikon, hrsg. von K. v. Rotteck u. K. Welcker, Bd. VI, 3. Auflage 1862, S. 482. So auch C. Ahcin, Zur Entstehung des bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen von 1863/65, in: IUS COMMUNE, Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 85, Frankfurt a.M. 1996, S. 192. 18 C. G. v. Wächter, Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, S. 47. 19 C. G. v. Wächter, Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, S. 47; Rezension: Droste-Hülshoff, Clemens August von, Einleitung in das gemeine deutsche Kriminalrecht zum Gebrauch für akademische Vorlesungen, Bonn 1826, in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft, Bd. I, Heft 2, 1826, S. 42; vgl. auch hier die Ausführungen eines unbenannten Rezensenten in: Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung, hrsg. v.

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Insofern steht Wächter der Forderung Feuerbachs .. nulla poena sine lege" naturgemäß skeptisch gegenüber. 20 Wächter sieht die Berechtigung zur Strafe allein in der Rechtsidee des staatlichen Verbandes begründet. Als Hüter der persönlichen Freiheit sei die Rechtsgemeinschaft schon aus eigener Autorität heraus berechtigt, Strafen anzudrohen und zu vollziehen und die hervorgerufene Rechtsverletzung wieder aufzuheben. 21

b) lmmanuel Kant (1724 - 1804) Wächter folgt damit in Grundzügen dem Staatsverständnis und der Rechtfertigung staatlicher Strafe Kants, bei dem die bewußte und willentliche Übereinstimmung in Rechtsprinzipien durch die Mitglieder der bürgerlichen Gemeinschaft die entscheidende Voraussetzung für die Gewähr der individuellen Freiheit darstellt. Der Staat ist nach Kant Ausdruck der organisierten Selbstbindung vieler durch vertragliche Bindung ohne formalen Akt. 22 Er ist die notwendige, aus dem unsicheren Naturzustand herausführende .. Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen " 23 , bedingt durch das gemeinsame verbindliche Streben aller, im rechtlichen Zustand zu leben, in dem nach dem Prinzip der Gleichheit jeder einzelne sein Recht, insbesondere das ureigenste menschliche Recht, die Freiheit, verwirklichen kann.Z4 Die einander widersprechenden Interessen der Menschen werden unter einem in der Staatsverfassung festgelegten Willen geeint und damit garantiert.Z5 Diese Garantie des Gesetzes in autonomer Selbstbindung bedeute letztlich freiheitliche Verwirklichung des Individuums. 26 Stabilisierender Faktor ist dann die für die Einhaltung des Rechtsprinzips eintretende machthabende Staatsgewalt. 27 In Anlehnung an Kant betrachtet Wächter damit den Staat als Instrument

F. Ph. F. v. Kübel u. E. 0 . C. v. Sarwey, Bd. XVIII, 1871, S. 431; H. Müller, Der Begriff der Generalprävention im 19. Jahrhundert, in: Frankfurter kriminalwissenschaftliche Studien 9, Frankfurt a.M. 1984, S. 305. 20 ,.Nimmt man den Satz nulla poena sine lege in dem Feuerbach'schen Sinne: so ist er falsch ... ", C. G. v. Wächter, Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, S. 52. 21 C. G. v. lWichter, Deutsches Strafrecht, S. 23 f. 22 /. Kant, Metaphysik der Sitten, hrsg. v. K. Vorländer, unveränderter Abdruck der 4. Auflage 1922, S. 163; H. Müller, Der Begriff der Generalprävention im 19. Jahrhundert, S. 53. 23 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 135. 24 /. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 43, 133, 143; vgl. W. Naucke, Kant und die psychologische Zwangstheorie Feuerbachs, in: Kieler Rechtswissenschaftliche Abhandlungen Nr. 3, Harnburg 1962, S. 28. 25 W. Naucke, Kant und die psychologische Zwangstheorie Feuerbachs, S. 28. 26 W. Naucke, Über den Einfluß Kants auf Theorie und Praxis des Strafrechts im 19. Jahrhundert, in: Philosophie und Rechtswissenschaft, hrsg. v. J. Blühdorn u. J. Ritter, Frankfurt a.M. 1969, S. 31; C. L v. Bar, Geschichte des deutschen Strafrechts und der Strafrechtstheorien, Bd. I, Berlin 1882, S. 242. 27 /. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 135.

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und Garant der freiheitlichen Entwicklung des Individuums und seiner natürlichen Rechte. 28

2. Der Zweck staatlicher Strafe Ausgehend von der Darstellung der Rechtfertigung staatlicher Strafe und seines Staatsverständnisses entwickelt Wachter eine Strafzwecktheorie, der er ein umfangreiches theoretisches Fundament legt.

,.Der Zweck der Strafe besteht in der Eifüllung des Vernunftgebotes der Reaction gegen das Verbrechen durch Wiederaufhebung oder Bekämpfung des widerrechtlichen Willens des Verbrechers und durch eine der Schuld entsprechende Genugthuung für das verletzte Recht. " 29 In dieser kurzen Umschreibung begründet Wachter die zwei Grundpfeiler seiner Zwecklehre, die subjektive und die objektive Prämisse. a) Die ,.subjektive" Verletzung der Rechtsordnung erfolge, so Wächter, durch die Manifestation30 eines widerrechtlichen Willens des Subjekts. So könne ein Unrecht nur dann persönlich vorwerfbar, also schuldhaft begangen sein, wenn es auf die willentliche Verursachung des Taters zurückführbar ist. Dazu müsse die äußere, objektive Tat bewußt und willkürlich gesteuert worden sein, so daß sich der Tater der Widersprüchlichkeil seines Verhaltens mit den Normen des ,.allgemeinen Willens", also der Rechtsordnung, durchaus bewußt gewesen war (die Vorsatztat) oder dies hätte erkennen können (die Fahrlässigkeitstat)? 1 Für Wachter ist der Ausgangs- und Angelpunkt menschlichen Verhaltens stets der Wille32, was gerade

28 H. Dannenberg, Liberalismus und Strafrecht im 19. Jahrhundert, in: Abhandlungen des kriminalistischen Instituts an der Universität Berlin, Berlin-Leipzig 1925, S. 8. 29 C. G. v. Wächter, Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, S. 52. An dieser Stelle klingt bei Wachter eine naturrechtliche Denkweise an, obwohl er ausgesprochener Gegner einer Denkschule war, die allein der menschlichen Vernunft rechtssetzende Legitimation zuspricht. Eine Erklärung könnte der Umstand bieten, daß auch noch parallel zur Vorherrschaft der historischen Schule naturrechtliche Theorien Verbreitung fanden, so daß auch Wachter davon nicht unberührt bleiben konnte. So im 1840 (!) erschienenen Lehrbuch des badischen Liberalen Karl von Rotteck, Lehrbuch des Vernunftrechts und der Staatswissenschaften, Bd. I, Stuttgan, 2. Auflage 1840. Vgl. dazu: W. Pöggeler, Vom Naturrecht zum Positivismus, JA 1997, S. 339, 341. 30 .. . • • das Innere, soweit es blos ein Inneres bleibt, ist der Herrschaft des Rechts entzogen.", C. G. v. Wächter, Deutsches Strafrecht, S. 48. JI C. G. v. Wächter, Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, S. 48 f. 32 C. G. v. Wächter, Die Deutsche Strafrechtswissenschaft des XIX. Jahrhunderts und ihre Aufgaben, in: Jahrbücher der Deutschen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung, hrsg. v. Th. Schletter, Bd. I, 1855, S. 109 f.; Handbuch des im Königreiche Württemberg geltenden Privatrechts, Bd. li, Stuttgan 1842, S. 4; Strafgesetzgebungen (neuere), in: Das Staats-Lexikon, hrsg. v. K. v. Rotteck u. K. Welcker, 2. Auflage 1848, Bd. XII, S. 468.

Carl Georg von Wächter und die Straftheorie

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auch in seiner Handlungslehre33 deutlich in Erscheinung tritt. Daher müsse sich eine Rechtsordnung, die sich an die Menschen als "freie Sinnenwesen" richte, stets auf deren Steuerung richten mit dem Ziel, die Übereinstimmung des individuellen Willens mit dem in der Rechtsordnung ausgesprochenen allgemeinen Willen zu fordern. 34 Dies könne nur durch die strafgesetzliche Androhung eines zukünftigen Übels oder der Entziehung individueller Rechte erreicht werden, so daß der Willensträger zu der Überzeugung gelangen müsse, "daß er im Widerspruch mit dem Gesetze keine Befriedigung erlangt und nur Unlust, Leiden und Beschränkungen sich bereitet. " 35 Mit dieser Zwangsausübung auf das einzelne Subjekt müsse vornehmlich die Realisierung dieses widerrechtlichen Willens vermieden und die Übereinstimmung des Verhaltens des einzelnen mit dem normierten Willen der Allgemeinheit erzwungen werden. Insofern kommt dem subjektiven Element der Straftheorie Wächters eine abschreckende, präventive Funktion zu. 36 Er verfolgt dabei sowohl einen general-, als auch einen spezialpräventiven Ansatz. Zum einen soll die Strafandrohung die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft allgemein von der Begehung unrechtmäßiger Handlungen abhalten; ebenso aber auch den überführten Täter von einer Wiederholungstat.37 Der Staat hat nach Wächter aber nicht das Recht, " bei Gelegenheit des Verbrechens den Menschen überhaupt und seine Gesinnung und Moralität zu richten und ihn wie ein der Erziehungszucht unterworfenes Kind zu behandeln. " 38 In moralischer Hinsicht ist jeder staatliche Besserungsversuch unzulässig.39 Damit fehlt dann auch in dieser Hinsicht jeder Gedanke an einen bessernden Zweck der Strafe.40 Durch den Ausschluß aller moralischer Momente aus der Zwecksetzung favorisiert Wächter damit ein Tatstrafrecht, kein Täterstrafrecht.41 33 Vgl. dazu die iur. Dissertation des Verfassers, Carl Georg von Wächter (1797- 1880) und das Strafrecht des 19. Jahrhunderts. Strafrechtliche Lehre und Wirkungsgeschichte, Schriften zur Rechtsgeschichte, Heft 79, S. 127 ff., Duncker & Humblot, Berlin 1999. 34 C. G. v. Wächter, Lehrbuch des Römisch-Teutschen Strafrechts, Theil 1, 1825, S. 52; Deutsches Strafrecht, S. 21 ; vgl. auch E. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Auflage 1965, S. 285. 3s C. G. v. Wächter, Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, S. 49. 36 C. G. v. Wächter, Rezension: Droste-Hülshoff, Clemens August von, Einleitung in das gemeine deutsche Kriminalrecht, in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft, Bd. I, Heft 2, 1826, S. 42; vgl. dazu: H. Müller, Der Begriff der Generalprävention im 19. Jahrhundert, in: Fankfurter kriminalwissenschaftliche Studien 9, 1984, S. 305. 37 C. G. v. Wächter, Rezension: Droste-Hülshoff, C1emens August von, in: Kritische Zeitschrift flir Rechtswissenschaft, Bd. I, Heft 2, 1826, S. 43. 38 C. G. v. Wächter, Deutsches Strafrecht, S. 15; Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, S. 55. 39 C. G. v. Wächter, Deutsches Strafrecht, S. 3; H. Dannenberg, Liberalismus und Strafrecht, S. 24. 40 E. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Auflage 1965, S. 284 f.

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b) Den entscheidenden Schwerpunkt seiner Straftheorie legt Wächter hingegen auf den zweiten Pfeiler seiner Zwecklehre: Durch die Bekämpfung allein des widerrechtlichen Willens mit Hilfe der staatlich autorisierten Strafnorm, "würde das Unrecht ... nur in einer, in der subjectiven Richtung aufgehoben. Es besteht aber das Unrecht noch in einer zweiten, objectiven Richtung, in der angegriffenen Herrschaft und Unverbrüchlichkeil des Rechts überhaupt, und ... in der angegriffenen Unverletzlichkeit der Rechte des verletzten Individuums. "42

Durch die Übertretung der durch die Rechtsgemeinschaft normierten Regeln entstehe zunächst ein immaterieller, moralischer Schaden: Die allgemeine Achtung der staatlichen Rechtsordnung, für Wächter Garant individueller Freiheit, werde durch die Nichtahndung der Regelübertretung auf das Empfindlichste in Frage gestellt. 43 Nur die Demonstration der "Unverletzlichkeit und Heiligkeit" des gemeinschaftlichen Wertekonsenses könne der Rechtsordnung den Status der Unabdingbarkeil verleihen. "Wenn hier nicht das Gesetz durch eine empfindliche Reaction seine Unverletzlichkeit manifestieren würde: so würde es sich selbst widersprechell, sein Ansehen und seine Unverletzlichkeit vernichten und unfähig sein, auf den Willen der Bürger einzuwirken. "44 Unsicherheit und Willkür wären die Folge. Durch die begangene Rechtsverletzung wären das Opfer und die Allgemeinheit in ihrem Vertrauen auf die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung enttäuscht. Sie sähen die Grundlage und Voraussetzung ihrer persönlichen Freiheit in Gefahr. Zum anderen wären aber gerade die Mitglieder des Staates verleitet, der Verbindlichkeit der Rechtsordnung weniger Beachtung zu schenken und selbst Rechtsverletzungen vorzunehmen. Falls keine staatlich initiierte Sühne erfolge, wäre, so Wächter, "das vor ihren Augen geschehene Verbrechen der Natur der Sache nach eine Anreizung zu ähnlichen Gewaltthaten ... ". 45 Somit liegt der objektive Zweck der Strafe vornehmlich in der Wiederherstellung der durch das Verbrechen aufgehobenen Sicherheit im Interesse des Rechts des Verletzten und der Rechtsordnung. In der Aufhebung und Tilgung des bereits begangenen Unrechts, dem Widerspruch mit dem "Rechtsgesetz", also dem moralischen Schaden, liege der eigentliche Zweck der Strafe.46 Strafe ist damit Vergel41 Zur Begrifflichkeil vgl.: R.-U. Kunze, Paul Johann Anselm von Feuerbach und das Strafrechtsverständnis in der DDR, ZNR 1997, S. 82, 87 f. ; C. Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Auflage 1997, § 6. 42 C. G. v. Wächter, Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, S. 50; Deutsches Strafrecht, S. 21; Strafgesetzgebungen (neuere), in: Das Staats-Lexikon, hrsg. v. K. v. Rotleck u. K. Welcker, 2. Auflage 1848, Bd. XII, S. 468. 43 H. Meyer, Karl Georg von Waechter, Leipzig 1898, S. 8, 30. 44 C. G. v. Wächter, Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, S. 50 f. 45 C. G. v. Wächter, Rezension: Droste-Hülshoff, Clemens August von, in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft, Bd. I, Heft 2, 1826, S. 41. 46 C. G. v. Wächter, Deutsches Strafrecht, S. 21 f.; Die Deutsche Strafrechtswissenschaft des XIX. Jahrhunderts und ihre Aufgaben, in: Jahrbücher der Deutschen Rechtswissenschaft

Carl Georg von Wächter und die Straftheorie

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tung47 ; sie wird verhängt "quia peccatum est"48 • Unrecht als Negation des Rechts als Ausdruck menschlicher Vernunft habe zwar eine "factische äußere Existenz", eine Geltungsberechtigung komme ihm jedoch nicht zu.49 Insofern klingt die Vergeltungslehre Georg Wilhelm Regels an, wenn dieser das Unrecht als willkürliche Negation des Rechts, die Strafe als Negation dieser Negation betrachtet, um insofern den positiven Rechtszustand wieder herzustellen. Das Aufheben des Verbrechens ist für Regel reine Wiedervergeltung.50 Dem Unrecht kommt lediglich eine .. positive äußerliche Existenz" zu, letztlich sei es aber unwirklich. Denn das Unrecht vennag, so Regel, das Recht in seinem Wesen nicht aufzuheben. Dieses sei letztlich als absolutes unaufhebbar. 51 Dieser strengen Vergeltungstheorie eines Regel oder Kant will Wachter jedoch nicht folgen. Sie forderten die Aufhebung der Negation des Rechts allein wegen der Verletzung desselben, ohne sonstige Strafzwecke zuzulassen. 52 Der Verbrecher werde allein deshalb bestraft, weil er verbrochen habe.53 Das Strafmaß ergibt sich nach Kant, da es nicht nach Strafzwecken bestimmt werden darf, allein aus dem Wiedervergeltungsprinzip. 54 Die Strafe orientiert sich in ihrer Quantität und Qualität zwingend an der begangenen äußeren Rechtsverletzung. 55 An diesem Punkt setzt die Kritik Wachters an der reinen Vergeltungstheorie Kants an: "Auch ist die äußere Verletzung, die der Thäter zufügt, kein Moment, nach dem sich das Maß einer gerechten Vergeltung der Schuld unbedingt bestimmen könnte; denn die Schuld hängt wesentlich vom Willen ab und ist oft bei ganz gleichen äußeren Verletzungen höchst verschieden ... ".56 Eine Bestrafung allein als Reaktion auf begangenes äußeres Unrecht führe zu Ungerechtigkeiten, weil sie das Maß der persönlichen Verantwortlichkeit nicht ausreichend berücksichtige. Er fordert damit eine staatliche Strafe, deren Maß sich allein nach dem Umfang perund Gesetzgebung, hrsg. v. Th. Schletter, Bd. I, 1855, S. llO; Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, S. 50. 47 H. Müller. Der Begriff der Generalprävention im 19. Jahrhundert, S. 305. 48 H. Dannenberg, Liberalismus und Strafrecht, S. 23. 49 C. G. v. Wächter. Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, S. 47. so H. Müller. Der Begriff der Generalprävention im 19. Jahrhundert, S. 145. SI G. W. F. Heget, Grundlinien der Philosophie des Rechts, hrsg. v. G. Lasson, Leipzig 191l, Zusatz zu§ 97; vgl. auch 0. K. Flechtheim, Hege1s Strafrechtstheorie, in: Schriften zur Rechtstheorie 42, Berlin 2, Auflage 1975, S. 91 ff. 52 /. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 158 ff.; vgl. ausfUhrlieh zu Hegels Straftheorie: D. Klesczewski, Die Rolle der Strafe in Hegels Theorie der bürgerlichen Gesellschaft, in: Hamburger Rechtsstudien 81, Berlin 1991, S. 232 ff. I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 158 f. I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 159; vgl. auch: R. v. Hippe{, Lehrbuch des Strafrechts, Bd. I, 1932, S. 39. ss H. Müller. Der Begriff der Generalprävention im 19. Jahrhundert, S. 56. S6 C. G. v. Wächter. Deutsches Strafrecht, S. 16. S3

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sönlich vorwertbarer Schuld des Täters richtet. 57 Dazu diene der subjektive Wille als individuelles Merkmal zur Qualifikation jedes einzelnen Täterverhaltens. Er bestimme in seinen einmaligen Eigenarten die konkrete persönliche Schuld.58 In der Strafzwecklehre Wachters kommt damit dem "widerrechtlichen Willen" als entscheidendes Moment des Verbrechens eine Schlüsselposition in der Ermittlung der Strafgerechtigkeit zu. 59 "So ist ... der widerrechtliche Wille ... Bedingung jeder Strafe. Sein Dasein genügt aber auch zur Begründung der Strafe, so bald er durch eine auf Realisierung des widerrechtlichen Entschlusses gerichtete Handlung als realer Wille sich manifestien hat und dadurch in die Objektivität, in das Rechtsgebiet getreten ist. "60 Neben der Wiedervergeltung begangenen Unrechts muß nach Wächter der individuelle Wille in seinem Werden und seiner Existenz durch staatliche Strafandrohung verhindert oder bekämpft werden. Infolgedessen kann eine Straftheorie nur dann dem unabdingbaren Gebot der Gerechtigkeit genügen, wenn sie neben der Vergeltung der äußeren Rechtsverletzung einen präventiven Zweck verfolgt, der mit der Bekämpfung der individuellen Schuld als Willensschuld und Ausgangspunkt objektiver Rechtsverletzung unabdingbar verknüpft sei.61 Eine Straftheorie der absoluten Vergeltung, ohne Verfolgung des notwendigen Zwecks der Willenssteuerung führe zu Ungerechtigkeiten im staatlichen Sanktionsanspruch und stehe der Rechtsordnung als Garant individueller Freiheit selbst entgegen.62 Wächter favorisiert eine Strafzwecklehre, die aus Gründen der Strafgerechtigkeit neben einem vergeltenden und abschreckenden Element auch einen präventiven Charakter hat. 63 Gestraft wird nach dem Prinzip der Vergeltung unter der zusätzlichen Bedingung der Gerechtigkeit, die, relativ verstanden, der Bekämpfung des 57 C. G. v. Wächter. Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, S. 51. ss C. G. v. Wächter. Deutsches Strafrecht, S. 22, 68; Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, S. 51; Rezension: Droste-Hülshoff, Clemens August von, in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft, Bd. I, Heft 2, 1826, S. 42; H. Dannenberg, Liberalismus und Strafrecht, S. 26; unbenannter Rezensent, über: "C. G . v. Wächter, Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, Stuttgart 1877, Bd. 1", in: Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung, hrsg. v. F. Pb. F. v. Kübel u. E. 0. C. v. Sarwey, Bd. XVIII, 1877, s. 431 f. 59 C. G. v. Wächter, Die Deutsche Strafrechtswissenschaft des XIX. Jahrhundens und ihre Aufgaben, in: Jahrbücher der Deutschen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung, hrsg. v. Th. Schletter, Bd. I, 1855, S. 109. 60 C. G. v. Wächter. Deutsches Strafrecht, S. 22 f. 61 C. G. v. Wächter, Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, S. 47, 49, 51; Deutsches Strafrecht, S. 22 f.; Das Königlich Sächsische und das Thüringische Strafrecht, Bd. I, 1857, S. 64 f. 62 C. G. v. Wächter. Rezension: Droste-Hülshoff, Clemens August von, in: Kritische Zeitschrift flir Rechtswissenschaft, Bd. I, Heft 2, 1826, S. 42 f.; C. G. v. Wächter, Deutsches Strafrecht, S. 9. 63 C. G. v. Wächter, Das Königlich Sächsische und das Thüringische Strafrecht, Bd. I, 1857, S. 63 f.; Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, S. 55 f.

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widerrechtlichen Willens entspricht. 64 Damit kann er in ausreichendem Maße den verschiedenen Funktionen staatlicher Strafe gerecht werden. Es ist ihm jedoch wichtig, zu betonen, daß es nicht genüge, diese einzelnen Funktionen beziehungslos nebeneinander zu stellen, sondern der gegenseitigen Abhängigkeit und Bedingtheit präventiver und vergeltender Elemente der Strafe Rechnung zu tragen. 65 Das Schuldurteil knüpft nur an den Willen und seine objektive Diskrepanz zum positiven Recht an. Für die Dogmatik Wächters ist damit ein formeller Rechtsbegriff und eine rein formale Schuldauffassung typisch.66 Auch die moderne Rechtswissenschaft bemüht sich nach wie vor um einen gerechten Ausgleich der unvermeidbaren Antinomie legitimer Strafzwecke, die nach § 46 Absatz 1 StGB einer ausgewogenen Abstimmung bedürfen.67 Schon der Wortlaut dieser Regelung zeigt, daß der Richter selbst in der Absicht, den Täter nachhaltig zu "bessern", keine Strafe verhängen darf, die über das Maß persönlicher Schuld hinausgeht. Diese ist demnach damals wie heute nicht nur Grundlage, sondern auch Obergrenze staatlichen Strafanspruchs.68

II. Wächter und der Liberalismus Die Straftheorie Carl Georg von Wächters zeigt ausgesprochen liberale Ansätze und Tendenzen. Der Ausgangspunkt liberalen Rechtsdenkens 69 des 19. Jahrhunderts als "Epoche des Liberalismus"10 liegt in der Manifestation der freiheitsschaffenden und -erhaltenden Funktion des Staates gegenüber den einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft, die als eigentlicher Souverän die Staatsgewalt in Händen halten. 71 Folglich darf der Staat im Falle einer Rechtsverletzung nur insoweit mit Hilfe von Sanktionsmaßnahmen in die Rechtssphäre des Täters eingreifen, als es die Erhaltung der allgemeinen Sicherheit und Freiheit gebietet. 72 Die Strafe darf keinen außer ihr lieH. Müller; Der Begriff der Generalprävention im 19. Jahrhundert, S. 305. C. G. v. Wächter; Deutsches Strafrecht, S. 18 f. 66 U. Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, München, 2. Auflage 1995, S. 361. 67 H. -H. Jescheck, Th. Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, Berlin, 5. Auflage 1996, § 50 IV 5.; C. Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Auflage 1997, § 3, Rdnr. 41 ff. 68 BVerfGE 54, I 00, 108; BGHSt 20, 264, 266. 69 Allgemein zum Liberalismus: L. Gall, Liberalismus und "bürgerliche Gesellschaft", in: Liberalismus, hrsg. v. L. Gall, Königstein Ts., 3. Auflage 1985, S. 162 ff.; G. Köhler u. A. Klein, Politische Theorien des 19. Jahrhunderts, in: Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart, hrsg. v. H.-J. Lieber, Bonn, 2. Auflage 1993, S. 259 ff. 70 W. Sellert, H. Rüping, Studien- u. Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Bd. II, Aalen 1994, S. 39. 71 C. Bauer, Liberalismus, in: Staatslexikon, Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, hrsg. v. Görres-Gesellschaft, 6. Auflage 1960, Bd. V, Sp. 370, 374. 64 65

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genden Zweck erreichen wollen, sondern lediglich die bereits geschehene Schuld sühnen: Strafe ist nach liberalem Verständnis Vergeltung, "quia peccatum est". Dabei ist eine staatliche Sanktion jedoch nur zulässig, wenn und soweit sich der widerrechtliche Wille als persönlich vorwertbare Schuld des Täters als der Auslöser des Verbrechens darstellt. 73 Einen Anspruch auf bessernden Einfluß auf die Gesinnung des Individuums steht der Rechtsgemeinschaft nicht zu. Dieses liberale Verständnis von der Funktion und Aufgabe des staatlichen Strafanspruchs ist insofern mit der bereits entworfenen Strafzwecktheorie Wächters deckungsgleich. Er verfolgt damit eine typisch liberale Schuldauffassung und Straftheorie.74 Damit trifft Eberhard Schmidts Urteil zu, wenn er Wächter "als Hauptvertreter einer rechtsstaatlich-liberalen Strafrechtsauffassung" bezeichnet. 75 Die aufgezeigte liberale Gesinnung Wächters begründet sich in nicht unerheblichem Maße auf die geistig-ideele Nähe zu Karl Theodor Welcker in rechtspolitischen Fragen.76 Welcker gilt mit Kar! von Rotteck (1775- 1840) als einflußreichster Protagonist des deutschen Liberalismus77, im deutschen Südwesten sogar als entscheidende Stifterfigur78 • Das von ihnen herausgebene "Staats-Lexikon "79, in n W Naucke, Über den Einfluß Kants auf Theorie und Praxis des Strafrechts im 19. Jahrhundert, in: Philosophie und Rechtswissenschaft, hrsg. v. J. Blühdorn u. J. Ritter, Frankfurt a.M. 1969, S. 31. 73 H. Dannenberg, Liberalismus und Strafrecht, S. 6. 74 U. Eisenlwrdt, Deutsche Rechtsgeschichte, 2. Auflage 1995, S. 361. 75 E. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Auflage 1965, S. 284. Dieser Einschätzung folgen: H. Dannenberg, Liberalismus und Strafrecht, S. 15, 17, 26, 28; E. Landsberg, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, 3. Abtlg., 2. Halbbd., Noten, München-Berlin 1910, S. 183, Note 16; C. Ahcin, Zur Entstehung des bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen von 1863/65; in: IUS COMMUNE, Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 85, 1996, S. 190; U. Eisenlwrdt, Deutsche Rechtsgeschichte, 2. Auflage 1995, S. 361 ; H. Müller-Dietz. Das Leben des Rechtslehrers und Politikers Kar! Theodor Welcker, in: Beiträge zur Freiburger Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, Heft 34, Freiburg Br. 1968, S. 10. Dagegen bezeichnet E. Sieber, Stadt und Universität Tübingen in der Revolution von 1848 I 49, Tübingen 1975, S. 23, Wächter als politisch konservativ eingestellt. So auch F. Elsener, Der Jurist Carl Georg von Wächter (1797 -1880), in: Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen 1477-1977, Tübingen 1977, S. 471,487, Anm. 28 f., m. w. N., was in anderer Hinsicht wohl zutrifft. Vgl. dazu die iur. Dissertation des Verfassers. S. 24 ff. 76 Vgl. dazu H. Müller-Dietz, Das Leben des Rechtslehrers und Politikers Karl Theodor Welcker, in: Beiträge zur Freiburger Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, Heft 34, 1968, s. 10. 77 W Pöggeler, Die deutsche Wissenschaft vom englischen Staatsrecht, in: Comparative Studies in Continental and Anglo-American Legal History, Bd. 16, Berlin 1995, S. 60. Vgl. auch H. Klenner, Natürliches Recht und liberaler Rechtsstaat im Vormärz, in: Rechtsphilosophie bei Rotteck/Welcker, Freiburg-Berlin 1994, S. 390 f. n H. Brandt, Das Rotteck-Welckersche "Staats-Lexikon", Einleitung zum Neudruck, in: Das Staats-Lexikon, hrsg. v. K. v. Rotteck und K. Welcker, Neudruck der 2. Auflage, Frankfurt a.M. 1990, S. 15.

Carl Georg von Wachter und die Straftheorie

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dem Wächter mehrfach Artikel verfaßte80, wird als "Kompendium des liberalen Denkens im 19. Jahrhundert" 81 , als "Bibel des deutschen Liberalismus im Vormärz"82 oder auch als" Tribüne liberaler Programmatik" 83 bezeichnet. Hinzu kommt ein reger und inhaltsreicher Briefwechsel mit einem der bedeutendsten Strafrechtswissenschaftler des 19. Jahrhunderts, dem Liberalen Carl Joseph Anton Mittermaier (1787 -1867).84

111. Karl Theodor Welcker als Vorbild 85 Sucht man nun nach den Grundlagen und Vorbildern der Straftheorie Wachters, so gibt er selbst den entscheidenden Hinweis. Am 19. September 1819 schreibt Wachter an seinen Vater: In der mündlichen Prüfung zur ersten juristischen Staatsprüfung in Tübingen "hatte ich treffliche Gelegenheit, Welcker 's Theorie durchzu79 Das Staats-Lexikon, Encyklopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, 12 bzw. 14 Bände, 3 Auflagen, 1834-1866. 80 C. G. v. Wächter, Gesetzgebung (Deutsche); Gesetzbücher, in: Das Staats-Lexikon, hrsg. von K. v. Rotteck u. K. Welcker, Bd. VI, 3. Auflage 1862, S. 482-517; Faustrecht, Fehde, Friede, in: Das Staats-Lexikon, hrsg. von K. v. Rotteck u. K. Welcker, Bd. V, 3. Auflage 1861, S. 297-306; Strafgesetzgebungen (neuere), in: Das Staats-Lexikon, hrsg. von K. v. Rotteck u. K. Welcker, Bd. XII, 2. Auflage 1848, S. 463-470. 81 N. Hempel, Richterleitbilder in der Weimarer Republik, in: Rechtshistorische Reihe 4, Frankfurt a.M. 1978, S. 24. 82 Kleinheyer/Schröder, Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, Heidelberg, 4. Auflage 1996, S. 351. 83 H. Fenske, Baden 1830-1860, in: Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, hrsg. v. H. Schwarzmaier, Bd. 3, Stuttgart 1992, S. 79, 105. H. Brandt bezeichnet es als " Katechismus des Liberalismus", in: Das Rotteck-Welckersche "Staats-Lexikon", Einleitung zum Neudruck, in: Das Staats-Lexikon, hrsg. v. K. v. Rotteck u. K. Welcker, Neudruck der 2. Auflage, 1990, S. 24. 84 Briefwechsel C. G. v. Wächter an C. J. A. Mittermaier, 1833- 1851; Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Heidelberg (Signatur HS 2746). Vgl. ausführlich zu C. J. A. Mittermaier: H. Rüping, Studien- u. Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Bd. II, 1994, S. 40; E. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Auflage 1965, S. 288 ff. ; E. Landsberg, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, 3. Abtlg., 2. Halbbd., Text, 1910, S. 413 ff. ; K. Lüderssen, Kar! Joseph Anton Mittermaier und der Empirismus in der Strafrechtswissenschaft, JuS 1967, S. 444 ff. 85 In der Literatur besteht weitgehend Einigkeit über die Vorbildfunktion und den Einfluß Kar! Theodor Welckers: H. Müller-Dietz, Das Leben des Rechtslehrers und Politikers Karl Theodor Welcker, in: Beiträge zur Freiburger Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, Heft 34, 1968, S. I 0, 20; F Elsener, Der Jurist Carl Georg von Wächter (1797- 1880), in: Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen 1477- 1977, 1977, S. 473; H. Dannenberg, Liberalismus und Strafrecht, S. 17 ff. ; E. Hoelder; Carl Georg von Waechter, Leipzig 1897, S. 8; B. Windsc heid, Carl Georg von Waechter, Leipzig 1880, S. 2, 4; H. Meyer; Karl Georg von Waechter, 1898, S. 8, 30; E. Landsberg, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, 3. Abtlg., 2. Halbbd., Text, 1910, S. 385; N. Sandmann, Grundlagen und Einfluß der intema-

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fechten und gegen Feuerbach etwas zu polemisieren"86• Auch in der höheren Dienstprüfung für das Departement der Justiz am 30. Januar 1819 verficht Wachter im "Kriminalrechte" die Straftheorie Kar! Theodor Welckers trotzdes Widerstandes seiner Prüfer. So hielt er unter demselben Datum in seinem Tagebuch fest: "Im Kriminalrecht aber habe ich mehrere Fragen unrichtig beantwortet - nämlich nach der Welcker'schen Theorie . .. ". Trotz aller Anfechtung gibt Wachter die Absicht nicht auf, sich weiterhin kritisch mit Welcker auseinanderzusetzen: "Mit doppeltem Eifer will ich mich darauf legen, Welclcers Theorie von Neuern zu prüfen; was ich aber dann als Wahrheit nach meiner festen und reinen Überzeugung gefunden habe, auch überall und immer als Wahrheit bekennen, verkünden und verbreiten, und nie sie verleugnen. " 87 In seinem "Lehrbuch des Römisch-Teutschen Strafrechts"88 aus dem Jahre 1825 vertritt Wachter noch keine eigenständige Straftheorie. Vielmehr beschränkt er sich auf eine ausführliche Darstellung der Theorie Welckers89 unter gelegentlichen, nie aber ihren Kern treffenden Modifikationen90. Dabei bezeichnet er die Welckersche Lehre vom Strafzweck als die "allein richtige'm.

Welckers Lehre92 vom Zweck staatlicher Strafe beruht im wesentlichen auf der Wiederherstellung der Harmonie der durch die Rechtsverletzung aus dem Gleichgewicht gebrachten individuellen Interessen im staatlichen Verband. 93 Ansatzpunkt eines staatlichen Sanktionsanspruchs ist demnach der sogenannte intellektutionalprivatrechtlichen Lehre Carl Georg von Wächters (1797-1880), Münster 1979, S. LXVI; J. Rückert, August Ludwig Reyschers Leben und Rechtstheorie. 1802-1880, in: Abhandlungen zur rechtswissenschaftliehen Grundlagenforschung, Bd. XIII, Berlin 1974, S. 37. Vgl. auch die Ausflihrungen eines unbenannten Rezensenten über: "C. G. v. Wächter, Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, Stuttgart 1877, Bd. 1", in: Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung, hrsg. v. F. Pb. F. v. Kübel u. E. 0. C. v. Sarwey, Bd. XVIII, 1877, S. 432 f. 86 Zitiert nach: B. Windscheid, Carl Georg von Waechter, 1880, S. 4; 0. v. Wächter, Carl Georg von Wächter, Leipzig 1881, S. 17. 87 Zitiert nach: 0. v. Wächter, Carl Georg von Wächter, 1881, S. 19. 88 C. G. V. Wächter, Lehrbuch des Römisch-Teutschen Strafrechts, l. Theil, 1825, S. 37-56. 89 c. G. V. Wächter, Lehrbuch des Römisch-Teutschen Strafrechts, l. Theil, 1825, s. 51-52,52-56. 90 c. G. V. Wächter, Lehrbuch des Römisch-Teutschen Strafrechts, I. Theil, 1825, S. 52-56. 91 C. G. v. Wächter, Lehrbuch des Römisch-Teutschen Strafrechts, I. Theil, 1825, S. 52. 92 Die Grundlagen und Voraussetzungen der Lehre Welckers lassen sich auf die Theorie Wilhelm Humboldts zurückführen, in: Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, Breslau 1851; vgl. H. Dannenberg. Liberalismus und Strafrecht, s. 20f. 93 K. Th. Welcker, Die Ietzen Grunde von Recht, Staat und Strafe philosophisch und nach den Gesetzen der merkwürdigsten Volker rechtshistorisch entwickelt, Gießen 1813, S. 126, 130, 266; vgl. auch H. Müller, Der Begriff der Generalprävention im 19. Jahrhundert, in: Frankfurter kriminalwissenschaftliche Studien 9, 1984, S. 166.

Carl Georg von Wächter und die Straftheorie

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eile Schaden, wobei er die Regulierung der materiellen Schädigung dem Bereich des Zivilrechts zuordnet. 94 Auch Wächter nimmt diese Trennung ausdrücklich vor.95 Wichtig für die Form der Wiederherstellung ist der Bedeutungsgehalt des immateriellen Schadens. 96 Nach Welcker beweist das Verbrechen beim Täter einen bestehenden Mangel des rechtlichen Willens bei der Achtung fremder Würde und des Rechtsgesetzes, ein Übermaß an sinnlichen Trieben und einen Mangel an Harmonie mit den Forderungen des Gesetzes. 97 Die Nichtachtung der Gesetze durch den Täter führe des weiteren zu einer Schwächung der Achtung vor dem Rechtsgesetz, das seine Aufgabe als Gegenpol zu den sinnlichen Trieben des Menschen insofern nicht mehr erfüllen könne.98 Bei der Darstellung des immateriellen Schadensbegriffs fallt ebenfalls die Bedeutung des subjektiven widerrechtlichen Willens als Ausgangspunkt jeder Rechtsverletzung auf. Nach Welcker habe die Aufhebung des immateriellen Schadens immer die Bekämpfung des die staatliche Organisation vernichtenden widerrechtlichen Willens zum Inhalt. 99 So bemerkt Ferdinand Carl Theodor Hepp zur Bedeutung des willentlichen Moments der Rechtsverletzung bei Welcker: "Dieser Schade(n) ist ein ... intellektueller, welcher in der Störung des Princips des rechtlichen Willens besteht, ohne welchen eine rechtliche Ordnung der Dinge im Staat nicht gedacht werden kann ... ". 100 Auch im Welckerschen System wird eine individuelle Schuld allein durch den widerrechtlichen Willen ausgelöst und in ihrer Wertigkeit bestimmt. 101 An diesem Maßstab muß sich der staatliche Strafanspruch ausrichten, um dem Gerechtigkeitsgebot genügen zu können. Daher umfaßt die Wiedervergeltung auch die von Wächter geforderte subjektive Wirkung: Die Aufhebung des widerrechtlichen Willens als Ursache jeder Rechtsverletzung. Die objektive Richtung der Strafe, die Wiederaufhebung der Rechtsverletzung, ist auch bei Welcker streng an den Verschuldensmaßstab gebunden, wofür die Größe der äußeren Tat nur den Erkenntnisgrund darstellt. 102 Die staatliche Strafe ist daher bei Welcker, ebenso wie bei Wächter, im Rahmen der Wiedervergeltungsfunktion auf Aufhebung der äußeren Rechtsverletzung, als 94 K. Th. Welcker, Die letzten Gründe, S. 250 f.; vgl. auch C. L. v. Bar, Geschichte des deutschen Strafrechts und der Strafrechtstheorien, Bd. I, 1882, S. 266. 9~ C. G. v. Wächter, Deutsches Strafrecht, S. 2. 96 H. Müller, Der Begriff der Generalprävention im 19. Jahrhundert, S. 166. 97 K. Th. Welcker, Die letzten Gründe, S. 252. 98 K. Th. Welcker, Die letzten Gründe, S. 253, 255. 99 C. L v. Bar, Geschichte des deutschen Strafrechts und der Strafrechtstheorien, Bd. I, 1882, S. 266; H. Dannenberg, Liberalismus und Strafrecht, S. 18 f.; H. Müller, Der Begriff der Generalprävention im 19. Jahrhundert, S. 166. 100 F. C. Th. Hepp, Kritische Darstellung der Strafrechts-Theorien, Heidelberg 1829, S. 111 . 101 K. Th. Welcker, Die letzten Gründe, S. 267. 102 H. Dannenberg, Liberalismus und Strafrecht, S. 19.

10 Kern

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auch des subjektiven widerrechtlichen Willens als Ausgangspunkt des Verbrechens gerichtet. Beide Lehren fordern die Demonstration der "Unverletzlichkeit und Heiligkeit des Rechtes" 103 durch den staatlichen Sanktionsausspruch. 104 Man beachte die Wortlautidentität 105 Neben der bis hierher beschriebenen Wiedervergeltungsfunktion weist auch Welcker der staatlichen Strafe eine generalpräventive Zweckrichtung zu. Die Strafe soll mit der Androhung eines sinnlichen Leids infolge der Verbrechensbegehung die menschliche Triebhaftigkeit bei der Verwirklichung seiner widerstreitenden Interessen eindämmen. 106 Damit werden auch bei Welcker die Elemente der Vergeltungs- und der Präventionstheorie nicht einfach nebeneinander gestellt 107, sondern gemäß der Forderung Wächters die abschreckende Wirkung als zwingende Folge der Wiedervergeltung betrachtet.

In einem wesentlichen Punkt jedoch unterscheiden sich die beiden Theorien: Der staatliche Sanktionsanspruch soll nach Welcker den Täter bessern, ihn wieder zum tauglichen Glied menschlicher Rechtsgemeinschaft machen. 108 Durch die staatlich initiierte Sühne in Form von Strafe gelinge es dem Rechtsverletzer, die zerstörensehe Wirkung seines Handeins zu erkennen und seinen inneren Willen als Usprung allen menschlichen Tuns nach dem verbindlichen allgemeinen Grundwertekonsens neu auszurichten und zu steuern. 109 Wächter dagegen lehnt jede Einflußnahme auf das innere Wesen des Täters ausdrücklich ab. Die staatliche Gemeinschaft habe lediglich das äußere Funktionieren des Rechtslebens zu organisieren und zu erhalten. Wächter folgt demnach seinem Vorbild Welcker in den wesentlichen Zügen seiner Straftheorie und beschreitet lediglich in einzelnen Punkten eigene Wege. Damit ist Wächters Lehre von der Rechtfertigung staatlicher Strafe gekennzeichnet vom 103 Es fallt die identische Wortwahl C. G. v. Wächters auf: " Eine Rechtsordnung kann nur dadurch bestehen und erhalten werden, dass Diejenigen, unter denen sie bestehen soll, sie, gleichviel aus welchen Motiven, erhalten wollen, dass also in ihnen die Ueberzeugung besteht, die Ordnung solle und müsse heilig gehalten werden, dass sie ihnen in der Idee als unverletzlich erscheint." (Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, S. 50) 104 K. Th. Welcker, Die letzten Gründe, S. 262. lOS C. G. v. Wächter, Beilagen zu Vorlesungen über das Deutsche Strafrecht, S. SO f.: " . .. Unverletzlichkeit und Heiligkeit des Gesetzes ... ". 106 K. Th. Welcker, Die letzten Gründe, S. 123, 262 ff., 274; H. Müller, Der Begriff der Generalprävention im 19. Jahrhundert, S. 168. 107 So aber C. L v. Bar, Geschichte des deutschen Strafrechts und der Strafrechtstheorien, Bd. I, 1882, S. 265. 108 H. Dannenberg, Liberalismus und Strafrecht, S. 19, 21; C. L v. Bar, Geschichte des deutschen Strafrechts und der Strafrechtstheorien, Bd. I, 1882, S. 265 f., 268; F. C. Th. Hepp, Kritische Darstellung der Strafrechts-Theorien, 1829, S. 112. 109 K. Th. Welcker, Die letzten Gründe, S. 258; vgl. auch H. Dannenberg, Liberalismus und Strafrecht, S. 21.

Car1 Georg von Wächter und die Straftheorie

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Ausgleich gegensätzlicher Positionen im Streit um die ,.gerechte" Straftheorie. Wächter favorisierte die Lehre Welckers von Studententagen an und unterlegte sie der eigenen Theorie bis zuletzt als Fundament. Insofern ist die Lehre vom Strafzweck Ausdruck der Beständigkeit Wächtersehen Rechtsdenkens.

IV. Ausblick Auch wenn Eberhard Schmidt Wächter als den ,.nach Feuerbach und vor Kar/ Binding bedeutendsten Dogmatiker des Strafrechts" 110 einordnen will, so gilt es doch gerade die auf Ausgleich gegensätzlicher Positionen gerichtete, vermittelnde Tendenz seiner Straftheorie, die damit zwingend nachhaltiger Pointierung verlustig geht, gebührend zu berücksichtigen. Hierin liegt das entscheidende Moment für die Erklärung seiner bescheidenen Wirkungsgeschichte. Wächter hat letztlich, so formuliert es Eduard Hoelder, ,.keine neuen Bahnen gebrochen und keinen neuen Grund gelegt " 111 • Wächter hat durchaus keine Schule begründet.

110 E. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Auflage 1965, s. 284. 111 E. Hoelder, Worte der Erinnerung an Car1 Georg von Wächter, Leipzig 1897, S. 4. 10*

"Die Busse bei Beleidigungen und Körperverletzungen": Bedeutung für die Geschichte des Schmerzensgeldes Von Bemd-Rüdiger Kern Im Jahre 1874 erschien hier in Leipzig Waechters schmale Broschüre über "Die Busse bei Beleidigungen und Körperverletzungen nach dem heutigen gemeinen Recht", zunächst als akademische Gelegenheitsschrift (70 Seiten), sodann, um zwei Kapitel erweitert, in der endgültigen Form (87 Seiten). Gegenstand des Werkes sind die heute nicht mehr existierenden, durch das Einführungsgesetz zum StGB vom 2. 3. 1974 aufgehobenen§§ 188 und 231 des StGB. § 188 RStGB lautete: ,,In den Fällen der §§ 186 und 187 kann auf Verlangen des Beleidigten, wenn die Beleidigung nachtheilige Folgen für die Vermögensverhältnisse, den Erwerb oder das Fortkommen des Beleidigten mit sich bringt, neben der Strafe auf eine an den Beleidigten zu erlegende Buße bis zu einem Betrage von sechstausend Mark erkannt werden. Eine erkannte Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruches aus." Entsprechend war § 231 RStGB bezüglich der Körperverletzung ausgestaltet 1. Dem preußischen StGB von 1851 war dieses Institut noch fremd gewesen. Es kam erst durch den Norddeutschen Reichstag in das StGB des Norddeutschen Bundes von 1869 und erhielt sich dann im RStGB von 1871 2 • Von daher war es naheliegend, sich alsbald nach dem Inkrafttreten mit dieser Materie zu beschäftigen. Und es ist wohl auch nicht zufällig v. Waechter, der sich dieser Aufgabe annahm, vereinte er doch in seiner Person den Straf- und den Zivilrechtler. Diese Fächerkombination prädestinierte ihn geradezu für die Beschäftigung mit einem Rechtsinstitut, das - vorsichtig ausgedrückt - im Grenzbereich beider Fächer angesiedelt ist, und dessen Rechtsnatur bis zu seinem Verschwinden aus dem StGB Anlaß zu wissenschaftlicher Auseinandersetzung gab. Noch 1953 schrieb Eduard Kern zu recht: "Gleichwohl lebt die Buße des StGB auch heute noch in einem eigenartigen Zwielicht, so daß es immer wieder reizt, den Versuch zu machen, die Dinge end1 § 231 Abs. 1 RStGB lautete: .Jn allen Fällen der Körperverletzung kann auf Verlangen des Verletzten neben der Strafe auf eine an denselben zu erlegende Buße bis zu einem Betrage von sechstausend Mark erkannt werden." Ergänzend kam § 231 Abs. 3 RStGB hinzu: ,,Für diese Buße haften die zu derselben Verortheilten als Gesammtschuldner." 2 Eduard Kern, Die Buße und die Entschädigung des Verletzten, in: Karl Engisch und Reinhart Maurach (Hrsg.), Festschrift fiir Edmund Mezger, 1954, S. 407-413, 408 f.

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lieh einmal zu klären, und, wenn sich die Buße als gordischer Knoten erweisen sollte, ihn zu zerhauen."3 Der Streit um die Rechtsnatur der Buße4 war allerdings schon vor der Schrift v. Waechters entbrannt, und alle drei denkbaren Lösungsansätze - reine Privatstrafe, reiner Schadensersatz oder eine Kombination beider - waren bereits zuvor in der wissenschaftlichen Diskussion vertreten worden5 • v. Waechter schloß sich der dritten Ansicht von der Doppelnatur der Buße an6 . Dabei argumentiert er im wesentlichen historisch, aus der Entstehungsgeschichte des RStGB 7 • Die RStGB-Entwürfe haben die Buße ursprünglich als reine Privatstrafe behandelt8 : "Die Entwürfe hatten sich hiernach an das ehemalige gemeine Recht, wenngleich mit Modificationen, angeschlossen. Thre Busse ist nichts Anderes, als die mit der actio injuriarum aestimatoria verfolgbare Privatgeldstrafe des Römischen und des ehemaligen gemeinen Rechtes."9 Die Privatstrafe sei dadurch gekennzeichnet, daß sie neben der öffentlichen Strafe und unabhängig von ihr ausgesprochen werden könne 10• Für die Funktion als Privatstrafe spräche weiterhin schon der verwendete Ausdruck: ,,Denn Busseheisst Strafe."u Auch die Aufnahme in das Strafgesetz zeige, daß nicht allein bloßer Schadensersatz gemeint sei 12• Daß sie nicht allein Privatstrafe sein solle, ergibt sich aus dem jeweils letzten Absatz der Vorschriften, denenzufolge durch die Buße jede weitere Entschädigung ausgeschlossen sein soll 13 • Weil der Buße auch Ersatzfunktion zukomme, könne der Verletzte nicht kumulativ beides, Buße beim Strafrichter und Ersatz beim Zivilrichter verlangen 14 • In den Beratungen des Reichstages war zudem vorgetragen worden, daß es sich bei der Buße um ein "ganz neues Institut" handelte. Damit konnte nur die Buße in der Doppelfunktion gemeint sein: "Eine solche Busse war ... den Deutschen Rechtsquellen unbekannt; sie verdiente daher das Prädicat eines ganz neuen Instituts." 15 Dogmatisch bestimmen beide Elemente die Natur der Buße, was zu manchen Bedenkiichkeiten führen könne. So kann das Strafmoment ganz andere KonseE. Kern, S. 407. Vgl. dazu jetzt auch Thomas Moosheimer, Die actio injuriarum aestimatoria im 18. und 19. Jahrhunden, 1997, S. 145-150. s Waechter, Busse, S. 4, 30-42. Vgl. dazu auch Sontag, Rez. zu Waechters "Buße", in: Kritische Vieneljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Bd. 17, 1875, S. 203-230, 205; und Moosheimer, S. 147. 6 Waechter, Busse, S. 17, 43. 7 Vgl. dazu auch Moosheimer, S. 145 f. s Waechter, Busse, S. 5-9. 9 Waechter, Busse, S. 9. 10 Waechter, Busse, S. 14. 11 Waechter, Busse, S. 20. 12 Waechter, Busse, S. 20-22. 13 Waechter, Busse, S. 24, 25. 14 Waechter, Busse, S. 70. ts Waechter, Busse, S. 26, 27. 3

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"Die Busse bei Beleidigungen und Körperverletzungen"

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quenzen zur Folge haben als das Ersatzmoment 16 • Das zeige sich nicht zuletzt an der Höchstpersönlichkeit des Anspruchs 17• Im folgenden untersucht v. Waechter die Voraussetzungen der Buße im einzelnen 18 , die solidarische Haftpflicht (Gesamtschuld) bei der Bußc 19 sowie das Verhältnis der Ersatzklage zur Buße20 • Abschließend wendet sich v. Waechter dem Schmerzensgeld zu21 • v. Waechters Werk über die Buße fand verhältnismäßig große Aufmerksamkeit in der Literatur, obwohl es keine neuen Antworten gab22 . Bemerkenswert war also nicht das Ergebrus, sondern die Art der Stoffbehandlung: "Unter solchen Umständen mußte man mit um so größerer Freude die oben genannte Abhandlung Wachter's begrüßen, welche in der unserm ersten Kriminalisten so eigenthümlichen Klarheit und Schärfe und in der meisterhaften Beherrschung und Gestaltung des Stoffes die Vorgänger weit überragt und, ohne sich in Details zu verlieren, doch sämmtliche wichtigeren Streitfragen in ausgiebigster Weise erörtert." So heißt es in einer zeitgenössischen Rezension 23 • Bei den Stellungnahmen handelte es sich überwiegend um solche zu der Rechtsnatur der Buße. Schon im Jahre 1874 besprach der sächsische Generalstaatsanwalt Ludwig Friedrich Oskar v. Schwarze das Werk im "Gerichtssaal"24 • Seine Zustimmung zu der v. Waechterschen Auslegung der Buße ist besonders wertvoll, weil er als Reichstagsabgeordneter maßgeblich an der Fassung beider Paragraphen mitgewirkt hatte25 . Eine späte Zustimmung erfuhr v. Waechter allerdings durch Georg Beseler26• Ansonsten stieß v. Waechter weithin auf Ablehnung. Im Januar 1875 widmete der Freiburger Sontag der Schrift eine ausführliche Rezension von 27 Seiten27 • Auf der Grundlage eines eingehenden Referates polemisiert er gegen die Einordnung der Buße als Kombination von Privatstrafe und Schadensersatz und rummt den Gesetzgeber gegen die Behauptung in Schutz, er habe ein "solches ZwittergeWaechter. Busse, S. 44. Waechter. Busse, S. 56. 18 Waechter. Busse, S. 46-57. 19 Waechter. Busse, S. 57-69. 20 Waechter. Busse, S. 69-72. 21 Waechter. Busse, S. 72-87. 22 Anders aber die Besprechung in Goltdammers Archiv: .Jn der vorliegenden Schrift ist dem in das Reichs-Strafgesetzbuch aufgenommenen Institut der Buße zum ersten Mal eine eingehende Erörterung gewidmet." 23 Sontag, S. 204. 24 Schwarze, in: Der Gerichtssaal. Zeitschrift für Strafrecht, Strafprozeß, Gerichtliche Medizin, Gefängnißkunde und ausländische Literatur, Bd. XXVI, 1874, S. 477-480, 630-631. 2s Schwarze, S. 478 f. 26 Georg Beseler. System des gemeinen deutschen Privatrechts, 4. Aufl. 1885, Bd. 1, §53 Anm. 13, S. 198. 27 Vgl. Fn. 5. 16

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schöpf in das deutsche Rechtsleben einführen wollen"28 . Auch mit dem methodischen Vorgehen v. Waechters ist er nicht einverstanden29 und gelangt so zu dem Ergebnis, die Buße sei reiner Schadensersatz ohne jedweden Privatstrafcharakter30. In das StGB sei er aufgenommen worden, weil der zivilrechtliche Schadensersatz einen Ausgleich "des noch nicht eingetretenen, des nur drohend bevorstehenden Schadens nicht kennt"31 • Ähnlich gegen v. Waechters Ansicht äußert sich 1875 der hallische Strafrechtler Adolf Dochow in seiner Schrift "Die Busse im Strafrecht und Strafprozess". Während eine Besprechung in Goltdammers Archiv 32 letztlich inhaltslos und ohne eigene Stellungnahme blieb, setzte sich - zumindest im 19. Jahrhundert - in der Strafrechtslehre33 und insbesondere auch in der Kommentarliteratur die Ansicht von dem Entschädigungscharakter der Buße durch34 • Ganz anders verläuft die Rezeption der v. Waechterschen Ansicht über das Schmerzensgeld, das Gegenstand des letzten Kapitels seiner "Buße" ist. Wer jetzt erwartet, v. Waechter werde das Schmerzensgeld dogmatisch entsprechend definieren wie die Buße und damit zu einem frühen Vorläufer der heutigen Rechtsprechung von der Doppelfunktion des Schmerzensgeldes werden, sieht sich getäuscht. Das Schmerzensgeld wertet v. Waechter lediglich als reinen Schadensersatz. Hier finden sich zu seiner Zeit auch nur zwei Ansichten über die Natur des Schmerzensgeldes. Die einen sehen darin eine Privatstrafe, die anderen einen bloßen Ersatz. Dieser Streit zog sich durch das ganze 19. Jahrhundert, weil ja nicht alle Partikularrechte einen Schmerzensgeldanspruch gewährten, und dieser daher gemeinrechtlich einer besonderen Begründung bedurfte, zumal das römische Recht ihn von Haus aus nicht kannte35 . v. Waechters Schrift richtet sich in ihrem letzten Kapitel also gegen die Verfechter der Ansicht vom Schmerzensgeld als Privatstrafe. Sein Angriff richtet sich vorrangig gegen den prominentesten Vertreter dieser Lehre, gegen Bernhard WindSontag, S. 207. Sontag, S. 208 f. 30 Sontag, S. 219 u. passim. 31 Sontag, S. 219. 32 Anonym, in: Archiv für Gemeines Deutsches und für Preußisches Strafrecht, Bd. 23, 1875, s. 237. 33 Vgl. die bei Dochow, S. 9 f., und in der Rez. dazu von Sontag, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Bd. 18, 1876, S. 111-122, 111 genannten Autoren. 34 C. Hahn, Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Mit den Abänderungen der Novelle vom 26. Februar 1876. Erläutert aus den Motiven und der Rechtsprechung der höchsten Gerichtshöfe im Deutschen Reich, 3. Aufl. 1877, § 188 Anm. 5, S. 229; Justus Olshausen, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. 2, 1883, § 188 Anm. 2, S. 670, m.w.N. 35 Vgl. dazu B.-R. Kern, Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes- ein pönales Element im Schadensrecht?, in: AcP 191, 1991, S. 247-272,256-257. 28

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scheid, der 1874 soeben Fakultätskollege v. Waechters an der Leipziger Juristenfakultät geworden war. In seinem berühmten Pandektenlehrbuch hatte er ausgeführt, daß "Schmerzen und Geldleistungen unvergleichbare Größen sind; das Schmerzensgeld ist also eben nicht Ersatz, und wenn es nicht Ersatz ist, so muß es Strafe sein"36• Die Konsequenz, die Windscheid aus der Unvergleichbarkeil von Schmerzen und Geld zog, lehnte v. Waechter als nicht notwendig ab 37• Im Zivilrecht komme es gelegentlich vor, daß in Geld nicht zu bemessende Leistungen und Beeinträchtigungen dennoch in Geld gezahlt werden38 • Ob seine Beispiele dafür - das gebrochene Verlöbnis und das sogenannte Kränzchen - aus heutiger Sicht überzeugen, ist freilich eher zweifelhaft. Im folgenden untermauert er seine Ansicht wiederum mit einer historischen Ableitung39 . Auch heute noch von Interesse sind seine Ausflihrungen über die unterschiedlichen Konsequenzen: ,,Das Schmerzensgeld, als Strafe gedacht, müßte sich nach ganz anderen Momenten bestimmen, als das als Ersatz aufgefaßte. Das letztere würde sich lediglich nach Art und Größe der Schmerzen des Verletzten bestimmen, nicht nach Art und Größe der Schuld des Verletzers"40. Käme dem Schmerzensgeld hingegen eine Straffunktion zu, dann müßte es sich "nach Art und Schwere des begangenen Verbrechens bestimmen"41 • Zum Schluß führt er aus, daß das Schmerzensgeld bei der Bemessung der Buße mit einfließen müsse. Dabei kommt das Schmerzensgeld in den Ländern, in denen es nicht als Ersatzanspruch besteht, "blos als eines der die Höhe der Privatstrafe bestimmenden Momente in Anschlag"42 • Die Antwort auf die sich aufdrängende Frage, wie diese Ansicht mit der Ersatztheorie zu vereinbaren sei, bleibt v. Waechter schuldig. Die eher strafrechtlich bestimmte Kritik an seiner "Buße" ging nur ausnahmsweise auf das Schmerzensgeldkapitel ein. v. Schwarze referiert nur, ohne jede eigene Stellungnahme43 • Sontag deutet in seiner Kritik lediglich die soeben aufgezeigte Inkonsequenz v. Waechters an und bekennt sich als Anhänger der Privatstraftheorie44. Desto größer war v. Waechters Einfluß auf die Zivilrechtsdogmatik. Windscheid nahm die Kritik seines Fakultätskollegen an und vertrat hinfort die Ansicht von der 36

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Berndhard Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts II, 1865, § 455 A. 31. Waechter. Busse, S. 74 f. Waechter. Busse, S. 74. Waechter. Busse, S. 76-87. Waechter. Busse, S. 75. Waechter. Busse, S. 76. Waechter. Busse, S. 87. Schwarze. S. 631. Sontag, Waechter-Rez., S. 229.

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Ersatzfunktion des Schmerzensgeldes. Schon in der 1875 erschienenen 4. Auflage seines Pandektenlehrbuches bekehrte er sich zur Auffassung v. Waechters und erklärte sie erstmals mit der bis heute gebräuchlich gebliebenen Ausgleichsfunktion: ,,Auch das ist Entschädigung, wenn die dem Verletzten verursachte schmerzliche Empfindung durch Verursachung einer angenehmen Empfindung wieder aufgewogen wird." 45

In dem bahnbrechenden Urteil vom 17. November 1882 schloß sich der 3. Zivilsenat des Reichsgerichts v. Waechters Ansicht an, ohne die Bekehrung Windscheids anzumerken. Das Schmerzensgeld müsse, "wie Wächter ... gegenüber von Windscheid . .. überzeugend darlegt, als ein civilrechtlicher Ersatzanspruch wegen widerrechtlich erlittener Schmerzen aufgefaßt werden"46 • Folgerichtig entschied es weiter, daß "die Rücksicht auf Größe, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen das ausschlaggebende Moment zu bilden" habe47 • Im folgenden sei eine knappe Analyse dieses Streits versucht. Windscheids älterer Ansatz beruht auf der römischrechtlichen Vorgabe, daß nur für Vermögensschäden ein Ersatz gewährt werden kann. Er steht insoweit in der römischrechtlichen Tradition des 19. Jahrhunderts48 • Privatstrafe war das Schmerzensgeld für ihn nur deshalb, weil es Ersatz nicht sein konnte. Tertium non datur. Die entscheidende intellektuelle Leistung v. Waechters für die Schmerzensgelddogmatik, aber darüber hinaus auch für das moderne Schadensrecht überhaupt, bestand darin aufzuzeigen, daß es auch für Nichtvermögensschäden Ersatz geben könne. Und Windscheid lieferte die Ausgleichsfunktion als Erklärung nach. Damit war auf der Grundlage des römischen Rechts ein Rechtssatz entwickelt worden, der über das römische Recht hinausreichte, ohne seine Herkunft zu verleugnen49 • Das erklärt auch, warum die Germanisten - auch nach v. Waechter, Windscheid und dem Reichsgericht - überwiegend an der Privatstrafnatur des Schmerzensgeldes festhielten 50, und wenn sie das nicht taten, wie etwa v. Gierke5 l, gewisse WiWindscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, II, 4. Aufl. 1875, § 455 A. 31. RGZ 8, 117, 118. 47 RGZ 8, 117, 118. Vgl. dazu auch Nehlsen-v. Stryk, Schmerzensgeld ohne Genugtuung, JZ 1987, 119-127, 122. 48 Nehlsen-v. Stryk, 121. 49 Vgl. dazu allgernein B.-R. Kern, Windscheid, in: HRG, Bd. 5, Sp. 1442-1446. so Der überwiegende Teil der germanistischen Literatur - soweit das Schmerzensgeld überhaupt behandelt wurde - hat sich nahezu einhellig für die Privatstrafnatur ausgesprochen: F. Ortloff, Grundzüge eines Systems des Teutschen Privatrechts, 1828, S. 513 f. Anrn. 74; G. Phillips, Grundsätze des gerneinen Deutschen Privatrechts, Bd. I, 3. Aufl. 1846, S. 564; G. Beseler, System des gerneinen deutschen Privatrechts, Bd. 2, 1. Autl. 1853, S. 373; Bd. 1, 4. Auf!. 1885, S. 538 (anders allerdings in Bd. I, 4. Auf!. 1885, S. 198 Anm. 13); H. G. Gengler, Lehrbuch des deutschen Privatrechts, 1854, S. 774 f.; und ders., Das deutsche Privatrecht in seinen Grundzügen für Studierende, 1892, S. 498. st Otto v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 3 Schuldrecht, 1917, S. 971, der den Ersatzanspruch bejaht, aber zugleich den Genugtuungsgedanken anerkennt. 45

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dersprüche nicht vermeiden konnten. Der germanistische Ansatz war der der Privatstrafe. Die Germanisten hielten die Privatstrafe per se für den gegebenen Rechtsgrund und griffen nicht nur darauf zurück - wie der jüngere Windscheid -, weil anderes nicht möglich schien. In der Auseinandersetzung um die Dogmatik des Schmerzensgeldes vermochte sich die Ersatztheorie erst nach der Reichsgründung allmählich gegen die Theorie von der Privatstrafe durchzusetzen52 . Dazu hat wesentlich die hier besprochene Schrift v. Waechters beigetragen. Seine Bedeutung in dieser Frage ist also beträchtlich. Freilich reichte sein Einfluß dann nicht so weit, diese Dogmatik auch fest im BGB zu verankem53 • Und so setzte sich der Streit nach 1900 fort, wenn auch weithin unter peinlicher Vermeidung der Begriffe Privatstrafe und Buße. Aber damit wäre ich bereits in einem anderen Vortrag, der in unserem Symposion keinen Raum findet.

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Vgl. dazu Nehlsen-v. Stryk, S. 122 Anm. 36. Vgl. dazu Kern, AcP 191, 1991, S. 257 ff.

Personenregister Arndt, Ernst Moritz 50, 53 Albrecht, Wilhelm Eduard 52 f. Althof, Johann Chr. 53 Bassermann, Friedrich Daniel 16 f., 37 Bebe!, August 21 Behn 53 v. Bennigsen, Rudolf 43 Beseler, Georg 50, 53, 62, 129, 151 v. Beust, Friedrich F. Freiherr 20 Binding, Kar112, 50, 147 v. Bismarck, Otto 42 Blume, Friedlich 54 f. Blumer, Johann Jakob 25 Bluntschli, Johann Caspar 25 Böhlau 129 Bolley, HeinrichE. 103, 112 v. Brinz, Alois 90 v. Buchka, Gerhard 55 v. Buchka, Hermann Friedrich 54 f. Budde, Heinrich 55 Christ, Anton 53 Dahlmann, Friedrich Christoph 50, 52 f. Danz, Heinrich Aemilius August 24 Dernburg, Heinrich 89 f., 99 Dochow, Adolf 152 Duncker, Max 42 Eccius, Max Ernst 89 Eichhorn, Karl Friedrich 107 Emminger, Erleb 61 Ernst August v. Cumberland, König von Hannover 52 Ewald, Heinrich 52 f. Falck, Nikolaus 50, 106 f., 110, 114, 129 Fallati, Johannes 53

Fein, Eduard 54 Feuerbach, Paul Johann Anselm 12, 60, 102 f., 135, 144, 147 Fichte, Johann Gottlieb 132 Förster, Franz 89 Friedrich August II., sächs. König 54 v. Gagern, Heinrich 16, 38, 47 v. Gaisberg, Freiherr 52 Gaius 58,93 Gareis, Kar! 96 Geib, Ferdinand 51 v. Georgii, Paull03, 112 Gerber, Kar! Friedrich 43, 68, 110 f., 129 Gervinus, Georg Gottfried 50, 52 f., 57 v. Gierke, Otto 53, 96, 99, 154 Glaser, Julius 68 Gönner, Nikolaus Thaddäus 102 f. Grefe, Friedrich Bernhard 110 Grimm, Jakob 50, 52 f., 63 Grimm, Wilhelm 50, 52 f. Haubold, Christian 110, 114 Haupt, Moritz 50 Hattenhauer, Hans 87 Hecker, Friedrich 38 Heffter, August Wilhelm 58, 60 Hege!, Georg Wilhelm 51, 139 Heise, Georg Arnold 20 Hepp,Car1Theodor145 Hoelder, Eduard 147 Homeyer, Carl Gustav 55 Huber, Ernst Rudolf 50 Humboldt, Wilhelm 144 Jaup, Heinrich Kar! 53, 58, 60 v. Jhering, Rudolf 55, 68, 91 , 97 f., 121, 128 f. Justinian 24,92 f., 129

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Personenregister

v. Karnptz, Kar! C. A. H. 16 Kant, Immanuel 135, 139 Kar! X., König von Frankreich 51 Kern, Eduard 149 Kohler, Friedrich Wilhelm % Konstantin, Großfürst von Polen 51 Kriegk, Georg Ludwig 53 Kuranda, lgnaz 39 Laband, Paul 91 Lachmann, Kar! 50 Landau, Peter 61 Landsberg, Ernst 82, 89, 109 Lappenberg, Johann Martin 50, 56 Laufke, Franz 86 Lauterbach, Wolfgang Adam 92, 99 Leopold v. Sachsen-Koburg 51 Leyser, Augustin 92, 99 v. Linden, Ernst 37 List, Friedrich 50 f. Louis-Philippe v. Orleans 51 Ludwig II., König von Bayern 55 Luig, Klaus III v. Maueier 37 Maurenbrecher, Romeo 126 Max II., König von Bayern 54 Michelsen, Andreas Ludwig Jakob 53 v. Miquel, Johannes 79 Mittermaier, Carl Joseph Anton 50, 53 f., 58,60,143 v. Mohl, Roben 33, 47, 56, 112, 116, 119, 122, 123, 128 Mommsen, Theodor 54 f. Mühlenbruch, Christian Friedrich 26 Muther, Theodor 98 Pertz, Georg Heinrich 50 v. d. Pfordten, Ludwig Kar! Heinrich Freiherr 54-56, 60-62 v. Prieser, Johann Heinrich 122 Puchta, Georg Friedrich 15, 54, 56. 68, 107, 123-126 Ranke, Friedrich 50 Regelsberger, Ferdinand 90

Reinen, Johann Baptist 25 Reyscher, August Ludwig 13, 31, 40, 49 f., 53, 103, 110, 112 f., 117 Römer, Friedrich 36 f., 39, 122 v. Rotteck, Kar! 51, 136, 142 v. Roth, Paul 85, 129 f. Runde, Justus Friedrich 50 Sachse, Carl Robert II 0 v. Savigny, Friedrich Carll2, 15, 20, 25. 56, 59-61, 65-68, 70 - 72, 74, 77, 83, 86 f ., 92,95-98, 103, 123, 125 f., 129 Savoye, Joseph 51 Sch1ayer, Philipp 33, 37 Schmidt, Adolf 50, 53 Schmidt, Eberhard 142, 147 Schrader, Eduard 14, 20, 99, 103 Schüler, Friedrich 51 v. Schwarze, Ludwig Friedrich 0 . 151, 153 v. Simson, Eduard 43 Sontag 151, 153 Souchay, Eduard Franz 50, 53 v. Spittler, Ludwig T. Freiherr 30 Steinacker, Wilhelm Ferdinand II 0 Stenze!, Gustav Adolf 53 Stephani, Eduard 42 Stobbe, Otto l 08, 129 v. Struve, Gustav 38 Thibaut, Anton Friedrich Justus 14, 26, 54, 65 - 67,87, 103 Thöl. Heinrich 53, 129 v. Treitschke, Heinrich 42, 46 Uhland, Ludwig 50, 53 v. Ujest, Herzog 43 Unger. Joseph 78 Victoria, Königin von England 52 Vischer, Friedrich Theodor 35 f. v. Waechter, Oskar 12 Waitz, Georg 53 Weber, Wilhelm 52 f. v. Weishaar, Jakob Friedrich 110, 112 f. Welcker, Karl Theodor 14, 37 - 39, 47, 51. 53, 142-147

Personenregister Wieacker, Franz 30, 65, 87 Wiggers, Gustav Friedrich 43 f. Wilda, Wilhelm Eduard 50 Wilhelm 1., König v. Württemberg 11, 115 Wilhelm IV., König v. England und Hannover 52

159

Windscheid, Bemhard 12, 15, 66, 90, 95, 97, 99, 109, ll4, 128 f., 152-155 Wippennann, Kar! Wilhelm 53 v. Wrede, Fürst 51 Wunn, Christoph Friedrich 53 Ze11er 35

Sachregister Abbüssungsvenrag 133 Abgeordneter 21,41 f., 76 - Abgeordnetensitz 51 actio 91 - actio iniuriarum aestimatoria 150 - actiones stricti iuris 93 Ade/11 - Adelsstand, erblicher 55 - Adelsprivilegien 103 Administration 116 - Administrativenteignung 117 Aktienrecht 97 Allgemeine Deutsche Wechselordnung (1848) 86, 130 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch für die Erbländer der Österreichischen Monarchie 82 Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (1861) 86 Allgemeines Landrecht f. d. preuß. Staaten (1794) 112 Altc)na 55 Amendement 21, 45, 57 Amtsträger 22 Androhung 137 Aneignung 28, 30 Anerkennung (und Einigung) 132-134 - Anerkennungslehre 123 f., 127 Angeklagter 58 Anspruch 97, 117 Antike 93 Antiquitäten 92 Anverwandlung 30 Apotheke 59 Arbeitsteilung 59 f. Archiv des Criminalrechts 34, 58 Archiv für die civilistische Praxis 26, 90 Armeekorps 51 Arzt 59 Assessor 14

Aufhebung (alter Lasten) 26 Aufklärung 23 - Aufklärungshistorie 106 Aufsicht, polizeiliche 27 Ausgleichsfunktion 154 Ausland 18, 82 - Ausländer 15, 82 - Auslandsdeutsche 49, 56 Auslegungslehre 106 Baden 41, 111, 118 Basel 55 - Basler Festungsanlagen 98 Bauer 59,62 - Bauernlehen 113 Bayem54f., 75-77,103,118 Beleidigung I en 98, 149 Berichterstatter 55 Berlin 15, 20, 22, 44, 46,55 f., 58, 61,78 Besserungsversuch 137 Bestandsschutz 26 Bestimmtheitsgrundsatz 108 Bibel143 Bildungstrieb 71 - Bildungsbürgertum 58 - Bildungsquelle 94 Böhmen 18, 39 bona fides 93 Bonn 15, 54 f., 60 Braunschweig 21 Bremen 20 Bruderstamm 18 Brüsse/51 Budgetgewalt 22 - Budgetrecht 21 f., 45 Bund2l, 44, 77,87 - Bundesgericht 21 f., 45, 87 - Bundesgesetz 46, 86 - Bundeshaupt 37 - Bundesheer 87

Sachregister - Bundeskompetenz 79 - Bundesstaat 86, 104 - Bundestag 39, 52, 54 - Bundesverfassung, norddeutsche 21 - Bundesversammlung 39, 80, 86 f. - Bundeszentralbehörde 39 Bürger 57, 117, 126, 128, 133, 138 - Bürgerliches Gesetzbuch 55, 87, I 03 - Glamerisches BGB 25 - Bürgerrecht 133 - Bürgerschaft 20 - Bürgertum 51 f., 128 - Beamtenbürgertum 58 Busse 149-153, 155 earlsruhe 17 Carolina 28 Centratgewalt 22, 45 Christentum 35 Code Civill Napoleon 58, 103, 111 communis opinio doctorum 126 condictio causa data causa non secuta 89 Consilien 127 Corpus /uris 24, 61 f., 93 culpa in contrahendo 91 Darmstadt 58, 75 Demokratie 20, 46 desuetudo 125 Deutscher Bund 17, 23, 25, 37, 65, 75, 77, 80, 87, 102 Deutschland 14, 16- 18, 25, 38, 43, 51 f., 54, 57, 61-63, 65-67, 75 f., 78-80, 84, 94, 101 f., 106, 111, 114 Diäten 22, 45 Dienstherr 13 f. - Dienstprüfung, höhere 14, 144 Dissertation 14 Dogmatik 67, 74, 105, 107 Doppelnatur 150 Dresden 20, 75 Dresdner Entwurf eines allgemeinen Obligationenrechts 77, 87 Düsseldorf58 Edinburgh 56 Ehrenbürger 20 Eigentum 98, 113, 118, 121 II Kern

- Eigentumslehre 62 EGStGB (1974) 149 Einheit 68, 76, 78 f., 102 - Einheit des Rechts 76, 104 - Einheit, deutsche 49 - Einheitsbewegung 66 Einigung 133 Einzelfallregelung 120 Einzelgesetz 112 Einzelkodifikation 79 Einzelstaat 23, 25, 67, 75 Eisenbahnbau 35,51 Ehre 96 Emanzipationsbewegung 57 England 19, 51 f., 56 f., 60 Enteignung I 04, 117 Entschädigung 22, 45, 117, 150, 154 - Entschädigungsanspruch 149 - Entschädigungscharakter 152 Entwurf - eines sächsischen BGB 25, 82 - Dritter Entwurf des BGB 55 - Entwurf eines StGB 34, 122 ErbfalllOB - Erbrecht 62, 113 - Erbteil14 Erlangen 15, 54 f. Ersatz 150, 153 f. - Ersatzanspruch 117, 153 f. - Ersatzfunktion 150, 154 - Ersatzklage 151 - Ersatzmoment 151 - Ersatztheorie 153, 155 Erziehungszucht 137 Esslingen/Neckar 14 Examen 14 Exekutive 52, 104, 116, 121, 126 - Exekutivgewalt 122 Fakultät(. juristische) 15, 20, 33 - Fakultät(, philosophische) 35 - Fakultätskollege 153 - Fakultätsprüfung 14 Fallbeil 22 Familienrecht 113 Faustrecht 132 Fehde 132 Feudallasten 35

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Sachregister

Fiktionstheorie 96 Finanzkommission 15, 41 Fiskus 104 Föderation 17 Forderung 109 - Forderungsrecht 98 Fortschrittspartei 21 Fraktion 21, 42 f. Frankfurt/M. 17 f., 20 f., 39 f., 44, 49 f., 52 f., 79, 130 Frankreich 51, 57 Freiburg 151 Freie Städte 20 Freiheit 19 f., 25-27,40,47,82,96 f., 118, 121, 132, 135, 138, 141 - Freiheit des Bodens 17 f. - Freiheitsdrang 51 - Freiheitsgebrauch 132 f. - Freiheitskampf 51 - Freiheitsverwirklichung 134 - Freiheit und Eigentum-Klausel 118, 120 Freikonservative 42 Freisinnige 54 Friede 132 - Friedensbruch 132 - Friedenspräsenz 22, 45 - Friedensstärke 46 - Burg-/ Gottes-/ Haus-/ Königs-/ Religionsfriede 132 Frohn-Gesetz 26 Frühkonstitutionalismus, württembergischer 116 . Fünfziger-Ausschuß 18, 36, 38-40 Fürst 83, 123 - Fürstendienst 31 - Fürstenherrschaft 51 Geheimverfahren 58 Geld 153 - Geldleistung 153 Gemeindebürgerrecht 53 - Gemeinderat 36 Gemeingebrauch 98 Generalstaatsanwalt 151 Genossenschaftsrecht 97 Genugtuung 136 - Genugtuungsgedanke 154

Gerechtigkeit 58, 82, 140 - Gerechtigkeitsgebot 145 Gericht 19,26f.,58,107,121,125,134 - Gerichtsgebrauch 26, 84, 125- 127 - Gerichtssaall51 ,.. Gerichtsverfahren 18, 53 - Gerichtsverfassungsrecht I 08 - Appellationsgericht 15 - Kreisgericht 14 - Revisionsgericht 58 - Unter-/Obergericht 125 f. Germanikum 96 f. Gemwnisten 16, 30,49 f., 53-56, 59,6163, 78, 80, 112, 114, 129 f., 154 f. - Germanistentag 49 f., 52-54, 58, 62, 78 f., 130 - Germanistenversammlung 16, 53, 55, 57 Gesamtschuld 151 - Gesamtschuldner 149 Geschäftsordnung 43, 52, 56 f. Geschichte 11-13, 24, 30, 49, 56, 70, 74, 92f., 98, 105-108, 149 - Geschichtsforscher 49 - Geschichts- und Altertumsverein 11 Geschworener 57, 59 f. - Geschworenengericht 16, 50, 56-58, 60, 61 Gesellschaft 23, 98, 116, 128, 134, 137 Gesetz 20, 23 f., 26 f., 68, 71 -74, 77, 79, 81-83, 85 f .• 95, 112, 114-124, 145 - Gesetzbuch 18, 24 f., 27, 65 f., 69-72, 75-79,84-87, lll f., 115 - Gesetzentwurf 117 - Gesetzesanalogie 94 - Gesetzesbegriff 81, 118, 120 - Gesetzesflut 104 - Gesetzesrecht 119 - Gesetzesunterwerfung 82 - Gesetzesverständnis 81 - Gesetzesvorbehalt 121 Gesetzgeber 24, 27, 71, 74, 82 f ., 87, 113, 115, 118, 120, 123-125, 134, 151 - Gesetzgeberwille I 07 Gesetzgebung 21, 23 f., 26 f., 44, 65, 67, 70, 72-75, 78 f., 83-86, 94, 103-106, 108, 110, 114-120, 122 f., 128, 130 - Gesetzgebungsgewalt 82, 117, 120 - Gesetzgebungskommission 58, 78

Sachregister - Gesetzgebungskompetenz 44 - Gesetzgebungsorgan 82 f. - Gesetzgebungspolitik 70 - Gesetzgebungsverfahren 81 f., 117 - Gesetzgebungszuständigkeit 87 Gesinnung 116, 142 Gewerbe 51 Gewohnheit23, 72, 114, 124 f. - Gewohnheitsrecht 26 f., 71 -73, 79 f., 92 f., 107, 117, 123-125 Gießen 55, 58 Glarnerisches BGB 25 Goltdammers Archiv 152 Göppinger Versammlung I Kreis 30 Göttingen 30, 52, 55 f., 58 - Göttinger Schule I 07 - Göttinger Sieben 16, 52 Grundbesitz 118 - Grundeigentümer 104 - Grundlasten 36 - Grundsteuern 118 Grundrechte 40, 44 - Grundrechtsfrage 44 - Grundrechtskatalog 21 Haftpflicht, solidarische 151 Halle 55,58 Harnbach i. d. Pfalz 51 - Harnbacher Fest 51 Harnburg 20, 55 f. Handel 51 - Handelsrecht 44, 77 - Deutscher Handels- und Gewerbeverein 50 f. Handlungslehre 137 Hannoverl6,30,42,52 - Hannoversche Verfassung 35, 52 Hanse49 Hauptstadt 21 Heide/berg 14, 16 f., 54 f., 60 Heidenheim 15 Heiligkeit 138, 146 Heilkunde 59 Herrenhaus 58 Hessen 58, 60, 76, 85 Hessen-Darmstadt 15, 77 Historische Schule 13, 23, 25, 29, 65, 68 f., 80, 92, 105 - 11 0, 123 f., 136

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Historismus 106 Historizität 77 Höchstpersönlichkeit 151 Hochverrat 43, 45 Hoheitsrecht 98 Hungerkrawalle 17 lncorporation 24 f. Industrie 51 Initiativrecht 117 Innkreis I lnnviertel 54 Instanzgericht 125 - Appellationsinstanz 126 - Instanzenzug 125 Institutionen 14, 24 - Institutionen (des Gaius) 58 Interessentheorie 97 Interpretationsherrschaft 117 ius commune 85 - iura quaesita 26 - ius eminens (des Staates) 104 - ius finitum 25, 80 - ius romanum 69 - strictum ius 93 Jagdrecht 40 Jena 19, 40, 55 Jurisprudenz 15, 28, 71 f., 75, 84, 90, 92, 102, 105 f., 126, 128 - Begriffsjurisprudenz 95, 98 - Konstruktionsjurisprudenz 98 Juristenfakultät 15, 65, 127, 153 - Juristenrecht 71-74,79, 126 f. - Juristenstand 71 , 8 3 - Juristentag, deutscher 20 f., 53 f., 78, 121, 130 Jury 57-61 Justiz 121 f., 125, 144 - Justizministerium 55,61 - Justizreform 61 - Departement der Justiz 14 Kabinett 55 Kaiser92 - Kaiserrecht 92 f. Kammer (der Abgeordneten) 11, 13-15, 17-19,23,33-37,39-41,51 f ., 76, 78, 82f., ll7 f., 122

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Sachregister

- Kammerabgeordnete 116 - Kammerdebatte 122 - Kammerpräsident 15,60 - Zweikammersystem 52, 83 - Zweite Kammer, bayerische 51,54 - Zweite Kammer, hessische 16 - Zweite Kammer, württembergische 51 Kandidatur 18 Kantone 79 Kanzler 15, 17, 29, 34, 36, 40 f., 83 - Kanzleramt 19,41 - Vizekanzler 14 Karlsbader Beschlüsse 14 Kassationsgericht 58 - Kassationshof 60 Kasse/38 Kaufleute 51 Kiel 55 Kirr:he 108 - Kirchenprivilegien 103 - Kirchenrat 55 Klage 93,97 Klinik 15 Kodex 24 Kodifikation 14, 23-26, 29, 66-70, 74 f., 77-79, 81 f., 84-87, 102-104, 110, ll5 f., 129 f. Kodizill 55 Kohleabbau 51 Kollisionsfall 124 Köln 58 Kommentarliteratur 152 Kommissionsbericht 56 König 15, 18, 23, 34, 51 f., 54, 75, 80 f., ll7, ll9, 128 - Königtum ll, 29 Konkursverfahren 44 Konservatismus 128 Konstitutionalismus 13, 16, 22, 46, 82 f., 121 Körperverletzung 149 Korporation 96 Kreditsicherungsmittel l 09 Krieg 133 - Kriegszustand 54 Kriminalisten 60, 151 - Kriminalrecht 55, 144 - Kriminalprozeß 96

- Criminal-Sachen 18 Krone 22 - Kronsyndicus 58 Kufstein 51 Kurhessen 38 Landesherr 69 - Landesgeschichte 30 - Landesgesetz 80, 111, 124 f. - Landesgesetzgeber 85 - Landesgewohnheitsrecht 80 - Landesgrenzen 129 - Landeshistoriographie 31 - Landesjurisprudenz 85 - Landeskodifikation 84 - Landesrecht 68, 75, 80, 94, 102, 129 - Landesregierung 58 - Landesuniversität 14, 17 - Landesverfassung 21, 103 - Landesverrat 45 - Landfriede 132 - Landfriedensbruch 132 Landrecht ll2, 124 - Erstes Landrecht, Württemberg (1555) 109,ll2 - Drittes Landrecht, Württemberg (1610) 109, lll f. - Mecklenburgisches Landrecht 129 Landrichter 54 Landtag ll, 16-19,34, 36, 39, 41, 52, 78 - Landtagsabgeordneter 58, 60 - Landtagswahlen 116 Landshut 60 Landwirtschaft 59 Lehrer 14 f. - Lehrfreiheit 36, 40, 87 - Lehrstuhl 52, 54 f. - Lehrtätigkeit 15, 90 Leichnam 98 Leipzig 11- 13, 15, 20 f., 30 f., 34, 42, 46, 49, 51 , 54 f., 58, 60, 65, 90, 94, 109, 111, 149, 153 Lernfreiheit 14, 40 Iex Lasker (1873) 87 Liberale 16, 54, 122 - Liberalismus 29, 116, 141-143 - Liberalität 52, 54 Liegenschaften 53

Sachregister Lnndon 56 Lübeck 16, 20, 45, 49 f., 53-55, 57, 59, 61-63,78 f., 129 f. Mainz21 Mandatar 82 Marbach/Neckar 11,57 März20, 76 - Märzbewegung 19 - Märzereignisse 76 - Märzforderung 76 - Märzministerium 19, 76 Maßregel, polizeiliche 27 Mecklenburg 43 f., 55 - Meck1enburgisches Landrecht 129 Mehrheitsbeschluß 57 Meinungsfreiheit 53 Menschenrecht 133 Mercantilverhältnisse 18 Methode, synchronistische 107 - Methodenlehre 94, 106 f., 127 - Trennungsmethode 113 f. Militärfrage 45 - Militärhaushalt 22 - Militärmacht 22, 45 Minister 16, 20, 52, 54 f. - Ministeramt 19 - Ministerium 76 - Ministertisch 52 - Ministerverantwortlichkeit 21,45 - Außenminister 54 - Innenminister 54, 58 - Kultusministerium 54 Mobilisierung 87 Moderator 22 Modemisierung 51, 103, 114 Monarch ll, 117, 120, 122, 128 - Monarchie 121, 134 München 21, 55,75 Mündlichkeit 16, 18, 34, 59 Münsingen 15 Nassau 76 Nation 28, 65, 83 f. - Nationalgesetzbuch 76 - Nationalkongreß 51 - Nationalliberale 12,42 - Nationalparlament 16

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- Nationalversammlung 18, 21, 38 f., 41, 58 Natur 71 f., 84 - Natur der Sache 73, 94, 99, 123, 138 - Naturrecht 69 f., 82, 92, 94 - Naturzustand 135 Negation der Negation 139 negotia stricti iuris 93 Neustadt a. d. Weinstraße 51 Neustrelitz 55 Neuzeit 28, 92 Niederlande 51 Norddeutscher Bund 46, 87,97 - Bundesverfassung, norddeutsche 21 Nonn 23, 74, 83, 94 f., 117, 120, 134, 136 - Normativbedingung 97 - Normenkontrolle 122 - Normenkontrollrecht 121 - Normsetzung 118 Notariatsedikt (1819) 108 nulla poena sine lege 135 Nürnberg 49 Oberappellationsgericht 20, 45 Oberappellations(gerichts)rat 24, 55 Obertribunal 112 Obertribunalrat 58, 122 Obligationenrecht 44, 62, 78, 87 Obrigkeit 17 - Obrigkeitsstaat 118 Öffentlichkeit 16-18, 34, 51, 59, 62, 117 Opfer 138 opinio necessitatis 125 Opposition 122 Orden 16 Ordinarius primarius 20 Ordnung 19 f., 47, 124 Organisationskommission 13, 19 Organschaft 73 Osnabrück 44 Österreich 51, 54 f., 86 f. pactum 93 Pandekten 14, 19, 40, 55, 62,89-91,94, 98 - Pandektenlehrbuch 153 f. - Pandektenrecht 20, 67, 91 f ., 94, 96, 99, 111 - Pandektenstudium 91

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Sachregister

- Pandektenvorlesung 90, 94 - Pandektenwerk 68 - Pandektenwissenschaft 13, 66, 89 f., 102 - Pandektismus 99 - Pandektist 94- 96 - Pandektistentradition 97 Parlament 11, 15, 17 f., 21 f., 37, 39, 45, 51, 76 - Parlamentspräsident 57 - Parlamentarier 11, 13, 33, 57 - Rumpfparlament 41 - Vorparlament 17 f., 36, 38 f., 53, 58, 60 Partikulargesetzbücher 76 - Partikulargesetzgebung 62, 103, 105 - Partikularismus 102, 104, 128, 130 - Partikularrecht 68, 80, 85, 101, 104, 109, 111-114, 129 f., 152 - Partikularstaat 11 0 Paulskirche 19, 39, 53 Person95-97, 133 - Personenrecht 95 f., 98, 112 - Persönlichkeit 132 f. - Persönlichkeitsschutz 96 Petition 117 Pfalz 51 Pfandrechte 104, 108 f., 113 - Generalpfandrecht I 09 - Pfandgläubiger 104 Polen 51 - Kongreßpolen 5 I - Polenlieder 51 Politiker 12 Positivismus 29, 82, 110 Prag 39 Präjudizien 126 Prälat 17 Präventionstheorie 146 Premierminister 52 Presse 46 - Pressefreiheit 17, 36, 51,53 - Preß- und Vaterlandsverein 51 Preußen 20, 41, 43, 51,54 f., 87 Prinzipienkampf 63 Prioritätsgrundsatz 109 Prioritätsrecht 108 f., 113 Privatdozent 55 Privateigentum 98 Privatgeldstrafe 150

Privatgesetze 23 Privatrecht 12, 14, 16, 23, 25, 28-30,62 f., 65-69, 72, 74 f., 77 f., 81, 84-86, 89, 91,95 f., 98,101-106,108,111,113116, 123, 128, 130 - Privatrecht, deutsches 60, 91, 111, 113 - Privatrecht, internationales 12, 30 - Privatrechtsgeschichte 65, 108 - Privatrechtsgesetz 104 - Privatrechtsgesetzbuch 65-67, 70, 75 - Privatrechtsgesetzgebung I 03 - Privatrechtskodifikation 65, 74 f., 86 - Privatrechtsordnung 104 - Privatrechtsverfassung 112 - Privatrechtsverhältnis 108, 120 - Privatrechtswissenschaft 87 Privatstrafe 150-155 - Privatstrafcharakter 152, 154 - Privatstraftheorie 153 Probedienst 14 Professor 12, 14, 19-21,24, 30,52 Promotion 14 Prozeßrecht 12,23, 75, 78,98,108 Prüjimgskompetenz 121 - Prüfungsrecht 121 f., 128 Publizitätsgebot 109

Quellen 71, 92, 114 - Quellenbasis 93 - Quellenkreis 114 - Quellenstudium 70, 92 quia peccatum est 139, 142 Quietismus 106 Radikale 16 Rangverhältnis 124 Reaktion 54 Reallast 95, 113 Realrecht 95 Recht 12 f., 19, 21, 23 - 29, 43, 47, 51, 59, 61 f., 65, 67-74, 76, 78 - 85, 90 - 98, 113, 115, 131-135, 137-139 - Recht, bürgerliches 71, 77, 79, 103 - Recht, deutsches 16, 29, 50, 62, 80, 91, 110-112 - Recht, gemeines 29, 74, 79 - 81, 84 f., 91 f., 94, 96, 101 f., 110-114, 124, 126, 130, 150

Sachregister - Gemeinrechtswissenschaft 85, 93, 115, 120 - Recht, germanisches 61 - Recht, kanonisches 111 - Recht, öffentliches 29, 62, 102-104 - Recht, positives 23, 27, 69 f., 73 f ., 81, 83 f., 87, 94, 109, 134, 141 - Recht, preußisches 44, 89 - Recht, römisches 14-16, 25, 28 f., 50, 54 f., 61-63, 68 f., 80 f., 91-94, 98, 109-113, 150, 152, 154 - Recht, ständisches 30 - Recht, württembergisches 91, 105, 107liO, l12 f., 124, 127, 129 - Recht, virtuelles 85 - Lokalrecht l1 0 Rechtfertigung 131, 135 f., 146 Rechtsanalogie 94 Rechtsangleichung 75 Rechtsansicht 27 Rechtsanwalt 12, 122 Rechtsanwendung 82, 125, 127 Rechtsanwendungsmodell 126 f. Rechtsbegriff23, 83, 106, liO, 141 Rechtsbegründung 94 Rechtsbestand 85 Rechtsbetrachtung I 09 Rechtsbewußtsein 24 Rechtsbildung 25, 60, 81, 109, 127 Rechtsbuch 66, 69 f., 72, 115 Rechtsdenken 13, 141, 147 Rechtseinheit 16, 20 f., 67, 74, 77-79, 87, 104, 130 Rechtsentstehung 81 Rechtsentstehungslehre 83 Rechtsentwicklung 30, 61, 63 Rechtserzeugung 72, 127 f. Rechtsfindung 94 Rechtsfortbildung 115, 127 - Rechtsfortbildungskompetenz 125, 127 - Rechtsfortbildungslehre 94 Rechtsfrieden 132 Rechtsgelehrter 11, 30, 49 Rechtsgemeinschaft 132-135, 138, 142, 146 Rechtsgeschäft 113 Rechtsgeschichte 22, 29, 40, 60, 92, 105108

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Rechtsgesetz 135, 138, 145 Rechtsgewohnheit 134 Rechtsgrund 72, !55 Rechtsgrundsatz 114 Rechtshandlung 82 Rechtsherkommen 26 Rechtsinstitut 94, 107, 149 Rechtskundige 71 Rechtsleben 28, 81, 146, 152 Rechtslehre ll , 22, 107, 127 Rechtslehrer 13, 30 Rechtsnatur 149-151 Rechtsnorm 26 f., 73, 95, 114, 125 Rechtsordnung 132-134, 136-138, 140, 146 Rechtspartikularismus 102 Rechtspflege 16, 28, 30, 34, 51, 59,71 Rechtsphilosophie 69 f. Rechtspolitik 86 Rechtsprechung 58, 91, 126, 152 Rechtsprinzip 104, 135 Rechtsquelle 22, 26, 28, 56, 67, 70-73, 80, 82, 85, 103, 121, 123, 125 f., 150 - Rechtsquellenlehre 13, 71, 83, 110, 116, 122 f., 126- 128 Rechtsregel 131 Rechtssatz 24, 85, 114, 119, 127 Rechtsschöpfung 59, 127 Rechtsschule 68 Rechtssetzung 72 Rechtssetzungsbefugnis 119 Rechtssetzungsmonopoll20, 123, 125 Rechtssicherheit 81 Rechtssphäre 132, 141 Rechtsstoff70, 74, 102, 106 Rechtssubjekt 134 Rechtssystem 66, 133 Rechtstheorie 71 Rechtsvereinheitlichung 104, 111 Rechtsverhältnis 25 Rechtsverletzung 52, 133, 135, 138-141, 144- 146 Rechtsverständnis 98 Rechtsverworrenheit 74 Rechtsvielfalt 74, 84 Rechtswirkung 80 Rechtswissenschaft 28, 65, 74, 77, 84 - 87, 90,95,105-107,112,141

168

Sachregister

Rechtszersplitterung 112, 114 Rechtszustand 16, 26, 28, 52, 69 f., 72, 74 f., 92, 115, 139 Referendar 58 Reform 22, 76, 85, 97, 104, 111 - Reformbedarf 104 - Reformgesetzgebung 103, 109 Regent 52, 116 Regierung 17 f., 20, 31, 34, 51 f., 76, 82, 85, 116f., 122f. - Regierungsbevollmächtigter 15 - Regierungskommissar 122 - Regierungsvorlage 122 Reich 87, 102 f. - Reich, Altes 92 f., 101 - Reichsabschied (,Jüngster, 1654) 79 - Reichsbürgerrecht 53 - Reichsdeputationshauptausschuß lll - Reichsgebiet 53 - Reichsgericht 50, 154 - Reichsgesetz 55, 79 - Reichsgewalt 49, 77 - Reichsgründung 11, 155 - Reichsjustizamt 61 - Reichsnotariatsordnung (1512) 79 - Reichsparlament 53 - Reichspolizeiordnung (1577) 79 - Reichspublizist 102 - Reichsregierung 53 - Reichsstrafgesetzbuch (1871) 149-151 Reichstag 42-44,46, 150 - Reichstag des Norddeutschen Bundes 42, 46, 149 - Reichstag des Norddeutschen Bundes, konstituierender 21 f., 42, 79, 87 - Reichstagsabgeordneter 151 - Reichstagskommission 55 Reichsverfassung 40 f., 53, 76, 102 Rektor 14, 20 Repräsentationsgedanke 59 res extra commercium 98 Restauration 63, 66 Reutlingen 50 Revision 72 Revolution 17 f., 20 f., 47, 49 f., 52 f., 60, 77 - Revolutionär 57 - Julirevolution (1830) 51 Rezeption28-30,62f., 91, 109,129,152

- Rezeption in complexu 62 f., 80, 92 f. - Rezeptionsaussichten 101 Rheinhessen 58 Rheinpfalz 41 Richter 13, 21, 26-28, 58, 60-62, 81-83, 95, 97, 106, 117, 121 f., 124-126, 141 - Richterrecht 126 - Richterschaft 125 - Richterstand 122 Romanisten 16, 30, 50, 53-56, 59, 61-63, 68, 78,89f.,98, 101,112-114, 128f. - Romanistenleistung 89 Römer 115 Rostock 54 f. Sache, öffentliche 98 - Sachenrecht 55, 98 Sachsen 42 f., 75-77 - Sachsenspiegel 55 - Sächsisches BGB 13, 84, 94 - Sächsische Zeitung 46 Sachverständige 26, 125 Sanktionsanspruch 140, 144, 146 - Sanktionsausspruch 146 - Sanktionsgewalt 133 - Sanktionsmaßnahme 134 - Sanktionsmittel 132 Schaden, immaterieller 138, 145 - Nichtvermögensschaden 154 - Vermögensschaden 154 - Schaden, moralischer 138 - Schadensbegriff 145 - Schadensersatz 150- 152 - Schadensrecht 154 Scheingesetz 121 Schleswig-Holstein 42, 50 Schleswig-Holsteinische Zeitung 55 Schmerzen 153 f. - Schmerzensgeld 149- 155 - Schmerzensgeldanspruch 152 - Schmerzensgelddogmatik 154 Schriftsteller 22 Schuld 139-142, 145, 153 - Schuldauffassung 141 f. - Schuldrecht 113 - Schuldurteil 141 Schule 13, 30, 93, 147 Schuster 59

Sachregister Schutzzollpolitik 51 Schwanheck 55 Schweiz 25, 79 Schwerin 55 Schwert 22 Schwurgericht 53, 60 f. Selbstbindung 135 Senat 14, 20, 83 Servitutenlehre 62 Sitte 71 Souveränitätsinteresse 103 Souveränitätspolitik 103 Sozialdemokraten 21 Sozialkontrakt 132 Spezialistendogma 71 f. Sprache 59, 71 Sprachforscher 49 f. Spruchkollegium 15, 20 Staat 14, 24, 26, 66 f., 73, 75 f., 79 f., 8285, 95, 101, 103, 108, 110, 113-118, 133-135, 138, 141, 145 - Staatenbund 65, 79 - Staatsbürger 80, 118, 134 - Staatsbürgervertrag 133 - Staatsform 134 - Staatsfunktion 122 - Staatsgebiet 102 - Staatsgerichtshof 20 - Staatsgeschäfte 20 -Staatsgewalt 102, 104, 117, 121, 133, 135, 141 - Staatskönig 128 - Staatskunde 50 - Staatsleben 19 - Staatsmann 29 - Staatsminister 20 - Staatsministerium 58 - Staatspraxis 50, 116, 122 - Staatsrat 20, 55, 58 - Staatsrecht 23, 29, 58, 73, 108 - Staatsrechtslehre 118 - Staatsstreich 52 - Staatsverbindung 29 - Staatsverfassung 83, I 02 f., 135 - Staatsverständnis 131- 133, 135 f. - Staatsvertrag 132 - Staatsvertragstheorie 132 - Staatsverwaltung 70

169

- Staatswille 94 Städte 108, 112 - Stadtverordneter 20 Stand/Stände 11, 17 f ., 31, 59, 66, 71, 82, 108, 117f., 128 - Stand, dritter 30 - Landstände 23, 38 - Ausschuß, ständischer II, 36 - Beteiligungsrecht, ständisches 122 - Mitspracherecht, ständisches 120 - Tradition, altständische 26 - Zustimmung, ständische 121 - Zustimmungsrecht, ständisches 119, 122 - Ständemitglieder 17 - Ständeversammlung 15, 19, 56, 66, 68 - Ständevertretung 116 Statthalter 51 Statut/en 124 - Statutentheorie 12 - Lokalstatut 112 - Ortsstatut 112 Stellvertretung 113 Steuern 82 Strafe 27, 133, 135, 138-142, 144- 146, 149 f., 153 - Strafe, öffentliche 150 - Bestrafung(, gerichtliche) 27, 131, 139 - Strafandrohung 137, 140 - Strafanspruch 141 f., 145 - Straffunktion 153 - Strafgerechtigkeit 131, 140 - Strafgesetz 150 - Strafgesetzbuch 16, 34, 78, 149, 152 - Strafgesetzbuch, des Norddeutschen Bundes (1869) 149 - Strafgesetzbuch, preußisches ( 1851) 149 - Strafgesetzgebung 12, 34, 102 - Strafmoment 150 - Strafnorm 138 - Strafpolizeigesetz 35 - Strafprozeß 14, 21, 34, 57, 60 - Strafprozeßordnung 35 -Strafrecht 12, 14, 20-23,28-30,44,63, 70,77 f., 85, 89, 101, 108, 131, 147 - Strafrechtsauffassung 142 - Strafrechtsdogmatik 60, 131 - Strafrechtslehre 152 - Strafrechtspflege 27

170

Sachregister

-

Strafrechtswissenschaftler 143 Strafrichter 150 Strafsachen 53, 57 Straftheorie 131, 137 f., 140, 142, 144, 146f. - Strafurteil 58 - Strafzweck 139, 141, 144 - Strafzwecklehre 140 - Strafzwecktheorie 136, 142 - Strafvollzug 12, 22 Studententage 147 Stuftgart 11, 14 f., 30, 35,40 f., 75 Subsidiarität 84 Sühne 146 Systembildung 68 Tagungsprotokoll 56 Tat 136 - Tatbestand 26, 60 - Tatstrafrecht 137 - Fahrlässigkeitstat 136 - Vorsatztat 136 - Wiederholungstat 137 'J(iter 133, 136 f., 139-142, 146 - Täterstrafrecht 137 - Täterverhalten 140 Territorialgesetz 78 Territorialgesetzgebung 84 Testamentsabfassung 79 Thron 52 Triebhaftigkeit 146 Tübingen II, 14 f., 19 f., 31, 33, 49 f., 55 f., 143 - Tübinger Politischer Verein 19 - Tübinger Stift 30 - Tübinger Universitätsfreunde 30 Übel 137 Überfremdung 28 Umsturz 17 Unabhängigkeit 65 f., 121 Unerlaubte Handlungen 113 Universität 14 f., 20, 34, 36,41 - Universität Bonn 58 - Universität Leipzig 33, 54 - Universität Rostock 55 - Universität Tübingen 14, 33, 35, 83 - Universitätsreform 19

- Universitätsstadt 20 - Universitätsverfassung 34 Unrecht 26, 133 f., 136, 138-140 Untertan 10, 123 Unterwerfung 133 f. Unverletzlichkeit 65 f., 96, 138, 146 Urteil 51, 60, 154 - Urteilspraxis 126 USUS fori 26, 125 usus modernus 61, 92,99 Vaterland 18, 23, 63, 67,78 - Vaterländischer Verein 40 Verantwortlichkeit 139 Verbindlichkeit 96 Verbrechen 27, 136-138, 140, 142, 146, !53 - Verbrechensbegehung 146 - Verbrecher 27, 133, 136, 139 Verein 95, 134 - Verein, wirtschaftlicher 97 - Vereinsgenosse 95, 134 - Vereinsmitglied 134 - Unterstützungsverein 52 Vereinigte Staaten von Amerika 51 Verfassung 18, 21, 40,45-47,51 f., 66, 71, 79, 81, 103 f., 108, 116- 122, 127 f. - Verfassungsberatungen 21 - Verfassungsentwurf 21,42-44 - Verfassungsfrage 52 - Verfassungsgeschichte 50, I 07 f. - Verfassungsidee 58 - Verfassungskonflikt 122 - Verfassungsleben 116 - Verfassungsnorm 104, 123 - Verfassungsrecht (. württembergisches) 119,126, 128 - Verfassungsstaat 52, 81 f. - Verfassungstypus 29 - Verfassungsurkunde 15, 23, 44, 80, 117 - Verfassungsvertrag 46 f., 116, 128 - Vorrang der Verfassung I 04 Vergehen, politische 53 Vergeltung 138-140, 142 - Vergeltungslehre 139 - Vergeltungstheorie 139, 146 Verjährung 72 Verkehr 25, 75, 84

Sachregister Verlöbnis 153 Vernunft 136, 139 - Vernunftgebot 136 Verordnung l16, 119 f., 126 - Verordnungsbegriff 119 - Verordnungsgewalt 122 Verschuldensmaßstab 145 Vertrag 133 - Vertragslehre 133 - Vertragsrecht 113 Vertrauensmänner 37, 39 Vertretung 96 - Gesamtvertretung 18 Verwaltung 51, 108, 120, 122 - Verwaltungsbeamter 55 - Verwaltungsbehörde 26 - Verwaltungskritik 116 - Verwaltungsstaat 116 - Verwaltungstätigkeit 120 Verwilligung /-srecht 21 Vetorecht 117 f. Vielstaaterei 49 Virilstimme 34 Volk 16-19,24 f ., 59 f., 71-73,76 f., 79, 81 - 84,94 - Völkerstamm 84 - Volksgeist 30, 83 - Volksgericht 60 - Volksgewohnheit 73 - Volksglaube 71 - Volkshoheit 51 - Volksrecht 71 f., 83 - Volkssouveränität 51, 58 - Volksüberzeugung 26, 125 - Volksverhältnisse 26 - Volksvertretung 37 - Volkswille 73, 81 Vollstreckung I Vollziehung 120 Vorbehaltsbereich 118 f. Vorlesung 55, 105 - Vorlesungsnachschrift 90 - Vorlesungstätigkeit 90 Vonnärz II, 52, 57, 60, 83, 104 f., 116, 122, 143 Vormundschaft 79 Wahll7, 19, 116

- Wählbarkeit 22

171

-Wähler 13 - Wahlgeschehen 116 - Wahlgesetz 40 f. - Wahlkreis 44 - Wahlpartei 116 - Wahlprüfung 43 - Wahlrecht 118 - Wahlrechtsreform (1832) 51 Wechselrecht 44, 77, 113 Wertekonsens 134, 138 Westeuropa 51 Wiedervergeltung 139 f., 145 f. Wien 15,20 f., 55 Wille, allgemeiner 82, 95, 117 f., 123, 127 f., 136 f. - Wille, individueller 137 - Wille, normierter 137 - Wille, widerrechtlicher 136-142, 145 f. - Willensfähigkeit 96 - Willensmacht 97 - Willensschuld 140 - Willenssteuerung 140 - Willenstheorie 97 - Willensträger 137 - Willensübereinstimmung 132 Willkür 26, 133, 138 WissensciUJft 28, 30, 60,68-70, 72-75, 77, 79,84 f .• 87, 90, 92, 101 f., 113, 115, 117, 126, 128, 130 - Wissenschaftsgeschichte 99 Wucher 79 Württemberg II, 13, 15- 18, 23, 28, 30, 33 f., 36, 39, 41, 52, 56, 66, 68 f., 75 f., 80,85,89f.,94, 101,105,108 - 112,116, 122 f., 126 - Altwürttemberg 14, !II f. - Neuwürttemberg III f. - Erstes Landrecht, Württemberg (1555) 109, 112 - Drittes Landrecht, Württemberg (161 0) 109, II! f. Würzburg 54 - Würzburger Konferenz 77 Zensur 36 Zentralkompetenz 87 Zivilgesetzbuch 68, 75 - 77, 86, I 03

172 -

Sachregister

Solothurnisches 25 Züricher 25 Zivilgesetzgebung 87 Zivilprozeßrecht 60 Civil-Prozeß-Ordnung 44 Zivilrecht 21,28-30,44,77, 145, 153 Zivilrechtsdogmatik 153 Zivilrichter 150 Zivilsachen 18 Zivilsenat 154

Zollverhältnisse 78 Zürich 15, 55 - Züricher Zivilgesetzbuch 25 Zwang26 -· Zwangsausübung 137 Zweck (der Strafe) 136-138, 140, 142, 144 - Zwecklehre 136, 138 - Zweckrichtung 146 - Zwecksetzung 137 Zweibrücken 51