Zwischen Märchen, Tatsachenbericht und Glaubenszeugnis: Biblische Geschichten im Religionsunterricht der Grundschule [1 ed.] 9783737011204, 9783847111207

149 2 21MB

German Pages [539] Year 2020

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Zwischen Märchen, Tatsachenbericht und Glaubenszeugnis: Biblische Geschichten im Religionsunterricht der Grundschule [1 ed.]
 9783737011204, 9783847111207

Citation preview

Arbeiten zur Religionspädagogik

Band 70

Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h.c. Gottfried Adam, Prof. Dr. Dr. h.c. Rainer Lachmann und Prof. Dr. Martin Rothgangel

Juliane Keiser

Zwischen Märchen, Tatsachenbericht und Glaubenszeugnis Biblische Geschichten im Religionsunterricht der Grundschule

Mit einer Abbildung

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber https://dnb.de abrufbar. Zgl.: Lþneburg, UniversitÐt, Dissertation, 2018  2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Transkriptausschnitte ( Juliane Keiser) Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-6177 ISBN 978-3-7370-1120-4

Für meine Wegbegleiter und Mitstreiter, meine Mutmacher und Rückenstärker, meine Ratgeber und Unterstützer, für meine Ma und meinen Pa, für meinen Klaus

Inhalt

Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Ausgangslage und Problemstellung . . 1.2 Erkenntnisinteresse und Fragestellung 1.3 Forschungsstand . . . . . . . . . . . . 1.4 Gliederung der Arbeit . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

21 21 25 28 33

2 Die Exodus-Erzählung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Stellung im Kanon, Inhalt und literarische Struktur . 2.2 Die Frage nach den historischen Hintergründen . . 2.2.1 »Israel« in Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Auszug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Exodusroute und Sinai . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Mose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Exkurs: Die Wundererzählungen . . . . . . . . 2.2.5.1 Der brennende Dornbusch . . . . . . . 2.2.5.2 Die zehn Plagen . . . . . . . . . . . . . 2.2.5.3 Das Meerwunder . . . . . . . . . . . . . 2.2.5.4 Manna und Wachteln . . . . . . . . . . 2.2.6 Fazit: Geschichte(n)?! . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Hypothesen zur Entstehung . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

37 38 41 43 49 51 56 59 59 61 62 66 68 70

3 Überlegungen zum besonderen Wesen biblischer Erzählungen . . . . 3.1 Erzählung – Narration – »story« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Fiktionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77 77 85

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

8

Inhalt

3.3 Die Frage nach der Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89 94

4 Überlegungen zu den Rezeptionsvoraussetzungen der Schüler_innen 4.1 Unterscheidung von Realität und Fiktion . . . . . . . . . . . . . 4.2 Genese und Entwicklung von Geschichtsbewusstsein . . . . . . . 4.3 Rezeption biblischer Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

101 101 107 118

5 Untersuchungsdesign – methodologische Überlegungen und Forschungsmethodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Methodologische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Datenaufarbeitung und Transkription . . . . . . . . 5.2.3 Datenauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

127 127 129 130 135 138

6 Die Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Unterrichtseinheit I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Einführung in den biblischen Text . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1.1 Verlauf der ersten Unterrichtsstunde der Einheit . . . 6.1.1.2 Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1.3 Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Incidentanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2.1 Incident »nicht wörtlich nehmen« . . . . . . . . . . . 6.1.2.2 Incident »Erzählung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2.3 Komparative Betrachtung der Incidents »nicht wörtlich nehmen« und »Erzählung« . . . . . . . . . . 6.1.3 Zusammenfassende Betrachtung der gesamten Unterrichtseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3.1 Erzählsetting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3.2 Hinweise auf Quelle, Entstehung und Verfasser_innen des Erzählten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3.3 Hinweise auf den Realitätsstatus des Erzählten . . . . 6.1.3.4 Fragen und Äußerungen der Schüler_innen zu dem Erzählten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3.5 Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Unterrichtseinheit II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Einführung in den biblischen Text . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1.1 Verlauf der ersten Unterrichtsstunde der Einheit . . . 6.2.1.2 Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1.3 Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

149 150 150 151 154 174 176 177 193

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

203 220 220 223 229 243 250 254 254 255 257 272

Inhalt

6.2.2 Incidentanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2.1 Incident »Geschichte« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2.2 Incident »nicht wirklich« . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2.3 Incident »ein Mensch, der heißt Mose« . . . . . . . . 6.2.3 Zusammenfassende Betrachtung der gesamten Unterrichtseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3.1 Erzählsetting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3.2 Hinweise auf Quelle, Entstehung und Verfasser_innen des Erzählten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3.3 Hinweise auf den Realitätsstatus des Erzählten . . . . 6.2.3.4 Fragen und Äußerungen der Schüler_innen zu dem Erzählten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3.5 Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Unterrichtseinheit III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Einführung in den biblischen Text . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1.1 Verlauf der ersten zwei Doppelstunden der Unterrichtseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1.2 Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1.3 Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Incidentanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Zusammenfassende Betrachtung der gesamten Unterrichtseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3.1 Erzählsetting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3.2 Hinweise auf Quelle, Entstehung und Verfasser_innen des Erzählten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3.3 Hinweise auf den Realitätsstatus des Erzählten . . . . 6.3.3.4 Fragen und Äußerungen der Schüler_innen zu dem Erzählten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3.5 Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze . . . . . . . . . . . 6.4.1 Die Bibel als Quelle des Erzählten?! . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Hinweise auf das Konzept von Bibel seitens der Schüler_innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Hinweise auf das Konzept von Bibel und der biblischen Erzählung seitens der Lehrkraft . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3.1 Explizite Bedeutungszuschreibung . . . . . . . . . . . 6.4.3.2 Implizite Bedeutungszuschreibung . . . . . . . . . . . 7 Diskussion und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse . . . . . . . . . 7.1.1 Die Quelle des Erzählten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 275 276 288 300 314 314 317 324 333 340 343 343 344 351 372 373 392 393 396 399 411 419 422 422 428 434 434 457 483 483 483

10

Inhalt

. . . . . . .

485 486 491 495 498 500 508

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

513

7.1.2 Explizite Rezeptionshinweise . . . . . . . . . . . 7.1.3 Implizite Rezeptionshinweise . . . . . . . . . . . 7.1.4 Der Umgang mit den Wundern . . . . . . . . . . 7.1.5 Die Fragen und Äußerungen der Schüler_innen 7.1.6 Das Konzept des biblischen Textes . . . . . . . . 7.1.7 Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Reflexion und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

Erg-nzende Transkriptausschnitte, tabellarische 3bersichten zur inhaltlichen Konzeption der Unterrichtseinheiten sowie die zugehçrigen Klassenraumpl-ne sind verfegbar unter : http://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/keiser_biblische_geschichten (unter Downloads) Passwort: AIap3XnHKH

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22: Tabelle 23: Tabelle 24: Tabelle 25: Tabelle 26: Tabelle 27: Tabelle 28: Tabelle 29: Tabelle 30: Tabelle 31: Tabelle 32: Tabelle 33:

Transkriptionsrichtlinien (nach Selting et al. 2009) Beispielausschnitt einer formulierenden Interpretation Beispielausschnitt einer reflektierenden Interpretation Verlauf der 1. Stunde, Unterrichtseinheit I I.1.TA.14, 79–81, 205, 245f., 255–258 I.1.TA.259 I.1.TA.297–316 I.1.TA.361–363 I.1.TA.381–398 I.1.TA.399–403 I.6.TA.85–100 I.7.TA.182–205 I.1.TA.399–422 I.1.TA.422–429 I.1.TA.457–461 I.1.TA.555–563 I.1.TA.563–576 I.1.TA.723f. I.1.TA.764–781 I.5(b).TA.67–71 I.5(b).TA.72–85 I.5(b).TA.86–95 I.5(b).TA.96–116 I.5(b).TA.125–149 I.6.TA.29–53 I.5(b).TA.107–126 I.6.TA.52–80 I.6.TA.244–268 Inhaltliche Struktur 5. und 6. Stunde, Unterrichtseinheit I I.2.(a).TA.88–191 I.3.TA.191–337 I.5(a).TA.169–172 I.7.TA.30–39

S. 137 S. 143 S. 144f. S. 151–154 S. 155f. S. 157 S. 158f. S. 161 S. 161f. S. 163 S. 163f. S. 164f. S. 165f. S. 167 S. 167f. S. 168f. S. 169f. S. 172 S. 173f. S. 177 S. 179 S. 181 S. 182f. S. 184f. S. 187 S. 193f. S. 195f. S. 198 S. 204f. S. 206–210 S. 211–216 S. 223 S. 224

12 Tabelle 34: Tabelle 35: Tabelle 36: Tabelle 37: Tabelle 38: Tabelle 39: Tabelle 40: Tabelle 41: Tabelle 42: Tabelle 43: Tabelle 44: Tabelle 45: Tabelle 46: Tabelle 47: Tabelle 48: Tabelle 49: Tabelle 50: Tabelle 51: Tabelle 52: Tabelle 53: Tabelle 54: Tabelle 55: Tabelle 56: Tabelle 57: Tabelle 58: Tabelle 59: Tabelle 60: Tabelle 61: Tabelle 62: Tabelle 63: Tabelle 64: Tabelle 65: Tabelle 66: Tabelle 67: Tabelle 68: Tabelle 69: Tabelle 70: Tabelle 71: Tabelle 72: Tabelle 73: Tabelle 74: Tabelle 75: Tabelle 76: Tabelle 77: Tabelle 78: Tabelle 79:

Tabellenverzeichnis

I.5(b).TA.186–196 I.7.TA.122–134 I.8.TA.162–196 I.1.TA.552–555 I.2(a).TA.256–259 I.2(a).TA.174f. I.2(a).TA.286–292 I.3.TA.97–107 I.3.TA.383–385 I.7.TA.183–189 I.8.TA.21–24 I.1.TA.409–416 I.2(a).TA.151–164 I.3.TA.85–87 I.1.TA.747–754 I.2(a).TA.174f. I.2(a).TA.180–183 I.1.TA.602–605 I.6.TA.85–94 I.7.TA.182–189 I.2(a).TA.360–369 I.3.TA.383–385 I.5(a).TA.181–183 I.5(b).TA.181–184 I.6.TA.96–100 I.7.TA.290–300 I.7.TA.388–393 I.8.TA.127–130 I.3.TA.88–90 I.4.TA.241–243 I.8.TA.21–24 I.5(a).TA.169–175 I.7.TA.300–313 I.2(a).TA.79–86 I.2(a).TA.198–204 I.7.TA.70–82, 97–103 I.8.TA.39–58 I.8.TA.122–125 I.2(b).TA.5–25 I.4.TA.106–115 I.6.TA.132–137 I.6.TA.186–203 I.7.TA.97–108 I.7.TA.112–118 I.8.TA.244–257 I.8.TA.263–267

S. 224f. S. 225f. S. 226f. S. 230 S. 231 S. 231 S. 231f. S. 232 S. 232 S. 232 S. 233 S. 233 S. 233f. S. 234 S. 234f. S. 235 S. 235 S. 235 S. 236 S. 236 S. 237 S. 237 S. 237 S. 238 S. 238 S. 238 S. 238f. S. 239 S. 239 S. 239 S. 239f. S. 241 S. 241f. S. 243 S. 243f. S. 244 S. 245 S. 245 S. 246f. S. 247 S. 247 S. 248 S. 248f. S. 249 S. 249 S. 250

Tabellenverzeichnis

Tabelle 80: Tabelle 81: Tabelle 82: Tabelle 83: Tabelle 84: Tabelle 85: Tabelle 86: Tabelle 87: Tabelle 88: Tabelle 89: Tabelle 90: Tabelle 91: Tabelle 92: Tabelle 93: Tabelle 94: Tabelle 95: Tabelle 96: Tabelle 97: Tabelle 98: Tabelle 99: Tabelle 100: Tabelle 101: Tabelle 102: Tabelle 103: Tabelle 104: Tabelle 105: Tabelle 106: Tabelle 107: Tabelle 108: Tabelle 109: Tabelle 110: Tabelle 111: Tabelle 112: Tabelle 113: Tabelle 114: Tabelle 115: Tabelle 116: Tabelle 117: Tabelle 118: Tabelle 119: Tabelle 120: Tabelle 121: Tabelle 122: Tabelle 123: Tabelle 124: Tabelle 125:

Verlauf der 1. Stunde, Unterrichtseinheit II II.1.TA.5–15 II.1.TA.66–98 II.1.TA.120–152 II.1.TA.157–199 II.1.TA.231–252 II.1.TA.9–247 II.4.TA.280–303 II.4.TA.376–425 II.4.TA.162–182 II.5.TA.22–75, 92–98 II.6.TA.120–125 II.8(a).TA.71–83 II.8(a).TA.103–112 II.8(b).TA.91–107 II.6.TA.144–162 II.4.TA.399–414 II.8(a).TA.103–112, 142f., 153–159 II.6.TA.252–269, 290f., 311–324 II.4.TA.69–95 II.4.TA.141–149 II.4.TA.452–465 II.8(a).TA.218–227 II.7.TA.69–97 II.4.TA.167–178 II.10.TA.249–258 II.6.TA.91–102 II.4.TA.120–123 II.6.TA.236–251 II.3.TA.63–71 II.9.TA.1–4 II.4.TA.96–98 II.4.TA.108f. II.4.TA.380f. II.4.TA.396–399 II.2.TA.411–413 II.2.TA.419–422 II.3.TA.106f. II.5.TA.28–30 II.6.TA.79–81 II.7.TA.234f. II.8(a).TA.221f. II.8(a).TA.246 II.9.TA.8f. II.4.TA.164 II.7.TA.88–90

13 S. 255–257 S. 258 S. 260f. S. 263f. S. 267f. S. 270f. S. 273f. S. 276f. S. 279–281 S. 282 S. 284f. S. 285 S. 286 S. 286f. S. 287 S. 288f. S. 291f. S. 294 S. 296f. S. 300f. S. 303 S. 304 S. 308 S. 309–311 S. 318 S. 320 S. 321 S. 322 S. 322 S. 323 S. 324 S. 325 S. 325 S. 325 S. 325 S. 326 S. 326 S. 326 S. 326f. S. 327 S. 327 S. 327 S. 327 S. 327 S. 328 S. 328

14 Tabelle 126: Tabelle 127: Tabelle 128: Tabelle 129: Tabelle 130: Tabelle 131: Tabelle 132: Tabelle 133: Tabelle 134: Tabelle 135: Tabelle 136: Tabelle 137: Tabelle 138: Tabelle 139: Tabelle 140: Tabelle 141: Tabelle 142: Tabelle 143: Tabelle 144: Tabelle 145: Tabelle 146: Tabelle 147: Tabelle 148: Tabelle 149: Tabelle 150: Tabelle 151: Tabelle 152: Tabelle 153: Tabelle 154: Tabelle 155: Tabelle 156: Tabelle 157: Tabelle 158: Tabelle 159: Tabelle 160: Tabelle 161: Tabelle 162: Tabelle 163: Tabelle 164: Tabelle 165: Tabelle 166: Tabelle 167: Tabelle 168: Tabelle 169: Tabelle 170: Tabelle 171:

Tabellenverzeichnis

II.7.TA.196–198 II.8(a).TA.221 II.9.TA.321f. II.9.TA.381f. II.2.TA.320–328 II.2.TA.453–457 II.1.TA.8–11 II.1.TA.146–150 II.7.TA.118–121 II.11.TA.68–77 II.1.TA.66–81 II.7.TA.224–232 II.9.TA.305–311 II.2.TA.319–325 II.7.TA.49–62 II.8(a).TA.206–211 II.3.TA.64–70 II.4.TA.293–296, 461–464 II.9.TA.256–264 II.2.Ta.36–41 II.8(a).TA.89–95 II.8(b).TA.89–107 Verlauf der 1. und 2. Stunde, Unterrichtseinheit III Verlauf der 3. und 4. Stunde, Unterrichtseinheit III III.1/2.TA.70–87 III.1/2.TA.154–164 III.1/2.TA.290–293 III.3.TA.55 III.3.TA.377–382 III.4.TA.2–13 III.4.TA.27–34 III.4.TA.35–38 III.4.TA.124–126 III.4.TA.150–158 III.4.TA.253–262 III.4.TA.326–338 III.4.TA.428–449 III.11/12(a).TA.190–196 III.11/12(b).TA.6–37 III.11/12(b).TA.38–57 III.11/12(b).TA.58–65 III.11/12(b).TA.66–80 III.11/12(b).TA.8–17 III.5.TA.237.1–237.23 III.4.TA.254–262 III.11/12(a).TA.474–486

S. 328 S. 328 S. 328 S. 328 S. 329 S. 330 S. 331 S. 331 S. 331 S. 331f. S. 332 S. 333f. S. 335 S. 336 S. 336 S. 336f. S. 337 S. 337 S. 337f. S. 338 S. 339 S. 339f. S. 344–346 S. 346–351 S. 352f. S. 355 S. 356 S. 357f. S. 361 S. 362 S. 363 S. 364 S. 365f. S. 366f. S. 368 S. 369 S. 370f. S. 375 S. 376f. S. 379f. S. 382 S. 382f. S. 385 S. 386f. S. 396 S. 398

Tabellenverzeichnis

Tabelle 172: Tabelle 173: Tabelle 174: Tabelle 175: Tabelle 176: Tabelle 177: Tabelle 178: Tabelle 179: Tabelle 180: Tabelle 181: Tabelle 182: Tabelle 183: Tabelle 184: Tabelle 185: Tabelle 186: Tabelle 187: Tabelle 188: Tabelle 189: Tabelle 190: Tabelle 191: Tabelle 192: Tabelle 193: Tabelle 194: Tabelle 195: Tabelle 196: Tabelle 197: Tabelle 198: Tabelle 199: Tabelle 200: Tabelle 201: Tabelle 202: Tabelle 203: Tabelle 204: Tabelle 205: Tabelle 206: Tabelle 207: Tabelle 208: Tabelle 209: Tabelle 210: Tabelle 211: Tabelle 212: Tabelle 213: Tabelle 214: Tabelle 215: Tabelle 216: Tabelle 217:

III.13/14.TA.359–371 III.6.TA.199, 270–272 III.7.TA.207f., 247f. III.11/12(a).TA.173–180, 407 III.13/14.TA.495 III.15.TA.49, 234f., 268 III.4.TA.150–156 III.4.TA.435–439 III.15.TA.152–157 III.5.TA.80–83 III.7.TA.420–423 III.15.TA.102–104 III.8.TA.92–94, III.9.TA.69–71 III.9.TA.118–136, 173–202, 211–215, 240–249 III.11/12(a).TA.507–520, 528–536 III.11/12(a).539–557 III.4.TA.323–331, 413–420, 434–439 III.6.TA.159–165, 181–184 III.4.TA.428–447 III.13/14.TA.199–208, 224–228, 259–269 III.11/12(b).TA.50–56 III.6.TA.4–23 III.3.TA.55–79 III.8.TA.88–97 I.5(b).TA.186–188 II.4.TA.167–176 III.4.TA.428–434; III.11/12(b).TA.42–51 II.3.TA.64–71; II.4.TA.293–298, II.9.TA.1–4 I.5(b).TA.186–193; I.7.TA.128–134; I.8.TA.167–177 III.11/12(b).TA.51–57 III.11/12(b).TA.43, 46, 52, 69, 71 I.6.TA.248–262 II.6.TA.252–258 II.7.TA.21f., 68–77 II.10.TA.100–106 II.10.TA.7–19 II.7.TA.4–18 II.6.TA.263–265 III.7.TA.359–383 III.8.TA.52–72 III.9.TA.31–42 III.11/12(a).TA.159–172 II.7.TA.85, 149–152, 156–163, 178–188 II.7.TA.201–206 II.7.TA.207–222 II.8(a).TA.46–60

15 S. 398f. S. 400 S. 400 S. 400f. S. 401 S. 401 S. 401f. S. 402 S. 402f. S. 403 S. 403 S. 403f. S. 404 S. 404–407 S. 408f. S. 410 S. 411f. S. 412 S. 413 S. 413f. S. 415 S. 415f. S. 416f. S. 418 S. 424 S. 425 S. 425f. S. 427f. S. 428f. S. 430 S. 431 S. 432 S. 434f. S. 436 S. 437 S. 437f. S. 438f. S. 439 S. 440 S. 441f. S. 443 S. 444 S. 445f. S. 446 S. 446f. S. 447f.

16 Tabelle 218: Tabelle 219: Tabelle 220: Tabelle 221: Tabelle 222: Tabelle 223: Tabelle 224: Tabelle 225: Tabelle 226: Tabelle 227: Tabelle 228: Tabelle 229: Tabelle 230: Tabelle 231: Tabelle 232: Tabelle 233: Tabelle 234: Tabelle 235: Tabelle 236: Tabelle 237: Tabelle 238: Tabelle 239: Tabelle 240: Tabelle 241: Tabelle 242: Tabelle 243: Tabelle 244: Tabelle 245: Tabelle 246:

Tabellenverzeichnis

II.7.TA.232–240 II.10.TA.123–133 III.11/12(a).TA.262–278 III.11/12(a).TA.290–297 III.13/14.TA.57–72 III.11/12(a).TA.389–401 III.1/2.TA.435–439 I.5(a).TA.169–175 I.7.TA.300–313 II.6.TA.146–150 I.4.TA.133–142; 1.5(a).TA.100–104, 421 II.4.TA.392–410 III.6.TA.286–304 I.5(a).TA.11–14 II.5.TA.94–98; II.6.TA.21–28 III.7.TA.170–181 I.6.TA.231–238 I.8.TA.50–71 I.8.TA.96–120 I.8.TA.122–159 II.8(b).TA.1–4 II.8(b)TA.25–75, 88–90 II.8(b).TA.90–107 III.11/12(a).TA.503–506, 538–560 I.8.TA.77–83 II.8(a).TA.262–266, 295–306, 309–313, 320 III.11/12(a).TA.528–534 Ausschnitt eines Unterrichtsgesprächs (Roose 2013b, S. 152) Gesprächsausschnitt (Fricke 2005, S. 533)

S. 448 S. 449 S. 451f. S. 452f. S. 453f. S. 454f. S. 455 S. 456 S. 456 S. 457 S. 458f. S. 459 S. 459f. S. 461 S. 461 S. 461f. S. 463 S. 464f. S. 466f. S. 467f. S. 469 S. 470–472 S. 473f. S. 475f. S. 478 S. 478f. S. 479f. S. 485 S. 494

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Zeitlicher Ablauf der Gespräche der Schüler_innen (Incident »Rotes Meer«)

S. 374

Abkürzungsverzeichnis

AB aktual. Art. bearb. Dtn durchgeseh. EKD erg. erw. Ex f. ff. Gen GG HA i. d. R. i. S. Jhd. Jos Kap. Lev L. Num NSchG OHP S. s. o. SuS überarb. v. Chr. vollst. vs.

Arbeitsblatt aktualisiert Artikel bearbeitet Das Buch Deuteronomium durchgesehene Evangelische Kirche in Deutschland ergänzt erweitert Exodus folgend fortfolgende Genesis Grundgesetz Hausaufgabe in der Regel im Sinne Jahrhundert Das Buch Josua Kapitel Levitikus Lehrkraft Numeri Niedersächsisches Schulgesetz Overhead-Projektor Seite siehe oben Schülerinnen und Schüler überarbeitet vor Christus vollständig versus

20 z. T. 1. Kön

Abkürzungsverzeichnis

zum Teil Das 1. Buch der Könige

1

Einleitung Mattis: »War das mal – also mit dem Wasser aus dem Weg geschoben – war das mal in echt?« Lehrkraft: »Das gab’s früher, ja. Das ist eine Geschichte aus der Bibel.«1

1.1

Ausgangslage und Problemstellung

Nicht nur im religiösen Leben und Lernen innerhalb der christlichen Glaubensgemeinschaft kommt der Bibel als Sammlung menschlicher Zeugnisse und Deutungen des Glaubens eine fundamentale Bedeutung zu, sondern sie bildet aufgrund der durch das Christentum geprägten Kulturgeschichte des Abendlandes zudem »ein zentrales Element des kollektiven Langzeitgedächtnisses unserer Gesellschaft«.2 So erschließt sich ein Großteil der europäischen Geschichte nur über das Wissen um die christliche Tradition, was das Kennenlernen dieser zu einem Bestandteil des Bildungsauftrages allgemein bildender Schulen macht.3 Trotz immer wieder aufkeimender Diskussionen um die Fragen, ob die Bibel als Gegenstand des schulischen (Religions-)Unterrichts »noch«, im Sinne der Aktualität ihrer Bedeutung, oder »schon«, im Sinne entwicklungs- und kognitionspsychologischer Voraussetzungen vor allem jüngerer Schüler_innen4, geeignet ist und wenn ja, in welchem Umfang und zu welchen Teilen,5 ist sie aufgrund ihrer Bedeutung für die christlichen Religionsgemeinschaften und deren im Grundgesetz (GG Art. 7,3) festgelegten Mitverantwortung der inhalt1 Dieser Gesprächsausschnitt stammt aus der als Vorerhebung für das Dissertationsprojekt aufgezeichneten Unterrichtseinheit zur David-Erzählung (siehe hierzu die Erläuterungen zur Datenerhebung, Kap. 5.2.1). Die Szene ereignet sich im Anschlussgespräch an die Frage der Lehrkraft, ob die Schüler_innen sich noch an die Israeliten erinnerten, die zusammen mit Mose durch das Schilfmeer gegangen seien. Siehe hierzu Tabelle 343 im digitalen Anhang. 2 Ebner/Gabriel 2008, S. 16; vgl. Fricke 2013, S. 374; vgl. Karle 2006, S. 121; vgl. Müller 2015, S. 225; vgl. Schmidt 2008, S. 207. 3 Vgl. EKD 2006, S. 3; vgl. Fricke 2013, S. 375; vgl. Müller 2009, S. 35. 4 Um sowohl dem Anspruch eines gendersensiblen Sprachgebrauchs als auch dem Anspruch eines den Lesefluss nicht unnötig störenden Schriftbildes bestmöglich gerecht zu werden, werden im Folgenden Personenbezeichnungen, welche alle Geschlechter meinen, mittels des sogenannten Gendergap dargestellt (z. B. Schüler_innen statt Schülerinnen und Schüler). 5 Vgl. Fricke 2005, S. 107ff.; vgl. Kalloch 2001, S. 198ff., 212f.; vgl. Mette 2013, S. 667ff.; vgl. Obermann 2008, S. 2; vgl. Pollefeyt/Bieringer 2005, S. 117; vgl. Reents 1999, S. 337ff.; vgl. Schmidt 2008, S. 13.

22

Einleitung

lichen Ausgestaltung des (christlichen) Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen fester Bestandteil in diesbezüglichen Lehr- und Rahmenplänen bzw. Kerncurricula. So formuliert die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in ihrer Schrift zu »Religion in der Grundschule«: »Die Kinder sollen biblischtheologisches Grundwissen erwerben und die Tradition und Sprache des christlichen Glaubens kennen lernen […]«6, und im vom Niedersächsischen Kultusministerium herausgegebenen Kerncurriculum für den evangelischen Religionsunterricht an Grundschulen heißt es: »Die Schülerinnen und Schüler lernen biblische Geschichten und andere Glaubenszeugnisse kennen und verstehen deren Bedeutung«7. Die Relevanz des Kennenlernens der Bibel wird dabei u. a. mit dem Verweis auf ihren Beitrag zur Allgemein- und Wertebildung, auf die durch biblisches Lernen erwerbbare »religiöse Sprachfähigkeit«8 sowie auf den Wert einer Auseinandersetzung mit der Bibel für die Identitätsentwicklung bildungstheoretisch begründet.9 Die Begegnung zwischen Bibel und Schüler_innen so zu gestalten, dass die oben genannten bildungstheoretischen Ziele erreicht werden können, bildet die zentrale Aufgabe der Bibeldidaktik. Dabei ist sie sowohl den Anliegen und Bedürfnissen der Lernenden als auch dem Anspruch und Wesen der Bibel verpflichtet.10 Die Erforschung der auf Seiten der Schüler_innen zu berücksichtigenden Voraussetzungen für biblisches Lernen zeigt, dass immer mehr von ihnen der Bibel zuerst und überwiegend im schulischen Religionsunterricht begegnen.11 »Viele der heutigen Schüler/innen kommen oft nicht mehr in Familie und Gemeinde mit der Bibel in Berührung, sondern allein im Religionsunterricht.«12 Die Konsequenz aus dieser Beobachtung ist ein Zuwachs an Bedeutung der bibeldidaktischen Prozesse im schulischen Religionsunterricht und damit der Verantwortung derjenigen, welche in der Praxis die Begegnung zwischen Bibel und Schüler_innen vorbereiten, gestalten und begleiten. Doch wie sieht diese bibeldidaktische Praxis im alltäglichen Religionsunterricht aus? 6 EKD 2000, o. S. 7 Niedersächsisches Kultusministerium 2006, S. 12. 8 Als »religiöse Sprachfähigkeit« wird das Vermögen beschrieben, sich die – durch die Sprache der Bibel eröffnete – Dimension von Wirklichkeit, die das »Sicht- und Greifbare« übersteigt, zu erschließen und sich selbst religiös ausdrücken zu können. »Der biblische Sprachschatz bietet Schülerinnen und Schülern die Option, eigene Lebenserfahrungen und Emotionen religiös konnotiert zu artikulieren und religiöse Erfahrungen zu versprachlichen«. Kropacˇ 2010, S. 419f.; vgl. Fricke 2013, S. 375; vgl. Hilger/Lindner 2014, S. 210. 9 Vgl. EKD 2000; vgl. Fricke 2013, S. 375; vgl. Fricke 2009, S. 32f.; vgl. Hilger/Lindner 2014, S. 208ff.; vgl. Landgraf/Metzger 2011, S. 27ff.; vgl. Obermann 2008, S. 2; vgl. Schmidt 2008, S. 206ff. 10 Vgl. Fricke 2013, S. 377; vgl. Zimmermann/Zimmermann 2013a, S. 7. 11 Vgl. Fricke 2009, S. 39, 51; vgl. Fricke 2013, S. 374; vgl. Hanisch/Bucher 2002, S. 28, S. 61f.; vgl. Itze/Moers 2013, S. 623; vgl. Schweitzer 2006, S. 104. 12 Fricke 2013, S. 374.

Ausgangslage und Problemstellung

23

Auch wenn es kaum aktuelle empirische Untersuchungen gibt, welche eine systematische Beobachtung und Analyse der Begegnung von Bibeltext und Schüler_innen in der alltäglichen religionsunterrichtlichen Praxis liefern (s. Kap. 1.3), finden sich im bibeldidaktischen Fachdiskurs – basierend auf Befragungen von Lehrkräften und Schüler_innen oder einzelnen Beobachtungen – eine ganze Reihe von Aussagen über Bedingungen und »typische Phänomene« dieser Begegnung. Während besonders in den ersten Schuljahren der Großteil der Schülerschaft dem Kontakt mit biblischen Texten aufgeschlossen gegenüberstehe und Interesse und Freude an den »Geschichten« zu erkennen sei, nehme diese unbefangene Herangehensweise und Offenheit gegenüber der Bibel mit steigendem Alter ab.13 Es lasse sich vielmehr ein zunehmendes Desinteresse, eine gewisse »Bibelmüdigkeit« oder sogar eine ablehnende Haltung beobachten.14 Als Erklärung für diese Entwicklung wird neben dem Trend einer abnehmenden familiären religiösen Sozialisation der Schüler_innen vor allem auf entwicklungspsychologische Faktoren verwiesen.15 Mit der im Laufe der kognitiven Entwicklung zunehmend kritischen Prüfung von Informationen auf deren Realitätsgehalt und der damit einhergehenden Orientierung an naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten komme es häufig zur Abwertung von in jüngeren Jahren wortwörtlich rezipierten biblischen Texten.16 Sofern kein alternatives Konzept von Wahrheit als das der Übereinstimmung von Beschreibung und Realität ausgebildet wurde, muss ein Großteil des biblischen Kanons als nicht real, nicht wirklich und somit »unwahr« abgelehnt werden. Biblische Erzählungen würden auf diese Weise als »Märchen« oder sogar »Lügengeschichten« eingeordnet, womit ein Bedeutungsverlust dieser einhergehe.17 »Wenn die biblischen Texte von Ereignissen erzählen, die nicht wirklich stattgefunden haben, sondern die ›nur‹ erzählt werden und die daher als ›bloß‹ erfunden gelten, dann scheinen sie auch nicht ›wahr‹ zu sein. Und wenn sie nicht ›wahr‹ sind, werden sie schnell als irrelevant und bedeutungslos erklärt.«18

Befördert wird dieser Entwicklungsverlauf der Bibelrezeption durch eine von Berg als »normativ unreflektierten Gebrauch der Bibel« benannte und proble13 Vgl. Büttner 2012, S. 448; vgl. Hanisch/Bucher 2002, S. 122f.; vgl. Hilger/Lindner 2014, S. 205; vgl. Müller 2009, S. 52. 14 Vgl. Schambeck 2009, S. 11; vgl. Berg 1993, S. 11, 19; vgl. Bosold 2013, S. 631; vgl. Hilger/ Lindner 2014, S. 205; vgl. Kalloch 2001, S. 11; vgl. Müller 2009, S. 51. 15 Vgl. Müller 2009, S. 53. 16 Vgl. Bohne 1994, S. 84; vgl. Büttner 2012, S. 488; Fricke 2012, S. 214; vgl. Hilger/Lindner 2014, S. 206; Hanisch/Bucher 2002, S. 95f., 98; vgl. Kalloch 2001, S. 217; vgl. Zimmermann/ Zimmermann 2013b, S. 663f. 17 Vgl. Baldermann 2006, S. 41; vgl. Kalloch 2001, S. 218; Landgraf/Metzger 2011, S. 26; vgl. Müller 2009, S. 53; vgl. Wegenast 2006, S. 71. 18 Schmitz 2006, S. 137.

24

Einleitung

matisierte Art der Präsentation biblischer Texte seitens der Religionslehrkräfte.19 Die Bibel würde den Schüler_innen als »selbstverständliche, unbefragte Autorität« dargeboten, ohne die Möglichkeit der kritischen Auseinandersetzung mit dieser zu eröffnen. Besonders im Religionsunterricht der Grundschule lasse sich dieses Phänomen in Form »konstatierender Redeweise« beobachten.20 »Hier wird die Überlieferung meist so wiedergegeben, als wenn es sich um Tatsachenberichte handelte.«21 Eine solche Darstellung kann dem »besonderen Wesen«22 biblischer Texte als Zeugnisse des Glaubens jedoch nicht gerecht werden. Als »unreflektiert« wird dieses Vorgehen von Berg im Unterschied zu einem absichtsvollen, intendierten Absolutsetzen der biblischen Autorität bezeichnet. Roose führt diesen Gedanken weiter und spricht von einem »implizit biblizistischen« Umgang mit der Bibel.23 »Dieser mag – auf Lehrplanebene – in einem mangelnden grundsätzlichen Problembewusstsein zu suchen sein, und – auf Lehrerebene – in der Diskrepanz zwischen universitärer fachwissenschaftlicher Ausbildung und persönlichem Habitus in der Praxis.«24

Eine solche (unbewusst) historisierende, eine wortwörtliche Deutung forcierende oder zumindest begünstigende Präsentation biblischer Texte in Verbindung mit einem Ausbleiben einer kritischen, die Bedeutung hinterfragenden Auseinandersetzung, hindert die Ausbildung eines entwicklungsfähigen (Rezeptions-)Konzepts25 von Bibel bzw. des biblischen Textes auf Seiten der Schüler_innen, welches sich auch nach der frühen Kindheit, in Pubertät und Adoleszenz, als anschlussfähig erweist. Spätestens mit der Prüfung auf seine faktische Wahrheit – mit der nach neueren entwicklungspsychologischen Erkenntnissen zum Wirklichkeitsverständnis nicht erst mit Eintritt in die Pubertät, sondern bereits im Grundschulalter zu rechnen ist26 – bleibt vom biblischen Text als Tatsachenbericht nur wenig Bedeutsames übrig, er erscheint »unwahr«, »nur ausgedacht« oder in einem abwertenden Sinne als »nur sym19 Vgl. Berg 1993, S. 32; vgl. Fricke 2017, S. 3; vgl. Fricke 2013, S. 383; vgl. Roose 2013a, S. 161; vgl. Roose 2013b, S. 157. 20 Vgl. Berg 1993, S. 32. 21 Ebd. 22 Zur Definition dieses Begriffes siehe Kap. 1.2. 23 Vgl. Roose 2013a. S. 161. 24 Fricke 2017, S. 3; vgl. Leutner-Ramme 2000, S. 236. 25 Mit den Formulierungen »Konzept von Bibel« und »Konzept des biblischen Textes« bzw. »Konzept von der biblischen Erzählung« sind im Folgenden die Vorstellungen und Einstellungen gemeint, die Personen hinsichtlich der das Wesen biblischer Texte bestimmenden Merkmale wie ihre Entstehung, ihre Form, ihr Realitätsstatus, ihre Bedeutung oder ihre Wahrheit haben. 26 Siehe hierzu Kap. 4.1.

Erkenntnisinteresse und Fragestellung

25

bolisch«.27 Und auch schon vor einer solchen expliziten Befragung seiner (vermeintlichen) Wahrheit, kann er kaum mehr Bedeutung erlangen als ein spannend erzählter Bericht von jedoch lange vergangenen Ereignissen und Menschen. Diese Überlegungen sowie die Beobachtung, dass der erste und überwiegende Kontakt mit der Bibel heute zumeist im schulischen Religionsunterricht stattfindet, sprechen der Art und Weise, wie biblische Erzählungen in der Elementarstufe seitens der Lehrkräfte präsentiert werden, einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Konzepts von Bibel bzw. des biblischen Textes der Schüler_innen zu. Sie ist demnach ein entscheidender Prädiktor dafür, ob biblischen Texten ein Wert bzw. welcher Wert ihnen von den Schüler_innen in ihrem weiteren Entwicklungsverlauf zugeschrieben wird. Empirische Erkenntnisse über die diesbezügliche bibeldidaktische Praxis innerhalb des Religionsunterrichts an Grundschule gibt es bisher jedoch kaum.28

1.2

Erkenntnisinteresse und Fragestellung

Ausgehend von der oben dargelegten Problemstellung hat die vorliegende Untersuchung das Anliegen, einen Einblick in die bibeldidaktischen Prozesse des Religionsunterrichts an Grundschulen zu erlangen und diese hinsichtlich des Umgangs mit biblischen Erzähltexten, der Art ihrer Präsentation und Erarbeitung zu befragen. Ziel ist es, die Bedeutungszuschreibung bzw. -konstruktion, die hinsichtlich des besonderen Wesens des biblischen Textes stattfindet, zu rekonstruieren, um ein erstes und besseres Verständnis für die alltägliche bibeldidaktische Praxis zu gewinnen. Alltäglich ist dabei nicht im umgangssprachlich häufig pejorativ verwendeten Sinn als Bezeichnung einer Art »Unterrichtstrott« gemeint, sondern bezieht sich auf die Bedeutung von Unterrichtsalltag als »Wirklichkeitsausschnitt im sozialen Miteinander«, welcher durch die Handlungspraxis von Lehrkraft und Schüler_innen gestaltet und beeinflusst wird.29 Mit der Bezeichnung »besonderes Wesen« der Bibel und der in ihr enthaltenen Texte wird in dieser Arbeit das zu fassen versucht, was sie in ihrer Bedeutung, ihrem Wesen nach ausmacht und von anderen Textformen unterscheidet. Als »zeitlich bedingtes Glaubenszeugnis«30, als »Sammlung der Zeugnisse, Bekenntnisse, Deutungen und Berichte von Menschen, die sich als von Gott 27 Vgl. Hanisch/Bucher 2002, S. 98; vgl. Hilger/Ritter 2006, S. 193; Hilger/Lindnder 2014, S. 206; vgl. Pollefeyt/Bieringer 2005, S. 120. 28 Siehe hierzu Kap. 1.3. 29 Krummheuer 2002, S. 42. 30 Roose 2013a, S. 163.

26

Einleitung

herausgerufen und angeredet begriffen«31, als »verdichtete« Erfahrungen der Menschen mit Gott kommt der Bibel ein existentieller Wahrheitsanspruch zu.32 Ihr Wert kann damit nicht über die Bestimmung ihres Realitätsstatus erfasst werden, also der Frage nach Historie oder Fiktion, der Frage, ob es sich um Geschichte oder Geschichten handelt. Dieser kann sich nur über den Blick auf ihre Entstehung und die Frage entdecken lassen, warum hier in dieser oder jener Weise von Gott und den Menschen erzählt wird, welche Glaubenserfahrungen an dieser Stelle für die Verfasser_innen so bedeutsam sind, dass sie in dieser spezifischen Form bezeugt werden. Im Fokus der Untersuchung steht die biblische Gattung der alttestamentlichen Erzählungen, da diese in den Lehr- und Rahmenplänen des Religionsunterrichts der Primarstufe einen nicht unerheblichen Raum einnehmen und dabei hinsichtlich einer ihrem Wesen gerecht werdenden Art der Präsentation und Bearbeitung m. E. eine besondere Herausforderung darstellen. In ihnen finden sich sowohl zeit- und realgeschichtliche Verweise – wie Bezeichnungen von Völkern, gesellschaftlichen Ämtern und Orten bzw. topografisch identifizierbare Ortsbeschreibungen – welche den Eindruck eines Berichts über historische Ereignisse erwecken (können), als auch Schilderungen von Phänomenen, die nach den im Allgemeinen bekannten naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten nur schwierig zu erklären sind und damit eher an fiktionale Erzählungen wie Märchen erinnern. Im Unterschied zu dieser, den meisten Schüler_innen im Grundschulalter vertrauten Textgattung, werden die wundersamen Ereignisse in den biblischen Erzählungen jedoch implizit und/oder explizit mit Gott in Verbindung gebracht. Die den Schüler_innen aus anderen Kontexten bekannten Rezeptionsstrategien können ohne eine Auseinandersetzung mit der Besonderheit dieser Art von Erzählungen deren besonderes Wesen und die in diesem liegende Bedeutung kaum erfassen, was – wie beim Schüler Mattis (s. o., S. 21) – zu der Frage nach der »Echtheit«, »Wirklichkeit«, des Realitätsstatus des Gehörten, also der Wahrheit im historischen Sinne, führen kann.33 Als Gegenstand der Untersuchung wurden Unterrichtseinheiten zur ExodusErzählung ausgewählt, da sie das beschriebene Wesen (alttestamentlicher) Erzählungen in besonders treffender Form repräsentiert. »Der Auszug aus Ägypten ist die zentrale Erzählung Israels.«34 Hier wird von der »Geburtsstunde« Israels als Gottesvolk erzählt, von dem Verhältnis zwischen den – erstmals als soziale Größe auftretenden – Israeliten und ihrem Gott.35 Erfahrungen von Unterdrü31 Otto G. 2006, S. 37. 32 Vgl. Kraft/Roose 2011, S. 77f. 33 Vgl. Büttner 2012, S. 448; vgl. Freudenberger-Lötz 2012, S. 7; vgl. Kalloch 2001, S. 263; vgl. Roose 2013b, S. 148; vgl. Roose/Kraft 2011, S. 75; Schmitz 2006, S. 137. 34 Schmitz 2011, S. 132. 35 Vgl. Eltrop 2007, S. 205.

Erkenntnisinteresse und Fragestellung

27

ckung und Befreiung sind in einer Erzählung verdichtet, die sowohl historische Verweise als auch die Schilderungen wundersamer Phänomene enthält. Die Exodus-Erzählung oder »Mose-Geschichte« gehört zu den Klassikern des biblischen Lernens in der Grundschule. Der Blick in die Lehr- und Rahmenpläne der einzelnen Bundesländer zeigt, dass sie – mit Ausnahme des Hamburger Bildungsplans – in jedem von ihnen als verbindlicher Inhalt oder als Beispieltext zu einem bestimmten zu bearbeitenden Themenbereich in der dritten und/oder vierten Klassenstufe angeführt wird.36 Auch im Niedersächsische Kerncurriculum ist sie für diese Altersgruppe als Möglichkeit der Thematisierung eines vielfältigen Gottesbildes angegeben.37 Aus dem dargelegten Erkenntnisinteresse wurden folgende die Untersuchung leitende Fragestellungen entwickelt: Wie wird die biblische Erzählung (die Exodus-Erzählung) hinsichtlich ihres besonderen Wesens und der damit verbundenen Frage nach ihrem Realitätsstatus im Religionsunterricht der Grundschule erarbeitet? Welche expliziten und impliziten Hinweise auf das diesbezügliche Konzept des biblischen Textes der Lehrkraft sowie der Schüler_innen lassen sich in der Unterrichtskommunikation identifizieren? Welche Deutungsspielräume ergeben sich für die Schüler_innen aus der Art und Weise der Präsentation des biblischen Textes seitens der Lehrkraft? Inwiefern erfragen die Schüler_innen den Realitätsstatus der Erzählung, und lassen sich hierfür bestimmte (thematische) Auslöser erkennen?

Die Untersuchung dieser Forschungsfragen erfolgte in Form einer rekonstruktiven Analyse von in der dritten Jahrgangsstufe der Grundschule videographisch aufgezeichneten Unterrichtseinheiten zur Exodus-Erzählung.38 Ausgehend von

36 Vgl. hierzu: Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden Württemberg 2006, S. 32; Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst 2014, S. 225; Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz 2005, S. 42; Senatorin für Bildung und Wissenschaft der Freien Hansestadt Bremen 2014, S. 19, 31; Hessisches Kultusministerium Institut für Qualitätsentwicklung 2011, S. 37; Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern o. J., S. 33; Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2008, S. 158f.; Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur Rheinland-Pfalz 2011, S. 17, 28; Ministerium für Bildung und Kultur Saarland 2016, S. 10; Sächsisches Staatsministerium für Kultus 2009, S. 22, 24; Kultusministerium Sachsen-Anhalt 2007 S. 12; Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein 1997, S. 28; Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur 2010, S. 14. 37 Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2006, S. 19. 38 Die Entscheidung für diese Klassenstufe richtete sich nach der schulinternen thematischen Planung des Religionsunterrichts für die dritten und vierten Jahrgänge der Grundschulen, welche einer empirischen Erhebung zustimmten. In allen an dieser Untersuchung teilneh-

28

Einleitung

einem praxistheoretischen Ansatz, welcher zwischen den Formen des explizierbaren, theoretischen Wissens und dem die Handlungspraxis leitenden, atheoretischen, kaum reflexiv zugänglichen Wissen unterscheidet, soll mittels der maßgeblich von Bohnsack entwickelten dokumentarischen Methode ein Zugang zu diesen impliziten, die habitualisierten Handlungen der Akteure im Unterricht orientierenden Strukturen des Wissens eröffnet werden.39 Forschungsabsicht ist nicht, die Richtigkeit der Präsentation und Erarbeitung der biblischen Erzählung im Religionsunterricht im Sinne einer normativen Prüfung zu bewerten, sondern herauszuarbeiten, wie die Bedeutungszuschreibung hinsichtlich des biblischen Textes in der Praxis erfolgt. Ziel ist es, zu klären, auf welche Weise, in Form welcher in die habitualisierte Handlungspraxis eingebundenen impliziten und expliziten Hinweise, dem biblischen Text bestimmte Eigenschaften und Bedeutungen zugeschrieben werden und welche Vorstellung, welches Konzept des biblischen Textes sich damit innerhalb der Unterrichtskommunikation dokumentiert.

1.3

Forschungsstand

»Empirische Religionspädagogik befindet sich seit gut zwanzig Jahren im Aufschwung.«40 Diese Feststellung Schröders trifft auch auf den Bereich der Religionsunterrichtsforschung zu. Der Blick in die aktuelle religionspädagogische Forschungslandschaft zeigt, dass besonders empirische Untersuchungen zu religionsdidaktischen Ansätzen sowie zu neuen religionsunterrichtlichen Konzeptionen (Modell- und Begleitforschung) einen Zuwachs erfahren haben.41 Und menden Grundschulen ist die Bearbeitung der Exodus-Erzählung in der dritten Klassenstufe vorgesehen. Siehe hierzu Kap. 5.2. 39 Vgl. Bohnsack 2014, S. 209; vgl. Bohnsack 2011a, S. 137; vgl. Bohnsack 2001, S. 329; vgl. Bohnsack 2009, S. 321. 40 Schröder 2014, S. 95. 41 Vgl. Beier/Heller/Wermke 2014, 152f. vgl. Pirner/Schwarz 2017, S. 3ff. ; Siehe hierzu u. a.: Asbrand, Barbara (2008): Zusammen leben und lernen im Religionsunterricht. Eine empirische Studie zur grundschulpädagogischen Konzeption eines interreligiösen Religionsunterrichts im Klassenverband der Grundschule. Frankfurt a.M.: IKO; Biesinger, Albert et al. (2011): Interreligiöse Kompetenz in der beruflichen Bildung. Pilotstudie zur Unterrichtsforschung. Berlin: Lit Verlag; Darwisch, Kinan (2013): Islamischer Religionsunterricht in Deutschland. Darstellung und Analyse der islamischen Unterrichtsprojekte. Marburg: Tectum; Dressler, Bernhard/Klie, Thomas/Kumlehn, Martina (2012): Unterrichtsdramaturgien. Fallstudien zur Performanz religiöser Bildung. Stuttgart: Kohlhammer; Gennerich, Carsten/ Mokrosch, Reinhold (2016): Religionsunterricht kooperativ : Evaluation des konfessionellkooperativen Religionsunterrichts in Niedersachsen und Perspektiven für einen religionskooperativen Religionsunterricht. Stuttgart: Kohlhammer ; Hassanein, Diaa Eldin (2013): Der Hamburger Weg des Religionsunterrichts. Eine empirische Studie zum Dialog im Klassenzimmer. Hamburg: Kovacˇ ; Knoblauch, Christoph (2011): Interreligiöser Dialog beginnt an

Forschungsstand

29

auch zur Unterrichtsrezeption, (vor allem) zu den Einstellungen, Erfahrungen, Erwartungen und Interessen von Lehrkräften sowie Schüler_innen zum Religionsunterricht, finden sich eine ganze Reihe empirischer Erhebungen.42 Trotz der von Beier, Heller und Wermke hervorgehobenen »[…] derzeitige[n] Fülle von Forschungsarbeiten, die sich dem Religionsunterricht widmen«,43 sind aktuelle Untersuchungen, welche die religionsunterrichtliche Praxis – also die Unterrichtskommunikation in situ bzw. Lehrkräfte und Schüler_innen in actu – zum Gegenstand haben und sich dieser nicht über den Weg der diesbezüglichen subjektiven Theorien der Beteiligten nähern, gerade im Vergleich zu anderen Fachdidaktiken noch unterrepräsentiert.44 So behält die vor zwanzig Jahren u. a. den Wurzeln. Religionsunterricht und Religious Studies auf der Suche nach interreligiösem Verständnis. Ostfildern: Schwabenverlag; Kuld, Lothar et al. (2009): Im Religionsunterricht zusammenarbeiten. Evaluation des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts in BadenWürttemberg. Stuttgart: Kohlhammer; Schweitzer, Friedrich et al. (2006): Dialogischer Religionsunterricht. Analyse und Praxis konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts im Jugendalter. Freiburg i.B.: Herder ; Weiße, Wolfram (2008): Dialogischer Religionsunterricht in Hamburg. Münster : Waxmann. 42 Siehe hierzu u. a.: Bucher, Anton A. (2000): Religionsunterricht zwischen Bildung und Chaos. Eine Befragung von 7200 Schülerinnen in der Bundesrepublik. Katechetische Blätter 125, S. 368–373; Breitmaier, Isa (2010): Religionsunterricht an der Berufsschule aus der Perspektive von Ausbilderinnen und Ausbildern. Münster u. a.: Lit Verlag; Feige, Andreas/ Dressler, Bernhard/Lukatis, Wolfgang (2000): Religion bei Religionslehrerinnen – Religionspädagogische Zielvorstellungen und religiöses Selbstverständnis in empirisch-soziologischen Zugängen. Münster : Lit Verlag; Feige, Andreas/Tzscheetzsch, Werner (2005): Christlicher Religionsunterricht im religionsneutralen Staat? Unterrichtliche Zielvorstellungen und religiöses Selbstverständnis von evangelischen und katholischen ReligionslehrerInnen in Baden-Württemberg. Eine empirische Rekonstruktion. Ostfildern: Schwabenverlag; Henecke, Elisabeth (2012): Was lernen Kinder im Religionsunterricht? Eine fallbezogene und thematische Analyse kindlicher Rezeption von Religionsunterricht. Bad Heilbrunn: Klinkhardt; Hütte, Saskia/Mette, Norbert/ Middelberg, Rainer (2003): Religion im Klassenverband unterrichten. Lehrer und Lehrerinnen berichten von ihren Erfahrungen. Münster u. a.: Lit Verlag; Khorchide, Mouhanad (2009): Der islamische Religionsunterricht zwischen Integration und Parallelgesellschaft. Einstellungen der islamischen ReligionslehrerInnen an öffentlichen Schulen. Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften; Knauth, Thorsten/ Leutner-Ramme, Sibylla/Weiße, Wolfram (2000): Religionsunterricht aus Schülerperspektive. Münster u. a.: Waxmann; Liebold, Heide (2004): Religions- und Ethiklehrkräfte in Ostdeutschland. Eine empirische Studie zum beruflichen Selbstverständnis. Münster u. a.: Lit Verlag. 43 Beier/Heller/Wermke 2014, S. 149. 44 Vgl. Pirner 2015, S. 8; Siehe hierzu: Dressler, Bernhard/ Klie, Thomas/ Kumlehn, Martina (2012): Unterrichtsdramaturgien. Fallstudien zur Performanz religiöser Bildung. Stuttgart: Kohlhammer ; Englert, Rudolf/Hennecke, Elisabeth/Kämmerling, Markus (2014): Innenansichten des Religionsunterrichts: Fallbeispiele – Analysen – Konsequenzen. München: Kösel; Fischer, Dietlind/Elsenbast, Volker/Schöll, Albrecht (Hrsg.) (2003): Religionsunterricht erforschen. Beiträge zur empirischen Erkundung von religionsunterrichtlicher Praxis. Münster u. a.: Waxmann; Gärtner, Claudia/ Brenne, Andreas (Hrsg.) (2015): Kunst im Religionsunterricht – Funktion und Wirkung. Entwicklung und Erprobung empirischer Verfahren. Stuttgart: Kohlhammer; Juen, Maria (2013): Die ersten Minuten des Unterrichts. Skizzen

30

Einleitung

von Fischer und vor etwa zehn Jahren erneut von Knauth, Leutner-Ramme und Weiße, Heil oder Schweitzer geäußerte kritische Feststellung der kaum stattfindenden Einsicht in das konkrete Unterrichtsgeschehen zumindest für bestimmte Bereiche der Religionspädagogik ihre Aktualität.45 Hierzu zählt – neben beispielsweise der Kinder- und Jugendtheologie46– auch die Bibeldidaktik. Untersuchungen, welche die bibeldidaktischen Prozesse innerhalb des alltäglichen Religionsunterrichts in den Blick nehmen, gibt es bisher kaum. Zumeist handelt es sich bei den bestehenden empirischen Studien zur Bibeldidaktik um Untersuchungen zur Rezeption biblischer Texte, welche in Form von Befragungen (Interview, Fragebogen) das jeweilige Verständnis der Schüler_innen zu erfassen versuchen47 oder im Sinne von Interventionsstudien bibeldidaktische Konzepte im Klassenverband oder in Kleingruppen erproben und auswerten.48 Dabei sind überwiegend Texte des Neuen Testaments – insbesondere Gleichnisse und Wundererzählungen – Gegenstand dieser Studien. Arbeiten zum Umgang mit oder zur Rezeption von alttestamentlichen Texten im Religionsunterricht finden sich bisher nur wenig. Neben der Dissertation

45 46

47

48

einer Kairologie des Anfangs aus kommunikativ-theologischer Perspektive. Wien u. a.: Lit Verlag; Schweitzer, Friedrich/ Ruopp, Joachim/ Wagensommer, Georg (2012): Wertebildung im Religionsunterricht. Eine empirische Untersuchung im berufsbildenden Bereich. Münster : Waxmann. Vgl. Fischer 2006, S. 28; vgl. Heil 2003, S. 14f.; vgl. Knauth/Leutner-Ramme/Weiße 2000, S. 1; vgl. Schambeck 2013, S. 87; vgl. Schweitzer 2008, S. 69f.; vgl. Weiße 2000, S. 5. Erste empirische Einblicke zu Chancen und Grenzen der Kindertheologie in der schulischen Alltagspraxis sind im 15. Band des Jahrbuches für Kindertheologie »Kindertheologie im Unterricht« zusammengestellt. Vgl. Roose, Hanna/Schwarz, Elisabeth E. (Hrsg.) (2016): »Da muss ich dann auch alles machen, was er sagt« – Kindertheologie im Unterricht. Jahrbuch für Kindertheologie Bd. 15. Stuttgart: Calwer. Siehe hierzu u. a.: Bee-Schroedter, Heike (1998): Neutestamentliche Wundergeschichten im Spiegel vergangener und gegenwärtiger Rezeption. Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk; Blum, Hans-Joachim (1997): Biblische Wunder – heute. Eine Anfrage an die Religionspädagogik. Suttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk; Bucher, Anton A. (1990): Gleichnisse verstehen lernen – strukturgenetische Untersuchung zur Rezeption synoptischer Parabeln. Freiburg: Universitätsverlag; Loose, Anika (2016): »…in der Bibel kann alles sein, auch Sachen, die für uns nicht möglich sind« – Grundschulkinder als Rezipienten der biblischen Erzählung von Jakobs Kampf am Jabbok. In: Roose, Hanna/Schwarz, Elisabeth E. (Hrsg.): »Da muss ich dann auch alles machen, was er sagt« – Kindertheologie im Unterricht. Stuttgart: Calwer. S. 162–175; Theis, Joachim (2005): Biblische Texte verstehen lernen. Eine bibeldidaktische Studie mit einer empirischen Untersuchung zum Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Stuttgart: Kohlhammer ; Reuschlein, Nina (2013): Biblische Metaphern und Grundschulkinder Eine qualitative empirische Studie zum Verständnis ausgewählter Ich-binWorte in Kinderbildern. Bamberg: University of Bamberg Press. Siehe hierzu auch Kap. 4.3. Gößinger, Christian (2014): Die Rezeption der Schöpfungserzählung nach Gen 1–2, 4a bei Grundschülern. Eine fächerübergreifende Interventionsstudie. Frankfurt a. M.: PL Academic Research; Melcher, Katrin (2008): Kindern biblische Geschichten erzählen. Neue Grundsätze für den Religionsunterricht der Grundschule. Berlin: Lit Verlag; Pfeifer, Anke (2002): Wie Kinder Metaphern verstehen. Semiotische Studien zur Rezeption biblischer Texte im Religionsunterricht der Grundschule. Münster u. a.: Lit Verlag.

Forschungsstand

31

Gößingers zur Rezeption der Schöpfungserzählung bei Grundschüler_innen, in welcher er in Form einer fächerübergreifenden Studie (Deutsch- und Religionsunterricht) das »gattungsgemäße« Verstehen der Schüler_innen – im Anschluss an die Durchführung von zuvor von ihm entwickelten Unterrichtseinheiten – mittels Interviews und Fragebögen erhebt, bearbeitet auch Fricke in seiner Untersuchung zu »schwierigen«49 Bibeltexten ausschließlich solche aus dem Alten Testament.50 Dabei beforscht er nicht nur die Perspektive der Schüler_innen auf die exemplarisch von ihm ausgewählten alttestamentlichen Texte, sondern ebenso die der Personen, welche diese im Religionsunterricht präsentieren und gemeinsam mit den Schüler_innen erarbeiten.51 Doch auch in dieser Studie wird der Zugang zu den spezifischen Schwierigkeiten bestimmter biblischer Texte und dem diesbezüglichen Umgang mit ihnen über die Schilderung der eigenen Wahrnehmung seitens der Lehrkräfte gesucht (schriftliche Befragung).52 Eine der ersten empirischen Arbeiten, welche die Bearbeitung biblischer Texte in der konkreten Unterrichtssituation untersucht – ohne, dass dabei zuvor eine inhaltliche Einflussnahme der Forscher_innen auf diese erfolgt – ist die der Arbeitsgruppe »Mainzer Dokumentation von Religionsunterricht« um Stachel.53 Aus einem insgesamt einhundert Religionsstunden umfassenden Datensatz (Audioaufnahmen, teilnehmende Beobachtung) werden in dieser drei Stunden »Bibelunterricht« (5., 6. und 8. Klassenstufe) hinsichtlich Inhalt, thematischer Struktur sowie der (verbalen) Interaktion zwischen Lehrkraft und Schüler_innen analysiert.54 Die Forschungsgruppe zeigt an diesen Fallanalysen exemplarisch »drei Typen von Bibelunterricht«, welche von ihnen im gesamten Datenmaterial identifiziert wurden und nach ihren Angaben »am weitesten verbreitet« seien.55 Seit der Veröffentlichung dieser Studie Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gab es – wie bereits kurz angesprochen – kaum empirische Untersuchungen der bibeldidaktischen Praxis des Religionsunterrichts, welche über die Untersuchung einzelner Unterrichtsstunden hinaus 49 Fricke definiert die Kategorie »schwierige Bibeltexte« unter Einbezug verschiedener Ebenen (indivduell, überindividuell) und Perspektiven (Kinderpespektive, Lehrerperspektive, Perspektive der Fachwissenschaft und -didaktik). Siehe hierzu Fricke 2005, S. 23ff. 50 Fricke, Michael (2005): Schwierige Bibeltexte im Religionsunterricht. Theoretische und empirische Elemente einer alttestamentlichen Bibeldidaktik für die Primarstufe. Göttingen: V& R unipress. 51 Fricke bezieht sich in seiner Untersuchung auf den Religionsunterricht an Grundschulen des Bundeslandes Bayern, in welchem sowohl Religionslehrkräfte als auch Katechet_innen, Pfarrer_innen sowie Religionspädagog_innen tätig sind, sodass sich seine Stichprobe aus allen vier Berufsgruppen zusammensetzt. Vgl. Fricke 2005, S. 288. 52 Vgl. ebd., S. 286. 53 Stachel (Hrsg.) (1976): Bibelunterricht – dokumentiert und analysiert. Eine Untersuchung zur Praxis des Bibelunterrichts. Zürich u. a.: Benziger. 54 Vgl. Stachel 1976. 55 Vgl. ebd. S. 10.

32

Einleitung

gehen. Neben der Veröffentlichung Mendls vor etwa zwanzig Jahren, in welcher er elf Unterrichtsstunden56 zur Erzählung von Abrahams Versuchung (Gen 22) vor dem Hintergrund konstruktivistischer Lerntheorien analysiert,57 sind seit der Jahrtausendwende außerdem die Publikationen von Schori zu einer Pilotstudie zur Umsetzung biblischer Themen in Konfirmations- und schulischem Religionsunterricht sowie die von Roose zu einer Unterrichtsstunde in der dritten Klassenstufe aus einer interdisziplinären Pilotstudie zu »Diskurs und Präsenz im Fachunterricht«58 zu nennen.59 Sowohl Schori als auch Roose untersuchen, ausgehend von einem praxistheoretischen Ansatz, die Präsentation und Bearbeitung religiöser, biblischer Inhalte im (Konfirmations- und) Religionsunterricht nicht über die Erhebung der Intentionen und Wahrnehmungen der handelnden Personen, sondern über die Rekonstruktion der Interaktion und Bedeutungskonstruktion in der konkreten Unterrichtssituation.60 Während Schori anhand einer videographisch aufgezeichneten Konfirmationsunter56 Das Untersuchungsmaterial, also die elf Unterrichtsstunden, setzt sich aus vier Aufnahmen einer fünften Klasse, je einer Aufnahme einer achten und zehnten Klasse sowie je zwei Aufnahmen einer elften und einer zwölften Klasse zusammen. Die Aufnahmen entstanden in einem Videolabor der Universität Augsburg. Vgl. Mendl 1997, S. 65, 71. 57 Mendl, Hans (1997): Vom Gott, der ins Dunkle führt. Eine exemplarische empirische Untersuchung zu Gen 22 (Die Opferung Isaaks). Religionspädagogische Beiträge, 39, S. 65–92. Siehe hierzu auch: Mendl, Hans (2000): Religiöses Lernen als Konstruktionsprozess. Schülerinnen und Schüler begegnen der Bibel. In: Porzelt, Burkhard/Güth, Ralph (Hrsg.): Empirische Religionspädagogik. Münster u. a.: Lit Verlag. S. 139–152. Das von Mendl in diesen Veröffentlichungen genutzte Datenmaterial stammt aus einem Datensatz von insgesamt siebzig audiovisuell aufgezeichneten Religionsunterrichtsstunden »zu biblischen Themen«, welche die Augsburger Arbeitsgruppe Curriculum im Rahmen einer Untersuchung zur Revisionsarbeit an den Lehrplänen des katholischen Religionsunterrichts an Gymnasien in Bayern im Zeitraum von 1984–1995 erhoben hat. Vgl. Mendl 2000, S. 140. Siehe hierzu auch: Augsburger Arbeitsgruppe Curriculum (1993): Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. In: Bibelarbeit – reflektiert. Stichwort: Gleichnisse. Materialien für den Religionsunterricht an Gymnasien, H. 1. S. 2–35. 58 Die interdisziplinäre Pilotstudie »Diskurs und Präsenz im Fachunterricht« wurde mit finanzieller Unterstützung des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur von 2012 bis 2013 an der Leuphana Universität Lüneburg unter der Leitung von Prof. Dr. Cornelie Dietrich, Prof. Dr. Carola Schormann, Prof. Dr. Ulrike Steierwald sowie Prof. Dr. Hanna Roose durchgeführt. Vgl. Roose 2014, S. 145; vgl. Wischmann/Dietrich 2014, S. 5. 59 Schori, Kurt (2015): Welches Brot essen wir beim Abendmahl? Empirische Rekonstruktion einer Auseinandersetzung Jugendlicher mit der Brotbitte. In: Troi-Beck, Nadja et al. (Hrsg.): Wenn Jugendliche Bibel lesen. Zürich: Theologischer Verlag Zürich. S. 69–82; Schori, Kurt (2016): Welches Brot essen wir beim Abendmahl? Videographische Dokumentation als Erhebungsmethode in der Unterrichtsforschung. In: Höger, Christian/ Arzt, Silvia (Hrsg.): Empirische Religionspädagogik und Praktische Theologie. Freiburg u. a.: o. V. S. 193–208; Roose, Hanna (2013b): »War das wirklich so?« – Mose im Religionsunterricht der Grundschule: Zwischen Tatsachenbericht und fiktiver Erzählung. In: Bucher, Anton A./ Schwarz, Elisabeth E. (Hrsg.): »Darüber denkt man ja nicht von allein nach …«. Kindertheologie als Theologie für Kinder. Jahrbuch für Kindertheologie Bd. 12. Stuttgart: Calwer. S. 147–158. 60 Vgl. Roose 2013b, S. 148; Vgl. Schori 2015, S. 70f.

Gliederung der Arbeit

33

richtsstunde zur Brotbitte des Vaterunsers (Mt 6,11) die Unterrichtsinteraktion hinsichtlich der Themenpräsentation, -konstitution und -bearbeitung analysiert, rekonstruiert Roose die Bedeutungszuschreibung hinsichtlich des Realitätsstatus’ der biblischen Erzählung, welche sich in der Art der Präsentation der Erzählung von Mose, der einen ägyptischen Aufseher erschlägt (Ex 2,11f.), seitens der Lehrkraft dokumentiert. Die Analyse Rooses bildet damit eine erste explorative Annäherung an die dieser Arbeit zugrundeliegenden Frage, wie biblische, wie alttestamentliche Erzählungen hinsichtlich ihres – oben erläuterten – besonderen Wesens im Religionsunterricht der Grundschule präsentiert und erarbeitet werden.61 Auch wenn der hier dargelegte Überblick über den Forschungsstand im Bereich der empirischen Religionsunterrichtsforschung nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erfüllen kann und an dieser Stelle auf den deutschsprachigen Raum beschränkt ist, wird ersichtlich, dass Erkenntnisse über die bibeldidaktische Praxis des alltäglich an deutschen Schulen stattfindenden Religionsunterrichts – nicht nur an Grundschulen – bisher kaum vorhanden sind. Die vorliegende Studie möchte dieses Forschungsdesiderat beheben, indem sie Einsichten in die sich in der konkreten Unterrichtssituation, in der Interaktion zwischen Lehrkraft und Schüler_innen, ereignenden Bedeutungskonstruktion hinsichtlich des besonderen Wesens biblischer Erzählungen bietet.

1.4

Gliederung der Arbeit

Im Anschluss an diesen in das Forschungsprojekt einführenden Teil zur Problem- und Fragestellung sowie dem diesbezüglichen aktuellen Stand der Forschung (Kap. 1) wird in den folgenden drei Kapiteln der Forschungskontext umrissen (Kap. 2–4). In einem ersten Schritt erfolgt hierfür eine Bestimmung des Unterrichtsgegenstands des erhobenen Religionsunterrichts, der ExodusErzählung, in Hinblick auf ihren Inhalt, die Erzählstruktur sowie ihre Position im biblischen Kanon. Bereits mit Blick auf die Frage, was der biblische Text seinem Wesen nach ist und ob bzw. inwiefern in diesem von tatsächlichen Begebenheiten berichtet wird, findet anschließend eine Aufarbeitung der Forschungsdiskussion zu den historischen Hintergründen der Exodus-Erzählung statt sowie die Skizzierung des Diskurses ihrer Entstehung. In Kapitel 3 werden – anknüpfend an die Ergebnisse der Diskussion um die Historizität der in der Exodus-Erzählung geschilderten Ereignisse – Überle61 Die von Roose in dieser Einzelfalluntersuchung gewonnenen Erkenntnisse werden im Zuge der abschließenden Diskussion der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit komparativ aufgegriffen (siehe hierzu Kap. 7.1).

34

Einleitung

gungen zum Wesen biblischer Erzählungen hinsichtlich ihrer spezifischen Gattung angestellt. Neben der Darlegung der Eigenschaften von Narration sowie der Funktionen des mit ihr in besonderer Weise verbundenen Phänomens der Fiktion erfolgt hier eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Konzepten von Wahrheit und der Frage, inwiefern fiktionale Erzählungen wahr sind bzw. sein können. Diese Überlegungen werden abschließend auf das Wesen, den Wert und die Wahrheit biblischer Erzählungen zurückgeführt. Der dritte den Forschungskontext konstituierende Abschnitt widmet sich den spezifischen kognitiven Voraussetzungen von Schüler_innen – speziell im Grundschulalter – für die Rezeption biblischer Erzählungen (Kap. 4). Der Fokus liegt hier auf der Darstellung des aktuellen Forschungsdiskurses zur Genese und Entwicklung eines Realitäts- bzw. Fiktionsbewusstseins sowie eines Geschichtsbewusstseins als zwei Bereiche der Kognition, welchen auf der Grundlage der in den vorangegangenen Kapiteln dargelegten Erkenntnisse eine besondere Relevanz für die Auseinandersetzung mit Erzähltexten der Bibel zukommt. Kapitel 5 eröffnet mit den Ausführungen zur methodologischen Rahmung sowie zu den gewählten Erhebungs- und Auswertungsmethoden den Abschnitt zur empirischen Untersuchung und damit das Herzstück dieses Dissertationsprojektes. Die Darstellung des Untersuchungsdesigns umfasst dabei neben der Schilderung des Vorgehens zur Erlangung eines Zugangs zum Forschungsfeld, die Begründung und Beschreibung der videographischen Datenerhebung sowie des Transkriptionsverfahrens. Auch die Art und Weise der Analyse des erhobenen Materials mittels der an die Anforderungen dieses sowie der Fragestellung angepassten dokumentarischen Methode wird hier begründend dargelegt. Das sechste Kapitel gliedert sich in drei große Abschnitte, in welchen jeweils eine der erhobenen Unterrichtseinheiten bearbeitet wird (Kap. 6.1–6.3), sowie einen abschließenden vierten Teil, der der komparativen Betrachtung aller drei Datensätze gewidmet ist (Kap. 6.4). Für jede der drei Unterrichtseinheiten werden zunächst die Rahmenbedingungen sowie die inhaltliche Konzeption skizziert, bevor in einem ersten Schritt die Einführung in den biblischen Text dargelegt und hinsichtlich der Art und Weise seiner Präsentation untersucht wird. Den zweiten Schritt bildet die Darstellung der Analyse einzelner sogenannter Incidents, also Szenen der Unterrichtsinteraktion welche, durch die sich in ihnen dokumentierenden Bedeutungszuschreibungen und Orientierungen der handelnden Personen besondere Relevanz für die Bearbeitung der Fragestellung besitzen. In einer die gesamte Unterrichtseinheit umfassenden Betrachtung werden die Ergebnisse der rekonstruktiven Analyse der Bedeutungskonstruktion, die hinsichtlich des Wesens der biblischen Erzählung über den Verlauf der einzelnen Unterrichtsstunden seitens der Lehrkräfte und Schüler_innen stattfindet, zu verschiedenen Hinweiskategorien zusammenge-

Gliederung der Arbeit

35

fasst und das sich in diesen dokumentierende Konzept von Bibel bzw. von der biblischen Erzählung herausgearbeitet.62 Im Anschluss an die Darlegung der Erkenntnisse aus der komparativen Analyse der drei zuvor im Einzelnen bearbeiteten Unterrichtseinheiten erfolgt im siebten und letzten Kapitel dieser Arbeit eine abschließende Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse. Den Schluss bilden eine Reflexion von Forschungsziel und -vorgehen, von gewonnenen Einsichten und offen gebliebenen Fragen sowie ein Ausblick auf weiterführende Forschung.

62 Im Sinne der Erreichung einer möglichst hohen intersubjektiven Nachvollziehbarkeit des analytischen Vorgehens werden die zentralen – den in dieser Arbeit dargelegten Analysen zugrundeliegenden – Transkriptabschnitte an den jeweiligen Stellen direkt in den Fließtext eingefügt und nicht erst im (digitalen) Anhang innerhalb des Abschnitts zum verwendeten Datenmaterial angeschlossen. Diese Entscheidung führt zu einer entsprechenden Erweiterung des Seitenumfangs der betreffenden Kapitel.

2

Die Exodus-Erzählung

»Der Auszug aus Ägypten ist die zentrale Erzählung Israels: Die Geschichte von der Versklavung in Ägypten und dem durch Gott ermöglichten Auszug in die Freiheit prägt das Selbst- und Gottesverständnis des Judentums bis heute zutiefst. Erst durch den Auszug und die Wüstenwanderung wurde das Volk Israel zum Volk Gottes.« [Schmitz 2011, S. 132]

Diese für das jüdische Selbstverständnis so zentrale Erzählung ist als Bestandteil des ersten Teils der Heiligen Schrift, der christlichen Bibel, ebenso ein wichtiges Element des Fundaments der Identität des Christentums. Für die theoretische Rahmung der Bearbeitung der dieser Arbeit zugrundeliegenden Frage nach der Art und Weise der Präsentation der Exodus-Erzählung im Religionsunterricht der Grundschule sollen im Folgenden zunächst ihre formalen Eigenschaften dargelegt werden, bevor sich den Überlegungen zu ihren historischen Hintergründen gewidmet wird. Den Abschluss dieses Kapitels bildet dann die Zusammenschau einer Auswahl von Hypothesen zur Entstehung der Exodus-Erzählung, wie sie uns heute in der Bibel vorliegt. Auch wenn – wie u. a. Assmann hervorhebt – die Exodus-Erzählung mit den in ihr enthaltenen Erzählbögen über die Grenzen des Buches Exodus hinausreicht,63 richtet sich der Fokus in den nachfolgenden Darlegungen – mit Blick auf die klassischerweise im Religionsunterricht der Grundschule behandelten Elemente – vor allem auf die in ihm enthaltenen Schilderungen zu der Unterdrückung der Israeliten in Ägypten, ihres Auszuges sowie des Bundesschlusses am Sinai (vgl. Ex64 1–24). Bei der Verwendung des Begriffes »Exodus-Erzählung« wird jedoch das Hineinreichen der in ihr enthaltenen Erzählmotive in die übrigen Bücher des Pentateuch sowie in die Anfänge des Buches Josua (s. Kap. 2.1) mitgedacht.

63 Vgl. Assmann 2015, S. 21. 64 Im Folgenden werden für die Angabe von Bibelstellen die im Ökumenischen Verzeichnis der biblischen Eigennahmen nach den Loccumer Richtlinien (ÖVBE) aufgeführten Abkürzungen für die entsprechenden biblischen Bücher verwendet. Siehe hierzu Katholische Bischöfe Deutschlands/Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland 1981; Die innerhalb dieser Arbeit genutzten Abkürzungen für die Namen der einzelnen biblischen Bücher sind im Abkürzungsverzeichnis angegeben.

38

2.1

Die Exodus-Erzählung

Stellung im Kanon, Inhalt und literarische Struktur

Das zweite Buch im Alten oder Ersten Testament65 der Bibel wird thematisch durch den Auszug des Volkes Israels aus Ägypten bestimmt. In der griechischen Übersetzung, der sogenannten Septuaginta, ist es daher mit dem Begriff »8nodor« (»exodos (Aigyptou)«) (Auszug (aus Ägypten) überschrieben.66 Von der lateinischen Übersetzung »liber exodi« in der Vulgata67 abgeleitet wird in der christlichen biblischen Wissenschaft und in einigen Übersetzungen neben der Bezeichnung »zweites Buch Mose« der Titel »Exodus« verwendet. Als zweites Buch der Tora trägt es in jüdischer Tradition den Namen »N9BM« (»sˇemit« = »Namen«), nach dem ersten Nomen des hebräischen Buchtextes.68 Zwischen dem ihm vorausgehenden Buch Genesis, welches die Urgeschichte der Menschheit und die Anfangsgeschichte Israels in Form von Familiengeschichten umfasst, und dem Buch Levitikus, in dem »[…] die Satzungen und Rechte und Gesetzte […]«69 Gottes für das Volk Israel enthalten sind, werden hier die Anfänge der »[…] Volksgeschichte Israels [Hervorhebung im Original] als Herausführung (Befreiung) der zu einem großen Volk gewordenen Nachkommen der zwölf Söhne des Jakob« erzählt.70 Mit der anfänglichen genealogischen Notiz zu den Namen der »Söhne Israels« die mit Jakob nach Ägypten gekommen sind, wird an die Patriarchengeschichte in Genesis angeknüpft und zugleich mit der Information über ihren Tod und das Wachstum des Volkes der Beginn eines neuen Abschnitts der Geschichte Israels markiert, in welchem nicht mehr »bestimmte Einzelgestalten«, sondern das »Kollektivum Israel« im Mittelpunkt steht.71 Auch der große Zeitsprung vom Ende des ersten Buches des Pentateuch zum Beginn des zweiten Buches, vom Tod Josefs bis zur Regierungszeit eines neuen Königs, »[…] der Josef nicht gekannt hatte […]«,72 und dem Wachstum der Israeliten zu einem großen Volk macht den Beginn eines neuen Erzählab65 Neben der traditionellen Bezeichnung der hebräischen Bibel als »Altes Testament« wird sie in Reaktion auf die Diskussion im jüdisch-christlichen Dialog um die Be- bzw. Abwertung, welche mit dem Begriff »alt« assoziierbar ist, auch »Erstes Testament« genannt. Die Benennung der beiden Teile der christlichen Bibel als »Erstes« und »Zweites« statt »Altes« und »Neues« Testament soll ein mögliches Missverständnis der Geringschätzung der hebräischen Bibel umgehen. Doch auch diese Benennung der beiden Testamente ist nicht unumstritten. Siehe hierzu Zenger/Frevel 2016a, S. 15ff. 66 Vgl. Noth 1968, S. 1; vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 72. 67 Als Vulgata wird die lateinische Übersetzung der Bibel bezeichnet. 68 Vgl. Gertz 2010, S. 194; vgl. Noth 1968, S. 1; vgl. Römer 2014, S. 111; vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 72. 69 Lev 26,46; Die Bibelzitate innerhalb dieser Arbeit folgen, wenn nicht anders gekennzeichnet, der Übersetzung von Martin Luther in der revidierten Fassung von 2017. 70 Zenger/Frevel 2016b, S. 74; vgl. Herrmann 1970, S. 15; vgl. Schmitz 2011, S. 124. 71 Vgl. Noth 1968, S. 1; vgl. Scharbert 2000, S. 13; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 11. 72 Ex 1,8 (Einheitsübersetzung).

Stellung im Kanon, Inhalt und literarische Struktur

39

schnitts deutlich.73 Weniger einschneidend ist der Übergang zum nachfolgenden Buch Levitikus. Zwar bietet der Erzählabschnitt Ex 40,36–38 mit der Schilderung der Annahme des errichteten Heiligtums durch Gott und der Bedeutung der »[…] Wolke für das Aufbrechen oder Nichtaufbrechen der Israeliten von ihrem jeweiligen Lagerplatz […]«einen (vorläufigen) »wirkungsvollen« Abschluss,74 jedoch schlägt der Erzählzusammenhang der Geschehnisse am Sinai einen darüber hinausgehenden Bogen vom Buch Exodus über Levitikus bis zum ersten Drittel des Buches Numeri, in dem von dem Aufbruch Israels vom Sinai erzählt wird (vgl. Num 10,11ff.).75 Davon, wie Mose, »die zentrale Figur« der ExodusErzählung,76 stirbt, nachdem er noch einen Blick auf das den Israeliten verheißene Land richten konnte, wird am Ende vom letzten der fünf Bücher des Pentateuch berichtet (vgl. Dtn 34). Der mit der im Buch Exodus angekündigten Landnahme begonnene Erzählbogen findet erst im Buch Josua mit der Schilderung der Inbesitznahme des Landes Kanaan durch die Israeliten seine Vollendung (vgl. Jos 1,1–12,24). Zwischen dem Rückblick auf den Abschluss des Buches Genesis und dem Ausblick auf das Weiterziehen des Volkes Israel im Buch Numeri spannt sich die Erzählung von der Herausführung aus Ägypten, der Wanderung durch die Wüste bis zum Bundesschluss am Sinai:77 Unter dem neuen König Ägyptens, der die Macht des wachsenden Volkes Israel fürchtet, wird dieses mit Fronarbeiten bedrückt und es wird verordnet, dass jeder männliche Neugeborene der Israeliten getötet werden solle (Ex 1,1– 22). In dieser Zeit gebiert eine israelitische Frau (»aus dem Hause Levi«78) einen Sohn und setzt ihn – nachdem sie ihn nicht weiter verstecken kann – in einem »Kästlein« auf dem Nil aus, wo er von der Tochter des Pharaos gefunden und aufgenommen wird. Sie nennt ihn Mose, und er wächst als ihr Sohn am ägyptischen Königshof auf (Ex 2,1–10). Als erwachsener Mann beobachtet Mose die frondienstleistenden Israeliten und wird Zeuge, wie einer von ihnen von einem Ägypter geschlagen wird. Mose erschlägt diesen ägyptischen Mann und flieht nach dem Bekanntwerden seiner Tat und vor dem Zorn des Pharaos in das Land Midian. Nachdem er dort den Töchtern des midianitischen Priesters Regu[l/ Jitro79 beim Tränken ihres Viehs behilflich war, gibt ihm dieser seine Tochter Zippora zur Frau und sie bekommen einen gemeinsamen Sohn (Gerschom). Am 73 74 75 76 77 78 79

Vgl. Noth 1968, S. 1. Weimar/Zenger 1975, S. 12. Vgl. Noth 1968, S. 2; vgl. Scharbert 2000, S. 145 vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 12. Vgl. Schmitz 2011, S. 132. Vgl. Noth 1968, S. 2f.; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 12. Ex 2,1. Für den midiantischen Priester und Schwiegervater Moses werden verschiedene Namen überliefert (»Regu[l«: Ex 2, 18; »Jitro«: Ex 3,1; 4,18; 18,1). Vgl. Römer 2014, S. 112.

40

Die Exodus-Erzählung

Ende des zweiten Kapitels wird berichtet, dass der König von Ägypten »lange Zeit danach« stirbt, die Israeliten aber weiter unter der »Knechtschaft« leiden, sodass sich Gott – in Andenken an seinen Bund mit Abraham, Isaak und Jakob – ihrer annimmt (Ex 2,23–25). Kapitel drei und vier erzählen, wie »der Engel des Herren« Mose beim Hüten der Schafe am Berg Horeb in einem brennenden Dornbusch erscheint. Gott beauftragt Mose, zum Pharao zurückzukehren und die Israeliten aus Ägypten herauszuführen. Auf Moses Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit nennt Gott ihm im Sinne einer Legitimation gegenüber den Israeliten seinen Namen: »Ich werde sein, der ich sein werde«80. Auch schickt Gott ihm Aaron, Moses Bruder aus dem Haus Levi, entgegen, der ihn bei seiner Forderung gegenüber dem Pharao unterstützen soll (Ex 3,1–431). Nachdem Mose und Aaron beim Pharao die Freilassung der Israeliten gefordert haben, lässt dieser die Israeliten noch härter unterdrücken, sodass diese sich von Mose abwenden und nicht weiter auf ihn hören wollen. Gott schickt Mose und Aaron daraufhin erneut zum Pharao und lässt sie zum Beweis ihres göttlichen Auftrags ein Zeichen (Wunder) vollführen. Doch auch hier bleibt »das Herz des Pharao verstockt« (Ex 5,1–7,13). Nun schließt die Schilderung der ersten neun Plagen an: Gott lässt durch Mose und Aaron die Gewässer zu Blut werden, Frosch-, Stechmücken und Stechfliegenplagen, die Viehpest, Blattern, starken Hagel, Heuschrecken und tagelange Finsternis über Ägypten kommen. Die Forderung der Freilassung der Israeliten wird jedoch auch nach jeder dieser Plagen vom Pharao abgelehnt (Ex 7,14–10,29). Daraufhin kündigt Gott Mose eine zehnte und letzte Plage an, bei der alle ägyptischen Erstgeborenen bei Mensch und Tier sterben sollen, woraufhin der Pharao die Ägypter ziehen lassen wird. Die Israeliten sollen in der Nacht dieses Ereignisses ein besonderes Festmahl abhalten und zum Schutz ihrer Erstgeborenen die Türpfosten ihrer Häuser mit dem Blut des für das Passah geschlachteten Lammes bestreichen (Ex 11,1–12,28). Nach Eintreten der zehnten Plage lässt der Pharao die Israeliten ziehen und Mose führt sie aus Ägypten zum »Schilfmeer«81 am Tag durch eine Wolken- und bei Nacht durch eine Feuersäule von Gott begleitet. Kapitel 14 und 15 geben die wunderbare Rettung der vom ägyptischen Heer verfolgten Israeliten am Schilfmeer in zweifacher Weise sowie ihren Lobgesang darüber wieder. Im Anschluss werden die Schwierigkeiten der Israeliten auf ihrem Weg durch die Wüste bis zum Sinai geschildert. Immer wieder zweifeln und klagen sie Mose an, doch jedes Mal erhört Gott Moses Gesuche um Unterstützung und hilft bei Hunger, Durst und Angriff durch Feinde (Ex 15,22–17,16). Am Berg Sinai ruft Gott Mose auf dessen Gipfel und verkündet ihm zehn Gebote für das Verhalten der Israeliten unter80 Ex 3,14. In der Einheitsübersetzung wird der Gottesname mit der Formel »Ich bin der : ›Ichbin-da‹« übersetzt. 81 Ex 13, 18; ebenso in der Einheitsübersetzung.

Die Frage nach den historischen Hintergründen

41

einander und gegenüber Gott sowie Regeln für das Halten von Gottesdiensten (Ex 20,1–26). Weitere Rechtsordnungen, die Mose den Israeliten vorlegen soll, werden in den folgenden drei Kapiteln beschrieben (Ex 21,1–23,19). Nach einer Verheißung Gottes über die Zukunft des israelitischen Volkes auf ihrem Weg der Besiedlung des Landes Kanaans und der Annahme der Bundesbedingungen seitens der Israeliten vollzieht Mose die Zeremonie zur Schließung des Bundes mit Gott (Ex 23,20–24,11). Mose wird erneut von Gott auf den Berg Sinai gerufen, um von ihm die Gesetze und Gebote des Bundes auf »steinernen« Tafeln zu empfangen. Für »vierzig Tage und Nächte« bleibt Mose auf dem Berg und erhält von Gott Anweisungen für den Bau und die Einrichtung einer »Stiftshütte«, in der die Bundeslade mit den Gesetzestafeln aufbewahrt werden soll. Nach der Verkündung des Gebotes, den Sabbat heilig zu halten, übergibt Gott Mose die beiden Gesetzestafeln (Ex 24,12–31,18). Während Mose auf dem Berg bei Gott ist, zweifeln die zurückgebliebenen Israeliten, ob er wiederkommen wird, und fordern von Aaron, ein Götterbild zu schaffen, welches sie anbeten und dem sie folgen könnten. Aaron kommt ihrem Wunsch nach. Mose kann zwar Gottes Zorn über die Israeliten besänftigen, in seiner eigenen Wut über ihr Verhalten zerschlägt er bei seiner Rückkehr die Gesetzestafeln Gottes, zerstört das Götterbild und veranlasst die Tötung aller, die nicht auf Gott vertrauen wollten (Ex 32,1– 32,35). Mose steigt daraufhin wieder auf den Berg und bittet für sein Volk um Vergebung. Gott enthebt sie nicht ihrer Schuld, vertagt aber den Zeitpunkt ihrer Sühne. Im Anschluss errichtet Mose ein heiliges Zelt als Stiftshütte, in welchem er mit Gott Zwiesprache hält. Es wird erzählt, wie Mose Gott darum bittet, dessen »Herrlichkeit« zu schauen und wie Gott Mose ein weiteres Mal auf den Berg ruft, damit er dort zwei neue Gesetzestafeln schreiben und der durch das Fehlverhalten der Israeliten gebrochene Bund wiederhergestellt werden kann (Ex 33,7– 34, 35). Die letzten fünf Kapitel des Buches Exodus enthalten die Schilderung über die Errichtung der Stiftshütte nach den Vorgaben, die Mose von Gott erhalten hatte (Ex 35,1–40,33). Den Abschluss bildet das Bekenntnis Gottes zu diesem »Heiligtum« und die Notiz über die Wolke Gottes, welche zukünftig die Wander- und Rastzeitpunkte der Israeliten auf ihrem Weg in das ihnen verheißene Land bestimmt (Ex 40,34–38).

2.2

Die Frage nach den historischen Hintergründen

Mit der Zielsetzung zu erforschen, wie das besondere Wesen biblischer Texte und die mit diesem besonderen Wesen verbundene Frage nach ihrem Realitätsstatus im Religionsunterricht explizit und implizit thematisiert wird, ist eine Auseinandersetzung mit den historischen Hintergründen der Exodus-Erzählung unumgänglich. Die Frage, ob und in welchem Ausmaß hier historische

42

Die Exodus-Erzählung

Geschehnisse dokumentiert sind, hat in der Tradition der exegetischen Wissenschaft einen festen Platz: »Die Intention, die Exoduserzählung historisch zu interpretieren, ist in der modernen Exegese eine starke, ja vielleicht die eigentliche Triebfeder der Interpretation gewesen. (D. h. man war und ist daran interessiert, ob und inwieweit die Exoduserzählung als Quelle für das Ereignis des Exodus oder doch der wichtigsten Vorgänge und Gestalten dieses Ereignisses gelten kann.)«.82

Auch Assmann konstatiert hierzu: »Jedem Leser des Buches Exodus stellt sich zuerst die Frage nach dem historischen Ereignis, das hinter dieser Erzählung steht.«83 Doch was ist es, dass diese Frage immer wieder konkret und die Forschung nicht müde werden lässt, sich mit ihr auseinanderzusetzen? Herrmann vermutet hierzu, dass die unmittelbare Verknüpfung und der enge Kontakt der biblischen Erzählung zur Weltgeschichte, zur Geschichte der religiösen und kulturellen Großmacht Ägyptens, diese Faszination ausmacht.84 Die enge Verbindung von wundersamen Ereignissen, geographischen Angaben, mythischen Motiven, historischen Namen und Völkern etc. macht eine klare Einordnung in Kategorien wie Fakt und Fiktion, Historienprotokoll oder Volkslegende schwierig bzw. fast unmöglich und fordert damit dennoch implizit hierzu auf. Ein weiterer Aspekt für das nicht abbrechende Interesse an den historischen Hintergründen ist sicherlich die zentrale Rolle, welche die Erzählung innerhalb der Geschichte Israels spielt: »Der Exodus ist bis heute das [Hervorhebung im Original] identitätsstiftende Ereignis für Israel und seine Religion.«85 Damit ist er ebenfalls ein wichtiger Teil der christlichen Religionsgeschichte. Das Bedürfnis, diesen historisch-kritisch zu untersuchen, auf einen »historischen Kern« zu prüfen, entspricht einem aufgeklärten von Vernunft und Logik geprägten und an den Naturwissenschaften orientierten Denken und Forschen.86 Neben dem Bedürfnis einer genaueren Ergründung und einem besseren Verständnis der geschilderten Ereignisse resultiert die Frage nach historisch nachweisbaren Hintergründen nicht zuletzt oft auch aus einem tatsachenorientierten Wahrheitsverständnis: Nur wenn die Inhalte der Erzählung historisch verifizierbar seien, seien sie wahr und damit bedeutsam.87 Ob diese Einstellung dem biblischen Text gerecht wird bzw. der Beweis historischer Tatsächlichkeit einen Mehrwert darstellt, wird im Folgenden noch zu diskutieren sein. Zunächst soll aber der Versuch unternommen werden, einen zusammenfassenden Über82 83 84 85 86 87

Utzschneider 1996, S. 77. Assmann 2015, S. 53. Vgl. Herrmann 1970, S. 10. Frank 2004, S. 31. Vgl. Finkelstein/Silberman 2007, S. 22. Siehe hierzu Kap. 3.3.

Die Frage nach den historischen Hintergründen

43

blick zum breiten Forschungsdiskurs hinsichtlich der Frage nach den historischen Bezugspunkten der Exodus-Erzählung zu geben. Dies im Sinne Noths, der – trotz eigener Zweifel an der Relevanz für die Bedeutung der Erzählungen – festhält: »Es scheint mir für das sachgemäße Verständnis der Bibel nicht unwesentlich zu sein, die Verwurzelung der biblisch überlieferten Geschichte in der »Welt«-Geschichte ihrer Zeit konkret zu erforschen […].«88

2.2.1 »Israel« in Ägypten Vor der Frage, ob, wann und unter welchen Umständen eine Volksgruppe namens »Israel« aus Ägypten ausgezogen ist, steht diejenige, ob zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit überhaupt eine solche Gruppe in Ägypten auszumachen ist oder in Donners Worten: »Um aus Ägypten ausziehen zu können, muß man erst einmal eingewandert sein.«89 Gab es eine Volksgruppe, welche nicht ursprünglich ägyptisch war, dennoch dort lebte, mit Fronarbeit bedrückt wurde und schlussendlich als Gesamtheit aus Ägypten auszog? Gunneweg setzt zunächst die Feststellung voraus, »[…] daß von einem Aufenthalt Israels in Ägypten keine Rede sein kann«,90 jedenfalls nicht in seiner späteren Form und Größe. Er wie auch Herrmann und Frevel beschränken die Frage daher auf die mögliche Existenz einer sogenannten »präisraelitischen« oder »protoisraelitischen« Gruppe.91 Zur Herkunft dieser »Ägyptengruppe«92, »Jahwe-Leute«93 oder auch »Exodusgruppe«94 werden vor allem die folgenden drei Theorien diskutiert: Zum einen dokumentiert ein Papyrus aus der Zeit um 1200 v. Chr. (Papyrus Anastasi) den Bericht eines ägyptischen Grenzbeamten95 an der Ostgrenze Ägyptens im östlichen Nildelta über Beduinen aus dem Gebiet von Edom.96 Diesen »Schasu-Stämmen«97 wurden in Ägypten Gebiete zugewiesen – Sumpfgebiete von Pitom und Teku – in denen ihnen gestattet war, ihr Vieh weiden zu lassen, »[…] wenn deren Weidegründe oder Wasserstellen in den östlichen 88 89 90 91 92 93 94 95 96

Noth 1971, S. 18. Donner 1984, S. 84. Gunneweg 1989, S. 22. Vgl. Gunneweg 1989, S. 22; vgl. Frevel 2012, S. 715, vgl. Herrmann 1970, S. 39. Gunneweg 1989, S. 22. Weimar/Zenger 1975, S. 120. Frevel 2012, S. 720. »Brief eines Grenzbeamten an seine Vorgesetzten (um 1192 v. Chr.)« in Gallinger 1979, S. 40. Vgl. Bieberstein 2007, S. 210; vgl. Clauss 2009, S. 14; vgl. Fohrer 1995, S. 56; vgl. Gunneweg 1989, S. 23; vgl. Herrmann 1973, S. 86; vgl. Otto E. 2006, S. 29; vgl. Utzschneider 1996, S. 79. 97 »[D]er Name bedeutet ›Wanderer‹, ›Hirten‹.« Frevel 2012, S. 715.

44

Die Exodus-Erzählung

Steppengebieten aus klimatische Gründen erschöpft waren.«98 Dieses Dokument sowie andere ägyptische Texte zeigen, dass der Einzug von nomadischen Gruppen vom 15. bis zum 12. Jahrhundert aufgrund von klimatischen bzw. wirtschaftlichen Bedingungen in das fruchtbare Kulturland Ägyptens nicht ungewöhnlich war.99 Herrmann merkt an dieser Stelle an, dass die im Bericht des Grenzbeamten angeführten Ortsangaben dasselbe Gebiet bezeichneten, in welchem nach alttestamentlicher Quelle die Israeliten verortet seien (vgl. Ex 1,11).100 Auch Gunneweg, Utzschneider sowie Weimar und Zenger weisen auf die Ähnlichkeit der Motive für den Umzug Jakobs und seiner Familie nach Ägypten (Hungersnot in Palästina) sowie die Parallele des (halb-)nomadischen Lebens der alttestmentlichen Patriarchen hin.101 Fohrer zieht hieraus den Schluss, dass »[…] man in den israelitischen Erinnerungen an die Einwanderung und den Aufenthalt von Israeliten in Ägypten einen geschichtlichen Kern erblicken [muss]«,102 und auch Frevel spricht den Schasu innerhalb der möglichen Theorien zur Entstehung Israels »[…] eine große Rolle […]« zu.103 Doch auch wenn diese Theorie – oder dieses »Szenario«, wie es Utzschneider nennt – eine passende »ethnische Identität« liefere, stelle sie für ihn keine Grundlage für das Motiv des »Nicht-Ziehen-Lassens« seitens des Pharaos dar, wie es in der ExodusErzählung enthalten ist. Wenn es eine gängige Praxis war, das nomadische Gruppen je nach klimatischen und jahreszeitlichen Bedingungen zum Weiden ihres Viehs in die fruchtbaren ägyptischen Gebiete einziehen durften, scheine es wenig plausibel, dass sie an einem Rückzug in ihre ursprünglichen Stammesgebiete gehindert wurden, da es nach Donner und Utzschneider keine sicheren Hinweise auf ein Heranziehen dieser Gruppen zur Fronarbeit gebe.104 Trotz fehlender Belege für eine erzwungene Beteiligung an ägyptischen Bauvorhaben als Gegenleistung für das ihnen zur Verfügung gestellte Weideland, sehen Herrmann, Clauss und Noth gerade in der nomadischen Lebensweise, die eine solche Fronarbeit als »Schmach und Bedrückung« empfinden muss, einen starken Beweggrund dafür, dieser Arbeit entkommen zu wollen.105 Dieser 98 Utzschneider 1996, S. 79; vgl. Clauss 1986, S. 29; vgl. Clauss 2009, S. 14; vgl. Fohrer 1995, S. 57; vgl. Frevel 2012, S. 715; vgl. Gunneweg 1989, S. 23; vgl. Herrmann 1973, S. 86. 99 Vgl. Clauss 2009, S. 14; vgl. Donner 1984, S. 85f.; vgl. Frevel 2012, S. 715f.; vgl. Herrmann 1973, S. 86f.; vgl. Herrmann 1970, S. 44; vgl. Metzger 1983, S. 31; Noth 1950, S. 98f.; vgl. Otto E. 2006, S. 29; vgl. Schmitz 2011, S. 134,177. 100 Vgl. Herrmann 1973, S. 87; Vgl. Herrmann 1970, S. 44. 101 Vgl. Gunneweg 1989, S. 23; vgl. Utzschneider 1996, S. 79; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 124; siehe auch Assmann 2015, S. 70. 102 Fohrer 1995, S. 56. 103 Frevel 2012, S. 716. 104 Vgl. Donner 1984, S. 91; vgl. Utzschneider 1996, S. 79; siehe auch Bieberstein 2007, S. 210. 105 Herrmann 1973, S. 90; vgl. Clauss 2009, S. 14; vgl. Clauss 1986, S. 29; vgl. Noth 1950, S. 100; vgl. Otto E. 2006, S. 29.

Die Frage nach den historischen Hintergründen

45

Einschätzung schließen sich auch Weimar und Zenger an. Sie bewerten das Heranziehen nomadischer Gruppen zum Arbeitsdienst vor dem Hintergrund der Staatsideologie Ägyptens für plausibel und können »[…] keine schwerwiegenden Gründe […]« gegen die alttestamentliche Schilderung der staatlichen Fronarbeit ausmachen.106 In einer zweiten Theorie zur Zusammensetzung der Ägyptengruppe ist der Aspekt der Unterdrückung und Fronarbeit deutlicher belegt. »We know [also] that a class of people called ‘pr.w (apiru) [(this word is probably though not certainly to be identified with ,ibrim ›Hebrews‹)] appear repeatedly as state slaves in documents from the nineteenth and twentieth dynasties.“107 Die »‘Apiru/Hapiru«108 (ägyptisch: »‘pr.w«), werden in ägyptischen ˘ Quellen (z. B. in den sogenannten »Armarna-Briefen«) als Kriegsgefangene, »[…] landwirtschaftliche Arbeiter, Bau- und Steinbrucharbeiter, Soldaten und Tempelsklaven« erwähnt.109 Diese Gruppe von Menschen, die sich nach Frevel wahrscheinlich aus Migranten unterschiedlicher Herkunft zusammensetzte und eine sehr niedrige Stellung in der einheimischen (»autochthonen«) Bevölkerung des Landes einnahm,110 steht bei dem Versuch der Näherbestimmung der Ägyptengruppe zur Diskussion, da aus philologischer Sicht in dem Namen ‘Apiru/Hapiru (‘pr.w) das alttestamentliche ‘ibrı¯ (»Hebräer«) anklingt und ein ˘ sprachgeschichtlicher Zusammenhang nicht auszuschließen ist.111 Der Begriff »Hebräer« wiederum ist im Alten Testaments überwiegend in den Büchern Genesis und Exodus zu finden und wird hier fast ausschließlich als Bezeichnung der in Ägypten unterdrückten Israeliten verwendet.112 Gegen die ‘Apiru/Hapiru˘ Hebräer-Hypothese spricht zum einen, dass es nach Herrmann keine endgültige Sicherheit bezüglich der Identität der Begriffe ‘Apiru/Hapiru, ‘pr.w und ˘ Hebräer gibt.113 Zum anderen besteht überwiegend Einigkeit darüber, dass die Angehörigen dieser Gruppenbezeichnung nicht über einen gemeinsamen ethnischen Hintergrund verfügen, sondern es sich dabei um eine »soziale Kategorie« handelt.114 In der Exodus-Erzählung wird aber gerade eine solche ethnische Verbundenheit der Ägyptengruppe betont. Hinzu kommt, dass die Bezeichnung 106 Weimar/Zenger 1975, S. 124. 107 Nicholson 1973, S. 54. 108 Frevel 2012, S. 715; Clauss 2009, S. 8; Lemche 1996, S. 142; Weitere Schreibweisen der Bezeichnung: »Chabiru«, Gunneweg 1989, S. 23; »Chapiru«, Fohrer 1995, S. 58. 109 Weimar/Zenger 1975, S. 125; vgl. Frevel 2012, S. 713; Lemche 1996, S. 142; vgl. Noth 1950, S. 99. 110 Vgl. Frevel 2012, S. 714; vgl. Gunneweg 1972, S. 23; vgl. Schmitz 2011, S. 134. 111 Vgl. Frevel 2012, S. 715; vgl. Lemche 1996, S. 142; vgl. Nicholson 1973, S. 54. 112 Vgl. Herrmann 1970, S. 55; vgl. Lemche 1996, S. 142; vgl. Utzschneider 1996, S. 80. 113 Vgl. Herrmann 1970, S. 56; siehe hierzu auch Frevel 2012, S. 715. 114 Vgl. Lemche 1996, S. 143; vgl. Assmann 2015, S. 66; vgl. Buber 1994, S. 29; vgl. Frevel 2012, S. 714; vgl. Gunneweg 1972, S. 23; vgl. Metzger 1983, S. 31.

46

Die Exodus-Erzählung

‘Apiru/Hapiru nicht nur in Ägypten, sondern in den meisten Teilen des Vor˘ deren Orients, Kleinasiens sowie des westlichen Persiens und über den Zeitraum des gesamten zweiten Jahrtausends zu finden ist.115 Eine einfache Gleichsetzung der Ägyptengruppe mit den als ‘Apiru/Hapiru bezeichneten Menschen ist damit ˘ kaum möglich.116 Eine dritte, weniger prominente Hypothese zur Frage des Aufenthalts Israels in Ägypten soll zumindest kurz angesprochen werden, da in ihr bereits erste Überlegungen zu den historischen Hintergründen der Geschehnisse um den Auszug der Ägyptengruppe enthalten sind, welche im folgenden Kapitel noch genauer erörtert werden sollen. Der ägyptische Priester Manetho erwähnt in seiner im dritten Jahrhundert v. Chr. unter der Herrschaft der griechischen Ptolemäer verfassten Geschichte Ägyptens ein »[…] grausames Hirtenvolk, das am Ende des Mittleren Reiches aus Asien nach Ägypten gekommen sei und dort, nachdem es die ägyptischen Heere zum Rückzug gezwungen hatte, ein Großreich gegründet habe.«117 Erst nach 511 Jahren soll dieses als »Hyksos« (»Fürsten der Fremdländer«) bezeichnete Volk nach Manethos’ Darstellung von den Ägyptern aus ihrem Land vertrieben worden sein.118 Obwohl die moderne Forschung inzwischen davon ausgeht, dass es sich nicht um einen »blitzschnellen Militärfeldzug«, also eine punktuelle Invasion, gehandelt haben kann, sondern von einer allmählichen Zu- und Unterwanderung über einen größeren Zeitraum ausgegangen werden muss,119 und auch nichts für eine grausame Unterdrückung der Ägypter innerhalb der »Hyksosperiode« spricht,120 sind die Berichte Manethos’ immer wieder für die Klärung des historischen Hintergrunds der Einwanderung der Patriarchen bzw. Israeliten nach Ägypten herangezogen worden.121 Aber auch wenn es nach Herrmann »[…] natürlich verlockend sein mußte, diese Bewegung in einen direkten oder auch entfernten Zusammenhang mit den Bewegungen der alttestamentlichen Patriarchen zu bringen«,122 und es, so Lemche, nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne, dass es unter den späteren Israeliten Menschen gegeben habe, deren Vorfahren in Verbindung mit den Hyksos nach Ägypten gekommen waren,123 gibt es entscheidende Argumente gegen diese sogenannte »Hykso-Theorie«.124 Zwar wird in der biblischen 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124

Vgl. Lemche 1996, S. 142. Vgl. Lemche 1996, S. 142; vgl. Frevel 2012, S. 715. Lemche 1996, S. 125; vgl. Assmann 2015, S. 56; vgl. Schmitz 2011, S. 176. Vgl. Lemche 1996, S. 125. Finkelstein/Silberman 2007, S. 69; vgl. Gunneweg 1989, S. 11; vgl. Herrmann 1973, S. 37; vgl. Lemche 1996, S. 125. Vgl. Lemche 1996, S. 126. Vgl. Assmann 2015, S. 56f.; vgl. Herrmann 1973, S. 24; vgl. Lemche 1996, S. 49. Herrmann 1970, S. 24. Vgl. Lemche 1996, S. 49. Vgl. Herrmann 1970, S. 37.

Die Frage nach den historischen Hintergründen

47

Exodus-Erzählung davon gesprochen, dass der herrschende Pharao die wachsende Macht des immer größer werdenden Volks Israel fürchtet, jedoch ist seine Reaktion die Unterdrückung und nicht die Vertreibung dieser Menschen. Im Gegenteil: er will sie unter allen Umständen in Ägypten halten.125 Zudem eroberte Ägypten nach seiner Verdrängung der Hyksos nicht nur das Gebiet der Sinaihalbinsel, sondern auch Palästina und Syrien. Im biblischen Text folgt auf die Flucht aus Ägypten jedoch die stetige Eroberung Palästinas durch die Exodusgruppe.126 Eine letzte zu nennende Schwierigkeit bezieht sich auf den Versuch, die biblischen Ereignisse mit den Hyksos-Ereignissen in einer Chronologie zusammenzuführen. Es wird angenommen, dass sich die Hyksosherrschaft über die (zweite) Zwischenzeit von Mittlerem und Neuen Reich erstreckte (ca. 1670–1570)127, ihre Vertreibung also im 16. Jahrhundert v. Chr. stattfand.128 Dieser Zeitpunkt lässt sich allerdings weder mit den biblischen Zeitangaben zum Exodus in Übereinstimmung bringen (s. Kap. 2.2.2) noch mit den Überlegungen der modernen Forschung zum wahrscheinlichsten Zeitpunkt eines solchen Ereignisses, welcher deutlich später verortet ist.129 Nach Lemche kann es sich damit in der Exodus-Erzählung – wenn überhaupt – »[…] nur um einen vagen und unpräzisen Nachklang […]« des sehr viel älteren Hyksos-Ereignisses handeln,130 und auch Görg warnt an dieser Stelle vor einer »[…] unreflektierten Einbindung der Patriarchentraditionen in den Kontext der Hyksos«.131 Bevor es um die Frage der Geschichtlichkeit des Exodus geht, soll noch ein kurzer Blick auf die historischen und topografischen Hintergründe der im biblischen Text geschilderten Fronarbeit geworfen werden. In Ex 1,11 wird vermerkt, dass die Gruppe der Israeliten zum Bau der Vorratsstädte Pitom und Ramses herangezogen wurden. Die Ortsbezeichnung Pitom deckt sich nach Herrmann und Noth mit der Notiz des ägyptischen Grenzbeamten zur Verteilung der nach Weideland suchenden nomadischen Gruppen.132 Möglich ist hier der Bezug zu der ägyptischen Tempelbezeichnung »pr-Jtm« (»Haus des [Gottes] Atum«), der als Zentrum des Ortes Tkw auf dem Tell-el Mashuta im ¯ ˘ östlichen Nildelta, dem Wa¯di et-Tumela¯t verortet wird.133 Anhaltspunkte für 125 126 127 128 129 130 131 132 133

Vgl. Herrmann 1970, S. 24; vgl. Lemche 1996, S. 62; siehe auch Assmann 2015, S. 57. Vgl. Lemche 1996, S. 62. Vgl. Schmitz 2011, S. 176, vgl. Finkelstein/Silberman 2007, S. 69. Vgl. Finkelstein/Silberman 2007, S. 69; vgl. Gunneweg 1972, S. 11; vgl. Herrmann 1973, S. 37; vgl. Lemche 1996, S. 126; vgl. Schmitz 2011, S. 176. Vgl. Lemche 1996, S. 62; Eine genauere Beschäftigung mit der Frage der Datierung eines historischen Exodusgeschehens erfolgt in Kapitel 2.2.2. Lemche 1996, S. 62. Görg 1997, S. 23. Vgl. Herrmann 1973, S. 87; vgl. Herrmann 1970, S. 44f.; vgl. Noth 1950, S. 98. Vgl. Herrmann 1973, S. 87; vgl. Herrmann 1970, S. 44f.; Frevel 2012, S. 719; Weimar/Zenger 1975, S. 118.

48

Die Exodus-Erzählung

diese Lokalisierung geben zum einen die Stele des Ramses’ II, welche auf dem Tell-el Mashuta gefunden wurde und die Bezeichnung pr-Itm enthält, »[…] sowie ˘ die sog. Pitom Stele Ptolemäus’ II. (285/83–246 v. Chr.), die den Namen des Ortes mit pr-Jtm Tkw angibt.«134 Gegen diese Annahme stehe nach Görg und Fin¯ kelstein und Silberman die archäologische Erkenntnis, dass der Tell-el Mashuta erst zum Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr. besiedelt war. Der Bericht des ˘ Grenzbeamten stamme jedoch aus dem 13. Jahrhundert v. Chr.135 Das würde bedeuten, dass die Stele Ramses’ II. erst »sekundär« an diesen Ort gebracht wurde und ursprünglich auf ein anderes Pitom verweist.136 Frevel führt in diesem Zusammenhang das weiter westlich gelegene Tell er-Retabe an.137 Hier ließ Ramses II. einen Atum-Tempel errichten. Nachdem dieser Ort nach 600 v. Chr. verlassen wurde, könnte Tell-el Mashuta »[…] die Nachfolgesiedlung des ˘ Tell er-Retabe gewesen sein.«138 Hinter dem in Ex 1,11 genannten »Ramses« wird eine Abkürzung für die Stadt Pi-Ramses (»Haus des Ramses, des Geliebten Amuns, der groß ist an siegreicher Kraft«139) vermutet, errichtet unter Ramses II. (1279–1213140).141 Umstritten bleibt jedoch, wo genau diese Stadt gelegen hat.142 Lange galt das ägyptische Tanis, im heutigen Sa¯n el-Hagar gelegen, als Ramsesresidenz, da hier Überreste eine Tempels gefunden wurden, jedoch keine Anzeichen für einen Palast.143 Die Ausgrabungen des österreichische Archäologe Bietak führten dann zu der Annahme, »[…] daß die Ramsesstadt auf dem Gelände des heutigen tell ed daba’a gelegen haben muss«.144 In Kantir, etwa 20 km südlich von Tanis, wurden Hinweise auf einen Palast gefunden.145 In Anbetracht dieser Funde gehen einige Forscher von einer sich großräumig erstreckenden »Deltaresidenz« aus.146 Herrmann merkt an dieser Stelle – in Anbetracht eines so großen Residenzgebiets – an, dass der Bau mehrerer Vorratsstädte als Versorgungszentren und 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146

Frevel 2012, S. 719. Vgl. Finkelstein/Silberman 2007, S. 80; vgl. Görg 1997, S. 136f.; vgl. Lemche 1996, S. 63. Vgl. Frevel 2012, S. 719. Vgl. Frevel 2012, S. 719; siehe auch Noth 1950, S. 99, sowie Utzschneider 1996, S. 89. Frevel 2012, S. 719f. Donner 1984, S. 90. Vgl. Clauss 2012, S. 236. Vgl. Frevel 2012, S. 720; vgl. Gunneweg 1989, S. 24; vgl. Herrmann 1970, S. 45; vgl. Utzschneider 1996, S. 89; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 119. Vgl. Frevel 2012, S. 720; vgl. Herrmann 1970, S. 46; vgl. Utzschneider 1996, S. 89; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 119. Vgl. Herrmann 1970, S. 46; Vgl. Utzschneider 1996, S. 89; Vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 119. Utzschneider 1996, S. 89; vgl. Frevel 2012, S. 720. Vgl. Herrmann 1970, S. 46; vgl. Finkelstein/Silberman 2007, S. 72; vgl. Frevel 2012, S. 720; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 119. Vgl. Donner 1984, S. 90; vgl. Herrmann 1970, S. 46; vgl. Otto E. 2006, S. 29; vgl. Weimar/ Zenger 1975, S. 119.

Die Frage nach den historischen Hintergründen

49

damit auch die Notwendigkeit einer großen Menge an Arbeitern plausibel erscheine.147 Er weist aber auch darauf hin, dass diese topographischen und archäologischen Überlegungen nicht als Belege gelten können für das, was historisch möglicherweise hinter der biblischen Erzählung von dem Aufenthalt und der Fronarbeit der Israeliten in Ägypten steht. »Denn wirkliche auf diesen Aufenthalt direkt hinweisende Spuren haben sich bisher nirgends gefunden und sind der ganzen Natur des Aufenthalts nach, wie er oben skizziert wurde, auch kaum zu erwarten. Denn nomadisierende Gruppen pflegen sich an den Rändern der Kulturländer nicht durch Bauwerke und Inschriften bleibende Denkmäler zu setzen.«148

2.2.2 Auszug Nach den Überlegungen zu der Belegbarkeit eines Aufenthalts Israels in Ägypten soll nun der Frage nach den historischen Hintergründen des Auszugs nachgegangen werden. Lässt sich der Exodus zeitgeschichtlich einordnen und finden sich Hinweise auf die Tatsächlichkeit dieses zentralen Ereignisses in der Geschichte Israels? Hinsichtlich der Frage nach der Datierung des Aufenthalts und des Auszugs der »Israeliten« sprechen sich die Forscher überwiegend dafür aus, dass sich anhand der biblischen Hinweise nur bedingt oder gar keine zuverlässige Chronologie erstellen lässt.149 Weder die Angabe in Ex 12,40, dass Israel 430 Jahre in Ägypten war, noch jene in Gen 15,13, nach der die Nachkommen Abrahams 400 Jahre in ägyptischer Knechtschaft leben werden bzw. erst nach vier Generationen wieder in ihre Heimat zurückkehren werden (Ex 6,14ff.; Gen 15,16), macht eine zeitliche Einordnung des Auszuges möglich, da bereits ein genauer Einzugszeitpunkt nicht auszumachen ist. Auch ist nach Herrmann der Zeitraum von vier Generationen kaum länger als mit 120 Jahre zu berechnen.150 Besonders in der früheren Forschung ist die Angabe in 1. Kön 6,1, der Tempelbau unter Salomo habe 480 Jahre nach dem Auszug aus Ägypten begonnen, als historischer Fixpunkt herangezogen worden. Wird für den Baubeginn – basierend auf der Rekonstruktion biblischer Zeitangaben zur Regierungszeit Salomos – die Zeit um 950 v. Chr. angenommen, läge der Exodus etwa in der Mitte des 15. Jahrhunderts v. Chr.151 Nach Weimar und Zenger ließe sich dieser Zeitraum zwar annähernd mit der Vertreibung der Hyksos in Beziehung setzen, 147 Vgl. Herrmann 1970, S. 46. 148 Ebd., S. 47f. 149 Vgl. Frevel 2012, S. 717; vgl. Gunneweg 1989, S. 24; vgl. Herrmann 1973, S. 93; vgl. Herrmann 1970, S. 72; vgl. Noth 1950, S. 100; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 115f. 150 Vgl. Herrmann 1970, S. 72. 151 Vgl. Donner 1984, S. 92; vgl. Frevel 2012, S. 717; vgl. Schmitz 2013, S. 128.

50

Die Exodus-Erzählung

jedoch sei diese Hykso-Theorie, welche von einer Verbindung zwischen Hyksos und Exodusgruppe ausgeht (s. Kap. 2.2.1), aus den bereits oben diskutierten Gründen fraglich und es werde »[…] eine singuläre Zeitangabe, die nachweislich frühestens von einem deuteronomistischen Verfasser stammt, mit einer Beweislast beladen, die sie mangels einer Überlieferungslücke von 800 Jahren zwischen der fixierten Zeitangaben und dem Geschehen nicht tragen kann.«152 Neben Donner, der diese frühe Datierung des Auszugs schlicht für »unsinnig« hält,153 merkt Frevel an, dass sie nicht mit der überwiegend zumindest für plausibel gehaltene Fronarbeit der Ägyptengruppe beim Bau der Städte Pitom und Ramses zu vereinbaren wäre,154 sodass Weimar und Zenger wie auch Herrmann den biblischen Jahresangaben eher symbolischen als chronologischen Wert zusprechen.155 Die bereits thematisierte biblische Notiz über die Beteiligung der Israeliten beim Bau der Vorratsstädte Pitom und Ramses ließen sich dagegen zumindest indirekt chronologisch auswerten.156 Die Versuche einer historischen Verortung dieser Städtebezeichnungen führt in die Herrschaftszeit von Ramses II. und damit in das 13. Jhd. v. Chr. (s. Kap. 2.2.1).157 Ob es sich – wenn von Ex 2,23 ausgegangen wird – beim Pharao des Auszugs um den Nachfolger Ramses II., den Pharao Merenptah (ca. 1213–1203 v. Chr158), handelte oder um Ramses II. selbst, lasse sich nicht mit Sicherheit bestimmen, da die Kombination der biblischen Angaben zu den Arbeitsstätten und dem Tod des Pharaos nach Herrmann sowie Weimar und Zenger nicht zwingend sei.159 Hoffmeier weist an dieser Stelle darauf hin, dass die fehlenden (Namens-) Angaben zu den Pharaonen innerhalb der Exodus-Erzählung nicht notwendigerweise – wie von einigen Forscher_innen angenommen – ein Beweis für den mythischen oder legendenhaften Charakter des Erzählten sei, sondern theologische Gründe haben könne: »[…] because the Bible is not trying to answer the question ›who is the pharao of the exodus‹ to satisfy the curiosity of modern historians, rather, it was seeking to clarify for Israel who was the God of the Exodus.«160 Auch sei es möglich, dass die Verfasser_innen einfach kein Interesse 152 Weimar/Zenger 1975, S. 116. Erstmalige Darstellung dieser Theorie von Jack in: Jack, James (1925): The Date of the Exodus in the Light of External Evidence. Edinburgh: Clarc. 153 Vgl. Donner 1984, S. 92. 154 Vgl. Frevel 2012, S. 717. 155 Vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 117; vgl. Herrmann 1973, S. 93. 156 Vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 118. 157 Vgl. Lemche 1996, S. 63; Schmid 1968, S. 15; vgl. Gunneweg 1989, S. 24; vgl. Metzger 1983, S. 32; vgl. Herrmann 1970, S. 74; vgl. Herrmann 1973, S. 93; vgl. Noth 1950, S. 105; vgl. Donner 1984, S. 90; vgl. Bietak 2000, S. 185. 158 Clauss 2012, S. 236. 159 Vgl. Herrmann 1973, S. 93; vgl. Herrmann 1970, S: 74; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 119; siehe auch Gunneweg 1989, S. 24. 160 Vgl. Hoffmeier 1999, S. 109; vgl. Römer 2014, S. 123.

Die Frage nach den historischen Hintergründen

51

an einer historisch klar einzuordnenden Darstellung hatten bzw. die entsprechenden Fakten nicht kannten.161 Selbst mit einer Festlegung auf Ramses II. oder Merenptah als Pharao des Auszugsgeschehen bleibt zu klären, ob es für diesen Zeitraum Belege eines Auszugs, einer Flucht einer Volksgruppe gibt, die nach biblischen Angaben 600.000 (Ex 12,37; Num 11,21) (ohne Frauen und Kinder) oder gar 603.550 Personen (Num 1, 46; 2,32) umfasste. Ausgehend von den Ergebnissen der Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich die Ägyptengruppe zusammengesetzt haben könnte (s. Kap. 2.2.1) und dem Abgleich mit weiteren außerbiblischen Quellen kommt die Mehrheit der Forscher_innen zu dem Schluss, dass eine solche »Massenflucht« oder »Massenvertreibung« historisch nicht zu belegen sei.162 So konstatieren Finkelstein und Silberman, dass »[…] das Entkommen von mehr als einer winzigen Gruppe aus der ägyptischen Kontrolle zur Zeit Ramses II. […] höchst unwahrscheinlich sein [dürfte]«, da Ägypten im 13. Jahrhundert einen Höhepunkt seiner Macht erlebt habe und nicht nur das eigene Land durch Festungen und Grenzbefestigungen, sondern auch Kanaan »fest im Griff« gehabt habe.163 Zwar geben Fohrer, Frevel sowie Weimar und Zenger zu bedenken, dass es nach Merenptah und vor dem Regierungsantritt Ramses III. (1182–1151 v. Chr.164) eine Phase von inneren Unruhen und Aufständen gab, in der »Absetzbewegungen« denkbar gewesen seien und auch vereinzelt Vertreibungen von Asiaten aus Ägypten beschrieben wurden, sodass eine Flucht oder Vertreibung nicht ausgeschlossen werden könnte. Historisch sicher belegen, lasse sich der Exodus im biblischen Ausmaß jedoch keinesfalls.165

2.2.3 Exodusroute und Sinai Wie die Frage nach den möglichen historischen Hintergründen des Aufenthalts der Israeliten in Ägypten, ihrer Unterdrückung und Befreiung, hat auch die Frage nach einer historisch und geographisch belegbaren Zugroute einen festen Platz in der Forschungsdiskussion um die Historizität des Exodus.166 Gibt die ExodusErzählung mit ihrer Schilderung der Wanderung der Israeliten durch die Wüste, ihres Durchzugs durch ein als »Schilfmeer« bezeichnetes Gewässer und der La161 Vgl. Hoffmeier 1999, S. 109. 162 Frevel 2012, S. 718; vgl. Clauss 1986, S. 29; vgl. Finkelstein/Silberman 2007, S. 73; vgl. Loewenstamm 1992, S. 227; vgl. Noth 1950, S. 103; vgl. Schmitz 2013, S. 128; vgl. Schmitz 2011, S. 134; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 114. 163 Finkelstein/Silberman 2007, S. 73; vgl. Schmitz 2011, S. 134. 164 Clauss 2012, S. 236. 165 Vgl. Fohrer 1995, S. 59; vgl. Frevel 2012, S. 718, 720; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 119. 166 Vgl. Hoffmeier 1999, S. 176.

52

Die Exodus-Erzählung

gerung am Fuß des Bergs Sinai historisch nachweisbare Ereignisse wieder, die sich auch topographisch zuordnen lassen? Zunächst scheint die Bestimmung einer Exodusroute leichter möglich als die zeitliche Einordnung oder der Nachweis für den Aufenthalt einer Exodusgruppe in Ägypten. Der biblische Text liefert an mehreren Stellen Hinweise auf die einzelnen Stationen dieser Reise. So schildert Ex 12,37–19,2 wie die Israeliten von Ramses über Sukkot (Ex 12,37) und Etam (Ex 13,20) nach Pi-Hahirot (Ex 14,2.9) ziehen, dann das »Schilfmeer« durchqueren und weiter zur Wüste Schur wandern (Ex 15,22). Nach dem Passieren von Mara (15,23a) und Elim (15,27) kommen sie in die Wüste Sin und über Refidim in die Wüste Sinai, wo sie gegenüber »dem Berg« ihr Lager aufschlagen (Ex 19,1). All diese Orte finden sich – mit wenigen Abweichungen – auch in der Wegbeschreibung Moses in Num 33,3–15.167 Bei einer genaueren Betrachtung der biblischen Wegnotizen ergeben sich jedoch eine ganze Reihe von Schwierigkeiten hinsichtlich der Rekonstruktion einer eindeutigen und historisch plausiblen Marschroute. Die literarkritische Untersuchung lässt Brüche und Spannungen im Erzählablauf deutlich werden (z. B. unvermittelte Aufforderung zur Umkehr (Ex 14,2), Einschub der Notiz zum Umweg um das Land der Philister durch die Wüste zum Schilfmeer (Ex 13,17.18)) und verschiedene Schichten des Textes hervortreten.168 Basierend auf diesen literarkritischen Überlegungen lassen sich je nach Textschicht bzw. dieser zugesprochenen Quelle169 verschiedene Routen der aus Ägypten ausziehenden Gruppe zeichnen: »Einig sind sie sich anscheinend nur im Hinblick auf den Ausgangspunkt: die Ramsesstadt.«170 Die dem sogenannten Jahwisten zugeordneten Textteile beschreiben, wie die Israeliten über Sukkoth nach Etham ziehen. Nach Donner könnte es sich bei Sukkoth um Tkw (Tell Retabe) im Wadi et-Tumelat handeln, sicher sei dies jedoch nicht. Die gleiche Unsicherheit der Lokalisation betreffe auch die Station Etham. Für das sich im Anschluss ereignende Meerwunder »[….] kommen nach Lage der Dinge am 167 Vgl. Schmid 1968, S. 22. 168 Vgl. Donner 1984, S. 93; vgl. Metzger 1983, S. 33; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 130ff. 169 Die – für die im Folgenden stattfindende Darlegung verschiedener Hypothesen zum Versuch der Rekonstruktion einer historisch verifizierbaren Exodusroute – vorliegende und hier verwendete Literatur bezieht sich hinsichtlich der Unterscheidung verschiedener im biblischen Text identifizierbarer Schichten oder Quellen zu einem großen Teil auf ein Modell der Entstehung des Pentateuch, welches als »Neuere Urkundenhypothese« bezeichnet wird. Dieses unterscheidet maßgeblich vier Quellen: der Jahwist, der Elohist, das Deuteronomium sowie die Priesterschrift. Auch wenn die Gültigkeit dieses Modells in seiner klassischen Form im aktuellen Forschungsdiskurs zunehmend bestritten wird (siehe hierzu Kap. 2.3), wurde sich dafür entschieden, die entsprechenden Überlegungen zur Exodusroute hier aufzunehmen, da für sie vor allem das Erkennen verschiedener »Versionen« bzw. Textschichten entscheidend sind und nicht die umstrittenen Fragen zu Umfang und Datierung der jeweiligen Quelle. Gleiches gilt für die Darlegung und Diskussion der Theorien zur historisch »plausiblen« Erklärung des Meerwunders (s. Kap. 2.2.5.3). 170 Donner 1984, S. 93.

Die Frage nach den historischen Hintergründen

53

ehesten die Bitterseen oder das Nordende des Golfes von Suez in Betracht.«171 Diese Lokalisierung wird von Metzger, Noth sowie Weimar und Zenger geteilt und ebenfalls für den Ort der »Schilfmeer«-Durchquerung innerhalb der Quelle des sogenannten Elohisten angenommen.172 Den Weg bis dorthin schildert diese Quelle indirekt, indem ein Umweg um »das Land der Philister« durch die Wüste zum Schilfmeer genannt wird. Außer dem wohl damit gemeinten Ausschluss einer Route am Mittelmeer entlang lassen sich jedoch keine eindeutigen Schlüsse über die Zugstrecke der Exodusgruppe ziehen.173 Die genaueste Beschreibung – so sind sich Donner, Gunneweg, Metzger, Noth sowie Weimar und Zenger einig – lieferten die Texteile die der sogenannten Priesterschrift zugeordnet werden.174 Ihnen zufolge schlägt die Exodusgruppe doch den Weg der Küstenstraße am Mittelmeer ein.175 Nach der Aufforderung Gottes zur Umkehr (es bleibt unklar, von welchem Weg) sollen sich die Israeliten in Pi-Hahiroth niederlassen, was nach biblischen Angaben zwischen dem Meer und Migdol und vor Baal-Zaphon liegt. Nach Donner und Fohrer ist für Migdol die Gegend des heutigen Tell el-Her etwa 12 km südlich von Pelusium und nördlich der ägyptischen Grenzfestung Tl (Sile) anzunehmen.176 Auch die Ortsangabe Baal-Zaphon lasse sich mit einem etwa 15 km östlich von Pelusium gelegenen Baals-Heiligtum in Verbindung bringen.177 Die Bestimmung dieser an der Mittelmeerküste in der Gegend des sirbonischen Sees gelegenen Stationen verweise damit auf eben jenen als Ort des Meerwunders.178 Welche dieser Routen ist nun aber die historisch wahrscheinlichste? Die priesterschriftlichen Angaben zeichnen zwar – anders als Jahwist und Elohist179 – ein topographisch nachvollziehbares Bild des Exodusweges bis zu den Geschehnissen am Meer – besonders, da für das Lagunengebiet des sirbonischen Sees auch in außerbiblischen Quellen unberechenbare und »ungewöhnliche Wasser- und Erdbewegungen« bezeugt sind180 –, Noth weist aber in Anbetracht der vergleichsweise jungen Quelle darauf hin, dass es sich hierbei sehr wahrscheinlich um einen nachträglichen Lokalisierungsversuch handelt.181 171 Donner 1984, S. 93; vgl. Schmitz 2011, S. 176. 172 Vgl. Metzger 1983, S. 33; vgl. Noth 1950, S. 101; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 133; siehe auch Donner 1984, S. 94. 173 Vgl. Donner 1984, S. 94. 174 Vgl. Donner 1984, S. 94; vgl. Gunneweg 1989, S. 25; vgl. Metzger 1983, S. 33; vgl. Noth 1950, S. 101; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 133. 175 Vgl. Schmitz 2011, S. 176. 176 Vgl. Donner 1984, S. 94; vgl. Fohrer 1995, S. 60f.; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 131. 177 Vgl. Donner 1984, S. 94; vgl. Fohrer 1995, S. 60f.; vgl. Gunneweg 1989, S. 25; vgl. Weimar/ Zenger 1975, S. 130. 178 Vgl. Donner 1984, S. 94; vgl. Fohrer 1995, S. 60; vgl. Gunneweg 1989, S. 25; vgl. Metzger 1983, S. 33; vgl. Noth 1950, S. 101; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 131. 179 Vgl. Noth 1950, S: 101; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 133f. 180 Weimar/Zenger 1975, S. 131; vgl. Donner 1984, S. 94; vgl. Herrmann 1970, S. 88f. 181 Vgl. Noth 1950, S. 101.

54

Die Exodus-Erzählung

Darüber hinaus ist nach Weimar und Zenger das theologische – mehr als das historisch topographische – Interesse der priesterschriftlichen Notiz deutlich erkennbar: »Das Meerwunder ›angesichts Baal-Zaphon‹ erweist vor Pharao und seinen Leuten, daß Herr über Jam=Meer nicht Baal, sondern Jahwe ist.«182 Zu den genannten Schwierigkeiten der Festlegung auf eine historisch plausible Exodusroute kommt die von Donner, Gunneweg und Noth aufgeworfene überlieferungskritische Überlegung, ob von einem ursprünglichen Zusammenhang von Exodus- und Schilfmeer-Motiv ausgegangen werden könne und damit, ob überhaupt eine beide Motive umfassende Wegstrecke von Ägypten bis zum Schilfmeer in Frage komme.183 Ähnliche Bedenken äußern u. a. Donner sowie Lemche und Noth mit Bezug auf die formgeschichtliche Analyse Rads184 für den weiteren Verlauf der Wegstrecke vom Meer bis zum Sinai. Auch hier sei von einer späteren Verknüpfung der ursprünglich selbstständigen Gottesbergerzählung mit Auszugs-, Meerwunder- und Landnahmekomplex auszugehen.185 So gestaltet sich der Versuch der Lokalisierung des Gottesberges aufgrund der kaum verwertbaren biblischen Ortsangaben für den Weg vom Schilfmeer bis zum Sinai mindestens ebenso schwierig wie die Suche nach einem eindeutigen Ort des Meerwunders. Während in den dem Jahwisten zugesprochenen Textteilen der Weg vom Meer in die »Wüste Schur« führt und über das »Quellgebiet von Mara« und die Oase »Massa-Meriba« schließlich den Gottesberg erreicht, zieht die Exodusgruppe in den priesterschriftlichen Angaben durch die »Oase Elim« in die Wüste zwischen Elim und dem Sinai, welche Sin genannt wird, um dann über Refidim in die Wüste Sinai zu gelangen, in der sie »gegenüber« dem Gottesberg lagern.186 »Keine dieser Ortsangaben ist auch nur annähernd bestimmbar«,187 sodass sie nur wenig zu einer genauen Lokalisierung des Berges beitragen. Zudem wird der Berg mit verschiedenen Namen bezeichnet. So wird er in den dem Jahwisten und der Priesterschrift zugeordneten Texten »Sinai« genannt, »[…] in der deuteronomisch-deuteronomistischen Literatur188 und an einigen von dieser abhängigen Stellen [findet sich] statt dessen der Name ›Horeb‹«.189 In welchem Verhältnis diese beiden Namen zueinander stehen, ob sie denselben 182 Weimar/Zenger 1983, S. 132. 183 Vgl. Donner 1984, S. 93; vgl. Gunneweg, 1989, S. 25; vgl. Noth 1971, S. 109; vgl. Noth 1950, S. 104. 184 Siehe hierzu Rad 1958. 185 Vgl. Donner 1984, S. 98; Noth 1971, S. 109; vgl. Noth 1950, S. 104; vgl. Lemche 1996, S. 55f.; siehe auch Nicholson 1973, S. XIV; sowie Schmitz 2011, S. 177. 186 Vgl. Schmitz 2011, S. 176f. 187 Donner 1984, S. 97. 188 Hier ist die als Deuteronomium bezeichnete Quelle gemeint. Siehe hierzu die Erläuterungen zu dem Quellenmodell der sogenannten »Neueren Urkundenhypothese« in Fußnote 169, S. 52. 189 Noth 1950, S. 111; vgl. Donner 1984, S. 98.

Die Frage nach den historischen Hintergründen

55

Berg meinen oder ursprünglich verschiedene Orte beschreiben, ist dabei wie NOTH formuliert, »ganz unaufgeklärt«.190 In der Forschung zur Geschichte Israels werden vor allem drei mögliche Standorte diskutiert: Ausgehend von den Angaben in Dtn 33,2 und Ri 5,4f. wird der Gottesberg mit Seir bzw. Edom in Verbindung gebracht und damit das Gebirgsgebiet zwischen Totem Meer und Golf von Akaba zu einem möglichen Ort des Sinai.191 Bis in das 4. Jhd. n. Chr. geht die Tradition zurück, den Gottesberg im Süden der sogenannten Sinaihalbinsel zu verorten und mit dem »Gebel Musa« »[…] in unmittelbarer Nachbarschaft anderer Berggipfel, die ebenfalls in das christliche Traditionsgeflecht einbezogen sind […]«, in Verbindung zu bringen.192 Ob es sich hierbei um eine aufgrund der vergleichsweise jungen Tradition mögliche sekundäre Lokalisierung handelt, kann weder be- noch widerlegt werden. Dennoch spricht sich der überwiegende Teil der Forscher_innen für die dritte Lokalisierungstheorie des Gottesberges aus. Diese vermutet den Sinai vor allem aufgrund der an vulkanische Aktivitäten erinnernden Schilderung zur Gotteserscheinung (Ex 19, 16ff; Ex 20,18) in der Gegend Nordwestarabiens, östlich des Golfes von Akaba, da es dort – anders als im Süden der Sinaihalbinsel – tätige Vulkane gegeben haben soll.193 Doch auch diese dritte Möglichkeit lässt sich nicht letztgültig beweisen, sodass es wie bereits bei der Lokalisierung des Meerwunders oder der Festlegung einer Marschroute bei Versuchen bleibt, den Gottesberg der Exodus-Erzählung geographisch zu verorten.194 Zu den Schwierigkeiten einer topographischen Nachzeichnung des Exodus kommen – an die Überlegungen zur Größe der Exodusgruppe anschließend – die u. a. von Finkelstein und Silberman oder Lemche geäußerte Problematik, dass ein nach biblischen Angaben vierzig Jahre andauernder Aufenthalt von mehreren hunderttausend Israeliten kaum vorstell- und archäologisch nicht nachweisbar sei.195 Selbst von einer sehr viel kleineren Gruppe ließen sich im 13. Jahrhundert v. Chr. – welches am wahrscheinlichsten für einen Auszugszeitraum in Frage komme (s. Kap. 2.2.2) – auf der Sinaihalbinsel keine verwertbaren Spuren finden.196 »Demnach bleiben auch die Nachzeichnungen der Exodusrouten sehr spekulativ.«197

190 Noth 1950, S. 111; vgl. Donner 1984, S. 98; vgl. Metzger 1983, S. 27. 191 Vgl. Donner 1984, S. 98; vgl. Metzger 1983, S. 26. 192 Donner 1984, S. 98f.; vgl. Dohmen 2004, S. 52; vgl. Hoffmeier 1999, S. 187; vgl. Metzger 1983, S. 26; vgl. Noth 1950, S. 111. 193 Vgl. Donner 1984, S. 99; vgl. Gunneweg 1989, S. 31; vgl. Metzger S. 1983, S. 26; vgl. Noth 1950, 114; dagegen: Fohrer 1995, S. 64. 194 Vgl. Fohrer 1995, S. 63; vgl. Görg 1997, S. 141; vgl. Noth 1950, S. 114; vgl. Metzger 1983, S. 26; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 129. 195 Vgl. Finkelstein/Silberman 2007, S. 75; vgl. Lemche 1996, S. 60. 196 Vgl. Finkelstein/Silberman 2007, S. 75f. 197 Römer 2014, S. 123.

56

Die Exodus-Erzählung

2.2.4 Mose Es ist weithin unbestritten, dass Mose eine entscheidende Rolle im Pentateuch einnimmt. Auch wenn inzwischen Einigkeit darüber besteht, dass er – wie die Bezeichnung in der deutschen Übersetzung vermuten lässt – nicht als Verfasser der fünf Bücher der Tora in Frage kommt,198 macht ihn besonders sein Wirken in der Exodus-Erzählung zur »[…] zentrale[n] Figur der klassischen Heilszeit Israels.«199 Während sich die Forschung in diesem Schluss sehr sicher ist, bleibt die Diskussion um die Frage, wer Mose war bzw. ob es überhaupt einen historischen Mose gab, mit großer Unsicherheit behaftet: »Der Versuch, ein geschichtlich zuverlässiges Bild von ihm zu gewinnen, ist ein Dauerthema der alttestamentlichen Wissenschaft.«200 Ein entscheidender Grund für das, was von Gunneweg als »Moseproblem« bezeichnet wird, sind die fehlenden außerbiblischen Quellen, welche zu einer genaueren Identifizierung herangezogen werden könnten.201 Aber auch die Informationen der innerbiblischen Zeugnisse stellen die Forscher_innen vor gewisse Schwierigkeiten. Wenn – wie bereits im Kontext der Suche nach der Exodusroute angesprochen – davon ausgegangen wird, dass Auszug, Meerwunder, Sinai und Landnahme ursprünglich selbstständige Themenkomplexe waren, die erst sekundär miteinander verbunden wurden (s. Kap. 2.2.3), stellt sich unweigerlich die Frage, »[…] in welchem dieser Themen die Mosegestalt ursprünglich verwurzelt war.«202 Dabei weist Gunneweg darauf hin, dass eine Verankerung in mehr als einem dieser Überlieferungskomplexe nicht generell zu verneinen, in Anbetracht der Unterschiedlichkeit der Themen und ihrer Lokalisierungen aber wenig wahrscheinlich sei.203 Doch in welchem ist Mose nun ursprünglich verwurzelt? Während Noth in seiner Darlegung zur Überlieferungsgeschichte zu dem Schluss kommt, dass sich ein historischer Mose letztendlich hinter keiner der Überlieferungen mit absoluter Sicherheit ausmachen lasse, zeigen sich andere Forscher_innen zumindest etwas optimistischer. So sei es nach Römer, Metzger und Gunneweg in Anbetracht des gut begründeten Ausschlusses der Komplexe von Wüstenwanderung und Sinai

198 Vgl. Finkelstein/Silberman 2007, S. 22; vgl. Gertz 2010, S. 204; Vgl. Noth 1968, S. 4; vgl. Otto E. 2006, S. 21f.; vgl. Otto 2000, S. 9; vgl. Zenger 1994, S. 330. 199 Donner 1984, S. 108; vgl. Nicholson 1973, S. 58. 200 Donner 1984, S. 108; vgl. Fohrer 1995, S. 56; vgl. Frevel 2012, S. 720; vgl. Gunneweg 1972, S. 26; vgl. Noth 1950, S. 118. 201 Vgl. Gunneweg 1972, S. 26; vgl. Herrmann 1970, S. 18, vgl. Görg 1997, S. 143; vgl. Otto E. 2006, S. 26; vgl. Zenger 1994, S. 331. 202 Gunneweg 1972, S. 26; vgl. Herrmann 1970, S. 63; Metzger 1983, S. 33; Noth 1950, S. 118; vgl. Otto E. 2006, S. 26; vgl. Zenger 1994; S. 331. 203 Vgl. Gunneweg 1972, S. 26; vgl. Metzger 1983, S. 33.

Die Frage nach den historischen Hintergründen

57

sowie aufgrund des ägyptischen Namens204 Moses eine plausible Möglichkeit, den Ursprung des Mose in dem Komplex der Ägyptenüberlieferung zu verorten.205 Zumal sich die Figur des Mose – so Gunneweg – »[…] nicht mit stichhaltigen Gründen aus diesem Komplex entfernen […]« lasse, und sich mit ihrer Verwurzelung in dem »[…] heilsgeschichtlich alten und zentralen Thema Ägypten […]« auch »[…] deren Hineinwachsen in die übrigen Pentateuchthemen […] unschwer erklären läßt.«206 Doch selbst mit dieser nicht beweisbaren Zuordnung bleibt das Bild, das sich von dem historischen Mose zeichnen lässt, bruchstückhaft und vage. So lässt beispielsweise die Erzählung von Moses Geburt und Kindheit kaum Rückschlüsse auf seine Herkunft zu, da sie sich eines Erzählmotivs aus dem Bereich der Abenteuergeschichten bedient, die in ihr enthaltenen Informationen also nicht als biografische betrachtet werden können. Die Legende vom ausgesetzten Heldenkind ist aus ägyptischen sowie babylonisch-assyrischen Quellen bekannt und findet sich z. B. auch in der Geburtserzählung des Königs Sargon I. von Akkad aus der zweiten Hälfte des dritten Jahrtausends v. Chr.207 Lemche betont jedoch, dass das Vorkommen dieser legendären Elemente nicht als Begründung einer generell nicht vorhandenen Historizität herangezogen werden dürfte, da am Beispiel Sargons zu sehen sei, dass es sich zwar um eine literarische Ausmalung und Überzeichnung handele, Sargon aber wirklich gelebt habe und diese Art der Darstellung offensichtlich gewählt wurde, um die Besonderheit der Person hervorzuheben.208 »Aber damit ist die Frage »Wer war Mose?« keineswegs beantwortet.«209 Neben den zahlreichen Versuchen, aus den biblischen Quellen Hinweise auf den historischen Kern der Mosegestalt zu bekommen, gibt es auch solche, die im zeitgenössischen Umfeld nach Persönlichkeiten suchen, welche den biblischen mosaischen Eigenschaften möglichst nahe kommen. Eine in diesem Kontext

204 Es besteht überwiegend Einigkeit darüber, dass ein ägyptischer Ursprung des Namens »Mose« gut begründbar ist. So lässt sich das ägyptische Namenselement ms´j (gebären«, »erzeugen«) in ihm identifizieren. Dieses wurde in der ägyptischen Namensbildung zumeist mit einem bestimmten Gottesnamen verknüpft (z. B. R’-ms´(j)-s´w = Ramses, »(der Gott) Re hat ihn geboren«). Zwar fehlt bei Mose dieses theophore Element, doch der so übrigbleibende Name war auch als Kurzname in Ägypten bekannt. Vgl. Assmann 2015, S. 146; vgl. Donner 1984, S. 109; vgl. Fohrer 1995, S. 58; vgl. Frevel 2012, S. 720; vgl. Görg 2000, S. 19–27; vgl. Görg 1997, S. 143; vgl. Herrmann 1973, S. 91; vgl. Herrmann 1970, S. 66; vgl. Lemche 1996, S. 59; vgl. Metzger 1983, S. 33f.; vgl. Otto E. 2006, S. 30; vgl. Römer 2014, S. 123; vgl. Zenger 1994, S. 332. 205 Vgl. Gunneweg 1972, S. 27; vgl. Metzger 1983, S. 33f.; vgl. Römer 2014, S. 122f. 206 Gunneweg 1972, S. 27. 207 Vgl. Assmann 2015, S. 142; vgl. Donner 1984, S. 109; vgl. Herrmann 1973, S. 91; vgl. Lemche 1996, S. 57; vgl. Römer 2014, S. 121f.; vgl. Schmitz 2011, S. 135. 208 Vgl. Lemche 1996, S. 57. 209 Donner 1984, S. 110.

58

Die Exodus-Erzählung

häufig diskutierte Gestalt ist die des »By« (Beja, Beya, Bi/eja).210 Er lässt sich in der Zeit vor Beginn der 20. Dynastie ausmachen als ein unter dem Hofnamen »R’-ms´j-s´w-h’-m-ntrw« bekannter, nach dem Tod Sethos’ II. politisch aktiv werdender Ausländer.211 Er soll – so Knauf – gemeinsam mit einer Gruppe von Hapiru an einem Aufstand beteiligt gewesen sein, welcher mit einer Plünderung und einer Flucht aus Ägypten enden sollte. Römer weist jedoch an dieser Stelle darauf hin, dass »[…] seit einiger Zeit ägyptische Dokumente bekannt [seien], die die Hinrichtung dieses Beya vor einer Flucht berichten.«212 Ebenfalls zur Diskussion steht ein hochrangiger Hofbeamter, der scheinbar über einen längeren Zeitraum (»unter Ramses II. und noch unter Ramses III.«213) als solcher tätig war und ebenfalls ausländische Wurzeln hatte. Wie bei Beya findet sich auch in seinem Namen (»R’-ms´j-s´w-m-pr-R’« (»Ramses im Haus des Re«)) das von Mose bekannte ägyptische Namenselement »ms´j«.214 Er soll außerdem »[…] als Vermittler zwischen den ägyptischen Arbeitgebern und den örtlichen, semitischen Arbeitern im Bergbau [tätig gewesen sein], die wahrscheinlich zur Bevölkerung der Schasu gehört haben.«215 Die Vergleiche mit dieser und anderen historische Figuren müssen jedoch im Stadium eines Versuches einer näheren Bestimmung verbleiben, da die Identifikation mit dem biblischen Mose nicht beweisbar ist. Nach Görg bieten diese Figuren aber zumindest die mögliche »[…] Wurzel einer gebündelten Erinnerung […]«, welche sich über die Zeit zu der biblischen Größe entwickelt hat, die uns im Pentateuch begegnet.216 Trotz der dargelegten Bemühungen die Figur Mose historisch zu erfassen, scheint es nicht wirklich verwunderlich, dass sich keine historische Gestalt ausmachen lässt, welche überzeugend und nachweislich die Helden-, Propheten-, Magier-, Religionsstifter-, oder Gesetzesverkünderrolle in sich vereinen bzw. den Anspruch einer alle einzelnen Teile der Exodus-Erzählung verbindenden Funktion erfüllen könnte.217

210 Vgl. Frevel 2012, S. 720; vgl. Görg 2000, S. 32–37; vgl. Görg 1997, S. 144; vgl. Römer 2014, S. 123; vgl. Zenger 1994, S. 332. 211 Vgl. Görg 2000, S. 32; vgl. Görg 1997, S. 144; vgl. Zenger 1994, S. 332. 212 Römer 2014, S. 123. 213 Görg 1997, S. 144. 214 Görg 1997, S. 144; vgl. Otto E. 2006, S. 30. 215 Görg 1997, S. 144. 216 Ebd., S. 145. 217 vgl. Donner 1984, S. 110; vgl. Herrmann 1970, S. 64; vgl. Lemche 1996, S. 57ff.; vgl. Schmitz 2011, S. 133; Zenger 1994, S. 331.

Die Frage nach den historischen Hintergründen

59

2.2.5 Exkurs: Die Wundererzählungen Neben den Teilen der Exodus-Erzählung, die sich zumindest auf den ersten Blick als historische Berichte lesen lassen, finden sich auch Erzählelemente, auf die dies nicht zutrifft, da sie den heute bekannten physikalischen Gesetzmäßigkeiten zu widersprechen und nach rationaler Betrachtung unmöglich oder zumindest sehr unwahrscheinlich scheinen. Wie für das übrige Exodusgeschehen gab und gibt es auch hinsichtlich dieser wundersamen Phänomene – wie dem brennenden und doch nicht verbrennenden Dornbusch, den zehn Plagen, der Teilung des Schilfmeeres oder der Versorgung der Israeliten mit Manna und Wachteln in der Wüste – Versuche, ihren historischen Kern herauszuarbeiten bzw. sie auf Naturerscheinungen zurückzuführen und so auf naturalistische Weise zu erklären. An dieser Stelle soll zumindest ein kurzer Einblick in diese Bemühungen und ihre Ergebnisse – beispielhaft für die genannten vier Wunder – gegeben werden.218

2.2.5.1 Der brennende Dornbusch In Ex 3,2 wird die erste Begegnung Moses mit Gott geschildert: »Dort erschien ihm der Engel des Herrn in einer Flamme, die aus einem Dornbusch emporschlug. Er schaute hin: Da brannte der Dornbusch und verbrannte doch nicht.« Diese Beschreibung des trotz Flammen nicht vergehenden Dornenstrauches führte zu den verschiedensten Vermutungen darüber, was »wirklich« passiert sein und auf welches natürliche Phänomen sie zurückgehen könnte. Die Versuche, den besagten Dornbusch botanisch zu bestimmen und den Feuerschein mit Pflanzenarten zu erklären, welche besonders rot oder gelb leuchtende Beeren und Blüten tragen oder deren Blätter das Sonnenlicht auf spezielle Weise reflektieren,219 fanden in der Forschung nur wenig Zustimmung.220 Sehr viel häufiger wurde dagegen die Erklärung angeführt, dass bei der Lichterscheinung an etwas wie das meteorologische Phänomen des sogenannten Sankt Elmsfeuer gedacht werden müsste.221 Bei dieser Wettererscheinung handelt es sich »[…] um permanente elektrische Gas-Entladungen in Form von kurzen Funken oder Funkenbüscheln an Gegenständen […], die die Umgebung 218 In der folgenden Zusammenschau der Erklärungsversuche wundersamer Ereignisse innerhalb der Exodus-Erzählung setze ich den Fokus auf die hier genannten vier Phänomen, da diese i. d. R. auch in den zumeist gekürzten und/oder vereinfachten Versionen des biblischen Textes für den Religionsunterricht der Grundschule enthalten sind. 219 Moldenke und Moldenke denken hier beispielsweise an eine Akazienart. Vgl. Moldenke/ Moldenke 1952, S. 23,25; siehe auch Hermann 1959, S. 190. 220 Vgl. Scharbert 2000, S. 21; vgl. Schmidt 1988, S. 156. 221 Vgl. Fohrer 1964, S. 34; vgl. Noth 1968, S. 26; vgl. Scharbert 2000, S. 21.

60

Die Exodus-Erzählung

überragen […]«, sie entstehen wenn die Spannungsdifferenz zwischen Boden und Atmosphäre sehr hoch ist.222 Besonders häufig tritt das Elmsfeuer auf See (z. B. an Schiffsmasten) auf, sodass es seinen Namen von dem Schutzpatron der romanischen Seeleute Sankt Elmo bekam. Aber auch im Gebirge und bei Sandstürmen (z. B. an ägyptischen Pyramiden) lässt sich dieses spezielle Feuer beobachten.223 Ob bei der Schilderung des brennenden Dornbusches ein solches Wetterphänomen Vorbild war, bleibt offen. »Die Auslegung hat gern an eine Erscheinung wie das St. Elmsfeuer gedacht; und in der Tat muß man wohl etwas dergleichen annehmen, ohne doch eine sichere Deutung geben zu können.«224 Auch geologische Ursachen wurden für eine Erklärung herangezogen. So stellt Humphrey spontan oder durch Blitzeinschlag entzündete Erdgasemissionen aus einer Felsspalte zur Diskussion, wie sie in Erdbebengebieten mit entsprechenden Erdgasvorkommen durchaus möglich sind.225 Ebenso wäre seiner Ansicht nach eine Entzündung von vulkanischen Gasen vorstellbar, zumal dies zu den Überlegungen hinsichtlich der Verortung des Gottesberges in einer Vulkanregion passen würde (s. Kap. 2.2.3). Schmidt spricht sich gegen die Annahme eines solchen Vulkanphänomens aus und schließt sich Gressmann an, der betont: »Die Vorstellung des brennenden und doch nicht verbrennenden Dornbusches geht nicht auf Naturerscheinungen irgend welcher Art zurück, sondern auf die Anschauung von der Gottheit, die sich als Feuergott von der feurigen Waberlohe umgeben, zu offenbaren pflegt.«226 Die Erscheinung brennender und doch nicht verbrennender Bäume sei – so Gressmann – auch in Erzählungen aus dem syrisch-palistinensischen Raum als Kennzeichnung heiliger Stätten bekannt,227 und könnte nach Noth als Lokalüberlieferung in die Tradition Israels eingebunden worden sein, »[…] um der Erzählung von der ersten Gottesbegegnung Moses einen konkreten Hintergrund zu geben.«228 Auch lassen sich nach Hermann vergleichbare Erscheinungsvorstellungen in ägyptischen Quellen ausmachen: »Nach einem ägyptischen Sargtext der Herakleopolitzeit (vor 2100 vC. [sic]) erscheint im Gebüsch das Auge des Sonnengottes Re.«229 Ob der für die Bezeichnung des Dornenstrauchs genutzte hebräische Begriff »senæ ¯ «, der dem arabischen Namen einer bestimmte Pflanzenart aus der Umgebung des Toten Meeres ähnelt (»Cassia obovata«),230 als ursprüngliche 222 223 224 225 226 227

Deutscher Wetterdienst 2013, S. 48. Vgl. ebd. Noth 1968, S. 26. Vgl. Humphreys 2007, S. 91–93. Gressmann 1922, S. 29; vgl. Schmidt 1988, S. 156. Vgl. Gressmann 1922, S. 29f.; vgl. Noth 1968, S. 26; Fohrer 1964, S. 34; vgl. Hermann 1959, S. 189. 228 Noth 1968, S. 26. 229 Hermann 1959, S. 192. 230 Vgl. Noth 1968, S. 27.

Die Frage nach den historischen Hintergründen

61

lautliche Anspielung auf den Gottesberg Sinai und die mit ihm verbunden Theophanie zu lesen ist, ist umstritten. Während Noth dies mit der Begründung ablehnt, dass die beiden Worte »senæ ¯ « und »Sinai« etymologische keinerlei Verbindung haben, sondern dieser spezielle Strauch im Hebräischen eben nur mit dem Wort »senæ ¯ « bezeichnet werden konnte,231 scheint Fohrer sowie Otto die Nutzung des Begriffs »senæ ¯ « als Hinweis auf den Sinai dennoch plausibel, da es ihrer Ansicht nach eben nicht um die Bezeichnung einer spezifischen Pflanze, sondern um die Form und den Ort der Theophanie ginge.232 Noth fügt aber an, dass ein späteres Wiedererkennen des Namens »Sinai« in dem Begriff für den Dornbusch zu einer sekundären Verortung des Geschehens an den Gottesberg geführt haben könnte.233 So bleibt es bei mehr oder weniger gut begründeten Vermutungen über das Zustandekommen der besonderen Schilderung der Gottesoffenbarung. Es deutet sich jedoch bereits an, dass die auf Naturphänomene zurückgeführten Erklärungen der Bedeutung dieses Phänomens für die Geschichte Israels nicht gerecht werden können. Scharbert schließt die Diskussion mit der Feststellung: »Doch alle solche Überlegungen sind abwegig. J [der Jahwist] hat jedenfalls an ein Wunder gedacht.«234

2.2.5.2 Die zehn Plagen »Die Plagen beschäftigen bis heute die Phantasie der Menschen, und die Suche nach möglichen Ursachen und Spuren dieser Umweltkatastrophen kommt nicht zur Ruhe.«235 Mehr noch als hinsichtlich des Phänomens des brennenden Dornbusches haben Historiker und Exegeten Versuche unternommen, historische Belege und natürliche Erklärungen für die Schilderungen um die Geschehnisse der zehn Plagen zu finden. Bei der Frage, ob es einen historischen Kern hinter der Erzählung gebe, beziehen sich die Forscher_innen vor allem auf Naturphänomene, die für das ägyptische In- und Umland bekannt oder wahrscheinlich sind bzw. waren.236 »So sagt man z. B. für I [die erste Plage]: Wenn der Nil steigt, nimmt er durch die aus den abessinischen Gebirgen fortgeschwemmte Erdteilchen eine rötliche Farbe an, die während der ganzen Überschwemmungszeit anhält […]«.237 Dieses von den Arabern »rotes Wasser« genannte Phänomen scheint zwar als Erklärung für die biblische Schilderung plausibel, 231 232 233 234 235 236

Vgl. Noth 1968, S. 27. Vgl. Fohrer 1964, S. 34; vgl. Otto E. 2006, S. 12. Vgl. Noth 1968, S. 27. Scharbert 2000, S. 21. Assmann 2015, S. 176. Vgl. Assmann 2015, S. 190; vgl. Greßmann 1922, S. 50; vgl. Jacob 1997, S. 183; vgl. Scharbert 2000, S. 48. 237 Jacob 1997, S. 183f.; vgl. Scharbert 2000, S. 48.

62

Die Exodus-Erzählung

Jacob betont jedoch, dass es den Verfasser_innen dieser nicht lediglich um die Färbung des Nils ginge, sondern darum zu erzählen, dass das Wasser durch wirkliches Blut für Mensch und Tier ungenießbar wurde.238 Ebenso gibt es altorientalische Quellen, die von plagenartigen Froschvorkommen, Insektenschwärmen (Bremsen, Flöhe, Heuschrecken) oder vermehrtem Fischsterben berichten, und auch Seuchen und Krankheit bei den Menschen waren keine Unmöglichkeit.239 Zwar selten aber ebenso nicht auszuschließen sind Wettererscheinungen wie Hagelgewitter sowie starke Sandstürme, die durch den dichten Sand die Sonne scheinbar verschwinden lassen und diese verdunkeln.240 Trotz der anhaltenden Versuche, auf diese Weise die biblische Erzählung zu begründen und damit der wunderhaften Darstellung rational zu begegnen, sowie des Schlusses Greßmanns, dass keine der zehn Plagen völlig unmöglich sei, finden sich keine sicheren Belege für historische Abläufe in dieser Intensität. Zudem bleibt der Zweifel vieler Exegeten, ob eine solche Rückführung auf Naturerscheinungen der Erzählung gerecht werde.241 Zwar sei nicht zu bestreiten, dass die Motive für die einzelnen Plage der Realgeschichte und den geografischen Bedingungen entlehnt seien, die Form, in welche diese dann aber gebracht wurden, habe nicht die Intention einer »[…] archäologischen und historischen Belehrung […]«.242 Anzahl und Steigerung der fatalen Geschehnisse offenbaren, so Greßmann, ganz deutlich den »künstlerischen Ursprung«. Auch Assmann weist darauf hin, dass sich in der Darstellung der Plagen das in der ägyptischen Literatur bekannte Erzählmotiv des »Zaubererwettkampfes« widerspiegelt.243 So konstatiert Greßmann, dass »[…] die Annahme, daß damals Land und Leute Ägyptens von widrigen Naturereignissen heimgesucht wurden, […] trotz ihrer Beliebtheit rationalistische Willkür [ist], die dem Geist der Sage nicht gerecht wird«.244 Ebenso weisen Jacob und Scharbert darauf hin, dass eine rein rationalistische und naturwissenschaftliche Erklärung den Blick auf die hier betonten außerordentlichen und wunderhaften »Gottesschläge« verstellt.245

2.2.5.3 Das Meerwunder Nicht weniger stark als die Plagenerzählung hat die Erzählung der Rettung der aus Ägypten ziehenden Israeliten und der Tod ihrer Verfolger in den Fluten bis 238 239 240 241 242 243 244 245

Vgl. Jacob 1997, S. 183. Vgl. Jacob 1997, S. 184; vgl. Greßmann 1922, S. 50; vgl. Scharbert 2000, S. 48. Vgl. Jacob 1997, S. 184; vgl. Scharbert 2000, S. 48. Vgl. Greßmann 1922, S. 50f.; vgl. Jacob 1997, S. 184; vgl. Scharbert 2000, S. 49. Greßmann 1922, S. 50; vgl. Jacob 1997, S. 184. Vgl. Greßmann 1922, S. 50; vgl. Assmann 2015, S. 180. Greßmann 1922, S. 50f. Vgl. Jacob 1997, S. 184; vgl. Scharbert 2000, S. 49.

Die Frage nach den historischen Hintergründen

63

heute dazu herausgefordert, sich über den Vorgang zu wundern und mögliche – nach Jacob »[…] dem modernen Durchschnittsmenschen sympathischere […]« – natürliche Erklärungen hierfür zu suchen.246 Dabei fällt zunächst auf, dass sich innerhalb des biblischen Textes in Ex 14 verschiedene, ineinander verflochtene Versionen der Rettung der Israeliten identifizieren lassen247, welche damit auch unterschiedliche Erklärungen der Vorgänge am Schilfmeer nahe legen bzw. zulassen.248 Die dem Jahwisten zugeordnete Fassung beschreibt zunächst, wie Gott sich in der bisher voranziehenden Wolken- und Feuersäule nun hinter die Israeliten positioniert und auf diese Weise einen nächtlichen Angriff des nachrückenden ägyptischen Heeres verhindert (Ex 14,19b.20). Außerdem lässt er das »Meer« durch einen starken Ostwind über Nacht austrocknen (Ex 14,21ab). Bei Tagesanbruch versetzt er das Heer der Ägypter durch Anblicken in Schrecken, was dazu führt, dass sie in Panik dem zurückkehrenden Wasser entgegenfliehen und ertrinken (Ex 14, 24.25b.27abb).249 So wie in dieser Version wird auch in den dem Elohisten zugeschriebenen Textfragmenten von keinem Durchzug durch das Meer im engeren Sinn erzählt.250 Hier ist es der »Engel Gottes«, nach Greßmann zur »Milderung« der mythologischen Vorstellung,251 der sich zwischen die Israeliten und die ägyptischen Truppen stellt (Ex 14,19a). Zudem wird von einem Hemmen der Streitwagenräder berichtet, die das Vorankommen der Ägypter hindert (Ex 14,25a).252 Die dritte, der Priesterschrift zugeschriebene, Version erzählt, wie der dazu von Gott beauftragte Mose seine Hand (mit seinem Stab) über das Meer erhebt, sich dieses teilt und ein trockener Weg mitten durch die auf beiden Seiten wie »Mauern« aufragenden Wassermassen entsteht, auf welchem die Israeliten hindurchgehen können (Ex 14,21a.22.29). Das ägyptische Heer folgt ihnen und wird, nachdem Mose er246 Jacob 1997, S. 421; vgl. Assmann 2015, S. 185; vgl. Clauss1986, S. 29f. 247 Wie bereits im Kontext der Darlegung der verschiedenen Theorien zu einer historisch plausiblen Exodusroute erläutert, wird im Folgenden – entsprechend der Verwendung durch die hier genannten Forscher – die zumeist auf die Neurere Urkundenhypothese zurückgehende Unterscheidung zwischen den drei Quellschriften Jahwist, Elohist und Priesterschrift aufgenommen, auch wenn diese Theorie zur Erklärung der Entstehung des Pentateuch in der aktuellen Forschungsdiskussion umstritten ist. Da hier für die Überlegungen zu möglichen natürlichen Erklärungen des Meerwunders das Erkennen verschiedener »Versionen« der Erzählung im Fokus des Interesses steht und nicht die Frage nach generellem Umfang und Entstehungszeitpunkt der Quellen, welchen diese Versionen zugeschrieben werden, ist dieses Vorgehen vertretbar. 248 Vgl. Assmann 2015, S. 185f.; vgl. Donner 1984, S. 96; vgl. Greßmann 1922, S. 54; vgl. Herrmann 1973, S. 95; vgl. Herrmann 1970, S. 85f.; vgl. Metzger 1983, S. 32; vgl. Noth 1950, S. 102; vgl. Scharbert 2000, S. 62; vgl. Schmid 1968, S. 52f. 249 Vgl. Donner 1984, S. 96; Greßmann 1922, S. 54; vgl. Metzger 1983, S. 32; vgl. Noth 1950, S. 102; Scharbert 2000, S. 62. 250 Vgl. Herrmann 1970; S. 86; vgl. Scharbert 2000, S. 62. 251 Vgl. Greßmann 1922, S. 54. 252 Vgl. Donner 1984, S. 96; vgl. Metzger 1983, S. 32.

64

Die Exodus-Erzählung

neut seine Hand erhebt, von den zurückstürzenden Fluten ertränkt (Ex 14,26.27a.28).253 Wird nun nach einer Erklärung für diese Geschehnisse gesucht, scheinen die Schilderungen des Jahwisten und Elohisten durch die »[…] gewissermaßen ›naturalistische[n]‹ Züge […]« eine rationale Herangehensweise nicht auszuschließen.254 So wurde diskutiert, ob es sich um eine Art Scirocco, einen heißen Wüstenwind bzw. -sturm, gehandelt haben könnte, der das Wasser aus einer Meeresbucht oder zwischen Landzungen herausgetrieben habe, oder ein Seeoder Erdbeben, welches vorher trockene Bereiche überflutete und die ägyptischen Truppen überraschte.255 Besonders häufig wird in diesem Zusammenhang der – bereits im Rahmen der möglichen Exodusroute angesprochene – Sirbonische See als für solche unberechenbaren geologischen Phänomene bekanntes Gebiet herangezogen, da auch griechische und römische Quellen von sumpfigen oder treibsandähnlichen Stellen berichten, welche zu der elohistischen Schilderung der gehemmten Wagenräder zu passen scheinen.256 Greßmann führt die Überlegung an, dass es sich auch um auf vulkanische Aktivitäten zurückgehende Geschehnisse handeln könnte. Wenn davon ausgegangen werde, dass sich das Schilfmeer in vulkanischem Gebiet befunden habe (Golf von Akaba, s. Kap. 2.2.3), so könne die Wolken- und Feuersäule ihren Ursprung in einem Vulkanausbruch gehabt haben. Mit vulkanischen Aktivitäten dieser Art sei oft auch ein »Ebben und Zurückfluten des Meeres« verbunden, sodass die Ägypter möglicherweise – vor der Aschewolke zurückweichend – den wiederkehrenden Wassern entgegenliefen.257 Trotz diesen plausibel erscheinenden Erklärungen und den naturalistisch anmutenden Beschreibungen des Jahwisten und Elohisten, gibt es keine Beweise oder konkrete Informationen für diese Theorien.258 Metzger weist darauf hin, dass aufgrund der unterschiedlichen Versionen davon ausgegangen werden muss, »[…] daß den Verfassern der Quellschriften hierüber keine einheitliche Tradition vorlag«, was die Suche nach einem historischen Kern nicht unkomplizierter mache.259 Wie bei der Frage nach Ort und Hergang des Meerwunders lässt sich nicht nachweisen, dass der Pharao – abgesehen von der Frage, um welchen Pharao es sich gehandelt haben könnte (s. Kap. 2.2.2) – selbst bei der Unternehmung dabei war und mit seinem Heer den 253 Vgl. Assmann 2015, S. 185f.; vgl. Donner 1984, S. 96; vgl. Metzger 1983, S. 32; vgl. Noth 1950, S. 102. 254 Donner 1984, S. 96; vgl. Clauss 1986, S. 29f. 255 Vgl. Donner 1984, S. 96; vgl. Fohrer 1995, S. 61; vgl. Greßmann 1922, S. 56; vgl. Metzger 1983, S. 33. 256 Vgl. Assmann 2015, S. 185; vgl. Fohrer 1995, S. 61; vgl. Herrmann 1970, S. 90; vgl. Weimar/ Zenger 1975, S. 131. 257 Vgl. Greßmann 1922, S. 56. 258 Vgl. Metzger 1983, S. 32. 259 Metzger 1983 S. 32; vgl. Noth 1950, S. 102; Scharbert 2000, S. 62.

Die Frage nach den historischen Hintergründen

65

Tod fand. Nach Michel und Noth müsste sich andernfalls hierzu etwas in der gut dokumentierten Pharaonengeschichte des Neuen Reiches finden lassen.260 Auch wenn es keine Sicherheit darüber gibt, dass nicht doch eine Gruppe von Protoisraeliten durch eine mit einem Meer in Verbindung stehende Naturerscheinung vor ägyptischen Verfolgern gerettet wurde,261 spricht sich der überwiegende Teil der Forscher_innen dafür aus, daß dieser rein historische Blick auf die Erzählung der Intention der Verfasser_innen nicht entspreche, da es kaum ihr Ziel gewesen sei, die Rettung der Israeliten mittels eines Naturphänomens zu dokumentieren.262 Jede der Erzählschichten – auch die dem Jahwisten zugeordnete und ebenso gut naturalistisch erklärbare – sei mit der Absicht verfasst worden, Gottes wundersames Wirken zu beschreiben.263 »Nicht Menschenwerk und nicht Naturgeschehen standen am Anfang der Geschichte Israels, wie das Alte Testament sie erzählt, sondern Gottes rettende Tat […]«.264 Diese rettende Tat wird im Lauf der Überlieferungszeit »[…] mit immer kräftigeren Farben ausgemalt […]«, und die wundersamen Züge werden betonend ausgestaltet.265 So weisen Greßmann und Scharbert darauf hin, dass die Priesterschrift für ihre Schilderung einer wunderhaften Meeresteilung mit links und rechts wie Mauern aufragenden Wassermassen ein Märchen- bzw. Mirakelmotiv nutzt, welches sich z. B. im babylonischen Schöpfungsmythos266 findet oder auch in Jos 3,16f. sowie II. Könige 2,8.14 (wenn erzählt wird, wie Israel oder Elia und Elisa durch den Jordan gehen).267 Indem sich Jahwe der »Naturkräfte« bedient, über sie herrscht, zeigt sich – so Metzger sowie Weimar und Zenger – seine Macht.268 Und indem er sie zur Rettung der Israeliten einsetzt, werde deutlich, dass dies sein Volk ist.269 »In diesem Geschehen erfuhren die Vorfahren Israels in übermächtiger Weise das Heilshandeln Jahwes.«270

260 261 262 263 264 265 266

267 268 269 270

Vgl. Michel 2008, S. 6; vgl. Noth 1950, S. 100. Vgl. Assmann 2015, S. 189f. Vgl. Clauss 1986, S. 29f.; vgl. Fohrer 1995, S. 62. Vgl. Clauss 1986, S. 29f.; Donner 1984, S. 96f.; vgl. Fohrer 62; vgl. Noth 1950, S. 102; vgl. Scharbert 2000, S. 62. Donner 1984, S. 97. Scharbert 2000, S. 62; vgl. Donner 1984, S. 96; vgl. Herrmann 1973, S. 95; vgl. Herrmann 1970, S. 86; vgl. Metzger 1983, S. 32; vgl. Noth 1950, S. 102. »Im babylonischen Weltschöpfungsepos Enuma elisˇ spaltet Marduk mit seinem Schwert das Meerungeheuer Tiamat, so daß jede Hälfte von Tiamat Himmels- und Erdfeste bildet, dazwischen also ein vom Urmeer freier Raum entsteht (Enuma elisˇ 4,35–140).«, Scriba 1995, S. 64. Vgl. Greßmann 1922, S. 54; vgl. Scharbert 2000, S. 62. Vgl. Metzger 1983, S. 35f.; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 132. Vgl. ebd. Metzger 1983, S. 35.

66

Die Exodus-Erzählung

2.2.5.4 Manna und Wachteln Das letzte wundersame Element der Exodus-Erzählung, welches an dieser Stelle hinsichtlich einer möglichen Historizität betrachtet werden soll, ist die Ernährung der hungernden Israeliten mit dem sogenannten »Manna« und mit Wachteln auf ihrem Weg durch die Wüste (Ex 16,1–36). Stärker als bei den zuvor angesprochenen Wundern wurden (und werden) in diesem Zusammenhang natürliche Phänomene als Ursprung der Schilderungen diskutiert, wobei der Interessenfokus vor allem auf der Klärung des Manna liegt. Die Erscheinung der sich am Abend im Lager der Israeliten niederlassenden Wachteln wird zumeist mit ihrem jahreszeitbedingten Zugverhalten erklärt, da sie sich im Winter vor allem in Nordafrika aufhalten und so auch auf der Sinaihalbinsel und in Palästina zu finden sind.271 Auch wird in antiken Quellen, z. B. von Flavius Josephus oder Diodor, berichtet, dass sich diese Vögel aufgrund der erschöpfenden Flugroute über das Mittelmeer besonders leicht fangen ließen.272 Während das Erscheinen der Wachteln innerhalb der Exodus-Erzählung nur in einem Vers erwähnt wird (Ex 16,13a), nimmt die Thematisierung des Manna fast das ganze sechzehnte Kapitel ein (Ex 16,13–36).273 Jahwe verspricht Mose und den murrenden Israeliten, dass er Brot vom Himmel regnen lassen werde, welches von ihnen am Morgen aufgesammelt werden könne (Ex 16,4). Als der Morgentau abgetrocknet ist, bleibt das »Himmelsbrot« wie Reif auf dem Boden zurück und wird als klein und rund, wie weißer Koriandersamen, und süß schmeckend beschrieben (Ex 16,13–15. 31). Außerdem wird berichtet, wie das Manna verdirbt, wenn die Israeliten versuchen, es für mehr als einen Tag aufzubewahren, und dass sie am Tag vor Sabbat die doppelte Menge sammeln können, damit sie am Sabbat, an dem kein Manna zu finden ist, genug haben (Ex 16,20–30). Die Bezeichnung »Manna« wird im biblischen Text von der Frage der Israeliten »ma¯n hu¯« (»Was ist das?«) abgeleitet (Ex 16,15a). Etymologische Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass es sich hierbei wohl nicht um die ursprüngliche Abstammung des Wortes handelt.274 Auch wenn die Etymologie von ma¯n nach Maiberger nicht unumstritten ist, wird eine Verbindung zu dem arabischen Begriff »mann« von vielen Forscher_innen für wahrscheinlich gehalten.275 Bestärkt wird diese Verknüpfung dadurch, dass »mann« u. a. zur Bezeichnung von Tamariskenmanna dient, welches am häufigsten für eine natür271 Vgl. Greßmann 1922, S. 81; vgl. Maiberger 1983, S. 171; vgl. Møller-Christensen/ Jørgensen 1969, S. 139–141; vgl. Riede 2010, S. 1; vgl. Riede 2001, S. 1052; vgl. Schouten van der Velden 1992, S. 60. 272 Vgl. Maiberger 1983, S. 172: vgl. Møller-Christensen/ Jørgensen 1969, S. 139–141; vgl. Riede 2010, S. 1; vgl. Riede 2001, S. 1052. 273 Vgl. Maiberger 1983, S. 3. 274 Vgl. Grimm 2003, S. 871. 275 Vgl. Bons 1995, S. 704; vgl. Born 1968, S. 1091; vgl. Maiberger 1983, S. 432.

Die Frage nach den historischen Hintergründen

67

liche Erklärung des biblischen Manna herangezogen wird.276 »Dabei handelt es sich um Honigtau, der in einigen wenigen Tälern der südwestlichen Sinaihalbinsel im Hochsommer von Blatt- und Schildläusen erzeugt wird.«277 Diese Insekten saugen den Pflanzensaft aus der Mannatamariske (Tamarix mannifera) – aber auch aus anderen Laub- und Nadelbäumen –, um das darin enthaltene und für sie und ihre Larven wichtige Nitrogen zu erhalten. Da dieses nur in sehr geringer Konzentration enthalten ist, müssen sie vergleichsweise große Mengen Flüssigkeit aufnehmen und scheiden den Überschuss in Form kleiner Tröpfchen wieder aus, die an den Ästen zu weiß-gelblichen Kügelchen kristallisieren und (auch) zu Boden fallen.278 »Die chemische Analyse zeigt Glukosen, Fructosen und Spuren von Pektin […]« in diesem Tamariskenmanna, welche für den süßlichen Geschmack sorgen (Ex 16,31b) und seine Nutzung als Honigersatz bzw. Süßstoff durch Beduinen erklären.279 Ähnlich wie das in der biblischen Erzählung beschriebene Manna schmilzt auch dieses in der Sonne, sodass es früh morgens gesammelt werden muss.280 Trotz dieser Ähnlichkeiten in Bezeichnung, Gestalt, Fundort und Geschmack gibt es einige Aspekte des biblischen Manna, die nicht mit der naturkundlichen Erklärung des Tamariskenmanna in Übereinstimmung zu bringen sind. So findet sich das natürliche Manna zwar im Gebiet der Sinaihalbinsel, jedoch bildet es sich nur in den Sommermonaten und die Mengen variieren in Abhängigkeit von winterlichen Niederschlägen, sodass von einer täglichen – mit Ausnahme des Sabbats – ausreichenden Versorgung über vierzig Jahre (Ex 16,35a) nicht ausgegangen werden kann.281 Neben dem Ausbleiben des Manna am Sabbat ist ebenso das »Stinkendwerden« und Verderben durch Würmer von zu viel Gesammeltem nicht natürlich zu erklären (Ex 16,20). Nichtsdestotrotz finden sich vereinzelte Forscher, die in diesem Zusammenhang Ameisen anführen, welche nachweislich das für sie nahrhafte Tamariskenmanna vom Boden und den Pflanzen sammeln.282 Außerdem weist Jacob darauf hin, dass in den biblischen Schilderungen keine Bäume oder Sträucher erwähnt würden, von denen das Manna »herabgefallen« sein könnte.283 Darüber hinaus dürfe die biblische Formulierung »vom Himmel regnen« (Ex 16,4; Ps 78,23f.) 276 Vgl. Bons 1995; S. 704; vgl. Born 1968, S. 1090; vgl. Feliks 1964, S. 1141; Greßmann 1922, S. 80; vgl. Grimm 2003, S. 871; vgl. Gunneweg 1972, S. 29; vgl. Jacob 1997, S. 468; vgl. Maiberger 1983, S. 432, 435f. 277 Grimm 2003, S. 871. 278 Vgl. Bons 1995, S. 704; vgl. Born 1968, S. 1090; vgl. Feliks 1964, S. 1142; vgl. Grimm 2003, S. 871; vgl. Maiberger 1983, S. 435f. 279 Feliks 1964, S. 1141; vgl. Grimm 2003, S. 871; vgl. Maiberger 1983, S. 403f., 435. 280 Vgl. Bons 1995, S. 704; vgl. Feliks 1964, S. 1141; vgl. Greßmann 1922, S. 80; vgl. Grimm 2003, S. 871; vgl. Maiberger 1983, S. 403. 281 Vgl. Feliks 1964, S. 1142; vgl. Jacob 1997, S. 483; vgl. Maiberger 1983, S. 404f. 282 Vgl. Bodenheimer/Theodor 1929, S. 87; vgl. Feliks 1964, S. 1141f.; vgl. Jacob 1997, S. 483. 283 Vgl. Jacob 1997, S. 483.

68

Die Exodus-Erzählung

nicht mit einem bloßen von oben Herabfallen gleichgesetzt werden, egal wie groß die Pflanzen sein mögen: »Der Baum kann noch so hoch sein, so sagt doch kein Mensch, seine Früchte fallen vom Himmel«.284 So kommen Greßmann und auch Gunneweg zu dem Schluss, dass die Erzählung durchaus von Erfahrungen des Nomadenlebens, der Nutzung des Tamariskenmanna und dem Fangen von Zugvögeln, beeinflusst sein kann, hier aber der Fokus auf der Schilderung eines nicht natürlich zu fassenden Wunders liege.285 Die mirakelhafte Steigerung286 eines natürlichen Phänomens geschieht auch hier – wie u. a. Greßmann, Jacob, Knobel und Rupprecht betonen – mit einer theologischen Intention und als ein Element der israelitischen Heilsgeschichte: Jahwe versorgt sein Volk und macht die Wüste für die Zeit seiner Reise belebbar.287 »Der Erzähler will also sicher ein Wunder berichten und es ist vergebliche Mühe, seine Vorstellung mit der Naturgeschichte auszugleichen.«288

2.2.6 Fazit: Geschichte(n)?! »Was ist vom Inhalt der Bibel überhaupt archäologisch beweisbar?«289 Der hier gegebene Überblick über die Forschungsergebnisse und die Diskussion zu der Frage nach der Historizität der in der Exodus-Erzählung geschilderten Ereignisse und den in ihr auftretenden Akteuren lässt erkennen, dass sich mit Bezug auf die im Zitat von Noth gestellte Frage kaum archäologische Nachweise finden lassen und die vereinzelten historischen Spuren mit großen Unsicherheiten behaftet sind. Es gibt in der Forschungsgeschichte und auch aktuell immer wieder Veröffentlichungen, welche sich auf einzelne Theorien oder historische Kernstücke konzentrieren und diese selbstbewusst als Beweis für die historische Echtheit der biblischen Schilderungen anführen.290 Oder sie vertreten im Sinne einer umgekehrten Argumentation die Ansicht, dass bis zum endgültigen und 284 Jacob 1997, S. 483. 285 Vgl. Greßmann 1922, S. 80f.vgl. Gunneweg 1972, S. 29. 286 Schmid merkt hierzu an, dass sich auch innerhalb der Entwicklung der biblischen »MannaTexte« eine Steigerung der Wunderhaftigkeit zu erkennen sei. Während die ältesten vorpriesterlichen Belege in Num 11,6–9 das Manna recht unscheinbar und mit dem Tau auftretend – nicht explizit von Gott veranlasst oder vom Himmel regnend – schildern, wird es in der priesterschriftlichen Fassung in Ex 16 deutlich als Wunder Gottes markiert. In Ps 78,23ff., Ps 105,40 sowie Neh 9,15 wird darüber hinaus vom Manna als eine himmlische Speise (»Himmelsbrot«, »Brot der Engel«) gesprochen. Vgl. Schmidt 2007, S. 1ff.; siehe auch Rupprecht 1974, S. 304f. 287 Vgl. Greßmann 1922, S. 81; vgl. Jacob 1997, S. 458; vgl. Knobel 1857, S. 174; vgl. Rupprecht 1974, S. 291. 288 Knobel 1857, S. 174. 289 Noth 1971, S. 18. 290 Siehe hierzu u. a.: Hoffmeier 1999; Humphreys, 2007; sowie Keller 2000.

Die Frage nach den historischen Hintergründen

69

sicheren Gegenbeweis die Historizität nicht generell abzustreiten sei.291 Der Großteil der Forscher_innen zeigt diesbezüglich jedoch eine wachsende Zurückhaltung.292 So spannt sich das Forschungsbild von immer weniger werdenden »Maximalisten« bis zu der zunehmenden Gruppe von »Minimalisten«, die sich auf die fehlende Belegbarkeit und mangelnde Plausibilität der maximalistischen Erklärungsversuche beruft.293 Für diese Skepsis spricht vor allem die Tatsache, dass kaum außerbiblische Quellen vorhanden sind, welche als Zeugnisse für die in der Bibel geschilderten Abläufe, Personen und Orte herangezogen werden könnten.294 Hinzu kommt die literarkritische Diskussion um den ursprünglichen Zusammenhang einzelner Erzählkomplexe und die damit verbundene Frage, ob überhaupt von einem durchgängigen Geschichtsverlauf von der Unterdrückung in Ägypten bis zur Landnahme ausgegangen werden könne.295 Was aber lässt sich nun aus der oben dargelegten Diskussion auf die nach Assmann von »[…] jedem Leser des Buches Exodus […]« gestellte Frage nach den historischen Hintergründen antworten? Die Analyse zeigt, dass davon ausgegangen werden kann, dass die geschilderten Ereignisse nicht von dem Volk Israel erlebt wurden, sondern – wenn überhaupt – von einer sehr viel kleineren protoisraelitischen Gruppe.296 »Wenn es eine Exodusgruppe gegeben hat, die die Lösung von Ägypten als Befreiung gedeutet und die diese mit dem Gott JHWH verbundene Erfahrung an das spätere Israel vermittelt hat, dann war diese Gruppe relativ klein. Dass sie ›Israel‹ gewesen ist und als ›Israel‹ vierzig Jahre durch die Wüste gewandert ist, ist historisch mehr als unwahrscheinlich.«297 Wie sich diese Gruppe gebildet hat, ob sie als Zusammenschluss von Personen mit einem gemeinsamen ethnischen Hintergrund oder sozialen Status gedacht werden kann, sowie, ob und unter welchen Bedingungen sie sich in Ägypten aufgehalten habe, lässt sich nicht mit Sicherheit festlegen, »[…] denn wirkliche auf diesen Aufenthalt direkt hinweisende Spuren haben sich bisher nirgends gefunden«.298 Ein ähnliches Resümee ergibt sich für die Frage nach der historischen Fassbarkeit des Mose. Hier muss es aufgrund der Quellenlage ebenso bei kaum belegbaren Theorien bleiben. So zieht Görg den Schluss, »[…] daß es keinen sicheren Hinweis auf Existenz und Wirksamkeit des Mose außerhalb der Bibel 291 Vgl. Frevel 2012, S. 718; vgl. Hoffmeier 1999, S. 10f. 292 Vgl. Clauss 2009, S. 123; vgl. Finkelstein/Silberman 2007, S. 32; vgl. Fohrer 1995, S. 55; vgl. Frevel 2012, S. 718; vgl. Herrmann 1970, S. 15; vgl. Nicholson 1973, S. 84. 293 Vgl. Clauss 2009, S. 123. 294 Vgl. Assmann 2015, S. 54; vgl. Frevel 2012, S. 718. 295 Vgl. Nicholson 1973, S. XIV; vgl. Noth 1950, S. 104. 296 Vgl. Finkelstein/Silberman 2007, S. 73.; vgl. Fohrer 1995, S. 55; vgl. Frevel 2012, S. 720; vgl. Herrmann 1970, S. 39; vgl. Lemche 1996, S. 61; vgl. Noth 1950, S. 104; Weimar/Zenger 1975, S. 114. 297 Frevel 2012, S. 720. 298 Herrmann 1970, S. 47.

70

Die Exodus-Erzählung

gibt«.299 Auch die auf den ersten Blick aus realgeschichtlicher Perspektive – durch die detaillierten Ortsangaben – vielversprechend wirkende Exodusroute, kann nach eingehender Betrachtung nicht mit einer konkreten Wegstrecke überein gebracht werden. Selbst wenn die Diskussion um ein ursprüngliches Verbundensein der Themenkomplexe von Auszug, Meerwunder und Gottesberg außer Acht gelassen wird, ergibt sich kein einheitliches Bild. Verschiedene Wegstrecken zu unterschiedlichen »Schilfmeeren« und Orten, an denen sich die geschilderten Sinai-Geschehnisse ereignet haben könnten, sind denkbar. Hinsichtlich der Frage, wann sich der Exodus ereignet haben mag, spricht der überwiegende Teil der Forscher_innen den biblischen Angaben über Zeitpunkt und Dauer des Aufenthalts einen symbolischen Wert zu und beruft sich für die diesbezüglichen Hypothesen vor allem auf die angeführten Orte der Fronarbeit Pitom und Ramses.300 Mit letztgültiger Sicherheit lässt sich aber auch das auf diese Weise ermittelte Zeitfenster der Ramesidenzeit nicht beweisen.301 So schließt Schmitz, dass es »[…] die verschiedenen innerbiblischen Datierungsmöglichkeiten, die Ortsangaben und die unterschiedlichen Wegstrecken […] somit unmöglich [machen], das erzählte Geschehen als einen »historischen« Bericht zu verstehen.«302 Eine ausschließlich historische Betrachtung der Exodus-Erzählung führt in Anbetracht der hier erläuterten Forschungsergebnisse also zu einer erheblichen Reduktion ihres Inhaltes sowie ihrer Aussagekraft, denn auch die geschilderten Wunder müssten abgeschwächt und rein naturalistisch erklärt werden. Lemche konstatiert in diesem Zusammenhang, dass »[…] solche Reduktionsmaßnahmen […] in ernsthaftem Gegensatz zu der biblischen Beschreibung [geraten], die allen Wert darauf legt, daß eben nicht ein paar Leute, sondern das ganze Volk Israel beteiligt war«.303 Die Frage, welche sich damit stellt und die in Kapitel 3 diskutiert werden soll, lautet, was dieser biblische Text ist, wenn es sich offenbar nicht um ein historisches Protokoll handelt, und welcher (andere) Wert ihm in Folge dieser Feststellung zukommt bzw. zukommen kann.

2.3

Hypothesen zur Entstehung

Bevor im nächsten Kapitel der Versuch einer Näherbestimmung des besonderen Wesens der Exodus-Erzählung erfolgt, soll vorbereitend noch ein Blick auf ihre Entstehung gerichtet werden. Dieser kann in Anbetracht der Breite und Tiefe des 299 Görg 1997, S. 143; vgl. Fohrer 1995, S. 56; vgl. Schmid 1968, S. 106; vgl. Zenger 1994, S. 331. 300 Vgl. Gunneweg 1989, S. 24; vgl. Nicholson 1973, S. 54; vgl. Noth 1950, S. 105; vgl. Schmid 1968, S. 15; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 118. 301 Vgl. Frevel 2012, S. 720; vgl. Weimar/Zenger 1975, S. 118. 302 Schmitz 2011, S. 134. 303 Lemche 1996., S. 61.

Hypothesen zur Entstehung

71

diesbezüglichen Forschungsdiskurses sowie des begrenzten Rahmens der vorliegenden Arbeit jedoch nur sehr reduziert ausfallen. »Über den Prozess der Entstehung des Pentateuch […] haben wir keine Nachrichten.«304 Da – wie Zenger und Frevel hier konstatieren – keine Dokumentationen des Entstehungsprozesses des Pentateuch und damit auch der Exodus-Erzählung vorliegen, besteht nur die Möglichkeit, sich mittels Analogieund Rückschlussverfahren auf Grundlage der heute bekannten Textgestalt der Frage zu nähern, wie diese zustande gekommen sein könnte.305 Die Rekonstruktion dieses Prozesses wird dadurch bedingt, dass sich nur über solche Entwicklungen Aussagen treffen lassen, welche Spuren im vorliegenden Text hinterlassen haben. Vollständige Streichungen, Umarbeitungen oder Reformulierungen können nicht aufgedeckt werden und bleiben ebenso unbestimmbar wie das Verhältnis von mündlichen und schriftlichen Überlieferungen.306 Nach Zenger und Frevel kann die Annahme einer bloßen Verschriftlichung von zuvor mündlich Tradiertem die Komplexität der Entwicklung nicht fassen: »Es ist mit Wechselwirkungen zwischen schriftlichen und mündlichen Textformen zu rechnen, was methodisch aber kaum einzuholen ist.«307 In der aktuellen Pentateuchforschung wird mehrheitlich konstatiert, dass Mose nicht als der Verfasser der fünf Bücher des Pentateuch in Frage kommt. Nichtsdestotrotz hat die These Moses Verfasserschaft einen festen Platz in der jüdischen und christlichen Tradition und wird (auch heute noch) in einigen Bibelübersetzungen durch die Benennung als »1.–5. Buch Mose« impliziert.308 Begründet wird die Ablehnung der sogenannten »Mosaizität« des Pentateuch u. a. damit, dass die in diesen Schriften enthaltenen Informationen über das hinausgehen, was ein historischer Mose zu seinen Lebzeiten hätte erzählen bzw. verfassen können (z. B. Moses Tod in Dtn 34).309 Auch hat sich im Verlauf der Forschungen zur Literargeschichte des Pentateuch die Ansicht durchgesetzt, dass dieser nicht auf einen Verfasser zurückgeführt werden kann.310 Vielmehr weisen – wie u. a. Assmann, Römer sowie Zenger und Frevel erklären – Doppelungen, Spannungen und Widersprüche, sowie z. B. die unterschiedliche Nutzung von Gottesnamen bzw. –titeln, und verschiedene zu identifizierende theologische Konzepte darauf hin, dass er

304 305 306 307 308

Zenger/Frevel 2016b, S. 89. Vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 89; vgl. Schmitz 2011, S. 63f. Vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 89. Ebd., S. 90. Vgl. Finkelstein/Silbermann 2007, S. 22; vgl. Gertz 2010, S. 204; vgl. Noth 1968, S. 4; vgl. Oswald 2005, S. 6; vgl. Römer 2015, S. 2; vgl. Römer 2014, S. 56–58; vgl. Schmitz 2011, S. 64. 309 Vgl. Finkelstein/Silbermann 2007, S. 22; vgl. Gertz 2010, S. 204; vgl. Römer 2015, S. 2; vgl. Römer 2014, S. 56f. 310 Vgl. Gertz 2010, S. 204; vgl. Oswald 2016, S. 12; vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 91.

72

Die Exodus-Erzählung

als das Ergebnis eines komplexen Kompositonsprozesses anzusehen ist.311 »Dass der Pentateuch nicht in einem einzigen Formulierungsvorgang entstanden sein kann und nicht ein von Anfang bis Ende konsequent auf Kohärenz hin durchredigiertes Werk ist, ist Konsens der kritischen Pentateuchforschung.«312 Aus dieser Erkenntnis heraus wurden im Laufe der Forschungsgeschichte verschiedenste Modelle entwickelt, welche versuchen, die Entstehung der Schriften in Hinblick auf diese »Mehrstimmigkeit« – also die Annahme mehrerer Verfasser_innen – sowie hinsichtlich der Zeit und des Ortes der jeweiligen Abfassungen zu erklären. Diese lassen sich – so u. a. Gertz, Römer sowie Zenger und Frevel – im Groben auf drei verschiedene Erklärungsmodelle zurückführen: Die Grundschriftenhypothese, die Urkundenhypothese und die Erzählkranzhypothese.313 Die Grundschriften- oder Ergänzungshypothese nimmt an, dass die wesentlichen Bestandteile des Pentateuch – also eine Erzählung »von der Schöpfung bis zum Tod des Mose« – auf ein Werk, eine Grundschrift zurückgehen, welche über die Jahrhunderte jedoch eine ganze Reihe von Ergänzungen erfahren hat.314 Schriftliche und mündliche Traditionen wurden eingearbeitet und die ursprüngliche Grundschrift, die sogenannte Basis-Urkunde auf diese Weise fortgeschrieben. Das als Quellen-, Urkunden- oder auch Dokumentenhypothese bezeichnete Erklärungsmodell geht von mehreren, ursprünglich unabhängig voneinander bestehenden und in verschiedenen historischen Kontexten entstandenen »Quellen«-schriften (Urkunden) aus, welche in je unterschiedlichem Umfang, unterschiedlicher inhaltlicher Ausgestaltung und theologischer Schwerpunktsetzung jedoch überwiegend parallel erzählen. Diese »Erzählfäden« oder »Erzählstränge« wurden in mehreren Redaktionsprozessen miteinander verknüpft, wobei umstritten ist, inwieweit und in welcher Form die Redaktoren auf die Textgestalt eingewirkt haben.315 Das dritte Modell reagiert auf die Schwierigkeit der Rekonstruktion durchgehender Erzählstränge und bildet die Hypothese von einzelnen, ursprünglich nicht miteinander verbundenen Erzähl-»Fragmenten« oder »Erzählkränzen« ab.316 Im Unterschied zu der Annahme einer bzw. mehrerer allumfassender Quellen, wird hier davon ausgegangen, dass auf einzelnen Themen oder Personen begründete »Erzählkränze« 311 Vgl. Assmann 2015, S. 79; vgl. Römer 2015, S. 2f.; vgl. Schmitz 2011, S. 64; vgl. Zenger/ Frevel 2016b, S. 91–102. 312 Zenger/Frevel 2016b, S. 91. 313 Vgl. Gertz 2010, S. 205; vgl. Römer 2015, S. 4; vgl. Römer 2014, S. 58f.; vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 104–106. 314 Zenger/Frevel 2016b, S. 104; vgl. Gertz 2010, S. 205; vgl. Römer 2015, S. 4; vgl. Römer 2014, S. 59. 315 Vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 105; vgl. Gertz 2014, S. 205; vgl. Römer 2015, S. 4. 316 Vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 105f.; vgl. Gertz 2010, S. 205; vgl. Römer 2015, S. 4; vgl. Römer 2014, S. 59.

Hypothesen zur Entstehung

73

zunächst unabhängig voneinander überliefert und fortgeschrieben wurden (z. B. Schöpfung und Flut, Abraham, Jakob, Exodus usw.). Die Endgestalt des Pentateuch entwickelte sich dann durch Redaktion(en), welche die Fragmente in die Form einer chronologisch fortlaufenden Erzählung brachte(n).317 Die oben dargelegten Überlegungen und Begründungen der alttestamentlichen Forschung zu den möglichen »Exodusrouten« sowie den historischen Hintergründen des Meerwunders beziehen sich in Teilen auf die Identifizierung und Unterscheidung einzelner Erzählfäden in den jeweiligen Texten. Dieses Vorgehen basiert auf einem Entstehungsmodell des Pentateuch, das als »Neuere Urkundenhypothese« bezeichnet wird und auf dem zweiten hier dargestellten Grundmodell basiert. Die im 19. Jahrhundert ausgearbeitete »Neuere Urkundenhypothese« – als Weiterentwicklung der sogenannten »Älteren Urkundenhypothese«318 – erklärt die Entstehung des Pentateuch und damit auch die der Exodus-Erzählung mittels vier eigenständiger Quellschriften, vier Urkunden, welche über verschieden Stufen der redaktionellen Bearbeitung miteinander verbunden wurden (»Vier-Quellen-Modell«).319 Zunächst wird in diesem Modell zwischen der Quelle »J« (»Jahwist«) und der Quelle »E« (»Elohist«) unterschieden, benannt nach den Gottesbezeichnungen (»Jhwh«, »Elohim«), welche in den diesen Quellen zugeschriebenen Textteilen verwendet werden.320 Der Ursprung der Urkunde »J« wird innerhalb dieser Theorie – als älteste Quelle einer fortlaufenden Erzählung von Schöpfung bis Landnahme – in der Zeit des salomonischen Reiches – etwa Mitte des 10. Jahrhunderts v. Chr. – verortet. Die Entstehung der Quelle »E« wird um 800 v. Chr. vermutet.321 Ihre Erzählung wird als in weiten Teilen parallel zu der des Jahwisten verlaufend beschrieben. Eine erste verbindende Redaktion dieser beiden Quellschriften zum sogenannten »jehowistischen Werk« (»JE«, »Jehowist«) wird für die Zeit nach dem Untergang des Nordreichs (722 v. Chr.) angenommen.322 Die dritte Quelle innerhalb dieses Modells ist das »Deuteronomium« (»Dtn«). Es erzählt, anders als »J«, »E« und die vierte, noch zu erläuternde Quellschrift »P«, nur vom Ägyptenaufenthalt bis zur Landnahme. Die Anfänge dieser Urkunde werden im 7. Jahrhundert v. Chr. verortet, wobei von »umfangreichen« Erweiterungen in der Folgezeit ausgegangen wird.323 Die jüngste Quelle wird »Priesterschrift« genannt und mit dem 317 Vgl. Gertz 2010, S. 205; Vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 106; vgl. Römer 2015, S. 4. 318 Diese geht zunächst von drei identifizierbaren ursprünglich selbstständigen Quellschriften aus. Vgl. Römer 2014, S. 59; vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 108. 319 Vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 108f.; vgl. Römer 2014, S. 59; vgl. Schmitz 2011, S. 64. 320 Vgl. Römer 2014, S. 60; vgl. Oswald 2005, S. 6f. 321 Die Frage der Datierung ist, wie im Folgenden noch besprochen wird, eine umstrittene. Vgl. Gertz 2010, S. 206; vgl. Oswald 2005, S. 7; vgl. Schmitz 2011, S. 64; vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 114. 322 Vgl. Gertz 2010, S. 206f.; vgl. Schmitz 2011, S. 64; vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 112. 323 Vgl. Gertz 2010, S. 206; vgl. Römer 2014, S. 59f.; vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 112.

74

Die Exodus-Erzählung

Siglum »P« bezeichnet. Sie entstand nach Auffassung des überwiegenden Teils der Vertreter der Neueren Urkundehypothese in der Exilszeit oder in der frühen nachexilischen Zeit (6./5. Jhd. v. Chr.).324 Bezüglich der redaktionellen Verbindung von »JE«, »Dtn« und »P« werden vor allem zwei Thesen diskutiert. So ist es möglich, dass zunächst »JE« und »Dtn« in nachexilischer Zeit miteinander verbunden wurden, bevor dann die Zusammenführung mit »P« erfolgte. Ebenso ist denkbar, dass »Dtn« erst nach der redaktionellen Verbindung von »JE« und »P« hinzugefügt wurde.325 Der Abschluss er Arbeit am Pentateuch wird für das Ende des 4. Jhds. v. Chr., also für die spätpersische, frühhellenistische Zeit angenommen.326 Die hier zumindest in groben Zügen dargelegte Neuere Urkundehypothese gilt als Klassiker der Entstehungsmodelle, da sie »[…] über lange Zeit eine geradezu unhinterfragte Gültigkeit hatte […]« und die Forschung und Literatur zur Entstehung des Pentateuch bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts dominierte.327 Seit gut vierzig Jahren wird sie jedoch kontinuierlich in Frage gestellt und im aktuellen Forschungsdiskurs in der oben dargelegten, klassischen Form als nicht mehr tragfähig beurteilt.328 Zu den Hauptkritikpunkten zählen die frühe Datierung der beiden jüngeren Quellen (»J«, »E«), die bestehende Unsicherheit bezüglich klar abgrenzbarer Anfangs- und Endpunkte der jeweiligen Erzählstränge sowie die Tatsache, dass sich eine eigenständige Quelle »E« kaum rekonstruieren lasse.329 Ebenso wird das von dieser Hypothese vorausgesetzte Überlieferungsverständnis aufgrund des zu wenig kontinuierlich gedachten Fortschreibungsprozesses kritisiert. Die Annahme, dass die Redaktionen nur in der »mechanischen«, additiven Zusammenführung »ohne größere Eingriffe« seitens der Redakteure bestanden, wird als kaum plausibel in Zweifel

324 Vgl. Gertz 2010, S. 2010; vgl. Oswald 2016, S. 13; vgl. Römer 2014, S. 60; vgl. Schmitz 2011, S. 64. 325 Vgl. Gertz 2010, S. 207; vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 114. 326 Vgl. Gertz 2010, S. 207; vgl. Oswald 2016, S. 16; vgl. Römer 2014, S. 83; vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 115. 327 Gertz 2010, S. 205; vgl. Römer 2014, S. 65; vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 111. 328 Dieses Urteil bezieht sich an dieser Stelle vor allem auf die deutschsprachige Forschungslandschaft. So merkt Römer an, dass der Neueren Urkundenhypothese beispielsweise in den USA immer noch eine nicht zu unterschätzende Bedeutung innerhalb der Pentateuchforschung zugesprochen werde. Aber auch im deutschsprachigen Raum wird sie z. B. von Schmidt in der »aktuellen« Ausgabe seiner Einführung in das Alte Testament auch weiterhin vertreten und ist zudem – wie Zenger und Frevel anmerken – »[…] außerhalb der Fachdiskussion in Religionsbüchern und theologischer Literatur noch immer sehr präsent«. Zenger/Frevel 2016b, S. 111; vgl. Römer 2014, S. 68; vgl. Schmitz 2011, S. 65; vgl. Gertz 2010, S. 208. Siehe hierzu außerdem Schmidt, 1995. 329 Vgl. Gertz 2010, S. 206, 208f.; vgl. Römer 2015, S. 13, 15; vgl. Römer 2014, S. 65; vgl. Zenger/ Frevel 2016b, S. 118f.

Hypothesen zur Entstehung

75

gezogen.330 Mit der zunehmenden Ablehnung der klassischen Neueren Urkundenhypothese ging und geht immer noch die Entwicklung alternativer Erklärungsmodelle einher, sodass heute eine ganze Reihe von Hypothesen zur Entstehung des Pentateuch vorliegen, ohne dass aber eines dieser Modelle für eine Mehrheit der Forscher_innen konsensfähig wäre.331 Es lassen sich im aktuellen Forschungsdiskurs jedoch einige »Konvergenzlinien« identifizieren.332 So spricht sich die Mehrheit der Forscher_innen beispielsweise dafür aus, an einer Unterscheidung von priesterlichen und nicht-priesterlichen Texten festzuhalten, jedoch »[…] auf eine Unterscheidung zwischen den Quellenschriften eines Jahwisten und eines Elohisten […]« zu verzichten und eher von mehreren, im Stoffumfang kleineren, vorpriesterschriftlichen Überlieferungseinheiten, mit je eigener Fortschreibungsgeschichte auszugehen.333 Mit Blick auf den Erzählbogen von den Erzelternerzählungen über die Exodus-Erzählung bis zur Landnahme folgt daraus eine Aufgabe der Annahme, dass dieser Erzählzusammenhang bereits in frühköniglicher Zeit (10./9. Jhd. v. Chr.) bestand.334 Die diese Annahme ablösenden Hypothesen verorten den Zeitpunkt einer ersten durchgehend erzählenden Darstellung stattdessen in der (späten) vorexilischen Zeit, der exilischen Zeit oder sogar in der frühen nachexilischen Zeit. Diese Thesen basieren u. a. auf religions- und sozialgeschichtlichen Überlegungen zur Frage nach der zeitlichen Verortung der Alleinverehrung Jahwes, der Staatenbildung sowie der Berücksichtigung der »kulturgeschichtlichen und literatursoziologischen Voraussetzungen« für die Abfassung derartiger Quellschriften.335 Darüber wann, wie oft und in welcher Weise die priesterschriftlichen und die sowohl vor als auch nach diesen datierten nicht-priesterschriftlichen Textanteile redaktionell bearbeitet und in die vorliegende Form des Pentateuch gebracht wurden, gibt es derzeit keinen Konsens. Trotz der – wie Zenger und Frevel bemerken – »[…] im Einzelnen derzeit kaum noch überschaubaren Vielfalt von Meinungen über die Entstehung des Pentateuch«,336 sind zur Entstehung der Exodus-Erzählung mit Blick auf die Frage nach ihrem besonderen Wesen337 aus dem aktuellen Forschungsdiskurs folgende Überlegungen festzuhalten: Es handelt sich nicht um ein Werk aus einem Guss, welches nach einer Phase der mündlichen Überlieferung verschriftlicht, tradiert und zu einem bestimmten Zeitpunkt mit den übrigen Teilen des Pentateuch zu eben diesem zusammengesetzt wurde. 330 331 332 333 334 335 336 337

Zenger/Frevel 2016b, S. 117; vgl. ebd., S. 114; vgl. Gertz 2010, S. 205. Vgl. Kaiser 2014, S. 24; vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 115, 123. Vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 119–123; vgl. Gertz 2010, S. 211f.; vgl. Römer 2014, S. 82f. Gertz 2010, S. 211; vgl. Römer 2014, S. 76f., 82; vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 121. Vgl. Gertz 2010, S. 211; vgl. Römer 2015, S. 22; vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 122. Vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 119; vgl. Lemche 1996, S. 213–218; vgl. Römer 2015, S. 22. Zenger/Frevel 2016b, S. 123. Siehe zum Begriff des besonderen Wesens biblischer Texte die Erläuterungen in Kapitel 1.2.

76

Die Exodus-Erzählung

Vielmehr ist von einem sukzessiven Überlieferungs- bzw. Fortschreibungsprozess auszugehen, innerhalb dessen mündliche und schriftliche Traditionen aufeinander einwirken und verschiedene Redakteure zu verschiedenen Zeitpunkten und damit vor unterschiedlichen zeitgeschichtlichen Kontexten die »[…] Texte neu interpretieren, punktuell verändern und oft mit Bezug auf den Ausgangstext anpassen […]«.338 Als maßgeblich für die literarische Arbeit an der Exodus-Erzählung ist der Zeitraum ab der assyirischen Eroberung des Nordreiches Israels (722 v. Chr.) bis in die (früh-)nachexilische Zeit anzunehmen (5. Jhd. v. Chr.).339 Dies spricht dafür, dass – wie u. a. Utzschneider erklärt – von einem nicht unwesentlichen Einwirken von »Unterdrückungs- und Befreiungserfahrungen« auf die Entstehung der heute vorliegenden Exodus-Erzählung ausgegangen werden muss, welche die israelitischen Stämme in der Zeit vor, während und nach dem babylonischen Exil mit den verschiedenen Mächten des alten Orients (Assyrer, Babylonier, Perser) gesammelt haben.340

338 Zenger/Frevel 2016b, S. 117. 339 Vgl. Zenger/Frevel 2016b, S. 126f.; vgl. Zenger/Frevel 2012, S. 138, 131, 148; vgl. Römer 2014, S. 83; siehe auch: Oswald 2016, S. 16. 340 Vgl. Utzschneider 2007, S. 219; vgl. Utzschneider 1996, S. 112f.; vgl. Finkelstein/Silberman 2007, S. 78ff.; vgl. Lemche 1996, S. 216ff.; vgl. Römer 2014, S. 115; vgl. Schmitz 2011, S. 136f.

3

Überlegungen zum besonderen Wesen biblischer Erzählungen »Chronik ist es gewiß nicht, aber freie Dichtung ebensowenig.« [Buber 1994, S. 83]

Trotz einzelner Stimmen, die an der Historizität der in der Exodus-Erzählung geschilderten Ereignisse festhalten, geht die Mehrheit der Forscher_innen heute davon aus, dass der biblische Text kein historisches Protokoll darstellt und darüber hinaus auch nicht als solches rezipiert werden will.341 Zu diesem Schluss veranlassen nicht nur die oben dargestellten Versuche, außerbiblische Belege für Ereignisse, Personen und Orte zu finden und damit ihre Historizität nachweisen zu können (s. Kap.2.2), sondern auch die Erkenntnisse im Bereich der Forschung zur Entstehung des Pentateuch bzw. der Exodus-Erzählung (s. Kap. 2.3). Auch wenn der biblische Text in vielen Elementen »[…] einen unmittelbaren Kontakt zur Weltgeschichte hat […]«,342 kommt Buber – mit dem Großteil der aktuellen Hexa- bzw. Pentateuchforschung343 übereinstimmend – zu dem Schluss, dass sich die Erzählungen »[…] so, wie sie bereitet sind, in der uns historisch geläufigen Menschenwelt nicht begeben haben«.344 Was sind nun aber diese Texte, wenn es sich nicht um historische Berichte handelt?

3.1

Erzählung – Narration – »story«

»Roughly speaking, more than half of the Hebrew Bible consists of narration: Adam and Eve, Noah and the flood, Moses and the exodus from Egypt, etc.« [Finnern 2014, S. 2]

Bei dem Versuch einer näheren Bestimmung des biblischen Textes zum Auszug des Volkes Israel aus Ägypten hinsichtlich seines Wesens, seiner Form zeigt der 341 Vgl. Assmann 2015, S. 54; vgl. Fischer 2013, S. 388; vgl. Lemche 1996, S. 218, S. 220, S. 224; vgl. Maurer 2012, S. 49; vgl. Steins 2007, S. 236; vgl. Utzschneider 2007, S. 219. 342 Herrmann 1970, S. 10. 343 Der Begriff »Hexateuch« beschreibt in Anlehnung an den Begriff Pentateuch den Verbund der ersten sechs Bücher des Alten Testaments (Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri, Deuteronomium und Josua). Mit ihm wird der zwischen diesen Büchern bestehende literarische Zusammenhang ausgedrückt. 344 Buber 1994, S. 13.

78

Überlegungen zum besonderen Wesen biblischer Erzählungen

Blick in die Fach- und Forschungsliteratur, dass der Text überwiegend als »Exodus-Erzählung«345 bezeichnet wird. Was bedeutet aber diese Klassifizierung als »große Erzählung«346, »story«347, »erzählende Literatur«348, »Prosaerzählung«349 oder Schrift »erzählender Natur«350 für die Rezeption, den Umgang mit diesem(n) Text(en)? Zur Beantwortung der Frage soll im Folgenden zunächst ein kurzer Einblick in die derzeitige Forschungslage zu dieser besonderen Form der Darstellung sowie in ausgewählte Theorien über die Funktion von Erzählungen bzw. des Erzählens gegeben werden, bevor sich in den anschließenden Teilkapiteln der Frage nach dem Zusammenspiel von Fakt und Fiktion in erzählenden Texten (Narrationen) und der damit häufig verbundenen Wahrheitsfrage gewidmet wird. Bei dem Versuch einer Begriffsbestimmung des Terminus der Erzählung bzw. Narration zeigt sich in der Forschungsliteratur eine Vielfalt (und Vagheit), die sich auch in der disziplinären Breite der Erzählforschung (Narratologie) widerspiegelt. So weisen nicht nur Früh und Frey, Kappeler et al. oder Schmeling und Walstra darauf hin, dass der Gebrauch von Begriffen wie »[…] ›Erzählen‹ oder ›Geschichte‹ und davon abgeleitete Begriffe wie ›Narration‹, ›Narrativität‹ usw. […]« in der Forschung überwiegend terminologisch unreflektiert, ungenau oder sogar inflationär erfolge.351 Grund hierfür sei zum einen, dass sich auf einen implizit vorausgesetzten Konsens hinsichtlich der Termini verlassen werde. Dieses Verhalten resultiere u. a. auch aus der Entlehnung dieser Begriffe aus der Alltagssprache und der damit verbundenen scheinbaren Selbstverständlichkeit ihrer Bedeutung. Zum anderen werde oft auf eine begriffliche Reflexion »[…] zugunsten der ›wirklich wichtigen Dinge‹ verzichtet«.352 Hinzu kommt, dass je nach disziplinärem Hintergrund bestimmte Aspekte des Bedeutungsspektrums akzentuiert oder ausgeblendet werden. Trotzdem soll versucht werden, eine zumindest basale Klärung der Termini anzuführen, um begriffliche Missverständnisse zu vermeiden. Mit dem Begriff der Erzählung bzw. Narration353 ist – mit den Worten Frühs und Freys – im weitesten Sinn zunächst »[…] eine bestimmte Art der Verständigung bzw. der Kommunikation« gemeint.354 Diese Form der Kommunikation trägt eine speziVgl. z. B. Assmann 2015, S. 21f. u. ö. Fischer 2013, S. 381. Ritschl 1984, S. 45. Seybold 2005, S. 14. Lemche 1996, S. 212. Mauz 2009, S. 194. Früh/Frey 2014, S. 15; vgl. Kappeler et al. 2014, S. 7; vgl. Schmeling/Walstra 2010a, S. 517. Früh/Frey 2014, S. 15. Die beiden Begriffe »Erzählung« und »Narration« werden im Folgenden synonym verwendet. 354 Früh/Frey 2014, S. 10; Koenen 2006, S. 2, 7. 345 346 347 348 349 350 351 352 353

Erzählung – Narration – »story«

79

fische elementare Struktur in sich, die Struktur der Narrativität, als deren grundlegende Komponenten Schmeling und Walstra das Erzählsubjekt (die Erzählerin, der Erzähler) sowie »[…] das von ihm Erzählte […]« benennen.355 Verbunden werden die beiden Grundkomponenten durch den Akt des Erzählens. Dabei wird das Erzählte definiert als eine »[…] zeitlich organisierte Handlungssequenz in der mindestens eine Figur einen dynamischen Situationswechsel erlebt«.356 Entscheidend an dieser Definition ist – und nach Leubner und Saupe notwendige Bedingung für eine Erzählung – dass zwischen einem bloßen Vorgang, einer zufälligen Folge kontingenter Ereignisse und einem für die Erzählung konstitutiven Geschehen (einem »dynamischen Situationswechsel«) unterschieden wird.357 Ein solches Geschehen zeichnet sich u. a. durch die Bindung an einen Handlungsträger, kausale Beziehungen von Anfangs- und Endsituation und einen Situationswechsel aus, welcher durch eine von dem Handlungsträger erlebte oder ausgeführte Transformation bedingt wird.358 Unter Erzählung kann damit zunächst universalistisch und disziplinübergreifend die Mitteilung von Geschehnissen verstanden werden.359 Seit den Anfängen der Narratologie in gattungstheoretischen Diskussionen der Romantheorie zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich die Erforschung der Erzählung aus dem Bereich der Literaturwissenschaft und der Entwicklung von texttheoretischen und textanalytischen Systemen für (fiktionale) erzählende Prosa (klassische Narratologie) auch in anderen Disziplinen etabliert.360 In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhundert »[…] institutionalisierte sich schließlich die Erzählforschung bzw. Narratologie als eigenständige interdisziplinäre Forschungsrichtung […]« in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften.361 Dabei erweiterten sich auch Forschungsgegenstand und -anliegen in diesem sogenannten »narrative turn« von der Suche und Anwendung von Analysekategorien fiktionaler erzählender Texte zu der Frage nach der/den Funktion/en

355 356 357 358 359

Schmeling/Walstra 2010a, S. 517. Vgl. ebd. Vgl. Leubner/Saupe 2006, S. 9. Vgl. Leubner/Saupe 2006, S. 9; vgl. Bieberstein 2000, S. 22. Vgl. Barthes 1988, S. 102. In der Literaturwissenschaft wird der Begriff der Erzählung zunehmend als Bezeichnung für die Gesamtheit epischer Gattungen verwendet und ersetzt damit weitestgehend den Begriff der Epik. Zudem gilt er im engsten Sinn als eigene Literaturgattung, welcher »[…] fast alle Erzähltexte kurzen bis mittleren Umfangs […]« beschreibt und damit kaum eine klare Abgrenzung zu anderen narrativen Gattungen (z. B. Novelle, Kurzgeschichte etc.) erlaubt. Schmeling/Walstra 2010a, S. 517; vgl. Schmeling/ Walstra 2010b, S. 519. 360 Vgl. Früh/Frey 2014, S. 9; vgl. Kreiswirth 2000, S. 296; vgl. Schönert 2006. 361 Früh/Frey 2014, S. 9.

80

Überlegungen zum besonderen Wesen biblischer Erzählungen

von Narration in ihrer ganzen formalen und medialen Bandbreite sowie nach den Voraussetzungen für Produktion und Rezeption dieser.362 So zahlreich wie die einzelnen disziplinären Bereiche, welche sich mit Narratologie beschäftigen, sind auch die Theorien zu der bzw. den Funktionen des Erzählens. »Die Erzählung beginnt mit der Geschichte der Menschheit; nirgends gibt und gab es jemals ein Volk ohne Erzählung.«363 So wie Barthes beschreiben auch eine ganze Reihe anderer Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaftler_innen, wie Fisher oder Macintyre den Menschen als »inherent storytellers«364, »storytelling animal«365 oder »homo narrans«366 und das Erzählen wie White oder Koschorke als »meta-code«367 und »kulturelle Universalie«368 . Doch wie kommt es dazu, dass der Erzählung und dem Akt des Erzählens eine so elementare kulturelle und auch anthropologische Rolle zugesprochen wird? Welche Funktion(en) erfüllt diese besondere Form der Artikulation? Bleibt man zunächst auf der Ebene von Erzähler_in und Rezipient_in erfüllt das Erzählen – wie oben bereits angeführt – die metanarrative Funktion der Kommunikation.369 Mit der Ermöglichung dieser für den Menschen lebensnotwendigen und basalen Form der Interaktion eröffnen sich – so Koschorke – eine ganze Reihe weiterer (kommunikativer) Funktionen der Narration.370 Aus epistemologischer Sicht lassen sich Erzählungen als Wissensform beschreiben.371 »Geschichten werden zu narrativen Behausungen von Erfahrungen.«372 Nach Morgenthaler bietet die Narration durch ihre Form der sequentiellen und kausalen Ordnung von Geschehnissen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowie der Möglichkeit von Bedeutungszuschreibung und -akzentuierung in besonderem Maße Raum für die Aufbewahrung und Aufarbeitung von Erfahrenem.373 Auch spielen narrative Techniken bei der Wissensproduktion und Wissensordnung eine wesentliche Rolle.374 Koschorke nennt hier zum einen für den außerwissenschaftlichen Bereich die Erzählung in der Funktion der Vermittlung von abstrakten Theorien an eine breitere Adressatengruppe.375 362 Vgl. Früh/Frey 2014, S. 9; vgl. Kreiswirth 2000, S. 296; vgl. Mair 2015, S. 5; vgl. Meister 2011, S. 623f.; vgl. Schönert 2006. 363 Barthes 1988, S. 102. 364 Fisher 1987, S. 24. 365 MacIntyre 1984, S. 216. 366 Fisher 1984, S. 6; siehe auch Koschorke 2012, S. 9ff.; S. 90f. sowie Niles 1999, S. 3. 367 White 1987, S. 1. 368 Koschorke 2010, S. 90. 369 Vgl. Mair 2015, S. 141. 370 Vgl. Koschorke 2010, S. 91. 371 Vgl. Morgenthaler 1999, S. 96. 372 Morgenthaler 1999, S. 93. 373 Vgl. Morgenthaler 1999, S. 93; ebenso Wulff 2012, S. 4. 374 Vgl. Gamper 2014, S. 72; vgl. Kappeler et al. 2014, S. 7; vgl. Morgenthaler 1999, S. 96. 375 Vgl. Koschorke 2012, S. 329.

Erzählung – Narration – »story«

81

Hier werde sie verwendet »[…] um Expertenwissen ins Allgemeinsprachliche zu übersetzten, es mit Plausibilität zu versehen und ihm zu gesellschaftlicher Akzeptanz zu verhelfen«.376 Innerwissenschaftlich komme vor allem die Organisationskraft von Narrationen zur Anwendung, wenn beispielsweise mit ihnen »[…] verstreutes Einzelwissen zu kohärenten, sinnhaften Abläufen […]« zusammengefügt werde.377 Eng verknüpft mit der ordnenden und aufbewahrenden Funktion von Erzählungen ist ihr – aus kulturwissenschaftlicher Perspektive zu betonende – Anteil an einem von Assmann als »kulturelles Gedächtnis« bezeichneten Pool von »Erinnerungsfiguren«378, welche für das Selbst- und Weltbild der jeweiligen ethnischen, politischen oder kulturellen Gruppe konstitutiv seien.379 Hier nimmt das Erzählen – so Koschorke – eine Schlüsselrolle hinsichtlich der »Formung kultureller Gedächtnisbestände« ein.380 Es fungiert jedoch nicht nur als Medium der Gedächtnisbildung, sondern ermöglicht dem Rezipienten zudem »[…] eine Teilhabe am kulturellen Gedächtnis und am laufenden gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozess […]«.381 In diesem Zusammenhang lässt sich bereits eine weitere Funktion von Narrationen erkennen, die vor allem Ritschl in dem von ihm mitkonstruierten »Story-Konzept« herausarbeitet: die Konstruktion von Identität.382 In diesem stellt Ritschl die These auf, dass »story«383 »[…] das adäquate, sogar das am besten geeignete Idiom zur Artikulation der menschlichen Identität« sei.384 Entwickelt wird diese These ausgehend von der Annahme, dass die Sprache bzw. »[…] daß Menschen »Sprache haben […]«, den Menschen ausmache und – so

376 Koschorke 2012, S. 329. 377 Ebd. 378 Assmann versteht unter diesem Begriff »schicksalhafte Ereignisse der Vergangenheit«, die in kulturellen Formungen wie Texten, Riten, Denkmälern oder Bildern tradiert und auf diese Weise erinnert werden. Vgl. Assmann 1988, S. 12. 379 Vgl. Assmann 1988, S. 9f. 380 Vgl. Koschorke 2012, S. 215; Auch Ricœur betont die Bedeutung der Erzählung für die Weitergabe kulturellen Sinns. Vgl. Breitling 2007, S. 165. 381 Leubner/Saupe 2006, S. 13; vgl. Koschorke 2012, S. 219. 382 Vgl. Ritschl 1976, Ritschl 1984 sowie Ritschl 2005. 383 Ritschl verwendet den Begriff »story«, um sich damit in seinen Darlegungen von dem bedeutungsüberfrachteten deutschen Begriff der »Geschichte« und dem für ihn »farblosen und zu eng verstandenen Begriff der ›Erzählung‹« abzugrenzen. »Im Englischen deckt dieses Wort viel mehr ab: etwa die Geschichte der modernen Physik, auch die einer Gruppe, eines Einzelmenschen, einer Idee, und freilich Erzählungen in der Literatur, auch mündliche wiedererzählbare Kurzgeschichten, expandier- und summierbare Berichte usw.« Ritschl 2005, S. 79; vgl. Ritschl 1976, S. 7; vgl. Ritschl 1984, S. 45. Dieses »story«-Verständnis Ritschls lässt sich in den entscheidenden Aspekten mit dem hier verwendeten Begriff der Narration/Erzählung als kultureller Universalie in Zusammenhang bringen. Vgl. Ritschl 1976, S. 14, S. 18. 384 Ritschl 1976, S. 19; vgl. ebd., S. 15.

82

Überlegungen zum besonderen Wesen biblischer Erzählungen

Ritschls Worte – das »Humanum« anzeige.385 Mit Hilfe der Sprache sei es dem Menschen möglich, sich auszudrücken und auszuprobieren, zu erinnern und Hoffnungen zu entwerfen.386 Weiter erklärt Ritschl, dass Narrationen – für ihn »stories im weitesten Sinn« – die Sprachform darstellten, welche die allgemeine Charakterisierung von Sprache am treffendsten repräsentierten. Hieraus folgert er, dass die Story als »[…] am besten geeignete Form des Ausdrucks der Identität eines Menschen ( oder einer Gruppe) bezeichnet werden […]« könne.387 Die Identität des Menschen oder die einer Gruppe von Menschen – also das, was sie typisch ausmacht, das, was sie erkennbar bzw. wiedererkennbar macht – wird durch die von ihnen über sich oder über sie erzählten Stories konstruiert.388 Dabei bilden verschiedene »Einzelstories«, in welchen Erlebnisse, Erinnerungen und Erfahrungen sowie Deutungen oder Zukunftsentwürfe verbalisiert werden, das große Ganze der Identität, das Ritschl als »Metastory« bezeichnet.389 »Wenn ich sagen soll, wer ich bin, so erzähle ich am besten meine Story. Jeder von uns hat seine unverwechselbare Story, jeder ist seine Story.«390 Dabei sind es nicht nur die eigenen, selbsterzählten Stories, welche die Identität formen, sondern auch solche, die in der jeweiligen Kultur, Tradition, Gemeinschaft, sozialen Gruppe o. ä. erzählt werden. Hierzu zählen auch die Erzählungen über die entsprechende Kultur, Gemeinschaft, Gruppe etc. Ritschl bezieht sich hier auf die formative Funktion von Sprache und nennt dieses Phänomen »zugesprochene Identität«.391 »Menschen werden zu dem, was ihnen als Story ihrer Tradition zugesprochen wird.«392 Ähnlich wie Ritschl hebt auch Bieberstein die Funktion der Identitätsbildung von Narrationen hervor.393 Ausgangspunkt seiner Darlegung zur narrativen Konstruktion von (kollektiver) Identität bildet die These Straubs, »daß kein Mensch Identität einfach hat, sondern […] dass die Identität einer Person ein Konstrukt ist«.394 Erzählungen sind nun – so Bieberstein – im Anschluss an Straubs Überlegungen ein Mittel für den konstruktiven Akt, welcher für die Bildung von Identität Voraussetzung ist. Identität werde konstruiert, indem kontingente Erfahrungen narrativ geordnet und damit »nach innen« Kontinuität und Kohärenz hergestellt werde. Gleichzeitig erfolge »nach außen« mit diesen eigenen Erzählungen eine Abgrenzung. Es könne so

385 386 387 388 389 390 391 392 393 394

Ritschl 1976, S. 13. Vgl. ebd. Ebd., S. 15. Vgl. Ritschl 2005, S. 81f., vgl. Ritschl 1976, S. 16. Vgl. Ritschl 2005, S. 81; ebenso Teichert 2014, S. 607. Ritschl 1984, S. 45. Vgl. Ritschl 1976, S. 32f. Ebd., S. 33. Vgl. Bieberstein 2000, 26ff.; siehe auch Taylor 1989, S. 47f.; sowie Koenen 2006, S. 7. Straub 1998a, S. 93; vgl. Bieberstein 2000, S. 26ff.

Erzählung – Narration – »story«

83

eine Unterschiedlichkeit gegenüber anderen ausgedrückt werden.395 In Biebersteins Überlegungen zur identitätskonstruierenden Funktion von Narrationen wird eine – aus anthropologischer Sicht zentrale – Wirkweise des Erzählens bereits vorausgesetzt. Das Bilden von Erzählungen macht es dem Menschen möglich, den kontingenten Strom seiner Lebenswirklichkeit in für ihn sinnvolle Einheiten zu gliedern und diese durch kausale Verknüpfungen in einen Gesamtzusammenhang zu bringen.396 Erzählen wird so zu einem entscheidenden Mittel der »Kontingenzbewältigung«.397 Für den Menschen chaotisch erscheinende, komplexe, zufällige, beziehungs- und strukturlose, ungewisse Wirklichkeit wird in Form von Erzählungen bearbeitbar, erhält Anfang, Mitte und Ende, wird mit Sinn versehen.398 So konstatiert Koschorke: »Das Erzählen trägt demnach Sinn in die Welt, versieht ihren Lauf mit Absichten und Zielen […].«399 Er weist in diesem Zusammenhang aber auch darauf hin, dass Erzählungen ebenso in der Lage seien, Sinn zu dekonstruieren und bisherige (Sinn-)Ordnungen in Frage zu stellen.400 Nichtsdestotrotz wird der sinn- und bedeutungskonstruierenden Funktion von Erzählungen innerhalb der Narratologie eine zentrale Rolle zugeschrieben. Fischer führt eine weitere Funktion von Erzählungen an, die mit dieser welterschließenden und -erklärenden Wirkung eng verbunden ist. Er beschreibt diese in Anlehnung an die Arbeit Goodmans401 als »(kulturelle) Weise der Welterzeugung«.402 In Erzählungen könne nicht nur die wahrgenommene Welt gedeutet, sondern auch narrativ Welten403 geschaffen werden.404 Auch Niles betont »[…] this almost incredible cosmoplastic power, or world-making ability« der Narration.405 Mit dieser welterzeugenden Funktion geht die Möglichkeit einher, neue, andere Welten und Wirklichkeitsräume zu erschließen, im Sinne

395 396 397 398 399 400 401 402 403

404 405

Vgl. Bieberstein 2000, S. 27. Vgl. Neumann 2013. S. 52; vgl. Taylor 1989, S. 47f. Vgl. Koschorke 2012, S. 11. Vgl. Leubner/Saupe 2006, S. 11; vgl. Neumann 2013, S. 51, 56; vgl. Taylor 1989, S. 48; vgl. Teichert 2014, S. 600. Koschorke 2012, S. 11. Vgl. ebd. Siehe hierzu Goodman 1990. Vgl. Fischer 2013, S. 381. Grundlegende Annahme Goodmans ist, dass dabei nicht Abbilder der einen, einzigen wirklichen Welt konstruiert werden, sondern »[…] eine Vielheit wirklicher Welten«. Vgl. Goodman 1990, S. 14. Ebenso konstatitert Wulff: »Sie [Erzählungen] bilden keine Wirklichkeiten ab, sondern sie konstruieren Realitäten.« Wulff 2012; S. 5. Vgl. Erbele-Küster 2009, S. 1; vgl. Kutzer 2006, S. 16; vgl. Neumann 2013, S. 57. Niles 1999, S. 3.

84

Überlegungen zum besonderen Wesen biblischer Erzählungen

eines narrativen oder wie Neumann es nennt »mentalen Probehandelns«.406 Er wie auch Groeben und Christmann oder Seybold erklären, dass der Mensch im erzählten Raum alternative Handlungsmöglichkeiten entwerfen und sie darin mental ausprobieren könne.407 Dieses narrative Probehandeln erspare nicht nur Zeit und eventuelle reale Risiken, sondern mache es auch möglich, solche Handlungsabläufe zu durchleben, welche in der derzeitigen Lebensrealität nicht erfahrbar seien.408 Neumann schlussfolgert, dass mentales Probehandeln so »[…] neue Dimensionen von gewaltiger Tragweite« erschließen könne.409 Nach Kutzer kann die Wahrnehmung der auf diese Weise hergestellten alternativen Welt auch dazu führen, das bisher als Welt Erfahrene in Frage zu stellen und – wie auch Leubner und Saupe ansprechen410 – sogar das eigene Handeln zu verändern.411 Neben diesen individuellen Prozessen des narrativen Probehandelns bieten Erzählungen nach Neumann zudem die Möglichkeit, »[…] solche Erprobungen mit anderen zu teilen und auszuhandeln«.412 Innerhalb Koschorkes Arbeit an den »Grundzüge[n] einer Allgemeinen Erzähltheorie« wird dieser soziale Funktionswert des Erzählens als zentral hervorgehoben.413 Im Prozess des Erzählens sei eine »kollektive Aushandlung von Bedeutung« möglich.414 Die Narration – so Koschorke – ist damit »[…] eine sprachlich elaborierte Form sozialen Verhandelns«.415 Aus diesem Grund sei, sobald es um die Be- und Aushandlung von sozial Bedeutsamem ginge, das Erzählen die entscheidende Form der Kommunikation.416 Eine letzte Funktion von Narration, die hier aufgeführt werden soll, ist die Unterhaltung. Neumann zählt sie, sehr allgemein gefasst, neben der Verarbeitung von für das Leben des Menschen Bedeutsamem zu den zwei grundlegenden Wirkweisen des Erzählens.417 Dabei ist die Narration in ihrer unterhaltenden Funktion in der Lage, Stress und psychische Belastung zu lösen und abzubauen. Dies gilt nicht nur für im Alltag angestaute Anspannungen, sondern auch für Situationen extremen psychischem Drucks (z. B. Krieg, schwere Krankheit). Indem der Unterhaltung so »[…] eine geradezu lebenserhaltende Funktion […]« 406 Vgl. Neumann 2013, S. 57f.; vgl. Neumann 2000, S. 293f. Neumann greift diesen Begriff von Freud und Lorenz aus ihren Erläuterungen zum mentalen Probehandeln in imaginären Räumen auf. Vgl. Freud 1969, S. 524.; vgl. Lorenz 1980, S. 166f. 407 Vgl. Neumann 2013, S. 57; vgl. Groeben/Christmann 2014, S. 352; vgl. Seybold 2005, S. 89. 408 Vgl. Neumann 2013, S. 58; vgl. Niles 1999, S. 2. 409 Neumann 2013, S. 58. 410 Vgl. Leubner/Saupe 2006, S. 12. 411 Vgl. Kutzer 2006, S. 12. 412 Neumann 2013, S. 44. 413 Vgl. Koschorke 2012, S. 350. 414 Vgl. ebd., S. 349. 415 Ebd., S. 350. 416 Vgl. Koschorke 2010, S. 92. 417 Vgl. Neumann 2013, S. 43.

Fiktionalität

85

zugeschrieben wird, ist das Erzählen auch aus biologischer bzw. medizinischer Sicht bedeutsam.418 Auch wenn es im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich ist, alle in der aktuellen narratologischen Forschung diskutierten Funktionen des Erzählens in Gänze darzustellen, wird bereits an der hier getroffenen Auswahl der Wert der Narration für den Menschen aus anthropologischer, sozial- und erkenntnistheoretischer sowie kulturgeschichtlicher Perspektive deutlich. Dass diese spezielle Kommunikationsform eine solche Funktionsbreite erfüllt bzw. erfüllen kann, ist nicht zuletzt auf das ihr in besonderer Weise zugängliche und inhärente Phänomen der Fiktion zurückzuführen. Koschorke sieht den Schlüssel der Wirksamkeit des Erzählens darin, »[…] dass es die Unterscheidung zwischen Faktum und Fiktion unterläuft […]«.419 Doch wie passt es zusammen, dass das Erzählen, das hier als Charakteristikum des Menschseins (homo narrans) und kulturelle Universalie dargelegt wurde, in seiner Konstitution eine Unterscheidung auslässt, die für die alltägliche Orientierung in der von uns wahrgenommenen Welt entscheidend, sogar überlebensnotwendig ist?420

3.2

Fiktionalität »Ich sehe mich in der Lage, genauere Fakten zu erfinden als die, die uns angeblich authentisch überliefert sind.« [Grass, Günter 1979]421

Für die Beschäftigung mit der Frage, welche Bedeutung Fiktionalität für die Wirkung bzw. die Funktionen von Narration hat, und wie sie sich zur vom Menschen täglich erfahrenen Realität verhält, ist zunächst eine Klärung der Begriffe »Fiktion«, »fiktiv«, »Fiktionalität« und »fiktional« erforderlich. Die Termini gehen etymologisch betrachtet alle auf das lateinische Wort »fingere« zurück. Dieses umfasst verschiedene Bedeutungsfelder, welche sich in der Forschungsgeschichte und in der aktuellen Forschungsdiskussion unterschiedlich akzentuiert und ausdifferenziert wiederfinden.422 So reicht die Wortsemantik von »bilden«, »gestalten« und »darstellen« über »sich vorstellen«, 418 Vgl. Neumann 2013, S. 43. 419 Koschorke 2010, S. 98. 420 Vgl. Koschorke 2012, S. 16; vgl. Koschorke 2010, S. 90; vgl. Klauk/Köppe 2014, S. 3; vgl. Schaeffer 2014, S. 179. 421 Arnold 1979, S. 145. 422 Vgl. Bieberstein 2002, S. 11; vgl. Brandt 2009, S. 102; vgl. Petersen 1996, S. 9; vgl. Schaeffer 2014, S. 181; vgl. Seip 2002, S. 192.

86

Überlegungen zum besonderen Wesen biblischer Erzählungen

»sich denken«, »annehmen« bis zu »erdichten«, »vortäuschen« oder sogar »lügen«.423 Nach Klauk und Köppe bezeichnet der Terminus Fiktionalität »[…] die Eigenschaft von Medien (Texten, Filmen, Comics usw.), fiktional zu sein oder, anders gesagt, eine Fiktion zum Gegenstand zu haben«.424 Fiktional ist eine Erzählung nach Finnern, wenn in ihr benannte Personen, Orte oder Gegenstände »[…] nicht (oder nicht mit diesen Eigenschaften) existieren oder existiert haben bzw. einige Ereignisse nicht wirklich (in dieser Weise, zu dieser Zeit) geschehen sind oder andere Ursachen als die geschilderten haben«.425 Diese Personen, Orte oder Gegenstände werden dann als fiktiv bezeichnet. Zur Bestimmung der Fiktionalität ist also ein – wenn auch meist unausgesprochener – Konsens darüber nötig, was als allgemein zugängliche und verbindende Wirklichkeit angenommen und der Bewertung zu Grunde gelegt wird.426 Auch wenn der Begriff Fiktion als »[…] Gesamtheit der von einem fiktionalen Medium behandelnden fiktiven Gegenstände, Ereignisse usw. […]« definiert wird, ist nicht ausgeschlossen, dass auch Personen, Sachverhalte oder Orte in ihr enthalten sind, die mit der angenommenen Wirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen sind.427 Klauk und Köppe weisen außerdem darauf hin, dass umgekehrt nicht generell jedes Erzählen von nicht-wirklichen bzw. erfundenen Dingen als fiktionales Erzählen kategorisiert werden kann, und führen als Beispiele hierfür u. a. die Lüge oder eine Falschaussage vor Gericht an. Ein solcher Umkehrschluss würde zu einer Gleichsetzung von Fiktionalität und (bewusster) Lüge führen. Auch wenn Klauk und Köppe diese Deutung von Fiktion als problematisch markieren, findet sie – auch unter Bezug auf das bei den etymologischen Überlegungen letztgenannten Bedeutungsfeld – seit jeher immer wieder Unterstützer. Welche Folgen eine solch defizitäre Auffassung für die Bedeutung von fiktionalen Texten hat, gilt es im Weiteren noch genauer zu betrachten. Zunächst soll aber der Frage nachgegangen werden, welche Be423 424 425 426 427

Vgl. Stowasser 1994, S. 210. Klauk/Köppe 2014, S. 3; vgl. Schmitz 2006, S. 138. Finnern 2010, S. 61. Vgl. Gabriel 2010, S. 594Vgl. Schmitz 2006, S. 138. Klauk/Köppe 2014, S. 4; vgl. Müllner 2008, S. 2; vgl. Schmitz 2006, S. 138. Bei dem Versuch, fiktionale von nicht-fiktionalen Texten zu unterscheiden, wurde und wird der Gegenbegriff des faktualen Erzählens genutzt. Die theoretische und praktische Umsetzbarkeit sowie die Notwendigkeit dieser Differenzierung ist in der Forschung jedoch umstritten. »Insbesondere ist das Begriffspaar von faktualem und fiktionalem Erzählen nicht hinreichend nuanciert, um Differenz und Ineinanderwirken, Trennungsgeschichte und immer wieder erneuerte Synergien zwischen faktographischen und fiktionalen Darstellungsverfahren nachvollziehbar machen zu können.« Koschorke 2012, S. 330; vgl. auch: Genette 1992, S. 65–92, hier: S. 92, sowie: Klein/Martinez 2009, S. 4f. Auf eine detaillierte Darstellung der einzelnen Positionen dieser Debatte muss hier in Anbetracht des zu begrenzenden Umfangs der Arbeit verzichtet werden.

Fiktionalität

87

deutung die Fiktionalität für die Erzählung hat, und welche Möglichkeiten sich dem Menschen durch sie eröffnen. Entsprechend fragt Koschorke: »Woraus ließe sich ein möglicher (kultureller) Gewinn der gelösten Referenzbindung des Erzählens herleiten?«428 Zunächst einmal bildet die Fiktionalität einer Erzählung die Voraussetzung für Prozesse, die Neumann – wie oben dargelegt – als »mentales Probehandeln« bezeichnet.429 So konstatiert Anderegg: »In der Fiktion können wir Erfahrungen machen, als ob wir im Wirklichen wären«.430 Indem mit dem Hilfsmittel der Fiktion eine andere Wirklichkeit, eine andere Welt erzeugt wird, als die, die dem Menschen in seinem alltäglichen Erleben zugänglich ist, bekommt er die Möglichkeit, alternative Handlungsweisen kennenzulernen und zu durchdenken.431 »Mögliche Erfahrungen können so durchlebt und erprobt, fremde Erfahrungen mit den eigenen verbunden und abgespeichert werden.«432 Gerade durch die fiktionale Verknüpfung von aus der eigenen Realität Vertrautem können neue Sinnzusammenhänge gebildet und Bestehendes problematisiert oder in Frage gestellt werden.433 Doch Fiktionalität kann nicht nur – wie von Schmitz formuliert – »[…] freie Denk- und Experimentierräume […]« eröffnen.434 Für Koschorke bildet die durch sie geschaffene Möglichkeit der Lockerung des Sachbezugs, also der Lösung von Referenzbindungen, die notwendige Grundlage für das soziale Verhandeln von Bedeutung.435 Koschorke beschreibt das Erzählen als das Ergebnis zweier in verschiedener Weise wirkender, sich aber überlagernder »Kraftfelder«.436 Während die Sachdimension des Erzählens für die sogenannte Objektreferenz stehe, welche den konsequenten Bezug auf die Außenwelt bedeute, werde in der Sozialdimension des Erzählens diese Außenweltreferenz gelockert, relativiert, sodass ein Erzählen aus einer bestimmten Perspektive, mit individuellen Absichten und Interessen, gerichtet an einen bestimmten (auch imaginierten) Adressatenkreis ermöglicht werde.437 Die Fiktionalität einer Erzählung, also die Relativierung der Objekt- oder Außenweltreferenz, sorge dafür, dass Bedeutungsaushandlung in der sozialen Interaktion stattfinden könne, da durch die »aufgeweichte« Referenzbindung die jeweiligen Positionen der Verhan428 429 430 431 432 433 434 435 436 437

Koschorke 2010, S. 98. Vgl. Neumann 2013, S. 57f.; vgl. Teichert 2014, S. 607. Anderegg 1985, S. 109. Vgl. Groeben/Christmann 2014, S. 352; vgl. Jones 2014, S. 200; vgl. Teichert 2014, S. 607. Schmitz 2006, S. 148. Vgl. Kutzer 2006, S. 12; vgl. Schmitz 2006, S. 141, 148; vgl. Seip 2002, S. 194; vgl. Teichert 2014, S. 607. Vgl. Schmitz 2006, S. 148. Vgl. Koschorke 2012, S. 350. Vgl. ebd., S. 349. Vgl. ebd., S. 350.

88

Überlegungen zum besonderen Wesen biblischer Erzählungen

delnden beweglich gehalten würden.438 Nach Koschorke ist es damit sowohl möglich, den Aushandlungsprozess zu verlängern – also die Sozialdimension des Erzählens zu stärken, indem die Beteiligten z. B. »[…] ein Faktum umdeuten, abschwächen, leugnen oder auf andere Weise kommunikativ stilllegen«439 – als auch Mehrdeutigkeit, Unbestimmtheit oder Uneindeutigkeit durch die Konzentration auf das Unzweifelhafte und Faktische einzuschränken und damit die soziale Interaktion abzuschließen. »Wer sich im Besitz der faktischen Wahrheit glaubt, usurpiert eine Position, die andere von der Verhandlung ausschließt und damit den Prozess des kollektiven Aushandelns beendet.«440 Zwischen diesen Polen der fortlaufenden Verhandlung und der strikten Außenweltreferenz ergeben sich eine Vielzahl an Kombinationsformen und Abstufungen. Ohne der dem Erzählen inhärenten Möglichkeit der Fiktionalität blieben nach Koschorke die »sozialintegrative Funktion« und die »kulturelle Wirksamkeit« der Narration verschlossen.441 Trotz der dargestellten epistemologischen, sozialtheoretischen und kulturellen Bedeutung von fiktionaler Narration ist der Begriff der Fiktionalität gerade außerhalb der Literaturwissenschaften mit einem gewissen Makel behaftet. So schwingt besonders im umgangssprachlichen Gebrauch häufig die Abwertung als (absichtliche) Täuschung, Märchen, Einbildung oder sogar Lüge mit.442 Diese pejorative Bedeutungszuschreibung findet seinen Ursprung in der Betonung des Gegensatzes von Fiktion und Wirklichkeit und der gleichzeitigen Hochschätzung der (vermeintlichen) Gegenbegriffe zur Fiktionalität wie Wirklichkeit, Realität, Echtheit oder Nüchternheit.443 Diese negative Konnotation fiktionalen Erzählens schlägt sich bereits bei Platons Kritik der Dichtung und der abwertenden Auffassung, bloße Erfindung zu sein, nieder und zieht sich bis heute durch die Fiktionalitätsdebatte sowie den alltäglichen Sprachgebrauch.444 Gestützt wird diese Geringschätzung durch die häufig implizite Gleichsetzung von Wirklichkeit und Wahrheit. So definiert Gabriel in seinem Beitrag zur Fiktion im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft: »Auszugehen ist von dem traditionellen Gegensatz von Fiktion und Wirklichkeit (bzw. Wahrheit), von (ästhetischem) Schein und (außerästhetischem) ›Sein‹. Die Explikation

438 439 440 441 442

Vgl. Koschorke 2012, S. 350. Ebd. Ebd. Vgl. Koschorke 2012, S. 349f.; vgl. Koschorke 2010, S. 100. Vgl. Koschorke 2012, S. 332; vgl. Kutzer 2006, S. 15; vgl. Müllner 2008, S. 1; vgl. Seip 2002, S. 192. 443 Vgl. Kutzer 2006, S. 19; vgl. Oeming 1984, S. 259. 444 Vgl. Koschorke 2012, S. 332; vgl. Müllner 2008, S. 3; vgl. Seip 2002, S. 192.

Die Frage nach der Wahrheit

89

hat also zunächst negativ zu bestimmen was Fiktion fehlt, um ›der Wirklichkeit‹ oder ›der Wahrheit‹ gerecht zu werden.«445

Eine solche synonyme Verwendung der Begriffe Wirklichkeit und Wahrheit führt dazu, dass nur wahr ist, was wirklich ist und der gemeinsam geteilten Realität entspricht. Bereits anhand des hier in stark komprimierter Form gegebenen Überblicks über die möglichen Wirkweisen des (fiktionalen)446 Erzählens wird ersichtlich, dass ein derartiges Wahrheitsverständnis mit den dargelegten Funktionen von Narration nicht in Übereinstimmung gebracht bzw. ihnen kaum gerecht werden kann. Bevor Überlegungen dazu angestellt werden, was die dargestellten Erkenntnisse über das Erzählen als kulturelle Universalie und ihre Fähigkeit der Lockerung der Außenweltreferenz für die Rezeption und den Umgang mit biblischen Erzählungen, im Besonderen der Exodus-Erzählung, bedeuten können, soll zuvor noch ein genauerer Blick auf die Frage nach der Wahrheit von Narration geworfen werden.

3.3

Die Frage nach der Wahrheit »Der Begriff der Wahrheit harrt noch immer einer Klärung.« [Kobusch 2006, S. 149]

Für eine Beschäftigung mit der Frage, inwiefern fiktionale Erzählungen wahr sein können, ist zunächst zu klären, was unter dem Begriff der Wahrheit verstanden werden kann. Bereits das vorangestellte Zitat von Kobusch deutet darauf hin, dass es auf diese Frage keine letztgültige und eindeutige Antwort gibt. Auch Gloy konstatiert, dass es »[…] kaum einen anderen philosophischen Begriff [gibt], der eine so eminente Rolle spielt und zugleich so großen Bedeutungsschwankungen unterliegt wie der Begriff der Wahrheit […]«.447 So erhebt die folgende Auseinandersetzung nicht den Anspruch einer umfassenden Darstellung und Diskussion der bis dato zu dieser Begriffsdebatte beigetragenden Theorien, sondern beschränkt sich auf einen Einblick in einzelne wahrheitstheoretische Überlegungen, welche für die Bearbeitung der Frage nach der Bedeutung von Narration und ihren fiktionalen Elementen notwendig sind. 445 Gabriel 2010, S. 954. 446 Auch wenn – wie oben angesprochen – die u. a. von Koschorke benannte Schwierigkeit einer klaren Abgrenzung von fiktionalem und faktualen Erzählen besteht und in diesem Kontext die Frage diskutiert wird, ob nicht jedes Erzählen in gewisser Weise fiktionale Elemente enthalte, wird im Folgenden die Bestimmung »fiktional« vor die Begriffe »Erzählung« und »Narration« gesetzt, sofern Erzählungen mit fiktionalen Elementen im engeren Sinne gemeint sind. Siehe hierzu Koschorke 2012, S. 330f. 447 Gloy 2004, S. 67.

90

Überlegungen zum besonderen Wesen biblischer Erzählungen

Im umgangssprachlichen Gebrauch bezieht sich der Begriff »Wahrheit« zumeist auf Aussagen, die mit der wahrgenommenen Wirklichkeit übereinstimmen, die Dinge oder Sachverhalte so beschreiben, wie sie sind. »Wahr« wird in dieser Weise synonym zu wirklich, real, echt oder richtig verwendet. In einer solchen Vorstellung von Wahrheit spiegelt sich in vereinfachten Zügen das wider, was in der philosophischen Diskussion als Korrespondenz- oder auch Adäquationstheorie der Wahrheit beschrieben wird. Der Ursprung dieser Theorie wird in den Überlegungen Aristoteles gesehen: »Zu behaupten, etwas, das ist, sei nicht, oder etwas, das nicht ist, sei – das ist falsch; dagegen (die Behauptung), was ist sei, und was nicht ist, sei nicht – das ist wahr«.448 Dies ist nicht nur eine der ältesten Auffassungen von Wahrheit, sondern auch eine der verbreitetsten.449 Die klassische Formel, auf welche diese Theorie gebracht werden kann und welche bis heute das Verständnis dieser Theorie bestimmt, stammt von Thomas von Aquin, der in seinen »Questiones disputatae de veritate« Wahrheit als Übereinstimmung von Intellekt und Sache oder als Angleichung von subjektiver Erkenntnis und objektivem Sachverhalt darlegt: »[…] adaequatio rei et intellectus […]«450.451 Grundlage für die Beschreibung von Wahrheit ist damit das Verhältnis von Erkenntnis und Wirklichkeit bzw. das Verhältnis von der sprachlichen Äußerung der Erkenntnis und der Wirklichkeit.452 Die nach diesem Ansatz für das Zustandekommen von Wahrheit erforderliche Übereinstimmung von Sprache und Wirklichkeit führt mit Blick auf Erzählungen dazu, solche Narrationen, die fiktionale Elemente enthalten, als nicht wahr zu bewerten. Trotz des starken Einflusses dieser traditionellen Auffassung von Wahrheit auf das allgemeine und auch in vielen wissenschaftlichen Bereichen vertretene Wahrheitsverständnis haben sich auch Theorien in der Forschungsdebatte etabliert, welche die Voraussetzung für Wahrheit in anderer Weise definieren.453 So ist nach der sogenannten Kohärenztheorie nicht der Zusammenhang von Aussagen und Wirklichkeit entscheidend für das Wahrheitsurteil, sondern der 448 449 450 451 452

Aristoteles 2003, S. 208. Vgl. Gloy 2004, S. 93; vgl. Heckmann 1981, S. 99. Thomas von Aquin 1986, S. 8. Vgl. Gloy 2004, S. 92; vgl. Heckmann 1981, S. 102; vgl. Kobusch 2006, S. 149. Diese Grundformel wurde in je unterschiedlicher Beschreibung des Modus der Übereinstimmung von Sprache und Wirklichkeit, »[…] von Denken und Sein, von Subjekt und Objekt, von Bewusstsein zu Welt, von Erkenntnis zu Wirklichkeit, von Sprache zu Welt, von Urteil zu Sachverhalt, Aussage zu Wirklichkeit, Gedanke zu Tatsache, Meinung zu Tatsache […]« zu Variationen der Korrespondenztheorie ausgearbeitet. Gloy 2004, S. 94.; Hierzu zählen u. a. die Abbildtheorie in ihrer physikalischen und psycho-physischen Auslegung, die Schlusstheorie sowie die sogenannte semantische Wahrheitstheorie (nach Alfred Tarski). Vgl. Gloy 2004, S. 96ff., S. 104f., S. 26ff., S. 145ff. 453 Vgl. Seifert 2009, S. 139.

Die Frage nach der Wahrheit

91

Zusammenhang von Aussage zu Aussagesystem.454 Kriterium der Wahrheit ist hier die Kohärenz. Gloy definiert diese Kohärenz als »[…] die Fähigkeit einer Aussage, sich in ein System von Aussagen integrieren zu lassen, mit den übrigen Aussagen kompatibel zu sein.«455 Wahr ist somit nach der Kohärenztheorie das, was sich kohärent zu einem Gesamtsystem von Aussagen verhält. Während sich die Korrespondenztheorie auf das Verhältnis von Subjekt und Objekt bezieht, bleibt die Kohärenztheorie mit ihrem Versuch der Wahrheitsfeststellung auf der Seite des Subjekts und den von ihm getätigten Aussagen (über Objekte). Mit Blick auf den Wahrheitswert von Narration ist es den Leitgedanken dieser Theorie folgend nicht generell ausgeschlossen, dass fiktionale Erzählungen bzw. in ihr enthaltene fiktionale Elemente und Aussagen als wahr gelten können. Unter der Voraussetzung, dass eine Erzählung oder mehrere Erzählungen mit kohärenter Aussage als ein Gesamtsystem fungieren können, wären Aussagen, ob als fiktional bewertet oder nicht, welche in dieses Gesamtsystem im Sinne der geforderten Kohärenz passen, als wahr zu betrachten. An diesem Punkt wird jedoch von einigen der Forscher_innen eine Schwäche der Theorie gesehen. So merkt Heckmann an, dass es Konsequenzen für den Absolutheitsanspruch von Wahrheit habe, wenn es nicht nur ein absolut gesetztes Aussagesystem gibt, auf welches das Kohärenzkriterium der Wahrheit bezogen wird, sondern mehrere Kohärenzrahmen nebeneinander existieren.456 Es sei auf diese Weise möglich, dass eine Aussage in dem einen System als wahr, in einem anderen als unwahr gelten könne. Zudem herrscht in der Diskussion um diese Theorie der Wahrheit Uneinigkeit darüber, was genau unter Kohärenz zu verstehen sei. So kann das Kriterium der Kohärenz nach Seifert beispielsweise als strikte Widerspruchslosigkeit, als »intelligible und sinnvolle Beziehung« oder »[…] als notwendige Verknüpfung von Urteilen, Wahrheiten, Erkenntnissen oder Sachverhalten« verstanden werden, was wiederum zu unterschiedlichen Wahrheitsurteilen führe.457 Ein weiterer wahrheitstheoretischer Ansatz, der ebenfalls zu den klassischen Theorien innerhalb der philosophischen Debatte zählt, ist der pragmatische Ansatz. Kriterium für die Wahrheit ist innerhalb dieses Konzepts weder die Übereinstimmung von (subjektiver) Aussage und (objektivem) Sachverhalt noch die Kohärenz zwischen Aussage und Aussagesystem, sondern die Nützlichkeit einer Aussage.458 Eine Aussage ist demnach wahr, wenn sie – so u. a. Heckmann – nützlich ist, wenn sie zum Besten oder »erfolgreich« ist, wenn sie

454 455 456 457 458

Vgl. Gloy 2004, S. 168, 170, 2, 8; vgl. Schantz 2006, S. 375. Gloy 2004, S. 168; vgl. Seifert 2009, S. 138. Vgl. Heckmann 1981, S. 134. Seifert 2009, S. 143, S. 144. Vgl. Gloy 2004, S. 222f.; vgl. Heckmann 1981, S. 144.

92

Überlegungen zum besonderen Wesen biblischer Erzählungen

»ein Höchstmaß an Befriedigung« bietet.459 Gloy zieht zur Verdeutlichung dieser Theorie ein Beispiel heran, welches auf die Ausführungen von James460 zurückgeht, der einer der stärksten Vertreter dieses Wahrheitsverständnisses ist: »Das bedeutet, dass keine Hypothese abzulehnen ist, aus der sich nützliche Konsequenzen für das Leben ziehen lassen. Sollte sich z. B. die Hypothese von Gott im weitesten Sinne des Wortes als befriedigend erweisen, dann ist sie wahr.«461 In Bezug auf die Frage, inwiefern fiktionalen Erzählungen ein Wahrheitswert zugesprochen werden kann, scheint diese Theorie auf den ersten Blick passender zu sein als die Korrespondenz- oder auch die Kohärenztheorie. Fiktionale Narration kann als wahr gelten, sofern sie das Nützlichkeitskriterium erfüllt. In Anbetracht der oben dargestellten möglichen Funktionen von Fiktion im engeren und von Narration im weiteren Sinn, ergeben sich eine ganze Reihe für den Menschen potenziell hilfreicher bzw. nützlicher Wirkweisen. Die pragmatische Wahrheitstheorie und dabei speziell die Arbeit von James erfuhr starke Kritik. Besonders die aus ihr ableitbare Reduzierung von Glaubenswahrheit auf das Nützlichkeitskriterium wurde und wird problematisiert. Weitere Schwächen dieses Ansatzes seien laut Russel unter anderem, dass es Aussagen gebe, die als wahr anzusehen seien, ohne nützlich zu sein, und ebenso solche, die zwar einen bestimmten Nutzen erfüllten, jedoch nicht als wahr zu bewerten seien.462 Nach dieser Kritik Russels wird der fiktionalen Narration eine mögliche Wahrheit aberkannt, da »wahr« hier wieder im ontischen Sinne verstanden wird. So argumentiert Russel, dass die Vorstellung des Weihnachtsmanns zwar »[…] im weitesten Sinne des Wortes befriedigt […]« und nach dem Nützlichkeitskriterium somit wahr sein müsste, es den Weihnachtsmann aber nicht gebe, er damit nicht wahr sei, und die Theorie nicht hinreichend.463 Auch wenn hier nur ein kurzer Einblick in klassische Theorien der Wahrheit gegeben werden konnte, wird ersichtlich, warum die Frage nach der Wahrheit von fiktionalen Erzählungen so umstritten ist. Denn auch wenn Ansätze wie die der Kohärenz oder Pragmatik prinzipiell Formen von Wahrheit beschreiben, welche von Narrationen erfüllt werden können, bleibt zumindest im überwiegenden Teil der philosophischen Diskussion das Kriterium der Übereinstimmung mit der Wirklichkeit ausschlaggebend. Dies zeigt sich an der zumeist kritischen Beurteilung solcher Theorien, welche sich von der ontischen Wahrheit bzw. der Wahrheit nach der Korrespondenztheorie zu lösen versuchen. Eine solche Loslösung ist jedoch erforderlich, da diese Auffassung dem Wahrheitspotential von (fiktionalen) Erzählungen nicht gerecht werden kann. Wenn – wie 459 460 461 462 463

Vgl. Heckmann 1981, S. 144; vgl. Gloy 2004, S. 223; vgl. Seifert 2009, S. 273. Siehe hierzu James 1908. Gloy 2004, S. 223. Vgl. Russel 1980, S. 60–62.; siehe auch Heckmann 1981, S. 147. Russel 1980, S. 61.

Die Frage nach der Wahrheit

93

oben dargelegt – durch Narration neue Wirklichkeiten geschaffen und eröffnet werden, können die in diesen getroffenen Aussagen unter der Voraussetzung der Übereinstimmung mit der allgemein als Realität anerkannten Wirklichkeit niemals wahr sein. Gerade weil in Erzählungen die strikte Trennung von Faktum und Fiktion zugunsten einer ganzen Reihe von lebensdienlichen Funktionen unterlaufen wird, ist ihr Wahrheitswert nicht in ihrer Entsprechung mit der Realität zu suchen.464 So konstatiert Bieberstein: »Angesichts des konstruktiven Charakters von Geschichten und ihrer unterschiedlich gestalteten fiktionalen Dimension kann sich die Frage nach dem Wert einer Geschichte folglich nicht naiv allein auf ihre Faktentreue, sondern muß sich auf ihre Leistungsfähigkeit – auf ihre Lebensdienlichkeit – in einem umfassenderen Sinn beziehen.«465

Der Wahrheitsanspruch von Erzählungen werde aufgrund von fiktionalen Elementen nicht aufgehoben, sondern lediglich verschoben. Je stärker Aussagen narrativ strukturiert würden und damit auch die fiktionale Dimension wachse, desto weniger liege der Wahrheitsanspruch in der »unmittelbare[n] Faktentreue«, sondern bewege sich hin zur »[…] stärkeren Vermittlung allgemeingültiger erfahrungsstrukturierender und handlungsorientierender Muster […]«.466 Ähnlich argumentiert Koenen, der die in einer Erzählung angebotene Problemlösung als entscheidend für ihre Wahrheit der Erzählung sieht.467 Wenn Narration dazu befähigt, andere Wirklichkeiten zu erleben, an Erfahrungen teilzuhaben, eigenes Handeln zu reflektieren und in letzter Konsequenz auch zu verändern, dann sind sie wahr. »In der Analogie sowie in dem, was uns vorgemacht und vorgelebt wird, kurz, in dem vorgestellten Lebens- und Weltentwurf und dessen Fruchtbarkeit für Lebens- und Weltbewältigung liegt die Wahrheit einer Erzählung.«468 So wie bei Bieberstein und Koenen lässt sich auch in Ritschls Überlegungen zur Wahrheit von (fiktionalen) Erzählungen ein pragmatisches Kriterium erkennen. Die Wahrheit einer Story könne an ihrer Funktionstüchtigkeit bemessen werden.469 Wenn eine Erzählung in Übereinstimmung mit ihren ihr Wesen bestimmenden Inhalten, ihren wesentlichen Merkmalen bei den Rezipienten »funktioniert«, dann ist sie nach Ritschl eine wahre Story. Unterhalte eine zur Unterhaltung erzählte Story, sei sie ebenso wahr, wie eine Erzählung, die eine alternative Wirklichkeit mit alternativen Handlungsmöglichkeiten schafft und bei ihren Rezipienten das Überdenken des 464 Vgl. Bieberstein 2000, S. 24f.; vgl. Koenen 2006, S. 3; vgl. Koschorke 2012, S. 349; vgl. Kutzer 2006, S. 115; vgl. Petersen 1996, S. 18, 30; vgl. Schmitz 2006, S. 147; vgl. Seip 2002, S. 193. 465 Bieberstein 2000, S. 25. 466 Ebd., S. 24. 467 Vgl. Koenen 2006, S. 3. 468 Ebd. 469 Vgl. Ritschl 1976, S. 22.

94

Überlegungen zum besonderen Wesen biblischer Erzählungen

eigenen Handelns oder gar eine Verhaltensänderung bewirke.470 »Die verschiedenen Funktionstypen von stories erheben verschiedenen Arten von Wahrheitsansprüchen.«471 Die Wahrheit einer Erzählung hängt somit davon ab, ob sie in einer ihrem Proprium, also ihrer sie auszeichnenden Eigenschaft, entsprechenden Weise fruchtbar wird,472 ob sie anrührt, Gemeinschaft erzeugt, Erfahrung bewahrt oder teilt, Erfahrungsräume schafft, ob sie für die, die sie verfassen und die, die sie rezipieren bedeutsam ist. Anders als in einem korrespondenz- oder adäquationstheoretischen Verständnis, wird einer Narration bzw. einer Aussage nicht Bedeutung zugesprochen, weil sie mit der Wirklichkeit übereinstimmt und in dieser Hinsicht wahr ist, sondern weil sie bedeutsam ist, für einen oder viele Bedeutung gewinnt, ist sie wahr. »Es handelt sich um eine Wahrheit, die wirkungsvoll ist, den Rezipienten in ihren Bann schlagen kann und die weder durch reale Potentialität noch durch logische Gesetzmäßigkeit eingeschränkt wird.«473

3.4

Konklusion

Was lässt sich nun anhand der vorangestellten Erläuterungen zum Konzept von Narration, der ihr in besonderer Weise verbundenen Dimension der Fiktion und den Überlegungen zu ihrem Wahrheitswert für den Umgang mit biblischen Texten wie der Exodus-Erzählung ableiten? Was folgt daraus für ihr Wesen und ihre Bedeutung, wenn sie nicht als historischer Tatsachenbericht, sondern als (fiktionale) Erzählung wahrgenommen wird? In der aktuellen Forschungsdebatte zur Frage, was biblische Texte seien, wie sich ihr Wesen bestimmen lasse, zeichnet sich ein Konsens darüber ab, dass es sich nicht um eine Sammlung von historischen Protokollen handelt und sie auch nicht mit der Absicht, Tatsachenberichte darzustellen, verfasst wurden.474 Zwar lassen sich immer wieder realgeschichtliche Verweise oder Elemente – wie z. B. in Form von Orts- und Personennamen, topographisch identifizierbaren Ortsbeschreibungen oder für eine bestimmte Region bekannte Natur- oder Wetterphänomenen – in den Texten ausmachen, doch sind diese stets in narrative Konstrukte eingebunden, welche in ihrer Gesamtheit nicht den Kriterien der Geschichtsschreibung im Sinne der Dokumentation historischer Fakten ent470 471 472 473 474

Vgl. Ritschl 1976, S. 22. Ebd. Vgl. ebd. Petersen 1996, S. 32; vgl. Kutzer 2006, S. 181. Vgl. Bieberstein 2002, S. 5; vgl. Buber 1994, S. 13; vgl. Bühler 1999, S. 46; vgl. Kutzer 2006, S. 61; vgl. Lemche 1996, S. 218, 220, 224, 68, 72; vgl. Oeming 1984; vgl. Römer 2014, S. 123; vgl. Steins 2007, S. 236.

Konklusion

95

sprechen. Diese Erkenntnis gilt auch für die Erzählungen über die Entstehung und das Wachsen des Volkes Israel im Alten Testament. Lemche konstatiert, »[…] daß es von Grund auf falsch ist, die Erzählungen des Pentateuch für geschichtliche Berichte zu halten. Sie sind vielmehr deutlich das Ergebnis literarischer Konstruktion, die nicht Geschichte nachzeichnen, sondern Literatur schaffen wollen«.475 Diese Texte seien – so auch u. a. Fischer, Kutzer oder Seybold – zu allererst Erzählungen, Narrationen oder in Ritschls Begrifflichkeit Stories und damit an die charakteristischen Eigenschaften dieser besonderen Sprachform gebunden.476 Hierzu gehören – so Lemche – »[…] die Abenteuermotive ebenso wie die festliegenden Erzählschemata und die vorgegeben literarischen Muster, welche die alttestamentlichen Schriftsteller verwendet haben, um ihre Erzählungen so spannen wie möglich zu gestalten […]«.477 Aus dieser Wesensbestimmung resultiert, dass es sich – wie Oeming hervorhebt – eben nicht um eine »[…] ungebrochene Sprache der Tatsachen […]« handelt, sondern für das Erzählte immer auch als fiktional zu klassifizierende Elemente konstitutiv sind.478 Narration bzw. Narrativität und Fiktionalität sind also eng – für einige Literaturwissenschaftler_innen bzw. Narratolog_innen kaum trennbar – miteinander verbunden. Basierend auf diesen Überlegungen schließt Seip: »Biblische Texte sind fiktional«.479 Dieses Urteil trifft insbesondere hinsichtlich der Schilderungen der Anfänge und der Konstiution des Volkes Israel nicht nur auf Zustimmung. Es provoziert, es stößt an und wird abgelehnt. Diese Reaktionen sind – in Anbetracht des bereits oben angesprochenen überwiegend vorherrschenden korrespondenztheoretischen Wahrheitsverständnisses und der allzu oft pejorativen Prägung des Fiktionsbegriffs – wenig verwunderlich. Schöttler erklärt, dass »für viele Menschen […] die Glaub-Würdigkeit [sic] des in der Bibel Berichteten untrennbar mit der Faktizität des Erzählten verbunden« sei.480 Zu den bereits angesprochenen Vorbehalten gegenüber Fiktionalität kommt hier erschwerend hinzu, dass es sich nicht um irgendein Buch, irgendwelche Texte und Erzählungen handelt, sondern um die Heilige Schrift, um das, was Judentum und Christentum als Erzählgemeinschaft im Wesentlichen prägt und fundamentaler Bestanteil ihres religiösen Lebens und Lernens ist. So stellt Oeming fest: »Das Zugeständnis der Fiktionscharakters scheint das biblische Geschichtszeugnis in den Bereich von Märchen, Lüge und großer Täuschung 475 Lemche 1996, S. 220; vgl. ebd., S. 68. 476 Vgl. Fischer 2013, S. 382; vgl. Kutzer 2006, S. 180; vgl. Seybold 2005, S. 14; vgl. Ritschl/ Hailer 2008, S. 29; siehe auch: Lemche 1996, S. 220; Clauss 2009, S. 2; Thöne 2013, S. 134. 477 Lemche 1996, S. 69. 478 Oeming 1984, S. 257; vgl. Bieberstein 2002, S. 5, 9; vgl. Schmitz 2013 S. 133; vgl. Schöttler 2002, S. 2; vgl. Seybold 2005, S. 23. 479 Seip 2002, S. 195. 480 Schöttler 2002, S. 2; vgl. Schöttler 2006, S. 203.

96

Überlegungen zum besonderen Wesen biblischer Erzählungen

abzudrängen und somit der Religionskritik Tür und Tor zu öffnen.«481 Denn sofern den biblischen Erzählungen nur dann Wahrheit und Bedeutung zugesprochen würde, wenn sie historisch belegbar bzw. realitätskonform sind, blieben von der so umfangreichen Schriftensammlung Bibel nur verstreute Fragmente, die nach dieser Auffassung als wahr und damit bedeutsam bewertet werden könnten. Ein solches Verständnis biblischer Texte führt dazu, dass die biblischen Texte wortwörtlich zu nehmen und als Tatsachenberichte zu lesen sind. Um diese Rezeptionsweise nicht ins Wanken zu bringen, wären jegliche historisch-kritischen Rückfragen zu unterlassen. Andernfalls käme die Leserin oder der Leser zu dem Schluss, dass die biblischen Texte ohne den Wert der nachprüfbaren historischen Fakten keine Wahrheit und damit auch keine Bedeutung mehr besäßen. Beide Wege, der biblizistisch-fundamentalistische wie auch der bibelkritische Weg (die Texte als Märchen oder gar Lügengeschichten zu bewerten), wurden und werden bis heute nicht selten beschritten.482 »Wer jedoch die Wahrheit der biblischen Texte auf ihre historische Faktizität einengt, wird dem Anspruch der Texte nicht gerecht.«483 Auch wenn gerade die großen Erzählungen der Entstehung des Volkes Israel auf den ersten Blick wie historische Berichte erscheinen, da sie geschichtliche Verläufe schildern, eine chronologische Ordnung anbieten und damit der Historiographie ähneln, wurden sie – darin besteht in der alttestamentlichen Forschung heute überwiegend Einigkeit – nicht aus der Absicht heraus erzählt, über historische Fakten zu informieren.484 Die Frage nach der Historizität oder nach der naturgesetzlichen Passung der erzählten Geschehnisse wird demnach nicht zur Erfassung ihrer Bedeutung führen. Um – wie Kraft und Roose formulieren – »dem Anspruch der Texte gerecht« werden zu können,485 ist es daher notwendig, die Beweggründe für das Verfassen genau dieser Inhalte in eben dieser Form der Erzählungen zu ergründen. So schlussfolgert Assmann in Bezug auf die für diese Arbeit beispielhaft zugrunde gelegte alttestamentliche Erzählung: »Nicht ›Was ist eigentlich geschehen beim Auszug aus Ägypten?‹ und ›Wer war Mose wirklich?‹ sind die Fragen, die sich an die Exodus-und-Mose-Tradition sinnvoll stellen lassen, sondern: ›Warum wird die Geschichte erzählt, in welcher Beleuchtung und Bewertung?‹.«486

Angesichts der immer wieder zu beobachtenden Ablehnung von als Märchen oder Lügen wahrgenommenen fiktionalen Erzählungen, ist außerdem heraus481 482 483 484 485 486

Oeming 1984, S. 259. Vgl. Bühler 1999, S. 45; vgl. Lemche 1996, S. 222. Kraft/Roose 2011, S. 75; vgl. Bühler 1999, S. 46. Vgl. Lemche 1996, S. 219; vgl. Seybold 2005, S. 23. Vgl. Kraft/Roose 2011, S. 75. Assmann 2015, S. 54; vgl. ebd., S. 390; vgl. Schmitz 2011, S. 134; vgl. Seybold 2005, S. 23.

Konklusion

97

zuarbeiten, warum gerade diese Form gewählt wurde und für das Anliegen der Verfasser_innen bedeutsam ist. Warum wird hier also erzählt? Es sind nicht historische Ereignisse, die berichtet werden sollen, sondern Erfahrungen von Menschen, Erfahrungen von Menschen mit Gott. Dabei ist die Bibel »[…] nicht als ein Buch der »Protokolle« Gottes oder seines Handelns, sondern als Sammlung der Zeugnisse, Bekenntnisse, Deutungen und Berichte von Menschen […]« zu verstehen.487 In den biblischen Erzählungen werden Glaubenserfahrungen bezeugt und theologisch gedeutet. Durch das Erzählen ist es möglich, persönliche Glaubensaussagen zu teilen, an ihnen Teil zu haben, sie zu wiederholen und zu erinnern. Die Erzählungen bilden auf diese Weise »narrative Behausungen«488 für Glaubenserfahrungen und formen in ihrer Gesamtheit eine Art kollektives Glaubensgedächtnis. Damit sind – wie Schmitz schlussfolgert – die biblischen Texte zum Exodus zunächst einmal »[…] erzählerische Verdichtung geschichtlicher Erfahrungen – nicht unbedingt von einer historisch fixierbaren Versklavung in Ägypten, sondern von ›Ägypten‹, d. h. von Erfahrungen von Fremdherrschaft, Ausbeutung und Unfreiheit etwa durch die Assyrer, die Babylonier etc«.489 Entscheidend ist dabei, dass zu diesen Erfahrungen auch gehört, dass es den einen Gott gibt, der – wie Utzschneider betont – »[…] als Gott selbst und unmittelbar die Initiative ergreift […]« und sein Volk befreit.490 In der Exodus-Erzählung werden Erfahrungen mit, Hoffnung auf und Bekenntnis zu diesem Gott aus bestimmten geschichtlichen Situationen heraus erzählt. Die Erzählung bewahrt diese Glaubenszeugnisse aber nicht einfach auf, sie macht sie auch für andere zugänglich und lässt an ihnen teilhaben. So spielt sie eine entscheidende Rolle bei der Bildung der Identität des Volkes Israel.491 »Nur wer Erinnerungen und Hoffnungen teilt, gehört wirklich zusammen.«492 In der Bewahrung, der Erinnerung und dem Bekenntnis zu der erzählten Offenbahrungserfahrung wird nicht nur die eigene, sondern die Identität eines ganzen Volkes, der Erzählgemeinschaft bestimmt.493 Die Exodusüberlieferung ist damit – so Assmann – »[…] nicht einfach Geschichtsschreibung, sondern das Bekenntnis zu einer Identität […] im Medium von Erzählung und Erinnerung«.494

487 488 489 490 491

Otto G. 2006, S. 37. Morgenthaler 1999, S. 93. Schmitz 2011, S. 137; vgl. Utzschneider 2007, S. 219. Utzschneider 2007, S. 218. Vgl. Assmann 1992, S. 201f.; vgl. Bühlmann 2007, S. 238; vgl. Clauss 1986, S. 391; vgl. Frank 2004, S. 31. 492 Ritschl 1984, S. 47; vgl. Fricke 2005, S. 135. 493 Vgl. Assmann 2015, S. 391; vgl. Fischer 2013, S. 395; vgl. Teichert 2014, S. 603; vgl. Ricœur 1991, S. 398. 494 Assmann 2015, S. 23f.

98

Überlegungen zum besonderen Wesen biblischer Erzählungen

Doch die biblischen Narrationen können neben der Bewahrung, (Neu-) Strukturierung sowie Verarbeitung von Erfahrungen und der Stiftung von Identität noch mehr bewirken.495 In dem was aus literaturwissenschaftlicher Perspektive als fiktionale Erzählung definiert werden kann, wird auch eine neue Sichtweise auf Wirklichkeit eröffnet. Es werden alternative Handlungsoptionen und Sinnzusammenhänge erschlossen und es wird Hoffnung und Zuspruch offenbart, die – wie Kutzer betont – im alltäglichen Erleben, »[…] in den vorhandenen sprachlichen Organisationsstrukturen von Wirklichkeit […]« bisher nicht sichtbar waren.496 Die Erkenntnis, die »Wahrnehmung« dessen, was durch den von der Erzählung neu eröffneten Blick auf die Welt offenbart wird, kann zu einer Veränderung der eigenen Sichtweisen und so auch des eigenen Handelns führen.497 Die in den biblischen Erzählungen verarbeiteten (theologischen) Wirklichkeitsdeutungen können zur Orientierung(shilfe) zukünftigen Handelns werden. In dieser prospektiven Dimension der Wirkweise des Textes kann die Exodus-Erzählung in Situationen der Bedrängnis und Unfreiheit Orientierung stiften, da sie einen Gegenentwurf, eine Alternative zur Hoffnungslosigkeit eröffnet.498 Wenn biblische Texte wie die Exodus-Erzählung also nicht zur Dokumentation historischer Fakten verfasst wurden, sondern es – wie Schmitz formuliert – darum geht »[…] Erfahrungen zu strukturieren, Handlung zu orientieren und Identität zu stiften […]«,499 dann ist auch ihre Wahrheit nicht in ihrer Übereinstimmung mit historischen Ereignissen zu suchen. Die Verfasser_innen erzählen nicht auf diese Weise, weil sie über die eigentlichen, wirklichen Abläufe und Ereignisse nicht genug wissen oder weil sie ihre Zuhörer_innen bewusst täuschen wollen, sondern weil die Erzählung genau in dieser Form das bezeugt, was für sie bedeutsam und damit wahr ist.500 Diese Glaubensaussagen haben somit einen persönlichen und existentiellen Wahrheitsanspruch.501 Die Wahrheit liegt – wie auch oben in den Überlegungen zur Wahrheit (fiktionaler) Erzählungen herausgestellt – in dem, was das Erzählte für Verfasser_in und Rezipient_in bedeutet und bewirkt.502 So kann wie Nipkow in seinen Überlegungen zur Frage der Wahrheit biblischer Texte jenseits einer Tatsachenwahrheit darlegt, das, was hier erzählt wird, zum Beispiel wahr sein, wenn es nicht 495 496 497 498 499 500 501 502

Vgl. Bieberstein 2000, S. 26; vgl. Schmitz 2013, S. 131. Kutzer 2006, S. 256; vgl. ebd., S. 191, 264; vgl. Huemer 2014, S. 66. Vgl. Bieberstein 2007, S. 215; vgl. Kutzer 2006, S. 256. Vgl. Schmitz 2011, S. 137. Ebd., S. 131. Vgl. Garhammer 2002, S. 16; vgl. Kraft/Roose 2011, S. 78. Vgl. Kraft/Roose 2011, S. 77; vgl. Nipkow 2011, S. 144. Vgl. Assmann 2015, S. 192; vgl. Kutzer 2006, S. 206, 256; vgl. Schmitz 2013, S. 133; vgl. Thöne 2013, S. 137.

Konklusion

99

nichtssagend am Rezipienten vorübergeht, sondern ihn »anspricht und anrührt«, wenn es als »zuverlässig« und »wahrhaftig« erfahren wird, oder wenn es »menschlich geboten« und damit »moralisch wahr« ist.503 »Die ›Wahrheit‹ einer Geschichte erschöpft sich nicht in der Frage ihrer Historizität, sondern vielmehr in ihrer Relevanz für die Gegenwart und ihrer Kraft, Zukunft zu gestalten.«504 Anhand der dargestellten Überlegungen zum Wesen biblischer Texte sollte deutlich geworden sein, dass ihre Wahrnehmung als Narrationen, als (fiktionale) Erzählungen keinen Mangel oder eine Schmälerung ihrer Glaubwürdigkeit darstellt, sondern ganz im Gegenteil essenziell und grundlegend für eine Rezeption ist, die ihrem Anspruch und ihrem Wert gerecht werden will.505 Der Großteil der biblischen Texte besteht aus Erzählungen, weil gerade diese Form der Kommunikation die einzigartige Möglichkeit bietet, Glaubenszeugnisse zu verdichten, zu teilen, an ihnen Teil haben zu lassen, sie zu bewahren und weiterzugeben. Dass es sich um fiktionale Narrationen handelt, bedeutet dabei nicht, dass ihre Inhalte beliebig, austauschbar oder unverbindlich sind. Das zu Beginn dieses Kapitels angeführte Zitat Bubers illustriert, dass das Erzählen in der Bibel, das Erzählen des Exodus’ nicht einfach freie Dichtung, sondern VerDichtung von Erfahrungen, Ver-Dichtung von Deutungen und Zeugnissen des Glaubens, der Beziehung von Mensch und Gott ist.506

503 504 505 506

Vgl. Nipkow 2011, S. 137, 141f., 144; vgl. Thöne 2013, S. 137. Schmitz 2013, S. 133; vgl. Erbele-Küster 2009, S. 7. Vgl. Eltrop 2013, S. 126. Vgl. Buber 1994, S. 83; vgl. Landgraf/Metzger 2011, S. 14; vgl. Maurer 2012, S. 49; vgl. Utzschneider 2007, S. 218f.; vgl. Schmitz 2013, S. 129.

4

Überlegungen zu den Rezeptionsvoraussetzungen der Schüler_innen

Bevor es in den anschließenden Kapiteln zur Analyse der Präsentation der Exodus-Erzählung durch die einzelnen Lehrkräfte und die diesbezügliche Interaktion zwischen ihnen und den Schüler_innen kommt, soll sich im Folgenden zunächst der Frage gewidmet werden, von welchen kognitions- bzw. entwicklungspsychologischen Voraussetzungen der Schüler_innen hinsichtlich der Rezeption biblischer Texte auszugehen ist. Auch wenn die diesbezüglichen Forschungsergebnisse keine Rückschlüsse auf individuelle Entwicklungsverläufe erlauben, sondern idealtypische bzw. modellhafte Verläufe darstellen, bieten sie einen ersten Orientierungsrahmen bei der Einordnung der Beobachtungen in den anschließenden Analysen. So soll zunächst ein Einblick in die Theorien zur kindlichen Entwicklung der Kompetenz erfolgen, Realität und Fiktion zu unterscheiden. Dann werden Erkenntnisse zur Entwicklung eines Bewusstseins von Geschichte (Historie) dargelegt, bevor schließlich auf Ergebnisse zu den Voraussetzungen zur Rezeption biblischer Erzählungen eingegangen werden wird.

4.1

Unterscheidung von Realität und Fiktion »Finding realities amidst their many guises is one of our most important cognitive tasks.« [Woolley/Wellman 1990, S. 946]

Die Fähigkeit, zwischen Realität einerseits und »Nicht-Realitäten« wie Imagination und Träume (»mentality«/»fantasy«), Fiktion (»fiction«) und Schein (»appearance«) andererseits unterscheiden zu können, ist für den Menschen eine grundlegend notwendige, um sich seine Umwelt zu erschließen und sich in ihr zurechtzufinden.507 Bereits im frühen Kindesalter wird er – so Woolley und 507 Vgl. Cox Vaden/Woolley 2011, S. 1120; vgl. Sharon/Woolley 2004, S. 293; vgl. Woolley/Ma/ Lopez-Mobilia 2011, S. 538; vgl. Woolley/Wellman 1990, S. 946.

102

Überlegungen zu den Rezeptionsvoraussetzungen der Schüler_innen

Wellman – mit der Notwendigkeit einer solchen Entscheidung konfrontiert. »Finding realities amidst their many guises […] is also an everyday task facing young children, who must learn to eat real not plastic food, be cautious of real not toy animals, and distinguish events on television shows from events in the real world.«508 Eine besondere Rolle spielt die richtige Einordnung in die Kategorien real/nicht real, echt/ unecht, richtig/falsch, also im Prozess des Erschließens und (Kennen-)Lernens bisher unbekannter Sachverhalte.509 Während das Wissen über viele Dinge und Abläufe in der Welt durch direkte, eigene Erfahrungen (»firsthand expierience«) erlangt werden kann, gibt es eine ganze Reihe von Bereichen, in welchen wir auf Informationen aus anderen Quellen als den eigenen Erfahrungen zurückgreifen müssen, da uns diese (Wissens-)Bereiche nicht direkt zugänglich sind.510 Harris und Koenig geben hierzu folgendes Beispiel: »For example, to learn about the history of Ancient Rome or the deserts of Mauritania, we depend on assertions offered to us by other people rather than on our own firsthand observation.«511 Wird der Realitätsstatus (»reality status«) der zur Verfügung stehenden Informationsquelle bzw. deren Inhalte (z. B. mündliche Bezeugungen, schriftliche Quellen, oder audiovisuelle Medien) nicht korrekt eingeschätzt, besteht die Gefahr von Fehlinformationen und Missverständnissen.512 Hinsichtlich der Entwicklung der Fähigkeit zwischen Realität und Nicht-Realität zu unterscheiden, wurde lange Zeit angenommen, dass diese nicht wesentlich früher als zum Ende des Grundschulalters einsetzt.513 Maßgeblich unter Bezugnahme auf die Ergebnisse der Forschungsarbeit Piagets514 wurde im Sinne einer Theorie des Kindes als »credulous being«515 davon ausgegangen, dass dieses neuen Informationen unkritisch und »leichtgläubig« gegenüberstehe.516 So konstatiert Piaget in seinen Überlegungen zur Weltbildentwicklung, dass Kinder bis zu diesem Zeitpunkt nicht (sicher) systematisch zwischen der Realität und den nicht-realen Zuständen wie Fiktion und anderen mentalen Konstrukten (»mental phenomena«517) differenzieren könnten.518 Eine

508 Woolley/Wellman 1990, S. 946. 509 Vgl. Van Reet/Pinkham/Lillard 2015, S. 88. 510 Vgl. Harris 2013, S. 33f.; vgl. Harris 2012, S. 173; vgl. Harris et al. 2006, S. 76; vgl. Harris/ Koenig 2006, S. 505; vgl. Lopez-Mobilia/Woolley 2016, S. 486; vgl. Tullos/Woolley 2009, S. 101; vgl. Woolley/Ma/Lopez-Mobilia 2011, S. 538. 511 Harris/Koenig 2006, S. 505. 512 Vgl. Shtulman/Carey 2007, S. 1015; vgl. Woolley/Cox 2007, S. 681. 513 Vgl. Sharon/Woolley 2004, S. 293; Van Reet/Pinkham/Lillard 2015, S. 88; vgl. Woolley/Van Reet 2006, S. 1778; vgl. Woolley/Wellman 1990, S. 946. 514 Siehe hierzu Piaget 1980. 515 Gilbert 1991, S. 111. 516 Vgl. Sharon/Woolley 2004, S. 293; Van Reet/Pinkham/Lillard 2015, S. 88; vgl. Woolley/Van Reet 2006, S. 1778; vgl. Woolley/Wellman 1990, S. 946. 517 Harris et al. 1991, S. 105.

Unterscheidung von Realität und Fiktion

103

ganze Reihe von neueren entwicklungspsychologischen Untersuchungen, vor allem aus dem angloamerikanischen Raum, stellen dieses klassische Bild des Kindes jedoch in Frage. So können beispielsweise Woolley und Wellman zeigen, dass bereits Kinder im Alter von drei Jahren damit beginnen, den Terminus »real« (»real«/»really«) zu benutzen, um damit unterschiedliche Realitätsstatus (korrekt) zu markieren (z. B. »That’s real money but that’s not; those are playing money«, »you’re not really dead, we’re just playing«, »that ain’t a real skunk, that’s only in the book«, »I thought it was Monday when it really was Saturday«)519.520 Hinsichtlich der Unterscheidung von Gegenständen und deren realistisch-gestalteten Abbildungen (»Is this really and truly a banana or really truly a picture?«), von tatsächlichen und »als ob«-Tätigkeiten (»Am I really and truly brushing my teeth or am I pretending to brush my teeth?«) oder von realen Objekten und deren Repräsentation in Spielzeugform (»Is this really and truly a car, or really truly a toy?«) bestimmen auch sie den Realitätsstatus schon überwiegend korrekt.521 Weitere Untersuchungen auf diesem Gebiet u. a. zur Bestimmung des Realitätsstatus’ von realen und fiktiven Geschehnissen oder Personen bzw. Figuren kommen zu ähnlichen Ergebnissen.522 Zwar ist bei den Ergebnissen dieser Studien die Generalisierbarkeit durch Faktoren wie Experimentdesign, Stichprobengröße und -zusammensetzung eingeschränkt, doch zeigen sie, dass bereits Kinder im Vorschul- und frühen Grundschulalter in der Lage sind, zwischen verschieden Realitätsstatus zu unterscheiden. Trotz dabei auch zu beobachtenden fehlerhaften Einordnungen ist nicht von einer generellen Leichtgläubigkeit auszugehen.523 Zusätzlich zu der Frage, ab welchem Alter Kinder solche Unterscheidungen (korrekt) treffen können, wurde sich in der jüngeren Forschung zudem der Frage gewidmet, welche Faktoren die Zuordnungen eines Realitätsstatus beeinflussen.524 Eine Schlüsselrolle spielen nach Harris hier die Aussagen bzw. Bezeugungen (»testimony«) anderer Personen.525 »Apparently, in thinking about what exists, children are heavily influenced by what other people say.«526 Dies begründe sich – so u. a. Clément et al., Harris und Koenig oder Lane und Harris – vor allem darin, dass – wie oben bereits erwähnt – ein großer Teil des 518 Vgl. Piaget 1980, S. 107; siehe auch: Harris 2012, S. 133; Harris et al. 1991, S. 105; Sharon/ Woolley 2004, S. 293; Skolnick-Weisberg et al. 2013, S. 75f.; Sodian 2012, S. 389; Woolley/ Ghossainy 2013, S. 1496. 519 Woolley/Wellman 1990, S. 949f. 520 Vgl. ebd., S. 953, 957f. 521 Vgl. ebd., 955–957. 522 Siehe hierzu u. a.: Shtulman/Carey 2007; sowie Corriveau et al. 2009. 523 Vgl. Woolley/Ghossainy 2013, S. 1497f.; vgl. Woolley/Wellman 1993, S. 16. 524 Vgl. Woolley/Van Reet 2006, S. 1792. 525 Vgl. Harris 2012, S. 135. 526 Ebd.

104

Überlegungen zu den Rezeptionsvoraussetzungen der Schüler_innen

Wissens über die Welt nicht durch direkte eigene Erfahrungen erlangt werden könne, sondern Kinder wie auch Erwachsene auf die Bezeugungen von Informationspersonen angewiesen seien.527 In mehreren Experimenten konnten Harris und Corriveau bzw. Corriveau und Harris zeigen, dass bereits Kinder im Vorschulalter in ihrem Vertrauen auf solche Bezeugungen Unterschiede machen und die Aussagen bestimmter Personen denen anderer vorziehen.528 Ein erstes Auswahlkriterium ist ihren Ergebnissen zufolge die Vertrautheit bzw. Bindung des Kindes zu der Informationsperson. »A Person who has provided responsive and reassuring caregiving is regarded as trustworthy in the epistemic as well as the emotional domain.«529 So präferieren die untersuchten Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren ihre Mutter530 gegenüber einem Fremden und eine bekannte Lehrkraft bzw. Betreuungsperson gegenüber einer unbekannten.531 Mit dem Alter der Proband_innen werde dieser Faktor jedoch durch einen weiteren außer Kraft gesetzt bzw. überlagert. Harris und Corriveau stellen fest, dass die Exaktheit (»accuracy«) der vorangegangenen Äußerungen der Informationspersonen das Vertrauen auf deren Informationen bei älteren Kindern beeinflusst, und dies unabhängig von der generellen Vertrautheit mit dieser Person geschehe. »Children may notice that in some epistemic domains, an attachment figure is less accurate than someone with whom they have no history of attachment. Our findings suggest that in such cases, children will increasingly opt for the more accurate informant.«532 Zu diesem Ergebnis, dass die Glaubhaftigkeit einer Informationsperson an der Richtigkeit ihrer bisherigen Äußerungen bemessen wird, kommen auch Clément et al. In den Ergebnissen ihrer Studie zeigt sich aber, dass diese Präferenz nur gilt, wenn die Aussage der als zuverlässig oder glaubhaft eingestuften Person (»reliable informant«) nicht dem widerspricht, was dem Kind durch eigene Erfahrung bereits bekannt ist.533 Auch Harris et al. untersuchten den Einfluss von Äußerungen anderer auf die Zuordnung des Realitätsstatus durch Kinder im Alter von vier bis acht Jahren. Sie schlussfolgern: »Children may sometimes resist testimony if it is in conflict with the intuitive concept that they have elaborated on the basis of their own prior observations.534 Ein letzter hier anzuführender Aspekt, der die Glaubhaftigkeit einer Informationsperson für Kinder im Vor- und 527 Vgl. Cl8ment/Koenig/Harris 2004, S. 360f.; vgl. Harris 2007, S. 135; vgl. Harris/Koenig 2006, S. 505; vgl. Lane/Harris 2015, S. 919. 528 Siehe hierzu Corriveau/Harris 2009; sowie Harris/Corriveau 2011. 529 Harris/Corriveau 2011, S. 1181. 530 Dies gilt nur, insofern die Kinder eine sichere Bindung zu ihrer Mutter haben. Vgl. Harris/ Corriveau 2011, S. 1180f. 531 Vgl. Harris/Corriveau 2011, S. 1180f.; vgl. Corriveau/Harris 2009, S. 431. 532 Harris/Corriveau 2011, S. 1185; vgl. auch Harris 2007, S. 138. 533 Vgl. Cl8ment/Koenig/Harris 2004, S. 373; siehe hierzu auch Lopez-Mobilia/Woolley 2016. 534 Harris et al. 2006, S. 94f.

Unterscheidung von Realität und Fiktion

105

Grundschulalter beeinflusst, ist der der Expertise. Lane und Harris fanden in ihrer Untersuchung mit Kindern im Alter von drei bis acht Jahren u. a. heraus, dass diese ihr Vertrauen auf die Aussagen von Informationspersonen nach deren (offensichtlicher bzw. vorgegebener) Expertise in der jeweiligen Wissensdomäne abhängig machten.535 «Children of all ages were more trusting of claims made by informants with relevant, as opposed to irrelevant, expertise.«536 Einige Forscher_innen gehen ferner von indirekten Einflussfaktoren aus, also impliziten Hinweisen, die sich nicht direkt an das Kind richten.537 So stellen Harris und Koenig die These auf, dass die Art, wie von potentiellen Informationspersonen über bestimmte Erscheinungen oder Sachverhalte gesprochen wird, für die Einschätzung des Kindes ausschlaggebend sein könnte. Während beispielsweise beim Sprechen über Bakterien oder Sauerstoff deren reale Existenz nicht explizit bezeugt (z. B. »There really are germs.«, »I believe in oxygen.«), sondern zumeist implizit vorausgesetzt werde (»Throw that away – it has germs«, »He needs oxygen to breathe.«), sei dies bezüglich des Sprechens über den Weihnachtsmann oder Gott häufig der Fall.538 Harris und Koenig schließen daraus, dass Markierungen des (persönlichen) Glaubens oder die explizite Beteuerung der Existenz nur in Bezug auf bestimmte Erscheinungen als Signal aufgefasst werden könnten, »[…] that the existence of such special beings is not altogether beyond doubt«.539 Im Gegenzug sei das Sprechen ohne jegliche expliziten Hinweise auf die reale Existenz des Besprochenen (»talk in a matter-offact fashion«) ein impliziter Hinweis (»presupposition«) auf eben diese.540 In ihrer Untersuchung zur Sensibilität von Kindern im Alter von drei bis neun Jahren für solche impliziten Hinweise können Woolley, Ma und LopezMobilia zeigen, dass Kinder bereits im Alter von fünf Jahren auf diese Form der Hinweise auf den Realitätsstatus reagieren: »[…] young children by the age of 5 are sensitive to implicit cues to reality status that are present in others’ conversations […]«.541 Diese Sensibilität wachse mit dem Alter der Proband_innen.542 Erst im Alter von neun Jahren sei zu beobachten, dass – wie von Harris und Koenig vermutet – explizite Glaubens- bzw. Überzeugungsbekundungen der Existenz des den Proband_innen unbekannten Wesens (»I believe in galahs«) durch diese Art der Formulierung Zweifel an dessen Realität evozieren (»As one 535 Vgl. Lane/Harris 2015, S. 919, 924. 536 Ebd., S. 919. 537 Vgl. Canfield/Ganea 2014, S. 270f.; vgl. Harris 2012, S. 136, 145, 148; vgl. Harris/Corriveau 2014, S. 32–35; vgl. Woolley/Ma/Lopez-Mobilia 2011, S. 539f. 538 Vgl. Harris/Koenig 2006, S. 520; siehe auch Harris/Corriveau 2014, S. 34. 539 Harris/Koenig 2006, S. 520. 540 Vgl. Harris/Koenig 2006, S. 520; vgl. auch Harris/Corriveau 2014, S. 34; sowie Woolley/Ma/ Lopez-Mobilia 2011, S. 539. 541 Woolley/Ma/Lopez-Mobilia 2011, S. 550. 542 Vgl. ebd., S. 549.

106

Überlegungen zu den Rezeptionsvoraussetzungen der Schüler_innen

9-year old explained, ›You can tell they’re not real, because they said »I believe«, you know like »I believe in monsters«‹«.«543).544 Einfluss auf das Realitätsurteil von Kindern wird auch dem Kontext zugesprochen, in welchem neue, bisher unbekannte Geschehnisse, Erscheinungen oder Personen kennengelernt werden.545 Woolley und Van Reet stellen in ihrer Untersuchung mit Proband_innen im Alter von drei bis sechs Jahren fest, dass die Art des Informationskontexts (»fantastical« oder »scientific«), in welchem den Proband_innen bisher unbekannte, von den Forscherinnen erdachte, Wesen (»novel entities« z. B. »Surnits«) präsentiert werden, Einfluss auf deren Urteil über die reale Existenz dieser Wesen habe. So bewerten die Proband_innen das unbekannte Wesen signifikant häufiger als real, wenn es ihnen im Kontext einer wissenschaftlichen Erklärung vorgestellt wird (z. B. »Scientists like to try to catch them. Surnits are usually medium sized. Scientists collect surnits«) statt in einem fantastischen Kontext.546 Dabei zeige sich außerdem, dass dieser Einbezug kontextueller Hinweise in das Urteil über den Realitätsstatus mit dem Alter zunehme. »It is clear form the present studies that young children use the context surrounding the presentation of novel information to make inferences about the real versus fantastical nature of the entities they encounter, and that this ability develops during the preschool years.«547 Van Reet, Pinkham und Lillard können diesen Einfluss auch bei älteren Proband_innen (Zehnjährige und 18–21-Jährige) nachweisen, sofern es sich bei den rahmenden Erläuterungen um detaillierte, sich auf einen (natur-)wissenschaftlichen Kontext beziehende, Erklärungen handele (»elaborate descriptions« statt »simple descriptions«).548 »In other words, a little bit of seemingly authentic information – true or not – appears to go long way in influencing beliefs.«549 Ein ähnlicher Effekt des Kontextes auf das Realitätsurteil lässt sich auch in den Studien von Corriveau et al. sowie Corriveau und Harris beobachten, in welchen der Einfluss von realistischen und phantastischen Erzählungen auf die Einschätzung des Realitätsstatus einer darin enthaltenen, den Proband_innen unbekannten, Figur bzw. Person untersucht wurde. Die älteren Proband_innen (Fünf- bis Sechs- bzw. Siebenjährige) zeigen in ihren Bewertungen für die Forschenden eine Orientierung an der Art der Erzählung. Sie kategorisieren die 543 Woolley/Ma/Lopez-Mobilia 2011, S. 550. 544 Vgl. ebd., S. 549–551. 545 Vgl. Corriveau et al. 2009, S. 214f.; vgl. Corriveau/Harris 2015, S. 77; vgl. Lane/Harris 2015, S. 8; Van Reet/Pinkham/Lillard 2015, S. 88; vgl. Woolley/Cornelius 2013, S. 68ff.; vgl. Woolley/Ghossainy 2013, S. 1502; vgl. Woolley/Van Reet 2006, S. 1779f. 546 Vgl. Woolley/Van Reet 2006, S. 1785, 1791. 547 Ebd., S. 1792. 548 Vgl. Van Reet/Pinkham/Lillard 2015, S. 93. 549 Ebd., S. 94.

Genese und Entwicklung von Geschichtsbewusstsein

107

Person im realistischen Kontext signifikant häufiger als real und diejenigen im phantastischen Kontext signifikant häufiger als nicht real (»pretend«).550 In den hierzu eingeforderten Begründungen verweisen sie zudem überdurchschnittlich oft entweder auf die als realistisch oder unrealistisch beurteilten Geschehnisse.551 Diese Ergebnisse der neueren Entwicklungs- und Kognitionspsychologie zeigen, dass bereits Kinder im Vorschul- und frühen Grundschulalter zwischen verschiedenen Realitätsstatus differenzieren können, sodass (zumindest) die Voraussetzung für die korrekte Einordnung neuer Informationen in Kategorien wie real oder nicht-real bzw. fiktiv gegeben scheint. Ersichtlich wird aber auch, dass Kinder – sofern sie nicht bereits über ein sicheres, eigenes Wissen in dem entsprechenden Bereich verfügen – für solche Entscheidungen bestimmte Hinweise heranziehen und durch Faktoren wie Stellungnahmen von potentiellen Informationspersonen, deren wahrgenommene Glaubhaftigkeit, implizite Hinweise in Äußerungen anderer sowie Kontextbedingungen beeinflusst werden bzw. werden können. »It appears, that children are astute listeners who register the tacit ontological signals that are embedded in what they are told.«552

4.2

Genese und Entwicklung von Geschichtsbewusstsein »Man kann sogar behaupten, daß wir überhaupt noch nicht wissen, wie das Kind sich die nicht selbst erlebte Vergangenheit vorstellt, d. h. all das, was in der Vergangenheit hinter die persönliche Erinnerung zurückgeht.« [Piaget 1999, S. 118]

Ein weiterer Aspekt entwicklungs- und kognitionspsychologischer Voraussetzungen, der für diese Arbeit zu berücksichtigen ist, ist das kindlichen Verständnis von Geschichte. Da biblische Erzählungen wie die des Exodus’ zahlreiche historische Verweise enthalten, ihre Inhalte in einer weit zurückliegenden Vergangenheit verortet sind und nach der Einschätzung Bergs häufig als historische Tatsachenberichte präsentiert werden553, erscheint es sinnvoll, sich mit der Frage auseinander zu setzten, über welches Konzept von Geschichte (Historie) Kinder im Grundschulalter verfügen. Als ihr zentraler Erkenntnisgegenstand wird dieses Konzept unter dem Begriff des Geschichtsbewusstseins seitens der Geschichtsdidaktik theoretisch verhandelt und erforscht.554 Der Blick in die 550 551 552 553 554

Vgl. Corriveau et al. 2009, S. 217, 222; vgl. Corriveau/Harris 2015, S. 79. Vgl. Corriveau et al. 2009, S. 218; vgl. Corriveau/Harris 2015, S. 80. Harris 2012, S. 151. Vgl. Berg 1993, S. 32. Vgl. Jeismann 1988, S. 9.

108

Überlegungen zu den Rezeptionsvoraussetzungen der Schüler_innen

Forschungsgeschichte der vergleichsweise jungen Disziplin zeigt eine Vielfalt an Definitionen dieses Bewusstseins. So konstatiert Pandel bereits vor fast fünfundzwanzig Jahren, dass es »[…] beinahe so viele […]« Definitionen gebe, »[…] wie es Historiker gibt«.555 Und auch noch 15 Jahre später erklärt Pape in ihrer rückblickenden Analyse bestehender Konzeptionen, dass »es der Geschichtstheorie bis heute noch nicht gelungen [ist], eine konsensfähige Definition zu generieren«.556 Ein Konsens lässt sich darin ausmachen, dass mit Geschichtsbewusstsein eine »mentale Struktur« beschrieben wird, welche die temporalen Dimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sinnbildend in Relation setze.557 In Anbetracht dieser Vielfalt konzeptioneller Bestimmungen von Geschichtsbewusstsein wird sich hier für eine grundlegende Orientierung auf eine Auswahl von klassischen Theorien und einige Überlegungen der aktuellen Forschungsdiskussion beschränkt. Einer der frühen Definitionen des Begriffs des Geschichtsbewusstseins als Leitkategorie der Geschichtsdidaktik stammt von dem Historiker Jeismann. Er bestimmt diesen »in einem sehr allgemeinen Sinne als das Insgesamt der unterschiedlichen Vorstellungen von und Einstellungen zur Vergangenheit«.558 Diese individuellen und bzw. oder kollektiven Vorstellungen würden ausgehend von der jeweils erlebten Gegenwart gebildet und könnten sowohl auf Grundlage konkreten Wissens (»Inhalte«) als auch basierend auf spezifischen Interpretationen (»Denkfiguren«) entstehen.559 Für Jeismann ist dabei das kollektive wie das individuelle Geschichtsbewusstsein ein dynamisches Konstrukt, welches sich durch verschiedenste Einflussfaktoren (z. B. wissenschaftliche Erkenntnisse, persönliche Erfahrungen, mediale Darstellungen usw.) verändere.560 Den Prozess der Ausbildung der Vorstellungen von Vergangenheit gliedert Jeismann in drei Schritte bzw. Dimensionen: Analyse, Sachurteil und Wertung.561 Den ersten Schritt bilde eine historische Sachanalyse, in welcher sich durch die Rekonstruktion historischer Prozesse und Zusammenhänge ein grundlegender Überblick über den jeweiligen Sachverhalt verschafft werde, bevor auf Grundlage dieser im zweiten Schritt eine deutende Einordnung und Interpretation vor einem größeren historischen Bezugsrahmen erfolge (historisches Sachurteil).562 Im dritten Schritt würden die bisher generierten Erkenntnisse über den historischen Sachverhalt und dessen 555 Pandel 1993, S. 725. 556 Pape 2008, S. 46. 557 Vgl. Pape 2008, S. 46; vgl. Pandel 1991, S. 3; siehe auch: Köbl 2004, S. 21; Rüsen 2008, S. 61; Schieder 1974, S. 78f. 558 Jeismann 1977, S. 12f. 559 Vgl. Jeismann 1980, S. 188, 193; siehe auch Baumgärtner 2015, S. 32. 560 Vgl. Jeismann 1980, S. 193; siehe auch Baumgärtner 2015, S. 32. 561 Vgl. Jeismann 1988, S. 204ff.; vgl. Jeismann 1980, S. 207; Siehe auch Baumgärtner 2015, S. 33. 562 Vgl. Jeismann 1980, S. 207.

Genese und Entwicklung von Geschichtsbewusstsein

109

Gewichtung auf die Gegenwart bezogen und nach der Bedeutung (individuelle, gesellschaftlich etc.) für diese wie auch für die Zukunft gefragt (historisches Werturteil).563 Das sich auf diese Weise konstituierende Geschichtsbewusstsein bildet für Jeismann so den »Zusammenhang von Vergangenheitsdeutung, Gegenwartsverständnis und Zukunftsperspektive«.564 Der Geschichtstheoretiker Rüsen setzt bei seinen Überlegungen zur Konzeption von Geschichtsbewusstsein bei dessen Funktion für den einzelnen Menschen, das Individuum an. »Die Vergangenheit wird erinnernd so vergegenwärtigt, daß gegenwärtige Lebensverhältnisse verstanden und Zukunftsperspektiven der Lebenspraxis entworfen werden können.«565 Das Geschichtsbewusstsein umfasst dabei nach Rüsen die mentale Operation der »Sinnbildung über Zeiterfahrung« und kann so eine Orientierungsfunktion erfüllen.566 Erst durch die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sei es dem Menschen möglich, »die gegenwärtige Welt in ihrer zeitlichen Dimension« zu begreifen, um dann das eigene Selbstverständnis vor diesem Hintergrund reflektieren, lebenspraktische Handlungsorientierung gewinnen und eine (historische) Identität ausbilden zu können.567 Diese mentalen Operationen, in denen ausgehend von der Gegenwart Erlebnisse der Vergangenheit gedeutet und daraus Schlussfolgerung für die Zukunft gezogen werden, finden – so Rüsen – im Medium der Erinnerung statt, welches sich wiederum in historischem Erzählen manifestiere.568 »Das Erzählen bezieht Zeit als Erfahrung der Veränderung des Menschen und seiner Welt und Zeit als Erwartung und Hoffnung solcher Veränderung so aufeinander, daß sich der Mensch gleichsam im Fluß der Zeit einrichten kann, daß er in ihm nicht untergehen muß […], sondern sich behaupten und gewinnen kann.«569

Rüsen hebt damit in seiner Definition die narrative Struktur der Entwicklung von Geschichtsbewusstsein hervor. Eine dritte Definition, die des Geschichtsdidaktikers Pandel, wurde für diese Einführung in den Begriff des Geschichtsbewusstsein ausgewählt, da sie zu den ersten gehört, die durch die Operationalisierung der mentalen Strukturen, also der Aufspaltung in beobachtbare Teilkomponenten, eine empirische Erforschung der Entstehung bzw. Entwicklung des Geschichtsbewusstseins ermögVgl. Baumgärtner 2015, S. 33. Jeismann 1997, S. 42. Rüsen 2008, S. 61. Vgl. Rüsen 2008, S. 61; vgl. Rüsen 1983, S. 51. Rüsen 1997a, S. 38; vgl. Rüsen 2008, S. 61; vgl. Rüsen 1997b, S. 58f.; siehe auch Baumgärtner 2015, S. 38. 568 Vgl. Rüsen 2008, S. 61f., vgl. Rüsen 1997a, S. 38; vgl. Rüsen 1997b, S. 57. 569 Rüsen 1997b, S. 58.

563 564 565 566 567

110

Überlegungen zu den Rezeptionsvoraussetzungen der Schüler_innen

licht.570 »Auf das einzelne Individuum bezogen ist Geschichtsbewußtsein eine individuelle mentale Struktur, die durch ein System von sieben aufeinander verweisenden Doppelkategorien gebildet wird.«571 Pandel gliedert diese sieben in drei konstitutive »Basiskategorien« (»Temporalbewußtsein (früher – heute/ morgen)«, »Wirklichkeitsbewußtsein (real – imaginär)«, »Historizitätsbewußtsein (statisch – veränderlich)«) sowie vier »soziale Kategorien«, welche die gesellschaftliche Dimension des Geschichtsbewusstseins repräsentierten (»Identitätsbewußtsein (wir – ihr/sie)«, »politisches Bewußtsein (oben – unten)«, »ökonomisch-soziales Bewußtsein (arm – reich)«, »moralisches Bewußtsein (richtig – falsch)«).572 Die Entwicklung dieses als »kognitives Bezugssystem« bezeichneten mentalen Konstrukts aus den genannten sieben Kategorien beginne – so Pandel – mit dem Spracherwerb und erfahre im Laufe der Zeit weitere bzw. immer feinere Ausdifferenzierungen.573 Das von Pandel formulierte Konzept von Geschichtsbewusstsein ist im Forschungsdiskurs hinsichtlich der Beschränkung auf diese sieben Kategorien nicht unumstritten geblieben. So hält beispielsweise Bergmann die Ergänzung einer achten Kategorie, der des »Geschlechtsbewusstseins« (»Verhältnis der Geschlechter«) für sinnvoll, und Sauer weist auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung des Bewusstseins über die Perspektivität von historischer Wahrnehmung und Überlieferung hin.574 Pape geht in ihrer auf Pandels Konzeption basierenden Definition unter Bezugnahme auf Straub575 zudem darauf ein, dass in den meisten bestehenden Beschreibungen von Geschichtsbewusstsein lediglich die sinnhafte Verknüpfung der temporalen Dimensionen auf einer horizontalen Ebene bedacht würde (Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft), aber auch die Erschließung vertikaler Zeitzusammenhänge (Vergangenheit – Vergangenheit; Gegenwart – Gegenwart; Zukunft – Zukunft) für ein umfassendes Konzept erforderlich sei.576 Als ein weiteres für das Geschichtsbewusstsein konstitutives Element führt Pape das historische Wissen an, auf dessen Bedeutung Rüsen zwar bereits Ende der 1990er verweise,577 dieses aber »[…] als ein Fundament für die Bildung von Sinnzusammenhängen zwischen den Zeitdimensionen […]« in den bestehenden theoretischen Konzeptionen nur vereinzelt Erwähnung finde.578 Trotz der je unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen bei dem Versuch, das Konstrukt des Vgl. Baumgärtner 2015, S. 36; vgl. Pape 2008, S. 53. Pandel 1991, S. 3. Vgl. Pandel 1991, S. 3f.; vgl. Pandel 1987, S. 132. Vgl. Pandel 1991, S. 3. Vgl. Bergmann 2015, S. 19f, 23; vgl. Sauer 2003, S. 17. Siehe hierzu Straub 1998. Vgl. Pape 2008, S. 61. »Das historische Wissen stellt […] einen wesentlichen Teil des Geschichtsbewußtseins dar, und es spielt eine wichtige Rolle im Prozess des historischen Lernens.«, Rüsen 1987, S. 16. 578 Vgl. Pape 2008, S. 63; vgl. Köbl 2004, S. 27.

570 571 572 573 574 575 576 577

Genese und Entwicklung von Geschichtsbewusstsein

111

Geschichtsbewusstseins in eine Definition zu fassen, lässt sich dennoch weitestgehende Übereinstimmung bezüglich der Annahme feststellen, dass es sich um eine mehrdimensionale, veränderliche also dynamische mentale Struktur handelt, die der Auseinandersetzung mit den temporalen Dimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugrunde liegt. Welche Erkenntnisse liefert die Forschung nun hinsichtlich der Entwicklung dieses Geschichtsbewusstseins speziell bei Kindern im Grundschulalter? Die Analyse der Forschungslage im deutschsprachigen Raum ergibt eine vergleichsweise schmale Basis von diesbezüglichen empirischen Untersuchungen. So konstatiert Pape in ihrer 2008 veröffentlichten Forschungsarbeit zur Entwicklung von Geschichtsbewusstsein: »Studien zur Ontogenese von Geschichtsbewusstsein im Kindesalter sind weder besonders zahlreich noch umfassend oder systematisch angelegt, die entwicklungspsychologische und geschichtsdidaktische Grundlagenforschung ist defizitär«.579 Auch Köbl kommt in seinem umfangreichen Forschungsüberblick zu diesem Schluss und weist außerdem kritisch darauf hin, dass diese Feststellung keineswegs neu sei, sondern »[…] in beeindruckender Regelmäßigkeit seit Jahren und Jahrzehnten in geringfügigen Variationen wiederholt […]« werde.580 Eine der ersten empirischen Studien, deren Proband_innengruppe auch Kinder im Grundschulalter umfasst, stammt von Sonntag.581 Aus den Ergebnissen seiner Untersuchung von 100 Proband_innen aus der ersten Klasse der »Volksschule« bis zur letzten der »höheren Schule« leitet er eine Entwicklung des Bewusstseins von Geschichte in vier Phasen ab, welche die Proband_innen mit zunehmendem Alter durchlaufen, wobei die Übergänge zwischen ihnen fließend sein können.582 Bis zum 11. bzw. 12. Lebensjahr befinden sich Kinder – so Sonntag – auf der ersten Entwicklungsstufe. Im Zeitraum von Schuleintritt bis zu dieser Altersstufe entwickele das Kind über die Unterscheidung von gestern und heute, die zunehmende Differenzierung von Wirklichkeit und »Märchen« und über die Wahrnehmung einer Gliederung der Zeit (z. B. durch Jahreszeiten, 579 Pape 2008, S. 30. 580 Köbl 2004, S. 42; Köbl führt zum Beleg seiner Feststellung u. a. die Äußerungen folgender Forscher an: »Kaum aber beschäftigte sich die Forschung mit der Bedeutung von Geschichtsbildern und historischem Wissen […] Der durchaus unbefriedigende Stand der Forschung am Anfang der sechziger Jahre […] ist bisher nicht überholt worden«, Friedeburg/ Hübner 1970, S. 4; »Seit dem Aufbruch der Geschichtsdidaktik in den frühen siebziger Jahren hat die empirische Erforschung von Geschichtslernen und Geschichtsbewußtsein mit den übrigen Arbeitsgebieten nicht Schritt gehalten.«, Borries/Pandel/Rüsen 1991, S. V; »Unangesehen einer reichhaltigen, zumeist psychologischen Literatur zur ontogenetischen und historischen Entwicklung mentaler Kompetenzen ist unser Wissen über die Ontogenese des Geschichtsbewußtseins sehr gering«, Rüsen 2001, S. 11. 581 Sonntag, Kurt (1932): Das geschichtliche Bewußtsein des Schülers: ein Beitrag zur Bildungspsychologie. Erfurt: Stenger. 582 Vgl. Sonntag 1932, S. 18, 74.

112

Überlegungen zu den Rezeptionsvoraussetzungen der Schüler_innen

Feiertage etc.) erste Ansätze eines historischen Bewusstseins, wobei die Tiefendimension der Vergangenheit noch nicht erfasst werde.583 In den folgenden Jahrzehnten veröffentlichen Roth584 und Küppers585 jeweils eine Untersuchung zum »geschichtlichen Bewußtsein«,586 deren Ergebnisse – trotz zunehmender Kritik an methodischer Durchführung und theoretischen Grundlegungen – für curriculare Überlegungen auch in der Primarstufe herangezogen wurden.587 Wie Sonntag beschreiben auch sie eine Bewusstseinsreifung über verschiedene »Stufen«, die mit dem Lebensalter verknüpft sind.588 Roth sieht in dem kindlichen Interesse und seiner Beschäftigung mit Märchen den Einstieg in die Auseinandersetzung mit Geschichte, da durch sie (»Es war einmal…«) ein Bewusstsein »[…] der Trennung der erlebten Welt in eine solche, die ist und in der man lebt, und in eine solche, die war und in die man sich hineinversetzt [,]« geschaffen werde.589 Im Zuge der sogenannten realistischen Wendung, die Roth frühestens im Alter von sieben bzw. acht Jahren überwiegend aber im neunten bzw. zehnten Lebensjahr verortet, beginne das Kind nach der historischen Wahrheit zu fragen.590 Ein »höheres Geschichtsverständnis« bilde sich auf dieser Grundlage erst in der (Früh-)Pubertät aus. Ab dieser Altersstufe entwickele sich ein Bewusstsein für »geschichtliches Werden«, historische Zusammenhänge und Motive.591 Küppers schreibt Kindern im Grundschulalter ein noch »märchenhaft-mythisches« Geschichtsbild zu. »Geschichte ist das räumlich und zeitlich ganz Ferne, etwas von ›ganz früher‹.«592 Die Vergangenheit erfahre keine tiefergehende Strukturierung, und Zusammenhänge zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem würden noch nicht hergestellt.593 Auch in ihrem Stufenmodell bildet sich ein umfassenderes Bewusstsein von Geschichte, welches beispielsweise eine Tiefengliederung der Vergangenheit sowie das Erkennen von Sinnzusammenhängen zwischen den einzelnen temporalen Dimensionen (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) ermöglicht, erst ab dem Jugendalter (7.–12. Jahrgangsstufe).594

583 584 585 586 587 588 589 590 591 592 593 594

Vgl. Sonntag 1932, S. 75–80. Siehe hierzu Roth 1968. Siehe hierzu Küppers 1966. Roth 1968, S. 62. Vgl. Köbl 2004, S. 62, 65; vgl. Pape 2008, S. 13. Vgl. Roth 1968, S. 63–90; siehe auch Küppers 1966, S. 41, 123. Roth 1968, S. 69. Vgl. ebd., S. 70f. Vgl. ebd., S. 82f. Küppers 1966, S. 41. Vgl. ebd., S. 41, 122. Vgl. ebd., S. 123.

Genese und Entwicklung von Geschichtsbewusstsein

113

Erst dreißig Jahre nach dieser Studie Küppers und immerhin fast zwanzig Jahre, nachdem die Geschichtsdidaktik das Geschichtsbewusstsein als ihren zentralen Erkenntnisgegenstand formuliert, wird mit der Untersuchung El Darwichs in Zusammenarbeit mit Pandel der nächste Versuch einer näheren Bestimmung des kindlichen Bewusstseins von Geschichte unternommen.595 El Darwich untersucht dieses – ebenso wie der überwiegende Teil der »neueren« Studien im deutschsprachigen Forschungsraum zum Geschichtsbewusstsein von Kindern im Grundschulalter – ausgehend von den konzeptionellen Überlegungen Pandels.596 Die folgende Darstellung der zentralen Ergebnisse beschränkt sich mit Blick auf die dieser Arbeit zugrundeliegenden Forschungsfrage auf das Temporalbewusstsein sowie das Wirklichkeitsbewusstsein, als zwei der drei von Pandel angeführten Basiskategorien des Geschichtsbewusstseins.597 In ihrer Untersuchung kann Pape zeigen, dass Kinder in der ersten Jahrgangsstufe zwischen den Zeitdimensionen Vergangenheit (»früher«, »damals«), Gegenwart (»heute«, »hier«, »jetzt«) und Zukunft (»später«, »bald«, »dann«, »morgen«) inhaltlich differenzieren können und damit beginnen »[…] chronologische Abfolgen im Zeitverlauf darzustellen«.598 Neben der überwiegenden Nutzung von unbestimmten Zeitausdrücken (»früher«, »damals« etc.) werden vereinzelt bereits bestimmte Epochenbezeichnungen verwendet (z. B. »Dinozeit«, »Steinzeit«, »Mittelalter«, »Ritterzeit«, »Zweiter Weltkrieg«).599 Konkrete Zeitangaben werden kaum und wenn, überwiegend fehlerhaft genutzt, was Pape auf den erst in Ansätzen entwickelten Zahlenbegriff zurückführt.600 Flock beobachtet zudem, dass einige der von ihr befragten Kinder historische Persönlichkeiten zur Orientierung in der Vergangenheit heranziehen (»Napoleon«, »Gott«, »Herkules«, »Jesus«, »Moses«, »Noah«, »Hitler«, »Martin Luther«).601 Beim Sprechen über die Vergangenheit nutzen die Schüler_innen – so Pape – überwiegend das Perfekt, über Gegenwart und Zukunft werde zumeist im Präsens gesprochen.602 Auch zum Ende der Grundschulzeit würden zur Differenzierung zwischen den drei zeitlichen Dimensionen weiterhin häufig unbestimmte temporale Ordnungsbegriffe verwendet.603 Nach Pape nimmt jedoch 595 Siehe hierzu El Darwich 1991; sowie Rüsen 1991. 596 Siehe hierzu u. a.: Beilner 2004a; Beilner 2004b; Schlundt 2004; Flock 2004; sowie Pape 2008. 597 Vgl. Pandel 1991, S. 3. 598 Pape 2008, S. 174, 201; vgl. ebd., S. 172, 179, 268. 599 Vgl. Pape 2008, S. 174; ebenso El Darwich 1991, S. 24; sowie Flock 2004, S. 66f. 600 Vgl. Pape 2008, S. 174. 601 Vgl. Flock 2004, S. 68; El Darwich stellt dies bei ihren Proband_innen dagegen kaum fest (»Hitler«, »Jesus«). Vgl. El Darwich 1991, S. 32. 602 Vgl. Pape 2008, S. 201. 603 Vgl. Pape 2008, S. 225, 268; siehe auch El Darwich 1991, S. 28.

114

Überlegungen zu den Rezeptionsvoraussetzungen der Schüler_innen

auch die Nutzung von historischen Großepochen zur zeitlichen Strukturierung zu, wobei diese in ihrer chronologischen Reihenfolge überwiegend korrekt bestimmt würden.604 Sie hebt hervor, dass die Sicherheit und Korrektheit der zeitlichen Einordnungen vergangener Ereignisse mit deren zunehmender Nähe zur Gegenwart steige.605 Jahreszahlen sowie Angaben zu Jahrhunderten werden von Kindern im vierten Schuljahr seltener und zumeist nicht zutreffend verwendet, je weiter das beschriebene Ereignis in der Vergangenheit zurückliege.606 Hinsichtlich der Frage nach dem Vorgehen der Schüler_innen bei der zeitlichen Einordnung und Strukturierung ermittelt Beilner drei Strategiekategorien. So werde zum einen nach Veränderungen bzw. Unterschieden im Vergleich zur Gegenwart, zum anderen nach bereits bekannten historischen Kontexten (»bestimmte Zustände, Ereignisse oder epochale Besonderheiten«) gesucht.607 Zum dritten sei zu beobachten, dass die Kinder bei bildlichen Darstellungen anhand von »zeitspezifische[n] Darstellungsformen oder -techniken« Rückschlüsse auf den Zeitpunkt der Entstehung dieser sowie, davon ausgehend, auch auf die zeitliche Einordnung des Dargestellten zögen.608 Diese Beobachtungen von Kindern im Grundschulalter zeigen, dass ein Zeitbewusstsein bereits zu Beginn der Schulzeit in Anfängen vorhanden ist und sich im Laufe der ersten vier Schuljahre ausdifferenziert, auch wenn – so Pape und El Darwich – zum Ende der Grundschulzeit noch kein vollständig ausgebildetes Zeitkonzept vorliege.609 Beide weisen jedoch darauf hin, dass der Grad der Ausdifferenziertheit des Zeitkonzepts von verschiedenen (Sozialisations-)Faktoren (z. B. schulischer Unterricht, außerschulische Anregungen, individuelles Interesse) abhinge, die (auch) unabhängig vom Alter der Kinder zu quantitativen und qualitativen Unterschieden hinsichtlich des Wissens über Zeit und der diesbezüglichen konzeptionellen Vorstellungen führten.610 Die im Zuge der Untersuchung des Wirklichkeitsbewusstseins geprüfte Fähigkeit der Schüler_innen zwischen realen und fiktiven Ereignissen und Personen, zwischen Geschichten und Geschichte unterscheiden zu können, ist bei Proband_innen der ersten Klassenstufe bereits zu beobachten, weist aber noch Schwächen und Unsicherheiten auf.611 Das Realitätsurteil werde – wie Pape beobachtet – (noch) vergleichsweise häufig in Abhängigkeit von der jeweiligen

604 605 606 607 608 609 610 611

Vgl. Pape 2008, S. 225, 227, 253. Vgl. ebd., S. 226, 253. Vgl. Pape 2008, S. 225; siehe auch El Darwich 1991, S. 31. Beilner 2004b, S. 205. Vgl. ebd. Vgl. Pape 2008, S. 272; vgl. El Darwich 1991, S. 31. Vgl. Pape 2008, S. 252f.; 272; vgl. El Darwich 1991, S. 31. Vgl. Pape 2008, S. 179, 181, 273; vgl. El Darwich 1991, S. 35.

Genese und Entwicklung von Geschichtsbewusstsein

115

Darstellungsweise der einzuordnenden Personen oder Ereignisse gefällt.612 So werde eine im Comicstil dargestellte historische Person als nicht real bewertet, ein realistischer Zeichenstil dagegen als Indiz für die historische Echtheit des Dargestellten herangezogen. Zudem werde in dieser Altersgruppe mangelndes oder bruchstückhaftes Wissen über den jeweiligen historischen Sachverhalt durch imaginierte Elemente kompensiert. Nichtsdestotrotz könnten bestimmte historische Epochen (z. B. »Steinzeit«, »Mittelalter«), soziale Gruppen oder Volksstämme (»Prinzessinen«, »Steinzeitmenschen«) und Ereignisse (»Kriege«, »Erfindungen«, »Untergang der Titanic«) bereits mit Sicherheit der »realen Vergangenheit« zugesprochen werden.613 Durch die steigende Orientierung an Indizien, wie Darstellungen in Sachbüchern, historische Relikte in Museen oder Erklärungen bzw. Erfahrungsberichte von Bezugspersonen (z. B. Großeltern) würden die Realitätsurteile zunehmend sicherer und korrekt getroffen.614 Als sprachliche Markierung dieser Einordnungen verwenden die Schüler_innen über alle Klassenstufen der Grundschule hinweg Formulierungen wie »Das gab’s/gibt’s (nicht)« oder »Das gab’s/gibt’s wirklich/echt«.615 Trotz der zu beobachtenden Ausdifferenzierung des Wirklichkeitsbewusstseins mit zunehmendem Alter der Proband_innen betont El Darwich, dass die Ausbildung diese Bewusstseins »[…] ein mühsamer Lernprozeß ist und sich individuell unterschiedlich entwickelt«.616 Hinsichtlich der Trennung von historischen und biblischen bzw. »religiösen« Inhalten zeigen sich sowohl in Papes Untersuchung als auch bei Flock Schwierigkeiten in allen Altersgruppen.617 So nennen die Proband_innen der vierten Jahrgangsstufe auf die Frage nach Assoziationen zum Begriff »Geschichte« sowohl historische Epochen (»Mittelalter«, »Bronzezeit«, »Eisenzeit«) als auch biblische Figuren und Begebenheiten (»Schöpfung«, »Arche Noah«, »Abraham«, »Jakob und Esau«, »Moses«, »Jesu Geburt«).618 Auch bei den jüngeren Schüler_innen sei diese Einordnung biblischer Inhalten in die als real bewertete Historie zu beobachten (z. B.: »Arche Noah gab’s wirklich.«619 ; »Früher hat Gott die Welt erschaffen«; »Früher gab’s Moses«; »Früher wurde die Arche gebaut von Noah«; aber auch: »Früher hatte der Hitler ’ne Synagoge in Brand gesetzt«; »Früher hat Napoleon mit allen Heeren gekämpft […]«620).621 Äuße612 613 614 615 616 617 618 619 620 621

Vgl. Pape 2008, S. 180. Vgl. ebd. Vgl. Pape 2008, S. 234; vgl. El Darwich 1991, S. 35. Vgl. Pape 2008, S. 180, 273; vgl. El Darwich 1991, S. 35f. El Darwich 1991, S. 36. Vgl. Pape 2008, S. 186, 237, 274; siehe auch Flock 2004, S. 69f. Vgl. Pape 2008, S. 202, 261. Pape 2008, S. 181. Flock 2004, S. 69. Vgl. Pape 2008, S. 158, 181, 186.

116

Überlegungen zu den Rezeptionsvoraussetzungen der Schüler_innen

rungen wie diese und die Versuche der Kinder, hinsichtlich der Entstehung der Erde die evolutionstheoretische und die biblische Perspektive miteinander zu verknüpfen, weisen – so Pape – »[…] auf die inhaltlich schwierige Differenzierung zwischen religiösen und historischen Begebenheiten« hin.622 Als Ursache für diese Beobachtungen benennt Pape »[…] die im Religionsunterricht als zumeist wahre Begebenheiten dargestellten biblischen Geschichten […]«.623El Darwich sieht den Religionsunterricht ebenfalls als kritischen Einflussfaktor auf das sich entwickelnde Geschichts- bzw. Wirklichkeitsbewusstsein, da er in der Grundschule einer der ersten Zugänge der Schüler_innen zur Geschichte sei, es den Kindern in seinem Kontext aber nicht »leicht« gemacht werde, Realität und Fiktion zu trennen.624 Und auch Rohrbach beschreibt in ihren Überlegungen zur Entwicklung des Wirklichkeitsbewusstseins von Kindern, dass diese »[…] aus dem Bereich der Religion […]« in ihrer Entwicklung eines solchen »irritiert« würden, ohne dies jedoch mit konkreten empirische Beobachtungen zu belegen.625 Ein letzter Aspekt, der in den angeführten Studien sowie in den konzeptionellen Überlegungen zum Geschichtsbewusstsein nicht bzw. nicht explizit aufgenommen wird, der aber für die Frage nach der Rezeption biblischer Erzählungen interessant ist, ist das Bewusstsein über den Unterschied zwischen Vergangenheit und Geschichte. In einem umfangreichen britischen Forschungsprojekt (CHATA – »Concepts of History and Teaching Approaches«) zu den Vorstellungen von Geschichte von Schüler_innen im Alter von sieben bis vierzehn Jahren wurde dieses Bewusstsein analysiert.626 Lee und Ashby können aus ihren Daten sechs verschiedene Konzepte zum Zusammenhang von historischer Darstellung und Vergangenheit ableiten. Als ein erstes Konzept, eine erste Entwicklungsstufe identifizieren die Forschenden die Annahme, einer generellen Equivalenz von »(hi)story« und »past« (»The past as given.«).627 Im weiteren Entwicklungsverlauf würden Unstimmigkeiten zwischen verschiedenen historischen Berichten zunächst mit dem fehlenden direkten Zugang zur Vergangenheit (»We can’t know – we weren’t there.«) und dann mit lückenhaftem Wissen über die zur Verfügung stehenden Informationen bzw. deren fehlerhafter Wiedergabe erklärt.628 In den darauffolgenden zwei Entwicklungsschritten werde die Rolle der Autor_innen der historischen Darstellung stärker berücksichtigt. Abweichungen würden nicht mehr mit fehlenden Informatio622 623 624 625 626 627 628

Pape 2008, S. 187; vgl. ebd., S. 237. Ebd., S. 237. Vgl. El Darwich 1991, S. 37. Vgl. Rohrbach 2009, S. 16, 52. Siehe hierzu Ashby/Lee/Dickinson 1997; sowie Lee/Ashby 2000. Vgl. Lee/Ashby 2000, S. 212. Vgl. ebd.

Genese und Entwicklung von Geschichtsbewusstsein

117

nen, sondern in einem ersten Schritt mit der Verzerrung dieser durch die Autor_innen begründet (»in the form of lies, bias exaggeration, dogmatism«).629 In einem zweiten Schritt werde dann erkannt, dass historische Darstellungen nicht einfach Repliken der Vergangenheit sind, sondern je nach Auswahl und Zusammenstellung der bestehenden Informationen durch die Autor_innen voneinander abweichen. »Stories are written (perhaps necessarily) form a legitimate position held by the author.«630 Auf der sechsten und letzten von Lee und Ashby ermittelten Entwicklungsstufe werde ein Bewusstsein über das Wesen von Geschichtsschreibung an sich, losgelöst von der Position und Informationsauswahl der jeweiligen Autor_innen, ausgebildet. Geschichtsschreibung ist Rekonstruktion von Vergangenheit abhängig von kriteriengeleiteten Fragestellungen (»It’s the nature of accounts to differ.«).631 In der Darstellung dieser Ergebnisse heben Lee und Ashby hervor, dass die einzelnen Entwicklungsschritte nicht generell einem bestimmten Alter der Schüler_innen zugeschrieben werden könnten. »At any given age student’s ideas about historical explanation differ widely : some eight-year-olds have more sophisticated ideas than most twelveor even fourteen-year-olds.«632 Des Weiteren betonen sie, dass sich die Geschichtskonzepte der Schüler_innen nicht aus sich selbst heraus entwickeln, sondern dass die Befunde ihrer Studie deutlich zeigten, dass der (Geschichts-) Unterricht und der Grad der seitens der Lehrkraft angeregten Reflexion von Vorstellungen über Geschichte diese Entwicklung beeinflussten (»[…] teaching changes pupils ideas«).633 Trotz der vergleichsweise geringen Zahl (aktueller) empirischer Studien zur Entwicklung des Geschichtsbewusstseins von Kindern im Grundschulalter wird ersichtlich, dass diese über Konzepte verfügen, die bereits sehr viel weiterentwickelt sind, als dies – in Anlehnung an altersgebundene Stufenmodelle wie das Piagets zur kognitiven Entwicklung – über lange Zeit (und teilweise bis heute) in geschichtsdidaktischen Überlegungen angenommen wurde.634 Vielmehr sprechen die gemachten Beobachtungen für eine bereichs- bzw. sogenannte domänenspezifische Entwicklung von entsprechenden kognitiven Fähigkeiten, die nicht strikt an konkrete Altersstufen gebunden ist und deren Fortschritt von dem zur Verfügung stehenden sachbezogenen Wissen abhängt.635 Auf Basis 629 630 631 632 633 634

Vgl. Lee/Ashby 2000, S. 212. Ebd. Vgl. ebd. Ebd., S. 213. Ebd., S. 214. Vgl. Bergmann 2015, S. 13f.; vgl. Bracke et al. 2014, S. 11; vgl. Krieger 2015, S. 33; vgl. Pape 2008, S. 368; vgl. Popp 2000, S. 8; vgl. Schreiber 2000, S. 9. 635 Vgl. Beilner 2004b, S. 204; vgl. Beilner 2000, S. 26; vgl. Holl-Giese 2004, S. 22; vgl. Krieger 2015, S. 45f. Der Gedanke, dass die Entwicklung des Niveaus der kognitiven Operationen nicht an feste Altersstufen gebunden ist, sondern von dem in bestimmten »Domänen«

118

Überlegungen zu den Rezeptionsvoraussetzungen der Schüler_innen

dieser Erkenntnisse schlussfolgern u. a. Lee und Ashby, Pape sowie Beilner, dass die Entwicklung der verschiedenen Bewusstseinsaspekte bei Kindern ausgehend von bei ihnen bereits bestehenden Konzepten und Wissensbeständen durch entsprechend angepasste »Lehrgänge« befördert werden können.636

4.3

Rezeption biblischer Texte »Kein Mensch kann die Worte der Tora verstehen, bevor er nicht darüber gestolpert ist.« [bGit 43a]637

Die entwicklungs- bzw. kognitionspsychologischen Voraussetzungen von Schüler_innen im Grundschulalter wurden bezüglich biblischer Texte in den bisher vorliegenden empirischen Studien vor allem hinsichtlich der Rezeption von neutestamentlichen Wundererzählungen und Gleichnissen untersucht.638 Eine der ersten empirischen Untersuchungen – die zugleich eine der wenigen ist, welche auch das Verständnis alttestamentlicher Erzählungen thematisieren – ist die Analyse von Goldman aus den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.639 In seiner Forschung zum religiösen Denken von Kindern und Jugendlichen untersucht er die religiösen Konzepte und deren Entwicklung bei Proband_innen im Alter von sechs bis siebzehn Jahren.640 Dabei nutzt er unter anderem die biblischen Erzählungen vom brennenden Dornbusch (»Mose and the burning

636 637 638

639 640

vorhandenen Wissensbeständen abhängig ist, bezieht sich auf die Entwicklungstheorie des »domänenspezifische[n] Kernwissen[s]«. Diese besagt, »[…] dass angeborenes domänenspezifisches Wissen Kinder dazu befähigt, rasch domänenspezifsche Kenntnisse zu erwerben.« In welcher Geschwindigkeit und zu welchem Grad dieser Prozess der Weiterentwicklung des intuitiven Vorwissens abläuft, wird durch den »Input aus der Umwelt«, also dem Wissensangebot hinsichtlich der verschiedenen Wissensdomänen bestimmt. Die Vertreter_innen dieser Theorie gehen derzeit von einem intuitiven und von Geburt an vorhanden Kernwissens in den Bereichen Biologie, Physik und Psychologie aus. Dabei wird nicht ausgeschlossen, dass diese Theorie auch auf andere Wissensdomänen übertragen werden kann. Sodian 2012, S. 401; Siehe hierzu auch Lohaus/Vierhaus 2013, S. 100f.; sowie Sodian 2014. Vgl. Beilner 2004b, S. 204; vgl. Beilner 2000, S. 26; vgl. Krieger 2015, S. 49; vgl. Lee/Ashby 2000, S. 214f.; vgl. Pape 2008, S. 371f. Aus dem Babylonischen Talmud (»b«): Traktat Gittin (»Git«), Folio 43a; zititert nach Rölver 2007, S. 3. Siehe hierzu: Bee-Schroedter 1998; Bucher 1990; Melcher 2008; sowie Reuschlein 2013. Zur Rezeption von neutestamentlichen Wundererzählungen und Gleichnissen bei älteren Kinder bzw. Jugendlichen siehe: Hermans 1990; Blum 1997; Theis 2005; sowie Van der Zee 2007. Goldman, Ronald (1964): Religious Thinking from Childhood to Adolescence. London/ Henley : Routledge/Kegan Paul. Vgl. Goldman 1964, S. 34.

Rezeption biblischer Texte

119

bush«641), vom Durchzug durch das Rote Meer (»The crossing of the Red Sea«642) sowie der Versuchung Jesu (»The temptations of Jesus«643). Aus den in Einzelinterviews erhobenen Daten zu den Einschätzungen bzw. Stellungnahmen (z. B.: »Do you think this story really happened?«; »If it happened in Bible times could it happen now?«; »Is it true because it is in the Bible?«) und Erklärungen der Kinder und Jugendlichen zu dem Gehörten (z. B.: »How would you explain the bush burning, and yet not being burnt?«; »How would you explain the dividing of the waters of the Red Sea?«) schließt Goldman, dass sich die Stufen der kognitiven Entwicklung nach Piaget in den von ihm identifizierten Entwicklungsstufen des religiösen Denkens widerspiegeln.644 So kommt er zu dem Ergebnis, dass Kinder im Grundschulalter aufgrund der von ihm beobachteten pre- bzw. konkret operationalen Denkstrukturen in der Regel nicht zu einem Verständnis biblischer Texte auf einem »satisfactory level«645 in der Lage seien. Dies zeige sich in einer überwiegend wortwörtlichen Rezeption und anthropomorphen Vorstellungen der Proband_innen in diesem Alter.646 Die Bibel werde von ihnen als »[…] book of magical and holy veneration, written by God himself, or of one powerful person […]« betrachtet sowie als unfehlbar und wahr bewertet.647 Ab dem Alter von neun Jahren und dem Übergang vom pre- zum konkret operationalen Denken werde – so Goldman – zunehmend die mehrfache Autorenschaft der biblischen Schriften wahrgenommen, der (literale) Wahrheitsanspruch jedoch trotz des partiellen Zugeständnisses von »minor mistakes«, die auf den Prozess des Aufschreibens zurückgeführt würden, weiterhin bekundet. »As the source of truth the Bible is still revered because it is an ancient book, appealed to by teachers, and because it tells stories about God and Jesus it cannot therefore be untrue in any sense. It is an authority in a literal verbal manner […].«648 Erst mit der Entwicklung formal-operationaler Denkformen (»formal (abstract) operational thought«) sei die Voraussetzung für eine angemessene Auseinandersetzung mit dem biblischen Text gegeben. Diese Fähigkeit zur Entschlüsselung metaphorischer Sprachformen, zu hypothetischem und deduktivem Denken in Bezug auf religiöse bzw. biblische Inhalte entwickele sich nach Goldman s Beobachtungen jedoch mit dreizehn bis vierzehn Jahren etwas 641 642 643 644 645

Ex 3, 1–6. Ex 14 (gekürzt). Mt 4, 1–11; Lk 4, 1–13. Vgl. Goldman 1964, S. 51–61, 62, 226. Die Wertung »satisfactory level« wird von Goldman nur sehr vage definiert. Diese Ebene des Verständnisses zeichne sich durch das Erreichen eines – wie Goldman formuliert – gewissen Maßes an religiöser Einsicht (»some measure of religious insight«) aus. Siehe hierzu Goldman 1964, S. 225. 646 Vgl. ebd., S. 220–222, 225. 647 Ebd., S. 231. 648 Ebd., S. 236.

120

Überlegungen zu den Rezeptionsvoraussetzungen der Schüler_innen

später als die Stufe des formal operationalen Denkens bei Piaget. Als mögliche Gründe für diese Verzögerung führt Goldman zum einen an, dass für das Verstehen religiöser Sprache ein gewisser Grad an Lebenserfahrung gegeben sein müsse. Zum anderen würden Kinder bzw. Jugendliche in Ermangelung an alternativen Deutungsangeboten (z. B. durch den Religionsunterricht) länger in ihnen vertrauten (konkreten) Deutungsmustern verbleiben.649 Zu einem ähnlichen Fazit wie Goldman kommt auch der schweizer Theologe und Religionspädagoge Bucher zu Beginn der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in seiner Untersuchung zum Verstehen von Gleichnissen. Aus den in Einzelinterviews erhobenen Antworten auf Fragen zu drei »parabolischen Texten«650 wie: »Ist diese Geschichte einmal wirklich passiert? Warum/ warum nicht?«, »Kommt in dieser Geschichte eine Figur vor, die für Gott dasteht, die eigentlich ihn meint, ein Bild für ihn ist?« oder »Hat die Geschichte etwas mit dem Reich Gottes zu tun? Warum/ warum nicht?«,651 schlussfolgert Bucher, dass sich Kinder im Grundschulalter überwiegend im zweiten Stadium (»Frühes konkretoperatorisches Stadium«) der vier an die kognitiven Entwicklungsstufen Piagets anschließenden Stadien des Parabelverständnisses (Stadium 0–3) befänden.652 Dieses Stadium zeichne sich dadurch aus, dass die Texte zwar überwiegend vollständig bzw. sinngemäß wiederholt werden könnten, sie jedoch (noch) nicht als Parabel mit der Unterscheidung von Sach- und Bildhälfte, sondern als konkrete und einmalige Schilderungen rezipiert würden.653 Ein »gattungsgemäßes« Verstehen vor allem der »Reich-Gottes-Gleichnisse« sei erst ab etwa dem zwölften Lebensjahr zu erwarten.654 Und auch bezüglich der Rezeption neutestamentlicher Wundergeschichten bei Neun- bzw. Zehnjährigen weisen die ersten Beobachtungen Bee-Schroedters (am Beispiel der Heilung eines Blinden (Lk 18, 35–43) und Jesu Seewandel (Mt 14, 22–33)) auf ein überwiegend wortwörtliches und das Erzählte als Bericht historischer Tatsachen einordnendes Verständnis hin.655 Trotz des Wertes, welcher diesen Untersuchungen hinsichtlich ihrer empirischen Vorreiterrolle zukommt, ist bei der Bewertung der Aussagekraft der Ergebnisse ihr Forschungsdesign zu berücksichtigen. So arbeiten Bee-Schroedter und Bucher bedingt durch das qualitative Vorgehen mit einer geringen Stichprobe. Zudem nutzen sie wie auch Goldman fast ausschließlich geschlossene Fragestellungen, sodass – wie Fri649 Vgl. Goldman 1964, S. 63f. 650 Die Arbeiter im Weinberg (Mt 20, 1–15), Die anvertrauten Talente (Mt 25, 14–30), Prasser und Lazarus (Lk 16. 18–26); vgl. Bucher 1990, S. 45. 651 Bucher 1990, S. 46f. 652 Vgl. ebd., S. 62f. 653 Vgl. ebd., S. 42. 654 Vgl. Bucher 1990, S. 63; siehe auch Goldman 1964, S. 225. 655 Vgl. Bee-Schroedter 1998, S. 305f., 309, 310f., 313.

Rezeption biblischer Texte

121

cke anmerkt –nicht sicher ist, »[…] inwieweit die Relevanzsysteme der Befragten durch diese Fragetechnik tatsächlich zur Sprache kommen.«656 Die wenigen empirischen Studien, die sich in den folgenden Jahren im deutschsprachigen Forschungsraum mit den Rezeptionsvoraussetzungen bzw. mit der Rezeption biblischer Texte durch Kinder im Grundschulalter auseinandergesetzt haben, zeigen z. T., dass auch diese (schon) zu einem symbolischen und metaphorischen Verstehen biblischer Texte fähig sind.657 So weist beispielsweise Pfeifer vor dem Hintergrund der Ergebnisse ihrer Untersuchung zum Metaphernverständnis von Grundschulkindern die Grundsätzlichkeit der Schlussfolgerungen Buchers zurück. Je nach Art des Gleichnisses sowie den »didaktischen Vermittlungsbedingungen« sei durchaus eine »gattungsspezifische« Rezeption zu erkennen.658 Ebenso konstatiert Reuschlein, dass die Mehrzahl ihrer Proband_innen, auch die aus den unteren Jahrgangsstufen der Grundschule, »beide Bereiche der Metapher« wahrnähmen und sich mit diesen auseinandersetzen könnten.659 Und auch Gößinger kommt in seiner Interventionsstudie zur Rezeption der Schöpfungserzählung (Gen 1–2,4a) zu dem Ergebnis, dass eine gattungsgemäße Auseinandersetzung von Schüler_innen der dritten und vierten Jahrgangsstufe möglich sei, sofern diese durch die Vermittlung von sprachlichem und gattungsspezifischem Wissen unterstützt und sie in ihrer Entwicklung metaphorischer und bildlich-symbolischer Sprache gefördert würden.660 Gößinger verweist dabei auf die entwicklungspsychologische Theorie der bereichsspezifischen Entwicklung (s. o. Fußnote 635, S. 117f.).661 Auch in Goldmans Arbeit finden sich bereits vereinzelte Hinweise darauf, dass nicht von einer bereichsübergreifenden und fest an spezifische Altersgrenzen gebundene Entwicklung auszugehen ist. So stellt er fest, dass die ermittelten und sich an die Piagets anlehnenden Altersstufen keineswegs absolut zu setzten seien, und die Proband_innen die Abfolge der einzelnen Entwicklungsschritte durchaus »at varying speeds« durchlaufen. Eine große Bandbreite an individuellen Unterschieden sei erkennbar :662 »The age boundaries are very approximate and should not be regarded as fixed or the results of maturational limitations.«663 Zudem vermutet er, dass die angenommenen entwicklungsbe656 Fricke 2005, S. 190. Siehe hierzu auch Reuschlein 2013, S. 32f. 657 Oberthür weist bereits fünf Jahre nach Buchers Untersuchung zum Gleichnisverständnis darauf hin, »[…] dass für Kinder schon vom Grundschulalter an sowohl wörtliches als auch symbolisches Verstehen parallel ohne kognitive Probleme möglich ist«. Oberthür 1995, S. 91. 658 Vgl. Pfeifer 2002, S. 196f. 659 Vgl. Reuschlein 2013, S. 274. 660 Vgl. Gößinger 2014, S. 182f. 661 Vgl. ebd., S. 22, 35. 662 Vgl. Goldman 1964, S. 62. 663 Ebd., S. 64.

122

Überlegungen zu den Rezeptionsvoraussetzungen der Schüler_innen

dingten Altersbegrenzungen mittels eines didaktischen Programms – »[…] designed to strech the child’s thinking in relation to religion […]« – herabgesetzt werden könnten.664 Zur Frage der kindlichen Rezeption biblischer Texte sind neben den bisher aufgefühten Untersuchungen außerdem die Ergebnisse zweier Studien der USamerikanischen Entwicklungspsychologinnen Woolley und Cox näher zu betrachten, da sich diese im Kontext der Untersuchung der Kompetenz von Vorschulkindern, Fiktion und Realität unterscheiden zu können, auch mit der diesbezüglichen Einschätzung biblischer Erzählungen beschäftigen.665 Die Antworten ihrer Proband_innen auf die Fragen nach der Faktizität (»Is (the focal character) a real person or just a person in the story?«; »Did (the event) happen in real life or did it just happen in the story?«)666 sowie nach der theoretischen Möglichkeit (»In real life, could there be someone who is like (the focal character) or not?«; »In real life could (the event) happen or is that always just in a story?«)667 der in den zuvor vorgelesenen Geschichten (»realistic stories«668, »fantastical stories«669, »religious stories«670) enthaltenen Figuren und Ereignisse zeigen, dass die Vorschulkinder den Realitätsstatus dieser hinsichtlich der Erzählungen mit realistischen und fantastischen Inhalten zunehmend sicher bestimmen. Diese Ergebnisse entsprechen damit der bereits oben angesprochenen Beobachtung (s. Kap. 4.1), dass auch schon junge Kinder in der Lage sind, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden. So bejahen die Proband_innen die theoretische Möglichkeit der Ereignisse in realistischen Erzählungen, während sie die theoretische Möglichkeit der phantastischen Ereignisse verneinen. Die Faktizität der Inhalte wird sowohl für die realistischen als auch für die phantastischen Erzählungen abgelehnt. Im Hinblick auf die biblischen Geschichten671 (»religious stories«) zeichnet sich dagegen ein mit dem Alter der Proband_innen steigender Trend ab, die enthaltenen Personen und Ereignisse als real zu bewerten.672 Hieraus ergibt sich für die Forscherinnen die Frage: »What cues children, as they get older, to adjust their reality-nonreality boundary and judge these stories 664 665 666 667 668 669 670 671 672

Vgl. Goldman 1964, S. 64, 67. Siehe hierzu Cox-Vaden/Woolley 2011; sowie Woolley/Cox 2007. Woolley/Cox 2007, S. 688f. Ebd. »[…] in which people interact with family and/or friends (e. g. a boy climbs a mountain with his grandfather).«, Woolley/Cox 2007, S. 687. »[…] in which people interact with fantastical entities (e. g. a princess outsmarts a dragon).«, Woolley/Cox 2007, S. 687. »[…] in which people interact with God (e. g. God helps a man save people from a flood).«, Woolley/Cox 2007, S. 687. Die verwendeten Kinderbücher beziehen sich überwiegend auf alttestamentliche Texte: »Jonah and the whale«, »David und Goliath« sowie »Noah’s trees«/»Noah’s Ark«. Vgl. Woolley/Cox 2007, S. 687, 692. Vgl. Woolley/Cox 2007, S. 687f.

Rezeption biblischer Texte

123

differently?«673 Um dieser Frage nachzugehen, führten Cox-Vaden und Woolley eine weitere Untersuchung durch, in welcher sie vier- bis sechsjährige Proband_innen biblische Erzählungen (»religious stories«674) und nicht religiöse Erzählungen (»nonreligious stories«) hinsichtlich der Faktizität der enthaltenen Figuren und Ereignisse sowie der theoretischen Möglichkeit der Ereignisse bewerten ließen. Dabei entsprechen die Erzählungen der Kategorie »nonreligious stories« in ihrem Handlungsverlauf und den enthaltenen Figuren jeweils den »religious stories«, die biblischen Namen von Personen und Orten wurden jedoch durch andere ersetzt sowie die Verweise auf Gott gestrichen.675 Auch in diesem Experiment ordnen die Proband_innen, welche die biblischen Erzählungen hörten, die Ereignisse und Figuren häufiger der vergangenen Realität zu als die Vergleichsgruppe hinsichtlich der nicht religiösen Erzählungen.676 Während die Realitätsurteile in der erstgenannten Gruppe mit dem Alter der Proband_innen zunehmen, ist in der zweitgenannten Gruppe ein gegenläufiger Trend zu erkennen. Innerhalb der Testgruppe zu den biblischen Erzählungen zeigt sich außerdem, dass die beiden zuvor als im Allgemeinen bekannt (»familiar«) klassifizierten biblischen Erzählungen (»Moses parts the Red Sea«, »Jonah and the Whale«) bezüglich Hauptfigur und Ereignisse häufiger als historisch real bewertet werden als die zwei Erzählungen aus der Kategorie weniger bekannter biblischer Erzählungen (»The Widow’s Flour and Oil« und »The Budding of Aaron’s Staff«).677 Die Forscherinnen ermitteln in dieser Untersuchung, dass »religious references«, also solche Merkmale, welche die Erzählung als biblische Erzählung markieren, das Realitätsurteil der Proband_innen beeinflussen. Als ein besonders starker Einflussfaktor zeige sich hierbei ein Auftreten bzw. Handeln Gottes innerhalb der Erzählungen.678 Auch die Bekanntheit der biblischen Geschichte, der Grad der Vertrautheit mit ihr, beeinflusse das Realitätsurteil der Kinder. Anhand einer Befragung der Eltern zum »religious background« ihrer Kinder stellen Cox-Vaden und Woolley zudem fest, dass sich auch die Teilhabe an religiösen Bildungsangeboten (z. B. »Sunday school«, »religious preschool«, »Bible study«) auf die Bewertungen der Proband_innen auswirke: »Our findings indicate, that the involvement of the child in religious educational activities had a significant effect on their beliefs about religious stories.«679 Die Forscherinnen erklären diesen Effekt damit, dass 673 Cox-Vaden/Woolley 2011, S. 1121. 674 »Moses parts the Red Sea«, »Jonah and the Whale«, »The Widow’s Flour and Oil« und »The Budding of Aaron’s Staff«; vgl. Cox-Vaden/Woolley 2011, S. 1122. 675 Vgl. Cox-Vaden/Woolley 2011, S. 1122. 676 Vgl. ebd., S. 1124. 677 Vgl. ebd., S. 1125. 678 Vgl. ebd., S. 1129; siehe auch Harris 2013, S. 37; sowie Woolley/Cornelius 2013, S. 69. 679 Cox-Vaden/Woolley 2011, S. 1130.

124

Überlegungen zu den Rezeptionsvoraussetzungen der Schüler_innen

bei den entsprechenden Proband_innen von einer größeren Vertrautheit mit den biblischen Erzählungen sowie von einem vermutlich größeren Vertrauen auf Gott auszugehen sei, was zu einer Beeinflussung des Realitätsurteils führe.680 Für die Frage nach den entwicklungs- bzw. kognitionspsychologischen Voraussetzungen der Bibelrezeption von Kindern im Grundschulalter ergeben sich aus den Studien von Woolley und Cox bzw. Cox-Vaden und Woolley mindestens zwei interessante Einsichten. Zum einen zeigt sich anhand der je nach Kategorie der Erzählung (»fantastical«, »realistic«, »religious«) differenzierten Realitätsurteile, dass Kinder auch schon zu Beginn der Grundschulzeit bzw. im Vorschulalter nicht generell jede Geschichte für einen Bericht realer Ereignisse halten – also kognitiv durchaus in der Lage sind, Fiktion und Realität zu unterscheiden – biblische Texte hier aber scheinbar eine besondere Position bzw. einen eigenen »Entwicklungsbereich« inne haben.681 Zum zweiten weisen die Ergebnisse darauf hin, dass religiöse Bildungsangebote wie z. B. der Religionsunterricht die Einordnung biblischer Erzählungen beeinflussen bzw. beeinflussen können. Auch wenn in der Untersuchung von Cox-Vaden und Woolley eine Teilhabe an »religious educational activities« mit einer vermehrten Bestätigung der historischen Faktizität der biblischen Erzählungen zusammenhängt,682 ist m. E. nicht davon auszugehen, dass dies ein generelles Phänomen beschreibt, sondern das Art und Inhalte der religiösen Bildungsangebote die Akzeptanz der historischen Faktizität bestimmen.683 Dies ist auch ein Aspekt, der bei dem Bezug auf die Forschungsergebnisse aus Studien zur Rezeption biblischer Texte wie der von Goldman oder Bucher zu bedenken ist. Wenn, wie die neueren entwicklungspsychologischen Theorien darlegen, nicht von einer bereichsübergreifenden strikt altersstufenbedingten kognitiven Entwicklung auszugehen ist, sondern sich diese bereichsspezifisch und in Abhängigkeit von domänenspezifischem Wissen vollzieht, ist bei der Untersuchung der Rezeptionsvoraussetzungen von Kindern hinsichtlich biblischer Texte dieses bisher erworbene Wissen zu berücksichtigen.684 Obgleich der bisher geringen empirischen Datengrundlage deuten bereits die in dieser kurzen Zusammenschau dargelegten Erkenntnisse darauf hin, dass sich zwar eine ganze Reihe der erhobenen Äußerungen der Kinder in ein an Piagets Theorie zur kognitiven Entwicklung anlehnendes stufenförmiges 680 681 682 683

Vgl. Cox-Vaden/Woolley 2011, S. 1130. Vgl. Büttner/Dietrich 2013, S. 49; siehe auch Büttner 2012, S. 453. Cox-Vaden/Woolley 2011, S. 1130. Cox-Vaden und Woolley führen ihre Untersuchungen mit Proband_innen aus dem USamerikanischen Bundesstaat Texas durch. Auch Büttner spricht sich deutlich dafür aus, »[…] dass die Ergebnisse in einer anderen Region als den Südstaaten der USA in dieser Frage wohl ganz anders ausfallen würden […].«; Büttner 2012, S. 454. 684 Vgl. Büttner/Dietrich 2013, S. 23, 36; Gößinger 2014, S. 22; 35 vgl. Sodian 2012, S. 401ff.

Rezeption biblischer Texte

125

Modell einordnen lassen, ein solches aber nicht alle der vorliegenden Beobachtungen erklären und fassen kann.685 Je nach gattungs- bzw. bereichsspezifischem Wissen und damit je nach didaktischer Begleitung, individuellem Interesse und Sozialisation ist mit je unterschiedlichen Rezeptionsvoraussetzungen und -kompetenzen zu rechnen.

685 Vgl. Blum 1997, S. 167; vgl. Fricke 2012, S. 215f.; vgl. Fricke 2005, S. 550; vgl. Reuschlein 2013, S. 275f.; vgl. Zimmermann 2010, S. 74.

5

Untersuchungsdesign – methodologische Überlegungen und Forschungsmethodik

In diesem Kapitel wird zunächst der methodologische Ansatz dargelegt, der für die Forschung zu dieser Arbeit genutzt wurde. Anschließend wird das für die Fragestellung entwickelte Untersuchungsdesign erläutert und begründet.

5.1

Methodologische Überlegungen

Das Vorhaben, die Bedeutungskonstruktion zu rekonstruieren, die sich hinsichtlich des (besonderen) Wesens biblischer Erzählungen innerhalb der Interaktion von Lehrkraft und Schüler_innen im Religionsunterricht ereignet, ist im Bereich der interpretativen Unterrichtsforschung686 zu verorten und damit dem Feld der qualitativen empirischen Forschung zuzuordnen. »Im Zentrum des Interesses Interpretativer Unterrichtsforschung stehen je nach Perspektive Deutungen und Prozesse des Sinn-Machens und der interaktiven Hervorbringung von Bedeutungen oder Handlungen bzw. Handlungsmustern – jeweils unter Bedingungen des Alltags.«687

Die Zielsetzung der vorliegenden Untersuchung entspricht den drei zentralen – von Krummheuer und Naujok aufgeführten – Spezifika des Paradigma interpretativer Unterrichtsforschung, indem, ihr Fokus auf alltägliche (Religions-)Unterrichtsprozesse gerichtet ist, ihr die theoretische Annahme zugrunde liegt, »daß Lernen, Lehren und Interagieren konstruktive Aktivitäten sind« und das analytische Vorgehen in der Rekonstruktion dieser besteht.688 Die methodologische Rahmung der Forschungsarbeit basiert dabei auf einer praxeologischen Wissenssoziologie, welche maßgeblich von Bohnsack im Zusammen686 Der Begriff »interpretativ« markiert hier auf wissenschaftstheoretischer Ebene die Unterscheidung von einem normativen Forschungsparadigma. Vgl. Naujok 2010, S. 16f.; vgl. Strübing 2013, S. 7. 687 Krummheuer/Naujok 1999, S. 25. 688 Ebd., S. 15.

128

Untersuchungsdesign

hang seiner Arbeit zur metatheoretischen Einbettung der dokumentarischen Methode (s. hierzu Kap. 5.2.3) ausgearbeitet wurde.689 Anknüpfend an die wissenssoziologischen Überlegungen der »Seinsverbundenheit des Wissens« Karl Mannheims690 ist – so Bohnsacks Ausführungen – zwischen zwei Arten oder Ebenen von Wissen grundlegend zu unterscheiden: die Ebene des Bewusstseins, des expliziten Wissens und die »Wissensebene des ›Seins‹«, also die Ebene des handlungspraktischen und handlungsleitendenden »atheoretischen« Wissens.691 Während das Wissen der erstgenannten Art dem Akteur bewusst zugänglich und damit von ihm explizierbar sei, könne das Wissen der letztgenannten Art aufgrund seiner Implizitheit seitens des Akteurs nicht bwusst dargelegt werden.692 Mit dieser Unterscheidung geht die praxeologische Wissenssoziologie über das mittels des interpretativen Paradigmas zu Erfassende hinaus. Sie verbleibt nicht auf der Ebene des theoretischen, kommunikativen Wissens, sondern ermöglicht einen Zugang zur »tieferliegenden Semantik« des atheoretischen Wissens.693 Dieses implizite von Polanyi als »tacit knowledge«694 bezeichnete »stillschweigende« Wissen wird in der Praxis generiert und orientiert, leitet selbige zugleich. Es bestimmt den »modus operandi«, die Art und Weise des Handelns in habitualisierter Weise. Das bedeutet die tägliche Handlungspraxis von Sinnzuschreibung und Bedeutungskonstruktion wird durch diese Art des Wissens gesteuert, ohne dass es seitens des Akteurs bzw. der Akteure begrifflich expliziert werden könnte.695 Die Forschungslogik der praxeologischen Wissenssoziologie wird in ihrem Bestreben der Rekonstruktion der durch dieses atheoretische Wissen orientierten habitualisierten Praktiken von einem Wechsel der Analyseperspektive »vom Was zum Wie« bestimmt.696 »Nicht das Was eines objektiven Sinns, sondern das Daß und das Wie wird von dominierender Wichtigkeit.«697 Es geht – so Bohnsack in Fortführung dieser Aussage Mannheims – also nicht um die Beurteilung der normativen Richtigkeit von in der Praxis beobachteten Handlungen und Aussagen, sondern um die Frage: »Wie wird das,

689 Vgl. Bohnsack 2014, S. 205–223. vgl. Bohnsack 2011a, S. 137f.; vgl. Bohnsack 2007, S. 183. 690 Vgl. Mannheim 1969, S. 227–244. 691 Vgl. Bohnsack 2014, S. 209; vgl. Bohnsack 2011a, S. 137; vgl. Bohnsack 2009, S. 321; vgl. Bohnsack 2001, S. 329; vgl. Martens/Asbrand 2009, S. 212. 692 Vgl. Bohnsack 2014, S. 209; vgl. Bohnsack 2011a, S. 137; vgl. Bohnsack 2009, S. 32. 693 Vgl. Bohnsack 2007, S. 180, 184; vgl. Bohnsack 2009, S. 322. 694 Polanyi 1985, S. 14. 695 Vgl. Bohnsack 2011a, S. 137f.; vgl. Bohnsack 2014, S. 209, 212, 216; vgl. Bohnsack 2009, S. 321, 323f.; vgl. Bohnsack 2001, S. 331; Meuser 2011, S. 141; Zur Theorie der durch implizites Wissen orientierten sozialen Praktiken siehe darüber hinaus u. a.: Reckwitz 2003; sowie Schatzki 2008. 696 Vgl. Bohnsack 2007, S. 180; vgl. Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2013; vgl. Bohnsack 2011a, S. 138; S. 13; vgl. Weller 2005, S. 297. 697 Mannheim 1964, S. 134.

Methodisches Vorgehen

129

was für wahr und richtig gehalten wird, im Alltag hergestellt?«698 Nur über die Rekonstruktion der »praktischen Logik«, der dem alltäglichen Handeln zugrundeliegenden Prozessstruktur, nicht über den Weg der begrifflich explizierbaren Theorien oder Definitionen der Akteure über ihre eigene (Handlungs-)Praxis, wird nach Bohnsack eine »[…] umfassende Erkenntnis des alltäglichen Handelns und eine Einflussnahme auf diese« möglich.699 Mit Blick auf das Forschungsziel der vorliegenden Untersuchung bedeutet dies, dass für die Erlangung von Erkenntnissen über die in der alltäglichen religionsunterrichtlichen Praxis erfolgende Bedeutungszuschreibung hinsichtlich biblischer Texte eine Rekonstruktion der diesbezüglichen Handlungspraxis erfolgen muss. Nur auf diese Weise kann ein Zugang zu den habitualisierten (bibeldidaktischen) Praktiken und dem impliziten, atheoretischen Wissen erreicht werden, welches diese Praktiken orientiert.

5.2

Methodisches Vorgehen

Der Kontakt zum Forschungsfeld, also dem Religionsunterricht in der dritten bzw. vierten Jahrgangstufe700, wurde zunächst über die Schulleitungen niedersächsischer Grundschulen gesucht.701 Diese wurden nach ihrer Bereitschaft gefragt, an einem Forschungsprojekt zur Bearbeitung biblischer Geschichten im Religionsunterricht teilzunehmen.702 Bei einer positiven Rückmeldung wurden die entsprechenden Religionslehrkräfte dieser Schulen schriftlich kontaktiert und anhand eines »Steckbriefes zum Dissertationsprojekt« über das Vorhaben und die geplante Durchführung informiert.703 Nach der Zusage der Lehrkräfte 698 Bohnsack 2007, S. 180; vgl. Bohnsack 2013b, S. 177; vgl. Bohnsack 2011a, S. 138. 699 Bohnsack 2009, S. 321f.; vgl. Bohnsack 2014, S. 60ff.; vgl. Bohnsack 2007, S. 181, 182f. 700 Wie in Kapitel 1.2 dargelegt, ist die Bearbeitung der Exodus-Erzählung im Niedersächsischen Kerncurriculum für die Jahrgänge drei oder vier vorgesehen. In den Grundschulen, die einer Erhebung zustimmten, erfolgte diese jeweils in der dritten Jahrgangsstufe. 701 Die Auswahl der zu kontaktierenden Grundschulen erfolgte nach dem Zufallsprinzip. Ausgeschlossen wurden Grundschulen in privater bzw. kirchlicher Trägerschaft. 702 Die Anfrage erfolgte für evangelischen bzw. alternativ für konfessionell-kooperativen Religionsunterricht. 703 Die Information zum Ziel der Untersuchung beschränkte sich auf die Angabe, Einblicke in die Praxis des alltäglichen Religionsunterrichts (am Beispiel von Unterrichtseinheiten zu einer alttestamentlichen Erzählung (Exodus-Erzählung)) an niedersächsischen Grundschulen zu erhalten, um so ein besseres Verständnis für diese erarbeiten zu können. Detailliertere Hinweise auf die dem Vorhaben zugrundeliegenden Fragestellung wurden nicht weitergegeben, um die Lehrkräfte in ihrem unterrichtlichen Vorgehen bzw. in ihrer Planung dessen so wenig wie möglich zu beeinflussen. Auch wurde den Lehrkräften erklärt, dass es sich um eine Erhebung in Form videographischer Aufzeichnung der Unterrichtsstunden sowie teilnehmender Beobachtung durch die Forscherin handeln werde.

130

Untersuchungsdesign

wurde ein Brief an die Erziehungsberechtigten der den jeweiligen Klassen angehörenden Schüler_innen gesandt, in welchem diese ebenfalls über die Art und Durchführung des Projektes informiert sowie um die schriftliche Einverständniserklärung zur Teilnahme der Schüler_innen gebeten wurden.704 Zudem wurde ein Antrag bei der Niedersächsischen Landesschulbehörde sowie bei der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers auf Genehmigung einer Datenerhebung im Religionsunterricht an den betreffenden Grundschulen gestellt. Darin erfolgte eine detaillierte Darstellung des Forschungsvorhabens, sowie die Darlegung des voraussichtlichen zeitlichen Umfangs der Erhebung und der Inanspruchnahme der Lehrkräfte sowie der Schüler_innen. Der Zeitpunkt der Erhebung richtete sich nach der von der Lehrkraft bzw. der jeweiligen Fachgruppe vorgenommenen Verortung der Unterrichtseinheit zur Exodus-Erzählung im Schuljahresplan. Die Lehrkräfte erhielten hinsichtlich der konkreten Planung, der inhaltlichen, zeitlichen und didaktischen Ausgestaltung keine Vorgaben. Da die Untersuchung mit dem Ziel entwickelt wurde, einen Einblick in die alltägliche bibeldidaktische Praxis zu gewähren, sollte diese so wenig wie möglich durch die Forscherin beeinflusst werden.

5.2.1 Datenerhebung »Just as natural scientists came to appreciate the aid of the microscope to observe very small objects and telescopes to observe very distant objects, we have to come to see video technology as a tool for social scientists to observe phenomena that are too complex to be noticed by the naked eye.« [Janik/Seidel/Najvar 2009, S. 7]

Um einen Zugang zu der Handlungspraxis der Beforschten zu erhalten, wurde für die Erhebung die Methode der (Unterrichts-)Videographie in Verbindung mit einer teilnehmenden Beobachtung ausgewählt. Ausschlaggebend für diese methodische Entscheidung ist das in ihr liegende Potenzial, die dem Forschungsgegenstand – der Interaktion von Lehrkraft und Schüler_innen – inhärente Komplexität detaillierter als andere Beobachtungstechniken für eine spätere Analyse zu konservieren.705 Die Videographie als Prozess der Aufzeichnung audiovisueller Daten »natürlicher«706 sozialer Interaktion ermöglicht es, die Sequen704 Den Erziehungsberechtigten wurde zudem die Möglichkeit eines persönlichen Gesprächs oder Telefonats zur Klärung offener Fragen angeboten. 705 Vgl. Corsten 2010, S. 8f.; vgl. Dinkelaker/Herrle 2009, S. 14f.; vgl. Janik/Seidel/Najvar 2009, S. 7. 706 Mit der Klassifizierung »natürliche« Situation beschreiben Tuma, Schnettler und Knoblauch solche Situationen, »[…] welche nicht gezielt und spezifisch für die Forschung

Methodisches Vorgehen

131

zialität und Simultanität von verbalen und nonverbalen Handlungen in der Praxis der Beforschten in Ton und Bild festzuhalten, sowie das Aufgezeichnete mittels digitaler Speicherung der Daten beliebig oft und ohne qualitative Einbußen wiederzugeben und sich innerhalb eines Datensatzes durch »Vor- und Zurückspulen« bewegen zu können.707 So konstatiert Dinkelaker: »Es ist eine zentrale Errungenschaft videobasierter Interaktionsforschung, dass mit ihr das beobachtete Geschehen als eine Verschränkung unterschiedlicher, gleichzeitig verlaufender Aktivitätsstränge begriffen und beobachtet werden kann.«708

Diese Möglichkeit der komplexen Erfassung von Unterrichtsinteraktion bzw. parallel ablaufender Interaktionen (»Polysequentialität des Interaktionsgeschehens«) wird u. a. in den methodischen Überlegungen von Corsten, Dinkelaker und Herrle oder Tuma, Schnettler und Knoblauch als Stärke videographischer Erhebung betont.709 Jedoch heben sie – wie auch Huhn et al. oder Fritsche und Wagner-Willi – hervor, dass auch diese Form der Beobachtung keine Äquivalenz zwischen empirischer Realität und abgebildeten Daten herstellen könne.710 So selektiere die Kamera das in ihrem Fokus liegende zwar nicht in dem Maße, wie es der menschlichen Wahrnehmung zu eigen ist, doch durch die Festlegung auf eine bestimmte Kameraperspektive, einen Bildausschnitt seitens der Forscher_innen, sowie durch die – wie Wagner-Willi formuliert – »[…] Reduktion des dreidimensionalen Raumes in eine zweidimensionale Fläche […]« finde aber auch hier eine Selektion statt.711 Je nach Anzahl und Position der verwendeten Kameras, dem Grad der Bildauflösung und der Qualität der internen Mikrofone könnten mehr oder weniger Aspekte der verbalen und nonverbalen Handlungen erfasst, nie jedoch eine 1:1-Abbildung der sozialen in diesem Falle unterrichtlichen Realität erreicht werden.712 Diese Gebundenheit der Videodaten an die Position der Forscher_innen bzw. an die Entscheidungen dieser bezüglich des Video-Setups gelte es im Prozess der Analyse zu reflek-

707 708 709 710 711 712

hergestellt werden […]«, sondern durch das alltagspraktische Handeln bzw. Interagieren bestimmter Akteure im jeweiligen Feld konstituiert werden. Tuma/Schnettler/Knoblauch 2013, S. 13; vgl. Knoblauch/Schnettler 2007, S. 587f. Vgl. Dinkelaker/Herrle 2009, S. 16; Fritzsche/Wagner-Willi 2015, s. 133; Herrle/Kade/Nolda 2010, S. 599; vgl. Huhn et al. 2012, S. 136; vgl. Tuma/Schnettler/Knoblauch 2013, S. 33; Wagner-Willi 2013, S. 150f. Dinkelaker 2010, S. 91. Vgl. Corsten 2010, S. 8f.; vgl. Dinkelaker/Herrle 2009, S. 14f.; Tuma/Schnettler/Knoblauch 2013, S. 12f. Vgl. Corsten 2010, S. 17; vgl. Dinkelaker 2010, S. 91; Dinkelaker/Herrle 2009, S. 15; vgl. Fritsche/Wagner-Willi 2015, S. 132; vgl. Huhn et al. 2012, S. 137; vgl. Tuma/Schnettler/ Knoblauch S. 12, 14, 34; vgl. Wagner-Willi 2013, S. 149. Wagner-Willi 2013, S. 149; vgl. Dinkelaker 2010, S. 92; Dinkelaker/Herrle 2009, S. 15; vgl. Huhn et al. 2012, S. 136f.; vgl. Knapp/Ricart Brede 2012, S. 221. Vgl. Baltruschat 2015, S. 267; vgl. Dinkelaker/Herrle 2009, S. 15; vgl. Knapp/Ricart Brede 2012, S. 221.

132

Untersuchungsdesign

tieren.713 Im Vergleich zu Beobachtungsprotokollen teilnehmender Beobachtung oder reiner Audiodokumentation ist die Videoaufzeichnung – so WagnerWilli mit Verweis auf Kracauer714 – durch den ihr zugesprochenen »mimetischen Charakter« und ihre »Affinität zur Realität« die Erhebungsmethode, welche die Komplexität unterrichtlicher Interaktionsprozesse in größtmöglicher Annäherung zu erfassen vermag.715 Ein weiterer Vorteil der Datenerhebung mittels der Methode der Videographie ist die aus der oben angesprochenen uneingeschränkten Wiederholbarkeit resultierende Möglichkeit, die aufgenommenen Szenen – unter Berücksichtigung der dem jeweiligen Kamerafokus geschuldeten Ausschnitthaftigkeit – weiteren, nicht in der konkreten Erhebungssituation anwesenden, Forscher_innen für Beobachtung und Analyse zugänglich zu machen.716 So können Videodaten unterrichtlicher Interaktion zusammen mit denen auf ihnen basierenden Analysen in Forschungsgruppen bzw. -werkstätten zur Diskussion gestellt und damit die intersubjektive Nachvollziehbarkeit dieser erhöht werden. Auch vereinfacht die audiovisuelle Aufnahme gegenüber einer reinen Audioaufnahme die Zuordnung von Sprecher_in und Gesprochenem. Bei der Transkription von Unterrichtsinteraktion in Grundschulklassen stellt gerade dies aufgrund der großen Anzahl der Sprechenden sowie stimmlicher Ähnlichkeiten und z. T. sehr leisen oder undeutlichen Sprechens eine besondere Herausforderung dar. Die diesem Forschungsprojekt zugrundeliegenden videographischen Daten wurden mit zwei auf Stativen fixierten Kameras erhoben, welche in den jeweils diagonal gegenüberliegenden Ecken im Klassenraum positioniert wurden. Der Einsatz von zwei Kameras ermöglicht – so u. a. Dinkelaker und Herrle – eine nahezu vollständige Erfassung des Klassenraumes, ohne dabei die Invasivität des Vorgehens sowie den Erhebungs- und späteren Aufarbeitungs- und Auswertungsaufwand unverhältnismäßig zu erhöhen.717 Während des Unterrichts wurde die Kameraeinstellung von der Forscherin nur in wenigen Ausnahmefällen718 verändert. Dies war wichtig, um das Datenmaterial durch die Fokussierung bestimmter Schüler_innen oder der Lehrkraft und dem daraus resul713 Vgl. Corsten 2010, S. 17; vgl. Fritzsche/Wagner-Willi 2015, S. 132. 714 Kracauer, Siegfried (1973): Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. 715 Vgl. Tuma/Schnettler/Knoblauch 2013, S. 12, 31, 34; vgl. Wagner-Willi 2013, S. 150; Siehe auch: Asbrand/Nohl 2013, S. 167; Hosenfeld et al. 2007, S. 307; Knapp/Ricart Brede 2012, S. 219f.; Klette 2009, S. 64f.; Martens/Petersen/Asbrand 2015, S. 179; Roth 2009, S. 25. 716 Vgl. Knapp/Ricart Brede 2012, S. 219; vgl. Knoblauch/Schnettler 2007, S. 587; vgl. LeutnerRamme 2000, S. 232; vgl. Tuma/Schnettler/Knoblauch 2013, S. 33. 717 Vgl. Dinkelaker/Herrle 2009, S. 24f. 718 Eine Veränderung des Kamerafokus wurde nur dann vorgenommen, wenn sich die Schüler_innen sowie die Lehrkraft in einem außerhalb der regulären Einstellung liegenden Sitzoder Stuhlkreis versammelten.

Methodisches Vorgehen

133

tierenden Nicht-Fokussieren anderer Personen nicht einer verfrühten oder ungewollten Selektion und Vorstrukturierung zu unterziehen, also eine möglichst große Offenheit der Erhebung zu bewahren. Zudem sollte die Aufmerksamkeit der Proband_innen nicht unnötig auf die Anwesenheit der Kameras gelenkt werden.719 Da Probeaufnahmen eine angemessene Audioqualität der Kameramikrofone ergaben, wurde auf zusätzliche Mikrofone im Raum oder an den Tischen der Schüler_innen verzichtet. Auf diese Weise konnte der Grad der Invasivität zusätzlich gesenkt werden. Die Kameras wurden bei Ankunft der Lehrkraft im Klassenraum ein- und nach ihrem Beenden des Unterrichts wieder ausgeschaltet. Im Vorfeld der für das Forschungsvorhaben ausgewählten Unterrichtseinheiten zur Exodus-Erzählung fand in jeder der teilnehmenden Klassen ein Gespräch mit den Schüler_innen in Anwesenheit der Lehrkraft statt, in welchem die Kinder über das Vorhaben der Forscherin informiert, sowie mit dem dazu verwendeten Videoequipment vertraut gemacht wurden.720 Die Schüler_innen hatten die Möglichkeit, Rückfragen zu stellen, selbst einmal durch den Sucher der Kamera zu schauen und sich das hierbei gefilmte Material auf dem Display anzusehen. Zudem wurden jeweils in ein paar Unterrichtsstunden Probeaufnahmen gemacht, um die Lehrkraft und die Schüler_innen an die Anwesenheit der Forscherin und der Kameras im Klassenraum sowie an den Prozess des Aufund Abbaus des Kameraequipments zu gewöhnen. Im Sinne des von Krappmann und Oswald als »Unsichtbar durch Sichtbarkeit«721 bezeichneten methodischen Vorgehen bei der teilnehmenden Beobachtung, hielt sich die Forscherin während des Unterrichts möglichst unauffällig im hinteren Teil des Klassenraumes auf, reagierte aber auf Ansprachen und Fragen der Schüler_innen vor und auch während der Aufnahmesituation, um die Proband_innen nicht durch ein ignorierendes Verhalten zu irritieren und in Folge dessen erst recht ein gesteigertes Interesse und damit eine Ablenkung oder ein Gefühl des »BeforschtWerdens« hervorzurufen.722 Trotz solcher Maßnahmen wird für die Videographie als Erhebungsmethode innerhalb der Unterrichtsforschung die Frage aufgeworfen, ob die gefilmte Interaktion in Anbetracht der Anwesenheit von Kameras authentisch sein könne 719 Vgl. Brandt/Krummheuer/Naujok 2001, S. 19; vgl. Kocher/Wyss 2008, S. 83; vgl. Martens/ Spieß/Asbrand 2016, S. 185. Ein zusätzlicher Vorteil dieser Form von Kamerastandpunkt und -perspektive ist, dass Schüler_innen, deren Erziehungsberechtigte nur ein Einverständnis zu auditiver jedoch nicht visueller Aufnahme ihrer Kinder geben, so im Klassenraum positioniert werden können, dass sich diese nur in der Rückansicht oder gar nicht im Fokus der Kamera befinden. 720 Vgl. Huhn et al. 2012, S. 150f.; vgl. Wagner-Willi 2013, S. 137; vgl. Wagner-Willi 2004, S. 55. 721 Siehe hierzu Krappmann/Oswald 1995. 722 Vgl. Huhn et al. 2012, S. 151; vgl. Tuma/Schnettler/Knoblauch 2013, S. 13.

134

Untersuchungsdesign

oder nicht vielmehr mit einer mehr oder weniger starken Beeinflussung des Verhaltens der Proband_innen durch diese (»observer effect«) zu rechnen sei.723 Auch wenn – wie u. a. Knoblauch und Schnettler konstatieren – die audiovisuelle Aufzeichnung in jedem Fall als Eingriff in den Unterrichtsalltag anzusehen sei, »[…] zeige die Erfahrung zahlreicher Forschungsprojekte, dass sich die Beobachteten in der Regel nach kurzer Zeit an die Aufzeichnung gewöhnen und dieser Einfluss vernachlässigbar wird«.724 Hosenfeldt et al. sowie Kocher und Wyss weisen zudem darauf hin, dass gerade »[…] typische Verhaltensweisen wie Skripts und menschliche Routinen nicht einfach aufgrund der Anwesenheit einer Videokamera unterbunden werden […]«, die habituellen Praktiken innerhalb der Interaktion von Lehrkraft und Schüler_innen demnach weitestgehend unbeeinflusst blieben und – so Leutner-Ramme – unter dem »Druck« einer Beobachtungssituation eher von einer Verstärkung ihrer Stabilität auszugehen sei.725 Die methodische Reflexion zur Frage der Reaktanz in den dieser Untersuchung zugrunde liegenden Unterrichtsaufnahmen weist auf ein ähnliches Phänomen der Gewöhnung hin: Während in den ersten gefilmten Unterrichtsstunden sowie vor allem zu Stundenbeginn zu beobachten war, dass einzelne Schüler_innen den Blickkontakt zur Kamera aufnahmen und teilweise winkende Gesten oder das »Peace-Zeichen« machten, war derartiges Verhalten im weiteren Verlauf der Stunde sowie der Unterrichtseinheit kaum noch zu verzeichnen. Mit der Zeit nahm zudem das Interesse der Schüler_innen daran ab, während der Aufbauphase durch den Sucher der Kamera zu schauen, sich im Display zu betrachten oder Fragen zu Stativ und weiterem Equipment zu stellen. Im Gespräch im Anschluss an die Erhebung schätzten die Lehrkräfte ihrer eigene sowie die von ihnen bei den Schüler_innen wahrgenommene Beeinflussung durch die Präsenz der Kamera ähnlich ein. Sie äußerten teilweise Verwunderung darüber, wie schnell sie diese im Unterrichtsgeschehen ausgeblendet hätten. Mit der dargelegten Erhebungsmethode wurde im Zeitraum von September 2013 bis Juni 2014 an drei verschiedenen niedersächsischen Grundschulen726 je

723 Vgl. Klette 2009, S. 62; vgl. Fankhauser 2013, S. 1; Knoblauch/Schnettler 2007, S. 588; vgl. Leutner-Ramme 2000, S. 231; vgl. Lippe 2009, S. 28; vgl. Tuma/Schnettler/Knoblauch 2013, S. 13. 724 Knoblauch/Schnettler 2007, S. 588; vgl. Brandt/Krummheuer/Naujok 2001, S. 19; vgl. Hosenfeldt et al. 2007, S. 307; vgl. Kocher/Wyss 2008, S. 82; vgl. Tuma/Schnettler/Knoblauch 2013, S. 13; vgl. Wagner-Willi 2004, S. 55. 725 Hosenfeldt et al. 2007, S. 307; vgl. Kocher/Wyss 2008, S. 82; vgl. Leutner-Ramme 2000, S. 235f., 247. 726 In jeder der an der Untersuchung teilnehmenden Grundschulen ist der Religionsunterricht konfessionell-kooperativ konzeptioniert.

Methodisches Vorgehen

135

eine vollständige Unterrichtseinheit zur Exodus-Erzählung aufgezeichnet.727 Das audiovisuelle Datenmaterial umfasst insgesamt 38 Religionsunterrichtsstunden # 45 Minuten. Zudem wurden seitens der Forscherin während des Unterrichts Protokolle zum Unterrichtsverlauf sowie Feldnotizen angefertigt. Die Lehrkräfte stellten ergänzend den Großteil des im Unterricht verwendeten Materials zur Verfügung.

5.2.2 Datenaufarbeitung und Transkription Im Anschluss an die Erhebung der einzelnen Unterrichtseinheiten wurden die audiovisuellen Daten in digitaler Form archiviert. Parallel zur Prüfung der Bildund Tonqualität des gesamten Datenkorpus wurden die in der Erhebungssituation angefertigten Verlaufsprotokolle als Grundlage für die spätere Orientierung innerhalb des Materials ergänzend aufgearbeitet. Die Transkripte basieren primär auf der erhobenen verbalen Kommunikation, also der Audiospur der Videodaten. Während des Transkribierens wurden jedoch auch die visuellen Daten hinsichtlich der für die Interaktion relevanten nonverbalen Kommunikationssignale analysiert und jene in Form entsprechender Beschreibungen in das Transkript eingefügt. Auf diese Weise wurde zum einen versucht, dem der Kommunikation inhärenten Prinzip der Verschränkung von verbalen und nonverbalen Signalen Rechnung zu tragen und zum anderen die durch das audiovisuelle Vorgehen erhobene Menge der Daten sowie ihre inhaltliche Komplexität in eine Form zu bringen, welche innerhalb der qualitativen Analyse bearbeitbar und für die anschließende Darstellung innerhalb der Monographie geeignet sein würde. Die Komplexitätsreduktion des Datenmaterials erfolgte dabei stets unter der Berücksichtigung des für die Fragestellung relevanten Grads der Detailliertheit der Transkriptionen. Die Beschreibung der nonverbalen Handlungen wurde – entsprechend dem Vorgehen der Transkription der verbalen Handlungen – unter der Prämisse durchgeführt, auf einer vorikonografischen Ebene zu verbleiben, die beobachtbare Mimik und Gestik also ohne eine Unterstellung von »Weil- und Um-zuMotiven« darzulegen.728 In Fällen, in denen die Handlung als Element der die Schul- und Unterrichtspraxis ordnende Symbolik erkannt wurde (z. B. »meldet sich« statt »regt den Arm mit gestreckten Zeigefinger über seinen Kopf«) oder in denen die rein technische Beschreibung der Mimik kein – wie Nentwig727 In einer Vorerhebung erfolgte zudem an einer weiteren Grundschule die Aufzeichnung einer Unterrichtseinheit zur David-Erzählung (insg. vier Doppelstunden # 90 Minuten), um das entwickelte Erhebungsdesign und die technische Ausrüstung zu testen. 728 Vgl. Nentwig-Gesemann/Nicolai 2015, S. 53.

136

Untersuchungsdesign

Gesemenann und Nicolai formulieren – adäquates »emotional-atmosphärisches Bild der Situation« wiedergeben würde (z. B. »lächelt« statt »zieht beide Mundwinkel nach oben …«), also der mimische Ausdruck nicht angemessen transportiert würde, wurde zugunsten des besseren Verständnisses auf eine rein deskriptive Darstellung verzichtet.729 Nentwig-Gesemenann und Nicolai bezeichnen diese Form der Interpretation mit Bezug auf die Arbeit Imdahls730 als »wiedererkennendes Sehen«, welches stets standortverbunden, konventionell und hypothetisch sei und darauf beruht, »[…] dass der Forscher etwas bereits kennt und begrifflich fassen kann«.731 Die Transkription erfolgte mit Hilfe des Programms »FOLKER«732 und orientiert sich an den Richtlinien des Gesprächsanalytische Transkriptionssystems »GAT2«.733 Nach der Testung verschiedenster Transkriptionsprogramme überzeugte das Programm FOLKER hinsichtlich des Verhältnisses von zeitökonomischer Bedienbarkeit und enthaltener Bearbeitungswerkzeuge und -funktionen. So bietet es u. a. den Vorteil, die jeweiligen Transkriptionsdateien sowohl in Form einer Segmentliste734, als auch in Form einer Partitur735 auszugeben. Während sich die Segmentansicht durch ihre einfachere Lesbarkeit für die Darstellung der Transkripte innerhalb dieser Arbeit anbietet, ermöglich die Partituransicht während der Analyse die Simultanität der Interaktion abzubilden. Interaktiv dichte Stellen sind mit dieser Ansicht schneller zu identifizieren. Für die Anonymisierung der Daten wurden alle Eigennamen und Ortsbezeichnungen ersetzt, welche zu einer Identifizierung der handelnden Personen führen könnten. Zugunsten einer besseren Anschaulichkeit wurden keine Abkürzungen, sondern vollständige Namen verwendet.736

729 Vgl. Nentwig-Gesemann/Nicolai 2015, S. 53; vgl. Kater-Wettstädt 2015, S. 70; vgl. Spieß 2014, S. 96. 730 Siehe hierzu Imdahl 1996, hier S. 92. 731 Nentwig-Gesemann/Nicolai 2015, S. 53. 732 Das Transkriptionsprogramm FOLKER wurde von dem Archiv für Gesprochenes Deutsch (AGD) des Instituts für Deutsche Sprache entwickelt und wird seitens des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim der wissenschaftlichen Öffentlichkeit frei zur Verfügung gestellt. Siehe http://agd.ids-mannheim.de/folker.shtml. 733 Siehe hierzu Selting et al. 2009. 734 In der Ausgabeform der Segmentliste, werden die transkribierten Äußerungen der Sprechenden untereinander angeordnet (vertikale Leseweise). Gleichzeitiges Sprechen wird hier dadurch gekennzeichnet, dass parallel Gesprochenes bei den jeweiligen Sprechenden in eckige Klammern gesetzt wird. 735 In der Ausgabeform der Partitur wird jedem Sprechenden eine eigene Zeile zugeordnet (horizontale Leseweise). Hier liegt gleichzeitig Gesprochenes in den Zeilen übereinander (Überlappungen). 736 In den Fällen, in denen der Sprechende nicht eindeutig identifiziert werden kann, wird jedoch die Abkürzung »uk« (»unknown«) verwendet.

137

Methodisches Vorgehen

Transkriptionsrichtlinien (nach Selting et al. 2009): Standardsprachliche Äußerungen

Überlappungen und Simultansprechen Mikropause Kurze geschätzte Pause (0.2–0.5 Sek.) Mittlere geschätzte Pause (0.5–0.8 Sek.) Längere geschätzte Pause (0.8–1.0 Sek.) Gemessene Pause (in Sek.)

Standardorthographische Notation (literarische Umschrift: Kleinschreibung, keine Interpunktion, keine Apostrophe, keine Bindestriche, keine Diakritika) Sprecher_in 1: [ ] Sprecher_in 2: [ ] (.) (-) (- -) (- - -) (2.5)

Para- und außersprachliche Handlungen und Ereignisse Zweisilbige Rezeptionssignale

hm_hm, ja_a

Undeutliche, akustisch schwer verständliche Äußerungen, vermuteter Wortlaut

()

((hustet)), ((lacht)), ((blickt zur Tafel))

Unverständliche Passage Auslassung im Transkript

((unverst.))

Dehnung um ca. 0.2–0.5 Sek. Dehnung um ca. 0.5–0.8 Sek. Dehnung um ca. 0.8–1.0 Sek. Tonhöhenbewegung:

: :: :::

Hochsteigend (fragend) Steigend Fallend Gleichbleibend

? ’ `

Intonatorische Betonung/Akzentuierung Abbruch der Äußerung

akZENT, beTOnung abbruch der äuß/

((…))



Weitere verwendete Markierungen: Beschriftung der Transkripte: z. B. I.5.TA.13

I: Markierung der Unterrichtseinheit (I, II, III) 5: Markierung der Stunde der Einheit TA: Transkriptabschnitt 13: Nummerierung des jeweiligen Transkriptabschnitts

Durch den Sprechenden zitierte Rede »« Markierung der intonatorischen Akzent, Betonung (statt akZENT, Betonung/Akzentuierung innerhalb im beTOnung) Fließtext verwendeter Transkriptzitate737 Tabelle 1: Transkriptionsrichtlinien (nach Selting et al. 2009) 737 Die übrigen Markierungen des Gesprochenen entsprechend der dargelegten Transkripti-

138

Untersuchungsdesign

5.2.3 Datenauswertung »Die Rekonstruktion der Handlungspraxis zielt auf das dieser Praxis zugrunde liegende habitualisierte und z. T. inkorporierte Orientierungswissen, welches dieses Handeln relativ unabhängig vom subjektiv gemeinten Sinn strukturiert.« [Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2013, S. 9]

Das Ziel dieser Untersuchung ist nicht die Analyse des reflexiven Wissens der im Unterricht Agierenden – also nicht das Wissen, das die Lehrkräfte über den Unterrichtsgegenstand Bibel oder ihre bibeldidaktische Praxis im Sinne von »Common-Sense-Theorien« in einer Befragung explizieren könnten – sondern des ihrer Handlungspraxis zugrundeliegenden impliziten Wissens, welches ihre Handlungen leitet, ohne dabei reflexiv verfügbar zu sein.738 Daher bedarf es einer Methode für die Auswertung der erhobenen Daten, die eine Rekonstruktion dieser Wissensform sowie der auf ihrer Grundlage erfolgenden (interaktiven) Bedeutungskonstruktion ermöglicht. Diesen Anspruch erhebt die von Bohnsack entwickelte dokumentarische Methode. Mit ihr knüpft Bohnsack an die wissenssoziologischen Arbeiten Mannheims und dessen »Entwurf der ›Dokumentarischen Methode der Interpretation‹«739 an. Der dokumentarischen Methode liegt – anschließend an die oben angeführten methodologischen Überlegungen – die Unterscheidung von theoretischem »kommunikativen« Wissen und dem die alltägliche habitualisierte Handlungspraxis leitenden, atheoretischen »konjunktiven« Wissen zugrunde.740 Letztgenanntes wird »[…] in der selbst erlebten Praxis, also in einer Praxis, in welche die AkteurInnen jeweils selbst eingebunden sind, erworben, eben erlebt« und »orientiert« dieses zugleich handlungsleitend.741 Wird dieses Wissen, diese »konjunktiven Erfahrungen« oder Orientierungen, von mehreren Personen geteilt, ist – so Bohnsack – ein gegenseitiges »unmittelbares Verstehen« ohne das Erfordernis einer Interpretation möglich und es wird vom Teilen eines gemeinsamen »konjunktiven Erfahrungsraumes« gesprochen.742 Als ein Beispiel für diese Doppelstruktur von kommunikativem und konjunktivem Wissen in der alltäglichen Verständigung benennt Bohnsack die Bedeutungszuschreibung hinsichtlich des Begriffs »Familie«. Während jedem dessen Bedeutung auf der kommunikativen, objek-

738 739 740 741 742

onsrichtlinien bleiben in den innerhalb des Fließtextes angegebenen Transkriptzitaten bestehen. Vgl. Bohnsack 2007, S. 183. Bohnsack 2001, S. 326. Vgl. Bohnsack 2011b, S. 40; vgl. Bohnsack 2009, S. 321; vgl. Bohnsack 2007, S. 183; vgl. Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2013, S. 9; vgl. Weller 2005, S. 297. Bohnsack 2009, S. 323; Bohnsack 2001, S. 331. Bohnsack 2009, S. 323; vgl. Bohnsack 2014, S. 60f.; vgl. Bohnsack 2001, S. 329; vgl. Mannheim 1980, S. 230f.

Methodisches Vorgehen

139

tiven Sinnebene zugänglich sei, als »Allgemeinbegriff«, als Beschreibung einer soziologischen Institution über kulturelle, millieuspezifische oder religiöse Grenzen hinweg, sei die »individuell-fallspezifische Besonderheit«, das in der konkreten familiären Alltagspraxis »erlebte«, kollektiv geteilte Wissen über die Familie, nur über die Teilhabe an dem spezifischen konjunktiven Erfahrungsraum zu fassen.743 Erfahrungsräume, in denen auf Grundlage kollektiv geteilter Erfahrungen habitualisiertes Wissen generiert wird, können gruppen- oder interaktionsspezifisch aber auch in einem abstrakteren Sinne »millieu-, generations- und geschlechtsspezifisch« sein.744 Asbrand und Nohl weisen in ihren Überlegungen zu Erfahrungsräumen im schulischen Kontext zudem auf die Möglichkeit hin, dass diese auch gegenstandsbezogen sein könnten:745 »Dabei kann es sich um Gegenstände, um Artefakte handeln, mit denen Lernende beim Lernen interagieren, aber auch Lerngegenstände im abstrakten Sinn konstituieren Erfahrungsräume.«746 Den Zugang zu den konjunktiven Orientierungen, dem impliziten Wissen, welches die Handlungspraxis bestimmt erreicht die dokumentarische Methode durch den oben bereits angesprochenen Wechsel der Analyseperspektive vom »Was« zum »Wie«. Es wird nicht bzw. nicht primär danach gefragt, was die Bedeutung einer Handlung einer Äußerung ist bzw. welche ihr seitens des Handelnden zugeschrieben wird, sondern vor allem danach, wie diese Bedeutung konstruiert wird, auf welche Weise diese hergestellt wird.747 Dieser Wechsel basiert – wie u. a. Weller oder Bonnet darlegen – auf der Unterscheidung dreier Sinnebenen: der Ebene des objektiven, wörtlichen, »immanenten« Sinns, der Ebene des »intendierten Ausdruckssinns« sowie der Ebene des »dokumentarischen« Sinns, auf welcher das Verstehen durch das Teilen konjunktiven Wissens erfolgt.748 »Es geht beim Dokumentsinn also um das, was verbale Interaktionen […] über den immanenten Sinngehalt hinaus ausdruckmäßig repräsentieren, worauf in ihnen also implizit verwiesen und was in der Alltagsinteraktion intuitiv verstanden wird.«749 Während der seitens der Handelnden intendierte Sinn im Rahmen der Analyse mittels der dokumentarischen Methode keine Rolle spielt, bildet sich die »methodologische Leitdifferenz« zwi743 Vgl. Bohnsack 2001, S. 330; vgl. Bohnsack 2011b, S. 42f.; vgl. Bohnsack 2007, S. 183; vgl. Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2013, S. 16. 744 Vgl. Bohnsack 2009, S. 323; vgl. Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl S. 16. 745 Vgl. Asbrand/Nohl 2013, S. 158. 746 Ebd. 747 Vgl. Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2013, S. 13f.; vgl. Bohnsack 2011b, S. 42; vgl. Bohnsack 2007, S. 180. 748 Vgl. Weller 2005, S. 297; vgl. Bonnet 2009, S. 223. 749 Strübing 2013, S. 148.

140

Untersuchungsdesign

schen immanentem und dokumentarischem Sinn in den forschungspraktischen Schritten der formulierenden sowie der reflektierenden Interpretation ab, auf welche im Folgenden im Rahmen der Darlegung des konkreten analytischen Vorgehens genauer eingegangen wird.750 Ist die dokumentarische Methode ursprünglich ein in den Sozial- und Erziehungswissenschaften angewendetes Verfahren zur Rekonstruktion des kollektiven Habitus, welches zunächst vor allem auf die Auswertung von Gruppendiskussionen gerichtet war, wird sie inzwischen zudem zur Interpretation anderer Datenformen wie Bildern, Filmen, Protokollen oder Fachtexten sowie narrativ-biografischer Interviews genutzt, da auch der individuelle, persönliche Habitus zu ihrem Gegenstandsbereich gehört.751 Mit ihrer prinzipiellen Offenheit gegenüber jeglichen Formen alltäglicher Kommunikation bzw. Interaktion hat die dokumentarische Methode besonders in den letzten zehn Jahren auch für die Unterrichtsforschung an Bedeutung gewonnen.752 Gerade in Verbindung mit der videographischen Datenerhebung, die einen »[…] empirischen Zugang zur Performanz von Praxis im Moment ihres Vollzugs […]« ermöglicht, eröffnet sie neue Perspektiven in der Erforschung unterrichtlicher und auch fachdidaktischer Praxen.753 Auch wenn die dokumentarische Methode inzwischen in ganz unterschiedlichen Gegenstandsbereichen Anwendung findet, bedarf ihre Verwendung für die Untersuchung von videografisch dokumentierter unterrichtlicher Praxis einer Anpassung des forschungspraktischen Vorgehens.754 Während der von Bohnsack ausgearbeitete Ansatz zur Interpretation von visuellen Daten wie Bildern und Filmen bzw. Videos nicht nur die »Gestaltungsleistungen« der agierenden, gefilmten Personen (»abgebildete BildproduzentInnen«) sondern auch die der filmenden Person(en) (»abbildende BildproduzentInnen«) in die Analyse einschließt,755 steht in der Unterrichtsforschung allein die Analyse der durch die Agierenden (Lehrkräfte, Schüler_innen) gestalteten Interaktion 750 Vgl. Bohnsack 2014, S. 65; vgl. Bohnsack 2011b, S. 43. 751 Vgl. Bohnsack 2014, S. 33, 67, 107ff., 157ff., 175ff.; vgl. Bohnsack/Nentwig-Gesemann/ Nohl 2013, S. 17ff.; Vgl. Bonnet 2011, S. 194. 752 Vgl. Bonnet 2009, S. 220; vgl. Bonnet 2011, S. 192. Eine federführend von Bohnsack, Nentwig-Gesemann und Nohl zusammengestellte online verfügbare und regelmäßig aktualisierte Literaturliste von Publikationen zur Forschung mit der dokumentarischen Methode (seit 2007) gibt u. a. einen Überblick über die erschienenen Veröffentlichungen zur Erforschung von Unterricht, (Fach-)Didaktik und Kompetenzerwerb: www.dokumenta rischemethode.de [letzter Zugriff: 12. 01. 2018]. 753 Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2013, S. 20; vgl. Bonnet 2009, S. 223; vgl. Martens/ Spieß/Asbrand 2016, S. 178. Im Bereich der Religionspädagogik gibt es bisher noch vergleichsweise wenig Forschungsprojekte, welche dieses Potential zur Erschließung fachlicher Lehr-Lernprozesse nutzen. Siehe hierzu Roose 2014; sowie Schori 2016. 754 Vgl. Bonnet 2011, S. 197; vgl. Bonnet 2009, S. 224f., 235; vgl. Martens/Petersen/Asbrand 2015, S. 179; vgl. Petersen 2016, S. 53. 755 Vgl. Bohnsack 2014, S. 176; siehe hierzu auch: Bohnsack 2009.

Methodisches Vorgehen

141

im Mittelpunkt, und die Gestaltungsleistung der filmenden Forscher_innen ist nur hinsichtlich der Reflexion ihrer Standortgebundenheit von Bedeutung.756 Unter Wahrung ihrer grundsätzlichen Zielsetzung und der steten Vergegenwärtigung ihrer methodologischen Rahmung wurde das analytische Vorgehen der dokumentarischen Methode auch für diese Untersuchung in bestimmten Aspekten modifiziert und ergänzt, um eine optimale Passung zu der diesem Forschungsvorhaben zugrundeliegenden Fragestellung zu erreichen. Mit dem Ziel der Rekonstruktion der Bedeutungskonstruktion hinsichtlich des Wesens der biblischen Erzählung und des diese Sinnkonstruktion orientierenden impliziten Wissens liegt der Fokus der Analyse in dieser Arbeit auf der Kommunikation zwischen Lehrkraft und Schüler_innen. Die Analyse wurde in Anlehnung an die sequenzielle Gesprächsanalyse757 durchgeführt, welche üblicherweise für die dokumentarische Interpretation vorwiegend verbaler Daten verwendet wird. Dabei erfolgte ergänzend eine an der Relevanz für die Interaktion orientierte Berücksichtigung der nonverbalen Daten.758 Die Auswahl der zu analysierenden Szenen der videografierten Unterrichtskommunikation wird in der Forschungspraxis der dokumentarischen Methode zumeist durch die Identifikation von als »Fokussierungsmetaphern« bezeichneten Diskurspassagen getroffen, welche sich durch eine besonders hohe interaktive (z. B. häufige Sprecher_innenwechsel, paralleles Sprechen, emotionale Involviertheit der Sprechenden etc.) sowie metaphorische (inhaltliche) Dichte auszeichnen.759 Innerhalb dieser werden – so Bohnsack – die (kollektiven) Orientierungen der Akteure »[…] in besonders prägnanter und/oder elaborierter Weise zum Ausdruck gebracht.«760 Da für die Bedeutungskonstruktion innerhalb der religionsunterrichtlichen Interaktion gerade auch die Passagen von Bedeutung sein können, in welchen die interaktive Dichte sehr gering ist (z. B. Vortrag/Monolog der Lehrkraft), und in besonderem Maße die individuellen Orientierungen der Lehrkräfte und ihre darauf basierende bibeldidaktische Handlungspraxis im Fokus der Untersuchung stehen, wurde zur Auswahl der zu analysierenden Sequenzen ein aus dem hermeneutischen Interpretationsprozess der Incidentanalyse761 entlehntes Vorgehen genutzt. Das Pendant zur Fo756 757 758 759 760 761

Vgl. Martens/Petersen/Asbrand 2015, S. 182; vgl. Martens/Spieß/Asbrand 2016, S. 183. Vgl. Przyborsky 2004. Vgl. Martens/Petersen/Asbrand 2015, S. 182; vgl. Martens/Spieß/Asbrand 2016, S. 183f. Vgl. Bohnsack 2014, S. 88, 125f., 195. Ebd., S. 125. Das Konzept der Incidentanalyse, auf welches sich hier bezogen wird, wurde im Rahmen des EU-Forschungsprojekt zu Möglichkeiten und Grenzen von Religion in Bildungsbereichen wie Schule und Hochschule (REDCo – Religion in Education. A contribution to Dialogue or a factor of Conflict in transforming societies of European Countries) zur Analyse von Unterrichtsvideografien ausgearbeitet und verwendet. Siehe hierzu Knauth 2009a; sowie Knauth 2009b.

142

Untersuchungsdesign

kussierungsmethapher bilden innerhalb dieser die sogenannten »Incidents«. Knauth beschreibt Incidents als kommunikative Ereignisse, welche spezifische Strukturen oder Muster der Interaktion repräsentieren, die unterhalb der Oberfläche dieser liegen762. Diese Strukturen stehen für ein – so Herrlitz, auf den sich Knauth in seinen Überlegungen bezieht – »praktisches Wissen«, also ein in der Praxis erfahrenes und die Handlungspraxis leitendes Wissen.763 »Das Bild eines Eisbergs, der mit seiner Spitze aus dem Wasser ragt, veranschaulicht gut, dass ein Incident einen Sachverhalt veranschaulicht, der erst in einer tiefergehenden Analyse in seiner gesamten Bedeutung hervortritt.«764 Ausgehend von der der Untersuchung zugrundeliegenden Fragestellung werden »incidentsuspicious sequences« ausgewählt, also solche Szenen, welche hinsichtlich der Leitfrage besonders interessant, ungewöhnlich, überraschend oder kritisch erscheinen und auf die unter ihrer Interaktionsoberfläche liegende Struktur hin untersucht.765 Durch seine praxeologische Ausrichtung und die von Knauth konstatierte Offenheit des Incident-Konzepts für verschiedene Methoden der qualitativen Analyse bietet dieses ein geeignetes Vorgehen für die Identifizierung von mit der dokumentarischen Methode auszuwertenden Unterrichtssequenzen. Im Anschluss an die Transkription erfolgt in einem ersten Schritt der dokumentarischen Analyse die formulierende Interpretation766. Nach Bohnsack »[…] verbleibt [sie] im Bereich des »immanenten« Sinngehalts – ohne allerdings zu dessen Geltungsansprüchen (hinsichtlich Wahrheits- und Realitätsgehalt) Stellung zu nehmen.«767 Hier geht es also darum, den immanenten, wörtlichen Sinngehalt, das »Was« des Gesagten zusammenfassend zu formulieren, um so einen Überblick über die thematische Struktur zu erhalten und eine intersubjektive Überprüfbarkeit des wörtlichen Gehalts zu ermöglichen.768 Nach einer Gliederung der ausgewählten Sequenz in Ober- und Unterthemen769 wird das Gesagte in einer Art Inhaltsangabe »[…] knapp und in einer möglichst allgemein verständlichen Sprache […]« zusammengefasst.770 Äußerungen oder Formu762 763 764 765 766 767 768 769 770

Vgl. Knauth 2009b, S. 360; vgl. Knauth 2009c, S. 335. Vgl. Herrlitz 1994, S. 28; vgl. Knauth 2009a, S. 23. Knauth 2009b, S. 360; vgl. Knauth 2009a, S. 23f. Vgl. Knauth 2009a, S. 24; vgl. Knauth 2009b, S. 360. Als Interpretation ist dieser Schritt anzusehen, da eine zusammenfassende Reformulierung und damit bereits eine Form von Übersetzung des Sprachgebrauchs der Beforschten in die Sprache der Forschenden erfolgt. Vgl. Bohnsack 2014, S. 136; vgl. Przyborski 2004, S. 53. Bohnsack 2014, S. 136. Vgl. Bohnsack 2014, S. 136; vgl. Bohnsack 2013b, S. 190; Bohnsack/Nohl 2013, S. 325; vgl. Przyborski 2004, S. 53. Die Bezeichnungen Oberthema, Unterthema bzw. Unter-Unterthema werden im Folgenden mit OT, UT bzw. UUT abgekürzt. Przyborski 2004, S. 53.

143

Methodisches Vorgehen

lierungen, deren Bedeutung auf der Ebene des immanenten Sinns nicht zu fassen sind, oder solche, welche diesen bereits treffend darlegen, werden als wörtliche Zitate aufgenommen.771 Beispielausschnitt einer formulierenden Interpretation 1–185 72 73 74

[…] Lasse:

(zum) die bibel will uns etwas erKLÄren

((nickt leicht)) was will sie Lehrkraft: uns denn mit dieser geschichte erKLÄren dass man (-) lernen sollte Lasse: NACHzugeben (- -) dass man

OT: Überlegungen zu Deutung und Verständnis der gehörten Erzählung: […] UT: Die Bibel hat eine erklärende Absicht Die Bibel will mit dieser Geschichte etwas erklären.

(- - -) sich nicht SELbst überschätzen sollte zum beispiel wie der pharao UUT: Konkretisierung der Erklärabsicht es sich äh äh getan hat Die Bibel will mit der Geschichte er hatte gedacht er würde alle erklären, dass man lernen sollte, plagen einfach ABwenden nachzugeben und sich nicht selbst wie es auch bei den ersten zu überschätzen. WAren Ein Beispiel hierfür ist das Verhalten (- -) aber gegen den TOD’ (-) des Pharaos. Der Pharao dachte, er könne alle kann man NICHTS tun Plagen – so wie die ersten – einfach deswegen will die bibel uns ja abwenden. lehren’(-) nachzugeben halt Gegen den Tod ist er aber machtlos. sich nicht ja jetzt zu tun als Aus diesem Grund will uns die Bibel wenn man alles äh (-) lehren, nachzugeben. machen könnte halt (2.41)

75 76 77 78 79 80 81 82

((nickend)) ne sehr gute erklärung lasse (2.0) Tabelle 2: Beispielausschnitt einer formulierenden Interpretation 83

Lehrkraft:

Mit dem zweiten Schritt der dokumentarischen Methode, der reflektierenden Interpretation, erfolgt der Wechsel der Analyseperspektive vom »Was« zum »Wie«, welcher die von Bohnsack als »methodologische (Leit-)Differenz« bezeichnete Unterscheidung von kommunikativem, immanenten und konjunktivem, dokumentarischen Sinngehalt ausdrückt.772 »Ziel dieses Interpretations771 Vgl. Przyborski 2004, S. 55. 772 Vgl. Bohnsack 2013b, S. 190; vgl. Bohnsack 2011b, S. 43; vgl. Bohnsack 2001, S. 337.

144

Untersuchungsdesign

schrittes ist die Rekonstruktion von Orientierungen und Habitus.«773 Hier gilt es, über die Frage, wie ein Thema dargelegt, bearbeitet, verhandelt wird, den (Orientierungs-) Rahmen, innerhalb dem dies geschieht, zu rekonstruieren und so das sich dokumentierende konjunktive, handlungsleitende Wissen offen zu legen.774 Die impliziten, das Handeln strukturierenden Orientierungen der Akteure werden – so Bonnet – mittels eines sequenzanalytischen Vorgehens herausgearbeitet, in welchem die aufeinanderfolgenden Beiträge (verbal und non-verbal) »[…] auf ihre sprachlichen (semantischen Merkmale wie z. B. Metaphern) und diskursstrukturellen (Modi der Themenentfaltung wie z. B. Argumentation) Merkmale hin analysiert und daraus Orientierungsrahmen rekonstruiert« werden.775 Die Analyse der Unterrichtsinteraktion hinsichtlich der spezifischen Gestaltung des diskursiven Dreischritts von »Proposition« – also dem ersten Aufwerfen eines Orientierungsgehaltes – »Elaboration« und »Konklusion« gibt dabei Aufschluss darüber, ob und in welcher Weise Orientierungsgehalte von den Agierenden geteilt werden.776 Durch die Rekonstruktion der Art und Weise, wie einzelne Bedeutungszuschreibungen von Lehrkräften und Schüler_innen innerhalb der Unterrichtsinteraktion geäußert, elaboriert, validiert, antithetisch aufgegriffen und konkludiert werden, wird ein Zugang zu dem diese Prozesse strukturierende impliziten (Handlungs-)Wissen eröffnet.777 Beispielausschnitt einer reflektierenden Interpretation 72–73: (Anschluss-)Proposition »Erklärung« [Lasse], immanente Nachfrage [Lehrkraft]: Lasse nutzt für seine Antwort auf die Frage der Lehrkraft die von ihr zuvor verwendete Formulierung (»[…] oder will uns die Bibel damit etwas erklären?«). Dabei wird durch das Weglassen der in der Formulierung der Lehrkraft enthaltenen Spezifizierung der Erklärabsicht auf das zuvor Gehörte bzw. auf die Art der Schilderung (»damit«) eine generelle erklärende Intention der Bibel ausgedrückt. Wie bereits in der Äußerung der Lehrkraft wird die Bibel personalisiert und ihr eine Intention, ein Wille zugeschrieben. In ihrer Nachfrage nimmt auch die Lehrkraft die Formulierung »will erklären« noch einmal auf und grenzt – wie schon in ihrer vorangegangenen Frage – durch die Ergänzung »mit dieser Geschichte« die Erklärabsicht der Bibel auf die zuvor gehörte Erzählung ein.

773 774 775 776

Przyborski 2004, S. 55; vgl. Bohnsack 2014, S. 137f. Vgl. Bohnsack 2014, S. 137; vgl. Bohnsack 2011b, S. 43; vgl. Przyborski 2004, S. 55. Bonnet 2011, S. 196; vgl. Przyborski 2004, S. 57. Vgl. Przyborski 2004, S. 59; Für die reflektierende Analyse wurde sich an dem von Przyborski im Rahmen ihrer Überlegungen zur dokumentarischen Gesprächsanalyse dargelegten Begriffsinventar orientiert. Vgl. Przyborski 2004, S. 61–77. Eine diesem entsprechende Legende der verwendeten Begriffe ist im digitalen Anhang aufgeführt. Siehe hierzu Tabelle 247 im digitalen Anhang. 777 Vgl. Bohnsack/Nohl 2013, S. 325.

Methodisches Vorgehen

145

(Fortsetzung) Beispielausschnitt einer reflektierenden Interpretation 74–82: Elaboration der Proposition »Erklärung« im Modus einer Exemplifizierung [Lasse]: Eine Elaboration der Proposition durch Lasse findet erst in Folge der immanenten Nachfragen der Lehrkraft, was »sie«, die Bibel, mit dieser Geschichte erklären wolle, statt. Er führt den Orientierungsgehalt der erklärenden Absicht der Bibel weiter aus (»dass man lernen sollte, nachzugeben, dass man sich nicht selbst überschätzen sollte«) und elaboriert diese im Modus einer Exemplifizierung zunächst narrativ und dann argumentativ. Lasse erweitert mit dem Nachsatz »dass man sich nicht selbst überschätzen sollte« seine erste Aussage (»dass man lernen sollte nachzugeben«) über die Notwendigkeit des Nachgebens. Die Formulierung »z. B. wie der Pharao es […] getan hat« impliziert, dass es sich bei der genannten Erklärabsicht der Bibel um eine allgemeingültige handelt, welche sich aber am Verhalten des Pharaos in dieser Geschichte beispielhaft erläutern lässt. Nicht nur der Pharao sollte nachgeben und sich nicht selbst überschätzen, sondern die Allgemeinheit, »man«. In Lasses Erklärung, dass der Pharao davon ausging, alle Plagen abwenden zu können, gegen den Tod aber nichts getan werden könne, klingt die Schilderung der Lehrkraft von der ausweglosen Situation des Pharaos in Anbetracht der zehnten Plage an (»Wenn die Magier des Pharaos bislang alle Plagen noch wieder zum Guten wenden konnten, aber gegen den Tod war er machtlos, waren sie machtlos.«), welche in der vorangegangenen Unterrichtsphase erfolgte. In der Formulierung seines argumentativen Rückschlusses aus der Situation des Pharaos (Nutzung der Partikel »ja« und »halt«) dokumentiert sich die Annahme, dass dieser Schluss so erfolgen muss und gewissermaßen selbstverständlich ist bzw. sein sollte. Auch Lasse fügt – wie die Lehrkraft – ein »uns« in seine Formulierung der Aussageabsicht der Bibel ein und stellt damit einen direkteren/spezifischeren Bezug der biblischen Lehre zu ihren Adressaten, den Anwesenden, her. […] 83: Validierung [Lehrkraft]: Die Lehrkraft bestätigt die in Lasses Ausführungen enthaltene Orientierung sowohl nonverbal (Nicken) als auch implizit verbal, indem sie diese als »sehr gute Erklärung« bezeichnet. […] Tabelle 3: Beispielausschnitt einer reflektierenden Interpretation

Ein für die dokumentarische Analyse elementares Verfahren der Interpretation ist die komparative Analyse. Erst durch den Vergleich mehrerer Fälle (hier : Incidents) wird das jeweilig Spezifische und Typische der Bearbeitung eines Themas und der darin erfolgenden Bedeutungskonstruktion deutlich.778 So konstatiert Asbrand: »Welche implizite Orientierung sich innerhalb eines Falls dokumentiert, kann rekonstruiert werden, indem gefragt wird, wie dasselbe Thema in unterschiedlichen Fällen bearbeitet wird (fallvergleichend), oder indem homologe Orientierungsmuster innerhalb eines Falles gesucht werden.«779 778 Vgl. Bohnsack/Nohl 2013, S. 326; vgl. Martens/Asbrand 2009, S. 214; vgl. Nohl 2013, S. 273; vgl. Weller 2005, S. 306. 779 Asbrand 2011, S. 11; vgl. Bohnsack/Nohl 2013, S. 326; vgl. Nohl 2013, S. 276.

146

Untersuchungsdesign

Mittels des Fallvergleichs, also dem Heranziehen »empirisch überprüfbarer Vergleichshorizonte«780, wird außerdem die Standortgebundenheit der Forscher_innen methodisch kontrollierbar, da das analytische Vorgehen und die hierbei verwendeten Vergleichshorizonte intersubjektiv nachvollzieh- und überprüfbar werden.781 Über den Weg der komparativen Analyse erfolgt innerhalb der dokumentarischen Methode abschließend der analytische Schritt der Typenbildung, wobei zwischen sinngenetischen sowie soziogenetischen Typiken unterschieden wird.782 Die sinngenetische Typenbildung bildet die erste Stufe der Abduktion und Generalisierung, indem mit Hilfe der Fallkomparation die der Handlungspraxis zugrundeliegenden Habitus bzw. Orientierungsrahmen einer Person oder einer Gruppe spezifiziert und abstrahiert werden.783 Bezogen auf die diese Untersuchung leitenden Forschungsfragen bilden die innerhalb der reflektierenden und komparativen Interpretation rekonstruierten Arten der Präsentation und des Umgangs mit der biblischen Erzählung hinsichtlich ihres besonderen Wesens und der damit verbundenen Bedeutungszuschreibung verschiedene sinngenetische Typen, welche von Bohnsack als »Basistypik« bezeichnet werden.784 Die soziogenetische Typenbildung erfolgt auf einer zweiten Stufe der Abstraktion und fragt nach den Orten, den spezifischen Erfahrungsräumen (z. B. millieu-, geschlechts-, generations- oder bildungsspezifischer Art), in welchen die sinngenetischen Typen zu finden sind bzw. in denen sie entstehen.785 Diese Form der Typenbildung geht über das Ziel bzw. das Forschungsinteresse dieser Untersuchung hinaus, sodass hier keine klassische soziogenetische Interpretation des erhobenen Materials erfolgt. Ergänzend zur Analyse der Transkripte der audiovisuellen Daten auf die oben dargelegte Weise wurden die jeweiligen Videoszenen immer wieder herangezogen, um die Gefahr einer vorschnell erfolgten Reduktion der Daten einzugrenzen.786 Die Ergebnisse der formulierenden und reflektierenden Interpretation sowie der komparativen Analyse zu einem Fall bzw. Incident werden innerhalb des forschungspraktischen Vorgehens der dokumentarischen Methode abschließend in einer Fallbeschreibung verdichtend dargelegt.787 Diese zusam-

780 Nohl 2013, S. 272. 781 Vgl. Asbrand 2011, S. 11; vgl. Bohnsack 2014, S. 139, 218; vgl. Bohnsack 2001, S. 337; vgl. Nohl 2013, S. 272. 782 Vgl. Bohnsack 2013a, S. 249. 783 vgl. Alexi/Fürstenau 2012, S. 211; vgl. Bohnsack 2013a, S. 249; Bohnsack/Nentwig-Gesemann 2011, S. 165. 784 Vgl. Bohnsack 2013a, S. 253; vgl. Bohnsack 2013b, S. 194; vgl. Bohnsack 2009, S. 327. 785 Vgl. Bohnsack 2013b, S. 194; vgl. Bohnsack 2009, S. 328; Bohnsack/Nentwig-Gesemann 2011, S. 165. 786 Vgl. Hampl 2010, S. 54. 787 Vgl. Bohnsack 2014, S. 141.

Methodisches Vorgehen

147

menfassende und die Fallcharakteristik vermittelnde Form wurde auch für die Darstellung innerhalb der vorliegenden Arbeit gewählt.

6

Die Analyse

Die im Folgenden stattfindende Präsentation der Ergebnisse des oben erläuterten analytischen Vorgehens gliedert sich in vier Teile. Die ersten drei Abschnitte sind den Analyseergebnissen je einer der erhobenen Unterrichtseinheiten gewidmet (Kap. 6.1–6.3), der vierte enthält dann die komparative Analyse aller drei Datensätze (Kap. 6.4). Im Anschluss an eine kurze Skizze der formalen Rahmenbedingungen sowie der seitens der Lehrkräfte gestalteten inhaltlichen Konzeption jeder Einheit erfolgt zunächst die Darstellung der Analyse der jeweiligen Einführungen in den biblischen Text hinsichtlich der hier zu beobachtenden Bedeutungszuschreibung. In einem zweiten Schritt werden dann einzelne ausgewählte Incidents dargelegt, welche sich aus Szenen der Unterrichtsinteraktion zusammensetzen, in denen sich für die Fragestellung als besonders interessant und relevant erweisende Orientierungen der Lehrkräfte bzw. Schüler_innen dokumentieren. Der dritte Abschnitt jedes Teilkapitels zu einer der drei Unterrichtseinheiten enthält die zusammenfassende Darlegung der für die gesamte Einheit durchgeführten rekonstruktiven Analyse der Präsentation und Bearbeitung des biblischen Textes hinsichtlich seines besonderen Wesens. Gegliedert in die Aspekte des Erzählsettings, der Hinweise auf Entstehung und Verfasser_innen, der Hinweise auf den Realitätsstatus sowie der Fragen und Äußerungen der Schüler_innen zur biblischen Erzählung wird die über den Verlauf der Unterrichtseinheit stattfindende Bedeutungskonstruktion dargelegt und das sich aus diesen impliziten und expliziten Hinweisen konstruierende Konzept des biblischen Textes herausgearbeitet. Mit dem Ziel, durch das Suchen nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden bezüglich der Präsentationsweisen die sich jeweils dokumentierenden Bedeutungszuschreibungen genauer erfassen zu können, wurden komparative Fallanalysen nicht nur innerhalb der einzelnen Unterrichtseinheiten, sondern auch zwischen diesen durchgeführt. Die Darlegung der Erkenntnisse dieser fall- bzw. datensatzübergreifenden Analysen erfolgt im vierten und letzten Abschnitt des Kapitels. Zu Gunsten der Erhöhung der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit wie auch des Lesekomforts wurden die für die jeweiligen Darstellungen der durchgeführten Analysen zentralen Tran-

150

Die Analyse

skriptabschnitte direkt in den entsprechenden Fließtext eingefügt und nicht erst im Anhang der Arbeit gelistet.

6.1

Unterrichtseinheit I

Die Klasse, in welcher diese Unterrichtseinheit erhoben wurde, umfasste insgesamt zwanzig Schüler_innen, acht Mädchen und zwölf Jungen.788 Zwei der Schüler waren vom Religionsunterricht abgemeldet (nach §124 Abs. 2 Satz 3 NSchG) und beschäftigten sich in dieser Zeit selbstbestimmt mit verschiedenen Formen der Stillarbeit (Lernspiele, Hausaufgaben etc.) auf dem Flur vor dem Klassenraum, wo u. a. für diesen Zweck Tische und Stühle bereitstanden.789 Die Lehrkraft unterrichtete diese Klasse seit Beginn des dritten Schuljahres. Der Religionsunterricht fand in je zwei Einzelstunden (/ 45 Minuten) pro Woche statt. Entsprechend der Schuljahresplanung der Lehrkraft wurde die Erhebung der Unterrichtseinheit zur Exodus-Erzählung zu Beginn des zweiten Halbjahres durchgeführt. Ein Überblick über die inhaltliche Struktur der von der Lehrkraft über einen Zeitraum von zwölf Religionsstunden geplanten Unterrichtseinheit zur Exodus-Erzählung ist innerhalb des digitalen Anhangs in tabellarischer Form dargelegt.790

6.1.1 Einführung in den biblischen Text Die Unterrichtsstunde, in welcher zum ersten Mal Teile aus der Exodus-Erzählung thematisiert wurden, ist in diesem Datensatz zugleich auch die erste Stunde der gesamten Unterrichtseinheit. Bis zur vorangegangenen Stunde ist die biblische Erzählung von Josef und seinen Brüdern (Gen 37;39–45) bearbeitet worden. Im Folgenden wird zunächst ein tabellarischer Überblick über den zeitlichen und inhaltlichen Verlauf der ersten Stunde der Einheit gegeben, bevor im Anschluss die Analyse des Einstiegs in die Exodus-Erzählung erfolgt.

788 Für eine Übersicht über die Sitzordnung der Schüler_innen dieser Klasse siehe Abbildung 2 und 3 im digitalen Anhang. 789 Die Lehrkraft bietet den betreffenden Schülern zu Beginn jeder Religionsunterrichtsstunde die Möglichkeit an, auch im Klassenraum verbleiben zu können und, soweit sie dies möchten, am Unterricht teilzunehmen. 790 Siehe hierzu Tabelle 248 im digitalen Anhang.

151

Unterrichtseinheit I

6.1.1.1 Verlauf der ersten Unterrichtsstunde der Einheit Zeit

Inhalt

Begrüßung: Begrüßung und Kontrolle der Anwesenheit; Eine Schülerin ist nach längerem Kuraufenthalt wieder zurück, was die Lehrkraft zum Anlass nimmt, nicht nur den Inhalt der vergangenen Religionsstunde wiederholen zu lassen, sondern die SuS zu bitten, die vollständige »Josef-Geschichte« nachzuerzählen, welche Gegenstand der vorangegangenen Unterrichtseinheit war. 8–20 Wiederholung: Die SuS erzählen die bis zur vorangegangenen Unterrichtsstunde bearbeitete Geschichte von Josef und seinen Brüdern nach (Gen 37; 39–45). Die Lehrkraft steuert diese Wiederholung durch Nachfragen, ergänzt oder berichtigt Aussagen und kürzt aus ihrer Sicht zu detailreiche Schülerbeiträge ab. 20–26 Bildbetrachtung und -beschreibung (I791): Die Lehrkraft projiziert eine Abbildung an die Tafel (Smartboard) und bittet die SuS zu beschreiben, was sie auf dieser Abbildung erkennen können. Dabei weist sie die SuS wiederholt darauf hin, dass zunächst nicht gedeutet werden soll, wer zu sehen sein könnte, sondern nur eine Beschreibung der Abbildung erfolgen soll. 26–28 Bilddeutung: Nachdem die Lehrkraft die SuS daran erinnert hat, dass sie gerade »noch mal gehört« haben, dass Josef zu seinen Brüdern sagt, sie sollen ihre Familie nach Ägypten holen, schließt sie die Frage an, was die Abbildung an der Tafel »darstellen« könnte. Drei SuS äußern ihre Vermutung.

Form

Material

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Abbildung: »Darstellung einer Karawane mit »Asiaten/Aamu« (‡Zmw) an der Nordwand des Grabes des Chnumhotep II in Beni Hasan»792 (Ausschnitt)

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

0–7

Abbildung: »Darstellung einer Karawane mit »Asiaten/Aamu« (‡Zmw) an der Nordwand des Grabes des Chnumhotep II in Beni Hasan»793 (Ausschnitt)

791 Sofern bestimmte Phasen des Unterrichts mehrfach in einer Stunde zu beobachten sind, wird dies jeweils mit römischen Ziffern gekennzeichnet. 792 Vgl. Görg 1997, S. 9; vgl. Keel 1997, S. 52f. 793 Ebd.

152

Die Analyse

(Fortsetzung)

29–33 Hinführung zu Erzählung (II): Die Lehrkraft schließt die Frage an, ob die SuS ein »besonderes Wahrzeichen« für Ägypten kennen und beginnt damit ein fragend-entwickeltes Unterrichtsgespräch, innerhalb welchem sie die folgenden Fragen gemeinsam mit den SuS bearbeitet: Was ist eine Pyramide? Was braucht man, um eine Pyramide zu bauen? Wie viele Menschen braucht man, um eine Pyramide zu bauen? Wie lange dauert es eine Pyramide zu bauen? Wie nennt man die Menschen, die gezwungen wurden, die Pyramiden zu bauen? 33–34 Erzählung (II): Die Lehrkraft schließt diese Gesprächsphase mit der Frage, was die Idee des Pharaos in Anbetracht der großen Menge an Israeliten gewesen sein könnte, und führt die Antwort Charleens aus, dass aus den Israeliten Sklaven gemacht »wurden«. (Ex 1, 10–14)

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Form

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Inhalt

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Zeit

28–29 Erzählung (I): Die Lehrkraft greift die letztgenannte Äußerung (Jacqueline) auf (»nehmen wir an, es sind die Israeliten, die nach Ägypten kommen«) und schließt einen kurzen Erzählabschnitt an, in welchem sie schildert, dass die Israeliten lange Zeit in Ägypten leben würden, länger als Josef und seine Brüder, länger als der Pharao lebe, ihr Volk immer größer werde, dies dem neuen Pharao missfalle und er die Absicht habe, die Israeliten für die Ägypter arbeiten zu lassen (Gen 47,27; Ex 1, 1–11).

Material

153

Unterrichtseinheit I

(Fortsetzung)

39–46 Bewegungsspiel und Nachbesprechung: Die Lehrkraft kündigt an, dass die SuS nun einmal die Sklaven seien, und bittet sie, aufzustehen und sich hinter ihre Stühle zu stellen. Die Lehrkraft macht für jeden der Arbeitsschritte auf der Abbildung an der Tafel eine Bewegung vor, die von den SuS jeweils viermal wiederholt werden sollen. Nach dieser Einführung beginnt sie als »Sklaventreiber« die einzelnen Arbeitsschritte anzusagen und bei jedem laut bis vier zu zählen. Die SuS führen die jeweiligen zuvor eingeübten Bewegungen durch. Dieser Bewegungsablauf wird insgesamt dreimal durchgeführt. Im Anschluss bittet die Lehrkraft die SuS sich wieder zu setzen und sie sprechen gemeinsam darüber, wie lange sie durchgehalten haben und wie es »damals« den Sklaven bei der Arbeit erging, wenn sie nicht »vernünftig« arbeiteten.

794 Vgl. Keel 1997, S. 64f. 795 Vgl. ebd.

Form

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Inhalt

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Zeit

34–39 Bildbetrachtung und -beschreibung (II): Die Lehrkraft zeigt eine zweite Abbildung über den Projektor an der Tafel und bittet einen der Schüler zu erklären, was auf dem ersten Bildabschnitt zu erkennen sei. Die Lehrkraft lenkt die Beschreibung mit Hilfe von gezielten Nachfragen und der Ergänzung eigener Erklärungen. Die folgenden Bildabschnitte erklärt sie überwiegend selbst und erfragt einzelne Elemente und Prozesse der dargestellten Arbeitsschritte bei den SuS. Abschließend lässt sie die einzelnen dargestellten Arbeitsschritte von den SuS zusammenfassend wiederholen.

Material Abbildung: »Ziegelherstellung im Grab Rechmires in Abd El_Qurna (Theben-West) aus der Zeit Thutmosis’ III. und Amenophis’ II.«794 (Ausschnitt)

Abbildung: »Ziegelherstellung im Grab Rechmires in Abd El_Qurna (Theben-West) aus der Zeit Thutmosis’ III. und Amenophis’ II.«795 (Ausschnitt)

154

Die Analyse

(Fortsetzung) Form

48–51 Hausaufgabe: Die Lehrkraft erklärt, dass die SuS zu Hause auf das AB »Die Israeliten in der Sklaverei« notieren sollen, was die Israeliten »vielleicht gebetet haben könnten«. Um den SuS, die äußern, dass sie hierzu keine Vorstellung hätten, eine Hilfestellung zu geben, lässt sie einige SuS ihre ersten Ideen zu dieser Aufgabenstellung nennen. Im Anschluss lässt sie das Textblatt zum Lied »Gib uns Frieden jeden Tag« sowie das AB »Die Israeliten in der Sklaverei« vom »Austeildienst« verteilen und notiert die Hausaufgabe an der Tafel. Tabelle 4: Verlauf der 1. Stunde, Unterrichtseinheit I

Material Liedtext »Gib uns Frieden jeden Tag«796

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Inhalt

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Zeit

46–48 Lied »Gib uns Frieden jeden Tag«: Die Lehrkraft fragt die SuS, wie sich die Sklaven bei dieser Arbeit (»hier«) gefühlt hätten, fasst die Äußerungen der SuS zusammen und erklärt, dass die Sklaven »vielleicht« in dieser Situation gebetet und gesungen hätten. Nachdem sie erfragt hat, zu wem die Sklaven gebetet haben könnten, liest sie vor, was die Sklaven »vielleicht« gesungen haben könnten (1. Strophe von »Gib uns Frieden jeden Tag«). Die Lehrkraft erklärt, dass sie dieses Lied eigentlich in dieser Stunde noch mit den SuS gemeinsam singen wollte, aber dies aufgrund der fortgeschrittenen Zeit in der nächsten Religionsstunde nachgeholt werde.

Liedtext »Gib uns Frieden jeden Tag«797; AB »Die Israeliten in der Sklaverei«

6.1.1.2 Analyse Die Darlegung der Analyse des Einstiegs in die Exodus-Erzählung erfolgt gegliedert nach den einzelnen Phasen der Unterrichtsstunde (vgl. Tabelle 4).

796 Siehe hierzu Nr. 425 im Evangelischen Gesangbuch. Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) (Hrsg.) (1994): Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Niedersachsen und für die Bremische Evangelische Kirche. Hannover: Lutherisches Verlagshaus GmbH. 797 Ebd.

155

Unterrichtseinheit I

Wiederholung Im Anschluss an die Begrüßung und die Feststellung der vollständigen Anwesenheit bittet die Lehrkraft die Schüler_innen die in den vergangenen Religionsstunden bearbeitete »Geschichte […] von Josef«798 (Gen 37, 39–44) zu wiederholen. Nachdem die Lehrkraft die erste von ihr ausgewählte Sprecherin Mira nach deren Beitrag nonverbal dazu aufgefordert hat, verläuft die Gesprächsorganisation während dieser Wiederholungsphase überwiegend nach dem Prinzip einer seitens der Schüler_innen gesteuerten »Redekette« ab.799 Anders als im Allgemeinen bei dieser Methode üblich greift die Lehrkraft in den Verlauf der Nacherzählung ein, indem sie sich zu den Beiträgen der Schüler_innen äußert, sie validiert, ratifiziert, berichtigt, abkürzt oder durch Zwischenfragen vorantreibt bzw. herausfordert. Die Schüler_innen wie auch die Lehrkraft verwenden über die gesamte Passage zur Schilderung der Inhalte der biblischen Erzählung die Zeitformen der Vergangenheit, wobei das für das (Nach-)Erzählen zumeist übliche Präteritum mit dem im mündlichen Standardsprachgebrauch häufiger genutzten Perfekt vermischt wird.800 In beiden Fällen impliziert das Tempus, dass das Wiedererzählte in der Vergangenheit stattgefunden hat, lässt jedoch offen, ob sich diese Markierung der Vorzeitigkeit auf das Erzählereignis in den vergangenen Stunden bezieht oder auf die ursprünglich von der Lehrkraft beim erstmaligen Erzählen genutzten Zeitform für die Wiedergabe der biblischen Inhalte. Hinsichtlich der Frage nach expliziten bzw. impliziten Hinweisen auf das Konzept des biblischen Textes dokumentieren sich in den die Nacherzählung auf einer Moderationsebene organisierenden Beiträgen der Lehrkraft erste Anhaltspunkte. I.1.TA. 14

Lehrkraft I:

((fast flüsternd)) gut (-) super (-) ((mit normaler Lautstärke)) ganz kurz weitererzählen wer mag weitererzählen? (…)

Lehrkraft I:

ich mach das mal n bisschen schneller jetzt– ihr wisst noch SO viel davon–

(…) 79 80 81 (…)

aber wir wollen ja heute weitermachen mit der geschichte (…)

798 I.1.TA.381, s. Tabelle 9, S. 161f. 799 Bei dieser Methode leitet die Lehrkraft durch einen Impuls einen Austausch diesbezüglicher Stellungnahmen seitens der Schüler_innen ein, wobei dieser nicht von der Lehrkraft organisiert wird, sondern sich die Schüler_innen gegenseitig das Wort erteilen. Vgl. Mattes 2011, S. 106f.; vgl. Janssen 2008, S. 23. 800 Vgl. Dudenredaktion 2016, S. 517f.

156

Die Analyse

(Fortsetzung) ((nickt)) m`_hm’ (2.1) ja– wie ging die geschichte weiter?

205 (…) 245

Lehrkraft I:

damit wir nämlich heute WEIterarbeiten können was passierte dann? (…)

246 (…) 255 256

(…) (- -) so und JETZT kommen wir zu dem WICHtigsten SCHLUSS–

Lehrkraft I:

((zu Jacqueline)) (- -) ganz genau (- - -) damit (1.8) hatten wir aufgehört beim letzten mal

und ich denke frieda (-) du weißt jetzt bescheid ne? wie weit wir vorangekommen sind 258 und das war jetzt einfach wichtig dass du auch weißt was wir heute überhaupt machen Tabelle 5: I.1.TA.14, 79–81, 205, 245f., 255–258 257

Nachdem Mira den ersten Abschnitt der »Geschichte« von Josef wiederholt hat,801 fragt die Lehrkraft im Anschluss an ihre Validierung von Miras Beitrag wer der Anwesenden »weitererzählen« möge (I.1.TA.14). Indem sie hier erneut den Begriff »(weiter-)erzählen« nutzt – im Unterschied zu einem ebenfalls möglichen »wiederholen«, »sagen« oder »erklären« – markiert sie das, was hier wiederholt werden soll, implizit als Erzählung und dessen Wiedergabe als narrative Tätigkeit. Diese Orientierung dokumentiert sich auch in den nachfolgenden das Nacherzählen steuernden Äußerungen (I.1.TA.79–81, I.1.TA.205). Innerhalb dieser benennt die Lehrkraft das Erzählte explizit mit dem Begriff »Geschichte«, wobei der damit verbundene bestimmte Artikel (»die«) sowie das einen (Handlungs-)Ablauf beschreibende Verb »weitergehen« (»wie ging die Geschichte weiter«, (I.1.TA.205)) auf die Bedeutung als »Geschichte« im Sinne einer Narration mit Anfang, Mitte und Schluss hindeuten und nicht auf die mögliche Bedeutung von »Geschichte« als Historie. Während sich in der Äußerung »wie ging die Geschichte weiter« die Kategorisierung »Geschichte« nur auf das bisher Gehörte bezieht, zeigt der Verweis auf eine Weiterbearbeitung dessen (»wir wollen ja heute weitermachen mit der Geschichte«, (I.1.TA.81)) an, dass die »Geschichte« mehr als das bisher Bekannte umfasst. Dass »die Geschichte« und ihre Bearbeitung noch nicht zu Ende sind, suggerieren auch die diese Wiederholungsphase abschließenden Worte der Lehrkraft (I.1.TA.255– 258). Indem sie darauf verweist, dass sie an diesem Punkt der nacherzählten Handlung (»damit«) in der vergangenen Religionsstunde »aufgehört« haben 801 I.1.TA.1–13, s. Tabelle 254 im digitalen Anhang.

157

Unterrichtseinheit I

(nicht die »Geschichte« war zu Ende, sondern sie (»wir«) haben an einem bestimmten Punkt (»damit«) unterbrochen (»aufgehört«)), sowie darauf, »wie weit« sie (»wir«) bis zu dieser Stunde »vorangekommen« sind – im Sinne des Erreichens eines bestimmten Teilziels auf dem Weg zum Endpunkt – impliziert sie die Unabgeschlossenheit des bisher Gehörten und deutet damit an, dass es sich um den Teil eines (noch unbestimmten) Ganzen handelt. Dabei markiert sie das zuletzt Bearbeitete der vergangenen Stunde (»damit hatten wir aufgehört beim letzten mal«) zugleich als entscheidende (»wichtigste«) Voraussetzung für das gelingende »Weiterarbeiten« in der aktuellen Unterrichtsstunde (»jetzt kommen wir zu dem wichtigsten Schluss damit wir nämlich weiterarbeiten können«) (vgl. TA245–246). Bildbetrachtung und -beschreibung (I) I.1.TA. 259

Lehrkraft I:

(- - -) so jetzt hab ich euch ein BILD mitgebracht und vielleicht könnt ihr da:: (-) etwas erkennen (1.41) (ich) denke mal (- -) dass ihr was erkennen könnt (4.75) ERSTeinmal in ruhe anschauen (-) erKLÄren erzählen was ihr seht (- -) und erst in einem NÄCHsten schritt überlegen was das wohl sein könnte (- -) einfach erst nur schauen (- -) und (-) beschreiben was ihr seht (7.3) und ALLe kinder SEHen etwas von daher kann ich jetzt ganz viele finger sehen (12.3)

Tabelle 6: I.1.TA.259

Bereits während der Validierung von Jacquelines Beitrag (»ganz genau (- - -) damit hatten wir aufgehört beim letzten mal«, (I.1.TA.255f.)) wendet sich die Lehrkraft ihrem Pult und dem darauf stehenden Laptop zu und öffnet parallel zu ihrer Ansprache Friedas (»und ich denke Frieda du weißt jetzt Bescheid«, (I.1.TA.257f.)) eine Bilddatei, die an die Tafel (Smartboard) projiziert wird. Es handelt sich dabei um einen Ausschnitt einer Grabmalerei aus dem Grab Chnumhoteps II. in Beni Hassan (Mittelägypten) aus dem 19. Jahrhundert v. Chr., welche in der ägyptischen Forschung zumeist als »semitische Karawane«802, »Karawane mit «Asiaten (‡Zmw)«803 oder »Darstellung von Asiaten/Aamu (‡Zmw)«804 betitelt wird. Die ursprünglich farbige Wandmalerei wird in Form einer schwarz-weiß-Kopie präsentiert. Im Anschluss an ihre an Frieda adressierte Erklärung (»und das war jetzt einfach wichtig, dass du auch weißt was wir heute überhaupt machen«, (I.1.TA.258)) signalisiert die Lehrkraft mit der vorangestellten Partikel »so« in Verbindung mit dem Temporaladverb »jetzt«, dass 802 Gressmann 1927, S. 18. 803 Görg 1997, S. 9. 804 Staubli 1991, S. 30; Keel 1997, S. 52.

158

Die Analyse

nun ein neuer Abschnitt des Unterrichts beginnt und die Wiederholungsphase abgeschlossen ist (I.1.TA.259). Sie bezeichnet die projizierte Darstellung betont als »Bild«, wobei keine nähere Bestimmung hinsichtlich der Art (z. B. Malerei, Fotografie, Zeichnung, etc.) oder der Herkunft erfolgt. Im Anschluss beginnt sie zunächst in Form impliziter Aufforderungen, sich zum Bild zu äußern (»und vielleicht könnt ihr da:: (-) etwas erkennen, (1.41) (ich) denke mal, (- - -) dass ihr was erkennen könnt (4.75)«) und konkretisiert diese erste Aufforderung zu einer expliziten Aufgabenstellung (»ersteinmal in Ruhe anschauen, (-) erklären, erzählen was ihr seht (- -) und erst in einem nächsten Schritt überlegen, was das wohl sein könnte (- -) einfach erst nur schauen (- -) und (-) beschreiben was ihr seht (7.3)«, (I.1.TA.259)). In dieser sowie in den Reaktionen auf die Beiträge der Schüler_innen805 dokumentiert sich eine Orientierung der Lehrkraft an dem Ablauf einer klassischen Bildanalyse, bei der zunächst eine vorikonographische Beschreibung und dann eine ikonographische Interpretation erfolgen.806 Ob die Schüler_innen diese Unterscheidung aufgrund der nicht eindeutigen bzw. nicht ausreichenden Erklärung der Lehrkraft in ihren Äußerungen nicht vollziehen können, oder ob sie sich unter einer solchen Unterscheidung nichts vorstellen können bzw. ihnen dieses Vorgehen nicht bekannt ist, bleibt offen. Die ihre beispielhafte Bildbeschreibung einleitenden Worte der Lehrkraft (»Gut ich fange mal an, damit ihr wisst, was ich überhaupt meine, ne? Wir haben eine Bildbetrachtung noch nicht gemeinsam gemacht, ne?«807, lassen auf letztgenannte Begründung für die nicht erfolgende Trennung innerhalb der Beiträge der Schüler_innen schließen. I.1.TA. 297 298

Nora:

ähm ich glaub in der mitte das sind die vier brüder mit dem kleinen (- - -)ähm (1.2) sohn

299 300

Lehrkraft I: Nora:

301 302

Lehrkraft I:

ich hab jetzt nicht verstanden wer/ wer ist das? in der mitte sind das glaub ich die vier brüder mit dem (- -) kleinen (- -) ähm (1.1) sohn aber josef hatte wie viele brüder?

805 »aber wir wollen ja nicht gucken, wer das sein könnte, sondern wir schauen uns jetzt erst an, was ich sehe, ne?« (Lehrkraft I, I.1.TA.308f., s. Tabelle 7, S. 158f.); »hm`_m’ (- - -) aber da sind wir ja jetzt schon auf der (-) nächsten Stufe, wir wollen ja erstmal nur (.) beschreiben, (1.5) wie viele Menschen sehen wir, wie viele Kinder sind dabei, wie viele Tiere, was für Tiere, das ist das, was wir erstmal sehen« (Lehrkraft I, I.1.TA.355–358, s. Tabelle 256 im digitalen Anhang); »da sind wir ja schon wieder was wir glauben, wer das ist, das ist ja schon wieder weiter, so weit wollen wir noch nicht gehen« (Lehrkraft I, I.1.TA.362f., s. Tabelle 8, S. 161). 806 Vgl. Faulstich 2010, S. 7. 807 I.1.TA.364, s. Tabelle 256 im digitalen Anhang.

159

Unterrichtseinheit I

(Fortsetzung) 303

[(1.6) ne? wir wollen/ ]

304 305

Nora: Lehrkraft I:

[m::: (- -) fünf ?] (- -) mehr

306 307

mehrere SuS: Marie:

(2.0) ((leise)) acht? (- - -) ((leise)) sieben? (- -) sechs?

308

Lehrkraft I:

(- -) mehr (- - -) aber wir wollen ja nicht gucken wer das SEIN könnte sondern wir schauen uns jetzt erst an WAS ich sehe ne?

310 311

Dennis: Lehrkraft I:

((leise)) ich weiß wie viele es waren du weißt wie viele es waren

312 313

Dennis: Lehrkraft I:

((nickt)) (- -) soll ichs sagen? ja

314 315

Dennis: Lehrkraft I:

elf elf brüder hatte er zusammen waren es zwölf ne?(- -) Aber (- -) wir wollen ja erstmal sehen WAS (- - -) WAS wir sehen

309

316 Tabelle 7: I.1.TA.297–316

(- - -) was erkennst du?

Während Sascha »Jäger« mit Waffen erkennt und Tom zwei »Jungen«, die auf einem »Esel« reitend »einen Kelch hochhalten«,808 stellt Nora, mit ihrer Vermutung »ähm ich glaube in der Mitte das sind die vier Brüder mit dem (- -) kleinen (- -) ähm (1.1) Sohn« einen Bezug zu der zuvor gemeinsam wiederholten »Geschichte« von Josef her (I.1.TA.297). Dieser bleibt zunächst implizit, da sie zwar mit der Nutzung der bestimmten Artikel »die« und »dem« in Bezug auf die Brüder und den »kleinen Sohn« anzeigt, dass es sich hier um den Anwesenden bzw. um der Lehrkraft bereits bekannte Personen handelt, weitere Konkretisierungen durch Namen oder genauere Beschreibung der Szene aber ausbleiben. Auch stimmt die genannte Anzahl der Brüder zwar mit der Anzahl der Figuren auf der gezeigten Abbildung überein, jedoch nicht mit der Anzahl der Brüder Josefs in der biblischen Erzählung. Die erste Reaktion der Lehrkraft auf diese Deutung ist eine Verständnisfrage (I.1.TA.299), wobei die Formulierung dieser offen lässt, ob die Lehrkraft Nora akustisch nicht verstanden hat oder nähere Erläuterungen zu Noras Deutung benötigt. Nora antwortet auf ein akustisches Nichtverstehen, da sie das zuvor von ihr Gesagte fast wortwörtlich wiederholt und keine weiteren Erklärungen gibt (I.1.TA.300f.). Indem die Lehrkraft ihre Reaktion mit der adversativen Konjunktion »aber« beginnt markiert sie einen 808 I.1.TA.286 u. I.1.TA.289, s. Tabelle 255 im digitalen Anhang.

160

Die Analyse

Widerspruch zu Noras Deutung und eröffnet damit eine Antithese (I.1.TA.302). In ihrer Frage nach der Anzahl der Brüder Josefs macht sie den von Nora in ihrer Äußerung implizit angedeuteten Bezug (»die Brüder« bzw. »den kleinen Sohn«) zur zu Beginn der Stunde wiederholten Josef-Erzählung explizit und fordert mit der – nach einer kurzen Pause angefügten – Fragepartikel (»ne?«) Zustimmung zum in ihrer Frage implizierten Widerspruch ein (I.1.TA.302f.)). Nora bleibt bei ihrer zum Bild passenden Antwort von fünf Brüdern, auch wenn ihre fragende Intonation Unsicherheit suggeriert (I.1.TA.304). In Folge der einsilbigen Reaktion der Lehrkraft (»mehr«, (I.1.TA.305)) äußern sich einige Schüler_innen unaufgefordert in ebenfalls fragender Intonation (I.1.TA.306f.), wobei keine der Antworten der tatsächlichen Anzahl aus der biblischen Geschichte entspricht. Die Lehrkraft reagiert abermals nicht mit einer Korrektur bzw. der richtigen Antwort, sondern nur mit dem Hinweis, dass es »mehr« seien und fügt einen weiteren Einspruch (»aber«) an, indem sie an den eigentlichen Arbeitsauftrag erinnert, bei dem es nicht um eine Deutung gehe (»wir wollen ja nicht gucken, wer das sein könnte«) (I.1.TA.308). Erst im Anschluss an Dennis’ Hinweis, dass er wisse, wie viele Brüder »es waren« (I.1.TA.310), und erst als ihm daraufhin seitens der Lehrkraft das Rederecht zugesprochen wird, wird die korrekte Anzahl der Brüder benannt und von der Lehrkraft in Form einer Wiederholung der Antwort validiert. Zudem fordert sie die Zustimmung zu ihrer Schlussfolgerung, dass es mit Josef dann zwölf Brüder seien, mit einer angefügten Fragepartikel (»ne?«) ein (I.1.TA.315). Sowohl bei ihrer Frage nach der Anzahl der Brüder Josefs (»Josef hatte wie viele Brüder?«, (I.1.TA.302)) sowie bei der validierenden Konklusion der Antwort von Dennis (»Elf Brüder hatte er zusammen waren es zwölf ne?«, (I.1.TA.315)) nutzt sie das einen Zustand in der Vergangenheit beschreibende Präteritum. Auch in ihrer Reaktion auf Dennis’ Wissensbekundung (»du weißt wie viele es waren«) übernimmt sie diese Zeitform (I.1.TA.311). Zum Schluss weist sie erneut betont darauf hin (»aber«), dass zunächst (»erstmal«) nur beschrieben werden solle, »was« zu sehen sei (I.1.TA.315–316). Den anschließenden Beitrag von Lukas kommentiert und befragt die Lehrkraft stärker als die ersten beiden Schülerbeiträge (Sascha, Tom).809 Sie weist erneut darauf hin, dass sich Lukas mit seiner Äußerung (»irgendwie, dass das Soldaten sind, die unterwegs sind«)810 »schon auf der nächsten Stufe« befinde, sie aber »ja erstmal nur beschreiben« wollten,811 und fügt hierfür Beispiele an.812 Nun greift Jacqueline die bereits von Nora gezogene Verbindung von Bild und zuvor wiederholter Geschichte auf. 809 810 811 812

I.1.TA.321–355, s. Tabelle 256 im digitalen Anhang. I.1.TA.352f., s. Tabelle 256 im digitalen Anhang. I.1.TA.355–356, s. Tabelle 256 im digitalen Anhang. I.1.TA.357–358, s. Tabelle 256 im digitalen Anhang.

161

Unterrichtseinheit I

I.1.TA. 361

Jacqueline:

(- -) ich glaube das sind die elf (.) BRÜder

362

Lehrkraft I:

(1.4) da sind wir ja schon wieder was wir glauben wer das IST das ist ja schon wieder WEIter soweit wollen wir noch nicht gehen

363 Tabelle 8: I.1.TA.361–363

Auch sie setzt ihrer Deutung – wie bereits Nora – ein ihre subjektive Sichtweise markierendes »ich glaube« voran und verweist ebenfalls nur implizit über den bestimmten Artikel »die« auf die im Vorfeld thematisierten Brüder Josefs, wobei sie die korrekte Anzahl nennt (I.1.TA.361). Die Lehrkraft bezieht zu dieser Vermutung nicht inhaltlich Stellung, sondern verweist auf der Ebene der Gesprächs- bzw. Aufgabenorganisation abermals (»schon wieder«) darauf, dass dies bereits eine Überlegung zu der Frage sei, »wer das ist« und sie damit »schon wieder weiter« seien, als zu diesem Zeitpunkt beabsichtigt (»soweit wollen wir noch nicht gehen«) (I.1.TA 362f.). Bilddeutung Nachdem die Lehrkraft selbst beispielhaft aufgeführt hat, was sie von den Schüler_innen in der Phase der Bildbeschreibung erwartet bzw. mit ihrer Aufgabenstellung gemeint hat,813 markiert sie mit der einleitenden Partikel »so« implizit das Erreichen eines bestimmten avisierten thematischen Punktes oder (Teil-)Ziels und zugleich den Beginn eines neuen Abschnitts (vgl. TA 381). I.1.TA. 381 382

Lehrkraft I:

383 384 385 386 387 388 389 390

Frieda:

391

Lehrkraft I:

392

so jetzt haben wir gerade die geschichte noch mal gehört von josef (2.0) der zu seinen brüdern sagt »holt die familie (- -) und holt alle die dazu gehören und kommt nach ägypten« (3.31) was könnte denn dieses bild DARstellen? (5.46) wenn man last hier so mit sich nimmt wenn man was zu trinken mitnimmt (2.5) wenn man waffen dabei hat (2.5) frieda vielleicht ein fest? ein fest sie/ meinst du sie sind unterwegs zu einem fest (.) hm_hm’ oder? was könnte es sonst sein? marie

813 I.1.TA.364–380, s. Tabelle 256 im digitalen Anhang.

162

Die Analyse

(Fortsetzung) 393

Marie:

394 395 396 397

dass die auch (- - -) dass die zum beispiel auf dem weg sind richtig (2.1) DAS könnte sein (-) jacqueline

Jacqueline: Lehrkraft I:

398

vielleicht sind die ja auf dem weg nach äh ägypten ja (- - -) das könnte dieses bild uns zeigen (- -) dass sie sich aufmachen und nach ägypten kommen

Tabelle 9: I.1.TA.381–398

Diesen Abschnitt beginnt sie mit einer Erinnerung an die zu Beginn der Stunde wiederholte (»haben wir gerade […] noch mal gehört«) »Geschichte […] von Josef« (I.1.TA.381). Erneut verwendet sie hier den Begriff »Geschichte« in seiner eine Narration beschreibenden Bedeutung, wobei dieser durch den nachgeschobenen Relativsatz (»der zu seinen Brüdern sagt…«) auf die Szene der Aufforderung der Brüder durch Josef eingegrenzt wird (I.1.TA.382). Anders als zuvor nutzt sie hier die Gegenwartsform (»sagt«), um die Handlung Josefs zu beschreiben. Nach einer deutlichen Pause fragt die Lehrkraft nun – ihrem Vorhaben einer zweischrittigen Bildanalyse folgend – was »dieses Bild darstellen« könnte (I.1.TA.384). Mit der eingeschobenen Partikel »denn« wird die Frage verstärkt. Der verwendete Konjunktiv suggeriert dabei eine (gewisse) Ergebnisoffenheit. Die Lehrkraft wartet fast sechs Sekunden auf Meldungen der Schüler_innen und erweitert ihre Frage dann um drei »Anhaltspunkte« (»wenn man […] mit nimmt/dabei hat«) der Bilddeutung (»Last hier so«: Raumdeixis; »was zu trinken«: Bezug zum vorangegangenen Gespräch über Trink-/Wassergefäße; »Waffen«: wurden in der Phase der Bildbeschreibung mehrfach angesprochen; (I.1.TA.386–388)). In den jeweiligen Reaktionen auf die nun anschließenden Vermutungen (»vielleicht« (Frieda, I.1.TA.390); »zum Beispiel« (Marie, I.1.TA.393); »vielleicht« (Jacqueline, I.1.TA.396)) dreier Schülerinnen lässt sich erkennen, dass die Lehrkraft trotz der ergebnisoffen erscheinenden Fragestellung eine bestimmte Zielvorstellung hat. So wird Friedas Deutung (»Vielleicht ein Fest?«) implizit in Frage gestellt (Verberststellung wie in einem Fragesatz (»meinst du«)) und mit der Erweiterung ihrer Aussage durch die Lehrkraft (»sie sind unterwegs zu«) der Aspekt einer reisenden Tätigkeit ergänzt (I.1.TA.391). Maries und Jacquelines Beiträge dagegen, die diesen Aspekt sowie die – mit der Einleitung der Frage der Lehrkraft implizit angedeutete – Verbindung zu Josefs Familie bzw. deren Kommen nach Ägypten aufgreifen (»dass die zum Beispiel auf dem Weg sind« (Marie, I.1.TA.393f.); »vielleicht sind die ja auf dem Weg nach äh Ägypten« (Jacqueline, I.1.TA.396)), werden deutlich validiert (»richtig (2.1) das könnte sein« (I.1.TA.395); »ja (- - -) das könnte dieses

163

Unterrichtseinheit I

Bild uns zeigen« (I.1.TA.397)). Die Sammlung von »möglichen« Deutungen des Bildes wird nach diesen beiden Antworten beendet. I.1.TA. 399

Lehrkraft I:

(2.0) so und wir sehen jetzt (- -) ne? nehmen wir an es sind die israeLIten

400 401

die nach ägypten kommen und ihr seht (-) es sind männer dabei es sind frauen dabei kinder

402

sie haben ihre tiere gebracht sie haben ihre waffen mitgebracht und sie LEben jetzt LANGe zeit in ägypten

403 Tabelle 10: I.1.TA.399–403

Nach einer kurzen Pause markiert sie erneut mit der Partikel »so« einen Abschnittswechsel und macht die bisher nur implizit vorliegende Gleichsetzung der Figuren auf der Abbildung mit denen aus der »Geschichte von Josef« explizit, wobei sie jedoch nicht wie bisher von der »Familie/alle die dazu gehören« spricht, sondern erstmals den Begriff »Israeliten« benutzt (I.1.TA.399–402). Für die Schilderung, wer am Zug nach Ägypten beteiligt ist und was mitgeführt wird, verweist die Lehrkraft auf die Abbildung (»so und wir sehen jetzt«, »ihr seht«). Trotz der konjunktiven Formulierung der Validierungen von Marie und Jacquelines Vermutungen (»richtig (2.1) das könnte sein«, (I.1.TA.395); »ja (- - -) das könnte dieses Bild uns zeigen«, (I.1.TA.397)) und der Ergänzung der Bilddeutung durch die eine (hypothetische) Annahme ausdrückende Formulierung »nehmen wir an«, wird so eine Darstellung der Israeliten auf der Abbildung nahe gelegt. Im Verlauf der Unterrichtseinheit wird diese implizite Gleichsetzung der abgebildeten Figuren mit den Israeliten im Rahmen zweier Rückverweise auf die in dieser Stunde gezeigte Abbildung durch die Lehrkraft explizit gemacht. I.6.TA. 85 86 87

Lehrkraft I:

und die israeliten machten sich auf den weg ihr müsst euch das so vorstellen das ist ein großes volk (1.2) und dazu gehören (-) alte männer (.) alte frauen

88 89

ne? die eltern die kinder (- - -) die tiere die sie hatten alles musste mitgenommen werden

90 91

das war so ein großer tross (- -) und sie hatten natürliche KEIne autos (.) und KEIne wagen

92

(- -) erinnert euch an das bild dass ich euch am anfang gezeigt hatte mit den israeliten?

93

164

Die Analyse

(Fortsetzung) (- - -) mit den äh:: israeliten die nach ägypten kommen erinnert ihr euch?

94 95 96

mehrere SuS: Lehrkraft I:

hm_hm’ hm’_m`_hm’ zu FUß einige saßen vielleicht auf einem esel

97 98

Lasse: Lehrkraft I:

(- - -) das waren aber nur die kinder (- -) richtig

99 100 Tabelle 11: I.6.TA.85–100

(- - -) und sie machten sie auf den weg (- - -) zurück in ihre HEImat

So nimmt sie im Anschluss an die Wiederholung der Schilderung der zehn Plagen in der sechsten Stunde der Einheit Bezug auf die Abbildung und benennt diese als »Bild […] mit den Israeliten« (I.6.TA.92f.). In Lasses Reaktion auf die Vermutung der Lehrkraft (»vielleicht«), dass einige Israeliten beim Auszug auf einem Esel geritten sein könnten (I.6.TA.96), dokumentiert sich diese Gleichsetzung der Figuren auf der Abbildung mit den Israeliten ebenfalls, da er korrigierend anführt, dass nur die Kinder auf den Eseln geritten seien (wie auf der Abbildung dargestellt). Die Lehrkraft validiert dies (»richtig«) und fährt mit ihrer Erzählung fort (I.8.TA.98ff.). Der zweite Verweis auf die Abbildung erfolgt in der siebten Stunde der Einheit im Kontext der Überlegungen wie es den Israeliten während ihrer Wanderung durch die Wüste erging und was sie mit sich führten. I.7.TA.182

Lehrkraft I:

ja (.) und erinnert euch an dieses bild was ich euch ganz am anfang gezeigt hab da waren noch äh so so so wasserblasen hatten die da mit (.) wasserbehälter

183 184 185 186

Tom Lehrkraft I:

(- -) achso [die man damals mitgenommen hat]

187 188

Jonas Lehrkraft I:

[(- -) hä:? (-)] (1.3) erinnerst du dich nicht mehr?

189 190

Tom

(- -) als die israeliten nach äh ägypten zogen’ ah: ja ja

191 192

Lehrkraft I:

[ja] [auf dem] esel da waren doch so wasserbehälter [da habt ihr erst gedacht]

193 194 195 196

Tom Lehrkraft I:

[aufm aktivboard jetzt weiß ichs wieder] ja

165

Unterrichtseinheit I

(Fortsetzung) 197

Jacqueline

hä:

198 199

Marie Lehrkraft I:

hä:: das haben sie mit wasser gefüllt aber IRgendWANN ist das wasser auch

200 201

Marie

202

Lehrkraft I:

203

mehrere SuS

204 Tom 205 Lehrkraft I: Tabelle 12: I.7.TA.182–205

(.) zuende dann gibt es kein wasser mehr (- -) das hast du uns nicht gezeigt [doch ich hab euch das bild gezeigt von den israeliten] [ ((durcheinander)) doch doch ja doch] (-) aufm aktivboard m’m`m’

Zur Erklärung, wie die Israeliten bei ihrer Reise Wasser transportieren, bezieht die Lehrkraft sich auf die abgebildeten Wasserbehälter (»die man damals mitgenommen hat […] als die Israeliten nach Ägypten zogen« (I.7.TA.186,189)) und bezeichnet in der Reaktion auf Maries Äußerung (I.7.TA.201) die Abbildung explizit als »Bild […] von den Israeliten« (I.7.TA.202). Erzählung (I) I.1.TA. 399 400

Lehrkraft I:

(2.0) so und wir sehen jetzt (- -) ne? nehmen wir an es sind die israeLIten die nach ägypten kommen und ihr seht

401 402

(-) es sind männer dabei es sind frauen dabei kinder sie haben ihre tiere gebracht sie haben ihre waffen mitgebracht

403 404

und sie LEben jetzt LANGe zeit in ägypten (2.5) viel länger als josef und seine brüder (.) leben

405 406

viel länger als der pharao lebt (1.2) und vielleicht ist schon noch ein WEIterer pharao da gewesen

407 408

der schon verstorben ist (- - -) und alle/ der neue pharao der KENNT vielleicht die familie gar nicht mehr

409

(- - -) und die ägy/ die israeliten in ägypten werden immer ei/ (- -) immer größer

410 411 412

(2.6) das volk wird immer MEHR (2.77) und ihr kennt das auch heute ist ganz oft hier in deutschland

166

Die Analyse

(Fortsetzung) 413

die diskussion »oh so viele ausländer hier die werden zu mächtig

414 415

(hier) dürfen nicht so viele hinkommen« und vielleicht haben das die ägypter der pharao vielleicht auch so empfunden

416 417

wie wir wie heute viele menschen das auch sagen (- -) »nein hier DÜRFen nicht so viele hin

418

(-) wir wollen die hier nicht mehr die werden uns zu mächtig (-) und die haben waffen

419 420 421 422 Tabelle 13: I.1.TA.399–422

(1.5) und die sind so stark (1.5) das kann so nicht weiter gehen (1.5) und warum leben überhaupt fremde in unserem land die sollen dann für uns arbeiten« sagte der pharao

Ohne Pause oder andere Elemente, die einen Übergang bzw. Beginn eines neuen Abschnitts markieren, schließt die Lehrkraft an die Deutung der Abbildung (I.1.TA.399–402) die Erzählung an, wie das Volk der Israeliten in Ägypten lebt und wächst. Sie erzählt bis zu der Stelle, an dem der Pharao sein Missfallen über dieses Wachstum äußert und beabsichtigt die Israeliten zur Fronarbeit heranzuziehen (Gen 47,27; Ex 1,1–11). Dabei nutzt die Lehrkraft überwiegend das Präsens (I.1.TA.403–414) und wechselt erst am Ende je einmal zum Perfekt (»und vielleicht haben das die Ägypter auch so empfunden…«) sowie zum Präteritum (»sagte der Pharao«) (I.1.TA.415,422). Auffällig ist der mehrmalige Einschub des Adverbs »vielleicht«, welches eine Relativierung der Gewissheit der Aussagen impliziert. Es ist also »möglicherweise« oder »unter Umständen« so bzw. es könnte so sein, aber es besteht keine diesbezügliche Sicherheit (I.1.TA.406; I.1.TA.408; I.1.TA.415). Indem sie in den in direkter Rede dargestellten Bedenken des Pharaos auch die Sorge vor den »Waffen« der Israeliten einfügt (I.1.TA.418f.) – obwohl dies in der biblischen Vorlage nicht erwähnt wird – stellt sie erneut eine Verbindung zu der Abbildung an der Tafel her, da die Waffen während der Bildbeschreibung und -deutung bereits mehrfach angesprochen wurden. Dass es sich bei dem von ihr Erzählten um Ereignisse der Vergangenheit handelt, wird durch die zweimalige Analogiebildung zu Ereignissen in der Gegenwart impliziert (I.1.TA.412–414; I.1.TA.416). Die Formulierungen »auch heute« und »wie heute« suggerieren einen Vergleich mit einem unausgesprochenen »damals« (vgl. TA 412, 416). Dabei bleibt unbestimmt, ob sich das Geschilderte tatsächlich in der Vergangenheit ereignet hat, oder es in

167

Unterrichtseinheit I

jener Zeit spielt, der Bezugspunkt also die erzählte Zeit innerhalb einer fiktionalen Erzählung ist. Hinführung zu Erzählung (II) I.1.TA. 422 423

Lehrkraft I:

»die sollen dann für uns arbeiten« sagte der pharao (2.51) und wer ägypten KENNT der weiß ein

425

dass es in ägypten etwas gibt was es äh: ja was (so) ganz besonders ist für ägypten

426 427

(1.2) wenn ihr ein besonderes WAHR [zeichen machen sollt für ägypten]

424

428 Ole: 429 Lehrkraft I: Tabelle 14: I.1.TA.422–429

[ahja::: klar] was würdet ihr DANN zeichnen?

Nachdem die Lehrkraft von dem Vorhaben des Pharaos, die Israeliten für sich arbeiten zu lassen, erzählt hat (I.1.TA.422), stellt sie – eine thematische Verknüpfung mit diesem Vorhaben signalisierend (»und«) – die Frage nach einem »besonderen Wahrzeichen« für Ägypten (vgl. TA.423). Damit beendet sie (vorerst) die Phase des Erzählens und eröffnet ein fragendentwickeltes Gespräch zum Thema Pyramiden. Ausgehend von der Frage was Pyramiden seien,814 befragt die Lehrkraft die Schüler_innen, was für den Bau einer solchen benötigt werde,815 wie viele »Leute« hierfür gebraucht würden,816 wie lange es dauere,817 wozu Pyramiden »gebraucht« würden,818 und – an die implizite Frage anschließend, ob die am Bau beteiligten Menschen dies freiwillig täten (»ne? da brauch man wirklich (.) viel (-) ja (1.1) ((mit gerunzelter Stirn)) die das freiwillig machen?«819) – wie solche Menschen genannt würden, »die dazu gezwungen werden«.820 I.1.TA. 457

Lehrkraft I:

[so (- -) und der pharao hatte eine idee]

458 459

Noah: Lehrkraft I:

[(.) die ist mindestens über hundert meter hoch] diese pyramiden die müssen ja auch gebaut werden

814 815 816 817 818 819 820

I.1.TA 432, s. Tabelle 257 im digitalen Anhang. I.1.TA.461, s. Tabelle 257 im digitalen Anhang. I.1TA.480, s. Tabelle 258 im digitalen Anhang. I.1.TA.485, s. Tabelle 258 im digitalen Anhang. I.1.TA 501, s. Tabelle 258 im digitalen Anhang. I.1.TA.516–517, s. Tabelle 258 im digitalen Anhang. I.1.TA.522, s. Tabelle 258 im digitalen Anhang.

168

Die Analyse

(Fortsetzung) 460

(1.2) und (- - -) das ist sehr anstrengend

461

(- -) man brauchte was braucht man um eine pyramide zu bauen?

Tabelle 15: I.1.TA.457–461

Indem die Lehrkraft im Anschluss an die Beantwortung der Frage, was Pyramiden seien, erklärt, dass »der Pharao […] eine idee [hatte]«, verknüpft sie das aktuelle Gespräch erneut mit dem vorangegangenen Erzählabschnitt und bringt so den Pharao aus der Erzählung mit dem Bau von Pyramiden in Verbindung (vgl. TA 457f.). Diese Verknüpfung sowie die in ihren Beiträgen enthaltenen zeitgeschichtlichen Argumentationen und Verortungen (»die Menschen hatten damals keine Maschinen«821; »das war so (.) Sklaven hatten keine Rechte (-) die waren Eigentum und da konnte der Pharao mit machen was er wollte«822 ; »das gab es später immernoch (- -) ne? aber wir sprechen ja von der zeit der Pharaonen«823) implizieren, dass sich das zuvor Erzählte zur Zeit des Baus »dieser« Pyramiden abspielt bzw. abspielte. Betrachtet man die einzelnen Phasen der Unterrichtskommunikation hinsichtlich der interaktiven Dichte, so lässt sich beobachten, dass jene zu keiner Zeit so hoch ist wie innerhalb dieses Gesprächsabschnitts zum Thema Pyramiden. Es melden sich elf der anwesenden achtzehn Schüler_innen zu Wort, wobei sich besonders die Jungen (acht von zehn) aktiv ins Gespräch einbringen. Die interaktive Dichte dokumentiert sich vor allem in häufigen Redebeiträgen der Schüler_innen, die ohne eine vorherige Übergabe des Rederechts an sie erfolgen (»Zwischenrufe«/ »Dazwischenreden«) sowie in mehrfach auftretendem parallelen Sprechen zweier oder mehrerer Sprecher_innen. Diese dichte Interaktion signalisiert ein gesteigertes thematisches Interesse der betreffenden Schüler_innen. Erzählung (II) Den Beginn eines neuen (gedanklichen) Abschnitts markiert die Lehrkraft abermals implizit mit der einleitenden Partikel »so«. I.1.TA. 555 556 557

Lehrkraft I:

(- - -) so und jetzt hatte der pharao eine SUper idee »wir haben doch SO viele israeliten hier die wir ja alle gar nicht mehr haben wollen«

821 I.1.TA.493, s. Tabelle 258 im digitalen Anhang. 822 I.1.TA.549–552, s. Tabelle 258 im digitalen Anhang. 823 I.1.TA.553–554, s. Tabelle 37, S. 230.

169

Unterrichtseinheit I

(Fortsetzung) 558

(- -) was könnte seine idee gewesen sein?

559 560

(3.33) charleen

561 562

Charleen: Lehrkraft I:

563 Tabelle 16: I.1.TA.555–563

dass sie aus den ähm sklaven machen richtig (- -) aus diesen freien israeliten (1.5) wurden sklaven gemacht

Nun wiederholt sie die bereits im vorherigen Abschnitt eingefügte Aussage, dass der Pharao eine »Idee« »hatte« und setzt damit ihr Erzählen fort. Mit den einleitenden Worten »und jetzt« nimmt sie dabei implizit Bezug auf das zuvor besprochene und abgeschlossene Thema (Pyramiden und Sklaven). Anders als während des ersten Erzählteils fügt die Lehrkraft hier keine Unsicherheit implizierenden oder die Gewissheit relativierenden sprachlichen Elemente ein. Dies in Verbindung mit den in diesem Erzählabschnitt durchgängig von ihr verwendeten Zeitformen der Vergangenheit (Präteritum, Perfekt) (»hatte« (I.1.TA.555), »gewesen sein« (I.1.TA.558), »wurden gemacht« (I.1.TA.563) lassen ihre abschließende Aussage über die Versklavung der Israeliten wie eine Information über sich tatsächlich in der Vergangenheit abgespielte Ereignisse wirken (I.1.TA.562f.). Bildbetrachtung und -beschreibung (II) Im Anschluss an die Erklärung der Lehrkraft, dass aus den Israeliten Sklaven »gemacht wurden« zeigt sie über den Smartboardprojektor eine weitere Abbildung (I.1.TA.563f.). Hierbei handelt es sich um einen Ausschnitt aus einer Grabmalerei, welcher den Prozess der Ziegelherstellung illustriert. Die Malerei stammt aus dem Grab Rechmires in Abd El-Qurna (Theben-West) aus der Zeit Thutmosis’ III.824 I.1.TA. 563

Lehrkraft I:

564 565

mehrere SuS:

566 567

Lehrkraft I: Tom:

(1.5) wurden sklaven gemacht (5.94) ((Lehrkraft zeigt einen Auschnitt einer Grabmalerei am Smartboard, auf der zu sehen ist, wie Ziegelsteine hergestellt werden)) ((einige SuS geben Staunen implizierende Laute von sich)) das ist das zweite bild cool

824 Vgl. Keel 1997, S. 64; vgl. Gressmann 1927, S. 56.

170

Die Analyse

(Fortsetzung) 568

uk:

((leiser)) cool

569 570

Lehrkraft I: mehrere SuS:

ob das COOL ist ho oh cool

571 572

Ole: Lehrkraft I:

[(ich würde) auch mal alleine ne schule] [tom hast du gerade gesagt dass das cool ist?]

573 574

Ole: Tom:

[bauen] [ja]

575 576

Lehrkraft I:

dann erzähle bitte was daran cool ist (-) stell dir vor du wärst einer von diesen menschen ((deutet auf die Abbildung))

Tabelle 17: I.1.TA.563–576

Wie bereits bei der ersten Abbildung gibt die Lehrkraft auch diesmal keine einführenden Hinweise auf Titel oder Quelle des Bildes, sondern wartet nach ihrer Erklärung, dass dies »das zweite Bild« sei (I.1.TA.566), zunächst die ersten Reaktionen der Schüler_innen ab. Im weiteren Verlauf der Bildbesprechung weist sie jedoch bei der Begründung der Art der Darstellung darauf hin, dass »die Ägypter damals« »so« gemalt hätten, sowie, dass es sich »nämlich wirklich« um »ein altes Bild« handele.825 Mit dieser Formulierung gibt sie nicht nur Auskunft über die ungefähre Entstehungszeit des Bildes (»damals«, »die Ägypter«, »altes Bild«) sondern sie markiert dieses zudem als historisch »echt« (»wirklich«). Anders als beim ersten Betrachten des zuvor gezeigten Bildes äußern sich einige der Schüler_innen spontan zur Abbildung, ohne ein Abwarten auf eine Aufforderung (Staunen implizierende Laute, mehrmals »cool«). Toms Bemerkung (»cool«) deutet dabei auf eine gewisse Faszination hin (I.1.TA.567). Die diesbezügliche Reaktion der Lehrkraft – die Infragestellung von Toms Bewertung (»ob das cool ist«), der ernste Tonfall sowie die Aufforderung sich in die Lage der abgebildeten Menschen zu versetzen und dann erneut über die Bewertung nachzudenken (»dann erzähl bitte was daran cool ist (-) stell dir vor du wärst einer von diesen Menschen«) – lässt erkennen, dass sie diese Art der bewundernden Begeisterung nicht teilt und signalisiert, dass Ernsthaftigkeit geboten sei (I.1.TA.569; I.1.TA.575–576). Im Folgenden schließt – in Form eines durch Fragen der Lehrkraft gesteuerten Unterrichtsgesprächs – die Beschreibung und Erklärung der abgebildeten Arbeitsschritte an. Dabei erfolgt die anfänglich von den Schüler_innen eingeforderte Beschreibung zunehmend von der Lehrkraft selbst, sodass ihre Redebeiträge das Gespräch dominieren. Über 825 I.1.TA.603, s. Tabelle 51, S. 235.

Unterrichtseinheit I

171

die gesamte Phase der Bildbeschreibung werden die Personen auf der Abbildung weder von Seiten der Schüler_innen noch von der Lehrkraft näher bestimmt bzw. explizit benannt, sondern durchgehend (nur) mit Personalpronomen bezeichnet (»die/sie/man/…«). Jacqueline ist die erste, die die Abbildung explizit mit den vorherigen Inhalten in Verbindung bringt, indem sie im ersten Bildabschnitt etwas vermutet, in das man »vielleicht n Pharao reinlegen« kann.826 Während die Lehrkraft diese Vermutung ablehnt (»ne«827) und nicht weiter kommentiert, signalisiert sie in ihrer Reaktion auf die kurz darauf von Marie getätigte Aussage, dass die Figuren auf der Abbildung in dem betreffenden Arbeitsschritt anfangen würden »die Pyramide zu bauen« (I.1.TA.620), dass dies zwar in diesem Schritt nicht zutreffe, aber zu einem späteren Zeitpunkt (»nein (- -) noch nicht«828). Damit wird die Abbildung zunächst implizit und zum Ende der Bildbeschreibung auch explizit (»und hier wurde dann die Pyramide aufgestapelt, ne?«829) mit dem zuvor besprochenen Bau von Pyramiden in Zusammenhang gebracht, auch wenn auf dem Bild selbst keine Pyramide zu erkennen ist. Im Laufe ihrer Erläuterungen springt die Lehrkraft zwischen dem für eine Bildbeschreibung typischen Präsens830 und den Vergangenheitsformen Präteritum und Perfekt, welche bei ihrer Schilderung der abgebildeten Tätigkeiten darauf schließen lassen, dass sich diese in der Vergangenheit abgespielt haben.831 Dass es sich bei den Erklärungen der Lehrkraft um Schilderungen von in der Vergangenheit abgelaufenen Ereignissen handelt, stützt auch das erneut in ihre Formulierung eingeschobene Temporaladverb »damals« (»und die haben das damals, haben die keine Wasserwaage genommen, sondern«832). Bewegungsspiel und Nachbesprechung Mit der Einleitung in das nun folgende Bewegungsspiel, in welcher die Lehrkraft den Schüler_innen verkündet, dass sie jetzt »mal die Sklaven« seien würden,833 bestimmt sie die zuvor während der Bildbesprechung unbestimmt gebliebenen Figuren der Abbildung nachträglich (implizit) als Sklaven, da die Schüler_innen nun die Bewegungen der Figuren in den auf dem Bild dargestellten Arbeitsschritten der Ziegelherstellung nachvollziehen und imitieren sollen. In der an826 827 828 829 830 831

I.1.TA.590, s. Tabelle 259 im digitalen Anhang. I.1.TA.591, s. Tabelle 259 im digitalen Anhang. I.1.TA.621, s. Tabelle 259 im digitalen Anhang. I.1.TA.684f., s. Tabelle 260 im digitalen Anhang. I.1.TA.593–601 u. I.1.TA.618–635, s. Tabelle 259 im digitalen Anhang. I.1.TA.613–615, s. Tabelle 259 im digitalen Anhang; I.1.TA.658–660 u. I.1.TA.679–690, s. Tabelle 260 im digitalen Anhang. 832 I.1.TA.689f., s. Tabelle 260 im digitalen Anhang. 833 I.1.TA.694, s. Tabelle 260 im digitalen Anhang.

172

Die Analyse

schließenden Nachbesprechung geht die Lehrkraft darauf ein, unter welchen Bedingungen »die Sklaven« arbeiten »mussten«.834 Während die eingangs genutzte Formulierung »die Sklaven die hatten bestimmt vierzehn Stunden zu tun«835 durch die intonatorische Hervorhebung des eingeschobenen Adverbs »bestimmt« suggeriert, dass diese Aussage zwar sehr wahrscheinlich aber nicht letztgültig gewiss ist, lassen die durchgängig verwendeten Zeitformen der Vergangenheit sowie die Bemerkung »so war das damals«836 auf die historische Richtigkeit der von der Lehrkraft geschilderten Vorgänge schließen. Lied »Gib uns Frieden jeden Tag« I.1.TA. Lehrkraft I: 723 724 Tabelle 18: I.1.TA.723f.

(- -) so was denkt ihr was haben die sklaven wie haben die sklaven sich hier gefühlt was haben sie wohl gedacht?

Wie schon zuvor markiert die Lehrkraft mittels der Partikel »so« auch hier einen Gedankenschluss und den gleichzeitigen Beginn eines neuen Abschnitts (I.1.TA.723). In ihrer Frage danach, wie »die Sklaven sich hier gefühlt [haben]«, benennt sie die auf der Abbildung dargestellten Personen (»hier«) erneut als Sklaven (I.1.TA.724). Sowohl die Lehrkraft als auch die Schülerinnen Marie und Jacqueline, die sich zu dieser Frage zu Wort melden, formulieren ihre Beiträge durchgehend in der Vergangenheitsform und suggerieren damit ein Sprechen über in der Vergangenheit Geschehenes. Während sich Jacqueline in ihrer Äußerung zur Lage der Sklaven – wie die Lehrkraft in ihrer Fragestellung – auf die Abbildung bezieht (»er saß ja da mit sein/seiner Peitsche und konnte schön zugucken«837) löst sich die Lehrkraft in ihrer Reaktion von der Bildebene und beschreibt über sie hinaus die Aufgabe des Aufsehers sowie die Lage der Sklaven.838 Dabei konstatiert die Lehrkraft einerseits bekräftigend, dass »sie […] wirklich gestöhnt [haben]«839, andererseits fügt sie – wie bereits innerhalb des ersten Erzählabschnitts – mehrfach das die Gewissheit ihrer Aussagen relativierende Adverb »vielleicht« ein (»er saß da vielleicht als Warnung«840 ; »und sie haben vielleicht jeden Tag (- -) gesungen«841; »und haben vielleicht auch gesungen«842 ; »das Lied, das sie gesungen haben könnte vielleicht heißen«843). Parallel 834 835 836 837 838 839 840 841 842

I.1.TA.703–718, s. Tabelle 260 im digitalen Anhang. I.1.TA.703, s. Tabelle 260 im digitalen Anhang. I.1.TA.706, s. Tabelle 260 im digitalen Anhang. I.1.TA.733, s. Tabelle 261 im digitalen Anhang. I.1.TA.735–747, s. Tabelle 261 im digitalen Anhang. I.1.TA.740, s. Tabelle 261 im digitalen Anhang. I.1.TA.736, s. Tabelle 261 im digitalen Anhang. I.1.TA.742, s. Tabelle 261 im digitalen Anhang. I.1.TA.747, s. Tabelle 261 im digitalen Anhang.

173

Unterrichtseinheit I

zum Vorlesen der zweiten Strophe des Liedes »Gib uns Freiheit jeden Tag« durch die Lehrkraft imitiert Noah mit einem Papierstreifen am Arm seines Sitznachbarn das Schlagen mit einer Peitsche.844 Die Lehrkraft reagiert mit ermahnendem Tonfall und weist auf die Ernsthaftigkeit des Themas hin (»Noah (-) ich glaube das Thema ist ernst genug«845). Die Mahnung, dass das Thema ernst zu nehmen sei und Albernheiten nicht angemessen seien, stützt die bis zu diesem Zeitpunkt erfolgten impliziten Hinweise, dass hier von tatsächlichen, historischen Ereignissen gesprochen wird, es um das Schicksal realer Menschen geht. Hausaufgabe In ihrer Erklärung der Hausaufgabe verwendet die Lehrkraft erneut den Begriff »die Geschichte«, wobei der Bezug an dieser Stelle nicht eindeutig ist, da sie noch kurz zuvor mit »die Geschichte« auf das zu Stundenbeginn Wiederholte referiert hat.846 I.1.TA. 764

Lehrkraft I:

(.) eure eigentliche hausaufgabe hab ich hier trotzdem noch

765 766

uk: Lehrkraft I:

oa: denn ich habe euch die geschichte etwas kurz aufgeschrieben

767 768

ABer (-) IHR sollt mir (.) zu hause (.) aufschreiben was die israeliten vielleicht gebetet haben

769 770

(- -) was könnten sie gott sagen (-) in ihrer not

771 772

oh: mann ((Gemurmel, SuS reden durcheinander))

773 774

Lehrkraft I:

[((Gemurmel, SuS reden durcheinander))] [ne? (-) bitte? (.) wer hat/ wer hat eine idee?]

775 776

wer hat eine idee? (3.34) wer (-) kann sich überhaupt nicht vorstellen

777

was die iseraeliten zu gott gebetet haben und irgendwas gesagt haben? (2.96) dennis du kannst dir das nicht vorstellen?

778 779 780 843 844 845 846

wenn es dir schlecht geht betest du dann nicht manchmal? ich glaub wir haben da schonmal drüber gesprochen

I.1.TA.748, s. Tabelle 48, S. 234f. I.1.TA.753, s. Tabelle 48, S. 234f. I.1.TA.754, s. Tabelle 48, S. 234f. I.1.TA.758, s. Tabelle 261 im digitalen Anhang.

174

Die Analyse

(Fortsetzung) 781

ne? wenn ich einmal angst haben und so als wird as thema gemacht haben

Tabelle 19: I.1.TA.764–781

Die Lehrkraft geht nicht weiter auf den Inhalt »der Geschichte« ein, sondern schließt direkt den Arbeitsauftrag für die Schüler_innen an. Mit der Aufforderung aufzuschreiben, »was die Israeliten vielleicht gebetet haben«, was »sie Gott sagen (-) in ihrer Not« (I.1.TA.768–769), wird nun die seit dem Zeigen der zweiten Abbildung besprochene Personengruppe der Sklaven wieder durch die Israeliten ersetzt, welche seit dem Ende des Erzählabschnitts II847 nicht mehr explizit benannt wurden. Ihre Fragen nach möglichen Gebeten formuliert die Lehrkraft überwiegend in dem eine Handlung in der Vergangenheit beschreibenden Perfekt. Nachdem eine Schülerin ein Beispiel für ein mögliches Gebet der Israeliten gegeben hat, lässt die Lehrkraft das Arbeitsblatt mit dem Titel »Die Israeliten in der Sklaverei«, auf welchem die Schüler_innen ihr Gebet notieren sollen, sowie den Liedtext »Gib uns Frieden jeden Tag« austeilen und beendet die Stunde. 6.1.1.3 Konklusion Welche Vorstellung, welches Konzept wird nun mit diesem von der Lehrkraft gestalteten Einstieg in die Exodus-Erzählung von dem biblischen Text konstruiert, welche Deutungsspielräume eröffnen sich durch die hier dargelegte Form der Präsentation? Indem die Lehrkraft – der Erzählstruktur der biblischen Vorlage folgend – den Beginn der Exodus-Erzählung mit der in der vorangegangenen Unterrichtseinheit bearbeiteten Erzählung von Josef und seinen Brüdern verknüpft und diese als »Geschichte« im Sinne einer (fiktionalen) Narration bezeichnet sowie die Fortsetzung derselben ankündigt, markiert sie den anschließenden Beginn der Exodus-Erzählung im Vorfeld implizit ebenfalls als »Geschichte«. Mit dem Einstieg über den visuellen Impuls der Abbildung eines Ausschnitts einer ägyptischen Grabmalerei verschiebt sich diese erste implizite Zuschreibung. Auch wenn die Lehrkraft die Deutung der abgebildeten Figuren als »die Brüder« (von Josef) seitens Nora und Jacqueline zunächst unbestätigt lässt und sie ihre eigene Deutung der abgebildeten Personen als die Israeliten, die »sich aufmachen und nach Ägypten kommen«, im Konjunktiv formuliert und somit vorerst eine Möglichkeit ausdrückt (»das könnte sein«848, »ja (- - -) das könnte dieses Bild uns zeigen (- -) dass sie sich aufmachen und nach 847 I.1.TA.562–563, s. Tabelle 16, S. 168f. 848 I.1.TA.395, s. Tabelle 9, S. 161f.

Unterrichtseinheit I

175

Ägypten kommen«849) verknüpft die Lehrkraft den anschließenden Erzählabschnitt dennoch eng mit der Abbildung (»ihr seht (-) es sind Männer dabei es sind Frauen dabei Kinder sie haben ihre Tiere gebracht sie haben ihre Waffen mitgebracht und sie leben jetzt lange Zeit in Ägypten«850). Eine Gleichsetzung der auf der Grabmalerei Abgebildeten mit den Figuren aus der biblischen Erzählung wird hier nahegelegt. Ähnliches lässt sich bei der Präsentation der zweiten Abbildung, der Darstellung der Arbeit bei der Ziegelherstellung aus dem Grab des Rechmires, beobachten. Nach dem sich auf historische Vorgänge beziehenden Gespräch über die Bedingungen rund um den Bau von Pyramiden in Ägypten und der kurzen Erzählfortsetzung, welche mit der Aussage endet, dass aus den »freien Israeliten« Sklaven gemacht wurden,851 wird die Abbildung zur Veranschaulichung der Arbeit der Sklaven (beim Pyramidenbau) genutzt. Im Anschluss an die Frage, wie die Sklaven sich »hier« gefühlt hätten und der Vermutung, dass sie »vielleicht« gebetet und gesungen haben, ersetzt die Lehrkraft dann in der Aufgabenstellung der Hausaufgabe den Begriff der Sklaven durch den der Israeliten und fragt, was diese gebetet haben könnten (I.1.TA.768, 777). Durch diese Form der Einbindung in die Erzählabschnitte des biblischen Textes, die Sachinformationen (zu Ziegelherstellung, Pyramidenbau) aus der »Zeit der Pharaonen« (I.1.TA.554) sowie den Hinweis, dass es ein »wirklich altes […] Bild«852 sei, ohne dass weitere Informationen zur Herkunft gegeben werden, wird implizit suggeriert, dass es sich bei den Bildern um historische Zeugnisse der biblischen Erzählung handele. Explizit ausgeschlossen wird diese Deutung von der Lehrkraft zu keinem Zeitpunkt. Vielmehr wird sie in zwei weiteren Szenen innerhalb der Einheit durch Rückverweise auf die erste Abbildung im Zusammenhang mit der Erinnerung an den Einzug der Israeliten in Ägypten gefestigt. Über den Verlauf der gesamten Unterrichtsstunden gibt es immer wieder vereinzelte implizite Hinweise, die eher auf ein Konzept des biblischen Textes als Schilderung historischer Abläufe hindeuten. Formulierungen in der Vergangenheitsform, zeitgeschichtliche Verweise mit Hilfe des Temporaladverbs »damals«853, die enge Verbindung von biblischen Erzählelementen und Bearbeitung von Elementen der historischen Epoche der Pharaonen (Bau von Pyramiden, Sklavenarbeit), die Tatsächlichkeit des Geschilderten bestätigende Kommentare (»das war so«854, »und so war es«855) sowie die implizite und ex849 850 851 852 853

I.1.TA.397–398, s. Tabelle 9, S. 161f. I.1.TA.400–403, s. Tabelle 10, S. 163. I.1.Ta.562f., s. Tabelle 16, S. 168f. I.1.TA.603, s. Tabelle 51 S. 235. I.1.TA.493, s. Tabelle 258 im digitalen Anhang; I.1.TA.603, s. Tabelle 259 im digitalen Anhang; I.1.TA.689, 706, s. Tabelle 260 im digitalen Anhang. 854 I.1.TA.549, s. Tabelle 258 im digitalen Anhang. 855 I.1.TA.706, s. Tabelle 260 im digitalen Anhang.

176

Die Analyse

plizite Ermahnung, dass es sich um ein ernstes Thema handele (I.1.TA.569–576, 754856), stützen eine historisierende Deutung der erzählten Ereignisse. Auch die Form des Erzählens, frei, ohne für die Schüler_innen erkennbare schriftliche Vorlage oder Verweise auf die Autor_innen bzw. die Bibel als Quelle sowie ohne eine deutliche Markierung von Anfang und Ende der erzählenden Phasen, erschwert das Identifizieren bzw. Trennen von Geschichte und Historie. Auffällig ist der häufige Gebrauch des die Gewissheit ihrer Aussagen relativierenden Adverbs »vielleicht« durch die Lehrkraft in den Passagen, in denen sie Teile der biblischen Erzählung wiedergibt857 bzw. sich auf das Handeln der Israeliten bezieht858. Eine solche Markierung des Erzählten als möglich aber ungewiss erscheint für das Erzählen einer Geschichte ungewöhnlich und suggeriert, dass über Ereignisse gesprochen wird, über die keine exakteren Aussagen getroffen werden können (z. B. aufgrund des großen zeitlichen Abstands). Zwar lässt sich über die gesamte Stunde eine durchgehende implizite Verknüpfung von Historie und Erzähltem beobachten, dennoch steht am Ende – aufgrund der Bezeichnung des Bearbeiteten als »Geschichte« und den im Präsens erzählenden Abschnitten – ein ambivalentes Konzept der biblischen Erzählung, welches sich zwischen Geschichte als (fiktionale) Narration und Geschichte als Historie bewegt.

6.1.2 Incidentanalyse Die Unterrichtsszenen, auf welchen die nachfolgend dargelegten Analysen der beiden Incidents »nicht wörtlich nehmen« sowie »Erzählung« basieren, ereignen sich innerhalb der fünften und sechsten Stunde der insgesamt zwölf Stunden umfassenden Unterrichtseinheit. Zwischen den beiden Incidents besteht eine besondere Verbindung hinsichtlich der thematischen Auslöser für die sich in ihnen dokumentierenden näheren Bestimmung des Wesens des biblischen Textes sowie hinsichtlich ihrer Einbindung in den Unterrichtsverlauf. Diesen Ähnlichkeiten wird im Anschluss an die Einzelbetrachtungen in einer fallvergleichenden Analyse nachgegangen.

856 I.1.TA.754, s. Tabelle 261 im digitalen Anhang. 857 I.1.TA.403–416, s. Tabelle 13, S. 165f. 858 I.1.TA.736–748, s. Tabelle 261 im digitalen Anhang.

177

Unterrichtseinheit I

6.1.2.1 Incident »nicht wörtlich nehmen« »Müssen wir das jetzt so wörtlich nehmen?!« [Lehrkraft I]

Für den Incident »nicht wörtlich nehmen« sind zwei Szenen der Unterrichtsinteraktion konstitutiv. Diese werden im Folgenden auf die sich in ihnen dokumentierenden Orientierungen hin analysiert. Szene 1 Die fünfte Stunde der Unterrichtseinheit beginnt mit einer Wiederholung der Erzählung vom brennenden Dornbusch aus der vergangenen Unterrichtsstunde. Die Lehrkraft erfragt ausgehend von dem zum Einstieg gesungenen Lied »Als Israel in Ägypten war« gezielt einzelne inhaltliche Elemente. Auch die bereits in der letzten Stunde besprochene Frage, warum Gottes Auftrag an Mose kein leichter sei, wird aufgegriffen und erneut diskutiert. Im Anschluss erzählt die Lehrkraft, wie Mose in Begleitung von Aaron zum Pharao geht und diesen um die Freiheit der Israeliten bittet. Die Schüler_innen sollen Vermutungen über die mögliche Reaktion des Pharaos äußern. In die nun anknüpfende Erzählung der zehn Plagen werden einige Schüler_innen aktiv eingebunden. Im Verlauf des Erzählens der Lehrkraft treten sie vor den Pharao (ein Schüler, der auf dem Stuhl der Lehrkraft vor der Tafel »thront«) und lesen die jeweilige Plage von einem ihnen durch die Lehrkraft ausgeteilten Papierstreifen vor, welcher im Anschluss für alle sichtbar an die Tafel geheftet wird. Nach dem Hören der zehnten Plage spricht die Lehrkraft eine von ihr wahrgenommene Stimmungsänderung der Klasse an und fragt, ob die Schüler_innen hier etwas »erschüttert« hätte.859 Einige erklären ihre »Erschütterung« darüber, dass Gott hier »einfach so« Menschen tötet,860 und sie verbalisieren einen Dissens zwischen dem geschilderten Verhalten Gottes in der Erzählung und dem ihnen bisher geläufigen Gottesbild. I.5(b).TA. 67

Lehrkraft I:

68 69 70 71 Tabelle 20: I.5(b).TA.67–71

ja und doch steht es SO in unserer BIbel (4.4) jetzt müssen wir wieder überlegen wie steht immer was in der bibel– (0.75) müssen wir das jetzt so wö:rtlich nehmen? (2.0) oder (-) will uns die bibel damit etwas erKLÄren (5.32)

859 I.5(b).TA.12, s Tabelle 272 im digitalen Anhang. 860 I.5(b).TA.17, s. Tabelle 272 im digitalen Anhang.

178

Die Analyse

Die Schwierigkeit der Schüler_innen mit dem in der Erzählung der zehn Plagen enthaltenen Gottesbild bilden den Auslöser für die Lehrkraft, die Frage nach dem richtigen Umgang mit der Erzählung bzw. mit den in ihr getroffenen Aussagen aufzuwerfen. Da das Gehörte »so« – also der Gottesvorstellungen der Schüler_innen widersprechend – »in unserer Bibel« stehe, »müsse« nun überlegt werden, »wie« es da stehe, wie es zu deuten, zu bewerten sei (I.5(b).TA.67f.). Der Zusatz »immer« suggeriert das Bestehen eines diesbezüglich allgemein gültigen Verständnisses, über welches anscheinend bereits an anderer Stelle (»wieder überlegen«) gesprochen wurde. Dass die Erzählung von Mose – im Spezifischen hier von den zehn Plagen – in der Bibel »steht«, wird seitens der Lehrkraft in dieser Stunde der Unterrichtseinheit erstmalig explizit zur Sprache gebracht. Mit der nun anschließenden Oder-Konstruktion, in der zwei Rezeptionsmöglichkeiten eröffnet werden, wird eine Entscheidungsaufforderung ausgesprochen (I.5(b).TA.69f.). Außerdem impliziert sie das Vorhandensein eines Gegensatzes zwischen einer »wörtlich[en]« Auffassung und einer erklärenden Intention dessen, »was in der Bibel« steht. Wie sich diese Gegensätzlichkeit begründet bzw. was die Lehrkraft mit »wörtlich nehmen« meint, bleibt hier ungeklärt. In der Abgrenzung zur »erklären[den]« Absicht, bei der die biblische Erzählung wie eine Metapher für eine darin verborgene Aussage, eine bestimmte Erklärung steht, wäre ein Wörtlichnehmen im Sinne eines historischen Verständnisses möglich. Die Formulierung der Lehrkraft lässt es aber auch zu, davon auszugehen, dass das Gehörte zwar im Wesentlichen so passiert ist (also historisch ist), im Detail – »wortwörtlich« – aber nicht mehr exakt rekonstruiert werden kann. In ihrer Äußerung personifiziert die Lehrkraft die Bibel. Indem die Bibel hier als handelndes Subjekt dargestellt wird, die »uns« mit ihrem Inhalt etwas erklären will, wird ihr spezifischer Entstehungsprozess sowie ihr besonderes Wesen als Sammlung menschlicher Glaubenszeugnisse ausgeklammert und für die Schüler_innen nicht deutlich. Die Art der Formulierung und die Intonation der Lehrkraft lassen im Sinne einer Suggestivfrage die von ihr favorisierte Rezeptionsweise erkennen. So wird einem mit Zwang konnotierten »Müssen« ein »Wollen« der Bibel entgegengesetzt, welches zwar ebenfalls eine Absicht ausdrückt, jedoch den Adressaten nicht zu einem Hinnehmen dieser zwingt. Der zweifelnde Tonfall bei der Verbalisierung von »wörtlich nehmen« und die besondere Betonung der zweiten Silbe von »erklären« stützen diese implizite Positionierung und Lenkung der Lehrkraft und markieren die erklärende Absicht der Bibel als positiven Horizont ihrer Orientierung.

179

Unterrichtseinheit I

I.5(b).TA. 72

Lasse:

(zum) die bibel will uns etwas erKLÄren

73

Lehrkraft I:

74

Lasse:

((nickt leicht)) was will sie uns denn mit dieser geschichte erKLÄren dass man (-) lernen sollte NACHzugeben (- -) dass man

75 76

(- - -) sich nicht SELbst überschätzen sollte zum beispiel wie der pharao es sich äh äh getan hat

77

er hatte gedacht er würde alle plagen einfach ABwenden wie es auch bei den ersten WAren

78 79 80

(- -) aber gegen den TOD’ (-) kann man NICHTS tun deswegen will die bibel uns ja lehren’(-) nachzugeben halt

81

sich nicht ja jetzt zu tun als wenn man alles äh (-) machen könnte halt (2.41)

82 83 84

Lehrkraft I:

85 Tabelle 21: I.5(b).TA.72–85

((nickend)) ne sehr gute erklärung lasse (2.0) hat noch jemand so eine gute erklärung? oder eine andere erklärung (7.16) Lukas?

Lasse nutzt für seine Antwort die gleiche Formulierung und Intonation wie die Lehrkraft (I.5(b).TA.72). Jedoch lässt er ihre Bezugnahme auf die Art und Weise wie das zuvor Gehörte in der Bibel steht (»will uns die Bibel damit etwas erklären«) weg, sodass eine generelle erklärende Intention der Bibel ausgedrückt wird (»die Bibel will uns etwas erklären«). Die Lehrkraft fragt in direktem Anschluss nach, was die Bibel erklären wolle, wobei sie ihre anfängliche Formulierung (»will […] erklären«) nochmals wiederholt und mit Hilfe einer instrumentalen modaladverbialen Bestimmung (»mit dieser Geschichte«), die Erklärabsicht der Bibel wieder auf das Gehörte eingrenzt (I.5(b).TA.73). Dass sie an dieser Stelle nicht danach fragt, warum sich Lasse für diese Rezeptionsmöglichkeit und nicht für die Alternative – das »Wörtlichnehmen« – entschieden habe, lässt – wie schon die suggestiv klingende Formulierung ihrer Frage sowie die nonverbale Zustimmung durch ihr Nicken – darauf schließen, dass die Lehrkraft seine Wahl für die richtige hält, diese Orientierung also teilt. Ein Fragen nach dem Warum der Entscheidung ist nicht notwendig, da sie selbst nicht mehr überzeugt werden muss. Auch Lasse geht in seiner Antwort nicht von sich aus auf die von der Lehrkraft eröffnete Alternative eines Wörtlichnehmens dessen, was in der Bibel steht, ein. Durch die direkt anschließende Frage der Lehrkraft bleibt er thematisch bei der

180

Die Analyse

zweiten Rezeptionsmöglichkeit, begründet aber nicht, warum er sich für diese entschieden hat, sondern erläutert – wie von der Lehrkraft erfragt –, was seiner Ansicht nach die Erklärintention der Bibel sei. Die von Lasse angenommene Lehre der Bibel formuliert er allgemein (»man«) und in Gebotsform (»sollte«). Seine These, »dass man lernen sollte nachzugeben, dass man sich nicht selbst überschätzen sollte« (I.5(b).TA.74f.), exemplifiziert er am Schicksal des Pharaos, der davon ausgeht, alle Plagen »abwenden« zu können, gegen den Tod aber machtlos sei (I.5(b).TA.76–79). Die Formulierung »z. B. wie der Pharao […] es getan hat« impliziert, dass es sich bei der genannten Erklärabsicht der Bibel um eine allgemeingültige handele, welche sich aber am Verhalten des Pharaos beispielhaft erläutern lasse. Auch die Begründung seiner These zur »Lehrabsicht« der Bibel lässt auf eine angenommene Allgemeingültigkeit dieser schließen, da das Subjekt hier ebenfalls das nicht näher bestimmte »man« ist. Die Formulierung der Lehrkraft aufgreifend personifiziert Lasse die Bibel. Sie erscheint als das Geschehen von außen betrachtende Person, die das Problem unserer Machtlosigkeit erkennt und mit ihrer »Lehre« – »nachzugeben« – einen Ausweg anbietet (I.5(b).TA.80). Gegenüber wem nachgegeben werden soll, wird nicht weiter spezifiziert. In Lasses Schluss, dass die Bibel »uns lehren will nachzugeben«, weil man gegen den Tod »nichts tun« kann, lässt sich ein moralisches Verständnis erkennen, bei dem die Vermeidung von negativen Konsequenzen als primärer Grund für regelkonformes bzw. erwünschtes Verhalten gilt.861 Die Nutzung der Partikel »ja« und »halt« innerhalb seiner Argumentation suggeriert, dass seine Schlussfolgerung in Anbetracht der gegebenen Informationen logischerweise so erfolgen muss und gewissermaßen selbstverständlich ist bzw. sein sollte (I.5(b).TA.80f.). Die Lehrkraft validiert diese Ausführung Lasses nonverbal (»((nickend))«) sowie in Form ihrer positiven Bewertung (»sehr gute Erklärung«, »so eine gute Erklärung« (I.5(b).TA.83f.)), nimmt aber inhaltlich nicht darauf Bezug, sondern wendet sich wieder an die gesamte Klasse und fragt nach weiteren Erklärungen. Hiermit bleibt sie auf der Ebene der zweiten zu Beginn eröffneten Rezeptionsmöglichkeit und signalisiert damit erneut, dass diese die präferierte sei, da nun von den Schüler_innen nicht mehr eine Entscheidung zwischen »Wörtlichnehmen« und »Erklärintention« verlangt, sondern bereits nach möglichen Erklärabsichten der Bibel gefragt wird.

861 Kohlberg beschreibt diese Form der moralischen Orientierung als erste Stufe innerhalb des von ihm entwickelten sechsstufigen Modells der moralischen Entwicklung. Siehe hierzu Kohlberg 1974, hier S. 60, 69.

181

Unterrichtseinheit I

I.5(b).TA. 86

Lukas:

87

(- - -) die bibel hm (- -) will uns auch lehren dass man (-) für (-) dass man beSTRAFTwird wenn man (-) schlimme SACHen tut (1.32) weil der pharao wird ja mit den (- -) PLAgen (- -) beSTRAFT eigentlich eher

88 89

(- -) dass (- - -) er die (- -) isra (- - -) israeliten nicht gehn lassen wollte (- -) und weiter als SKLAven benutzt hat

90 91 92

Lehrkraft I:

(2.46) du meinst die bibel sagt uns äh das wir beSTRAFT werden wenn wir etwas nicht machen

93 94

Lukas: Lehrkraft I:

(- - -) wenn wir etwas SCHLIMmes machen m_hm

95 Tabelle 22: I.5(b).TA.86–95

(2.98) ((Lehrkraft wiegt Kopf nach links und recht))

Wie Lasse nutzt auch Lukas die personifizierende Formulierung der Lehrkraft ebenfalls ohne die modaladverbiale Ergänzung, sodass keine Beschränkung oder Spezifizierung seiner Deutung der »Lehrabsicht« der Bibel auf die gehörte Erzählung erfolgt (I.5(b).TA.86). Er formuliert die von ihm angenommene Aussageabsicht der Bibel allgemein und passivisch (»man wird bestraft«) und bestimmt nicht näher, wer von wem bestraft wird (I.5(b).TA.87). Seine Äußerung suggeriert zunächst, dass er Lasses Erklärung als eine mögliche anerkennt, da er sich nicht zweifelnd oder ablehnend äußert, sondern seine Erklärung mit Hilfe des additiv gebrauchten »auch« an die Meinung des Vorredners anschließt. Mit dem – in seiner Elaboration am Beispiel des Pharaos – nachgeschobenen »ja […] eigentlich eher« impliziert er dann aber, dass er seine Deutung der biblischen Erklärabsicht für plausibler hält (I.5(b).TA.88). Lukas äußert hier zwar scheinbar eine Ergänzung, seine These passt jedoch nicht in den Rahmen der zuvor von Lasse aufgeworfenen Orientierung und bildet damit eine neue, divergente Orientierung. Sehr viel deutlicher als Lasse zieht Lukas eine moralisierende Lehre aus dem Gehörten. In seiner Äußerung zur »Lehrabsicht« der Bibel ist die Orientierung an Strafe und Gehorsam klar zu erkennen. Für Lukas geht es nicht um die innere Haltung des Pharaos, sein Überlegenheitsgefühl und Empfinden der eigenen Macht gegenüber anderen, sondern um seine offensichtlichen Taten. Für diese werde er – entsprechend eines klaren linear-kausalen Zusammenhangs – bestraft. In ihrer rückversichernden Nachfrage (»du meinst«) ersetzt die Lehrkraft die unspezifische »man«-Formulierung Lukas’ durch die Personalpronomen »uns«

182

Die Analyse

und »wir«, was ein konkretes Betroffensein der Anwesenden impliziert. Außerdem modifiziert sie Lukas Aussage, indem sie – seiner Argumentation folgend (der Pharao lässt die Israeliten nicht gehen) – die Bedingung für die Bestrafung (»wenn man schlimme Sachen tut«) in »wenn wir etwas nicht machen« verändert (I.5(b).TA.92). Lukas korrigiert die Lehrkraft in ihrer Interpretation seiner Aussage und betont noch einmal, dass die Bestrafung erfolgt »wenn wir etwas Schlimmes machen« (I.5(b).TA.93). Anders als bei der Reaktion auf Lasses Beitrag erfolgt an dieser Stelle keine offensichtlich positive Bewertung der Erklärung. An dem von ihr geäußerten »m_hm« lässt sich nicht erkennen, ob sie Lukas Position bestätigt oder nur – im Sinne eines Hörersignals – anzeigt, dass sie seiner Erläuterung inhaltlich gefolgt sei (I.5(b).TA.94). Die Zweifel suggerierende Intonation ihrer Nachfrage sowie das Hin- und Herwiegen ihres Kopfes signalisiert jedoch, dass sie dem Gehörten nicht ohne Weiteres zustimmen kann und diesbezügliche Bedenken hat (I.5(b).TA.95). Verbalisiert werden diese aber nicht. I.5(b).TA. 96 97

Ole:

sonst würde das ja jetzt auch ähm::: bestraft werden wenn ich (-) einen SCHRITT gehn würde

98 99

Ole:

100

Lehrkraft I:

das ist nur dass frau ((Name der Lehrkraft)) sagt ne? ole bleib auf deinem platz sitzen (1.78)

102 103

Lukas:

aber das wäre ja jetzt nicht SEHR schlimmes (1.33)

104 105

Lehrkraft I: Ole:

[(- -) hm_hm (- -)] [((rollt mit den Augen; leiser)) ja ich hab ja keinen umgebracht]

106 107

uk: Lehrkraft I:

((kurzes lachen)) ich denke ihr seid auf einem guten weg–

101

108

lasse was du gerade gesagt hast finde ich sehr interessant. du sagst die bibel’(.) sag es noch einmal

109 110 111

(1.33) ((mit hochgezogener stimme)) ah:: ich werde sterben

Lasse:

die bibel will uns LEHren’ die bibel will uns lehren nachzugeben (-) sich nicht selbst zu überschätzen

112 113

Lehrkraft I:

hm_hm (- - -) sich nicht selbst so wichtig zu nehmen’]

114

Lasse:

hm_hm]

183

Unterrichtseinheit I

(Fortsetzung) 115

Lehrkraft I:

116 Tabelle 23: I.5(b).TA.96–116

(- -) m_hm (2.94)

In der entstandenen Gesprächspause steigt Ole – ohne das Rederecht zugeteilt bekommen zu haben – in die Bedeutungsaushandlung ein. Er beginnt seinen Beitrag mit dem Kausaladverb »sonst« und zeigt damit an, dass ohne die Berücksichtigung der von Lukas eingeworfenen Korrektur das nachfolgende Beispiel zutreffen müsse (man wird bestraft, wenn man nicht an seinem Platz sitzen bleibt) (I.5(b).TA.96f.). Mit der Wahl dieses Beispiels und der übertrieben dargestellten »Bestrafung« (»((mit hochgezogener Stimme)) ah ich werde sterben«) signalisiert er, dass ihm dies nicht plausibel erscheint (I.5(b).TA.99). Die Lehrkraft stimmt ihm implizit zu, da sie bestätigt, dass in diesem Fall »nur« eine mündliche Ermahnung erfolgen würde (I.5(b).TA.100). In dem anschließenden Einwurf Lukas’ dokumentiert sich, dass er den Beitrag Oles nicht als Bestärkung seiner eigenen These aufnimmt: Mit der einleitenden Konjunktion »aber« markiert Lukas einen Widerspruch gegen Oles Beispiel und er betont, dass es sich dabei nicht um etwas »sehr Schlimmes« handeln würde (seiner These nach also keine Bestrafung erfolgen müsse) (I.5(b).TA.102). Fast zeitgleich mit der Reaktion der Lehrkraft (»hm_hm«), aus der nicht hervorgeht, ob sie die geäußerte Orientierung teilt oder lediglich ihr inhaltliches Folgen signalisiert (I.5(b).TA.104), nimmt Ole auf Lukas Bezug. Er bestätigt, dass es sich in seinem Beispiel nicht um etwas »sehr Schlimmes« handele, indem er ein Beispiel für eine (von ihm) als »sehr schlimm« empfundene Tat nennt (I.5(b).TA.105). Dass er vor seiner Äußerung mit den Augen rollt, kann ein Zeichen dafür sein, dass er den Einwurf Lukas für unnötig hält bzw. es für ihn völlig klar ist, dass sein anfängliches Beispiel nicht für eine »schlimme« Tat stand. Die Lehrkraft lässt Oles letzte Wortmeldung unkommentiert und schließt die Bedeutungsaushandlung mit einer positiven Würdigung, bei der sie zunächst alle Schüler_innen adressiert, die sich zu Wort gemeldet haben (»[…] ihr seid auf einem guten Weg«), dann aber nur Lasses Äußerung als »sehr interessant« bewertet (I.5(b).TA.107f.). Diese Bewertung und die Aufforderung an Lasse, seine Theorie noch einmal zu wiederholen, hebt dessen Deutung der Geschichte positiv hervor (I.5(b).TA.109f.) Hiermit wird eine Konklusion im Modus einer Validierung und wiederholten Formulierung gebildet. In ihrer Bitte an Lasse gibt sie die Formulierung »Die Bibel will uns lehren« zur Vervollständigung vor. Lasse wiederholt sein vorangegangenes Statement zur Lehrabsicht der Bibel nahezu wortwörtlich (I.5(b).TA.111). Die Lehrkraft äußert nun erneut Zustimmung und fügt ergänzend den Aspekt des »Sich nicht selbst so wichtig«-Neh-

184

Die Analyse

mens hinzu (I.5(b).TA.112f.). Lasse ist hiermit einverstanden (I.5(b).TA.114) und die Lehrkraft schließt die gemeinsamen Überlegungen nach einer kurzen Pause mit einem zustimmenden »m_hm« (I.5(b).TA.115). Die von Lukas aufgeworfene divergente Orientierung bleibt in der Konklusion unkommentiert und damit offen. Nach einer kurzen Ausführung darüber, dass Gott »hier« dem Pharao seine Macht zeige,862 kommt die Lehrkraft zur Frage des Verständnisses und dem Aspekt des »Wörtlichnehmens« zurück. I.5(b).TA. 125 126

Lehrkraft I:

127 128

Lasse: Lehrkraft I:

wir dürfen diese ganze geschichte nicht so WÖRtlich nehmen

129

hm_m_hm (-) ne? (- -) keiner von uns war dabei’ (-) so wie bei vielen geschichten in der bibel die erKLÄren uns etwas (1.06) ne? und GOTT (- -) hier der jahwe (-) der GOTT der israeliten

130

der lässt sein volk nicht im stich (- -) der setzt ALles daran sein volk zu retten (2.44) [und der pharao]

131 132 133 134

(8.8)

Ole: Lehrkraft I:

135

[((leise)) selbst wenn] versucht sich dagegen zu wehren (- -) aber es klappt nicht (- - -) er muss am schluss EINsehen [(- - -) dass gott (- -)]

136 137 138

Lasse: Lehrkraft I:

[dass man ihn ( besser nich)] mächtiger ist

139 140

Lasse:

[als er] [hm_hm]

141 142

Lehrkraft I:

(1.42) ne? GOTT bricht hier die macht des pharaos

143 144

Ole:

(1.29) ja

145 146

Lehrkraft I:

(0.73) DAS soll uns diese geschichte erklären` es geht GARnicht darum um den tod

862 I.5(b).TA.117–125, s. Tabelle 26, S. 193f.

185

Unterrichtseinheit I

(Fortsetzung) 147 148 149 Tabelle 24: I.5(b).TA.125–149

der ältesten söhne das ist NUR (-) eine erKLÄrung (1.48) ne? (3.5) aber SO mächtig ist gott (- - -) steht hier (5.14)

Die Lehrkraft trifft nun – durch eine deutliche Gesprächspause von der vorangegangenen Erläuterung abgesetzt (I.5(b).TA.125) – selbst eine Entscheidung zwischen den zwei von ihr geäußerten Rezeptionsalternativen (I.5(b).TA.126). Wie bereits in der Formulierung dieser Alternativen nutzt sie auch hier das Personalpronomen »wir«, sodass ein direkter Bezug zu den Anwesenden hergestellt wird. Das eine Verbindlichkeit implizierende Modalverb »müssen« aus ihrer anfänglichen Fragestellung ersetzt die Lehrkraft an dieser Stelle durch das ein Verbot implizierende verneinte Modalverb »nicht dürfen«. Damit wird ein negativer Gegenhorizont zu einer »richtigen« Rezeptionsweise aufgezeigt. Wie schon zuvor expliziert die Lehrkraft nicht, was es bedeutet, das Gehörte »wörtlich« zu nehmen. Intonation und das eingeschobene »so« lassen die Äußerung wie die Redensart »etwas nicht so ernst nehmen« klingen. Anders als zuvor wird an dieser Stelle das betroffene Objekt genauer bestimmt (»diese ganze Geschichte«) und nicht nur durch einen Artikel repräsentiert (»das«863). Die Art der Formulierung des Objekts lässt offen, ob damit die Geschichte als literarische Gattung gemeint ist oder im Sinne der umgangssprachlichen Redewendung als Ausdruck für die Gänze eines bestimmten (unangenehmen) Sachverhalts (»das alles«; z. B. »Wir vergessen die ganze Geschichte.«, »Die ganze Geschichte ist mir sehr peinlich.«). Lasse stimmt dieser Aussage deutlich zu (I.5(b).TA.127). Mithilfe der nachgeschobenen Fragepartikel (»ne?«) suggeriert die Lehrkraft den Wunsch nach einer zustimmenden Rückmeldung durch die Anwesenden (I.5(b).TA.128). Für eine solche ist jedoch kein Raum, da die Lehrkraft das Rederecht nicht abgibt, sondern direkt eine Erklärung für ihre Aussage anschließt. Ihre Argumentation – niemand der Anwesenden (»von uns«) sei »dabei« gewesen – impliziert, dass mit der Formulierung »so wörtlich nehmen« eine Rezeption der Geschichte als detailgetreuer Bericht historischer Ereignisse gemeint ist: Da keiner der Anwesenden die Ereignisse der Geschichte bezeugen kann, ist auch nicht nachprüfbar, ob die gehörten »Worte« in dieser Weise korrekt sind. Die Aussage »keiner von uns war dabei« lässt den Schluss zu, dass es ein Ereignis gab, bei dem man anwesend hätte sein können. Dieser Schluss wird seitens der Lehrkraft aber nicht explizit gemacht. Als positiver Horizont wird nun die zweite der zu Beginn gestellten Alternativen benannt 863 I.5(b).TA.69, s. Tabelle 20, S. 177.

186

Die Analyse

(I.5(b).TA.129). Jedoch wechselt das Subjekt von der Bibel zu »viele Geschichten in der Bibel«, sodass die Absicht des Erklärens auf eine nicht genauer bestimmte Anzahl von biblischen Geschichten begrenzt wird. Die anfängliche personifizierende Formulierung wird auch hier beibehalten. Bevor die Lehrkraft nochmals erläutert, was »hier« erklärt wird (die Macht Gottes), schiebt sie erneut einen die Zustimmung der Anwesenden einfordernde Rückfragepartikel ein (I.5(b).TA.130). Im Anschluss an ihre Erläuterung betont sie noch einmal, dass »das« die Erklärabsicht sei, wobei diese nun explizit auf die gehörte Geschichte beschränkt wird (»diese Geschichte«) (I.5(b).TA.146). Im Rückbezug auf die im Vorfeld diskutierte Härte der zehnten Plage setzt sie entschärfend nach, dass es »gar nicht darum, um den Tod der ältesten Söhne« ginge. Indem sie betont, es handele sich hierbei »nur« um »eine Erklärung«, schwächt sie zum einen die Grausamkeit des Gehörten ab und impliziert zum anderen eine metaphorische (und nicht historisch dokumentierende) Funktion der geschilderten Ereignisse (I.5(b).TA.146f.). Auch hier wird eine – die Zustimmung einfordernde bzw. das Verständnis des Gesagten rückversichernde – Fragepartikel angehängt (I.5(b).TA.148). Mit der anschließenden längeren Pause wird der Wirkung der durch die Lehrkraft durchgeführte Konklusion Nachdruck verliehen. Der nachgeschobene Zusatz relativiert mit Hilfe des einleitenden »aber« die zuvor abgeschwächte Bedeutung des Todes der ägyptischen Söhne, da der Tod dennoch (auch wenn es sich »nur« um eine Erklärung handelt) ein Zeugnis für das Ausmaß der Macht Gottes sei (I.5(b).TA.149). Die Größe dieser Macht wird durch die Betonung des »so« intonatorisch hervorgehoben. Der Nachsatz »steht hier« wirkt wie eine – ihre Aussage zusätzlich stützende –Rechtfertigung durch eine schriftliche Autorität. Jedoch ist für die Anwesenden nicht klar, welchen Ort bzw. welches schriftliche Dokument das deiktische Lokaladverb »hier« indiziert, da bis zu diesem Zeitpunkt keine schriftliche Quelle als Erzählgrundlage (Bibel, Textkopie, AB, Schulbuch, etc.) genutzt wurde. Im Anschluss an diese Sequenz geht die Lehrkraft erneut erläuternd darauf ein, dass der Pharao durch Gott und die von ihm geschickten zehn Plagen die Grenzen seiner Macht erfahre und leitet damit eine abschließende Arbeitsphase ein, in der die Schüler_innen auf einem Arbeitsblatt die zehn Plagen schriftlich festhalten sollen. Szene 2 Während der in der Folgestunde stattfindenden Wiederholung der zehn Plagen greift die Lehrkraft die Auseinandersetzung mit der Frage, wie das Gehörte zu nehmen, zu deuten sei, noch einmal auf.

187

Unterrichtseinheit I

I.6.TA. 29

Lehrkraft I:

(2.9) so nun haben wir ja beim letzten mal gesagt ihr ward auf einmal so:

30 31

(1.9) entsetzt (- - -) erschüttert

32

(4.9) ((Lehrkraft wartet ab und nickt dann Christoph zu, welcher sich meldet)) äh:: das (.) also wir waren letztes mal erschüttert wegen

33

Christoph:

34 35 36 37

Lehrkraft I:

38 39

Lasse:

40 41 42 43 44 45

Lehrkraft I:

46

Lasse:

47 48 49 50 51

Lehrkraft I:

52 53

äh gott MACHt SOetwas eigentlich nicht er will eigentlich immer dass die menschen LEBEN sollten und nicht [sterben] [hm_hm’] (- - -) lasse hatte da (-) etwas zu gesagt in der letzten stunde dass man ähm (- - -)das ist ja alles ja das müssen wir nicht WÖRTlich nehmen was da passiert ist aber weil die bibel will uns damit erklären dass wir NACHgeben sollen (-) weil der pharao hats nicht geTAN und dadurch ist es (-) ist eben alles nur noch schlimmer [geworden] [hm_hm’] (- -) also dass man (.) nachgeben sollte dass man die kraft äh von sich nicht überschätzen sollte und auch gar nicht er/erstmal äh: (.) die äh und gar nicht die kraft von GOTT unterSCHÄTzen (- -) man sollte immer NACHgeben wenn (-) man sollte halt NACHgeben lernen können (- -) das ist ein ganz wichtiger aspekt ein ganz wichtiger grund (.) ne? (-) du hast gesagt man kann diese geschichten nicht WÖRtlich nehmen dass die SO genau PASSIERT sind (.) diese geschichten wollen uns IMmer etwas erKLÄren

Tabelle 25: I.6.TA.29–53

Die Lehrkraft spricht die von ihr in der vorangegangenen Stunde wahrgenommene »Erschütterung« der Schüler_innen über die zehnte Plage an und fordert sie mit der anschließenden längeren Redepause nonverbal auf, hierzu Stellung zu

188

Die Analyse

beziehen bzw. sich diesbezüglich zu äußern (I.6.TA.29–32). Ein Schüler, der sich in der vergangenen Unterrichtsstunde hierzu nicht zu Wort gemeldet hatte, gibt die auch von anderen Schüler_innen verbalisierte Unstimmigkeit mit dem ihnen vertrauten Gottesbild als Grund für die »Erschütterung« an (I.6.TA.33–36). Das sich in der zehnten Plage äußernde Gottesbild steht für Christoph im Widerspruch zu seinem bisherigen Gottesbild, ist mit diesem nur schwierig vereinbar und wird daher als Ausnahme markiert (zweimaliger Gebrauch von »eigentlich« im Sinne von »an und für sich«, »im Grunde«). Die Lehrkraft signalisiert Zustimmung (»hm_hm’«) und verweist auf eine Äußerung Lasses zu diesem Dissens aus der vergangenen Stunde (I.6.TA.37f.). Lasse reagiert auf die implizite Aufforderung der Lehrkraft und beginnt zunächst wortwörtlich identisch zu seiner erstmaligen Äußerung (»dass man«), bricht dann jedoch ab und setzt neu an (I.6.TA.39). Statt des allgemeinen »man« nutzt er nun das auf die Anwesenden bezogene »wir« als Subjekt seiner Formulierung. Mit der zweimaligen Nutzung des Modalpartikels »ja« impliziert Lasse, dass der Inhalt seiner Aussage von ihm als selbstverständlich und allgemein bekannt angesehen wird. Wie bereits in der vorangegangenen Stunde nutzt er auch hier die ursprünglich von der Lehrkraft stammende Formulierung »müssen wir nicht wörtlich nehmen«. Doch während die Lehrkraft in der letzten Stunde »das« (was so in der Bibel steht) und »diese ganze Geschichte« als nähere Bestimmung des Objekts nannte, führt Lasse mit »alles/ was da passiert ist« ein neues Objekt in die Formulierung ein (I.6.TA.40). Anders als die Lehrkraft verweist er mit dieser Äußerung nicht auf die biblische Textebene, sondern auf in der Vergangenheit liegende Ereignisse. Lasse führt zunächst wie eine Alternative (»aber«) und dann als Begründung (»weil«) für das »Nicht-Wörtlichnehmen« an, dass die Bibel mit dem »Geschehenen« etwas erklären will (I.6.TA.41). Erneut wird hier die Bibel personifiziert und ihr ein Wille, eine Absicht zugesprochen. Seiner These fügt Lasse eine Begründung im Modus einer Exemplifizierung an: Am unnachgiebigen Verhalten des Pharaos (»weil der Pharao hats nicht getan«), sei zu sehen, was dies folglich (»eben«) für Konsequenzen habe (»dadurch ist es […] eben alles nur noch schlimmer geworden«) (I.6.TA.42–44). Die Lehrkraft stimmt Lasse mit dem von ihr eingeschobenen »hm_hm’« paraverbal zu (I.6.TA.45). Lasse setzt seine Erläuterung nach einer kurzen Pause fort und beschreibt genauer, was die Bibel seiner Ansicht nach erklären will und was »nachgeben« meint. Er formuliert die Erklärabsicht der Bibel allgemein (»man«) und zieht an dieser Stelle keine explizite Parallele zum Verhalten des Pharaos. Lasse erklärt »nachgeben« als Konsequenz richtiger Einschätzung der eigenen Kraft (I.6.TA.46f.). Als noch entscheidender (»auch gar nicht erstmal« im Sinne von »schon gar nicht«) sieht er es außerdem an, die Kraft Gottes nicht zu unterschätzen (I.6.TA.48). Seinen anschließenden Ansatz einer genaueren Ausfüh-

Unterrichtseinheit I

189

rung, in welchen Situationen es geboten sei, nachzugeben (»man sollte immer nachgeben wenn«), bricht er ab und schließt seine Erläuterung mit einer erneuten Wiederholung der von ihm angenommenen Erklärabsicht (I.6.TA.49f.). Dass diese Schlussfolgerung für Lasse naheliegt und selbsterklärend scheint, wird abermals durch eine Modalpartikel (»halt«) impliziert. Die Lehrkraft validiert Lasses Ausführung, indem sie das Gesagt wiederholt als »ganz wichtigen Aspekt/Grund« bewertet (I.6.TA.51). Mit der nachgeschobenen Fragepartikel »ne«, die eine Aufforderung zur Zustimmung suggeriert, wird die positive Würdigung zusätzlich verstärkt. Statt des Abwartens auf eine Reaktion setzt die Lehrkraft zu einer wiederholenden Zusammenfassung des von Lasse geäußerten an (»du hast gesagt«) (I.6.TA.52). Während Lasse jedoch aussagte, dass das, »was da passiert ist«, nicht wörtlich genommen werden müsse, ersetzt die Lehrkraft diesen Bezug auf vergangene Ereignisse durch »diese Geschichte« und führt damit auf die Text- bzw. Erzählebene zurück. Statt des Modalverbs »nicht müssen« verwendet sie das Modalverb »nicht können«, welches statt eine mögliche Option zu suggerieren, die Unmöglichkeit des »Wörtlichnehmens« ausdrückt. Auch die nähere Bestimmung dessen, was nicht wörtlich genommen werden muss bzw. kann, ändert sich innerhalb der Zusammenfassung der Lehrkraft. Lasses Formulierung (»was da passiert ist«) impliziert, dass das Gehörte passiert ist – im Sinne eines historischen Ereignisses – dies aber nicht wörtlich genommen werden müsse. Dabei bleibt offen, was dieses Wörtlichnehmen für Lasse bedeutet. Die Lehrkraft bezieht sich in ihrer Re-Formulierung hinsichtlich des Aspekts des »Wörtlichnehmens« auf die Infragestellung der (historischen) Genauigkeit der Geschichten (»dass die so genau passiert sind«) (I.6.TA.53). Damit wird ein entsprechendes historisches Ereignis nicht ausgeschlossen, aber eine gewisse Unverbindlichkeit der Schilderungen suggeriert sowie mit »diesen Geschichten« als Subjekt das Gehörte erneut auf die Text- bzw. Erzählebene zurückgeführt. Welche Geschichten mit »diese« gemeint sind, wird nicht genauer erläutert und der Bezug zur Bibel, den Lasse im Vorfeld hergestellt hatte, nicht erneut explizit gemacht. Auch die Lehrkraft setzt dem negativ konnotierten Bedeutungshorizont des »Wörtlichnehmens« als positiven Horizont entgegen, dass »diese Geschichten […] immer etwas erklären« wollten. So wie Lasse die Bibel personifiziert, stellt die Lehrkraft an dieser Stelle erneut die Geschichten als intentional Handelnde dar und spricht ihnen eine generelle (»immer«) Erklärintention zu. Konklusion Die beiden hier analysierten Szenen bilden die einzigen Situationen während der gesamten Unterrichtseinheit, in denen explizit, von der Lehrkraft intendiert und gemeinsam mit den Schüler_innen über die Rezeption des zugrundeliegenden biblischen Textes sowie die Rezeption biblischer Texte im Allgemeinen ge-

190

Die Analyse

sprochen wird. Zwar ist die Exodus-Erzählung bereits in den vorangegangenen vier Stunden Gegenstand des Unterrichts – von den Schilderungen des Lebens der Israeliten in Ägypten über Geburt und Flucht Moses bis zu seiner Beauftragung am brennenden Dornbusch –, aber erst im Kontext der zehn Plagen, speziell der zehnten Plage, wird die Frage nach Art und Weise der Rezeption des biblischen Textes konkret. Auslöser für das Gespräch darüber, wie mit dem biblischen Text umgegangen werden muss, ist eine durch die Lehrkraft wahrgenommene Stimmungsänderung in der Klasse, nachdem die zehnte Plage von einem Schüler vorgelesen wurde. Die Schüler_innen äußern ihre »Erschütterung« über die Grausamkeit der zehnten Plage und die Verwunderung bzw. das Entsetzen über das in der Plagen-Erzählung gezeigte Gottesbild. Sie beschreiben dies als deutlichen Widerspruch zu dem bei ihnen vorhandenen Gottesbild. Die Lehrkraft reagiert an dieser Stelle nicht direkt mit einem Versuch, die Gottesbilder zusammenzuführen oder das dargestellte Handeln Gottes zu rechtfertigen, sondern konstatiert zunächst, dass das Gehörte – auch wenn es bei den Schüler_innen anstoße – in dieser Weise (»so«) in der Bibel stehe (»ja und doch steht es so in unserer Bibel«). Mit ihrer anschließenden Frage, wie nun »immer« mit dem, was in der Bibel stehe, umgegangen werden müsse und den beiden von ihr dazu eröffneten Rezeptionsmöglichkeiten beginnt die Lehrkraft jedoch implizit, die Grausamkeit und Drastik der gehörten Geschehnisse zu relativieren. Sie gibt in ihrer Ausgangsfrage zum Umgang mit dem Gehörten zwei mögliche Rezeptionsweisen vor und stellt die Schüler_innen damit vor die Entscheidung für eine dieser Alternativen. Die Art der Formulierung und die Intonation ihrer Einstiegsfrage suggerieren bereits zu Beginn der Gesprächssequenz die von ihr präferierte Rezeptionsweise. Im Verlauf des Gesprächs wird dies in ihren Rückmeldungen zu den Äußerungen der Schüler_innen und den Zusammenfassungen zunehmend deutlich. Die Lehrkraft stellt der Rezeptionsweise, das Gehörte wörtlich nehmen zu müssen, die Alternative gegenüber, dass die Bibel damit etwas erklären wolle. Dieser von ihr konstruierte Gegensatz bleibt über den gesamten Gesprächsverlauf bestehen und wird auch in der Folgestunde seitens eines Schülers (Lasse) in dieser Form aufgegriffen. Die Rezeptionsweise des Wörtlichnehmens wird von der Lehrkraft dreimal angesprochen, und je nach sprachlicher und argumentativer Einbettung treten verschiedene Bedeutungen des Begriffs hervor. Zunächst wird das Wörtlichnehmen mit der Gegenüberstellung zur erklärenden Intention zum buchstäblichen Verstehen metaphorischer Sprache. Demnach ist nicht davon auszugehen, dass das Gehörte passiert ist, da es sich dabei lediglich (»nur«) um ein Hilfsmittel zur Erklärung einer über der konkreten Handlung des Erzählten stehenden Lehre handelt (im Sinne einer Beispielerzählung, Parabel etc.). Mit der an die zweite Erwähnung des Begriffs anschließende Erklärung, dass keiner der Anwesenden Augenzeuge des Gehörten gewesen wäre, wird die Bedeutung verschoben. Hier

Unterrichtseinheit I

191

wird impliziert, dass es ein Ereignis gegeben habe, bei dem man anwesend hätte sein können. Da dies aber auf niemanden in der Klasse zutreffe, sei nicht nachprüfbar, wie genau die Geschehnisse abgelaufen seien. Aus diesem Grund ist »diese ganze Geschichte nicht so wörtlich [zu] nehmen«. Intonation und Formulierung (vorangestellte Partikel »so«) lassen an dieser Stelle Parallelen zur Redewendung »etwas nicht so ernst nehmen« erkennen und entsprechen der Wortbedeutung des Wörtlichnehmens in dem Sinn, dass etwas oder jemandem unbesehen Glauben geschenkt wird oder etwas »für bare Münze« genommen wird. Die letzte Szene, in der die Lehrkraft die Äußerung eines Schülers zusammenfasst, enthält einen weiteren Aspekt des Bedeutungsspektrums des Begriffs »Wörtlichnehmen«. Dieser klingt auch schon bei der vorherigen Nennung in Verbindung mit der Begründung der fehlenden Augenzeugen an. Durch den Zusatz »dass die so genau passiert sind« wird ein historisches Ereignis nicht ausgeschlossen, aber die wortwörtliche Übereinstimmung des Gehörten mit diesem wird in Abrede gestellt. Seitens der Schüler_innen wird der Begriff des Wörtlichnehmens nur einmal genutzt (vgl. Szene 2). Lasse wird gebeten, seine Äußerung der vergangenen Stunde zu wiederholen, und greift dabei auch diesen von der Lehrkraft vorgegebenen Begriff mit auf: Das was passiert ist, sei nicht wörtlich zu nehmen, da die Bibel damit etwas erklären wolle. Entsprechend dem von der Lehrkraft konstruierten Gegensatz von »Wörtlichnehmen« und »Erklärabsicht«, wird hier die These, dass es nicht wörtlich genommen werden müsse, damit begründet, dass es sich um eine Erklärung handele. Im Unterschied zur Lehrkraft, die als Objekte das, »was in der Bibel steht«, und »die Geschichte(n)« benennt und damit zunächst auf einer textlichen bzw. erzählerischen Ebene bleibt, bezieht Lasse sich in seiner Äußerung auf ein konkretes Ereignis (»das was da passiert ist«). Versteht man dies als historischen Verweis, befindet er sich mit seiner Verwendung des Begriffs des »Wörtlichnehmens« im Bedeutungsspielraum zwischen dem Zweifel an einer wortwörtlichen Übereinstimmung und der fehlenden Notwendigkeit, das Geschehene zu ernst zu nehmen. Auch wenn sich das Rezeptionskonzept des »Wörtlichnehmens« während des Gesprächs in seiner Bedeutung zwischen einer Tatsachen beschreibenden historischen Auffassung, einer wortwörtlichen Übereinstimmung einer Erzählung mit Geschehenem und einem zu ernst Nehmen von Gehörtem bewegt, wird es der – sich in den Reaktionen und Zwischenkonklusionen der Lehrkraft dokumentierenden, von ihr vertretenden – Rezeptionsstrategie für biblische Inhalte durchgehend als negativer Gegenhorizont gegenübergestellt. Mit der Betonung der erklärenden Absicht der Bibel reagiert die Lehrkraft auf die von den Schüler_innen verbalisierten Schwierigkeiten mit der Grausamkeit der Plagen-Erzählung und dem damit verbundenen für sie befremdlichen Gottesbild. Indem deutlich hervorgehoben wird, dass es sich »nur« um eine Erklärung der Macht

192

Die Analyse

Gottes handele – im Sinne einer Beispielerzählung – und es eigentlich »gar nicht […] um den Tod der ältesten Söhne« gehe, wird die Härte des Erzählten abgeschwächt und relativiert. Die von der Lehrkraft eingebrachte und dann im Gespräch mit den Schüler_innen ausgeführte erklärende und lehrende Intention der Bibel bzw. ihrer Geschichten gilt zunächst universal (»immer«), im weiteren Verlauf wird sie dann für »viele« Geschichten konstatiert. Die Frage, ob es die Geschehnisse, die Grausamkeit tatsächlich gegeben habe, wird weder von der Lehrkraft noch von den Schüler_innen explizit angesprochen bzw. gestellt. Implizite Hinweise hierauf finden sich für die Schüler_innen nur in den von der Lehrkraft geäußerten Gedanken zum »Wörtlichnehmen«. Welches Konzept von Bibel und der in ihr enthaltenen Texte – insbesondere der Plagen-Erzählung – steht nun am Ende dieser beiden Szenen? Wie wird das besondere Wesen dieser be- und verhandelt? Erstmalig in dieser Unterrichtseinheit wird die Bibel als Quelle des von der Lehrkraft Erzählten genannt und als Beleg für das Gehörte angeführt (»und doch steht es so in unserer Bibel«). Von Beginn an wird die Bibel in den Formulierungen der Lehrkraft personifiziert. Auch die Schüler_innen übernehmen dies in ihren Äußerungen. Mit der Personifizierung der Bibel als handelndes Subjekt, welches eine bestimmte Absicht hat und diese mit den in ihr enthaltenen Geschichten verfolgt, tritt ihr Entstehungsprozess in den Hintergrund. Die menschliche Autorschaft und die hierdurch bedingten und bei der Rezeption zu berücksichtigen Eigenschaften biblischer Texte werden damit ausgeblendet. Als Adressaten der erklärenden Geschichten werden durchgehend die Anwesenden genannt (»wir«/»uns«). Da die Lehrkraft den biblischen Text – wie auch schon in den vorangegangenen Unterrichtsstunden – frei erzählend wiedergibt, bleibt die schriftliche Dimension der biblischen Texte implizit und wird nur einmal zu Beginn der ersten Szene innerhalb der Gesprächseröffnung (»wie steht immer was in der Bibel«) und mit einem an eine Konklusion anschließenden Verweis der Lehrkraft (»steht hier«) angedeutet. Der Referenzpunkt zu dieser Lokaldeixis bleibt für die Schüler_innen jedoch unbestimmt. Hinsichtlich der Bestimmung dessen, was in der Bibel bzw. in ihren Geschichten enthalten ist, steht am Ende der beiden Szenen ein Bedeutungskonstrukt, welches sich zwischen dem Pol einer metaphorischen Erzählung und dem Pol einer Erzählung nicht genau nachprüfbarer historischer Abläufe (»keiner von uns war dabei«, »dass die so genau passiert sind«) bewegt. Der Fokus der Bedeutungsaushandlung liegt – überwiegend durch die Lehrkraft gesteuert – auf der Feststellung einer »Erklärabsicht« der biblischen Geschichte.

193

Unterrichtseinheit I

6.1.2.2 Incident »Erzählung« »So haben sich die Israeliten das immer erzählt.« [Lehrkraft I]

In unmittelbarer Nähe zur Aushandlung, ob die biblische Plagenschilderung bzw. biblische Geschichten im Allgemeinen »wörtlich« zu nehmen seien, wird ein neuer Aspekt des Konzepts des biblischen Textes bzw. des Konzepts von Bibel eröffnet. Die Lehrkraft wirft – durch längere Redepausen vom Gesprächsabschnitt zur Frage der »Erklärabsicht« der Bibel abgegrenzt – eine neue Proposition auf (s. Szene 1). Diese Proposition wird in zwei weiteren Szenen aufgegriffen und bearbeitet (s. Szene 2 und Szene 3). Szene 1 I.5(b).TA. 107

Lehrkraft I:

108

lasse was du gerade gesagt hast finde ich sehr interessant. du sagt die bibel’(.) sag es noch einmal

109 110 111

ich denke ihr seid auf einem guten weg–

Lasse:

die bibel will uns LEHren’ die bibel will uns lehren nachzugeben (-) sich nicht selbst zu überschätzen

112 113

Lehrkraft I:

hm_hm (- - -) sich nicht selbst so wichtig zu nehmen’]

114 115

Lasse: Lehrkraft I:

hm_hm] (- -) m_hm

116 117

Lehrkraft I:

(2.94) hier zeigt GOTT (-) seine macht (3.29)

118 119

ne? und der pharao erkennt das nicht (- - -) und er überschätzt sich da hast du völlig recht er überschätzt sich (2.0)

120

und hier wird erZÄHLT (- - -) ne? wir müssen davon ausgehen das es Erzählungen sind hier wird erZÄHLT (-) wie gott dann eingreift (- - -)

121 122 123 124 125

damit auch der pahrao versteht (- -) ne? gott hat die macht (1.2) ich kann mich nicht dagegen wehren (- -) ich kann machen was ich will aber gegen Gott komm ich nicht an (2.0) das soll uns diese geschichte erzählen (-) da hast du völlig recht (8.8)

194

Die Analyse

(Fortsetzung) 126

wir dürfen diese ganze geschichte nicht so WÖRtlich nehmen

Tabelle 26: I.5(b).TA.107–126

Nachdem die Lehrkraft Lasses Äußerung über die Selbstüberschätzung des Pharaos durch zweimalige Wiederholung der Aussage erneut validiert hat (»er überschätzt sich, da hast du völlig recht«), erfolgt eine Pause, mit der die Verhandlung der Proposition der erklärenden Absicht der Bibel vorerst beendet wird (I.5(b).TA.119). Durch die Konjunktion »und«, mit der die Lehrkraft neu einsetzt, wird ihre folgende Äußerung aber mit dem Vorangegangenen verknüpft und ein zugehöriger und zu berücksichtigender Aspekt markiert (I.5(b).TA.120). Seitens der Lehrkraft wird nun betont, dass »hier« »erzählt« werde. Nach einer kurzen Pause impliziert sie mit der nachgesetzten Fragepartikel »ne« die Erwartung von Zustimmung und Verständnis. Eine Reaktion der Schüler_innen wird jedoch nicht abgewartet. Stattdessen ergänzt die Lehrkraft ihre Äußerung direkt: Die Anwesenden (»wir«) müssten »davon ausgehen, dass es Erzählungen sind«. Mit dem Modalverb »müssen« wird suggeriert, dass es »gute Gründe« gebe, die Annahme, dass es sich um Erzählungen handele, zu vertreten. Was zu dieser Annahme zwinge, wird nicht expliziert. Ebenfalls ohne Erläuterung bleibt, was genau als »Erzählungen« bezeichnet wird. Während zunächst das deiktische Lokaladverb »hier« auf das unmittelbar zuvor gehörte Geschehen (Plagen-Erzählung) schließen lässt, impliziert der Plural (»Erzählungen«) einen größeren Umfang von »es«, dem nicht weiter bestimmten Subjekt des Nebensatzes. Aus der Perspektive der Lehrkraft läge der Bezug auf einen gewissen Umfang, eine bestimmte Auswahl biblischer Texte nahe. Da bisher jedoch nur von »dieser Geschichte« im Singular gesprochen wurde, ist dieser Bezug nicht zwingend auch für die Schüler_innen klar. Im direkten Anschluss wiederholt die Lehrkraft noch einmal, dass »hier« »erzählt« werde, sodass die Kategorisierung als »Erzählung« nun wieder auf das zuvor Gehörte eingegrenzt ist (I.5(b).TA.121). Es folgt ihre Erklärung dessen, was »erzählt« wird. Die Lehrkraft greift den bereits von ihr aufgeworfenen Aspekt der Verdeutlichung der Macht Gottes auf, gegen die der Pharao bzw. der Mensch »machtlos« sei (I.5(b).TA.122–124). Die Lehrkraft schließt die Elaboration mit der Konklusion, dass es »das« sei, was »uns diese Geschichte erzählen« solle (I.5(b).TA.125). Hier wird zum ersten Mal die Geschichte selbst zum handelnden Subjekt, welches den Auftrag hat (sie »soll«), diese Botschaft zu erzählen. Zuvor »erklärte«/»lehrte« die Bibel mithilfe »dieser Geschichte«. Erneut wird das Verb »erzählen« – nicht das bisher verwendete »erklären/lehren« – betont. Nach einer erneuten Validierung der Äußerung Lasses wird durch eine Gesprächspause von fast neun Sekunden ein deutlicher Abschluss des Abschnitts markiert.

195

Unterrichtseinheit I

Szene 2 I.6.TA. 52

Lehrkraft I:

53

(.) ne? (-) du hast gesagt man kann diese geschichten nicht WÖRtlich nehmen dass die SO genau PASSIERT sind (.) diese geschichten wollen uns IMmer etwas erKLÄren (1.8) und (- -) wer hat sich denn diese geschichte weitererzählt?

54

haben sich das die ägypter weitererzählt oder haben sich das die israeliten weitererzählt? [(2.1) lukas]

55 56 57 58

Ole: Lukas:

[(1.2) ich glaub die is/] die israeLIten

59 60

Lehrkraft I:

die israeliten haben sich das weitererzählt (- -) so und die israeLIten (- - -) hatten ja von gott gehört–

61 62

(-) ne? (.) ich bin DER ich bin DA und sie haben gesagt »SO! (.) wir israeliten (.) wir sind gottes AUSerwähltes volk

63

und gott hilft uns immer egal (.) in welcher not wir sind» (- -) »GOTT RETtet uns«

64 65 66

(2.1) und der pharao wollte hier nicht NACHgeben (1.4) ne? und dann haben die israeliten erzählt »GOTT hat uns SO lieb der macht ALLES für uns«

67 68

(1.2) und haben sich erZÄHlt (- -) dass er sogar die (- -) die ältesten SÖhne der ägypter (hat) sterben lassen

69 70

damit sie frei sind (- - -) GOTT (- -) gottes MAcht ist UNendlich groß

71 72

(- - -) er kann MEHR als die MAgier des königs die konnten alles wieder anders machen von plage eins bis neun

73 74

(.) konnten sie alles ändern (- - -) aber das andere konnten sie NICHT ändern

75 76

so haben sich die israeliten das immer erZÄHLT (3.6) ne? und (-) der pharao war so stur

77 78

Ole:

79

Lehrkraft I:

[(.) und hat nicht nachgegeben] [(1.3) nö!] (-) und gott hat gesagt (1.2) ne? gott hatte sich hier als der mächtigere gezeigt

196

Die Analyse

(Fortsetzung) 80

(.) GOTT besiegt die macht des pharaos (.) steht auch auf eurem zettel

Tabelle 27: I.6.TA.52–80

Wie schon in der ersten Szene erfolgt auch an dieser Stelle die Thematisierung des Erzähl-Motivs im Anschluss an die Frage, ob »diese Geschichte(n)« »wörtlich« zu nehmen seien, welche wiederum als Reaktion auf die Erschütterung der Schüler_innen über die Grausamkeit der zehnten Plage seitens der Lehrkraft während der Wiederholungsphase in der Folgestunde aufgeworfen wird. Erneut leitet die Lehrkraft nach einer kurzen Pause mit der an den vorangegangenen Gesprächsteil anknüpfenden Konjunktion »und« die Bearbeitung einer neuen Proposition ein (I.6.TA.54). Während in Szene 1 »die Geschichte« als das erzählende Subjekt benannt wird bzw. das erzählende Subjekt nicht weiter bestimmt war (»hier wird erzählt« (I.5(b).TA.221)), wird hier die Frage nach diesem Subjekt von der Lehrkraft explizit gestellt (»[…] wer hat sich denn diese Geschichte weitererzählt?«). Das Demonstrativpronomen »diese« hebt nicht nur allgemein eine bestimmte Gruppe von »Geschichten« hervor, sondern wirkt deiktisch und knüpft – wie bereits die einleitende Konjunktion »und« – an das an, was zuvor als »diese Geschichten« bezeichnet wurde. Mit der Ergänzung des Präfixes »weiter-« verschiebt sich die Bedeutung des zuvor verwendeten Begriffs »erzählen« (»hier wird erzählt«864) von einem narrativen Darstellen, Mitteilen, Berichten zu einem Weitergeben – von etwas, das einem selbst erzählt worden ist – an Dritte. Dabei wird durch die Einfügung des Dativobjekts »sich« der Adressat dieser tradierenden Tätigkeit bestimmt und auf eine konkrete Gruppe von Personen beschränkt, die untereinander weitererzählt. Im direkten Anschluss an diese erste, offen gestellte Frage nach den Erzählenden schiebt die Lehrkraft eine zweite Frage nach, in der die Antwortmöglichkeiten durch eine »oder«-Konstruktion als Alternativfrage auf zwei Lösungen (Ägypter oder Israeliten) eingegrenzt werden (I.6.TA.55). Wie bereits für die erste Frage nutzt die Lehrkraft auch hier das Perfekt. Dieses markiert, dass eine Handlung abgeschlossen ist. Damit wird impliziert, dass der Prozess des Weitererzählens zwar in der Vergangenheit stattgefunden habe, jetzt aber nicht mehr weiterlaufe, sondern auch in der Vergangenheit beendet wurde. Lukas entscheidet sich für die Antwort »Israeliten« (I.6.TA.58), und die Lehrkraft validiert diese, indem sie noch einmal wiederholt, dass die Israeliten »sich das weitererzählt« hätten (I.6.TA.59). Auch hier wird mit der Nutzung des Perfekts ein bereits abgeschlossener Prozess des Weitererzählens angedeutet. Nach einer kurzen Pause signalisiert die Lehrkraft mit der Partikel »so«, dass mit 864 I.5(b).TA.120, s. Tabelle 26, S. 193f.

Unterrichtseinheit I

197

dieser Feststellung bereits ein erster (Erkenntnis-)Schritt erreicht sei bzw. dass diese als Grundlage für weitere Erläuterungen festzuhalten sei (I.6.TA.60). Im nächsten Schritt ihrer argumentativen Elaboration erinnert die Lehrkraft an die Zusage Gottes an die Israeliten, wobei sie durch den Einschub der Partikel »ja« und »ne« deutlich macht, dass dies bereits bei den Schüler_innen bekannt sein müsste (»und die Israeliten hatten ja von Gott gehört ne?« (I.6.TA.60f.)). Indem sie nun die Schlüsse, welche die Israeliten aus dieser Zusage zögen, in direkter wörtlicher Rede mit den einleitenden Worten »und sie haben gesagt« wiedergibt, wird das Erzählen aus einer bestimmte Perspektive, der Perspektive der Israeliten betont (I.6.TA.62–64). Auf diese Verdeutlichung des Versprechens Gottes folgt der Hinweis auf die Unnachgiebigkeit des Pharaos (I.6.TA.65). Wie bereits zuvor fügt die Lehrkraft die Rückversicherung suggerierende und Zustimmung einfordernde Fragepartikel »ne?« an, ohne aber eine Reaktion abzuwarten, da mit der Konjunktion »und« der nächste Schritt der Elaboration direkt anschließt (I.6.TA.66). In diesem erklärt die Lehrkraft, dass die Israeliten als Reaktion (»und dann«) auf das Verhalten des Pharaos und die Zusage Gottes erzählen, dass Gott »alles« für ihre Freiheit täte, selbst die Tötung der erstgeborenen Söhne der Ägypter (I.6.TA.67–69). Dabei betont der Einschub des Adverbs »sogar« die überraschende Härte des Eingreifens Gottes sowie die Stärke seiner »Liebestat« für das Volk Israel. Indem die Lehrkraft begründend »damit sie frei sind« anfügt, wird verdeutlicht, dass Gott dies nicht einfach so, sondern zur Rettung der Israeliten tut. Nach einer kurzen Pause greift die Lehrkraft den Aspekt der – bereits in der ersten Szene enthaltenen (s. o. S. 193f.) – »Macht Gottes« auf und betont deren »unendliche« Größe. Zur Verdeutlichung verweist sie auf das Unvermögen der »Magier«, die zehnte Plage rückgängig zu machen (»wieder anders zu machen«) (I.6.TA.70–74). Die Elaboration der Frage »wer sich diese Geschichte weitererzählt hat« schließt die Lehrkraft nun mit dem Satz »so haben sich die Israeliten das immer erzählt« (I.6.TA.75). Indem sie ihre Konklusion mit dem Adverb »so« – in der Bedeutung »auf diese Weise« – einleitet wird abermals verdeutlicht, dass all das zuvor Gesagte der Perspektive der Israeliten entspreche. Das Verb »sich erzählt« impliziert dabei erneut einen geschlossenen Adressatenkreis und das genutzte Perfekt einen in der Vergangenheit beendeten Vorgang. Die Bearbeitung der Proposition des Erzählens wird durch eine nun erfolgende längere Redepause beendet. Szene 3 Im Anschluss an die zweite Szene zur Proposition des Erzählens setzten die Schüler_innen ihre Arbeit aus der vorangegangenen Stunde fort und schreiben die

198

Die Analyse

zehn Plagen von der Tafel auf ihr Arbeitsblatt865 ab. Dann erzählt die Lehrkraft vom Auszug der Israeliten und ihrer Rettung vor den ägyptischen Verfolgern am Meer. I.6.TA. 244 245

Lehrkraft I:

(- -) und die israel/ die israeliten waren gerettet aber die ägypter ertranken

246 247

(2.3) wieder so eine GRAUsame geschichte (3.8) SO hat GOTT die israeLIten gerettet

248

Noah:

249

Lehrkraft I:

(-) jetzt hören wir ja NUR noch grausame geschichten JA (.) da hast du recht aber jetzt noch EINmal

Noah:

(- - -) WER hat sich diese geschichte erzählt? (1.2) die israeLIten

250 251 252 253

Lehrkraft I:

die israeliten (- -) und DIE waren (- - -) so sagten sie »wir sind das auserwählte volk (.) gott ist immer bei uns gott rettet uns aus jeder gefahr«

254 255

(- - -) DESwegen haben sie sich das erZÄHLT (-) gott SAgt ja auch »ich bin DER ich bin DA«

256 257

Lasse:

258 259

Lehrkraft I: Lasse:

(1.2) aber gott ist nicht nur für die israeliten da– (.) sondern für die ganze menschheit für alle ne? (- - -) richtig und deswegen kann man die ge

260 261

Lehrkraft I:

[schichten auch nicht wahr nehmen] [GOTT hat]

262 263

SEIN versprechen gehalten sagen die israeliten er hat uns geRETTet er hat uns beSCHÜTZT (- -) vor dem pharao

264 265

er HAT uns die freiheit geschenkt (-) gib uns freiheit jeden tag (.) lass uns nicht allein

266 267

Ole:

268 Lehrkraft I: Tabelle 28: I.6.TA.244–268

((singt leise)) gib uns freiheit [jeden tag] [sch:::]

Nach einer kurzen Pause kommentiert die Lehrkraft die erzählten Geschehnisse »wieder so eine grausame Geschichte« (I.6.TA.246) und setzt nach einer weiteren, längeren Pause betonend nach »so hat Gott die Israeliten gerettet« (I.6.TA.247). Noah greift die Bewertung der Lehrkraft auf und konstatiert, dass sie »jetzt ja nur 865 Das von der Lehrkraft erstellte Arbeitsblatt »Der Pharao erfährt durch Gott die Grenzen seiner Macht« kann hier aus urheberrechtlichen Gründen nicht abgedruckt werden.

Unterrichtseinheit I

199

noch grausame Geschichten« hören würden, wobei seine Intonation einen Vorwurf anklingen lässt (I.6.TA.248). Dies validiert die Lehrkraft zunächst (»Ja, da hast du recht.«) mit der direkt anschließenden adversativen Konjunktion »aber« signalisiert sie jedoch, dass es etwas gibt, dass bei dieser Feststellung mitbedacht werden müsse bzw. das diese relativiere (I.6.TA.249). Auch markiert sie mit dem Zusatz »jetzt noch einmal«, dass dieses – die Grausamkeit erklärende oder relativierende – Moment bereits zuvor besprochen wurde. Mit der anschließenden Frage (»Wer hat sich diese Geschichten erzählt?«) eröffnet sie die argumentative Elaboration der Proposition des Erzählens ein drittes Mal (I.6.TA.250). Wie schon in der zweiten Szene nutzt sie auch hier das Perfekt und impliziert damit erneut eine in der Vergangenheit abgeschlossene Handlung. Anders als zuvor gibt die Lehrkraft jetzt keine möglichen Erzählenden (Ägypter oder Israeliten) vor, zwischen denen die Schüler_innen wählen könnten. Noahs Antwort (»die Israeliten«) wird von ihr in Form einer direkten wortwörtlichen Wiederholung validiert (I.6.TA.251). Während die Lehrkraft in der vorangegangenen Szene die Zusage Gottes an die Israeliten (»die Israeliten hatten ja von Gott gehört ne? ›Ich bin der Ich bin da‹«) zunächst wie eine objektive Tatsache aufgeführt hat und erst dann die subjektive Perspektive der Israeliten – das auserwählte Volk zu sein – durch die Nutzung direkter wörtlicher Rede andeutet, signalisiert sie hier mit dem Einschub »so sagten sie« von Anfang an, dass es sich bei dem Folgenden um die subjektive Perspektive der Israeliten handele (I.6.TA.252). Mit der Betonung des Kausaladverbs »deswegen«, wird die in direkter Rede wiedergegebene Überzeugung der Israeliten als Begründung für das Gehörte, die »grausame Geschichte« markiert (I.6.TA.254). Wie bereits in der Szene zuvor wird der Adressatenkreis des Erzählens durch das eingefügte Personalpronomen »sich« auf die Israeliten beschränkt. Die nun angefügte Wiederholung der Zusage Gottes wirkt wie eine zusätzliche Bekräftigung der vorangegangenen argumentativen Elaboration und setzt diese fort (I.6.TA.255). Mit der Formulierung »Gott sagt ja auch« wird eine weitere Referenz für das von den Israeliten Geäußerte und damit für die Erklärung des Erzählten angeführt. Die eingeschobene Partikel »ja« suggeriert dabei zum einen, dass Gottes Zusage den Schüler_innen bereits bekannt sei bzw sein sollte, sowie zum anderen, dass die Schlussfolgerung der Israeliten mit dieser Zusage offensichtlich begründet sei. Anders als in der zweiten Szene nutzt die Lehrkraft für die Aussage Gottes das Präsens (»sagt«), sodass eine gegenwärtige bzw. zeitlose Aktualität dieser Handlung ausgedrückt wird. Nach einer kurzen Pause fügt die Lehrkraft an, dass Gott »nicht nur für die Israeliten da« sei (I.6.TA.56). Hierbei signalisiert sie mit der einleitenden adversativen Konjunktion »aber«, dass dies bei dem zuvor Gesagten bedacht werden müsse oder diesem sogar in einem bestimmten Aspekt widerspreche.

200

Die Analyse

Durch die am Ende ihrer Aussage steigende Intonation, ähnlich einem Fragesatz, sowie dem ersten Teil der Formel »nicht nur – sondern auch« wird angedeutet, dass die Äußerung noch nicht beendet ist und fortgesetzt werden soll. Lasse greift die von der Lehrkraft begonnene Syntaxstruktur auf und vervollständigt ihre Aussage (»sondern für die ganze Menschheit«) (I.6.TA.257). Die Lehrkraft validiert dies, indem sie Lasses Äußerungen erst in anderen Worten wiederholt, mit der nachgeschobenen Fragepartikel »ne?« wiederum implizit Lasses Zustimmung hierzu einfordert und abschließend das Gesagte als »richtig« bewertet (I.6.TA.258). Indem Lasse seine jetzt anschließende These mit der additiven Konjunktion »und« sowie dem Kausaladverb »deswegen« einleitet, signalisiert er, dass diese aus der von der Lehrkraft begonnenen und von ihm vervollständigten Aussage folge (I.6.TA.259). Aus der Betonung der subjektiven israelitischen Perspektive der Erzählung sowie dem Nachsatz der Lehrkraft, dass Gott nicht nur für die Israeliten da sei, sondern für »alle«, zieht Lasse den Schluss (»und deswegen«), dass »die Geschichten« »nicht wahr« genommen werden könnten (I.6.TA.259f.). In Anbetracht des Kontexts der Äußerung spricht kaum etwas dafür, die Formulierung »die Geschichten/etwas nicht wahr nehmen« in der Bedeutung des Nicht-Erkennens oder Nicht-Erfassens zu verstehen. Plausibler ist an dieser Stelle, dass die Formulierung »nicht wahr nehmen« für »nicht wahr sein« oder »nicht für wahr halten« steht: Wenn die Lehrkraft sagt, die Israeliten hielten sich für das auserwählte Volk Gottes, dann aber betont, dass Gott nicht nur für die Israeliten da sei, ist deren Überzeugung nicht richtig (»nicht wahr«). Damit wären auch die Geschichten, die sie aus dieser Überzeugung heraus erzählen, nicht wahr. »Wahr« würde dann hier im Sinne von »mit den Tatsachen übereinstimmend« gebraucht. Die Intonation Lasses sowie die eingeschobene Partikel »auch« implizieren dabei eine Selbstverständlichkeit bzw. Offensichtlichkeit dieser Schlussfolgerung. Die Lehrkraft reagiert nicht auf Lasses Fazit, sondern beginnt – immer noch in seine Richtung blickend – mit ihrer Konklusion, sodass sich seine letzten Worte (»auch nicht wahr nehmen«) mit ihren ersten (»Gott hat«) überschneiden (I.6.TA.261). Ein weiteres Mal gibt die Lehrkraft die Position der Israeliten wieder, nun jedoch in der Gegenwartsform (»die Israeliten sagen«), sodass damit eine gegenwärtige Handlung beschrieben wird (I.6.TA.262). Die Ereignisse dagegen, zu denen die Lehrkraft aus der Perspektive der Israeliten eine Aussage trifft, sind im Perfekt formuliert, womit erneut eine Abgeschlossenheit in der Vergangenheit suggeriert wird (I.6.TA.262–164). Die Lehrkraft schließt ihre Konklusion mit einem Zitat aus dem Lied »Gibt uns Frieden jeden Tag«, welches in den ersten Stunden (2./3./4.) der Einheit gemeinsam mit den Schüler_innen gesungen wurde (I.6.TA.265).

Unterrichtseinheit I

201

Konklusion In den drei Szenen, in denen die Lehrkraft das Wesen des biblischen Textes auf einer Metaebene näher bestimmt, indem sie ihn mit dem Motiv der Erzählung bzw. des Erzählens verknüpft, reagiert sie auf die Feststellung bzw. den impliziten Vorwurf der besonderen Härte oder Grausamkeit des zuvor Gehörten durch die Schüler_innen. Die Thematisierung der Frage, was die Geschichte sei und warum sie so sei, wie sie von der Lehrkraft erzählt wurde, hat damit den gleichen Auslöser wie die von der Lehrkraft gestellte Frage, ob das Gehörte wörtlich genommen werden müsse. So wirkt auch diese Einordnung wie eine Begründung und implizite Relativierung der als grausam empfundenen Schilderungen. Die Reaktion der Schüler_innen auf das in der von ihr erzählten Geschichte enthaltene Gottesbild scheint es für die Lehrkraft notwendig werden zu lassen, über den biblischen Text auf der Metaebene zu sprechen. Über die drei hier analysierten Momente des Unterrichtsgesprächs, in denen die Lehrkraft den biblischen Text als Erzählung markiert, lässt sich eine Entwicklung dieser Bestimmung erkennen. Die erstmalige Bezeichnung des Gehörten als Erzählung erfolgt eingeschoben in die Auseinandersetzung, ob die Geschichte wörtlich zu nehmen sei oder ob sie etwas erklären wolle (s. Kap. 6.1.2.1). Die Lehrkraft betont zweimal, dass »hier erzählt« werde und fügt zudem erklärend ein, dass die Anwesenden davon ausgehen »müssten«, »dass es Erzählungen sind«. Welche Auswirkungen diese Bestimmung auf die Rezeption hat bzw. was es bedeutet, dass das zuvor durchgehend als »Geschichte« bezeichnete nun als »Erzählung« hervorgehoben wird, bleibt offen. Auch wer »hier […] erzählt« bleibt durch die passivische Formulierung vorerst unbestimmt. Die Erläuterung fokussiert den Grund für die Erzählung, die Absicht, aus der heraus »diese Geschichte« erzählt werde bzw. diese Geschichte – zur Erzählerin personifiziert – selbst erzähle: die Verdeutlichung der Macht Gottes (»das soll uns diese Geschichte erzählen«). In der Folgestunde verschiebt sich dies, und die Lehrkraft fragt nun explizit danach, wer erzählt. Mit dem Explizitmachen der Erzählenden wird der Grund für das Erzählen von dem Machterweis Gottes ausdifferenziert. Aus der Zusage Gottes schlussfolgern die Israeliten, dass Gott ihnen »immer« helfe und in letzter Konsequenz auch die Erstgeborenen der Ägypter töte. Die Erzählung zeige nicht einfach Gottes Macht, sondern die Erzählung resultiere aus der Zusage Gottes an die Israeliten sowie dem unnachgiebigen Verhalten des Pharaos. Indem die Lehrkraft die Israeliten als Erzählende deutlich hervorhebt und auch den Adressatenkreis auf sie einschränkt (»haben sich die Israeliten das immer erzählt«), wird die Gültigkeit des Erzählten im Vergleich zu dem bisher aus einer scheinbar objektiven Perspektive Geschilderten implizit eingeschränkt. Neben dieser Andeutung der subjektiven Perspektive der Israeliten klingt in der von der Lehrkraft mehrmals wiederholten Formulierung »haben sich weitererzählt« ein weiteres Merkmal des Erzählens bzw. des biblischen Textes als Erzählung an.

202

Die Analyse

Mit der Ergänzung des »weiter-« wird impliziert, dass es sich nicht um ein einmaliges Erzählen handelt, sondern dass das anschließend von der Lehrkraft Erläuterte von einem zum anderen weitergegeben wurde. Dieses wiederholende und tradierende Moment der Erzählung, welches auch die Formulierung »so … immer erzählt« andeutet, wird jedoch nicht weiterführend thematisiert. Innerhalb der dritten Szene wird dieser Aspekt nicht erneut aufgegriffen, da die Lehrkraft hier ohne das Präfix »weiter-« nach der erzählenden Person bzw. den erzählenden Personen fragt (»wer hat sich diese Geschichte erzählt?«). Die subjektive Perspektivierung des Erzählten wird hier von der Lehrkraft durch den Einschub »so sagten sie« und die Schilderung der israelitischen Sichtweise in direkter wörtlicher Rede besonders deutlich markiert. Als Begründung für die »grausame Geschichte« wird nun nicht mehr ein Machterweis Gottes angeführt. Allein die Zusage Gottes an die Israeliten und deren Schlussfolgerungen aus dieser seien sowohl der Grund für das, was erzählt werde, als auch dafür, dass überhaupt erzählt werde. Über die drei Szenen hinweg entwickelt sich das von der Lehrkraft entworfene Konzept des biblischen Textes von einer als Erzählung wahrzunehmenden Erklärung der Macht Gottes ohne konkrete Erzähler_innen oder Autor_innen zu einer Erzählung der Israeliten in Folge der Zusage Gottes an sie. In der Betonung, dass das Erzählen aus der Überzeugung dieser Zusage erfolge, dokumentiert sich ein impliziter Hinweis auf die Wahrnehmung der biblischen Erzählung als Zeugnis des Glaubens. Das von der Lehrkraft für ihre Formulierungen überwiegend genutzte Perfekt suggeriert, dass sich dieser Prozess des (Weiter-)Erzählens zwischen den Israeliten in der Vergangenheit abgespielt habe. In den Erläuterungen der Lehrkraft ist dabei nicht eindeutig, ob die subjektive Perspektive nur hinsichtlich der geschilderten Härte und Grausamkeit berücksichtigt werden müsse, sich aber andere Teile ihrer Darstellung – wie die Unnachgiebigkeit des Pharaos, die Unterdrückung der Israeliten in Ägypten und ihr Auszug – genau so ereignet hätten bzw. keiner subjektiven Einschränkung unterlägen (»und der Pharao wollte hier nicht nachgeben ne? Und dann haben die Israeliten erzählt …«), oder ob all das, was die Schüler_innen bisher über das Volk Israel gehört haben, von den Israeliten in Folge einer Zusage Gottes an sie erzählt worden wäre (»Wer hat sich diese Geschichten erzählt? […] deswegen haben sie sich das erzählt.«). Unklar bleibt ebenfalls, welche Konsequenzen aus den Erklärungen zur Erzählperspektive zu ziehen seien, da diese von der Lehrkraft nicht explizit gemacht werden. Mit Blick auf den Auslöser dieser Erläuterungen scheint es der Lehrkraft – wie bereits oben angesprochen – um die Erklärung des Zustandekommens der von ihr erzählten drastischen Geschehnisse für eine Abschwächung oder Relativierung dieser zu gehen. So könnte die subjektive Erzählperspektive bedeuten, dass die aus ihr geschilderten Ereignisse »in Wirklichkeit«

Unterrichtseinheit I

203

gar nicht so grausam waren, sie aber von den Israeliten so erzählt wurden, um zu verdeutlichen, wie weit Gottes Zusage an sie reiche (s. o. Szene 2). Auch der kurz zuvor von der Lehrkraft geäußerte Hinweis, dass man »diese Geschichten nicht wörtlich nehmen« könne und es vielmehr um eine bestimmte Erklärabsicht ginge, stützt dieses Verständnis. Neben der aus den Äußerungen der Lehrkraft ableitbaren Möglichkeit einer übertriebenen Darstellung durch die Israeliten zur Verdeutlichung der Zusage Gottes an sie, ließe sich aus den letzten Formulierungen der Lehrkraft auch schließen, dass die Erzählungen aus einer nicht zutreffenden bzw. unvollständigen Überzeugung oder eingeschränkten Sichtweise heraus entstanden seien (»aber Gott ist nicht nur für die Israeliten da«) und daher mit Nachsicht betrachtet werden müssten (s. o. Szene 3). Explizit ausgeschlossen wird ihre Historizität jedoch in keiner der Szenen. Aufgrund der überwiegend monologisch verlaufenden Szenen zum Motiv der Erzählung bzw. des Erzählens lässt nur wenig darauf schließen, welche Schlussfolgerungen die Schüler_innen aus den Erläuterungen der Lehrkraft zum Umgang mit den gehörten biblischen Geschichten ziehen. Lediglich Lasse äußert sich diesbezüglich und zieht eine Konsequenz, welche der zweiten oben dargelegten Deutungsmöglichkeiten ähnelt. Wenn die Lehrkraft einerseits erklärt, dass die Israeliten von sich sagten, sie seien Gottes auserwähltes Volk, sowie, Gott sei immer bei ihnen, und aus dieser Überzeugung die Erzählungen entstanden, und andererseits betont, dass Gott aber nicht nur für die Israeliten da sei, dass also die Annahme unter der erzählt wurde fehlerhaft sei, so können die Geschichten nicht als wahr angenommen werden. Da die Lehrkraft nicht auf diese Schlussfolgerung eingeht, und auch Lasse sich nicht weiter hierzu äußert, ist nicht bestimmbar, was genau er mit »nicht wahr nehmen« verbindet. Die Struktur seiner Argumentation spricht wie oben dargestellt für ein Verständnis von »wahr« im Sinne der Übereinstimmung mit den Tatsachen bzw. der Wirklichkeit. Ob dies entsprechend seiner Äußerung zu Beginn der Stunde zu verstehen ist, in der er konstatiert, dass »wir das nicht wörtlich nehmen [müssen] was das passiert ist«, weil die Bibel damit etwas erklären wolle (s. Kap. 6.1.2.1, Szene 2), ob also den Geschichten die wortwörtliche Übereinstimmung mit den tatsächlichen Ereignissen abgesprochen wird, oder ob damit sämtliche Ereignisse in Zweifel gestellt werden und es sich für Lasse um ausgedachte Geschichten oder sogar absichtlich falsche Geschichten (Lügen) handelt, bleibt offen. 6.1.2.3 Komparative Betrachtung der Incidents »nicht wörtlich nehmen« und »Erzählung« Wie in den Einzelanalysen der Incidents »nicht wörtlich nehmen« und »Erzählung« gezeigt wurde, ereignen sich beide im Anschluss an dieselben von der Lehrkraft präsentierten biblischen Erzählungen, sodass die zugehörigen Szenen

204

Die Analyse

nicht nur thematisch, sondern auch hinsichtlich der zeitlichen Verortung innerhalb der Unterrichtsinteraktion eng miteinander verbunden sind. Aus diesem Grund sollen nun beide Incidents komparativ bezüglich ihrer strukturellen Verknüpfung sowie ihrer Auslöser betrachtet werden. In der fünften und sechsten Stunde der Unterrichtseinheit wird über den biblischen Text nicht nur auf der Handlungsebene gesprochen, sondern die Lehrkraft initiiert ein Gespräch zur Rezeption und zum Wesen der von ihr erzählten Geschichte. Dies geschieht jeweils nach der Erzählung der zehn Plagen bzw. ihrer Wiederholung sowie nach der Erzählung des Untergangs der ägyptischen Verfolger der Israeliten im Meer. Dabei ist die Struktur der beobachteten Interaktionsverläufe in allen drei Fällen sehr ähnlich. 5. Stunde: Die zehn Plagen

6. Stunde: Der Auszug aus Ägypten

Begrüßung Gemeinsames Singen: »Als Israel in Ägypten war«

Begrüßung Gemeinsames Singen: »Als Israel in Ägypten war«

Wiederholung der Beauftragung Moses Wiederholung der zehn Plagen durch Gott: »Wer sagt das: Geh hin Mose, geh ins Ägypterland?« Fertigstellen des Arbeitsblattes: »Gott gibt – Lehrkraft erinnert an das Gespräch Mose einen Auftrag« über die Härte der zehnten Plage in der letzten Stunde: »Ihr ward auf einmal so entsetzt…« – Christoph: »Also wir waren letztes Mal erschüttert wegen, äh Gott macht so etwas eigentlich nicht, er will eigentlich immer, dass die Menschen leben sollten und nicht sterben.« – Lehrkraft erinnert an Lasses Aussage: »Lasse hatte da etwas zu gesagt in der letzten Stunde.« (vgl. Incident »nicht wörtlich nehmen« – Szene 1a) Incident »nicht wörtlich nehmen« – Szene 2 Incident »Erzählung« – Szene 2 Lehrkraft erzählt, wie Mose mit Aaron nach Ägypten zieht. Rollenspiel: Mose tritt mit seiner Forderung vor den Pharao.

Weiterbearbeitung des AB »Der Pharao erfährt durch Gott die Grenzen seiner Macht« Lehrkraft erzählt, wie die Israeliten aus Ägypten ausziehen, von den Ägyptern verfolgt und am Meer gerettet werden.

205

Unterrichtseinheit I

(Fortsetzung) 5. Stunde: Die zehn Plagen

6. Stunde: Der Auszug aus Ägypten

– Lehrkraft spricht die von ihr empfundene Stimmungsveränderung bei den SuS an – SuS äußern »Erschütterung« darüber, dass Gott »einfach so irgendwelche Menschen« tötet. – Lehrkraft I: »Ja (2.5) was für eine furchtbare Geschichte« – Marie: »Weil Gott ist ja eigentlich auch dafür da, dass er die Menschen beschützt« – Lehrkraft I: »(6.27) ja und doch steht es so in unserer Bibel …«

– Lehrkraft I: »(2.3) Wieder so eine grausame Geschichte. (3.8) So hat Gott die Israeliten gerettet.« – Noah: »Jetzt hören wir ja nur noch grausame Geschichten.« – Lehrkraft I: »Ja, da hast du recht, aber jetzt noch einmal …« Incident »Erzählung« – Szene 3

Incident »nicht wörtlich nehmen« – Szene 1a Incident »Erzählung« – Szene 1 Incident »nicht wörtlich nehmen« – Szene 1b Erläuterung des AB »Der Pharao erfährt Erläuterung des AB »Auszug aus Ägypten« durch Gott die Grenzen seiner Macht« Tabelle 29: Inhaltliche Struktur 5. und 6. Stunde, Unterrichtseinheit I

Auf die – auf Nachfrage der Lehrkraft – von den Schüler_innen geäußerte Erschütterung über das Handeln Gottes im Anschluss an das erste Hören der zehn Plagen (»Gott kann doch nicht einfach so irgendwelche Menschen töten.«866) folgt zunächst die zustimmende Feststellung der Lehrkraft, dass dies eine »furchtbare Geschichte« sei, sie aber dennoch »so« in der Bibel stehe (I.5(b).TA.64,867 67868). Daraufhin spricht sie die Notwendigkeit an, darüber nachzudenken, »wie immer was« in der Bibel stehe. An dieser Stelle schließt die erste Szene des Incidents »nicht wörtlich nehmen« an (s. o. Tabelle 29, S. 204f., 1. Spalte). In die Bearbeitung der Frage, ob das Gehörte »wörtlich« genommen werde müsse oder »die Bibel etwas erklären« wolle,869 ist die erste Szene des Incidents »Erzählung« eingeschoben (s. o. Tabelle 29, S. 204f., 1. Spalte). In der folgenden Stunde der Einheit beendet die Lehrkraft die Wiederholung der zehn Plagen mit der Feststellung, dass dies »schon das zweite mal [sei], dass wir so etwas schreckliches 866 867 868 869

I.5(b).TA.17, s. Tabelle 272 im digitalen Anhang. I.5(b).TA.64, s. Tabelle 273 im digitalen Anhang. I.5(b).TA.67, s. Tabelle 20, S. 177. I.5(b).TA.69f., s. Tabelle 20, S. 177.

206

Die Analyse

hören«, und erinnert an die von den Schüler_innen geäußerte Erschütterung.870 Einer der Schüler erklärt, dass dies die Reaktion auf das geschilderte Handeln Gottes gewesen sei (»Also wir waren letztes Mal erschüttert wegen Gott macht so etwas eigentlich nicht er will eigentlich immer dass die Menschen leben sollten und nicht sterben«871). Die Lehrkraft leitet daraufhin in die zweite Szene des Incidents »nicht wörtlich nehmen« ein, an welche dann die zweite Szene des Incidents »Erzählung« anschließt (s. o. Tabelle 29, S. 204f., 2. Spalte). Auch ihre Erzählung der Rettung der Israeliten vor ihren Verfolgern bezeichnet die Lehrkraft als »grausame Geschichte«872), bevor sie damit schließt, dass Gott so die Israeliten gerettet habe. Einer der Schüler greift diesen Kommentar in einer vorwurfsvoll wirkenden Äußerung auf (»Jetzt hören wir ja nur noch grausamen Geschichten«873), worauf die Lehrkraft mit der Eröffnung der dritten Szene des Incidents »Erzählung« reagiert (»Ja da hast du recht, aber jetzt noch einmal – wer hat sich diese Geschichte erzählt?«874) (s. o. Tabelle 29, S. 204f., 2. Spalte). Während die erstmalige Frage nach dem Umgang mit dem Gehörten als Reaktion auf die von den Schüler_innen geäußerten Schwierigkeiten mit dem in der Erzählung enthaltenen Gottesbild erfolgt, wird die erneute Thematisierung in der Folgestunde direkt von der Lehrkraft initiiert. Die im Folgenden dargelegte komparative Analyse geht der Frage nach, ob auch im Anschluss an die Präsentation anderer als erschütternd oder grausam berwertbarer Abschnitte der Exodus-Erzählung ein Gespräch auf der Metaebene über den biblischen Text, seine Absichten und Eigenschaften, durch die Lehrkraft eröffnet wird, und ob sich hier ebenfalls eine Abschwächung der Grausamkeit dokumentiert. 1. Vergleichsszene: »Tötung der männlichen israelitischen Neugeborenen« In der zweiten Stunde der Einheit erzählt die Lehrkraft davon, dass der Pharao ein »neues Gesetz« erlasse, welches vorschreibe, jeden männlichen Neugeborenen der Israeliten zu töten (I.2(a).TA.93–99). I.2(a).TA. 88 89 90 91 870 871 872 873 874

Lehrkraft I:

so! diese geschichte (- - -) von den israeliten (1.8) geht noch viel weiter (- -) wir haben es gerade gehört (-) wie schwer die israeliten arbeiten mussten

I.6.TA.28–31, s. Tabelle 274 im digitalen Anhang. Christoph, I.6.TA.33–36, s. Tabelle 25, S. 187. I.6.TA.246, s. Tabelle 28, S. 198. Noah, I.6.TA.248, s. Tabelle 28, S. 198. I.6.TA.249f., s. Tabelle 28, S. 198.

207

Unterrichtseinheit I

(Fortsetzung) 92

(sie) haben vielleicht so etwas ähnliches gesungen wie wir es gerade gemacht haben

93

(3.8) der pharao (1.6) ließ (-) noch (-) ein neues (-) gesetz (- -) erließ noch ein neues gesetz

94

(1.6) er sagte nämlich »die israeliten sind mir noch zu stark« er hatte nicht gedacht dass die männer so stark sind und es so lange aushalten

95 96 97 98

(- -) und er sagte »ab sofort soll jeder junge (1.7) der neu geboren wird bei den israeliten getötet werden«

99

(- - -) die mädchen dürfen weiterleben die jungs sollen getötet werden ((Charleen und Frieda machen ”Freudenposen”))

100

Kommentar :

101

Kommentar :

102

Mira:

103 104

Lehrkraft I:

((Christoph zieht erschrocken/erstaunt die Luft ein, er und Dennis machen empört wirkende Gesichter)) (2.0) oh: ((…)) die israelitischen jungen die geboren werden werden aufgespürt in ihren häusern und werden umgebracht (- -) oa:: (- -)

105 106 107 108

Lehrkraft I:

die mädchen [nicht]

109 110

Ole:

[was ist DAS denn fürn] kaiser?

111 112

Lehrkraft I:

(-) ein pharao [(-) ein pharao–]

113 114

mehrere SuS: Ole:

[((einige lachen kurz))] aber

115 116

Lehrkraft I: Ole:

ole! von mir aus

117 118

Lehrkraft I:

[auch pharao] [und alle anderen auch]

119 120

Ole: Lehrkraft I:

[is ja GRÄSSlich!] [überlegt mal]

121 122

(-) ole?! (-) überlegt mal warum macht er das vielleicht? warum hat er sich das überlegt?

208

Die Analyse

(Fortsetzung) 123

Ole:

weil die so stark sind?

124 125

Lehrkraft I:

hm_hm’(1.5) und warum dann nicht die mädchen? warum dürfen die mädchen weiterleben?

126

mehrere SuS:

((mehrere Jungen rufen durcheinander)) weil die schwach si:::nd! [((Gemurmel))]

Lehrkraft I:

[sch:::::] nein nicht weil sie SCHWACH sind

127 128 129 130

sondern weil sie FRÜHer vielleicht eine andere AUFgabe hatten ((leise)) weil sie besser aussehen

131

Christoph:

132

Lehrkraft I:

133

Jonas:

134 135

Dennis: Lehrkraft I:

136 137

Christoph:

138

Lehrkraft I:

ja was denn? mussten die männer/ auch die männer mussten auch arbeiten [kannst du es ein bisschen genauer sagen?]

140 141

Jonas: uk:

[ge:nau!] (- - -) also (.)

142 143

Lehrkraft I: Charleen:

(- - -) charleen hausarbeiten

144 145

Lehrkraft I: Jacqueline:

richtig was noch? (- -) ähm:: putzen kochen

146 147

Lehrkraft I: Jonas:

hm_hm’ ((leise)) putzfrauen

148 149

Lehrkraft I:

ja und darauf wollten sie nicht [verzichten auf diese arbeiten]

150 151

Jonas: Lehrkraft I:

[((leise)) schweine füttern ((kichert))] DESwegen (- -) jonas und ole (- -) deswegen durften die mädchen weiterleben

139

152 153

Christoph:

154

Lehrkraft I:

was MUSSten denn die MÄDchen damals MACHen und die FRAUen (- - -) pfui:! ah: ne oder (- -) weiß ich nich (- -) ja überleg doch mal das kannst du dir doch vorstellen (- -) christoph schuften (-) also arbeiten

[(- -) denn das waren billige haussklaven] [(- -) ((zu Charleen und Frieda)) oah::: ] (- - -) ne? die die arbeit machten damit die ägypter das nicht selber machen mussten

209

Unterrichtseinheit I

(Fortsetzung) (- -) und männer (-) (so) dachten sie sind viel stärker als frauen

155 156 157

Jonas:

(.) heute sehen wir das anders frauen sind auch stark ((grölend)) ö::y

158 159

Ole: Jan:

ey! nein männer sind stärker

160

Lehrkraft I:

161

ist so (- -) damals wurde das eben so angesehen dass frauen eben im haushalt sind sich um die kinder kümmern

162 163

(- -) und männer kriege führen durften– (-) stark waren mit waffen umgehen durften

164 165

Jan:

[das durften frauen damals nicht] [ ((kichert))]

166

mehrere SuS:

167

Lasse:

((mehrere Jungen lachen und feixen gegenüber den mädchen)) wir durften uns gegenseitig

168 169

Lehrkraft I:

[die köpfe abschlagen] [so!]

170

mehrere SuS:

((lautes Gelächter von mehreren Jungen und Mädchen)) [((einige reden durcheinander))]

172 173

Lehrkraft I: mehrere SuS:

[aber jetzt haben wir–] [((Ole und Jan reden durcheinander))]

174

Lehrkraft I:

[(- - -) ich glaube ich glaube ihr lacht jetzt nur aus einer not heraus] dass ne? weil ihr das glaub ich gar nicht versteht was damals passiert ist

Tom: Lehrkraft I:

(- -) nö stellt euch vor eine mama jetzt äh bekommt ein baby

178 179

Tom:

(-) und es wird ein junge ja

180

Lehrkraft I:

ja was dann? (- -) was glaubt ihr wie sie sich gefühlt haben was was ist denn da?

182

Ole:

183

Lehrkraft I:

((macht eine Geste als würde er sich die Kehle durchschneide und bricht zusammen)) mach jetzt bitte keine witze darüber das war nicht witzig

184 185

Christoph: Lehrkraft I:

171

175 176 177

181

((leise)) jahrelang geweint (2.1) christoph

210

Die Analyse

(Fortsetzung) 186

Christoph:

jahrelang geweint

187 188

Lehrkraft I: Christoph:

(- -) ja was passierte nämlich mit dem neugeborenen das starb sofort

189 190

Lehrkraft I:

hm_hm’ (- - -) sobald jemand dahinter kam wurde es wegge/ der mutter weggenommen

191 Tabelle 30: I.2.(a).TA.88–191

und es wurde umgebracht

In dieser Szene äußern sich die Schüler_innen – anders als nach dem Hören der zehnten Plage – nicht erst auf ein Nachfragen der Lehrkraft zu den grausamen Schilderungen. Es sind direkt erfolgende sicht- und hörbare Reaktionen auf die Erzählung vom Auftrag zum Kindsmord zu beobachten. Während zwei der Schülerinnen die Erläuterung der Lehrkraft, dass die »Mädchen« »weiterleben« dürfen, mit einer stummen Jubel- und Freudenpose kommentieren (I.2(a).TA.100), machen einige der Schüler empörte Gesichter. Dieser Ausdruck wird von einigen durch ein Erschrecken oder Erstaunen suggerierendes geräuschvolles Einziehen der Luft noch verstärkt (I.2(a).TA.101). Besonders deutlich ist diese Empörung bei Ole, der mit ernster Mimik sein Unverständnis für das Verhalten des Pharaos äußert (»Was ist das den für ein Kaiser«) und das Gehörte mit Nachdruck als »grässlich« bezeichnet (I.2(a).TA.109f., 119). Die Lehrkraft reagiert darauf mit der Frage nach möglichen Beweggründen für dieses Verhalten des Pharaos (»warum macht er das vielleicht?« (I.2(a).TA.121)). Damit wird an dieser Stelle kein Gespräch über den Umgang mit dem Gehörten auf einer Metaebene eröffnet, sondern auf der Ebene der Handlung nach einer Erklärung gesucht. Im Verlauf der nun anschließenden Erörterung, welche Arbeiten Frauen »damals« im Unterschied zu Männern erledigen mussten und aus welchem Grund (»damals wurde das eben so angesehen, dass Frauen eben im Haushalt sind, sich um die Kinder kümmern und Männer Kriege führen durften« (I.2(a).TA.160–162)), wird es zunehmend unruhig in der Klasse. Angeregt durch den Vergleich von Männern und Frauen bzw. Mädchen und Jungen, wird die Stimmung der Schüler_innen ausgelassener, sie kommentieren die Aussagen der Lehrkraft unaufgefordert, kichern, rufen dazwischen und machen feixende Gesten. Nachdem vor allem die Jungen in Folge Lasses Äußerung »wir durften uns gegenseitig die Köpfe abschlagen« (I.2(a).TA.167f.) in lautes Lachen ausbrechen, reagiert die Lehrkraft mit einer ermahnenden Verdeutlichung dessen, »was damals passiert ist«, und betont mit Bezug auf die begleitenden Tötungsgesten dreier Kinder, dass »das« (die Tötung der männlichen Neugeborenen) »nicht witzig« »war« (I.2(a).TA.175, 183). Im Anschluss lässt die Lehrkraft

211

Unterrichtseinheit I

wiederholen, »was mit den Neugeborenen passierte« (I.2(a).TA.187), und formuliert dies ergänzend zur Antwort Christophs abschließend noch einmal in eigenen Worten. Hierbei wird die Äußerung Christophs hinsichtlich der darin beschriebenen Grausamkeit verschärft, da die Lehrkraft die eine gezielte Tötung ausdrückende Formulierung »wurde umgebracht« (I.2(a).TA.191) statt der passiven und neutraler wirkenden Formulierung Christophs (»das starb« (I.2(a).TA.188)) nutzt. Im Unterschied zu den Unterrichtsgesprächen im Anschluss an die Erzählung der zehn Plagen oder der Rettung am Meer sind hier keine Versuche der Lehrkraft zu beobachten, die Härte oder Grausamkeit des Gehörten abzumildern bzw. zu relativieren. Die Lehrkraft weist stattdessen nachdrücklich auf die Ernsthaftigkeit der Ereignisse hin. Zwar wird zu Beginn von der »Geschichte der Israeliten« gesprochen, explizite oder implizite Hinweise darauf, dass es sich hier um eine fiktionale Erzählung mit einer bestimmten, über der Handlung stehenden Erklärabsicht handele,875 das Gehörte »nicht so wörtlich« genommen werde müsse, weil der genaue Ablauf nicht überprüfbar sei,876 oder es mit einer bestimmten Absicht und aus einer bestimmten Überzeugung heraus so erzählt werde, finden sich nicht. Die überwiegend in der Vergangenheitsform erzählten Begebenheiten des biblischen Textes in Verbindung mit den Erklärungen, wie es »früher« und »damals« in Abgrenzung zu »heute« war, sowie die Bemerkungen der Lehrkraft, dass die Schüler_innen scheinbar nicht verstünden, »was damals passiert« sei, und dass es »nicht witzig« »war« (I.2(a).TA.175, 183), suggerieren vielmehr, dass hier über tatsächlich in der Vergangenheit liegende Ereignisse gesprochen wird. 2. Vergleichsszene: »Mose tötet einen ägyptischen Aufseher« Auch in der folgenden Stunde wird von der Lehrkraft ein als grausam kategorisierbares Ereignis der biblischen »Geschichte« erzählt. I.3.TA. 191

Lehrkraft I:

(2.3) so hier geht die geschichte weiter

192 193

(3.2) moses ist erwachsen (3.2) und eines tages geht er wieder nach draußen und er sieht

194 195

wie die israeliten arbeiten müssen (2.1) und er beobachtet es

875 Vgl. hierzu: »es geht gar nicht um den Tod der ältesten Söhne das ist nur eine Erklärung« (I.5(b).TA.146f., s. Tabelle 24, S. 184f.). 876 Vgl. hierzu: »Wir dürfen diese ganze Geschichte nicht so wörtlich nehmen … keiner von uns war dabei.« (I.5(b).TA.126, 128, s. Tabelle 24, S. 184f.).

212

Die Analyse

(Fortsetzung) 196

(1.6) und findet das natürlich nicht gerecht

197 198

(-) vor allen dingen nicht als ein ägypter

199 200

(1.1) auf einen israeliten (-) der gerade nicht mehr konnte

201 202

(-) der völlig entkräftet war er schlägt auf ihn ein

203 204

und will ihn damit zu/ zur arbeit zwingen (1.2) und moses wird böse

205 206

(- - -) er geht hin und er ist (.) ihr kennt den ausdruck

207 208

(-) wir haben über sprichwörter gesprochen (- -) blind

209 210

Dennis:

[(1.2) vor] [(1.2) vor wut]

211 212

Lehrkraft I:

wut (- - -) ihr wisst was das bedeutet ne? [was heißt das noch mal blind vor wut sein?]

213 214

Dennis: Lehrkraft I:

[(- -) ja] (5.1) jacqueline

215 216

Jacqueline:

das heißt ähm man is: man äh: also ma/ man man sieht nichts anderes

217 218

Lehrkraft I:

man ist nur auf der wut fixiert ((leise)) richtig

219 220

Jacqueline:

man weiß in dem moment gar nicht was man macht ne:

221

Lehrkraft I:

222

das heißt nicht dass man nichts sehen kann sondern man weiß nicht (- -) was man macht und so geht es moses

223 224

(-) er ist blind vor wut und er schlägt auf den ägypter ein

225

(- - -) und (- -) er schlägt nicht auf ihn nur ein sondern er ERschlägt ihn was heißt das wenn man jemanden ERschlägt

226 227 228

Ole: Lehrkraft I:

((zieht laut luft ein)) hu (4.5) frieda’

229 230

Frieda: Lehrkraft I:

dass äh der den ähm tot schlägt ((nickt)) (3.8) moses TÖtet (- -) den ägypter

231

(- - -) weil er blind vor wut ist

213

Unterrichtseinheit I

(Fortsetzung) 232

(2.0) warum hat er den ägypter angegriffen

233 234

(2.3) warum war er blind vor wut (6.8) lukas

235

Lukas:

236

Lehrkraft I:

237

Lukas:

238 239 240

Lehrkraft I:

(-) weil der ägypter einen von seinem VOLK angegriffen hat was hat der gemacht mit dem der hat ihn (- -) der hat ihn (-) auf den (.) israeliten EINgeschlagen damit weil er den zur arbeit zwingen [ wollte] [richtig] so (-) der isra/der ägypter hat den irsraeliten geschlagen (- - -) und moses

241 242 243 244

Jan: Lehrkraft I:

(- - -) ((flüstert)) totgeschlagen (- - -) sags laut

245 246

Jan: Lehrkraft I:

totgeschlagen er hat den ägypter TOTgeschlagen

247 248

nicht GEschlagen sondern TOTgeschlagen (4.7) blind weil er blind vor wut war

249

(3.9) wir haben als wir über diese sprichwörter gesprochen haben das thema anders sehen auch darüber gesprochen wie man sich vielleicht fühlt

250 251 252 253 254

uk: Ole:

wenn man blind vor wut ist (- -) was denkst du wie FÜHLT sich der moses jetzt hm: (- -) nich mehr so:

255 256

Lehrkraft I: Jan:

(4.7) jan glücklich

257

Lehrkraft I:

258

(- -) meinst du er fühlt sich glücklich wenn man jemanden (-) blind vor wut erschlagen hat’

259 260

meinst du er fühlt sich glücklich (1.4) warum denkst du fühlt er sich glücklich

261 262

Jan: Lehrkraft I:

(2.3) weil ähm der hat ihn ja zur arbeit gezwungen hm_hm’ und dafür darf er ihn jetzt totschlagen

263

Christoph:

((leise)) eigentlich nich

214

Die Analyse

(Fortsetzung) 264

Lehrkraft I:

(5.1) wir fragen mal eben die anderen kinder was sie meinen ne?

265 266

wir sprechen da gleich noch mal drüber dann überlegen wir noch mal gemeinsam

267 268

(2.0) du meinst er ist vielleicht glücklich (-) weil jetzt dieser diese aufsicht nicht mehr da ist

269 270

der jemanden anderes schlagen kann (2.0) hast du es deswegen gemeint’

271 272

Jan: Lehrkraft I:

((nickt)) hm_hm’ er hat jetzt die isrtaeliten gerettet vor diesem aufseher

273 274

(3.1) wäre eine möglichkeit jan aber ich glaube es gibt GANZ viele andere aufseher

275 276

(-) die jetzt sofort wieder kommen (1.8) und als nächste da sitzen

277 278

(-) und aufpassen dass die israeliten richtig arbeiten (5.6) nimmst du mal ein anderes kind dran’

279 280

Jan: Jacqueline:

(4.1) jacqueline (-) ähm: der fühlt sich jetzt doof weil er er war halt blind vor wut und ähm er wusste halt nicht was er MACHT (- -) und jetzt ist er wütend auf sich weil er den ja tot geschlagen hat

281 282 283 284

Lehrkraft I: Jacqueline:

((nickt)) (6.8) was denken die anderen kinder? (7.7) lukas

285

Lukas:

((unverst.)) wahrscheinlich auch ein bisschen ÄNGstlich fühlen weil (-) wahrscheinlich kommen jetzt soldaten und werden ihn FESTnehmen ((nickt)) (3.7) ich glaub nicht dass sie sich das TRAUen erst (2.0) aber vielleicht hat das ja eine anderer aufseher gesehen und holt jetzt (1.9) irgendwelche wachen oder (1.4) soldaten ((nickt)) (10.15) meldet sich jemand oder–

286 287 288

Lehrkraft I: Ole:

289

Lukas:

290 291 292

Lehrkraft I:

293 294

Lukas:

215

Unterrichtseinheit I

(Fortsetzung) 295

Lehrkraft I:

(gerade) sind alle noch glaub ich ziemlich erSCHÜTTert über das was

296 297

moses gemacht hat (3.9) wissen gar nicht so richtig (- - -) was sie jetzt dazu sagen sollen

298 299

glaub ich (4.2) nora was meinst du wie sich der moses jetzt fühlt?

300 301

Nora: Lehrkraft I:

(-) m: lena (-) marie

302 303

(-) und alle anderen ole christoph (1.3) noah

304 305

(5.7) eine schlIMME geschichte ne? (1.8) lukas ((unverst.)) (drannehmen)

306 307

Lukas: Marie:

marie’ (-) ich denke er fühlt sich jetzt NICHT so gut

308 309

Lehrkraft I:

(-) weil er das ja eigentlich bestimmt nicht wollte ((nickt))

310 311

Marie: Sascha:

(5.0) sascha’ (- -) ich hab mich gar nicht gemeldet

312 313

Marie: Nora:

(2.3) nora m:: der ist bestimmt traurig weil erst war er richtig wütend auf den weil er (-) ähm ja dazu gezwungen hat dass die arbeiten müssen und ähm (.) jetzt denkt er »hätt ichs mal nicht gemacht«

314 315 316 317

Lehrkraft I:

((nickt)) (2.8) lena du hattest dich gerade auch noch gemeldet

318 319

Nora: Lena:

(- -) lena ähm der fühlt sich bestimmt blöd weil er den erschlagen hat

320 321 322 323

Jonas:

324 325

Lena:

(-) wahrscheinlich war er so wütend dass er (-) dass er (-) sich gar nicht bewusst war was er gemacht hat sich nichts kontrollieren [konnte] [und jetzt] ist er traurig

216

Die Analyse

(Fortsetzung) 326

Tom:

ja

327

Lehrkraft I:

(2.2) melde dich wenn du was sagen möchtest jeder darf etwas sagen (wenn er sich meldet)

329 330

Lena:

(5.8) marie’ ich denke auch dass er ei/ dass er nicht wusste was er da gerade macht

331 332 333 334

Lehrkraft I: Lena:

hm_hm’ (-) weil (1.1) er war ja (.) blind vor WUT (- -) sozusagen (-) ich glaube jeder von uns kennt das gefühl wenn man was gemacht hat

328

Lehrkraft I:

335 336 337

was absoLUT nicht in Ordnung ist (1.2) und dann hofft man vielleicht »oh hoffentlich hat das keiner gesehen« Kommentar :

(( im Folgenden leitet die Lehrkraft zum nächsten Arbeitsauftrag der SuS über. Die SuS sollen sich überlegen, was die »anderen« nach der Tat zu Mose sagen könnten.))

Tabelle 31: I.3.TA.191–337

Anders als im Anschluss an die Schilderung des Tötungsauftrages des Pharaos sind in dieser Szene keine Äußerungen der Schüler_innen zu beobachten, die eine »Erschütterung« über das Gehörte explizit machen. Lediglich Ole zieht – wie erschrocken – hörbar die Luft ein, als erklärt wird, was es heiße, jemanden zu erschlagen (I.3.TA.227). Jedoch wird hier die Erklärung für das Verhalten Moses von der Lehrkraft auch schon in ihrem Erzählen vorbereitet und in der daran anschließenden Konklusion deutlich gemacht. So wird mit der Formulierung, dass Mose es »natürlich nicht gerecht« finde, zunächst impliziert, dass der Grund für die Wut Moses (der Umgang der Ägypter mit den Israeliten) allgemein nachvollziehbar und gerechtfertigt sei (I.3.TA.196). Die dann vor der Schilderung des Totschlags eingeschobene Erläuterung zur Redewendung »blind vor Wut«-Sein, sowie die hierbei erfolgende Konklusion der Lehrkraft, dass man – wenn man blind vor Wut ist – nicht wisse, was man mache, und es so auch Mose ginge, bietet bereits im Vorfeld die Begründung für die im Anschluss geschilderte Tat. Diese Begründung macht die Lehrkraft dann in ihrer Konklusion als solche explizit: »Moses tötet den Ägypter, weil er blind vor Wut ist« (I.3.TA.230f.) Auch innerhalb ihrer Frage nach der Erklärung für Moses Verhalten (»Warum hat er den Ägypter angegriffen? Warum war er blind vor Wut?« (I.3.TA.232f.)) sowie in ihrer abschließenden Konklusion (»Er hat den Ägypter totgeschlagen, nicht geschlagen, sondern totgeschlagen. Blind, weil er blind vor

Unterrichtseinheit I

217

Wut war.« (I.3.TA.246f.)) bleibt das Motiv des »Blind vor Wut«-Seins eng mit dem geschilderten Ereignis verknüpft. Diese Erklärung scheint für die Schüler_innen nachvollziehbar bzw. überzeugend, da sie keine weiteren Nachfragen stellen und sie sich in ihren Beiträgen zu der Frage der Lehrkraft, wie sich Mose jetzt fühle, immer wieder auf sie beziehen bzw. sie in diese einbinden (»Er fühlt sich jetzt doof weil er war halt blind vor Wut und er wusste halt nicht was er macht« (Jacqueline, (I.3.TA.280f)), »wahrscheinlich war er so wütend, dass er sich gar nicht bewusst war was er gemacht hat« (Lena, (I.3.TA.320f.)), »ich denke auch dass er nicht wusste was er da gerade macht, weil er war ja blind vor Wut sozusagen« (Marie, (I.3.TA.330, 332)). Als während der Bearbeitung dieser Frage eine längere Pause entsteht, weil sich keine der Schülerinnen und keiner der Schüler meldet, und Lukas nicht weiß, wem er nun nach dem Prinzip der Redekette877 das Wort übergeben soll, erklärt die Lehrkraft, dass es für sie den Anschein habe, als wären »alle« »ziemlich erschüttert über das was Mose gemacht hat« und wüssten daher nicht, was sie dazu sagen sollten (I.3.TA.295–299). Diese Feststellung ähnelt hinsichtlich des Auslösers (schweigende Schüler_innen) und der Wortwahl (»erschüttert«) der Frage der Lehrkraft nach dem Hören bzw. Wiederholen der zehnten Plage in der fünften und sechsten Unterrichtsstunde (»Hat dich da was erschüttert?«878, »ihr ward auf einmal so entsetzt, erschüttert.«879)). Im Unterschied dazu wird hier der angenommene Grund für die Erschütterung direkt von der Lehrkraft benannt (»über das was Mose gemacht hat«) und nicht erfragt. Nachdem sich auch auf direkte Anrede einiger Schüler_innen noch keiner von ihnen zu Wort meldet, fügt die Lehrkraft nach einer weiteren längeren Pause an, dass es »eine schlimme Geschichte« sei, wobei sie mit der angehängten Fragepartikel (»ne?«) die Zustimmung der Schüler_innen zu diesem Urteil implizit einfordert (I.3.TA.304). Während im Kontext der zehn Plagen und des Untergangs der ägyptischen Verfolger auf ähnliche Urteile der Lehrkraft (»was für eine furchtbare Geschichte«880, »das ist schon das zweite Mal, das wir so etwas schreckliches hören«881, »wieder so eine grausame Geschichte«882) die Erörterung der Frage folgt, ob das Gehörte wörtlich genommen werden müsse, bzw. erklärt wird, dass es sich um Erzählungen der Israeliten handele, bleibt Vergleichbares hier aus und das Urteil von Lehrkraft sowie Schüler_innen unkommentiert. Es schließen weitere Äußerungen der Schüler_innen zur Frage der Gefühlslage Moses nach seiner Tat an, bis die Lehrkraft zum nächsten Arbeitsauftrag 877 878 879 880 881 882

Vgl. Mattes 2011, S. 106f.; vgl. Janssen 2008, S. 23. I.5(b).TA.12, s. Tabelle 272 im digitalen Anhang. I.6.TA.29–31, s. Tabelle 25, S. 187. I.5(b).TA.64, s. Tabelle 273 im digitalen Anhang. I.6.TA.28, s. Tabelle 274 im digitalen Anhang. I.6.TA.246, s. Tabelle 28, S. 198.

218

Die Analyse

überleitet. Die Schüler_innen sollen sich überlegen, wie die »Anderen« wohl auf Moses Tat reagieren werden. Wie in der vorangestellten Szene zum »neuen Gesetz« des Pharaos wird auch hier für die »schlimme Geschichte« eine Begründung auf der Handlungsebene dieser gesucht bzw. von der Lehrkraft vorgegeben. Explizite Hinweise zum Umgang mit dem Gehörten, die dieses in seiner Härte abmildern könnten, zum Beispiel, dass es sich wie bei der zehnten Plage »nur« um eine »Erklärung« handele und darum »diese ganze Geschichte nicht so wörtlich«883 genommen werden dürfe, sind genauso wenig wie Hinweise auf den oder die Erzählenden zu beobachten. Anders als zuvor enthalten die Schilderungen der Lehrkraft in dieser Szene kaum historisierende Elemente, und die in die Erzählung einleitende narrative Formel »und eines Tages«, welche sich nicht auf einen festen Zeitpunkt bezieht, sondern temporäre Unbestimmtheit ausdrückt, lässt eher an eine fiktionale Erzählung, ähnlich einem Märchen denken. Auch wird das Gehörte hier zweimal als »Geschichte« bezeichnet und fast ausschließlich im Präsens erzählt. Konklusion Im Anschluss an die Erzählung von den zehn Plagen und der Rettung der Israeliten vor ihren Verfolgern dokumentiert sich die von der Lehrkraft wahrgenommene Notwendigkeit, die Vorgänge nicht nur auf der Handlungsebene zu begründen, sondern auch – auf einer dem Text übergeordneten Ebene – den »richtigen« Umgang mit dem Gehörten zu thematisieren (»jetzt müssen wir wieder überlegen, wie steht immer was in der Bibel«884, »wir müssen davon ausgehen, dass es Erzählungen sind«885, »wir dürfen diese ganze Geschichte nicht so wörtlich nehmen«886, »das ist ein ganz wichtiger Aspekt, ein ganz wichtiger Grund«887; »aber jetzt noch einmal«888). In den beiden zum Vergleich herangezogenen Szenen, in denen ebenfalls von grausamen biblischen Ereignissen berichtet wird, geschieht dies nicht. Diese Beobachtung spricht für die Hypothese, dass der Auslöser für eine solche Thematisierung in den erzählten Handlungen Gottes zu suchen ist. Während die »grässlichen« oder »schlimmen« Taten in den beiden Vergleichsszenen von Menschen ausgeführt werden (Pharao, Mose), kommen hier die ägyptischen Erstgeborenen sowie die Verfolger der Israeliten durch Gottes Veranlassung zu Tode. Dass die Schüler_innen nicht nur Erschütterung oder Unverständnis hinsichtlich dieser Geschehnisse äußern, 883 884 885 886 887 888

I.5(b).TA.126, 128, s. Tabelle 24, S. 184f. I.5(b).TA.68, s. Tabelle 20, S. 177. I.5(b).TA.120, s. Tabelle 26, S. 193f. I.5(b).TA.126, s. Tabelle 26, S. 193f. I.6.TA.51, s. Tabelle 25, S. 187. I.6.TA.249, s. Tabelle 28, S. 198.

Unterrichtseinheit I

219

sondern dies damit begründen, dass das Gehörte nicht zu dem Gottesbild passe, welches ihnen vertraut sei, scheint es für die Lehrkraft notwendig werden zu lassen, darüber zu sprechen, wie das Erzählte zu verstehen ist. In dieser Ausführlichkeit und Deutlichkeit ist eine solche Thematisierung der Eigenschaften des biblischen Textes über die gesamte Unterrichtseinheit nur im Kontext des erzählten Eingreifens Gottes bei den zehn Plagen und der Rettung am Meer zu beobachten. Über den Verlauf dieser beiden Incidents verändert sich dabei die Begründung für den Inhalt der Geschichte: von einem Mittel zur Erklärung einer bestimmten Lehre zu einem Resultat des Erzählens der Gruppe der Israeliten, welche in Folge ihrer Deutung der Zusage Gottes in dieser Weise erzählen. Damit entwickelt sich auch das Konzept des biblischen Textes, welches während der Gespräche über das Gehörte konstruiert wird. Zunächst wird seitens der Lehrkraft konstatiert, dass es sich bei dem Gehörten um etwas handele, das »so in unserer Bibel« stehe.889 Zugleich wird die Bibel personifiziert als jemand, der mit »dieser Geschichte« eine bestimmte Erklärabsicht verfolge. Die Bibel ist damit (schriftliche) Quelle und Erzählerin mit erklärender bzw. lehrender Intention. Durch diese Personifizierung von »Bibel« und »Geschichte« sowie durch die verwendete passive Formulierung (»hier wird erzählt«890) innerhalb der ersten Szene des Incidents »Erzählung« gibt es keine Hinweise darauf, dass es sich um menschliche Erzähler_innen bzw. Autor_innen handelt. Dies ändert sich im Laufe der sechsten Stunde mit der zweiten Szene des Incidents »Erzählung«, da nun explizit nach den Erzählenden der Geschichten gefragt wird. Gleichzeitig verändert sich auch die Adressatengruppe: Während bei der Bearbeitung der Frage, ob das Gehörte wörtlich genommen werde müsse, durchgehend die Anwesenden (»wir«/»uns«) als Adressaten der erklärenden Geschichten der Bibel genannt werden, sind es nun die Israeliten selbst (»haben sich (weiter)erzählt«891). Mit dieser zweiten Erklärung der Lehrkraft für den Inhalt der Geschichte, mit der subjektiven Perspektive der Israeliten, kommt die Bibel als Quelle oder erzählende Instanz nicht mehr zur Sprache. Ein Zusammenhang bzw. die Art des Zusammenhangs der Bibel und der Israeliten wird nicht explizit gemacht. Im Verlauf der einzelnen Szenen der beiden Incidents bewegt sich das Gehörte in den Darstellungen und Erklärungen der Lehrkraft zwischen einer metaphorisch zu verstehenden Geschichte (»nicht (so) wörtlich nehmen«892, »nur eine Erklärung«893, »das soll uns diese Geschichte erzählen/erklären«894, »wollen 889 890 891 892 893

I.5(b).TA.67, s. Tabelle 20, S. 177. I.5(b).TA.120, s. Tabelle 26, S. 193f. I.6.TA.55, 59, 67, 75, s. Tabelle 27, S. 195f. I.5(b).TA.126, s. Tabelle 26, S. 193f.; I.6.TA.52, s. Tabelle 27. S. 195f. I.5(b).TA.147, s. Tabelle 24, S. 184f.

220

Die Analyse

uns immer etwas erklären) und einer Erzählung von in der Vergangenheit Geschehenem, deren Exaktheit auf Grund der fehlenden Augenzeugen und der subjektiven Schilderung aus der Perspektive der Israeliten nicht gewährt werden könne (»was da passiert ist«895, »keiner von uns war dabei«896, »und der Pharao wollte hier nicht nachgeben und dann haben die Israeliten erzählt«897). Mit dem Verweis darauf, dass die Erzählung aus der Überzeugung der Zusage Gottes resultiere, wird außerdem die Rezeption als Zeugnis eines Vertrauens auf Gott angedeutet (»so und die Israeliten hatten ja von Gott gehört, ne? ›Ich bin der, ich bin da‹ und sie haben gesagt: ›so, wir Israeliten, wir sind Gottes auserwähltes Volk und Gott hilft uns immer […]‹ und dann haben sie sich erzählt, dass er sogar […]«898, »und die waren, so sagten sie: ›wir sind das auserwählte Volk, Gott ist immer bei uns Gott rettet uns aus jeder Gefahr‹, deswegen haben sie sich das erzählt«899).

6.1.3 Zusammenfassende Betrachtung der gesamten Unterrichtseinheit Im Folgenden wird die Analyse der Entwicklung der Konstruktion des Konzepts des biblischen Textes bzw. des Konzepts von Bibel über den Verlauf der gesamten Unterrichtseinheit dargelegt. Dabei wird zunächst die Gestaltung des Erzählsettings durch die Lehrkraft genauer betrachtet. Nach der Bearbeitung der Frage, welche Informationen die Lehrkraft zur Quelle des von ihr Erzählten gibt, werden die expliziten und impliziten Hinweise auf den Umgang mit der biblischen Erzählung seitens der Lehrkraft herausgearbeitet. Im Anschluss sollen die Fragen und Beiträge der Schüler_innen in den Fokus der Betrachtung gerückt werden, bevor eine zusammenfassende Konklusion erfolgt. 6.1.3.1 Erzählsetting Da in der vorangegangenen Unterrichtseinheit die »Geschichte von Josef« bearbeitet wurde, gibt es keinen expliziten Neueinstieg in die Exodus-Erzählung. Stattdessen schließt die Lehrkraft inhaltlich an das bis zur ersten Stunde der neuen Einheit Erarbeitete an. Bis auf eine einmalige Ausnahme, in der sie das von ihr Wiedergegebene als »Erzählung« beschreibt (s. Kap. 6.1.2.2), nutzt sie 894 895 896 897 898 899

I.5(b).TA.125, 146, s. Tabelle 24, S. 184f. I.6.TA.40, s. Tabelle 25, S. 187. I.5(b).TA.128, s. Tabelle 24, S. 184f. I.6.TA.65f., s. Tabelle 27, S. 195f. I.6.TA.60ff., s Tabelle 27, S. 195f. I.6.TA.252–254, s. Tabelle 28, S. 198.

Unterrichtseinheit I

221

durchgängig den Begriff »Geschichte« zur Bezeichnung des Erzählten.900 Die Lehrkraft erzählt stets frei, in eigenen Worten, in einfacher Sprache und ohne für die Schüler_innen erkennbare schriftliche Vorlage. Über die gesamte Einheit erzählt sie auf diese Weise von der Schilderung der Unterdrückung der Israeliten in Ägypten bis zum Empfangen der zehn Gebote am Gottesberg Horeb (Ex 1,1–20,17). Dabei lässt sie einzelne Teile der Erzählung aus,901 gibt sie vereinfacht bzw. in gekürzter Form wieder902, und ergänzt weiterführende Erklärungen,903 die über den biblischen Text hinausgehen. Wie in dem biblischen Text werden auch von der Lehrkraft einzelne Passagen der Erzählung in direkter wörtlicher Rede aus der Perspektive der handelnden Personen wiedergegeben. Bis zur Erzählung der zehn Plagen nutzt sie überwiegend das Präsens für ihre Schilderungen und nur vereinzelt Vergangenheitsformen. Mit dem – durch ein Rollenspiel begleiteten – Erzählen der zehn Plagen ändert sich dies, und bis zum letzten Erzählabschnitt der Einheit, der Schilderung des Empfangs der zehn Gebote, verwendet die Lehrkraft nun häufiger die Vergangenheitsform. Auch der Erzähltext zu den zehn Geboten, welchen die Schüler_innen selbstständig im Religionsbuch904 lesen, ist in der Vergangenheitsform (Präteritum) verfasst. In fünf der acht Stunden, in denen die Lehrkraft die biblische Erzählung wiedergibt, leitet sie dies mit einer expliziten Ankündigung ein, dass die »Geschichte« nun bzw. noch »weitergeht« (»diese Geschichte von den Israeliten geht noch viel weiter«905, »so, hier geht die Geschichte weiter«906, »soll ich euch die Geschichte dazu erzählen?«907; »ich möchte gerne mit der Geschichte weitermachen«908, »die Geschichte, die ich heute […] erzählen möchte«909, »jetzt haben wir

900 Siehe hierzu: Tabelle 251 im digitalen Anhang. 901 Z. B.: Die Erzählung vom Auftrag an die Hebammen Schifra und Pua (Ex 1,15–21) die Brunnen-Szene in Midian (Ex 2,16–20), die Beschneidungsszene (Ex 4, 24–26), die Einsetzung des Passahfests (Ex 12,16–20), die Passahordnung (Ex 12, 40–51), Israel in Massa und Meriba sowie der Sieg über die Amalekiter (Ex 17), Jitros Besuch bei Mose und die Einsetzung von Helfern für Mose (Ex 18). 902 Z. B.: Die Schilderung der zehn Plagen ohne das Motiv der »Verstockung«, die Forderung des Pharaos an Mose für ihn bei Gott zu bitten, sowie die härtere Bedrückung der Israeliten nach der erstmaligen Bitte Moses, diese ziehen zu lassen. 903 Z. B.: Die Schilderung um die Ängste der Mutter Mose und ihr Bemühen, ihn zu verbergen oder die Schilderung der Gefühle Mose beim Anblick des von einem ägyptischen Aufseher geschlagenen Israeliten. 904 Fischer et al. (2008): Ich bin da. Religion 3. Schulbuch für den katholischen Religionsunterricht. Augsburg: Auerverlag. Hier S. 50. 905 I.2(a).TA.88f., s. Tabelle 30, S. 206–210. 906 I.3.TA.191, s. Tabelle 31, S. 211–216. 907 I.4.TA.106, s. Tabelle 73, S. 247. 908 I.7.TA.112, s. Tabelle 77, S. 249. 909 I.7.TA.135, s. Tabelle 277 im digitalen Anhang.

222

Die Analyse

die Geschichte aber noch nicht zu Ende erzählt«910). In den übrigen Stunden schließt sie die Erzählung an die gemeinsame Wiederholung der vorangegangenen Erzählinhalte an. Die auf diese Weise eröffneten Erzählabschnitte unterbricht die Lehrkraft mit längeren und kürzeren Einschüben, innerhalb derer sie auf die Erzählhandlung bezogene, überwiegend von ihr selbst angesprochene Sachfragen im Gespräch mit den Schüler_innen klärt (z. B. »Was ist eine Pyramide?«911, »Was braucht man, um eine Pyramide zu bauen?«912, »Was mussten denn die Mädchen damals machen und die Frauen?«913, »Was braucht ein Baby um zu wachsen?«914, »Wisst ihr was ein Hautausschlag ist?«915, »der Pharao hatte besondere Kutschen […] für seine Krieger, nämlich die?«916, »Was denkt ihr, was haben sie mitgenommen, damit sie was zu essen hatten?«917) oder die Schüler_innen nach ihren Vermutungen über die Gedanken und Gefühle der Personen aus der Erzählung befragt (z. B. »Überlegt mal, warum macht er [der Pharao] das vielleicht?«918, »Was denkst du welche sorge hat sie [die Mutter Moses] jetzt?«919, »Was denkt sie [Miriam] vielleicht?«920, »Was denkst du, wie fühlt sich Mose jetzt?«921, »Wie fühlt man sich, wenn es nicht wieder hell wird?«922, »Was denkt ihr ist denn die Angst der Israeliten?«923). So sind erzählende, erklärende und kommentierende Phasen eng miteinander verknüpft, ohne dass sich dabei die Rahmenbedingungen der Interaktionssituation bzw. das Erzählsetting – beispielsweise die Position der Lehrkraft im Klassenraum oder die Sitzordnung der Schüler_innen – verändert. Auch die Intonation der Lehrkraft während der erzählenden Abschnitte unterscheidet sich kaum von derjenigen innerhalb der erklärenden oder kommentierenden Teile. Das Erzählen der Lehrkraft wir nicht durch den Einsatz von Bild-, Ton- oder anderen Medien bzw. Materialien begleitet. Jedoch nutzt sie zwei Abbildungen ägyptischer Grabmalereien924 sowie eine Schulbuchabbildung des Gemäldes »Mose vor dem bren910 911 912 913 914 915 916 917 918 919 920 921 922 923 924

I.8.TA.29, s. Tabelle 279 im digitalen Anhang. I.1.TA.432, s. Tabelle 257 im digitalen Anhang. I.1.TA.461, s. Tabelle 15, S. 167f. I.2(a).TA.132, s. Tabelle 30, S. 206–210. I.2(a).TA.374, s. Tabelle 264 im digitalen Anhang. I.5(a).TA.280, s. Tabelle 268 im digitalen Anhang. I.6.TA.145–149, s. Tabelle 276 im digitalen Anhang. I.7.TA.151, s. Tabelle 278 im digitalen Anhang. I.2(a).TA.121, s. Tabelle 30, S. 206–210. I.2(a).TA.279, s. Tabelle 262 im digitalen Anhang. I.2(a).TA.337, s. Tabelle 263 im digitalen Anhang. I.3.TA.252, s. Tabelle 31, S. 211–216. I.5(a).TA.344, s. Tabelle 269 im digitalen Anhang. I.8.TA.232, s. Tabelle 280 im digitalen Anhang. 1. Abbildung : »Darstellung einer Karawane mit »Asiaten/Aamu« (‡Zmw) an der Nordwand des Grabes des Chnumhotep II in Beni Hasan« (Ausschnitt), vgl. Görg 1997, S. 9 sowie Keel 1997, S. 52f.; 2. Abbildung: »Ziegelherstellung im Grab Rechmires in Abd El_Qurna

223

Unterrichtseinheit I

nenden Dornbusch« von Marc Chagall925 als Ausgangspunkt für die Erzählungen über die Ankunft der Israeliten in Ägypten, ihre Unterdrückung mit Fronarbeit sowie die über die Berufung Moses am Dornbusch. 6.1.3.2 Hinweise auf Quelle, Entstehung und Verfasser_innen des Erzählten Die erstmalige Nennung des Begriffs »Bibel« innerhalb der Unterrichtseinheit erfolgt seitens der Lehrkraft in der fünften Stunde während ihres Erzählens vom Aufbruch Moses nach Ägypten. I.5(a).TA. 169 170

Lehrkraft I:

171 172

(- -) gott schickt ihm noch (-) aaron mit– (1.3) in der bibel steht immer aaron ist sein BRUder aber man muss wissen damals (.) brüder waren alle die im glauben brüder waren ne? wir wissen also nicht ob das ein verwandter ist von ihm

Tabelle 32: I.5(a).TA.169–172

Mit der Einleitung »in der Bibel steht immer« in die Erläuterung zum Verwandtschaftsverhältnis von Aaron und Mose verweist die Lehrkraft zum ersten Mal auf die Bibel als (schriftliche) Quelle des von ihr Erzählten (I.5(a).TA.169). Im weiteren Verlauf dieser Stunde (»ja und doch steht es so in unserer Bibel«926, »jetzt müssen wir wieder überlegen wie steht immer was in der Bibel«927, »so wie bei vielen Geschichten in der Bibel die erklären uns etwas«928, »wer eine Bibel hat, kann das natürlich in der Bibel nachlesen«929) sowie in den folgenden Stunden der Einheit wird die Bibel dann immer wieder implizit und explizit als Quelle der erzählten »Geschichte« durch die Lehrkraft angeführt (»das scheint mir aber nicht eine Bibel zu sein, ne? Und andere Bücher brauchen wir jetzt nicht, hättest du eine Bibel könntest du jetzt mal vorlesen«930, »ihr dürft gerne eure Bibel mitbringen, dann können wir die Geschichte noch mal nachlesen«, »in der Bibel steht das Volk der Israeliten ist lange Zeit in der Wüste«931, »es ist was zu essen und

925 926 927 928 929 930 931

(Theben-West) aus der Zeit Thutmosis’ III. und Amenophis’ II.« (Ausschnitt), vgl. Keel 1997, S. 64f. Vgl. Fischer 2008, S. 47. I.5(b).TA.67, s. Tabelle 20, S. 177. I.5(a).TA.68, s. Tabelle 20, S. 177. I.5(b).TA.129, s. Tabelle 24, S. 184f. I.5(b).TA.188, s. Tabelle 34, S. 224f. I.7.TA.125–127, s. Tabelle 35, S. 225f. I.7.TA.30, s. Tabelle 33, S. 224.

224

Die Analyse

damit haben sie überlebt, so steht es in der Bibel«932). In zwei Situationen konkretisiert die Lehrkraft diese Verortung des Erzählten in der Bibel. I.7.TA. 30 31

Lehrkraft I: Nora:

32 33

die waren doch jetzt in so großer not ja weil (.) ähm gott ja (- - -) ähm: jesus geholfen hat mit dem wasser er hat ja die hand hochgehoben dann ist das wasser aufgegangen

34 35

Lehrkraft I: Nora:

WER hat die hand hochgehoben? jesus

36 37

uk: Lehrkraft I:

(- - -) nein! (- - -) jesus?

38 39

Nora: Lehrkraft I:

gott das ist eine geschichte aus dem ALten testament (.) VOR jesus

Tabelle 33: I.7.TA.30–39

Als Nora in ihrer Wiederholung der Erzählung von der Teilung des Meeres statt »Mose« »Jesus« sagt, weist die Lehrkraft darauf hin, dass es sich um eine »Geschichte aus dem Alten Testament« handele und dies »vor Jesus« sei (I.7.TA.39). Ob Nora bzw. den übrigen Schüler_innen die Einteilung in Neues und Altes Testament und die damit verbundene Chronologie der biblischen Geschichten vertraut ist, bleibt offen, da die Lehrkraft mit der Klärung ihrer zuvor geäußerten Frage fortfährt. In der darauffolgenden Stunde erklärt sie dann – während sie in einer von Tom mitgebrachten Bibel blättert –, dass sie in dieser Stunde »zum zwanzigsten Kapitel der Mose-Geschichte« kämen und Tom dies zu Hause »gern nachlesen« dürfe.933 Auch hier erfolgen keine Hinweise darauf, inwieweit die Schüler_innen diese Einordnung nachvollziehen können. Die Lehrkraft erfragt dies nicht, und es sind hierzu auch keine Nachfragen seitens der Schüler_innen zu beobachten. Über die gesamte Unterrichtseinheit finden sich in den Äußerungen der Schüler_innen nur wenig Hinweise darauf, ob und inwiefern sie mit der Bibel vertraut sind und was sie mit diesem Begriff verbinden. Die folgenden drei Szenen sind die einzigen, die Anhaltspunkte zu dieser Frage bieten. I.5(b).TA. 186

Tom:

[(- - -) ich ka/ ich brauch/ ich/ ich kann ich brauch mir die nicht merken ich kann in meiner BIbel nachlesen]

932 I.8.TA.158–159, s. Tabelle 237, S. 467f. 933 I.8.TA.187–190, s. Tabelle 36, S. 226f.

225

Unterrichtseinheit I

(Fortsetzung) 187

mehrere SuS:

[((einige SuS reden miteinander, rufen durch die Klasse))]

188

Lehrkraft I:

189

mehrere SuS:

[wer eine bibel HAT kann das natürlich in der bibel (nachlesen)] [((einige SuS reden miteinander))]

190 191

Lasse mehrere SuS:

[(1.1) ich hab ne KINderbibel] [((einige SuS reden miteinander))]

192 193

Tom: Kommentar :

[(-) ich habe ne norMAle (.) ECHte] ((SuS reden durcheinander))

194 195

Tom: Lehrkraft I:

ich kann meine BIbel mal MITnehmen (1.6) das darfst du gerne machen tom

196 Tom: Tabelle 34: I.5(b).TA.186–196

JA_A (- -) das mach ich am donnerstag

Im Anschluss an den Arbeitsauftrag, die zehn Plagen aufzuschreiben, betont Tom, dass er sich diese nicht »merken« müsse, da er sie in seiner Bibel »nachlesen« könne (I.5(b).TA.186). Hier dokumentiert sich sein Wissen, dass es sich bei der Erzählung zu den zehn Plagen um eine biblische handelt sowie dass er eine eigene Bibel besitzt und er sich in der Lage sieht, die entsprechende Textstelle darin zu finden. Auch Lasse gibt an, eine Bibel zu besitzen und betont, dass es sich um eine »Kinderbibel« handele (I.5(b).190). Tom reagiert darauf, indem er zunächst hervorhebt, dass seine Bibel eine »normale« sei und dann die Bewertung »echte« anfügt (I.5(b).TA.192). Während es zunächst so erscheint, dass mit dem Adjektiv »normal« eine solche Bibelausgabe beschrieben werden soll, die nicht speziell auf Kinder als Adressaten zugeschnitten ist, markiert das nachgeschobene »echt« einen die Qualität bzw. den Wert der Bibeln betreffenden Unterschied. Diese Wertung wiederholt sich in der siebten Stunde, als diesmal Noah erklärt, er habe »eine Kinderbibel in Farbe« (I.7.TA.129), und Tom darauf hinweist, dass er eine »echte« besitze (I.7.TA.130). Die Betonung der Echtheit impliziert erneut ein von Tom angenommenes »Nicht-Echt-Sein« von Kinderbibeln und damit eine Abwertung dieser. Was genau Tom aber mit dieser Bewertung verbindet, bleibt offen. In seiner Reaktion auf Toms Äußerung dokumentiert sich, dass Noah dieses Konzept von Bibel bzw. von einer Kinderbibel nicht teilt, da er seine Bibel ebenfalls als »echt« bewertet (vgl. I.7.TA.132). I.7.TA. 122 123 124

Lehrkraft I:

(- -) mit neuem vertrauen geht die reise weiter

Sascha:

(1.9) ((räuspert sich)) (-) ((zu Jan, der in einem Buch blättert)) jan das ist keine ((unverst.))

226

Die Analyse

(Fortsetzung) 125

Lehrkraft I:

(-) ich wollt sagen das scheint aber nicht eine bibel zu sein ne? (- - -) und andere bücher brauchen wir jetzt nicht (- -) hättest du eine BIbel könntest du jetzt mal vorlesen

126 127 128 129

Tom: Noah:

(- -) ich wollte meine bibel ja heute mitnehmen (- -) ich hab eine kinderbibel in FARbe

130 131

Lehrkraft I: Tom:

[sch::::] [ich hab ne ECHte]

132 133

Noah: Lehrkraft I:

(- - -) ((schulterzuckend)) ich auch ihr dürft gerne eure bibel mitbringen (.) dann können wir die geschichte noch mal nachlesen

134 Tabelle 35: I.7.TA.122–134

Interessant ist, dass in der folgenden Stunde auch die Lehrkraft eine Bewertung vornimmt, die der Toms sehr ähnlich ist. Nachdem Tom der Lehrkraft seine Bibel zur Ansicht gibt, konstatiert sie, dass es sich hierbei um »eine richtige Bibel« und »keine Kinderbibel« handele (I.8.TA.175–176). Auch die Lehrkraft führt nicht weiter aus, was unter dieser Zuschreibung zu verstehen sei. Durch das Anführen der Kinderbibel als mögliche Alternative wird diese implizit als »nicht richtige« Bibel markiert. Die zweimalige Betonung, dass es eine »richtige Bibel« sei, verstärkt diese Bewertung zusätzlich. I.8.TA. 162

Tom:

[apropos bibel ich hab meine bibel mit]

163 164

Lehrkraft I: Tom:

(.) hast du mit? ja

165

Lehrkraft I:

(-) das ist super kannst du mir die mal eben kurz geben (-) tom dann kann ich mal eben was nachgucken

167 168

Tom: Jan:

((bringt seine Bibel nach vorn zur Lehrkraft)) ich hab noch nichtmal eine

169 170

Sascha:

alter ist die [FETT]

171 172

Lehrkraft I:

[hast du] die geschichte auch schon geFUNden?

173 174

Tom: Lehrkraft I:

(.) äh::: nö: ich hab jetzt mit den plagen da (-) ah du bist

166

227

Unterrichtseinheit I

(Fortsetzung) 175

(1.4) du liest das ist ja eine RICHtige bibel

176 177

das ist keine KINDerbibel das ist eine RICHtige bibel (- - -) und er sagt grad er ist bei den zehn plagen

178

super (-) achte plage heuschrecken da bist du jetzt gerade ((blättert in der Bibel von Tom))

179 180 181

Ole: Lehrkraft I:

die hat ja ganz dünne BLÄTter (- - -) bitte?

182 183

Lasse: Lehrkraft I:

ich hab noch ne ganz ALte bibel (-) SEHR schön

184 185

Jacqueline:

((blättert weiter in der Bibel von Tom)) (3.45) (.) in der alten Kirche

186 187

Lehrkraft I:

[sind auch solche bibeln] [wir sind heute (- - -)]

188 189

(- - -) kommen wir (- - -) zum (- -) zwanzigsten kapitel

190

(- -) der moses-geschichte darfst du dann zu hause gerne nachlesen ja

191

Tom:

192 193

Lehrkraft I:

194 195 196 Tom: Tabelle 36: I.8.TA.162–196

(-) und ich lese euch die nachher hier mal draus vor wir haben aber noch auch unsere bücher wir wollen erstmal heute den text im BUch lesen [aber wir vergleichen nachher mit dieser geschichte] [(1.4) hm_m’]

In dieser Szene ist zudem erkennbar, dass die Vertrautheit mit der Bibel unter den Schüler_innen stark variiert. Während Tom eine Bibel besitzt bzw. ihm eine solche zugänglich ist und er angibt, auch schon darin gelesen zu haben (vgl. I.8.TA.173, 177), dokumentiert sich in den Staunen suggerierenden Äußerungen von Sascha (»alter ist die fett« (I.8.TA.169–170)) und Ole (»die hat ja ganz dünne Blätter« (I.8.TA.180)), dass ihnen diese Merkmale einer Bibel so bisher nicht bekannt oder bewusst waren. Dies deutet darauf hin, dass sie selbst keine oder eine andere Version der Bibel (z. B. Kinderbibel) besitzen. Jan äußert direkt, dass er selbst keine Bibel habe (vgl. I.8.TA.168). In Jacquelines Beitrag, dass es »solche Bibeln« auch »in der Alten Kirche«934 gebe, zeigt sich ein Wiedererkennen dieser 934 »Alte Kirche« ist der Name der Kirche, welche zum Einzugsgebiet der Grundschule gehört, in der diese Daten erhoben wurden.

228

Die Analyse

Art Bibel und damit auch eine gewisse Vertrautheit mit ihr aus dem Kontext der Kirche bzw. des Gottesdienstes. Ob sie selbst eine Bibel besitzt, bleibt offen. Am Ende der zuletzt angeführten Szene wird seitens der Lehrkraft eine weitere Quelle der »Geschichte« aufgezeigt. Nach der Ankündigung der Lehrkraft, »nachher« noch aus Toms Bibel vorzulesen, erklärt sie, dass sie »noch auch unsere Bücher« hätten und zunächst (»erstmal heute«) in diesen lesen wollten (I.8.TA.192–194). Nach einer kurzen gemeinsamen Wiederholung der Situation der Israeliten in der Wüste erzählt die Lehrkraft, dass die Israeliten nun am Berg Sinai seien. Sie erläutert, dass nun »die Bücher« ausgeteilt würden und »die Geschichte einmal gemeinsam« gelesen werde (»und ich möchte euch heute einmal die Bücher austeilen und wir wollen die Geschichte einmal gemeinsam lesen«935). Dass die Geschichte aus einer weiteren Quelle (»noch auch«), dem Religionsbuch936, und nicht aus einer Bibel gelesen wird, scheint die Schüler_innen nicht zu irritieren, da dies von ihnen nicht in Frage gestellt wird. Die Lehrkraft führt hierzu keine weiteren Erläuterungen oder Begründungen an. Ebenso bleiben die unter dem Text im Religionsbuch angeführten Verweise auf die jeweiligen biblischen Textstellen (»nach Exodus 19, 2–9 und Exodus 19, 16–19«, »nach Exodus 20, 1–17 und Deuteronomium 5, 6–12«)937 von Seiten der Schüler_innen wie auch seitens der Lehrkraft unkommentiert, sodass hier keine Verbindung zur Bibel explizit gemacht wird. Die Ankündigung der Lehrkraft, diesen Teil der Geschichte aus Toms Bibel mit dem Text im Religionsbuch zu »vergleichen«, impliziert (I.8.TA. 195), dass die Möglichkeit von Unterschieden zwischen den beiden Quellen besteht, da bei der vorausgesetzten Annahme, in jeder der Quellen identische Texte vorzufinden, ein Vergleich dieser wenig plausibel erscheint. Sowohl das angekündigte Vorlesen aus Toms Bibel als auch der Vergleich mit dem Schulbuchtext finden im Folgenden jedoch nicht mehr statt. Hinweise zu der Frage, wer die von der Lehrkraft erzählte »Moses-Geschichte« verfasst hat, wann und wie sie entstanden ist, finden sich – überwiegend implizit – (nur) in der sechsten Stunde der Unterrichtseinheit im Kontext der Thematisierung der Grausamkeit des erzählten Todes der ägyptischen Verfolger der Israeliten im Meer (s. Kap. 6.1.2.2). Hier verweist die Lehrkraft wiederholt auf die Israeliten als diejenigen, die (sich) »diese Geschichte(n)« »so« erzählt haben.938). Mit der zweimalig eingeschobenen Erklärung, dass sich die Israeliten dies in Folge der Zusage Gottes erzählen, bzw. aus der Überzeugung heraus, Gottes auserwähltes Volk zu sein, wird zudem eine Begründung für die Entste935 936 937 938

I.8.TA.262f., s. Tabelle 281 im digitalen Anhang. Siehe hierzu Fischer et al. 2008, hier S. 50. Fischer et al. 2008, S. 50f. I.6.TA.54–59, 66–67, 75 s. Tabelle 27, S. 195f.; I.6.TA.249–251, 253, s. Tabelle 28, S. 198.

Unterrichtseinheit I

229

hung des Erzählten angeführt. Dabei wird jedoch nicht geklärt, ob sich diese Hinweise zu den Erzählenden und zur Entstehung auf alle bis zu diesem Zeitpunkt gehörten und noch zu hörenden Teile der »Moses-Geschichte« beziehen oder nur auf den kurz zuvor erzählten Abschnitt. Ebenso bleibt offen, wann sich dies ereignet habe und inwiefern dieses Erzählen mit der Bibel in Zusammenhang steht. 6.1.3.3 Hinweise auf den Realitätsstatus des Erzählten

Über die gesamte Unterrichtseinheit hinweg finden sich immer wieder vereinzelte Hinweise auf den Realitätsstatus des von der Lehrkraft Erzählten bzw. darauf, wie dies aufzufassen, wie damit umzugehen ist. So impliziert die wiederholt erfolgende Benennung des Erzählten als »Geschichte«939, dass es sich – entsprechend dem allgemeinen Verständnis dieses Begriffs als Bezeichnung für erzählende Prosa – um einen fiktionalen Handlungsverlauf handele und nicht um einen historischen Tatsachenbericht. Diese Einordnung liegt auch in den Erzählabschnitten nahe, in denen die Lehrkraft überwiegend die Gegenwartsform nutzt und so ein Erzählen ohne zeitliche Verortung der Handlung in der Vergangenheit erfolgt. Auf eine Rezeption als fiktionale Erzählung deutet ebenso die Verwendung geprägter erzählerischer Formeln sowie inhaltlicher Erzählelemente hin, die den Schüler_innen auch in anderen Erzählungen begegnen. Dies ist allerdings nur vereinzelt zu beobachten ist. In der dritten und vierten Stunde der Einheit fügt die Lehrkraft mit der Formulierung »und eines Tages« eine solche Erzählformel ein.940 Ähnlich der für Märchenerzählungen charakteristischen Erzählformel »es war einmal« leitet diese Wendung in die Erzählung ein, indem sie scheinbar den Zeitpunkt des anschließenden Handlungsverlaufs markiert, dieser jedoch unbestimmt bleibt bzw. bleiben soll.941 Auch der von der Lehrkraft im Anschluss an den Erzählabschnitt des geglückten Auszug der Israeliten angefügte Kommentar, dass »jetzt […] ja alles gut sein [könnte]«,942 impliziert ein erwartetes »Happy End«, also eine positive Auflösung des im Handlungsverlauf bearbeiteten Konflikts. Die Lehrkraft verweist damit auf ein klassisches Erzählschema, welches den Schüler_innen auch von anderen Geschichten bekannt ist. In ähnlicher Weise wirken auch die Hinweise der Lehrkraft auf die Wichtigkeit einer bestimmten »Stelle in der Geschichte«943 oder dass diese »noch nicht zu Ende erzählt«944 sei. Derartige Äußerungen deuten auf ein 939 940 941 942 943 944

Siehe hierzu Tabelle 251 im digitalen Anhang. I.3.TA.193, s. Tabelle 31 S. 211–216; I.4.TA.128, s. Tabelle 265 im digitalen Anhang. Vgl. Zipfel 2014, S. 117. I.6.TA.124, s. Tabelle 275 im digitalen Anhang. I.5(a).TA.53, s. Tabelle 266 im digitalen Anhang. I.8.TA.29, s. Tabelle 279 im digitalen Anhang.

230

Die Analyse

Sprechen über eine von einem unbenannten Autor oder einer unbenannten Autorin verfasste Erzählung mit für den behandelten Konflikt entscheidenden Schlüsselstellen, mit Einleitung, Höhepunkt und Schluss hin und nicht auf das Berichten historischer Fakten. Mit dem Erzählen über die »Magier« des Pharaos wird eine Personen- bzw. Figurengruppe angesprochen, welche den Schüler_innen mit großer Wahrscheinlichkeit nur aus dem Bereich der fiktionalen Kinder- und Jugendliteratur bzw. deren Verfilmungen bekannt sein dürfte. Damit wird ebenfalls ein Hinweis auf eine entsprechende Art von Geschichte gegeben (»die Magier des Pharaos schaffen es nach ein paar Tagen, das Blut wieder aus den Seen und Bächen zu bekommen«945, »und die Magier schafften es tatsächlich wieder diese Plage abzuwenden«946, »wenn die Magier des Pharaos bislang alle Plagen noch wieder zum Guten wenden konnten«947, »dagegen konnten die Magier nämlich nichts mehr machen«948, »er kann mehr als die Magier des Königs«949). Neben diesen auf die Fiktionalität des Erzählten hinweisenden Elementen, gibt es ebenso Äußerungen der Lehrkraft, die auf den Bericht von realen, historischen Ereignissen schließen lassen. Hierzu gehört die Verwendung der Temporaladverbien »damals« und »früher«950. Die Lehrkraft situiert durch die Nutzung dieser innerhalb ihres Erzählens und Erklärens das jeweilige Geschehen in der Vergangenheit, d. h. sie bezieht sich auf die entsprechenden zeitgeschichtlichen Bedingungen. Einen spezifischen Zeitpunkt oder Zeitraum, auf den sich »damals« bezieht, nennt sie explizit nur in der ersten Stunde, als sie in ihren Erläuterungen zur Rolle der Sklaven beim Bau der ägyptischen Pyramiden ergänzt, dass es Sklaven auch noch später gegeben habe, sie aber »ja von der Zeit der Pharaonen« sprächen (I.1.TA.554). I.1.TA. 552 553

Lehrkraft I:

554 555 Tabelle 37: I.1.TA.552–555

(-) die waren eigentum (- -) und da konnte der pharao mit machen was er wollte (- -) das gab es später immernoch (- -) ne? aber wir sprechen ja von der zeit der pharaonen (- - -) so und jetzt hatte der pharao eine SUper idee

Eine implizite Zeitangabe erfolgt außerdem in der zweiten Stunde im Kontext der Erzählung zum Auftrag des Pharaos, alle männlichen israelitischen Neu945 946 947 948 949 950

I.5(a).TA.220f., s. Tabelle 267 im digitalen Anhang. I.5(a).TA.241, s. Tabelle 267 im digitalen Anhang. I.5(a).TA.391f., s. Tabelle 269 im digitalen Anhang. I.6.TA.26, s. Tabelle 274 im digitalen Anhang. I.6.TA.71, s. Tabelle 27, S. 195f. Siehe hierzu Tabelle 252 im digitalen Anhang.

231

Unterrichtseinheit I

geborenen zu töten. Dabei weist die Lehrkraft darauf hin, dass »in dieser Zeit« ein Kind geboren werde (vgl. I.2(a).TA.256–259). I.2(a).TA. 256 257

Lehrkraft I:

258 259 Tabelle 38: I.2(a).TA.256–259

(2.7) vielleicht können sich EInige vorstellen was das für eine große not war für die familien (3.7) in dieser zeit (2.0) wird ein kind geboren (1.7) und es ist ein junge

In den nachfolgenden Stunden erfolgt keine weitere, spezifischere zeitliche Einordnung bzw. nähere Bestimmung des Zeitpunktes oder -raumes, auf welchen sich mit dem Adverb »damals« bezogen wird. Der überwiegende Teil dieser temporalen Verweise findet sich in Erläuterungen zu zeitgeschichtlichen Gegebenheiten, welche zwar im Kontext der Erzählung erfolgen, jedoch nicht explizit auf diese bzw. ihre Akteure bezogen sind. Damit können sie auch als Informationen über die Zeit, in der die Geschichte spielt, aufgefasst werden und nicht als konkrete historische Verortung der Handlung (z. B. »die Menschen hatten damals keine Maschinen«951, »damals haben die keine Wasserwaage genommen«952). Es gibt jedoch auch einige Szenen, in denen sich »damals« direkt auf den Erzählinhalt bezieht. I.2(a).TA. 174 175

Lehrkraft I:

[(- - -) ich glaube ich glaube ihr lacht jetzt nur aus einer not heraus] dass ne? weil ihr das glaub ich gar nicht versteht was damals passiert ist

Tabelle 39: I.2(a).TA.174f.

Indem die Lehrkraft in ihrer Reaktion auf das Herumalbern einiger Schüler _innen beim Erzählen von dem Beschluss des Pharaos, alle männlichen Neugeborenen der Israeliten töten zu lassen, ermahnend darauf hinweist, dass diese nur lachen würden, weil sie nicht verstünden, »was damals passiert« sei, werden die zuvor erzählten Ereignisse als historisch markiert. I.2(a).TA. 286 287

Ole: Lehrkraft I:

(2.2) sie ((die Mutter Moses)) zieht ihn wie ein mädchen an sch::::

288 289

Mira: Lehrkraft I:

sch::::: ist eine eine idee ole du hast völlig recht ist eine idee

951 I.1.TA.493, s. Tabelle 258 im digitalen Anhang. 952 I.1.TA.689, s. Tabelle 260 im digitalen Anhang.

232

Die Analyse

(Fortsetzung) 290

(1.2) aber ich kann dir sagen damals wurde genau nachgeguckt

291 292 Tabelle 40: I.2(a).TA.286–292

ob es ein mädchen oder ein junge ist wenn ein baby geboren war

etwas durften damals nu:r die MÄNner

I.3.TA. 97 98

Lehrkraft I:

99 100 101 102

Ole: Lehrkraft I:

103 104

Lehrkraft I: Lasse:

hm_hm’ weil die frauen zu hause bleiben mussten um sich um die kinder zu kümmern

105 106

Lehrkraft I:

((leise)) hm_hm’ ja (1.1) ne? männer konnten mit waffen umgehen

[(1.2) tragen]

Lasse:

107

[(1.1) hm’ ((streckt arm in die luft))] (-) ((leise)) in der hand haben (- -) lasse waffen (- -) weil damals durften nur die MÄNner in den krieg ziehn

(1.2) und der pharao hatte einfach angst dass die zu mächtig wurden

Tabelle 41: I.3.TA.97–107

I.3.TA. 383

Lehrkraft

384 385 Tabelle 42: I.3.TA.383–385

von der mutter hören wir nichts mehr vielleicht ist die schon gestorben (- -) weil er ja schon erwachsen ist [ damals lebten die menschen nicht so lange]

Lehrkraft I:

da waren noch äh so so so wasserblasen

184 185

Tom:

hatten die da mit (.) wasserbehälter (- -) achso

186 187

Lehrkraft I: Jonas:

[die man damals mitgenommen hat] [(- -) hä:? (-)]

I.7.TA. 183

188 Lehrkraft I: 189 Tabelle 43: I.7.TA.183–189

(1.3) erinnerst du dich nicht mehr? (- -) als die israeliten nach äh ägypten zogen’

233

Unterrichtseinheit I

I.8.TA. 21

Lehrkraft I:

ich glaube die israeliten das waren damals GANZ schön VIEle (.) und wenn man SO ÄRGerlich ist (-) dann hält man meistens nicht seinen mund

22 23 24 Tabelle 44: I.8.TA.21–24

dann schreit man seine wut raus

Auch mit Hinweisen – wie den an Ole gerichteten –, dass »damals […] genau nachgeguckt wurde«, um alle männlichen israelitischen Neugeborenen ausfindig zu machen (I.2(a).TA.290), mit der Erklärung, dass der Pharao gerade die männlichen Neugeborenen töten ließ, weil »damals nur die Männer« mit Waffen umgehen konnten und der Pharao die wachsende Zahl der Israeliten daher als Bedrohung empfand (I.3.TA.97–107), oder mit der Einschätzung, dass »das […] damals ganz schön viele« Israeliten waren (I.8.TA.21), erfolgt seitens der Lehrkraft eine historische Verortung des Erzählten. Eine ähnliche Wirkung wie diese Nutzung des Temporaladverbs »damals« erzeugt auch die Verwendung des Temporaladverbs »heute« während des Erzählens und Erklärens der Lehrkraft. Indem sie hervorhebt, wie es »heute« sei (I.1.TA.412, 416; I.2(a).TA.156; I.3.TA.85), impliziert sie einen Vergleich mit einem (nicht explizit genannten) »damals« als Referenzpunkt. I.1.TA. 409

Lehrkraft I:

(- - -) und die ägy/ die israeliten in ägypten werden immer ei/

410 411

(- -) immer größer (2.6) das volk wird immer MEHR

412

(2.77) und ihr kennt das auch heute ist ganz oft hier in deutschland die diskussion »oh so viele ausländer hier die werden zu mächtig

413

(hier) dürfen nicht so viele hinkommen« und vielleicht haben das die ägypter der pharao vielleicht auch so empfunden

414 415 416 Tabelle 45: I.1.TA.409–416

wie wir wie heute viele menschen das auch sagen

I.2(a).TA. 151 152

Lehrkraft I:

DESwegen (- -) jonas und ole (- -) deswegen durften die mädchen weiterleben [(- -) denn das waren billige haussklaven]

153 154

Christoph: Lehrkraft I:

[(- -) ((zu Charleen und Frieda)) oah::: ] (- - -) ne? die die arbeit machten damit die ägypter das nicht selber machen mussten

234

Die Analyse

(Fortsetzung) (- -) und männer (-) (so) dachten sie sind viel stärker als frauen

155 156 157

Jonas:

(.) heute sehen wir das anders frauen sind auch stark ((grölend)) ö::y

158 159

Ole: Jan:

ey! nein männer sind stärker

160

Lehrkraft I:

161

ist so (- -) damals wurde das eben so angesehen dass frauen eben im haushalt sind sich um die kinder kümmern

162 163

(- -) und männer kriege führen durften– (-) stark waren mit waffen umgehen durften

164 Tabelle 46: I.2(a).TA.151–164 I.3.TA.85 86

Lehrkraft I:

87

[das durften frauen damals nicht]

das hören wir heute in der politik auch immer wieder alle menschen die unterdrückt werden IRgendwann wenn es zu schwierig wird dann wehrt man sich

Tabelle 47: I.3.TA.85–87

So wie die Temporaladverbien erfüllt auch das Tempus, in dem die Lehrkraft erzählt, eine sogenannte »zeitliche Einordnungsfunktion«953. In den Phasen, in denen die Lehrkraft in den Zeitformen der Vergangenheit erzählt, findet damit eine Verortung des Gehörten in eben dieser statt, was implizit – zusammen mit den übrigen in diesem Abschnitt erläuterten Faktoren – die Wahrnehmung des Erzählten als Bericht über Ereignisse stützt, welche tatsächlich in der Vergangenheit passiert sind. Hierzu sind auch die Hinweise bzw. Ermahnungen der Lehrkraft zu zählen, das Erzählte ernst zu nehmen. I.1.TA. 747 748 749

Lehrkraft I:

und sie haben geBEtet und haben vielleicht auch geSUngen (3.12) und das lied dass sie gesungen haben könnte vielleicht heißen (2.0) »gib uns freiheit jeden tag lass uns nicht allein

750 751

lass für frieden uns und freiheit immer tätig sein (.) denn durch dich unsern gott denn durch dich unsern gott

752

[sind wir frei in jedem land lass uns nicht allein«]

953 Vgl. Dudenredaktion 2016, S. 507.

235

Unterrichtseinheit I

(Fortsetzung) 753

Noah:

754 Lehrkraft I: Tabelle 48: I.1.TA.747–754

I.2(a).TA. 174 175

Lehrkraft I:

[((schlägt mit einem Papierstreifen wie mit einer Peitsche auf den Arm seines Sitznachbar Tim))] (.) noah (-) ich glaub das thema ist ernst genug

[(- - -) ich glaube ich glaube ihr lacht jetzt nur aus einer not heraus] dass ne? weil ihr das glaub ich gar nicht versteht was damals passiert ist

Tabelle 49: I.2(a).TA.174f.

I.2(a).TA. 180 181

Lehrkraft I:

ja was dann? (- -) was glaubt ihr wie sie sich gefühlt haben was was ist denn da?

182

Ole

183

Lehrkraft I:

((macht eine Geste als würde er sich die Kehle durchschneide und bricht zusammen)) mach jetzt bitte keine witze darüber das war nicht witzig

Tabelle 50: I.2(a).TA.180–183

Indem die Lehrkraft auf die Ernsthaftigkeit des »Thema[s]« (I.1.TA.754) und die Ernsthaftigkeit dessen, »was damals passiert ist« bzw. was »war«, hinweist (I.2(a).TA.175; I.2(a).183), impliziert sie ein reales und deswegen ernstzunehmendes Leid der Personen, von denen sie erzählt.954 Ein letztes hier aufzuführendes Element des Erzählens und Erklärens der Lehrkraft, welches auf die Historizität der erzählten Ereignisse hindeutet, sind die beiden Abbildungen von ägyptischen Grabmalereien, die in der ersten Stunde von der Lehrkraft gezeigt werden.955 I.1.TA. 602

Lehrkraft I:

603 604 605 Tabelle 51: I.1.TA.602–605

das sind nicht einzelne blätter die da rundherum verziert sind sondern so haben die ägypter damals gemalt das ist nämlich wirklich ein altes bild (- -) das sind (-) BÄUme (-) und hier ist ein großer/ ein großes wasserbecken (dort) mussten sie erstmal wasser schöpfen

954 Siehe hierzu auch Kap. 6.1.1.2, S. 170. 955 Siehe hierzu auch Kap. 6.1.1.2.

236 I.6.TA. 85

Die Analyse

Lehrkraft I:

(- -) un die israeliten machten sich auf den weg (- -) ihr müsst euch das so vorstellen das ist ein großes volk (1.2) und dazu gehören (-) alte männer (.) alte frauen

86 87 88 89

(- -) ne? die eltern die kinder (- - -) die tiere die sie hatten alles musste mitgenommen werden

90 91

das war ein großer tross (- -) und sie hatten natürlich KEine autos (.) und KEIne wagen

92

(- -) erinnert euch an das bild dass ich euch am anfang gezeigt hatte mit den israeliten?

93

(- - -) mit den äh:: israeliten die nach ägypten kommen erinnert ihr euch?

94 Tabelle 52: I.6.TA.85–94

I.7.TA. 182

Lehrkraft I:

ja (.) und erinnert euch an dieses bild was ich euch ganz am anfang gezeigt hab da waren noch äh so so so wasserblasen hatten die da mit (.) wasserbehälter

183 184 185 186

Tom Lehrkraft I:

(- -) achso [die man damals mitgenommen hat]

187 188

Jonas Lehrkraft I:

[(- -) hä:? (-)] (1.3) erinnerst du dich nicht mehr?

189 Tabelle 53: I.7.TA.182–189

(- -) als die israeliten nach äh ägypten zogen’

Durch die zunächst implizite und im weiteren Verlauf der Einheit auch explizite Gleichsetzung der abgebildeten Personen mit den Israeliten (I.6.TA.92–94; I.7.TA.182–189) sowie der ebenfalls während der Besprechung der zweiten Abbildung stattfindenden Versicherung, dass dies »wirklich ein altes Bild« sei, und »die Ägypter damals« »so« gemalt hätten, wird der Schluss nahegelegt, dass es sich hier um historische Belege des Erzählten handelt. Innerhalb der Unterrichtsgespräche lässt sich eine weitere Gruppe von Hinweisen auf den Realitätsstatus des Erzählten beobachten, welche ebenfalls die Existenz der erzählten Ereignisse in der Vergangenheit andeuten, jedoch dabei Ungewissheit über die genauen Umstände bzw. Abläufe suggerieren. Neben solchen Äußerungen der Lehrkraft, welche die Gewissheit des Erzählten bekräftigen (»aber ich kann dir sagen, damals wurde genau nachgeguckt, ob es ein

237

Unterrichtseinheit I

Mädchen oder ein Junge ist, wenn ein Baby geboren war«956, »die Israeliten […] hatten alles gepackt, was sie packen mussten, und in dieser Nacht passierte es wirklich«957), gibt es eine ganze Reihe von Äußerungen über das Erzählte bzw. während des Erzählens, welche diese Gewissheit relativieren. Besonders häufig erfolgt diese Abschwächung der Sicherheit der Aussagen über die als in der Vergangenheit geschehen markierten Ereignisse mithilfe des Adverbs »vielleicht«(I.2(a).TA.362, 264, 367; I.3.TA.383; I.1.5(a).TA.183; I.1.5(b).TA.182; I.1.6.TA.96, I.7.TA.292, 297; I.8.TA.129)958. I.2(a).TA. 360 361

Lehrkraft I:

(3.0) ja find ich sehr schön was du gesagt hast (-) was ihr da sagt auch kann ich alles gut nachvollziehen

362 363

(3.6) vielleicht war es so lasse (1.2) dass sie mitgefühl hatte

364

(-) ne? vielleicht hat sie auch erkannt dass es ein hebräisches kind ein israelitisches kind ist

365 366 367

und sie hat (.) auch gesehen dass es ein junge ist (- -) und vielleicht war es dieses mitgefühl (- -) dass sie sagte

368 369 Tabelle 54: I.2(a).TA.360–369

I.3.TA. 383

Lehrkraft I:

384 385 Tabelle 55: I.3.TA.383–385

I.5(a).TA. 181 182

(-) »ich möchte gerne diesen jungen behalten« (1.4) und das sagt sie nämlich

von der mutter hören wir nichts mehr vielleicht ist die schon gestorben (- -) weil er ja schon erwachsen ist [ damals lebten die menschen nicht so lange]

Lehrkraft I:

(1.1) ole (- - -) was würdest du sagen als pharao?

Ole:

(1.3) ((schreit)) »TÖtet IHN«

183 Lehrkraft I: Tabelle 56: I.5(a).TA.181–183

[((4.3)) vielleicht hat er auch was anderes gesagt]

956 I.2(a).TA.290–292, s. Tabelle 40, S. 231f. 957 I.5(a).TA.381, s. Tabelle 270 im digitalen Anhang. 958 Siehe hierzu Tabelle 253 im digitalen Anhang.

238 I.5(b).TA. 181

Die Analyse

Lehrkraft I:

182

[ (- -) und (- - -)] (- -) das lag daran weil der pharao ihn vielleicht nicht erkannt hat weil der pharao sich ÜBERschätzt hat

183 184

weil der pharao wie du sagst nicht nachgegeben hat (3.31)

Tabelle 57: I.5(b).TA.181–184 I.6.TA. 96

Lehrkraft I:

zu FUß einige saßen vielleicht auf einem esel

97 98

Lasse: Lehrkraft I:

(- - -) das waren aber nur die kinder (- -) richtig

99 100 Tabelle 58: I.6.TA.96–100 I.7.TA. 290 291

Lehrkraft I:

(- - -) und sie machten sich auf den weg (- - -) zurück in ihre HEImat

(- -) aber so eine oase ist ja nicht sehr groß (-) und das große volk der israeliten die wollen ja auch satt werden

292

(- - -) ne? vielleicht haben sie mal irgendwo ne rast eingelegt bei/in der nähe einer oase

293 294 295

Ole:

und haben alle proviante aufgefüllt (2.5) ne? (- -) aber da kann man nicht alles auffüllen

296 297

Lehrkraft I:

(- - -) zum beispiel keine TIEre (- -) vielleicht haben sie eben getausch unterwegs

298 299

vielleicht hat sie/haben sie karawanen getroffen (1.2) und sie haben tiere gekauft

300 Tabelle 59: I.7.TA.290–300

(1.4) aber jetzt müsst ihr EInes bedenken

I.7.TA. 388 389 390

Jan:

»ich hasse dich moses«

Lasse: Tom:

(- -) na: ein bisschen hart ja

391

Lehrkraft I:

das werden sie vielleicht SO nicht gesagt haben aber vielleicht (.) ne? trifft es das schon– (- -) ne?

392

239

Unterrichtseinheit I

(Fortsetzung) 393 Tabelle 60: I.7.TA.388–393 I.8.TA. 127 128

Lehrkraft I:

[»jetzt sitzen wir hier« ne?]

das finden vielleicht einige nicht so SCHÖN was das ist Aber (.)

129 130

vielleicht ist es das gewesen (- -) in der wüste gibt es manchmal auch so sträucher so dornensträucher

Tabelle 61: I.8.TA.127–130

Aber auch in den folgenden drei Szenen wird durch die verwendete Vergangenheitsform bzw. das Temporaladverb »damals« eine sich in der Vergangenheit ereignete Handlung angedeutet, durch die vorangestellten Formulierungen »ich kann mir gut vorstellen«, »ich weiß nicht«, »ich glaube« aber eine gewisse Unsicherheit bzw. Einschränkung einer absoluten Gewissheit über die genauen Abläufe ausgedrückt. Während bei der Relativierung der Gewissheit mithilfe des Adverbs »vielleicht« offen bleibt, ob nur die Lehrkraft oder ob man im Allgemeinen nichts Genaueres über die jeweiligen Handlungsdetails weiß, markiert die Lehrkraft hier ihre persönliche Einschätzung (»ich kann«, »ich weiß«, »ich glaube«). I.3.TA. 88 89

Lehrkraft I:

(- - -) ne? ich kann mir gut vorstellen dass der pharao genau das gedacht hat

90 Tabelle 62: I.3.TA.88–90 I.4.TA. 241

(- -) und lukas das hast du gut erkannt

Lehrkraft I:

(- - -) ne? nich dass die irgendwann (- -) sich wehren

[ja] aber du meinst für hinterher (.) wenn er gestorben ist (1.2) hm ich weiß nicht ob die an einen TEUfel gedacht haben

242 243 Tabelle 63: I.4.TA.241–243 I.8.TA. 21 22

Lehrkraft I:

ich glaube die israeliten das waren damals GANZ schön VIEle (.) und wenn man SO ÄRGerlich ist

240

Die Analyse

(Fortsetzung) (-) dann hält man meistens nicht seinen mund

23 24 Tabelle 64: I.8.TA.21–24

dann schreit man seine wut raus

Sowohl die Einschränkung der Gewissheit über den genauen Ablauf oder einzelne Aspekte der erzählten Ereignisse durch das Adverb »vielleicht« als auch durch die Markierung der persönlichen Unsicherheit der Lehrkraft deuten auf das Sprechen über tatsächliche Begebenheiten hin, denn solche die Gewissheit relativierenden Äußerungen sind beim Erzählen einer fiktionalen Geschichte ungewöhnlich. Explizit und in Form einer längeren Thematisierung, werden die Fragen, worum es sich bei dem Erzählten handele, wie es zu verstehen bzw. wie damit umzugehen sei, nur im Anschluss an die Erzählung der zehn Plagen und die Rettung der Israeliten am Meer seitens der Lehrkraft angesprochen (s. Kap. 6.1.2.1, 6.1.2.2). Wie oben dargelegt beinhalten diese Erklärungen der Lehrkraft sowohl Hinweise darauf, dass es sich um eine (»nur«) metaphorisch zu verstehende Geschichte handele (»nicht wörtlich«959, »nur eine Erklärung«960, »nicht so wörtlich«961, »das soll uns diese Geschichte erklären«962, »diese Geschichten wollen uns immer etwas erklären«963), als auch auf eine Erzählung von Ereignissen, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit abgespielt haben, deren Genauigkeit hinsichtlich einzelner Aspekte aber – aufgrund fehlender Augenzeugen sowie der subjektiven Erzählperspektive der Israeliten – nicht garantiert werden könne (»dass die so genau passiert sind«964, »keiner von uns war dabei«965, »und der Pharao wollte hier nicht nachgeben und dann haben die Israeliten erzählt«966). Neben diesen Hinweisen zur Rezeption des Gehörten, welche innerhalb der Incidents »nicht wörtlich nehmen« und »Erzählung« gegeben werden, gibt es noch zwei weitere kurze Szenen in der Unterrichtseinheit, in denen die Lehrkraft sich explizit zum »richtigen« Verständnis der biblischen Geschichte äußert. Die erste Szene ereignet sich in der fünften Stunde der Einheit im Rahmen der Erzählung von Moses Aufbruch zurück nach Ägypten. 959 960 961 962 963 964 965 966

I.6.TA.52, s. Tabelle 25, S. 187. I.5(b).TA.147, s. Tabelle 24, S. 184f. I.5(b).TA.125, s. Tabelle 24, S. 184f. I.5(b).TA.146, s. Tabelle 24, S. 184f. I.6.TA.53, s. Tabelle 25, S. 187. I.6.TA.53, s. Tabelle 25, S. 187. I.5(b).TA.128, s. Tabelle 24, S. 184f. I.6.TA.65f., s. Tabelle 27, S. 195f.

241

Unterrichtseinheit I

I.5(a).TA. 169

Lehrkraft I:

(- -) gott schickt ihm noch (-) aaron mit–

170 171

(1.3) in der bibel steht immer aaron ist sein BRUder aber man muss wissen damals (.) brüder waren alle die im glauben brüder waren

172

ne? wir wissen also nicht ob das ein verwandter ist von ihm (- -) ne? aber er schickt ihm noch einen boten mit (-) das ist aaron

173 174 175 Tabelle 65: I.5(a).TA.169–175

(-) und sie machen sich auf den weg (.) nach ägypten (- - -) gehen zum pharao

Die Lehrkraft unterbricht ihr Erzählen und fügt eine Erklärung dazu ein, wie mit der Information aus der Bibel umzugehen sei, dass Aaron dort als Moses Bruder bezeichnet wird. Dabei ähnelt die Formulierung »in der Bibel steht immer« (I.5(a).TA.170) der im weiteren Verlauf der Stunde von ihr angeregten Überlegung »wie steht immer was in der Bibel«967. Da in der Unterrichtseinheit bis zu diesem Zeitpunkt die Bibel als Quelle des Erzählten nicht explizit genannt wurde, geht aus dem nun erfolgenden Verweis auf diese nicht eindeutig hervor, ob sich die Quellenangabe nur auf die Information zu Aaron oder auf alles bezieht, was die Lehrkraft bisher erzählt hat. Mit der adversativen Konjunktion »aber« markiert sie einen Widerspruch, und mit der anschließenden Formulierung »man muss wissen«, signalisiert sie, dass es sich bei der nun folgenden Erläuterung um eine zwingende (»muss«) Voraussetzung für den Umgang mit dieser Information der Bibel handele (I.5(a).TA.171). Mit dem Temporaladverb »damals« und der Nutzung des Präteritums verortet die Lehrkraft den Sachverhalt der »Brüderschaft im Glauben« zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit, während sie davor und danach im Präsens spricht (»ob das ein Verwandter ist« (I.5(a).TA.172); »Gott schickt« (I.5(a).TA.173); »sie machen sich auf den weg« (I.5(a).TA.174)). Ob mit »damals« der Zeitpunkt des Aufbruchs Moses nach Ägypten bezeichnet wird oder der Zeitpunkt, zu dem dies »in der Bibel« aufgeschrieben bzw. der Begriff »Brüder« in dieser Bedeutung verwendet wurde, bleibt offen. Als Fazit schließt die Lehrkraft für die Anwesenden (»wir«), dass nicht eindeutig gesagt werden könne, ob es sich bei Aaron um einen Bruder Moses im verwandtschaftlichen oder im übertragenen Sinne handele. I.7.TA. 300

Lehrkraft I:

(1.4) aber jetzt müsst ihr EInes bedenken

967 I.5(b).TA.68, s. Tabelle 20, S. 177.

242

Die Analyse

(Fortsetzung) 301

(-) in der BIbel steht das volk der israeliten ist LANGe zeit in der wüste

302

(1.3) in der bibel sind immer so JAHreszahlen angegeben die sollen uns etwas sagen

303 304 305 306 307

Jacqueline: Lehrkraft I:

308 309 310 311 312 313 Tabelle 66: I.7.TA.300–313

(- - -) und wenn in der BIbel steht (- - -) das volk der israeliten ist VIERzig JAHre in der wüste (-) WA:s!? (- -) dann (.) können wir nicht (.) wissen (1.8) dass es jetzt vierzig jahre sind so wie wir vierzig jahre kennen vierzig jahre steht für eine lange lange zeit die sie durch die wüste gehen das kann man sich ja VORstellen (.) wenn man zu FUß eine wüste durchqueren muss dann schafft man das nicht in zwei drei tagen [(-) da ist man eine LAnge LAnge zeit unterwegs]

Eine letzte Szene, in welcher die Lehrkraft explizit darauf eingeht, wie mit dem, was in der Bibel steht, umzugehen sei, ereignet sich während des Erzählens über den Zug der Israeliten durch die Wüste. Vom vorangegangenen Erzählen durch eine kurze Pause und die einen Gegensatz bzw. Einspruch ausdrückende Konjunktion »aber« abgegrenzt spricht die Lehrkraft die Notwendigkeit (»müsst«) der Beachtung einer ergänzenden Information an (I.7.TA.300). Sie beginnt ihre Erklärung mit dem Hinweis, dass in der Bibel stehe, dass »das Volk der Israeliten […] lange Zeit in der Wüste« sei, sowie, dass in dieser »immer so Jahreszahlen angegeben« seien (I.7.TA.301f.). Wie bereits bei vorherigen Verweisen auf den Inhalt der Bibel968 ergänzt sie das Adverb »immer« und impliziert damit etwas sich häufig Wiederholendes oder Gleichbleibendes. Mit der vorangestellten Partikel »so« wird suggeriert, dass es sich bei dem in der Bibel Angegebenen um eine bestimmte Art von »Jahreszahlen« handele. Aufgrund der passivischen Formulierung bleibt offen, von wem diese angegeben wurden bzw. werden (»sind […] angegeben«). Die Lehrkraft spezifiziert die Art der Jahreszahlen, indem sie erklärt, dass diese die Bestimmung hätten (»die sollen«), den Anwesenden (»uns«) etwas mitzuteilen (»etwas sagen«) (I.7.TA.303). Diese Erklärung ergänzt die Lehrkraft nun mit einem konkreten Beispiel, indem sie – ähnlich einer 968 I.5(b).TA.68, s. Tabelle 20, S. 177; I.6.TA.53, s. Tabelle 25, S. 187.

243

Unterrichtseinheit I

Hypothese (»und wenn […] dann«) – erklärt, dass »wenn in der Bibel steht, das Volk der Israeliten ist vierzig Jahre in der Wüste« (I.7.TA.304f.), die Anwesenden (»wir«) nicht davon ausgehen könnten (»dann können wir nicht wissen«), dass es sich um vierzig Jahre nach dem den Anwesenden bekannten Verständnis handele (»so wie wir vierzig jahre kennen«), sondern dass diese Angabe für eine »lange, lange Zeit« stünde (I.7.TA.307–309). Mit dem anschließenden Hinweis, dass diese Dauer in Anbetracht einer Durchquerung einer Wüste zu Fuß nachvollziehbar sei (»kann man sich ja vorstellen«), bestärkt sie die Plausibilität dieser Deutung bzw. Aussageabsicht der Jahreszahl(en) (I.7.TA.310). Ähnlich der Aussage der Lehrkraft »DAS soll uns diese Geschichte erklären, es geht gar nicht darum um den Tod der ältesten Söhne das ist nur eine Erklärung«969 während der Bearbeitung der Frage, ob das zuvor Gehörte wörtlich genommen werden müsse, wird auch in dieser Erklärung der Lehrkraft ein metaphorischer Wert des biblischen Textes – zumindest in Bezug auf die angegebenen Jahreszahlen – angedeutet. 6.1.3.4 Fragen und Äußerungen der Schüler_innen zu dem Erzählten

Über den gesamten Verlauf der Unterrichtseinheit hinweg gibt es fünf Szenen, in denen die Schüler_innen das von der Lehrkraft Erzählte explizit oder implizit befragen. I.2(a).TA. 79 80

Lehrkraft I:

jetzt kommt die dritte strophe

Dennis:

ich hab noch ne frage

81 82

Lehrkraft I: Dennis:

hm_hm’ durften die israeliten ähm (-) überHAUPT mal schlafen

83

Lehrkraft I:

84

Jan:

ja sicher die mussten ja schlafen sonst hätten sie gar nicht arbeiten können hm’m`hm’

85 Lehrkraft I: 86 Tabelle 67: I.2(a).TA.79–86 I.2(a).TA. 198 199 200

(- -) ne? (2.7) ((beginnt zu singen)) gib uns freude…

Jan:

aber wie

Lehrkraft I:

[kriegen die ein baby? ] [es ist ein junge–]

969 I.5(b).TA.146f., s. Tabelle 24, S. 184f.

244

Die Analyse

(Fortsetzung) 201

Jan:

[die männer sind ja weg]

202 203

Lehrkraft I: Christoph:

[ [und] es ist] ((kichert))

204

Lehrkraft I:

die männer sind auch mal zuHAUse haben wir grad schonMAL gesagt

Tabelle 68: I.2(a).TA.198–204

I.7.TA. 70

Lehrkraft I:

71 72

ne? (2.0) moses war der BOte (- - -) ne? moses sollte seinen arm ausstrecken ((streckt dabei den rechten arm nach vorn))

73 74

Noah:

das darf man nicht [machen]

75 76

Lehrkraft I:

[und dann] hat der hat das meer sich geteilt und die ägypter äh und die israeliten konnten durchziehen und die isra/die ägypter hinterher– (-) aber als die israeliten schon auf der anderen seite waren

77 78 79 80

Jonas: Lehrkraft I:

81

(-) da sagte gott wieder zu moses jetzt streck wieder deinen arm rüber (-) und dann schloss sich das meer wieder

82 […] 97 98 99

macht es schwupp hatten die ägypter sie natürlich ni/ noch nicht eingeholt

Dennis: Lehrkraft I: Dennis:

[…] ich hab noch was zum text (-) hm’ (-) hier steht aber ((deutet auf sein Arbeitsblatt)) »nimm deinen stab und halte ihn über das meer«

100 101

Lasse:

(-) das hab ich [auch gesehen]

102 103

Lehrkraft I:

[dein STOCK dein STAB] ne? (.) weil du must da ja schon die hand ausstrecken ne?

Tabelle 69: I.7.TA.70–82, 97–103

245

Unterrichtseinheit I

I.8.TA. 39

Lehrkraft I:

hm_hm’ was könnte das denn SEIN? (-) mira

40 41

Mira: Lehrkraft I:

fleisch (1.3) hm_hm’

42 43

(1.2) meinst du so ein gebratenes kottlett was da so runterfällt?

44 45

Lasse: mehrere SuS:

ja::: ((kichern))

46 47

Lehrkraft I: Mira:

oder wie meinst du das? (- -) ähm so äh: (2.9) nein so RICHtiges fleisch ((leiser)) mein ich

48

Lehrkraft I:

(5.2) ((leiser)) du hast gar nicht dumm gedacht mira du bist auf dem richtigen weg (3.3) äh: marie

50 51

Marie: Lehrkraft I:

(-) brot (.) BROt fällt vom himmel (.) hm`_hm’

52 53

Jan: Lehrkraft I:

das geht gar nicht das geht gar nicht sagt jan

54 55

Christoph: Lehrkraft I:

(- -) und warum geht es dann bei fleisch? (- - -) warum geht das bei fleisch warum gehts nicht bei brot?

49

56 57 58 Tabelle 70: I.8.TA.39–58

I.8.TA. 122 123

(2.0) brot das vom himmel fällt (.) ist eine tolle idee ne? (2.5) marie? auch DU bist auf dem richtigen weg (1.7) ich erklärs gleich noch mal genauer

Noah:

(-) kann man das manna selber machen?

Lehrkraft I:

nein (.) das kann man nicht selber machen jetzt ist die frage

124 125 Tabelle 71: I.8.TA.122–125

was IST denn dieses manna was SIND das denn für kügelchen? (1.3) da gibt es ganz unterschiedliche erKLÄrungen

Bei keiner von diesen Äußerungen der Schüler_innen handelt es sich um explizite Fragen danach, ob das Erzählte sich tatsächlich zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit abgespielt habe. Auslöser sind jedoch in allen Fällen Überlegungen zu den genauen Umständen der gehörten Ereignisse (»Durften die Israeliten überhaupt mal schlafen« (I.2(a).TA.82), »Kann man das

246

Die Analyse

Manna selber machen?« (I.8.TA.122)) bzw. zu einer von einem Schüler wahrgenommenen Diskrepanz zwischen einzelnen Teilen des von der Lehrkraft Erzählten oder des zuvor gemeinsam Besprochenen (»Aber wie kriegen die ein Baby? Die Männer sind ja weg« (I.2(a).TA.199, 201); »Hier steht aber ›Nimm deinen Stab und halte ihn über das Meer‹« (I.7.TA.97,99), »Und warum geht das dann bei Fleisch?« (I.8.TA.54)). Nur ein Schüler stellt die seitens der Lehrkraft validierte Vermutung über die Art der Versorgung der Israeliten durch Gott in der Wüste (»Brot fällt vom Himmel hm`_hm’« (I.8.TA.51) explizit in Frage und konstatiert, dass dies gar nicht ginge (vgl. I.8.TA.52). In dieser Äußerung dokumentiert sich ein Messen des Besprochenen an den dem Schüler bekannten physikalischen Gesetzmäßigkeiten bzw. an einer bestimmten Realitätsvorstellung. Nach der von der Lehrkraft im Kontext dieser Infragestellung angekündigten genaueren Erklärung erfolgt jedoch kein weiteres Nachfragen oder eine erneute explizite Ablehnung des Manna als das Brot, »das vom Himmel fällt«.970 Neben den Beiträgen der Schüler_innen, welche als Reaktion auf eine Frage der Lehrkraft zu dem von ihr Erzählten erfolgen, gibt es nur wenig unaufgeforderte bzw. thematisch nicht von der Lehrkraft gesteuerte Wortmeldungen ihrerseits. Der überwiegende Teil dieser Wortmeldungen bezieht sich auf die Vertrautheit der Schüler_innen mit der »Geschichte«. I.2(b).TA. 5 6

Dennis:

hören (- -) wie es mit moses weitergeht als er erwachsen ist ohja!

7 8

Mira: Dennis:

ja ich weiß es schon! ich nicht!

9

Lehrkraft I:

10

Lehrkraft I:

[äh ich möchte erstmal dass ihr eure mappen wegpackt] [((rufen durcheinander, räumen ihre Sachen weg, einige schreiben noch))]

11 12

Tom Lehrkraft I:

[die kommen zum brennenden busch] [aufräumen und rausgehen]

13 14

Dennis Noah

[hört sich sehr interessant an (-) also/] was ist unsere hausaufgabe

15 16

Lasse Lehrkraft I:

fertig machen das di:::ng das arbeitsblatt fertig machen

17

mehrere SuS:

18

Mira

((rufen durcheinander ; laufen durch und aus dem Klassenraum)) Frau ((Name der Lehrkraft)) ich weiß es schon

Lehrkraft I:

970 I.8.TA.59–158, s. Tabelle 279 im digitalen Anhang.

247

Unterrichtseinheit I

(Fortsetzung) 19

Lehrkraft I:

du WEIßT es schon

20 21

Mira mehrere SuS

ja ((rufen durcheinander, laufen durch und aus dem Klassenraum))

22

Mira

23

Lehrkraft I:

ich glaube ähm das war doch das mit den zehn geboten glaube ich ((unverst.)) das kommt später

24 Mira 25 Lehrkraft I: Tabelle 72: I.2(b).TA.5–25

achso da:s kommt später so geht ihr raus

I.4.TA. 106

Lehrkraft I:

soll ich euch die geschichte dazu erzählen?

107 108

Dennis: Lasse:

ja::: ja::

109 110

Tom: Lasse:

ich kenn die geschichte ich aber nicht!

111 112

Tom: Jan:

[(- -) moses und der brennende] [(- -)ich aber nicht]

113 Tom: 114 Jan: 115 Tabelle 73: I.4.TA.106–115

I.6.TA. 132

Lehrkraft I:

133

sofort schickt er seine KRIEger hinterher seine arMEE (.) ich hab euch gerade schon einmal erZÄHLT (-) was:/ wie gehen die denn oder wie sind die denn unterwegs

134 135 136

busch ich aber [nich]

Lasse:

137 Lehrkraft I: Tabelle 74: I.6.TA.132–137

(- -) das sind ja alle krieger (- -) ich kenn die geschichte wir hatten hier gerade etwas mit den pferden

248

Die Analyse

I.6.TA. 186 187 188

(1.8) jetzt sind sie verloren

Nora:

(2.7) nora (-) äh also ähm: (.) gott hat ja zu moses mose gesprochen ähm dass er ihm helfen wird und ähm weil das meer ja vor ihnen ist ist das meer aufgegangen dann konnten sie durchgehen

189 190 191 192

Lehrkraft I:

und als der pharao mit seiner mannschaft da kam ist das meer wieder zu gegangen (-) du kennst die geschichte

193 194

Nora: Lasse:

((nickt)) (.) ja

195 196

Lukas: Lehrkraft I:

((flüstert)) ah die kenn ich auch [(-) richtig]

197 198

Ole: Lukas:

[die kenn ich auch] ((flüstert)) ah::

199 201

Ole: Lehrkraft I:

ah: [sch:::]

202 203

Noah: Lehrkraft I:

[ich kenn die nich] (-) wer kennt sie nicht?

204 mehrere SuS: Tabelle 75: I.6.TA.186–203

((neun von siebzehn SuS melden sich))

I.7.TA. 97 98

Dennis: Lehrkraft I:

(-) hm’

99

Dennis:

100

Lasse:

(-) hier steht aber »nimm deinen stab und halte ihn über das meer« (-) das hab ich

101 102

Lehrkraft I:

[auch gesehen] [dein STOCK dein STAB]

104

Tom:

ne? (.) weil du must da ja schon die hand ausstrecken ne? (-) ich kenn das schon alles

105 106

Lehrkraft I:

103

ich hab noch was zum text

(- -) das ist wunderbar umso besser ist es ja für dich ne? wenn ich eben was falsches sage oder ne? etwas vergesse–

249

Unterrichtseinheit I

(Fortsetzung) 107

(- -) oder wenn die anderen kinder etwas nicht verstehen

108 Tabelle 76: I.7.TA.97–108

kannst du uns ja gut helfen

ICH möchte gerne mit der geschichte WEItermachen

I.7.TA. 112 113

Lehrkraft I: uk:

(- -) jay ::

114 115 116 117

Lasse:

jay (- -) ich glaub ich weiß was da äh noch kommt ((leise)) die geschichte ist [sch[ön]]

Jonas:

118 Lehrkraft I: Tabelle 77: I.7.TA.112–118

I.8.TA. 244

Lehrkraft I:

245 246

[so! du weißt was kommt]

(- -) »wir KÖNnen auf gott vertrauen« (3.4) das haben sie auch gemacht sie sind jetzt am berg SInaI

247 248

Lasse: Lehrkraft I:

(- -) ((flüstert)) ah ja! (- - -) ja?

249 250

Lasse: Lehrkraft I:

[hm_hm’] [kennst]

251 252

Lasse:

253 254

Mira:

255

Lasse:

256

Mira:

257 Lehrkraft I: Tabelle 78: I.8.TA.244–257

du den berg sinai? ja [also] [ja ich auch] ich weiß nicht ganz genau aber ich ha/hab da schon/ w/mal was drüber gehört (-) ja ich auch (-) hm_hm’

250 I.8.TA. 263

Die Analyse

Lehrkraft I:

264 265

Lasse:

266 267

mehrere SuS: Tom:

(-) u:nd wir wollten die geschichte einmal gemeinsam lesen– [(-) und gemeinsam erarbeiten] [ich glaub ich weiß was das ist] [((Gemurmel))] ((flüstert zu Noah)) (das ist das) mit dem goldenen lamm und so weiter

Tabelle 79: I.8.TA.263–267

Besonders Tom971 äußert mehrfach eine Vertrautheit mit dem von der Lehrkraft Erzählten und gibt dabei nicht nur an, »die Geschichte« zu kennen, sondern nennt dabei auch einzelne, noch nicht von der Lehrkraft angesprochene, Inhalte der Erzählung (I.2(b).TA.11; I.4.TA.109–113; I.7.TA.104; I.8.TA.263). Auch Mira und Nora scheinen zumindest mit Teilen der Erzählung vertraut zu sein (I.2(b).TA.7, 18–24; I.8.TA.254, 256; I.6.TA.188–193). Ebenso gibt es Schüler, die konstatieren, dass ihnen die Erzählung bzw. der gerade besprochene oder der nächste Abschnitt dieser unbekannt seien (I.2(b).TA.8; I.4.TA.110, 112, 114f.; I.6.TA.202–204.) Äußerungen, die explizit markieren, wie die Schüler_innen den Realitätsstatus des von der Lehrkraft Erzählten einschätzen, sind in dieser Unterrichtseinheit somit kaum zu beobachten.972 Auch implizite Hinweise sind nur vereinzelt auszumachen, sodass aufgrund ihrer Seltenheit eine aussagekräftige Bestimmung des dahinterstehenden Konzepts von Historizität oder Fiktionalität der Erzählung einzelner Schüler_innen nicht möglich ist. 6.1.3.5 Konklusion Wie ist nun das Konzept des biblischen Textes beschaffen, welches sich vor allem in den Aussagen der Lehrkraft über die gesamte Unterrichtseinheit dokumentiert? Welche Deutungsspielräume ergeben sich aus diesen Aussagen für die Schüler_innen hinsichtlich der Frage, was das Wesen des biblischen Textes ausmacht? Was ist der biblische Text? Wie sich bereits in den Detailanalysen der beiden Incidents »nicht wörtlich nehmen« und »Erzählung« abgezeichnet hat, wird der biblische Text seitens der Lehrkraft weder eindeutig als fiktionale Erzählung, als Geschichte, noch als 971 Tom ist auch der Schüler, der mehrmals darauf hinweist, dass er eine (»echte«) Bibel besitze. Er bringt diese in der achten Stunde mit in den Unterricht und zeigt sie der Lehrkraft (s. Kap. 6.1.3.2., Kap. 6.4.2). 972 Eine Ausnahme bildet Lasse, der sich während der beiden oben dargestellten Incidents »nicht wörtlich nehmen« und »Erzählung« mehrmals zum Verständnis der biblischen Geschichte zu Wort meldet (s. Kap. 6.1.2.1, 6.1.2.2).

Unterrichtseinheit I

251

historischer Tatsachenbericht präsentiert. Und auch eine Rezeption als Zeugnis des Glaubens wird hier, mit dem Hinweis, dass die Israeliten sich dies im Glauben an die Zusage Gottes an sie erzählt hätten, nur implizit angesprochen. Explizit äußert sich die Lehrkraft bezüglich der Rezeption bzw. des richtigen Umgangs mit der biblischen Erzählung (»jetzt müssen wir wieder überlegen wie steht immer was in der Bibel«973) nur im Anschluss an die Erzählung der zehnten Plage, des Tods der ägyptischen Verfolger im Meer sowie in kurzen Zwischenbemerkungen während des Erzählens zur Person Aarons und zur Dauer der Wüstenwanderung. Innerhalb der Bearbeitung ihrer Frage, ob das, was in der Bibel steht, »jetzt so wörtlich«974 genommen werden müsse, bewegt sich das durch ihre Äußerungen implizierte Konzept des biblischen Textes zwischen einer metaphorischen, etwas erklärenden aber fiktionalen Erzählung und einer Erzählung von Ereignissen, die sich zwar in der Vergangenheit abgespielt haben, deren Genauigkeit, die wortwörtliche Übereinstimmung mit den tatsächlichen Geschehnissen, aber in Frage zu stellen ist (s. Kap. 6.1.2.1). Obwohl die Lehrkraft das Gespräch über den richtigen Umgang mit dem Erzählten in Folge einer von ihr wahrgenommenen Irritation der Schüler_innen hinsichtlich des enthaltene Gottesbildes beginnt und sich in diesem Gespräch der Versuch dokumentiert, die Grausamkeit der geschilderten Ereignisse abzumildern, wird die Annahme, dass es sich um historische Begebenheiten handelt, weder im Anschluss an die zehn Plagen noch im Kontext des Todes der ägyptischen Verfolger im Meer explizit bestritten oder abgelehnt. Mit der Betonung, dass die Israeliten »sich das […] weitererzählt« hätten, sowie den Erläuterungen, warum sie dies getan hätten, erweitert sie die bisher dargestellte Funktion des biblischen Textes, die Erklärung der Macht Gottes, um die Verdeutlichung der Zusage Gottes an sein Volk durch die Israeliten. Auch hier wird – mit der implizierten Möglichkeit der Übertreibung der Israeliten oder ihres Erzählens in Folge nicht zutreffender Annahmen – die Exaktheit der Schilderungen indirekt in Frage gestellt, ihre Existenz aber nicht generell abgelehnt (s. Kap. 6.1.2.2). Ein ähnliches Konzept des biblischen Textes dokumentiert sich in den Erklärungen der Lehrkraft zum nicht sicheren Verwandtschaftsverhältnis von Aaron und Mose sowie zu der Symbolik der biblischen Jahreszahlen. Die Gewissheit über die Bedeutung einzelner Elemente, die »immer« in der Bibel stehen, wird hier relativiert, die Tatsächlichkeit des Handlungsverlaufs dabei aber nicht explizit in Frage gestellt. Implizite Hinweise auf eine anzunehmende Historizität oder Fiktionalität des von der Lehrkraft Erzählten sind über den gesamten Verlauf der Unterrichtseinheit zu beobachten. So deuten die – besonders zu Beginn – enge thematische 973 I.5(b).TA.68, s. Tabelle 20, S. 177. 974 I.5(b).TA.69, s. Tabelle 20, S. 177.

252

Die Analyse

Verknüpfung mit dem Zeitalter des Alten Ägyptens und dem Bau von Pyramiden, die zur Veranschaulichung der Sklavenarbeit genutzte, »wirklich alt(e)«975 Grabmalerei sowie temporale Verweise auf einen Zeitpunkt in der Vergangenheit (»damals«; »früher«; »Zeit der Pharaonen«)976 und Ermahnungen, das Erzählte ernst zu nehmen, weil »das […] nicht witzig [war]«,977 auf tatsächlich in der Vergangenheit abgelaufene Ereignisse hin. Dagegen lassen die durchgehende Bezeichnung als eine »Geschichte«, das vor allem in den ersten Stunden der Einheit für das Erzählen genutzte Präsens sowie die Verwendung der an die Gattung Märchen erinnernde Formel »und eines Tages« eher auf eine fiktionale Erzählung schließen. Neben diesen Hinweisen sind zudem solche zu beobachten, mit denen die Lehrkraft zwar nicht generell die Historizität des Erzählten in Abrede stellt, in welchen sich aber eine gewisse eigene bzw. auch allgemeine Unsicherheit hinsichtlich der genauen Umstände oder der Handlungsdetails dokumentiert (»vielleicht«, »ich glaube«, »ich weiß nicht«, »ich kann mir gut vorstellen«, »vielleicht«, »da gibt es ganz unterschiedliche Erklärungen«978 (s. Kap. 6.1.3.3)). Besonders interessant sind in dieser Unterrichtseinheit die Beobachtungen zur Frage nach den Auslösern für eine Thematisierung des Wesens der biblischen Erzählung. Seitens der Schüler_innen erfolgt zu keinem Zeitpunkt innerhalb der Einheit ein direktes Fragen nach dem Realitätsstatus einzelner Teile oder der gesamten Erzählung. Zwar gibt es einen Schüler, der den von der Lehrkraft erzählten Handlungsverlauf hinterfragt (»Aber wie kriegen die ein Baby? Die Männer sind ja weg.«979), sowie jeweils eine Schülerfrage zu den genauen Umständen der geschilderten Zwangsarbeit der Israeliten (»Durften die Israeliten überhaupt mal schlafen?«980) und eine zur Beschaffenheit des Manna (»Kann man das Manna selber machen?«981). Aber keine dieser Fragen bildet den Ausgangspunkt für ein gemeinsames Gespräch darüber, was der biblische Text sei bzw. wie mit ihm umzugehen sei. Der Auslöser für die Bearbeitung dieser Thematik liegt, wie oben ausgeführt, in einer von der Lehrkraft wahrgenommenen und von den Schüler_innen daraufhin formulierten Erschütterung über das Verhalten Gottes. Anhand des Vergleichs mit Szenen der Unterrichtsinteraktion, innerhalb derer ebenfalls als grausam bewertbare Abschnitte der Exodus-Erzählung bearbeitet werden, zeigt sich, dass die Thematisierung der »richtigen« Rezeption dieser als Relativierung der durch Gott verursachten 975 976 977 978 979 980 981

I.1.TA.603, s. Tabelle 51, S. 235. I.1.TA.554, s. Tabelle 37, S. 230. I.2(a).TA.183, s. Tabelle 30, S. 206–210. I.8.TA.125, s. Tabelle 71, S. 245. Jan, I.2(a).TA.199, 201; s. Tabelle 68, S. 243f. Dennis, I.2(a).TA.82, s. Tabelle 67, S. 243. Noah, I.8.TA.122; s. Tabelle 71, S. 245.

Unterrichtseinheit I

253

Grausamkeit erfolgt – also als Korrektur des von den Schüler_innen hier wahrgenommenen Gottesbildes – und nicht als generelle Abschwächung grausamer Erzählpassagen. An anderen Stellen der Erzählung, welche aufgrund ihrer außergewöhnlichen Ereignisse oder der benannten Figuren ein Nachfragen der Schüler_innen oder eine Erklärung der Lehrkraft vermuten ließen (z. B. das Erscheinen der Plagen, die Meeresteilung, »die Magier des Pharao«982, »der Todesengel«983), sind keine derartigen Gespräche zu beobachten. So entwickelt sich über den Verlauf der Unterrichtseinheit durch die Art der Präsentation der Lehrkraft ein Konzept von der Exodus- bzw. Mose-Erzählung, welches sich zwischen den Polen einer (fiktionalen) »Geschichte« aus der Bibel mit metaphorischer Bedeutung und dem Zweck der Erklärung der Macht Gottes sowie dem von den Israeliten selbst aus dem Glauben an die Zusage Gottes erzählten Bericht von Ereignisse zur Zeit der Pharaonen und dem Bau der Pyramiden bewegt.

982 I.5(a).TA.220, s. Tabelle 267 im digitalen Anhang; I.5(a).TA.391, s. Tabelle 271 im digitalen Anhang. 983 I.5(a).TA.386, s. Tabelle 270 im digitalen Anhang.

254

6.2

Die Analyse

Unterrichtseinheit II

Die Erhebung der im Folgenden dargelegten Unterrichtseinheit zur ExodusErzählung wurde zu Beginn des dritten Schuljahres durchgeführt. Die Klasse setzte sich aus sieben Mädchen und achtzehn Jungen zusammen, welche alle am konfessionell-kooperativen Religionsunterricht teilnahmen.984 Die Lehrkraft unterrichtete in dieser Klasse sowie in den beiden Parallelklassen seit Schuljahresbeginn (ausschließlich) das Fach Religion. Der Religionsunterricht fand einmal wöchentlich in einer Einzelstunde / 45 Minuten statt. Die von der Lehrkraft geplante Unterrichtseinheit erstreckte sich über einen Zeitraum von elf Unterrichtsstunden, deren inhaltliche Struktur innerhalb des digitalen Anhangs tabellarisch aufgeführt wird.985

6.2.1 Einführung in den biblischen Text Da diese Unterrichtseinheit zu Beginn des Schuljahres von der Lehrkraft durchgeführt wurde und sie die Klassen in diesem erstmals unterrichtete, gibt es keine vorangegangene Einheit, an welche die Einheit zur Exodus-Erzählung anknüpft, oder in der die Lehrkraft mit den Schüler_innen bereits über biblische Texte gesprochen hat. Für die für diese Arbeit relevante Untersuchung der Einführung in den biblischen Text erfolgt im Anschluss an einen tabellarischen Überblick über die zeitliche und inhaltliche Struktur der ersten Stunde der Unterrichtseinheit eine Analyse der einzelnen Unterrichtsschritte sowie der Unterrichtsinteraktion hinsichtlich der Präsentation der Exodus-Erzählung seitens der Lehrkraft.

984 Für eine Übersicht über die Sitzordnung der Schüler_innen dieser Klasse siehe Abbildung 4 und 5 im digitalen Anhang. 985 Siehe Tabelle 249 im digitalen Anhang.

255

Unterrichtseinheit II

6.2.1.1 Verlauf der ersten Unterrichtsstunde der Einheit

7–11

Hinführung: Die Lehrkraft holt aus ihrer Tasche eine Packung, auf der »Matzen« steht, und erläutert den SuS, dass sie ein besonderes Brot mitgebracht habe, und die SuS dies – wenn sie mögen – nun einmal probieren dürften. Sie verteilt Stücke der Matze an die SuS, diese probieren es und antworten im Anschluss auf die Frage der Lehrkraft, wie ihnen dies geschmeckt habe und nach was es schmecke. Dann erklärt die Lehrkraft, dass sie dieses Brot, welches »Matze« oder »Matzen« genannt werde, mitgebracht habe, weil es an das »Pessahfest« »erinnere«, »das die Juden jedes Jahr feiern und zwar zur Erinnerung an ein besonderes Ereignis«. Die SuS würden im weiteren Verlauf des Religionsunterrichts erfahren, was es mit diesem Brot auf sich habe und welche anderen Dinge zum »Pessahfest« auf den Tisch kämen. Die Lehrkraft bittet die SuS dazu »das Buch« aufzuschlagen.

11–14 Bildbetrachtung und -beschreibung (I): Die SuS schlagen ihre Religionsbücher auf Seite 65 auf. Die Lehrkraft verweist auf die Fotografie im oberen Drittel der Seite, welches die Bestandteile des Passahmahls zeigt. Die Lehrkraft erklärt, was im Einzelnen auf der Fotografie abgebildet sei. 14–17 Text (I) »Die jüdischen Jahresfeste«: Im Anschluss an die Bildbeschreibung bittet die Lehrkraft einen der SuS den unter der Abbildung abgedruckten Text vorzulesen.

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Begrüßung: Die Lehrkraft begrüßt die SuS, kontrolliert die Anwesenheit und stellt erneut die teilnehmende Beobachterin vor. Die SuS begrüßen diese ebenfalls.

Material

Matzen

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

0–6

Form

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Inhalt

Religionsbuch: Drews, A. et al. (2012): Kinder fragen nach dem Leben. Religionsbuch für das 3. und 4. Schuljahr. Berlin: Cornelsen. S. 65.

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Zeit (in Min.)

Religionsbuch: Drews, A. et al. (2012): Kinder fragen nach dem Leben. Religionsbuch für das 3. und 4. Schuljahr. Berlin: Cornelsen. S. 65.

256

Die Analyse

(Fortsetzung) Material

20–24 Bildbetrachtung und Beschreibung (II): Die Lehrkraft bittet die SuS, die Seite 54 in ihren »Büchern« aufzuschlagen, damit sie sich gemeinsam angucken könnten, wie »das« (die »Feier«) »so aussieht«. Die SuS erklären, was sie auf der abgebildeten Fotografie einer Familie an einem für das Passahfest gedeckten Tisch erkennen können und wofür sie es halten. Die Lehrkraft kommentiert die Beiträge der SuS. 24–27 Text (II) »Gott rettet und befreit sein Volk«: Die Lehrkraft bittet die SuS, den zur Abbildung gehörenden Text (»Gott rettet und befreit sein Volk«) vorzulesen. Die Lehrkraft unterbricht das Lesen kurz für eine Ermahnung, dass alle SuS in ihren Büchern mitlesen sollten. Nachdem der letzte Absatz vorgelesen wurde, schließt die Lehrkraft mit dem Hinweis, dass einige »Dinge« in diesem Text noch unbekannt seien, aber in den kommenden Religionsstunden besprochen würden.

Religionsbuch: Drews, A. et al. (2012): Kinder fragen nach dem Leben. Religionsbuch für das 3. und 4. Schuljahr. Berlin: Cornelsen. S. 54.

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Inhalt Form Zeit (in Min.) 17–20 Anschlussgespräch (I): Die Lehrkraft beginnt ein Anschlussgespräch mit der Frage, was im Text über »das Besondere an dem Brot« gesagt wird. Im weiteren Verlauf des fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräches kommt die Lehrkraft mit Verweis auf den gelesenen Text über die Fragen, was es bedeute, ein Brot zu »säuern«, warum dieses Brot nicht »gesäuert« sei, warum das Brot schnell »fertig werden musste«, »welche Leute« schnell »fertig werden mussten«, sowie, warum und aus welchem Land »die fliehen mussten«, zu dem Schluss, dass die Israeliten (die Juden) sich jedes Jahr daran erinnerten, dass sie aus Ägypten fliehen mussten und hierzu eine »Feier« hätten.

Religionsbuch: Drews, A. et al. (2012): Kinder fragen nach dem Leben. Religionsbuch für das 3. und 4. Schuljahr. Berlin: Cornelsen. S. 65.

Religionsbuch: Drews, A. et al. (2012): Kinder fragen nach dem Leben. Religionsbuch für das 3. und 4. Schuljahr. Berlin: Cornelsen. S. 54f.

257

Unterrichtseinheit II

(Fortsetzung) Material

29–39 Text (III) »Ein Brief von Dan aus Israel«: Die Lehrkraft erklärt den SuS, dass zum Passahfest nicht nur diese Speisen gehörten, sondern auch, dass das jüngste Kind der Familie dem Vater Fragen stelle und dieser darauf antworte. Dann bittet sie den Austeildienst, einen »Text« auszuteilen, den sie mitgebracht habe, in welchem ein Junge namens Dan einen Brief an einen zweiten Jungen namens Bernd schreibt. Die Lehrkraft lässt die SuS den Text abschnittsweise laut vorlesen. Nachdem die SuS den Text vorgelesen haben, schließt sie damit, dass sie nun erfahren hätten, »was genau die Speisen bedeuten«, dies aber auch »später« noch sehen würden. 39–45 Abschluss: Die Lehrkraft beendet die Stunde, indem sie den Austeildienst darum bittet, die Religionsbücher einzusammeln. Währenddessen verteilt sie an die SuS, die dies wünschen, noch etwas Matze.

Arbeitsblatt: »Ein Brief von Dan aus Israel«

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Inhalt Form Zeit (in Min.) 27–29 Wiederholung: Die Lehrkraft bittet die SuS, noch einmal zu wiederholen, welche Speisen zum Passahfest gehören.

Matzen

Tabelle 80: Verlauf der 1. Stunde, Unterrichtseinheit II

6.2.1.2 Analyse Die Analyse des Einstiegs in die Exodus-Erzählung wird im Folgenden nach den einzelnen Phasen der Unterrichtsstunde gegliedert dargelegt (vgl. Tabelle 80). Hinführung Die Lehrkraft setzt zu einer ersten Begründung dafür an, warum sie dieses spezielle Brot mitgebracht habe, nachdem sie die Matzen verteilt und die Schüler_innen gebeten hat, sich dazu zu äußern, wie diese Matzen schmecken.

258 II.1.TA. 5

Die Analyse

Lehrkraft II:

6 7 8 9 10 11

ok ich hab euch das ganze ja nicht ohne grund gegeben– sondern dass hat schon einen HINtergrund und zwar erinnert dieses BROT– das heißt nämlich MATzen (- -) MATZE ((hält die Verpackung hoch)) matzen das ist etwas anders geschrieben als wir es gleich im buch finden werden– matzen– erinnert an ein FEST (- -) und zwar an das PESSahfest (- -) das die JUden jedes jahr feiern– (-) und zwar zur erINNerung an ein besonderes ereignis

12 13

(-) da wird dieses BROT also ausgegeben– (- -) und wir werden im laufe unserer sch/

14

(1.3) im laufe des religionsunterrichts werden wir erFAHren– (-) ähm: warum das SO schmeckt und warum das so angefertig worden ist

15 Tabelle 81: II.1.TA.5–15

Die Lehrkraft erklärt, dass »dieses Brot« an ein »Fest« erinnere und bestimmt dieses Fest anschließend genauer, sowohl mit dem Begriff »Pessahfest« als auch mit dem Zeitpunkt der Feier (»jedes Jahr«) und mit der Nennung der Personengruppe, welche dieses Fest feiere (»die Juden«) genauer (II.1.TA.6–10.). Dass dabei keine weitere Klärung zu dieser Personengruppe erfolgt, impliziert die Annahme der Lehrkraft, dass die Schüler_innen mit dem Begriff »Juden« vertraut seien. Sie erläutert weiter, dass dieses Fest »zur Erinnerung an ein besonderes Ereignis« gefeiert werde (II.1.TA.11). In welcher Weise das Ereignis »besonders« ist bzw. war, da sich das Verb »erinnern« im allgemeinen Sprachgebrauch auf ein in der Vergangenheit liegendes Geschehen bezieht, bleibt offen. Im Anschluss gibt die Lehrkraft einen inhaltlichen Ausblick, indem sie ankündigt, dass die Anwesenden »im Laufe des Religionsunterrichts« erfahren würden, wieso die Matze »so« schmecke und welche »Dinge« es noch gebe, die zum »Pessahfest« gehörten. Innerhalb dieser Ankündigung adressiert die Lehrkraft die Schüler_innen nicht mit dem Personalpronomen »ihr«, sondern mit dem sie selbst einschließenden »wir« (»wir werden erfahren«, »werden wir erfahren«, »wollen wir«, »schlagen wir […] auf«), mit welchem ein gemeinsames Erfahren und Handeln markiert wird (II.1.TA.13–15). Um zu sehen, »was noch alles auf den Tisch kommt zum Pessahfest«, bittet die Lehrkraft die Schüler_innen »das Buch« aufzuschlagen. In der Beobachtung, dass die Schüler_in-

Unterrichtseinheit II

259

nen umgehend das Religionsbuch986 zur Hand nehmen, ohne diesbezüglich Fragen zu stellen, dokumentiert sich, dass sie mit der Nutzung dieses Buches im Religionsunterricht vertraut sind.

Bildbetrachtung und -beschreibung (I) Zu Beginn der gemeinsamen Bildbetrachtung weist die Lehrkraft darauf hin, dass es sich bei der Abbildung im Religionsbuch um »eine Fotografie«987 handele (»Ok ((blickt ebenfalls auf S. 65)) da oben könnt ihr einen Teller erkennen–, das ist eine Fotografie und da seht ihr auch dieses Matzen«988). Die nun folgende Bildbeschreibung wird ausschließlich durch die Lehrkraft vorgenommen. Sie benennt die einzelnen abgebildeten Speisen, wobei sie auch hier überwiegend das eine gemeinsame Tätigkeit ausdrückende Personalpronomen »wir« für ihre Formulierungen nutzt (»wir werden […] anschauen«989, »gehen wir […] durch«990, »wir […] sehen«991, »gehen wir […] weiter«992, »sehen wir«993, »haben wir«994), und die Schüler_innen nur zu Beginn ihrer Beschreibung vereinzelt mit dem Pronomen »ihr« adressiert (»könnt ihr«, »seht ihr«995). Bis auf kurze Momente, in welchen die Lehrkraft einräumt, dass sie »ehrlich gesagt nicht so ganz« wisse, »was das Weiße« sei,996 und sie Maik befragt (»weißt du das?«997), sowie drei weitere Schüler ihre Vermutungen äußern lässt, nimmt sie die Rolle des erklärenden Experten ein. Diese Rolle markiert sie auch im Abschluss der kurzen Gesprächsöffnung, als sie konstatiert, dass die geäußerten Vermutungen »eigentlich […] nicht dazu« passten und ihre Ansicht mit den Worten betont: »also das hab ich nicht so äh gesehen«998. Sie beendet die Bildbeschreibung mit dem Fazit, dass jetzt die Frage sei, aus welchem Grund diese Dinge »auf dem Tisch« stünden.999 Mit dieser Formulierung knüpft sie an ihre der Phase der Bildbeschreibung vorangegangenen Frage, nach den Dingen, die zum »Pessahfest« »auf den Tisch« kämen, an.1000 986 987 988 989 990 991 992 993 994 995 996 997 998 999 1000

Siehe hierzu Drews et al. 2008. Siehe hierzu ebd., S. 65. II.1.TA.27f., s. Tabelle 283 im digitalen Anhang. II.1.TA.31, s. Tabelle 283 im digitalen Anhang. II.1.TA.34, s. Tabelle 283 im digitalen Anhang. II.1.TA.38, 46f., s. Tabelle 283 im digitalen Anhang. II.1.TA.39,41, s. Tabelle 283 im digitalen Anhang. II.1.TA.43,48, 55, s. Tabelle 283 im digitalen Anhang. II.1.TA.60, s. Tabelle 283 im digitalen Anhang. II.1.TA.27f., 31, 34f., s. Tabelle 283 im digitalen Anhang. II.1.TA.49, s. Tabelle 283 im digitalen Anhang. II.1.TA.51, s. Tabelle 283 im digitalen Anhang. II.1.TA.54, s. Tabelle 283 im digitalen Anhang. II.1.TA.61, s. Tabelle 283 im digitalen Anhang. II.1.TA.20, s. Tabelle 283 im digitalen Anhang.

260

Die Analyse

Text (I) »Die jüdischen Jahresfeste«1001 An die Frage nach dem Grund für diese Speisen schließt die Lehrkraft direkt und verbunden durch die Konjunktion »und« die Frage an die Schüler_innen an, wer von ihnen »jetzt mal« lesen möge.1002 Dies impliziert, dass sich die Antwort in dem nun zu lesenden Text finde. Dieser ist auf der rechten Hälfte einer Doppelseite zu den jüdischen Jahresfesten abgedruckt und rahmt in vier Absätzen die Fotografie, die im Vorfeld besprochen wurde.1003 II.1.TA. 66 67 68

Mara:

Lehrkraft II:

69 70 71

Mara:

72 73

(1.4) ((liest aus dem Buch vor)) eines der WICH_tigsten feste (.) für (2.0) ju_den ist das (1.5) PESSachfest das wird manchmal PASSAHfest geschrieben und manchmal auch PESSACHfest (- - -) ja? (- - -) es (- - -) erinnert an die (2.3) geschichte von (- -) MOse (- - -) als gott (- - -) die (1.9) isra (3.5)

74 75

Lehrkraft: Mara:

israeliten (- - -) aus (- - -) der

76 77

Lehrkraft II:

(4.7) skla::ve_rei sklaverei ja

78 79 80 81

Mara:

Lehrkraft II:

82 83 84 85

(- -) in (2.8) ägypten (- - -) befreit hat (- -) ja danke– (- -) justus und nils lest ihr bitte auch MIT (- -) ja? nicht nach hinten gucken sondern (.) LEsen

Lehrkraft II: Erik:

(- -) gut dann geht es weiter mit (.) erik– (2.0) ((liest vor)) am abend vor (-) pessah wird der

86 87

(.) se/ (-) sederabend gefeiert (1.2) seder heißt– (-) ORDnung

88 89

(- -) er LÄUFT immer nach der gleichen ORdnung AB (- - -) der jüngste sohn darf fragen–

90 91

(1.1) WAS an diesem abend so beSONders ist (2.1) dann erZÄHLT man sich die geschichte von

1001 Siehe hierzu Drews et al. 2008, S. 64f. 1002 II.1.TA.62, s. Tabelle 283 im digitalen Anhang. 1003 Siehe hierzu Drews et al. 2008, S. 64f.

261

Unterrichtseinheit II

(Fortsetzung) 92 93 94

MOse (-) und der rettung der israeliten Lehrkraft II: Elisa:

95 96 97 98

ja`a’ danke sehr (- - -) u::nd dann elisa– (1.1) ((liest vor)) während des pessachfestes darf man kein BROT essen (.) das ist/ (.) das mit (- -) sauerteig gemacht wurde (-) also wird (.) un (- -) ge_säuertes BROT gegessen

Lehrkraft II:

es wird (.) MATzen genannt ja bis dahin lesen wir auch nur das andere interessiert uns im moment noch nicht

Tabelle 82: II.1.TA.66–98

Mara beginnt mit dem Vorlesen, wobei sie vor dem Wort »Juden« eine deutliche Pause macht, bevor sie dies zögerlich silbenweise erliest (»Ju_den«), was auf fehlende Vertrautheit mit diesem Begriff hindeutet (II.1.TA.67). Während die Lehrkraft hier nicht eingreift, übernimmt sie bei Maras Zögern vor dem Wort »Pessachfest« das Rederecht und liest es betont deutlich vor. Sie erklärt außerdem, dass es hierfür zwei verschiedene Schreibweisen gebe (II.1.TA.68). Keiner dieser beiden Begriffe entspricht jedoch dem bis zu diesem Zeitpunkt von der Lehrkraft genutzten Begriff »Pessahfest«1004. Nach einem das Verständnis ihrer Erklärung rückversichernden »ja?« der Lehrkraft (II.1.TA.69) setzt Mara das Vorlesen fort. Ein erneutes längeres Zögern lässt sich bei ihr vor dem Wort »Geschichte« (II.1.TA.71) sowie vor »Israeliten« (II.1.TA.73f.), »Sklaverei« (II.1.TA.76) und »Ägypten« (II.1.TA.79) beobachten, wobei sie die Worte »Geschichte« und »Ägypten« nach dem Pausieren ohne zu stocken liest, bei »Israeliten« jedoch nur die ersten zwei Silben artikuliert, bevor sie erneut abbricht. Beim Vorlesen des Wortes »Sklaverei« zieht sie die erste Silbe in die Länge und stockt dann zwischen zweiter und dritter Silbe. Wie bereits beim Wort »Juden« lässt dieses zögerliche Erlesen (»phonologisches Rekodieren«) darauf schließen, dass diese Wörter – anders als bei in Form und Bedeutung bekannten bzw. schon häufig gelesenen Wörtern – nicht als Ganze aus dem »orthographischen (semantischen) Lexikon« abgerufen und erkannt werden.1005 Es bleibt offen, ob Mara hier neben der lautlichen Rekodierung auch eine Bedeutungszuordnung (Dekodierung) leisten kann.1006 Die Lehrkraft ergänzt bzw. wiederholt die von Mara nicht vollständig oder stockend vorgelesenen Begriffe, weitere Erläuterungen erfolgen dabei nicht. Ähnliche Unsicherheiten beim Vorlesen, die eine Fremdheit der jeweiligen Begriffe andeuten, sind auch bei Erik hinsichtlich des 1004 II.1.TA.10, s. Tabelle 132, S. 331; II.1.TA.16,20, s. Tabelle 283 im digitalen Anhang. 1005 Vgl. Schneider 2017, S. 19; vgl. Düsing 2016, S. 197. 1006 Vgl. ebd.

262

Die Analyse

Wortes »Sederabend« und bei Elisa beim Wort »ungesäuertes« zu beobachten (II.1.TA.86, 96). Während die Lehrkraft das, woran das Passahfest erinnert, zuvor als »besonderes Ereignis« benennt,1007 wird im Text »die Geschichte von Mose« als Gegenstand dieser Erinnerung angeführt (II.1.TA.70f.). An dieser Stelle fällt der Begriff »Geschichte« in der Unterrichtseinheit zum ersten Mal. Interessant ist, dass die im anschließenden Nebensatz erfolgende nähere Bestimmung dieser »Geschichte« mit der temporalen Konjunktion »als« eingeleitet wird und nicht mit einer Relativphrase wie »in der/in welcher«. So wird mit dieser Formulierung im Text ein Geschehen zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgedrückt bzw. dieser Zeitpunkt spezifiziert und nicht der Inhalt der Geschichte (II.1.TA.70–80). Auch das hier genutzte Perfekt verweist auf einen Zeitpunkt in der Vergangenheit (»befreit hat«). Bei der zweiten Erwähnung der »Geschichte von Mose« im Text erfolgt eine solche temporale Einordnung nicht erneut, ihr Inhalt wird stattdessen durch die Erweiterung der Nominalphrase (»die Geschichte von Mose und der Rettung der Israeliten«) näher bestimmt (II.1.TA.91f.). Sowohl bei der ersten als auch bei der zweiten Erwähnung der »Geschichte von Mose« im Text gibt es keinen Verweis auf die Quelle oder Herkunft. Anschlussgespräch (I) Nachdem die Lehrkraft das Vorlesen durch die Schüler_innen im dritten der vier Textabsätze mit der Erklärung beendet, dass der übrige Text »im Moment noch nicht« von Interesse sei,1008 kehrt sie zum Thema Matze zurück und weist – wie schon in der Phase der Hinführung1009 – auf die unterschiedliche Schreibweise von Matze im Text und auf der mitgebrachten Verpackung hin.1010 Mit der Frage was im Text über »das Besondere an dem Brot« gesagt werde,1011 eröffnet sie dann ein fragend-entwickelndes Unterrichtsgespräch mit den Schüler_innen. Marco, der leise stöhnend die Dringlichkeit seiner Meldung signalisiert, wird – trotz des Tadels dieses Verhaltens seitens der Lehrkraft – aufgerufen und gibt an, dass es sich um ungesäuertes Brot handele.1012 Die Lehrkraft validiert dies (»genau«1013) und schließt die Frage an, was es bedeute Brot, zu »säuern«, was »dann« getan werde. Dabei verweist sie auf den Text als Informationsquelle (»was steht denn da auch im Text drin?«), wobei sie ihre Sicherheit darüber durch die Markierung dieses Hinweises als persönliche Auffassung nachträglich abschwächt (»glaub 1007 1008 1009 1010 1011 1012 1013

II.1.TA.11, s. Tabelle 132, S. 331. II.1.TA.98, s. Tabelle 284 im digitalen Anhang. II.1.TA.8, s. Tabelle 132, S. 331. II.1.TA.99, s. Tabelle 284 im digitalen Anhang. II.1.TA.100, s. Tabelle 284 im digitalen Anhang. II.1.TA.103, s. Tabelle 284 im digitalen Anhang. II.1.TA.104, s. Tabelle 284 im digitalen Anhang.

263

Unterrichtseinheit II

ich jedenfalls«).1014 Obwohl sie dem sich meldenden Norman bereits gestisch das Rederecht übergeben hat, ergänzt sie ihre bisherige Frage zunächst um den Aspekt, was da »noch« gemacht würde, ändert dann aber die inhaltliche Ausrichtung ihres Fragens mit der Suggestivfrage nach der Andersartigkeit des Brotes, welches Norman »zu Hause« esse (»was würd ich da noch machen du isst ja zu hause anderes Brot ne?«1015). Norman reagiert – wie durch die Fragepartikel »ne?« der Lehrkraft implizit eingefordert – zustimmend (»ja:«) und fügt hinzu: »dann schmeckt das auch besser«.1016 Die Lehrkraft validiert dies (»genau«) und beginnt dann selbst mit einer Elaboration, in welcher sie zunächst konstatiert, dass »dieses« Brot – wobei sie die Matzen-Packung hochhält – »ganz schnell gemacht« werden müsse, da es nicht mit Sauerteig oder Hefe gemacht werde.1017 Anschließend erklärt sie am Beispiel des Backens von Hefekuchen, dass man dabei einige Stunden warten müsse, bevor der Teig weiterverarbeitet werden könne.1018 II.1.TA. 120

Lehrkraft II:

121

warum hat man da keine HEfe genommen oder keinen SAUERteig genommen (-) was steht da im text so ein bisschen drin

122 123 124

Dennis:

125 126 127

Lehrkraft II:

128 129

(- -) aus welchem grund (2.3) ähm du hast ja jetzt erzählt dass man bei den anderen (-) ähm dass man da noch WARten muss– aber ich schätze dass man dann bei diesem sofort WEItermachen kann (.) SUper genau (.) und zwar aus welchem grund WArum mussten die ganz schnell fertig werden welche leute mussten ganz schnell fertig werden um äh::m (1.4) joa und haben dieses brot mitgenommen wi/ wie heißen die menschen die das (- -) ganz schnell zubereiten mussten

130 131

Norman:

132

Lehrkraft II:

1014 1015 1016 1017 1018

(- -) und äh WArum ist dieses brot hier NICHT (.) geSÄUert

(-) äh:: dass die ganz früh nach der(unverst.) mussten– (-) ja guck mal in den text rein ob du das wort findest wie die heißen

II.1.TA.104–106, s. Tabelle 284 im digitalen Anhang. II.1.TA.107, s. Tabelle 284 im digitalen Anhang. II.1.TA.108, s. Tabelle 284 im digitalen Anhang. II.1.TA.109, s. Tabelle 284 im digitalen Anhang. II.1.TA.111–119, s. Tabelle 284 im digitalen Anhang.

264

Die Analyse

(Fortsetzung) 133

u.k.:

((flüsternd)) passah

134

Lehrkraft II:

135

Norman:

(- -) keine deutschen– sondern– es sind? wie heißen die? (-) äh (- -) israeliten?

136

Lehrkraft II:

137

und da hast du vollkommen recht äh dennis ähm das musste schnell gehen und wenn ich jetzt stundenlang warten muss bis das brot FERtig ist und der

138 139 140

HEfeteig und der sauerteig aufgegangen ist (.) dann hab ich ein proBLEM ne? wenn ich schnell FLIEHEN muss ja?

141

(- -) wieso mussten die fliehen– aus welchem LAND mussten die menschen fliehen? (3.4) hm (- -) manuel?

142 143 144 145

PRIma ganz genau die israeliten und was mussten die? die mussten also ganz schnell (.) AUFbrechen ganz schnell fliehen sozusagen

Manuel: Lehrkraft II:

146 147 148 149 150 151 152 Tabelle 83: II.1.TA.120–152

(- - -) ägypten (-) PRIma ganz genau das schwere wort was da steht ne? genau aus ägypten mussten sie ganz schnell fliehen– und JEdes jahr (-) erinnern sich die israeliten daran– also die JUden (.) stecken dahinter ne?

äh erinnern sich daran dass sie aus ägypten FLIEhen mussten (-) u:nd dass das irgendetwas beSONderes war (-) und dann haben sie eine FEIER und wir wollen jetzt einfach mal auf die seite: (-) vierundfünfzig gehen– (- - -) und gucken wie das so aussieht–

An ihre Erklärung zur Herstellung von Sauer- bzw. Hefeteig schließt die Lehrkraft die Frage danach an, aus welchem Grund die Matze nicht »gesäuert« würde. Während sie zuvor sowohl die Frage nach der Art der Herstellung als auch ihre Erläuterungen dazu in der Ich-Form und im Präsens formuliert hat, nutzt sie nun das Pronomen »man« sowie das Perfekt (II.1.TA.120f.). Auch bei dieser Frage verweist sie zur Beantwortung auf den Text, wobei mit dem Zusatz »so ein bisschen« angedeutet wird, dass die Antwort im Text verborgen zu sein scheint. Dennis bezieht sich in seinen Überlegungen (»ich schätze«) jedoch nicht auf den

Unterrichtseinheit II

265

Text, sondern auf die vorangegangenen Ausführungen der Lehrkraft zur Herstellung von Sauer- und Hefeteig (»du hast ja jetzt erzählt«) und schlussfolgert, dass »man dann bei diesem sofort weitermachen kann« (II.1.TA.124–126). Die Lehrkraft validiert Dennis’ Antwort (»super genau«). In ihrer direkt anschließenden Frage (»und zwar aus welchem Grund«) ersetzt sie das eine Möglichkeit beschreibende »Sofort-Weitermachen-Können« von Dennis durch ein »GanzSchnell-Fertig-Werden-Müssen«, sodass nun eine Notwendigkeit für ein eiliges Vorankommen impliziert wird (II.1.TA.127). Auch ersetzt sie die unbestimmte Formulierung (»man«) durch das auf eine bestimmte Gruppe von Personen verweisende Pronomen »die«. In ihrem nachfolgenden Fragen, um welche Menschen es sich hierbei handele, suggeriert sie durch die nun durchgehend verwendete Vergangenheitsform die Bezugnahme auf ein vergangenes Ereignis (»mussten …fertig werden«, »haben … mitgenommen«, »zubereiten mussten« (II.1.TA.127–130)). Norman bezieht sich in seiner Antwort auf die erste Frage der Lehrkraft und gibt eine Begründung für die Zubereitungsart an (II.1.TA.131). Die Lehrkraft geht hierauf nicht inhaltlich ein, sondern lenkt ihn zur Beantwortung ihrer zuletzt gestellten Frage, indem sie ihm den Auftrag gibt, im Text nach dem Namen für »die« zu suchen (II.1.TA.132). Während Norman in seinen Text schaut, deutet die Lehrkraft mit der Spezifizierung ihrer Frage an (»keine Deutschen, sondern es sind?«), dass sie die Bezeichnung einer Nationalität erwarte (II.1.TA.134). Da im Buchtext nichts über »Leute« gesagt wird, »die das ganz schnell zubereiten mussten«, kann Norman nur raten bzw. nach der einzig genannten Nationalität suchen. Die zögerliche (»äh«) und in fragender Intonation erfolgende Nennung der Israeliten zeigt eine diesbezügliche Unsicherheit (II.1.TA.135). Die Lehrkraft validiert Normans Vermutung nachdrücklich (»Prima ganz genau die Israeliten« (II.1.TA.136)) und schließt die Frage danach an, was die Israeliten »mussten«. Dabei wartet sie nicht auf eine Wortmeldung der Schüler_innen, sondern fügt selbst eine Erklärung hinzu. In dieser spricht sie erstmals das Motiv des Aufbruchs bzw. der Flucht der Israeliten an, jedoch ohne den Grund für diese Flucht zu benennen. Auch hier verwendet sie wieder die Vergangenheitsform (Präteritum) (»was mussten die?«, »die mussten […] aufbrechen/fliehen«, »musste schnell gehen« (II.1.TA.136–138)). Den Zusammenhang zwischen der Art der Brotzubereitung (»wenn ich jetzt stundenlang warten muss bis das Brot fertig ist«) und der Notwendigkeit der Flucht (»wenn ich schnell fliehen muss«) erläutert die Lehrkraft anschließend wieder in der Ich-Form und im Präsens (II.1.TA.139–141). Zudem fordert sie für ihre Schlussfolgerung zweimal mittels nachgesetzter Fragepartikel (»ne?«, »ja?«) implizit die Zustimmung der Schüler_innen ein. Diese wird von der Lehrkraft jedoch nicht abgewartet, stattdessen fragt sie im gleichen Atemzug nach dem Grund für die Flucht sowie nach dem Land, aus welchem »die Menschen« fliehen »mussten« (II.1.TA.142). Auch hier wird zum einen mit der nun

266

Die Analyse

wieder verwendeten Vergangenheitsform auf ein vergangenes Ereignis verwiesen und zum anderen mit der zweimaligen Nutzung des Modalverbs »müssen« eine zwingende Notwendigkeit des benannten Verhaltens markiert (»wieso mussten die fliehen«, »aus welchem Land mussten die Menschen fliehen«). Dabei kehrt die Lehrkraft zu der bereits genutzten Bezeichnung »die Menschen« für die handelnden Personen zurück und greift nicht erneut den zuvor gesuchten Begriff »Israeliten« auf. Obwohl im Text nicht explizit von einer Flucht der Israeliten gesprochen wird, gibt Manuel das von der Lehrkraft gesuchte Land korrekt an (II.1.TA.144). Die Lehrkraft validiert dies mehrfach (»Prima ganz genau«, »genau aus Ägypten mussten sie ganz schnell fliehen«), wobei auch an dieser Stelle das beschriebene Ereignis mit dem verwendeten Tempus in der Vergangenheit verortet wird (»mussten […] fliehen«) (II.1.TA.145f.). Dann greift die Lehrkraft das bereits zu Beginn der Stunde von ihr1019 und auch im Text genannte Motiv des Erinnerns auf und erklärt, dass sich die Israeliten jedes Jahr an die Flucht aus Ägypten erinnern sowie daran, »dass das irgendetwas besonderes war«, und dass sie dann eine Feier »haben« (II.1.TA.147–150). Anders als im gelesenen Text gilt die Erinnerung in ihren Ausführungen nicht einer bzw. der Geschichte (von Mose), sondern dem bis hierhin durchgängig in der Vergangenheit verorteten Ereignis der Flucht aus Ägypten. An dieser Stelle erfolgt zudem ein Ansatz der Erklärung des Verhältnisses von Israeliten und Juden (»erinnern sich die Israeliten daran – also die Juden stecken dahinter ne?« (II.1.TA.147)). Es bleibt offen, ob die Schüler_innen diesen Ansatz nachvollziehen können, da die Lehrkraft zwar durch die angefügte Fragepartikel eine Bestätigung sucht, eine Reaktion der Schüler_innen jedoch nicht abgewartet wird. Über den Verlauf dieses Anschlussgesprächs dokumentiert sich in den Fragen und Äußerungen der Lehrkraft zur Erklärung des besonderen Brotes Matze eine Orientierung an den Inhalten ihres Konzeptes von der Exodus-Erzählung (die Israeliten mussten schnell aus Ägypten fliehen und nahmen dieses schnell zuzubereitende Brot mit (II.1.TA.127–130, II.1.TA.135–138, II.1.TA.142–148)). Diese Inhalte sind jedoch in dieser Form nicht im zuvor gemeinsam gelesenen Text zu finden. Die im Text zweimal erwähnte »Geschichte von Mose« wird in ihren Erläuterungen nicht aufgegriffen.

Text (II) »Gott rettet und befreit sein Volk«1020 Im Anschluss an eine weitere Bildbetrachtung, in welcher die Schüler_innen erklären, was sie auf der Fotografie einer Familie an einer für das Passahfest 1019 II.1.TA.6–11, s. Tabelle 81, S. 258. 1020 Siehe hierzu Drews et al. 2008, S. 54.

267

Unterrichtseinheit II

gedeckten Tafel1021 erkennen, fordert die Lehrkraft sie auf, den zugehörigen Text im Buch vorzulesen. Fotografie und Text finden sich auf einer Doppelseite des Religionsbuchs mit der Überschrift »Gott befreit sein Volk – Gott beauftragt den überraschten Mose«1022. Der vorzulesende Text mit der Überschrift »Gott rettet und befreit sein Volk« beginnt auf der linken Seite überhalb der Fotografie, und setzt sich auf der rechten Seite fort. Darunter befindet sich ein weiterer Text (»Israels Unterdrückung in Ägypten«), der sich durch eine andere Schriftfarbe und kursiven Satz vom vorherigen unterscheidet. Am unteren Ende der rechten Seite ist zudem ein Ausschnitt aus einer ägyptischen Grabmalerei1023 abgebildet. II.1.TA. 157 158

Lehrkraft II:

(- - -) äh du liest jetzt mal– elisabeth?

Elisabeth:

(-) ((liest vor)) gott rettet und befreit sein volk (- - -) im frühling (- -) feiern die juden (- -) das pessach oder (- -) passahfest

159 160 161

Lehrkraft II:

162 163 164

Elisabeth:

165 166 167 168

Lehrkraft II:

der (-) israe_liten aus ägypten ja ok (.) danke bis dahin– (-) so ich möchte das JEder mitliest ((Die Lehrkraft ermahnt die Schülerinnen und Schüler mitzulesen und sich nicht mit anderen Dingen zu beschäftigen)) (- - -) WER möchte weiterlesen (- - -) ähm larissa

173

176 177

(- -) gut dann gehts weiter– bitte– (- -) pessach ist ein fröhliches fest und doch nicht frei von (- -) trauer (- -) die ju/ juden denken dabei an den verwunderlichen auszug

[…]

174 175

ok ich unterbreche dich kurz mal du siehst hier die beiden beZEICHnungen also die beiden wörter (-) pessachfest und passahfest (.) ne?

Larissa:

((liest vor)) (1.5) pessach bedeutet über_schrei::tet (-) ten aber– (- - -) auch verSCHOnung– (- -) damit wird an das (- - -) bi:b (- - -) li (- -) sche (- -) er_reignis

1021 Siehe hierzu Drews et al. 2008, S. 54. 1022 Siehe hierzu ebd., S. 54f. 1023 Es handelt sich hierbei um einen Ausschnitt aus der Grabmalerei »Ziegelherstellung im Grab des Rechmires in Abd El_Qurna (Theben-West) aus der Zeit Thutmosis’ III. und Amenophis’ II“. Siehe hierzu Keel 1997, S. 64f.

268

Die Analyse

(Fortsetzung) 178

Lehrkraft II:

ereignis

179 180

Larissa:

(-) ereignis er_rinnert (- - -) bei dem (- - -) der ENGel gottes

181 182

Lehrkraft II:

(- -) alle erge/ (- -) erst

183 184

Larissa: Lehrkraft II:

(-) ERST_geborene der ägypten tötet (-) der ägypter tötete (.) genau (- -) auf der NÄCHsten seite wer möchte DA weiterlesen? (-) hier sind noch VIEle dinge drin natürlich die wir noch nicht kennen und die wir noch besprechen werden–

185 186 187 188 189

das ist erstmal so (- - -) ((leiser)) so ein anfang (.) du möchtest jetzt lesen marco– Marco:

190

(-) ((liest vor)) in der PESSahnacht fragt der jüngste sohn seinen vater (.) warum diese nacht ANders ist (-) der vater antwortet dem sohn

191 192

(-) »wir waren knechte des pharao in ägypten (2.0) und der herr führte uns aus ägypten mit MÄCHtiger hand um uns

193

(- -) das land zu geben wie er unsern vätern zugesagt hatte« (-) PRIma (.) du hast schön gelesen (-) GUT–

194

Lehrkraft II:

195 196

ok (-) ähm wie gesagt hier sind einige dinge drin die werden wir jetzt im laufe der zeit noch besprechen– in anderen religionsstunden–

197

(-) A:ber ihr seht dass dieser tag also etwas beSONderes ist dass bei diesem fest bestimmte SPEIsen hingestellt werden–

198 199

(-) welche speisen waren das noch mal? was haben wir grad in der/ vorher gesehen?

Tabelle 84: II.1.TA.157–199

Anders als im vorangegangenen Text wird in diesem nicht von der Erinnerung oder dem Erzählen der »Geschichte von Mose« während des Passahfestes gesprochen, sondern von dem Denken »an den verwunderlichen Auszug der Israeliten aus Ägypten«. Diese Formulierung deutet ein Ereignis in der Vergangenheit an (II.1.TA.166–167). Der von Elisabeth vorgelesene Textabschnitt wird

Unterrichtseinheit II

269

inhaltlich nicht von der Lehrkraft kommentiert. Auch im darauffolgenden Abschnitt erfolgt zunächst keine inhaltliche Klärung, obwohl Larissas stockendes Erlesen (Rekodieren) der Begriffe »biblisches« und »Erstgeborene« darauf hinweisen, dass sie diese nicht direkt aus ihrem orthografischen Lexikon abrufen kann, ihr diese nicht vertraut sind und damit auch ihr Verständnis der Wortbedeutung (Dekodierung) nicht sicher ist (II.1.TA.177).1024 Wie schon zuvor ist auch an dieser Stelle im Text nicht von der Erinnerung an eine Geschichte die Rede, sondern von der Erinnerung an »das biblische Ereignis«. Ob den Schüler_innen bewusst ist, dass hier ein Ereignis in einer biblischen Erzählung beschrieben wird, bleibt offen, da dies weder im Text noch von der Lehrkraft weitergehend thematisiert wird. Und auch die Schüler_innen stellen hierzu genauso wie zu der Schilderung des Engels Gottes, der alle Erstgeborenen der Ägypter tötet, keine Fragen. Zwischen der Frage, wer nun lesen möge, und der Zuteilung des Rederechts an Marco, nimmt die Lehrkraft erstmals inhaltlich auf das zuvor Gelesene Bezug. Sie betont, dass »hier« »noch viele Dinge« enthalten seien, die allen Anwesenden (»wir«) noch unbekannt seien und die noch gemeinsam (»wir«) besprochen würden (II.1.TA.185–188). Das eingefügte Adverb »natürlich« impliziert dabei, dass die Menge an Unbekanntem selbstverständlich bzw. zu erwarten war, wobei diese mit der Formulierung »viele Dinge« allgemein und unspezifisch bleibt. Der Nachsatz, dass dies »erstmal so ein Anfang« sei, signalisiert eine gewisse Vorläufigkeit (»erstmal«) des Gehörten, lässt aber offen, was genau hier angefangen wird. In dem nun von Marco vorgelesenen Textabschnitt wird durch die Antwort, die der Familienvater dem jüngsten Sohn in der Passahnacht gibt, ein drittes Mal auf Inhalte der Exodus-Erzählung eingegangen (II.1.TA.189–193). Wie zuvor wird auch in diesem Text der Bezug auf eine biblische Erzählung nicht explizit gemacht (»der Vater antwortet dem Sohn: ›Wir waren Knechte […]‹«). Die Schilderung des Vaters deutet durch das genutzte Tempus vielmehr einen Bericht vergangener Ereignisse an, an denen eine nicht weiter bestimmte Gruppe, zu der sich auch der Erzähler zählt, beteiligt war (»wir waren«, »der Herr führte uns« (II.1.TA.191f.)). Die Lehrkraft schließt diese Phase des Vorlesens, indem sie noch einmal darauf hinweist (»wie gesagt«), dass im Text »einige Dinge« seien, die noch gemeinsam (»wir«) besprochen würden, wobei sie die unspezifische Zeitangabe »im Laufe der Zeit« mit dem Zusatz »in anderen Religionsstunden« ergänzt (II.1.TA.195f.). Mit der Betonung der nun anschließenden Konjunktion »aber« markiert sie, dass die Schüler_innen trotz dieser unbekannten »Dinge« erkennen können (»ihr seht«), dass »dieser Tag etwas Besonderes ist« und »bei diesem Fest bestimmte Speisen hingestellt werden« (II.1.TA.197f.). Mit der Frage, um welche Speisen es sich »noch mal« handele, 1024 Vgl. Schneider 2017, S. 19; vgl. Düsing 2016, S. 197.

270

Die Analyse

leitet die Lehrkraft eine Wiederholungsphase ein, in der die bisher genannten Bestandteile des Passahmahls von den Schüler_innen zusammengetragen werden (II.1.TA.199f.). Text (III) »Ein Brief von Dan aus Israel« Im Anschluss an die Wiederholung der Passahspeisen erklärt die Lehrkraft, dass nicht nur diese Bestandteile des Passahfestes seien, sondern es noch eine »Besonderheit« gebe: Der jüngste Sohn bzw. das jüngste Kind müsse dem Vater der Familie Fragen stellen.1025 Auch wenn diese Information bereits im zuvor gelesenen Text enthalten war, nimmt die Lehrkraft auf diesen nicht erneut Bezug, sondern lässt einen weiteren Text verteilen (»ich hab jetzt einen Text hier mitgebracht«1026). Das Textblatt ist mit der Überschrift »Ein Brief von Dan aus Israel« betitelt. Darunter sind zwei Textteile abgedruckt, wobei der erste durch die direkte Ansprache eines (fiktiven) Adressaten (»Lieber Bernd!«), die Angabe von Ort und Datum (»Tel Aviv, den 10. März«) und den spezifischen Schriftsatz den formalen Elementen eines Briefes entspricht. Auch diesen Text lässt die Lehrkraft absatzweise von den Schüler_innen vorlesen. Nach der Beschreibung der Vorbereitungen für das Passahfest und den Speisen auf der Passahtafel wird in diesem Text der Ablauf des Passahmahls erklärt sowie welche Fragen das jüngste Familienmitglied dem Vater dabei stelle und wie dieser darauf antworte. Während des Vorlesens durch die Schüler_innen unterbricht die Lehrkraft diese nur, um falsch gelesene oder betonte Wörter zu korrigieren, auf den Inhalt des Textes bezogene Kommentare oder Erläuterungen erfolgen nicht. II.1.TA. 231

Nils:

((liest vor)) (- - -) als (- -) antwort erzäh::lt

232 233

(- - -) vater eine geschichte (- -) »sklaven waren unsere vorfahren

234 235

im lan::de ägypten der (-) pha_rao

236 237

(-) be (-) drückte (.) sie hart (- -) hart

238

(1.2) an diese bittere zeit (- -) denken wir wenn wir jetzt die bitterkräuter essen und un/ an die vielen trä:nen wenn wir das gemüse (.) in salzwasser tauchen«

239 240 241

Lehrkraft II:

ja ok (- -) danke– und noch die letzte person– wen haben wir noch gar nicht zum lesen hier gehabt?

1025 II.1.TA.201–206, s. Tabelle 285 im digitalen Anhang. 1026 II.1.TA.207, s. Tabelle 285 im digitalen Anhang.

271

Unterrichtseinheit II

(Fortsetzung) 242

hast du schonmal gelesen niko?

243 244

Niko: Lehrkraft II:

(leise) nein dann darfst du jetzt lesen

245

Niko:

((liest vor)) »wir denken SO da dran (.) als wenn wir selbst dabeigewesen sind (- - -) wir mussten ZIEgel aus braunem LEHM formen

246 247 248

Lehrkraft II:

249 250 251 252

(- -) an (-) an diesen lehm erinnert uns der braune brei« ok bis dahin lesen wir nur– ich wollte auch eigentlich nur das abgedruckt haben (-) der untere teil interessiert uns im moment noch nicht– (- -) ähm was genau die speisen bedeuten oder einige teile– was speisen bedeuten könnten haben wir jetzt hier schon erfahren– aber wir sehen das später noch (.) das ist eigentlich alles was ich heute machen machen möchte–

Tabelle 85: II.1.TA.231–252

Im letzten Abschnitt dieses Textes zum Passahfest wird – wie auch schon in den beiden vorherigen Texten – auf Inhalte der Exodus-Erzählung eingegangen (II.1.TA.233–237). Sie werden – so wie im ersten Text – als »Geschichte« bezeichnet, die der Vater »erzählt«, wobei die Geschichte an dieser Stelle nicht als die von Mose bestimmt wird.1027 Anders als in der Antwort des Vaters im vorangegangenen Text (»wir waren Knechte des Pharaos in Ägypten«1028) spricht dieser Vater von den Vorfahren einer nicht weiter bestimmten Gruppe, der er selbst angehört (»unsere«) als diejenigen, die »Sklaven« in Ägypten waren. Auch hier impliziert der Tempuswechsel vom Präsens zum Präteritum das Sprechen über ein Ereignis in der Vergangenheit. Ebenso deuten das erneut aufgegriffene Motiv des Erinnerns (»an diese bittere Zeit denken wir« (II.1.TA.238)), »an diesen Lehm erinnert uns« (II.1.TA.247)) sowie die Erklärung des Gedenkens, »als wenn wir selbst dabei gewesen sind«, auf Geschehnisse in der Vergangenheit hin, die man erinnern bzw. bei denen man anwesend hätte sein können (II.1.TA.245). Nachdem die Lehrkraft das Vorlesen mit dem Hinweis beendet, dass der zweite auf dem Arbeitsblatt abgedruckte Text »im Moment noch nicht« von 1027 »die Geschichte von Mose« (II.1.TA.71,91, s. Tabelle 82, S. 260f.). 1028 II.1.TA.191, s. Tabelle 84, S. 267f.

272

Die Analyse

Interesse sei, nimmt sie noch einmal auf das Gelesene Bezug und erklärt in einer Art Konklusion, dass die Anwesenden – sie selbst eingeschlossen (»wir«) – »jetzt hier schon« erfahren hätten, »was genau die Speisen bedeuten« (II.1.TA.249f.). Die Gewissheit über die genaue Bedeutung der Speisen relativiert sie jedoch direkt im Anschluss an diese Aussage durch die Wiederholung im Konjunktiv (»oder einige Teile–, was Speisen bedeuten könnten, haben wir jetzt hier schon erfahren–« (II.1.TA.250f.)). Auf die jeweiligen Bedeutungen der Speisen geht sie an dieser Stelle jedoch nicht mehr ein, sondern verweist dafür auf einen späteren Zeitpunkt (»aber wir sehen das später noch«), bevor sie die Unterrichtsstunde beschließt (II.1.TA.251).

6.2.1.3 Konklusion In dieser Unterrichtseinheit steigt die Lehrkraft über das Thema des Passahfestes in die Exodus-Erzählung ein, wobei der thematische Fokus in der ersten Stunde der Einheit auf den speziellen Speisen, im Besonderen der Matze liegt. Der erste Verweis auf die biblische Erzählung erfolgt in dem Text, den die Schüler_innen nach der Betrachtung der Fotografie eines Sedertellers in ihrem Religionsbuch vorlesen. Hier wird auf die »Geschichte von Mose, als Gott die Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat«1029 sowie auf die »Geschichte von Mose und der Rettung der Israeliten«1030 verwiesen. Dass es sich hierbei um eine biblische Geschichte handelt, wird im Text nicht erwähnt, und auch durch die Lehrkraft erfolgt keine derartige Einordnung, da sie im Anschlussgespräch auf die im Text genannte Geschichte nicht weiter eingeht. Jedoch erfragt und nennt sie im Laufe der Erklärung des besonderen Brotes einzelne inhaltliche Aspekte ihres Konzepts von der Exodus-Erzählung mit Verweis auf den gelesenen Text. Da sich der aus den Äußerungen der Lehrkraft ergebende Handlungsverlauf – die Israeliten backen das besondere Brot Matze, weil sie schnell aus Ägypten fliehen müssen1031 – in dieser Form nicht im Text findet, bleibt offen, ob die Schüler_innen diesen mit der im Text benannten Geschichte in Verbindung bringen bzw. ihn in den Kontext einer fiktionalen Erzählung einordnen. Auch in den beiden im Weiteren gemeinsam gelesenen Texten werden Teile der Exodus-Erzählung angesprochen: »[…] verwunderlichen Auszug der Israeliten aus Ägypten«, »[…] bei dem der Engel Gottes alle Erstgeborenen der Ägypter tötete«, »Wir waren Knechte des Pharao in Ägypten, und der Herr führte uns aus Ägypten mit mächtiger Hand, um uns das Land zu geben, wie er unseren 1029 Drews et al. 2008, S. 65. 1030 Ebd. 1031 II.1.TA.120–148, s. Tabelle 83, S. 263f.

273

Unterrichtseinheit II

Vätern zugesagt hatte.«1032 ; »Sklaven waren unsere Vorfahren im Lande Ägypten. Der Pharao bedrückte sie hart.«, »Wir mussten Ziegel aus braunem Lehm formen.«1033. Im zweiten Text erfolgt durch die Beschreibung als biblisches Ereignis ein impliziter Hinweis darauf, dass das im Anschluss geschilderte Geschehen in Zusammenhang mit der Bibel steht.1034 Während hier nichts darauf hindeutet, dass es sich dabei um eine (fiktionale) Erzählung handelt, wird im letzten Text das Erzählte als »eine Geschichte« markiert, wobei Verweise auf die Tora oder das Altes Testament bzw. die Bibel ausbleiben.1035 Sowohl in den Äußerungen der Lehrkraft als auch in den Textquellen finden sich einige Elemente, die darauf verweisen, dass von historischen Begebenheiten gesprochen wird. Dazu zählen der Wechsel in die Zeitformen der Vergangenheit, aber auch das durchgängig von der Lehrkraft eingebrachte und auch in den Texten enthaltene Motiv des »(an etwas) Erinnerns«. II.1.TA. 9 10

Lehrkraft II:

(- -) und zwar an das PESSahfest (- -) das die JUden jedes jahr feiern–

11

(-) und zwar zur erINNerung an ein besonderes ereignis […]

[…] 70 71

matzen– erinnert an ein FEST

Mara:

72 73

(- - -) »es (---) erinnert an die (2.3) geschichte von (- -) MOse (- - -) als gott (- - -) die (1.9) isra (3.5)

74 75

Lehrkraft II: Mara:

israeliten (- - -) aus (- - -) der

76 77

Lehrkraft II:

(4.7) skla::ve_rei sklaverei ja

78 79

Mara:

(- -) in (2.8) ägypten

80 […]

(- - -) befreit hat« […]

146

genau aus ägypten mussten sie ganz schnell fliehen– und JEdes jahr (-) erinnern sich die israeliten daran– also die JUden (.) stecken dahinter ne?

147

1032 1033 1034 1035

Drews et al. 2008, S. 55. Text auf dem von der Lehrkraft ausgegebenen Arbeitsblatt »Ein Brief von Dan aus Israel“. Drews et al. 2008, S. 54. Ebd., S. 65.

274

Die Analyse

(Fortsetzung) 148 […] 176 177 178 179 180

Lehrkraft II: Larissa:

181 182

Lehrkraft II:

183 184

Larissa: Lehrkraft II:

[…] 238

Nils:

[…] 245

Niko:

246 247

äh erinnern sich daran dass sie aus ägypten FLIEhen mussten […] (- -) »damit wird an das (- - -) bi:b (- - -) li (- -) sche (- -) er_reignis ereignis (-) ereignis er_rinnert (- - -) bei dem (- - -) der ENGel gottes (- -) alle erge/ (- -) erst (-) ERST_geborene der ägypten tötet« (-) der ägypter tötete (.) genau […] ((liest vor)) (1.2) »an diese bittere zeit (- -) denken wir wenn wir jetzt die bitterkräuter essen« […] ((liest vor)) »wir denken SO da dran (.) als wenn wir selbst dabeigewesen sind (- - -) wir mussten ZIEgel aus braunem LEHM formen (- -) an (-) an diesen lehm erinnert uns der braune brei«

Tabelle 86: II.1.TA.9–247

Formulierungen wie »zur Erinnerung an« und »sich oder jemanden an etwas erinnern« setzen in ihrer Bedeutung voraus, das im Vorfeld des Erinnerns etwas geschehen ist, an das sich dann erinnert werden kann. Wenn an etwas erinnert wird, ist damit – im allgemeinen Sprachgebrauch – davon auszugehen, dass dies zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit tatsächlich passiert ist, sofern keine anderen – dieses Verständnis bedingenden – Umstände erläutert werden. Ein weiterer Faktor, der die Rezeption der in dieser Stunde angesprochenen Inhalte der Exodus-Erzählung als historische Begebenheiten befördert, ist ihre von einem größeren Erzählzusammenhang losgelöste Erwähnung. Indem nur einzelne Fragmente als Information über das Passahfest der Juden herausgegriffen werden, gibt es keinen expliziten Erzählkontext, der die Geschichte durch seine spezifischen Charakteristika als eine solche bestimmt. Sofern den Schüler_innen die Exodus-Erzählung oder Teile dieser nicht bereits bekannt sind, ist anhand der Äußerungen der Lehrkraft und der genutzten Materialien nicht erkennbar, dass es sich um Elemente eines biblischen Textes handelt. So dokumentiert sich innerhalb dieser Stunde in der Art und Weise der Einbettung in

Unterrichtseinheit II

275

den Kontext des Kennenlernens des Passahfestes, eine Präsentation einzelner Inhalte der Exodus-Erzählung als (historische) Ereignisse, an die sich die Juden erinnern, wenn sie dieses Fest feiern. Da die Lehrkraft die Verbindung zwischen dem im ersten und dritten Text erwähnten Begriff der »Geschichte« und der von ihr beschriebenen Flucht der Israeliten aus Ägypten nicht deutlich macht, gibt es keine expliziten Hinweise ihrerseits darauf, dass es sich dabei um ein Element einer (fiktionalen) Erzählung handelt. Die Hinweise auf den theologischen Hintergrund sowie darauf, dass mit dem Passahfest an eine Erzählung erinnert wird, die als Zeugnis eines bestimmten Glaubens entstanden ist, bleiben implizit, da die Lehrkraft den thematischen Fokus auf die Besonderheit des Brotes Matze sowie auf die Speisen und den Ablauf des Sederabends setzt. Hierbei wird die Rolle Gottes zwar in den Texten angesprochen (»als Gott die Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat«1036 ; »Gott rettet und befreit sein Volk«, »bei dem der Engel Gottes alle Erstgeborenen der Ägypter tötete«, »und der Herr führte uns aus Ägypten«1037; »einen Lobpreis für Gott«1038), aber von der Lehrkraft zu diesem Zeitpunkt nicht erklärend aufgegriffen. In der darauffolgenden, zweiten Stunde der Einheit wiederholt die Lehrkraft zunächst in Form eines fragend-entwickelnden Gesprächs mit den Schüler_innen, aus welchem Grund sie in der vergangenen Stunde Matze verteilt habe, warum diese zum Passahfest gehören würde und »was noch zu diesem Passahfest auf den Tisch gebracht« werde.1039 Spannend ist dabei, dass Norman auf die Frage, woran die Matze »erinnern« sollte,1040 im Wortlaut der Lehrkraft antwortet (»äh: die Flucht aus Ägypten?«1041) und nicht mit einer der ihm in den Texten schriftlich vorliegenden Formulierungen oder in eigenen sinngemäßen Worten. An diese Wiederholung schließt die Lehrkraft dann die Thematisierung der Arbeit der Israeliten als Sklaven in Ägypten an.

6.2.2 Incidentanalyse Im Folgenden werden die Analyseergebnisse dreier Incidents dargestellt, innerhalb derer sich auf ganz unterschiedliche Weise in der Präsentation und Bearbeitung der Exodus-Erzählung seitens der Lehrkraft sowie der Schüler_innen explizite und besonders implizite Bedeutungszuschreibungen dokumentieren. Diese eröffnen spezifische Deutungsspielräume hinsichtlich der 1036 1037 1038 1039 1040 1041

Drews et al. 2008, S. 65. Ebd., S. 54. Text auf dem von der Lehrkraft ausgegebenen Arbeitsblatt »Ein Brief von Dan aus Israel«. II.2.TA.52, 3–65, s. Tabelle 286 im digitalen Anhang. II.2.TA.23–27, s. Tabelle 286 im digitalen Anhang. II.2.TA.35, s. Tabelle 286 im digitalen Anhang.

276

Die Analyse

Frage, was der biblische Text ist und wie das Erzählte hinsichtlich seines Realitätsstatus’ einzuordnen ist. 6.2.2.1 Incident »Geschichte« »Das ist ziemlich bekannt diese Geschichte.« [Lehrkraft II]

Die folgende Szene ereignet sich in der vierten Stunde der Unterrichtseinheit am Ende einer Nachbesprechung des zuvor von den Schüler_innen aus dem Religionsbuch vorgelesenen Textes »Gott rettet Mose«, in welchem von der Geburt und Rettung Moses erzählt wird.1042 Nachdem die Lehrkraft in der ersten Stunde der Einheit das Passahfest sowie in der zweiten und dritten Stunde das Leben der »Israeliten als Sklaven in Ägypten«1043 thematisiert hat, erklärt sie nach einer Wiederholungsphase, dass die Schüler_innen nun »einen Menschen kennen lernen« würden, der »mit den Israeliten, mit den Sklaven und so weiter etwas zu tun« habe.1044 Daraufhin erzählt sie in eigenen Worten, wie Mose einen ägyptischen Aufseher erschlage und nach Midian fliehe. Mit der Ankündigung, dass sie nun gemeinsam schauen würden, was sie »noch aus seinem Leben erfahren«,1045 bittet sie die Schüler_innen, den oben genannten Text zur Geburt Mose vorzulesen. Szene 1 II.4.TA. 280

Lehrkraft II:

281 282

Justus:

283

Lehrkraft II:

284 285 286 287 288

1042 1043 1044 1045

Erik: Lehrkraft II:

(- - -) ähm:: was war jetzt das CLEvere an der ganzen sache– sie hat also das KÄSTchen beobachtet und (.) justus? hat gesehen das/ hat gehört das jemand ähm von: pharao da WAR GENAU richtig und da ist genau das kästchen an der pharaonentochter vorbeigeschwommen und wie das dann so ist man sieht so ein kind da irgendwie in so einem kästchen und dann sagt hier ((beginnt sich zu melden)) das ist das bild hier auch die pharaonentochter die guckt da drauf und sagt »och wie niedlich«

Siehe hierzu Drews et al. 2008, S. 56. II.2.TA.547, s. Tabelle 289 im digitalen Anhang. II.4.TA.69f., s. Tabelle 99, S. 300f. II.4.TA.147, s. Tabelle 100, S. 303.

277

Unterrichtseinheit II

(Fortsetzung) 289

das ist ja ein niedlicher junge– aber sie weiß auch genau

290 291

dass das also ein israeLITISCHER junge ist und TROTZdem nimmt sie ihn also auf

292 293

Erik:

(( zu Erik)) ja (-) ich kenn das ich hab auch das FILM

294 295

Lehrkraft II:

[geguckt] [((nickt)) genau]

297

Erik:

ne? (der is/) das ist ziemlich bekannt diese geschichte ne? (- -) ((nickt))

298

Lehrkraft II:

296

299 300 301 302 303

(-) RICHtig ABer jetzt kommt natürlich zwischendurch ich hab euch ja gera::de so einen mordfall da gezeigt– (-) jetzt ist es natürlich so der MOse wächst also am königshof auf an dem pharaonenhof– (-) ((räuspert sich)) und jetzt geht es weiter und zwar OBen auf der seite siebenundfünfzig wer von euch möchte da lesen?

Tabelle 87: II.4.TA.280–303

Während die Lehrkraft Justus’ Antwort validiert und noch einmal wiederholt, wie die Tochter des Pharaos auf das in einem »Kästchen« im Wasser schwimmende Kind reagiert (II.4.TA.283–291), meldet Erik sich (II.4.TA.286). Er ist der einzige, der Schüler_innen, der zu diesem Zeitpunkt eine Wortmeldung anzeigt, und er wird von der Lehrkraft im Anschluss an ihre Konklusion aufgerufen. Erik konstatiert, dass er »das« kenne und »auch das Film geguckt« habe, und wirft damit eine neue Proposition auf (II.4.TA.293f.). Auch wenn der bestimmte Artikel »das« deiktisch wirkt und auf das zuvor Besprochene verweist, bleibt der genaue Umfang dessen, was Erik von dem zuvor Gesagten bzw. Vorgelesenen bekannt ist, unbestimmt. Mit der Nutzung des bestimmten Artikels1046 vor dem Wort Film wird markiert, dass es sich dabei um einen Film handelt, in welchem das zum Zeitpunkt seiner Wortmeldung Besprochene – die Rettung Moses – thematisiert wird. Da er die Information darüber, dass er den Film gesehen hat, ohne eine Konjunktion an die Aussage seiner Kenntnis anfügt, bleibt offen, ob 1046 Dass Erik an dieser Stelle den falschen Artikel für das Wort »Film« benutzt, ist auf seinen niederländischen Migrationshintergrund zurückzuführen. Diese sprachliche Unsicherheit ist bei ihm auch in anderen Szenen zu beobachten (vgl. II.6.TA.250, s. Tabelle 108, S. 322).

278

Die Analyse

ihm die Sequenz von Moses Rettung durch das Gucken des entsprechenden Films bekannt ist (»ich kenne das« weil »ich hab auch [den] Film geguckt«) oder ob er diese bereits aus einem anderen Kontext kennt und er zusätzlich den Film gesehen hat (»ich kenne das« und »ich hab auch [den] Film geguckt«). Mit der bereits während des Beitrags Eriks geäußerten Validierung (»((nickt)) genau« (II.4.TA.295)) markiert die Lehrkraft sowohl, dass sie Erik folgen kann, als auch, dass sie ihm zustimmt. Da sie nicht wissen kann, ob die geäußerten Informationen Eriks, er kenne »das« und er habe den Film gesehen, zutreffen, ist eine Validierung dieser unwahrscheinlich. Der Zeitpunkt der bestätigenden Rückmeldung – nach der Erwähnung des Films – legt vielmehr nahe, dass der Lehrkraft die Information über Verfilmungen der biblischen Erzählung bekannt ist und sie sich in ihrer Validierung hierauf bezieht. Ihre anschließende Ausführung bestätigt dies (»der is/ das ist ziemlich bekannt diese Geschichte ne?«). Die Lehrkraft setzt mit einem Bezug auf den Film an (»der is/«), bricht diesen aber ab und greift den bereits von Erik genutzten bestimmten Artikel auf (»das«), sodass sie sich ebenfalls in unspezifischem Umfang auf das zuvor Gelesene bezieht (II.4.TA.296). Dieses beschreibt die Lehrkraft als »ziemlich bekannt«, wobei sie mit dem Adverb »ziemlich« eine verhältnismäßig hohe Bekanntheit markiert, jedoch offen lässt, woher diese rührt. Mit dem nachgesetzten »diese Geschichte« erfolgt nun eine genauere Bestimmung des vorher nur mit dem bestimmten Artikel »das« Bezeichneten. Es ist das erste Mal, dass die Lehrkraft einen im Unterricht thematisierten Teil der Exodus-Erzählung als »Geschichte« benennt. Da sie nicht weiter auf den Inhalt dieser Geschichte eingeht, bleibt die Definition auf das zuvor Besprochene bzw. Gelesene beschränkt. Die ihrer Aussage über die Bekanntheit voran- sowie nachgestellte Fragepartikel »ne« drückt eine Aufforderung zur Bestätigung aus, der Erik nonverbal mit einem Nicken nachkommt (II.4.TA.297). Dies wiederum validiert die Lehrkraft, womit sie implizit ihre eigene Deutung des Beitrags Eriks als »richtig« bewertet (II.4.TA.298). Die nun für den Anschluss ihrer nächsten Äußerung genutzte Konjunktion »aber« kündigt im allgemeinen Sprachgebrauch eine Einschränkung, einen Vorbehalt oder eine Berichtigung an. Da aber eine solche Einschränkung ihrer Bemerkung zur Bekanntheit »diese[r] Geschichte« nicht erfolgt, sondern die Lehrkraft thematisch zu dem zuvor Besprochenen zurückkehrt, sich wieder der ganzen Klasse zuwendet und den nächsten zu lesenden Text ankündigt (II.4.TA.298–303), dokumentiert sich in dem deutlich betonten »aber«, dass die Lehrkraft die Bearbeitung eines anderen Themas verfolgt und damit der Diskurs der von Erik aufgeworfenen Proposition an dieser Stelle beendet ist. Es folgt das gemeinsame Lesen eines weiteren Textes im Religionsbuch, in welchem erneut von der Tötung eines ägyptischen Aufsehers durch Mose und dessen Flucht nach Midian erzählt wird. Nach einer kurzen Wiederholung durch

279

Unterrichtseinheit II

die Schüler_innen, wohin Mose fliehe und welcher Arbeit er in Midian nachgehe, legt die Lehrkraft eine Folie mit dem Gemälde »Mose vor dem brennenden Dornbusch« von Marc Chagall1047 auf den Tageslichtprojektor und fordert die Schüler_innen zu einer Bildbeschreibung auf. Szene 2 Nachdem sich bereits einige Schüler_innen dazu geäußert haben, was sie auf dem Bild erkennen können, fragt die Lehrkraft nach weiteren Beobachtungen. Sie wartet jedoch nicht auf eine Antwort bzw. ein Anzeigen einer Wortmeldung seitens der Schüler_innen, sondern wiederholt zwei der zuvor von ihnen genannten Bildelemente (II.4.TA.376–378). Statt der – durch die Frage nach weiteren Beschreibungen sowie durch die steigende Intonation am Ende des zweiten Teils ihrer wiederholenden Aufzählung – avisierten Fortsetzung der Bildbeschreibung leitet die Lehrkraft in einen neuen thematischen Abschnitt über, in dem es um Mose und den brennenden Busch geht. Hier spricht sie zum zweiten Mal in der Einheit von einer »Geschichte«. Die genutzte Formulierung »sich um etwas ranken« impliziert dabei in ihrer übertragenen Bedeutung, dass diese Geschichte etwas Sagenhaftes oder Mythisches an sich habe. Mit dem Adverb »darum« markiert die Lehrkraft das zuvor Besprochene bzw. das, was auf dem gemeinsam betrachteten Bild von Marc Chagall zu sehen ist, als inhaltlichen Ausgangspunkt der Geschichte und kündigt mit der zum Ende ihrer Aussage steigenden Intonation an (»bedeutet–«), dass nun die Erklärung dieser Geschichte erfolge. Eine solche schließt jedoch nicht an. Stattdessen beginnt die Lehrkraft in eigenen Worten davon zu erzählen, wie Mose zu einem brennenden Busch komme, der nicht verbrenne (II.4.TA.378–406). II.4.TA. 376 377

Lehrkraft II:

(- - -) was können wir noch dazu sagen? wir haben den MOse dort– (- -) wir haben äh:

378 379

(- - -) ja wir haben eine SONne dort– der die geschichte die darum sich jetzt rankt bedeutet–

380 381

eines TAges ist der MOse unterwegs und zwar womit? was sehen wir noch auf dem bild?

382 383

wir lassen bitte die bücher ZU (-) wir blättern jetzt nicht in den büchern

384 385

Marco:

1047 Bildquelle: Fischer 2008, S. 47.

(2.3) was hat der da an der seite? schafe

280

Die Analyse

(Fortsetzung) 386

Lehrkraft II:

387 388 389 390 391 392

Erik: Lehrkraft II:

393 394 395 396 397 398

Marco:

399

Lehrkraft II:

400 401 402 403 404 405 406

Niko: Lehrkraft II:

407 408 409 410 411 412

Kommentar :

413 414

Niko: Lehrkraft II:

415 416

mehrere SuS: Lehrkraft II:

schafe ganz genau er hütet die schafe so wie ich euch das grad/

ähm oder wie wir das gerade festgestellt haben er hütet die SCHAfe und er ist in einer (- -) gegend wo also ja so in einer WÜstengegend erik? das ist kein brennender baum sondern ein BUSCH ein BUSCH ist das ganz genau weil es/ du siehst (1.2) du siehst der ist nicht ganz so HOCH und wenn ähm (.) wenn pflanzen nicht ganz so hoch sind nennt man die dann also büsche und bäume ist dann noch wieder ein ganzes stück höher ja ein brennender busch ganz genau [(-) EINes TAges (.) genau (.) ] [((zeigt aus dem Fenster)) das ist ein Baum] (-) eines tages sieht also de:r äh MOse einen brennenden busch– und er WUNdert sich weil bei diesem busch ist es nämlich so dass der nicht verBRENNT (-) der brennt einfach nur [aber der verbrennt nicht] [((verzieht stirnrunzelnd das Gesicht, leise)) hä?] und das ist ungewöhnlich wir haben in letzter zeit buschfeuer gehabt in ähm:: in ausTRAlien und in nordamerika und so weiter und da ist es ja so dass ganze bäume ganze riesige waldflächen abgebrannt sind– und HIER ist es halt so es brennt– aber VERbrennt nicht [(-) SO jetzt muss ich leider wieder licht anmachen] [Niko wirft Todd und Sven mit gerunzelter Stirn und kraus gezogener Nase einen Blick zu; Sven verzieht ebenfalls stirnrunzelnd das Gesicht))] [äh:] [jetzt brauch ich wieder jemanden der was verTEILT] [nei:::n] geht immer hin und her

281

Unterrichtseinheit II

(Fortsetzung) 417

einmal licht einmal dunkelheit–

418

(2.0) UND jetzt wollen wir mal gucken was es mit dieser geschichte hier auf sich hat– ((Marco und Norman verteilen Textblätter an alle SuS))

419

Kommentar :

[…] 422

Lehrkraft II:

423 424 425 Tabelle 88: II.4.TA.376–425

[…] SO wie sieht es nun aus mit dem wer kann die geschichte noch mal NACHerzählen– zu dem was da: auf der folie zu sehen ist (2.8) der MOse ist also geflohen (- - -) in ein LAND MIdiAN (.) und NUN?

Nach diesem kurzen Erzählabschnitt erklärt die Lehrkraft, dass sie sich nun gemeinsam (»jetzt wollen wir mal«) anschauen wollten, »was es mit dieser Geschichte hier auf sich« habe (II.4.TA.418). Mit dem Pronomen »dieser« bezieht sie die Bezeichnung »Geschichte« nun auf das zuvor Gesagte, auf Mose und den brennenden Busch. Wie schon im Vorfeld des gerade Erzählten (vgl. II.4.TA.379) kündigt die Lehrkraft auch hier eine die Bedeutung ergründende Auseinandersetzung mit der Geschichte an (»was es mit dieser Geschichte hier auf sich hat«). Es folgt jedoch ein Vorlesen des Textblattes, welches die Lehrkraft hierzu austeilen lässt, auf dem von Moses Beauftragung durch Gott am brennenden Busch erzählt wird, und keine Deutung bzw. ein Gespräch über die Bedeutung der Geschichte auf der Metaebene. Auch im Anschluss an das Vorlesen bezeichnet die Lehrkraft den Text über Mose am brennenden Dornbusch als »Geschichte« und markiert durch die Verbindung mit dem Verb »nacherzählen« dessen narrativen Charakter (II.4.TA.422). Ebenso wie zu Beginn dieser Szene und wie innerhalb der ersten Szene verbleibt die Einordnung des Erzählten und Gelesenen als »Geschichte« ohne implizite oder explizite Verweise darauf, dass es sich um eine biblische Erzählung handelt. Szene 3 Bevor die Lehrkraft in den obigen zwei Szenen erstmals den Begriff »Geschichte« zur Bezeichnung des Erzählten und Gelesenen verwendet, geschieht dies bereits seitens eines Schülers in der vorausgehenden Unterrichtsphase, als die Schüler_innen den Text »Gott rettet Mose« aus dem Religionsbuch vorlesen.1048 An der Stelle des Textes, in der beschrieben wird, wie Moses Mutter ihn in einem Kästchen am Ufer des Nils aussetze, unterbricht die Lehrkraft das Vorlesen und 1048 Siehe hierzu Drews et al. 2008, S. 56.

282

Die Analyse

fragt nach der »Nationalität« Moses (II.4.TA.162–164). Nachdem sie die Antwort Eriks hierauf (»Israelit«) validiert hat (»prima genau«) schließt sie die Frage an, in welchem Land Mose geboren werde (II.4.TA.167–168). II.4.TA. 162

Lehrkraft II:

ja_a danke–

163 164

(- -) welcher nationalität gehört dieser mose an? (- - -) also aus welchem LAND (.) kommt er welchen pass würde er heute haben sozusagen?

165 166

(5.3) erik? ISraELIT

167 168

Erik: Lehrkraft II:

169 170

Lukas:

171 172

Lehrkraft II:

173 174

Lukas: Lehrkraft II:

175

(1.8) lukas isra:/ israel [(- -) und davon hab ich] [((zieht die Nase kraus und runzelt die Stirn)) das glaub ich jetzt/] auch die BIbel da hab ich die geschichte auch von ((zweifelnd)) j:a::’ da wollen wir mal gucken ob das STIMMT ((deutet auf Lukas)) was du jetzt sagst da wollen wir mal das steht im text glaub ich noch nich so obWOHL es steht ein FLUSS da drin und da müsste man gucken

176 177 178 179 180

PRIma genau und wo: ist er aufgewachsen? (-) also wo ähm: das heißt also wo hat die mutter das kind bekommen in welchem land?

Nick: Lehrkraft II:

181 Nick: 182 Lehrkraft II: Tabelle 89: II.4.TA.162–182

äh: weil die mutter ähm fertigt ja ein kästchen an und setzt den kleinen sohn äh aus auf welchem fluss setzt sie ihn aus und welches LAND ist es damit nick (-) im NIL und wo: liegt der nil wo fließt der? (- - -) äh in:: israel? NE

Lukas antwortet mit einem kurzen Blick auf seinen Text und nennt das Land »Israel« (II.4.TA.170). Die Lehrkraft reagiert darauf zunächst nonverbal, wobei ihr Stirnrunzeln und das gleichzeitige Krausziehen der Nase Zweifel bzw. Unzufriedenheit andeuten (II.4.TA.172). Während sie zu einer verbalen Reaktion ansetzt, fährt Lukas parallel mit seinem Beitrag fort und signalisiert mit der einleitend genutzten additiven Konjunktion »und«, dass er noch etwas ergänzen

Unterrichtseinheit II

283

wird (II.4.TA.171). Die Lehrkraft bricht daraufhin ihre Stellungnahme (»das glaube ich jetzt/«) zur ersten Äußerung Lukas’ ab (II.4.TA.172). Mit dem deiktisch wirkenden Adverb »davon« bezieht sich Lukas auf das zuvor Besprochene bzw. Gelesene und erklärt, dass er hiervon »auch die Bibel« habe (II.4.TA.171, 173). In dem an diese Eröffnung einer neuen Proposition direkt angeschlossenen Nachsatz, verschiebt sich der Bezugspunkt: das getrennte Adverb »davon« (»da hab ich die Geschichte auch von«) verweist nun auf »die Bibel«, da auf das zuvor Gelesene jetzt mit »die Geschichte« Bezug genommen wird (II.4.TA.173). In dieser Art der Äußerung Lukas’ dokumentiert sich, dass er das Vorgelesene (er)kennt, dass er es als »Geschichte« einordnet sowie dass ihm diese Geschichte aus der Bibel bekannt ist, welche er selbst besitzt bzw. zu der er Zugang hat. Die Lehrkraft leitet ihre Reaktion auf Lukas’ Beitrag zwar zunächst mit der – eigentlich Zustimmung ausdrückenden – Partikel »ja« ein, deren in die Länge Ziehen verbunden mit der steigenden Intonation und der anschließenden Ankündigung einer Prüfung der Richtigkeit seiner Aussage signalisieren jedoch eine Infragestellung der Äußerung von Lukas (II.4.TA.174). Innerhalb dieser impliziten Wertung findet keine Trennung zwischen Lukas’ Antwort auf die Frage nach dem Geburtsland Moses und seiner Information, dass er die Geschichte auch aus seiner Bibel kenne, statt. Erst im Verlauf der nun ansetzenden Elaboration wird die nach wie vor bestehende Orientierung der Lehrkraft an der Bearbeitung der Frage nach Moses Geburtsland erkennbar (II.4.TA.175–178). Anders als in der Reaktion auf Eriks Äußerung (s. o. Szene 1),1049 geht die Lehrkraft in dieser Situation nicht auf die angesprochene Bekanntheit des Gelesenen ein. Und auch den von Lukas aufgezeigten Zusammenhang zwischen »Geschichte« und »Bibel« lässt sie – zugunsten der Weiterbearbeitung der von ihr zuvor gestellten Frage – unkommentiert. Weder Lukas noch die Lehrkraft sprechen seine Äußerung im Verlauf dieser Stunde erneut an, und auch in den folgenden Stunden der Unterrichtseinheit sind diesbezüglich keine erneuten Aussagen Lukas’ zu beobachten. Komparative Analyse und Konklusion Außer in den ersten beiden oben aufgeführten Szenen (Szene 1, Szene 2) nutzt die Lehrkraft auch noch in der darauffolgenden fünften Stunde der Unterrichtseinheit sowie zu Beginn der sechsten Stunde den Begriff »Geschichte« in Bezug auf einzelne Teile der Exodus-Erzählung. In der fünften Stunde erfolgt diese Benennung im Kontext der Wiederholung des bis dahin Bearbeiteten in Form des Lesens der entsprechenden Texte im Religionsbuch (»Israels Unterdrückung in Ägypten«, »Gott rettet Mose«, »Mose muss fliehen«)1050 bzw. des 1049 II.4.TA.295f. s. Tabelle 87, S. 276f. 1050 Siehe hierzu Drews et al. 2008, S. 55–57.

284

Die Analyse

Arbeitsblattes (»Der brennende Dornbusch«) (II.5.TA.31, 69f., 73, 74, 98). Zu Anfang der sechsten Stunde nutzt die Lehrkraft den Begriff »Geschichte« in ihrer Hinführung zum erneuten Vorlesen der Beauftragung Moses durch Gott am brennenden Dornbusch (II.6.TA.120). II.5.TA. 22 23

Lehrkraft II:

jetzt werden wir mal gucken warum der künstler der marc chagall wir haben ja letztes mal auch schon ein bild von ihm gesehen

24 25

warum der den ähm den mose so dargestellt hat das wollen wir heute einmal (-) ergründen–

26 27

und äh: dazu müssen wir natürlich noch einmal wiederholen was denn überhaupt im moment in israel so

28 29

oder in israel nicht in ägypten sind wir ja was sich da abgespielt hat

30

(-) und dazu wollen wir heute ne ganze menge mal LEsen– (.) wir brauchen den austeildienst und wollen also die geschichte noch einmal durchlesen

31 […] 68

[…] (.) SO der mose wächst also am HOF des pharao auf–

69

(-) U::nd jetzt wollen wir mal gucken wie es weitergeht die geschichte kennen wir ja auch schon auf der nächsten seite–

70 71 72

Kommentar :

73

Lehrkraft II:

74

UND wie geht jetzt die geschichte WEIter– ich möchte die jetzt hier nicht lesen sondern gleich auf eurem arbeitsblatt– wie geht die geschichte weiter? weißt du es noch? […]

75 […] 92

seite siebenundfünfzig ((SuS lesen den Text zu Moses Flucht aus Ägypten im Buch auf S. 57 laut vor))

Lehrkraft II:

(-) der flieht richtig und das/ der ist jetzt gerade geflohen– und was passiert als nächstes?

94 95

Elisa:

de:r kommt da an so einen brennenden bu_usch [und der busch]

96

Lehrkraft II:

[hm’_m`_hm’ ]

93

285

Unterrichtseinheit II

(Fortsetzung) 97

Elisa:

der verBRENNT gar nicht und da kommt eine STIMme raus

98

Lehrkraft II:

GEnau das war die geschichte ((ebenfalls in Elisas Richtung)) kannst dich noch erinnern?

Tabelle 90: II.5.TA.22–75, 92–98

II.6.TA. 120

Lehrkraft II:

121 122 123 124 125 Tabelle 91: II.6.TA.120–125

SO jetzt les ich die geschichte noch einmal VOR– und jetzt üb/ jetzt gucken wir einer hat hier aus der klasse schon den FILM gesehen– aber jetzt gucken wir TROTZdem warum der mose dahin geht oder vielleicht auch nicht hingeht wie die AUFlösung des ganzen ist (-) erstmal kommt etwas was ihr schon gehört habt das les ich nocheinmal vor–

In keiner dieser Situationen erfährt der Begriff der »Geschichte« eine spezifischere Bestimmung beispielsweise hinsichtlich der Frage, um welche Art von Geschichte es sich handelt oder in welchem Kontext sie steht. Auch wenn ein von der Lehrkraft in der zweiten Stunde der Unterrichtseinheit vorgelesener Text1051 einen Verweis auf die »Geschichte von Josef« beinhaltet, bleibt die Verbindung dieser zu den darauffolgend bearbeiteten Inhalten der Exodus-Erzählung jedoch implizit, da zwar im Text das Ende der Josef-Erzählung (Josef und seine Brüder befinden sich in Ägypten, vgl. Gen 45,1–47,12) als Ausgangspunkt für die nachfolgende Schilderung des Wachsens des Volkes Israel in Ägypten genannt, der Zusammenhang bzw. die anschließende Fortsetzung der Erzählung aber nicht nochmals ausdrücklich thematisiert wird. Ebenso erfolgt kein eindeutiges Aufzeigen des Zusammenhangs des von der Lehrkraft als »Geschichte« Bezeichneten und der Bibel. Während dieser von Lukas bereits in der oben dargestellten Szene angesprochen wird (s. o. Szene 3), ist eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Bibel durch die Lehrkraft erst in der achten Stunde der Unterrichtseinheit zu beobachten. Hier führt sie »die Bibel« im Rahmen ihres freien 1051 Dieser aus urheberrechtlichen Gründen nicht in Gänze abdruckbare Text der Lehrkraft beginnt mit den Worten: »Ihr kennt sicher die Geschichte von Josef, von Josef und seinen Brüdern, die schließlich alle nach Ägypten kamen, um dort gemeinsam zu leben. Viele, viele Jahre nachdem Josef schon gestorben war, lebten seine Kinder und Enkel, die Nachkommen seiner Familie, immer noch in Ägypten. Sie waren inzwischen ein ganzes Volk geworden […]«.

286

Die Analyse

Erzählens von dem Leben der Israeliten in der Wüste in drei Situationen als Quelle des von ihr Geschilderten an (II.8(a).TA.78, 108; II.8(b).TA.100). II.8(a).TA. 71 72

Lehrkraft II:

und der MOse führt sie also durch die WÜSte durch– (- -) und ähm: alles das begegnet natürlich den israeliten dort AUCH

75 76

(.) sie haben also kein WASser– (- -) u:nd ähm: (- - -) JA es ist HEIß äh:

77

(.) stellt euch vor wenn ihr in d/ die israeliten sind auch JAHRElang durch die wüste gelaufen– die BIbel spricht da von VIERzig JAHren (-) äh dass die also die israeliten durch die WÜste gegangen sind (-) und ähm in diesen vierzig jahren ähm: müssen sie also mit

78 79 80

(- -) männern und frauen und kindern durch die wüste müssen sehen dass sie immer wieder WASser finden–

81 82 83

(-) was kann einem denn NOCH passieren in der (- -) in der WÜste? (2.3)

Tabelle 92: II.8(a).TA.71–83 II.8(a).TA. 103 104 105 106 107 108 109 110

Lehrkraft II:

und genau DAS ist den israeliten auch passiert–

ähm die haben natürlich auch sehr viel durst gehabt könnt ihr euch vorstellen wenn (man) so in der wüste ist– (-) die mussten natürlich immer wieder wasser finden– (-) und die isrealiten äh:m die männer und frauen und kinder hatten natürlich sehr sehr viel durst und dann sind sie auf eine QUELle gestoßen auf WASser gestoßen– ähm: haben es versucht zu trinken– und dann war das so wie das in der BIbel steht (.) war das wasser BITTER also das heißt das schmeckte überhaupt nicht das war so ganz faulig und (-) war eben halt nicht gut zu TRINKen

287

Unterrichtseinheit II

(Fortsetzung) und dann könnt ihr euch natürlich vorstellen was die israeliten in dieser NOTsituation dann äh zu mose gesagt haben

111 112 Tabelle 93: II.8(a).TA.103–112

II.8(b).TA. 91 92

Michael:

93

Lehrkraft II: II Michael:

94

was könnten sie gesagt haben?

(- -) ja (.) und die KÜgelchen sind doch voll klein wie kann man die denn dann ESsen? (-) indem man mehrere zusammen nimmt (- -) aber wenn man wenn die zum beispiel jetzt

95 96

(- -) so viele wie die wenn (.) eine so viel macht

97 98

Lehrkraft II:

(-) (und) das so: drei leute sind hm_hm–

99 100

Michael: Lehrkraft II:

in einer familie reicht das? (-) das hat ausgereicht (-) so steht es zumindest in der BIbel

101 102

dass es dann ausgereicht hat und äh: man konnte sich drau/ die israeliten konnten sich drauf verlassen

103

dass gott ihnen ausreichend viel von diesem manna gibt (- - -) aber du hast recht da kommt natürlich nicht so ganz viel runter da muss/müssen schon ordentliche dornenbüsche tamarisken sein damit da ordentlich was runterfällt ne?

104 105 106 107 Tabelle 94: II.8(b).TA.91–107

(- -) da muss man sich drauf verlassen

Auffällig ist, dass sich der Verweis auf die Bibel als (schriftliche) Informationsquelle in allen drei Fällen explizit (nur) auf einzelne Elemente des Erzählten bezieht (Dauer der Wüstenwanderung, Bitterkeit des Wassers, ausreichende Menge Manna). Die Art der Formulierung markiert dabei die erste Bezugnahme auf die Bibel als eine zusätzliche, ergänzende Information zu dem von der Lehrkraft Gesagten (II.8(a).78f.). Innerhalb der zweiten und dritten Szene wird die Bibel dagegen wie ein Quellenverweis bzw. Beleg für das Erzählte angeführt, nicht aber ausdrücklich für die gesamte Geschichte (II.8(a).108–110;

288

Die Analyse

II.8(b).100f.). In der dritten Bezugnahme dokumentiert sich durch den Zusatz »zumindest« außerdem ein gewisser Zweifel der Lehrkraft an der biblischen Aussage (II.8(b).100). Hervorzuheben ist, dass nur in diesen drei Situationen innerhalb der ganzen Unterrichtseinheit eine Erwähnung der Bibel seitens der Lehrkraft erfolgt und eine Verbindung zwischen der Bibel und dem Erzählten angedeutet wird. Die Analyse zeigt, dass die Lehrkraft den Begriff »Geschichte« in Bezug auf die Inhalte der Exodus-Erzählung ausschließlich in der vierten, fünften und sechsten Stunde der Einheit verwendet und mit ihm den jeweiligen Abschnitt des Erzählten bzw. Gelesenen benennt. Eine diese Einzeltexte übergreifende und alle bearbeiteten Teile der Exodus-Erzählung umfassende Nutzung des Begriffs ist dagegen nicht zu beobachten. Der Kommentar der Lehrkraft, dass »diese Geschichte« »ziemlich bekannt« sei,1052 bildet die einzige Äußerung, in welcher über die Exodus-Erzählung und ihr Wesen bzw. ihre Eigenschaften auf einer Metaebene gesprochen wird.

6.2.2.2 Incident »nicht wirklich« »Das gibt es nicht wirklich.« [Lehrkraft II]

Die folgende Szene stammt aus der sechsten Stunde der Einheit. Die Lehrkraft liest von einem Textblatt die Erzählung von Mose am brennenden Dornbusch vor. Den Schüler_innen liegt dieses Textblatt ebenfalls vor, da sie es bereits in der vierten Stunde erhalten haben und es von ihnen in jener Stunde sowie in der fünften Stunde der Einheit laut gelesen wurde. Im Anschluss an die Schilderung des Versprechens Gottes, die Israeliten aus Ägypten zu befreien, unterbricht die Lehrkraft ihr Vorlesen und beginnt ein Gespräch über die Bedeutung der Formulierung »ein Land […], in dem Milch und Honig fließen« (II.6.TA.146f.). II.6.TA. 144 145 146 147 148

Lehrkraft II:

(-) »MOse geh zurück nach ägypten gehe zum pharao und sag ihm lass mein volk frei denn ich HAbe die leiden meines volks israel gesehen (- - -) ich werde sie aus ägypten beFREIen und in ein LAND führen in dem milch und HOnig fließt« ((unterbricht das Vorlesen)) (- -) milch und honig fließen das GIBT es nicht wirklich–

1052 II.4.TA.296, s. Tabelle 87, S. 276f.

289

Unterrichtseinheit II

(Fortsetzung) 149

(-) ähm habt ihr noch nie gehört dass in einem land milch und HOnig fließt

150

(-) ähm was könnte das denn wohl bedeuten hat jemand eine idee? (2.4) nils?

151 152 153

Nils: Lehrkraft II:

(- - -) dass sie nie hunger kriegen? (-) da geht es ihnen richtig GUT in dem land ne?

154 155

Dennis:

kriegen nie hunger dort richtig ((deutet auf Dennis)) dass die nie/ nie zu wenig zu essen haben

156 157

Lehrkraft II: Dennis:

PRIMA ganz genau FLIEßen ist sozusagen dass man/ dass man

158 159

Lehrkraft II:

(-) so (.) dass/ dass man was ÜBER hat PRIma ganz genau (.) ((zu Michael)) ja

160

Michael:

161

Lehrkraft II:

162

dass/ dann werden die nie mehr ähm irgendwie da steine und so schleppen (-) genau richtig auch das es geht ihnen SEHR gut in dem land ja richtig ((liest weiter)) (-) »geh nun zum pharao MOse denn du sollst mein volk aus ägypten herausführen«

Tabelle 95: II.6.TA.144–162

Die Lehrkraft wiederholt zunächst nur einen Teil der Formulierung und konstatiert, dass es den Vorgang des Fließens von Milch und Honig »nicht wirklich« gebe. Sie wirft damit eine neue Proposition auf (II.6.TA.148). Die intonatorische Hervorhebung des Verbs »geben« in Verbindung mit dem Adjektiv »wirklich« betont dabei die Verneinung der Existenz dieses Vorgangs in der von den Anwesenden geteilten Wirklichkeit. Mit der anschließenden suggestiven Vorwegnahme der nicht vorhandenen Kenntnis der Schüler_innen eines Landes, in welchem Milch und Honig fließen, setzt die Lehrkraft implizit voraus, dass diese das von ihr geäußerte Realitätsurteil teilen (II.6.TA.149). Die Feststellung des nicht vorhandenen Realitätsbezugs in Verbindung mit der dann folgenden Frage nach der möglichen Bedeutung des Erzählten signalisiert, dass diese Bedeutung auf einer metaphorischen Ebene zu suchen sei. Dabei implizieren die Verwendung des Konjunktivs (»könnte«), der Einschub des Adverbs »wohl« (im Sinne von »vielleicht« oder »in etwa«) und die Frage nach »Ideen« der Schüler_innen eine gewisse Ergebnisoffenheit sowie dass die Lehrkraft diesbezüglich kein konkretes Wissen bei den Schüler_innen voraussetzt (II.6.TA.150). Im Anschluss an diese Frage der Lehrkraft zeigen vier Schüler (Dennis, Marco, Nils, Norman) eine Wortmeldung an. Nils wird aufgerufen und beginnt seinen Beitrag mit der Konjunktion »dass«, welche den Anschluss an einen die Frage der

290

Die Analyse

Lehrkraft aufgreifenden jedoch von Nils nicht formulierten Hauptsatz (z. B.: »Es bedeutet, …«, »Das bedeutet, …«) markiert. Die fragende Intonation seiner Deutung der Formulierung »ein Land, in dem Milch und Honig fließen« signalisiert eine Unsicherheit und fordert zudem implizit eine Rückmeldung der Lehrkraft ein (II.6.TA.152). Die Lehrkraft reagiert mit einer Deutung, die sich zunächst nicht direkt auf Nils Vermutung der ausreichenden Ernährung bezieht, sondern ein allgemeines Wohlbefinden der Israeliten (»ihnen«) betont (»richtig gut«) (II.6.TA.153). Dabei fordert sie mit der nachgesetzten Fragepartikel »ne« eine zustimmende Reaktion Nils’ zu ihrer Auslegung seiner Antwort ein. Nils kommt dieser Aufforderung mit einem kurzen Nicken nach und signalisiert damit ein Teilen der Orientierung, obwohl die Lehrkraft keine deutliche Pause macht, um auf eine derartige Reaktion zu warten. Die Lehrkraft wiederholt nun fast wortwörtlich die vermutete Deutung Nils’, wobei sie mit dem hinzugefügten Adverb »dort« auf das zuvor von ihr genannte Land (»in dem Land«) verweist und damit ihre Interpretation, dass es Mose und den Israeliten in einem solchen Land gut gehe, mit Nils Deutung des nicht aufkommenden Hungers verbindet. Sie schließt mit einer Validierung (»richtig«) und zeigt dann Dennis nonverbal die Zuteilung des Rederechts an (II.6.TA.154). Dennis bezieht sich in seiner Deutung – die er wie Nils mittels der Konjunktion »dass« als an die Frage der Lehrkraft anschließend markiert – ebenfalls auf den Aspekt der ausreichenden Ernährung. Die Lehrkraft bestätigt dies stärker als Nils’ Antwort (»prima ganz genau«) (II.6.TA.159). Dennis gibt daraufhin das Rederecht nicht ab, sondern setzt seine Äußerung fort und greift nun den Begriff »fließen« aus der seitens der Lehrkraft zur Diskussion gestellten Formulierung heraus. Indem er seine Erklärung zu diesem Begriff mit dem Adverb »sozusagen« einleitet, markiert er implizit, dass es sich hierbei um einen metaphorisch gemeinten Ausdruck handelt, wobei mit dem Pronomen »man« eine allgemeine und nicht nur spezifisch auf die Israeliten bezogene Bedeutung ausgedrückt wird (II.6.TA.157f.). Auch dies wird von der Lehrkraft deutlich validiert (II.6.TA.159). Im Anschluss teilt sie Michael das Rederecht zu, der während der Äußerung von Dennis’ begonnen hat eine Wortmeldung anzuzeigen. Michael bezieht sich in seiner Deutung spezifisch auf das Erleben der Israeliten, wenn sich diese in dem Land, »in dem Milch und Honig fließen«, befinden und greift die in den ersten Stunden der Unterrichtseinheit besprochene Sklavenarbeit der Israeliten in Ägypten auf (»Steine und so schleppen«), bei der besonders die Herstellung von (Ziegel-) Steinen sowie das Tragen von Lasten thematisiert wurde (II.6.TA.160). Die Lehrkraft bestätigt diese Deutung ebenfalls (»genau richtig«), wobei sie durch das nachgesetzte »auch das« signalisiert, dass alle von den Schülern geäußerten Erklärungen zutreffend seien, »auch« die von Michael (II.6.TA.161). Sie schließt den Diskurs, indem sie ihre bereits zuvor geäußerte Deutung (II.6.TA.153) fast wortwörtlich wiederholt und damit die Äußerungen der Schüler in dieser Be-

291

Unterrichtseinheit II

schreibung des Wohlergehens der Israeliten (»es geht ihnen sehr gut in dem Land«) zusammenfasst (II.6.TA.161). Bevor sie mit dem Vorlesen fortfährt, formuliert sie an ihre Konklusion anschließend erneut eine Validierung (»ja richtig«), welche sowohl Michaels Beitrag wie auch ihre Zusammenfassung bekräftigt (II.6.TA.161). Die hier analysierte Szene ist die einzige in der Unterrichtseinheit, in welcher die Lehrkraft ein Gespräch über die Bedeutung des von ihr Vorgelesenen beginnt und gemeinsam mit den Schüler_innen nach einer Deutung sucht, die über den Literalsinn der einzelnen Begriffe hinausgeht. Dass sie für die Feststellung der nicht gegebenen Wirklichkeit des Geschilderten ihr Vorlesen unterbricht – dies nicht erst im Anschluss anspricht – zeigt eine von ihr in dieser Situation wahrgenommene Relevanz dieser Klärung an. Interessant ist dabei, dass der Text mit der Schilderung eines Landes, in dem Milch und Honig fließen, bereits in den vorangegangenen zwei Stunde von den Schüler_innen vorgelesen worden ist. Hier unterbricht die Lehrkraft jedoch nicht für eine Klärung der Formulierung und auch im Anschluss an das Vorlesen der Schüler_innen erfolgt keine deutende Besprechung. Weder die Lehrkraft noch die Schüler_innen hinterfragen in diesen Szenen explizit die Wirklichkeit des Erzählten oder äußern ihr Unverständnis hinsichtlich dessen Bedeutung. Komparative Analyse Im Folgenden soll mittels einer komparativen Analyse geprüft werden, ob die Lehrkraft auch in anderen Erzählabschnitten, in denen von Vorgängen gesprochen wird, die nach dem an den Naturgesetzen bzw. allgemein anerkannten physikalischen Gesetzmäßigkeiten orientierten Wirklichkeitsverständnis »nicht wirklich« sein können, ein Gespräch über die Bedeutung dieser Art der Schilderung initiiert. Thematisiert sie auch in anderen Szenen den Aspekt des Wirklichkeitsbezugs des Erzählten oder wird er von den Schüler_innen erfragt? Szene 1: Der brennende aber nicht verbrennende Busch Der Erzählabschnitt zum brennenden Dornbusch wird von der Lehrkraft zum ersten Mal in der vierten Stunde der Unterrichtseinheit präsentiert. Bevor sie die Schüler_innen diesen von einem Arbeitsblatt vorlesen lässt, erzählt sie im Anschluss an die gemeinsame Betrachtung des Bildes »Mose vor dem brennenden Dornbusch« von Marc Chagall1053 in eigenen Worten, wie Mose den »brennenden Busch« entdecke (II.4.TA.399ff.). II.4.TA. 399

Lehrkraft II:

1053 Bildquelle: Fischer 2008, S. 47.

(-) eines tages sieht also de:r äh MOse einen brennenden busch–

292

Die Analyse

(Fortsetzung) 400

und er WUNdert sich weil bei diesem busch ist es nämlich so

401 402

dass der nicht verBRENNT (-) der brennt einfach nur

403 404 405 406

Niko: Lehrkraft II:

[aber der verbrennt nicht] [((verzieht stirnrunzelnd das Gesicht)) ((leise)) hä?] und das ist ungewöhnlich wir haben in letzter zeit buschfeuer gehabt in ähm::

407 408

in ausTRAlien und in nordamerika und so weiter und da ist es ja so dass ganze bäume ganze riesige waldflächen abgebrannt sind–

409 410

und HIER ist es halt so es brennt– aber VERbrennt nicht

411 412

Kommentar :

413 Niko: 414 Lehrkraft II: Tabelle 96: II.4.TA.399–414

[(-) SO jetzt muss ich leider wieder licht anmachen] [((Niko wirft Todd und Sven mit gerunzelter Stirn und kraus gezogener Nase einen Blick zu, Sven verzieht ebenfalls stirnrunzelnd das Gesicht))] [äh:] [jetzt brauch ich wieder jemanden der was verTEILT]

Im Anschluss an die einleitende Erzählformel »eines Tages« schildert die Lehrkraft die Begegnung Moses mit einem »brennenden Busch«, wobei sie intonatorisch seine Verwunderung hierüber hervorhebt (»er wundert sich«) (II.4.TA.399f.). Sowohl mit der kausalen Konjunktion »weil« als auch mit dem eine Begründung für die vorangehende Aussage ausdrückenden Adverb »nämlich« signalisiert die Lehrkraft, dass nun die Erklärung für Moses Verwunderung folge (II.4.TA.400). In ihrer Beschreibung der verwunderlichen Eigenschaft des Busches betont die Lehrkraft die zweite Silbe des Verbs »verbrennt« und nicht das – in dem von ihr beschriebenen Phänomen – bedeutungsunterscheidende Präfix »ver-« (II.4.TA.401). Im Folgenden führt sie dieses Phänomen weiter aus, indem sie die – mittels der Partikel »einfach« verstärkte – Aussage des »nur Brennen« dem »nicht Verbrennen« kontrastiv (»aber«) gegenüberstellt (II.4.TA.402f.). Während bei dem überwiegenden Anteil der Schüler_innen keine direkte Reaktion auf diese Schilderung der Lehrkraft zu beobachten ist, suggeriert Nikos Stirnrunzeln in Verbindung mit der leise geäußerten Fragepartikel »hä« ein gewisses Unverständnis, wobei offen bleibt, ob es sich auf den Darstellungsversuch des Unterschieds zwischen Brennen und Verbrennen seitens der Lehrkraft oder auf das Phänomen des nicht Verbrennens trotz Brennens an sich bezieht (II.4.TA.404). Im Anschluss an die Beschreibung des Phänomens expliziert die Lehrkraft die bereits

Unterrichtseinheit II

293

in dieser implizit enthaltenen Ungewöhnlichkeit und leitet dann – mit dem Verweis auf in jüngster Vergangenheit in der von ihr und den Schüler_innen geteilten Realität (»wir haben … gehabt«) beobachtbarem »Buschfeuer« – eine Erklärung ein, warum es ungewöhnlich sei, dass der Busch nicht verbrenne (II.6.TA.405– 409). Während es bekanntlich (»ja«) bei diesen Feuern so sei, dass »Bäume« und »Waldflächen« abbrannten, sei es »hier« – in dem von der Lehrkraft zuvor als »Geschichte«1054 Bezeichneten – nun einmal (»halt«) so, dass »es« brenne, aber nicht verbrenne (II.4.TA.408–410). An dieser Stelle hebt die Lehrkraft nun intonatorisch das Präfix »ver-« hervor und damit den nicht weiter explizierten Bedeutungsunterschied zwischen brennen und verbrennen. Auch hier ist bei Niko (»äh«) sowie bei Sven ein mimischer Ausdruck des Unverständnisses gegenüber der Schilderung der Lehrkraft zu beobachten. Es bleibt offen, worauf sich dieses Unverständnis genau bezieht, da weder Niko noch Sven es in einer direkten Nachfrage an die Lehrkraft explizit machen. Ähnlich der Beschreibung eines Landes, in dem Milch und Honig fließen, wird auch in diesem von der Lehrkraft geschilderten Abschnitt der ExodusErzählung von einem Phänomen gesprochen, welches – gemessen an der von der Lehrkraft und den Schüler_innen geteilten Realität – mit großer Wahrscheinlichkeit keinem der Anwesenden in Wirklichkeit begegnet ist oder von welchem sie bereits in anderen Zusammenhängen gehört haben (vgl. »ähm habt ihr noch nie gehört, dass in einem Land Milch und Honig fließt«1055). Die Lehrkraft konstatiert hier jedoch nicht, dass es die Gleichzeitigkeit von Brennen und Verbrennen eines organischen Stoffes »nicht wirklich« gebe, sondern bewertet dies als »ungewöhnlich« und zeigt an einem Beispiel des aktuellen (»wirklichen«) Weltgeschehens, dass dies so nicht beobachtbar sei. Eine Erklärung oder Deutung, warum das Brennen nun in der von ihr erzählten Geschichte auf diese ungewöhnliche Weise geschildert werde, erfolgt nicht (»hier ist es halt so«1056). Auch die Schüler_innen thematisieren das Phänomen des brennenden aber nicht verbrennenden Busches weder in dieser Szene noch in den folgenden Stunden. Szene 2: Die Verwandlung von bitterem Wasser In der achten Stunde der Unterrichtseinheit erzählt die Lehrkraft davon, wie es den Israeliten auf ihrem Weg durch die Wüste ergehe, nachdem sie mit den Schüler_innen darüber gesprochen hat, welche Bedingungen in einer Wüste hinsichtlich der Versorgung mit Nahrung herrschten und welche Gefahren sich für einen Menschen dort ergeben könnten. 1054 II.4.TA.379, s. Tabelle 88, S. 279–281. 1055 II.6.TA.149, s. Tabelle 95, S. 288f. 1056 II.4.TA.409, s. Tabelle 88, S. 279–281.

294 II.8(a).TA. 103 104 105 106 107

Die Analyse

Lehrkraft II:

und genau DAS ist den israeliten auch passiert–

ähm die haben natürlich auch sehr viel durst gehabt könnt ihr euch vorstellen wenn (man) so in der wüste ist– (-) die mussten natürlich immer wieder wasser finden– (-) und die isrealiten äh:m die männer und frauen und kinder hatten natürlich sehr sehr viel durst und dann sind sie auf eine QUELle gestoßen auf WASser gestoßen–

ähm: haben es versucht zu trinken– und dann war das so wie das in der BIbel steht 109 (.) war das wasser BITTER also das heißt das schmeckte überhaupt nicht das war so ganz faulig und 110 (-) war eben halt nicht gut zu TRINKen 111 und dann könnt ihr euch natürlich vorstellen was die israeliten in dieser NOTsituation dann äh zu mose gesagt haben 112 was könnten sie gesagt haben? […] […] 142 Nick: (- -) ähm (-) »MOse du sollst gott fragen ob der das BESSer macht« 143 Lehrkraft II: genau »mach das mal besser« ne? (-) »also so geht das auch nicht« […] […] 153 Lehrkraft II: (-) und der mose bekommt von gott nun etwas gesagt also MOse hört das dann und sagt 154 (-) ((räuspert sich)) »mose brich einen ähm: (-) brich einen kleinen ast ab– 155 von dem/ von dem strauch den du dort siehst und wirf diesen ähm: wirf diesen st/ ähm: 156 (.) stock in das wasser hinein– und dann verwandelt sich das wasser in trinkbares und genießbares wasser« 157 (-) und das MACHT der mose auch– 158 (.) und äh schon können also die menschen von diesem wasser trinken also gott HILFT ihnen da auch 159 (- -) ja? und das macht er mehrere MAle das heißt der hat also/ (jetzt) wollen wir mal gucken wie es in so ner WÜste überhaupt aussieht Tabelle 97: II.8(a).TA.103–112, 142f., 153–159 108

Unterrichtseinheit II

295

Im Anschluss an die von einigen Schüler_innen getroffenen Vermutungen über die Äußerungen der Israeliten gegenüber Mose angesichts des »bitteren Wassers« setzt die Lehrkraft ihr Erzählen fort. Sie schildert, wie Gott zu Mose spreche und ihm erkläre, was zu tun sei, um »genießbares Wasser« zu erhalten, wobei sie Gottes Ansprache in direkter Rede formuliert und damit den biblischen Text erweitert (vgl. Ex 15,25; II.8(a).TA.153–156). Während in diesem erzählt wird, dass Gott Mose ein Holz zeigt, und Mose dieses daraufhin in das Wasser wirft, beschreibt die Lehrkraft, wie Gott Mose erklärt, dass er einen Stock von einem Strauch abbrechen und ihn zur Wandlung des Wassers in dieses hineinwerfen solle. Indem die Lehrkraft die Auflösung der kritischen Situation der Israeliten mit der Formulierung »und schon« einleitet, impliziert sie, dass die Verwandlung nach dem Hineinwerfen des Stockes nicht lange dauere und das Problem schneller gelöst sei, als die Ausgangssituation erwarten ließe (II.8(a).TA.158). Sie schließt diesen Erzählabschnitt mit der Schlussfolgerung (»also«), dass Gott den Israeliten in dieser Situation (»da«) helfe, und fordert mit der nachgesetzten Fragepartikel »ja« indirekt die Zustimmung der Schüler_innen zu ihren Ausführungen ein (II.8(a).TA.158f.). Wenn die in diesem Erzählabschnitt enthaltene unverzügliche Verwandlung von bitterem oder ungenießbarem Wasser zu trinkbarem Wasser durch einen von einem Strauch abgebrochenen Stock – wie die Ankündigung eines Landes, in dem Milch und Honig fließen – an dem Wirklichkeitskriterium gemessen würde, ob die Anwesenden schon einmal davon gehört oder es selbst erlebt haben,1057 wäre auch sie mit großer Wahrscheinlichkeit als »nicht wirklich« zu bewerten. Jedoch lässt sich weder eine solche Einordnung noch eine Bewertung als »ungewöhnlich« seitens der Lehrkraft oder der Schüler_innen beobachten, auch wenn die mimischen Reaktionen zweier Schüler auf Verwunderung bzw. gewisse Zweifel an den Schilderungen schließen lassen. Genauso wenig wird die wundersame Wandlung mittels einer naturwissenschaftlichen Deutung erklärt, wie die Lehrkraft es im Zuge der Erzählung von der Versorgung der Israeliten mit Manna und Wachteln in der Wüste tut. Ähnlich der Erklärung des Manna als Ausscheidung einer Schildlausart, welche sich von dem Pflanzensaft der Tamariskensträucher ernährt (II.8(b).TA.25–107),1058 wäre auch für die Verwandlung des bitteren Wassers eine naturwissenschaftliche Begründung möglich. So könnte sich beispielsweise auf die wasserreinigende Funktion von verbranntem Holz (Kohle) oder auf die ionenaustauschende Funktion bestimmter Hölzer bezogen werden.1059 Auch eine solche Deutung des Erzählten erfolgt an dieser

1057 II.6.TA.149, s. Tabelle 95, S. 288f. 1058 II.8(b).TA.25–107, s. Tabelle 239 u. 240, S. 470–472 u. S. 473f. 1059 Vgl. Humphrey 2007, S. 310–312.

296

Die Analyse

Stelle nicht, stattdessen wird die Szene von der Lehrkraft abschließend als Hilfe Gottes markiert. Szene 3: Die Verwandlung von Wasser zu Blut Eine letzte Szene, die im Zuge dieser komparativen Analyse hinsichtlich der Thematisierung der Wirklichkeitsfrage untersucht werden soll, ereignet sich in der sechsten Stunde der Einheit. Im Anschluss an das Vorlesen der Erzählung vom brennenden Dornbusch, fragt die Lehrkraft die Schüler_innen nach ihrer Einschätzung hinsichtlich der Reaktion des Pharaos auf Moses Anfrage. Sie erklärt dann, dass in Folge der verneinenden Antwort des Pharaos »die sogenannten Plagen« »passieren« (II.6.TA.252). II.6.TA. 252

Lehrkraft II:

(-) da passieren die sogenannten PLAgen

254

das heißt also– ähm gott sagt hat ja zu mose gesagt »ich bin« ähm »ich bin DA«– (-) und äh jetzt ist es SO (.) dass ähm

255 256

(.) der pharao sagt »ich lass euch nicht ziehn«– und dann sagt gott »wenn ihr/du« sag dem pharao–

257

wenn du mein volk nicht ziehen lässt dann werd ich dir irgendetwas Böses (.) SCHICKen sozusagen und das wollen wir uns mal ANschauen

253

258 259

Kommentar :

260

Lehrkraft II:

261 262

Kommentar :

263 264

Lehrkraft II:

((L. erklärt was die SuS nun an Material benötigen und lässt zwei AB verteilen)) so wer möchte den ERsten teil einmal lesen? auf dem BLATT auf dem der TEXT steht (( Elisabeth liest den ersten Abschnitt des Text-AB vor (1. Plage): »Bald darauf ließ Gott zehn schwere Plagen über Ägypten kommen. Zuerst wurde alles Wasser zu Blut. In den Bächen und in den Seen und Sümpfen starben die Fische. Das Wasser stank furchtbar. Niemand konnte es trinken. Doch der König machte sich nichts daraus. Sein Herz blieb hart wie Stein.« )) SO jetzt möchte ich von euch wissen (- -) äh WELche STRAFE schickt gott

265 266

(-) äh dem pharao und damit auch dem volk ISrael (-) und jetzt möchte ich gleich FOLgendes haben in dem text steht etwas–

267

(-) und ihr sollt mir bitte in diesem fall DREI wörter sagen die man unterSTREIchen muss

268

297

Unterrichtseinheit II

(Fortsetzung) 269 […] 290

(1.6) was ist die erste plage Lehrkraft II:

[…] (- -) DREI wörter was passiert (guckt auf/)

291 […]

(1.6) was schickt gott? den ägyptern? […]

311 312

(3.3) jetzt haben wir da oben den michael bitte (-) »STARb/ STARBen die FISCHe«

Michael:

313 314

Lehrkraft II:

WARUM denn warum TAten sie das denn? (- - -) was hat gott geschickt

315 316

Michael:

(- - -) gott hat (.) gesch:ickt äh:

317 318

Lehrkraft II: Lukas:

was hat er geschickt ähm der hat das wasser zu BLUT gemacht

319 320

Lehrkraft II:

OK jetzt sag mir die drei wörter ((zu Matthias und Elisabeth)) hör auf damit

321 322

Lukas: Lehrkraft II:

»wasser– (1.2) BLUT« »(-) wasser (.) ZU (.) blut«

323 324

Kommentar :

(- - -) WASser hat er in BLUt ge/ verwandelt (( L. fordert die SuS auf die drei Wörter zu unterstreichen)) Tabelle 98: II.6.TA.252–269, 290f., 311–324

Die Lehrkraft beschreibt diese »Plagen« als »irgendetwas Böses«, das Gott dem unnachgiebigen Pharao »schickt« (II.6.TA.256–258). Trotz des angehängten, die Exaktheit ihrer Formulierung relativierenden, Adverbs »sozusagen« markiert die Lehrkraft deutlich Gott als aktiv Handelnden und als Verursacher der nun gemeinsam »anzuschauenden« Plagen (II.6.TA.254–258). Auch in dem daraufhin von Elisabeth vorgelesenen ersten Textabschnitt wird Gott explizit als Handelnder dargestellt (»Bald darauf ließ Gott zehn schwere Plagen über Ägypten kommen.«) (II.6.TA.262). Im Anschluss an das Vorlesen der ersten Plage fordert die Lehrkraft die Schüler_innen auf, zu wiederholen, was die erste Plage sei und ihr zur Beschreibung dieser drei Worte aus dem vorgelesenen Text zu nennen. Dabei bezeichnet die Lehrkraft die Plage als von Gott geschickte »Strafe«, sodass auch hier Gott als Verursacher der Verwandlung von Wasser zu Blut und dem daraufhin folgenden Fischsterben benannt wird (II.6.TA263–265). Im weiteren Verlauf der Suche nach den zu unterstreichenden Wörtern dokumentiert sich diese Orientierung ebenfalls, sowohl bei der Lehrkraft (II.6.TA.291, 314, 317, 323), als auch bei den sich äußernden Schülern (II.6.TA.315, 318). Das im Text beschriebene Phänomen der Verwandlung von

298

Die Analyse

Wasser zu Blut wird weder seitens der Lehrkraft noch seitens der Schüler_innen hinsichtlich seiner Wirklichkeit befragt oder als ungewöhnlich bewertet. Auch während der Weiterbearbeitung des Textblattes in der Folgestunde ist eine solche Bewertung bzw. eine diesbezügliche Infragestellung des Gelesenen in Bezug auf die erste oder eine der weiteren Plagen nicht zu beobachten. Konklusion Neben der Erklärung der Lehrkraft in der sechsten Stunde, dass es ein Land, in dem Milch und Honig fließen, nicht wirklich gebe, und der damit verbundenen Suche nach der Bedeutung dieser Formulierung gibt es keine weitere Szene innerhalb der Unterrichtseinheit, in der die Lehrkraft explizit über die Frage der Wirklichkeit des Erzählten spricht oder gemeinsam mit den Schüler_innen nach einer Alternative zu der literalen Bedeutung des Gelesenen oder Erzählten sucht. Die komparative Analyse zeigt, dass auch in den oben aufgeführten Szenen, in denen ein der – von ihr und den Schüler_innen geteilten – Wirklichkeit scheinbar widersprechendes Geschehen thematisiert wird, diese Frage weder von der Lehrkraft noch von den Schüler_innen angesprochen wird. Zwar benennt die Lehrkraft das Phänomen des brennenden und doch nicht verbrennenden Busches als »ungewöhnlich«, ein deutliches Verneinen seiner Wirklichkeit oder ein deutendes Gespräch dieser speziellen Darstellung in der Erzählung erfolgt jedoch nicht. Eine mögliche Erklärung für die einerseits explizite und direkt erfolgende Verneinung der Wirklichkeit des Landes, in dem Milch und Honig fließen sowie der Suche nach einer alternativen Deutung und für die andererseits nicht zu beobachtenden Thematisierung der Wirklichkeits- und Deutungsfrage bezüglich vergleichbarer als »ungewöhnlich« oder »nicht wirklich« bewertbarer Elemente der Erzählung, könnte eine von der Lehrkraft wahrgenommene Unterschiedlichkeit in der Qualität des »Nicht-Wirklichen« sein. Während es sich beim ersten Phänomen zunächst nur um die Beschreibung eines besonderen Ortes handelt und das »Nicht-Wirkliche« leicht als Bestandteil einer Redensart und metaphorischen Umschreibung gedeutet werden kann, werden die übrigen oben zum Vergleich aufgeführten Phänomene als Handlungen Gottes bzw. in direkter Verbindung mit Gott stehend dargestellt. Die Beantwortung der Frage, was diese Phänomene (z. B. der brennende und zugleich nicht verbrennende Busch) bedeuten, warum von solchen – unserem Wirklichkeitsverständnis widersprechenden – Ereignissen erzählt wird, scheint sehr viel komplexer zu sein. Interessant ist im Kontext dieser Überlegungen die Beobachtung, dass die Lehrkraft einen Teil der in der Exodus-Erzählung enthaltenen ungewöhnlichen, wunderhaften Geschehnisse so erzählt, dass ihr Widerspruch zu unseren Wirklichkeitsvorstellungen abgemildert oder aufgelöst wird. So liest die Lehr-

Unterrichtseinheit II

299

kraft einen Text zum Auszug aus Ägypten vor, in welchem die Rettung vor den ägyptischen Verfolgern mit ausschließlichem Verweis auf die Wolkensäule (vgl. Ex 12,19f.), die sich zwischen die Israeliten und die Ägypter stellt, geschildert wird (»am Ende unseres Zuges war die Wolke wieder da, dick und groß wie eine Nebelwand zwischen uns und den Ägyptern und von da an war nichts mehr von den Ägyptern zu sehen und zu hören«1060). Ein Durchzug oder eine Teilung des Meeres (vgl. Ex 14) bleiben unerwähnt. Und auch die im biblischen Text erzählte Versorgung der Israeliten in der Wüste mit Manna und Wachteln schildert die Lehrkraft, wie oben bereits angesprochen, als natürliche Phänomene (Schildlausauscheidungen und ermüdete Zugvögel)1061 und nicht als wunderhafte Versorgung mit Brot, welches vom Himmel regnet (Ex 16,4). Diese Analysen zeigen außerdem, dass die Schüler_innen weder die im Kontext der Handlungen Gottes erzählten ungewöhnlichen Geschehnisse hinsichtlich ihrer Wirklichkeit explizit hinterfragen, noch Schwierigkeiten mit der Erklärung des von der Lehrkraft als nicht wirklich existent beurteilten Phänomens des Fließens von Milch und Honig auf einer anderen als der Ebene der literalen Bedeutung haben. In der gesamten Unterrichtseinheit findet sich nur eine Szene, in der ein Schüler das von der Lehrkraft Erzählte hinsichtlich dessen Realität bzw. Plausibilität kritisch hinterfragt. Im Anschluss an die Erklärung der Lehrkraft, dass sich die Israeliten in der Wüste von den Ausscheidungen von Schildläusen auf Tamariskensträuchern ernährten, bezieht sich Michael auf die hierzu gezeigte Abbildung1062 und erkundigt sich zum einen, wie man so kleine »Kügelchen« essen könne und wie diese kleine Menge der von einer Schildlaus ausgeschiedenen »Manna-Kügelchen« für alle Israeliten gereicht hätte.1063 Spannend ist dabei, dass diese die Plausibilität des Erzählten anzweifelnde Frage nicht im Kontext einer auf den ersten Blick als ungewöhnlich oder dem allgemeinen Wirklichkeitsverständnis widersprechenden Szene gestellt wird, sondern als Reaktion auf die von der Lehrkraft gewählte naturalistische Darstellung. So bleibt die Frage nach der Deutung von als nicht wirklich bewertetem Erzählinhalt beschränkt auf die erste oben dargelegte Szene und die Erklärung, was es bedeute, wenn von einem Land gesprochen werde, in dem Milch und Honig fließen, und spielt im Prozess der Konstruktion des Konzepts des biblischen Textes über den Verlauf der Unterrichtseinheit keine weitere Rolle.

1060 II.7.TA.183–186, s. Tabelle 293 im digitalen Anhang; vgl. auch: II.7.TA.224–226, s. Tabelle 137, S. 333f. 1061 Siehe hierzu auch Kap. 6.4.3.2. 1062 Für eine Beschreibung der Abbildung siehe Fußnote 1381, S. 470. 1063 II.8(b).TA.91–107, s. Tabelle 147, S. 339f.

300

Die Analyse

6.2.2.3 Incident »ein Mensch, der heißt Mose« »Man weiß nicht, wie er wirklich ausgesehen hat.« [Lehrkraft II]

Im Anschluss an die Fertigstellung der in der vorherigen, dritten Stunde begonnenen Arbeit der Schüler_innen an der Darstellung der Israeliten als Sklaven in Ägypten1064 und dem damit verbundenen Gespräch darüber, was die Israeliten in dieser Situation belastet ereignet sich die folgende Szene, in welcher die Lehrkraft erstmals die Person Mose vorstellt. Szene 1 II.4.TA. 69 70

Lehrkraft II:

SO jetzt wollen wir mal einen menschen KENNen lernen (-) der äh:: mit den israeliten mit den SKLAven etwas zu tun hat und zwar ist das ein mensch der heißt MOse (- -) U::ND den namen habt ihr vielleicht schonmal geHÖRT– ((schaltet den OHP an, auf dem eine Folie mit Zeichnungen von Werner Tiki Küstenmacher bereit liegt))

71 72

73 74

mehrere SuS: uk:

((Gelächter, Kichern)) ((leise)) (sieht aus wie) ((unverst. Gemurmel))

75

Lehrkraft II:

(- -) JA:: das ist jetzt nicht die origiNALzeichnung also so hat der nicht ausgesehen– [(-) äh: das ist jetzt einfach nur mal so ein comic sozusagen ((geht zu ihrem Platz und holt einen Stift aus ihrer Tasche))]

77 78

Jasper : mehrere SuS:

[(- - -) der sieht sehr witzig aus] [ ((vereinzeltes Kichern)) ]

79 80

Jasper :

[(- -) der sieht SO: witzig aus] ((kurzes Auflachen))

81

Lehrkraft II:

SO wir stellen jetzt das lachen ein der hat nicht so ausgesehen sondern der ist einfach nur hier so gezeichnet

uk: Lehrkraft II:

(-) oh denn man weiß NICHT wie er wirklich ausgesehen hat

76

82 83 84 85 86

könnt/ kannst das sehen? (-) kannst alles? bitte?

1064 Die Schüler_innen reißen Figuren aus Tonpapier, welche die Lasten tragenden und zu Gott schreienden Israeliten darstellen sollen und kleben diese auf.

301

Unterrichtseinheit II

(Fortsetzung) 87

Maik:

geht

88 89

Lehrkraft II: Maik:

nicht ganz so gut? (aber) leicht besser

90 91

Lehrkraft II:

(1.5) SO sch::: (1.3) SO das reden wieder einstellen

92 93

mehrere SuS: Lehrkraft II:

((Gemurmel)) ((ermahnend)) jasper

94 95 Tabelle 99: II.4.TA.69–95

(2.0) wir haben hier einen menschen der heißt MOse das ist der hier mit dem BRETT

Nachdem die Lehrkraft die Arbeitsphase beendet und die Schüler_innen dazu aufgefordert hat, ihre Mappen zu schließen, schaltet sie das Licht im Klassenraum aus und markiert mit der betonten Partikel »so« auch verbal, dass nun ein neuer Abschnitt beginne bzw. der vorangegangene hiermit beendet sei (II.4.TA.69). Sie kündigt an, dass sie jetzt gemeinsam (»jetzt wollen wir«) einen »Menschen« »kennen lernen«, der – mit den in den vorangegangenen Stunden thematisierten – Israeliten »etwas zu tun« habe (II.4.TA.70). Mit der nachgeschobenen Bestimmung der Israeliten als Sklaven greift sie die Verbindung von Israeliten und ägyptischen Sklaven aus der vorangegangenen Stunde auf. Die Art der Beziehung zwischen dem »Menschen« und den Israeliten lässt die Lehrkraft mit der unspezifischen Beschreibung »etwas zu tun haben mit« vorerst offen. In der nun folgenden namentlichen Bestimmung nutzt die Lehrkraft erneut die Bezeichnung »ein Mensch« und impliziert mit ihrer anschließenden Vermutung (»vielleicht«), dass die Schüler_innen den Namen schon einmal gehört haben könnten sowie eine gewisse Bekanntheit dieses Namens bzw. des damit bezeichneten »Menschen« (II.4.TA.71f.). Eine Reaktion der Schüler_innen auf diese Vermutung ist nicht zu beobachten, da die Lehrkraft gleichzeitig den Tageslichtprojektor einschaltet und die Aufmerksamkeit auf die Zeichnungen1065 von Werner Tiki Küstenmacher lenkt. Auf diese reagieren mehrere der Schüler_innen mit Gelächter oder leisem Gekicher (II.4.TA.73). Die Lehrkraft signalisiert mit der – im allgemeinen Sprachgebrauch – Zustimmung ausdrückenden Partikel »ja«, dass sie den Grund für die Reaktionen der Schüler_innen auf die Zeichnungen erkenne, zugleich wirkt das betonte in die Länge Ziehen wie eine Beschwichtigung und Relativierung des durch die Art der Abbildung hervorgerufenen Gelächters (II.4.TA.75). Es folgt die Begründung dieser Relativierung in dem Hinweis der Lehrkraft, dass es sich bei den gezeigten Bildern 1065 Siehe hierzu Küstenmacher 1986, S. 13.

302

Die Analyse

nicht um »die Originalzeichnung« handele. Der genutzte bestimmte Artikel »die« in Verbindung mit dem – Ursprünglichkeit, Unverfälschtheit und Echtheit ausdrückenden – ersten Teil (»original«) des Kompositums »Originalzeichnung« suggeriert, dass dies zwar nicht die »echte« Zeichnung ist, eine solche aber existiere. Mit der nachgeschobenen Erläuterung (»also«), dass Mose (»der«) nicht so ausgesehen habe, bestimmt die Lehrkraft genauer, was sie mit dem Begriff »Originalzeichnung« meine. Dabei impliziert ihre Formulierung, dass es in der Vergangenheit einen Mose mit einem bestimmten auf dieser Abbildung aber nicht wiedergegebenen Aussehen gegeben habe. In ihrer Erklärung, worum es sich stattdessen bei dem Gezeigten handele (»ein Comic sozusagen«), schwächt sie die Bedeutsamkeit der ausgewählten Abbildungen ab (»einfach nur mal so ein«) (II.4.TA.76). Parallel zu dieser Äußerung, d. h. im Anschluss an den Hinweis, dass Mose nicht so ausgesehen habe, bewertet Jasper dessen Aussehen (»der sieht […] aus«) als »sehr witzig« (II.4.TA.77). Einige Schüler_innen beginnen erneut zu kichern, und Jasper äußert zum zweiten Mal, dass »der« »witzig« aussehe, wobei er diese Bewertung mit der Betonung und Längung der Partikel »so« sowie dem anschließenden Auflachen zusätzlich verstärkt (II.4.TA.79). Die Lehrkraft leitet ihre Reaktion ebenfalls mit der Partikel »so« ein, deren Intonation markiert jedoch einen Abschluss des vorangegangenen Gesprächsabschnitts bzw. das Beenden der spontanen Äußerungen der Schüler_innen. Die zuvor nur implizit erfolgte Beruhigung der Schüler_innen fordert die Lehrkraft mit der Anweisung, das »Lachen« einzustellen, nun explizit ein (II.4.TA.81). Sie wiederholt noch einmal die Feststellung, dass Mose (»der«) nicht so ausgesehen habe und den damit verbundenen impliziten Hinweis auf die Existenz des Mose zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit. Auch mildert sie erneut die Bedeutsamkeit der Art der präsentierten Zeichnung in fast identischem Wortlaut ab (»einfach nur hier so gezeichnet«) (II.4.TA.82). Anders als zuvor führt die Lehrkraft hier aber eine Begründung dafür an (»denn«), warum Mose »hier« »einfach nur so gezeichnet« sei, und erklärt, dass »man […] nicht« wisse, »wie er wirklich ausgesehen« habe (II.TA.84). Während sie mit dem Pronomen »man« impliziert, dass es sich hierbei um das Wissen bzw. Nichtwissen einer nicht näher bestimmten Allgemeinheit handelt, wird durch das auf Mose bezogen genutzte Perfekt in Verbindung mit dem Adjektiv »wirklich« – im Sinne von »in Wirklichkeit« und im Unterschied zum gezeigten »Comic« – suggeriert, dass zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit ein »Mensch« namens Mose existiert habe, über sein Aussehen aber nichts bekannt sei. Mit der direkt anschließenden Frage an Mike, ob er von seinem Platz aus alles auf der Abbildung sehen könne, beendet die Lehrkraft die Beschäftigung mit der Frage nach dem Aussehen Moses in Form einer rituellen Konklusion und beginnt nach der Ermahnung der Schüler_innen, das Getuschel zu unterlassen (II.4.TA.90–93), mit der Beschreibung der dargestellten Abbildungen. Hierbei

Unterrichtseinheit II

303

verwendet sie wie schon zu Beginn ihrer Einführung die Formulierung »ein Mensch« zur Bezeichnung der Person, die Mose heiße (II.4.TA.94). Während sie in den vorangegangenen Bemerkungen zu seiner Person bzw. seinem Aussehen das Perfekt nutzt, verwendet sie in dem nun folgenden Erzählen von der Tötung eines ägyptischen Aufsehers durch Mose durchgehend das Präsens. Szene 2 Den Abschluss der Erzählung der Lehrkraft zu den Abbildungen von Werner Tiki Küstenmacher bildet die folgende Szene. II.4.TA. 141

Lehrkraft II:

142 143 144 145

und er flieht in ein land hinein– (.) MIdian heißt das und da wollen wir gleich mal gucken also äh wie es da mit ihm dann WEItergeht im laufe der zeit

Jasper : Lehrkraft II:

146 147 148 149

ui:: ABER wir haben jetzt so gesehen dass muss ja ein ganz heftiger mensch im grunde genommen sein dass der jemanden da so getötet hat und wir wollen mal gucken was wir noch aus seinem LEben erfahren und dazu werden wir einmal im BUCH lesen (.) wer von euch ist austeildienst u:nd verteilt mal die bücher

Tabelle 100: II.4.TA.141–149

Die Lehrkraft beschließt ihr Erzählen mit der Ankündigung, dass sie nun alle gemeinsam (»wir«) schauen würden, wie es mit Mose (»mit ihm«) weitergehe (II.4.TA.142f.). Mit der Betonung der – ihre anschließende Äußerung eröffnenden – Konjunktion »aber«, welche einen Gegensatz oder eine Einschränkung ankündigt, signalisiert sie, dass zuvor noch etwas Anderes erfolge und fügt eine zusammenfassende Bewertung des soeben Erzählten an (II.4.TA.145f.). Wie schon zu Beginn nutzt die Lehrkraft zur Umschreibung Moses den Begriff »Mensch« und erklärt, dass sich aus dem soeben Gehörten unweigerlich (»muss ja«) die Beurteilung ergebe, dass es sich bei Mose eigentlich (»im Grunde genommen«) um einen »heftige[n]« Menschen handele, da er »jemanden da so getötet« habe (II.4.TA.145f.). Hier nutzt die Lehrkraft wieder das Perfekt und verortet damit die beschriebene Tat in der Vergangenheit. Im Anschluss wiederholt sie ihre Ankündigung des nächsten Arbeitsschrittes, wobei der vorausgesagte Einblick in den weiteren Handlungsverlauf (»wie es da mit ihm dann weitergeht im Laufe der Zeit«) durch die Formulierung »aus seinem Leben« wie die Auseinandersetzung mit realen biografischen Informationen wirkt

304

Die Analyse

(II.4.TA.146f.). Als Informationsquelle für diese Daten wird das »Buch« benannt, aus welchem in der ersten Stunde der Einheit bereits gemeinsam zwei Texte zum Passahfest gelesen wurden (II.4.TA.148f.). Nach dem Verteilen der Religionsbücher wird der Text »Gott rettet Mose«1066 von den Schüler_innen vorgelesen. In diesem wird von Moses Geburt, dem Aussetzen des Neugeborenen auf dem Nil und der Rettung durch die Pharaonentochter erzählt. Szene 3 Im Anschluss an den Text zur Geburt und Rettung Moses lässt die Lehrkraft einen Text zur Tötung eines ägyptischen Aufsehers durch Mose von den Schüler_innen – ebenfalls aus dem Religionsbuch – vorlesen und erzählt dann anhand des Bildes »Mose vor dem brennenden Dornbusch«1067 von Marc Chagall, wie Mose an einen brennenden Dornbusch komme, der aber nicht verbrenne. Daraufhin lässt sie ein Textblatt austeilen, von dem die Schüler_innen vorlesen, wie Gott Mose den Auftrag gebe, die Israeliten aus Ägypten zu führen. Die folgende Szene bildet dann den Abschluss der Stunde. II.4.TA. 452 453

Lehrkraft II:

(-) ALso heute haben wir den MOse kennengelernt– wir haben KENNENgelernt wie er aufgewachsen ist

454 455

also wo er geBOren ist wo er aufgewachsen ist– dass er einen MORD begangen hat–

456 457

und dass er geFLOHen ist– und SCHAfe hütet ((Erik meldet sich)) hütet für einen PRIEster–

458 459

(-) U:ND dass er GOTT kennengelernt hat IN einem BUSCH also der busch BRENNT–

460 461

Erik:

Aber er verbrennt nicht (.) bitte erik (-) ich weiß wie der den ge/ den AUFseher getötet hat

462 463

Lehrkraft II: Erik:

ja? mit einem MESSer

464 465

Lehrkraft II:

mit einem messer meinst du (.) gut da müssen wir jetzt gucken–/ (-) SO dieses blatt bitte in eure MAPpe packen und dann ist die stunde jetzt auch um–

Tabelle 101: II.4.TA.452–465

Wie zu Beginn ihrer Einführung des »Menschen« Mose (II.4.TA.69) nutzt sie auch in der Einleitung ihrer Konklusion das Verb »kennenlernen« und beginnt 1066 Siehe hierzu Drews et al. 2008, S. 56. 1067 Bildquelle: Fischer 2008, S. 47.

Unterrichtseinheit II

305

eine chronologische Aufzählung einzelner Elemente der in dieser Stunde behandelten Erzählabschnitte der Exodus-Erzählung, welche sich auf die erzählten Taten oder Erlebnisse Moses beziehen. Dabei nutzt die Lehrkraft fast durchgehend das Perfekt, sodass die von ihr benannten Ereignisse als in der Vergangenheit abgeschlossen markiert werden (II.4.TA.454–458). Intonatorisch hebt die Lehrkraft dabei einzelne Begriffe hervor und signalisiert damit, dass es sich nach ihrer Bewertung hierbei um die zentralen Aspekte des Erzählten handelt (»geboren«, »geflohen«, »Schafe«, »Priester«, »Gott«, »in einem Busch«). Eingeleitet wie eine Erklärung (»also«) ihrer Aussage, dass Mose Gott in einem Busch kennengelernt habe, wiederholt sie noch einmal das Phänomen des brennenden aber nicht verbrennenden Busches, wobei sie hierfür das Tempus wechselt und das Präsens verwendet (II.4.TA.459f.). In direktem Anschluss hieran übergibt sie das Rederecht an Erik, der bereits seit ihrer Aufzählung der Flucht Moses eine Wortmeldung anzeigt (II.4.TA.457). Erik gibt an, dass er wisse, wie Mose (»der«) den Aufseher getötet habe (II.4.TA.461), wobei der Zeitpunkt seiner Meldung dafür spricht, dass ihm dies in Folge der Äußerung über den Mord eingefallen ist, bzw. dass dies den Auslöser für seine Überlegung bildet. Auch Erik nutzt das Perfekt für seine Formulierung. Mit der fragend intonierten Partikel »ja« (im Sinne von »tatsächlich?«) impliziert die Lehrkraft in ihrer Reaktion einen Zweifel bzw. eine Verwunderung über die Aussage des Schülers (II.4.TA.462). Erik geht in seiner Antwort nicht auf diese Infragestellung seiner Behauptung ein, indem er beispielsweise sein diesbezügliches Wissen bestätigt oder die Quelle dessen anführt. Stattdessen gibt er direkt an, wie der ägyptische Aufseher seiner Ansicht nach getötet werde (II.4.TA.463). Die Lehrkraft wiederholt seine Aussage, wobei das angefügte »meinst du« sowohl eine Rückversicherung ausdrückt als auch die subjektive Meinung Eriks hervorhebt (II.4.TA.464). Während die anschließende Bewertung der Behauptung Eriks zunächst wie eine Validierung wirkt (»gut«), wird diese durch die daraufhin ausgedrückte Notwendigkeit, sich dies näher anzuschauen (»da müssen wir jetzt gucken«), relativiert. Obwohl die steigende Intonation zum Ende dieser Ankündigung auf eine nun folgende Ausführung dazu schließen lässt, was »geguckt« werde müsse, sowie auf eine daraus resultierende abschließende Bewertung Eriks Behauptung seitens der Lehrkraft, bricht diese jedoch die Thematisierung der Frage, wie der ägyptischen Aufseher getötet werde, ab, wendet sich wieder der gesamten Klasse zu, bittet die Schüler_innen, das ausgeteilte Textblatt in ihre Mappen zu heften, und beschließt dann die Stunde (II.4.TA.465).

Zwischenkonklusion Die Lehrkraft spricht in der Unterrichtsstunde, in welcher sich die oben dargelegten Szenen ereignen, erstmals über Mose. Welches Bild der biblischen

306

Die Analyse

Person Mose dokumentiert sich nun in ihrer Einführung und welches Konzept des biblischen Textes wird damit konstruiert? Zunächst stellt die Lehrkraft Mose als einen »Menschen« vor, der »mit den Israeliten mit den Sklaven und so weiter etwas zu tun« habe. Damit wird dieser Mensch implizit in einen historischen Bezugsrahmen gesetzt, da »die Israeliten als Sklaven in Ägypten«1068 in den vorangegangenen Stunden seitens der Lehrkraft sowohl implizit als auch explizit zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit der Realgeschichte verortet wurden.1069 Dabei deutet sie mit ihrer Vermutung über die Kenntnis des Namens Mose seitens der Schüler_innen an, dass es sich um eine durchaus bekannte Person handele. Das erste, was sie den Schüler_innen von diesem Mose erzählt, ist, wie er einen ägyptischen Augseher erschlagen habe, nachdem er diesen beim Auspeitschen eines israelitischen Sklaven beobachtet hätte. Diesen Teil der Exodus-Erzählung schildert sie zunächst frei und anhand von fünf Zeichnungen von Werner Tiki Küstenmacher. Auf die Art der Zeichnungen, die einem Comic ähnelnde Darstellung reagieren einige der Schüler_innen mit Gekicher und Zwischenbemerkungen. In ihrer daraufhin erfolgenden Stellungnahme zu diesen Abbildungen und den damit verbundenen Reaktionen der Schüler_innen dokumentiert sich das Anliegen der Lehrkraft, klar zu stellen, dass Mose nicht »so ausgesehen« habe sowie, dass es sich nicht um »die Originalzeichnung« handele. Es bleibt offen, ob sie dies lediglich zur Beruhigung der kichernden Schüler_innen für notwendig erachtet oder weil sie der potentiellen Frage, ob Mose so aussehe oder ausgesehen habe bzw. dieser Annahme, vorgreifen will. Im weiteren Verlauf der Stunde ist eine ähnliche Situation zu beobachten: Während die Lehrkraft die Darstellung Moses von Marc Chagall mit den Schüler_innen bespricht, beginnen auch hier einige von ihnen in Folge der Vermutung einer Schülerin – Mose habe auf dem Bild »Hasenohren« – zu lachen. Hier weist die Lehrkraft jedoch nicht erneut darauf hin, dass Mose nicht so aussehe oder ausgesehen habe, sondern schlägt vor, dass gemeinsam geschaut werden müsse »warum der Maler das gemacht hat«.1070 An dieser Stelle zeigt sich keine erkennbare Sorge um ein mögliches Missverständnis hinsichtlich des Aussehens Mose oder der Art der Bildquelle. Obwohl die karikaturistische Illustration auf den ersten Blick nur wenig Anhaltspunkte für die Annahme bietet, es sei eine historische Quelle, weist die Lehrkraft explizit darauf hin, dass dies nicht »die Originalzeichnung« sei. Diese Aussage in Verbindung mit der Erklärung, dass Mose nicht so ausgesehen habe, implizieren, dass ein solches Original jedoch existiere. Auch in der Erklärung der Lehrkraft, 1068 II.2.TA.546, s. Tabelle 289 im digitalen Anhang. 1069 II.2.TA.36–41, s. Tabelle 145, S. 338; II.2.TA.320–326, s. Tabelle 130, S. 329; II.2.TA.453– 456, s. Tabelle 131, S. 330. 1070 II.4.TA.343–349, s. Tabelle 290 im digitalen Anhang.

Unterrichtseinheit II

307

dass »man« nicht wisse, »wie er wirklich ausgesehen habe« dokumentiert sich das Konzept einer historischen, wirklichen Person. Diese Einordnung wird in den weiteren zwei Szenen, in denen die Lehrkraft auf einer den einzelnen Erzähltexten übergeordneten Ebene über Mose spricht, aufrechterhalten. Hier wird ebenfalls nicht explizit mit Bezug auf den Rahmen einer fiktionalen Erzählung über Mose gesprochen, sondern die in diesen Szenen genutzte Vergangenheitsform (Perfekt) sowie die impliziten Verweise auf biografische Daten und die Zusammenfassung des Gehörten ähnlich eines Lebenslaufes stützen die Vorstellung von einer realen Person der Vergangenheit bzw. geben keinen expliziten Anlass für eine anderweitige Einordnung. Seitens der Schüler_innen erfolgen abgesehen von Jaspers Kommentar, dass der Abgebildete »witzig« aussehe, weder in dieser noch in den folgenden Unterrichtsstunden weitere Äußerungen hinsichtlich Moses »wirklichem« Aussehen. Sie stellen auch keine anderweitigen Fragen zu seiner Person. Der Beitrag Eriks zur Art der Tötung des ägyptischen Aufsehers ist einer der wenigen, in denen sich eine Schülerin oder ein Schüler unabhängig von einer zuvor von der Lehrkraft formulierten Fragestellung zu dem von ihr Erzählten oder Gelesenen zu Wort meldet. Erik ist in seinem Beitrag aber nicht direkt an der Person Mose und dessen korrekter Darstellung interessiert, sondern an der korrekten bzw. detaillierten Darstellung der geschilderten Tat Moses. Trotzdem sowohl die Lehrkraft in ihrer freien Erzählung zu den fünf Zeichnungen Werner Tiki Küstenmachers als auch der im Religionsbuch gemeinsam gelesene Text von dem Erschlagen des ägyptischen Aufsehers spricht, ist es Erik ein Anliegen mitzuteilen, dass er wisse, wie Mose den Aufseher »getötet hat«. Obwohl die von ihm genannte Tötung mit einem Messer nicht zu dem Erzählten passt, erfolgt keine explizite Bewertung dessen durch die Lehrkraft oder ein Nachfragen hinsichtlich Eriks Quelle für diese Information. Ob es sich bei Eriks Aussage um eine Angabe aus einer anderen – ihm bekannten – Fassung der Erzählung (z. B. aus einem Film), um eine eigene Überlegung oder um eine Information aus einer anderen Quelle handelt, bleibt damit offen und für die übrigen Schüler_innen ungeklärt.1071

1071 Da Erik der Schüler ist, der in dieser Stunde im Kontext der Erzählung von der Rettung Moses durch die Pharaonentochter angibt, dass er »den Film« geguckt habe (II.4.TA.293, s. Tabelle 87, S. 276f.), liegt die Vermutung nahe, dass das Wissen um die Tötung des Aufsehers »mit einem Messer« (II.4.TA.463, s. Tabelle 101, S. 304) aus diesem Film stammt. In dem 2010 in Deutschland veröffentlichten Animationsfilm »Die zehn Gebote – Moses und das Geheimnis der steinernen Tafeln« (USA 2007, FSK 6) wird dargestellt, wie Mose den ägyptischen Aufseher mit dessen Messer tötet, nachdem dieser ihn – in Folge Moses Einspruch beim Umgang mit einem israelitischen Arbeiter – damit angreift.

308

Die Analyse

Komparative Analyse Die Suche nach Unterrichtsszenen für eine komparative Analyse mit der oben dargelegten Einführung des Menschen Mose führt zu keinen weiteren Szenen, in welchen über die in den Teilerzählungen enthaltenen Informationen hinaus seitens der Lehrkraft explizit über die Person Mose gesprochen wird. Die Anschlussgespräche an die jeweils von den Schüler_innen aus dem Religionsbuch und von Textblättern oder an die von der Lehrkraft vorgelesenen Teile der Exodus-Erzählung beinhalten zumeist Wiederholungen des zuvor Gehörten, sodass sie fast ausschließlich auf der Handlungsebene bleiben. Es wird nicht auf einer Metaebene über das Erzählte und dessen Bedeutung oder über die Person Mose gesprochen. Szene 1 Nur in der achten Stunde der Einheit gibt die Lehrkraft einen weiteren Hinweis zur Frage nach der in den oben aufgeführten Szenen angedeuteten Historizität des Mose, während sie den Schüler_innen Fotografien von verschiedenen Wüstenlandschaften zeigt. II.8(a).TA. 218

Lehrkraft II:

((legt eine weitere Fotografie auf den Projektor)) in einer wüste–

219 220

mehrere SuS: Marco:

((staunende Ausrufe)) (2.56) DA sind aber menschen und vieh

221

Lehrkraft II:

ja das ist auch eine heutige aufnahme (.) der MOse das ist nicht von früher als der mose durchgelaufen ist (.) aber die israeliten mussten natürlich auch vieh mitnehmen (-) versuchen das irgendwie durchzukriegen

222 223 224

Marco:

225

Lehrkraft II:

226 227

[(-) aber ihr könnt euch vorstellen also/] [(- - -) und schlachten] ja zum schlachten aber das ist nicht so ganz einfach da vieh durchzukriegen weil ihr seht das ist auch ganz KARG dort es ist also nicht so viel da für das für die TIEre das heißt also die israeliten hatten natürlich auch probleme »wie kommen wir an FLEISCH ran«

Tabelle 102: II.8(a).TA.218–227

Die Schüler_innen reagieren auf die von der Lehrkraft präsentierten Fotografien mit bewundernden und staunenden Äußerungen (z. B. »coole Wüste!«, »Alter!« usw.). Nachdem die Lehrkraft ein neues Bild auf den Projektor gelegt hat, äußert Marco – ohne das Rederecht zugeteilt bekommen zu haben –, dass auf dieser Fotografie (»da«) »Menschen und Vieh« zu sehen seien, wobei er mit der ad-

309

Unterrichtseinheit II

versativen Konjunktion »aber« einen vermeintlichen Widerspruch signalisiert (II.8(a).220). Zwar hat die Lehrkraft die Existenz von Menschen und Vieh zuvor nicht explizit ausgeschlossen, jedoch betont, dass es dort eigentlich nichts gebe, wovon sich die Israeliten ernähren könnten (»und ihr seht eine Wüste das bedeutet auch, dass ich im Grunde genommen ja kein Baum, kein Strauch hab, ganz selten treff ich den, also das heißt, da ist auch nicht viel äh wovon ich mich ernähren kann«1072). Auf den impliziten Einwand Marcos – hinsichtlich dieser Darstellung der Voraussetzungen in der Wüste – reagiert die Lehrkraft zunächst mit der eine Zustimmung ausdrückenden Partikel »ja« und fügt dann eine Erklärung an, warum sich die zuvor von ihr geschilderten Bedingungen in der Wüste für die Israeliten und diese Fotografie nicht im Widerspruch befänden (II.8(a).TA.221). Mit der eingeschobenen Partikel »auch« signalisiert sie, dass die Tatsache, dass es sich um eine »heutige Aufnahme« handele, das zuvor von Marco Gesagte begründe. Indem die Lehrkraft das Vorhandensein von Menschen und Vieh auf der Fotografie mit deren Aktualität erklärt, signalisiert sie bereits, dass der Zeitpunkt der Aufnahme den Schlüssel zur Auflösung des von Marco wahrgenommenen Widerspruchs bildet. Nun fügt sie an, dass das Abgebildete (»das«) nicht »von früher« sei »als der Mose durchgelaufen ist« (II.8(a).TA.221). Damit wird der bereits durch die Zeitangabe »heutige« implizierte Gegensatz zu »früher« explizit gemacht und Moses Zug durch die Wüste zu einem nicht weiter bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit verortet. Die in ihrer Erklärung enthaltene Implikation, dass es theoretisch auch eine Aufnahme von »früher« geben könnte (auch wenn diese eine »heutige« ist), bestärkt die Wahrnehmung Moses als historische Person und seiner Durchquerung dieser Wüste als reale Begebenheit. Die Lehrkraft nutzt in den nun anschließenden Erläuterungen zu den Bedingungen der Israeliten in einer den gezeigten Bildern entsprechenden Wüste weiterhin die Vergangenheitsform und bleibt so in dem durch die Gegenüberstellung von »heute« und »früher« aufgespannten historischen Bezugsrahmen. Szene 2 Die letzte Unterrichtsszene die im Kontext des Incidents »ein Mensch, der heißt Mose« für die komparative Analyse herangezogen werden soll, ereignet sich in der siebten Stunde der Einheit. II.7.TA. 69 70

Lehrkraft II:

NUN kommt aber die letzte und die schwerste plage–

Marco:

(.) tote erstgeborene

1072 II.8(a).TA.203–206, s. Tabelle 296 im digitalen Anhang.

310

Die Analyse

(Fortsetzung) 71

Lehrkraft II:

RICHtig was also es ist so dass der erstgeborene SOHN der ägypter

72 73

(- -) geTÖtet wird (-) und DA sagt gott dann

74 75

ähm: (.) oder da sagt der pharao dann jetzt dürft ihr israeliten endlich ziehn (- -) »das ist jetzt das SCHLIMMste und das SCHWERste was uns eigentlich passiert ist«– und die israeliten die ZIEHN nun LOS (-) SO und eine perSON die diesen AUSzug MITerlebt hat aus ägypten also endlich dürfen nun die äh israeLIten aus ägypten herausziehen– (-) eine person die das miterlebt hat ist ein/ eine frau die heißt MIRiam (- -) und ich möchte euch jetzt etwas VORlesen dazu– ((räuspert sich)) die miriam erlebt also wie die israeliten tatSÄCHlich ägypten verlassen dürfen (2.0) ((beginnt vorzulesen; Textquelle unbekannt)) »ich will euch erzählen was damals geSCHEHen war« ((unterbricht das Vorlesen und ermahnt die SuS still zu sein)) (-) SO miriam heißt sie ((setzt das Vorlesen fort)) »Ich will euch heute erzählen wie das damals war als wir endlich aus ägypten herauskamen ich war ja daBEI und ich erinnere mich noch recht gut (-) es war kurz nach meiner HEIrat (.) laban und ich waren zwar sehr GLÜCKlich miteinander aber die schlimme situation in ägypten machte uns doch zu schaffen« (- - -) ((unterbricht das Vorlesen)) das heißt also die mussten schwer ARbeiten– äh dort und es ähm: (- - -) ja

76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96

Unterrichtseinheit II

311

(Fortsetzung) 97

(-) ((setzt das Vorlesen fort)) »eines abends saßen wir wieder einmal

Tabelle 103: II.7.TA.69–97

Im Anschluss an die Erarbeitung der ersten neun Plagen anhand eines Textblattes, nennt ein Schüler die zehnte Plage (»tote Erstgeborene« (II.7.TA.70)), und die Lehrkraft erklärt nach der Validierung des Schülerbeitrags, dass die »Israeliten endlich ziehen« dürften (II.7.TA.71–77). Mit der betonten Partikel »so« signalisiert die Lehrkraft, dass nun ein neuer Gedanke beginne, knüpft diesen aber mit der Konjunktion »und« inhaltlich an das zuvor Besprochene an (II.7.TA.78). Sie kündigt eine »Person« an, »die diesen Auszug miterlebt hat aus Ägypten«, wobei sie die drei Wörter »Person«, »Auszug«, miterlebt», die die Aussage dieses Satzes bestimmen, intonatorisch hervorhebt. Bevor sie damit fortfährt, was es mit dieser «Person» auf sich habe, schiebt sie eine nähere Bestimmung des soeben benannten Auszugs («dieser Auszug») ein, in welcher sie noch einmal wiederholt, dass die Israeliten nun aus Ägypten ausziehen dürften (II.7.TA.79f.). Während sie für die Beschreibung der Person von dem zuvor genutzten Präsens zum Perfekt wechselt («miterlebt hat»), verwendet sie für diesen Einschub wieder die Gegenwartsform (II.7.TA.80). Im Anschluss wiederholt sie die Information, dass es eine Person gebe, die «das miterlebt hat», erneut im Perfekt und erklärt dann, dass es sich dabei um eine Frau mit dem Namen Miriam handele (II.7.TA.81). Dieser Name wird von der Lehrkraft erstmals in der zweiten Stunde der Einheit genannt, während sie einen Text zur Arbeit der Israeliten in Ägypten vorliest («auch die zehnjährige Miriam war dabei»)1073. Außerdem begegnete er den Schüler_innen im vorgelesenen Text des Religionsbuchs zur Geburt und Rettung Moses in der vierten Stunde («Miriam, die Schwester des Kleinen», «Miriam kommt schnell dazu», «Miriam holt ihre Mutter»)1074. Ein expliziter Hinweis darauf, in welchem Verhältnis die jetzt benannte Frau mit der zuvor als Miriam benannten Person steht, erfolgt nicht, und auch eine Erinnerung daran, dass die Schüler_innen diesen Namen bereits gehört hätten, ist nicht zu beobachten. So bleibt offen, ob es sich hierbei um die bereits bekannte Schwester Moses handelt, oder eine weitere, andere Miriam gemeint ist.1075 Nach der Ankündigung, nun «etwas» dazu vorlesen zu wollen, fasst die Lehrkraft die zuvor gegebenen Informationen noch einmal zusammen (II.7.TA.83f.). Ein drittes Mal wird darauf verwiesen, dass Miriam den Auszug 1073 Dieser von der Lehrkraft vorgelesene Text kann hier aus urheberrechtlichen Gründen nicht in Gänze abgedruckt werden. 1074 Drews et al. 2008, S. 56. 1075 In dem im Anschluss vorgelesenen Text wird Miriam ebenfalls nicht explizit als Schwester Moses dargestellt.

312

Die Analyse

der Israeliten aus Ägypten «erlebt» habe, wobei die Lehrkraft das Eintreten dieses Auszugs mit dem intonatorisch hervorgehobenen Adverb «tatsächlich» zusätzlich betont. Nun beginnt die Lehrkraft von einem Textblatt in der Ich-Form aus der Perspektive von der eben angekündigten Miriam vorzulesen (II.7.TA.85ff.). Nach dem ersten Satz unterbricht sie ihr Lesen für eine Ermahnung der Schüler_innen, sich auf das Zuhören zu konzentrieren und alle anderen Tätigkeiten einzustellen, weist noch einmal implizit darauf hin, dass die besagte »Miriam« hier erzähle (»so Miriam heißt sie« (II.7.TA.87)), und setzt dann das Vorlesen fort. Zweimal kündigt die fiktionale Erzählerin an, davon zu berichten, »was damals geschehen war«, wobei die im Text verwendete Zeitformen der Vergangenheit und das ebenfalls zweimal eingesetzte Adverb »damals« deutlich signalisieren, dass hier von einem Ereignis zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit gesprochen wird (II.7.TA.85, 89). Wie eine zusätzliche Versicherung, dass die Erzählerin eine zuverlässige Informationsquelle darstellt, wird im Text darauf hingewiesen, dass diese selbst »dabei« gewesen sei (II.7.TA.90). Die hier eingeschobene Partikel »ja« suggeriert dabei eine Selbstverständlichkeit oder allgemeine Bekanntheit dieser Aussage. Auch der Hinweis, dass sie sich »noch recht gut« erinnere, impliziert eine zuverlässige Zeugenschaft und verortet das, wovon nun gesprochen wird, in der Vergangenheit. Noch einmal unterbricht die Lehrkraft ihr Vorlesen und geht erklärend (»das heißt«) auf die von der Erzählerin beschriebene »schlimme Situation in Ägypten« ein (II.7.TA.93–96). Dabei nutzt auch die Lehrkraft die Vergangenheitsform (»die mussten schwer arbeiten«). Im weiteren Verlauf des Textes erzählt sie als Miriam davon, wie Mose den Israeliten den baldigen Auszug aus Ägypten ankündige und wie diese sich darauf vorzubereiten hätten, wie sie alle gemeinsam loszögen und wie sie von den Ägyptern verfolgt und von Gott durch eine große »Wolke« (»wie eine Nebelwand«)1076 vor diesen gerettet würden. Durch die Art der Einführung der Person Miriam seitens der Lehrkraft – als jemand, der das Eintreten des Auszugs der Israeliten aus Ägypten »miterlebt hat« – und die ersten Sätze des vorgelesenen Textes, die ihn als Erlebnisbericht klassifiziert, bekommt das Erzählte einen biografischen und damit zugleich historischen Bezugsrahmen. Die vorgestellte Frau namens Miriam wirkt wie eine reale Person und kaum wie eine fiktive Figur einer Geschichte, auch weil keine derartigen Hinweise der Lehrkraft zu beobachten sind. Indem die Schilderungen des Auszugs der Israeliten in dem von der Lehrkraft vorgelesenen Text als Erinnerungen der Person Miriam, als Erlebnisbericht präsentiert werden, rückt auch die im Text mehrmals erwähnte Person Mose in den so aufgespannten historischen Bezugsrahmen. 1076 II.7.TA.183–186, s. Tabelle 293 im digitalen Anhang.

Unterrichtseinheit II

313

Konklusion Die komparative Analyse der Szenen der Einführung der Person Mose mit solchen Szenen, in denen ebenfalls im Vorfeld oder im Anschluss an (vor-)gelesene Abschnitte der Exodus-Erzählung über Mose gesprochen wird, zeigt zunächst, dass es sich dabei zumeist um Wiederholungen seiner erzählten Taten und Erlebnisse handelt. So konstituiert sich über den Verlauf der Einheit durch die ausschließlich impliziten Hinweise und Informationen zum Wesen der Figur Mose, zur Frage seiner Realität und seiner Bedeutung, ein ambivalentes Konzept. Während gerade in der vierten Stunde der Einheit das gemeinsam Gelesene oder von der Lehrkraft Erzählte erstmals von dieser als »Geschichte« bezeichnet wird,1077 erfolgt die Einführung der Person Mose zunächst ohne einen Hinweis auf den sie umgebenden erzählenden biblischen Rahmen.1078 Und auch in der daran anschließenden Ankündigung der Lehrkraft nun gemeinsam zu schauen, was sie »noch aus seinem Leben erfahren«, sowie in der die Stunde beschließenden Zusammenfassung dessen, was sie über Mose in Erfahrung gebracht haben,1079 bleibt eine explizite Benennung Moses als Figur einer biblischen Geschichte aus. Er wird einerseits durch das Aufzeigen seiner Verbindung zu den bereits im Vorfeld durch konkrete Zeitangaben historisch verorteten, als Sklaven in Ägypten arbeitenden Israeliten und durch die Hinweise auf sein Aussehen oder seinen damaligen Zug durch die Wüste als reale Person in einem historischen Bezugsrahmen beschrieben. Andererseits lassen gerade die im Religionsbuch über ihn gelesenen Texte durch ihre sprachliche Gestaltung (im Präsens), die zugehörigen Illustrationen und die von der Lehrkraft gezeigten Bilder von ihm nicht auf historische Tatsachenberichte über eine reale Person schließen. Anders ist dies in der Einleitung der Lehrkraft zur Erzählung vom Auszug der Israeliten aus der Perspektive Miriams. Hier hebt die Lehrkraft Miriam als Zeugin der Geschehnisse hervor und suggeriert damit das Sprechen über reale Personen und Ereignisse. So wie die einzelnen präsentierten Teile der ExodusErzählung unterschiedlich stark historisch oder fiktional akzentuiert werden, so wirkt auch die Person Mose durch die impliziten Hinweise der Lehrkraft mehr oder weniger historisch. Eine explizite Bestätigung oder Verneinung seiner wirklichen Existenz erfolgt nicht.

1077 Siehe hierzu auch Kap. 6.2.2.1. 1078 II.4.TA.69–95, s. Tabelle 99, S. 300f. 1079 II.4.TA.141–149, s. Tabelle 100, S. 303; II.4.TA.452–465, s. Tabelle 101, S. 303.

314

Die Analyse

6.2.3 Zusammenfassende Betrachtung der gesamten Unterrichtseinheit In diesem letzten Abschnitt der Analyse des Datenmaterials der zweiten Unterrichtseinheit soll untersucht werden, welches Konzept von der biblischen Erzählung in der Interaktion zwischen Lehrkraft und Schüler_innen über den Verlauf der einzelnen Stunden hinweg konstruiert wird. Auch für diese Einheit sollen dafür das von der Lehrkraft gestaltete Erzählsetting sowie die Informationen, welche die Lehrkraft hinsichtlich der Quelle des von ihr Präsentierten gibt, erfasst werden. Zudem soll das Material auf die enthaltenen Hinweise zum Realitätsstatus bzw. zum Wesen der erzählten und gelesenen Teile der ExodusErzählung geprüft werden. Die diesbezüglichen Äußerungen der Schüler_innen werden dargelegt und analysiert, bevor eine abschließende Zusammenschau der Ergebnisse erfolgt. 6.2.3.1 Erzählsetting Den Einstieg in die Unterrichtseinheit zur Exodus-Erzählung gestaltet die Lehrkraft über das Passahfest, wobei sie den Fokus auf die Speisen des Sederabends legt. Über die Bedeutung dieser Speisen eröffnet sie in der zweiten Stunde die Thematisierung der Situation der Israeliten in Ägypten. Die einzelnen für die Unterrichtseinheit ausgewählten Teile der Exodus-Erzählung werden meist von den Schüler_innen selbst oder von der Lehrkraft vorgelesen. Neben dem hierfür häufig genutzten Religionsbuch1080 werden vor allem Kopien aus verschiedenen Textquellen genutzt, wobei nicht alle dieser von der Lehrkraft vorgelesenen Texte im Anschluss an die Schüler_innen ausgeteilt werden. Einige Teile erzählt die Lehrkraft zunächst frei und in eigenen Worten.1081 Bis auf die Schilderungen zur Versorgung der Israeliten mit Wasser, Manna und Wachteln in der Wüste werden die frei erzählten Abschnitte im Anschluss noch einmal von der Lehrkraft oder den Schüler_innen von einer schriftlichen Vorlage vorgelesen. Für die Erzählung von den zehn Geboten liest die Lehrkraft aus einer Kinderbibel1082, wobei sie die Schüler_innen nicht explizit darauf hinweist, um welche Art von Buch es sich bei dieser Textquelle handelt. Die einzelnen von der Lehrkraft ausgewählten Erzählabschnitte erstrecken sich von der Unterdrückung der Israeliten in Ägypten bis zum Bau der Stiftshütte und der Bundeslade (Ex 1,1–40,21). Während die Texte aus dem Religionsbuch und der Text aus der Kinderbibel zwar in einfacherer Sprache aber recht nah am biblischen Text 1080 Drews et al. 2008. 1081 Schilderung der Situation der Israeliten in Ägypten (2. Std.; Ex 1,6–14.22); Moses Tötung eines ägyptischen Aufsehers (4. Std.; Ex 2,11–15); Mose kommt zum brennenden Dornbusch (4. Std.; Ex 3,1–4,17); Die Israeliten ziehen durch die Wüste (8. Std.; Ex 16,1–36). 1082 Siehe hierzu Weth 2000, hier : S. 82ff.

Unterrichtseinheit II

315

erzählen (»Israels Unterdrückung in Ägypten«, »Gott rettet Mose«, »Mose muss aus Ägypten fliehen«)1083, geben andere der genutzten Texte die Erzählung in gekürzter Form wieder oder es wird aus der Perspektive einer bestimmten Person erzählt (Schilderung der Arbeit der Israeliten für die Ägypter und des Auszugs der Israeliten aus der Sicht von Miriam). Nicht angesprochen wird so z. B. der Auftrag der Hebammen Schifra und Pua (Ex 1,15–21), die Szene am Brunnen in Midian und Moses Familiengründung (Ex 2,16–22), die Wunderzeichen Gottes an Mose und dessen wiederholter Einspruch (Ex 3,16–4,13), die Beschneidung Moses Sohn (4, 24–26), die Machtdemonstration durch die Weisen und Zauberer des Pharaos (Ex 7, 11f. 22; 8, 14f.; 9,11), die Markierung der israelitischen Häuser mit Lammblut (Ex 12,7.12f.22f.), der Kampf gegen die Amalekiter (Ex 17, 8–16) oder die Versorgung mit Wasser aus einem Fels (17, 1– 7). In dem Text, den die Lehrkraft zur Rettung der Israeliten vor den ägyptischen Verfolgern aus der Perspektive Miriams vorliest, wird zudem nicht vom Durchzug durch das Meer und dem Tod der Verfolger (Ex 14,21–31) erzählt, sondern nur von der Trennung durch eine »Nebelwand«1084 (Ex 14,19f.). In ihrem freien Erzählen von der Versorgung der Israeliten in der Wüste spricht die Lehrkraft nicht über das von Gott angekündigte Brot und Fleisch »vom Himmel« (Ex 16, 4), sondern erklärt, wie sich die Israeliten mit Gottes Hilfe von Schildlausausscheidungen (Manna) und Zugvögeln (Wachteln) ernähren. Das Tempus, in dem erzählt wird, wechselt sowohl bei den schriftlichen Textvorlagen als auch in den freien Erzählungen der Lehrkraft zwischen Schilderungen im Präsens und in den Vergangenheitsformen (Präteritum, Perfekt): Während die Texte im genutzten Religionsbuch im Präsens verfasst sind ebenso wie die freien Erzählungen der Lehrkraft von der Tötung des ägyptischen Aufsehers, dem brennenden Dornbusch und der Teil zur Ernährung der Israeliten mit Wachteln, wird in den für die für die Schüler_innen kopierten bzw. vorgelesenen Textvorlagen (Texte zur Unterdrückung Israels, dem brennende Dornbusch, den zehn Plagen und dem Auszug aus Ägypten) sowie in dem Abschnitt aus der Neukirchener Kinder-Bibel1085 zu den zehn Geboten in der Vergangenheitsform erzählt. Auch für die Erzählung zur Verwandlung des bitteren Wassers nutzt die Lehrkraft die Vergangenheitsform. Sowohl bei ihrer Erklärung der Versorgung der Israeliten mit Manna als auch in den Anschlussgesprächen zu den einzelnen Erzählabschnitten ist kein durchgängiger Gebrauch nur einer Zeitform zu beobachten, sondern ein stetiger Wechsel dieser.

1083 Siehe hierzu Drews et al. 2008, S. 55–57. 1084 II.7.TA.183–186, s. Tabelle 293 im digitalen Anhang. 1085 Vgl. Weth 2000, S. 82–84.

316

Die Analyse

Den überwiegenden Teil der Erzählabschnitte leitet die Lehrkraft mit einem Bildimpuls1086 ein, infolge dessen Besprechung dann ein Abschnitt der ExodusErzählung gelesen wird. Zudem nutzt sie Abbildungen als Illustration ihres Erzählens.1087 Während sie in der vierten, fünften und sechsten Stunde der Einheit die vorzulesenden Erzählabschnitte mit dem Begriff »die/diese Geschichte« ankündigt (»die Geschichte die darum sich jetzt rankt«1088, »und jetzt wollen wir mal gucken was es mit dieser Geschichte hier auf sich hat«1089, »und wollen also die Geschichte noch einmal durchlesen«1090, »und wie geht jetzt die Geschichte weiter, ich möchte die jetzt hier nicht lesen sondern gleich auf eurem Arbeitsblatt«1091, »so jetzt les ich die Geschichte noch einmal vor«1092) benennt sie in den übrigen Stunden nicht explizit worum es sich bei den zu hörenden Texten handelt. Zumeist spricht sie davon, »etwas/was« zu dem zuvor Besprochenen vorzulesen (»ich werd euch aber gleich was dazu noch vorlesen«1093 ; »ich les euch jetzt erstmal etwas vor«1094, »und dazu werden wir einmal im Buch lesen«1095, »und dazu wollen wir heute ne ganze menge mal lesen«1096, »und ich möchte euch jetzt etwas vorlesen dazu«1097, »so jetzt lese ich euch etwas vor«1098) oder gemeinsam zu »schauen«, wie es mit dem bisher Gehörten weitergeht (»gut jetzt wollen wir mal schauen wie denn eigentlich die Israeliten klargekommen sind in der Wüste«1099, »so, was ist da passiert«1100, »und was also noch passiert ist Folgendes«1101, »wir wollen einmal gucken was denn in der wüste passiert ist«1102, »jetzt werde ich euch erstmal was vorlesen wie es nämlich weitergeht«1103). Im Anschluss an das (Vor-)Lesen der Texte bzw. an das Erzählen der Lehrkraft 1086 Z. B.: Stilisierte Zeichnung der Israeliten als Viehhirten und Sklaven (2. Std.); »Mose vor dem brennenden Dornbusch« Marc Chagall (4., 5. und 6. Stunde). 1087 »Mose erschlägt einen Aufseher« von Werner Tiki Küstenmacher (4. Std.), siehe hierzu Küstenmacher 1986, S. 12; Abbildung von Tamariske mit Schildlaus, Wachtel und Landkarte des Mittelmeerraums mit Zugroute der Wachtel (8. Std.) (siehe hierzu die Beschreibung in Fußnote 1381, S. 470); 6 Zeichnungen zur Erzählung des Empfangs der zehn Gebote (9. Std.), siehe hierzu Müller 2012, S. 19). 1088 II.4.TA.379, s. Tabelle 88, S. 279–281. 1089 II.4.TA.416, s. Tabelle 88, S. 279–281. 1090 II.5.TA.31, s. Tabelle 90, S. 284f. 1091 II.5.TA.73f., s. Tabelle 90, S. 284f. 1092 II.6.TA.120, s. Tabelle 91, S. 285. 1093 II.2.TA.182, s. Tabelle 287 im digitalen Anhang. 1094 II.2.TA.341, s. Tabelle 288 im digitalen Anhang. 1095 II.4.TA.148, s. Tabelle 100, S. 303. 1096 II.5.TA.30, s. Tabelle 118, S. 326f. 1097 II.7.TA.82, s. Tabelle 103, S. 309–311. 1098 II.9.TA.270, s. Tabelle 299 im digitalen Anhang. 1099 II.8(b).TA.1, s. Tabelle 238, S. 469. 1100 II.8(b).TA.25, s. Tabelle 239, S. 470–472. 1101 II.8(a).TA.260, s. Tabelle 297 im digitalen Anhang. 1102 II.9.TA.8, s. Tabelle 123, S. 327. 1103 II.9.TA.250, s. Tabelle 299 im digitalen Anhang.

Unterrichtseinheit II

317

findet ein von ihr gelenktes Unterrichtsgespräch statt, in welchem das Gehörte wiederholt, einzelne Aspekte oder Begriffe geklärt und die wesentlichen Aussagen auf der Handlungsebene zusammengetragen werden. Nur selten unterbricht die Lehrkraft den Prozess des Vorlesens, um Begriffe oder Sachverhalte zu klären, die sie als den Schüler_innen unbekannt einschätzt. 6.2.3.2 Hinweise auf Quelle, Entstehung und Verfasser_innen des Erzählten In keiner der aufgezeichneten Unterrichtsstunden wird von der Lehrkraft explizit gemacht, dass es sich bei den vorgelesenen Texten um eine Erzählung aus der Bibel handelt. Jedoch lassen sich sowohl in ihren Äußerungen als auch in den von ihr genutzten Materialen implizite Hinweise auf die Quelle des Gelesenen und Gehörten identifizieren. Wie bereits oben in der Analyse des Incident »Geschichte« angesprochen (s. Kap. 6.2.2.1) führt die Lehrkraft den Begriff »Bibel« in Zusammenhang mit dem von ihr Erzählten einzig in der achten Stunde an. Hier beruft sie sich dreimal auf die Bibel als Quelle der von ihr geschilderten Ereignisse (»die Israeliten sind auch jahrelang durch die Wüste gelaufen, die Bibel spricht da von vierzig Jahren, äh dass die also die Israeliten durch die Wüste gegangen sind«1104, »und dann war das so wie das in der Bibel steht, war das Wasser bitter also das heißt das schmeckte überhaupt nicht«1105, »das [Manna] hat ausgereicht, so steht es zumindest in der Bibel«1106). Mit der Formulierung »in der Bibel steht« signalisiert die Lehrkraft, dass es sich um eine schriftliche Quelle handelt. Während der erste Verweis auf die Bibel wie das Anführen von ergänzenden Information zum Zug der Israeliten durch die Wüste aus einer zusätzlichen Quelle wirkt, erscheint die Bibel in den beiden anderen Szenen als alleiniger Ursprung und Beleg des Erzählten. Interessant ist, dass diese drei Herkunftshinweise ausschließlich in Bezug auf Elemente der Erzählabschnitte erfolgen, welche die Lehrkraft frei schildert und welche im Anschluss nicht durch eine schriftliche Version wiederholt werden. Aufgrund der (nur) punktuellen Bezugnahme auf die Bibel als Informationsquelle zu einzelnen Erzählabschnitten (Dauer der Wüstenwanderung, Bitterkeit des Wassers, ausreichende Menge Manna) bleibt offen, ob die Schüler_innen auch die übrigen Teile der Erzählung – sowohl die zuvor als auch die nachfolgend gehörten Abschnitte – mit dieser Quellenangabe in Verbindung bringen.

1104 II.8(a).TA.77–79, s. Tabelle 92, S. 286. 1105 II.8(a).TA.108f., s. Tabelle 93, S. 286f. 1106 II.8(b).TA.100, s. Tabelle 94, S. 287.

318

Die Analyse

Einer der Schüler äußert sein Erkennen eines solchen Zusammenhangs bereits zu einem früheren Zeitpunkt in der Unterrichtseinheit, zu dem seitens der Lehrkraft noch keine diesbezüglichen Hinweise erfolgt sind. II.4.TA. 167 168 169 170

Lehrkraft II:

PRIma genau und wo: ist er aufgewachsen? (-) also wo ähm: das heißt also wo hat die mutter das kind bekommen in welchem land?

Lukas:

171 172

Lehrkraft II:

173 174

Lukas: Lehrkraft II:

175 176 177 178

(1.8) lukas isra:/ israel [(- -) und davon hab ich] [((zieht die Nase kraus und runzelt die Stirn)) das glaub ich jetzt/] auch die BIbel da hab ich die geschichte auch von ((zweifelnd)) j:a::’ da wollen wir mal gucken ob das STIMMT ((deutet auf Lukas)) was du jetzt sagst da wollen wir mal das steht im text glaub ich noch nich so obWOHL es steht ein FLUSS da drin und da müsste man gucken

äh: weil die mutter ähm fertigt ja ein kästchen an und setzt den kleinen sohn äh aus auf welchem fluss setzt sie ihn aus und welches LAND ist es damit

Tabelle 104: II.4.TA.167–178

Im Anschluss an das Lesen des ersten Teils der Erzählung zu Moses Geburt fügt Lukas seiner Beantwortung der vorausgegangenen Frage der Lehrkraft die Information darüber an, dass er »davon«, von dem Gelesenen, »auch die Bibel« »habe« bzw. dass er »die Geschichte auch von« der Bibel »hab[e]« (II.4.TA.170– 173).1107 In seinem Beitrag dokumentiert sich zum einen ein Wiedererkennen der Erzählung sowie das Vorhandensein eines ersten Konzepts, einer konkreten Vorstellung von Bibel, da er zu einer solchen Zugang hatte bzw. hat. Zum anderen impliziert die Art seiner Äußerung, dass »die Bibel« nicht als originäre Quelle sondern als eine weitere, andere Quelle angesehen wird, wobei ihn seine Beobachtung, dass es mehrere Quellen der »Geschichte« gibt, nicht zu irritieren scheint. Da die Lehrkraft in ihrer Reaktion auf Lukas Beitrag nicht auf diesen eingeht, sondern bei der Beantwortung ihrer zuvor gestellten Frage nach dem Geburtsland Moses bleibt, kommt es nicht zu einer weiterführenden Thematisierung der Frage nach der Herkunft des Erzählten bzw. was es mit der Beobachtung Lukas auf sich hat. Vielmehr wird seine Beobachtung durch die an1107 Siehe hierzu auch Kap. 6.2.2.1.

Unterrichtseinheit II

319

schließende Bewertung der Lehrkraft scheinbar in Zweifel gezogen (»ja da wollen wir mal gucken ob das stimmt was du jetzt sagst« (II.4.TA.174)), da in ihrer Äußerung vorerst nicht deutlich wird, dass sie sich auf Lukas ersten Beitrag (»Israel«) bezieht. Auch das von der Lehrkraft verwendete Material, welches sie mit den Schüler_innen bearbeitet, beinhaltet implizite Hinweise auf die Bibel als Quelle der dargestellten Inhalte. In den beiden Texten des Religionsbuchs, welche die Lehrkraft in der ersten Stunde der Einheit zum Thema Passah vorlesen lässt, findet »die Geschichte von Mose und der Rettung der Israeliten«1108 bereits Erwähnung, und mit der Erklärung, dass mit dem Begriff Pessach (»Überschreiten«, »Verschonung«) »an das biblische Ereignis erinnert« wird, »bei dem der Engel Gottes alle Erstgeborenen der Ägypter tötete«, wird erstmals ein Verweis auf die Bibel gegeben.1109 Da dieser Hinweis von der Lehrkraft jedoch nicht erläuternd aufgegriffen wird und auch die Schüler_innen diesen nicht explizit hinterfragen, bleibt offen, ob und wie sie die Formulierung »biblisches Ereignis« deuten. Das zögerliche und stockende Rekodieren des Wortes »biblisch[es]« von Larissa lässt jedoch darauf schließen, dass zumindest diese Schülerin dieses Wort nicht aus ihrem semantischen Lexikon abrufen kann. Es ist damit nicht sicher, ob sie das Wort auch dekodiert, also die Wortbedeutung erfasst.1110 Unter den drei aus dem Religionsbuch gelesenen Abschnitten der ExodusErzählung (»Israels Unterdrückung in Ägypten«1111, »Gott rettet Mose«1112, »Mose muss aus Ägypten fliehen«1113) ist in der Form »nach 2. Mose x« das Kapitel im Buch Exodus angegeben, auf dessen Basis der abgedruckte Text verfasst wurde (»nach 2. Mose 1«1114 ; »nach 2. Mose 2«1115). Da dieser Verweis von den Schüler_innen nicht vorgelesen wird und auch die Lehrkraft dies unkommentiert lässt, wird die Bedeutung dieser Angabe nicht geklärt. Ähnlich verhält es sich mit den Bildüberschriften bzw. der abgedruckten Aufgabenstellung auf den beiden Arbeitsblättern, die parallel zu dem Text zu den zehn Plagen bzw. zu den zehn Geboten ausgeteilt werden.1116 Die Lehrkraft selbst formuliert den Arbeitsauftrag für die Schüler_innen, den einzelnen gemeinsam gelesenen Plagen bzw. Geboten eine passende der abgebildeten Zeichnungen zuzuordnen, sodass die auf den beiden Arbeitsblättern abgedruckten Aufgabenstellungen und die darin 1108 1109 1110 1111 1112 1113 1114 1115 1116

Drews et al. 2008, S. 65. Ebd., S. 54. Vgl. Schneider 2017, S. 19; vgl. Düsing 2016, S. 197. Siehe hierzu Drews et al. 2008, S. 55. Siehe hierzu ebd., S. 56. Siehe hierzu ebd., S. 57. Drews et al. 2008, S. 55. Ebd., S. 56f. AB »Drei Plagen zu viel«, Quelle: Küstenmacher 1986, S. 14f.; AB »Zehn Gebote, gut gemischt«, Quelle: Küstenmacher 2012, S. 18f.

320

Die Analyse

enthaltenen Hinweise auf die Bibel als Quelle (»Eine genaue Beschreibung steht im 2. Buch Mose ab Kapitel 7«1117, »In welcher Reihenfolge stehen diese Gesetzte für das Zusammenleben der Menschen in der Bibel?«1118) nicht thematisiert werden und damit implizit bleiben. In dem Lückentext, den die Schüler_innen in der vorletzten Stunde der Einheit bearbeiten, wird die Exodus-Erzählung in zehn Sätzen zusammengefasst. Am Ende findet sich ein Verweis auf die Entstehung dieser Erzählung. II.10.TA. 249 250

Niko: Lehrkraft II:

(1.8) ((liest vor)) nach und nach werden die israeliten in ganz (- - -) kanaan (1.4) se:ßhaft (-) SESShaft (.) doppel s also seSShaft

251 252

(- -) sesshaft ganz genau– eben hinschreiben– (8.3) UND wer liest den letzten satz– und dann erklär ich eben noch mal das WORT

253

ich kann mir nicht vorstellen dass ihr wisst was SESShaft ist– (- -) und jetzt bist du noch mal dran– manuel bitte (2.8) letzter satz– (-) lesen– ((liest vor)) dreihundert jahre später werden die erfahrungen des volkes israel mit jahwe aufgeschrieben

254 255 256

Manuel:

257

Lehrkraft II:

258 Tabelle 105: II.10.TA.249–258

(- -) ok (- - -) JETZT frag ich euch erstmal was ist denn überhaupt sesshaft werden (1.3) hat jemand eine idee?

Es kommt nicht zu einem Aufgreifen der Informationen zur Entstehung der schriftlichen Fassung des Erzählten, da die Lehrkraft im Anschluss an das Vorlesen des letzten Satzes durch Manuel (II.10.TA.256) direkt die Klärung des Begriffs »sesshaft« eröffnet und danach die noch unausgefüllten Lücken einiger Schüler_innen bespricht (II.10.TA.257f.). Seitens der Schüler_innen werden keine diesbezügliche Rückfrage formuliert. So bleibt sowohl offen, welchen zeitlichen Bezugspunkt die Angabe »dreihundert Jahre später« voraussetzt, da zuvor – im Text1119 – keine zeitliche Einordnung stattfand, als auch, von wem »die Erfahrungen des Volkes Israel mit Jahwe aufgeschrieben« werden. Ebenso wird

1117 Küstenmacher 1986, S. 14. 1118 Küstenmacher 2012, S. 18. 1119 Eine zeitliche Verortung der Arbeit der Israeliten in Ägypten erfolgt durch die Lehrkraft in der zweiten Stunde der Einheit (»wir sind jetzt natürlich so, also ich sag mal dreitausend Jahre zurück oder sowas, also das ist jetzt nicht diese jetzige Zeit, ne?« (II.2.TA.322–225, s. Tabelle 130, S. 329)).

321

Unterrichtseinheit II

der Zusammenhang des »Aufgeschriebenen« und der in der achten Stunde von der Lehrkraft als Quelle angeführten Bibel nicht expliziert. Bevor die Lehrkraft im Kontext des Erzählten erstmals die Bibel erwähnt, äußert ein Schüler, dass ihm das zu diesem Zeitpunkt gemeinsam Gelesene aus einer anderen Quelle bekannt sei. Erik erklärt, dass er das Gehörte (»auch«) aus einem Film kenne (»ich kenn das, ich hab auch das Film geguckt«1120). Die Lehrkraft validiert diese Aussage (»((nickt)) genau«) und ergänzt, dass »diese Geschichte« »ziemlich bekannt« sei.1121 Da sie dann thematisch zu dem zuvor von ihr Erzählten zurückkehrt, bleibt offen, um welchen Film es sich handelt, und ob Erik das Gehörte allein aus diesem Film oder noch aus einer anderen Quelle kennt. In der sechsten Stunde der Einheit erwähnt Erik »den Film« ein weiteres Mal. II.6.TA. 91 92

Lehrkraft II: Erik:

(-) wen hab ich noch nicht so häufig gehabt? DU dich hab ich noch nicht gehabt er muss gehen

93 94

Lehrkraft II: Erik:

warum (-) weil ich hab auch den film ganz gut geGUCKT

95 96

Lehrkraft II: Erik:

(-) weil? weil ich hab auch den film ganz gut geguckt

97 98

Lehrkraft II: Michael:

(- - -) das hab ich immernoch nicht verstanden (.) er hat den FILM geguckt

99

Lehrkraft II:

ach den FILM geguckt ach deswegen weiß er das ENde schon ah:: jetzt hab ich es verstanden ok–

100 101 102 Tabelle 106: II.6.TA.91–102

(-) warum soll (- -) mose gehen oder nicht gehen

Im Rahmen der Sammlung von Pro- und Kontra-Argumenten hinsichtlich der Rückkehr Moses nach Ägypten konstatiert Erik, dass Mose (»er«) gehen müsse, und gibt auf die daraufhin von der Lehrkraft eingeforderte Erklärung dieser Aussage an, dass er »auch den Film ganz gut geguckt« habe (II.4.TA.94). Auch hier wird die Quelle von Eriks Wissen über den Handlungsverlauf des Erzählten nicht weitergehend thematisiert. Die Lehrkraft setzt stattdessen die Suche nach Pro- und Kontra-Argumenten fort. Jedoch kommt sie im weiteren Verlauf der Stunde noch zweimal auf Eriks Beitrag bzw. den Film zurück.

1120 II.4.TA.293f., s. Tabelle 87, S. 276f. 1121 II.4.TA.295f., s. Tabelle 87, S. 276f.

322 II.4.TA. 120

Die Analyse

Lehrkraft II:

SO jetzt les ich die geschichte noch einmal VOR– und jetzt üb/ jetzt gucken wir einer hat hier aus der klasse schon den FILM gesehen– aber jetzt gucken wir TROTZdem warum der mose dahin geht

121 122

oder vielleicht auch nicht hingeht wie die AUFlösung des ganzen ist

123 Tabelle 107: II.4.TA.120–123

Innerhalb ihrer Ankündigung »die Geschichte« zur bisher bearbeiteten Frage nach der Entscheidung Moses vorzulesen, verweist die Lehrkraft darauf, dass – auch wenn »einer« schon »den Film« gesehen habe – nun gemeinsam (»wir«) die »Auflösung« angeschaut werde (II.4.TA.120–123). In diesem Abschnitt dokumentiert sich zum einen die Annahme, dass wenn man »den Film« gesehen habe, die Auflösung bereits kenne, der Film also als Informationsquelle angesehen wird. Zum anderen wird durch den Versuch der Lehrkraft, die Auflösung nicht vorwegzunehmen, die Zuverlässigkeit dieser Quelle und damit auch der Antwort Eriks indirekt in Frage gestellt (»oder vielleicht auch nicht«). II.6.TA. 236

Lehrkraft II:

237

(- -) SO jetzt geht also der mose hin und sagt zum pharao– lass das volk ziehen gott hat mir einen auftrag gegeben und ähm: der pharao sagt »NE mach ich nicht«

238 239

(- -) und DA ((zu Erik)) jetzt hast du vielleicht im film gesehen was da passIERT (.) was passiert nämlich jetzt?

240

((nickt)) (dann nehmt/) äh ich weiß nicht wie das heißt (- -) was/was passiert denn sag mal irgendwas was dir einfällt

241

Erik:

242

Lehrkraft II:

243 244

Maik: Lehrkraft II:

((leise zu Erik)) im fernsehen? weißt du nicht mehr?

245 246

Erik:

(1.2) ähm ein [ein stock]

247 248

Lehrkraft II: Erik:

[gott] [(- - -) und dann und dann kommt]

249 250

Lehrkraft II: Erik:

[(1.2) hm hat ja] der schlange so

251 Lehrkraft II: Tabelle 108: II.6.TA.236–251

(- -) ja: das ist noch ein bisschen SPÄter geNAU

323

Unterrichtseinheit II

Im Anschluss an das nun erfolgende Vorlesen der Lehrkraft wird Erik nun explizit als Informant herangezogen, um über den weiteren Handlungsverlauf der Erzählung Auskunft zu geben. Damit wird der Film durch die Lehrkraft als zuverlässige Quelle validiert. Zwar erkundigt sich einer der anderen Schüler nach genaueren Informationen zum Film (»im Fernsehen?« (II.6.TA.243)), es erfolgt aber keine weitere diesbezügliche Klärung. Der sowohl von Erik als auch der Lehrkraft in allen Szenen verwendete bestimmte Artikel vor dem Begriff »Film« suggeriert aber die Annahme, dass sie von demselben Film sprechen, es also nur diesen einen Film gebe. Eine weitere Informationsquelle, die implizit von zwei Schülern benannt wird, stellt das Internet dar. So erklärt Lukas der Lehrkraft im Rahmen der Bearbeitung der Frage, wie sich die Israeliten in Ägypten fühlten, dass seine Mutter bei der Suche nach Informationen zur Ziegelherstellung1122 »auf dem Tablet« »einen Text gefunden« habe, der darüber berichte, dass »die Ägypter dann von den Israeliten die Babys noch töten« (II.3.TA.64–69). II.3.TA. 63

Lehrkraft II:

JA genau (.) lukas

64 65

Lukas:

und ähm wir haben auch auf dem tablet hat ähm meine mutter was gesucht was ich bei b und c hinschreiben

66 67

Lehrkraft II:

68 69

Lukas:

70

Lehrkraft II:

71

[kann] [hm’_m`_hm’] dann hat die da einen text gefunden dass die (.) ähm ägypten dann ägYPTER dann von den israeliten die babys noch töten ah das kommt noch das verraten wir noch nicht genau das kommt noch ALso das heißt die ägypt/ die israeliten haben also sehr viel angst

Tabelle 109: II.3.TA.63–71

In ihrer Reaktion kommentiert die Lehrkraft die Herkunft dieser Entdeckung nicht weiter. Mit dem Verweis darauf, dass das »noch kommt«, signalisiert sie aber, dass diese Information zutreffend sei (»genau«), wodurch auch der Ursprung dieser Information indirekt validiert bzw. anerkannt wird (II.3.TA.70). Zu Beginn der neunten Stunde der Einheit informiert außerdem Nick die 1122 Die SuS erhielten die Hausaufgabe, die einzelnen auf dem ausgeteilten Arbeitsblatt dargestellten Arbeitsschritte der Ziegelherstellung zu beschreiben. Bei den zu beschreibenden Abbildungen handelt es sich um Ausschnitte aus der ägyptischen Grabmalerei »Ziegelherstellung im Grab Rechmires in Abd El_Qurna (Theben-West) aus der Zeit Thutmosis’ III. und Amenophis’ II.«. Vgl. Keel 1997, S. 64f.

324

Die Analyse

Lehrkraft darüber, dass ihm seine Mutter »die ganze Geschichte in der Wüste ausgedruckt« habe (II.9.TA.2). II.9.TA. 1 2 3 4

Lehrkraft II: Nick: Lehrkraft II:

dann wollen wir mal (.) die hausaufgaben vergleichen– ((zu Nick)) was willst du? meine mutter hat mi/ hat mir die ganze geschichte in der WÜSte ausgedruckt (- -) das ist gut ja (-) und äh hast du zusatz sozusagen da kann ich jetzt viel mit nach hause schleppen wenn ich die mappen einsammle (- - -) jap

Tabelle 110: II.9.TA.1–4

Wie in der zuvor angeführten Szene geht die Lehrkraft auf die von Nick angedeutete Quelle der »Geschichte« nicht ein. Durch die (zunächst) positive Bewertung des geschilderten Vorgehens (»das ist ja gut«) wird aber auch hier der indirekt als Quelle benannte Computer bzw. das Internet von der Lehrkraft als solche anerkannt (I.9.TA.3). Hinweise auf die Entstehung der vorgelesenen bzw. frei erzählten Geschichte oder auf die Verfasser_innen dieser, sind innerhalb der einzelnen Stunden der Unterrichtseinheit nicht zu beobachten. 6.2.3.3 Hinweise auf den Realitätsstatus des Erzählten Die Analyse des Datenmaterials hinsichtlich der Frage, ob sich in der Präsentation der Lehrkraft und den hierzu genutzten Materialien Hinweise auf den Realitätsstatus des Erzählten finden und damit Anhaltspunkte dafür, um was es sich bei dem Erzählten handelt, ergibt ein ambivalentes Bild. Auch wenn die Lehrkraft die einzelnen zu bearbeitenden Abschnitte der Exodus-Erzählung nur selten direkt bezeichnet, nutzt sie in der vierten, fünften und sechsten Stunde der Unterrichtseinheit hierfür den Begriff »Geschichte«1123, was im allgemeinen Sprachgebrauch eine nicht als Tatsachenbericht intendierte fiktionale Erzählung definiert. Der Präsentation einer solchen fiktionalen Geschichte entspricht auch die von der Lehrkraft bei ihrem freien Erzählen in der vierten Stunde mehrfach genutzte, einleitende Erzählformel »eines Tages«.1124

1123 Siehe hierzu Tabelle 282 im digitalen Anhang. 1124 Vgl. Zipfel 2014, S. 117; siehe hierzu auch Kap. 6.1.3.3.

325

Unterrichtseinheit II

II.4.TA. 96

Lehrkraft II:

97 98 Tabelle 111: II.4.TA.96–98

II.4.TA. 108

Lehrkraft II:

und dieser MOse (-) der sieht eines tages ihr könnt unschwer erkennen– (-) dass er sich hier in ägypten befindet– kann man an den pyramiden hier erkennen

(.) und eines/ (-) eines tages sieht also hier der MOse

109 Tabelle 112: II.4.TA.108f.

wie ein aufseher einen israelitischen sklaven schlägt

II.4.TA. Lehrkraft II: 380 381 Tabelle 113: II.4.TA.380f.

eines TAges ist der MOse unterwegs und zwar womit? was sehen wir noch auf dem bild?

II.4.TA. 396

Lehrkraft II:

ja ein brennender busch ganz genau

397 398

Marco:

[(-) EINes TAges (.) genau (.) ] [((zeigt aus dem Fenster)) das ist ein Baum]

399

Lehrkraft II:

(-) eines tages sieht also de:r äh MOse einen brennenden busch–

Tabelle 114: II.4.TA.396–399

Ebenso wirken einige der von der Lehrkraft verwendeten Abbildungen – wie die Zeichnungen des Karikaturisten Werner Tiki Küstenmachers im Kontext der Erzählung von der Tötung eines ägyptischen Aufsehers1125, von den zehn Plagen1126 und von den zehn Gebote1127 sowie Marc Chagalls »Mose vor dem brennenden Dornbusch«1128 oder die textumgebende Illustration im genutzten Religionsbuch (»Gott rettet Mose«1129) – nicht so, als ob sie historische Ereignisse darstellten, also wie Abbildungen in einem Geschichtsbuch oder Lexikon. Sie ähneln vielmehr solchen Illustrationen, welche den Schüler_innen in Bilderbüchern oder Comics begegnen. Die für die Visualisierung der Schilderungen

1125 1126 1127 1128 1129

Vgl. Küstenmacher 1986, S. 13. Vgl. ebd. S. 14f. Vgl. Küstenmacher 2012, S. 18f. Vgl. Fischer 2008, S. 47. Vgl. Drews 2008, S. 56.

326

Die Analyse

der Arbeit der Israeliten für die Ägypter1130, der diesen in der Wüste begegnenden Landschaft1131, der sie verfolgenden ägyptischen Streitwagen oder für die Erklärung der Versorgung in der Wüste mit Manna und Wachteln ausgewählten Abbildungen entsprechen dagegen eher der erstgenannten Art und suggerieren eine historische Bezugnahme bzw. die Darstellung realer Ereignisse oder Phänomene. Eine Rezeption des Erzählten als Bericht historischer Ereignisse implizieren auch eine Reihe von Kommentaren der Lehrkraft innerhalb ihrer Hinführungen zu den einzelnen zu lesenden Texten und in den auf diese folgenden Gesprächen (II.2.TA.411–413, 419–21; II.3.TA.106f.; II.5.TA.28–30; II.6.TA.81; II.7.TA.234; II.8(a).TA.221f., 246; II.9.TA. 8f.). II.2.TA. 411 412

Lehrkraft II:

413 Tabelle 115: II.2.TA.411–413 II.2.TA. 419 420

Lehrkraft II:

421 422 Tabelle 116: II.2.TA.419–422 II.3.TA. 106 107

Lehrkraft II:

(2.0) jetzt wollen wir mal SCHAUen was die menschen dort machen mussten– wer hat noch mal beHALten (1.5) was die israeliten IN

ägypten tun mussten

PRIma (.) sehr schön in der ziegelei haben die gearbeitet (.) jetzt wollen wir man schauen wie das geht– was die da tun mussten– ((legt Folie mit ägytischer Zeichnung auf den OHP))

(2.0) was man dann tut oder was die israeliten getan haben das wollen wir heute mal wir wollen heute mal diese ANGst ausdrücken

Tabelle 117: II.3.TA.106f. II.5.TA. 28 29

Lehrkraft II:

oder in israel nicht in ägypten sind wir ja was sich da abgespielt hat

1130 Ausschnitt aus der ägyptischen Grabmalerei »Ziegelherstellung im Grab Rechmires in Abd El_Qurna (Theben-West) aus der Zeit Thutmosis’ III. und Amenophis’ II.«, Keel 1997, S. 64f. 1131 Es handelt sich hierbei um Fotografien verschiedener Wüstenformen.

Unterrichtseinheit II

327

(Fortsetzung) 30

(-) und dazu wollen wir heute ne ganze menge mal LEsen–

Tabelle 118: II.5.TA.28–30

II.6.TA. 79 80

Nick:

81 Lehrkraft II: Tabelle 119: II.6.TA.79–81

II.7.TA .234 235

Lehrkraft II:

das nich/ das nicht einfach nur DER/ (- - -) ähm (- -) chef einfach die ganze HERRschaft hat geNAU der PHArao ne? so hieß der chef dort richtig

und ich hab euch mal so einen ägyptischen WAgen mitgebracht– ((hält das AB mit der Abbildung hoch)) (-) so einen STREITwagen also damit haben die ägypter die israeliten verFOLGT–

Tabelle 120: II.7.TA.234f.

II.8(a).TA. 221

Lehrkraft II:

222

ja das ist auch eine heutige aufnahme (.) der MOse das ist nicht von früher als der mose durchgelaufen ist (.) aber die israeliten mussten natürlich auch vieh mitnehmen (-) versuchen das irgendwie durchzukriegen

Tabelle 121: II.8(a).TA.221f. II.8(a).TA. Lehrkraft II: 246 Tabelle 122: II.8(a).TA.246

II.9.TA. 8 9

Lehrkraft II:

(- - -) gut jetzt wollen wir mal schauen wie eigentlich die israeliten klargekommen sind in der wüste

gut jetzt gehts los wir wollen äh einmal gucken was denn in der wüste passiert ist– (-) und zwar das ähm volk israel ist ja durch die wüste gewandert ganz ganz lange gewandert

Tabelle 123: II.9.TA.8f.

Die Formulierung solcher Aussagen über die Israeliten im Perfekt und im Präteritum suggeriert außerhalb des Rahmens der konkreten Erzählsituation, dass es sich hierbei um Verweise auf Ereignisse handelt, die in der Vergangenheit stattgefunden haben, auch wenn die Tatsächlichkeit dieser Ereignisse nicht explizit benannt wird.

328

Die Analyse

Eine ähnliche Wahrnehmung der thematisierten Geschehnisse der ExodusErzählung impliziert die Verwendung von Temporaladverbien wie »früher«/ »damals« und »heute«. II.4.TA. Lehrkraft II: 164 Tabelle 124: II.4.TA.164

II.7.TA. 88

Lehrkraft II:

(- - -) also aus welchem LAND (.) kommt er welchen pass würde er heute haben sozusagen?

((setzt das Vorlesen fort)) »Ich will euch heute erzählen wie das damals war als wir endlich aus ägypten herauskamen ich war ja daBEI und ich erinnere mich noch recht gut

89 90 Tabelle 125: II.7.TA.88–90

II.7.TA. 196 197

Lehrkraft II:

198 Tabelle 126: II.7.TA.196–198

II.8(a).TA. 221

Lehrkraft II:

((liest vor)) »NIE gab es einen schöneren tag für israel– darum feiern wir dieses (.) dieses/ darum feiern wir diesen tag bis heute JEDES jahr«

ja das ist auch eine heutige aufnahme (.) der MOse das ist nicht von früher als der mose durchgelaufen ist

Tabelle 127: II.8(a).TA.221

II.9.TA. 321

Lehrkraft II:

322

(- -) und sie fragten einander bekümmert (-) ›wer wird uns nun in das land kanaan führen‹ (-) ((unterbricht das Vorlesen)) also in das (.) nach ISrael zurück kanaan hieß das land (- -) früher

Tabelle 128: II.9.TA.321f.

II.9.TA. 381

Lehrkraft II:

382 Tabelle 129: II.9.TA.381f.

(- -) a:ber diese lade/ bundeslade ist dann auch irgendwann weil israel auch häufig überfallen worden ist (- -) äh das land israel häufig überfallen worden ist ist irgendwann verSCHWUNden also die HAben wir heute nicht mehr

329

Unterrichtseinheit II

Während die Zeitangabe mittels der Adverbien »damals« und »früher« das jeweils beschriebene Ereignis direkt einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit zuordnet (II.7.TA.90, II.8(a).TA.221, II.9.TA.322), setzt die Hervorhebung eines »heutigen« Zustandes indirekt einen kontrastiven Bezugspunkt in der Vergangenheit voraus (II.4.TA.164, II.7.TA.198, II.9.TA.381). Eine konkretere zeitliche Einordnung seitens der Lehrkraft ist bereits in der zweiten Stunde der Einheit zu beobachten. Im Rahmen des Gesprächs über das Leben der Israeliten als Nomaden in Israel und als Sklaven in Ägypten merkt Maik an, dass momentan (»jetzt«) nicht nach Ägypten geflogen werden könne, da dort Krieg sei (I.2.TA.320).

323

hm`_hm’ in ägypten da können kann jetzt keiner hinfliegen weil da ja krieg ist (-) im moment ja das ist jetzt wir sind jetzt ((deutet auf die die Abbildung)) natürlich so:: ((kurzes Nicken)) m`_m’

324 325

(-) also ich sag mal dreitausend jahre zurück [oder sowas]

II.2.TA. 320 321 322

326 327

Maik: Lehrkraft II:

Maik: Lehrkraft II:

328 Niko: Tabelle 130: II.2.TA.320–328

[oh] [also das ist jetzt nicht diese jetzige zeit ne?] [(1.2) ((leise)) DREItausend]

In ihrer Reaktion verortet die Lehrkraft das zuvor Besprochene (»das«) als ein Geschehen dreitausend Jahre vor der »jetzige[n]«, »moment[anen]« Zeit (II.2.TA.321–325). Die in die Länge gezogene und damit eine Überlegung implizierende Partikel »so«, die Markierung der persönlichen Einschätzung (»ich sag mal«) sowie die nachträgliche Abschwächung der Exaktheit ihrer Angabe (»oder sowas«) signalisieren dabei, dass es sich um eine ungefähre zeitliche Einordnung handelt. In der nachgeschobenen zusammenfassenden (»also«) Verdeutlichung ihrer Antwort dokumentiert sich das Anliegen, klarzustellen, dass es sich nicht um die Gegenwart handele, die Kenntnis des genauen Zeitpunkts in der Vergangenheit aber für das Verständnis nicht relevant sei. Das von Niko in der Wiederholung der Zeitangabe der Lehrkraft intonatorisch ausgedrückte Erstaunen über dieselbe wird von der Lehrkraft nicht kommentiert. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sie Nikos Einwurf akustisch nicht mitbekommt, da sie parallel zu ihm spricht und er sich relativ leise äußert. Im weiteren Verlauf der zweiten Stunde erfolgt eine erneute zeitliche Einordnung der Sklavenarbeit der Israeliten in Ägypten durch die Lehrkraft.

330

Die Analyse

II.2.TA. 453

Mia:

ähm: ist das vielleicht was die da schütten beton oder so?

454 455

Lehrkraft II:

(-) meinst du das das beton ist wir sind jetzt/ also ich hab gesagt das ist schon vor ganz ganz langer zeit

456 457 Tabelle 131: II.2.TA.453–457

ob es da schon beton gab (.) sowas ähnliches vielleicht aber lukas?

Auf die Vermutung Mias, dass es sich – auf dem gerade besprochenen Abschnitt der Abbildung einzelner Arbeitsschritte der Ziegelherstellung1132 – um Beton handele, reagiert die Lehrkraft mit einer zeitlichen Einordnung dessen, »was die [Israeliten] da tun mussten«1133. Dabei verweist sie auf ihre vorangegangene diesbezügliche Äußerung (»ich hab gesagt«), wiederholt aber nicht die dort genannte Zeitangabe »dreitausend Jahre zurück«, sondern signalisiert mit der zweimaligen Nennung des Adjektivs »ganz«, dass es hier um einen Zeitpunkt gehe, der weit in der Vergangenheit liege (II.2.TA.455). Er liegt so weit in der Vergangenheit, dass die Nutzung von Beton zu bezweifeln sei (»ob […] schon […] gab« (II.2.TA.456)). Zwar spezifiziert die Lehrkraft in dieser Szene nicht, was genau »vor ganz ganz langer Zeit« gewesen sei, da das Pronomen »das« dies offenlässt. Jedoch impliziert ihre Einleitung in die Bildbetrachtung (»jetzt wollen wir mal schauen wie das geht, was die [Israeliten] da tun mussten«1134) sowie der Rückverweis auf ihre erste zeitliche Einordnung (II.2.TA.455), dass sie sich hier auf die Sklavenarbeit der Israeliten bezieht und nicht nur auf die Art und Weise der abgebildeten Ziegelherstellung. Da sich in diesen zeitlichen Verortungen des Besprochenen keine Hinweise darauf finden lassen, dass es sich um eine Zeitangabe innerhalb einer fiktionalen Erzählung handelt, also »nur« in jener Zeit spiele, wirken die zeitlichen Verortungen wie Verweise auf die Realgeschichte. Sie lassen die Handlungen als vergangene, historische Tatsachen erscheinen. Eine ähnliche Wirkung auf die Rezeption des Erzählten wird auch durch das – vor allem im Kontext des Passahfests zu beobachtende – sprachliche Motiv des Erinnerns in den gemeinsam gelesenen Texten und in den Äußerungen der Lehrkraft erzeugt.

1132 Ausschnitt aus der ägyptischen Grabmalerei »Ziegelherstellung im Grab Rechmires in Abd El_Qurna (Theben-West) aus der Zeit Thutmosis’ III. und Amenophis’ II.«, Keel 1997, S. 64f. 1133 II.2.TA.422, s. Tabelle 116, S. 326. 1134 II.2.TA.420f., s. Tabelle 116, S. 326.

331

Unterrichtseinheit II

II.1.TA. 8

Lehrkraft II:

(- -) MATZE ((hält die Verpackung hoch)) matzen das ist etwas anders geschrieben als wir es gleich im buch finden werden–

9 10

matzen– erinnert an ein FEST (- -) und zwar an das PESSahfest (- -) das die JUden jedes jahr feiern–

11

(-) und zwar zur erINNerung an ein besonderes ereignis

Tabelle 132: II.1.TA.8–11 II.1.TA. 146

Lehrkraft II:

genau aus ägypten mussten sie ganz schnell fliehen– und JEdes jahr (-) erinnern sich die israeliten daran– also die JUden (.) stecken dahinter ne? äh erinnern sich daran dass sie aus ägypten FLIEhen mussten

147 148 149 150

(-) u:nd dass das irgendetwas beSONderes war (-) und dann haben sie eine FEIER und wir wollen jetzt einfach mal auf die seite:

Tabelle 133: II.1.TA.146–150 II.7.TA. 118

Lehrkraft II:

kann sich jemand noch erinnern welches fest die israeliten auch HEUTE noch zur erINNErung AN diesen auszug aus ägypten dass sie ENDlich befreit worden sind aus ägypten

119 120 121 Tabelle 134: II.7.TA.118–121

äh feiern? wie der NAme des festes lautet?

II.11.TA. 68

Lehrkraft II:

ok (.) dann gehts los wer möchte den ersten satz einmal LEsen das macht die mara

69

Mara:

(2.0) ((räuspert sich und liest vom AB vor)) »das passahfest ern/ [n: ernt]

71 72

Lehrkraft II:

[(- -) erinnert] (- -) erinnert

73

Mara:

74

Lehrkraft II:

erinnert die JUden bist heute an die/ (- -) an den AUSzug aus ägypten« (- - -) ja ok (- - -) jeder kontrolliert ob er das stehen hat wenn er das nicht stehen hat radiert er aus–

70

75 76

(1.4) wenn es falsch ist wird auch ausradiert und korrigiert

332

Die Analyse

(Fortsetzung) (18.8) das ist ganz WICHtig– also das FEST wird gefeiert zur erinnerung an den AUSzug aus ägypten

77 Tabelle 135: II.11.TA.68–77

Wie bereits in der Analyse des Einstiegs in die Unterrichtseinheit thematisiert (s. Kap. 6.2.1.2), setzen Formulierungen wie »jemanden bzw. sich an etwas erinnern« oder »zur Erinnerung an« das Wahrnehmen einer bestimmten Begebenheit, eines Zustands voraus, an die oder den erinnert wird. Sofern im Kontext einer solchen Formulierung nicht anderweitig bestimmt, ist im allgemeinen Sprachgebrauch davon auszugehen, dass es sich dabei um reale Umstände handelt, die erinnert werden. So implizieren Äußerungen, die ein Erinnern bestimmter Elemente der Exodus-Erzählung beschreiben, dass diese Geschehnisse tatsächlich zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit passiert sind (z. B. (II.1.TA.147f.), (II.7.TA.119), (II.11.TA.77). In fast allen beobachteten Szenen bezieht sich der Akt des Erinnerns direkt auf ein Ereignis aus der ExodusErzählung, nicht auf diese an sich. II.1.TA. 66 67

Mara:

(1.4) ((liest aus dem Buch vor)) »eines der WICH_tigsten feste (.) für (2.0) ju_den ist das (- - -)«

68

Lehrkraft II:

PESSachfest das wird manchmal PASSAHfest geschrieben und manchmal auch PESSACHfest (- - -) ja?

Mara:

(- - -) »es (- - -) erinnert an die (2.3) geschichte von (- -) MOse

69 70 71 72 73

(- - -) als gott (- - -) die (1.9) isra (3.5)

74 75

Lehrkraft II: Mara:

israeliten (- - -) aus (- - -) der

76 77

Lehrkraft II:

(4.7) skla::ve_rei sklaverei ja

78 79

Mara:

80 81 Lehrkraft II: Tabelle 136: II.1.TA.66–81

(- -) in (2.8) ägypten (- - -) befreit hat« (- -) ja danke–

333

Unterrichtseinheit II

Nur einmal wird in einem aus dem Religionsbuch gelesenen Text zum Passahfest die Erinnerung »an die Geschichte von Mose« beschrieben (II.1.TA.70–80),1135 sodass kein impliziter Verweis auf ein historisches Ereignis erfolgt. Eine explizite Infragestellung bzw. Verneinung der Wirklichkeit dessen, was die Lehrkraft den Schüler_innen erzählt oder mit ihnen gemeinsam liest, ist nur in der sechsten Stunde im Zuge der Erzählung vom brennenden Dornbusch hinsichtlich der Formulierung »ein Land […] in dem Milch und Honig fließt« zu beobachten (s. Kap. 6.2.2.2). Nachdem die Lehrkraft den Realitätsstatus dieses Phänomens als »nicht wirklich« bestimmt hat (»Milch und Honig fließen das gibt es nicht wirklich«1136), fragt sie die Schüler_innen nach einer möglichen Bedeutung und signalisiert damit, dass diese über den Literalsinn der einzelnen Begriffe hinaus auf einer metaphorischen Ebene zu suchen sei. In keiner anderen Unterrichtsszene erfolgt seitens der Lehrkraft eine derartige Verneinung oder eine explizite Infragestellung der Wirklichkeit der präsentierten Inhalte der Exodus-Erzählten. 6.2.3.4 Fragen und Äußerungen der Schüler_innen zu dem Erzählten Die Kommunikationssituationen in dieser Unterrichtseinheit sind zumeist durch fragend-entwickelnde Gespräche mit geschlossenen Fragestellungen geprägt, wobei die Zuteilung des Rederechts ausschließlich durch die Lehrkraft erfolgt. Die Analyse des Datenmaterials zeigt, dass die Schüler_innen sich nur vereinzelt unaufgefordert zu dem von der Lehrkraft Präsentierten äußern oder hierzu Rückfragen stellen. Die erste Frage einer Schülerin, die sich auf einen von der Lehrkraft vorgelesenen Abschnitt der Exodus-Erzählung bezieht, ist in der siebten Stunde zu beobachten. Im Rahmen des Anschlussgesprächs an die Erzählung von dem Auszug aus Ägypten und der Rettung vor den ägyptischen Verfolgern lässt die Lehrkraft von den Schüler_innen wiederholen, wie Gott zeigt, »dass er da ist«1137. Michael ergänzt die Darstellung seines Vorredners Maik, indem er erklärt, dass das »so wie ne Mauer« sei (II.7.TA.224). Die Lehrkraft validiert dies deutlich (»genau richtig«) und wiederholt Michaels Feststellung, wobei sie statt der einem metaphorischen Vergleich entsprechenden Formulierung (»so wie«) einen konkreten Vorgang beschreibt (»eine Mauer baut sich auf«). II.7.TA. 224

Michael:

also das ist SO wie ne MAuer

1135 Siehe hierzu Drews 2008, S. 65. 1136 II.6.TA.148, s. Tabelle 95, S. 288f. 1137 II.7.TA.206, s. Tabelle 294 im digitalen Anhang.

334

Die Analyse

(Fortsetzung) 225

Lehrkraft II:

(-) äh und/ und die ägypter können sich beide nicht mehr sehn bitte ((deutet auf die sich meldende Larissa))

226 227 228 229

GEnau RICHtig eine MAUer baut sich auf und die israeliten können

Larissa: Lehrkraft II:

230 231 232

so wie bei BERlin oder irgendwo (bei)? ((kurz auflachend)) ja_a da gab es auch sowas das können wir aber jetzt nicht vertiefen ja ist richtig da gab es auch mal eine mauer ganz genau (.) (es) ist eine MAUer aufgebaut worden SO die MIRiam die ist also ganz glücklich die TANzt nun–

Tabelle 137: II.7.TA.224–232

Während dieser Wiederholung der Lehrkraft meldet sich Larissa und äußert – nach dem Aufrufen durch die Lehrkraft – die Frage, ob das zuvor Beschriebene (Aufbau einer Mauer) »so wie bei Berlin« sei. Dabei relativiert sie die Sicherheit ihres Wissens um diese lokale Bestimmung durch die nachgeschobene Äußerung »oder irgendwo (bei)« (II.7.TA.228). In Larissas Frage dokumentiert sich zum einen, dass die Erwähnung einer Mauer, welche Menschen voneinander trennt, bei ihr an ein diesbezügliches Vorwissen anknüpft. Sie bringt dieses Phänomen mit der Stadt Berlin in Verbindung. Zum anderen zeigt sich eine konkrete und nicht metaphorische Deutung bzw. Vorstellung davon, was Ägyptern und Israeliten voneinander trennt. Die Lehrkraft reagiert kurz amüsiert, validiert dann aber den Vergleich und bestätigt, dass es dort (»da«) »auch sowas« gegeben habe (II.7.TA.229). Damit impliziert sie, dass es sich bei dem von Larissa angesprochenen Beispiel »bei Berlin« um etwas Entsprechendes handele. Trotz ihres Hinweises, dass diese Beobachtung Larissas zu diesem Zeitpunkt nicht »vertieft« werden könne, schließt sie erneut eine deutliche Validierung an (»ja ist richtig«, »ganz genau«) (II.7.TA.230). Dabei konkretisiert sie ihre vorangegangene Bestätigung, indem sie »sowas« durch »eine Mauer« ersetzt. Wie zuvor drückt sie mit dem Adverb »auch« eine Ähnlichkeit oder Entsprechung aus. Anschließend geht sie noch kurz auf den Umstand der Mauer ein und erklärt, dass diese »aufgebaut worden« sei (II.7.TA.231), wobei diese Formulierung ihrer Zustimmung zu Michaels Beschreibung dessen ähnelt, was zwischen Ägyptern und Israeliten passiert (»eine Mauer baut sich auf«). Da an dieser Stelle aber weder die Erklärung der Trennung von Ägyptern und Israeliten durch Gott in Form einer »Wolke« bzw. »Nebelwand« erneut angeführt

335

Unterrichtseinheit II

wird1138 noch der Aspekt des metaphorischen Vergleichs erklärt wird, bleibt die Beschreibung des erzählten Phänomens als »Mauer« im wortwörtlichen Sinn stehen. Die zweite Szene, in der ein Schüler das von der Lehrkraft Erzählte explizit hinterfragt, ereignet sich in der achten Stunde der Einheit, während die Lehrkraft aus der Neukirchener Kinder-Bibel vom Erhalt der zehn Gebote vorliest und dabei die Darbringung von Opfern für Gott anspricht. II.9.TA. 305

Lehrkraft II:

306

Marco:

307 308

Lehrkraft II:

309 310

Marco: Lehrkraft II:

311

(- - -) es war wie bei einer hochzeit« ((unterbricht ihr Vorlesen und deutet auf Marco, der sich seit der Erwähnung der Darbringung von Opfern meldet)) (-) was sind die opfer (-) gewesen?

äh:: das sind TIERopfer dann meistens gewesen ne? dass man tiere geschlachtet hat und dann verbrannt hat [keine menschen (-) keine menschenopfer?] [(- -) nein nein (-) nein menschen (nein)] (- -) ((liest weiter vor)) und gott schloss mit den israeliten einen bund

Tabelle 138: II.9.TA.305–311

Marco erkundigt sich nach der Art der Opfergaben, wobei er seine Frage im Perfekt formuliert (II.9.TA.306). Die Lehrkraft nutzt für ihre Antwort ebenfalls die Vergangenheitsform und erklärt, dass es sich »meistens« um Tieropfer gehandelt habe (II.9.TA.307f.). Die Art der Formulierung ihrer Erklärung suggeriert dabei, dass dies eine gängige Praxis (»meistens« »man … hat«) zu einem hier nicht weiter bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit (»dann … gewesen«, »geschlachtet hat«, »verbrannt hat«) war. In der nun anschließenden Nachfrage Marcos (»keine Menschenopfer?«), zeigt sich zunächst, dass ihm Menschenopfer als Opferform bekannt sind. Zudem dokumentiert sich in seiner Frage die Überlegung bzw. Annahme, dass es sich auch in dem von der Lehrkraft vorgelesenen Text um Menschenopfer handeln könnte. Neben diesen Fragen, die sich auf die genauere Klärung einzelner Erzählinhalte beziehen, sind vereinzelt Beiträge der Schüler_innen zu beobachten, in denen das Bedürfnis erkennbar wird, Erfahrungen und Wissensbestände, welche sie mit den erzählten oder besprochenen Inhalten der Exodus-Erzählung verbinden, in den Diskurs einzubringen (II.2.TA.320; II.7.TA.52f., 59–61; II.8(a).TA.210).

1138 II.7.TA.183–185, s. Tabelle 214, S. 445f.

336

Die Analyse

II.2.TA. 319

Lehrkraft II:

sehr schön (.) ok möchtest du was sagen noch? ((zu Maik))

320

Maik:

321

Lehrkraft II:

hm`_hm’ in ägypten da können kann jetzt keiner hinfliegen weil da ja krieg ist (-) im moment ja das ist jetzt

322 323

Maik:

wir sind jetzt natürlich so:: ((kurzes Nicken)) m`_m

324 Lehrkraft II: 325 Tabelle 139: II.2.TA.319–325

II.7.TA. 49 50 51 52 53 54 55

Lehrkraft II:

Marco: Lehrkraft II:

56

Marco:

62 Lehrkraft II: Tabelle 140: II.7.TA.49–62

Lehrkraft II:

207 208 209 210

das heißt es/ gott hat also schwere plagen geschickt– [und der pharao (-) bitte?] [(unverst.) heuschrecken] ich hab das schonmal in italien selber erlebt in italien sogar? ja kann sein (-) EINE

[ne? wenn also die luft ganz voll ist von/] [(1.5) (wenn man) mit dem auto] drauffährt das KNACKT [immer so]

60 61

II.8(a).TA. 206

richtig ne? sie HUNGern dann ganz genau

(.) EINE die hat aber nicht alles um dich herum kahl gefressen (-) aber jetzt überleg mal wenn da millionen ankommen

57 58 59

(-) also ich sag mal dreitausend jahre zurück [oder sowas]

Michael:

[GENAU richtig ja ja ganz genau]

stellt euch vor ich hab euch gesagt die israeliten wandern vierzig jahre (.) äh: durch ei/ durch die WÜste bis sie endlich in ISrael sind und haben HÄUfig also DIESes hier vor sich (-) ähm irgendwann müssen sie auch irgendwas ESsen ((Michael erzählt, wie er mit seinen Eltern im Kroatienurlaub auch in einer Gegend war, die so ähnlich wie eine Wüste ausgesehen hat))

337

Unterrichtseinheit II

(Fortsetzung) 211

Lehrkraft II:

((zu Michael)) ja das kann passieren man kann sich also in der wüste verIRRen

Tabelle 141: II.8(a).TA.206–211

Drei der Schüler informieren die Lehrkraft außerdem darüber, dass sie einzelne Elemente der Exodus-Erzählung wiedererkennen und erklären aus welchen Quellen ihnen diese bekannt sind. Dabei benennen sie auch Aspekte, die von der Lehrkraft noch nicht erwähnt worden sind (II.3.TA.64–66, 68f.; II.4.TA.293, 461, 463; II.9.TA.257, 259, 263). II.3.TA. 64

Lukas:

hat ähm meine mutter was gesucht was ich bei b und c hinschreiben [kann]

65 66 67 68

Lehrkraft II: Lukas:

69 70

und ähm wir haben auch auf dem tablet

Lehrkraft II:

[hm’_m`_hm’] dann hat die da einen text gefunden dass die (.) ähm

ägypten dann ägYPTER dann von den israeliten die babys noch töten ah das kommt noch das verraten wir noch nicht genau das kommt noch

Tabelle 142: II.3.TA.64–70

II.4.TA. 293 294 295

Erik:

(-) ich kenn das ich hab auch das FILM

Lehrkraft II:

[geguckt] [((nickt)) genau]

296

ne? (der is/) das ist ziemlich bekannt diese geschichte ne? […]

[…] 461 462

Erik: Lehrkraft II:

463 464

Erik:

II.9.TA. 256

Lehrkraft II:

(-) ich weiß wie der den ge/ den AUFseher getötet hat ja?

mit einem MESser mit einem messer meinst du (.) gut da müssen wir jetzt gucken–/ Tabelle 143: II.4.TA.293–296, 461–464

((zu Nick)) bitte–

338

Die Analyse

(Fortsetzung) 257

Nick:

ich weiß auch wie viel leute das in der wüste waren (von den) israeliten

258 259

Lehrkraft II: Nick:

((erstaunt)) echt? zwei millionen

260 261

Lehrkraft II:

OH (- -) wo steht denn DIE zahl? [(- -) wo hast du DIE denn her?]

262 263

Nick:

[(1.2) wa/ was] meine mutter ausgedruckt hat

264

Lehrkraft II:

das was deine mutter den text den deine mutter hat ok

Tabelle 144: II.9.TA.256–264

Die zu beobachtenden Redebeiträge der Schüler_innen stellen zumeist kurze Antworten auf überwiegend geschlossene oder halboffene Fragen der Lehrkraft dar, sodass sich kaum Äußerungen ihrerseits finden, die Aufschluss über die Rezeption und Einordnung des Erzählten oder Gelesenen im Hinblick auf die Frage seines Wesens geben. Nur vereinzelt zeigt die Analyse der Beiträge der Schüler_innen implizite Hinweise, die entweder eher auf die Rezeption als fiktionalen Narration (»ja das war da, das das haben sie gemacht das hab/ haben wir am Anfang von dieser Geschichte auch schon das war das erste was wir von dieser Geschichte gemacht haben«1139, »und davon hab ich auch die Bibel, da hab ich die Geschichte auch von«1140) oder aber als Schilderung historischer Ereignisse schließen lassen. So deutet beispielsweise die Überlegung Freds – zur Frage nach dem Grund für das Backen von ungesäuertem Brot (II.2.TA.40) – auf eine realgeschichtliche Einordnung der Ereignisse hin. II.2.TA. 36

Lehrkraft II:

37

(-) PRIma (- -) und warum gab es da diese matzen dies UNgesäuerte brot? (1.3) warum hat man nicht das brot genommen was wir jetzt so abends und morgens essen?

38 39 40

Fred:

41

Lehrkraft II:

(4.4) fred? weil es noch nicht erfunden war doch (.) erfunden wars (.) das hätte man durchaus hätte man durchaus verwenden können

Tabelle 145: II.2.Ta.36–41

1139 II.7.TA.113–116, s. Tabelle 292 im digitalen Anhang. 1140 II.4.TA.171–173, s. Tabelle 104, S. 318.

339

Unterrichtseinheit II

Und ebenso suggeriert die Erklärung Michaels zu dem – im Rahmen der Thematisierung der Wüstenwanderung der Israeliten – von ihm erinnerten Film, dass das dort gezeigte »auch mal echt« gewesen sei (im Sinne von »ebenso«), eine Rezeption der biblischen Erzählung als Beschreibung tatsächlicher Begebenheiten (II.8(a).TA.93). II.8(a).TA. 89

Lehrkraft II:

(.) HITZEschlag GANZ genau–

Michael:

(-) ähm: stell dir vor du musst äh/ achso du hast noch etwas michael? (- - -) also ich hab schonmal in einem fi/film gesehen

90 91 92 93

da war so ein mann und ein junge::– also ich glaub das war auch mal E_ECHT

94

(- -) und dann hat/ war da waren die da so auf der WÜste und da waren auch ganz viele STEIne

95 Tabelle 146: II.8(a).TA.89–95

Nur in einer Szene lässt sich ein gewisser Zweifel eines Schülers an dem von der Lehrkraft Erzählten beobachten.1141 II.8(b).TA. 89 90 91 92 93 94 95

Lehrkraft II:

(-) das heißt es muss sich drauf verlassen am nächsten morgen ist WIEder

Michael:

MANna da (-) wolltest du noch etwas sagen? (- -) ja (.) und die KÜgelchen sind doch voll klein

Lehrkraft II:

wie kann man die denn dann ESsen? (-) indem man mehrere zusammen nimmt

Michael:

96 97

(- -) aber wenn man wenn die zum beispiel jetzt (- -) so viele wie die wenn (.) eine so viel macht (-) (und) dass so: drei leute sind

98 99

Lehrkraft II: Michael:

hm_hm– in einer familie reicht das?

100

Lehrkraft II:

(-) das hat ausgereicht (-) so steht es zumindest in der BIbel dass es dann ausgereicht hat und äh:

101 102 103

man konnte sich drau/ die israeliten konnten sich drauf verlassen dass gott ihnen ausreichend viel von diesem manna gibt

1141 Siehe hierzu auch Kap. 6.2.2.2 sowie Kap. 6.4.3.2.

340

Die Analyse

(Fortsetzung) 104

(- - -) aber du hast recht da kommt natürlich nicht so ganz viel runter

105

da muss/müssen schon ordentliche dornenbüsche tamarisken sein damit da ordentlich was runterfällt ne?

106 107 Tabelle 147: II.8(b).TA.89–107

(- -) da muss man sich drauf verlassen

Michael stellt die Plausibilität der von der Lehrkraft erläuterten Ernährung der Israeliten mit den Ausscheidungen (»Kügelchen«) von Schildläusen, die auf Tamarisken sitzen, in Frage (II.8(b).TA.91f.). Er bezweifelt, dass die auf der von der Lehrkraft gezeigten Abbildung illustrierte Menge des von einer Schildlaus ausgeschiedenen Manna mit Blick auf eine dreiköpfige Familie ausreichend gewesen sei (II.8(b).TA.94–99). Die Lehrkraft führt als Reaktion auf diesen Zweifel die Bibel als Beleg an (II.8(b).TA.100). Der dabei eingefügte Zusatz »zumindest«, impliziert jedoch, dass sie selbst nicht vollends von dieser Erklärung überzeug zu sein scheint und die biblische Aussage lediglich wiedergibt. 6.2.3.5 Konklusion Welches Konzept des biblischen Textes wird nun über den Verlauf der Unterrichtseinheit durch die Art der Präsentation der Lehrkraft und innerhalb der Anschlussgespräche konstruiert? Welche Auffassung vom Wesen der ExodusErzählung dokumentiert sich in der Unterrichtskommunikation und welche Deutungsspielräume ergeben sich diesbezüglich für die Schüler_innen? Die Analyse zeigt, dass die Lehrkraft zu keinem Zeitpunkt der Unterrichtseinheit explizit macht, dass es sich bei den gemeinsam bearbeiteten Texten um eine biblische Erzählung aus dem Alten Testament handelt. Zwar verweist sie im Kontext dreier Aspekte des Erzählten auf »die Bibel« als Beleg oder Quelle der gegebenen Informationen, der Zusammenhang bleibt jedoch auf diese spezifischen Elemente beschränkt und wird nicht zu Beginn der Einheit für alle Erzählabschnitte expliziert.1142 Auch in Folge der Benennung anderweitiger

1142 Vgl.: »[D]ie Israeliten sind auch jahrelang durch die Wüste gelaufen, die Bibel spricht da von vierzig Jahren, äh dass die also die Israeliten durch die Wüste gegangen sind« (II.8(a).TA.77–79, s. Tabelle 92, S. 286); »und dann war das so wie das in der Bibel steht, war das Wasser bitter also das heißt das schmeckte überhaupt nicht« (II.8(a).TA.108f., s. Tabelle 93, S. 286f.); »das [Manna] hat ausgereicht, so steht es zumindest in der Bibel« (II.8(b).TA.100, s. Tabelle 94, S. 287))

Unterrichtseinheit II

341

Quellen seitens einzelner Schüler1143 kommt es nicht zu einer Thematisierung der ursprünglichen Herkunft oder der Entstehung des gemeinsam Gelesenen. Die Erarbeitung der ausgewählten Inhalte der Exodus-Erzählung erfolgt durchgängig auf der Ebene der Erzählhandlung. Gespräche über den Text bzw. die Texte im Sinne einer Auseinandersetzung mit ihrer Bedeutung auf der Metaebene sind nicht zu beobachten. Nur in der Reaktion der Lehrkraft auf Eriks Mitteilung seiner Kenntnis des »Films«, in welcher sie angibt, dass »diese Geschichte« »ziemlich bekannt« sei, spricht die Lehrkraft kurz auf der Metaebene über das Erzählte.1144 Sowohl dieser Hinweis auf die Bekanntheit der Geschichte als auch der indirekte Hinweis auf die Entstehung des biblischen Textes (in dem in der vorletzten Stunde der Einheit bearbeiteten Lückentext1145), werden nicht weitergehend erläutert oder diskursiv aufgegriffen. Das Wesen dessen, was gemeinsam gelesen und von der Lehrkraft erzählt wird, wird somit nicht explizit, sondern fast ausschließlich durch implizite Verweise und Stellungnahmen konstituiert. Während die in einigen Stunden (4., 5. und 6. Stunde) von der Lehrkraft verwendete Bezeichnung des Erzählten als Geschichte, die vereinzelt genutzte Erzählformel »eines Tages«1146 oder die – den Illustrationen von Comics und Bilderbüchern ähnlichen – Bebilderungen1147 einzelner Erzählabschnitte darauf hindeuten, dass es sich um eine bzw. mehrere fiktionale Narrationen und nicht um historische Tatsachenberichte handelt, sind auch solche Hinweise zu beobachten, die für die Rezeption des Gehörten als derartige Berichte sprechen. Neben den oben bereits aufgeführten Indikatoren für eine Einordnung des Erzählten als Schilderungen historischer Begebenheiten – wie die zeitliche Verortung in der Vergangenheit durch die genutzte Zeitform, durch Temporaladverbien und konkrete Zeitangaben1148 oder den Bezug des Erinnerungsmotivs 1143 Vgl.: »[W]ir haben auf dem Tablet […] einen Text gefunden, dass die […] Ägypter dann von den Israeliten die Babys noch töten« (Lukas, II.3.TA.64–69, s. Tabelle 109, S. 323); »und davon hab ich auch die Bibel, da hab ich die Geschichte auch von« (Lukas, II.4.TA.171–173, s. Tabelle 104, S. 318); »ich kenn das, ich hab auch das Film geguckt« (Erik, II.4.TA.293f., s. Tabelle 87, S. 276f.); »meine Mutter hat mir dir ganze Geschichte in der Wüste ausgedruckt« (Nick, II.9.TA.2, s. Tabelle 110, S. 324). 1144 Vgl. II.4.TA.295f., s. Tabelle 87, S. 276f. 1145 »Nach und nach werden die Israeliten in Kanaan sesshaft. 300 Jahre später werden die Erfahrungen des Volkes Israel mit Jahwe aufgeschrieben.« Aus urheberrechtlichen Gründen kann das seitens der Lehrkraft erstellte Arbeitsblatt mit dem Lückentext hier nicht in Gänze abgedruckt werden. 1146 II.4.TA.96, s. Tabelle 111, S. 325; II.4.TA.108, s. Tabelle 112, S. 325; II.4.TA.380, s. Tabelle 113, S. 325; II.4.TA.397, s. Tabelle 114, S. 325. 1147 Siehe hierzu Küstenmacher 1986, S. 13–15, sowie Küstenmacher 2012, S. 18f. 1148 »[A]lso ich sag mal dreitausend Jahre zurück oder sowas, also das ist jetzt nicht diese jetzige Zeit ne?« (II.2.TA.324–327, s. Tabelle 130, S. 329), »das ist schon vor ganz ganz langer Zeit« (II.2.TA.454, s. Tabelle 131, S. 330); Nutzung von Temporaladverbien »damals«, »früher«, »heute« sowie Vergangenheitsformen (Präteritum, Perfekt).

342

Die Analyse

nicht auf die Geschichte, sondern die erzählten Ereignisse – implizieren auch einige Äußerungen der Lehrkraft, bei denen Bezug auf die in der Erzählung benannten Personen genommen wird1149, dass es sich um wirkliche Menschen handelt. Ausdrücklich verneint wird die Wirklichkeit des Erzählten seitens der Lehrkraft hinsichtlich eines Landes, in welchem »Milch und Honig fließen« (s. Kap. 6.2.2.2). Im Kontext der Erzählungen vom brennenden doch nicht verbrennenden Dornbusch, von den zehn Plagen oder von der Wandlung des bitteren Wassers, bei denen eine ähnliche Einordnung zu vermuten wäre, ist eine solche Stellungnahme nicht zu beobachten. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Lehrkraft für das Erzählen von dem Auszug aus Ägypten einen Text auswählt, der nicht von der Teilung des Meeres spricht, sondern allein von einer »Nebelwand«.1150 Auch erklärt sie die Versorgung der Israeliten mit Manna und Wachteln von Beginn an naturalistisch.1151 So wird an diesen Stellen kaum Anlass dazu gegeben, an einer (möglichen) Historizität der Ereignisse zu zweifeln, da es nicht zu einem Erzählen von wundersamen Geschehnissen kommt. Da in dieser Unterrichtseinheit die Frage nach der Entstehung und Bedeutung des Erzählten nicht thematisiert wird, gibt es keine Hinweise, die auf ein Konzept von der biblischen Erzählung als Glaubenszeugnis bzw. als in Geschichten verdichtete Erfahrungen der Menschen mit Gott schließen lassen. Die Analysen zeigen, dass sich das Konzept des biblischen Textes, welches in dieser Unterrichtseinheit durch die Art der Präsentation seitens der Lehrkraft und die diesbezügliche Kommunikation zwischen ihr und den Schüler_innen konstituiert wird, zwischen zwei Polen bewegt: Hier eine Geschichte im Sinne einer fiktionalen Erzählung, die in der Vergangenheit spielt, und dort eine Schilderung von Ereignissen der vergangenen Realgeschichte. Zu keinem Zeitpunkt wird das Konzept aber explizit einem dieser Pole zugeschrieben. Aufgrund der ausschließlich impliziten Rezeptionshinweise bleibt der Deutungsspielraum für die Schüler_innen hinsichtlich der Frage, worum es sich bei dem Gelesenen und Gehörten handelt bzw. welche Bedeutung es hat, weitestgehend offen. 1149 »[D]as ist jetzt nicht die Originalzeichnung also so hat der nicht ausgesehen« (II.4.TA.75, s. Tabelle 99, S. 300f.), »der hat nicht so ausgesehen, sondern der ist einfach nur hier so gezeichnet, denn man weiß nicht wie er wirklich ausgesehen hat« (II.4.TA.81–84, s. Tabelle 99, S. 300f.); »so und eine Person die diesen Auszug miterlebt hat […] eine Person die das miterlebt hat ist eine Frau die heißt Miriam« (II.7.TA.78–81, s. Tabelle 103, S. 309–311). 1150 Vgl. II.7.TA.184, s. Tabelle 293 im digitalen Anhang. 1151 Das Manna wird als Ausscheidung einer Schildlausart beschrieben, die sich von dem Pflanzensaft von in der Wüste befindlichen Tamarisken ernährt. Die Möglichkeit Wachteln zu fangen, wird damit erklärt, dass es sich um Zugvögel handele, die sich nach einer langen Reise über das Mittelmeer erschöpft in der Wüste niederließen. Siehe hierzu auch Kap. 6.4.3.2.

Unterrichtseinheit III

6.3

343

Unterrichtseinheit III

Die Erhebung der Unterrichtseinheit zur Exodus-Erzählung, deren Analyse im Folgenden dargelegt wird, wurde in einer Klasse mit fünfundzwanzig Schüler_innen durchgeführt.1152 Von den vierzehn Mädchen und elf Jungen nahm eine der Schülerinnen für den Zeitraum der videografischen Aufzeichnung nicht am Religionsunterricht teil, sondern erhielt durch eine Pädagogische Mitarbeiterin der Schule ergänzende Förderung im Fach Deutsch.1153 Die Religionslehrkraft war seit Beginn des Schuljahres zugleich die Klassenlehrkraft und unterrichtete die Schülerinnen außerdem in den Fächern Deutsch und Mathematik. Der Religionsunterricht fand in Form einer Doppelstunde (2 x 45 Minuten) einmal pro Woche statt. Die Unterrichtseinheit wurde zu Beginn des zweiten Schulhalbjahres erfasst. Nach der Doppelstunde 9/10 wurde die Einheit für drei Doppelstunden zum Thema »Ostern« und durch die daran anschließenden Osterferien unterbrochen. Die inhaltliche Struktur der Unterrichtseinheit ist in tabellarischer Form innerhalb des digitalen Anhangs aufgeführt.1154

6.3.1 Einführung in den biblischen Text Anders als in den beiden zuvor analysierten Unterrichtseinheiten erfolgt in diesem Datensatz die erste Begegnung mit dem biblischen Text, der ExodusErzählung, nicht direkt zu Beginn, sondern innerhalb der vierten Stunde der Unterrichtseinheit. Bis zu diesem Zeitpunkt bearbeiten die Schüler_innen in den ersten drei Unterrichtsstunden verschiedene von der Lehrkraft vorgegebene Aspekte des Themengebiets »Altes Ägypten«. Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über den inhaltlichen und strukturellen Verlauf der ersten vier Stunden der Einheit gegeben. Im Anschluss werden dann einzelne Phasen genauer betrachtet und hinsichtlich der Frage nach der Gestaltung des Einstiegs in die Exodus-Erzählung analysiert.

1152 Für eine Übersicht über die Sitzordnung der Schüler_innen dieser Klasse siehe Abbildung 6 und 7 im digitalen Anhang. 1153 Die Erziehungsberechtigten dieser Schülerin erklärten sich mit der Teilnahme ihrer Tochter an einem videografisch aufgezeichneten Unterricht nicht einverstanden, stimmten aber der durch die Lehrkraft vorgeschlagenen Alternative einer zusätzlichen Förderung im Fach Deutsch zu. 1154 Siehe Tabelle 250 im digitalen Anhang.

344

Die Analyse

6.3.1.1 Verlauf der ersten zwei Doppelstunden der Unterrichtseinheit 1. und 2. Stunde Inhalt

0–3

Begrüßung: Die Lehrkraft begrüßt die SuS und gibt ihnen eine Rückmeldung zu ihren Mathematikhausaufgaben. Im Anschluss bittet sie die SuS, ihre Religionsmappe herauszuholen, und beginnt den Religionsunterricht.

3–4

Lied »Du bist mein Licht«: Die Lehrkraft singt gemeinsam mit den SuS das Lied »Du bist mein Licht«, welches diesen aus den vorangegangenen Religionsunterrrichtsstunden bereits vertraut ist.

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

4–10

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Bildbetrachtung und -deutung: Die Lehrkraft bittet die SuS sich im Sitzkreis zu versammeln. Sie legt eine Fotografie einer ägyptischen Totenmaske auf den Tisch in die Mitte. Die SuS dürfen sich zu dieser Fotografie frei äußern. Im Anschluss legt die Lehrkraft eine Abbildung einer stilisierten Landkarte des alten Ägyptens in die Mitte. Auch hierzu dürfen sich die SuS frei äußern. 10–14 Hinführung: Die Lehrkraft fragt die SuS, ob sie sich vorstellen können, was das Thema dieser Doppelstunde sei. Auf die Antwort »Ägypten« sucht die Lehrkraft gemeinsam mit den SuS auf dem Globus, wo Ägypten geographisch liegt.

Form

Material

Klassenunterricht/ Klassenunterricht/ Frontalunterricht Frontalunterricht

Zeit (in Min.)

Fotografie einer ägyptischen Totenmaske; Abbildung einer stilisierten Landkarte von Ägypten

Globus

345

Unterrichtseinheit III

(Fortsetzung) Material Plakate; Gruppentexte; Forscherkiste zum Thema Ägypten

51–60 Präsentation: Die Lehrkraft bittet die SuS, ihre Arbeit zu unterbrechen und sich wieder im Sitzkreis zu versammeln. Sie wiederholt noch einmal den Arbeitsauftrag und bittet dann die Gruppe mit dem Thema »Hieroglyphen«, ihr bisheriges Arbeitsergebnis vorzustellen. Die SuS dieser Gruppe lesen vor, was sie auf ihr Plakat geschrieben haben. Im Anschluss eröffnet die Lehrkraft den übrigen SuS die Möglichkeit, Fragen zum Gehörten zu stellen. Da keine/r der SuS eine Frage anzeigt, stellt die Lehrkraft zur Wiederholung des Gehörten Fragen an das Plenum.

Plakate; Gruppentexte; Forscherkiste zum Thema Ägypten

Gruppenplakate

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Pause 40–51 Erarbeitung (Fortzsetzung): Die SuS finden sich nach der Pause in ihren Gruppen zusammen und setzten ihre Arbeit an den Plakaten fort. Die Lehrkraft geht von Gruppe zu Gruppe, stellt benötigtes Bildmaterial in Form von Kopien aus den genutzten Büchern zur Verfügung und beantwortet Fragen der SuS zu ihrer Plakatgestaltung.

Gruppenarbeit

Gruppenarbeit

Inhalt Form Zeit (in Min.) 14–39 Erarbeitung: Die Lehrkraft erklärt den SuS, dass sie sich nun in Gruppen zu verschiedenen Bereichen des Themas »Ägypten« informieren und ein Plakat gestalten sollen. Hierfür haben sie Zugang zu einer Bücherkiste (»Forscherkiste«) zum Thema »Altes Ägypten« und bekommen je einen Text zum jeweiligen Themenbereich mit ersten Informationen sowie der Aufgabenstellung. Im Anschluss teilt die Lehrkraft fünf Gruppen ein, und die SuS verteilen sich mit ihren Plakaten und dem benötigten Arbeitsmaterial auf dem Flur sowie im Klassenraum, wo sie mit der Bearbeitung beginnen.

346

Die Analyse

(Fortsetzung) Material AB »Hieroglyphen«

Einzelarbeit

Inhalt Form Zeit (in Min.) 61–75 Anwendung: Die Lehrkraft erklärt, dass sie die Gruppe zum Thema »Hieroglyphen« zuerst hat präsentieren lassen, da sie einen Text »gefunden« habe, der in dieser Schrift verfasst sei. Die SuS bekommen die Aufgabe, diesen Text mit Hilfe eines ebenfalls auf dem Arbeitsblatt abgedruckten Zeichenschlüssels zu »übersetzen«. Die SuS holen sich bei der Lehrkraft ein Arbeitsblatt ab und gehen zur Bearbeitung dessen zurück auf ihre Plätze. Die Lehrkraft beantwortet während der Einzelarbeitsphase Fragen der SuS.

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

75–80 Hausaufgabe/ Abschluss: Die Lehrkraft unterbricht die Arbeit der SuS und erklärt, dass die Beendigung der Bearbeitung des Arbeitsblattes die Hausaufgabe sei. Sie gibt einen Ausblick auf die kommende Doppelstunde, in der die bis dahin fertigzustellenden Plakate aller Gruppen präsentiert werden sollen und beschließt dann die Religionsstunde. Tabelle 148: Verlauf der 1. und 2. Stunde, Unterrichtseinheit III

3. und 4. Stunde Inhalt

0–4

Begrüßung: Die Lehrkraft begrüßt die SuS und bittet sie, sich im Sitzkreis zu versammeln.

Form

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Zeit (in Min.)

Material

347

Unterrichtseinheit III

(Fortsetzung) Inhalt Lied »Singet dem Herrn ein neues Lied« (I): Die Lehrkraft stellt denn SuS ein neues Lied vor, indem sie zunächst den Text vorspricht, ihn mit der zugehörigen Melodie vorsingt und die SuS dann einstimmen lässt. Die Lehrkraft begleitet das Singen mit rhythmischem Klatschen auf Oberschenkel und Brust. Auch die SuS steigen in diese Bewegungen ein.

Präsentation: Die Lehrkraft erinnert an die in der vergangenen Doppelstunde erarbeiteten Plakate zum Thema »Ägypten« und kündigt an, dass nun jede Gruppe ihr Arbeitsergebnis vorstellen dürfe. Nacheinander werden die Plakate zu den Themen »Hieroglyphen«, »Die Gesellschaft im Alten Ägypten«, »Das Leben im alten Ägypten«, »Das Leben nach dem Tod« sowie »die ägyptische Religion« vorgestellt. Im Anschluss an jede Präsentation dürfen die SuS Fragen zum Gehörten stellen. Abschließend kündigt die Lehrkraft an, dass sie ein AB vorbereitet habe, auf dem die wichtigsten Aussagen jeder Gruppe noch einmal aufgeführt seien und die SuS dieses nach dem gemeinsamen Singen erhielten. 33–34 Lied »Singet dem Herrn ein neues Lied« (II): Die Lehrkraft singt gemeinsam mit den SuS das zu Beginn der Stunde neu eingeübte Lied.

Form

Material

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Zeit (in Min.) 4–5

Gruppenplakate

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

5–33

348

Die Analyse

(Fortsetzung) Material

37–40 Abschluss: Die Lehrkraft bittet die SuS, dieses AB in ihre Religionsmappe zu heften und lässt ein weiteres AB verteilen, auf dem die in der ersten Stunde der Einheit gezeigte Landkarte vom Alten Ägypten abgebildet ist. Dann verabschiedet sie die SuS in die Pause. Pause

AB »Landkarte Ägypten« (s/w-Kopie)

Abbildung einer stilisierten Landkarte von Ägypten; AB »Merkblatt Ägypten«

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

40–41 Lied »Singet dem Herrn ein neues Lied« (III): Die SuS kommen aus der Pause zurück und begeben sich auf ihre Plätze. Die Lehrkraft leitet ein erneutes gemeinsames Singen des Liedes »Singet dem Herrn ein neues Lied« an.

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Inhalt Form Zeit (in Min.) 34–37 Sicherung: Die SuS kehren auf ihre Plätze zurück, und der »Austeildienst« verteilt die angekündigten Arbeitsblätter. Die Lehrkraft heftet währenddessen die in der ersten Stunde gezeigte stilisierte Landkarte Ägyptens an die Tafel und bittet die SuS im Anschluss, die die einzelnen Themen zusammenfassenden Sätze1155 von dem AB vorzulesen.

1155 »1. Die Ägypter hatten viele Götter. Sie verehrten Götterbilder. Oft waren Götter in Tiergestalt dargestellt. 2. Die Ägypter waren ein gelehrtes Volk. 3. Der größte und wichtigste Fluss war der Nil. 4. Die ägyptische Schrift besteht aus Bildern. Die Zeichen heißen Hieroglyphen. 5. Die Ägypter stellen sich vor, dass man nach dem Tod weiterlebt. 6. Die Gesellschaft der Ägypter war eingeteilt in: Pharao, Priester, Schreiber, Handwerker, Bauern und Sklaven. Die Sklaven mussten ohne Bezahlung hart arbeiten.« Das Arbeitsblatt, auf welchem diese Merksätze aufgeführt sind, kann hier aus urheberrechtlichen Gründen nicht in Gänze abgedruckt werden.

349

Unterrichtseinheit III

(Fortsetzung)

43–47 Hinführung (II): Die Lehrkraft fragt die SuS nun, warum Josef »noch mal nach Ägypten gekommen« sei und die SuS wiederholen die zu einem früheren Zeitpunkt mit der Lehrkraft bearbeitete Erzählung von Josef und seinen Brüdern.

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

47–48 Erzählung (I): Die Lehrkraft greift den von den SuS zuletzt genannten Teil der Erzählung auf und ergänzt, dass sich Josef am Ende mit seiner Familie versöhnt habe. Dann beginnt sie davon zu erzählen, wie Josef und seine Familie in Ägypten lebten, älter würden und stürben, ihre Nachkommen aber zu einem großen Volk würden.

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Inhalt Form Zeit (in Min.) 41–43 Hinführung (I): Im Anschluss fragt die Lehrkraft die SuS, ob sie eine Vermutung hätten, aus welchem Grund sie sich so ausführlich mit dem Thema »Ägypten« beschäftigt hätten und was dies mit dem Religionsunterricht »zu tun« habe. Als Hilfestellung lässt sie die AB »Hieroglyphen« herausholen und den Lösungstext von den SuS vorlesen. Dann fragt sie erneut nach dem Zusammenhang zwischen »unserem Religionsunterricht« und »Ägypten«. Die SuS erklären, dass Josef nach Ägypten gekommen sei.

Material AB »Hieroglyphen«

350

Die Analyse

(Fortsetzung) Inhalt Form Zeit (in Min.) 48–68 Erzählung (II) (Rollenspiel): Die Lehrkraft erklärt den SuS, dass sie ein Rollenspiel vorbereitet habe, welches zeigen werde, wie es mit den Israeliten in Ägypten »weitergehe«. Dann teilt sie die SuS in zwei Gruppen ein (der Pharao und seine Minister ; die Israeliten), verteilt die Rollentexte und lässt die SuS diese einüben (eine Gruppe geht auf den Flur, die andere bleibt im Klassenraum). Die Lehrkraft gibt den einzelnen Gruppen Tipps für ihr Spiel. Nach ca. zehn Minuten versammelt die Lehrkraft wieder beide Gruppen im Klassenraum und positioniert sie einander gegenüber. Die SuS beginnen mit dem Rollenspiel, in welchem von der Angst des Pharaos vor der Größe des Volkes Israel, seiner Unterdrückung dieses Volkes mit harter Arbeit und vom Klagen der Israeliten zu Gott erzählt wird. Im Anschluss an das Rollenspiel lässt die Lehrkraft die SuS wiederholen, was das »Problem« des Pharaos sei.

Material

68–77 Erzählung (III): Die Lehrkraft erklärt, dass »hier« nun eine »ganz spannende und lange Geschichte« anfange und beginnt dann, aus der Neukirchener Kinder-Bibel vorzulesen (Israel in Ägypten, Tötung der israelitischen Neugeborenen, Moses Geburt und Rettung). 77–79 Anschlussgespräch: Die Lehrkraft kündigt an, dass es in der nächsten Religionsstunde mit der »Geschichte« weitergehe, und fragt die SuS, ob sie zu dem Gehörten noch etwas sagen wollten. Drei der SuS äußern sich zu dem von der Lehrkraft Vorgelesenen.

Neukirchener KinderBibel1156 ; AB »Landkarte Ägypten«

1156 Vgl. Weth 2000.

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Gruppenarbeit

Rollenspieltexte

351

Unterrichtseinheit III

(Fortsetzung) Form

Material

Klassenunterricht/ Frontalunterricht

Inhalt Zeit (in Min.) 79–80 Abschluss: Die Lehrkraft beschließt die Stunde und verabschiedet die SuS.

Tabelle 149: Verlauf der 3. und 4. Stunde, Unterrichtseinheit III

6.3.1.2 Analyse Die folgende Darlegung der Analyse des Einstiegs in die Exodus-Erzählung gliedert sich nach den jeweiligen Unterrichtsphasen der ersten und zweiten Doppelstunde der Einheit (vgl. Tabelle 148 und 149). 1. und 2. Stunde Bildbetrachtung Nachdem die Schüler_innen sich im Sitzkreis im hinteren Teil des Klassenraumes versammelt haben, kündigt die Lehrkraft an, dass sie »ein bisschen was mitgebracht« habe, um die Schüler_innen auf ihr (»unser«) »neues Thema einzustimmen«.1157 Daraufhin legt sie eine DIN-A4 große Fotografie einer ägyptischen Totenmaske auf den Tisch in der Mitte und gibt den Schüler_innen die Möglichkeit, sich zu dieser zu äußern (»wer etwas sagen möchte meldet sich und danach machen wir dann eine Meldekette«1158). In den nun anschließenden Beiträgen der – sich gegenseitig das Rederecht zuteilenden – Schüler_innen dokumentiert sich ein gewisses Vorwissen bezüglich des Themenbereichs »Altes Ägypten«. So gibt bereits der erste Schüler an, dass es sich um »die Maske vom Pharao« handele und eröffnet mit der Nennung des ägyptischen Königstitels den Orientierungsrahmen »(Altes) Ägypten«.1159 Die Nutzung des bestimmten Artikels (»vom« = von dem) impliziert dabei, dass er einen bestimmten Pharao vor Augen hat. Elisa spezifiziert diese Einordnung Sebastians und erklärt, dass die Fotografie »die goldene Maske von Tutch en Amun« zeige.1160 Auch die darauffolgenden Beiträge verorten das 1157 1158 1159 1160

III.1/2.TA.3f., s. Tabelle 301 im digitalen Anhang. III.1/2.TA.9f., s. Tabelle 301 im digitalen Anhang. III.1/2.TA.15, s. Tabelle 301 im digitalen Anhang. III.1/2.TA.18, s. Tabelle 301 im digitalen Anhang.

352

Die Analyse

Abgebildete in diesem Themenbereich (»ist die in Ägypten?«1161, »das ist ne Pharaonenmaske, glaub ich«1162, »das war glaub ich ähm ein Mann der wurde in ner Pyramide begraben, glaub ich«1163, »äh das ist einer der Grabschätze vom Pharao«1164), wobei Phillip, Hannes und auch Tarek signalisieren, dass es sich bei ihren Zuschreibungen um Vermutungen handele (fragende Intonation; »glaube ich«). Begründungen für die jeweiligen Bilddeutungen oder Erklärungen zur Herkunft ihres Wissens erfolgen seitens der Schüler_innen nicht. Die Lehrkraft kommentiert die einzelnen Beiträge nicht auf der inhaltlichen, sondern nur vereinzelt auf der strukturellen Ebene, indem sie Wiederholungen aufzeigt oder zu weiteren Äußerungen auffordert (z. B. »Möchte sonst noch jemand was sagen?«1165, »das war eigentlich ne Wiederholung von dem was sie gerade gesagt hat«1166, »fällt einem noch spontan was dazu ein […]«1167). Die zweite Abbildung, welche die Lehrkraft in die Mitte legt, zeigt eine farbige Zeichnung einer Landkarte von Ägypten, Kanaan, Syrien und Babylonien. Einige der Schüler_innen beginnen die darauf aufgeführten Ländernamen vorzulesen. Die Lehrkraft erinnert an das Prinzip der »Meldekette«,1168 und die Schüler_innen beginnen wieder, sich nach ihren Beiträgen gegenseitig aufzurufen. III.1/2.TA. 70

Lehrkraft III:

(4.7) irgendwie funktioniert das mit der meldekette noch nicht so richtig

71 72

uk: Sebastian:

73

Liam:

(leise) sebastian ist wieder dran ähm (2.1) liam (2.2) äh:: hauptstadt die hauptstadt oder das größte gebäude? (5.4) mia (1.8) äh:m (- -) KÖNnte es vielleicht was mit (.) ähm (- - -) mit JOsef zu tun haben? (3.1) weil (- - -) der wurde ja auch ((leiser)) nach ägypten (gebracht) (- - -) hm`_hm’ (2.9) phillip– ich hab das schonmal in hamburg gesehen ((unverst.)) bei dem könig der löwen (spiel)

74 75 76

Mia:

77 78

Lehrkraft III:

79 80

Mia: Phillip:

1161 1162 1163 1164 1165 1166 1167 1168

Tarek, III.1/2.TA.37, s. Tabelle 301 im digitalen Anhang. Phillip, III.1/2.TA.39, s. Tabelle 301 im digitalen Anhang. Hannes, III.1/2.TA.53ff., s. Tabelle 301 im digitalen Anhang. Sebastian, III.1/2.TA.58, s. Tabelle 301 im digitalen Anhang. III.1/2.TA.19, s. Tabelle 301 im digitalen Anhang. III.1/2.TA.22, s. Tabelle 301 im digitalen Anhang. III.1/2.TA.24, s. Tabelle 301 im digitalen Anhang. Die Meldekette entspricht in der hier beobachteten Anwendung dem Prinzip der Methode der sogenannten Redekette. Vgl. Mattes 2011, S. 106f.; vgl. Janssen 2008, S. 23.

353

Unterrichtseinheit III

(Fortsetzung) 81

Lehrkraft III:

hm`_hm’

82 83

Phillip: Jonas:

(- - -) jonas– (- -) vielleicht hatte josef diese maske auf

84

Liam:

85

Jonas:

((zieht kurz und hörbar Luft ein)) (- -) ((leise)) n:_nein das glaub ich nicht (3.4) elisa

86 Elisa: 87 Lehrkraft III: Tabelle 150: III.1/2.TA.70–87

das ist die karte von ägypten? (1.7) wo hast du das entdeckt?

Mia benennt einen von ihr vermuteten (»könnte es vielleicht mit […] zu tun haben«) Zusammenhang des von der Lehrkraft angekündigten neuen Themas (»es«) und den hierzu gezeigten Bildern mit »Josef« (III.1/2.TA.75f.). Indem sie auf diesen Namen verweist, ohne weitere Erläuterungen anzufügen, um wen es sich dabei handelt, zeigt sie an, dass sie voraussetzt, dass ihre Adressatin bzw. ihre Adressat_innen wissen, wer gemeint ist, und diesen auf »Josef« bezogenen Orientierungsrahmen teilen. Die fragende Intonation am Ende ihres Beitrags impliziert sowohl eine Unsicherheit als auch die Erwartung einer Reaktion. Hierfür spricht auch ihre längere Sprechpause vor ihrer Begründung für diese Vermutung (»(3.1) weil« (II.1/2.TA.77)). Mit der eingefügten Partikel »ja« suggeriert sie, dass sie davon ausgeht, dass ihre Zuhörer_innen mit dieser Information über Josef vertraut sind. Die Lehrkraft reagiert bestätigend auf Mias Vermutung (»hm`_hm’«), es bleibt jedoch offen, ob sich ihre – intonatorisch Zustimmung ausdrückende – Äußerung lediglich auf das akustische Verständnis bezieht (i. S. einer Hörerrückmeldung), oder ob sie Teilen bzw. dem gesamten Beitrag Mias inhaltlich zustimmt (II.1/2.TA.78). Nach kurzem Abwarten gibt Mia das Rederecht an Phillip weiter. Im Anschluss an dessen Beitrag äußert Jonas die Vermutung (»vielleicht«), dass »Josef diese Maske« aufgehabt habe (III.1/2.TA.83) und greift damit den von Mia angesprochenen »Josef« wieder auf. Auch die Art seiner Formulierung (direkte Nutzung des Namens ohne weiterführende Angaben) signalisiert, dass er mit dem benannten »Josef« vertraut ist und dies auch für seine Zuhörer_innen annimmt. Ohne seine Wortmeldung anzuzeigen oder auf die Zuteilung des Rederechts zu warten, reagiert Liam auf Jonas’ Äußerung und konstatiert, dass dies seiner Auffassung nach (»glaube ich«) nicht zutreffe (III.1/2.TA.84). Die betonte Längung der verneinenden Partikel »nein« hebt dabei seine ablehnende Haltung gegenüber der Vermutung von Jonas hervor. Weder Jonas noch die Lehrkraft reagieren auf diesen Einwurf Liams und die Bilddeutung wird fortgesetzt.

354

Die Analyse

Hinführung Nachdem Elisa erklärt hat, warum sie davon ausgehe, dass es sich bei der zweiten Abbildung um eine »Karte von Ägypten« handele (III.1/2.TA.86), fragt die Lehrkraft nach Vermutungen der Schüler_innen (»könnt ihr euch denken«, »vielleicht«), worüber sie in dieser Doppelstunde (»heute«) gemeinsam (»wir«) sprechen wollten,1169 und validiert (»genau«1170) die darauf erfolgende Äußerung Melinas, welche »Ägypten« angibt (»ähm ü/ über Ägypten«1171). Nach einer kurzen Reflexion der vorausgegangenen Beiträge der Schüler_innen bestätigt die Lehrkraft das von Melina genannte Thema noch einmal, indem sie erklärt, dass sie sich in dieser Stunde gemeinsam (»wir wollen uns heute«) »über Ägypten informieren« würden. Dabei schränkt sie den Umfang dieser Information mit dem Einschub »ein bisschen« (unbestimmt) ein.1172 Im Anschluss fragt sie die Schüler_innen, wo »denn überhaupt Ägypten« liege, und signalisiert mit dem Verweis auf den Globus (»ich hol mal eben den Globus«), dass sie eine Verortung auf der Weltkugel erwarte.1173 Zwar äußern einige Schüler_innen Vermutungen darüber, wo Ägypten auf dem Globus zu finden sei (»ich hätte gedacht es ist weiter unten«1174 ; »ich glaub das liegt in Südkorea«1175 ; »hier irgendwo?«1176), oder benennen mit Bezug auf die Landkarte weitere geografische Anhaltspunkte für die Suche (»ich würde erstmal nach dem Roten Meer suchen«1177; »hm gucken wo es so aussieht wie auf dem Bild«1178 ; »am Nil gucken«1179), eine sichere geografische Einordnung bzw. das Zeigen des entsprechenden Bereichs auf dem Globus erfolgt jedoch nicht. Die Lehrkraft übernimmt daraufhin die Auflösung der Frage und beschreibt mit dem Finger auf dem Globus »wo wir leben«, und wie man von dort aus Ägypten findet (»so am besten ist ich zeig euch mal eben kurz wo wir leben und von da aus machen wir dann eine Reise […]«).1180 Erarbeitung Nachdem die Lehrkraft mit dem Globus im Sitzkreis herumgegangen ist und jeder Schülerin und jedem Schüler gezeigt hat, wo Ägypten liegt, betont sie noch 1169 1170 1171 1172 1173 1174 1175 1176 1177 1178 1179 1180

III.1/2.TA.93f., s. Tabelle 302 im digitalen Anhang. III.1/2.TA.98, s. Tabelle 302 im digitalen Anhang. III.1/2.TA.97, s. Tabelle 302 im digitalen Anhang. III.1/2.TA.103f., s. Tabelle 302 im digitalen Anhang. III.1/2.TA.106f., s. Tabelle 302 im digitalen Anhang. Phillip, III.1/2.TA.127, s. Tabelle 302 im digitalen Anhang. Phillip, III.1/2.TA.129, s. Tabelle 302 im digitalen Anhang. Fabian, III.1.TA.134, s. Tabelle 302 im digitalen Anhang. Marlene, III.1/2.TA.121, s. Tabelle 302 im digitalen Anhang. Melina, III.1/2.TA.124, s. Tabelle 302 im digitalen Anhang. Unbekannt, III.1/2.TA.131, s. Tabelle 302 im digitalen Anhang. III.1/2.TA.135ff., s. Tabelle 302 im digitalen Anhang.

355

Unterrichtseinheit III

einmal, dass sie sich gemeinsam über Ägypten informieren würde, wobei sie auch hier den Umfang einschränkt (»so ein bisschen«), mit dem Modalverb »müssen« aber erstmals eine Notwendigkeit dieser Information impliziert. III.1/2.TA. 154 155

Lehrkraft III:

156 157 158 159 160 161 162 163 164

JA wir müssen also so ein bisschen informaTIOnen über ägypten haben– und ich HAbe– (.) aus dem FORscherlabor– eine (-) FORscherkiste über ägypten geholt und auch ALLe BÜcher die wir über ägypten in der bücherei haben– hab ich hier auch zusammengestellt und äh: ich habe jetzt (.) AUFgaben für (.) verschiedene gruppen (- - -) und die werden sich dann jeweils mit einem plakat gleich auf den flur oder hier (- - -) zusammensetzten und dann (- -) über dieses THEma (2.6) sich inforMIEren ein plakat gestalten und das vortragen

Tabelle 151: III.1/2.TA.154–164

Die Begründung für die Notwendigkeit, Informationen zu Ägypten einzuholen, bleibt an dieser Stelle offen, da die Lehrkraft direkt mit der Erklärung des Arbeitsauftrages für die Schüler_innen fortfährt. In den Erläuterungen der Lehrkraft zu den für den Arbeitsauftrag zusammengestellten Materialien dokumentiert sich die Vorstellung bzw. Erwartung einer forschenden (wissenschaftlichen) Auseinandersetzung (»Forscherlabor«, »Forscherkiste«) mit verschiedenen Quellen (»Forscherkiste«, »alle Bücher«), in welchen die notwendigen Sachinformationen enthalten sind (»über dieses Thema sich informieren«) (III.1/2.TA.155–164). Anwendung Im Anschluss an die Bearbeitung der einzelnen Themenbereiche und die Präsentation der Gruppe zum Thema »Hieroglyphen« erklärt die Lehrkraft, dass sie diese Gruppe zuerst habe präsentieren lassen, weil sie zu diesem Thema »einen Text gefunden« habe, der »in Hieroglyphen geschrieben« sei.1181 Nachdem die Lehrkraft den Schüler_innen erläutert hat, was sie mit diesem »Text« tun sollen, werden die entsprechenden Arbeitsblätter ausgeteilt, und die Schüler_innen beginnen mit ihrem Arbeitsauftrag.

1181 III.1/2.TA.279ff., s. Tabelle 303 im digitalen Anhang.

356

Die Analyse

Der zu übersetzende Text lautet: »Die Geschichte von Josef und seinen Brüdern erzählt uns, wie die Israeliten nach Ägypten gekommen sind. Josef und seine Brüder bekamen viele Kinder und diese bekamen auch wieder Kinder. Aus dem Stamm Levi ging Mose hervor, über den wir in den nächsten Stunden einiges erfahren werden.«1182

Im Text wird der bereits von Mia zu Beginn der ersten Stunde angedeutete Zusammenhang von »Josef« und »Ägypten« näher bestimmt, indem der Ursprung dieses Zusammenhangs, »die Geschichte von Josef und seinen Brüdern« benannt wird. Die »Geschichte« wendet sich hier in personifizierender Form selbst (»die Geschichte … erzählt«) an die Adressatengruppe (»uns«), wobei die Begriffe »Geschichte« und »erzählen« signalisieren, dass es sich um eine Erzählung im Sinne narrativer Prosa handelt. Wer mit dem Begriff »Israeliten« bezeichnet wird, dass Josef und seine Brüder in Ägypten »viele Kinder« bekamen sowie, dass Levi einer dieser Brüder ist, bleibt in diesem Text implizit. Die für die Schilderung der Ereignisse verwendete Vergangenheitsform suggeriert dabei, dass sie sich zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit abgespielt haben. Der Text endet mit einem Hinweis auf den Inhalt der zukünftigen Religionsstunden und verspricht weitergehende Informationen über die hier erstmals erwähnte Person »Mose«. Abschluss Kurz vor dem Ende der zweiten Stunde unterbricht die Lehrkraft die Schüler_innen bei ihrer Arbeit an der Übersetzung der Hieroglyphen und erklärt, dass die Fertigstellung dieser Übersetzung die Hausaufgabe sei. Bis zu diesem Zeitpunkt erfolgt weder seitens der Schüler_innen noch seitens der Lehrkraft ein an die ganze Klasse gerichteter Kommentar oder eine inhaltliche Bezugnahme auf den Text. III.1/2.TA. 290

Lehrkraft III:

(-) sodass wir in der nächsten woche dann einmal die (-) plaKAte vorstellen können– und auch mit dieser geschichte dann im grunde genommen auch WEItermachen können

291 292 293

also religion in der grünen mappe das arbeitsblatt fertig machen–

Kommentar :

((Die Lehrkraft beschließt die Stunde und verabschiedet sich. Einige der SuS setzten ihre Arbeit an den AB fort))

Tabelle 152: III.1/2.TA.290–293 1182 Das von der Lehrkraft erstellte Arbeitsblatt »Hieroglyphen« kann hier aus urheberrechtlichen Gründen nicht in Gänze abgedruckt werden.

357

Unterrichtseinheit III

In ihrer Ankündigung dessen, was für die kommende Religionsstunde geplant ist, greift die Lehrkraft den im Hieroglyphen-Text genannten Begriff der »Geschichte« auf. Mit dem vorgesetzten Pronomen »diese« impliziert sie, dass sie sich auf etwas bereits Erwähntes bzw. Bekanntes bezieht, auch wenn im Plenum noch nicht von einer Geschichte oder »dieser Geschichte« gesprochen wurde. 3. und 4. Stunde Präsentation Die Lehrkraft leitet die Phase der Posterpräsentation ein, indem sie erklärt, dass sie gemeinsam (»wir«) in der vergangenen Woche »verschiedene Bereiche des alten Ägypten kennengelernt« hätten, und die Schüler_innen nun die Gelegenheit hätten, ihre hierzu gestalteten Poster vorzustellen.1183 Nach der erneuten Präsentation der Gruppe mit dem Thema »Hieroglyphen«, stellt die Gruppe mit dem Thema »Die Gesellschaft im alten Ägypten« das von ihr gestaltete Poster vor und erklärt, welche Bevölkerungsgruppe auf welcher gesellschaftlichen Stufe verortet sei. In der anschließenden Phase, in welcher die zuhörenden Schüler_innen Rückfragen an die Gruppe stellen dürfen, erklärt die Lehrkraft, dass auch sie noch eine Frage habe (III.3.TA.55ff.). III.3.TA. 55

Lehrkraft III:

(1.2) ich hab auch ne frage an euch

56 57

was bedeutete das denn wenn:: ähm (- -) wenn ich jetzt zum beispiel hier unten in der ((zeigt auf das Plakat))

58 59

schicht der SKLAven geboren wurde (-) hatte ich da IRgendwie ne CHAnce

60 61

(- - -) da aus meiner (.) SCHICHT rauszukommen? dass ich irgendwann mal (.) auch pharao werden könnte?

62 63

Jonas: Liam:

(- - -) eigentlich nein [((leise)) aber/ aber beim]

64 65

Marlene: Liam:

[(- - -) ähm:] josef–

66 67

Jonas:

(- -) weil (- - -) das ist [(- -) eigentlich unmöglich weil sklaven bleiben sklaven]

68 69

Marlene:

[(2.1) pharao könnte man] (- - -) KÖNNte man nicht werden aber

1183 III.3.TA.4, s. Tabelle 304 im digitalen Anhang.

358

Die Analyse

(Fortsetzung) 70

vielleicht irgendwas anderes

71 72

Liam:

((flüstert)) ich kenn einen der hat es geschafft [(9.0) ((noch leiser flüsternd)) ich kenn einen/]

73 74

Kira: Sebastian:

[(8.9) sebastian] (- -) ähm (- - -) oh man (- -) vergessen

75 76

Marlene: Liam:

liam– (-) eigentlich ist das ja NICHT unmöglich ich KENN einen der es geschafft hat

77 78

Marlene:

[(1.1) vielleicht] [(1.2) wer?]

79 80

Liam: Melanie:

(-) ich weiß/ ähm: vielleicht war es josef ? (- - -) der war kein sklave

81 82

Jonas: Liam:

der war aber kein sklave [na ja er ist aber v/]

83 84

Lehrkraft III: Liam:

[(- -) da überlegt mal eben] ((leiser)) aber ERST war er/

85 86

Fabian: Liam:

stimmt der WAR einer er ist pharao geworden

87 88

Elisa: Fabian:

nein fast (-) fast

89 90

Liam: Elisa:

ja aber/ pharaONischer berater

91 92

Liam: Lehrkraft III:

ja m äh das ist TOLL dass du dich da noch dran erinnerst liam

93 94

(- -) es ist norMALerweise so jeder bleibt in seiner schicht (- -) weil du auch gesa/ gerade gesagt hast es ist GANZ streng eingeteilt

95 96

und muss auch streng EINgehalten werden– Aber wenn es wirklich ganz äh (.) SCHLAUe leute gab–

97 98

so wie josef eben auch und der äh gute arbeit geleistet hat so war/ GAB es ne ganz ganz kleine chance

99

da hast du wohl recht aber EIGENtlich blieb jeder so in seiner schicht

Tabelle 153: III.3.TA.55

Unterrichtseinheit III

359

Jonas ergreift als erster aus der angesprochenen Arbeitsgruppe das Wort und verneint die Frage der Lehrkraft, ob man als in der »Schicht« der Sklaven Geborener in eine andere Schicht aufsteigen oder sogar Pharao werden könne. Mit dem Adverb »eigentlich« schränkt er dabei die Absolutheit dieser Verneinung ein (III.3.TA.62). Marlene signalisiert ebenfalls, dass sie über eine Antwort auf die Frage der Lehrkraft nachdenkt (»ähm« (III.3.TA.64)), Jonas unterbricht aber ihren Ansatz, das Rederecht zu übernehmen, und fährt mit einer Erklärung seiner Verneinung fort (»eigentlich unmöglich weil Sklaven bleiben Sklaven«) (III.3.TA.66f.). Auch hier relativiert er den Geltungsanspruch seiner Argumentation durch das vorangestellte Adverb »eigentlich«. Parallel meldet sich Liam unaufgefordert zu Wort, und setzt mit einem Einspruch bzw. einer Differenzierung (»aber«) zu Jonas’ Äußerung an und nennt erstmals den Namen »Josef« (»aber beim Josef«) (III.3.TA.63, 65). Zeitgleich zum Ende seiner Erklärung beginnt Marlene erneut zu sprechen und konstatiert ihrerseits, dass man nicht Pharao werden »könnte«, aber »vielleicht irgendetwas« anderes (III.3.TA.68–70). Liam ergreift abermals unaufgefordert das Wort und erklärt, dass er »einen« kenne, der es »geschafft« habe, wobei seine flüsternde Intonation signalisiert, dass ihm bewusst ist, dass er sich nicht an die vereinbarten bzw. gerade geltenden Gesprächsregeln hält (III.3.TA.71f.). Der Einwurf Liams bleibt unkommentiert, und die Lehrkraft bedeutet den Gruppenmitgliedern nonverbal, einen der übrigen Schüler auszuwählen, die eine Wortmeldung anzeigen (Sebastian, Liam). Nach Sebastian kommt Liam an die Reihe und wiederholt nun noch einmal seine bereits geäußerte Stellungnahme, wobei er intonatorisch die Verneinung der von Jonas erklärten Unmöglichkeit betont (»eigentlich ist das ja nicht unmöglich«). Zugleich wird jedoch der Geltungsanspruch seiner Aussage durch das einleitende Adverb »eigentlich« sowie das nach einer kurzen Pause ohne erhaltene Rückmeldung nachgesetzte Adverb »vielleicht« abgeschwächt (III.3.TA.76f.). Diesen Zusatz nutzt Liam auch in seiner Antwort auf Marlenes Rückfrage, um wen es sich bei der von ihm angesprochenen Person handele (III.3.TA.78). Seine fragende Intonation verstärkt dabei die eine Vermutung implizierende Wirkung des Adverbs »vielleicht« (III.3.TA.79). Er nennt erneut »Josef« und suggeriert mit der verwendeten Vergangenheitsform, dass es sich um eine Person aus der Vergangenheit handele. Wie Mia in der ersten Stunde der Einheit (III.1.TA.75f.) führt auch Liam den Namen ohne weitere Erläuterungen an, was darauf schließen lässt, dass er auf ein gemeinsames Wissen rekurriert. Dies zeigt sich auch in dem nun erfolgenden Einspruchs Melanies, die sich mit dem Pronomen »der« auf die genannte Person bezieht und konstatiert, dass dieser »kein Sklave« gewesen sei (III.3.TA.80). Sie nutzt dafür ebenfalls die Vergangenheitsform. Ihre Antithese zu Liams Vermutung greift die vorausgegangene Fragestellung der Lehrkraft (»wenn ich jetzt zum Beispiel hier unten in der Schicht der Sklaven geboren wurde …« (III.3.TA.57–60)) auf und wird von

360

Die Analyse

Jonas fast wortwörtlich noch einmal wiederholt (III.3.TA.81). Parallel zu Liam, der ansetzt, diesem Einwand etwas zu entgegnen (»na ja er ist aber v/« (III.3.TA.82)), fordert die Lehrkraft die Schüler_innen dazu auf, »mal eben« diese Stelle der Diskussion zu überdenken (»da überlegt«). Dadurch stellt sie die vorangegangenen Äußerungen implizit in Frage und signalisiert, dass sie diese nicht teile (III.3.TA.83). Nun setzt Liam erneut – jedoch leiser – an, seinen zuvor begonnenen Einspruch gegen Melanie und Jonas zu formulieren (»aber erst war er/« (III.3.TA.84). Er wird von Fabian unterbrochen, der die bis zu diesem Zeitpunkt nicht explizit – sondern nur in negierter Form – genannte Theorie, dass »er« (Josef) ein Sklave gewesen sei, mit intonatorischem Nachdruck validiert (»stimmt der war einer« (III.3.TA.85)). Liam übernimmt das Wort, setzt die Elaboration seiner Vermutung fort und erklärt, dass »er« Pharao geworden sei (III.3.TA.86). Wie auch schon Fabian nutzt er weiterhin die Vergangenheitsform. Während Elisa ohne weitere Erklärungen verneint, dass Josef Pharao geworden sei (III.3.TA.87), räumt Fabian der Aussage annähernde Richtigkeit ein (»fast (-) fast« (III.3.TA.88)). Elisa unterbricht Liam, der eine Entgegnung beginnt (»ja aber/« (III.3.TA.89)) und korrigiert ihn implizit, indem sie den Titel »pharaonischer Berater« nennt (III.3.TA.90). Liam bestätigt diese Korrektur (»ja« (III.3.TA.91)). Nun ergreift die Lehrkraft das Wort und verweist durch die positive Hervorhebung der Erinnerungsleistung von Liam indirekt auf eine gemeinsame in der Vergangenheit liegende Thematisierung des soeben Diskutierten (III.3.TA.92). Sie beginnt mit einer – die bisherigen Äußerungen der Schüler_innen zusammenfassenden – Elaboration, innerhalb derer sie zunächst das Präsens verwendet (III.3.TA.93–95). Für die Formulierung der Ausnahme von der Ständeregel wechselt sie aber zur Vergangenheitsform und suggeriert damit nicht mehr die Wiedergabe genereller Zustände, sondern die Beschreibung bestimmter Vorgänge zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit (III.3.TA.96–99). Als Beispiel für die geschilderte Ausnahme (»wenn es wirklich ganz äh (.) schlaue Leute gab«, »und der äh gute Arbeit geleistet hat«) rekurriert sie auf den von Liam benannten »Josef« (»so wie Josef eben auch«), wobei die eingeschobene Partikel »eben« anzeigt, dass sie davon ausgeht, dass dieses Wissen um Josef den Anwesenden bereits bekannt sei. Abschließend validiert sie die von Liam vertretene Position (»da hast du wohl recht«), markiert aber gleichzeitig mit der Betonung des Adverbs »eigentlich«, dass es sich bei einem solchen gesellschaftlichen Aufstieg um eine Ausnahme von der Regel handele (III.3.TA.99). Auch die Gespräche im Anschluss an die übrigen Gruppenpräsentationen zu den Themen »Das Leben im Alten Ägypten«, »Das Leben nach dem Tod« und »Die ägyptische Religion« sind nach dem Prinzip der Melde- oder Redekette1184 1184 Vgl. Mattes 2011, S. 106f.; vgl. Janssen 2008, S. 23.

361

Unterrichtseinheit III

organisiert. Thematische Rückfragen werden direkt an die jeweilige Gruppe gerichtet und auch fast ausschließlich von den jeweiligen Schüler_innen beantwortet. Es handelt sich dabei überwiegend um über das Präsentierte hinausgehende und Details einfordernde Fragen (z. B. »Sind in dem Nil auch Fische drin?«1185, »Wisst ihr wie lang der Nil ist?«1186, »Wie ist der Nil denn entstanden?«1187, »Wurden nur Pharaonen in den Pyramiden begraben oder auch andere reiche Leute?«1188, »Hatten die in der Religion nur Götter oder auch noch was anderes?«1189). Die Lehrkraft beteiligt sich kaum mit eigenen inhaltlich Beiträgen oder Kommentaren, sondern greift überwiegend auf der Ebene der Gesprächsorganisation in die Interaktion der Schüler_innen ein. Vereinzelt stellt die Lehrkraft Rückfragen zu von den Schüler_innen präsentierten Aspekten und weist auf deren Relevanz hin (»Ganz wichtig noch einmal ähm (1.4) Phillip hatte das glaube ich gesagt, Ägypten ist eigentlich ein heißes trockenes Land aber im Bereich vom Nil rechts und links vom Nil, wie war es da?«1190, »wie haben sie das jetzt geschafft, dass Seele und Körper halt äh zusammenblieben (- -) was für sie ja wichtig war (- - -) mit der Mumifizierung, zeig mal eben was ist damit gemeint«1191, »ein Zusammenhang zwischen den Sklaven und den Pyramiden besteht aber noch«1192, »was ist das wichtigste in der ägyptischen Religion?«1193). Nachdem alle Gruppen ihre Plakate präsentiert haben, beschließt die Lehrkraft diese Phase und kündigt die nächsten Unterrichtsschritte an. III.3.TA. 377 378

Lehrkraft III:

JA (.) dann bedanke ich mich recht herzlich bei euch für eure ARbeit– um uns so ein bisschen das land äGYPten näher zu bringen–

379 380

ich habe für euch gleich noch einen äh: (- - -) ja infozettel vorbereitet auf dem noch mal die wichtigsten sachen zusammengetragen sind

381 382

(-) den wollen wir dann gleich noch eben lesen– beVOR ihr aber jetzt gleich an euren platz schleicht singen wir noch mal das lied von gerade eben

Tabelle 154: III.3.TA.377–382

1185 1186 1187 1188 1189 1190 1191 1192 1193

III.3.TA.167, s. Tabelle 306 im digitalen Anhang. III.3.TA.174, s. Tabelle 306 im digitalen Anhang. III.3.TA.188, s. Tabelle 306 im digitalen Anhang. III.3.TA.290ff., s. Tabelle 308 im digitalen Anhang. III.3.TA.348, s. Tabelle 309 im digitalen Anhang. III.3.TA.19–22, s. Tabelle 305 im digitalen Anhang. III.3.TA.241–243, s. Tabelle 307 im digitalen Anhang. III.3.TA.303, s. Tabelle 308 im digitalen Anhang. III.3.TA.332, s. Tabelle 309 im digitalen Anhang.

362

Die Analyse

Die Lehrkraft erkläert hier – ähnlich ihrer Zielformulierung in der ersten Stunde (»wir wollen uns heute ähm ein bisschen über Ägypten informieren«1194, »Ja wir müssen als so ein bisschen Informationen über Ägypten haben«1195) – noch einmal den Zweck der Arbeit der Schüler_innen an den Plakaten. Die Begründung, sich »so ein bisschen« mit dem Land Ägypten auseinanderzusetzen, bleibt an dieser Stelle (noch) unbenannt. Mit der Ankündigung eines »Infozettels […], auf dem noch mal die wichtigsten Sachen zusammengetragen sind«, signalisiert die Lehrkraft, dass diese Informationen für die Schüler_innen relevant und (zumindest in der Religionsmappe) abzuspeichern seien (III.3.TA.380). Auch im Anschluss an das gemeinsame Singen wird diese Relevanz von der Lehrkraft angesprochen (»wir wollen noch mal eben diese wichtigen Sätze lesen«1196). Hinführung (I) Nachdem die Schüler_innen aus der großen Pause zurückgekehrt sind und ein weiteres Mal gemeinsam das Lied »Singet dem Herrn ein neues Lied« gesungen worden ist, eröffnet die Lehrkraft die vierte Stunde mit der Frage, ob die Schüler_innen eine Vermutung hätten, aus welchem Grund sie »jetzt so ausführlich« über das Thema »Ägypten« gesprochen hätten (III.4.TA.1–5). III.4.TA. 2 3

Lehrkraft III:

(2.0) meine FRAge jetzt an euch– (-) WArum haben wir jetzt so ausFÜHRlich das THEma:–

4 5

((schreibt »Ägypten« an die Tafel)) beSPROCHen

6 7

hat jemand eine idee (9.0) so wenn KEIner jetzt eine großartige idee hat–

8 9

(-) elisa– damit wir mehr von/ über ägypten erfahren?

10 11

Elisa: Lehrkraft III:

12 13 Tabelle 155: III.4.TA.2–13

ja dazu macht man das meistens ja (2.0) Aber was es jetzt auch mit unserem reliGIONSunterricht zu tun hat (2.4) wenn jetzt noch keiner eine zündende idee hat würd ich sagen lesen wir mal den text– (.) den ihr als hieroglyphen bekommen habt–

1194 III.1/2.TA.103f., s. Tabelle 302 im digitalen Anhang. 1195 III.1/2.TA.154, s. Tabelle 151, S. 355. 1196 III.3.TA.385, s. Tabelle 310 im digitalen Anhang.

363

Unterrichtseinheit III

Zunächst meldet sich keine der Schülerinnen und keiner der Schüler. Erst als die Lehrkraft erneut einsetzt, diese Beobachtung verbalisiert und sowohl durch die »Wenn-Dann«-Struktur als auch die steigende Intonation zum Ende des Satzes impliziert, dass als Konsequenz der ausbleibenden Meldungen nun ein alternatives Vorgehen folg (III.4.TA.7), zeigt Elisa eine Wortmeldung an. Die Lehrkraft führt ihre begonnene Äußerung nicht zu Ende, sondern ruft Elisa auf (III.4.TA.8), die direkt an die zuvor gestellte Frage anschließt und erklärt, dass der Grund (»damit«) der Wissenszuwachs über das Thema Ägypten sei (III.4.TA.9). Die fragende Intonation zeigt dabei zum einen eine gewisse Unsicherheit an, zum anderen fordert sie eine Rückmeldung der Lehrkraft ein. Die Reaktion der Lehrkraft wirkt zunächst wie eine Validierung Elisas Vermutung (»ja dazu macht man das meistens ja«). Der Ironie suggerierende Tonfall sowie die Betonung des – einen Einwand markierenden – Adverbs »aber« signalisieren jedoch, dass die Lehrkraft eine andere Antwort erwartet (III.4.TA.10). Diese Erwartung konkretisiert sie, indem sie die anfänglich indirekt erfragte Verbindung des Themas Ägypten (»es«) zum Religionsunterricht (»unserem Religionsunterricht«) nun direkt erfragt (III.4.TA.11). Wieder meldet sich keine der Schülerinnen und keiner der Schüler zu Wort. Die Lehrkraft greift daraufhin die bereits zuvor begonnene Formulierung einer Alternative zur direkten Beantwortung der Frage wieder auf und schlägt das gemeinsame Lesen des Lösungstextes des Arbeitsblattes zum Thema Hieroglyphen vor, welches die Schüler_innen zum Ende der zweiten Stunde der Einheit bearbeitet haben. Nachdem Melanie den Text vorgelesen hat, stellt die Lehrkraft ihre Frage nach dem Zusammenhang zwischen »Ägypten« und ihrem Religionsunterricht erneut (III.4.TA.27f.). III.4.TA. 27

Lehrkraft III:

(- -) ägypten (2.1) sebastian

28 29 30 31 32 33

(4.9) welchen zuSAMMENhang haben wir jetzt zwischen unserem reliGIONSunterricht UND–

Sebastian:

Lehrkraft III:

34 Tabelle 156: III.4.TA.27–34

weil josef nach ägypten gereist ist und ähm: (-) (u/) (-) (und) du erzählst uns jetzt was über die KINder von josef was (- - -) wie DIE in ägypten leben? (3.2) möchte noch jemand was dazu sagen? aber das war schon ganz ok

Sebastian ist der einzige, der sich zu Wort meldet und erklärt, dass der Zusammenhang in der Reise Josefs nach Ägypten liege. Er stellt zudem eine Vermutung über das weitere Vorgehen der Lehrkraft an (III.4.TA.30–32). In dieser

364

Die Analyse

greift er die im zuvor gelesenen Text erwähnten Kinder Josefs auf und prognostiziert, dass die Lehrkraft vom Leben dieser Kinder in Ägypten erzählen würde. In seinem Beitrag dokumentiert sich, dass er die ersten zwei impliziten Zusammenhänge im Text (Josef ist einer der Israeliten; er und seine Brüder bekommen in Ägypten ihre Kinder (s. o. S. 356)) erschlossen hat. Es bleibt offen, wie er die Information über Mose und seine Abstammung aufgefasst hat, da er sich hierauf nicht bezieht. Wie in der vorangegangenen Szene bei Elisa suggeriert seine fragende Intonation dabei eine Unsicherheit und das Bedürfnis nach einer bestätigenden Rückmeldung von der Lehrkraft. Diese reagiert jedoch nicht mit einer eindeutigen Zustimmung, sondern mit einer ambivalenten Gestik, da sie zeitgleich zu ihrem Nicken mit den Schultern zuckt. Auch das anschließende Fragen der Lehrkraft nach weiteren Meinungen impliziert, dass die Suche nach der Antwort für sie noch nicht zufriedenstellend abgeschlossen ist. Erst die nachgeschobene Erklärung, dass der Beitrag Sebastians »schon ganz ok« war, deutet ihre Validierung seiner Äußerung an. Hinführung (II) III.4.TA. 35 36

Lehrkraft III:

37 38 Tabelle 157: III.4.TA.35–38

(2.9) die geschichte von JOsef haben wir schon gehört (2.2) warum war er denn noch mal nach ägypten gekommen (haben wir einen) der das noch mal GANZ kurz und schnell eben erzählen kann wer weiß das noch

Die Schüler_innen zeigen auf das Fragen der Lehrkraft hin keine weiteren Wortmeldungen an, so dass sie nach einem kurzen Innehalten fortfährt und erklärt, dass die Anwesenden (»wir«) »die Geschichte von Josef« schon gehört hätten (III.4.TA.35). Damit greift sie die im Text genannte – eine Erzählung im Sinne narrativer Prosa bezeichnende – Formulierung auf und referenziert zugleich auf eine von den Anwesenden geteilte Hör-Situation in der Vergangenheit, wobei deren Umstände nicht weiter beschrieben werden. Im Anschluss fragt sie nach dem Grund dafür, dass – wie im Text und von Sebastian geschildert – Josefs nach Ägypten komme (III.4.TA.36). Die zweimalig eingefügte Adverbkomposition »noch mal« sowie die Frage, wer von den Schüler_innen das »noch« wisse, markieren, dass die Antwort bereits bekannt ist bzw. schon zu einem früheren Zeitpunkt thematisiert wurde. Die nun folgende Nacherzählung seitens der Schüler_innen wird von der Lehrkraft fragend-entwickelnd vorangetrieben

365

Unterrichtseinheit III

(z. B.: »Weiß noch jemand wie der Vater von Josef hieß?«1197, »warum hatten seine Brüder ihn verkauft?«1198, »Was passierte dann, nachdem er verkauft wurde?«1199, »er wurde als Sklave weiterverkauft und kam an welches Haus?«1200, »was geschah dann mit Josef ?«1201, »und wie hat er dann seine Familie wieder getroffen?«1202). Da es sich um ein Nacherzählen von bereits Bekanntem handelt, bleibt offen, ob die fast ausschließliche Verwendung der Vergangenheitsformen Präteritum und Perfekt auf das zurückliegende erste Hören der erzählten Ereignisse verweist oder auf die Annahme der Sprechenden, dass diese Ereignisse selbst zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit stattgefunden hätten. Erzählung (I) Nachdem die Lehrkraft Elisas Aussage bestätigt hat, dass Josefs Familie nach Ägypten gekommen sei, um Getreide zu bekommen,1203 beendet sie die Phase der Nacherzählung durch die Schüler_innen und erklärt, dass Josef diese dann wiedergetroffen und sich mit ihr versöhnt habe.1204 Nur durch eine kurze Pause und den Blick auf ihre Notizen unterbrochen spricht sie weiter über Josef und seine Familie, wobei dies – im Unterschied zu dem vorangegangenen freien Sprechen in der Interaktion mit den Schüler_innen – durch die veränderte Intonation, Lautstärke und die gelegentlichen Blicke auf die ihr vorliegenden Notizen einem Vortrag oder formalem Erzählen ähnelt. III.4.TA. 124 125

Lehrkraft III:

(1.2) ((spricht etwas lauter und betonter, schaut ab und zu auf die vor ihr liegenden Notizen)) JOsef und seiner großen familie ging es LANGe zeit SEH:R SEH:R gut in ägypten–

127

(-) aber dann STARB (-) natürlich zuerst der alte vater jakob– (-) josef und seine familie starb auch irgendwann

128 129

aber es war ein großes VOLK geworden (.) und auch der alte pharao (.) lebte nicht mehr

130

(-) und SPÄter konnte sich kaum noch jemand erinnern (1.9) waRUM das volk israel nach äGYPTen gekommen ist

126

131

1197 1198 1199 1200 1201 1202 1203 1204

III.4.TA.48, s. Tabelle 311 im digitalen Anhang. III.4.TA.53, s. Tabelle 311 im digitalen Anhang. III.4.TA.61, s. Tabelle 311 im digitalen Anhang. III.4.TA.69, s. Tabelle 311 im digitalen Anhang. III.4.TA.85, s. Tabelle 311 im digitalen Anhang. III.4.TA.115, s. Tabelle 312 im digitalen Anhang. III.4.TA.117,120, s. Tabelle 312 im digitalen Anhang. III.4.TA.121–123, s. Tabelle 312 im digitalen Anhang.

366

Die Analyse

(Fortsetzung) 132

und was josef damals FÜR das land ägypten getan hat

133 134

(1.2) und (2.7) die nachkommen von josef–

135 136 Tabelle 158: III.4.TA.124–126

(.) also SEIne familie– (.) war mittlerweile ein großes volk geworden

Die Lehrkraft spricht dabei überwiegend im – für schriftliche Erzählungen typischerweise verwendeten1205 – Präteritum, wodurch das jeweilig beschriebene Geschehen in der nicht explizit als fiktiv oder real bestimmten Vergangenheit verortet wird. Während des Erzählens der Lehrkraft malen einige Schüler_innen das zum Ende der dritten Stunde erhaltene Arbeitsblatt mit der stilisierten Landkarte von Ägypten aus. Erzählung (II) (Rollenspiel) Im Anschluss an den kurzen Erzählabschnitt verkündet die Lehrkraft, dass sie für die Schüler_innen ein Rollenspiel vorbereitet habe, welches ihnen »so ein bisschen« zeigen werde, »wie es mit dem Volk Israel in Ägypten weitergeht«.1206 Das Verb »weitergehen« impliziert hierbei die Fortsetzung einer begonnenen Erzählung. Dann teilt die Lehrkraft den Schüler_innen die einzelnen Rollen zu und lässt sie diese in zwei Gruppen (Israeliten, Pharao und seine Berater) einüben. Nach etwa zehn Minuten beendet sie die Übungsphase, lässt die zwei Gruppen sich einander gegenüber aufstellen und leitet das Rollenspiel an. III.4.TA. 150 151 152 153 154 155 156

Lehrkraft III:

so und jeder versucht sich jetzt mal so ein bisschen noch in seine ROLLE hiNEINzuversetzen ihr seid also nicht (1.9) äh (.) 2014 schüler der klasse 3x in ortsbezeichung SONdern ihr seid vor VIELen VIELen tausend jahren das volk ISrael (- -) dem es WIRKlich NICHT gut geht in ägypten (.) und (.) ihr seid ((zur anderen Gruppe)) pharao und (-) minister (-) denen es WIRKlich sehr gut geht

1205 Vgl. Dudenredaktion 2016, S. 517f. 1206 III.4.TA.137–139, s. Tabelle 312 im digitalen Anhang.

367

Unterrichtseinheit III

(Fortsetzung) 157 158 Tabelle 159: III.4.TA.150–158

(2.3) ((zu Jonas)) lässt du die tafel in ruhe? und dann starten (wir)

Mit der Forderung, dass sich jede Schülerin und jeder Schüler in seine Rolle hineinversetzen möge, signalisiert die Lehrkraft, dass es nicht darum gehe, die einzelnen Textabschnitte nur vorzulesen, sondern die geschilderten Gedanken und Gefühle nachzuempfinden und so vorzutragen, als wenn es die eigenen wären, ähnlich einem Schauspieler in einem Film oder Theaterstück (III.4.TA.150). Indem sie erklärt, dass die Anwesenden für den Zeitraum des Rollenspiels nicht Schüler_innen der Jetztzeit seien, sondern »vor vielen vielen tausend Jahren« zu den Israeliten bzw. den Ägyptern gehören würden, nimmt sie eine zeitliche Einordnung des bereits erzählten und nun folgenden Abschnitts der Exodus-Erzählung in einer weit zurückliegenden Vergangenheit vor (III.4.TA.152f.). Die zweimalige intonatorisch akzentuierte Bekräftigung der jeweiligen Lage der Personengruppen mittels des Adverbs »wirklich« (im Sinne von »in der Tat«) lässt sowohl die Deutung zu, dass hier das Zutreffen der Schilderung der Situation der Personen in den von den Schüler_innen bearbeiteten Texten betont wird als auch die Deutung, dass damit die historische Wirklichkeit des – soeben in der Vergangenheit verorteten – Ereignisses (die Situation der Israeliten und des Pharaos) an sich hervorgehoben wird (III.4.TA.154–156). Nachdem das Rollenspiel beendet ist und die Schüler_innen an ihre Plätze zurückgekehrt sind, eröffnet die Lehrkraft ein Gespräch mit der Frage, was »nun das Problem von dem Pharao« gewesen sei.1207 Während die Lehrkraft für ihre Einstiegsfrage und auch für einige weiterführende Fragen das Präteritum verwendet (»Was war sein erster Plan? (3.4) Wie wollte der Pharao (2.0) das Volk Israel so ein bisschen (- -) runtermachen?«)1208, antworten und äußern sich die Schüler_innen zu den gehörten Geschehnissen ausschließlich im Präsens. Erzählung (III) Im Anschluss an ihre Validierung (»richtig«) der Antwort Sebastians auf die Frage nach dem Plan des Pharaos zum Umgang mit dem Volk Israel wechselt die Lehrkraft von dem Gespräch auf der Handlungsebene der im Rollenspiel präsentierten Texte auf die Metaebene und erklärt den Schüler_innen, dass es sich bei dem soeben Gehörten (»hier«) um den Beginn einer »ganz spannende[n] und 1207 III.4.TA.223, s. Tabelle 313 im digitalen Anhang. 1208 III.4.TA.244–246, s. Tabelle 313 im digitalen Anhang.

368

Die Analyse

lange[n] Geschichte« handele (III.4.TA.254f.). Für die Beschreibung des Inhalts dieser Geschichte verwendet sie nun das Präsens (»wie es dem Volk Israel in Ägypten weitergeht« (III.4.TA.256)). Als Quelle der vorzulesenden Geschichte zeigt und benennt die Lehrkraft die Kinderbibel, wobei die Nutzung des bestimmten Artikels und das Ausbleiben weiterer Erklärungen zu diesem Buch suggerieren, dass die Lehrkraft davon ausgeht, dass den Schüler_innen selbiges bekannt sei (III.4.TA.257). III.4.TA. 253 254

Lehrkraft III:

(1.2) richtig (- - -) hier beginnt nun also eine GANZ

255 256

(.) SPANNende und lange geschichte– (-) wie es dem volk israel (.) in ägypten weitergeht

257

und die äh würd ich euch gern hier aus der kinderbibel vorlesen– ((hält Neukirchener KinderBibel hoch)) (-) u:nd damit fang ich heute auch an das wird auch die NÄCHsten stunden–

258 259 260

(.) noch äh: weitergehen– äh ich fang heute an mit der geschichte–

261

ihr dürft gerne noch (.) äh die karte weiter anmalen nebenbei oder einfach nur zuhören

262 Tabelle 160: III.4.TA.253–262

Die wiederholte Bezeichnung als »Geschichte«, das angekündigte – den Schüler_innen scheinbar vertraute – Erzählsetting (Lehrkraft liest vor, die SuS dürfen parallel malen (s. o. »Erzählung I«)) sowie die gezeigte bunt bebilderte Kinderbibel, aus welcher vorgelesen werden soll, signalisieren durch die Ähnlichkeit zu Situationen, in denen andere Geschichten bzw. Kinderbücher vorgelesen werden, dass es sich bei dem zu Hörenden um eine fiktionale Erzählung im Sinne narrativer Prosa handele. Indem die Lehrkraft erklärt, dass sie »heute« mit dem Vorlesen der »Geschichte« anfange, dies aber »auch die nächsten Stunden« noch weitergehe, wird auch das in den folgenden Stunden von ihr Vorgelesene implizit dieser Kategorie bzw. diesem Konzept zugeordnet (III.4.TA.258f.). Die Lehrkraft beginnt mit dem Vorlesen der Erzählung von der Unterdrückung der Israeliten in Ägypten, dem Auftrag des Pharaos, die israelitischen männlichen Neugeborenen zu töten, sowie von der Geburt und Rettung Moses aus der Kinderbibel, während der überwiegende Teil der Schüler_innen das Ausmalen ihrer Ägypten-Landkarten fortsetzt. Sie unterbricht ihr Lesen vereinzelt, um auf bereits im Rollenspiel thematisierte Aspekte hinzuweisen (»das war das Problem was auch gerade bei dem Rollenspiel gut rausgekommen

369

Unterrichtseinheit III

ist«1209), Bedeutungen genannter Begriffe zu klären (»und was waren noch mal Sklaven?«1210, »und flocht daraus ein Kästchen [unterbricht das Vorlesen] also einen kleinen Korb«1211) oder das Gelesene kurz zu kommentieren (»ein grausamer Plan«1212, »da gehorchten die Soldaten [unterbricht das Vorlesen] es blieb ihnen ja auch nichts anderes übrig«1213). Im Anschluss an die Schilderung des Tötungsauftrages hält die Lehrkraft für einen Moment inne und blickt von der Kinderbibel in die Klasse auf (III.4.TA.326). Jonas ergreift das Wort und bewertet das Gehörte als »unfair« (III.4.TA.327). Die Lehrkraft geht nicht weiter auf den Inhalt seiner Äußerung ein, öffnet aber das Gespräch für weitere mögliche Beiträge der Schüler_innen (III.4.TA.328–330). III.4.TA. 326

Lehrkraft III:

(1.4) »DA half kein betteln und weinen (.) die soldaten taten was der könig befohlen hatte«

327 328

Jonas: Lehrkraft III:

(2.9) UNfair (- -) das sagst DU jetzt jonas

329 330

(.) es wäre schön wenn du dich auch MELdest (1.8) möchte NOCHjemand was dazu sagen

331 332

(7.1) worauf HOFFen aber die israeliten DENNoch (- - -) das kam gerade auch in dem rollenspiel ein bisschen zum tragen

333 334 335 336

Sebastian: Lehrkraft III:

337 338 Tabelle 161: III.4.TA.326–338

(1.9) sebastian (.) dass gott ihnen hilft (- -) ganz genau (1.7) und ihr habt schon viele geschichten gehört (- -) wo gott HILft wo vielleicht AUCH wunder geschehen (-) ich lese mal weiter

Nach längerem Abwarten wendet sie sich ihrerseits mit der Frage nach der Hoffnung der Israeliten an die Schüler_innen und verweist für die Beantwortung auf das vorangegangene Rollenspiel (III.4.TA.331f.). Sebastian meldet sich und erklärt, dass sie auf Gottes Hilfe hofften (III.4.TA.334), was die Lehrkraft deutlich validiert (»ganz genau« (III.4.TA.335)). Mit der additiven Konjunktion »und« an diese Validierung anknüpfend, weist sie darauf hin, dass die Schüler_innen schon »viele Geschichten« gehört hätten, in welchen (»wo«) Gott helfe und in 1209 1210 1211 1212 1213

III.4.TA.288, s. Tabelle 314 im digitalen Anhang. III.4.TA.292, s. Tabelle 314 im digitalen Anhang. III.4.TA.359f., s. Tabelle 316 im digitalen Anhang. III.4.TA.320, s. Tabelle 315 im digitalen Anhang. III.4.TA.321f., s. Tabelle 315 im digitalen Anhang.

370

Die Analyse

denen »vielleicht auch Wunder geschehen« würden, und signalisiert damit, dass die von Sebastian beschriebene Hoffnung berechtigt sei (III.4.TA.336f.). In ihrer Äußerung dokumentiert sich zudem eine von ihr angenommene Vertrautheit der Schüler_innen mit dieser Art von Geschichten. Abschluss Anschließend an ihr Vorlesen äußert die Lehrkraft, dass die von den Schüler_innen gehaltene Stille während des Lesens für sie ein Zeichen für deren Gefallen an der Geschichte sei und eröffnet den Schüler_innen die Möglichkeit, das Gehörten zu kommentieren (III.4.TA.428f.). III.4.TA. 428

Lehrkraft III:

429 430

Jelka:

431

Lehrkraft III:

432 433

(-) aber vielleicht möchte jemand von euch noch was zu dem vorgelesenen (- -) kurz sagen (.) jelka ich hab die geschichte schonmal gelesen in meiner bibel (-) ja ich weiß dass viele kinder äh oder einige kinder auch die kinderbibel zu hause haben und darin schonmal gelesen haben ähm es WÄre schön wenn ihr nicht so viel von der geschichte verraten würdet (- -) Aber ich hab sonst nichts dagegen wenn ihr das auch noch mal in der bibel nachlesen möchtet

434 435 436

Kira:

kira (- -) die ARmen ARmen kinder

437 438

Lehrkraft III: uk:

(-) JA GRAUsam (.) ja

439 440

Lehrkraft III: Liam:

aber (-) sowas gab es wirklich zu früheren zeiten ich kenns auch von finn ((meldet sich))

441 442

Lehrkraft III: Liam:

liam ich kenn das auch weil (.) finn hat mir das alles verraten schon

443 444

Lehrkraft III: Liam:

die hatten das schon ja

445 446

Lehrkraft III: Liam:

ja (- -) ich hoffe er hat nicht zuviel verraten nö er hat nur äh wie er da was das bedeutet und wie der (heißt)

447

Lehrkraft III:

448

Sebastian:

((nickt)) hm`_hm’ (.) sebastian wolltest du noch was sagen zur geschichte? ((schüttelt den Kopf))

Unterrichtseinheit III

371

(Fortsetzung) 449

Lehrkraft III:

ok (-) JA dann äh bedanke ich mich für euer zuhören (-) und in der nächsten woche gehts weiter–

Tabelle 162: III.4.TA.428–449

Jelka erklärt, dass sie »die Geschichte« bereits (»schonmal«) selbst einmal in ihrer (»meiner«) Bibel gelesen habe (III.4.TA.430). Auch sie verwendet zur Bezeichnung des Vorgelesenen den Begriff »Geschichte«. Jelka zeigt mit ihrer Äußerung zum einen, dass sie eine Bibel besitze und zum anderen, dass sie in gewissem Maße mit dieser vertraut sei, da sie schon darin gelesen habe. Die Lehrkraft bestätigt Jelkas Verortung der Geschichte in ihrer Bibel implizit, denn sie erklärt, dass ihr bekannt sei, dass »einige Kinder« die Kinderbibel zu Hause hätten (III.4.TA.431). Nach ihrer Bitte an diese Kinder, »nicht so viel von der Geschichte« zu verraten, betont sie (»aber«), dass die Schüler_innen das Gehörte »noch mal in der Bibel« nachlesen dürften, wenn sie wollten (III.4.TA.433f.). In ihrem Beitrag verwendet die Lehrkraft die Begriffe »Kinderbibel« und »Bibel« synonym und stellt ihnen in beiden Fällen einen bestimmten Artikel vor, der die Spezifik dieser suggeriert. In dem folgenden Beitrag drückt Kira ihr Bedauern den Kindern gegenüber aus. Sie bekundet ihr Beileid, ohne eine Konkretisierung des Bezugs oder weitere Erläuterungen (III.4.TA.436). Die Lehrkraft validiert diese Einschätzung, indem sie das nicht direkt benannte Geschehen als »grausam« bestätigt (III.4.TA.437). Ein weiterer Schüler stimmt dieser Bewertung zu (»ja«) (III.4.TA.438). Mit der – ihre anschließende Äußerung einleitenden – kontrastiven Konjunktion »aber« signalisiert die Lehrkraft, dass hierbei trotz der Grausamkeit etwas bedacht werden müsse, und erklärt, dass es »sowas […] wirklich zu früheren Zeiten« gegeben habe (III.4.TA.439). Auch sie benennt nicht explizit, worum es sich bei »sowas« handelt, sodass der von Kira geäußerte implizite Bezug zu den »armen Kindern«, die in der Geschichte getötet werden, bestehen bleibt. Mit der Betonung der Wirklichkeit des geschilderten Geschehens zu einem nicht weiter bestimmten Zeitpunkt in der »früheren« Vergangenheit, schließt die Lehrkraft – zumindest für diesen Teil der Erzählung – die Möglichkeit der Rezeption als fiktionale Erzählung aus. Liam äußert nun unaufgefordert, dass er »es« auch kenne (»ich kenns auch«), und schließt damit an den Beitrag Jelkas an (III.4.TA.440). Parallel zu seinem Sprechen beginnt Liam, sich zu melden, und wird daraufhin von der Lehrkraft aufgerufen. Er wiederholt, dass er »das« auch schon kenne, da ihm Finn »das alles« schon verraten habe. Die fehlenden Erläuterungen zur Person »Finn« zeigen, dass er davon ausgeht, dass die Lehrkraft wisse, wer gemeint sei (III.4.TA.442). Diese Annahme bestätigt sich in der nun folgenden Reaktion der Lehrkraft, die vermutet, dass »die« das schon gehabt hätten. Sie bezieht sich

372

Die Analyse

damit indirekt auf die Klasse von Finn, in welcher das zuvor Gelesene bereits thematisiert wurde (III.4.TA.443). Liam stimmt dem zu (III.4.TA.444). Auf die von der Lehrkraft geäußerte Hoffnung hin, dass Finn (»er«) »nicht zu viel verraten« habe (III.4.TA.445), reagiert Liam verneinend und erklärt, dass dieser ihm nur gesagt habe »was das bedeutet« und »wie der heißt« (III.4.TA.446). Da die Lehrkraft auf diesen Beitrag Liams nicht mehr inhaltlich reagiert, sondern ihn nur mit einem – durch Nicken begleitetes und daher Zustimmung bzw. Verständnis suggerierendes – »hm`_hm’« kommentiert, bleibt offen, worauf sich Liam mit seiner Äußerung zur Bedeutung bezieht (III.4.TA.447).

6.3.1.3 Konklusion Welches Konzept des biblischen Textes dokumentiert sich nun in der oben dargelegten von der Lehrkraft gestalteten Einführung in die Exodus-Erzählung? Welche Deutungsspielräume werden durch diese Art des Einstiegs eröffnet? Die Lehrkraft stellt dem Einstieg in die Erzählung, der über die Wiederholung der »Geschichte von Josef« in der vierten Stunde der Einheit gestaltet wird, eine längere Phase der Information über das Alte Ägypten voran. Die hierzu verwendeten Materialien (Fotografie einer ägyptischen Totenmaske, stilisierte Landkarte von Ägypten, Globus, verschiedene Sachbücher zum Thema »Altes Ägypten« bzw. zu verwandten Themengebieten), deren Herkunft (»Forscherkiste« aus »Forscherlabor«) sowie das von der Lehrkraft formulierte Ziel, Informationen zu sammeln, implizieren eine forschende Auseinandersetzung mit der Thematik. Indem die Lehrkraft ankündigt, dass die von den Schüler_innen zu den einzelnen Themenbereichen gestalteten Plakate im Klassenraum aufgehängt würden und zudem im Anschluss an die Präsentationen ein »Infozettel« mit den »wichtigsten Sachen« für die Religionsmappe verteilt wird, signalisiert sie, dass das bisher Besprochene festzuhalten und auch für die folgenden Religionsstunden noch relevant sei. In den – im Rahmen der Bildimpulsphase geäußerten – Beiträgen der Schüler_innen sowie in den von ihnen gestellten Rückfragen während der einzelnen Posterpräsentationen dokumentiert sich außerdem ein Vorwissen sowie ein Interesse an dem Themengebiet »Altes Ägypten«. Auch wird die Verbindung zwischen diesem Thema und der »JosefGeschichte«, welche in der vierten Stunde gemeinsam erarbeitet wird, von einer Schülerin und einem Schüler bereits während der Phase der Information über Ägypten vermutet bzw. angedeutet. Die Lehrkraft expliziert den Zusammenhang zwischen den Arbeitsergebnissen der Schüler_innen und dem gemeinsamen Religionsunterricht – die »Geschichte von Josef« und deren Fortsetzung – im Anschluss an die Informationsphase durch Fragen und Rückverweise auf die Inhalte der Posterpräsentationen im Verlauf ihres Vorlesens.

Unterrichtseinheit III

373

Während diese Verknüpfung zwischen historischen Sachinformationen und biblischer Erzählung, die Verortung des Gespielten bzw. Gehörten in der ägyptischen Vergangenheit, das Erzählen in der Vergangenheitsform sowie die Betonung (bezüglich der Tötung der israelitischen Neugeborenen), dass es »sowas […] wirklich zu frühreren Zeiten« gegeben habe, eine Rezeption als Bericht über historische Ereignisse nahelegt, implizieren die Bezeichnung des Erzählten als »Geschichte«, das Vorlesesetting (Buch mit Illustrationen, Malen als parallele Beschäftigung) sowie das Spielen der Inhalte ähnlich einem Theaterstück eine Rezeption als fiktionale Literatur. In einigen Äußerungen der Lehrkraft dokumentiert sich die Annahme bzw. ihr Wissen darüber, dass den Schüler_innen diese Art von Geschichten bekannt sei sowie dass einigen von ihnen auch die Quelle des Erzählten vertraut sei. Die Quelle wird von der Lehrkraft vor dem dritten Erzählabschnitt mit dem Verweis auf »die Kinderbibel« benannt und auch eine Schülerin erklärt, dass sie das Erzählte aus ihrer »Bibel« kenne. Die Analyse der Präsentation des biblischen Textes und der Interaktion mit und unter den Schüler_innen legt ein Konzept von der biblischen Erzählung offen, welches sich zwischen einem Bericht über (»wirklich[e]«) Begebenheiten in einer weit zurückliegenden Vergangenheit im den Schüler_innen mehr oder weniger bekannten Alten Ägypten und der Fortsetzung (»wie es […] weitergeht«, »es geht […] weiter«) einer den Schüler_innen bereits zu einem früheren Zeitpunkt erzählten »Geschichte« bewegt, die von ihnen selbst gespielt und ihnen seitens der Lehrkraft vorgelesen wird.

6.3.2 Incidentanalyse Der Incident, der für die Darlegung in dieser Arbeit aus der Gesamtheit der Analysen des Datensatzes der dritten Unterrichtseinheit ausgewählt wurde, unterscheidet sich von jenen Incidents, die als Teile der Unterrichtseinheiten I und II hier analysiert worden sind, da in den ihn konstituierenden Unterrichtsszenen die Schüler_innen ohne die Beteiligung der Lehrkraft interagieren. Dieser Incident hat sich als solcher nicht nur aufgrund der sich in ihm dokumentierenden Hinweise auf das Rezeptions- bzw. Bibelkonzept einiger Schüler_innen qualifiziert, sondern auch aufgrund der beobachtbaren interaktiven Dichte, die hinsichtlich der Anzahl der sich beteiligenden Schüler_innen sowie deren emotionalen Engagements einzigartig ist. In keiner weiteren Situation aus dieser oder den anderen beiden Unterrichtseinheiten findet ein Gespräch zur Frage der Rezeption und Deutung einzelner Elemente der biblischen Erzählung allein unter den Schüler_innen in dieser Länge und Intensität statt.

374

Die Analyse

Incident »Rotes Meer« »Muss man das Meer rot malen?« [Liam]

Die für diesen Incident konstitutiven Szenen ereignen sich in der elften Stunde der Unterrichtseinheit. Nach einer längeren Wiederholungsphase der bis zu den Osterferien behandelten Inhalte des »Mose-Themas« (bis zur Erzählung von den zehn Plagen) erklärt die Lehrkraft, dass es in den vergangenen Stunden häufig so gewesen sei, dass sie etwas aus der Kinderbibel vorgelesen habe. Nun würden die Schüler_innen aber selbst einen Text bekommen, welchen sie eigenständig so durcharbeiten sollten, dass sie im Anschluss die Fragen1214 beantworten könnten, welche sie an die Tafel heften werde.1215 Außerdem weist die Lehrkraft die Schüler_innen darauf hin, dass sie, wenn sie mit dieser Aufgabe bereits vor Ablauf der vorgegebenen zehn Minuten fertig sein sollten, mit dem Malen eines zum Text passenden Bildes beginnen könnten.1216 Die Schüler_innen holen sich daraufhin bei der Lehrkraft ein Text- bzw. Arbeitsblatt ab und kehren aus dem Sitzkreis zurück an ihre Plätze.

Abbildung 1: Zeitlicher Ablauf der Gespräche der Schüler_innen (Incident »Rotes Meer«)

An jeder der drei Tischgruppen (A,B,C)1217 ist im Verlauf der zur Bearbeitung gewährten Zeit die Thematisierung der Farbgebung des im Text benannten Roten Meeres durch die Schüler_innen zu beobachten. Die zum Teil parallel

1214 »1. Welche Personen kommen in der Geschichte vor? 2. Was denkt der Pharao? Welchen Befehl gibt er? 3. Woher wissen die Israeliten, wohin sie gehen sollen? 4. In welche bedrohliche Situation kommen die Israeliten? 5. Wie wird das Volk Israel gerettet? Was passiert mit den Verfolgern? 6. Nenne den wichtigsten Satz in dieser Geschichte!« 1215 III.11/12(a).TA.173–184, s. Tabelle 334 im digitalen Anhang. 1216 III.11/12(a).TA.185f., s. Tabelle 334 im digitalen Anhang. 1217 Siehe hierzu Abbildung 7 im digitalen Anhang.

Unterrichtseinheit III

375

ablaufenden Gespräche (siehe Abbildung 1) werden im Folgenden zunächst einzeln und nacheinander dargelegt. Szene 1 (Tischgruppe A) Nach etwa zwei Minuten beginnen die Schüler_innen an der Tischgruppe A nach und nach mit dem Malen eines Bildes unter den zuvor gelesenen Text. III.11/ 12(a).TA. 190 191

Tarek:

192

Lena:

Lena:

((blickt auf Tareks Bild (»blaues Meer«), beugt sich vor und deutet auf den roten Buntstift in ihrer Hand und flüstert)) ROtes me_e:r ((nimmt ein Radiergummi und radiert das von ihm blau gemalte Meer weg))

193

Sebastian:

((beugt sich zu Mia herüber und flüstert)) ROtes meer (- -) ((zu Lena)) das IST nicht ROT das heißt nur so

194 195

Tarek: Lena:

((radiert immernoch)) ((zu Tarek, flüsternd)) das blaue meer ist RICHtig

((stöhnt und verdreht dabei die Augen, nimmt dann wieder einen blauen Stift zur Hand und malt weiter)) Tabelle 163: III.11/12(a).TA.190–196 196

Tarek:

Nachdem Lena einen roten Buntstift aus ihrem Etui genommen hat, blickt sie auf das Bild des ihr gegenübersitzenden Tarek, der bereits eine blaue Fläche an den unteren Rand seines Bildausschnittes gemalt hat. Sie signalisiert ihm durch das Deuten auf den roten Stift in ihrer Hand und die Betonung der ersten Silbe des Wortes »rotes«, dass das im Text benannte Meer rot ist bzw. rot zu malen sei (III.11/12(a).TA.190). Tarek reagiert nonverbal auf Lenas Äußerung. Indem er damit beginnt, das bereits blau Gemalte auszuradieren, zeigt er an, dass er Lenas Hinweis verstanden hat und ihn zudem annimmt (III.11/12(a).TA.191). Lena scheint ihr Kommunikationsziel erreicht zu haben, denn sie wendet sich daraufhin von Tarek ab. Nun beugt sie sich zu der links von ihr sitzenden Mia und äußert erneut nur die Worte »rotes Meer«, wobei sie auch hier das Adjektiv intonatorisch hervorhebt und damit die Bedeutung der Farbe »rot« betont (III.11/12(a).TA.192). Statt Mia reagiert der gegenübersitzende Sebastian auf Lenas implizite Belehrung und erklärt mit Nachdruck, dass dies (»das«) nicht rot sei, sondern »nur so« heiße (III.11/12(a).TA.193). Damit formuliert er eine Opposition zu der wortwörtlichen Auffassung Lenas, wobei die Intonation der Äußerung Überzeugtheit bzw. sicheres Wissen suggeriert. Das eingeschobene Adverb »nur« impliziert eine wertende Unterscheidung hinsichtlich der Relevanz zwischen »sein« und »heißen«. Lena reagiert nicht verbal auf Sebastians Korrektur, jedoch signalisiert sie mit dem Zurückweichen auf ihren Platz, ohne eine Erwiderung und mit dem Einsortieren des roten Buntstifts in ihr Etui ein

376

Die Analyse

Überdenken ihrer Position. Dies zeigt sich dann auch in der erneuten Wendung an Tarek, der immer noch dabei ist, die blau gemalte Fläche auf seinem Blatt auszuradieren. Sie betont ihm gegenüber die Richtigkeit des blauen Meeres und markiert damit ihre Akzeptanz des Einspruchs Sebastians und ihre Anerkennung des von Tarek blau gemalten Meeres (III.11/12(a).TA.195). Dass Tarek – zwar paraverbal Unmut signalisierend aber dennoch ohne weitere Fragen – nun wieder beginnt, mit einem blauen Stift zu malen, zeigt zum einen, dass er Lena als Informationsquelle vertraut, und zum anderen, dass er sich in seiner Wahl der Farbgestaltung des Meeres nicht sicher genug war, um Lena zu widersprechen oder weitere Erklärungen einzufordern (III.11/12(a).TA.196). Szene 2 (Tischgruppe C) Nur wenige Sekunden nach Ende der obigen Szene beginnt Melina an der dritten Tischgruppe über das Bild zu sprechen, welches sie soeben zu malen begonnen hat. III.11/ 12(b).TA. 6

Melina:

7

((deutet auf den Bildausschnitt auf ihrem AB, in welchen sie einen roten Streifen gemalt hat)) da ist der rote NIL da ertrinken DIE ((deutet auf einige Figuren ihrer Zeichnung)) (drin) nicht NIL (.) MEER einfach nur MEER

9

Ahmet:

10 12

Melina: Melina:

dann eben meer (- - -) ((deutet auf ihr Bild)) das rote meer ((schaut zu Ahmet))

15

Ahmet:

16

Melina:

(- -) ((zu Melanie)) ich mach hier ne hälfte ((zeigt auf sein Bild, lehnt sich zurück und nickt)) ((mit Blick auf Ahmets Bild, auf welchem eine Bleistiftlinie zu sehen ist)) das ist ROT

18

Ahmet:

19

Mike:

20 21

Melina: Mike:

22 23

Melina: Mike:

(- -) weil das ROte wasser weil das ROT ist das wasser (- - -) so heißt nur das MEER (.) ROtes meer ((tippt sich mit dem Finger an die Stirn)) (1.2) deswegen ist es ja ROT ((schüttelt den Kopf)) das heißt nur so

24 25

Melanie: Melina:

((schüttelt leicht den Kopf)) (- -) das ist rot

26

Marlene:

((schaut zu Melina, Ahmet und Melanie herüber)) (1.9) das ist ganz fein rot

(- - -) ((zu Melina)) ich mach da ne hälfte (.) ((deutet auf sein Bild)) hier mal ich was hin und da ((in Melinas Richtung)) wieso ro_ot?

377

Unterrichtseinheit III

(Fortsetzung) 27

Kira:

(2.5) ((mit Blick in Melinas Richtung)) das meer HEIßt einfach nur ROtes meer

28 29

Hannes:

(- - -) ((zu Melina)) hast du ein blau für mich? ((mit Blick auf Melinas Bild)) das HEIßt nur rotes meer IST aber blau

30

Kira:

31

Melina:

32 33

Melanie: Kira:

[((steht auf und geht zu Melanie)) melanie? das rote mehr heißt nur rote meer] [(- - -) äh:: ich mache das ROte meer] na und? [((geht zurück auf ihren Platz))]

34

Melina:

35

Hannes:

36 37

Melina: Kommentar :

[((zeigt auf ihre Federmappe)) blau dunkelblau oder hell] ok ich glaub ich nehm meine (stifte) ((bückt sich zu seiner Schultasche)) (- - -) ich find meine schöner ((alle SuS an der Tischgruppe wenden sich wieder dem Malen ihrer Bilder zu))

Tabelle 164: III.11/12(b).TA.6–37

Melina deutet auf ihr Bild, blickt hinüber zu Ahmet und erklärt, dass dies »der rote Nil« sei, in welchem die daneben abgebildeten Figuren (»die«) ertrinken würden (III.11/12(b).TA.6f.). Mit der Nutzung des bestimmten Artikels beim Verweis auf den Nil zeigt sie implizit an, dass sie von etwas spricht, was ihrem Gesprächspartner bekannt sein sollte. Ahmet reagiert auf diese Proposition mit einer Korrektur bzw. Antithese, welche sich auf die Bezeichnung Melinas für das abgebildete Gewässer bezieht. Er weist nachdrücklich daraufhin, dass es sich (»einfach nur«) um ein Meer handele (III.11/12(b).TA.9). Melina hält nicht an ihrer Aussage fest, sondern stimmt Ahmet mit Bezug auf seine Äußerung (»dann eben«) zu, indem sie die von ihm betonte Gewässerart noch einmal wiederholt (III.11/12(b).TA.10). Mit einem erneuten Deuten auf ihr Bild fügt sie die Korrektur Ahmets mit ihrer ersten Aussage zusammen und bestimmt die rot gemalte Fläche als »das rote Meer«. Sie fordert durch das anschließende Anblicken Ahmets indirekt eine Reaktion von ihm ein (III.11/12(b).TA.12). Ahmet hat sich jedoch schon der links neben ihm sitzenden Melanie zugewandt und beginnt mit einer Darlegung seiner Absichten der Bildgestaltung (III.11/12(b).TA.15). Ihren Blick auf die von Ahmet gezeichnete Bleistiftlinie gerichtet erklärt Melina mit Kritik suggerierender Mimik, dass dies (»das«) rot sei, wobei sie die Farbe intonatorisch hervorhebt (III.11/12(b).TA.16). Der durch ihren auf Ahmets Bild gehefteten Blick angedeutete Bezugspunkt ihrer Farbbestimmung wird von ihr nicht weiter expliziert. Ahmet geht nicht auf die angesprochene Farbgebung ein,

378

Die Analyse

sondern setzt seine Erläuterung zu seinem Mal-Vorhaben fort, wobei er nun Melina adressiert (III.11/12(b).TA.18). Mike dagegen greift die von Melina angesprochene Thematik auf und fragt nach einer Begründung für diese Farbzuschreibung (III.11/12(b).TA.19). Melina leitet eine Erklärung ein (»weil«) und signalisiert mit der deutlichen Betonung der ersten Silbe des farbbestimmenden Adjektivs (»rotes«), dass dieses das erklärende Moment darstelle. Statt des zuvor verwendeten Begriffs »Meer« verwendet sie nun »Wasser« und verdeutlicht mit einer weiteren Erläuterung, dass dieses rot sei (III.11/12(b).TA.20). Es dokumentiert sich in dieser Argumentation eine wortwörtliche Auffassung des im Text benannten Roten Meeres. Mike verneint Melinas These nicht explizit, signalisiert jedoch mit seiner Gegenthese, dass das Meer »nur so« heiße, sowie damit, dass er den Namen »Rotes Meer« noch einmal betont anführt und sich mit seinem Zeigefinger an die Stirn tippt, dass er Melinas Orientierung nicht teilt (III.11/12(b).TA.21). In Melinas Reaktion zeigt sich, dass sie Mikes These zu ihrer nicht im Widerspruch stehend wahrnimmt, sondern als Teil ihrer Erklärung sieht (»deswegen«) (III.11/12(b).TA.22). Die hierbei eingeschobene Partikel »ja« impliziert eine Selbstverständlichkeit dieses Schlusses. Mike zeigt nonverbal (Kopfschütteln) seine Ablehnung dieser Argumentation und wiederholt seine These, dass »das […] nur so« heiße, wobei er durch das erneut verwendete Adverb »nur« einen Bedeutungsunterschied zwischen »sein« und »heißen« markiert (III.11/12(b).TA.23). Auch Melanie schüttelt nun kurz den Kopf, jedoch bleibt offen, ob sie diese nonverbale Verneinung auf Mikes oder Melinas These bezieht (III.11/12(b).TA.24). Da sie selbst damit begonnen hat, eine rote Fläche auf ihr Arbeitsblatt zu malen, liegt eine Ablehnung der These von Mike näher. Melina konstatiert daraufhin noch einmal, dass »das« rot sei (III.11/12(b).TA.25). Marlene beobachtet vom gegenüberliegenden Tischende aus den Wortwechsel zwischen Mike und Melina und stimmt Melina mit ihrem daraufhin geäußerten Beitrag zu. Allerdings differenziert sie deren These aus, indem sie die Farbe als »ganz fein rot« bestimmt (III.11/12(b).TA.26). Auch Kira äußert sich nun mit Blick in Melinas Richtung und erklärt, ähnlich wie Mike, dass das Meer »einfach nur Rotes Meer« heiße (III.11/12(b).TA.27). Melina reagiert auf diesen Beitrag nicht, da sie sich parallel ihrem Sitznachbarn Hannes zugewandt hat und ihm nonverbal signalisiert, dass er ihre Stifte mitbenutzen dürfe. Nachdem sich dieser nach einem blauen Buntstift erkundigt hat, konstatiert er – Melinas Bild betrachtend – ebenfalls, dass das Meer »nur Rotes Meer« heiße und fügt als Ausdifferenzierung dieses Konzepts an, dass es »aber blau« sei (III.11/12(b).TA.28f.). Dabei schaut Hannes Melina an und suggeriert, indem er auch über seine Äußerung hinaus den Blick auf sie gerichtet hält, dass er auf eine Reaktion ihrerseits wartet. Melina geht nicht direkt auf Hannes These ein, sondern markiert mit einer Formulierung in der Ich-Form ihr spezifisches persönliches Vorgehen bei der Farbgestaltung ohne eine argumentative Erwi-

379

Unterrichtseinheit III

derung auf das von ihm Gesagte (III.11/12(b).TA.31). Parallel zu diesem Gespräch erhebt sich Kira auf der anderen Seite der Tischgruppe von ihrem Platz und kommt zu Melanie herüber. Sie signalisiert dieser bereits im Gehen durch die Nennung des Namens, dass sie ihre Aufmerksamkeit sucht (III.11/ 12(b).TA.30). Als Melanie sich Kira zuwendet, wiederholt diese die – bereits zuvor von ihr geäußerte aber von ihren Sitznachbarn unkommentiert gebliebene – These, dass das Rote Meer »nur« Rotes Meer heiße. Melanie – die weiterhin dabei ist, eine rote Fläche zu malen – suggeriert sowohl mit ihrer verbalen Reaktion als auch mit dem anschließenden Abwenden von der schräg hinter ihr stehenden Kira Gleichgültigkeit hinsichtlich deren Äußerung (III.11/ 12(b).TA.32). III.11/ 12(b).TA. 38 39

Ahmet:

((blickt von seinem Bild auf in Richtung Kira)) ja woher wollt ihr das wissen (.) ward ihr in ägypten?

Marlene:

(- -) ja deswegen

40 41

ICH meine dass das rote meer ROT war (- -) ganz fein rot war das meine ich

42 43

Melina: Marlene:

(- -) ich mals rot in der BIbel– (.) ist das rot

44

Hannes:

ich mal es NICHT rot ich male es nur ganz ganz blass rot [(- - -) hier (-) marlene ((steht auf und wendet sich zu Marlene))]

46

Marlene:

47

Hannes:

48

Marlene:

49

Hannes:

[(1.2) in der bibel steht dass das rote meer/ ((blickt zu Hannes auf))] ich male es nicht rot ich male es nur ganz ganz BLASS rot ja (.) ich mal erst blau und dann mal ich blass rot drüber hm’_m`_m’ ich auch ((setzt sich wieder))

50 51

Marlene: Kira:

(- -) weil ein bisschen rot ist es wirklich (1.2) ((zu Marlene)) ich habe eben nur (mal gehört) dass das rote meer einfach nur so blau ist

52 53

Marlene:

(2.3) in der BIbel wirds ja wohl STIMMEN als überschrift stand »das rote meer« und da drunter war ein LEICHT rotes MEER

54

Kira:

55

Marlene:

(1.9) in ner kinderbibel? ((schaut prüfend zu Marlene)) (- - -) erWACHSenenbibel

56

Kira:

((nickt leicht))

45

380

Die Analyse

(Fortsetzung) 57

Kommentar :

((alle SuS beschäftigen sich wieder mit dem Malen ihrer Bilder))

Tabelle 165: III.11/12(b).TA.38–57

Nach einer fast fünfzehnsekündigen Pause im Anschluss an Kiras Äußerung gegenüber Melanie (vgl. III.11/12(b).TA.30) reagiert Ahmet auf diese, indem er sich in die Richtung wendet, in welcher Kira sitzt und deren Statement hinterfragt (III.11/12(b).TA.38). Die Intonation seiner Rückfrage zeigt Erregung und Aufgebrachtheit. Mit der Frage nach der Quelle ihres Wissens suggeriert er Zweifel an deren Existenz bzw. Zuverlässigkeit. Zwar blickt er bei seiner Äußerung nur in Kiras Richtung, verbal adressiert er mit dem genutzten Personalpronomen »ihr« jedoch mehrere Schüler_innen und signalisiert damit, dass seine Frage an alle gehe, die Kiras Auffassung teilen. Die weitere Frage nach einem vermeintlichen Aufenthalt in Ägypten impliziert das Verlangen eines Augenzeugenberichts als einziges für ihn gültiges Argument und verstärkt den zuvor geäußerten Zweifel Ahmets an der Zuverlässigkeit der Informationsquelle der Angesprochenen. Marlene stimmt diesem Beitrag zu (»ja«) und markiert ihn als zutreffende Argumentation (»deswegen«) (III.11/12(b).TA.39). In der anschließenden Ausführung betont sie ihre persönliche Überzeugung (»ich meine«) hinsichtlich der Farbe des Roten Meeres, wobei sie als erste die Vergangenheitsform nutzt (»war«) und damit andeutet, dass sie den von ihr bestimmten Zustand bzw. die Existenz des besagten Meeres in der Vergangenheit verortet. Sie wiederholt ihre These noch einmal, differenziert diesmal – wie bereits im vorangegangenen Gesprächsverlauf – die Farbgebung aus (»ganz fein rot«) und markiert am Ende erneut, dass es sich hier um ihre Meinung handele (III.11/12(b).TA.41). Am anderen Ende der Tischgruppe konstatiert Melina daraufhin ein weiteres Mal, dass sie es »rot« male und stimmt Marlene damit implizit zu (III.11/12(b).TA.42). Diese führt in ihrer anschließenden Äußerung mit der Nennung der Bibel erstmals einen Beleg für die These des roten Roten Meeres an. Dabei hebt sie mit der Betonung der ersten Silbe des Wortes (»Bibel«) die Bedeutung der Bibel als Quelle hervor (III.11/12(b).TA.43). In ihrer Intonation dokumentiert sich die Annahme, dass die Bibel als Argument Gewicht habe, überzeugen solle. Der genutzte bestimmte Artikel suggeriert, dass es sich um eine spezifische – die eine, als allgemein bekannt angenommene – Bibel handele. Hannes äußert leise, dass er das Meer nicht rot, sondern »nur ganz ganz blass rot« malen werde (III.11/12(b).TA.44). Mit der Betonung des die Farbe rot verneinenden Wortes »nicht«, signalisiert er, dass er trotz dieses Vorhabens an seiner gegenüber Melina geäußerten Auffassung festhält. Während er sich nun an Marlene wendet, greift diese den von ihr angeführten Aspekt der Bibel als

Unterrichtseinheit III

381

Quelle für die These des roten Roten Meeres auf und setzt zu einer Elaboration an. Sie bricht diese jedoch ab, als sie angesprochen wird (III.11/12(b).TA.45f.). Hannes wiederholt – Marlene adressierend – seine vorherige Äußerung, hebt aber nun intonatorisch nicht wie zuvor die Verneinung der roten Färbung, sondern die »Blässe« derer hervor (III.11/12(b).TA.47). Marlene validiert dies und erklärt ihrerseits ihr Vorgehen, wobei sie die Farbbestimmung »blass rot« von Hannes aufgreift (III.11/12(b).TA.48). Dieser zeigt mit seiner paraverbalen Reaktion sowie dem nachgeschobenen »ich auch« an, dass er diese Orientierung bzw. das damit verbundene Vorhaben teile (III.11/12(b).TA.49). Trotz dieser bereits erfolgten Validierung, fügt Marlene eine Begründung (»weil«) hinzu. Sie beteuert die Wirklichkeit der leichten (»ein bisschen«) Röte des Meeres (III.11/ 12(b).TA.50). Die Beschreibung des Meeres erfolgt an dieser Stelle wieder im Präsens, nicht wie in den beiden vorangegangenen diesbezüglichen Beiträgen in der Vergangenheitsform. Nach einer kurzen Pause wendet sich Kira an Marlene und wirft mit der Erklärung, dass sie »mal gehört« habe, dass das Rote Meer »einfach nur so blau« sei, eine neue Proposition auf (III.11/12(b).TA.51). Mit der eingeschobenen Partikelkombination »eben nur« im Sinne von »nun einmal/halt« bezieht sie sich implizit auf die von ihr zuvor ausgesprochene Antithese und signalisiert mit der Berufung auf eine außenstehende – aber nicht weiter bestimmte – Informationsquelle, dass es sich bei dem was sie sagt, nicht nur um ihre eigene Auffassung handele. Während Marlene plant, »erst blau« und dann »blass rot drüber« zu malen, beschränkt Kira die Farbe des Meeres auf »blau« (»einfach nur«). Nach kurzem Innehalten reagiert Marlene auf Kiras Äußerung, indem sie die Glaubhaftigkeit der von ihr angeführten Quelle für ihre These bekräftigt (III.11/ 12(b).TA.52). Die Richtigkeit der biblischen Darstellung (»in der Bibel«) betont sie sowohl intonatorisch (»stimmen«) als auch durch die eingefügten Partikel »ja« und »wohl«, die eine gewissen Selbstverständlichkeit dieser Annahme ausdrücken. In dieser Aussage Marlenes dokumentiert sich die Überzeugung von der Glaubhaftigkeit der Bibel. Daraufhin schildert sie, was in der Bibel hierzu zu finden sei, wobei sie indirekt (»stand«, »war«) auf ein Leseereignis zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit rekurriert (III.11/ 12(b).TA.53). In Kiras Rückfrage zu dieser Beschreibung wird sowohl das Bewusstsein deutlich, dass es verschiedene Formen der Bibel gibt, als auch, dass für sie die Art der Bibel (Kinderbibel oder keine Kinderbibel) für die Bewertung von Marlenes Argumentation entscheidend sei (III.11/12(b).TA.54). Marlene betont daraufhin, dass es sich um eine »Erwachsenenbibel« handele bzw. gehandelt habe, und zeigt damit ihrerseits an, dass sie das Bewusstsein von verschiedenen Bibelformen teilt (III.11/12(b).TA.55). Kiras Nicken impliziert zum einen, dass ihr diese Form der Bibel geläufig sei und zum anderen, dass sie diese als zuverlässige Quelle für das von Marlene Konstatierte anerkennt (III.11/

382

Die Analyse

12(b).TA.56). Sie wendet sich wieder ihrem Arbeitsblatt zu und beendet damit die Interaktion. III.11/ 12(b).TA. 58 59

Charlotte:

((hält Marlene ihre Mappe mit dem AB hin)) das rote meer ist BLAU

Marlene:

((blickt auf Charlottes Bild)) das ist das blaue meer

60 61

Charlotte: Marlene:

das heißt nur so (- - -) das ist WIRklich rot

62 63

Mike:

(3.2) wenn ihrs nicht glaubt– ich mals rot (1.6) ((blickt auf Marlenes Bild)) das ist doch BLAU

64 65

Marlene: Kommentar :

(1.2) ((schüttelt leicht den Kopf)) ich mal rot drüber ((alle SuS beschäftigen sich wieder mit dem Malen ihrer Bilder))

Tabelle 166: III.11/12(b).TA.58–65

Nach einer längeren Gesprächspause (ca. 20 Sekunden) wendet sich Charlotte mit ihrem Bild, welches eine blaue Fläche zeigt, an Marlene und erklärt, dass das Rote Meer »blau« sei (III.11/12(b).TA.58). Dabei hebt sie die für sie richtige Farbe intonatorisch hervor. Marlene formuliert daraufhin eine Antithese, indem sie das von Charlotte gezeigte Meer als »das blaue Meer« (nicht das Rote Meer) bestimmt (III.11/12(b).TA.59). Charlotte reagiert nicht direkt auf diese Entgegnung, sondern setzt ihre Argumentation fort, indem sie – wie auch schon Mike, Kira und Hannes – konstatiert, dass das Meer »nur so« heiße (III.11/ 12(b).TA.60). Nun beteuert Marlene erneut die Tatsächlichkeit (»wirklich«) des von ihr vertretenen Standpunktes, wobei sie die rote Färbung des Meeres diesmal in keiner Weise abschwächt (III.11/12(b).TA.61). Und obwohl Charlotte keine Erwiderung mehr gibt, setzt Marlene ihre Argumentation nach einer kurzen Pause fort (III.11/12(b).TA.62). In dieser dokumentiert sich ihr Bewusstsein bzw. die Vermutung einer weiterhin ablehnenden Haltung einiger (»ihr«) Schüler_innen am Tisch gegenüber ihrer These sowie das Bedürfnis, die eigene Überzeugung noch einmal zu verdeutlichen. Mike markiert mit seinem Kommentar (»das ist doch blau«) implizit Verwunderung bzw. das Erkennen eines Widerspruchs zwischen dem von Marlene Gemalten und dem von ihr Geäußerten (III.11/12(b).TA.63). Marlene löst diesen auf, indem sie erklärt, dass sie noch »rot drüber« malen werde (III.11/ 12(b).TA.64). III. 11/ 12(b).TA. 66

Mia:

((kommt auf dem Weg zum Mülleimer an Ahmet vorbei, blickt auf sein »rotes« Bild)) das rote meer HEIßt nur so das IST nicht rot

Unterrichtseinheit III

383

(Fortsetzung) 67

Ahmet:

68 69

Mia: Marlene:

70

Melina:

71

Marlene:

72

Ahmet:

73

Elisa:

74

Mia:

75

Phillip:

76

Ahmet:

77

Phillip:

78 79

Marlene: Melina:

80

Lehrkraft III:

woher wollt ihr das denn wissen? warst du in ägypten? ((geht weiter)) [(- -) ((in Ahmets Richtung)) das was in der BIbel stimmt/ STEHT sollte wohl STIMMen] [(1.6) ((zu Ahmet)) ich mals einfach nur rot (- - -) mir ist es egal] [(1.3) ((mit Blick auf ihr Bild)) und wenn es NICHT stimmt (.) wieso gibts dann die BIbel] [(1.2) ((zu Melina)) wenn das das rote meer heißt dann hat (das) doch keinen sinn wenn es blau ist] [(- - -) ((dreht sich von der Nachbartischgruppe zu Ahmet um)) es heißt nur so aber es ist nicht ROT (- -) dummkopf] [((bleibt bei Charlotte und Marlene stehen und schaut auf ihre Bilder)) ich male es genauso wie ((deutet auf Jelkas Bild)) ähm jelka] [((dreht sich auf seinem Stuhl um und beobachtet die Unterhaltung an der ersten Tischgruppe))] [(- - -) ((aufgebracht)) PECH für euch! ward ihr in ägypten? NEIN!] (- - -) ((rollt mit seinem Stuhl zu Marlene)) das rote meer heißt nur so und? ((wendet sich wieder ihrem Bild zu)) na gut dann mach ich es so ((malt mit einem blauen Stift über ihr »rotes« Meer)) ich sehe ihr seid mit dem LEsen fertig die meisten MAlen schon

Tabelle 167: III.11/12(b).TA.66–80

Mia (Tischgruppe A), welche sich während der kurzen Thematisierung der Farbe des Roten Meeres an ihrer Tischgruppe nicht zu Wort gemeldet hat, erklärt nach einer kurzen Betrachtung von Ahmets Bild nun auch, dass das Rote Meer »nur so« heiße, aber nicht rot sei (III.11/12(b).TA.66). Ahmet reagiert hierauf – wie schon zuvor auf Kira (III.11/12(b).TA.38) – indem er nach der Informationsquelle für diese These fragt (III.11/12(b).TA.67). Die zusätzlich eingefügte Partikel »denn« verstärkt den suggerierten Zweifel, ob eine solche Quelle überhaupt existiere und wenn, ob diese zuverlässig sei. Auch die Frage nach einer Augenzeugenschaft wiederholt Ahmet fast wortwörtlich, wobei er Mia hier direkt adressiert (»du«). Wie zuvor impliziert er mit seinen Fragen, dass für ihn nur eine solche Informationsquelle Gültigkeit besäße. Mia geht nicht auf Ahmets Erwiderung ein (III.11/12(b).TA.68).

384

Die Analyse

In bestimmendem Ton und unter intonatorischer Hervorhebung der Worte »Bibel«, »steht« und »stimmen« konstatiert Marlene dann, dass das, was in der Bibel stehe, stimmen sollte (III.11/12(b).TA.69). Während die eingeschobene Partikel »wohl« ihre Aussage zusätzlich verstärkt, zeigt der verwendete Konjunktiv II (»sollte«), dass es sich dabei um eine Vermutung, eine Annahme handelt. Es dokumentiert sich ein Vertrauen auf die Richtigkeit dessen, was in der Bibel steht sowie, dass Marlene dem eine gewisse Autorität zuschreibt. Parallel zu Marlene reagiert auch Melina auf Mias Einwand und erklärt, dass sie es »einfach nur rot« male (III.11/12(b).TA.70). Da der Bezugspunkt ihres nachgeschobenen Kommentars (»mir ist es egal«) nicht eindeutig ist, bleibt offen, ob ihr die farbliche Gestaltung des Meeres an sich egal sei, oder der Hinweis Mias, dass das Meer nicht rot sei. Marlene setzt ihre argumentative Elaboration fort und geht in einer durch die Intonation suggestiv klingenden Frage auf die Möglichkeit ein, dass das was in der Bibel steht, nicht »stimmen« könnte (III.11/12(b).TA.71). Hier wird die Auffassung deutlich, dass der Inhalt der Bibel stimmen müsste, da sie andernfalls ohne Sinn wäre. Die Bibel wird als schriftliche Autorität markiert. Gleichzeitig zu diesem Beitrag Marlenes wendet sich Ahmet an Melina und greift die Infragestellung Mias erneut auf, indem er ein weiteres Argument für seine These anführt, dass das Rote Meer rot sei. In dieser dokumentiert sich eine Denkweise, bei welcher der Sinn einer Aussage von der Übereinstimmung des in ihr Benannten mit der wahrgenommenen Realität bestimmt wird (III.11/12(b).TA.72): Wenn das Meer als Rotes Meer bezeichnet wird, muss es entsprechend auch rot sein. Auf diese Äußerung hin dreht sich Elisa (Tischgruppe B) zu Ahmet um und erklärt ebenfalls, dass das Meer »nur so« heiße, aber nicht »rot« sei (III.11/12(b).TA.73). Mit der anschließenden Beleidigung Ahmets (»Dummkopf«, III.11/12(b).TA.73) klärt sie, dass ihre These selbstverständlich sein sollte, man andernfalls dumm sei. Ahmet reagiert aufgebracht mit der umgangssprachlichen Wendung »Pech für dich/ euch« (III.11/12(b).TA.76), die eine gewisse Unabänderlichkeit der Dinge (seiner Auffassung) impliziert. Abermals stellt er die Frage nach einer Augenzeugenschaft und beantwortet sie im gleichen Atemzug selbst mit einer betonten Verneinung (»nein«). Parallel zu dieser Äußerung Ahmets dreht sich Phillip (Tischgruppe B) mit seinem Stuhl zur Tischgruppe C und beobachtet die dort stattfindende Interaktion (III.11/12(b).TA.75). Er rollt auf seinem Stuhl zu Marlene, blickt kurz auf ihr Bild und erklärt dann leise, dass das Rote Meer »nur so« heiße (III.11/12(b).TA.77). Ähnlich wie Ahmet signalisiert Marlene mit ihrer Reaktion (»und?«), dass sie nicht von ihrer Überzeugung abzubringen sei. Ihr scheint die gegenteilige Meinung Phillips gleichgültig zu sein (III.11/ 12(b).TA.78). Phillip entgegnet hierauf nichts, sondern dreht sich mit seinem Stuhl wieder zu seiner Tischgruppe. Gleichzeitig meldet sich Melina unvermittelt zu Wort. Sie leitet ihren Beitrag mit der Partikelkombination »na gut« ein

385

Unterrichtseinheit III

und markiert damit einen Übergang von etwas zuvor Gesagtem bzw. von ihr selbst Gedachten zu der nun anschließenden Äußerung, dass sie es »dann […] so« machen werde (III.11/12(b).TA.79). In Verbindung mit dem Übermalen der bisher roten Fläche auf ihrem Bild mit einem nun blauen Buntstift signalisiert Melina, dass sie nicht weiter an der These des roten Roten Meeres festhalte, sondern die – von einer Reihe ihrer Mitschüler_innen (Mike, Kira, Hannes, Charlotte, Mia, Phillip und Elisa) vertretene – Gegenthese annimmt. Ahmet blickt daraufhin auf und betrachtet kurz Melinas Bild. Eine verbale Reaktion seinerseits ist jedoch nicht zu beobachten, da nun die Lehrkraft die Aufmerksamkeit aller Schüler_innen einfordert, indem sie mit der Ankündigung der nächsten Unterrichtsphase beginnt (III.11/12(b).TA.80). Szene 3 (Tischgruppe B) Fast zeitgleich zum Beginn der Thematisierung der Farbe des Roten Meeres an Tischgruppe C eröffnet auch Liam an seiner Tischgruppe (B) ein diesbezügliches Gespräch. Nach dem Lesen des Textes fragt er, ob das Meer »rot« zu malen sei (III.11/12(b).TA.8). Seine Frage signalisiert eine Unsicherheit hinsichtlich der Farbe des im Text benannten Meeres sowie das Bedürfnis, diese Unsicherheit durch die Meinung der umsitzenden Schüler_innen auszuräumen. Es dokumentiert sich, dass Liam die Möglichkeit eines rot zu malenden Meeres nicht ausschließt, die Betonung der Farbe und die fragende Intonation legen aber eine gewisse Verwunderung bzw. einen diesbezüglichen Zweifel nahe. III.11/ 12(b).TA. 8

Liam:

muss man das meer ROT malen?

11 13

Phillip: Liam:

hä? das rote meer ist doch nicht rot (1.5) das rote meer heißt nur so ((unverst.)) ((sucht in seinem Federmäppchen nach einem Stift))

14 Marie: (1.4) ((zu Liam)) es wird aber BLAU gemalt 17 Liam: ich nehm dunkelblau Tabelle 168: III.11/12(b).TA.8–17

Phillip reagiert als erster auf Liams Frage und zeigt mit der Fragepartikel »hä« Unverständnis, wobei zunächst offenbleibt, ob sich dies auf das akustische oder semantische Verständnis bezieht (III.11/12(b).TA.11). In dem anschließenden Kommentar konkretisiert er dann, dass sich das Unverständnis auf die implizierte Annahme bezieht, dass das Rote Meer »rot« sein könnte. Phillip verneint diese Annahme, wobei die eingeschobene Partikel »doch« die Nachdrücklichkeit seiner Verneinung verstärkt und eine allgemeine Bekanntheit oder Selbstverständlichkeit seiner Aussage markiert. In der nun anschließenden Reaktion Liams dokumentiert sich der Schluss, dass, wenn das Rote Meer nicht »rot« sei,

386

Die Analyse

es »nur so« heißen müsse (III.11/12(b).TA.13). Liam ergänzt diesen Schluss noch, jedoch so leise, dass es akustisch nicht zu verstehen ist. Marie schließt mit ihrem Beitrag an die von Liam implizierte Schlussfolgerung an und erklärt, dass das Meer »blau« gemalt werde (III.11/12(b).TA.14). Mit dem Einschub der kontrastiven Konjunktion »aber« und der intonatorischen Hervorhebung der Farbe Blau wird der Widerspruch zwischen Bezeichnung und Aussehen markiert. Liam validiert Maries Beitrag bzw. zeigt, dass er ihre Fortführung annimmt, indem er erklärt, dass er einen »dunkelblau[en]« Stift zum Malen nehmen werde (III.11/12(b).TA.17). Komparative Analyse und Konklusion An allen drei Tischgruppen wird unabhängig voneinander die Frage der korrekten Darstellung des Roten Meeres in unterschiedlicher Intensität diskutiert. Den Auslöser für diese Auseinandersetzungen bildet der Arbeitsauftrag der Lehrkraft, nach dem Lesen und der Vorbereitung auf die Beantwortung einiger Fragen zum Text ein passendes Bild zu malen. Die bildliche Darstellung der Erzählung von der Rettung der Israeliten am Roten Meer forciert zum einen die Konkretisierung der eigenen Vorstellung über das Aussehen der einzelnen Elemente in der Erzählung und zum anderen die Veröffentlichung dieser Vorstellung zumindest vor den umsitzenden Schüler_innen. Unterschiedliche Auffassungen werden auf diese Weise sichtbar. Die komparative Analyse zeigt, dass an der Tischgruppe C das Rote Meer und seine farbliche Beschaffenheit schon zu einem früheren Zeitpunkt zwischen Ahmet, Melanie und Melina kurz thematisiert worden ist. In der fünften Stunde der Unterrichtseinheit bekommen die Schüler_innen im Anschluss an die mündliche Wiederholung der Erzählung (zur Situation der Israeliten in Ägypten, der Befürchtungen des Pharaos sowie zur Geburt und Rettung Moses) ein Arbeitsblatt, auf dem diese Erzählabschnitte in Form von zwei kurzen Texten aufgeführt sind, sowie den Arbeitsauftrag, jeweils ein passendes Bild darunter zu malen. Innerhalb der anschließenden Arbeitsphase ist das folgende Gespräch zu beobachten. III.5.TA. 237.1 237.2

Ahmet:

(2.7) ((blättert in seiner Mappe)) ah: die landkarte

Melina:

du HAST die ja noch garnicht ANgemalt

237.3 237.4

Ahmet:

und? (.) ich brauch meine landkarte ((heftet das AB mit der Karte von Ägypten aus seiner Mappe aus, lehnt es vor sich gegen sein Etui und betrachtet die Karte))

237.5 237.6

Melina: Ahmet:

u:nd jetzt muss ich die mutter malen ((blickt weiter auf die Landkarte))

Unterrichtseinheit III

387

(Fortsetzung) 237.7

((liest von der Karte ab)) ROtes meer (.) das mal ich mal

237.8 237.9

Melina: Ahmet:

237.10

Kommentar :

237.11

Ahmet:

237.12 237.13

Melanie: Ahmet:

237.14 237.15

Mike: Ahmet:

237.16 237.17

Melina: Ahmet:

237.18 237.19

Mike: Ahmet:

237.20

Mike:

237.21

Melina:

237.22 237.23

Ahmet: Lehrkraft III:

ÄHM: das ist BLAUes meer ROtes meer [((Melanie und Mike schauen auf Ahmets Landkarte))] [das steht hier (drauf) ((deutet mit seinem Stift auf die Stelle auf der Landkarte))] rotes meer ist ja nicht richtig rot [((leiser)) wer (sagt) das] [(- - -) wir müssen den NIL] ((zu Mike)) ja:: ja der muss ganz nach unten (zu dem bild) [(leise) mike ich muss dir was zeigen] [((blickt auf sein AB))] [(- - -) mike?] ((hält sein AB hoch, in dessen oberes Kästchen er einen Fluss gemalt hat)) ich hab den so gemalt ähm wir dürfen das nicht ähm da bei dem ersten wir müssen das UNten hinmalen ((kommt zur Tischgruppe)) WO muss der nil (hin) auf welches bild

Tabelle 169: III.5.TA.237.1–237.23

Während die übrigen Schüler_innen an der Tischgruppe damit beginnen, auf ihren Arbeitsblättern passende Bilder unter die beiden Textabschnitte zu malen, blättert Ahmet in seiner Religionsmappe, stoppt bei der am Ende der dritten Stunde erhaltenen stilisierten Landkarte, betrachtet diese kurz, nimmt sie aus der Mappe heraus und stellt sie aufrecht vor sich gegen sein Etui (III.5.TA.237.1– 6). Er liest von der schwarz-weiß Kopie die Bezeichnung »Rotes Meer« ab und erklärt dann, dass er dieses nun malen werde (III.5.TA.237.7). Da Ahmet keinen bestimmten Artikel vor »Rotes Meer« setzt, wirkt seine Äußerung wie eine Eigenschaftsbeschreibung und nicht wie die Bezeichnung für ein bestimmtes Meer. Die ihm gegenübersitzende Melina kann aus ihrer Position nicht sehen was auf der Landkarte steht. Sie signalisiert mit der Betonung der Partikel »ähm«, dass sie Ahmet auf etwas aufmerksam machen möchte, und konstatiert dann, dass es sich um »blaues Meer« handele, wobei sie durch die intonatorische Hervorhebung der Farbe Blau den – von ihr angenommenen – Irrtum Ahmets deutlich markiert (III.5.TA.237.8). Ahmet reagiert auf Melinas Aussage, indem er die Bezeichnung des Meeres noch einmal wiederholt. Mit dem Hinweis »das

388

Die Analyse

steht hier drauf« und dem Deuten auf die Landkarte belegt er die Bezeichnung für die umsitzenden Schüler_innen (III.5.TA.237.9, 11). Die links neben ihm sitzende Melanie blickt auf die Karte und erklärt, dass »rotes Meer […] ja nicht richtig rot« sei (III.5.TA.237.12). Auch sie nutzt keinen bestimmten Artikel zur Bezeichnung des Meeres, sodass nicht deutlich wird, ob ihr bewusst ist, dass es sich um den Namen eines bestimmten Meeres handelt. Mit der eingeschobenen Partikel »ja« signalisiert sie, dass ihre Aussage zur Färbung des Meeres allgemein bekannt sei bzw. sein sollte. Ihre Bestimmung der Farbe (»nicht richtig rot«) lässt offen, ob das Meer in Wirklichkeit nicht rot sei (»richtig« im Sinne von »wirklich«/ »echt«) oder ob das Meer ein bisschen – aber eben nicht richtig – rot sei (»richtig« im Sinne von »mit der Farbe rot völlig/ganz übereinstimmend«). Ahmet reagiert darauf, indem er nach der Quelle von Melanies These fragt (III.5.TA.237.13). Damit deutet er zum einen an, dass er Zweifel an dieser Aussage habe und zum anderen, dass die Art der Quelle dieser These für ihn hinsichtlich der Bewertung ihrer Validität entscheidend sei. In seinem auf diese Weise implizierten Zweifel dokumentiert sich, dass er selbst von der roten Färbung, vom Rot des Meeres ausgegangen ist oder dies zumindest nicht ausgeschlossen hat. Parallel zu der Frage Ahmets beginnt Mike mit einer Erklärung dessen, was die Schüler_innen zu tun hätten (»wir müssen«), und hebt dabei intonatorisch den Gegenstand dieser Tätigkeit hervor (»den Nil«). Ahmet validiert diese Bemerkung Mikes, wobei Tonfall und Längung der bestätigenden Partikel »ja« implizieren, dass Ahmet dies auch schon vor Mikes Ansage bewusst war. Es schließt eine Diskussion der Frage an, wo auf dem Arbeitsblatt der Nil zu malen sei. Die farbliche Beschaffenheit des Roten Meeres wird von den Schüler_innen in dieser Stunde nicht erneut diskursiv aufgegriffen. In Ahmets Äußerung lässt sich bereits in dieser Szene eine wortwörtliche Auffassung der Bezeichnung »Rotes Meer« erkennen, welche sich auch in seinen Beiträgen in der elften Stunde dokumentiert. Dies ist bei Melina und Melanie hier noch nicht zu beobachten. Die Analyse der oben aufgeführten Gespräche zwischen den Schüler_innen während der Bearbeitung ihrer Arbeitsaufträge zeigt, dass sich die Diskussion hinsichtlich der farblichen Beschaffenheit des Roten Meeres und der damit verbundenen Frage, wie es abzubilden sei, zwischen zwei Konzepten bewegt: Das Rote Meer ist rot, und das Rote Meer ist nicht rot, es heißt »nur so«. Eine wortwörtliche Rezeption steht damit einer Rezeption als Bezeichnung – ohne Relevanz für das Aussehen des Meeres – gegenüber. Während die diesbezüglichen Diskurse an Tischgruppe A und B mit dem Teilen einer gemeinsamen Orientierung enden, wird der Diskurs an der Tischgruppe C durch die Ansprache der Lehrkraft unterbrochen, ohne dass es zu einer rituellen Konklusion

Unterrichtseinheit III

389

durch die Schüler_innen kommt oder sie eine gemeinsame Orientierung ausgehandelt hätten. Sowohl Liam (Tischgruppe B), der die wortwörtliche Rezeption des Begriffs Rotes Meer in Form einer Frage zur Diskussion stellt, als auch Lena (Tischgruppe A), die von dieser Auffassung zunächst so überzeugt ist, dass sie die neben sich sitzenden Schüler_innen diesbezüglich zu korrigieren versucht, lassen sich ohne weitere Rückfragen oder Anzeichen der Einforderung einer Begründung auf die Negation der roten Färbung des Meeres ein und übernehmen diese (»das blaue Meer ist richtig«1218) bzw. ziehen weitere Schlüsse aus ihr (»das rote meer heißt nur so […]«1219). An Tischgruppe C ist die wortwörtliche Deutung des Roten Meeres bei Ahmet, Melina, Marlene und Melanie zu beobachten, wobei letztgenannte dies implizit über ihre Zeichnung signalisiert. Anders als Liam und Lena weichen sie jedoch nicht bzw. nicht sofort von dieser Orientierung ab, sondern fordern für die oppositionelle These, dass das Meer »nur so« heiße, Belege ein oder führen Argumente für ihre eigene Auffassung an. So reagiert Ahmet zweimal mit der Frage an die Schüler_innen, welche die rote Färbung des Meeres verneinen, aus welcher Quelle diese Information stamme sowie, ob sie selbst in Ägypten gewesen seien. Ahmet ist sich in seinem Verständnis über das Rote Meer so sicher, dass für ihn nur ein Augenzeugenbericht als Argument Gültigkeit besitzen könnte. Gleichzeitig zeigt sich in der suggestiven Intonation seiner Äußerungen, dass er von der Möglichkeit einer solchen Augenzeugenschaft seiner Mitschüler_innen nicht ausgeht. Die Frage nach einem Beleg wird durch die von ihm vorausgesetzte Nichterfüllbarkeit dieser Forderung zum impliziten Gegenargument. In der zweiten von Ahmet angeführten Begründung seiner Auffassung dokumentiert sich deutlich sein Denken in konkreten Mustern, bei dem sich der Sinn bzw. die Richtigkeit eines Sachverhalts aus der Übereinstimmung von Bezeichnung und Bezeichnetem ergibt. In ähnlicher Weise ist dies auch bei Melina zu beobachten, die in dem von Mike als Opposition zu ihrer Auffassung geäußerten Hinweis, dass das Meer nur Rotes Meer heiße, keinen Widerspruch, sondern eine Begründung ihrer These zu sehen scheint (»deswegen ist es ja rot«1220). Marlene trägt eine weitere Begründung zum Diskurs bei, nachdem sie die erste Argumentation Ahmets, die fehlende Augenzeugenschaft, bestätigt hat (»ja deswegen«1221). Sie konstatiert, dass das Meer in der Bibel rot sei, und signalisiert durch ihre intonatorische Hervorhebung des Wortes »Bibel«, dass diese Quelle 1218 1219 1220 1221

III.11/12(a).TA.195, s. Tabelle 163, S. 418. III.11/12(b).TA.13, s. Tabelle 164, S. 376f. III.11/12(b).TA.22, s. Tabelle 164, S. 376f. III.11/12(b).TA.39, s. Tabelle 165, S. 379f.

390

Die Analyse

von besonderer Bedeutung sei. Auf den Einspruch Kiras (»Ich habe eben nur mal gehört, dass das rote Meer einfach nur so blau ist«1222) entgegnet sie, dass es »in der Bibel […] ja wohl stimmen«1223 werde, und erklärt anschließend, was sie selbst in der Bibel gelesen bzw. gesehen habe (»als Überschrift stand »das rote Meer« und da drunter war ein leicht rotes Meer»1224). Die Art ihrer Formulierung («ja … wohl»), ihre Intonation sowie Mimik und Gestik markieren ihre Überzeugung, sowohl von dem, was sie sagt, als auch von der Glaubwürdigkeit der Bibel als Quelle für diesbezügliche Informationen. Kira reagiert nach einer kurzen Pause mit kritisch-prüfender Miene und der Frage, ob Marlene dies «in ner Kinderbibel» gesehen habe. Diese kurze Rückfrage weist zum einen auf den weiterhin bestehenden Zweifel an Marlenes Behauptung hin und zum anderen auf die Annahme, dass die Art der Bibel für die Glaubwürdigkeit entscheidend sei. Marlene begegnet dieser impliziten Infragestellung der Glaubhaftigkeit ihrer Quelle mit der Betonung, dass es sich um eine »Erwachsenenbibel« handele und suggeriert intonatorisch, dass dies die Zweifel Kiras ausräumen sollte. Die Interaktion endet mit einem kurzen – Anerkennung implizierenden – Nicken Kiras. Dass sie nun keine weiteren Zweifel oder Rückfragen äußert, die Angabe einer »Erwachsenenbibel« als Quelle der Behauptung Marlenes sie also von dieser zu überzeugen scheint, entspricht der zuvor suggerierten Wertunterscheidung zwischen einer »Kinderbibel« und einer Bibel für Erwachsene hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit. Etwas später im Gesprächsverlauf betont Marlene abermals, dass das, was in der Bibel stehe, »wohl stimmen« sollte. In der dann folgenden suggestiv klingenden Frage, wieso es andernfalls die Bibel gäbe, dokumentiert sich ein Bibelkonzept, innerhalb welchem sich der Sinn, der Zweck der Bibel aus der wortwörtlichen Richtigkeit ihrer Aussagen ergibt. Es bleibt offen, wie die umsitzenden Schüler_innen sich zu dieser Argumentation positionieren, da keiner von ihnen auf Marlenes Beitrag eingeht. Von den Schüler_innen, welche die Antithese zur Position des roten Roten Meeres vertreten, sind keine Begründungen dieser zu beobachten. Außer bei Kira, die gegenüber Marlene angibt, »nur mal gehört« zu haben, dass das Rote Meer »einfach nur so blau sei«, und sich damit auf eine externe Quelle bezieht,1225 findet keine argumentative Darlegung dieser Auffassung statt. Spannend ist, dass alle Schüler_innen, welche diese Orientierung teilen, dieselbe Formulierung (»nur so heißen«) verwenden. Es zeigt sich das Bewusstsein darüber, dass sich die in der Bezeichnung enthaltene Farbe Rot allein auf den Namen des Meeres beschränke. Woher dieses Wissen rührt, ob ihnen der Begriff »Rotes 1222 1223 1224 1225

III.11/12(b).TA.51, s. Tabelle 165, S. 379f. III.11/12(b).TA.52, s. Tabelle 165, S. 379f. III.11/12(b).TA.53, s. Tabelle 165, S. 379f. III.11/12(b).TA.51, s. Tabelle 165, S. 379f.

Unterrichtseinheit III

391

Meer« bereits aus anderen Kontexten bekannt ist oder ihre Aussage aus der Überzeugung resultiert, dass ein Meer nicht rot sein kann, bleibt offen, da keine weitergehenden Erläuterungen erfolgen. An Tischgruppe C sind es nur Melina und Hannes, bei denen eine Änderung der zu Beginn des Diskurses eingenommenen Haltung zur Frage der Farbe des Meeres zu beobachten ist. Hannes, der anfangs gegenüber Melina konstatiert, dass das Meer nur Rotes Meer heiße, »aber blau« sei und daraufhin zunächst beginnt, eine blaue Fläche auf sein Arbeitsblatt zu malen, erklärt im Anschluss an Ahmets und Marlenes Argumente für ein rotes Rotes Meer (»Ja woher wollt ihr das wissen, ward ihr in Ägypten?«,1226»in der Bibel ist das rot«1227), dass er es »nicht rot«, sondern »ganz ganz blass rot male«.1228 Damit rückt er von seiner ursprünglichen These ab, markiert aber auch, dass er der Gegenthese nicht in vollem Maße zustimmt. Dass er an diese Äußerung anschließend explizit die Aufmerksamkeit Marlenes einfordert und sein Vorhaben ihr gegenüber wiederholt, dokumentiert das Bedürfnis, dass seine neue Überlegung von ihr wahrgenommen wird. Zudem fordert seine direkte Ansprache implizit eine Reaktion Marlenes ein. Dass Marlene sein Vorhaben validiert und ein ähnliches Vorgehen beschreibt, scheint ihn zufriedenzustellen, da er sich nach einer bestätigenden Äußerung wieder seinem Bild zuwendet und nicht mehr weiter am Diskurs beteiligt. Melina zeigt erst kurz vor dem Beendigen der Arbeitsphase durch die Lehrkraft ein Abweichen von ihrer ursprünglich geäußerten Position.1229 Zu Beginn des Diskurses vertritt sie nachdrücklich ein wortwörtliches Verständnis und konstatiert mehrfach in direkter und indirekter Reaktion auf die gegenteiligen Äußerungen ihrer Mitschüler_innen, dass das Meer rot sei und sie es rot male.1230 In der zweiten Hälfte beteiligt sie sich nicht mehr aktiv am Diskurs. Ihre dann erfolgende Erklärung, dass sie es nun »so« machen werde und die Tatsache, dass sie dabei beginnt, mit einem blauen Buntstift über ihr rotes Rotes Meer zu malen, weist durch das einleitende »na gut« auf ein Bezugnehmen und Eingehen auf die Gegenposition hin, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt von keiner Schülerin und keinem Schüler erneut ihr gegenüber geäußert wurde. Auch wenn die Schüler_innen sich innerhalb dieses Incidents nicht direkt mit der Exodus-Erzählung auseinandersetzen, ergeben sich dennoch hinsichtlich der Frage nach ihrem Konzept von Bibel bzw. des biblischen Textes und der Rezeption des im Unterricht Präsentierten interessante Beobachtungen. Zu1226 1227 1228 1229 1230

III.11/12(b).TA.38, s. Tabelle 165, S. 379f. III.11/12(b).TA.43, s. Tabelle 165, S. 379f. III.11/12(b).TA.44, s. Tabelle 165, S. 379f. III.11/12(b).TA.79, s. Tabelle S. 167, S. 382f. III.11/12(b).TA.16, 20, 22, 25, 31, s. Tabelle 164, S. 376f.; (III.11/12(b).TA.42), s. Tabelle 165, S. 379f.

392

Die Analyse

nächst ist spannend, dass es die Frage nach der richtigen Darstellung des Roten Meeres, seiner wirklichen farblichen Beschaffenheit ist, die an jedem der Gruppentische thematisiert wird, und nicht etwa die genaueren Umstände der im Text beschriebenen plötzlichen Teilung seines Wassers. Dieses wundersam anmutende Geschehen bleibt hier wie auch im weiteren Verlauf der Unterrichtseinheit seitens der Schüler_innen unkommentiert. Trotz des zum Teil hohen emotionalen Engagements einiger Schüler_innen und des vergleichsweise langanhaltenden Diskurses an Tischgruppe C verhandeln die Schüler_innen die Frage untereinander und beziehen die Lehrkraft – beispielsweise als Expertin – nicht mit ein. Sie bleiben mit ihren Fragen und Stellungnahmen unter sich. Während der größere Teil der Schüler_innen verbal oder über ihre Zeichnungen ausdrückt, dass sie nicht von einem roten Roten Meer ausgehen, ist dieses wortwörtliche Verständnis dennoch bei einigen der Schüler_innen zu beobachten. Besonders deutlich wird dies in den Beiträgen von Ahmet und Marlene. Bei beiden zeigt sich ein Konzept der Sinnbildung bzw. der Bedeutungskonstruktion, welches auf der wortwörtlichen Übereinstimmung zwischen Bezeichnung und Bezeichnetem beruht. Marlene bezieht dies konkret auf die Bibel, indem sie deren Sinn an der Korrektheit der in ihr enthaltenen Aussagen misst, auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass sie in einer Bibel – wie sie sagt – ein rotes Meer gesehen hat. In der Art, wie sich Marlene auf die Bibel als Beleg ihrer Auffassung vom roten Roten Meer bezieht, dokumentiert sich, dass sie der Bibel eine besondere Autorität zuschreibt bzw. auf eine allgemeine Anerkennung der Bibel als glaubhafte Quelle rekurriert. Ebenfalls spannend für die Frage nach dem Konzept der Schüler_innen ist der kurze Diskurs zwischen Kira und Marlene, in welchem sich eine unterschiedliche Einschätzung der Validität einer Kinderbibel einerseits und einer »Erwachsenenbibel« andererseits andeutet. Jedoch bleibt dieser Hinweis auf das Konzept von Bibel und die Art ihrer Rezeption durch die Schüler_innen – ähnlich wie die übrigen in diesem Incident identifizierten Hinweise – implizit.

6.3.3 Zusammenfassende Betrachtung der gesamten Unterrichtseinheit Wie ist nun das Konzept von der biblischen Erzählung beschaffen, welches sich in der Präsentation durch die Lehrkraft sowie in der diesbezüglichen Unterrichtskommunikation dokumentiert und über den Verlauf der Einheit konstruiert wird? Zur Beantwortung dieser Frage werden im Folgenden die Ergebnisse der Analysen des von der Lehrkraft gestalteten Erzählsettings sowie die in den Äußerungen der Lehrkraft und der Schüler_innen zu beobachtenden impliziten und expliziten Hinweise auf ihr Verständnis des Wesens der Exodus-

Unterrichtseinheit III

393

Erzählung zusammenfassend dargelegt. Die so gewonnenen Erkenntnisse werden dann in einer abschließenden Konklusion zusammengeführt.

6.3.3.1 Erzählsetting Die Lehrkraft beginnt die Unterrichtseinheit zur Exodus-Erzählung mit der Erarbeitung verschiedener Teilbereiche des Themengebiets »Altes Ägypten« (1.–3. Stunde). Die Überleitung zum biblischen Text erfolgt über einen – von den Schüler_innen zu übersetzenden – Hieroglyphen-Text, welcher auf die Geschichte von Josef und seinen Brüdern verweist. In diesem Text wird erklärt, dass in der Geschichte erzählt werde, wie die Israeliten nach Ägypten gekommen seien, dass Josef und seine Brüder »viele Kinder« bekommen hätten, dass Mose »aus dem Stamm Levi« hervorgegangen sei, und dass die Schüler_innen über diesen in den folgenden Unterrichtsstunden »einiges erfahren« würden.1231 Mit der anschließenden Frage nach dem Zusammenhang zwischen »unserem Religionsunterricht und Ägypten«1232 leitet die Lehrkraft eine Wiederholung der Inhalte der – bereits zu einem früheren Zeitpunkt im Religionsunterricht thematisierten – »Geschichte von Josef«1233 ein. Sie schließt dann den ersten Erzählabschnitt der Exodus-Erzählung zur Situation der Israeliten in Ägypten nach dem Tod Josefs und seiner Brüder in Form eines Rollenspiels an. Die in der darauffolgenden Erklärung, dass nun »eine ganz spannende und lange Geschichte« beginne,1234 von der Lehrkraft verwendete Bezeichnung des Erzählten als »Geschichte«1235 nutzt sie auch im weiteren Verlauf der Einheit, wobei sie diese durch die Ergänzung des Namen »Mose« oder durch das vorangestellte Possessivpronomen »unsere« teilweise näher bestimmt (»unsere Geschichte«1236, »(unsere) Mose-Geschichte«1237, »die Geschichte von Mose«1238). An zwei Stellen 1231 »Die Geschichte von Josef und seinen Brüdern erzählt uns, wie die Israeliten nach Ägypten gekommen sind. Josef und seine Brüder bekamen viele Kinder und diese bekamen auch wieder Kinder. Aus dem Stamm Levi ging Mose hervor, über den wir in den nächsten Stunden einiges erfahren werden.«. Dieser Text ist die Auflösung zu dem von der Lehrkraft erstellten Arbeitsblatt »Hieroglyphen«, welches aus urheberrechtlichen Gründen hier nicht in Gänze abgedruckt werden kann. 1232 III.4.TA.27, s. Tabelle 156, S. 363. 1233 III.4.TA.35, s. Tabelle 157, S. 364. 1234 III.4.TA.254f., s. Tabelle 160, S. 368. 1235 Siehe hierzu Tabelle 300 im digitalen Anhang. 1236 III.11/12(a).TA.754, s. Tabelle 335 im digitalen Anhang. 1237 III.5.TA.2, s. Tabelle 317 im digitalen Anhang; III.15.TA.314, s. Tabelle 342 im digitalen Anhang; III.13/14.TA.100, s. Tabelle 336 im digitalen Anhang; III.13/14.TA.149, S. Tabelle 337 im digitalen Anhang; III.13/14.TA.495, s. Tabelle 177, S. 401; III.15.TA.232, s. Tabelle 341 im digitalen Anhang; III.15.TA.306, 314, s. Tabelle 342 im digitalen Anhang. 1238 III.8.TA.223, s. Tabelle 329 im digitalen Anhang; III.15.TA.51, s. Tabelle 340 im digitalen Anhang.

394

Die Analyse

bezeichnet sie das Gehörte als »Erzählung« (»in der Erzählung mit Mose, mit Gott, mit dem Volk Israel«1239, »das war in der Erzählung letzte Woche«1240). Bis auf die Beschreibung der Situation der Israeliten in Ägypten, welche in Form eines Rollenspiels von den Schüler_innen präsentiert wird, und der Schilderung der Rettung der Israeliten vor den ägyptischen Verfolgern, welche die Schüler_innen von einem Arbeitsblatt selbstständig erlesen, werden fast alle für die Einheit ausgewählten Erzählabschnitte von der Lehrkraft aus der Neukirchener Kinder-Bibel1241 vorgelesen. Nur den zusammenfassenden Abschnitt der Erzählung von dem vierzig Jahre dauernden Weg der Israeliten vom Berg Sinai bis nach Kanaan liest sie von einem anderen Textblatt1242 vor. Zu jedem der von der Lehrkraft vorgelesenen Erzählabschnitte erhalten die Schüler_innen ein Arbeitsblatt mit kurzen Zusammenfassungen. Frei und in eigenen Worten erzählt die Lehrkraft nur zweimal: Einmal für die Überleitung von der gemeinsamen Wiederholung der Josef-Erzählung zum Rollenspiel1243 und einmal für die Wiederholung der Geschehnisse am Berg Sinai.1244 Die sich aus den von der Lehrkraft ausgewählten Abschnitten konstituierende »Mose-Geschichte« erstreckt sich von der Schilderung der Unterdrückung der Israeliten durch den Pharao (Ex, 1,6–14) bis zur Erzählung von Moses Tod (Dtn 34, 1–4). Nicht thematisiert werden unter anderem die Erzählabschnitte zur Beauftragung der Hebammen Schifra und Pua (Ex1, 15–21), die Wunderzeichen Gottes an Mose (Ex 4, 2–5), die Beschneidungsszene (Ex 4, 24–26), das erste Wunderzeichen vor dem Pharao (Ex 7,1–13), der Kampf gegen die Amalekiter (Ex 17, 7–15) sowie die Abschnitte zu den Rechtsordnungen und Vorschriften über die zehn Gebote hinaus (Ex 20,18–24,10; Ex 25, 1–31, 18; Ex 33,1–40,38). Zudem sind einige Erzählabschnitte im Vergleich zur biblischen Vorlage leicht abgeändert. So wird die Einsetzung der Plagen ohne die explizite Beteiligung Moses und Aarons geschildert; die Richtungsweisung Gottes wird ohne die Erwähnung der Wolken- und Feuersäule aufgenommen, die Erzählung von der Teilung des Meeres erfolgt ohne das Zeichen von Mose und diejenige vom goldenen Kalb enthält nicht die Bestrafung der Israeliten. Der Text der Neukirchener Kinder-Bibel nutzt eine vereinfachte, bildhafte aber recht dicht an der biblischen Textvorlage orientierte Sprache in den Zeitformen der Vergangenheit (fast ausschließlich Präteritum). Die von der Lehrkraft erstellten zusammenfassenden Textabschnitte auf den Arbeitsblättern sind durchgehend im Präsens verfasst und 1239 1240 1241 1242

II.13/14.TA.161, s. Tabelle 338 im digitalen Anhang. III.7.TA.109, s. Tabelle 326 im digitalen Anhang. Weth 2000. Dieses von der Lehrkraft verwendete Textblatt kann hier aus urheberrechtlichen Gründen nicht abgedruckt werden. 1243 III.4.TA.124–136, s. Tabelle 312 im digitalen Anhang. 1244 III.15.TA.58–64, s. Tabelle 340 im digitalen Anhang.

Unterrichtseinheit III

395

orientieren sich sprachlich wiederum an den Texten der Neukirchener KinderBibel. In den beiden frei erzählten Abschnitten nutzt die Lehrkraft die Vergangenheitsform. Die Präsentation der einzelnen Erzählungen läuft fast durchgehend nach dem gleichen Muster ab: Nach einer Ankündigung, die »Geschichte« nun weiter vorzulesen, folgt jeweils ein Erzählabschnitt aus der Neukirchener Kinder-Bibel (»die Geschichte noch weiterzulesen«1245, »ich les jetzt einfach mal weiter«1246, »les ich jetzt einfach weiter«1247, »ich werde euch dann die Geschichte weitererzählen«1248, »und um sowas geht es jetzt heute auch in der Erzählung […] und das möchte ich euch vorlesen«1249, »ok dann les ich vor«1250). Vereinzelt unterbricht die Lehrkraft ihr Vorlesen kurz, um direkt von ihr als den Schüler_innen unbekannt vermutete Sachverhalte zu klären, das Gelesene zu kommentieren oder auf thematische Verknüpfungen zu bereits Besprochenem hinzuweisen (»›meine Sklaven sollen sie werden‹ (-) was waren noch mal Sklaven?«1251, »›und werft ihn in den Nil‹ (2.9) ein grausamer Plan«1252, »›da gehorchten die Soldaten‹ ((leiser)) es blieb ihnen ja auch nichts anderes übrig«1253, »›neugierig ging er auf den Strauch zu‹ (- -) was ist damit gemeint er brennt aber er verbrennt nicht«1254, »›und zogen erfrischt weiter‹ (2.6) an einer anderen Stelle nicht hier in der Kinderbibel wird aber auch erwähnt […]«1255, »›es ist das Brot, das Gott euch geschenkt hat‹ (- - -) wie kamen diese kleinen weißen runden Körner in die Wüste«1256). Im Anschluss an das Vorlesen erfolgt meist eine Wiederholung der Erzählhandlung in Form eines fragend-entwickelnden Unterrichtsgesprächs. Teilweise werden die Schüler_innen in diesen Phasen auch gebeten, sich in einzelne der handelnden Personen hineinzuversetzen oder das Gehörte zu bewerten. Zu jedem der von der Lehrkraft vorgelesenen Abschnitte der ExodusErzählung erhalten die Schüler_innen ein Arbeitsblatt, auf welchem der zuvor gehörte Text in gekürzter Form aufgeführt ist. Dieser wird von einer oder einem der Schüler_innen laut vorgelesen, bevor sie mit dem Malen eines dazu passenden Bildes beginnen. Während des Vorlesens erfolgt kein begleitender Einsatz weiterer Medien zur Visualisierung des Erzählten, und die meisten Schü1245 1246 1247 1248 1249 1250 1251 1252 1253 1254 1255 1256

III.5.TA.240, s. Tabelle 320 im digitalen Anhang. III.6.TA.89, s. Tabelle 321 im digitalen Anhang. III.6.TA.274, s. Tabelle 322 im digitalen Anhang. III.11/12(a).TA.407, s. Tabelle 175, S. 400f. III.13/14.TA.161ff., s. Tabelle 338 im digitalen Anhang. III.15.TA.241, s. Tabelle 341 im digitalen Anhang. III.4.TA.290f., s. Tabelle 314 im digitalen Anhang. III.4.TA.320, s. Tabelle 315 im digitalen Anhang. III.4.TA.321f., s. Tabelle 315 im digitalen Anhang. III.6.TA.293, s. Tabelle 322 im digitalen Anhang. III.11/12(a).TA.478, s. Tabelle 171, S. 398. III.11/12(a).TA.544, s. Tabelle 187, S. 410.

396

Die Analyse

ler_innen arbeiten zeitgleich an ihren Bildern zu vorangegangenen Erzählabschnitten. Als Anregung für das Malen der Schüler_innen legt die Lehrkraft eine weitere illustrierte Kinderbibel1257 im Klassenraum aus. 6.3.3.2 Hinweise auf Quelle, Entstehung und Verfasser_innen des Erzählten Der erste Bezug auf den Beginn der Exodus-Erzählung sowie auf die als Ausgangspunkt herangezogene Erzählung von Josef und seinen Brüdern erfolgt zunächst ohne die Nennung einer Quelle dieser Erzählungen (»die Geschichte von Josef haben wir schon gehört, warum war er noch mal nach Ägypten gekommen?«1258, »Ich habe jetzt für euch ein Rollenspiel vorbereitet, was uns dann gleich so ein bisschen zeigen wird, wie es mit dem Volk Israel in Ägypten weitergeht«1259). Im Anschluss an die Nachbesprechung des Rollenspiels zur Lage der Israeliten in Ägypten gibt die Lehrkraft dann einen ersten Hinweis auf die Quelle des Besprochenen. III.4.TA. 254

Lehrkraft III:

(- - -) hier beginnt nun also eine GANZ

255 256

(.) SPANNende und lange geschichte– (-) wie es dem volk israel (.) in ägypten weitergeht

257

und die äh würd ich euch gern hier aus der kinderbibel vorlesen– ((hält Neukirchener KinderBibel hoch)) (-) u:nd damit fang ich heute auch an das wird auch die NÄCHsten stunden–

258 259 260 261 262 Tabelle 170: III.4.TA.254–262

(.) noch äh: weitergehen– äh ich fang heute an mit der geschichte– ihr dürft gerne noch (.) äh die karte weiter anmalen nebenbei oder einfach nur zuhören

Indem die Lehrkraft erklärt, dass sie die »spannende und lange Geschichte« über das Volk Israel aus »der Kinderbibel« vorlesen werde, markiert sie die Erzählung als biblischen Text (III.4.TA.254–257). Sie scheint von einer gewissen Vertrautheit der Schüler_innen mit dieser Bibel auszugehen, da sie die Quelle nicht weiter erläutert. Dass es sich bei dem, was die Lehrkraft von den Israeliten und Mose erzählt um etwas handelt, was in der (Kinder-)Bibel steht, signalisiert sie 1257 Siehe hierzu Hastings 1994. 1258 III.4.TA.35f., s. Tabelle 157, S. 364. 1259 III.4.TA.137ff., s. Tabelle 312 im digitalen Anhang.

Unterrichtseinheit III

397

nicht nur mit wiederholten verbalen Hinweisen (»das, was ich euch […] letzte Woche aus der Kinderbibel vorgelesen hab«1260, »und zwar werde ich jetzt aus der Bibel weitererzählen«, »dass ich euch etwas vorgelesen habe aus der Kinderbibel«1261, »hier in der Kinderbibel«1262), sondern zeigt sie auch visuell an, indem sie für die Schüler_innen deutlich sichtbar aus dem zu Beginn als »Kinderbibel« benannten Buch vorliest. Im Anschluss an das erste Vorlesen erklärt eine der Schülerinnen, Jelka, dass sie »die Geschichte« schon zuvor einmal in ihrer Bibel gelesen habe1263. Sie nutzt dabei nicht den von der Lehrkraft verwendeten Begriff »Kinderbibel« und führt damit eine weitere mögliche Quelle der »Geschichte« an. Dabei bleibt offen, ob der Begriff »Bibel« bewusst zur Markierung eines Unterschiedes zur Kinderbibel genutzt wird, oder ob bei ihr ein synonymes Verständnis – Kinderbibel gleich Bibel – vorliegt. In ihrer Reaktion auf diesen Beitrag Jelkas verwendet die Lehrkraft ihrerseits die beiden Begriffe synonym (»ja ich weiß, dass viele Kinder äh oder einige Kinder auch die Kinderbibel zu Hause haben und darin schonmal gelesen haben […] aber ich habe sonst nichts dagegen, wenn ihr das auch noch mal in der Bibel nachlesen möchtet«1264). Als Anregung für ihre zu malenden Bilder verweist die Lehrkraft die Schüler_innen im weiteren Verlauf der Unterrichtseinheit auf eine »andere Kinderbibel«, welche sie im hinteren Teil des Klassenraumes ausgelegt hat (»Ich habe noch ne andere Kinderbibel, da sind auch noch schöne Bilder drin«1265, »auch dazu ist in der Kinderbibel da hinten […] noch was abgedruckt (-) also schöne (-) Bilder«1266, »ich habe da vorne noch ne andere Kinderbibel hingelegt […] wo […] zu jeder Plage noch ein kleines Bild abgedruckt ist«1267). Dass die Geschichte nicht nur in der (Kinder-)Bibel steht, aus welcher die Lehrkraft vorliest, sondern es weitere, anders gestaltete (mit »schöne[n] Bilder[n]«) Bibeln gibt, welche diese Geschichte ebenfalls beinhalten, löst bei den Schüler_innen keine erkennbaren Reaktionen der Irritation aus. Dieser Aspekt scheint bereits zu ihrem Konzept von Bibel zu gehören bzw. diesem nicht zu widersprechen. Zweimal ist zu beobachten, dass die Lehrkraft das von ihr Vorgelesene ergänzt und sich dabei auf eine weitere Quelle bezieht.

1260 III.7.TA.208, s. Tabelle 174, S. 400. 1261 III.11/12(a).TA.174, s. Tabelle 175, S. 400f. 1262 III.11/12(a).TA.478, s. Tabelle 171, S. 398; III.15.TA.295, s. Tabelle 342 im digitalen Anhang. 1263 III.4.TA.430, s. Tabelle 162, S. 370f. Neben Jelka gibt noch eine weitere Schülerin, Marlene, einen expliziten Hinweis darauf, dass sie das Erzählte aus der Bibel kenne bzw. Zugang zu einer solchen habe. Siehe hierzu Kap. 6.3.2. 1264 III.4.TA.431–434, s. Tabelle 162, S. 370f. 1265 III.5.TA.235, s. Tabelle 319 im digitalen Anhang. 1266 III.6.TA.266f., s. Tabelle 322 im digitalen Anhang. 1267 III.8.TA.173–175, s. Tabelle 328 im digitalen Anhang.

398 III.11/ 12(a).TA. 474

Die Analyse

Lehrkraft III:

»und sie da– nun schmeckte auf einmal das wasser

475 476

alle tranken sich satt kinder frauen und männer

477

(-) und auch alle tiere (-) und als sie endlich genug hatten füllten sie auch ihre krüge und zogen erfrischt weiter« ((unterbricht das Vorlesen)) (2.6) an einer anderen stelle nicht hier in der kinderbibel wird aber auch erwähnt

478 479 480

(- -) dass äh: (- -) sie an eine zweite wasserstelle kommen

481 482

(- - -) und dort ist ein riesieger felsen– (-) ((zu Sebastian)) kennst du das? weißst du wie das od/

483 484

Sebastian: Lehrkraft III:

ne ((unverst.)) achso (- -) und DA ist es so dass MOse mit seinem stab–

(1.1) mit seinem großen hirtenstab auf den felsen schlägt (- -) und dadurch eine quelle entsteht (-) also das wasser aus dem felsen rinnt Tabelle 171: III.11/12(a).TA.474–486 485 486

So erklärt die Lehrkraft – die Erzählung von der Versorgung der Israeliten mit Wasser in der Wüste unterbrechend –, dass »an einer anderen Stelle, nicht hier in der Kinderbibel« erwähnt werde, dass die Israeliten an eine zweite Wasserquelle kämen (III.11/12(a).TA.478–480). Woher diese Information genau stammt bzw. wo sich diese »andere Stelle« befindet, bleibt offen. In ihrer Erklärung dokumentiert sich jedoch der Hinweis, dass es weitere Quellen der Erzählung von Mose und den Israeliten neben der (vorliegenden) Kinderbibel gibt, welche ausführlichere oder zumindest andere Informationen beinhalten. Ähnliches signalisiert die Lehrkraft mit ihrer Bemerkung zur Bezeichnung des Meeres in der Erzählung über die Rettung der Israeliten vor ihren Verfolgern. III.13/14.TA. 359 360 361 362 363 364

Lehrkraft III:

äh:m ich muss jetzt noch mal eben–

Kommentar :

((Klatschsignal))

Lehrkraft III:

einen kleinen tipp geben (- - -) in die/ (- -) manchmal wird auch das ROte meer das ist ja da wo sie so wunderbar gerettet wurden

399

Unterrichtseinheit III

(Fortsetzung) 365

(-) ANders bezeichnet

366 367

(1.4) in anderen büchern– (-) steht nicht rotes meer sondern

368 369

((schreibt »SCHILFMEER« an die Tafel)) SCHILF_meer

370

(2.0) das muss da eingesetzt werden das ist bei (- - -) zwei waagerecht (- -) also nicht ROtes meer sondern SCHILFmeer

371 Tabelle 172: III.13/14.TA.359–371

Für die richtige Lösung eines an die Schüler_innen ausgeteilten Kreuzworträtsels gibt die Lehrkraft den Tipp, dass das Rote Meer »manchmal« anders genannt werde. Mit dem dieser Äußerung hinzugefügten Hinweis »in anderen Büchern« bestimmt sie die Herkunft dieser weiteren Bezeichnung näher. Es handelt sich wie bei der – den Schüler_innen aus dem Unterricht bekannten – Kinderbibel um eine bzw. mehrere schriftliche Quellen. Was dies genau für Bücher sind, wird dabei nicht thematisiert. Explizite Hinweise darauf, wie die Geschichte oder die Bibel, aus der sie vorgelesen wird, entstanden sei oder wer sie verfasst habe bzw. wer hier erzähle, lassen sich weder seitens der Lehrkraft noch in dem verwendeten Unterrichtsmaterial identifizieren. 6.3.3.3 Hinweise auf den Realitätsstatus des Erzählten Auch für diese Unterrichtseinheit ergibt die Analyse des Datenmaterials implizite und explizite Hinweise auf den Realitätsstatus des von der Lehrkraft Vorgelesenen und damit auch auf das Wesen des Erzählten, wie dies aufzufassen, wie damit umzugehen sei. Dass es sich bei dem über Mose und die Israeliten Gehörte um eine Erzählung im Sinne (fiktionaler) Prosa handelt, suggeriert zunächst die wiederholte Bezeichnung durch die Lehrkraft als »Geschichte«.1268 Aber auch die Erzählsituation, das Erzählsetting ähnelt dem beim Erzählen von anderen (fiktionalen) Geschichten (Kinderliteratur, Märchen etc.) wie etwa im Deutschunterricht: Die Lehrkraft liest mit einer sich von ihrem Sprechen in der Unterrichtskommunikation absetzenden Intonation vor (»Erzählerstimme«: betont, deutlich); es wird aus der mit bunten Illustrationen gestalteten Kinderbibel gelesen, die in ihrem

1268 Siehe hierzu Tabelle 300 im digitalen Anhang.

400

Die Analyse

Layout anderen den Schüler_innen vertrauten Kinderbüchern ähnelt; den Schüler_innen ist parallel zum Vorlesen das Malen gestattet. Ebenso weisen eine Reihe von Formulierungen der Lehrkraft, die sie im Zusammenhang mit dem Vorgelesenen nutzt, auf eine Rezeption des biblischen Textes als Geschichte mit einer einem Spannungsbogen folgenden Handlung (III.6.TA.270) und mehreren chronologisch zusammengefügten Erzählabschnitten (III.7.TA.248; III.11/12(a).TA.180; III.7.TA.208, III.11/12(a).TA.407, III.15.TA.49), welche einen Einleitungs-, Haupt- und Schlussteil konstituieren (III.6.TA.199; III.15.TA.235). III.6.TA. 199 […]

Lehrkraft III:

270 271

Lehrkraft III:

die geschichte ist noch lange nicht zuende […] (- -) so WÄHrend ihr jetzt MAlt– les ich noch mal ein bisschen weiter– (.) es kommt nähmlich noch zu einer ganz ganz spannenden stelle– (1.2) und dazu gibts dann in der NÄCHsten woche dann noch wieder ein BLATT–

272 Tabelle 173: III.6.TA.199, 270–272 III.7.TA. 207 208 […] 247

Lehrkraft III:

Lehrkraft III:

248 Tabelle 174: III.7.TA.207f., 247f. III.11/ 12(a).TA.173

Lehrkraft III:

(-) gut da geht es jetzt heute weiter– (- -) und zwar werde ich jetzt aus der (.) BIbel weitererZÄHLen […] (- - -) ok der teil vom letzten mal endet damit–

(-) äh in den letzten stunden war es oft so

174 175

dass ICH euch etwas vorgelesen habe– aus der kinderbibel–

176 177

(- -) wir machen das heute ein bisschen anders ihr bekommt von mir ein äh

178 179 180 […]

Kommentar : Lehrkraft III:

text ((greift hinter sich auf den Tisch und nimmt einen Stapel Arbeitsblätter)) die fortsetzung sozusagen– […]

401

Unterrichtseinheit III

(Fortsetzung) 407

Lehrkraft III:

und ICH werde (-) euch dann (.) die (.) geschichte (.) WEItererzählen– Tabelle 175: III.11/12(a).TA.173–180, 407 III.13/14.TA. Lehrkraft III: 495 Tabelle 176: III.13/14.TA.495 III.15.TA.49

Lehrkraft III:

(2.7) ich werde euch jetzt gleich die geschichte weitererzählen– […]

Lehrkraft III:

(-) vielleicht nicht die kinder die die geschichte schon gelesen haben (1.5) was vermutet ihr wie geht es aus

[…] 234 235 […] 268

(-) und dann werden wir auch schon zum ENde der mosegeschichte kommen

[…] (2.0) wie ihr schon vermutet habt (- -) geht die geschichte so wie elisa auch gerade sagte GUT zu ende Tabelle 177: III.15.TA.49, 234f., 268 Lehrkraft III:

Auch die Erklärung der Lehrkraft, dass die Geschichte »gut zu Ende« gehe (III.15.TA.268), stützt dieses Konzept, indem sie implizit auf ein »Happy End« deutet und damit auf ein klassisches Erzählschema in Form einer positiven Auflösung eines im Handlungsverlauf dargestellten Konflikts. Dieses begegnet den Schüler_innen auch in (Kinder-)Literatur und Film. Neben diesen – eine Rezeption des biblischen Textes als (fiktionale) Geschichte befördernden – Signalen sind auch solche Hinweise in der Unterrichtskommunikation zu beobachten, die den Schluss zulassen, dass es sich bei dem Besprochenen eher um reale Geschehnisse aus der Vergangenheit handelt. Hierzu gehören Äußerungen der Lehrkraft in den Phasen des Gesprächs über die biblische Erzählung, mit welchen eine zeitliche Einordnung der darin enthaltenen Ereignisse in der Vergangenheit vorgenommen wird, ohne erkennbar zwischen Echtzeit und erzählter Zeit zu unterscheiden. III.4.TA. 150 151 152 153

Lehrkraft III:

so und jeder versucht sich jetzt mal so ein bisschen noch in seine ROLLE hiNEINzuversetzen ihr seid also nicht (1.9) äh (.) 2014 schüler der klasse 3x in ortsbezeichung SONdern ihr seid vor VIELen VIELen tausend jahren

402

Die Analyse

(Fortsetzung) 154

das volk ISrael (- -) dem es WIRKlich NICHT gut geht in ägypten

155

(.) und (.) ihr seid ((zur anderen Gruppe)) pharao und (-) minister (-) denen es WIRKlich sehr gut geht

156 Tabelle 178: III.4.TA.150–156

Die erste temporale Verortung des Inhalts der Exodus-Erzählung nimmt die Lehrkraft innerhalb ihrer Einführung des Rollenspiels vor. Sie bittet die Schüler_innen, sich in das Volk Israel sowie in den Pharao und dessen Minister »vor vielen vielen tausend Jahren« hineinzuversetzen (III.4.TA.150–153).1269 An dieser Stelle bleibt offen, ob die Lehrkraft die erzählten Geschehnisse mit dieser Zeitangabe als reale Ereignisse in der Echtzeit verortet, oder als Elemente einer fiktionalen Erzählung bestimmt, die nur zum besagten Zeitpunkt spielen. Diese Einordnung wird in ihrem zweiten Hinweis am Ende der Stunde deutlicher. III.4.TA. 435 436

Lehrkraft III:

kira

Kira:

(- -) die ARmen ARmen kinder

437 438

Lehrkraft III: uk:

(-) JA GRAUsam (.) ja

439 Lehrkraft III: Tabelle 179: III.4.TA.435–439

aber (-) sowas gab es wirklich zu früheren zeiten

In ihrer Reaktion auf die Äußerung Kiras zum Auftrag des Pharaos, die männlichen Neugeborenen der Israeliten zu töten, bekräftigt die Lehrkraft trotz (»aber«) der von ihr eingeräumten Grausamkeit des Geschehens dessen Tatsächlichkeit »zu früheren Zeiten« und verortet dies damit als realgeschichtliches Ereignis zu einem nicht genauer bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit (III.4.TA.437, 439). III.15.TA. 152 153

Lehrkraft III: Sebastian:

(13.9) was ist denn vielleicht mit leuten die anderen leuten was wegnehmen (- - -) ah:

154 155

Lehrkraft III: Sebastian:

(- -) sebastian DIEbe

1269 Siehe Kap. 6.3.1.2, »Erzählung II (Rollenspiel)«.

403

Unterrichtseinheit III

(Fortsetzung) 156

Lehrkraft III:

157 Tabelle 180: III.15.TA.152–157

oder räuber gabs doch mit sicherheit auch zu DER zeit schon

Ähnliches suggeriert ihre Ergänzung eines Schülerbeitrags zur Frage, welche Gefahren es in der Wüste für die Israeliten gebe (III.15.TA.156f.). Mit der Betonung des bestimmten Artikels (»der Zeit«) verstärkt die Lehrkraft den Verweis auf den Zeitpunkt oder Zeitraum, zu welchem die Israeliten sich vermeintlich in der Wüste befanden. Das ergänzte Adverb »schon« setzt die unausgesprochene Annahme eines »Noch-Nicht«, eines vorher anderen Zustandes implizit voraus. Es wird damit auf einen Zeitpunkt hingedeutet, der so weit in der Vergangenheit liegt, dass man ein »Noch-Nicht«, eine Nichtexistenz von Räubern annehmen könnte. Auch die Verwendung von Temporaladverbien wie »damals« oder »früher« (im Unterschied zu »heute« und »heutzutage«) beim Sprechen der Lehrkraft über die vorgelesenen Geschehnisse implizieren einen Bezug auf Ereignisse der vergangenen Realgeschichte (III.5.TA.81; III.7.TA.423; III.15.TA.103) III.5.TA. 80 81

Lehrkraft III:

(1.3) das DAmals

82 83 Tabelle 181: III.5.TA.80–83 III.7.TA. 420 421

Lehrkraft III:

103

(2.2) abraham (1.6) dem abraham versprochen wurde–

ja wie so ne beule ne? (2.1) und das sind (.) auch (.) hauterkrankungen gewesen die es heutzutage auch nicht mehr gibt

422 423 Tabelle 182: III.7.TA.420–423 III.15.TA. 102

JA ganz genau weiß noch jemand wie das land heißt?

Lehrkraft III:

(-) aber aus hygienischen gründen– gab es früher öfter solche krankheiten

das ist der (-) SEgen den der pastor oder die pastorin immer am ENde eines gottes dienstes spricht (- - -) so wie es DAmals Aa:ron als ERster priester sozusagen gesprochen hat

404

Die Analyse

(Fortsetzung) 104

(- -) wird das heute in JEdem gottesdienst am ende des gottesdienst JEdem

Tabelle 183: III.15.TA.102–104

Eine ähnliche Wirkung erzeugt auch das Temporaladverb »heute« bzw. »heutzutage«, wenn es wie in den im Folgenden aufgeführten Äußerungen kontrastiv zu einem impliziten Zeitpunkt in der Vergangenheit gebraucht wird (siehe auch oben III.7.TA.421; III.15.TA.104). III.8.TA. 92

Lehrkraft III:

93

(-) und ich kann euch sagen auch HEUte wird das passahfest noch gefeiert– (…)

94 (…) III.9.TA. 69 70

da müssen wir noch mal drüber reden wie das so HEUte noch ist weil gott hat ja auch gesagt ((blickt auf die aufgschlagene Neukirchener Kinder-Bibel neben ihr)) »und so soll es von nun an jedes JAHR sein«

Lehrkraft III:

genau und auch ha/ heute hat das passahfest eine ganz ganz große beDEUtung (-) für (.) äh das äh jüdische volk–

71 es wird auch HEUte noch gefeiert Tabelle 184: III.8.TA.92–94, III.9.TA.69–71

Verstärkt wird diese Wirkung durch die Kombination mit den Adverben »noch« und »auch«, welche den Bezug auf einen vergangenen Zeitpunkt, zu dem das Geschilderte sich ebenfalls ereignete, zusätzlich hervorhebt. Weitere Hinweise auf den Realitätsstatus des Vorgelesenen gibt das bereits oben in der Analyse der Unterrichtseinheit II erörterte, sprachliche Motiv des Erinnerns1270, welches auch hier im Kontext der Thematisierung des Passahfests zu beobachten ist. Die Lehrkraft liest den Schüler_innen einen fiktiven Brief eines israelitischen Jungen an seinen Brieffreund in Deutschland vor, in welchem er den Ablauf des Passahfestes erklärt. III.9.TA. 118

Lehrkraft III:

(-) DAN ist ein junge– der wohnt in ISrael und DAN–

119 120 121 122

(- -) ICH möchte euch (-) von DAN erzählen

Mia:

1270 Siehe oben Kap. 6.2.1.2, 6.2.3.3.

[(- - -) ist ((nickt Mia zu)) genau] [(- -) ist auch maries bruder]

405

Unterrichtseinheit III

(Fortsetzung) 123

Lehrkraft III:

[(- - -) ja genau]

124 125

Marie: Lehrkraft III:

[der wird genauso wie mein bruder geschrieben?] [(-) ja]

126 127

Marie: Lehrkraft III:

[(-) mit zwei a’s?] NEIn nur mit einem (- - -) er wohnt in israel

129

und hat einen FREUnd in deutschland der heißt bernd– und diesem bernd hat er einen BRIEF geschrieben

130 131

und den lese ich euch vor (1.2) ((beginnt zu lesen)) »lieber bernd«

132 133

(1.8) ((unterbricht sich)) also tel aVIV– (- -) das ist die größte stadt in israel den zehnten märz

134

(- - -) wir haben jetzt erst den vierten märz aber das macht nichts ((setzt das Vorlesen fort)) »lieber bernd (- -) heute will ich dir endlich von meinem LIEBlingsfest schreiben es ist das PESSachfest […]

128

135 136 […] 173 174

(.) immer der jüngste muss fragen (1.3) ›was unterscheidet DIEse nacht von allen anderen nächten‹

175

(- -) ›warum essen wir in DIEser nacht ungesäuerte BROte‹ (-) ›warum essen wir in dieser nacht bittere kräuter‹

176 177

(-) ›warum tauf/ tauchen wir in dieser nacht unsere kräuter in salzwasser‹« (2.3) ((unterbricht das Vorlesen)) BITtere kräuter (.) SALZwasser (.) UNgesäuertes BROT

178 179 180 181 182

Kommentar : Lehrkraft III:

(1.8) ist das eigentlich ein festessen? ((einige SuS verneinen andere bestätigen die Frage der Lehrkraft, sie murmeln durcheinander)) (- -) »als ANtwort erzählt vater eine geschichte (- - -) »SKLAven waren unsere vorfahren im lande ägypten

183 184

(-) der pharao bedrückte sie hart (-) an diese bittere zeit denken wir wenn wir jetzt DIE–

185

(- -) BITTerkrätuer essen«

406

Die Analyse

(Fortsetzung) 186

((unterbricht das Vorlesen)) (- -) BITTerkräuter (-) BITTere zeit

187

(- - -) ((setzt das es Vorlesen fort)) »und an die vielen TRÄ:nen wenn wir das gemüse in salzwasser tauchen« ((unterbricht das Vorlesen)) (- -) nämlich unsere tränen sind?

188 189 190

Sebastian: uk:

(-) salzig salzwasser

191

Lehrkraft III:

genau (- - -) ((leist weiter vor)) »wir denken SO daran als wenn wir SELBST dabei gewesen sind (-) wir mussten ZIE:gel (-) aus BRAUnem (.) LEHM formen

192 193

(- - -) an diesen lehm erinnert uns?« ((unterbricht das Vorlesen und blickt auffordernd in die Runde)) (1.9) marie

194 195 196

Marie: Lehrkraft III:

((fordert zwei Schüler auf die Plätze zu tauschen, um zwei Schüler, die sich gegenseitig ablenken, zu trennen)) ((setzt das Vorlesen fort)) »an DIEsen lehm erinnert uns–«

197 198 199

((unterbricht das Vorlesen)) was erinnert uns wohl an da/ den LEHM aus dem die ZIEgel gemacht wurden (.) melina

200 201

Melina:

202

Lehrkraft III:

(…) 211

Lehrkraft III:

212 213 214 215 (…)

matzen (-) n::ein–

((deutet auf das Schälchen mit Fruchtmus auf dem Tisch in der Mitte)) (das da) ja genau das braune MUs (- -) »aber der pharao hörte nicht auf mose im GEgenteil (-) er ließ uns noch HÄRter arbeiten (.) wir SCHRIEn in unserer not zu gott (.) er befreite uns und den PHArao und die/ ägypter bestrafte er hart (-) DAS geschah in dieser nacht (-) in der (.) PESSACHnacht« ((setzt leiser hinzu)) oder in der passahnacht

407

Unterrichtseinheit III

(Fortsetzung) 240

Lehrkraft III:

(5.2.) ((setzt das Vorlesen fort)) »wenn wir eine pause machten müde und hungrig–

241 242

dann buken wir uns mit dem BROTteig (- -) BROte und aßen sie

243 244

es waren UNgesäuerte BROte (( blickt Liam und Jonas ermahnend an (9.04) ))

245

MATzen (-) seitedem essen wir IMMER wenn wir an pessach an den auszug aus ägypten denken (2.0) ungesäuerte brote

246 247 248

(-) und seht der knochen da auf der schüssel der erinnert uns an das LAMM das unsere väter damals geschlachtet und gegessen hatten

249 (-) so erzählt vater« Tabelle 185: III.9.TA.118–136, 173–202, 211–215, 240–249

Der Antwort des im Brief benannten Vaters auf die Fragen des jüngsten Sohnes geht zunächst eine Einordnung dieser Antwort als »Geschichte« voraus (III.9.TA.181). Auf dem Textblatt, von welchem die Lehrkraft abliest, ist der gesamte nachfolgende Abschnitt, die Geschichte des Vaters, durch Anführungszeichen visuell markiert. Dies ist für die Schüler_innen aus ihren Sitzpositionen nicht zu sehen. Auch intonatorisch setzt sich dieser Teil nicht von dem zuvor und danach Gelesenen der Lehrkraft ab. Das den Schüler_innen bereits aus dem Vorlesen aus der Kinderbibel bekannte Geschehen wird mittels der Formulierungen »denken an« und »an etwas erinnern« in Verbindung mit der in den Zeitformen der Vergangenheit formulierten Beschreibung dessen, was erinnert wird, als Erinnerung des Vaters an Erlebnisse seiner Vorfahren markiert (III.9.TA.181, 184, 191, 193, 198). Im Text enthaltene Aussagen wie »wir denken so daran, als wenn wir selbst dabei gewesen sind« oder »Seitdem essen wir immer […]« implizieren wie das genannte Erinnern bestimmter Sachverhalte, dass es tatsächlich Geschehnisse gegeben haben muss, bei denen man anwesend hätte sein können, die Auslöser für bestimmte Rituale gewesen wären und an die sich nun erinnert werden könne. Die Lehrkraft übernimmt die Formulierung »sich/jemanden an etwas erinnern« in der – im zweiten Teil der Doppelstunde erfolgenden – Wiederholung der Bestandteile des Passahmahls (»Woran erinnert das?«1271, »Woran erinnert man sich?«1272, »Woran erinnert der?«1273) und führt so die Implikation eines 1271 III.10.TA.41, s. Tabelle 330 im digitalen Anhang. 1272 III.10.TA.56, s. Tabelle 330 im digitalen Anhang.

408

Die Analyse

Rückverweises auf tatsächlich Vergangenes fort, da keine gegenteiligen, diese Deutung ausschließenden Hinweise erfolgen. Auch auf dem an die Schüler_innen im Anschluss ausgeteilten Arbeitsblatt wird das sprachliche Motiv des Erinnerns genutzt (»Das Passafest erinnert die Juden bis heute an die Auszug aus Ägypten.«, »bittere Kräuter – erinnern an die schlechte Zeit«, »Salzwasser – erinnert an die vergossenen Tränen«).1274 Dabei wird die implizite Verortung der Geschehnisse in der (realen) Vergangenheit zunächst aufrechterhalten, mit der Erklärung, dass »der Vater […] die Geschichte vom Auszug aus Ägypten« erzähle, wird von den Geschehnissen dann aber wieder als Inhalt einer fiktionalen Erzählung gesprochen. In der nächsten Doppelstunde wird während der Wiederholungsphase die Formulierung »an etwas erinnern« auch von den Schüler_innen genutzt (»der rote Wein erinnert ja an das Blut, das Salz erinnert glaub ich an die bitteren Zeiten«1275, »wir haben Salzwasser, das erinnert an die bittere Zeit, äh ähm ne ja an Tränen die vergossen wurden von den Müttern und den Kindern«1276). Ein Hinweis darauf, dass es sich bei den zu erinnernden Ereignissen um Inhalte einer Geschichte handele, findet sich weder in ihren Äußerungen noch in denen der Lehrkraft. Eine letzte Art von impliziten Hinweisen auf den Realitätsstatus der erzählten Begebenheiten der Exodus-Erzählung zeigt sich in der Analyse der Erklärungen der Lehrkraft zu dem von ihr vorgelesenen Abschnitt, in welchem von der Versorgung der Israeliten mit Wachteln und Manna erzählt wird. III.11/ 12(a).TA. 507 508

Lehrkraft III:

(- -) »die leute sahen mose ungläubig an (-) fleisch und brot in der wüste (.) wie sollte das zugehen

509 510

gespannt warteten sie auf den abend da zog plötzlich eine dunkle wolke auf

511 512

(-) sie kam näher und näher (-) ein riesiger schwarm von vögeln flog auf das lager zu

513 514

(-) und ließ sich zwischen den zelten nieder (- -) es waren WACHteln

515

(- -) große– fette– schwarze–« ((unterbricht das Vorlesen und blickt erwartungsvoll in die Klasse))

1273 III.10.TA.63, s. Tabelle 330 im digitalen Anhang. 1274 Dieses von der Lehrkraft erstellte Arbeitsblatt kann hier aus urheberrechtlichen Gründen nicht in Gänze abgedruckt werden. 1275 Phillip, III.11/12(a).TA.42f., s. Tabelle 332 im digitalen Anhang. 1276 Marie, III.11/12(a).TA.80–82, s. Tabelle 333 im digitalen Anhang.

409

Unterrichtseinheit III

(Fortsetzung) 516

uk:

(3.5) ((leise)) vögel

517 518

Lehrkraft III: Jonas:

(1.1) jonas vögel

519

Lehrkraft III:

520

ganz genau (-) kennt jemand ne wachtel hat jemand schonmal ne wachtel (- -) geSEHen oder davon gehört?

[…] 528

[…] (- -) wachteln sind ZUGvögel (-) was bedeutet das

529 530

(2.7) maya wenns bei uns winter wird dann ähm

Maya:

(-) fliegen die in den süden wo es wärmer ist und wenns da wieder winter wird dann fliegen die wieder zurück wo es warm ist

531 532

(-) das ist auch eine erklärung dafür dass da plötzlich über der wüste auch vielleicht so viele VÖgel waren weil 534 (.) sie (.) als zugvögel da in die region gekommen sind 535 (- - -) ((setzt das Vorlesen fort)) »schnell packten die israeliten zu– 536 (.) schlachteten die vögel (.) rösteten sie über dem feuer und aßen sie auf« Tabelle 186: III.11/12(a).TA.507–520, 528–536 533

Lehrkraft III:

Die Lehrkraft unterbricht das Vorlesen und geht näher auf die Art der im Text benannten Vögel ein. Sie betont, dass es sich um »Zugvögel« handele, und schließt an die Erläuterung Mayas zu den Eigenschaften dieser Vogelart an, dass dies »auch eine Erklärung dafür« sei, »dass da plötzlich über der Wüste auch vielleicht so viele Vögel waren« (III.11/12(a).TA.533). Indem sie mit den Worten »plötzlich« und »so viele« einerseits markiert, dass dieses – von ihr in der Vergangenheit verortete (»waren«) – Phänomen außergewöhnlich, verwunderlich sei und andererseits eine gewöhnliche und nicht verwundernde Erklärung hierfür aufzeigt, impliziert die Lehrkraft, dass sie von einer tatsächlichen Begebenheit spricht. Denn die Notwendigkeit einer plausiblen Erklärung bestünde nicht, wenn es sich bei dem Erscheinen von Wachteln in der Wüste um ein Ereignis in einer fiktionalen Geschichte handeln würde. Auch das – eine gewisse Unsicherheit über das Erscheinen einer solchen Menge an Vögeln andeutende – Adverb »vielleicht« suggeriert ein Sprechen über ein wirkliches Geschehen, da eine Einschränkung der Gewissheit zum Ablauf fiktiver Ereignisse nicht nötig wäre bzw. nicht plausibel erscheint.

410 III.11/ 12(a).TA. 539

Die Analyse

Lehrkraft III:

»WAS sahen sie da:

541

(-) auf der erde lagen lauter kleine (.) weiße (.) runde (.) körner (-) ›was ist das‹ fragten sie einander erstaunt

542 543

(- - -) ›das ist MANna‹ antwortete mose es ist das BROT das gott euch geschenkt hat«

544

((unterbricht das Vorlesen)) (- - -) wie KAmen diese KLEInen weißen runden KÖRner in die wüste ((meldet sich))

540

545

Elisa:

546

Lehrkraft III:

547

Elisa:

548 549

Lehrkraft III:

[ihr müsst euch die] wüste eben nicht NUR als sandwüste vorstellen [((nimmt Wortmeldung zurück))] (-) natürlich gab es da auch KLEIne gebirge es gab FELsen und es gab auch (-) gestrüpp (2.3) und weiß jemand wo dieses manna (- - -) herkam (7.7) ((deutet auf Fabian, als dieser beginnt eine Wortmeldung anzuzeigen))

550 551 552

Kommentar :

553

Fabian:

554 555

Lehrkraft III:

556 557

((Elisa zeigt nahezu zeitgleich zu Fabian eine Wortmeldung an)) von ner pflanze? ganz genau (-) von einem bestimmten STRAUCH– (2.0) der eine flüssigkeit absondert– (1.4) und daraus entstanden diese kleinen weißen kügelchen die dann am MORgen nach einer kalten nacht– (.) auf dem boden lagen

Tabelle 187: III.11/12(a).539–557

Ein ähnliches Vorgehen und die damit verknüpfte Einordnung des Vorgelesenen als historische Begebenheit ist im weiteren Verlauf der Unterrichtsinteraktion hinsichtlich der Erzählung über das Manna zu beobachten.1277 Wie bei der Passage über das »plötzlich[e]« verwunderliche Erscheinen der Wachteln greift die Lehrkraft auch an dieser Stelle möglichen Rückfragen der Schüler_innen zum Erscheinen des besonderen »Brot[es]« vor und befragt diese selbst dazu (III.11/12(a).TA.544). Dabei geht sie zunächst nicht auf die hierzu angezeigte Wortmeldung einer Schülerin ein, sondern ergänzt eine nähere Beschreibung 1277 Eine detaillierte Darstellung der Analyse dieser Szene ist im Rahmen der komparativen Analyse aller drei Datensätze dargelegt. Siehe hierzu Kap. 6.4.3.2.

411

Unterrichtseinheit III

der physiografischen Bedingungen der Wüstenlandschaft (III.11/12(a).TA.545– 549). Die Lehrkraft nutzt hier wie auch für ihre vorangegangene Frage die Vergangenheitsform. Nach einem erneuten Fragen, »wo dieses Manna herkam« (III.11/12(a).TA.550), wartet sie Wortmeldungen der Schüler_innen ab und ruft dann Fabian auf. Dieser signalisiert mit der fragenden Intonation seiner Antwort (»von ’ner Pflanze?«), dass es sich um eine Vermutung handele bzw. bei ihm eine diesbezügliche Unsicherheit bestehe (III.11/12(a).TA.553). Die Lehrkraft validiert Fabians Vermutung und fügt eine Erklärung der Entstehung der »kleinen weißen Kügelchen« an (III.11/12(a).TA.554–557). Auch in dieser Szene wird mittels einer plausiblen Erklärung eines durch die verwendete Zeitform in der Vergangenheit verorteten Geschehens eine Tatsächlichkeit suggeriert, da eine solche Erklärung bei einem fiktiven Ereignis nicht notwendig wäre.

6.3.3.4 Fragen und Äußerungen der Schüler_innen zu dem Erzählten Die Analyse der Unterrichtskommunikation hinsichtlich Fragen oder Kommentaren der Schüler_innen zu den von der Lehrkraft vorgelesenen Abschnitten der Exodus-Erzählung zeigt, dass sich diese nur selten von sich aus zu dem Gehörten äußern. Hierzu zählen spontane Äußerungen während des Vorlesens oder im direkten Anschluss daran, welche eine emotionale Anteilnahme der Schüler_innen an der erzählten Handlung implizieren (III.4.TA.327; III.4.TA.418f.; III.4.TA.436; III.6.TA.181). III.4.TA. 323 324

Lehrkraft III:

(-) sie durchsuchten ALle winkel und wo sie einen neugeborenen fanden rissen sie ihn von seiner mutter los

325 326 327 328

((liest weiter vor)) »sie drangen in die häuser ein

(-) und nahmen ihn mit (1.4) DA half kein betteln und weinen (.) die soldaten taten was der könig befohlen hatte» Jonas: Lehrkraft III:

(2.9) UNfair (- -) das sagst DU jetzt jonas

329 330

(.) es wäre schön wenn du dich auch MELdest (1.8) möchte NOCHjemand was dazu sagen

331 […]

(7.1) worauf HOFFen aber die israeliten DENNoch […]

413 414

Lehrkraft III:

(- -) »NUN musste sie es nicht mehr verstecken (.) AUCH nicht vor den soldaten des königs« (beendet das Vorlesen)) (3.4) singet dem herren ein neues lied denn er tut–

412

Die Analyse

(Fortsetzung) 415

Maya:

((leise)) wunder

416 417

Lehrkraft III:

wunder (- - -) elisa

418

Elisa:

frau ((Name der Lehrkraft)) wei_eil wenn die soldaten das WEGnehmen würden dann würde sich die tochter des pharao GANZ schön AUFregen dann würde der vater MÄCHtig ärger kriegen aber sehr((unverst.))

420 […]

Lehrkraft III:

genau […]

434

Lehrkraft III:

(- -) Aber ich hab sonst nichts dagegen wenn ihr das auch noch mal in der bibel nachlesen möchtet kira

Kira: Lehrkraft III:

(- -) die ARmen ARmen kinder (-) JA GRAUsam

419

435 436 437

438 uk: (.) ja 439 Lehrkraft III: aber (-) sowas gab es wirklich zu früheren zeiten Tabelle 188: III.4.TA.323–331, 413–420, 434–439

III.6.TA. 159 160 161

Lehrkraft III:

(- - -) »da brachten die mädchen MOse zu ihrem vater ins zelt (- -) und MOse BLIEB bei ihm und wurde sein hirte (-) als DANK gab ihm reguel SEIne tochter zippora zur frau

162 163

(- - -) VIEle jahre blieb mose im land midian bei seiner FRAU und dem SOHN den sie ihm schenkte

164

(-) ER hatte sein volk in ägypten (.) fast schon vergessen (-) aber GOTT (-) verGAß sein volk nicht (-) und er verGAß auch MOse nicht« ((beendet das Vorlesen))

165 […] 181

Melanie:

182

Lehrkraft III:

183

[…] das ist doof für die anderen mädchen weil EINS bekommt (-) den mose (-) ja aber das wissen die ja in DEM moment noch NICHT wo der streit ist (- -) das hat sich ja erst dann hinterher ergeben

184 (3.8) elisa Tabelle 189: III.6.TA.159–165, 181–184

413

Unterrichtseinheit III

Zwei der Schüler_innen äußern im Anschluss an das erste Vorlesen der Lehrkraft, dass ihnen »die Geschichte«1278 (»das«) bereits bekannt sei. Dabei weist Jelka auf ein selbstständiges Lesen in einer ihr selbst gehörenden (»meiner«) Bibel hin (III.4.TA.430). Liam dagegen gibt seinen älteren Bruder Finn als Quelle seines Vorwissens an (III.4.TA.440, III.13/14.TA.203). III.4.TA. 428

Lehrkraft III:

(-) aber vielleicht möchte jemand von euch noch was zu dem vorgelesenen

429 430

(- -) kurz sagen (.) jelka ich hab die geschichte schonmal gelesen in meiner bibel

Jelka:

431

Lehrkraft III:

(-) ja ich weiß dass viele kinder äh oder einige kinder auch die kinderbibel zu hause haben

III.4.TA. 440 441

Liam:

ich kenns auch von finn ((meldet sich))

Lehrkraft III:

liam

442

Liam:

443

Lehrkraft III:

ich kenn das auch weil (.) finn hat mir das alles verraten schon die hatten das schon

444 445

Liam: Lehrkraft III:

ja ja (- -) ich hoffe er hat nicht zuviel verraten

446

Liam:

447

Lehrkraft III:

nö er hat nur äh wie er da was das bedeutet und wie der (heißt) ((nickt)) hm`_hm’ (.) sebastian wolltest du noch was sagen zur geschichte?

Tabelle 190: III.4.TA.428–447

Liam ist der einzige der Schüler_innen, der auch im weiteren Verlauf der Unterrichtseinheit verbal und nonverbal erneut signalisiert, dass er die von der Lehrkraft vorgelesene Erzählung kenne. Dabei bleibt Umfang und Inhalt seines Vorwissens weitestgehend unbestimmt, da die Lehrkraft seine Versuche, seine Kenntnisse zu schildern, mit dem Hinweis unterbricht, »nicht so viel« zu verraten (III.13/14.TA.228, 267). III.13/14.TA. 199 200 201

Lehrkraft III:

((klappt die Kinderbibel zu)) ich hab gemerkt liam dass dir das nicht ganz unbekannt war was ich gerade vorgelesen habe habt ihr das auch im kommunionunterricht [(-) besprochen? oder woher weißt du das]

1278 Von den Schüler_innen bezeichnet nur Jelka das von der Lehrkraft Vorgelesene und anschließend gemeinsam Besprochene als »Geschichte« (einmalige Benennung).

414

Die Analyse

(Fortsetzung) 202

Liam:

[(-) nein (- - -) nein]

203 204

Lehrkraft III:

finn hatte das auch schon– ((nickt)) hm’_m`_m’

205

Liam:

206

Lehrkraft III:

207

(1.4) das ist auch ein vertrag den gott mit dem volk israel (1.7) gemacht hat

208 […] 224

und da hab ich in die mappe geguckt und da hatte er die hatte er das auch drin stehen JA die zehn gebote

Lehrkraft III:

[…] SO:: (- -) dies blatt eignet sich auch dazu das noch schön bunt zu gestalten– die buchstaben da oben anzumalen– das dürft ihr jetzt machen Und ich erzähl euch mal eben weiter ob sich das volk israel denn an diese regeln auch WEIter hält

225 226

((schüttelt den Kopf und meldet sich)) ähm liam verrat mal lieber nicht so viel ich merke schon (.) du bist da schon gut informiert

227 228

Liam: Lehrkraft III:

[…] 259

Lehrkraft III:

[…] wir wollen auch solch ein standbild haben DAS wollen wir auf dem weg vor uns hertragen

260 261

Liam:

DANN kann uns kein unglück geschehen ((zieht mit offenem Mund deutlich hörbar Luft ein und macht große Augen))

262 263

Lehrkraft III:

ja du reagierst schon so heftig [(-) liam]

264 265

Liam:

[die (- -) die machen] sich dann ein:: die bauen sich dann halt ein

266 267

Lehrkraft III:

[NEUen/] [ne WAS sie bauen sollst du noch nicht verraten]

268 A_ber wie verHALten sie sich jetzt 269 (- -) marie Tabelle 191: III.13/14.TA.199–208, 224–228, 259–269

Auch Marlene signalisiert in ihrer Argumentation zur Frage nach der Farbe des Roten Meeres, dass ihr – zumindest für den Abschnitt über die Rettung der Israeliten am Roten Meer – die Bibel als Quelle des Erzählten vertraut sei (III.11/ 12(b).TA.52f., 55).

415

Unterrichtseinheit III

III.11/ 12(b).TA. 50

Marlene:

(- -) weil ein bisschen rot ist es wirklich

51

Kira:

52

Marlene:

(1.2) ((zu Marlene)) ich habe eben nur (mal gehört) dass das rote meer einfach nur so blau ist (2.3) in der BIbel wirds ja wohl STIMMEN

53 54

Kira:

als überschrift stand »das rote meer« und da drunter war ein LEICHT rotes MEER (1.9) in ner kinderbibel? ((schaut prüfend zu Marlene))

55 Marlene: (- - -) erWACHSenenbibel 56 Kira: ((nickt leicht)) Tabelle 192: III.11/12(b).TA.50–56

In den Wortbeiträgen der Schüler_innen finden sich kaum Hinweise darauf, welchen Realitätsstatus sie dem von der Lehrkraft Vorgelesenen zuschreiben. In der Nachbesprechung des Erzählabschnitts, in welchem geschildert wird, wie Mose einen ägyptischen Aufseher erschlägt, beschreibt Sebastian in seinem Beitrag das Gehörte implizit als Geschehnis in der Vergangenheit. Auf Jonas’ Stellungnahme hin, dass man »eigentlich« niemanden schlagen dürfe (III.6.TA.15f.), erklärt Sebastian, dass dies »heute« so wäre, »die« jedoch »früher« »da immer nicht so drauf geachtet« hätten (III.6.TA.18, 20f.). Mittels der Temporaladverbialen »heute« und »früher« stellt er die von den Anwesenden geteilte Gegenwart einer Zeit in der Vergangenheit gegenüber, in welcher andere Verhaltensregeln galten und der er das vorgelesene Geschehen zuordnet. Dabei bleibt offen, ob er davon ausgeht, dass sich das Vorgelesene tatsächlich zu dieser Zeit ereignete oder nur zu dieser Zeit spielt. III.6.TA. 4 5

Lehrkraft III:

6 7 8 9

und andererseits was NICHT so gut erzähl noch mal eben Jonas:

10 11

Lehrkraft III:

12

Jonas:

13

ALso jonas vielleicht kannst du noch mal eben kurz erzäheln wa(.)RUM es einerseits (.) GUT war (.) dass mose eingegriffen hat–

ähm:: es war gut weil: er hat die SKLAven (-) ähm also nicht DEN sklaven es gibt ja noch ME:HR (-) davon (.) ähm den sklaven gerettet (.) der wär ja wahrscheinlich tot gewesen (-) ((nickend)) m`_hm’ es war NICHT so gut weil wenn der pharao das erfährt (- - -) ähm dann ist er selber (- -) tot

416

Die Analyse

(Fortsetzung) 14

Lehrkraft III:

(-) ((nickend)) m`_hm’

15

Jonas:

und (- - -) man DARF eigentlich auch keine SCHLAgen (-) das ist

17 18

Lehrkraft III: Sebastian:

(- - -) ja (-) heute

19 20

Jonas: Sebastian:

(2.0) was? HEUte darf man keine mehr schlagen

Lehrkraft III:

(-) früher haben die doch da immer nicht so drauf geachtet m`m’ AUch ne wichtige sache wär aber schön wenn du dich eben meldest wenn du so etwas wichtiges sagen willst

16

21 22

23 Tabelle 193: III.6.TA.4–23

(- - -) tarek was wolltest du dazu sagen

Wie schon innerhalb der Analyse des Einstiegs in die Unterrichtseinheit dargelegt (s. Kap. 6.3.1.2) erinnert sich Liam während der Thematisierung der einzelnen Gesellschaftsschichten im Alten Ägypten an die biblische Person Josef und an das, was er über dessen sozialen Aufstieg – zu einem früheren Zeitpunkt im Schuljahr – gehört hat. III.3.TA. 55 56

Lehrkraft III:

(1.2) ich hab auch ne frage an euch was bedeutete das denn wenn:: ähm

57 58

(- -) wenn ich jetzt zum beispiel hier unten in der ((zeigt auf das Plakat)) schicht der SKLAven geboren wurde

59 60

(-) hatte ich da IRgendwie ne CHAnce (- - -) da aus meiner (.) SCHICHT rauszukommen?

61 62

Jonas:

dass ich irgendwann mal (.) auch pharao werden könnte? (- - -) eigentlich nein

63 64

Liam: Marlene:

[((leise)) aber/ aber beim] [(- - -) ähm:]

65 66

Liam: Jonas:

josef– (- -) weil (- - -) das ist

Marlene:

[(- -) eigentlich unmöglich weil sklaven bleiben sklaven] [(2.1) pharao könnte man]

67 68

417

Unterrichtseinheit III

(Fortsetzung) (- - -) KÖNNte man nicht werden aber

69 70 71

Liam:

vielleicht irgendwas anderes ((flüstert)) ich kenn einen der hat es geschafft

72 73

Kira:

[(9.0) ((noch leiser flüsternd)) ich kenn einen/] [(8.9) sebastian]

74 75

Sebastian: Marlene:

(- -) ähm (- - -) oh man (- -) vergessen liam–

76

Liam:

(-) eigentlich ist das ja NICHT unmöglich ich KENN einen der es geschafft hat [(1.1) vielleicht]

77 78 Jonas: 79 Liam: Tabelle 194: III.3.TA.55–79

[(1.2) wer?] (-) ich weiß/ ähm: vielleicht war es josef ?

Indem Liam Josef als positives Beispiel für die Möglichkeit anführt, aus der Schicht der Sklaven zur gesellschaftlichen Position des Pharaos aufzusteigen (»ich kenn einen der es geschafft hat« (III.3.TA.71, 76)), impliziert er die Annahme, dass es sich bei Josef um eine reale, historische Person und bei dem über ihn Gehörten um wirkliche Ereignisse in der Vergangenheit handelt, da es nicht plausibel erscheint, die Frage nach der Chance des sozialen Aufstiegs in der Gesellschaft des Alten Ägyptens mit den Erlebnissen einer fiktiven Figur belegen zu wollen. Weitere Hinweise auf Aspekte des Konzepts von der biblischen Erzählung einzelner Schüler_innen erbringt die Analyse nicht. Rückfragen zu dem von der Lehrkraft Vorgelesenen, sind seitens der Schüler_innen über die gesamte Unterrichtseinheit nur in zwei Situationen zu beobachten: Im Anschluss an die Erzählung der zehn Plagen bekommen die Schüler_innen ein Arbeitsblatt, auf welchem sie die Plagen jeweils bildlich darstellen sollen. An dieser Stelle fragt Mia, wie »die Seuche bei den Tieren und Menschen« zu malen sei1279 und – in Reaktion auf die Erklärung der Lehrkraft, welche noch einmal die betreffende Passage aus der Kinderbibel zitiert (»bald darauf wurden auch die Menschen schwer krank, eine Seuche brach aus, die Menschen bekamen Geschwüre an Händen und Füßen am Kopf und am ganzen Leib«1280) – worum es sich bei »Geschwüren« handele.1281 Die Lehrkraft schließt ihre Erklärung mit dem Hinweis, dass es diese Hauterkrankungen »heutzutage« nicht mehr, »früher« aber aus hygienischen Gründen häufiger gegeben habe1282. 1279 1280 1281 1282

III.7.TA.393, s. Tabelle 327 im digitalen Anhang. III.7.TA.400f., s. Tabelle 327 im digitalen Anhang; vgl. Weth 2000, S. 72. III.7.TA.402, s. Tabelle 327 im digitalen Anhang. III.7.TA.421ff., s. Tabelle 182, S. 403.

418

Die Analyse

Erst die Bearbeitung der Aufgabe einer bildlichen Darstellung1283 der Erzählung führt zu diesen Nachfragen Mias, während oder direkt nach dem Vorlesen der Lehrkraft erfolgen keine diesbezüglichen Rückfragen. Die zweite Szene, in welcher eine Schülerin eine Frage zu dem zuvor Erzählten äußert, ereignet sich im Anschluss an das Vorlesen des Abschnitts zur zehnten Plage und zum Auszug der Israeliten aus Ägypten. III.8.TA. 88 89

Maya:

ich hab noch ne frage

90 91

Lehrkraft III: Maya:

FEIerst du das passahfest? ((zuckt mit den Schultern)) weiß ich nicht

92

Lehrkraft III:

da müssen wir noch mal drüber reden wie das so HEUte noch ist weil gott hat ja auch gesagt ((blickt auf die aufgeschlagene Neukirchener Kinder-Bibel neben ihr)) »und so soll es von nun an jedes JAHR sein«

(-) wenn WIR das passahfest feiern schmieren wir dann auch blut auf die tür?

93 94 95 96 97

(-) und ich kann euch sagen auch HEUte wird das passahfest noch gefeiert– nur hier in unserer (-) gegend nicht das feiern die JUden (.) und äh:M da werd ich euch dann beim nächsten mal noch ein bisschen dazu erzählen

Tabelle 195: III.8.TA.88–97

Die Lehrkraft begegnet der Frage Mayas, ob auch »wir« beim Feiern des Passahfests »Blut auf die Tür« strichen (III.8.TA.88f.), zunächst mit einer Gegenfrage (»Feierst du das Passahfest?«), deren Intonation eine erwartete Verneinung suggeriert (III.8.TA.90). Auf die eine diesbezügliche Unsicherheit markierende Antwort Mayas (III.8.TA.91) hin erklärt die Lehrkraft, dass sie gemeinsam noch einmal darüber sprechen müssten, »wie das so heute noch ist«, und – nach der Wiederholung des zuvor aus der Kinderbibel vorgelesenen Gebots Gottes zur Passahfeier – dass dies »auch heute« noch von den Juden gefeiert werde (III.8.TA.92–94). Wie in ihrer Antwort auf die Frage Mias erfolgt auch in dieser Reaktion der Lehrkraft durch die verwendeten – sich kontrastiv auf ein nicht weiter bestimmtes Früher beziehenden – Temporaladverbialen (»heutzutage«, »auch heute«/ »heute noch«) eine indirekte Verortung des vorgelesenen Handlungsverlaufs in der Vergangenheit.

1283 Siehe hierzu Kap. 6.3.2.

Unterrichtseinheit III

419

6.3.3.5 Konklusion Welches Konzept des biblischen Textes, der Exodus-Erzählung, konstituiert sich nun aus den in den oben dargelegten Analysen herausgearbeiteten impliziten und expliziten Hinweisen? Die Lehrkraft bezeichnet die von ihr präsentierte Erzählung von Beginn an als »Geschichte« und verweist mit der Erklärung, dass sie diese aus der Kinderbibel vorlesen werde, zudem implizit darauf, dass es sich um einen biblischen Text handele. Auch durch die Bemerkung Jelkas, dass sie »die Geschichte« aus ihrer »Bibel« kenne und durch die bestätigende Reaktion der Lehrkraft wird diese Einordnung gestützt.1284 Eine ausdrückliche Bestimmung des Vorgelesenen als biblische Erzählung aus dem Alten Testament ist nicht zu beobachten. Auch eine explizite Thematisierung der Fragen, worum es sich bei dieser Geschichte handelt, wie sie entstanden sei oder wie mit ihrem Inhalt umzugehen sei, erfolgt nicht. Die gemeinsamen Gespräche mit den Schüler_innen beziehen sich fast ausschließlich auf die Wiederholung und Bewertung des vorgelesenen Handlungsverlaufs, sodass es nicht zu einer Auseinandersetzung mit möglichen Bedeutungen des Erzählten auf einer Metaebene kommt, welche über das wortwörtliche Verständnis hinausginge. So sind es vor allem implizite Hinweise, die das Wesen des bearbeiteten biblischen Textes über den Verlauf der Unterrichtseinheit näher bestimmen. Für die Einordnung des von der Lehrkraft Präsentierten als eine fiktionale Erzählung spricht vor allem die durchgehende Bezeichnung als »Geschichte« (»Mose-Geschichte«) sowie das Erzählsetting, welches dem Setting des Vorlesens anderer Geschichten im Sinne fiktionaler (Kinder-) Literatur ähnelt (z. B. Märchen): Das Vorlesen aus einem mit bunten Illustrationen gestalteten Buch (Neukirchener Kinder-Bibel), die besondere Intonation der Lehrkraft (Erzählerstimme) sowie das gestattete parallele Malen der Schüler_innen entsprechen nicht der Darlegung eines historischen Tatsachenberichts. Auch das szenische einem Theaterstück gleichende Spiel der Schüler_innen zur Erzählung der Situation der Israeliten in Ägypten sowie die Äußerungen der Lehrkraft, die auf die Form des Vorgelesenen als »ganz spannende und lange Geschichte« mit Anfang, Mitte und Schluss (»wie ihr schon vermutet habt, geht die Geschichte so wie Elisa auch gerade sagte gut zu Ende«1285) hinweisen, implizieren die Bearbeitung einer fiktionalen Erzählung.1286 Neben diesen Verortungen des biblischen Textes im Bereich fiktionaler, erzählender Prosa sind ebenso Hinweise zu beobachten, die auf eine Schilderung wirklicher, historischer Begebenheiten schließen lassen. Hierzu zählen die 1284 III.4.TA.430f., s. Tabelle 162, S. 370f. 1285 III.15.TA.268, s. Tabelle 177, S. 401. 1286 III.4.TA.254f., s. Tabelle 160, S. 368.

420

Die Analyse

einmalige, explizite Bestätigung der Tatsächlichkeit des zuvor von ihr Vorgelesenen seitens der Lehrkraft (»aber sowas gab es wirklich zu früheren Zeiten«1287), sowie die ausführliche, dem ersten Vorlesen vorausgehende Auseinandersetzung mit dem Themenbereich »Altes Ägypten« und die enge Verknüpfung des dabei erarbeiteten Wissens mit den Inhalten der biblischen Erzählung, die das Sprechen über realgeschichtliche Ereignisse suggerieren. So stehen in dem von der Lehrkraft angeleiteten »Mose-Quiz«1288 Fragen zum Thema »Altes Ägypten« gleichwertig neben solchen, die sich auf die Inhalte der vorgelesenen ExodusErzählung beziehen (z. B. »Wie heißt die besondere Schrift der Ägypter?«1289 ; »Wie hießen die Grabstätten der Könige in Ägypten«1290 ; »Von wem wurde Mose gerettet?«1291; »Zu welcher Bevölkerungsgruppe gehörte das Volk Israel?«1292 ; »Warum starben die ältesten Söhne bei den Ägyptern«1293). Auch in dem in der vorletzten Stunde an die Schüler_innen ausgeteilten »Mose-Rätsel in Form einer Pyramide«1294 erfolgt eine solche Mischung aus Fragen zu (historischen) Fakten und Elementen des biblischen Textes (z. B. »Strauch der brannte ohne zu verbrennen«, »Fluß in Ägypten«, »Rohmaterial für Ziegel«, »Hier wurden die Israeliten wunderbar gerettet«). Ebenso wird der Einstieg in die Bearbeitung der Exodus-Erzählung mittels des von den Schüler_innen zu übersetzenden Hieroglyphentextes1295 – in welchem auf »die Geschichte von Josef« Bezug genommen sowie die Beschäftigung mit Mose angekündigt wird – eng mit der zuvor erfolgten forschenden Auseinandersetzung (»Forscherkiste« mit Sachbüchern aus dem »Forscherlabor«) mit einzelnen Aspekten aus den Bereiche Kultur, Gesellschaft und Religion im Alten Ägypten verknüpft.1296 1287 III.4.TA.439, s. Tabelle 162, S. 370f. 1288 Das »Mose-Quiz« wird in der gesamten Unterrichtseinheit dreimal gespielt. Innerhalb des dritten Spiels ergänzt die Lehrkraft die bestehenden Fragen um eine Reihe von Fragekärtchen, die von den Schüler_innen verfasst worden sind. 1289 III.6.TA.443, s. Tabelle 324 im digitalen Anhang. 1290 III.7.TA.8, s. Tabelle 325 im digitalen Anhang. 1291 III.6.TA.451, s. Tabelle 324 im digitalen Anhang. 1292 III.6.TA.490, s. Tabelle 324 im digitalen Anhang. 1293 III.10.TA.165f., s. Tabelle 331 im digitalen Anhang. 1294 III.13/14.TA.355, s. Tabelle 339 im digitalen Anhang; Aus urheberrechtlichen Gründen kann dieses von der Lehrkraft erstellte Arbeitsblatt hier nicht in Gänze abgedruckt werden. 1295 »Die Geschichte von Josef und seinen Brüdern erzählt uns, wie die Israeliten nach Ägypten gekommen sind. Josef und seine Brüder bekamen viele Kinder und diese bekamen auch wieder Kinder. Aus dem Stamm Levi ging Mose hervor, über den wir in den nächsten Stunden einiges erfahren werden.«. Das zu diesem Lösungstext gehörende Arbeitsblatt »Hieroglyphen« kann hier aus urheberrechtlichen Gründen nicht in Gänze abgedruckt werden. 1296 Die in den ersten drei Stunden von den Schüler_innen erarbeiteten Poster zu verschiedenen Aspekten des Themengebiets »Altes Ägypten« werden anschließend im Klassenraum aufgehängt und sind damit auch für den Rest der Unterrichtseinheit visuell präsent.

Unterrichtseinheit III

421

Dass es sich bei den erzählten Geschehnissen um solche handelt, die sich in der Vergangenheit ereignet haben, implizieren auch die in den Gesprächen seitens der Lehrkraft genutzten zeitlichen Verweise. Die temporale Verortung der Ereignisse zu einem (nicht spezifizierten) Zeitpunkt in der Vergangenheit (»ihr seid jetzt nicht 2014 Schüler der Klasse 3x […], sondern ihr seid vor vielen, vielen tausend Jahre das Volk Israel […] in Ägypten«1297, »sowas gabs doch mit Sicherheit auch zu der Zeit schon«1298, »früher«/»damals« vs. »heutzutage«/ »heute«) ohne einen expliziten Hinweis, dass die Geschichte nur in dieser Zeit spielt, suggeriert ein Sprechen über tatsächlich Vergangenes. Eine ähnliche Wirkung hat auch das sprachliche Motiv des Erinnerns im Kontext der Erzählung und Erklärungen zum Passahfest. In den Beiträgen der Schüler_innen finden sich kaum Hinweise auf ihr Konzept des biblischen Textes, da diese Wortmeldungen zumeist aus Antworten auf Fragen der Lehrkraft zum vorgelesenen Handlungsverlauf der Erzählung bestehen. Auch wenn sich in einigen Äußerungen der Lehrkraft die Annahme zeigt, dass mehreren Schüler_innen die vorgelesene »Geschichte« bekannt sei,1299 erklären dies nur zwei von ihnen explizit (s. Kap. 6.3.3.4). Lediglich innerhalb des oben dargelegten Incidents »Rotes Meer« sprechen die Schüler_innen ohne eine thematische, fragend gesteuerte Strukturierung durch die Lehrkraft miteinander. Spannend ist hier zum einen, dass sich in der interaktiv dichten Diskussion bei einigen der Schüler_innen ein – zumindest hinsichtlich der Farbgebung des Roten Meeres explizites – wortwörtliches Verständnis des zuvor selbstständig erlesenen Erzählabschnitts dokumentiert. Zum anderen zeigt sich in den Beiträgen Marlenes, in welchen sie die Bibel als Quelle ihrer Informationen anführt, dass sie dieser eine gewisse Autorität zuschreibt sowie den Zweck bzw. Sinn der Bibel an der wortwörtlichen Richtigkeit ihrer Inhalte festmacht (s. Kap. 6.3.2). Bis auf die von Mia und Maya geäußerten Fragen (»Was sind Geschwüre?«1300 bzw. »Ich hab noch ne Frage, wenn wir das Passahfest feiern, schmieren wir dann auch Blut auf die Tür?«1301) sind über den gesamten Verlauf der Einheit keine weiteren Fragen der Schüler_innen zum Verständnis einzelner Begriffe oder Erzählinhalte zu beobachten.

1297 III.4.TA.152ff., s. Tabelle 159, S. 366f. 1298 III.15.TA.157, s. Tabelle 180, S. 402f. 1299 »Ja ich weiß, dass viele Kinder äh oder einige Kinder auch die Kinderbibel zu Hause haben und darin schonmal gelesen haben ähm es wäre schön, wenn ihr nicht so viel von der Geschichte verraten würdet.« (III.4.TA.431–433, s. Tabelle 162, S. 370f.), »und äh möchte irgendjemand ne Vermutung äußern wie es zu Ende geht? Aber vielleicht nicht die Kinder, die die Geschichte schon gelesen haben.« (III.15.TA.233f., s. Tabelle 341 im digitalen Anhang). 1300 III.7.TA.402, s. Tabelle 327 im digitalen Anhang. 1301 III.8.TA.88, s. Tabelle 195, S. 418.

422

6.4

Die Analyse

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

Zusätzlich zu den im Kontext der Analyse der einzelnen Datensätze durchgeführten fallinternen Komparationen wurden fallübergreifende Analysen durchgeführt, um über den Weg der Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden hinsichtlich der Präsentation und des Umgangs mit der biblischen Erzählung zwischen den drei Unterrichtseinheiten ein schärferes Bild der sich dokumentierenden Orientierungen und der damit verbundenen Bedeutungskonstruktion zu erhalten.1302

6.4.1 Die Bibel als Quelle des Erzählten?! Ein erster Aspekt, der bei der Bearbeitung der dieser Untersuchung zugrundeliegenden Fragestellung, wie der biblische Text hinsichtlich seines besonderen Wesens im Religionsunterricht erarbeitet wird, zu prüfen ist, besteht in der Klärung, inwiefern die Bibel überhaupt als Quelle der von der Lehrkraft präsentierten Inhalte benannt wird. In keiner der drei Unterrichtseinheiten wird zu Beginn der Thematisierung der Exodus-Erzählung explizit gesagt, dass es sich hierbei um einen biblischen Text handele. Nur Lehrkraft III deutet dies mittels des Hinweises an, dass sie die nun beginnenden »spannende und lange Geschichte« aus der »Kinderbibel« vorlesen werde, während sie eine Ausgabe der Neukirchener Kinder-Bibel hochhält.1303 Diese Form des visuellen und verbalen Hinweises findet sich auch in den folgenden Stunden der Einheit (»(- -) Aber ich hab sonst nichts dagegen wenn ihr das auch nochmal in der Bibel nachlesen möchtet«1304, »ist das was ich euch gestern äh letzte Woche aus der Kinderbibel vorgelesen hab–«1305, »(- -) und zwar werde ich jetzt aus der (.) Bibel weitererzählen«1306 ; »[…] dass ich euch etwas vorgelesen habe aus der Kinderbibel«1307, »hier in der Kinderbibel ist auch ein nicht ganz großes aber sehr schönes Bild«1308). Damit wird das Vorgelesene als in der bzw. einer (Kinder-)Bibel stehend markiert, wobei offen bleibt, ob es auch 1302 Die im Folgenden dargelegten Ergebnisse der datensatzübergreifenden komparativen Arbeit bilden lediglich einen exemplarischen Ausschnitt der innerhalb der Untersuchung durchgeführten Analysen ab. In Anbetracht des begrenzten Umfangs dieser Arbeit wurde eine Auswahl von für die Fragestellung m. E. besonders relevanten sowie interessanten Beobachtungen getroffen. 1303 III.4.TA.255–257, s. Tabelle 161, S. 369. 1304 III.4.TA.434, s. Tabelle 162, S. 370f. 1305 III.5.TA.159, s. Tabelle 318 im digitalen Anhang. 1306 III.7.TA.208, s. Tabelle 174, S. 400. 1307 III.11/12(a).TA.174f., s. Tabelle 176, S. 401. 1308 III.TA.15.TA.295, s. Tabelle 342 im digitalen Anhang.

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

423

in anderen Büchern zu finden sei. Darin, dass – besonders Lehrkraft I und II – zu Beginn nicht explizit klären, dass sie Inhalte einer biblischen Erzählung präsentieren werden, dokumentiert sich die Annahme, dass dies den Schüler_innen bekannt sei bzw. keiner expliziten Erläuterung bedürfe. Hinweise auf die Bibel als Quelle des Gehörten sind in Unterrichtseinheit I und II erst zu einem späteren Zeitpunkt zu beobachten. So erfolgt eine explizite Nennung der Bibel seitens der Lehrkraft I im Kontext der Erzählung darüber, wie Mose sich auf den Weg zurück nach Ägypten mache (»Gott schickt ihm noch Aaron mit (1.3) in der Bibel steht immer Aaron ist sein Bruder, aber man muss wissen damals (.) Brüder waren alle die im Glauben Brüder waren, ne?«1309). Lehrkraft II führt die Bibel erstmals im Zuge ihrer Erzählung über den Weg der Israeliten durch die Wüste an (»stellt euch vor wenn ihr in d/ die Israeliten sind auch jahrelang durch die Wüste gelaufen, die Bibel spricht da von vierzig Jahren, äh dass die also die Israeliten durch die Wüste gegangen sind«1310). Auffällig ist dabei, dass Lehrkraft II nur in der achten Stunde der Unterrichtseinheit innerhalb ihres freien Erzählens – von dem Zug der Israeliten durch die Wüste und ihrer Versorgung mit Wasser, Manna und Wachteln – an drei Stellen auf die Bibel verweist. Dies ist gleichzeitig der einzige der vier von ihr frei erzählten Abschnitte des biblischen Textes, der im Anschluss nicht noch einmal von einer schriftlichen Vorlage (Schulbuchtext, Arbeitsblatt) von ihr oder den Schüler_innen vorgelesen wird. In den Äußerungen von Lehrkraft I und II erfolgt die explizite Nennung der Bibel – anders als bei Lehrkraft III, welche die (Kinder-)Bibel ihr Vorlesen einleitend oder auf eine bestimmte Vorlesesituation zurückblickend erwähnt – zumeist als ein Beleg eines zuvor benannten Aspekts der Erzählung (Lehrkraft I: »ja und doch steht es so in unserer Bibel (4.4))«1311; »und das Meer teilte sich, so stehts in der Bibel«1312 ; »es ist was zu essen und damit haben sie überlebt (.) so steht es in der Bibel«1313 ; Lehrkraft II: »(-) das hat ausgereicht (-) so steht es zumindest in der Bibel«1314) oder als Verweis auf detailliertere Informationen zum Erzählten (Lehrkraft I: »(1.3) in der Bibel steht immer Aaron ist sein Bruder«1315 ; »in der Bibel steht das Volk der Israeliten ist lange Zeit in der Wüste«1316 ; Lehrkraft II: »(.) stellt euch vor wenn ihr in d/ die Israeliten sind auch jahrelang durch die Wüste gelaufen, die Bibel spricht da von vierzig Jahren«1317; »ähm: 1309 1310 1311 1312 1313 1314 1315 1316 1317

I.5(a).TA.169–172, s. Tabelle 65, S. 241. II.8(a).TA.77–79, s. Tabelle 92, S. 286. I.5(b).TA.67, s. Tabelle 20, S. 177. I.6.TA.234, s. Tabelle 234, S. 463. I.8.TA.158f., s. Tabelle 237, S. 467f. II.8(b).TA.100, s. Tabelle 147, S. 339f. I.5(a).TA.170, s. Tabelle 65, S. 241. I.7.TA.301, s. Tabelle 66, S. 241f. II.8(a).TA.77f., s. Tabelle 92, S. 286.

424

Die Analyse

haben es versucht zu trinken– und dann war das, so wie das in der Bibel steht, (.) war das Wasser bitter, also das heißt das schmeckte überhaupt nicht, das war so ganz faulig«1318). Als ein Auslöser für die Nennung der Bibel dokumentiert sich hier die seitens der Lehrkräfte I und II wahrgenommene Notwendigkeit das von den Schüler_innen als irritierend Markierte (Gott veranlasst den Tod der ägyptischen Erstgeborenen; Manna – erklärt als Ausscheidung von Schildläusen – fungiert bzw. genügt als Nahrung) mit einer weiteren Quelle als ihrer eigenen Aussage zu belegen bzw. die Bibel als Quelle dessen hervorzuheben. Eine mögliche Erklärung, warum diese Form des Bezugs auf die Bibel in Unterrichtseinheit III nicht zu beobachten ist, liegt in der bis auf eine Ausnahme bei jedem Erzählabschnitt vorhandene visuelle Präsenz der (Kinder-)Bibel als dessen Quelle. In ihrer Reaktion auf eine Schülerin, die Mose mit Jesus verwechselt, sowie während des Zeigens einer von einem Schüler mitgebrachten Bibel, spezifiziert Lehrkraft I die Quelle der thematisierten Erzählung, indem sie diese im erstgenannten Fall im Alten Testament verortet (»das ist eine Geschichte aus dem Alten Testament (.) vor Jesus«1319) und in der zweiten Situation angibt, in jener Stunde »zum zwanzigsten Kapitel der Mosesgeschichte« zu kommen.1320 Eine solche nähere Bestimmung findet sich in den anderen beiden Unterrichtseinheiten nicht. Eine weiterführende Erklärung des Begriffs »Altes Testament«, die über die angefügte zeitliche Verortung – »vor Jesus« – hinausginge, erfolgt in Unterrichtseinheit I nicht. Die Lehrkraft fährt an dieser Stelle mit der Wiederholung der Erzählung fort und die Schüler_innen fordern hierzu keine weitere Erläuterung ein. In den Unterrichtseinheiten I und II bringt je ein Schüler (I.5(b).TA.186; II.4.TA.171, 173) und in Unterrichtseinheit III bringen zwei Schülerinnen die Bibel explizit mit der thematisierten Erzählung in Verbindung (III.4.TA.430; III.11/12(b).TA.46, 48f.). I.5(b).TA. 186

Tom:

[(- - -) ich ka/ ich brauch/ ich/ ich kann ich brauch mir die nicht merken ich kann in meiner BIbel nachlesen]

187 188

mehrere SuS: Lehrkraft I:

[((einige SuS reden miteinander))] [wer eine bibel HAT kann das natürlich in der bibel (nachlesen)]

Tabelle 196: I.5(b).TA.186–188

1318 II.8(a).TA.108f., s. Tabelle 93, S. 286f. 1319 I.7.TA.39, s. Tabelle 33, S. 224. 1320 I.8.TA.187–190, s. Tabelle 36, S. 226f.

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

II.4.TA. 167

Lehrkraft II:

425

PRIma genau und wo: ist er aufgewachsen? (-) also wo ähm: das heißt also wo hat die mutter das kind bekommen in welchem land? (1.8) lukas

168 169 170 171

Lukas:

isra:/ israel [(- -) und davon hab ich]

172

Lehrkraft II:

173

Lukas:

[((zieht die Nase kraus und runzelt die Stirn)) das glaub ich jetzt/] auch die BIbel da hab ich die geschichte auch von

174

Lehrkraft II:

175

((zweifelnd)) j:a:: da wollen wir mal gucken ob das STIMMT was du jetzt sagst da wollen wir mal das steht im text glaub ich noch nich so obWOHL es steht ein FLUSS da drin und da müsste man gucken

176 Tabelle 197: II.4.TA.167–176

III.4.TA. 428

Lehrkraft III:

429 430

Jelka:

431

Lehrkraft III:

432 433

(-) aber vielleicht möchte jemand von euch noch was zu dem vorgelesenen (- -) kurz sagen (.) jelka ich hab die geschichte schonmal gelesen in meiner bibel (-) ja ich weiß dass viele kinder äh oder einige kinder auch die kinderbibel zu hause haben und darin schonmal gelesen haben ähm es WÄre schön wenn ihr nicht so viel von der geschichte verraten würdet (- -) Aber ich hab sonst nichts dagegen wenn ihr das auch nochmal in der bibel nachlesen möchtet

434

III.11/ 12(b).TA. 42

Melina:

(- -) ich mals rot

43 44

Marlene: Hannes:

in der BIbel– (.) ist das rot ich mal es NICHT rot ich male es nur ganz ganz blass rot

45 46

Marlene:

[(- - -) hier (-) marlene ((steht auf und wendet sich zu Marlene))] [(1.2) in der bibel steht dass das rote meer/ ((blickt zu Hannes auf))]

426

Die Analyse

(Fortsetzung) 47 48 49

[…] Marlene:

(2.3) in der BIbel wirds ja wohl STIMMEN als überschrift stand »das rote meer« und da drunter war ein LEICHT rotes MEER

(1.9) in ner kinderbibel? ((schaut prüfend zu Marlene)) 51 Marlene: (- - -) erWACHSenenbibel Tabelle 198: III.4.TA.428–434; III.11/12(b).TA.42–51 50

Kira:

Während Lehrkraft I und III die seitens der Schüler_innen geäußerte Quellenzuschreibung validieren, indem sie die Möglichkeit bestätigen, dass der entsprechende Erzählabschnitt in der Bibel nachgelesen werden könne (I.5(b).TA.188; III.4.TA.434), geht Lehrkraft II nicht auf das – in dieser Unterrichtseinheit erstmalig explizit erfolgende – Inbezugsetzen von Erzählung und Bibel ein. Aufgrund des erst im weiteren Verlauf ihrer Äußerung erkennbar werdenden Bezugs ihrer zweifelnden Reaktion auf Lukas ersten Beitrag zum Geburtsland Moses, suggeriert sie zunächst vielmehr eine Infragestellung der Bibel als Quelle. In allen drei Unterrichtseinheiten finden sich, neben den verschiedenen – vor allem in Unterrichtseinheit II – verwendeten schriftlichen Vorlagen1321 Hinweise auf andere Quellen der bearbeiteten Erzählung (Lehrkraft I: »(-) und ich lese euch die nachher hier mal draus vor, wir haben aber noch auch unsere Bücher, wir wollen erstmal heute den Text im Buch lesen, aber wir vergleichen nachher mit dieser Geschichte«1322 ; Lehrkraft II: »und ähm wir haben auch auf dem Tablet hat ähm meine Mutter was gesucht, was ich bei b und c hinschreiben kann, dann hat die da einen text gefunden, dass die (.) ähm« Ägypten dann Ägypter dann von den Israeliten die Babys noch töten»1323, «(-) ich kenn das ich hab auch das Film geguckt»1324, «meine Mutter hat mi/ hat mir die ganze Geschichte in der Wüste ausgedruckt»1325 ; Lehrkraft III: «((unterbricht das Vorlesen)) (2.6) an einer an1321 In der Unterrichtseinheit I wird nur für den Erzählabschnitt zu den zehn Geboten eine schriftliche Fassung, ein Text aus dem Religionsbuch, verwendet (s. Kap. 6.1.3.1). Neben der Kinderbibel, aus welcher die Lehrkraft vorliest und den im Anschluss verteilten, von ihr verfassten Kurztexten auf Arbeitsblättern lesen die Schüler_innen in Unterrichtseinheit III den Erzählabschnitt zur Rettung der Israeliten am Meer selbstständig von einem Arbeitsblatt (s. Kap.6.3.3.1). In der Unterrichtseinheit II werden mehrmals Texte aus dem Religionsbuch sowie aus verschiedenen, nicht bekannten, Quellen stammende Kopien von Arbeit- bzw. Textblättern verwendet (s. Kap. 6.2.3.1). 1322 I.8.TA.192–195, s. Tabelle 36, S. 226f. 1323 II.3.TA.64–69, s. Tabelle 109, S. 323. 1324 II.4.TA.293, s. Tabelle 143, S. 337. 1325 II.9.TA.2, s. Tabelle 110, S. 324.

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

427

deren Stelle nicht hier in der Kinderbibel wird aber auch erwähnt […]«1326, »(1.4) in anderen büchern– (-) steht nicht rotes meer sondern […] Schilfmeer«1327). Die Hinweise der Lehrkräfte I und III, dass zu einem späteren Zeitpunkt der »Text im Buch« mit der »Geschichte« in Toms Bibel zu vergleichen sei (Lehrkraft I), dass es eine weitere Schilderung der Erlangung von Wasser »an einer anderen Stelle« statt der Kinderbibel gebe sowie dass »in anderen Büchern« die Bezeichnung »Schilfmeer« statt Rotes Meer stehe (Lehrkraft III), implizieren dabei, dass zwischen den verschiedenen Quellen der Erzählung auch inhaltliche Unterschiede bestehen. In der Unterrichtseinheit II sind es die Schüler_innen, welche weitere Quellen der bearbeiteten Erzählinhalte benennen (Lukas, II.3.TA.64–69; Erik, II.4.TA.293; Nick II.9.TA.2). II.3.TA. 64 65 66 67

Lukas:

und ähm wir haben auch auf dem tablet hat ähm meine mutter was gesucht was ich bei b und c hinschreiben

Lehrkraft II:

[kann] [hm’_m`_hm’]

68 69

Lukas:

dann hat die da einen text gefunden dass die (.) ähm ägypten dann ägYPTER dann von den israeliten die babys noch töten

70

Lehrkraft II:

ah das kommt noch das verraten wir noch nicht genau das kommt noch ALso das heißt die ägypt/ die israeliten haben also sehr viel angst

Erik:

(-) ich kenn das ich hab auch das FILM

Lehrkraft II:

[geguckt] [((nickt)) genau]

71

II.4.TA. 293 294 295 296

ne? (der is/) das ist ziemlich bekannt diese geschichte ne? (- -) ((nickt))

297

(-) RICHtig ABer jetzt kommt natürlich zwischendurch

298

II.9.TA. 1

Lehrkraft II:

dann wollen wir mal (.) die hausaufgaben vergleichen– ((zu Nick)) was willst du?

1326 III.11/12(a).TA.478, s. Tabelle 171, S. 398. 1327 III.13/14.TA.366–369, s. Tabelle 172, S. 398f.

428

Die Analyse

(Fortsetzung) 2

Nick:

meine mutter hat mi/ hat mir die ganze geschichte in der WÜSte ausgedruckt

(- -) das ist gut ja (-) und äh hast du zusatz sozusagen da kann ich jetzt viel mit nach hause schleppen wenn ich die mappen einsammle (- - -) jap Tabelle 199: II.3.TA.64–71; II.4.TA.293–298, II.9.TA.1–4 3 4

Lehrkraft II:

In ihren jeweiligen Reaktionen validiert Lehrkraft II die von den Schülern angesprochenen Quellen der »Geschichte«. Im Fall von Erik und Nick geschieht dies direkt (»((nickt)) genau«, »das ist gut, ja«), bei Lukas erfolgt die Validierung, indem die Lehrkraft die aus der von ihm genannten Quelle stammenden Informationen als Vorausgriff auf das noch Kommende und damit implizit als korrekt markiert. Eine anzunehmende Unterschiedlichkeit der Schilderungen aus den verschiedenen Quellen dokumentiert sich hier nicht. In allen drei Unterrichtseinheiten wird der Umstand, dass es für die Erzählung von Mose und den Israeliten verschiedene Quellen zu geben scheint, nicht weiterführend thematisiert. Auf Seiten der Schüler_innen ist diesbezüglich keine Irritation oder Verwunderung zu beobachten.

6.4.2 Hinweise auf das Konzept von Bibel seitens der Schüler_innen

Über alle drei Unterrichtseinheiten hinweg sind nur sehr selten Äußerungen von Schüler_innen zu beobachten, innerhalb derer die Bibel explizit thematisiert wird. Dennoch finden sich in der Analyse ihrer Beiträge einige wenige Szenen, in denen sich Hinweise auf die Vorstellungen der Schüler_innen von der Bibel und damit auf Elemente ihres Konzepts von Bibel dokumentieren. Wie bereits in Kapitel 6.1.4.2 dargelegt, markiert Tom in seinen Äußerungen während des Abschreibens der zehn Plagen von der Tafel eine qualitative Unterscheidung zwischen der »Kinderbibel« Lasses und seiner eigenen »normale[n]«, »echte[n]« Bibel (vgl. I.5(b).TA.190–192). I.5(b).TA. 186

Tom:

187 188

mehrere SuS: Lehrkraft I:

189 190

mehrere SuS: Lasse:

[(- - -) ich ka/ ich brauch/ ich/ ich kann ich brauch mir die nicht merken ich kann in meiner BIbel nachlesen] [((einige SuS reden miteinander))] [wer eine bibel HAT kann das natürlich in der bibel (nachlesen)] [((einige SuS reden miteinander))] [(1.1) ich hab ne KINderbibel]

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

429

(Fortsetzung) 191

mehrere SuS:

[((einige SuS reden miteinander))]

192 193

Tom: mehrere SuS:

[(-) ich habe ne norMAle (.) ECHte] ((SuS reden durcheinander))

I.7.TA. 128

Tom:

(- -) ich wollte meine bibel ja heute mitnehmen

129 130

Noah: Lehrkraft I:

(- -) ich hab eine kinderbibel in FARbe [sch::::]

131 132

Tom: Noah:

[ich hab ne ECHte] (- - -) ((schulterzuckend)) ich auch

133 134

Lehrkraft I:

ihr dürft gerne eure bibel mitbringen (.) dann können wir die geschichte nochmal nachlesen

I.8.TA. 167

Tom:

((bringt seine Bibel nach vorn zur Lehrkraft))

168 169

Jan: Sascha:

ich hab noch nichtmal eine alter ist die

170 171

Lehrkraft I:

[FETT] [hast du]

172 173

Tom:

die geschichte auch schon geFUNden? (.) äh::: nö: ich hab jetzt mit den plagen da

174 175

Lehrkraft I:

(-) ah du bist (1.4) du liest das ist ja eine RICHtige bibel

176 das ist keine KINDerbibel das ist eine RICHtige bibel 177 (- - -) und er sagt grad er ist bei den zehn plagen Tabelle 200: I.5(b).TA.186–193; I.7.TA.128–134; I.8.TA.167–177

Die Bewertung von Tom wiederholt sich zwei Religionsstunden später in seiner Reaktion auf Noahs Bemerkung, »eine Kinderbibel in Farbe« zu besitzen (I.7.TA.129–131). Auch hier führt Tom kontrastiv zu Noahs Beitrag an, dass er selbst eine »echte« habe, und signalisiert damit erneut einen qualitativen Unterschied zwischen seiner und der implizit als unecht bewerteten Kinderbibel Noahs. Diese Zuschreibung erfährt weder an dieser Stelle noch im weiteren Verlauf der Unterrichtseinheit eine Ausdifferenzierung, sodass offen bleibt, was genau sie für Tom bedeutet. In Noahs Entgegnung dokumentiert sich, dass er diese qualitative Unterscheidung zwischen Bibel und Kinderbibel nicht teilt (I.7.TA.132). Mit dem nonverbalen Signal des Schulterzuckens sowie der Fest-

430

Die Analyse

stellung, dass auch seine Bibel »echt« sei, markiert er Unverständnis hinsichtlich der von Tom implizierten Unechtheit. Die Lehrkraft nimmt in dieser Unterrichtseinheit eine Position ein, die derjenigen von Tom sehr ähnelt. In ihrer Reaktion auf die von ihm mitgebrachte Bibel, markiert sie ebenfalls eine qualitative Unterschiedlichkeit zwischen einer »richtige[n]« und einer damit als nicht richtig bewerteten Kinderbibel (I.8.TA.175f.). Eine entsprechende Wertzuschreibung bzw. -unterscheidung zwischen verschiedenen Formen der Bibel, lässt sich auch in Unterrichtseinheit III – während der Diskussion der Schüler_innen über die Farbe des Roten Meeres – beobachten. III.11/ 12(b).TA. 51

Kira:

(1.2) ((zu Marlene)) ich habe eben nur (mal gehört) dass das rote meer einfach nur so blau ist

52 53

Marlene:

(2.3) in der BIbel wirds ja wohl STIMMEN als überschrift stand »das rote meer« und da drunter war ein LEICHT rotes MEER

54

Kira:

55

Marlene:

(1.9) in ner kinderbibel? ((schaut prüfend zu Marlene)) (- - -) erWACHSenenbibel

56 57

Kira: mehrere SuS:

((nickt leicht)) ((alle SuS beschäftigen sich wieder mit dem Malen ihrer Bilder))

Tabelle 201: III.11/12(b).TA.51–57

Kira hat bis zu diesem Zeitpunkt bereits je einmal gegenüber Melina1328 und Melanie1329 konstatiert, dass das Rote Meer »nur so« heiße, und vertritt diese Orientierung nun auch gegenüber Marlene, indem sie erklärt, dass sie gehört habe, das Meer sei »einfach nur so blau« (III.11/12(b).TA.51). In Marlenes Entgegnung dokumentiert sich die Annahme einer kaum zu bezweifelnden Richtigkeit der biblischen Inhalte, zu welchen ihrer Aussage nach auch die Abbildung eines »leicht rote[n]« Meeres gehöre (III.11/12(b).TA.52f.). Dass Kira nach der Form der von Marlene benannten Bibel fragt, zeigt zum einen ein Bewusstsein für die Existenz verschiedener Formen der Bibel und impliziert zum anderen, dass die Antwort für ihre Bewertung Marlenes Aussage von Bedeutung ist. Marlene signalisiert mit der Betonung der – im »Gegensatz« zur Kinderbibel – erwachsenen Adressatengruppe ihrer Bibel, dass dieses Merkmal für die Glaubhaftigkeit ihrer vorangegangenen Aussage entscheidend sei. Kiras 1328 Kira, III.11/12(b).TA.27, s. Tabelle 164, S. 376f. 1329 Kira, III.11/12(b).TA.30, s. Tabelle 164, S. 376f.

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

431

daraufhin erfolgende nonverbale – im Allgemeinen Zustimmung markierenden – Reaktion (»((nickt leicht))« (III.11/12(b).TA.56) sowie das Ausbleiben weiterer Nachfragen oder Wiederholungen ihrer bisherigen, gegenteiligen Auffassung zur Frage der Farbe des Roten Meeres zeigen, dass sie diese Form der Bibel als Quelle der Aussage Marlenes anerkennt. Dass es sich nicht um eine Kinderbibel, sondern um eine »Erwachsenenbibel« handelt, wird hier als ein die Glaubhaftigkeit (dieser) bestimmendes Merkmal markiert. Eine solche qualitative Unterscheidung ist bei der Lehrkraft nicht zu beobachten. Sie verwendet die Begriffe »Kinderbibel« und »Bibel« – anders als Lehrkraft III – synonym bzw. ohne Ergänzungen, die einen Wertunterschied signalisieren (s. Kap. 6.3.1.2). In den drei Datensätzen lässt sich in zwei Szenen eine unaufgeforderte Positionierung einer Schülerin und eines Schülers zu der Frage finden, wie mit dem, was in der Bibel steht, umzugehen ist. Diese Szenen enthalten Hinweise darauf, welche Art von Wahrheitsanspruch sie der Bibel zuschreiben. So führt Marlene innerhalb der Schülerdiskussion zur farblichen Gestalt des Roten Meeres wiederholt die Bibel als Beleg für ihre Auffassung an, dass das Rote Meer rot sei. Sie signalisiert zunächst intonatorisch, dass es sich hierbei um eine Referenz von besonderer Bedeutung handele (»in der Bibel« (III.11/12(b).TA.43, 52). in der BIbel– (.) ist das rot

III.11/ 12(b).TA. 43 […]

Marlene:

46

Marlene:

[(1.2) in der bibel steht dass das rote meer/ ((blickt zu Hannes auf))] […]

52

Marlene:

(2.3) in der BIbel wirds ja wohl STIMMEN als überschrift stand »das rote meer« und da drunter war ein LEICHT rotes MEER

[…] 69

Marlene:

[…]

[…]

[…] [(- -) ((in Ahmets Richtung)) das was in der BIbel stimmt/ STEHT sollte wohl STIMMen]

[…] 71

[…] Marlene: [(1.3) ((mit Blick auf ihr Bild)) und wenn es NICHT stimmt (.) wieso gibts dann die BIbel] Tabelle 202: III.11/12(b).TA.43, 46, 52, 69, 71

Im weiteren Verlauf betont sie zweimal, dass das, was in der Bibel stehe, »wohl stimmen« werde bzw. sollte (III.11/12(b).TA.52, 69), und schließt diese Argumentation mit der Frage nach dem Grund für die Existenz der Bibel, sofern dies nicht so sei (III.11/12(b).TA.71). Wie bereits ausgeführt (s. Kap. 6.3.2) doku-

432

Die Analyse

mentiert sich in diesen Aussagen Marlenes ein Konzept von Bibel, in dem sich Wert, Wahrheit und Sinn ihrer Inhalte aus deren wortwörtlichen Richtigkeit ergeben, wobei diese von Marlene vorausgesetzt und nicht bezweifelt wird: Die Glaubhaftigkeit und Autorität der Bibel begründet sich in der Korrektheit ihrer Aussagen. In Lasses Bemerkungen in Unterrichtseinheit I zeigt sich ein Konzept von Wahrheit, welches dem von Marlene ähnelt, das jedoch zu einer gegenteiligen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der gehörten Geschichte führt. I.6.TA. 248 249

Lehrkraft I:

(-) jetzt hören wir ja NUR noch grausame geschichten JA (.) da hast du recht aber jetzt noch EINmal

250 251

Noah:

(- - -) WER hat sich diese geschichte erzählt? (1.2) die israeLIten

252 253

Noah:

Lehrkraft I:

die israeliten (- -) und DIE waren (- - -) so sagten sie »wir sind das auserwählte volk (.) gott ist immer bei uns gott rettet uns aus jeder gefahr«

254 255

(- - -) DESwegen haben sie sich das erZÄHLT (-) gott SAgt ja auch »ich bin DER ich bin DA«

256 257

Lasse:

(1.2) aber gott ist nicht nur für die israeliten da– (.) sondern für die ganze menschheit

258 259

Lehrkraft I: Lasse:

für alle ne? (- - -) richtig und deswegen kann man die ge

260 261

Lehrkraft I:

[schichten auch nicht wahr nehmen] [GOTT hat]

262

SEIN versprechen gehalten sagen die israeliten er hat uns geRETTet

Tabelle 203: I.6.TA.248–262

Wie oben im Incident »Erzählung« dargelegt, erörtert die Lehrkraft im Kontext der festgestellten Grausamkeit der gehörten Geschichte neben der Frage, ob diese wörtlich genommen werde müsse, die Frage nach den Erzähler_innen der Geschichte und ihren Beweggründen, diese zu erzählen (s. Kap. 6.1.2.1. u. 6.1.2.2.). Als Grund für die Erzählung (»deswegen haben sie sich das erzählt« (I.6.TA.254)) benennt sie die von den Israeliten konstatierte Auserwähltheit ihres Volkes von Gott (»die waren so sagten sie ›wir sind das auserwählte Volk […]‹« (I.6.TA.252f.)). Im Anschluss markiert sie mit der – ihre nächste Aussage einleitenden – adversative Konjunktion »aber« eine Einschränkung des zuvor Erklärten und fügt hinzu, dass Gott nicht nur für die Israeliten da sei (I.6.TA.256). Lasse setzt diesen Beitrag mit dem Verweis fort, dass Gott hingegen für »die ganze Menschheit« da sei (I.6.TA.257). Dies wird von der Lehrkraft

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

433

deutlich validiert (6.TA.258). Aus diesem – durch die Art der Formulierung der Lehrkraft aufgeworfenen – Widerspruch zwischen der Aussage der Israeliten und der von der Lehrkraft validierten Richtigstellung dieser Aussage, zieht Lasse den Schluss (»und deswegen«), dass »die Geschichten« nicht als »wahr« angenommen werden könnten (I.6.TA.259f.; s. Kap. 6.1.2.2): Wenn die (vermeintliche) Annahme der Israeliten – Gott sei nur für sie da –, aufgrund derer sie die Geschichte erzählen, in dieser Form nicht richtig ist, ist auch die Geschichte selbst nicht »wahr«. In dieser Schlussfolgerung Lasses dokumentiert sich ein Wahrheitskonzept, in welchem wahr ist, was mit dem als Tatsachen Wahrgenommenen übereinstimmt. Zudem impliziert die Verwendung des Plurals (»die Geschichten«), dass diese Bewertung sich nicht nur auf die zuvor besprochene Schilderung des grausamen Tods der ägyptischen Verfolger im Meer bezieht, sondern für mehrere oder sogar alle biblischen Erzählungen gelte. Eine als selbstverständlich markierte und vorausgesetzte Richtigkeit der Bibel, wie sie sich in Marlenes Äusserungen zeigt, ist hier nicht zu beobachten. Welche Bedeutung Lasse der gehörten Geschichte zuspricht und wie seine Einschätzung, dass diese nicht für »wahr« gehalten werden könne, diese Bedeutung bedingt, bleibt hier offen, da sein Beitrag von der Lehrkraft nicht thematisiert und von ihm nicht erneut aufgegriffen wird. Die von Lasse verwendete Formulierung »nicht wahr nehmen« ähnelt zwar der Formulierung »nicht wörtlich nehmen«, welche die Lehrkraft – im Zusammenhang mit der Frage, wie mit den Inhalten der Bibel umgegangen werden müsse – mehrmals verwendet,1330 und die auch Lasse zu Beginn dieser Stunde nutzt (»[…] ja das müssen wir nicht wörtlich nehmen, was da passiert ist […]«1331). Anders als zuvor führt Lasse an dieser Stelle aber die in jenem Kontext von der Lehrkraft angebotene1332 und von ihm aufgenommene alternative Deutung, dass die Bibel »mit dieser Geschichte« etwas erklären wolle,1333 nicht an. Die komparative Analyse zeigt, dass – während Marlene auf den Widerspruch ihrer Mitschüler_innen zur wortwörtlichen Auffassung der biblischen Inhalte mit einer Betonung der Glaubhaftigkeit der Bibel reagiert und somit nicht von ihrer Meinung abrückt – Lasse in Reaktion auf den von der Lehrkraft implizierten Widerspruch der biblischen Erzählung von der These, dies nicht wörtlich nehmen zu dürfen, zu der These wechselt, das Erzählte nicht als wahr annehmen zu können. In beiden Unterrichtseinheiten finden sich keine weiteren Äuße-

1330 I.5(b).TA.69, s. Tabelle 20, S. 177; I.5(b).TA.126, s. Tabelle 24, S. 184f.; I.6.TA.52, s. Tabelle 27, S. 195f. 1331 I.6.TA.39f., Tabelle 25, S. 187. 1332 I.5(b).TA.70, s. Tabelle 20, S. 177. 1333 Lasse I.5(b).TA.72, 80), s. Tabelle 21, S. 179; Lasse, I.5(b).111, s. Tabelle 23, S. 182f.; Lasse, I.6.TA.41, s. Tabelle 25, S. 187.

434

Die Analyse

rungen von Marlene oder Lasse die zusätzliche Anhaltspunkte hinsichtlich ihrer Konzepte von Bibel und deren Inhalte ergeben.

6.4.3 Hinweise auf das Konzept von Bibel und der biblischen Erzählung seitens der Lehrkraft Da besonders hinsichtlich der impliziten Hinweise der Lehrkräfte auf den Realitätsstatus des Erzählten und damit auch auf das Wesen des biblischen Textes nicht alle Ergebnisse der komparativen Analyse in detaillierter Form dargestellt werden können, wurde für die folgende Darlegung die Präsentation wundersamer Ereignisse der Exodus-Erzählung ausgewählt (Kap. 6.4.3.2). Vorweg erfolgt die Darstellung der Ergebnisse der komparativen Analyse der Szenen, in welchen die Lehrkräfte explizit über die Deutung des Erzählten und damit auf einer Metaebene über den biblischen Text sprechen (Kap. 6.4.3.1). 6.4.3.1 Explizite Bedeutungszuschreibung Lehrkraft I initiiert mit den Fragen, ob das Gehörte »so wörtlich« genommen werden müsse1334 und wer sich dies erzählt habe, eine Auseinandersetzung mit dem Zustandekommen und der Bedeutung der Geschichte (s. Kap. 6.1.2.1– 6.1.2.3). Die Analyse zeigt, dass die von ihr bei den Schüler_innen wahrgenommene Irritation über die Grausamkeit Gottes Handeln (in den Erzählungen zu den zehn Plagen und dem Untergang der ägyptischen Verfolger) den Auslöser für diese Fragen bildet. Die komparative Analyse soll zeigen, ob bzw. inwiefern dieser Auslöser auch in den anderen beiden Unterrichtseinheiten zu beobachten ist, und in welcher Weise Lehrkraft II und III in diesen Szenen agieren. Die zehn Plagen – Unterrichtseinheit II In Unterrichtseinheit II leitet die Lehrkraft im Anschluss an die gemeinsamen Überlegungen, wie der Pharao auf die Forderung Moses reagieren wird, zur Erzählung der zehn Plagen über. II.6.TA. 252 253 254 255

Lehrkraft II:

(-) da passieren die sogenannten PLAgen das heißt also– ähm gott sagt hat ja zu mose gesagt »ich bin« ähm »ich bin DA«– (-) und äh jetzt ist es SO (.) dass ähm (.) der pharao sagt »ich lass euch nicht ziehn«–

1334 I.5(b).TA.69, s. Tabelle 20, S. 177.

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

435

(Fortsetzung) 256

und dann sagt gott »wenn ihr/du sag dem pharao–

257

wenn du mein volk nicht ziehen lässt dann werd ich dir irgendetwas Böses (.) SCHICKen« sozusagen und das wollen wir uns mal ANschauen

258 […]

Kommentar :

((L. erklärt was die SuS nun an Material benötigen und lässt zwei AB verteilen. Im Anschluss liest Elisabeth den ersten Abschnitt auf dem Textblatt vor.))

Tabelle 204: II.6.TA.252–258

Die Schüler_innen erhalten je ein Textblatt1335 zu den zehn Plagen sowie ein Arbeitsblatt, auf welchem verschiedene Illustrationen des Karikaturisten Werner Tiki Küstenmacher zu den Plagen abgebildet sind.1336 Bereits in der von der Lehrkraft frei erzählten Einleitung wird Gott als aktiv in das Geschehen Eingreifender angekündigt (II.6.TA.256–258). Auch innerhalb des ausgeteilten Textes wird diese aktive Rolle mehrmals angeführt, sodass die Plagen deutlich als von Gott geschickt markiert werden (»Bald darauf ließ Gott zehn schwere Plagen über Ägypten kommen.«, »Da schickte Gott […]« (3x), »Da ließ Gott noch eine […]«, »Gott aber sprach zu Mose: ›Noch eine Plage will ich dem Pharao schicken […]‹.«)1337. Dies führt die Lehrkraft in ihren späteren Bezugnahmen auf die Plagenerzählung fort (»welche Strafe schickt Gott äh dem Pharao«1338, »was hat Gott geschickt«1339, »Wasser hat er [Gott] in Blut verwandelt«1340, »Wer kann mir sagen, welche Plage Gott schickte«1341, »Was schickte Gott als Plage«1342, »das zeigt er [Gott] jetzt auch in diesen Plagen, die er […] schickt«1343, »Gott hat also schwere Plagen geschickt«1344). Sowohl im bearbeiteten Text (»zehn schwere Plagen«, »Hunderte, Tausende, hunderttausend und noch mehr«, »Millionen von Stechmücken«, »wurden krank und starben in Massen«, »auch die Menschen schwer krank«, »die letzte und schwerste«) als auch in den Beiträgen der Lehrkraft finden sich Hinweise, welche die Härte der Plagen anzeigen (»irgendetwas 1335 Der auf diesem Blatt abgedruckte Text entspricht der Fassung der Erzählung zu den zehn Plagen in der Neukirchener Kinder-Bibel. Siehe hierzu Weth 2000, S. 71–73. 1336 Siehe hierzu Küstenmacher 1986, S. 14f. 1337 Weth 2000, S. 71–73. 1338 II.6.TA.264f., s. Tabelle 98, S. 296f. 1339 II.6.TA.314, s. Tabelle 98, S. 296f. 1340 II.6.TA.323, s. Tabelle 98, S. 296f. 1341 II.6.TA.327, s. Tabelle 291 im digitalen Anhang. 1342 II.6.TA.330, s. Tabelle 291 im digitalen Anhang. 1343 II.7.TA.15f., s. Tabelle 208, S. 438f. 1344 II.7.TA.50, s. Tabelle 140, S. 336.

436

Die Analyse

Böses«1345), »schwere Plagen«1346, »die schwerste Plage«1347, »das schlimmste und das schwerste«1348). Die zehnte Plage ist auf der von der Lehrkraft ausgeteilten Textvorlage nicht enthalten. Im Anschluss an das Vergleichen der Hausaufgabe und der damit einhergehenden Wiederholung der neun Plagen nennt Marco, welcher der Lehrkraft bereits im Vorfeld seine Kenntnis dieser signalisiert hat (II.7.TA.21f.), die zehnte Plage (II.7.TA.70). Es bleibt offen, woher ihm diese bekannt ist. II.7.TA. 21

Lehrkraft II:

wie die ZEHNte plage lautet weil gott nämlich nach neun plagen nach neun schweren plagen– […]

22 […] 68

Lehrkraft II:

sagt der äh pharao »ne ne die i/ israeliten bleiben DOCH da« NUN kommt aber die letzte und die schwerste plage–

Marco: Lehrkraft II:

(.) »tote erstgeborene« RICHtig was also es ist so dass der erstgeborene SOHN der ägypter

69 70 71

SO jetzt haben wir NEUN plagen gehört und äh der marco hier vorne weiß

72 73

(- -) geTÖtet wird (-) und DA sagt gott dann

74 75

ähm: (.) oder da sagt der pharao dann jetzt dürft ihr israeliten endlich ziehn (- -) »das ist jetzt das SCHLIMMste und das SCHWERste was uns eigentlich passiert ist«– und die israeliten die ZIEHN nun LOS

76 77 Tabelle 205: II.7.TA.21f., 68–77

Marco verwendet den in der Einheitsübersetzung der Bibel genannten Terminus »Erstgeborene« (Ex 12, 29) zur Bestimmung der zehnten Plage und fasst diese in zwei Worten ohne eine längere Umschreibung zusammen. Während er den Tod mehrerer Erstgeborener beschreibt, verwendet die Lehrkraft in ihrer Validierung den Singular und spricht von »dem« Erstgeborenen, wodurch suggeriert wird, dass es sich hier um einen bestimmten Sohn der Ägypter handele (II.7.TA.71). Dies geschieht in ähnlicher Weise auch in einer späteren Unterrichtsstunde während des gemeinsamen Vergleichens eines Lückentextes zur Mose-Erzählung. 1345 1346 1347 1348

II.6.TA.257, s. Tabelle 98, S. 296f. II.7.TA.50, s. Tabelle 140, S. 336. II.7.TA.69, s. Tabelle 103, S. 309–311. II.7.TA.76, s. Tabelle 103, S. 309–311.

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

437

Lehrkraft II:

sehr schön (.) wer weiß das nächste?

101 102

Norman:

(1.3) norman? (-) ((liest von seinem AB vor)) »erst nachdem JEde (.) erstgeburt bei den ägyptern getötet wird

103 104

Lehrkraft II:

darf das volk weggeh/ ziehen» SEHR schön (- -) also der erstgeborene die erstgeburt steht hier ne? bei den ägyptern getötet wird–

II.10.TA. 100

105 106 Tabelle 206: II.10.TA.100–106

(- -) erstgeburt (12.4) FRED hast du das nächste?

Auch hier nutzt die Lehrkraft in ihrer Validierung den jeweiligen Singular. Auf das Ausmaß der Tötung, welches von Norman mit der – im Text vorgegebenen – Formulierung »jede Erstgeburt« benannt wird, geht sie an dieser Stelle nicht weiter ein. Sowohl in der ersten Erläuterung der Lehrkraft (II.7.TA.71f.) und in ihrer Reaktion auf die Lösung Normans (II.10.TA.104f.) als auch in dem verwendeten Lückentext wird der Prozess des Tötens nicht weiter ausgeführt. Die passivische Formulierung lässt offen, wer hier tötet. Gott wird in diesen Szenen nicht explizit als Akteur bzw. Verursacher benannt. Zwar hebt die Lehrkraft in ihrem Erzählen die Härte dieser zehnten Plage intonatorisch hervor (»schlimmste«, »schwerste« (II.7.TA.76)), aufgrund der Formulierung im Singular, sowie dem Ausbleiben weiterer Erläuterungen zu den Begriffen »Erstgeborene« und »Erstgeburt« bleibt jedoch offen, ob allen Schüler_innen das Ausmaß dieser Plage bewusst ist. Zu einem späteren Zeitpunkt in der Einheit dokumentiert sich in der Äußerung einer Schülerin, dass zumindest ihr die Bedeutung des Begriffs »Erstgeburt« nicht bekannt ist (II.10.TA.8, 14f.). II.10.TA. 7

Larissa:

8 9

mehrere SuS:

10 11

Jasper : Erik:

12 13

Niko: Lehrkraft II:

14 15

Larissa:

(2.0) ((beginnt von ihrem AB vorzulesen)) »weil die ägypt/ (-) ter alle israelitischen jungen gleich nach der geburt tö(.)teten (-) wird mose (- -) in einem« erstgeburt »ausgesetzt« (- - -) ((Elisa, Mara, Nick, Lukas und Jasper zeigen eine Wortmeldung an, zeigen z. T. Stirnrunzeln und Kopfschütteln)) ((flüsternd)) hä ((flüsternd)) hä ((flüsternd zu Larissa) erstgeburt überleg/ (-) in WAS? in einem erst/? was ist denn das in einem erstgeburt ausgesetzt? (2.1) ist das ein satz den du verstehst? nein

438

Die Analyse

(Fortsetzung) 16

mehrere SuS:

[((Elisa, Mara, Tristan, Dennis, Erik, Norman und Marco zeigen eine Wortmeldung an))]

17

Lehrkraft II:

nä:: ne? hört sich komisch an das radier schonmal gleich aus das wort also TÖten musste auf jeden fall in die erste lücke und in die zweite kommt jasper was hast du?

18 19 Jasper : Tabelle 207: II.10.TA.7–19

(- -) BINSENkorb

Rückfragen der Schüler_innen zu den zehn Plagen sind weder beim erstmaligen Hören noch bei der kurzen Thematisierung im Rahmen der Besprechung des Lückentextes zu beobachten. Eine Bearbeitung der Frage, welche Bedeutung die Erzählung von den Plagen hat bzw. warum dies so erzählt wird, ereignet sich in dieser Unterrichtseinheit nicht. Die Lehrkraft eröffnet jedoch zu Beginn der siebten Stunde ein Gespräch, in welchem sie den Grund für die Plagen auf der Ebene der Erzählhandlung erfragt. II.7.TA. 4 5

Lehrkraft II:

wozu sind die PLAgen überhaupt da warum beschäftigen wir uns überhaupt damit (3.7) was SOLLen die plagen überhaupt ((nimmt Marco dran))

6 7

Marco:

weil ähm da gott ähm die da/ der pharao der ließ (.) die äg/ die israeliten nicht ZIEHN

8

Lehrkraft II:

9

Marco:

sehr schön genau– und deswegen hat– (-) und mose hat den auftrag bekommen– (- - -) ähm de/ dass den pharao zu ZWINGen dass er die freilässt

10 11

Lehrkraft II:

(- -) was haben wir mal an die Tafel hier geschrieben– was habt ihr noch so (unverst.) BILD und TEXT geschrieben? Gott hat gesagt–

12 13 14 15 16 17

GEnau zu sagen/ und er hat gesagt »ich HELfe dir« (-) denn gott hat WAS gesagt von sich?

Lukas: Lehrkraft II:

(- -) »ich bin da« ganz genau und das zeigt er jetzt auch in diesen plagen die er mose schickt um ihm zu helfen oder de/den ägyptern schickt um ihm zu helfen dass tatSÄCHlich die israeliten ziehen können (.)

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

439

(Fortsetzung) 18

was ist die erste PLAge wer liest nochmal NUR die wörter vor die wir unterstrichen haben–

Tabelle 208: II.7.TA.4–18

Die Lehrkraft erweitert die von Marco gegebene Begründung, dass es die Plagen gebe, weil der Pharao die Israeliten nicht habe ziehen lassen, nach einer Validierung zunächst um den Aspekt der Beauftragung Moses (II.7.TA.8). Anschließend bringt sie – nach der Bestätigung der Antwort von Marco auf ihre diesbezügliche indirekte Frage (»und Mose hat den Auftrag bekommen–«) – das bisher Gesagte mit der in einer vorangegangenen Stunde angesprochenen Zusage Gottes in Zusammenhang (II.7.TA.10f.). Lukas erinnert die entsprechende Formulierung wortwörtlich (II.7.TA.14). Die Lehrkraft bestätigt diese und erklärt, dass Gott seine Zusage durch das Schicken der Plagen erfüllt (»das zeigt er jetzt auch in diesen Plagen, die er schickt, um Mose zu helfen«) (II.7.TA.15f.). So werden die zehn Plagen hier zum einen als Unterstützung Moses in der Erfüllung seines Auftrages und zum anderen als Umsetzung der Zusage Gottes begründet. In der vorangegangenen Unterrichtsstunde impliziert die Lehrkraft in ihrer Einleitung der gemeinsamen Textarbeit eine weitere Begründung. Mit der Frage, welche Strafe Gott dem Pharao schicke, signalisiert die Lehrkraft, dass der Grund für die Plagen eine Bestrafung des Pharaos sei. II.6.TA. 263

Lehrkraft II:

264 265 Tabelle 209: II.6.TA.263–265

SO jetzt möchte ich von euch wissen (- -) äh WELche STRAFE schickt gott (-) äh dem pharao […]

Hinweise auf Erstaunen oder Entsetzten über die Grausamkeit der geschilderten Plagen oder darüber, dass Gott diese veranlasst, lassen sich bei den Schüler_innen nicht beobachten. Die zehn Plagen – Unterrichtseinheit III In Unterrichtseinheit III setzt die Lehrkraft im Anschluss an die kurze fragegeleitete Wiederholung des zuvor gelesenen Abschnittes der Erzählung – wie der Pharao auf die Forderung Moses reagiert – das Vorlesen aus der Neukirchener Kinder-Bibel fort. Sie endet zunächst an der Stelle des Textes, an welcher erzählt wird, wie Gott die letzte Plage ankündigt, und lässt einen der Schüler den zugehörigen Kurztext von dem bereits ausgeteilten Arbeitsblatt vorlesen.

440 III.7.TA. 359

Die Analyse

Lehrkraft III:

360

(-) »gott aber sprach zu mose

361

noch EIne plage will ich dem pharao schicken (.) die LETZte und SCHWERste« (2.0) ((legt die Neukirchener Kinder-Bibel zur Seite)) von DER werd ich euch dann gleich nach der pause berichten–

362 363

(2.3) und das werdet ihr dann auch da hinschreiben (1.1) so auf dem zettel findet ihr schon

364 365

einen kleinen text und AUch die zehn plagen (- -) wer liest das eben mal bitte vor?

366 367

Fabian:

(1.4) fabian (- -) ((beginnt vom AB vorzulesen)) »die zehn plagen

368 369

gott st/straft das ägyptische Volk. (.) mose verlangt vom pharao–

370 371

gott will dass du_uns (- -) gehen lässt ((leise)) ah

372 373

gott will dass du uns gehen lässt (- - -) der pharao aber lässt die israeliten nicht ziehen

374 375

dann schickt gott zehn plagen (- -) roter schlamm im nil–

376 377

frösche– stechfliegen–

378 379

(-) stechmücken– seuche bei den tieren seuche bei den menschen–

380 381

(- -) riesige hagelkörner– heuschrecken drei tage dunkelheit«

382

Lehrkraft III:

383 Tabelle 210: III.7.TA.359–383

(- - -) genau die ZEHnte plage (-) DIE (- - -) von der werd ich euch gleich erzählen (- -) ich habe jetzt noch ein WEIteres blatt vorbereitet

Sowohl im Text der Neukirchener Kinder-Bibel (»Bald darauf ließ Gott zehn schwere Plagen über Ägypten kommen.«, »Da schickte Gott […]« (3x), »Da ließ Gott noch eine […]«, »Gott aber sprach zu Mose: ›Noch eine Plage will ich dem Pharao schicken […]‹.«)1349 als auch in dem von der Lehrkraft verfassten Text des Arbeitsblattes (»Dann schickt Gott zehn Plagen«)1350 wird explizit gemacht, dass 1349 Weth 2000, S. 71–23. 1350 »Gott straft das ägyptische Volk. Mose verlangt vom Pharao: »Gott will, dass du uns gehen lässt.« Der Pharao aber lässt die Israeliten nicht ziehen. Dann schickt Gott zehn Plagen:

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

441

Gott selbst die ersten neun Plagen veranlasst. Nach dem erneuten Hinweis darauf, dass sie die zehnte Plage »gleich erzählen« werde (III.7.TA.382), erklärt die Lehrkraft den Arbeitsauftrag für das zweite Arbeitsblatt. Die Schüler_innen beginnen dann damit, zu jeder der Plagen ein Bild zu malen. Nach der Pause setzt die Lehrkraft das Vorlesen aus der Neukirchener KinderBibel fort, während die Schüler_innen an ihren Bildern weiterarbeiten. Auch die zehnte Plage wird im Text als von Gott willentlich verursacht angekündigt (»Gott aber sprach zu Mose: ›noch eine Plage will ich dem Pharao schicken, die letzte und schwerste.‹«1351). Die Beschreibung der Plage selbst erfolgt ohne eine erneute Nennung der Beteiligung Gottes (»In allen Häusern starb der älteste Sohn.«).1352 Im Anschluss an die Erzählung von der zehnten Plage und dem Auszug der Israeliten aus Ägypten leitet die Lehrkraft mit der Frage nach der letzten Plage eine Wiederholung der Erzählinhalte ein. III.8.TA. 52 53 54 55

Lehrkraft III: Jelka: Lehrkraft III:

56 57 58 59 60 61

Salim: Lehrkraft III:

(2.5) was ist die zehnte die letzte und SCHWERste plage (.) jelka m’ (- -) die ältesten söhne (- - -) m’ ((leiser)) (- -) sind tot von den ägyptern (- -) ((nickt)) hm`_hm’ (4.3) und ihr könnt euch vorstellen dass das ne ZIEmlich (- - -) ZIEmlich schwere plage auch ist– (.) wie reagiert der pharao (2.5) ((deutet auf Salim, der sich meldet)) traurig (- -) ja`_a’ (.) aber er ist nicht nur traurig– sondern? (-) was macht er noch

62 63

Elisa:

(3.6) elisa (-) zweifeln?

64 65

Lehrkraft III: Elisa:

(.) bitte? verzweifelt?

66 67

Lehrkraft III: Ahmet:

(-) was MACHT er noch (- -) ahmet angst

[…].« Das von der Lehrkraft erstellte Arbeitsblatt mit diesem Text kann hier aus urheberrechtlichen Gründen nicht in Gänze abgedruckt werden. 1351 Weth 2000, S. 73. 1352 In der Fassung der Neukirchener Kinder-Bibel wird die zehnte Plage wie folgt erzählt: »Denn in dieser Nacht brach ein großes Unglück über Ägypten herein. In allen Häusern starb der älteste Sohn. Nur die Häuser der Israeliten, an deren Türen das Blut war, blieben verschont. Als aber die Ägypter sahen, was geschehen war, schrien sie laut auf, weinten und klagten. Und der König ließ eilig Mose und Aaron zu sich holen, mitten in der Nacht.«, Weth 2000, S. 74.

442

Die Analyse

(Fortsetzung) 68

Lehrkraft III:

hm ja– (- -) maya

69 70

Maya: Lehrkraft III:

er lässt das volk endlich ziehen ganz genau

71 72 Tabelle 211: III.8.TA.52–72

(1.7) das volk israel hat eine gewisse vorahnung (- -) und mose sagt ihnen sie sollen ein FEST feiern

Auch Lehrkraft III betont die Härte der letzten Plage. Sie markiert diese mit der Nutzung der aus dem vorgelesenen Text stammenden Formulierung »die letzte und schwerste Plage« – wobei sie die »Schwere« intonatorisch hervorhebt (III.8.TA.52) – sowie mit der Einschätzung, dass es sich um eine »ziemlich ziemlich schwere Plage« handele (III.8.TA.55f.). Der im Text genannte Aspekt, dass Gott auch diese Plage, veranlasst, wird von ihr hierbei nicht aufgegriffen. Äußerungen der Schüler_innen, die auf ein Entsetzen oder eine Irritation in Anbetracht der beschriebenen Plagen schließen ließen, sind nicht zu beobachten. Spannend ist aber, dass Salim, Elisa und Ahmet auf die Frage der Lehrkraft, wie der Pharao auf die zehnte Plage reagiere, Beschreibungen des von ihnen vermuteten Gemütszustandes des Pharaos liefern (»traurig«, »verzweifelt«, »Angst« (III.8.TA.59, 65, 67) Dies wird in der gehörten Erzählung in dieser Form nicht erwähnt und auch von der Lehrkraft nicht erfragt: Vielmehr signalisiert die Formulierung ihrer Reaktionen auf die Äußerungen von Salim und Elisa, dass eine Handlung bzw. Tätigkeit gesucht werde (»aber […] sondern? was macht er noch?«, »was macht er noch« (III.8.TA.60f., 66)). Dass die Schüler_innen dennoch auf die möglichen Gefühle des Pharaos eingehen, impliziert, dass sie die Härte der zehnten Plage begreifen und eine emotionale Reaktion des Pharaos erwarten. Nach dem Beitrag Mayas (»er lässt das Volk endlich ziehen« (III.8.TA.69)), der von der Lehrkraft mit ihrer deutlichen Validierung als gesuchte bzw. richtige Antwort markiert wird (III.8.TA.70), geht die Lehrkraft zur Wiederholung dessen über, was von ihr über das Passahfest vorgelesen wurde, und beendet damit an dieser Stelle die Beschäftigung mit den Plagen. Wie in Unterrichtseinheit II zeigt auch die Analyse dieser Unterrichtseinheit keine Thematisierung der Bedeutung der Erzählung der zehn Plagen, die über eine Auseinandersetzung auf der Handlungsebene hinausgeht. Die auf dem ausgeteilten Textblatt indirekt angeführte Begründung für die zehn Plagen (»Gott straft das ägyptische Volk«1353), wird bei der Bearbeitung der Frage der 1353 »Gott straft das ägyptische Volk. Mose verlangt vom Pharao: »Gott will, dass du uns gehen lässt.« Der Pharao aber lässt die Israeliten nicht ziehen. Dann schickt Gott zehn Plagen: […].« Das von der Lehrkraft erstellte Arbeitsblatt »Mose bekommt einen Auftrag/Die zehn Plagen« kann hier aus urheberrechtlichen Gründen nicht in Gänze abgedruckt werden.

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

443

Lehrkraft, warum diese »nötig« gewesen seien (III.9.TA.31), vorerst nicht aufgegriffen. (- -) warum war das NÖtig diese zehn plagen

III.9.TA. 31 32

Lehrkraft III:

33

Jelka:

34

Lehrkraft III:

35 36

Jelka:

37 38

Lehrkraft III:

39 40

Jelka:

(- - -) war (-) die zehnte plage und letztendlich durften dann die israeliten und MOse dann ziehen

41 42

Lehrkraft III:

((nickt)) hm`_m’ (-) ihr solltet zu den einzelnen plagen auf einem arbeitsblatt dann passende bilder malen–

(4.5) jelka weil der PHArao (-) MOse und sein volk nicht ZIEhen lassen wollte JA und was passierte dann immer (- -) m: (-) dann passiert immer (-) ähm schickte gott immer wieder eine n/ neue plage ((nickt)) m`_hm’ (-) und letztendlich?

Tabelle 212: III.9.TA.31–42

Mit der Frage nach dem Grund (»warum war das nötig«) für die zehn Plagen signalisiert die Lehrkraft aber, dass sich diese nicht willkürlich ereigneten, sondern für einen bestimmten Zweck unerlässlich seien. In der anschließenden Interaktion mit Jelka dokumentiert sich die Auffassung der Lehrkraft von den Plagen als Voraussetzungen für den Wegzug der Israeliten und Mose (III.9.TA.32–41). Hinweise auf eine Erklärung als Erfüllung der von Gott gegebenen Zusage – wie sie in Unterrichtseinheit II zu beobachten sind – finden sich hier nicht. In dem von der Lehrkraft vorgelesenen Text »Ein Brief von Dan aus Israel« wird dann das Motiv der Bestrafung des ägyptischen Volkes durch Gott erneut angeführt (»Er [Gott] befreite uns, und den Pharao und die Ägypter bestrafte er hart.«, »In jeder Familie starb der älteste Sohn. Da merkten die Ägypter : Das ist Gottes Strafe.«)1354. Und auch in der Wiederholungsphase nach den Osterferien, wird diese Erklärung der Plagen von der Lehrkraft benannt.

1354 Der von der Lehrkraft vorgelesene Text »Ein Brief von Dan aus Israel« kann hier aus urheberrechtlichen Gründen nicht in Gänze abgedruckt werden.

444 III.11/ 12(a).TA. 159

Die Analyse

Ahmet:

(1.9) wir haben die plagen ((legt das Begriffkärtchen auf den Tisch)) und ähm

160 161 162 163

Liam:

(4.5) ((zu Ahmet)) erzähl doch die plagen

164

Lehrkraft III:

165

Ahmet:

braucht iht nicht alle aufzählen wie viele waren es denn? (-) zehn

166 167

Lehrkraft III: Ahmet:

hm`_hm’ und waRUM gab es die plagen damit (- -) die ähm ziehen können

168 169

Lehrkraft III: Ahmet:

wer sollte dadurch bestraft werden (-) der pharao

170 171

Lehrkraft III:

((nickt)) ((erklärt Liam, dass er sich melden solle, wenn er etwas beitragen möchte))

172

ok ich merke dass ihr ne ganze menge noch in euren köpfen abgespeichert habt– Tabelle 213: III.11/12(a).TA.159–172

Während Ahmet die Plagen – wie bereits Jelka in der neunten Stunde – zunächst als Voraussetzung (»damit«) für den Auszug der Israeliten (»die«) erklärt (III.11/ 12(a).TA.167), fügt die Lehrkraft mit ihrer sofort anschließenden Frage den Aspekt der Bestrafung an (III.11/12(a).TA.168). Indem sie direkt nach der Person fragt, welche »dadurch bestraft werden« solle, setzt sie diese Begründung für die Plagen implizit als bekannt voraus. Anders als auf dem Arbeitsblatt der Schüler_innen und in dem von ihr vorgelesenen Text (»Ein Brief von Dan aus Israel«) wird an dieser Stelle nicht explizit gemacht, wer bestrafe. Die Lehrkraft validiert Ahmets Antwort (»der Pharao«) nonverbal (III.11/12(a).TA.170) und leitet dann in die nächste Phase des Unterrichts über. Wurde in den vorherigen Beschreibungen der Bestrafung auch das ägyptische Volk als Ziel dieser bestimmt (»Gott straft das ägyptische Volk«1355 ; »[…] den Pharao und die Ägypter bestrafte er hart«, »Da merkten die Ägypter : Das ist Gottes Strafe.«1356), ist es hier allein der Pharao, der bestraft werden solle.

1355 Ausschnitt aus dem von der Lehrkraft erstellen Arbeitsblatt »Mose bekommt einen Auftrag / Die zehn Plagen«. 1356 Ausschnitte aus dem von der Lehrkraft vorgelesenen Text »Ein Brief von Dan aus Israel«.

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

445

Der Untergang der ägyptischen Verfolger – Unterrichtseinheit II Nachdem Marco die zehnte Plage genannt (»tote Erstgeborene«1357) und die Lehrkraft erklärt hat, dass die Israeliten nun »endlich ziehn« dürften,1358 kündigt sie an, etwas zum Auszug und zu einer Frau namens Miriam vorzulesen, welche diesen Auszug miterlebt habe.1359 In der daraufhin seitens der Lehrkraft von einem Textblatt abgelesenen Erzählung wird der Auszug der Israeliten sowie die Verfolgung durch das ägyptische Heer aus der Perspektive Miriams geschildert. II.7.TA. 85 […]

Lehrkraft II:

(2.0) ((beginnt vorzulesen; Textquelle unbekannt)) »ich will euch erzählen was damals geschehen war […]

149 150

(- -) »›wir sind nicht allein‹ antwortete er (-) ›seht da (.) gott zieht MIT uns‹

151 152

(- -) da sahen wir es (- -) ein HELLE wolke leuchtete uns voran«

[…] 156

[…] »trotzdem merkten wir bald dass unser weg immer mühsamer wurde (-) immer nur WÜSTE STEIne und SAND und dazu diese HITZe

157 158 159 160 161 162

(- -) umso glücklicher war ich als meine mutter ankündigte (.) ›warte ab bald kommen wir ans meer‹ (- -) ›wie sieht das meer denn aus (.) wann kommt das meer‹ (- -) doch DA was war das?

[…]

(- - -) plötzlich ein RIEsen geschrei am ende unseres zuges« […]

178 179

(-) »jeder wusste DAS war das ende (- - -) Aber

180 181

(- -) widererwartend wurde es auf einmal ganz still (-) alle blickten SICH UM

182 183

und blickten in die selbe richtung (-) am ende unseres zuges war die wolke wieder da

184 185

(- -) DICK und groß wie eine NEbelwand zwischen uns und den ägyptern

163

1357 II.7.TA.70, s. Tabelle 103, S. 245. 1358 II.7.TA.74–77, s. Tabelle 103, S. 309–311. 1359 II.7.TA.78–82, s. Tabelle 103, S. 309–311.

446

Die Analyse

(Fortsetzung) 186

(- -) und von DA an war nichts mehr von den ägyptern zu sehen und zu hören

187

(1.9) ich rannte zu meiner familie und umarmte vor freude einen nach dem anderen 188 (- -) dann nahm ich meine handpauke– schlug sie im takt und begann zu tanzen« Tabelle 214: II.7.TA.85, 149–152, 156–163, 178–188

Anders als in der biblischen Vorlage wird in dem von der Lehrkraft präsentierten Text ausschließlich von einer räumlichen Trennung von Ägyptern und Israeliten durch die »Wolke« Gottes gesprochen (II.7.TA.152, 183). Das Entkommen auf einem von Gott geschaffenen Weg durch ein Meer und der Untergang der ägyptischen Verfolger in selbigem, aufgrund des von Gott veranlassten Zurückkommen des Wassers (vgl. Ex 14, 21–29), wird hier nicht erzählt. II.7.TA. 201

Lehrkraft II:

202 203

(4.2) ((schließt die Fenster, da draußen Baulärm einsetzt)) ja (- - -) gott hat den isra/ (.) israeliten versprochen (.) »ICH BIN DA« (-) wie zeigt er das in dieser (2.0) ja in dieser SCHLIMmen situation die israeliten ZIEHN aus ägypten heraus–

204 205 206 Tabelle 215: II.7.TA.201–206

und merken auf einmal die ägypter verfolgen uns DOCH (- - -) wie zeigt (- -) GOTT dass er DA ist

Im Anschluss an ihr Vorlesen nennt die Lehrkraft die im Kontext der Erzählung von Mose am brennenden Dornbusch thematisierte Zusage Gottes (II.7.TA.201f.) und signalisiert mit der wiederholten Frage nach der Art und Weise (»wie zeigt«), dass Gott sein Versprechen in dem soeben gehörten Abschnitt der Erzählung beweise (II.7.TA.203, 206, 207). II.7.TA. 207 208

(2.0) wie zeigt er es als sie RAUSgehen durch die WÜste gehn? (1.4) maik?

209 210

Maik: Lehrkraft II:

211 212

Maik:

das ist ne ganz helle WOLke RICHtig die geht also den tag über (.) vor den israeliten her– [(-) ja und zeigt den weg] [ja und auf EINmal ist er dann weg]

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

447

(Fortsetzung) 213

und dann kommen die/ sind die ägypter hinter denen

214 215

und dann denken die gott ist weg– und dann rennen sie durcheinander und dann

216

und dann kom/ und dann kommt DER und dann ist das/ und dann sind die getrennt [(2.0) ja]

217 218 219

Lehrkraft II: Maik:

[(-) WEIL eine/ weil die wolke WAS tut?] die geht zwischen das mh dazwischen

220

Lehrkraft II:

die geht daZWISCHen und SCHON sehen die ägypter GAR nichts mehr– (.) sind irritiert und ENDlich hat gott sich daZWISCHen gestellt–

221 222

und RETtet sozusagen das volk ISrael IST also weiterhin bei ihnen

Tabelle 216: II.7.TA.207–222

In Maiks Antwort, in der er sowohl auf Gott als auch auf die Wolke verweisende Personalpronomen nutzt, dokumentiert sich die im vorgelesenen Text implizierte Gleichsetzung1360 von Gott und Wolke (»das ist ne ganz helle Wolke« (II.7.TA.209), »auf einmal ist er dann weg« (II.7.TA.212), »dann kommt der und dann […] sind die getrennt« (II.7.TA.216), »die geht zwischen das« (II.7.TA.219)). Auch bei den Reaktionen der Lehrkraft auf Maiks Äußerungen ist diese Vermischung von Gott und Wolke zu beobachten (»richtig, die geht« (II.7.TA.210), »weil die Wolke was tut?« (II.7.TA.218), »die geht dazwischen« (II.7.TA.220), »endlich hat Gott sich dazwischen gestellt und rettet sozusagen das Volk« (II.7.TA.221f.)). Es zeigt sich bei beiden die Annahme, dass Gott hier aktiv in das Geschehen eingreife. Diese Orientierung dokumentiert sich auch in der folgenden Stunde in der Wiederholung der erzählten Geschehnisse durch Elisa. Gott wird hier als Akteur beschrieben, der die Rettung der Israeliten ermögliche (II.8.TA.46). II.8(a).TA. 46

Elisa:

47 48

Lehrkraft III:

49 50

Elisa: Lehrkraft II:

ähm (-) und (- - -) ähm: der gott der hat dann da eine WAND zwischen ähm (die beiden) volks gemacht genau (.) RICHtig woZU hat der das gemacht? was hat/ hm (2.8) hat also die WOLke die normalerweise vor den israeliten hinterher zieht die hat er als WAND–

1360 II.7.TA.149–152, s. Tabelle 214, S. 445f.

448

Die Analyse

(Fortsetzung) 51

zwischen die israeliten und die ägypter gestellt–

52 53

warum? (5.8) michael

54 55

Michael: Lehrkraft II:

richtig (.) was hat gott nämlich geSAGT? wie HEIßT er? (- - -) wie ist sein NAme? (-) übersetzt?

56 57 58 59

(-) dass die sich beFREIen können genau die israeliten konnten also frei (.) abziehen sozusagen und wurden also beschützt von gott

Nick:

60 Lehrkraft II: Tabelle 217: II.8(a).TA.46–60

(4.1) äh Nick ICH BIN DA (-) genau RICHtig (.) »ICH BIN DA«

Wie im Kontext der Erzählung zu den zehn Plagen thematisiert die Lehrkraft hier explizit die Gründe für das Eingreifen Gottes. Neben der Validierung des von Michael angeführten Zwecks der Befreiung der Israeliten (II.8.TA.54f.) signalisiert die Lehrkraft eine ergänzende Begründung, indem sie den Schutz der Israeliten durch Gott erneut mit dessen Zusage in Verbindung bringt. Mit dem in ihre Frage nach Gottes Aussage eingefügten Adverb »nämlich« wird die Antwort auf diese Frage implizit als Begründung des zuvor Gesagten markiert (»was hat Gott nämlich gesagt?« (II.8.TA.56). II.7.TA. 232

Lehrkraft III:

(-) U:nd ich habe euch einmal (.) ähm ich werde euch gleich das miriamlied einmal an die TAfel schreiben– und ich hab euch mal so einen ägyptischen WAgen mitgebracht– ((hält das AB mit der Abbildung hoch))

233 234 235 236 237 238 239

SO die MIRIam die ist also ganz glücklich die TANzt nun–

Kommentar :

240 Tabelle 218: II.7.TA.232–240

(-) so einen STREITwagen also damit haben die ägypter die israeliten verFOLGT– (-) U:ND äh ihr werdet jetzt hier an die seite auf die linke seite einmal das LIED was die miriam nun SINGT– einmal schreiben und dann dürft ihr das andere bild ANmalen ((Der Austeildienst verteilt die AB und die Lehrkraft beginnt das Miriam-Lied an die Tafel zu schreiben)) ((Lehrkraft liest den an die Tafel geschriebenen Liedtext vor, die SuS schreiben den Text auf ihr AB))

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

449

Obwohl in dem von der Lehrkraft ausgewählten Text zur Erzählung des Auszugs aus Ägypten nicht vom Tod der ägyptischen Verfolger im Meer gesprochen wird, lässt sie die Schüler_innen das von ihr an die Tafel geschriebene »MiriamLied«1361, in welchem dieser Tod indirekt thematisiert wird, auf ein Arbeitsblatt mit der Abbildung eines ägyptischen Streitwagens abschreiben (II.7.TA.232– 240). Dies geschieht ohne ein Gespräch über die Bedeutung, sodass der hier enthaltene Hinweis auf den Untergang des ägyptischen Heeres implizit bleibt. Allein die Vertrautheit mit dem Begriff »Rosse« wird seitens der Lehrkraft erfragt. Die Schüler_innen notieren diesen kurzen Text, ohne inhaltliche Rückfragen zu stellen. II.10.TA. 123

Lehrkraft II:

(-) und? ((zu Dennis)) ja?

124 125

Dennis: Lehrkraft II:

am schi:lfmeer? SCHILFmeer genau das wort MEER kommt darin vor ne? am SCHILFmeer genau–

126 127

(5.1) »am schilfmeer (7.8) versuchen die ägypter« was machen sie mit DEnen?

128 129

Lukas:

(- - -) lukas? (- -) einz/ (- - -) ((liest vor)) »versuchen die ägypter die israeliten wieder EINzufangen«

130 131

Lehrkraft II: Lukas:

(1.4) weiter– bis zum ende des satzes– (2.1) »und kommen dabei alle ums leben«

132

Lehrkraft II:

genau »einzufangen« muss da hin ne? »schilfmeer« (-) »einzufangen« (- -) richtig (11.5) so fred jetzt guck mal das nächste weißt du bestimmt in der stunde bist du anwesend gewesen–

133 Tabelle 219: II.10.TA.123–133

In der vorletzten Stunde der Unterrichtseinheit erfolgt dann ein expliziter Hinweis auf den Tod der ägyptischen Verfolger. In dem Lückentext, welchen die Schüler_innen zunächst selbstständig bearbeiten und im Anschluss gemeinsam mit der Lehrkraft abgleichen, ist als Ort – an dem die Ägypter versuchen, die Israeliten »wieder einzufangen« – der Begriff »Schilfmeer« einzutragen.1362 Zudem wird beschrieben, dass sie bei diesem Versuch »alle ums Leben« kommen (»Am [Lücke] versuchen die Ägypter, die Israeliten wieder [Lücke] und kommen 1361 Die Lehrkraft schreibt folgenden Text in Anlehnung an Ex 15, 1 an die Tafel: »Singt dem Herrn ein Lied, denn er ist groß und mächtig, Rosse und Wagen übergab er dem Meer.« 1362 Das von der Lehrkraft erstellte Arbeitsblatt mit dem Lückentext »Mose« kann hier aus urheberrechtlichen Gründen nicht in Gänze abgedruckt werden.

450

Die Analyse

dabei alle ums Leben«).1363 Nachdem ein Schüler konstatiert, dass er nicht wisse, was in die erste Lücke zu schreiben sei, und ein weiterer eine falsche Antwort gibt, führt Dennis – intonatorisch Unsicherheit signalisierend – die Lösung »am Schilfmeer« an (II.10.TA.124). Die Lehrkraft validiert diese Vermutung zweimal (»Schilfmeer genau […] am Schilfmeer genau«) mit der Erklärung, dass »das Wort Meer« darin vorkomme und fordert hierfür mit der Fragepartikel »ne« implizit Zustimmung ein (II.7.TA.125). Ein Rückbezug zu dem Meer, das in dem in der siebten Stunde gelesenen Text benannt wurde,1364 oder zu dem im »Miriam-Lied« erfolgt nicht. Auch die von Lukas vorgelesene neue Information über das Umkommen aller ägyptischen Verfolger (II.10.TA.131) greift die Lehrkraft nicht auf. Sie wendet sich stattdessen nach der erneuten Wiederholung der einzusetzenden Begriffe Fred zu, um den nächsten Satz des Lückentextes zu besprechen (II.10.TA.132f.). Bei den Schüler_innen sind keine Anzeichen von Irritation oder Rückfragen zu beobachten. »Untergang der ägyptischen Verfolger« – Unterrichtseinheit III: Der Erzählabschnitt zur Verfolgung und Rettung der aus Ägypten ausziehenden Israeliten ist in Unterrichtseinheit III der einzige, den die Schüler_innen selbstständig, d. h. jeder für sich, von einem Arbeitsblatt lesen, der also nicht von der Lehrkraft aus der Kinderbibel vorgelesen wird. Im Anschluss an eine gemeinsame Wiederholung der bisher gehörten Elemente der Exodus-Erzählung mittels Begriffkärtchen1365 bekommen die Schüler_innen den Arbeitsauftrag, den Text auf dem Arbeitsblatt zu lesen und sich dann auf die Beantwortung der Fragen1366 vorzubereiten, welche die Lehrkraft an die Tafel heftet. Wie auf den bisher bearbeiteten Arbeitsblättern ist auch auf diesem ein Kästchen abgedruckt, in welches die Schüler_innen – sofern sie mit dem Lesen und Beantworten vor dem Ende der Arbeitszeit fertig sind – ein zum Text passendes Bild malen sollen. Im Text wird die Rettung der Israeliten wie folgt erzählt: »[…] Mose antwortet ihnen: ›Seid endlich still! Habt doch Vertrauen! Gott lässt uns nicht allein.‹ Die Israeliten kommen an ein großes Wasser, das Rote Meer. Die Ägypter 1363 Siehe Fußnote 1362, S. 449. 1364 II.7.TA.160f., s. Tabelle 214, S. 445f. 1365 Die Lehrkraft verteilt die folgenden Begriffe auf Pappkärtchen an die Schüler_innen, welche diese dann erläutern sollen: Passahfest, Matzen, Mose, Charoset, Salzwasser, Aaron, Auszug aus Ägypten, Lammfleisch, bittere Kräuter, Sklaven, brennender Dornbusch, Plagen. 1366 »1. Welche Personen kommen in der Geschichte vor? 2. Was denkt der Pharao? Welchen Befehl gibt er? Woher wissen die Israeliten, wohin sie gehen sollen? 4. In welche bedrohliche Situation kommen die Israeliten? 5. Wie wird das Volk Israel gerettet? Was passiert mit den Verfolgern? 6. Nenne den wichtigsten Satz in dieser Geschichte!«

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

451

rücken immer näher. Doch plötzlich teilt sich das Wasser und das Volk Israel geht hindurch. Die Soldaten aber werden von den Wassermassen überrascht und ertrinken. So rettet Gott sein Volk an diesem Tag.«1367

Hier wird von einer »plötzlich[en]« Teilung des – als »Rotes Meer« näher bestimmten – Wassers gesprochen, wobei eine ursächliche Beteiligung Gottes oder Moses an diesem Ereignis nicht benannt wird. Auch das Ertrinken der »Soldaten« wird ohne die Nennung einer solchen beschrieben. Ähnlich der Erzählung der Lehrkraft in Unterrichtseinheit I (»so hat Gott die Israeliten gerettet«1368) und den Erläuterungen von Lehrkraft II1369 schließt der Text mit der Erklärung, dass Gott auf diese Weise (»so«) »an diesem Tag« sein Volk rette, und verweist damit implizit auf Gott als den Verursacher der Teilung des Meeres und des Untergangs der ägyptischen Verfolger. Ebenso deutet das im Vorfeld von Mose angemahnte Vertrauen auf Gottes Unterstützung auf dessen Beteiligung bei den darauffolgenden Ereignissen hin. Während der Bearbeitung des Arbeitsauftrages sind bei den Schüler_innen keine Hinweise auf eine Irritation oder Verwunderung bezüglich der Erzählinhalte zu beobachten. Allein die Frage nach der farblichen Darstellung des Roten Meeres wird von mehreren Schüler_innen in dieser Phase diskutiert (s. Kap. 6.3.2). Nach etwa zehn Minuten leitet die Lehrkraft die Phase der gemeinsamen Wiederholung der gelesenen Erzählung ein, bei der die Schüler_innen dazu aufgefordert sind, sich eine Frage an der Tafel auszusuchen und diese zu beantworten. III.11/ 12(a).TA. 262 263

Sebastian:

((steht auf, geht zur Tafel, und liest gleichzeitig vor)) »WIE wird das volk israel gerettet« ((nimmt die Frage von der Tafel und dreht sich zur Klasse))

264 265

das volk wird gerettet weil (.) sie dann durch/ einfach zum fluss gegangen sind weil moses gesagt hat (-) gott wird uns helfen er lässt uns nicht allein–

266 267

(- - -) und dann hat sich der [fluss]

268 269

Lehrkraft III:

[stopp mal eben ((blickt zu Hannes Tischgruppe))] äh hannes das sind ganz wichtige sachen die sebastian hier jetzt im moment erzählt

1367 Dieser Text befindet sich auf dem von der Lehrkraft erstellten Arbeitsblatt »Gott führt sein Volk«, welches hier aus urheberrechtlichen Gründen nicht in Gänze abgedruckt werden kann. 1368 I.6.TA.247, s. Tabelle 28, S. 198. 1369 II.7.TA.221f., s. Tabelle 216, S. 446f.; I.8(a).TA.55–60, s. Tabelle 217, S. 447f.

452

Die Analyse

(Fortsetzung) 270

es wär wohl schön wenn ihr eben eure stifte HINlegt

271 272

und euch dann auch SO zu demjenigen zur tafel dreht damit ihr dann auch gut mitkriegt was gesagt wird

273 274

Sebastian:

275 276

Lehrkraft III:

(-) ne? und dann hat sich der fluss geteilt und dann konnten die (.) israeliten ohne probleme durchgehen und die ägypter sind dann ertrunken ((gibt das Frageblatt der Lehrkraft)) ((leise)) da hast du die nächste frage eigentlich schon mit beanwortet ((lacht kurz))

277 aber können wir nochmal hören 278 (- - -) nimm ein kind dran Tabelle 220: III.11/12(a).TA.262–278

Sebastian beginnt seine Beantwortung der Frage, wie das Volk Israel gerettet werde, statt mit einer durch die Fragestellung zu erwartende Beschreibung der Art und Weise der Rettung (z. B. »indem …«) mit der Anführung einer Begründung für diese Rettung (»das Volk wird gerettet, weil […] weil Moses gesagt hat […]« (III.11/12(a).TA.263f.). Dabei ergänzt er die im Text angeführte Aussage Moses (»Gott lässt uns nicht allein«) um den Aspekt der Zuversicht auf Hilfe von Gott (III.11/12(a).TA.265). Nach der Unterbrechung durch die Lehrkraft – in welcher sie Sebastians bisherige Aussagen indirekt validiert, indem sie diese als »ganz wichtige Sachen« markiert – beschreibt Sebastian in welcher Form die Israeliten vor ihren Verfolgern gerettet würden. Statt des im Text benannten Wassers des Roten Meeres spricht er von »de[m] Fluss« (III.11/12(a).TA.267, 274) und hebt mit dem Einschub »ohne Probleme« die Unbeschwertheit des Weges der Israeliten im Vergleich zu den Ägyptern hervor, welche »dann« ertrinken (III.11/12(a).TA.275). In Sebastians Antwort auf die Frage, wie das Volk Israel gerettet werde, dokumentiert sich ein kausaler Zusammenhang zwischen der Zusage Gottes bzw. Moses, auf Gottes Hilfe zu vertrauen, und der Rettung der Israeliten. Nach Phillips Beantwortung der Frage, was der Pharao denke, setzt Jelka zu der Erklärung an, was »mit den Verfolgern« passiere (III.11/12(a).TA.290–292). III.11/ 12(a).TA. 290 291 292

Jelka:

((geht zur Tafel, nimmt sich eine Frage und dreht sich zur Klasse)) ((liest vor)) »WAS passiert mit den verfolgern« ähm die verfol/

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

453

(Fortsetzung)

ähm: die israeliten konnten ohne probleme durchs wasser und die verfolger also die 294 (- -) ägypter die sind dann ertrunken ((gibt der Lehrkraft die Frage)) 295 Lehrkraft III: ((nickt)) hm`_hm’ 296 Jelka: ((nimmt die an der Tafel verbliebenen Magnete ab und gibt sie der Lehrkraft)) 297 Lehrkraft ((flüstert)) danke Tabelle 221: III.11/12(a).TA.290–297 293

Dabei bricht sie ihren ersten auf die Verfolger bezogenen Ansatz ab (»ähm die Verfol«) und wiederholt zunächst – die Formulierung Sebastians aufgreifend –, dass die Israeliten »ohne Probleme durchs Wasser« kämen, bevor sie das Ertrinken der Verfolger nennt. Dabei bestimmt sie die Verfolger in Form einer eingeschobenen Erklärung (»also«) als »die Ägypter« näher (III.11/ 12(a).TA.293f.). Wie im zuvor gelesenen Text beschreibt auch Jelka den Durchzug »durchs Wasser« ohne eine aktive Beteiligung Gottes oder Moses. Dies ist auch in der nachfolgenden Doppelstunde im Rahmen einer Wiederholungsphase zu beobachten (III.13/14.TA.62–65). III.13/14.TA. 57

Lehrkraft III:

(1.3) ist da: noch was besonderes pasSIERT

Sebastian:

(5.4) sebastian du darfst ruhig jemanden dran nehmen ähm:::

Jelka:

(2.2) jelka und die römer haben ja die/ das volk aus israel gejagt–

58 59 60 61 62 63

und dann (- - -) standen die vor/ vor dem (- - -) meer– (- -) und hinter denen die ägypter–

64

und dann (- - -) m: hat sich das wasser da an die seite geschoben– und da die leute konnten dann so ans andere ufer

65 66

Lehrkraft III:

67

Jelka:

((nickt)) nur die römer hatten damit nichts zu tun du meintest sicher ägypter ne? ((nickt)) m`_hm’

68 69

Lehrkraft III: Jelka:

genau (- -) hm: melanie

70 71

Melanie:

und die ähm ägypter sind dann da drin ertrunken– (- - -) und ähm dann konnten die: (.) WEIterziehen die israeliten und dann:

454

Die Analyse

(Fortsetzung) (- - -) ähm haben die sich bei moses beschwert weil die nichts zu essen und nichts zu trinken hatten

72 Tabelle 222: III.13/14.TA.57–72

Abermals beschreibt Jelka die Vorgänge zur Rettung der Israeliten ohne das explizite Zutun Gottes (III.13/14.TA.61–65). In Melanies Ergänzung bzw. Fortsetzung (»und […] dann«) dokumentiert sich das Wissen um das Schicksal der ägyptischen Verfolger. Weder im Kontext des erstmaligen Lesens über den Untergang der ägyptischen Verfolger noch hier zeigen die Schüler_innen in ihren Äußerungen eine Erschütterung hinsichtlich der geschilderten Vorgänge. Auch die Lehrkraft bringt die enthaltene Grausamkeit nicht zur Sprache. Sowohl im gelesenen Text als auch seitens der Lehrkraft und Sebastian wird Gott mit der Errettung des Volkes Israel in Zusammenhang gebracht (»So rettet Gott sein Volk an diesem Tag.«1370, »das Volk wird gerettet weil […] Moses gesagt hat ›Gott wird uns helfen […]‹«1371, »›wir werden beschützt und zwar durch Gott der ist immer bei uns‹ […] weil es der wichtigste Satz in dieser Geschichte ist« (III.11/12(a).TA.397, 399)). III.11/ 12(a).TA. 389 390

Lehrkraft III:

(- -) warum hast du uns nicht in ägypten gelassen

391

jetzt stehen wir HIER hinter uns die solDAten vor uns das WASSer (.) wir werden elendich sterben« (1.2) sie schimpfen (- - -) und WAS (.) sagt mose darauf

392 393 394 395 396 397 398 399 400

(.) JA (- -) »mose was tust du uns an

wie reagiert er (1.7) elisa Elisa: Lehrkraft III:

gott lässt uns nicht allein genau (.) habt verTRAUen (-) »seid doch ZUversichtlich (-) WIR werden beschützt (-) und zwar durch gott der ist immer bei uns« (- -) und DESwegen solltet ihr vielleicht auch DIEsen satz unterstreichen (-) weil es der WICHtigste satz in dieser geschichte ist und AUCH den letzten satz den jonas genannt hatte unterstreicht ihr bitte auch

1370 Text des von der Lehrkraft erstellten Arbeitsblattes »Gott führt sein Volk“ (siehe oben). 1371 Sebastian, III.11/12(a).TA.264f., s. Tabelle 220, S. 451f.

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

455

(Fortsetzung) 401

Kommentar :

((die SuS unterstreichen in ihren Texten die jeweiligen Sätze)) Tabelle 223: III.11/12(a).TA.389–401

Ein aktives Eingreifen Gottes wird hier nicht benannt, sodass es auch keine expliziten Hinweise darauf gibt, dass der Tod der Ägypter von ihm verursacht bzw. gewollt werde. Konklusion Die komparative Analyse zeigt, dass an jenen Stellen der Exodus-Erzählung, an denen es in Unterrichtseinheit I zu einem Gespräch über den Umgang mit der biblischen Geschichte kommt, in der Unterrichtsinteraktion der Unterrichtseinheiten II und III keine diesbezügliche Thematisierung zu beobachten ist. Der sich in Unterrichtseinheit I dokumentierende Auslöser – die von der Lehrkraft wahrgenommene, angesprochene und von den Schüler_innen bestätigte Erschütterung über die geschilderte, von Gott verursachte, Grausamkeit – zeigt sich in den entsprechenden Szenen von Unterrichtseinheit II und III in dieser Form nicht. Weder seitens der Lehrkräfte noch seitens der Schüler_innen wird das Erzählte problematisiert, obwohl auch in diesen Einheiten zumindest im Kontext der zehn Plagen Gott als ihr Verursacher markiert wird. Anders als in Unterrichtseinheit I kommt es zu keiner beobachtbaren Irritation hinsichtlich der geschilderten Vorgänge und dem bestehenden Gottesbild. In Unterrichtseinheit III ist jedoch im Kontext der Erzählung vom Beschluss des Pharaos, die männlichen israelitischen Neugeborenen töten zu lassen, eine Konstatierung der Grausamkeit des Erzählten bzw. des Bedauerns dieser Grausamkeit durch eine Schülerin zu beobachten. III.1/2.TA. 435

Lehrkraft III:

kira

436 437

Kira: Lehrkraft:

(- -) die ARmen ARmen kinder (-) JA GRAUsam

438 uk: 439 Lehrkraft: Tabelle 224: III.1/2.TA.435–439

(.) ja aber (-) sowas gab es wirklich zu früheren zeiten

Nicht die Irritation bezüglich Gottes Handeln, sondern das Schicksal der Kinder löst diese Stellungnahme Kiras aus. Spannend ist, dass die Lehrkraft in ihrer Reaktion – anders als Lehrkraft I mit ihrer Frage, ob das Erzählte so wörtlich genommen werden müsse – keine Abschwächung der geschilderten Ereignisse

456

Die Analyse

vornimmt, sondern deren Wirklichkeit »zu früheren Zeiten« in der gehörten Form (»sowas«) konstatiert (III.1/2.TA.439). Zusätzlich zu der Thematisierung der Frage, ob das Erzählte »so wörtlich« genommen werden müsse, die in Reaktion auf die bei den Schüler_innen wahrgenommene Erschütterung über dessen Grausamkeit stattfindet (s. Kap. 6.1.2.1), geht Lehrkraft I noch in zwei weiteren Situationen auf die Frage ein, wie mit dem Gehörten umzugehen sei. I.5(a).TA. 169 170

Lehrkraft I:

(1.3) in der bibel steht immer aaron ist sein BRUder aber man muss wissen damals (.) brüder waren alle die im glauben brüder waren ne? wir wissen also nicht ob das ein verwandter ist von ihm

171 172 173

(- -) ne? aber er schickt ihm noch einen boten mit (-) das ist aaron (-) und sie machen sich auf den weg (.) nach ägypten

174 175 Tabelle 225: I.5(a).TA.169–175 I.7.TA. 300

(- -) gott schickt ihm noch (-) aaron mit–

Lehrkraft I:

301

(- - -) gehen zum pharao

(1.4) aber jetzt müsst ihr EInes bedenken (-) in der BIbel steht das volk der israeliten ist LANGe zeit in der wüste (1.3) in der bibel sind immer so JAHreszahlen angegeben

302 303 304

die sollen uns etwas sagen (- - -) und wenn in der BIbel steht

305

(- - -) das volk der israeliten ist VIERzig JAHre in der wüste (-) WA:s!?

306

Jacqueline:

307 308

Lehrkraft:

(- -) dann (.) können wir nicht (.) wissen (1.8) dass es jetzt vierzig jahre sind so wie wir vierzig jahre kennen

309 310

vierzig jahre steht für eine lange lange zeit die sie durch die wüste gehen das kann man sich ja VORstellen

311 312

(.) wenn man zu FUß eine wüste durchqueren muss dann schafft man das nicht in zwei drei tagen

313 Tabelle 226: I.7.TA.300–313

[(-) da ist man eine LAnge LAnge zeit unterwegs]

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

457

In diesen beiden Szenen fügt die Lehrkraft ihre Erläuterungen in ihr Erzählen ein, wobei kein Auslöser – beispielsweise in Form von Rückfragen oder nonverbal geäußerter Irritation der Schüler_innen – zu beobachten ist. Ähnlich des sich in dem Incident »nicht wörtlich nehmen« dokumentierenden Konzepts des biblischen Textes wird auch hier die wortwörtliche Deutung der biblischen Angaben in Frage gestellt, und es dokumentiert sich eine Rezeption, welche sich zwischen der Zuschreibung einer metaphorischen Bedeutung (»steht für« (I.7.TA.309)) und einem Lesen als Bericht über Vergangenes, dessen wortwörtliche Richtigkeit nicht sicher ist (I.5(a).TA.172; I.7.TA.307f.), bewegt. Auch in Unterrichtseinheit II ist in einer Szene zu beobachten, dass die Lehrkraft den Literalsinn des von ihr Vorgelesenen in Abrede stellt, ebenfalls ohne erkennbaren Auslöser im Verhalten der Schüler_innen. II.6.TA. 146

Lehrkraft I:

(- - -) »ich werde sie aus ägypten beFREIen und in ein LAND führen

147 148

in dem milch und HOnig fließt« ((unterbricht das Vorlesen)) (- -) milch und honig fließen das GIBT es nicht wirklich–

149

(-) ähm habt ihr noch nie gehört dass in einem land milch und HOnig fließt (-) ähm was könnte das denn wohl bedeuten hat jemand eine idee?

150 Tabelle 227: II.6.TA.146–150

Mit der Verneinung der Existenz eines Fließens von Milch und Honig in der gemeinsam mit den Schüler_innen geteilten Wirklichkeit sowie mit der Frage nach der möglichen Bedeutung dessen signalisiert die Lehrkraft, dass die Bedeutung nicht in der wortwörtlichen Auffassung des Textes zu finden, sondern auf einer anderen Ebene zu suchen sei (s. Kap. 6.2.2.2). In keiner anderen Szene der Unterrichtseinheit findet sich eine solche explizite Verneinung des Realitätsgehaltes des von der Lehrkraft Erzählten. Auch in Unterrichtseinheit III ist – mit Ausnahme der oben aufgeführten Äußerung zur Erzählung vom Tod der männlichen israelitischen Neugeborenen – keine explizite Stellungnahme zur Frage der Wirklichkeit des zumeist aus der Neukirchener Kinder-Bibel Vorgelesenen zu beobachten. 6.4.3.2 Implizite Bedeutungszuschreibung Für die Bearbeitung der Fragen, wie die Exodus-Erzählung seitens der Lehrkräfte präsentiert wird, welches Konzept des biblischen Textes auf diese Weise konstruiert wird und welche Deutungsspielräume sie hierdurch für die Schüler_innen eröffnen – oder schließen – sind gerade die Abschnitte der Erzählung

458

Die Analyse

genauer zu betrachten, in welchen Ereignisse geschildert werden, die den im Allgemeinen bekannten naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten zuwiderlaufen und dabei mit Gott in Verbindung gebracht werden. In diesen Erzählsequenzen scheint die Andersartigkeit im Vergleich zu klassischer fiktionaler Prosa einerseits und einem Tatsachenbericht andererseits besonders deutlich hervorzutreten. Die komparative Analyse der Szenen der drei Unterrichtseinheiten, in welchen die wunderhaften Abschnitte der Exodus-Erzählung bearbeitet werden (der brennende Dornbusch, die zehn Plagen, die Teilung des Meeres, das Wasser in der Wüste, die Versorgung mit Manna und Wachteln), zeigen ein ähnliches Handlungsmuster aller drei Lehrkräfte mit ausschließlich impliziten Bedeutungszuschreibungen. Der brennende Dornbusch In jeder der drei Unterrichtseinheiten wird der brennende aber nicht verbrennende Dornbusch beim Erzählen benannt und dieses Phänomen seitens der Lehrkräfte als »ungewöhnlich« markiert (I.4.TA.138–140, I.5(a).TA.100, 421; II.4.TA.400–403, 405; III.6.TA.289–291). I.4.TA. 133 134

Lehrkraft I:

(1.7) von weitem sieht er (2.0) ein dornbusch (1.5) und der brennt lichterloh

135 136

(- - -) ihr habt das gerade richtig erkannt (-) rote (.) flammen

137 138

(2.6) und dann geht er genauer hin und schaut (- - -) und er denkt (-) »was ist das denn (.) der busch brennt

139 140

(- - -) aber der verbrennt gar nicht (2.0) äußerst ungewöhnlich«

141 142

(2.0) moses (.) ging noch näher ran (.) und plötzlich ruft jemand seinen namen

I.5(a).TA. 100

Lehrkraft:

(1.3) und dieser DORNbusch der BRANnte und NICHT verBRANnte

101 102

der ZOG die AUFmerksamkeit von moses auf sich (- -) und deswegen hab ich ge(dach)t ist es wichtig dass ihr es nochmal AUFmalt

103 104

(- - -) der brennende dornbusch der brennt aber NICHT verbrennt (1.8) und DORT gibt sich GOTT zu erkennen

[…]

[…]

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

459

(Fortsetzung) 421

Textblatt:

»[…] Da sah er einen Dornbusch, der in Flammen stand. ›Wie ist das nur möglich?‹, fragte sich Mose erstaunt. ›Der Strauch brennt, aber er verbrennt nicht. Das muss ich mir einmal genauer ansehen.‹ […]« Tabelle 228: I.4.TA.133–142; 1.5(a).TA.100–104, 421 II.4.TA. 392

Lehrkraft II:

393

ein BUSCH ist das ganz genau weil es/

396

du siehst (1.2) du siehst der ist nicht ganz so HOCH und wenn ähm (.) wenn pflanzen nicht ganz so hoch sind nennt man die dann also büsche und bäume ist dann noch wieder ein ganzes stück höher ja ein brennender busch ganz genau

397 398

Marco:

[(-) EINes TAges (.) genau (.) ] [((zeigt aus dem Fenster)) das ist ein Baum]

399

Lehrkraft:

394 395

400 401 402 403 404 405 406

dass der nicht verBRENNT (-) der brennt einfach nur Niko: Lehrkraft:

407 408

[aber der verbrennt nicht] [((verzieht stirnrunzelnd das Gesicht)) ((leise)) hä?] und das ist ungewöhnlich wir haben in letzter zeit buschfeuer gehabt in ähm:: in ausTRAlien und in nordamerika und so weiter und da ist es ja so dass ganze bäume ganze riesige waldflächen abgebrannt sind–

409 410 Tabelle 229: II.4.TA.392–410 III.6.TA. 286 287

(-) eines tages sieht also de:r äh MOse einen brennenden busch– und er WUNdert sich weil bei diesem busch ist es nämlich so

Lehrkraft III:

und HIER ist es halt so es brennt– aber VERbrennt nicht

(2.0) ((beginnt aus der Kinderbibel vorzulesen)) »EINmal kam mose mit seinen SCHAfen bis nahe an den berg SInai

460

Die Analyse

(Fortsetzung) 288

(- - -) da sah er einen DORNstrauch der lichterloh brannte

289 290

(1.2) ›wie ist das nur MÖGlich‹ fragte mose erstaunt (-) ›der strauch brennt und verbrennt DOCH nicht‹

291

(- -) ›ich wil einmal HINgehen und sehen warum er nicht verbrennt‹ (- -) NEUgierig ging er auf den strauch zu«

292 293

(- -) ((unterbricht das Vorlesen)) was ist DAmit ma/ gemeint er brennt aber er verbrennt nicht (1.4) ihr habt jetzt ja gerade in sachunterricht auch das thema FEUer

294 295 296

was passiert denn wenn etwas brennt (- -) marlene

297

Marlene:

298

Lehrkraft:

dann würde es ja eigentlich irgendwann weg sein also weggebrannt sein hm: ja was bleibt dann nachher nur noch übrig

299 300

Fabian: Lehrkraft:

asche (-) genau (- -) und DIES ist jetzt ein DORNbusch–

301 302 303 304 Tabelle 230: III.6.TA.286–304

(-) der brennt lichterloh man sieht flammen– (-) Aber (- -) es BLEIBT immer noch ein busch (3.2) wo kommst du denn her liam?

Lehrkraft II und III heben dabei die Besonderheit dieses Phänomens implizit hervor, indem sie diesem Beispiele für ein »Brennen« aus der Lebenswelt der Schüler_innen vergleichend gegenüberstellen (»Buschfeuer« in Australien und Nordamerika (II.4.TA.406–410), »Thema Feuer« im Sachunterricht (III.6.TA.294–303)). Eine Erklärung für das nicht erfolgende Verbrennen führt keine der Lehrkräfte an. Bis auf Niko, der nonverbal Unverständnis gegenüber dem von Lehrkraft II Gesagten signalisiert (II.4.TA.404), äußert keine der Schülerinnen und keiner der Schüler Rückfragen oder Irritation hinsichtlich des geschilderten Phänomens. Auch in den Phasen der Wiederholung beschreiben die Schüler_innen – dem Erzählen der Lehrkraft entsprechend –, dass der Busch brenne aber nicht verbrenne ohne beobachtbare Zeichen möglicher Verwunderung oder Zweifel hinsichtlich des – von Lehrkraft II und III aufgezeigten – Widerspruchs zu ihrem bisherigen Wissen über Feuer bzw. brennendes Holz (I.5(a).TA.11–13; II.5.94–97, II.6.TA.21–28; III.7.TA.171–181).

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

461

I.5(a).TA. 11

Lehrkraft I:

wo hat er das gesagt?

12

Lena:

13

Lehrkraft I:

(-) ähm:: (.) als de:r an diesem brennenden busch stand der (.) dann nicht verbrannte (-) der brannte aber nicht verbrannte

14 Tabelle 231: I.5(a).TA.11–14

(-) weißt du auch noch wo der dornbusch STAND?

II.5.TA. 94 95

Elisa:

de:r kommt da an so einen brennenden bu_usch

96 97

Lehrkraft II: Elisa:

[hm’_m`_hm’ ] der verBRENNT gar nicht und da kommt eine STIMme raus

98

Lehrkraft II:

GEnau das war die geschichte ((ebenfalls in ELisas Richtung)) kannst dich noch erinnern?

II.6.TA. 21 22

Lehrkraft II:

(-) WAS wisst ihr darüber noch?

23

Marco:

24

Lehrkraft II:

[und der busch]

über den brennenden DORNbusch was war damit LOS? ((räuspert sich)) (-) er hat gebrannt aber ist nicht verkokelt gut (.) wer weiß noch mehr darüber?

ähm und aus dem busch da kam eine STIMme WESSEN stimme war es? 27 Amelie: (-) die von GOTT 28 Lehrkraft II: (-) SO und was hat gott denn zu dem MOse gesagt? Tabelle 232: II.5.TA.94–98; II.6.TA.21–28 25 26

Elisa: Lehrkraft II:

III.7.TA. 170

Lehrkraft III:

171

was dann mit diesem DORNbusch was es damit auf sich hat (-) phillip

172 173 174 175 176

(1.5) WAS passierte dann? wer kann nochmal mit eigenen worten eben erzählen

Phillip:

(- - -) der hat irgend so ein FEUer gesehen das nicht ausgang (-) und da ist er dann hingegangen– (- - -) und dann war das irgend n DORNbusch und dann (- - -) hat gott zu ihm gesprochen

462

Die Analyse

(Fortsetzung) 177

Lehrkraft III:

178 179 180

((nickt)) m`_hm’ (- - -) was war das beSONdere an diesem dornbusch (1.7) oder an diesem BRENNenden dornbusch auch (.) melina

Melina:

181 Lehrkraft III: Tabelle 233: III.7.TA.170–181

(-) der BRANNte aber ähm (-) der wurde nicht zu asche ((nickt)) m`_hm’ (-) richtig

Die zehn Plagen, die Teilung des Meeres und das Wasser in der Wüste Wie oben bereits dargelegt erfolgt das Erzählen der zehn Plagen in Unterrichtseinheit II und III ohne, dass die Bedeutung dieser Plagen bzw. der Grund für diese auf einer anderen als der Ebene des Handlungsverlaufs thematisiert wird. Die Außergewöhnlichkeit der hier erzählten Geschehnisse wird weder von den Schüler_innen noch von den Lehrkräften (II, III) zur Diskussion gestellt. Ebenso ist keine Erklärung dieser Phänomene seitens der Lehrkräfte zu beobachten. In Reaktion auf die wahrgenommene Irritation der Schüler_innen initiiert Lehrkraft I zwar ein Gespräch über die Deutung der Erzählung, speziell der zehnten Plage, die Analyse zeigt jedoch, dass hier nicht die ungewöhnlich scheinenden Ereignisse den Auslöser für diese Erklärung auf der Metaebene bilden, sondern die von den Schüler_innen problematisierte göttliche Gewalt gegen die ägyptischen Erstgeborenen (»ja das ist irgendwie auch sehr erschütternd, dass Gott irgendwie, Gott kann doch nicht einfach so irgendwelche Menschen töten«1372, »das soll uns diese Geschichte erklären, es geht garnicht darum, um den Tod der ältesten Söhne, das ist nur eine Erklärung, aber so mächtig ist Gott«1373). Auch in den Szenen, in welchen die Erzählung von der Rettung der Israeliten vor ihren ägyptischen Verfolgern präsentiert und bearbeitet wird, sind hinsichtlich des Phänomens des sich teilenden Meeres1374 weder Erklärungen der Lehrkräfte (I, III) noch Rückfragen der Schüler_innen zu beobachten. 1372 Lukas, I.5(b).TA.16f., s. Tabelle 272 im digitalen Anhang. 1373 I.5(b).TA.146f., s. Tabelle 24, S. 184f. 1374 Lehrkraft II erzählt hier von Gott, der sich in Form einer Wolke wie eine »Nebelwand«/ »Wand« zwischen die Israeliten und Ägypter stellt, sodass Erstgenannte ohne weitere Gefahr weiterziehen können. (II.7.TA.207–222, s. Tabelle 216, S. 446f.; II.8(a).TA.46–60, s. Tabelle 295 im digitalen Anhang). Im Rahmen der Wiederholung der erzählten Ereignisse bestätigt sie Michaels Nachfrage, ob dies wie eine Mauer sei sowie implizit auch den Vergleich Larissas mit der Mauer »bei Berlin«, wodurch die Deutung von »Mauer« im wortwörtlichen Sinn suggeriert wird (II.7.TA.224–231, s. Tabelle 137, S. 333f.).

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

I.6.TA. 231

Lehrkraft I:

463

»strecke (-) den arm aus«

232 233

(- -) ne? (.) »stell dich ans ufer strecke deinen arm aus (-) und das meer wird sich teilen«

234

(- - -) und das meer teilte sich (- - -) so stehts in der bibel– (- -) ne? ein breiter weg wurde frei

235 236 237 238 Tabelle 234: I.6.TA.231–238

und die israeliten konnten mit kind (.) und mann und frau und tier (.) trockenen fußes durch das meer gehen (-) weil dort ein freier weg war

Lehrkraft I führt jedoch mit dem Verweis darauf, dass dies so in der Bibel stehe (I.6.TA.234), einen Beleg an, der die Richtigkeit des von ihr Gesagten bestätigt. Die im Anschluss an diese Erzählsequenz von der Lehrkraft angefügte, wiederholte Erklärung, dass sich die Israeliten dies in Folge der Zusage Gottes erzählt hätten, bezieht sich erneut nicht auf die Außergewöhnlichkeit der Meeresteilung, sondern auf die geschilderte Grausamkeit des Ertrinkens der ägyptischen Verfolger. Die Erzählung zur Wandlung des bitteren Wassers in der Wüste nehmen nur Lehrkraft II und III in die Unterrichtseinheit auf. Während Mose in der freien Erzählung von Lehrkraft II auf den Rat Gottes hin einen Stock in das bittere Wasser werfe und dies sich daraufhin in genießbares Wasser wandele, erfolgt dies in der von Lehrkraft III vorgelesenen Fassung der Neukirchener KinderBibel nach einem Gebet zu Gott, jedoch ohne, dass Gott Mose hierzu explizit auffordere. Während dieser Erzählungen sowie im Anschluss daran stellen die Schüler_innen keine Fragen zur Verwandlung des bitteren Wassers. Zwar deutet die mimische Reaktion zweier Schüler in Unterrichtseinheit II eine gewisse Irritation hinsichtlich der Schilderung der Lehrkraft an. Diese Irritation wird aber nicht in Form einer verbalen Äußerung expliziert. Die Lehrkräfte geben keine weiterführenden Erklärungen zu dem beschriebenen Phänomen. Jedoch unterbricht Lehrkraft III ihr Vorlesen für den Hinweis, dass an einer »anderen Stelle« erwähnt werde, dass »Mose mit seinem Stab, mit seinem großen Hirtenstab auf den Felsen schlägt und dadurch eine Quelle entsteht, also dass Wasser aus dem Felsen rinnt«.1375 Auch an dieser Stelle folgen keine beobachtbaren Rückfragen der Schüler_innen und die Lehrkraft setzt das Vorlesen aus der Kinderbibel fort.

1375 III.11/12(a).TA.478–486, s. Tabelle 171, S. 398.

464

Die Analyse

Die Versorgung mit Manna und Wachteln in der Wüste Im Anschluss an das gemeinsame Sprechen eines »Rap«, in welchem Gott den über Hunger klagenden Israeliten Essen verspricht (»Morgen früh steht auf und schaut vor das Zelt: Da findet ihr zu essen was vom Himmel fällt!«1376), fragt Lehrkraft I die Schüler_innen, um welche Art von Essen es sich hierbei handeln könnte (»Was haben sie den jetzt gefunden jeden Morgen, was lag den vor dem Zelt?«1377, »[…] was könnte das denn sein?«1378). Mira äußert die Vermutung, dass es Fleisch sein könnte. Die Lehrkraft validiert dies implizit mit der Bemerkung, dass sie auf dem richtigen Weg sei (»du hast gar nicht dumm gedacht Mira, du bist auf dem richtigen Weg«1379), und erteilt dann Mira das Wort. I.8.TA. 50 51 52 53

Marie:

(-) brot

Lehrkraft I: Jan: Lehrkraft I:

(.) BROt fällt vom himmel (.) hm`_hm’ das geht gar nicht das geht gar nicht sagt jan

54 55

Christoph: Lehrkraft I:

(- -) und warum geht es dann bei fleisch? (- - -) warum geht das bei fleisch warum gehts nicht bei brot?

57

(2.0) brot das vom himmel fällt (.) ist eine tolle idee ne? (2.5) marie? auch DU bist auf dem richtigen weg

58 59

(1.7) ich erklärs gleich nochmal genauer (- - -) ne? (2.0) und (- - -) äh:: noah

56

60 61

Noah: Lehrkraft I:

(.) wasser und alle möglichen früchte (- - -) meinst du sie kommen so ((macht mit beiden Händen eine herabfallende Bewegung))

62 63

Noah: Christoph:

((zuckt mit den Schultern)) ((zögerlich)) nä:: ((murmelt sehr leise)) nein so in gläsern dann

64 65

Lehrkraft I: Noah:

((zu Noah)) gott ist ja nun KEIN zauberer ne? (- -) nä: in kelchen (.) oder

66 67

Lehrkraft I:

[(- -) so] [hm_hm’]

68

(- -) was die beiden kinder hier gesagt haben das (.) stimmt schon

1376 Dieser Rap ist Teil eines von der Lehrkraft erstellten Arbeitsblattes (»Gott sorgt für sein Volk in der Wüste«), welches aus urheberrechtlichen Gründen hier nicht in Gänze abgedruckt werden kann. 1377 I.8.TA.35f., s. Tabelle 279 im digitalen Anhang. 1378 I.8.TA.39, s. Tabelle 70, S. 245. 1379 I.8.TA.48, s. Tabelle 70, S. 245.

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

465

(Fortsetzung) 69

(-) es kommt FLEISCH (.) WIE auch immer

70 71

und es kommt eine art BROT ((Der Praktikant kommt in die Klasse und wird von der Lehrkraft begrüßt.))

Tabelle 235: I.8.TA.50–71

Der nun von Marie geäußerte Beitrag (»Brot«) wird von der Lehrkraft unter Einbezug der im vorgetragenen Text genannten Quelle (»fällt vom Himmel«) wiederholt und mit dem anschließenden – intonatorisch Zustimmung signalisierenden – »hm`hm’« als von ihr anerkannt markiert (I.8.TA.51). Jan reagiert hierauf, ohne das Rederecht zugeteilt bekommen zu haben, und erklärt mit dem auf das vom Himmel fallende Brot verweisende Pronomen (»das«), dass dies »gar nicht« ginge (I.8.TA.52). In seiner Verneinung der Möglichkeit (»geht gar nicht«) dokumentiert sich ein Messen der Aussage Maries an den ihm vertrauten naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten. Die Lehrkraft wiederholt diesen Einspruch wortwörtlich ohne eine erkennbare Bewertung, macht jedoch deutlich, dass es sich hierbei um Jans Aussage handele (»sagt Jan«) (I.8.TA.53). Christoph stellt daraufhin eine Gegenfrage, die sich auf die Möglichkeit des von Mira vermuteten vom Himmel fallenden Fleisches bezieht (»Warum geht es dann bei Fleisch?«) (I.8.TA.54). Ein weiteres Mal gibt die Lehrkraft das zuvor Gesagte wieder, zunächst ohne eine Wertung dessen vorzunehmen (I.8.TA.55). Nach einer kurzen Pause wiederholt sie die von Marie gegebene Antwort erneut und validiert diese, indem sie erklärt, dass es sich dabei um »eine tolle Idee« handele. Durch die angefügte Fragepartikel »ne?« fordert sie dabei implizit die Zustimmung der Anwesenden zu ihrer Einschätzung ein (I.8.TA.56). Wie bereits bei ihrer Reaktion auf Miras Beitrag erklärt sie auch Marie, dass sie auf dem richtigen Weg sei und wiederholt damit die Würdigung ihrer Idee. Bevor die Lehrkraft Noah das Rederecht zuteilt, schließt sie mit dem Verweis, es »gleich nochmal genauer« zu erklären, sodass die Fragen von Jan und Christoph an dieser Stelle vorerst unbeantwortet bleiben I.8.TA.58). Noah bezieht sich mit seinem Beitrag auf die ursprüngliche Frage der Lehrkraft nach der Art des Essens, das vom Himmel falle, und gibt »Wasser und alle möglichen Früchte« als Lösung an (I.8.TA.60). Die Lehrkraft reagiert zunächst mit einer Frage zur Vorstellung Noahs über den genauen Ablauf des Erscheinens von Wasser und Früchten. Dabei visualisiert sie mit ihren Händen ein Herabregnen (I.8.TA.61). Noah negiert diese nonverbal ausgedrückte Vermutung eines Herabregnens von Wasser und Früchten, wobei die zögerlich geäußerte und in die Länge gezogene umgangssprachliche Form der Verneinung (»nä«) eine diesbezügliche Unsicherheit signalisiert. Es bleibt offen, ob die Lehrkraft die

466

Die Analyse

nun sehr leise geäußerte Idee Christophs (»nein so in Gläsern dann« (I.8.TA.63)) akustisch mitbekommt, sie wendet jedoch ihren Blick während ihrer anschließenden Äußerung nicht von Noah ab, sodass diese immer noch an ihn gerichtet zu sein scheint. Die Lehrkraft erklärt, dass Gott »kein Zauberer« sei, und suggeriert dabei mit der eingeschobenen Partikel »ja«, der intonatorischen Hervorhebung der Negierung (»kein«) sowie der nachgesetzten Zustimmung einfordernden Fragepartikel (»ne?«), dass dies bekannt sein sollte bzw. allgemein bekannt sei. Da dieser Hinweis nur als Reaktion auf Noahs Beitrag und nicht auf die Ideen von Mira und Marie folgt, wird implizit das Erscheinen von Wasser und Früchten im Unterschied zum Erscheinen von Brot und Fleisch als Zauberei markiert. In Noahs nun folgendem Angebot einer anderen als der von der Lehrkraft angedeuteten Erscheinungsform des Herabregnens (»in Kelchen oder so« (I.8.TA.65f.)) dokumentiert sich die Annahme, dass sich die Negierung der Lehrkraft mittels der Verneinung der Zauberkraft Gottes nicht auf die Art der Speisen, sondern auf die Art des Erscheinens dieser bezieht. Die Lehrkraft signalisiert, dass sie Noahs Entgegnung zur Kenntnis nimmt (»hm_hm’«) (I.8.TA.67), lässt eine explizite Bewertung dieser aber offen und validiert stattdessen erneut die Ideen von Mira und Marie (I.8.TA.68–70). I.8.TA. 96

Lehrkraft I:

(- -) und jetzt kommen wir zu maRIE

97 98

(- - -) marie sagte brot fällt vom himmel (1.3) die israeliten haben das was sie am morgen (.) vor ihren zelten

99 100

fanden aufgesammelt und das waren so weiße kügelchen (1.2) die waren ganz süß

101 102

(- - -) und die sagten dazu MANNA (man) könnte das übersetzen mit »was ist das?«

103 104

Noah: Lehrkraft I:

manna ne? (-) manna (- - -) und das ist das brot

105 106

das vom himmel fällt (- - -) es ist aber kein richtiges brot (- -) sondern

107 108

(2.0) ja (.) es ist ganz knusprig (-) ganz weich

109 110

(.) ganz fein oder ganz ganz leicht ganz zart

111 112

(2.0) aber das muss man sofort essen das darf man nicht liegen lassen (.) denn sonst verdirbt es

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

467

(Fortsetzung) 113

man muss es am gleichen tag aufessen

114 115

man kann es einsammeln und aufessen und sich davon ernähren

116 117

(2.9) dann hat man für einen tag genug (- -) aber gott lässt seine israeliten nicht im stich–

118

am nächsten morgen finden sie WIEder (.) dieses (.) manna (- -) sie sammeln es wieder ein und essen es auf

119 120 Tabelle 236: I.8.TA.96–120

und am NÄCHsten morgen gibts NEUes

In Rückbezug auf die von Marie geäußerte Idee des Erscheinens von Brot vor den Zelten der Israeliten erklärt die Lehrkraft, dass es sich bei dem »Brot, das vom Himmel fällt« (I.8.TA.104f.) um sogenanntes Manna handele, und beschreibt dieses in Form, Konsistenz und Geschmack. Mit dem Hinweis, Gott lasse »seine Israeliten nicht im Stich« und diese fänden am nächsten Morgen wieder Manna (I.8.TA.117f.), impliziert sie, dass Gott für die Versorgung mit dieser Speise verantwortlich sei. I.8.TA. 122 123

Noah:

(-) kann man das manna selber machen?

Lehrkraft I:

nein (.) das kann man nicht selber machen jetzt ist die frage

125

was IST denn dieses manna was SIND das denn für kügelchen? (1.3) da gibt es ganz unterschiedliche erKLÄrungen

126 127

(-) aber EInes (- - -) und jetzt müsst ihr gut aufpassen das finden vielleicht einige nicht so SCHÖN

128 129

was das ist Aber (.) vielleicht ist es das gewesen

130

(- -) in der wüste gibt es manchmal auch so sträucher so dornensträucher ja_a

124

131

Noah:

132

Lehrkraft I:

133 134 135

(.) ne? (-) und auf diesen sträuchern leben manchmal auch so SCHILDläuse (2.2) ne? und (- - -) DIEse schildläuse die scheiden eine flüssigkeit aus (1.2) und wenn das dann über nacht (- -) in der wüste kalt wird (- - -) dann wird diese flüssigkeit HARTund knusprig

468

Die Analyse

(Fortsetzung) 136

(.) die schmeckt SÜß (1.8) und das wird wohl DAS gewesen sein

137 138

was die da gefunden haben als manna [ (.) und das war genug dass]

139 140

mehrere SuS: Lehrkraft I:

[uä: org:: uä:] alle sich davon ernähren konnten (.) es war süß

141 142

Dennis:

also man hatte da auch zucker was auch wichtig ist ih:

143 144

Lehrkraft I: Jonas:

für die menschen ((flüstert zu Jacqueline)) ich dachte die essen jetzt die

145 146

Lehrkraft I:

[läuse buä::] [und/ (2.4) es/]

147

Lasse

148

Lehrkraft I:

149

[(-) aber das wussten die ja nicht (.) hauptsache die hatten was zu essen] (-) das ist es genau weißt du viele sachen die essen wir alle aber wir WISSen gar nicht was das ist aber es schmeckt lecker [(- - -) ne? (-) und]

150 151 152

Jonas:

[(- - -) haifischflossensuppe] (-) weiß man auch nicht unbedingt dass das haifischflossensuppe ist

153

Lehrkraft I:

154

viele sachen die wir essen und denken die sind lecker möchte ich auch gar nicht wissen was da alle drin ist

155 156

(- -) ne? aber äh:m (- -) du hast recht [(- -) es war vielleicht/]

157 158

Lasse: Lehrkraft I:

159 Tabelle 237: I.8.TA.122–159

[(- - -) hauptsache es ist was zu essen] es ist was zu essen und damit haben sie überlebt (.) so steht es in der bibel

Auf die Schilderung der Lehrkraft zur Beschaffenheit des Manna hin fragt Noah, ob dieses Manna »selber« gemacht werden könne (I.8.TA.122). Die Lehrkraft verneint dies und stellt nun ihrerseits die Frage, was »dieses Manna« sei und worum es sich bei den »Kügelchen« handele (I.8.TA.124). Indem sie ihrer Beantwortung der Frage die Hinweise vorausschickt, dass »es ganz unterschiedliche Erklärungen« hierfür gebe, und es das, was nun gesagt werde, »vielleicht« gewesen sei, schränkt die Lehrkraft den Gültigkeitsanspruch der nachfolgenden Antwort ein (I.8.TA.125, 129). Sie erklärt Manna als über Nacht erkaltende und

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

469

hart werdende Ausscheidung von Schildläusen, die auf Dornensträuchern lebten (I.8.TA.130–136). Im Anschluss an ihre Erläuterung, zeigt sie erneut mit der eingeschobenen – eine Annahme oder Vermutung signalisierenden – Partikel »wohl« (»und das wird wohl das gewesen sein«) eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der Richtigkeit ihrer Aussage (I.8.TA.136). Während einige seiner Mitschüler_innen verbal und mimisch Erstaunen und Ekel ausdrücken (I.8.TA.139, 142, 144f.), erklärt Lasse – diesen Äußerungen widersprechend (»aber«) – dass die Israeliten dies nicht gewusst hätten und die Möglichkeit der Ernährung im Vordergrund (»Hauptsache«) gestanden habe (I.8.TA.147). Lasse nutzt für die Beschreibung des Handelns der Israeliten wie die Lehrkraft (»was die da gefunden haben« (I.8.TA.137), »das war genug« (I.8.TA.138), »davon ernähren konnten« (I.8.TA.140), »man hatte da auch Zucker« (I.8.TA.141)) die Vergangenheitsform. Die Lehrkraft validiert diesen Beitrag (»das ist es genau«) und führt Lasses Idee weiter aus (I.8.TA.148–156). Im Anschluss an eine Unterbrechung durch Lasse – welcher erneut anführt, dass die Essbarkeit die Hauptsache sei (I.8.TA.157) – erklärt sie, dass es sich um etwas Essbares handele und die Israeliten damit überlebt hätten I.8.TA.158). Auch hier verwendet sie die Vergangenheitsform (»haben sie überlebt«). Anders als zu Beginn ihrer Erläuterungen zur Frage, was Manna ist, schränkt sie an dieser Stelle die Gewissheit ihrer Aussage nicht ein, sondern führt die Bibel als Quelle an (»so steht es in der Bibel« (I.8.TA.159)). An diesem Punkt der Erklärung ist kein Hinweis darauf zu beobachten, dass die Ernährung mit Manna auf Gott zurückzuführen sei. In Unterrichtseinheit II erklärt die Lehrkraft im Anschluss an das gemeinsame Betrachten von Fotografien verschiedener Wüsten, dass es nun darum ginge, zu »schauen, wie denn eigentlich die Israeliten klargekommen sind in der Wüste« (II.8(b).TA.1f.). Sie führt diese Aussage mit der intonatorisch hervorgehobenen Konjunktion »denn« fort und impliziert damit, dass die daraufhin von ihr angesprochene Zusage Gottes an die Israeliten mit dem »Klarkommen« in kausalem Zusammenhang stehe (II.8(b).TA.2). II.8(b).TA. 1 2

Lehrkraft II:

3 Marco: 4 Lehrkraft: Tabelle 238: II.8(b).TA.1–4

gut jetzt wollen wir mal schauen wie denn eigentlich die: (.) israeliten klargekommen sind in der wüste DENN gott hat ja was gesagt zu den israeliten– (1.6) »ICH bin DA« (-) SO! jetzt wollen wir mal gucken (.) also wir sehen

Nachdem die Lehrkraft auf die Schwierigkeit hingewiesen hat, in einer Wüste an Nahrung zu gelangen (»[…] aber ich muss wie gesagt erstmal was zu essen

470

Die Analyse

bekommen und ich kann ja auch nicht irgendwas anbauen […]«1380), legt sie eine neue Folie1381 auf den Tageslichtprojektor, deren untere Hälfte zunächst mit einem Blatt Papier verdeckt ist. II.8(b).TA. 25 26

Lehrkraft II: Jeremias:

OH:

27 28

Lehrkraft II:

in der wüste (.) sch::: in der wüste (- - -) gibt es: (- - -) sträucher (- -) [und dieser strauch hier]

29 30 31 32

Jasper : Lehrkraft II:

33 34 35 36 37 38

SO! was ist da passiert?

[((leise)) mit DORnen] (-) der heißt tamariske (- -) also tamariske ein strauch (- - -) und auf diesem strauch

Jasper : Lehrkraft II:

(- -) äh:: (.) können sich (.) LÄUse aufhalten (- -) oh:: und diese läuse (1.2) bohren sozusagen die pflanze an (.) ihr wisst ja ihr müsst eine pflanze gießen und dann

39 40

(.) äh: läuft also durch den stängel auch wasser durch die pflanze ernährt sich ja von dem wasser

41 42

und von dem was (sie) so aus dem boden rausholt und diese SCHILDläuse oder diese LÄUse

1380 II.8(b).TA.11f., 4–24, s. Tabelle 298 im digitalen Anhang. 1381 Der obere Teil der Folie zeigt eine schwarz-weiß Zeichnung eines Tamariskenzweiges. Mit einer ebenfalls eingezeichneten Lupe ist ein Abschnitt des Zweiges vergrößert dargestellt an welchem eine Laus sitzt. Aus dem Hinterleib der Laus fallen kleine Kügelchen, welche sich am unteren Bildrand in einem kleinen Haufen sammeln. In die Abbildung sind die Beschriftungen »Manna-Tamariske«, »Schildlaus saugt zuckerhaltigen Saft« und »scheidet süßes, klebriges Manna aus« eingefügt. Rechts neben dieser Abbildung befindet sich ein Text im Blocksatz: »Manna: Manna ist ein kleines weißes oder gelbes Kügelchen. Dieses wird von Schildläusen ausgeschieden, die den süßen Saft aus Tamarisken saugen. In der Kühle der Nacht erstarren die Tropfen und fallen zu Boden. Manna schmilzt in der Mittagshitze und ist dann ungenießbar.« Die untere Hälfte der Folie zeigt eine schwarz-weiß Zeichnung einer Wachtel mit der Größenangabe »20 cm« sowie eine Umrisszeichnung einer Landkarte des Mittelmeerraumes, in welcher zwei Pfeile die Flugrichtung der Wachteln von Europa nach Afrika anzeigen. Links neben der Abbildung der Wachtel und oberhalb der Landkarte ist ein weiterer Text im Blocksatz eingefügt: »Wachteln: Wachteln sind Vögel. Sie sind braun gefärbt und tragen rostgelbe Streifen. Wachteln sind Zugvögel. Im September verlassen sie Europa und kehren im März aus Afrika zurück. Häufig machen sie auf der Sinaihalbinsel Rast. Die erschöpften Vögel lassen sich dort leicht mit der Hand fangen.«

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

471

(Fortsetzung) 43

(-) bohren die pflanze an (-) und ernähren sich von dem

44 45

(-) was in der pflanze in leitungsbahnen hochläuft (1.5) und wenn man etwas gegessen hat

46 47

dann SCHEIdet man natürlich auch etwas aus (-) das heißt also die SCHILDläuse geben auch wieder etwas ab

48 49

und das sehen wir hier ((zeigt auf die Abbildung)) da kommen also aus dem hinterleib (- -) kommen kleine kügelchen raus

50 51

(- -) und diese kleinen kügelchen (-) die sind SÜß und die nennt man MANNA

52

(- -) MANna ist also etwas was sozusagen von den schildläusen AUSgeschieden wird (- - -) ähm::

53 54 55 56 57

Jasper : Lehrkraft II:

[und dieses] [ist das kacka?] (- - -) so getränk bitte wegpacken (1.51)

58 59

Marco: Lehrkraft II:

((leise)) ist das kacka? DIEses (- - -) dieses MAnna

60 61

(-) ist SO dass: (.) man das ESsen kann (-) das heißt die israeliten (- -) ((räuspert sich)) können also diese tropfen

62 63 64

in der also wenn das also NAcht wird (-) dann kühlt (-) wer knackt da immer irgendwie RUM mit irgendwas? ((murmelt etwas))

65

uk:

66

Lehrkraft II:

67 68 69 70 71

ALso in der nacht wenn es kühl wird dann äh; trocknen also diese kügelchen dieses manna was zum boden flieg/äh zum boden fällt (.) auf den boden fällt U:nd äh die israeliten können sich davon erNÄHRen (-) das ist süß und das gibt kraft das ist wie wenn ich sozusagen brot esse (- -) und genau das ((räuspert sich)) macht gott auch er führt sie also an LAgerplätze (-) wo ähm:

472

Die Analyse

(Fortsetzung) 72

(- -) diese schildläuse sind und wo diese tamaRISke sind

73

(- -) tamarisken sind und dann fällt also dieses äh MANna dieses (.) dieser süße kot sozusagen fällt heraus und ich kann also

74 75 (…)

(-) mich morgens davon erNÄHren (…)

88 89

(- -) das heißt also gott hat ja gesagt »ich bin da« (-) das heißt es muss sich drauf verlassen am nächsten morgen ist WIEder

90

MANna da (-) ((zu Michael, der sich meldet)) wolltest du noch etwas sagen? Tabelle 239: II.8(b)TA.25–75, 88–90

Mit der Betonung der Partikel »so« signalisiert die Lehrkraft, dass der vorangegangene Abschnitt an dieser Stelle endet und ein neuer beginnt (II.8(b).TA.25). Die anschließende Frage nach dem, was »da« passiert sei, rekurriert mit dem verwendeten Perfekt auf einen Punkt in der Vergangenheit. Der Bezugspunkt des Adverbs »da« ist dabei allerdings nicht eindeutig, sodass zunächst offen bleibt, ob sich die Lehrkraft hiermit auf die von ihr in diesem Moment betrachtete Abbildung bezieht oder auf die kurz zuvor problematisierte Situation der Israeliten in der Wüste. Die Lehrkraft erklärt, dass es in der Wüste Sträucher mit Dornen gebe, Tamarisken, auf denen sich Läuse »aufhalten« könnten (II.8(b).TA.27–35). Diese würden die Pflanze »anbohren« und sich davon ernähren (II.8(b).TA.37,42f.). Die von ihr eingeschobene Informationen zur Wasser- und Nährstoffaufnahme von Pflanzen (II.8(b).TA.38–41) leitet die Lehrkraft mit der Formulierung »ihr wisst ja« ein und suggeriert damit, dass das Folgende zum Allgemein- bzw. Vorwissen der Schüler_innen gehöre, sie sich also auf allgemein Bekanntes beziehe. Mit der Aussage, dass man in Folge der Nahrungsaufnahme etwas »ausscheidet«, beschreibt sie einen – mit dem eingeschobenen Adverb »natürlich« als selbstverständlich markierten – Prozess (II.8(b).TA.46). Dieser wird im Folgenden auf die Schildläuse bezogen (»das heißt also die Schildläuse geben auch wieder etwas ab« (II.8(b).TA.47)) und anhand der an die Wand projizierten Abbildung erklärt (»und das sehen wir hier […]« (II.8(b).TA.48). Die Lehrkraft erläutert, dass die auf der Abbildung aus dem »Hinterleib« kommenden »kleinen Kügelchen« »Manna« genannt würden, wobei die verwendete Formulierung »man« ein allgemeines Wissen über diese Bezeichnung impliziert (»die nennt man«) (II.8(b).TA.49–51). Die Lehrkraft beschließt ihrer Erläuterung mit der Konklusion (»Manna ist also […]«), dass

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

473

Manna etwas sei, »was von den Schildläusen ausgeschieden« werde (II.8(b).TA.52). Durch die Ergänzung des Adverbs »sozusagen« erfährt dieser Schluss eine indirekte Einschränkung. Es suggeriert, dass es nur ungefähr aber nicht exakt das Gleiche sei. Zeitgleich mit der Fortsetzung ihrer Erläuterungen fragt Jasper, ohne das Rederecht zugeteilt bekommen zu haben, ob es sich dabei um »Kacka« handele (II.8(b).TA.55). Seitens der Lehrkraft ist auf diese Äußerung keine Reaktion zu beobachten. Da Jasper sich parallel zu ihrem Sprechen äußert, ist es möglich, dass sie seine Frage akustisch nicht mitbekommt. Zudem richtet die Lehrkraft ihre Aufmerksamkeit bereits während ihres Ansatzes zu weiteren Erklärungen auf Dennis, der seine Trinkflasche aus seiner Schultasche nimmt (II.8(b).TA.56). Auch auf die wortwörtliche aber leise geäußerte Wiederholung der Frage Jaspers durch Marco (II.8(b).TA.58) geht die Lehrkraft nicht ein, sondern setzt die Beschreibung des Manna fort. Ausgehend von der Erklärung, dass das Manna »so« sei, dass »man« es essen könne, bezieht sie das Gesagte (»das heißt«) auf die Israeliten (»die Israeliten können also diese Tropfen […] die Israeliten können sich davon ernähren« (II.8(b).TA.59–68). Im Anschluss an die nachträgliche Information zu Geschmack und Nährwert des Manna (II.8(b).TA.69) erklärt die Lehrkraft, dass Gott die Israeliten (»sie«) an »Lagerplätze« führe, an denen Tamarisken und Schildläuse seien, aus denen »dieses Manna […] dieser süße Kot« herausfalle (II.8(b).TA.70–74). Auch nach der nun folgenden Erläuterung zur Verderblichkeit des Manna erfolgt ein weiterer Verweis auf den Zusammenhang zwischen Gott und dem Manna. Die Lehrkraft zieht mit dem Hinweis auf die – implizit als den Schüler_innen bekannt markierte (»Gott hat ja gesagt«) – Zusage Gottes den Schluss (»das heißt«), dass sich das Volk Israel (»es«) darauf verlassen müsse, dass am nächsten Morgen wieder Manna da sei (II.8(b).TA.88–90). Die Art der Umsetzung dieser Zusage wird – anders als zuvor mit der Beschreibung des Geführtwerdens von Gott zu Manna produzierenden Schildläusen – an dieser Stelle nicht erneut expliziert. II.8(b).TA. 90 91

Lehrkraft II:

MANna da (-) wolltest du noch etwas sagen?

Michael:

(- -) ja (.) und die KÜgelchen sind doch voll klein

92 93

Lehrkraft II:

wie kann man die denn dann ESsen? (-) indem man mehrere zusammen nimmt

94 95

Michael:

96 97 98

(- -) aber wenn man wenn die zum beispiel jetzt (- -) so viele wie die wenn (.) eine so viel macht (-) (und) dass so: drei leute sind

Lehrkraft II:

hm_hm–

474

Die Analyse

(Fortsetzung) 99

Michael:

in einer familie reicht das?

100

Lehrkraft II:

(-) das hat ausgereicht (-) so steht es zumindest in der BIbel dass es dann ausgereicht hat und äh:

101 102 103 104 105 106 107 Tabelle 240: II.8(b).TA.90–107

man konnte sich drau/ die israeliten konnten sich drauf verlassen dass gott ihnen ausreichend viel von diesem manna gibt (- - -) aber du hast recht da kommt natürlich nicht so ganz viel runter da muss/müssen schon ordentliche dornenbüsche tamarisken sein damit da ordentlich was runterfällt ne? (- -) da muss man sich drauf verlassen

Die Lehrkraft teilt in direktem Anschluss an ihre Erläuterungen Michael das Rederecht zu (II.8(b).90). Dieser zeigt seine Wortmeldung seit der Äußerung der Lehrkraft an, dass die Israeliten sich von den zu Boden fallenden »Kügelchen« ernähren könnten (II.8(b).TA.67f.). Michael greift den Begriff der »Kügelchen« auf und konstatiert mit Blick auf die projizierte Abbildung, dass diese »voll klein« seien. Die dieser Bewertung vorgesetzte Partikel »doch« sowie die in der nachfolgenden Frage – nach der Art und Weise der Ernährung mit diesen Kügelchen – eingeschobene Partikel »denn« verstärken den mit dieser Frage (vor allem intonatorisch) implizierten Zweifel an der Erklärung der Lehrkraft (II.8(b).TA.91f.). Sowohl die ohne ein erkennbares Überlegen sofort anschließende Antwort der Lehrkraft, dass »man«, um diese Kügelchen essen zu können, mehrere zusammennehme als auch ihre Selbstverständlichkeit suggerierende Intonation, signalisieren, dass diesbezüglich kein Zweifel bestehe (II.8(b).TA.93). Mit der einen Einwand ausdrückenden Konjunktion »aber« zeigt Michael an, dass diese Antwort seine Bedenken hinsichtlich der Ernährung der Israeliten noch nicht ausräumt. Er führt diese im Modus einer Exemplifizierung weiter aus (II.8(b).TA.94). Dreimal setzt Michael zu einer Erklärung der Bedingungen seiner Überlegung an (»aber wenn man«, »wenn die«, »wenn eine«) und markiert dabei mit dem Deuten auf die projizierte Abbildung den Einbezug der darauf enthaltenen Informationen in seine Argumentation (II.8(b).TA.94–96). Dabei setzt er die abgebildete Menge von ausgeschiedenen Kügelchen (»so viele wie die, wenn eine so viel macht«) mit einer von ihm geschätzten (»so«) Anzahl von Personen einer Familie des Volkes Israel ins Verhältnis und fragt, ob dies zur

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

475

Ernährung ausreiche (II.8(b).TA.94–99). In dieser Art der Ausdifferenzierung seiner Frage dokumentiert sich ein Messen des von der Lehrkraft Erzählten an der von ihm erlebten Realität, an dem was ihm aus seiner Lebenswelt als ausreichende Menge an Nahrung bekannt ist. Die Lehrkraft konstatiert zunächst, dass dies ausgereicht habe, und verweist mit der Formulierung im Perfekt implizit auf ein in der Vergangenheit liegendes Ereignis (II.8(b).TA.100). Mit der folgenden Information, dass dies »zumindest« so »in der Bibel« stehe, wird die Aussagekraft der vorangegangenen Äußerung abgeschwächt. Das eingefügte Adverb »zumindest« suggeriert – im Sinne von »auch wenn es ungewöhnlich oder unglaubhaft erscheint« –, dass die Lehrkraft hier nicht aus eigener Überzeugung argumentiert, sondern lediglich die biblische Aussage wiedergibt. Auch die weitere Erläuterung zu dem, was in der Bibel stehe (»so steht es zumindest in der Bibel, dass […]«), formuliert die Lehrkraft in der Vergangenheitsform und wiederholt das bereits genannte »Sich-VerlassenKönnen« der Israeliten auf eine ausreichende Menge Manna (II.8(b).TA.102). Anders als zuvor wird Gott hier explizit als Geber dieses Manna markiert (II.8(b).TA.103). Im Anschluss an diese Darlegung greift die Lehrkraft den Einspruch Michaels auf und validiert diesen (»aber du hast recht« (II.8(b).TA.104)), bevor sie die Lösung des von ihm in seiner Rückfrage implizit benannten Problems – der zu geringen Menge an ausgeschiedenem Manna – darlegt (II.8(b).TA.105f.). Mit der Fragepartikel »ne?« fordert sie abschließend Michaels Zustimmung ein. Die Lehrkraft wartet diese jedoch nicht ab, sondern weist erneut darauf hin, dass man sich hierauf verlassen müsse (II.8(b).TA.107). Im Unterschied zu ihrer vorherigen Wiedergabe dessen, was in der Bibel stehe, erfolgt in dieser Konklusion kein erneuter Verweis auf Gott, der für ausreichend Manna sorge: Es wird allein die Notwendigkeit ausreichend vieler Dornenbüsche (Tamarisken) dargelegt. In Unterrichtseinheit III liest die Lehrkraft die Erzählung von der Versorgung der Israeliten in der Wüste aus der Neukirchener Kinder-Bibel vor. III.11/ 12(a).TA. 503 504

Lehrkraft III:

(-) gott hat euer klagen gehört (.) er will euch geben was ihr braucht

505 506 […] 538

(-) »hört ihr israeliten warum klagt ihr uns an

(- -) fleisch am abend und am morgen brot (.) wartet nur ab (-) dann werdet ihr merken dass gott euer herr ist« Lehrkraft III:

[…] (- - -) »und als sie am nächsten morgen aus ihren zelten kamen

476

Die Analyse

(Fortsetzung) 539

WAS sahen sie da:

540 541

(-) auf der erde lagen lauter kleine (.) weiße (.) runde (.) körner (-) ›was ist das‹ fragten sie einander erstaunt

542 543

(- - -) ›das ist MANna‹ antwortete mose es ist das BROT das gott euch geschenkt hat«

544

((unterbricht das Vorlesen)) (- - -) wie KAmen diese KLEInen weißen runden KÖRner in die wüste ((meldet sich))

545

Elisa:

546

Lehrkraft III:

547

Elisa:

ihr müsst euch die wüste eben nicht NUR als sandwüste vorstellen [((nimmt Wortmeldung zurück))]

548 549

(-) natürlich gab es da auch KLEIne gebirge es gab FELsen und es gab auch (-) gestrüpp

550

(2.3) und weiß jemand wo dieses manna (- - -) herkam (7.7) ((deutet auf Fabian, als dieser beginnt eine Wortmeldung anzuzeigen))

551 552

Kommentar :

553

Fabian:

554 555

Lehrkraft:

556 557 558 559 560 561

((Elisa zeigt nahezu zeitgleich zu Fabian eine Wortmeldung an)) von ner pflanze? ganz genau (-) von einem bestimmten STRAUCH– (2.0) der eine flüssigkeit absondert– (1.4) und daraus entstanden diese kleinen weißen kügelchen die dann am MORgen nach einer kalten nacht– (.) auf dem boden lagen (2.0) ((setzt das Vorlesen fort)) »da hoben sie die körner auf– (-) kosteten und staunten die körner schmeckten SÜß wie kuchen und honig« (-) ((unterbricht das Vorlesen)) also das war ein saft aus dem (.) joa (- -) wie BIRkensaft

oder wie anderer saft aus sträuchern ((räuspert sich)) 560 (- - -) ((liest weiter vor)) »schnell holten sie ihre krüge herbei (-) lasen die körner auf Tabelle 241: III.11/12(a).TA.503–506, 538–560 559

In diesem Text wird erzählt, dass Mose in Reaktion auf die Klagen der Israeliten die Hilfe durch Gott zusagt (»er will euch geben was ihr braucht« (III.11/

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

477

12(a).TA.503–506)). Im Anschluss an die Schilderung, dass die Israeliten am Morgen »kleine, weiße, runde Körner« vor ihren Zelten fänden und diese von Mose als das von Gott geschenkte Brot benannt würden (III.11/12(a).TA.538– 543), unterbricht die Lehrkraft ihr Vorlesen und fragt, wie diese »kleinen, weißen, runden Körner« in die Wüste gekommen seien (III.11/12(a).TA.544). Die für diese Frage verwendete Zeitform verweist dabei auf ein Ereignis in der Vergangenheit. Ohne auf die hierauf von Elisa angezeigte Wortmeldung einzugehen, setzt die Lehrkraft zu einer Erklärung an, wie sich die Schüler_innen die Wüste vorstellen müssten (III.11/12(a).TA.545). Das eine Notwendigkeit ausdrückende Verb »müssen« sowie die intonatorische Hervorhebung des Adverbs »nur« implizieren, dass in einer anderen Vorstellung von Wüste als der von einer Sandwüste die Antwort auf die zuvor von der Lehrkraft gestellten Frage liege. Für die weitere Beschreibung dessen, was es selbstverständlich (»natürlich«) ebenfalls in der Wüste »gab«, nutzt die Lehrkraft wie schon in ihrer Frage die Vergangenheitsform (III.11/12(a).TA.548f.). Nach einer kurzen Pause schließt sie erneut die Frage nach dem Ursprung des Manna an. Dabei suggeriert die einleitend genutzte Konjunktion »und« eine inhaltliche Verbindung zu dem zuvor gegebenen Hinweis der Lehrkraft. Mit dem vergleichsweise langen Abwarten auf mögliche Wortmeldungen der Schüler_innen (III.11/12(a).TA.551) signalisiert die Lehrkraft, dass sie ihnen zutraut, die Antwort zu wissen bzw. aus ihrer vorangegangenen Ergänzung eine solche abzuleiten. Fabian und kurz darauf auch Elisa zeigen eine Wortmeldung an (III.11/12(a).TA.551f.). Die Lehrkraft erteilt Fabian nonverbal das Rederecht. Er zeigt intonatorisch an, dass es sich bei seiner Antwort (»von ’ner Pflanze?«) um eine Vermutung handele (III.11/ 12(a).TA.553). Fabians Beitrag wird durch die Lehrkraft zunächst deutlich validiert (»ganz genau, von einem bestimmten Strauch«) bevor sie eine detaillierte Beschreibung ergänzt (III.11/12(a).TA.554). Sie erklärt, dass es sich um einen spezifischen Strauch handele, welcher eine Flüssigkeit »absondert«, aus der die »kleinen weißen Kügelchen« entstehen. Wie bereits zuvor nutzt sie zur Beschreibung der Entstehung des Manna die Vergangenheitsform (»entstanden«, »lagen«) (III.11/12(a).TA.556f.). Im Anschluss an diese Ausführung setzt die Lehrkraft das Vorlesen fort, unterbricht jedoch nach zwei Sätzen und der Beschreibung des süßen Geschmacks des Manna erneut. Mit dem einleitenden Adverb »also« markiert sie, dass sie etwas zuvor Gesagtes bzw. einen unterbrochenen Gedankengang weiterführt, und gibt an, dass es sich um einen Saft gehandelt habe (»das war«). Den Ansatz zur Klärung, woher dieser stamme, bricht sie jedoch ab und drückt mit der Partikel »joa« ein Abwägen aus, bevor sie fortfährt und den zuvor angeführten Saft mit Birkensaft und Saft anderer Sträucher vergleicht. Die Verwendung dieses Vergleichs zur Erläuterung, was »Manna« sei, impliziert die Annahme, dass den Schüler_innen Birkensaft bzw. das Phänomen von »Saft aus Sträuchern« bekannt sei. Die

478

Die Analyse

Schüler_innen stellen hierzu keine Fragen und auch die Lehrkraft geht nicht weiter auf das Manna ein, sondern setzt das Lesen aus der Kinderbibel fort. In den Erklärungen der Lehrkraft, was Manna sei und wie dieses in die Wüste komme, bleibt Gott bzw. seine Rolle bei der Versorgung mit Nahrung unerwähnt. Innerhalb des vorgelesenen Textes wird jedoch auf Gott als den für diese Versorgung Verantwortlichen hingewiesen (»Gott hat euer Klagen gehört. Er will euch geben was ihr braucht: Fleisch am Abend und am Morgen Brot […] Abend für Abend kamen die Wachteln und Morgen für Morgen lag das Manna auf der Erde. Gott sorgte für die Israeliten am Abend und am Morgen.«)1382. Das Erscheinen des Manna wird von allen drei Lehrkräften als ein von Läusen wieder ausgeschiedener Pflanzensaft naturkundlich erklärt. Auch die Versorgung mit Fleisch in der Wüste wird naturalistisch begründet. Dass eine solche Menge an Wachteln in der Wüste bei den Israeliten lande und »leicht« zu fangen sei, wird mit den spezifischen Eigenschaften von Zugvögeln und ihrer Erschöpfung nach langem Fliegen erklärt (I.8.TA.77–82; II.8(a).TA.305–320; III.11/12(a).TA.528–534). I.8.TA. 77 78 79 80 81 82

Lehrkraft I:

(-) da hast du recht Sascha: Lehrkraft I:

83 Tabelle 242: I.8.TA.77–83 II.8(a).TA. 262 263 264 265

(-) und die kommen vom himmel

Lehrkraft II:

[(-) und landen in/im lager der israeliten] [((flüstert)) ((unverst.)) gefressen] (1.2) und sie sind SO erschöpft von ihrem flug von ihrer reise dass die israeliten die so einfangen können (-) und du hast recht (.) vögel ne?

und zwar FOLGendes passiert– (- -) ihr wisst jetzt ja vielleicht zum herbst hin habt ihr vielleicht auch beobachtet

mehrere SuS:

dass es sogenannte ZUGvögel gibt ja

266 […]

Lehrkraft II:

was machen ZUGvögel? wer kann das mal erklären? […]

295 296

Lehrkraft II:

(-) genau richtig weil es ihnen zu kalt hier ist– und was die machen jetzt kommst du mit deinem essen klauen natürlich–

1382 Weth 2000, S. 78f.

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

479

(Fortsetzung) 297

die lassen sich irgendwo weil es natürlich ANstrengend

298

ihr könnt euch vorstellen hier haben wir also europa ((zeigt auf die projizierte Abbildung)) zum beispiel das heißt also die ZUGvögel kommen oben aus dem NORden

299

(-) sie fliegen über euROpa hier nach afrika hin– hier unten soll afrika sein– (-) und sie fliegen natürlich hier Oben aus dem norden (.) hier

300 301

(-) hier ist nämlich ISrael und da wandern die israeliten hin– hier haben wir ägypten das erkennt man hier an dem nil der nil hat so eine besondere FORM–

302 303 304 305

und die israeliten wandern also hier nach ISrael hin (-) und ihr SEHT dass hier (.) ZUGvögel kommen nämlich die WACHteln kommen

306

(-) und die WACHteln die lassen sich in der WÜste oder die lassen sich an einigen stellen nieder […]

[…] 309

Lehrkraft II:

310

die (-) kommen also runter und ihr könnt euch vorstellen wenn ich lange fliege dann bin ich auch irgendwann kaputt und kann nicht mehr fliegen–

311 312

(-) und sie lassen sich dann also NIEder– (-) und wenn sie natürlich total kaputt irgendwo sich niederlassen

313 […]

gerade da wo die israeliten nun RAST machen– […]

[(-) die können die ganz leicht fangen ne? weil die dann SO kaputt sind–] Tabelle 243: II.8(a).TA.262–266, 295–306, 309–313, 320 320

Lehrkraft II:

III.11/ 12(a).TA. 528

Lehrkraft III:

(- -) wachteln sind ZUGvögel (-) was bedeutet das

Maya:

(2.7) maya wenns bei uns winter wird dann ähm

529 530 531 532

(-) fliegen die in den süden wo es wärmer ist und wenns da wieder winter wird dann fliegen die wieder zurück wo es warm ist

480

Die Analyse

(Fortsetzung) 533

Lehrkraft:

(-) das ist auch eine erklärung dafür dass da plötzlich über der wüste auch vielleicht so viele VÖgel waren weil

(.) sie (.) als zugvögel da in die region gekommen sind Tabelle 244: III.11/12(a).TA.528–534 534

Bei diesem Ereignis wird die Rolle Gottes nur von Lehrkraft I näher bestimmt, indem sie erklärt, dass dieser die Vögel schicke (»weil Gott etwas schickt, er schickt einen Schwarm Vögel, Wachteln, ne?« (I.8.TA.73–75). In Unterrichtseinheit II verweist die Lehrkraft am Ende ihrer Erläuterungen zu den erschöpften, leicht zu fangenden Zugvögeln darauf, dass Gott etwas mit dem Erscheinen der Wachteln zu tun habe, ohne aber eine explizite Handlung Gottes zu beschreiben (»und äh können sie sich also auf Gott verlassen, dass also zu der Zeit auch Wachteln da sind« (II.8(a).324f.) In der von Lehrkraft III in ihr Vorlesen eingeschobenen Erklärung findet sich kein Verweis auf Gott. Die komparative Analyse der Unterrichtsszenen, in welchen Abschnitte der Exodus-Erzählung thematisiert werden, in denen von wundersamen Ereignissen erzählt wird, legt bei allen drei Lehrkräften sehr ähnliche Handlungsmuster bezüglich der Art ihrer Präsentation der biblischen Inhalte offen. In keiner der drei Unterrichtseinheiten wird das Wundersame seitens der Lehrkräfte in Form einer Thematisierung auf der Metaebene angesprochen. Zwar ereignet sich in Unterrichtseinheit I im Kontext der Erzählung zu den zehn Plagen ein Gespräch zur Rezeption des Gehörten (s. Kap. 6.1.2.1), der Auslöser für dieses liegt jedoch nicht in der Außergewöhnlichkeit der geschilderten Ereignisse, sondern in dem an dieser Stelle aufgezeigten Gottesbild. Explizit als »ungewöhnlich« wird von allen drei Lehrkräften lediglich der brennende, aber nicht verbrennende Busch bezeichnet, wobei Lehrkraft II und III diese Ungewöhnlichkeit durch den Vergleich mit Buschfeuern und dem aus dem Sachunterricht bekannten Wissen über Feuer zusätzlich hervorheben. Eine Erklärung des Phänomens erfolgt jedoch nicht und wird auch seitens der Schüler_innen nicht eingefordert. Im Kontext der Erzählungen zu den zehn Plagen, der Rettung vor den ägyptischen Verfolgern sowie der Versorgung mit Wasser und Nahrung in der Wüste ist keine derartige Hervorhebung der Außergewöhnlichkeit oder eine Verwunderung über die geschilderten Ereignisse zu beobachten. Besonders interessant ist es, dass alle drei Lehrkräfte in Bezug auf die Erzählung von dem Manna und den Wachteln von sich aus eine naturalistische Erklärung präsentieren (Lehrkraft II) bzw. die Erzählung um eine solche Erklärung ergänzen

Fallübergreifende Analyse der drei Datensätze

481

(Lehrkraft I, III). Während innerhalb der Bearbeitung der übrigen verwunderlichen Erzählabschnitte keinerlei Deutung oder Erklärung durch die Lehrkräfte erfolgt, wird hier der Deutungsspielraum auf ein Naturphänomen beschränkt.1383 Dabei ist weder hinsichtlich dieser Erzählung noch in Bezug auf die anderen den Naturgesetzen zuwiderlaufenden Ereignisse eine explizite Äußerung von Verwunderung oder von Zweifel seitens der Schüler_innen festzustellen. Zwar bemerkt Jan in Unterrichtseinheit I – während des Sammelns von Ideen, was da vom Himmel gefallen sein könnte –, dass es nicht möglich sei, dass Brot vom Himmel falle. Im Anschluss an die Erzählung der Lehrkraft, welche Art von Brot die Israeliten vor ihren Zelten fänden, äußert Jan diesen Einspruch aber nicht erneut. Besonders spannend ist hinsichtlich der Frage nach dem Konzept der Schüler_innen von biblischen Erzählungen, dass keiner von ihnen die Plausibilität der erzählten verwunderlichen Ereignisse explizit in Zweifel zieht, Sven aber die von Lehrkraft II dargelegte natürliche Erklärung des Manna auf ihre realistische Umsetzbarkeit hin befragt. In dieser Frage dokumentiert sich eine Orientierung an Maßstäben der von ihm erlebten Realität bei der Bewertung des von der Lehrkraft Erzählten, die jedoch hinsichtlich der wunderhaften Elemente des biblischen Textes nicht zu beobachten ist.

1383 Lehrkraft I weist zwar im Vorfeld der Erklärung zum Manna darauf hin, dass es »ganz unterschiedliche Erklärungen« gebe, dieser Aspekt wird im weiteren Verlauf des Unterrichtsgesprächs jedoch nicht erneut aufgegriffen (»Da gibt es ganz unterschiedliche Erklärungen, aber eines, und jetzt müsst ihr gut aufpassen, das finden vielleicht einige nicht so schön was das ist, aber vielleicht ist es das gewesen…« (1.8.TA.125–129, s. Tabelle 279 im digitalen Anhang). In den Äußerungen von Lehrkraft II und III finden sich keine Hinweise auf die Möglichkeit einer anderen, als der dargestellten Erklärung des Manna.

7

Diskussion und Ausblick

Das dieser Arbeit zugrundeliegende Forschungsprojekt wurde mit dem Ziel unternommen, einen Einblick in die bibeldidaktische Praxis des alltäglichen Religionsunterricht an Grundschulen zu erlangen und Erkenntnisse zu der Frage zu generieren, wie biblische Erzählungen hinsichtlich ihres besonderen Wesens – also der Aspekte ihrer Fiktionalität, Historizität, ihrer Entstehung, ihres Wertes und ihrer Wahrheit – in diesem präsentiert und bearbeitet werden. Im Folgenden sollen nun die gewonnenen Ergebnisse gebündelt und vor dem Hintergrund des oben dargelegten Forschungskontextes diskutiert werden. Abschließend erfolgt eine kritische Reflexion der geleisteten Forschungsarbeit in Bezug auf ihre Konzeption und Güte, bevor anhand der Resultate des Projektes einige Implikationen für die weitere Forschung abgeleitet werden.

7.1

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

Die rekonstruktive Analyse der erhobenen Daten mittels der dokumentarischen Methode gipfelt im Prozess der Typenbildung. Ausgehend von dem das Forschungsprojekt leitenden Erkenntnisinteresse geht es hierbei um die Klärung der Frage, welche sinngenetischen Typen, d. h. welche Formen der Präsentation und des Umgangs mit dem biblischen Text, sich in der komparativen Analyse im Zuge der reflektierendenen Interpretation der Unterrichtsszene abzeichnen. Wie wird also die Exodus-Erzählung hinsichtlich ihres besonderen Wesens und der damit verbundenen Frage nach ihrem Realitätsstatus in den drei erhobenen und analysierten Unterrichtseinheiten erarbeitet?

7.1.1 Die Quelle des Erzählten Eine für die Fragestellung zentrale Beobachtung der Analyse der Gestaltung der Einstiege in den biblischen Text ist zunächst die, dass in keiner der drei Un-

484

Diskussion und Ausblick

terrichtseinheiten zu Beginn von der Lehrkraft explizit gemacht wird, dass es sich bei dem nun Folgenden um eine biblische Erzählung, eine biblische Geschichte handelt (s. Kap. 6.1.3.2, 6.2.3.2, 6.3.3.2). So erfolgt der Quellenverweis in Unterrichtseinheit I und III zunächst allenfalls indirekt über den Anschluss an die Wiederholung der »Josef-Geschichte«, sofern in der vorangegangenen Unterrichtseinheit die Quelle dieser Geschichte deutlich gemacht wurde. Indem Lehrkraft III ankündigt, die nun beginnende »ganz spannende und lange Geschichte« aus »der Kinderbibel« vorzulesen, findet eine erste implizite Verortung statt.1384 Während Lehrkraft I das erste Mal in der fünften Stunde ihrer Unterrichtseinheit auf die Bibel als Quelle der von ihr besprochenen Informationen (Aaron als Bruder Moses) verweist, geschieht dies in Unterrichtseinheit II erstmals und ausschließlich in der achten Stunde. In dieser Gestaltung der Einführung des biblischen Textes dokumentiert sich die Auffassung, dass den Schüler_innen die Quelle des Erzählten bekannt sei und keine Notwendigkeit bestehe, die Bibel noch einmal explizit als Quelle zu benennen. Eine mögliche Erklärung für diese Beobachtung könnte der Kontext »Religionsunterricht« sein und die mit diesem verbundene Annahme der Lehrkräfte, dass den Schüler_innen bewusst sei, dass es sich innerhalb des Religionsunterrichts im Regelfall um biblische Erzählungen handele, erst recht, wenn Gott in diesen Erzählungen vorkomme. Die Quelle würde so als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Die Bezugnahme auf die Bibel erfolgt in Unterrichtseinheit I und II vor allem als Anführung eines Belegs für das von der Lehrkraft Erzählte oder einer Quelle mit zusätzlichen bzw. detaillierteren Informationen (s. Kap. 6.4.1). Nur ein bis zwei Schüler_innen pro Klasse äußern explizit das (Wieder-)Erkennen des von der Lehrkraft Erzählten als Geschichte aus der Bibel. Während Lehrkraft I und III auf diese Bemerkungen mit einer Bestätigung der Quellenzuschreibung reagieren,1385 geht Lehrkraft II zugunsten der Weiterverfolgung ihrer vorangegangenen Fragestellung nicht weiter auf die Inbezugsetzung des Erzählten mit der Bibel durch Lukas1386 ein. Eine Klärung der Frage, was es – hinsichtlich der Rezeption der Geschichte – bedeute, dass es sich bei dem Gehörten um eine biblische Erzählung handelt, wird hier von keiner der Lehrkräfte

1384 III.4.TA.254f., s. Tabelle 160, S. 368. 1385 Jelka: »Ich hab die Geschichte schonmal gelesen, in meiner Bibel.« – Lehrkraft III: »Ja, ich weiß, dass viele Kinder äh oder einige Kinder auch die Kinderbibel zu Hause haben und darin schonmal gelesen haben« (III.4.TA.430f., s. Tabelle 162, S. 370f.); Tom: »ich brauch mir die nicht merken, ich kann in meiner Bibel nachlesen.« – Lehrkraft I: »Wer eine Bibel hat, kann das natürlich in der Bibel nachlesen.« (I.5(b).TA.186–188, s. Tabelle 34, S. 224f.). 1386 Lukas: »und davon hab ich auch die Bibel, da hab ich die Geschichte auch von.« (II.4.TA.171–176, s. Tabelle 89, S. 282).

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

485

angeschlossen. Eine vergleichbare Beobachtung macht auch Roose in ihrer Analyse einer Unterrichtsstunde in einer dritten Klasse zum Thema »Mose«.1387 L:

Stimmen aus der Klasse

Und plötzlich sah er, dass einer der Büsche brannte und große helle Flammen aus dem Busch aufstiegen. Er ist näher herangetreten und hat etwas sehr Komisches festgestellt. Der Busch brannte aber er verbrannte nicht. Was brannte? – BUSCH.

Äh, Bist du jetzt bitte mal leise? Du störst hier. Und als er noch ein bisschen dichter dran war, kam, hörte er aus dem Busch eine Stimme, die zu ihm sprach. (Schaut Hauke an, der sich schon länger meldet. Nickt ihm zu.) Hauke: Die Geschichte kenn ich. Wir haben zu Hause ne Bibel und da steht genau die Geschichte auch drin. L: Genau, die ist ja auch aus der Bibel. Tabelle 245: Ausschnitt eines Unterrichtsgesprächs (Roose 2013b, S. 152) L:

Ähnlich Lukas’ in Unterrichtseinheit II, der innerhalb des gemeinsamen Lesens der Erzählung zur Geburt Moses sein Wiederkennen des Gehörten konstatiert, markiert auch Hauke in diesem Gesprächsausschnitt die Bibel als zusätzliche Quelle (»auch«) der als bekannt identifizierten »Geschichte« (Lukas: »…und davon hab ich auch die Bibel, da hab ich die Geschichte auch von.«1388 ; Hauke: »… da steht genau die Geschichte auch drin.«). In beiden Fällen dokumentiert sich, dass den Schülern bis zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst ist, dass es sich bei dem von der Lehrkraft Präsentierten um einen biblischen Text handelt. Anders als Lehrkraft II, validiert die Lehrkraft in der von Roose dargelegten Szene die Feststellung Haukes (»genau«), wobei die Lehrkraft in ihrer Reaktion ein gewisses Selbstverständnis dieser Verortung impliziert (»… die ist ja auch aus der Bibel.«). Eine weiterführende Thematisierung der Bedeutung der Quellenzuschreibung finde – wie Roose in ihrer Analyse konstatiert – auch in dieser Unterrichtsequenz nicht statt.1389

7.1.2 Explizite Rezeptionshinweise Die Analyse der erhobenen Daten zeigt außerdem, dass eine explizite, von der Lehrkraft angeleitete Bearbeitung der Frage, was es für die Rezeption des Erzählten bedeutet, dass es sich dabei um einen biblischen Text handelt, nur sehr 1387 Vgl. Roose 2013b, S. 152. 1388 II.4.TA.171–176, s. Tabelle 89, S. 282. 1389 Vgl. Roose 2013b, S. 152.

486

Diskussion und Ausblick

selten über den Verlauf der Unterrichtseinheiten zu beobachten ist. Eine Ausnahme bildet die von Lehrkraft I aufgeworfene Frage, ob das soeben Gehörte »so wörtlich« genommen werden müsse, oder ob die Bibel »damit etwas erklären« wolle.1390 In Reaktion auf die von ihr bei den Schüler_innen wahrgenommene Irritation hinsichtlich des Gottesbildes wird ein fragegeleitetes Gespräch eröffnet, in dem auf einer Metaebene über die Exodus-Erzählung gesprochen und die Frage der Rezeption explizit thematisiert wird (s. Kap. 6.1.2.1, 6.1.2.2). Daneben finden sich nur sehr vereinzelt Stellungnahmen der Lehrkräfte, in denen auf die Deutung bestimmter biblischer Aussagen eingegangen wird.1391 So geschieht die Bedeutungskonstruktion des Konzepts des biblischen Textes bzw. des Konzepts von Bibel und damit die Bestimmung des Realitätsstatus’ über den Verlauf der Unterrichtsstunden hinweg vor allem über in die gemeinsame Bearbeitung eingebettete implizite Hinweise darauf, wie das Erzählte einzuordnen sei. Mittels der rekonstruktiven Analyse der Unterrichtskommunikation konnten verschiedene Formen solcher impliziten Hinweise identifiziert werden, welche die Rezeption des von der Lehrkraft Erzählten als Tatsachenbericht, als (fiktionale) Geschichte oder auch als Glaubenszeugnis begünstigen.

7.1.3 Implizite Rezeptionshinweise Eine Form des verbalen impliziten Hinweises, die in allen drei Unterrichtseinheiten zu beobachten ist, ist die Verwendung von temporalen Ordnungsbegriffen wie »damals«, »früher«, »heute« oder »heutzutage« beim Sprechen über Inhalte der Erzählung. Die Nutzung solcher Begriffe deutet darauf hin, dass es sich bei der biblischen Erzählung um einen Bericht vergangener Ereignisse handelt. In Verbindung mit dem entsprechenden Tempus (Perfekt, Präteritum) referieren diese direkt auf einen Zeitpunkt in der Vergangenheit oder implizieren diesen durch die Hervorhebung des »heute« im Gegensatz zu einem mitgedachten »damals«.1392 Zusammen mit anderen von den Lehrkräften ein1390 I.5(b).TA.69f., s. Tabelle 20, S. 177. 1391 Lehrkraft I: »Gott schickt ihm noch Aaron mit – in der Bibel steht immer Aaron ist sein Bruder, aber man muss wissen, damals, Brüder waren alle, die im Glauben Brüder waren, ne? Wir wissen also nicht, ob das ein Verwandter ist von ihm« (I.5(a).TA.169–172, s. Tabelle 32, S. 223), »In der Bibel sind immer so Jahreszahlen angegeben, die sollen uns etwas sagen, und wenn in der Bibel steht, das Volk der Israeliten ist vierzig Jahre in der Wüste, dann können wir nicht wissen, dass es jetzt vierzig Jahre sind so wie wir vierzig Jahre kennen. Vierzig Jahre steht für eine lange, lange Zeit…« (I.7.TA.302–309, s. Tabelle 66, S. 241f.); Lehrkraft II: »Milch und Honig fließen, das gibt es nicht wirklich« (II.6.TA.148, s. Tabelle 95, S. 288f.). 1392 Z. B.: Lehrkraft I: »weil ihr das glaub ich gar nicht versteht, was damals passiert ist« (II.2(a).TA.175, s. Tabelle 30, S. 206–210), »aber ich kann dir sagen, damals wurde genau

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

487

gebrachten Zeitangaben1393 erfahren die erzählten Geschehnisse eine historische Verortung. Zugleich wird so deren Tatsächlichkeit impliziert, da keine Verweise darauf erfolgen, dass das Erzählte nur in dieser Zeit spiele. Gerade in Anbetracht der oben dargelegten Erkenntnisse zur Entwicklung des Temporalbewusstseins bei Kindern im Grundschulalter gewinnt diese Form des Hinweises auf die historische Verortung des biblischen Textes an Relevanz. Geht man von den Ergebnissen Papes aus, so orientieren sich die Schüler_innen auch zum Ende der Grundschulzeit immer noch vermehrt an eben diesen unbestimmten temporalen Ordnungsbegriffen innerhalb der drei Zeitdimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.1394 Auch wenn eine explizite Bestimmung als reales Ereignis in der Vergangenheit in den Datensätzen nur seitens der Lehrkraft III erfolgt (»Ja, grausam. Aber sowas gab es wirklich zu früheren Zeiten.«1395), ist mit Blick auf die Erkenntnisse Papes die Wirkung der impliziten historischen Einordnung mittels sprachlicher temporaler Markierungen nicht zu unterschätzen. Eine weitere zu beobachtende Form der Präsentation der Exodus-Erzählung, welche eher auf das Sprechen über tatsächliche Geschehnisse der Vergangenheit hinweist, ist die Verbindung der Erzählinhalte mit dem Themenbereich »Altes Ägypten« in einem Grad, der über die Verweise in der biblischen Vorlage hinausgeht. Dies zeigt sich vor allem in den Unterrichtseinheiten I und III, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. So stellen sowohl Lehrkraft I als auch Lehrkraft III einen Bezug zwischen dem Bau ägyptischer Pyramiden und der in der Erzählung geschilderten Fronarbeit der Israeliten her. Es erfolgt eine Gleichsetzung von Sklaven, welche die ägyptischen Pyramiden bauen,1396 mit

1393

1394 1395 1396

nachgeguckt, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist« (I.2(a).TA.290f., s. Tabelle 40, S. 231f.); Lehrkraft II: »das ist eine heutige Aufnahme, der Mose, das ist nicht von früher, als der Mose durchgelaufen ist« (II.8(a).TA.221, s. Tabelle 102, S. 308); Lehrkraft III: »Ja, grausam. Aber sowas gab es wirklich zu früheren Zeiten.« (III.4.TA.439, s. Tabelle 162, S. 370f.). Lehrkraft I: »wir sprechen ja von der Zeit der Pharaonen« (I.1.TA.554, s. Tabelle 37, S. 230); Lehrkraft II: »wir sind jetzt natürlich so, also ich sag mal dreitausend Jahre zurück, also das ist jetzt nicht diese jetzige Zeit« (II.2.TA.324, s. Tabelle 130, S. 329), »das ist schon vor ganz ganz langer Zeit« (II.2.TA.455, s. Tabelle 131, S. 330). Vgl. Pape 2008, S. 225, 268. III.4.TA.439, s. Tabelle 162, S. 370f. Die immer noch weit verbreitete Annahme, dass die großen ägyptischen Pyramiden, z. B. die von Gizeh, von Sklaven gebaut worden seien, findet in der aktuellen Forschungsdiskussion kaum noch Unterstützung. Sie ist – so u. a. Janosi – maßgeblich auf die Berichte des griechischen Geschichtsschreibers Herodot zurückzuführen, sowie auf die »[…] Überzeugung unseres abendländischen Geschichtsbewußtseins, daß derartige Bauwerke nur unter extremem Zwang und Ausbeutung entstanden sein können […].« Aufgrund der nur sehr geringen Anzahl an zeitgenössischen altägyptischen Quellen zum Pyramidenbau gibt es über Anzahl und Art der Arbeiter sowie über die Arbeitsbedingungen nur wenig gesicherte Erkenntnisse. Die Quellen zeigen aber, dass es Sklaven »[…] im juristischen Sinne des antiken Begriffs […]« zur Zeit des Baus der Pyramiden trotz des Bestehens anderer Formen persönlicher Unfreiheit nicht gegeben hat. »Kriegsgefangene und Verbrecher werden für extreme Arbeiten in Steinbrüchen oder bei schweren und gefährlichen

488

Diskussion und Ausblick

den vom Pharao mit Fronarbeit bedrückten Israeliten. In Unterrichtseinheit I geschieht dies im Anschluss an den ersten frei erzählten Abschnitt der ExodusErzählung, in welchem die Lehrkraft von dem schnell wachsenden Volk der Israeliten in Ägypten sowie einer diesbezüglichen Idee des Pharaos berichtet, bevor sie dann nach einem »besonderen Wahrzeichen« für Ägypten fragt.1397 Nach dem gemeinsamen Besprechen von Zweck und Dauer des Pyramidenbaus sowie der dazu nötigen Materialien und Arbeitskräfte (»Sklaven«), erzählt sie, dass aus den »freien Israeliten […] Sklaven gemacht« würden.1398 In der anschließenden Bildbetrachtung einer ägyptischen Grabmalerei zur Ziegelherstellung stellt die Lehrkraft dann erneut einen Bezug zwischen den abgebildeten »Sklaven« und dem Pyramidenbau her (»und hier wurde dann die Pyramide aufgestapelt, ne?«1399) bevor sie nach dem gemeinsam Überlegen, wie sich diese gefühlt hätten, die implizite Gleichsetzung der zuvor als Sklaven Bezeichneten mit den Israeliten vornimmt (»Ihr sollt mir zu Hause aufschreiben, was die Israeliten vielleicht gebetet haben, was könnten sie Gott sagen in ihrer Not.«1400). Lehrkraft III weist im Rahmen der von den Schüler_innen vorbereiteten und präsentierten Kurzreferate zu verschiedenen Bereichen des Themas »Altes Ägypten« darauf hin, dass ein Zusammenhang zwischen den Sklaven und den Pyramiden bestehe und validiert den anschließenden Beitrag Hannes, dass die Sklaven diese bauen mussten (»ganz genau, ok, sehr schön«1401). Innerhalb des nachfolgenden Rollenspiels werden die Israeliten als Sklaven bezeichnet, und die Lehrkraft verweist in der Nachbesprechung noch einmal darauf, was während der Posterpräsentationen über diese Sklaven gesagt wurde. Im weiteren Verlauf der Unterrichtseinheit erfolgt die Gleichsetzung von den zum Bau der Pyramiden gezwungenen Sklaven mit den Israeliten erneut innerhalb des »MoseQuiz«1402. Im biblischen Text ist zwar von »[…] schwerer Arbeit in Ton und Ziegeln […]«1403 sowie vom Bau der – topografisch nicht eindeutig identifizierbaren – Städte Pitom und Ramses (s. Kap. 2.2.1) zu lesen, von der Mitarbeit beim Bau von Pyramiden ist jedoch keine Rede. Durch die Verbindung der biblischen Erzählung mit diesen z. T. heute noch bestehenden Bauwerken des

1397 1398 1399 1400 1401 1402 1403

Steintransporten zum Einsatz gekommen sein. Doch ist es auszuschließen, daß Bauwerke wie die Große Pyramide mit Hilfe von Sklaven enstanden sind.« Janosi 2010, S. 43f.; vgl. ebd., S. 37f.; siehe auch Verner 1998, S. 102f. I.1.TA.426, s. Tabelle 14, S. 167. I.1.TA.562f., s. Tabelle 16, S. 168f. I.1.TA.684f., s. Tabelle 260 im digitalen Anhang. I.1.TA.767–770, s. Tabelle 19, S. 173f. III.3.TA.307, s. Tabelle 308 im digitalen Anhang. Lehrkraft III: »Wer musste schwer arbeiten und an den Pyramiden bauen?« – Jelka: »die Israeliten« – Liam: »die Sklaven« – Lehrkraft III: »Ja [zu Jelka], du hast es aber eher gesagt, die Israeliten als Slaven, ne?« (III.7.TA.17–20, s. Tabelle 325 im digitalen Anhang). Ex 1,14.

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

489

Altertums wird die erzählte Handlung in einen realgeschichtlichen Kontext gesetzt, jedoch ohne diesen als fiktionale Kulisse einer Geschichte zu markieren. Ähnliches geschieht, wenn in Unterrichtseinheit I und II die Israeliten der Exodus-Erzählung seitens der Lehrkräfte mit den Personen gleichgesetzt werden, die auf den zur Visualisierung verwendeten ägyptischen Grabmalereien1404 zu sehen sind.1405 Sofern die Schüler_innen die gezeigten Abbildungen als historische Dokumente einordnen – was durch den Kommentar von Lehrkraft I zur Art der Darstellung befördert wird (»[…] sondern so haben die Ägypter damals gemalt, das ist nämlich wirklich ein altes Bild«1406) –, wird durch die Gleichsetzung von Abgebildeten und Israeliten das Bild zu einem Beleg für die historische Echtheit des Erzählten. Die oben dargelegten Erkenntnisse Beilners zu der von Kindern in diesem Alter verwendeten Strategie, anhand von »zeitspezifischen Darstellungsformen oder -techniken« Rückschluss auf die zeitliche Einordnung von Abbildung zu ziehen, stützen diese Überlegungen.1407 Sowohl diese über die Verweise im biblischen Text hinausgehende Verknüpfung von ägyptischer Realgeschichte und Elementen der Exodus-Erzählung als auch die ausführliche Beschäftigung mit einzelnen Aspekten des Themengebiets »Altes Ägypten« als Einstieg in die Unterrichtseinheit III (vgl. 1.–3. Stunde; »Forscherkiste« zum Thema »Ägypten«, Plakatgestaltung und -präsentationen zu verschiedenen Bereichen dieses Themengebiets) entsprechen einem nach Fricke häufig »[…] in religionsdidaktischen Entwürfen […]« anzutreffenden Vorgehen.1408 Maßgebliche Intention sei dabei, das Interesse für die biblische Erzählung über das bei vielen Schüler_innen in diesem Alter zu beobachtende Interesse am Thema Ägypten zu wecken.1409 Auch in den dieser Arbeit zugrundeliegenden Datensätzen ist eine gewisse Faszination für dieses Themengebiet anhand der inter1404 »Ziegelherstellung im Grab Rechmires in Abd El_Qurna (Theben-West) aus der Zeit Thutmosis’ III. und Amenophis’ II.«, vgl. Keel 1997, S. 64f.; »Darstellung einer Karawane mit »Asiaten/Aamu« (‡Zmw) an der Nordwand des Grabes des Chnumhotep II in Beni Hasan«, vgl. Görg 1997, S. 9 sowie Keel 1997, S. 52f. 1405 Bei Lehrkraft I erfolgt diese Gleichsetzung implizit, indem zunächst von den Sklaven auf der Abbildung gesprochen wird, dann Überlegungen zu deren Gefühlen angestellt werden und abschließend gefragt wird, was die Israeliten in dieser Not zu Gott gebetet haben könnten. In Unterrichtseinheit II geschieht dies explizit (Lehrkraft II: »jetzt wollen wir mal schauen […] was die Israeliten in Ägypten tun mussten« (II.2.TA.411–413, s. Tabelle 115, S. 326), »meinst du das das Beton ist, wir sind jetzt/ also ich hab gesagt das ist schon vor ganz ganz langer Zeit« (II.2.TA.454f., s. Tabelle 131, S. 330), »oder was die Ägypter noch da mit reingetan haben, in diesem Fall die Israeliten die das ja machen mussten« (II.2.TA.496f., s. Tabelle 289 im digitalen Anhang); »die Israeliten als Sklaven in Ägypten« (II.2.TA.547, s. Tabelle 289 im digitalen Anhang)). 1406 I.1.TA.603, s. Tabelle 51, S. 235. 1407 Vgl. Beilner 2004b, S. 205. 1408 Fricke 2005, S. 538. 1409 Vgl. ebd., S. 536, 538.

490

Diskussion und Ausblick

aktiven Dichte in den entsprechenden Gesprächsabschnitten und dem von den Schüler_innen diesbezüglich geäußerten Vorwissen zu erkennen. Doch auch wenn ein solches Vorgehen aufgrund der Interessenlage der Schüler_innen »etwas für sich« zu haben scheine, wie Fricke einräumt1410, birgt es durch die damit einhergehende starke realgeschichtliche Kontextualisierung die Problematik, das Sprechen über reale historische Ereignisse zu suggerieren und damit die Rezeption der biblischen Erzählung als Tatsachenbericht zu bestärken. Denn wie Woolley und Van Reet sowie Van Reet, Pinkham und Lillard in ihren Untersuchungen zu den das Realitätsurteil beeinflussenden Faktoren zeigen konnten, spielt der Kontext (z. B. »scientific context«, »fantastical context«1411) bei der Einordnung von bisher Unbekanntem eine entscheidende Rolle (s. Kap. 4.1).1412 Innerhalb der Präsentation der Lehrkräfte und der von ihnen hierzu genutzten Materialien konnte in Unterrichtseinheit II und III ein weiterer Hinweis identifiziert werden, der eine Deutung des biblischen Textes als Bericht über Geschehnisse der Vergangenheit nahelegt: Das sprachliche Motiv des Erinnerns im Kontext der Thematisierung des Passahfestes (s. Kap. 6.2.1.2, 6.2.3.3, 6.3.3.3). Wenn einerseits davon ausgegangen werden kann, dass Kindern dieses Alters Formulierungen wie »(sich) an etwas erinnern« oder »zur Erinnerung an« aus Kontexten bekannt ist, in welchen auf tatsächliche Geschehnisse oder Sachverhalte Bezug genommen wird und andererseits in den hier zu beobachtenden Szenen keine Äußerungen der Lehrkräfte erfolgen, die eine andere als diese Deutung des Erinnerns eröffnen, stützen diese – zumeist auf konkrete Elemente der Erzählung bezogenen – Wendungen eine historisierende Präsentation bzw. Rezeption. Ohne eine Annäherung an den biblischen Text als verdichtete Erfahrungen und Zeugnisse der Beziehung von Mensch und Gott und ohne die Erweiterung des Konzepts von Erinnerung – im Sinne eines Gedenkens an das kulturelle Gedächtnis prägende Elemente (Erzählungen) – scheint eine Bearbeitung der Ursprünge und der Bedeutung des Passahfestes kaum an einer historisierenden Darstellung des Exodusgeschehens vorbeizuführen, selbst wenn diese nur implizit erfolgt. Ein weiterer Typus der impliziten Hinweise auf den Realitätsstatus und das Konzept des biblischen Textes dokumentiert sich in dieser Untersuchung in den Äußerungen von Lehrkraft I und wird auch von Roose in ihrer Analyse rekonstruiert: Es handelt sich hierbei um solche Verweise, die den biblischen Text »als historisch mögliche[n] (plausible[n]) Bericht« markieren.1413 Mit Äußerun1410 1411 1412 1413

Vgl. Fricke 2005, S. 538. Woolley/Van Reet 2006, S. 1778. Vgl. Van Reet/Pinkham/Lillard 2015; vgl. Woolley/Van Reet 2006. Vgl. Roose 2013b, S. 149.

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

491

gen wie »keiner von uns war dabei«1414, »vielleicht war es so«1415 (s. Kap. 6.1.3.3) wird eine historische Verortung des Erzählten nicht ausgeschlossen bzw. nicht aufgehoben, die Sicherheit des Wissens um die genauen Umstände jedoch eingeschränkt. Wie Roose darlegt, wird ein Konzept eröffnet, welches das Erzählte zwar nicht als exakte Wiedergabe von Geschehenem bestimmt, seine Historizität aber nicht explizit verneint.1416 Es werden Unsicherheiten markiert und Vermutungen über plausible Abläufe aufgezeigt, ohne dabei die generelle historische Realität in Frage zu stellen. Neben diesen impliziten Hinweisen, die eine Rezeption des von der Lehrkraft Erzählten als Bericht tatsächlicher Ereignisse der Vergangenheit nahelegen, ergibt die Analyse auch solche, die eine Deutung als fiktionale Erzählung zulassen. Zu diesen ist zunächst die Bezeichnung als »Geschichte« zu zählen. Die Nutzung dieses – im allgemeinen Sprachgebrauch eine ausgedachte Erzählung markierenden – Begriffs, in Verbindung mit Äußerungen, die auf das klassische Erzählschema verweisen, in welchem ein Konflikt über die Schritte von Einleitung, Hauptteil und Schluss in einem »Happy End« aufgelöst wird1417 sowie die Verwendung der Erzählformel »eines Tages«, konstituieren ein Konzept, welches dem einer fiktionalen Erzählung näher steht als dem eines Tatsachenberichts. In Unterrichtseinheit III wird zudem über das Erzählsetting ein Kontext für die Präsentation des biblischen Textes geschaffen, der dem Vorlesen oder Erzählen anderer (fiktionaler) Geschichten ähnelt und so eine dementsprechende Einordnung impliziert.

7.1.4 Der Umgang mit den Wundern Vor dem Hintergrund der Ausführungen zum besonderen Wesen biblischer Texte war gerade die Präsentation und Bearbeitung der Abschnitte der ExodusErzählung interessant, deren Inhalte auf den ersten Blick mit der den Schüler_innen vertrauten Realität in Konflikt zu stehen scheinen. Hier zeigt die Analyse zwar ebenfalls keine expliziten Stellungnahmen der Lehrkraft zum Realitätsstatus des Erzählten, die jeweiligen Geschehnisse erfahren jedoch über 1414 1415 1416 1417

I.5(b).TA.128, s. Tabelle 24, S. 184f. I.2(a).TA.362, s. Tabelle 54, S. 237. Vgl. Roose 2013b, S. 150f. z. B. Lehrkraft I: »jetzt könnte ja alles gut sein« (I.6.TA.124, s. Tabelle 275 im digitalen Anhang), »noch nicht zu Ende erzählt« (I.8.TA.29, s. Tabelle 279 im digitalen Anhang), »Warum ist diese Stelle in der Geschichte so wichtig?« (I.5(a).TA.53, s. Tabelle 266 im digitalen Anhang); Lehrkraft III: »ganz, ganz spannende Stelle« (III.6.TA.271, s. Tabelle 173, S. 400), »die Fortsetzung sozusagen« (III.11/12(a).TA.180, s. Tabelle 175, S. 400f.), »Was vermutet ihr, wie geht es aus?« (III.15.TA.235, s. Tabelle 177, S. 401), »geht die Geschichte […] gut zu Ende« (III.25.TA.268, s. Tabelle 177, S. 401).

492

Diskussion und Ausblick

implizite Hinweise eine diesbezügliche Einordnung. Auffällig ist hier die Beobachtung, dass die Art und Weise, wie die in der Exodus-Erzählung enthaltenen wundersamen Geschehnisse dargestellt und erarbeitet werden, innerhalb einer Unterrichtseinheit je nach Wunder unterschiedlich ist, diese Unterschiedlichkeiten aber in allen drei Unterrichtseinheiten sehr ähnlich sind (s. Kap. 6.4.3.2). Dass es sich bei dem Erzählten um ungewöhnliche, verwunderliche Phänomene handelt, wird von allen drei Lehrkräften nur in Bezug auf den brennenden und zugleich nicht verbrennenden Dornbusch hervorgehoben. Die Erzählungen von den zehn Plagen, von der Rettung vor den ägyptischen Verfolgern sowie von der Versorgung mit Wasser in der Wüste bleiben – hinsichtlich der Außergewöhnlichkeit der geschilderten Ereignisse – mit einer gewissen sich dokumentierenden Selbstverständlichkeit unkommentiert. Die Ernährung der durch die Wüste ziehenden Israeliten betreffend geben jedoch alle drei Lehrkräfte eine Erklärung der erzählten Geschehnisse ab, welche deutlich über die Inhalte des biblischen Textes hinausgeht. In jeder der drei Unterrichtseinheiten erhält das Wunder von Nahrung in der Wüste durch die Erläuterung, dass es sich um Schildlausaus- bzw. Tamariskenabscheidungen und erschöpfte Zugvögel handele, eine naturalistische Deutung, womit eine Begrenzung des Deutungsspielraumes der Schüler_innen einhergeht. Lehrkraft II und III führen diese Erklärung von sich aus in die Erzählung ein, während Lehrkraft I sie als Antwort auf die Frage eines Schülers nutzt, ob Manna selbst gemacht werden könne. Kalloch erklärt diese Form der Präsentation des biblischen Textes als Reaktion auf die Erfahrung der Lehrkräfte, dass Kindern in der dritten und vierten Jahrgangsstufe solche Wundergeschichten nicht mehr ohne Äußerungen des Widerspruchs ihrerseits erzählt werden könnten.1418 »Kurzfristig ist es entlastend, Glaubensgeschichten durch logische Argumente ›abzusichern‹, auch wenn dies an der Aussageintention der Erzählungen vorbeigeht.«1419 Interessant ist, dass keines der anderen Wunder der Exodus-Erzählung in den analysierten Unterrichtseinheiten naturalistisch gedeutet wird. Das sich in der bibeldidaktischen Praxis der beobachteten Lehrkräfte dokumentierende Handlungsmuster kann also nicht umfassend mit dem Vorhandensein einer generellen Befürchtung kritischer Nachfragen erklärt werden. Eine solche naturalistische Wunderdeutung versperrt aber nicht nur – wie Kalloch festhält – den Zugang zur »symbolischen Dimension« der Erzählung:1420 Hinsichtlich der Frage nach der Zuordnung eines Realitätsstatus’ weist die Analyse darauf hin, dass diese Form der Deutung gleichzeitig auch eine Rezeption des Erzählten als Schilderung tatsächlicher Ereignisse stützt. 1418 Vgl. Kalloch 2001, S. 265. 1419 Ebd. 1420 Vgl. ebd., S. 266.

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

493

So implizieren Lehrkraft I und III durch Formulierungen in der Vergangenheitsform und durch gleichzeitiges Markieren einer gewissen Unsicherheit über die genauen Abläufe1421 ein Sprechen über tatsächliche – wenn auch nicht im Detail bekannte – Ereignisse der Vergangenheit, da ein solches Vermuten der spezifischen Umstände bei einer fiktionalen Erzählung wenig plausibel erscheint. Auch die einleitenden Worte der Lehrkraft II (»jetzt wollen wir mal schauen, wie denn eigentlich die Israeliten klargekommen sind in der Wüste«1422, »So! Was ist da passiert […] in der Wüste gibt es Sträucher…«1423), in Verbindung mit der im Anschluss erfolgenden naturalistischen Erklärung von Manna und Wachteln in der Wüste anhand einer Illustration, welche in ihrer Art den Abbildungen in einem Biologie- bzw. Sachbuch entspricht, lassen eher auf die Erklärung historischer Geschehnisse als auf das Erzählen einer Geschichte schließen. Eine ähnliche implizite Historisierung im Zuge einer naturalistischen Wunderdeutung findet sich auch in einem der Kleingruppengespräche aus der Studie Frickes.1424 Im Anschluss an das Lesen der Erzählung von der Rettung am Schilfmeer beschäftigt die Probanden (7 Schüler der dritten Klassenstufe) die Frage, wie man sich die Teilung des Meeres vorzustellen habe.1425 Einer der Schüler wendet sich schließlich an Fricke, welcher das Gespräch anleitet, und fragt, ob er dies (»es«) wisse. In seiner Frage dokumentiert sich die Annahme eines tatsächlichen Ereignisses, welches in dem zuvor gelesenen Text nur unzureichend beschrieben worden wäre, über das aber – von einem Experten – genaueres gewusst werden könne (»Wissens Sie’s? Ja, oder?«).

1421 Lehrkraft I: »da gibt es ganz unterschiedliche Erklärungen […] aber vielleicht ist es das gewesen« (I.8.TA.125–129, s. Tabelle 237, S. 467f.), « und das wird wohl das gewesen sein, was die da gefunden haben« (I.8.TA.136, s. Tabelle 237, S. 467f.); Lehrkraft III: »und darauf entstanden dann diese kleinen weißen Kügelchen, die dann am Morgen nach einer kalten Nacht am Boden lagen« (III.11/12(a).TA.556f., s. Tabelle 187, S. 410), »das ist auch eine Erklärung dafür , dass da plötzlich über der Wüste auch vielleicht so viele Vögel waren, weil sie als Zugvögel da in die Region gekommen sind«(III.11/12(a).TA.533f., s. Tabelle 186, S. 408f.). 1422 II.8(b).TA.1, s. Tabelle 238, S. 469. 1423 II.8(b).TA.25–29, s. Tabelle 239, S. 470–472. 1424 Das unten aufgeführte Transkript ist ein Ausschnitt aus dem von Fricke in seiner Untersuchung veröffentlichten Datenmaterial. Die Bezeichnung der Sprecher durch Fricke wurde für die Darstellung in dieser Arbeit verändert (S1 = Schüler 1, S2 = Schüler 2, FR= Fricke). 1425 Vgl. Fricke 2005, S. 530–534.

494 S1:

Diskussion und Ausblick

Wissen Sie’s? Ja, oder?

FR: Also, ich weiß es auch nicht ganz genau, aber es gibt eine Erklärung, die kann ich euch erzählen. Das Schilfmeer ist zwischen Ägypten und Israel gelegen, und das ist nicht besonders hoch gewesen, und manchmal blies ein starker Wind, und anscheinend war es gerade so gewesen, als die Israeliten auf der Flucht waren und das Meer vor ihnen und die Ägypter hinter ihnen; und haben sie verfolgt, dann sind sie – hatten ja keine andere Möglichkeit – durch dieses Meer, das nicht so hoch war, und das ging gerade an der Stelle gut, weil so eine Art Ebbe gewesen ist, also wenig Wasser, und der starke Wind hat das Wasser so in eine Ecke hin geblasen und dann konnten die durchlaufen, und dann hat der Wind gewechselt, und als die Ägypter durchlaufen wollten mit ihren schweren Streitwagen, kam das Wasser dann wieder zurück, weil der Wind aufgehört hatte. Und so kann man sich’s erklären, aber die Menschen damals haben das wie ein Wunder gefunden. Und haben Gott gedankt. S2: Des war ja gar kein Wunder! Ist ja bobsi zu kapieren! Ich glaub’ schon an die Geschichte, Schilfmeer, Ebbe, das gibt’s ja heute noch, dass man einfach durchs Meer latschen kann, in Hamburg. Tabelle 246: Gesprächsausschnitt (Fricke 2005, S. 533)

Ähnlich der Lehrkräfte I und III bei den Erläuterungen zum Manna und zu den Wachteln signalisiert auch Fricke eine Unsicherheit bezüglich der ihm bekannten Informationen zu den genauen Umständen der Meeresteilung, verweist aber ebenfalls auf eine hierzu bestehende Erklärung. Auch er formuliert in der Vergangenheitsform und markiert mit dem – in seinem abschließenden Fazit enthaltenen – temporalen Ordnungsbegriff »damals« ein Sprechen über die reale Vergangenheit. Fricke impliziert mit der Art seiner Erläuterung, dass es ein Ereignis in der Vergangenheit gegeben habe, welches von den damaligen Menschen als Wunder empfunden worden wäre, für das es aber heute auch eine rationale Erklärung gebe. Besonders spannend ist, wie diese impliziten Hinweise von Schüler 2 aufgenommen werden. Er zieht den Schluss, dass das Gelesene also »gar kein Wunder« sei. Durch das beschriebene, ihm auch aus der heutigen Lebenswelt bekannte Phänomen von Ebbe wird die Geschichte für ihn glaubhaft: Sie besteht aus seiner Sicht die Prüfung anhand des Kriteriums der ihm vertrauten Realität und ist damit wahr. Der Intention des biblischen Textes werden – wie schon Kalloch konstatiert und auch Fricke in seiner Reflexion anführt – naturalistische Erklärungen der enthaltenen Wunder, sei es zum Erscheinen von Manna in der Wüste oder der Teilung des Meeres, nicht gerecht.1426 Sie unterstützen vielmehr ein Verständnis von Wahrheit, welches diese an der (möglichen) Übereinstimmung mit der uns vertrauten Realität festmacht. Diese Erklärungen bestärken so eine strikt dichotome Unterscheidung von Tatsache oder »Märchen«, ohne Raum für die Ausdifferenzierung des Wahrheitskonzepts und 1426 Vgl. Fricke 2005, S. 534; vgl. Kalloch 2001, S. 265.

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

495

damit verbunden für die Annäherung an ein Konzept von Bibel zu geben, welches ihr besonderes Wesen zu fassen vermag.

7.1.5 Die Fragen und Äußerungen der Schüler_innen Die beobachteten Äußerungen der Schüler_innen enthalten nur wenig explizite oder implizite Hinweise auf ihr Konzept von Bibel im Allgemeinen und von der Exodus-Erzählung im Speziellen (s. Kap. 6.4.2). Sowohl in Unterrichtseinheit I als auch in Unterrichtseinheit III zeigt sich in den Beiträgen einzelner Schüler_innen eine qualitative Unterscheidung zwischen verschiedenen ihnen bekannten Formen der Bibel. So dokumentiert sich in der Reaktion Toms auf die Äußerungen Lasses und Noahs, eine Kinderbibel zu besitzen, eine solche, von der Art der Bibel abhängige, Bedeutungszuschreibung, da Tom betont, dass es sich bei seiner eigenen im Vergleich zu einer Kinderbibel um eine »normale«, »echte« Bibel handele. Eine entsprechende Wertunterscheidung ist auch in Unterrichtseinheit III bei Kira und Marlene zu beobachten. Die Betonung Marlenes in einer »Erwachsenenbibel« und nicht – wie von Kira vermutet – in einer Kinderbibel die Abbildung eines roten Roten Meeres gesehen zu haben, führt bei Kira dazu, ihre gegenteilige Auffassung nicht erneut zu wiederholen und die Interaktion mit einem –Anerkennung implizierenden – Nicken zu beenden. In dieser Szene dokumentiert sich, dass Kira und Marlene einer Bibel für Erwachsene mehr Glaubwürdigkeit zusprechen als einer Kinderbibel. Darüber hinaus zeigt die Analyse weiterer Äußerungen Marlenes, dass sie der Bibel als Quelle eine besondere Bedeutung, eine gewisse Autorität zuspricht. Diese wird getragen durch die von ihr angenommene, wortwörtliche Richtigkeit der biblischen Inhalte (»in der Bibel wird’s ja wohl stimmen«1427 , »das, was in der Bibel steht, sollte wohl stimmen […] und wenn es nicht stimmt, wieso gibts dann die Bibel?!«1428). Der Wert der Bibel, der Grund für ihre Existenz, liegt für Marlene in der Übereinstimmung ihrer Aussagen mit der Realität. Das hinter dieser Auffassung stehenden Konzept von Wahrheit zeigt sich in ähnlicher Form auch in dem Schluss Lasses, den er aus den Erläuterungen von Lehrkraft I zieht, dass die Israeliten die Geschichte von den zehn Plagen in der Annahme erzählt hätten, sie seien Gottes auserwähltes Volk. In Verbindung mit dem Nachsatz der Lehrkraft, dass Gott jedoch nicht nur für die Israeliten da sei, folgt für Lasse, dass man »deswegen […] die Geschichten auch nicht wahr«1429 nehmen könne. Eine Ge-

1427 Marlene, III.11/12(b).TA.52, s. Tabelle 165, S. 379f. 1428 Marlene, III.11/12(b).TA.69–71, s. Tabelle 167, S. 382f. 1429 I.6.TA.259f., s. Tabelle 28, S. 198.

496

Diskussion und Ausblick

schichte, die aufgrund einer nicht mit der Realität übereinstimmenden Annahme erzählt wird, kann für ihn nicht wahr sein. Die Analysen zeigen, dass explizite Stellungnahmen wie diese, in welchen sich Orientierungen der Schüler_innen hinsichtlich der Rezeption biblischer Texte, der ihnen zugesprochenen Wahrheit oder ihres Realitätsstatus’ dokumentieren, eine Ausnahme bilden. Ähnliches gilt auch für die Ergebnisse bezüglich der Frage, inwiefern sich die Schüler_innen nach dem Realitätsstatus der von der Lehrkraft präsentierten biblischen Erzählung erkundigen. Generell sind nur wenige Szenen zu beobachten, in welchen die Schüler_innen Fragen zu dem Erzählten formulieren. Zumeist handelt es sich dabei um Erkundigungen nach genaueren Informationen zu den erzählten Geschehnissen.1430 In drei Fällen wird die Plausibilität des Gehörten explizit in Frage gestellt (»Aber wie kriegen die ein Baby? Die Männer sind ja weg«1431, »[Brot fällt vom Himmel] das geht gar nicht!«1432, »und die Kügelchen sind doch voll klein, wie kann man die denn essen? […] reicht das?«1433). Eine solche Form der Infragestellung beobachtet auch Roose in ihrer Untersuchung.1434 Ein direktes Erfragen des Realitätsstatus’ der erzählten Geschehnisse erfolgt in den drei hier analysierten Unterrichtseinheiten nicht. In den Untersuchungen von Fricke1435 und von Roose1436 sowie in einer weiteren – als Vorerhebung für dieses Dissertationsprojekt aufgezeichneten – Unterrichtseinheit zur David-Erzählung war dies jedoch zu beobachten (Mattis: »War das mal – also mit dem Wasser aus dem Weg geschoben – war das mal in echt?«1437). Während die Lehrkraft bei Roose sowie die Lehrkraft von Mattis die historische Wirklichkeit des zuvor Besprochenen bestätigen (»das war in echt so«,1438 »Das gab’s früher ja. Das ist eine Geschichte aus der Bibel«1439), gibt Fricke die Frage zur Wahrheit der Erzählung von der Teilung des Meeres an die Schülergruppe zurück und lässt sie eigene Überle1430 Dennis: »Durften die Israeliten überhaupt mal schlafen?« (I.2(a).TA.82, s. Tabelle 67, S. 243); Noah: »Kann man das Manna selber machen?« (I.8.TA.122, s. Tabelle 71, S. 245); Larissa: »[eine Mauer zwischen den Israeliten und ihren Verfolgern] so wie bei Berlin […]?« (II.7.TA.228, s. Tabelle 137, S. 333f.); Maya: »Wenn wir das Passahfest feiern, schmieren wir dann auch Blut auf die Tür?« (III.8.TA.89, s. Tabelle 195, S. 418). 1431 Jan, I.2(a).TA.199, 201, s. Tabelle 68, S. 243f. 1432 Jan, I.8.TA.52, s. Tabelle 70, S. 245. 1433 Michael, II.8(b).TA.91f., s. Tabelle 147, S. 339f. 1434 »Wie konnte er ihn eigentlich töten? Er hatte doch kein Messer oder so.«, Roose 2013b, S. 149. 1435 Vgl. Fricke 2005, S. 502, 506, 530. 1436 Vgl. Roose 2013b, S. 148. 1437 Siehe hierzu Tabelle 343 (Transkriptausschnitt aus dem Datensatz der Vorerhebung) im digitalen Anhang. 1438 Roose 2013b, S. 148. 1439 Siehe hierzu Tabelle 343 (Transkriptausschnitt aus dem Datensatz der Vorerhebung) im digitalen Anhang.

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

497

gungen hierzu anstellen, bevor er auf ein erneutes Nachfragen, eine naturalistische Erklärung des biblischen Geschehens gibt (s. o., S. 494). Damit wird die anfängliche Frage nach der Wahrheit – im Sinne der historischen Tatsächlichkeit – nicht explizit beantwortet, die Plausibilität dieser jedoch implizit bestärkt. Da die Schüler_innen in den drei hier analysierten Unterrichtseinheiten nicht explizit nach dem Realitätsstatus der Erzählung fragen, lässt das Datenmaterial keine Schlüsse auf die Frage nach möglichen Auslösern zu. Sowohl in der von Fricke dargelegten Szene als auch in der Unterrichtssituation aus der Vorerhebung ereignet sich das Erfragen der Echtheit bzw. Wahrheit im Rahmen der Erzählung von der wundersamen Rettung der Israeliten am Meer. Und auch die von Fricke interviewten Lehrkräfte schildern das Aufkommen solcher Fragen im Kontext der Wundergeschichten in der Exodus-Erzählung.1440 In diesen Fällen scheint der Abgleich des Gehörten mit dem eigenen Realitätsverständnis der Schüler_innen, zur Frage nach der Echtheit zu führen. Dieses Fragen impliziert, dass die Schüler_innen sich bezüglich des Realitätsstatus’ und damit der gattungsgemäßen Zuordnung der Erzählung unsicher sind: Die wundersamen Ereignisse lassen an der bisherigen Einordnung zweifeln. Die bisherige Rezeption bzw. Einordnung des Erzählten dürfte damit eher einem Bericht über vergangene Ereignisse und weniger einer ausgedachten Geschichte oder einem Märchen entsprechen, da sich bei letztgenannten die Frage nach der Echtheit aufgrund des Bewusstseins um deren Fiktionalität (eigentlich) nicht stellt. Die Analyse Rooses zeigt, dass aber auch andere, auf den ersten Blick nicht wundersame Erzählinhalte den Auslöser für ein Fragen nach dem Realitätsstatus bilden können. In dem von ihr dargelegten Fall ist es der Widerspruch zwischen den von der Lehrkraft erzählten Geschehnissen und den zuvor seitens der Schüler_innen angestellten Vermutungen über den weiteren Verlauf der Erzählung, welcher die Absicherung der Wirklichkeit ihrer Inhalte zur Folge hat.1441 Dafür, dass sich in den dieser Arbeit zugrundeliegenden drei Datensätzen keine expliziten Fragestellungen zum Realitätsstatus der Exodus-Erzählung beobachten lassen, kommen gerade auch vor dem Hintergrund der oben dargelegten Erkenntnisse neuerer entwicklungs- bzw. kognitionspsychologischen Untersuchungen, verschiedene Erklärungen in Betracht: Eine erste Möglichkeit besteht darin, dass die Schüler_innen das Erzählte von vornherein der Kategorie (fiktionale) Geschichte zuordnen, in welchen auch in der Realität unmögliche Ereignisse möglich sind. Ausgehend von den Ergebnissen der Studie von CoxVaden und Woolley lässt sich zudem die Hypothese aufstellen, dass die Erwähnung der Beteiligung Gottes – vor allem an den Geschehnissen, welche in 1440 Vgl. Fricke 2005, S. 502. 1441 Vgl. Roose 2013b, S. 148f.

498

Diskussion und Ausblick

Konflikt mit dem Realitätskonzept der Schüler_innen stehen – zu einer Verschiebung der Grenze zwischen Fiktion und Realität führt.1442 Die Involviertheit Gottes in die geschilderten Ereignisse scheint – so Cox-Vaden und Woolley mit Bezug auf die Erkenntnisse von Woolley und Van Reet zum Einfluss von »context cues« auf die Bestimmung des Realitätsstatus’1443 – das Erzählte in einen Kontext zu setzen, welcher die Glaubhaftigkeit der Inhalte erhöht bzw. die üblichen Kriterien für die Entscheidung über den Realitätsstatus modifiziert.1444 »Thus, the older children may have used reference to God as a cue to shift their reality-nonreality boundary.«1445 Auch ist es möglich, dass den Schüler_innen die in der Präsentation der Lehrkraft enthaltenen Hinweise, worum es sich bei dem Erzählten handelt, ausreichend Informationen hinsichtlich einer Einordnung liefern, sodass für die Schüler_innen keine weitere Rückversicherung bezüglich des Realitätsstatus’ notwendig ist. Eine letzte hier anzuführende Hypothese besteht darin, dass die Schüler_innen sich hinsichtlich der Einordnung des Gehörten nicht sicher sind, diese Unsicherheit jedoch aufgrund mangelnden Zutrauens oder fehlender Gelegenheit nicht äußern.

7.1.6 Das Konzept des biblischen Textes Diesen zusammenfassenden Teil abschließend gilt es sich den Ergebnissen zu der Frage zuzuwenden, welche Deutungsspielräume sich für die Schüler_innen aus der dargelegten Art und Weise der Präsentation des biblischen Textes durch die Lehrkräfte ergeben. Die Rekonstruktion der in der Unterrichtsinteraktion stattfindenden Bedeutungskonstruktion bezüglich des Konzepts von der biblischen Erzählung zeigt, dass sich diese Bedeutungszuschreibgung überwiegend über implizite Hinweise vollzieht. Ein explizites Deuten und Einordnen der Erzählinhalte ist nur in Unterrichtseinheit I im Kontext der problematisierten Grausamkeit der zehnten Plage und des Untergangs der ägyptischen Verfolger zu beobachten (s. Kap. 6.1.2). Weitere Szenen, in welchen auf einer Metaebene über den biblischen Text als solchen gesprochen wird, sind kaum zu identifizieren. Die Bearbeitung der Erzählung findet fast ausschließlich auf der Ebene der erzählten Handlung statt. So wird in Unterrichtseinheit I von der Lehrkraft mittels der oben dargelegten impliziten Hinweise auf den Realitätsstatus der biblischen Erzählung sowie der von ihr angeleiteten Diskussion der Frage, ob das über die zehn Plagen Gehörte 1442 Vgl. Cox-Vaden/Wolley 2011, S. 1128f. 1443 Vgl. Woolley/Van Reet 2006. 1444 Vgl. Cox-Vaden/Woolley 2011, S. 1129; siehe auch Harris 2012, S. 181ff.; sowie Harris 2013, S. 37. 1445 Woolley/Cornelius 2013, S. 69.

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

499

»so wörtlich« genommen werden müsse, ein Deutungsspielraum eröffnet bzw. abgesteckt, der sich zwischen einer fiktionalen Geschichte mit metaphorischer Bedeutung (Erklärung der Macht Gottes) und einem (in Teilen) von den Israeliten erzählten Bericht über Ereignisse zur Zeit der Pharaonen erstreckt, wobei die wortwörtliche Richtigkeit dieses Berichts nicht sicher ist, da es keine Augenzeugen mehr gibt (s. Kap. 6.1.3.5). Auch das sich in der Art und Weise der Präsentation durch Lehrkraft II dokumentierende Konzept des Wesens der Erzählung bewegt sich zwischen verschiedenen Deutungsmöglichkeiten, welche fast ausschließlich durch implizite Hinweise konstituiert werden. Besonders durch die nur in Stunde vier und fünf erfolgende Bezeichnung des Erzählten als Geschichte sowie durch die häufig historisierende Sprechweise – beispielsweise in Form der Verwendung der Vergangenheitsform oder zeitlicher Verortungen in einer weit zurückliegenden Vergangenheit u. a. mittels des Erinnerungsmotivs – werden die bearbeiteten Inhalte der Exodus-Erzählung als Schilderungen der tatsächlichen Vergangenheit markiert. Da sich jedoch ebenso Hinweise auf die Deutung als fiktionale Erzählung zeigen, bleibt die Bedeutungskonstruktion ambivalent, auch wenn über den Verlauf der Einheit seitens der Lehrkraft wenig Anlass gegeben wird, die Historizität des Erzählten in Zweifel zu ziehen. Eine Besonderheit in Unterrichtseinheit II liegt darin, dass zu keinem Zeitpunkt von der Lehrkraft explizit herausgestellt wird, dass es sich bei den thematisierten Geschehnissen um Inhalte einer biblischen Erzählung handelt. Auch in Unterrichtseinheit III bewegt sich die Bedeutungszuschreibung vor allem über implizite Hinweise zwischen verschiedenen Konzepten. Zwar wird vor allem durch das gewählte Erzählsetting – sichtbares Vorlesen aus einer illustrierten Kinderbibel, Nutzung einer Erzählerstimme, paralleles Malen der Schüler_innen – sowie die durchgehende Bezeichnung des Erzählten als Geschichte eine Rezeption als fiktionale Erzählung, ähnlich einem Märchen, nahe gelegt, jedoch durch u. a. die explizite Bestätigung der Historizität der Tötung der männlichen israelitischen Neugeborenen und die Hinweise auf eine historische Verortung mittels der engen Verknüpfung von biblischen Inhalten und realgeschichtlichen Elementen partiell ein Sprechen über historische Tatsachen und Personen impliziert. Hinweise der Lehrkraft darauf, dass es sich bei der Erzählung um ein Glaubenszeugnis handelt, um eine Geschichte, die von Erfahrungen der Menschen mit Gott erzählt, sind in Unterrichtseinheit II sowie in Unterrichtseinheit III nicht zu beobachten. Trotz unterschiedlicher Ausprägung und Häufigkeit der meist impliziten Hinweise wird in allen drei Unterrichtseinheiten ein ambivalentes Konzept des biblischen Textes konstruiert, welches sich zwischen den Polen eines Tatsachenberichts und einer fiktionalen Erzählung bewegt, ohne dass er in seiner Gesamtheit ausdrücklich einem der beiden zugeordnet wird.

500

Diskussion und Ausblick

7.1.7 Konklusion Dieses Forschungsprojekt wurde mit dem Ziel unternommen, Einblick in die konkrete, alltägliche bibeldidaktische Praxis zu erlangen und diese vor dem Hintergrund der zu Beginn dargelegten Problemstellung auf die Bedeutungskonstruktion zu untersuchen, die hinsichtlich des Wesens des biblischen Textes stattfindet. Wie wird der biblische Text präsentiert und bearbeitet, und welche Bedeutungszuschreibung dokumentiert sich in dieser Präsentation? Auch wenn der von Berg kritisierte und der bibeldidaktischen Praxis im Religionsunterricht vorgeworfene »unreflektiert normative Gebrauch der Bibel«1446 nicht über den gesamten Verlauf der drei hier bearbeiteten Unterrichtseinheiten zu identifizieren ist, liefert die Analyse doch eine Reihe von Anhaltspunkten, die einen solchen Umgang mit dem biblischen Text erkennen lassen. Die fast ausschließlich implizit erfolgende Deutung und Verortung des Erzählten kann als eine Form unreflektierter Normativität benannt werden. Mit Ausnahme von Lehrkraft I, welche die Frage der angemessenen Rezeption des biblischen Textes in Bezug auf die Bedeutung der Erzählung von der Tötung der ältesten ägyptischen Söhne explizit stellt, sind keine Erläuterungen zum Verständnis der bearbeiteten Erzählung zu beobachten. Auch durch die fehlenden Gelegenheiten einer kritischen bzw. seine Relevanz befragenden Auseinandersetzung mit dem Erzählten wird eine gewisse Selbstverständlichkeit und normative Gültigkeit dessen signalisiert, wobei aufgrund des für die vorliegen Arbeit gewählten Untersuchungsdesigns offen bleibt, ob oder inwiefern dies seitens der Lehrkräfte intendiert ist. Ebenso ist die von Berg besonders der bibeldidaktischen Praxis in der Primarstufe vorgeworfene Art der Wiedergabe biblischer Texte, »als wenn es sich um Tatsachenberichte handelte«1447, in Teilen der erhobenen Daten zu beobachten, wenn auch überwiegend in Form impliziter Hinweise und nur vereinzelt in ausdrücklichen Bestätigungen der Historizität der erzählten Geschehnisse. Abgemildert wird die Normativität dieser Präsentationsweise durch die sich ebenso dokumentierenden unterschiedlich stark ausgeprägten Hinweise darauf, dass das Erzählte entsprechend einer (fiktionalen) Geschichte aufzufassen sei. Doch auch diese Einordnung erfährt innerhalb der Unterrichtseinheiten keine gemeinsame Reflexion. Gerade dieses ambivalente Konzept des biblischen Textes hinsichtlich seiner Bedeutung und seines Realitätsstatus sowie der einzig bei Lehrkraft I zu beobachtende Ansatz einer diesbezüglichen Klärung und Verortung stellen Indikatoren für die von Berg beschriebene Unreflektiertheit der Präsentationsweise dar. Die Bedeutungszuschreibung erfolgt hier, eingebettet in die routiniert ablaufende didaktische Handlungspraxis der 1446 Berg 1993, S. 32. 1447 Ebd.

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

501

Lehrkräfte, fast ausschließlich indirekt. Die Beobachtung, dass sich auch bei den impliziten Verortungen kaum Hinweise auf ein Konzept des biblischen Textes als Zeugnis des Glaubens identifizieren lassen, ist besonders spannend. Ist es doch gerade diese Deutung, die dem besonderen Wesen biblischer Erzählungen entspricht und die eine Zuschreibung von Relevanz und Wert ermöglicht, die unabhängig von den Kategorien real oder nicht real Bestand haben kann. Nur in den Erklärungen von Lehrkraft I, dass sich die Israeliten diese Geschichte aus dem Vertrauen auf die Zusage Gottes heraus in dieser Form erzählt hätten, lässt sich der Versuch erkennen, die Entstehung solcher Erzählungen anzusprechen. Hier wird ein Ansatz einer Begründung dieser Entstehung erkennbar, die sich nicht in der Darstellung historischer Fakten erschöpft. Ähnliches beobachtet Roose in einer von ihr untersuchten Unterrichtsstunde. Auch dort wird weder explizit noch implizit thematisiert, »[…] wie eine (biblische) Erzählung jenseits der Frage ihrer Historizität Relevanz erlangen kann […]«.1448 Als mögliche Erklärung dieses Handelns der Lehrkräfte sind drei Hypothesen denkbar : Zunächst kann diese Art der Präsentation der biblischen Erzählung aus der eigenen Unsicherheit der Lehrkräfte hinsichtlich einer Deutung und Einordnung resultieren, welche dem biblischen Text gerecht wird. Ebenso ist denkbar, dass ein mangelndes Bewusstsein bezüglich der Notwendigkeit besteht, eine explizite Deutung des biblischen Textes mit den Schüler_innen vorzunehmen. Die möglichen Folgen eines unreflektiert normativen Gebrauchs werden hier nicht bedacht bzw. sind nicht bewusst. Die Äußerung einer von Fricke befragten Religionslehrkraft weist auf eine weitere Erklärung hin.1449 So kann auch die Befürchtung der Lehrkräfte von entwicklungsbedingten Verstehensschwierigkeiten auf Seiten der Schüler_innen bezüglich eines Konzepts von der biblischen Erzählung, welches die Relevanz jenseits der Frage der Historizität sucht, ein Ausbleiben einer entsprechenden Auseinandersetzung begründen. Die zentrale Beobachtung dieser Untersuchung besteht darin, dass sich die auf die biblische Erzählung bezogene Bedeutungszuschreibung vor allem über implizite Hinweise vollzieht und es kaum Momente gibt, in denen der Text auf einer Metaebene auf seine Relevanz hin untersucht oder erklärend dargelegt wird. Die gemeinsame Auseinandersetzung erfolgt fast ausschließlich auf der Handlungsebene der Erzählung. 1448 Roose 2013b, S. 154f. 1449 »[…] Ich möchte auch die Bibel nicht als ›Märchenbuch‹ vermitteln, bin mir aber unsicher, ob die Kinder mit der Erklärung etwas anfangen können, dass die Geschichten gemachte Erfahrungen usw. sind. Wie formuliert man das richtig, kindgemäß und im Zeitrahmen, ohne vom Thema abzukommen? Oder sollte man so etwas mal über mehrere Stunden zum Thema machen? Wie kann man dabei die Entwicklung der Kinder berücksichtigen?«, Fricke 2005, S. 502.

502

Diskussion und Ausblick

Dass diese Hinweise, die nicht nur innerhalb der verbalen Äußerungen der Lehrkräfte, sondern auch in dem durch das Erzählsetting und die verwendeten Materialien konstituierten Rahmen identifiziert werden können, trotz ihrer Implizitheit in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzen sind, wird mit Blick auf die oben dargelegten Forschungsergebnisse zu den Bewertungs- und Einordnungsstrategien von Kindern bezüglich ihnen bisher unbekannter Informationen deutlich (s. Kap. 4.1). So können Woolley, Ma und Lopez-Mobilia in ihrer Studie zeigen, dass Kinder bereits ab dem Alter von fünf Jahren damit beginnen, die impliziten Hinweise im Sprechen ihrer Bezugspersonen über bisher nicht bekannte Sachverhalte für die Entscheidung über den Realitätsstatus zu berücksichtigen.1450 Auch die Ergebnisse Canfields und Ganeas sprechen für eine solche Sensibilität gegenüber impliziten Hinweisen auf den Realitätsstatus.1451 Gerade das nicht explizite Ansprechen bzw. Betonen der Realität suggeriere – so u. a. Harris und König – eine gewisse Selbstverständlichkeit eben genau dieser Realität.1452 Bezogen auf die Beobachtungen der vorliegenden Arbeit bedeutet dies, dass gerade die Implizitheit der Hinweise zu einer Verstärkung der Einordnung des Gehörten als Bericht historischer Tatsachen führt. Auch wenn, wie Harris und Corriveau betonen, diese Forschung »on children’s sensitivity to such discourse cues« noch in ihren Anfängen ist1453, sind ihre bisherigen Ergebnisse für die Diskussion und Einordnung der im Rahmen dieser Arbeit gemachten Beobachtungen von Bedeutung, da sie für die potentielle Wirkung impliziter Hinweise auf den Prozess der kindlichen Bedeutungszuschreibung sensibilisieren. Dies gilt auch für die Erkenntnisse der kognitionspsychologischen Forschung zur Rolle der Informationsperson bei der Bewertung neuer Informationen durch Kinder. Auf Basis dieser ist davon auszugehen, dass der Religionslehrkraft nicht nur eine besondere Bedeutung bei der Ausbildung eines Konzepts von der Bibel bzw. biblischen Texten seitens der Schüler_innen zukommt, weil sie – wie einführend dargelegt – diejenige ist, welche meist den ersten und oft auch überwiegenden Kontakt der Kinder mit der Bibel gestaltet und begleitet: Nach den Ergebnissen der Untersuchungen von Harris und Corriveau sowie Lane und Harris sind auch die von den Schüler_innen wahrgenommene bisherige Exaktheit (»accuracy«) und Expertise der Informationsperson (»expertise«) ausschlaggebend.1454 Bereits aufgrund der Rollenzuschreibung innerhalb des schulischen Kontexts ist davon auszugehen, dass die Schüler_innen der Religionslehrkraft eine Expertise in ihrem 1450 Vgl. Woolley/Ma/Lopez-Mobilia 2012, S. 549f. 1451 Vgl. Canfield/Ganea 2014, S. 283. 1452 Vgl. Harris/König 2006, S. 520; siehe auch: Harris/Corriveau 2014, S. 34; Woolley/Ma/ Lopez-Mobilia 2011, S. 539. 1453 Harris/Corriveau 2014, S. 34. 1454 Vgl. Harris/Corriveau 2011; vgl. Lane/Harris 2015; siehe hierzu auch Harris 2007.

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

503

Tun zuschreiben, da sie ihnen als diejenige Person vertraut ist, die den Unterricht plant und durchführt, neue Inhalte präsentiert und in der Rolle der Expertin über ein Mehr an Wissen verfügt bzw. zu verfügen scheint. Hinzu kommt, dass die Schüler_innen gerade in der Grundschule die Religionslehrkraft auch in anderen Fachunterrichten in der Rolle der Expertin erleben. Sofern eine positive Bewertung der Glaubwürdigkeit der Lehrkraft erfolgt, ist – gemäß der entwicklungs- bzw. kognitionspsychologischen Erkenntnisse – mit einer Bestärkung des Einflusses der Religionslehrkraft auf das Deutungskonzept biblischer Texte von den Schüler_innen zu rechnen. Anhand der mit dieser Arbeit ermöglichten Einblicke in die alltägliche bibeldidaktische Praxis an Grundschulen zeigt sich, dass die bereits vor einem Vierteljahrhundert formulierte Kritik BERGs an der Art und Weise, wie biblische Texte im schulischen Religionsunterricht präsentiert würden, nicht an Aktualität verloren hat, auch wenn sie die Komplexität der Bedeutungskonstruktion in der Unterrichtsinteraktion und die Ambivalenz der Konzepte von Bibel nicht in Gänze zu beschreiben vermag. In Verbindung mit den Überlegungen zum potentiellen Einfluss der Religionslehrkraft auf die Bedeutungszuschreibung der Schüler_innen sowie den Ergebnissen der neueren Forschung zur kognitiven Entwicklung dieser wird deutlich, dass eine intensive Beschäftigung der Bibeldidaktik mit der Frage, wie eine Auseinandersetzung mit dem besonderen Wesen biblischer Texte aussehen könne, die zu der Ausbildung eines entwicklungsfähigen Deutungskonzepts beiträgt, unerlässlich ist. So wie Kinder im Deutschunterricht der Grundschule – wie im niedersächsischen Kerncurriculum innerhalb der Kompetenzbereiche »Lesen – über Leseerfahrung verfügen«1455 sowie »Lesen – Texte erschließen«1456 verortet – an den Umgang mit verschiedenen Textsorten herangeführt werden und lernen, diese anhand spezifischer Textmerkmale voneinander zu unterscheiden und mit verschiedenen Sinnerwartungen zu verknüpfen, muss auch im Religionsunterricht stärker an der Entwicklung eines Verständnisses für die Gattung biblischer Text im Allgemeinen und die einzelnen Untergattungen im Speziellen (Erzählung, Gleichnis etc.) gearbeitet werden. Wenn – wie oben diskutiert – die Einordnung in die Textsorten historischer Tatsachenbericht oder Märchen dem Anspruch und Wesen biblischer Texte – hier alttestamentlicher Erzählungen – nicht gerecht wird, dann muss deutlich gemacht werden, was die Gattung dieser Texte von den anderen unterscheidet und welcher Wert ihnen gerade deswegen zukommt.1457 Um dem entgegenzuwirken, dass eine als Märchen bzw. »nur« ausgedachte 1455 Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2017, S. 30f. 1456 Vgl. ebd., S. 32f. 1457 Vgl. Bieringer/Pollefeyt 2005, S. 124; vgl. Corriveau et al. 2009; S. 225; vgl. Otto G. 2006, S. 39.

504

Diskussion und Ausblick

Geschichte rezipierte biblische Erzählung mit dem Verlassen des sogenannten »Märchenalters«1458 abgelehnt wird oder die Erzählung in Folge der Überprüfung an den Maßstäben eines Tatsachenberichtes als nicht möglich, als unwahr und damit als bedeutungslos verworfen wird, ist es zum einen notwendig, die Entstehung der biblischen Erzählungen genauer zu betrachten, und zum anderen, an der Anbahnung eines differenzierten Fiktionalitäts- und damit Wahrheitsverständnisses zu arbeiten.1459 Bei der Thematisierung der Entstehung der biblischen Texte geht es nicht allein um den literarischen Formungsprozess im engeren Sinne, dem Verflochtensein verschiedener Erzählstränge von verschiedenen Erzählenden, sondern in einem weiteren Sinne um eine Auseinandersetzung mit den Fragen, warum überhaupt dies und gerade in dieser Art und Weise erzählt wird und was daran so wichtig sein könnte, dass es über so einen langen Zeitraum immer wieder erzählt wird.1460 »Nicht ›Was ist eigentlich geschehen beim Auszug aus Ägypten?‹ und ›Wer war Mose wirklich?‹ sind die Fragen, die sich an die Exodus-und-Mose-Tradition sinnvoll stellen lassen, sondern: ›Warum wird die Geschichte erzählt, in welcher Beleuchtung und Bewertung?‹«1461

Wenn die Exodus-Erzählung wie oben diskutiert keine Dokumentation historischer Geschehnisse liefert (s. Kap. 2.2), sondern ihr besonderes Wesen darin besteht, von Erfahrungen mit Gott, Hoffnungen auf Gott und Bekenntnissen zu Gott zu erzählen (s. Kap. 3.4), muss sich die Auseinandersetzung mit dieser Erzählung auf die Frage nach eben diesen in ihr bezeugten und theologisch gedeuteten Glaubenserfahrungen richten. Die Aufmerksamkeit sollte darauf gelenkt werden, dass die Verfasser_innen nicht so erzählen, weil sie über die genauen Abläufe nicht besser Bescheid wussten, sondern weil die Erzählung nur in dieser Form das bezeugen kann, was für die Verfasser_innen bedeutsam war. In engem Zusammenhang mit diesen Überlegungen steht dann die Frage, inwiefern etwas wahr sein kann, wenn es nicht wirklich stattgefunden hat, wenn es der Überprüfung der wortwörtlichen Richtigkeit, dem Faktencheck nicht standhält und damit in den Bereich der Fiktion fällt. An dieser Stelle muss es darum gehen, an einer Ausdifferenzierung des bereits vorhandenen Wahrheitskonzepts zu arbeiten, welche die starre Opposition von Fiktionalität und Wahrheit aufbricht und den Gedanken zulässt, dass wahr auch sein kann, was zum Nachdenken anregt, was zukünftiges Handeln beeinflusst, was Menschen 1458 Kalloch 2000, S. 210, 218. 1459 Vgl. Schambeck 2015, S. 10. 1460 Vgl. Assmann 2015, S. 390; vgl. Otto G. 2006, S. 38; vgl. Reis 2012, S. 142f.; vgl. Roose 2013a, S. 162; vgl. Roose 2013b, S. 158; vgl. Schmitz 2011, S. 134; vgl. Seybold 2005, S. 23; vgl. Wegenast 2006, S. 71. 1461 Assmann 2015, S. 54.

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

505

verbindet, was für sie – immer wieder – existentiell relevant, wichtig und damit wirklich ist bzw. wird.1462 Gerade weil die Wahrheit und der Grund der Entstehung der biblischen Erzählung nicht in ihrer Übereinstimmung mit bzw. der Darstellung von historischen Abläufen liegt und nicht an diese gebunden ist, kann sie auch heute noch wahr sein und Bedeutung entwickeln.1463 Geschieht eine solche Auseinandersetzung mit alternativen Wahrheitskonzepten sowie Überlegungen, welchen Mehrwert eine fiktionale Erzählung gegenüber einem formalen Bericht haben kann, zu spät, erhöht sich das Risiko, dass eine kritische Prüfung des Realitätsstatus’ der biblischen Erzählung und Bewertung ihrer Wahrheit anhand der Korrespondenztheorie zu einer Einordnung als Lügengeschichte oder als märchengleiche Geschichte führt, was der theologischen Bedeutung und Wahrheit des biblischen Textes ebenso wenig gerecht wird.1464 Das hier skizzierte – für die Entwicklung eines auch in späteren Lebensjahren noch anschluss- bzw. tragfähigen Rezeptionskonzepts biblischer Erzählungen notwendige – bibeldidaktische Vorgehen muss sich der Kritik stellen, dass es in Anbetracht der kognitiven Fähigkeiten von Kindern im Grundschulalter kaum umsetzbar sei, da es diese übersteige. Überwiegend unter Bezugnahme auf die von Piaget beschriebenen kognitiven Entwicklungsstufen wird konstatiert, dass Kindern aufgrund der in diesem Alter zumeist anzunehmenden konkret operationalen Denkstrukturen eine Entschlüsselung metaphorischer Sprachformen sowie ein hypothetisches deduktives Schließen nicht oder wenn überhaupt nur sehr begrenzt möglich sei.1465 Dies führe, wie in den Untersuchungen Goldmans, Buchers oder Bee-Schroedters festgestellt, zu einer Beschränkung auf ein wortwörtliches Verstehen biblischer Texte (s. Kap. 4.3).1466 »Es ist Zeit, in religionspädagogischen Kontext zu akzeptieren, dass das immer wieder heraufbeschworene ›nicht was war, sondern was wahr ist, ist zu vermitteln‹, im Grundschulunterricht nur sehr bedingt realisiert werden kann.«1467

Auch in dieser Untersuchung lässt sich eine solche kindliche Denkweise beobachten. Innerhalb der Diskussion der Schüler_innen zur Farbe des Roten Meeres 1462 Vgl. Assmann 2015, S. 192; vgl. Bieberstein 2002, S. 9; vgl. Bieberstein 2000, S. 25; Dressler 2012, S. 71; vgl. Erbele-Küster 2009, S. 7; vgl. Freudenberger-Lötz 2012, S. 9; vgl. Koenen 2006, S. 3; vgl. Kutzer, 2006, S. 206, 256; vgl. Nipkow 2011, S. 137ff.; vgl. Oeming 1984, S. 266; vgl. Schmitz 2013, S. 133; vgl. Schmitz 2003, S. 58; vgl. Thöne 2013, S. 137. 1463 vgl. Roose 2013b, S. 157; vgl. Schmitz 2011, S. 138; vgl. Thöne 2013, S. 137. 1464 vgl. Dressler 2012, S. 71; vgl. Hilger/Lindner 2014, S. 206; vgl. Kalloch 2000, S. 210; vgl. Rodegro 2009, S. 584; vgl. Schmitz 2032, S. 58. 1465 Siehe hierzu u. a.: Fowler 2000, S. 166f.; Harz 1998, S. 324; Langenhorst 2013, S. 606f.; Kalloch 2001, S. 210, 217. 1466 Vgl. Goldman 1964, S. 220ff.; vgl. Bucher 1990, S. 42; vgl. Bee-Schroedter 1998, S. 305f., 309ff. 1467 vgl. Kalloch 2000, S. 270.

506

Diskussion und Ausblick

in Unterrichtseinheit III, dokumentiert sich sowohl in Marlenes als auch in Ahmets Argumentation, eine wortwörtliche Deutung des in der biblischen Erzählung benannten Meeres und damit ein Wahrheitskonzept, das eine Übereinstimmung von Erzähltem und Realität sucht (s. Kap. 6.3.2). Ob Marlene und Ahmet dieses Rezeptionskonzept auf alle Teile der gehörten Erzählung anwenden, kann anhand der erhobenen Daten nicht geklärt werden, da sich die beiden aber auch die übrigen Schüler_innen nur vereinzelt in einer expliziten Form zu den Inhalten der biblischen Erzählung äußern. Ähnliche Beobachtungen zum Wirklichkeitsbewusstsein machen auch Pape und Flock innerhalb ihrer Untersuchungen zur Entwicklung des Geschichtsbewusstseins von Kindern im Grundschulalter.1468 Anhand der Antworten der Proband_innen zeigt sich sowohl bei den jüngeren Schüler_innen als auch bei den älteren eine Vermischung von historischen und biblischen Geschehnissen, was auf eine Rezeption der entsprechenden biblischen Erzählungen als Berichte von realen Tatsachen und damit auf ein wortwörtliches Verstehen hindeutet. Als Ursache für diese Beobachtung führt Pape – wie auch El Darwich und Rohrbach – jedoch nicht eine generelle Unausgereiftheit kognitiver Fähigkeiten an, sondern verweist auf die Darstellungsweise biblischer Inhalte im Religionsunterricht der Grundschule. Die Präsentation dieser Inhalte als Berichte historischer Ereignisse beeinflusse die Zuschreibung des Realitätsstatus’ und erschwere den Schüler_innen die kognitiv bereits leistbare Trennung von Fakt und Fiktion.1469 In Anbetracht der neueren Erkenntnisse der entwicklungspsychologischen Forschung, welche vermehrt für eine Theorie der bereichsspezifischen Entwicklung sprechen, welche nicht strikt an feste Altersstufen gebunden ist, nicht über alle Wissensbereiche gleichförmig, sondern in Abhängigkeit von dem zur Verfügung stehenden sachbezogenen Wissen abläuft, ist hinsichtlich des Einwandes, dass Schüler_innen in der Grundschule für eine Thematisierung biblischer Erzählungen in der oben beschriebenen Weise entsprechende kognitive Fähigkeiten noch fehlten, Folgendes zu bedenken: Die Ergebnisse der bisher erfolgten Rezeptionsstudien zum kindlichen Verstehen biblischer Texte sowie der Untersuchungen zum Wirklichkeits- und Geschichtsbewusstsein zeigen, dass die – auf Piaget zurückgehende – Zuschreibung von überwiegend an konkrete Muster gebundene Denkoperationen im Grundschulalter nicht generell an Berechtigung verloren hat, ihre Normativität jedoch hinterfragt werden muss.1470 Im Anschluss an die Theorie einer bereichsspezifischen Entwicklung ist das u. a. von Goldman, Bucher oder BeeSchroedter bei Proband_innen dieses Alters beobachtete als nicht »gat1468 Vgl. Flock 2004, S. 69f.; vgl. Pape 2008, S. 186, 237, 274. 1469 Vgl. El Darwich 1991, S. 37; vgl. Pape 2008, S. 237; vgl. Rohrbach 2009, S. 16, 52. 1470 vgl. Büttner 2010, S. 209; vgl. Fricke 2012, S. 216.

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

507

tungsgemäß« bewertete Verstehen nicht zwingend auf altersbedingte kognitive Beschränkungen zurückzuführen, sondern kann auch aus einem Mangel an sachbezogenem Wissen und aus fehlender Anregung zur Reflexion bestehender Vorstellungen resultieren.1471 Dass durch eine entsprechende Heranführung und durch ein Üben neuer Denkformen auch schon im Grundschulalter ein Umgang mit biblischen Texten möglich ist, der über eine strikt wortwörtliche Auffassung hinausgeht, zeigen Untersuchungen wie z. B. von Gößinger oder Pfeifer.1472 »Grundschüler sind auch in der Lage, Geschichten nicht nur als historisch, sondern als Ausdruck überzeitlicher Wahrheiten zu verstehen […].«1473 Dabei soll es nicht darum gehen, den Schüler_innen ein sie überforderndes Deutungskonzept aufzuzwingen und ihre eigenen Deutungen als falsch abzuwerten. Ebenso wenig ist es aber angebracht, pauschal von einer altersabhängigen Überforderung auszugehen und das besondere Wesen biblischer Erzählungen erst im Religionsunterricht der weiterführenden Schulen explizit zu thematisieren.1474 Wenn – wie die Ergebnisse dieser Studie zeigen können – auch ohne eine explizite Auseinandersetzung mit der Frage nach der Deutung des biblischen Textes durch die impliziten Hinweise der Lehrkräfte eine Einordnung und Bedeutungszuschreibung erfolgt, so gilt dies einmal mehr. Die Mahnung, dass »[…] man Kindern die wortwörtliche Stimmigkeit dieser Erzählungen nicht zerstören […]« dürfe, welche u. a. Langenhorst in seinem Beitrag »Bibeldidaktik und Entwicklungspsychologie« im von Zimmermann und Zimmermann herausgegebenen »Handbuch Bibeldidaktik«1475 äußert,1476 verkennt die Chance, schrittweise – unter Berücksichtigung der spezifischen kognitiven Voraussetzungen – eine Auseinandersetzung mit dem biblischen Text zu üben, die über die Ebene der erzählten Handlung hinaus nach Deutung und Bedeutung fragt. Das bereits vorhandene kognitive Potential könnte so genutzt und die Ausbildung eines Konzepts biblischer Erzählungen angebahnt werden, welches den Wert dieser nicht in ihrer historischen Wirklichkeit sucht.1477 Für eine Bibeldidaktik, welche sich der Problematik eines unreflektiert normativen Gebrauchs biblischer Erzählungen bewusst ist und die Schüler_innen bei der Ausbildung eines Deutungskonzepts unterstützen will, welches dem besonderen Wesen der Bibel als Glaubenszeugnis gerecht wird, ist es unerlässlich, diese Chance zu nutzen. Nur auf diese Weise kann die Bedeutungszuschreibung über den weiteren Ent1471 Vgl. Büttner 2010, S. 210f.; vgl. Fricke 2012, S. 215; vgl. Krieger 2015, S. 46; vgl. Sodian 2012, S. 401ff. 1472 Vgl. Gößinger 2014, S. 182f.; vgl. Pfeifer 2002, S. 196f.; siehe auch Reis 2012, S. 143. 1473 Fricke 2012, S. 216. 1474 Vgl. Berg 1993, S. 141f. 1475 Siehe hierzu Zimmermann/Zimmermann 2013. 1476 Langenhorst 2013, S. 607; siehe auch Kalloch 2001, S. 217. 1477 Vgl. Berg 1993, S. 141–143.

508

Diskussion und Ausblick

wicklungsverlauf auch trag- und anschlussfähig bleiben. Voraussetzung für ein solches Vorgehen ist, dass im Religionsunterricht Raum für eine kritische Auseinandersetzung mit den biblischen Texten geschaffen und ein Klima gefördert wird, welches den Schüler_innen signalisiert, dass es diesbezüglich keine falschen Fragen gibt. Denn gerade Fragen sind ein wichtiger Indikator für die Einschätzung des bereits vorhandenen Wissens der Schüler_innen sowie für ihr an den Text herangetragenes Relevanzsystem.1478 Ferner ist es notwendig, dass die Lehrkraft immer wieder reflektiert, worin für sie die Bedeutung biblischer Texte im Allgemeinen und der aktuell ausgewählten Erzählung im Speziellen liegt.

7.2

Reflexion und Ausblick

Ausschlaggebend für das Anliegen der vorliegenden Arbeit, einen Einblick in die alltägliche bibeldidaktische Praxis zu geben, waren die folgenden drei Beobachtungen bzw. Feststellungen: 1. Die im bibeldidaktischen Forschungsdiskurs mehrfach beschriebene Beobachtung, dass Schüler_innen mit dem Übergang in eine Entwicklungsphase, in der Wert und Wahrheit in besonderem Maße anhand der Übereinstimmung mit der ihnen bekannten Realität und den in dieser gültigen naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten bemessen werden, biblische Erzählungen häufig der Kategorie »Märchen« oder gar »Lügengeschichte« zuordnen; 2. die von Berg geäußerte Kritik an einer – besonders im Religionsunterricht der Grundschule – unreflektiert normativen Präsentationsweise biblischer Erzählungen als seien es Tatsachenberichte; 3. die Feststellung, dass es kaum aktuelle Studien gibt, welche empirisch fundierte Erkenntnisse zur Art und Weise des Umgangs mit biblischen Erzählungen im schulischen Religionsunterricht liefern. Mittels der Rekonstruktion der Bedeutungskonstruktion, die hinsichtlich des biblischen Textes innerhalb der videographisch aufgezeichneten Unterrichtsinteraktion stattfand, konnten sowohl Antworten auf die Frage gewonnen werden, welche Konzepte der Exodus-Erzählung über den Verlauf der einzelnen Unterrichtseinheiten konstruiert wurden, als auch auf die Frage, auf welche Weise diese Bedeutungszuschreibung in der Unterrichtssituation erfolgte. Deutlich hervorzuheben ist, dass es – wie auch mit der praxeologischen Aus1478 Vgl. Fricke 2012, S. 216, 218; vgl. Ritz-Fröhlich, 1992, S. 48; Zur Rolle der Schülerfragen im (Religions-)Unterricht siehe außerdem die Beiträge in Lindner/Zimmermann 2011.

Reflexion und Ausblick

509

richtung methodologisch begründet – nicht die Intention des Forschungsprojektes gewesen ist, die teilnehmenden Lehrkräfte oder die Schüler_innen hinsichtlich ihres unterrichtlichen Handelns einer Beurteilung zu unterziehen. Vielmehr war es das Ziel auf Grundlage aktueller empirischer Daten Erkenntnisse darüber zu erlangen, von welcher bibeldidaktischen Praxis im alltäglichen Religionsunterricht ausgegangen werden kann und wie sich diese zu bestehenden normativen Annahmen und Theorien verhält. Dafür galt es, sich dem diese Praxis orientierenden impliziten, atheoretischen Wissen rekonstruktiv zu nähern. Mit den dargelegten methodologischen Überlegungen und methodischen Entscheidungen wurde ein Fragen nach den kommunizierbaren Intentionen der Beteiligten ausgeschlossen. Zu dem »Warum« der beobachteten Handlungspraxis, also den bibeldidaktischen Absichten und unterrichtlichen Zielvorstellungen der Lehrkräfte, kann und will dieses Forschungsdesign keine Ergebnisse generieren. Mit der Entscheidung für ein rekonstruktives und damit qualitatives Vorgehen muss die Frage gestellt werden, welche Relevanz den Ergebnissen in Anbetracht der – für diese Form der Forschung zwar typischen, im Vergleich zu quantitativen Untersuchungen jedoch kleinen – Fallzahl zukommt und anhand welcher Kriterien ihre Güte festgemacht werden kann, wenn – wie im diesbezüglichen Forschungsdiskurs als Minimalkonsens konstatiert – »[…] die Gütekriterien der quantifizierenden Sozialforschung – vor allem Objektivität, Validität und Reliabilität – nicht einfach übernommen werden können«.1479 Der Wert der mittels der qualitativen Analyse generierten Ergebnisse liegt nicht in ihrer von hohen Fallzahlen ableitbaren allgemeinen Gültigkeit, sondern in ihrem Vermögen, im Sinne »mikroskopischer Nahaufnahmen«, »[…] wenige Einzelfälle in ihrer individuellen Komplexität möglichst differenziert und detailliert zu ergründen« und durch Komparation einzelner Fälle letztendlich zu fallübergreifenden Strukturen und Mustern im Handeln der untersuchten Personen zu gelangen. Auch wenn diesen keine Allgemeingültigkeit zugesprochen werden kann, bilden sie die Grundlage für weiterführende Forschung und allgemeinere Theoriebildung.1480 So vermag die vorliegende Arbeit mit ihren Ergebnissen erste Erkenntnisse zu den – der komplexen unterrichtlichen Bedeutungskonstruktion zugrunde liegenden – Handlungsmustern sowie den diese bedingenden Orientierungen zu liefern und mit diesen zu einer Reflexion bestehender Annahmen über die bibeldidaktische Praxis und den auf diesen basierenden theoretischen Konzepten herauszufordern. Zudem bieten die Ergebnisse eine ganze Reihe von Anknüpfungspunkten und Implikationen für weiterführende Forschungen zum Umgang mit biblischen Texten im Religionsunterricht der 1479 Lüders 2011, S. 80; vgl. Krummheuer/Naujok 1999, S. 26; vgl. Porzelt 2000, S. 65. 1480 Porzelt 2000, S. 65.

510

Diskussion und Ausblick

Grundschule und zeigt die Notwendigkeit dieser auf. Die Güte bzw. Gültigkeit der Ergebnisse wird in qualitativen Untersuchungen wie dieser vor allem durch die Gewährleistung ihrer »intersubjektiven Nachvollziehbarkeit« bestimmt.1481 Um eine Grundlage für eine solche zu schaffen, wurde eine Darstellungsform gewählt, welche eine möglichst hohe Transparenz des Forschungsprozesses, speziell des analytischen Vorgehens bietet. Trotz der Gefahr einer zu umfangreichen und die Geduld der Leser_innen strapazierenden Verfahrensdokumentation wurde sich daher u. a. dafür entschieden, die für die dargelegten Analysen zentralen Transkriptabschnitte an den jeweiligen Stellen direkt in den Fließtext einzufügen, um den Nachvollzug des interpretativen Vorgehens zu erleichtern. Während des Analyseprozesses wurde durch die wiederholte Diskussion in Forschungs- bzw. Interpretationsgruppen die Standortgebundenheit der Forscherin kontrolliert und die Nachvollziehbarkeit und Plausibilität der jeweiligen Interpretationen geprüft. Aus den dargelegten Beobachtungen sowie der Diskussion der Ergebnisse lassen sich eine Reihe von Implikationen für weiterführende Forschungsprojekte ableiten. Auch wenn für diese Arbeit insgesamt 1710 Minuten religionsunterrichtlicher Praxis videographisch aufgezeichnet, transkribiert und mittels eines rekonstruktiven Analyseverfahrens auf die – hinsichtlich des besonderen Wesens der Exodus-Erzählung durch explizite und implizite Hinweise stattfindende – Bedeutungszuschreibung sowie die diese bestimmenden Orientierungen untersucht wurden, bedarf es weiterer Untersuchungen, welche sich der Frage nach der Art und Weise der Präsentation und Bearbeitung biblischer Texte im Religionsunterricht widmen und damit die Einsicht in die alltägliche bibeldidaktische Praxis erweitern und ausdifferenzieren. Dafür ist es nicht nur notwendig, sich in ähnlicher Weise ebenso der Erarbeitung weiterer biblischer Gattungen – neben der alttestamentlichen Erzählung – in der konkreten Unterrichtssituation zu nähern und die sich dokumentierenden Hinweise auf Realitätsstatus, Wert und Wahrheit dieser Gattungen zu rekonstruieren, sondern auch die Gruppe der Proband_innen zu erweitern und den Religionsunterricht in den weiterführenden Schulen hinsichtlich dieser Fragestellung in den Blick zu nehmen. Für eine umfassendere Erforschung der Präsentationsweisen biblischer Texte im Religionsunterricht wäre es zudem notwendig, die Fragestellung auf die für den Religionsunterricht zur Verfügung stehenden Lehrwerke und zugehörigen Unterrichtsmaterialien auszuweiten und zu untersuchen, inwiefern diese ein bestimmtes Rezeptionskonzept implizieren bzw. auf die Frage nach dem besonderen Wesen biblischer Texte eingehen. Dies war in der vorliegenden Untersuchung nur sehr bedingt leistbar. 1481 Vgl. Lüders 2011, S. 81f.; vgl. Fricke 2005, S. 2005; vgl. Krummheuer/Naujok 1999, S. 9; vgl. Porzelt 2000, S. 67.

Reflexion und Ausblick

511

Um den Aspekt der Entwicklung besser fassen zu können und die bisher fast ausschließlich auf punktuellen Beobachtungen und Annahmen basierenden Erkenntnisse zur Frage, ob und wie sich das Konzept von Bibel und ihren Inhalten mit zunehmendem Alter verändert, stärker empirisch und theoretisch zu fundieren, wäre eine Längsschnittstudie notwendig, in welcher einzelne Proband_innen über mehrere Jahre begleitet werden und die Entwicklung ihrer Konzepte analysiert wird. Die vorliegende Arbeit zeigt zudem die Notwendigkeit auf, bestehende bibeldidaktische Konzeptionen immer wieder mit Blick auf das ihnen zugrundeliegende Verständnis über die entwicklungs- und kognitionspsychologischen Voraussetzungen der Schüler_innen zu hinterfragen sowie die Erkenntnisse der aktuellen diesbezüglichen Forschung noch stärker in die Überlegungen zur Gestaltung der Begegnung von biblischem Text und Lernenden einzubeziehen und zu nutzen. Auch wenn die »klassischen« Theorien nicht generell zu verwerfen sind, sondern – wie Büttner konstatiert – durchaus »[…] wichtige Bausteine für eine mögliche neue Theorie« beinhalten,1482 kann eine unreflektierte Verabsolutierung dieser ohne Berücksichtigung neuerer Ansätze den entwicklungsbezogenen Voraussetzungen und Bedürfnissen der Schüler_innen nicht gerecht werden.1483 Auch innerhalb der Ausbildung von Lehrkräften im Allgemeinen und Religionslehrkräften im Speziellen muss diesem Aspekt mehr Bedeutung zugesprochen werden. Dies gilt in gleicher Deutlichkeit auch für eine bewusste Beschäftigung mit dem eigenen Konzept des besonderen Wesens biblischer Texte seitens der (angehenden) Lehrkräfte. Um einem »unreflektiert normativen Gebrauch biblischer Texte«1484 entgegenzuwirken, bedarf es einer Reflexion und – mit Blick auf die Bearbeitung von biblischen Erzählungen – der Auseinandersetzung mit den möglichen Funktionen von Narration, mit der mit dieser in spezieller Weise verbundenen Dimension der Fiktion sowie mit den verschiedenen Konzepten von Wahrheit. Nur so wird die Möglichkeit geschaffen, dass die diesbezüglichen Erkenntnisse in der Praxis handlungsleitend werden können. »Dies erfordert Gelegenheiten, in denen ihnen 1482 Büttner 2015, S. 8. 1483 So erstaunt es, dass im aktuellen »Handbuch Bibeldidaktik«, welches von Zimmermann und Zimmermann herausgegeben wird, im Beitrag von Langenhorst zu »Bibeldidaktik und Entwicklungspsychologie« nicht mit einem Wort auf den entwicklungspsychologischen Diskurs zur Theorie der bereichs- oder domänenspezifischen Entwicklung verwiesen wird und damit die potentielle Bedeutung dieses Diskurses für bibeldidaktische Überlegungen nicht aufgezeigt wird. Siehe hierzu Langenhorst 2013, S. 605–609. Büttner und Dietrich weisen kritisch auf ein ähnliches Vorgehen innerhalb von zwei »Klassikern« der religionspädagogischen Literatur hin: Das von Rothgangel, Adam und Lachmann herausgegebene »Religionspädagogische Kompendium« sowie die Monographie Schweitzers »Lebensgeschichte und Religion«. Vgl. Büttner/Dietrich 2013, S. 10; siehe hierzu Rothgangel/Adam/Lachmann 2012, Schweitzer 2010. 1484 Berg 1993, S. 32.

512

Diskussion und Ausblick

[den angehenden Lehrkräften] die Seinsgebundenheit des eigenen Handelns erfahrbar und deren Potenziale und Risikofaktoren bearbeitbar werden.«1485 In diesem Zusammenhang bietet es sich an, die Vorteile des methodischen Instruments der Unterrichtsvideographie nicht nur für die Erforschung der unterrichtlichen Praxis von außen, sondern auch für die Reflexion und Analyse des bibeldidaktischen Handelns durch die Lehrkräfte selbst zu nutzen. Dieses Forschungsprojekt endet mit seinen Ergebnissen und der dazugehörigen Diskussion an einem Punkt, an welchem sich – besonders aus der Perspektive der Religionslehrkräfte1486 – die Frage aufdrängt, wie nun eine konkrete methodische Umsetzung der hier geforderten Bearbeitung biblischer Erzählungen aussehen kann. Auch wenn sich diesbezüglich bereits vereinzelte Beiträge finden lassen,1487 besteht hier ein deutlicher Entwicklungsbedarf. Diesen gilt es zu bedienen, sofern es das Ziel ist, die Lehrkräfte bestmöglich darauf vorzubereiten, die Schüler_innen ihren jeweiligen Entwicklungsvoraussetzungen entsprechend bei der Ausbildung und Ausdifferenzierung eines Konzepts von biblischen Texten zu begleiten und zu unterstützen, welches dem besonderen Wesen dieser Texte gerecht wird und den Schüler_innen damit einen Zugang zu ihrer Bedeutung eröffnen kann.

1485 Bonnet 2011, S. 205. 1486 So formuliert u. a. eine der von Fricke befragten ReligionspädagogInnen: »[…] Ich möchte auch die Bibel nicht als ›Märchenbuch‹ vermitteln, bin mir aber unsicher, ob die Kinder mit der Erklärung etwas anfangen können, dass die Geschichten gemachte Erfahrungen usw. sind. Wie formuliert man das richtig, kindgemäß und im Zeitrahmen, ohne vom Thema anzukommen? Oder sollte man so etwas mal über mehrere Stunden zum Thema machen? Wie kann man dabei die Entwicklung der Kinder berücksichtigen?«, Fricke 2005, S. 502. 1487 Erste diesbezügliche Beispiele finden sich u. a. bei Freudenberger-Lötz hinsichtlich der Thematisierung des Konzepts von Wahrheit sowie bei Reis zur wunderhaften Meeresteilung innerhalb der Exodus-Erzählung. Siehe hierzu: Freudenberger-Lötz 2007; Freudenberger-Lötz 2012; sowie Reis 2012.

Literaturverzeichnis

Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers, revidierte Fassung 2017. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft. Die Bibel nach der Einheitsübersetzung, revidierte Fassung 1980. Stuttgart: Katholisches Bibelwerk. Alexi, Sarah; Fürstenau, Rita (2012): Dokumentarische Methode. In: Heinzel, Friederike (Hrsg.): Methoden der Kindheitsforschung. 2. Aufl. Weinheim/Basel: Beltz Juventa. S. 205–221. Anderegg, Johannes (1985): Sprache und Verwandlung. Zur literarischen Ästhetik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Aristoteles (2003): Metaphysik. Würzburg: Königshausen & Neumann. Arnold, Heinz Ludwig (1979): »Antrag auf Scheidung von meinen Kritikern« – Gespräche mit Günter Grass. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Als Schriftsteller leben. Gespräche mit Peter Handke, Franz Xaver Kroetz, Gerhard Zwerenz, Walter Jens, Peter Rühmkorf und Günter Grass. Reinbeck: Rowohlt. S. 140–155. Asbrand, Barbara (2008): Zusammen leben und lernen im Religionsunterricht. Eine empirische Studie zur grundschulpädagogischen Konzeption eines interreligiösen Religionsunterrichts im Klassenverband der Grundschule. Frankfurt a.M.: IKO. Asbrand, Barbara (2011): Dokumentarische Methode. http://www.fallarchiv.uni-kassel. de/ lernumgebung/methodenlernpfade/dokumentarische-methode/ [02. 08. 2017]. Asbrand, Barbara; Nohl, Arnd-Michael (2013): Lernen in der Kontagion: Interpretieren, konjunktives und aktionistisches Verstehen im Aufbau gegenstandsbezogener Erfahrungsräume. In: Loos, Peter et al. (Hrsg.): Dokumentarische Methode. Grundlagen – Entwicklungen – Anwendungen. Opladen u. a.: Budrich. S. 155–169. Ashby, Rosalyn; Lee, Peter ; Dickinson, Alaric (1997): How Children Explain the »Why« of History. The Chata Research Project on Teaching History. Social Education, 61 (1), S. 17–21. Assmann, Jan (1988): Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität. In: Assmann, Jan; Hölscher, Tonio (Hrsg.): Kultur und Gedächtnis. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. S. 9–19. Assmann, Jan (1992): Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München: Beck. Assmann, Jan (2015): Exodus. Die Revolution der Alten Welt. München: C. H. Beck.

514

Literaturverzeichnis

Baldermann, Ingo (2006): Bilder vom Reich Gottes – eine Hoffnung für Kinder? Elementare Zugangsmöglichkeiten zu Evangelientexten für Kinder. In: Adam, Gottfried et al. (Hrsg.): Bibeldidaktik. Münster : Comenius. S. 41–44. Baltruschat, Astrid (2015): Unterricht als videografische Konstruktion. In. Bohnsack, Ralf; Fritzsche, Bettina; Wagner-Willi, Monika (Hrsg.): Dokumentarische Video- und Filminterpretation. Methodologie und Forschungspraxis. Opladen u. a.: Budrich. S. 267–292. Barthes, Roland (1988): Das semasiologische Abenteuer. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Baumgärtner, Ulrich (2015): Wegweiser Geschichtsdidaktik. Historisches Lernen in der Schule. Paderborn: Schöningh. Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst (Hrsg.) (2014): LehrplanPLUS Grundschule. Lehrplan für die bayerische Grundschule. http ://www.lehrplanplus.bayern.de/sixcms/media.php/107/LehrplanPLUS% 20Grundschule%20StMBW%20-%20Mai%202014.603166.pdf [22. 01. 2018]. Bee-Schroedter, Heike (1998): Neutestamentliche Wundergeschichten im Spiegel vergangener und gegenwärtiger Rezeption. Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk. Beier, Miriam; Heller, Thomas; Wermke, Michael (2014): Religionsunterricht erforschen – Stand und Perspektive. In: Schreiner, Peter ; Schweitzer, Friedrich (Hrsg.): Religiöse Bildung erforschen. Empirische Befunde und Perspektiven. Münster u. a.: Waxmann. S. 149–176. Beilner, Helmut (2000): Historisches Verstehen und Zeit-Lernen. Grundschule, 9. S. 24– 26. Beilner, Helmut (2004a): Empirische Erkundungen zum Geschichtsbewusstsein am Ende der Grundschule. In: Schreiber, Waltraut (Hrsg.): Erste Begegnungen mit Geschichte. Grundlagen historischen Lernens. Erster Teilband. 2., erw. Aufl. Neuried: Ars Una. S. 153–187. Beilner, Helmut (2004b): Zum Zeitbewusstsein bei Grundschulabgängern. Fähigkeiten und Strategien zur zeitlichen Ordnung geschichtlicher Sachverhalte. In: Schreiber, Waltraut (Hrsg.): Erste Begegnungen mit Geschichte. Grundlagen historischen Lernens. Erster Teilband. 2., erw. Aufl. Neuried: Ars Una. S. 189–231. Berg, Horst Klaus (1993): Grundriss der Bibeldidaktik. Konzepte – Modelle – Methoden. Stuttgart: Calwer. Bergmann, Klaus (2015): »Papa erklär’ mir doch mal, wozu dient eigentlich die Geschichte?« – Frühes Historisches Lernen in Grundschule und Sekundarstufe I. In: Bergmann, Klaus; Rohrbach, Rita (Hrsg.): Kinder entdecken Geschichte. Theorie und Praxis historischen Lernens in der Grundschule und im frühen Geschichtsunterricht. 3. Aufl. Schwalbach: Wochenschau-Verlag. S. 8–31. Bieberstein, Klaus (2000): Was es heißt, Jerusalems Geschichte(n) zu schreiben. Arbeit an der kollektiven Identität. In: Konkel, Michael; Schuegraf, Oliver (Hrsg.): Provokation Jerusalem: eine Stadt im Schnittpunkt von Religion und Politik. Münster : Aschendorff. S. 16–69. Bieberstein, Klaus (2002): Geschichten sind immer fiktiv – mehr oder minder. Warum das Alte Testament fiktional erzählt und erzählen muss. Bibel und Liturgie, 75 (1), S. 4–13. Bieberstein, Klaus (2007): Geschichte und Geschichten von Auszug aus Ägypten – fiktional und wahr zugleich. Bibel und Kirche, 62 (4), S. 210–214.

Literaturverzeichnis

515

Bieringer, Didier ; Pollefeyt, Reimund (2005): The Role of the Bible in Religious Education Reconsidered. Risks and Challenges in Teaching the Bible. International Journal of Pracitcal Theology, 9, S. 117–139. Biesinger, Albert et al. (2011): Interreligiöse Kompetenz in der beruflichen Bildung. Pilotstudie zur Unterrichtsforschung. Münster u. a.: Lit Verlag. Bietak, Manfred (2000): Der Aufenthalt »Israels« in Ägypten und der Zeitpunkt der »Landnahme«. Ägypten und Levante. Internationale Zeitschrift für ägyptische Archäologie, 10, S. 179–186. Blum, Hans-Joachim (1997): Biblische Wunder – heute. Eine Anfrage an die Religionspädagogik. Stuttgart: Verlag Kath. Bodenheimer, Friedrich Simon; Theodor, Oskar (1929): Ergebnisse der Sinai-Expedition 1927 der hebräischen Universität Jerusalem. Leipzig: Hinrichs. Bohne, Gerhard (1994): Wahrheitsfrage und theologische Forschung im Unterricht mit Jugendlichen. In: Nipkow, Karl Ernst; Schweitzer, Friedrich (Hrsg.): Religionspädagogik. Bd. 2/2. München: Kaiser. S. 84–85. Bohnsack, Ralf (2001): Dokumentarische Methode. In: Hug, Theo (Hrsg.): Wie kommt Wissenschaft zu Wissen? Einführung in die Methodologie der Sozial- und Kulturwissenschaften. Hohengehren: Schneider. S. 326–345. Bohnsack, Ralf (2003): Rekonstruktive Sozialforschung: Einführung in qualitative Methoden. 5. Aufl. Opladen: Leske & Budrich. Bohnsack, Ralf (2007): Dokumentarische Methode und praxeologische Wissenssoziologie. In: Schützeichel, Rainer (Hrsg.): Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung. Konstanz: UVK. S. 180–190. Bohnsack, Ralf (2009): Dokumentarische Methode. In: Buber, Renate; Holzmüller, Hartmut H. (Hrsg.): Qualitative Marktforschung. Konzepte – Methoden – Analysen. 2., überarb. Aufl. Wiesbaden: Gabler. S. 319–330. Bohnsack, Ralf (2011a); Praxeologische Wissensoziologie. In: Bohnsack, Ralf; Marotzki, Winfried; Meuser, Michael (Hrsg.): Hauptbegriffe Qualitativer Sozialforschung. Obladen: Budrich. S. 137f. Bohnsack, Ralf (2011b): Dokumentarische Methode. In: Bohnsack, Ralf; Marotzki, Winfried; Meuser, Michael (Hrsg.): Hauptbegriffe Qualitativer Sozialforschung. Obladen: Budrich. S. 40–44. Bohnsack, Ralf (2013a): Typenbildung, Generalisierung und komparative Analyse: Grundprinzipien der dokumentarischen Methode. In: Bohnsack, Ralf; Nentwig-Gesemann, Iris; Nohl, Arnd-Michael (Hrsg.): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. 3., aktual. Aufl. Wiesbaden: Springer. S. 241–270. Bohnsack, Ralf (2013b): Dokumentarische Methode und die Logik der Praxis. In: Lenger, Alexander et al. (Hrsg.): Pierre Bourdieus Konzeption des Habitus. Grundlagen, Zugänge, Forschungsperspektiven. Wiesbaden: Springer. S. 175–200. Bohnsack, Ralf (2014) Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. 9. Aufl. Opladen: Budrich. Bohnsack, Ralf; Nohl, Arnd-Michael (2013): Exemplarische Textinterpretation: Die Sequenzanalyse der dokumentarischen Methode. In: Bohnsack, Ralf.; Nentwig-Gesemann, Iris; Nohl, Arnd-Michael (Hrsg.): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. 3., aktual. Aufl. Wiesbaden: Springer. S. 325–329.

516

Literaturverzeichnis

Bohnsack, Ralf; Nentwig-Gesemann, Iris; Nohl, Arnd-Michael (2013): Einleitung: Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. In: Bohnsack, Ralf (Hrsg.) (2013): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. 3., aktual. Aufl. Wiesbaden: Springer. S. 9–32. Bonnet, Andreas (2009): Die Dokumentarische Methode in der Unterrichtsforschung. Ein integratives Forschungsinstrument für Strukturrekonstruktion und Kompetenzanalyse. Zeitschrift für Qualitative Forschung, 10 (2), S. 219–240. Bonnet, Andreas (2011): Erfahrung, Interaktion, Bildung. In: Meseth, Wolfgang; Proske, Matthias; Radtke, Frank-Olaf (Hrsg.): Unterrichtstheorien in Forschung und Lehre. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt. S. 189–208. Bons, Eberhard (1995): Manna. In: Görg, Manfred; Lang, Bernhard (Hrsg.): Neues BibelLexikon. Zürich: Benziger. S. 704–705. Born, A. v. d. (1968): Manna. In: Haag, Herbert (Hrsg.): Bibel-Lexikon. Zürich: Benziger. S. 1090f. Borries, Bodo v.; Pandel, Hans-Jürgen; Rüsen, Jörn (Hrsg.) (1991): Geschichtsbewußtsein empirisch. Pfaffenweiler: Centaurus-Verlagsgesellschaft. Bosold, Iris (2013): Zugänge zur Bibel für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe. In: Zimmermann, Mirjam; Zimmermann, Ruben (Hrsg.): Handbuch Bibeldidaktik. Tübingen: Mohr-Siebeck. S. 629–633. Bracke, Sebastian et al. (2014): History Education Research in Germany. Empirical Attempts at Mapping Historical Thinking and Learning. In: Köster, Manuel; Thünemann, Holger ; Zülsdorf-Kersting (Hrsg.): Researching History Education. International Perspectives and Disciplinary Traditions. Schwalbach: Wochenschau-Verlag. S. 9–55. Brandt, Birgit; Krummheuer, Götz; Naujok, Natascha (2001): Zur Methodologie kontextbezogener Theoriebildung im Rahmen von interpretativer Grundschulforschung. In: Aufschnaiter, Stefan von; Welzel, Mauela (Hrsg.): Nutzung von Videodaten zur Untersuchung von Lehr-Lern-Prozessen. Aktuelle Methoden empirischer pädagogischer Forschung. Münster. Waxmann. S. 17–40. Brandt, Christina (2009): Wissenschaftserzählungen. Narrative Strukturen im naturwissenschaftlichen Diskurs. In: Klein, Christian; Martinez, Mat'as (Hrsg.): Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht literarischen Erzählens. Stuttgart: Metzler. S. 81–109. Breitling, Andris (2007): Möglichkeitsdichtung – Wirklichkeitssinn. Paul Ricœurs hermeneutisches Denken der Geschichte. München: Wilhelm Fink. Buber, Martin (1994): Mose. 4., durchgeseh. Aufl. Gerlingen: Lambert Schneider. Bucher, Anton A. (1990): Gleichnisse verstehen lernen – strukturgenetische Untersuchung zur Rezeption synoptischer Parabeln. Freiburg: Universitäts-Verlag Bucher, Anton A. (2000): Religionsunterricht zwischen Bildung und Chaos. Eine Befragung von 7200 SchülerInnen in der Bundesrepublik. Katechetische Blätter 125, S. 368– 373. Bühler, Christian (1999): Ist die Bibel wahr? In: Lämmermann, Godwin et. al. (Hrsg.): Bibeldidaktik in der Postmoderne. Stuttgart u. a.: Kohlhammer. S. 44–49. Bühlmann, Walter (2007): Die literarische Komposition und die theologischen Anliegen des Exodusbuches. Bibel und Kirche, 62 (4), S. 238–240. Büttner, Gerhard (2010): Abschied von Piaget? Katechetische Blätter, 135 (3), S. 208–212.

Literaturverzeichnis

517

Büttner, Gerhard (2012): Lieber Rotes Meer als Grüner See! Katechetische Blätter, 137 (6), S. 448–454. Büttner, Gerhard (2015): Entwicklungspsychologie. https://www.bibelwissenschaft.de/ fileadmin/buh_bibelmodul/media/wirelex/pdf/Entwicklungspsychologie__2017-1010_11_13.pdf [22. 12. 2017]. Büttner, Gerhard; Dietrich, Veit-Jacobus (2013): Entwicklungspsychologie in der Religionspädagogik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Breitmaier, Isa (2010): Religionsunterricht an der Berufsschule aus der Perspektive von Ausbilderinnen und Ausbildern. Münster u. a.: Lit Verlag. Canfield, Caitlin F.; GANEA, Patricia A. (2014): »You Could Call It Magic«: What Parents and Siblings Tell Preschoolers About Unobservable Entities. Journal of Cognition and Development, Jg. 15 (2), S. 269–286. Clauss, Manfred (1986): Geschichte Israels. Von der Frühzeit bis zur Zerstörung Jerusalems (587 v. Chr.). München: C. H. Beck. Clauss, Manfred (2009): Geschichte des alten Israel. München. Oldenbourg. Clauss, Manfred (2012): Der Pharao. Stuttgart: Kohlhammer. Clément, Fabrice; Koenig, Melissa; Harris, Paul L. (2004): The Ontogenesis of Trust. Mind & Language, 19 (4), S. 360–379. Corriveau, Kathleen H. et al. (2009): Abraham Lincoln and Harry Potter : Children’s differentiation between historical and fantasy characters. Cognition, 113, S. 213–225. Corriveau, Kathleen H.; Harris, Paul L. (2009): Choosing your informant: weighing familiarity and recent accuracy. Developmental Science, 12 (3), S. 426–437. Corriveau, Kathleen H.; Harris, Paul L. (2015): Children’s developing realization that some stories are true: Links to the understanding of beliefs and signs. Cognitive Development, 34, S. 76–87. Corsten, Michael (2010): Videographie praktizieren – Ansprüche und Folgen. In: Corsten, Michael; Krug, Melanie; Moritz, Christine (Hrsg.): Videographie praktizieren. Herangehensweisen, Möglichkeiten und Grenzen. Wiesbaden: Springer VS. S. 7–22. Cox Vaden, Victoria; Woolley, Jaqueline D. (2011): Does God make it real? Children’s belief in religious stories from the Judeo-Christian tradition. Child Development, 82 (4), S. 1120–1135. Darwisch, Kinan (2013): Islamischer Religionsunterricht in Deutschland. Darstellung und Analyse der islamischen Unterrichtsprojekte. Marburg: Tectum. Deutscher Wetterdienst (Hrsg.) (2013): Wetterphänomene. http://www.dwd.de/ bvbw/generator/DWDWWW/Content/Luftfahrt/RegFH/Schulungsunterlagen-BFL2/0 Wettererscheinungen,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/0Wettererschei nungen.pdf [08. 10. 2015]. Dinkelaker, Jörn (2010): Simultane Sequentialität. Zur Verschränkung von Aktivitätssträngen in Lehr- Lernveranstaltungen und zu ihrer Analyse. In: Corsten, Michael; Krug, Melanie; Moritz, Christine (Hrsg.): Videographie praktizieren. Herangehensweisen, Möglichkeiten und Grenzen. Wiesbaden: Springer VS. S. 91–117. Dinkelaker, Jörn; Herrle, Matthias (2009): Erziehungswissenschaftliche Videographie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Dohmen, Christoph (2004): Exodus 19–40. Freiburg im Breisgau: Herder. Donner, Herbert (1984): Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen. Teil 1: Von den Anfängen bis zur Staatenbildung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

518

Literaturverzeichnis

Dressler, Bernhard (2012): »Da möchte Gott was ganz Bestimmtes Jona mit zeigen –Versuchst du das mal in einem Adjektiv zu fassen?«: Eine Stunde zwischen performativer Offenheit und hermeneutischer Bestimmtheit – Fallanalyse »Hartmann«. In: Dressler, Bernhard; Klie, Thomas; Kumlehn, Martina (Hrsg.): Unterrichtsdramaturgien. Fallstudien zur Performanz religiöser Bildung. Stuttgart: Kohlhammer. S. 51–82. Dressler, Bernhard; Klie, Thomas, Kumlehn, Martina (2012): Unterrichtsdramaturgien. Fallstudien zur Performanz religiöser Bildung. Stuttgart: Kohlhammer. Drews, Annette et al. (2008): Kinder fragen nach dem Leben. Religionsbuch für das 3. und 4. Schuljahr. Berlin: Cornelsen. Dudenredaktion (Hrsg.) (2016): Die Grammatik. 9., völlst. überar. u. aktual. Aufl. Mannheim u. a.: Dudenverlag. Düsing, Elke (2016): Arbeitsfeld Lesen. In: Goer, Charis; Köller, Katharina (Hrsg.): Fachdidaktik Deutsch: Grundzüge der Sprach- und Literaturdidaktik. 2., überarb. u. aktual. Aufl. Paderborn: Wilhelm Fink, S. 193–217. Ebner, Martin; Gabriel, Karl (Hrsg.) (2008): Bibel im Spiegel sozialer Milieus. Eine Untersuchung zu Bibelkenntnis und -verständnis in Deutschland. Münster u. a.: Lit Verlag El Darwich, Renate (1991): Genese von Kategorien des Geschichtsbewußtseins bei Kindern im Alter von 5 bis 14 Jahren. In: Borries, Bodo v.; Pandel, Hans-Jürgen; Rüsen, Jörn (Hrsg.): Geschichtsbewußtsein empirisch. Pfaffenweiler : Centauraus. S. 24–52. Eltrop, Betina (2007): Vorwort. Bibel und Kirche, 62 (4), S. 205. Eltrop, Betina (2013): Wie ist die Bibel wahr? Bibel und Kirche, 68 (3), S. 126–127. Englert, Rudolf; Hennecke, Elisabeth; Kämmerling, Markus (2014): Innenansichten des Religionsunterrichts: Fallbeispiele -Analysen – Konsequenzen. München: Kösel. Erbele-Küster, Dorothea (2009): Narrativität. https://www.bibelwissenschaft.de/filead min/buh_bibelmodul/media/wibi/pdf/Narrativität___2017-10-10_11_54.pdf [22. 12. 2017]. Evangelische Kirche Berlin – Brandenburg – Schlesische Oberlausitz (Hrsg.) (2005): Rahmenlehrplan für den Evangelischen Religionsunterricht in den Jahrgangsstufen 1 bis 10. https://www.ekbo.de/fileadmin/ekbo/mandant/ekbo.de/3._THEMEN/ 03._Bildung/Schule_Bildung/Rahmenlehrplan_Ev._Religionsunterricht_1-10.pdf [22. 01. 2018]. Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.) (1994): Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Niedersachsen und für die Bremische Evangelische Kirche. Hannover: Lutherisches Verlagshaus GmbH. Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.) (2000): Religion in der Grundschule. https://www.ekd.de/rugrundschule_2000_inhalt.html [28. 12. 2017]. Evangelische Kirche in Deutschland (Hrsg.) (2006): Religionsunterricht. 10 Thesen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. In: https://www.ekd.de/10_thesen_ reliunterricht_these1.htm [28. 12. 2017]. Fankhauser, Regula (2013): Videobasierte Unterrichtsbeobachtung: die Quadratur des Zirkels? Forum Qualitative Sozialforschung, 14 (1), S. 1–32. Faulstich, Werner (Hrsg.) (2010): Bildanalysen: Gemälde, Fotos, Werbebilder. Bardowick. Wissenschaftler-Verlag.

Literaturverzeichnis

519

Feige, Andreas; Dressler, Bernhard; Lukatis, Wolfgang (2000): Religion bei Religionslehrerinnen – Religionspädagogische Zielvorstellungen und religiöses Selbstverständnis in empirisch-soziologischen Zugängen. Münster : Lit Verlag. Feige, Andreas; Tzscheetzsch, Werner (2005): Christlicher Religionsunterricht im religionsneutralen Staat? Unterrichtliche Zielvorstellungen und religiöses Selbstverständnis von ev. und kath. ReligionslehrerInnen in Baden-Württemberg. Eine empirische Rekonstruktion. Ostfildern: Schwabenverlag. Feliks, J. (1964): Manna. In: Reicke, Bo; Rost, Leonhard (Hrsg.): Biblisch-historisches Handwörterbuch. Zweiter Band. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. S. 1141–1143. Finkelstein, Israel; Silbermann, Neil Asher (2007): Keine Posaunen vor Jericho. Die archäologische Wahrheit über die Bibel. 4. Aufl. München. Deutscher TaschenbuchVerlag. Finnern, Sönke (2010): Narratologie und biblische Exegese: eine integrative Methode der Erzählanalyse und ihr Ertrag am Beispiel von Matthäus 28. Tübingen: Mohr-Siebeck. Finnern, Sönke (2014): Narration in Religious Discourse. The Example of Christianity. In: Hühn, Peter et al. (Hrsg.): Handbook of narratology. Vol.1 und 2. 2., überarb. u. erw. Aufl. Berlin: De Gruyter. S. 435–446. Fischer, Dietlind; Elsenbast, Volker ; Schöll, Albrecht (Hrsg.) (2003): Religionsunterricht erforschen. Beiträge zur empirischen Erkundung vorn religionsunterrichtlicher Praxis. Münster u. a.: Waxmann. Fischer, Dietlind (2006): Didaktische Gestaltungsmuster des Religionsunterrichts. Vergleichende Fallstudie mit Videoaufzeichnung. In: Rahm, Sibylle; Mammes, Ingelore; Schratz, Michael (Hrsg.): Schulpädagogische Forschung. Unterrichtsforschung – Perspektiven innovativer Ansätze. Insbruck u. a.: Studien Verlag. S. 27–39. Fischer, Irmtraud (2013): Die Bibel als Welt erzeugende Erzählung. In: Strohmaier, Alexandra (Hrsg.): Kultur – Wissen – Narration. Perspektiven transdisziplinärer Erzählforschung für die Kulturwissenschaften. Bielefeld: Transcript. S. 381–397. Fischer, Friedrich et al. (2008): Ich bin da. Religion 3. Schulbuch für den katholischen Religionsunterricht. Augsburg: Auerverlag. Fisher, Walter (1984): Narration as Human Communication Paradigm. The Case of Public Moral Argument. Communication Monographs, 51 (1), S. 1–22. Fisher, Walter (1987): Human Communication as Narration. Towards a Philosophy of Reason, Value, and Action. Columbia: University of South Carolina Press. Flock, Frauke (2004): Grundwissen von Geschichte in der Grundschule. Ziele und Ergebnisse einer Pilotstudie zum Geschichtsbewusstsein von Grundschulanfängern. In: Schmeinck, Daniela (Hrsg.): Forschungen zu Lernvoraussetzungen von Grundschulkindern. Wie Kinder die Welt sehen. Nordstedt: Books on Demand. S. 63–81. Fohrer, Georg (1995): Geschichte Israels. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. 6., überarb. Aufl. Heidelberg: Quelle & Meyer. Fowler, James W. (2000): Stufen des Glaubens. Die Psychologie der menschlichen Entwicklung und die Suche nach Sinn. Gütersloh: Kaiser. Frank, Sabine (2004): Das Exodusmotiv des Alten Testaments. Religionsgeschichtliche, exegetische sowie systematisch-theologische Grundlagen und fachdidaktische Entfaltungen. Münster : Lit Verlag. Freud, Sigmund (1969): Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Neue Folge. Studienausgabe. Frankfurt a.M.: Fischer.

520

Literaturverzeichnis

Freudenberger-Lötz, Petra (2007): »Die Bibel ist eigentlich wahr« – Zum Umgang mit der Wahrheitsfrage in der Kindertheologie. Praxis Gemeindepädagogik, 3, S. 20–22. Freudenberger-Lötz, Petra (2012): Kinder fragen nach der Wahrheit. Herausforderung und Chance für den Religionsunterricht. Grundschule, 6, S. 6–9. Frevel, Christian (2012): Grundriss der Geschichte Israel. In: Frevel, Christian (Hrsg.) (2012): Einleitung in das Alte Testament. 8., vollst. überarb. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer. S. 701–870. Frevel, Christian (Hrsg.) (2016): Einleitung in das Alte Testament. 9., aktual. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer. Fricke, Michael (2005): Schwierige Bibeltexte im Religionsunterricht. Theoretische und empirische Elemente einer alttestamentlichen Bibeldidaktik für die Primarstufe. Göttingen: V& R unipress. Fricke, Michael (2009): Schlüssel zur Bibel. Eine Einführung in die Bibeldidaktik. Stuttgart: Calwer. Fricke, Michael (2012): Rezeptionsästhetisch orientierte Bibeldidaktik — mit Kindern und Jugendlichen die Bibel auslegen. In: Grümme, Bernhard; Lenhard, Hartmut; Pirner, Manfred L. (Hrsg.): Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik. Stuttgart: Kohlhammer. S. 210–222. Fricke, Michael (2013): Biblische Themen. In: Rothgangel, Martin; Adam, Gottfried; Lachmann, Rainer (Hrsg.): Religionspädagogisches Kompendium. 8. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. S. 374–388. Fricke, Michael (2017): Fundamentalismus/Biblizismus, bibeldidaktischer Umgang. https:// www.bibelwissenschaft.de/fileadmin/buh_bibelmodul/media/wirelex/pdf/Fundamenta lismus_Biblizismus_bibeldidaktischer_Umgang__2017-10-10_13_05.pdf [22. 12. 2017]. Friedeburg, Ludwig V.; Hübner, Peter (1970): Das Geschichtsbild der Jugend. 2., erg. Aufl. München: Juventa. Fritzsche, Bettina; Wagner-Willi, Monika (2015): Dokumentarische Interpretation von Unterrichtsvideografie. In: Bohnsack, Ralf; Fritzsche, Bettina; Wagner-Willi, Monika (Hrsg.): Dokumentarische Video- und Filminterpretation. Methodologie und Forschungspraxis. 2., durchgeseh. Aufl. Opaden u. a.: Budrich. S. 131–178. Früh, Werner ; Frey, Felix (2014): Narration und Storytelling: Theorie und empirische Befunde. Köln: van Halem. Gabriel, Gottfried (2010): Fiktion. In: Weimar, Klaus et al. (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft: Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Bd. I. Berlin/New York: De Gruyter. S. 594–598. Galling, Kurt (Hrsg.) (1979): Textbuch zur Geschichte Israels. 3., durchgeseh. Aufl. Tübingen: Mohr. Gamper, Michael (2014): Erzählen, nicht lehren! Narration und Wissensgeschichte. In: Gess, Nicola; Janßen, Sandra (Hrsg.): Wissens-Ordnung. Zu einer historischen Epistemologie der Literatur. Berlin: De Gruyter. S. 71–99. Garhammer, Erich (2002): Erzählen statt Zählen. Eine kleine Apologie der Fiktionalität. Bibel und Liturgie, 75 (1), S. 13–19. Gärtner, Claudia; Brenne, Andreas (Hrsg.) (2015): Kunst im Religionsunterricht – Funktion und Wirkung. Entwicklung und Erprobung empirischer Verfahren. Stuttgart: Kohlhammer. Genette, G8rard (1992): Fiktion und Diktion. München: Fink.

Literaturverzeichnis

521

Gennerich, Carsten; Mokrosch, Reinold (2016): Religionsunterricht kooperativ : Evaluation des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts in Niedersachsen und Perspektiven für einen religions-kooperativen Religionsunterricht. Stuttgart: Kohlhammer. Gertz, Jan Christian (2010): Tora und Vordere Propheten. In: Gertz, Jan Christian (Hrsg.): Grundinformation Altes Testament. 4. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. S. 193–311. Gilbert, Daniel T. (1991): How Mental Systems Believe. American Psychologist, 46 (2), S. 107–119. Gloy, Karen (2004): Wahrheitstheorien. Tübingen u. a.: Francke. Goldman, Ronald (1964): Religious Thinking from Childhood to Adolescence. London/ Henley : Routledge/Kegan Paul. Goodman, Nelson (1990): Weisen der Welterzeugung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Gößinger, Christian (2014): Die Rezeption der Schöpfungserzählung nach Gen 1–2,4a bei Grundschülern. Eine fächerübergreifende Interventionsstudie. Frankfurt a.M.: Peter Lang Academic Research. Görg, Manfred (1997): Die Beziehungen zwischen dem alten Israel und Ägypten. Von den Anfängen bis zum Exil. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Görg, Manfred (2000): Mose – Name und Namensträger. Versuch einer historischen Annäherung. In: Otto, Eckart (Hrsg.): Mose. Ägypten und das Alte Testament. Stuttgart. Verlag Katholisches Bibelwerk. S. 17–42. Gressmann, Hugo (1922): Die Anfänge Israels. Von 2. Mose bis Richter und Ruth. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Grimm, Werner (2003): Manna. In: Betz, Otto; Ego, Beate; Grimm, Werner (Hrsg.): Calwer-Bibellexikon. Stuttgart: Calwer. S. 871–872. Groeben, Norbert; Christmann, Ursula (2014): Empirische Rezeptionspsychologie der Fiktionalität. In: Klauk, Tobias; Tilmann, Köppe (Hrsg.): Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch. Berlin: De Gruyter. S. 338–360. Gunneweg, Antonius H. J. (1989): Geschichte Israels. Von den Anfängen bis Bar Kochba und Theodor Herzl bis zur Gegenwart. Stuttgart: Kohlhammer. Hampl, Stefan (2010): Videos interpretieren und darstellen. Die dokumentarische Methode. In: Corsten, Michael; Krug, Melanie; Moritz, Christine (Hrsg.): Videographie praktizieren. Herangehensweisen, Möglichkeiten und Grenzen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 53–88. Hanisch, Helmut; Bucher, Anton (2002): Da waren die Netze randvoll. Was Kinder von der Bibel wissen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Harris, Paul L. (2007): Trust. Developmental Science, 10 (1), S. 135–138. Harris, Paul L. (2012): Trusting what you’re told. Cambridge u. a.: The Belknap Press of Harvard University Press. Harris, Paul L. (2013): Fairy Tales, History, and Religion. In: Nathan, Peter E. (Hrsg.): The Oxford Handbook of the Development of Imagination. Oxford: University Press. S. 31–41. Harris, Paul L.; Corriveau, Kathleen H. (2011): Young children’s selective trust in informants. Philosophical Transactions of the Royal Society B, 366, S. 1179–1187. Harris, Paul L.; König, Melissa A. (2006): Trust in testimony : How children learn about science and religion. Child Development, 77 (3), S. 505–524.

522

Literaturverzeichnis

Harris, Paul L. et al. (1991): Monsters, ghosts and witches: Testing the limits of the fantasy-reality distinction in young children. British Journal of Developmental Psychology, 9. S. 105–123. Harris, Paul L. et al. (2006): Germs and angels: the role of testimony in young children’s ontology. Developmental Science, 9 (1), S. 76–96. Harz, Frieder (1998): Die Bibel verstehen lernen. Anregungen zu einer religionspädagogisch verantworteten Rezeption historisch-kritischer Forschung. In: Ritter, Werner ; Rothgangel, Martin (Hrsg.): Religionspädagogik und Theologie. S. 321–339. Hassanein, Diaa Eldin (2013): Der Hamburger Weg des Religionsunterrichts. Eine empirische Studie zum Dialog im Klassenzimmer. Hamburg: Kovacˇ. Hastings, Selina (1994): Illustrierte Bibel für Kinder. Augsburg: Pattloch. Heckmann, Heinz-Dieter (1981): Was ist Wahrheit? Eine systematisch-kritische Untersuchung philosophischer Wahrheitsmodelle. Heidelberg: Carl Winter. Heil, Stefan (2003): Empirische Unterrichtsforschung zum Religionsunterricht – Stand und Entwicklungsgeschichte. In: Fischer, Dietlind; Elsenbast, Volker ; Schöll, Albrecht (Hrsg.): Religionsunterricht erforschen. Beiträge zur empirischen Erkundung vorn religionsunterrichtlicher Praxis. Münster u. a.: Waxmann. S. 13–35. Henecke, Elisabeth (2012): Was lernen Kinder im Religionsunterricht? Eine fallbezogene und thematische Analyse kindlicher Rezeption von Religionsunterricht. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt. Hermans, Chris (1990): Wie werdet Ihr die Gleichnisse verstehen? Empirisch-theologische Forschung zur Gleichnisdidaktik. Weinheim: Deutscher Studien Verlag. Hermann, A. (1959): Dornstrauch. In: Klauser, T. (Hrsg.): Reallexikon für Antike und Christentum. Bd. IV. Stuttgart: Hiersemann. S. 189–197. Herrle, Matthias; Kade, Jochen; Nolda, Sigrid (2010): Erziehungswissenschaftliche Videographie. In: Friebertshäuser, Barbara et al. (Hrsg.): Handbuch qualitativer Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. 3., vollst. überarb. Aufl. Weinheim: Juventa. S. 599–620. Herrlitz, Wolfgang (1994): Spitzen der Eisberge. Vorbemerkungen zu einer vergleichenden Analyse metonymischer Strukturen im Unterricht der Standardsprache. Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie, 48, S. 13–52. Herrmann, Siegfried (1970): Israels Aufenthalt in Ägypten. Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk. Herrmann, Siegfried (1973): Geschichte Israels in alttestamentlicher Zeit. München: Kaiser. Hessisches Kultusministerium Institut für Qualitätsentwicklung (Hrsg.) (2011): Maßgebliche Orientierungstexte zum Kerncurriculum. Primarstufe. https://kul tusministerium.hessen.de/sites/default/files/media/leitfaden_evangelische_religion_ i.pdf [22. 01. 2018]. Hilger, Georg; Lindner, Konstantin (2014): Biblisches Lernen mit Kindern. In: Hilger, Georg et al. (Hrsg.): Religionsdidaktik Grundschule. München: Kösel. S. 204–220. Hilger, Georg; Ritter, Werner H. (2006): Religionsdidaktik. Grundschule. Handbuch für die Praxis des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts. München: Kösel. Hoffmeier, James K. (1999): Israel in Egypt. The Evidence for the Authenticity of the Exodus Tradition. New York/Oxford: Oxford University Press.

Literaturverzeichnis

523

Holl-Giese, Waltraut (2004): Forschendes Lernen im Lehramtsstudium: Lernvoraussetzungen für »Geschichte« im Spiegel der Didaktik-Diskussion. Wege zur Annäherung an kindliche Vorstellungen. In: Schmeink, Daniela (Hrsg.): Forschungen zu Lernvoraussetzungen von Grundschulkindern. Wie Kinder die Welt sehen. Nordstedt: Books on Demand. S. 15–38. Hosenfeldt, Annette et al. (2007): Praxisworkshop: Videostudien in der empirischen Unterrichtsforschung. In: Möller, Kornelia et al. (Hrsg): Qualität von Grundschulunterricht entwickeln, erfassen und bewerten. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 305–311. Huemer, Wolfgang (2014): Sprache im literarischen Text. In: Demmerling, Christoph; Vendrell Ferran, Ingrid (Hrsg.): Wahrheit, Wissen und Erkenntnis in der Literatur. Philosophische Beiträge. Berlin: De Gruyter. S. 57–70. Huhn, Norbert et al. (2012): Videografieren als Beobachtungsmethode – am Beispiel eines Feldforschungsprojekts zum Konfliktverhalten von Kindern. In: Heinzel, Friederike (Hrsg.): Methoden der Kindheitsforschung. Ein Überblick über Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive. 2. Aufl. Weinheim/Basel: Beltz Juventa. S. 134–153. Humphreys, Colin J. (2007): Und der Dornbusch brannte doch. Ein Naturwissenschaftler erklärt die Wunderberichte der Bibel. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Hütte, Saskia, Mette, Norbert; Biddelberg, Rainer (2003): Religion im Klassenverband unterrichten. Lehrer und Lehrerinnen berichten von ihren Erfahrungen. Münster u. a.: Lit Verlag. Itze, Ulrike; Moers, Edelgard (2013): Zugänge zur Bibel für Schülerinnen und Schüler der Grundschule. In: Zimmermann, Mirjam; Zimmermann, Ruben (Hrsg.): Handbuch Bibeldidaktik. Tübingen: Mohr-Siebeck. S. 623–628. Imdahl, Max (1996): Giotto – Arenafresken. Ikonographie – Ikonologie – Ikonik. München. Fink. Jack, James (1925): The Date of the Exodus in the Light of External Evidence. Edinburgh: Clark. Jacob, Benno (1997): Das Buch Exodus. Stuttgart: Calwer. Janik, Tom/sˇ ; Seidel, Tina; Najvar, Petr (2009): Introduction: On the Power of Video Studies in Investigating Teaching and Learning. In: Dies. (Hrsg.) (2009): The Power of Video Studies in Investigating Teaching and Learning in the Classroom. Münster u. a.: Waxmann. S. 7–19. Jánosi, Peter (2010): Die Pyramiden. Mythos und Archäologie. 2., durchgeseh. u. aktual. Aufl. München: C.H. Beck. Janssen, Bernd (2008): Kreative Unterrichtsmethoden: Bausteine zur Methodenvielfalt. 3., überarb. u. erw. Aufl. Braunschweig: Westermann. James, William (1908): Der Pragmatismus. Ein neuer Name für alte Denkmethoden. Übersetzt von H. Jerusalem. Leipzig: Klinkhart. Jeismann, Karl-Ernst (1977): Didaktik der Geschichte. Die Wissenschaft von Zustand, Funktion und Veränderung geschichtlicher Vorstellungen im Selbstverständnis der Gegenwart. In: Kosthorst, Erich (Hrsg.): Geschichtswissenschaft. Didaktik – Forschung – Theorie. Göttingen: Vandehoeck & Ruprecht. S. 9–33. Jeismann, Karl-Ernst (1980): Geschichtsbewusstsein. Überlegungen zur zentralen Kategorie eines neuen Ansatzes der Geschichtsdidaktik. In: Süssmuth, Hans (Hrsg.): Geschichtsdidaktische Positionen. Paderborn u. a.: Schöningh. S. 179–222.

524

Literaturverzeichnis

Jeismann, Karl-Ernst (1988): Geschichtsbewußtsein als zentrale Kategorie der Geschichtsdidaktik. In: Schneider, Gerhard (Hrsg.): Geschichtsbewußtsein und historischpolitisches Lernen. Pfaffenweiler : Centaurus. S. 1–27. Jeismann, Karl-Ernst (1997): Geschichtsbewußtsein – Theorie. In: Bergmann et al. (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik. 5., überarb. Aufl. Seelze-Velber: Kallmeyer. S. 42–44. Jones, Lisa (2014): Der zweifache kognitive Wert des imaginativen Aspekts von fiktionalen Texten. In: Demmerling, Christopher ; Vendrell Ferran, Ingrid (Hrsg.): Wahrheit, Wissen und Erkenntnis in der Literatur. Philosophische Beiträge. Berlin: De Gruyter. S. 176–215. Juen, Maria (2013): Die ersten Minuten des Unterrichts. Skizzen einer Kairologie des Anfangs aus kommunikativ-theologischer Perspektive. Münster u. a.: Lit Verlag. Kaiser, Otto (2014): Glaube und Geschichte im Alten Testament. Neukirchen-Vlyn: Neukirchener. Kalloch, Christina (2001): Das Alte Testament im Religionsunterricht der Grundschule. Chancen und Grenzen alttestamentlicher Fachdidaktik im Primarbereich. Münster u. a.: Lit Verlag. Kappeler, Florian et al. (2014): Editorial Erzählen. In: Gugerli, David et al. (Hrsg.) Erzählen. Zürcher Jahrbuch für Wissensgeschichte Bd. 10. Zürich: Diaphanes. Bd. 10. S. 7–11. Karle, Isolde (2006): Die Bibel als Medium der Identitätsbildung. Überlegungen zum Umgang mit der Bibel im Religionsunterricht. In: Adam, Gottfried et al. (Hrsg.): Bibeldidaktik. Münster : Comenius. S. 117–126. Kater-Wettstädt, Lydia (2015): Unterricht im Lernbereich Globaler Entwicklung. Der Kompetenzerwerb und seine Bedingungen. Münster u. a.: Waxmann. Katholische Bischöfe Deutschlands; Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.) (1981): Ökumenisches Verzeichnis der biblischen Eigennamen nach den Loccumer Richtlinien. 2. Aufl. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft. Keel, Othmar (1997): Die Rezeption Ägyptischer Bilder als Dokumente der biblischen Ereignisgeschichte (Historie) im 19. Jahrhundert. In: Staehelin, Elisabeth; Jaeger, Bertrand (Hrsg.): Ägypten-Bilder. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. S. 51–79. Keller, Werner (2000): Und die Bibel hat doch recht. Forscher beweisen die Wahrheit des Alten Testaments. Köln: Naumann & Göbel. Knoblauch, Christoph (2011): Interreligiöser Dialog beginnt an den Wurzeln. Religionsunterricht und Religious Studies auf der Suche nach interreligiösem Verständnis. Ostfildern: Schwabenverlag. Khorchide, Mouhanad (2009): Der islamische Religionsunterricht zwischen Integration und Parallelgesellschaft. Einstellungen der islamischen ReligionslehrerInnen an öffentlichen Schulen. Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwiss. Klauk, Tobias; Köppe, Tilmann (2014): Bausteine einer Theorie der Fiktionalität. In: Klauk, Tobias; Tilmann, Köppe (Hrsg.): Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch. Berlin: De Gruyter. S. 3–31. Klein, Christian; Martinez, Mat'as (Hrsg.): (2009) Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens. Stuttgart: Metzler. Klette, Kirsti (2009): Challenges in Strategies for Compexity Reduction in Video Studies. Experiences form the PISA+ Study. In: Jan&k, Tom#sˇ ; Seidel, Tina (Hrsg.): The Power of

Literaturverzeichnis

525

Video Studies in Investigating Teaching and Learning in the Classroom. Münster : Waxmann. S. 61–82. Knapp, Werner ; Ricart Brede, Julia (2012): Videographie als Methode zur Aufzeichnung und Analyse sprachlicher Lehr- und Lernsituationen. In: Ahrenholz, Berndt et al. (Hrsg.): Einblicke in die Zweitspracherwerbsforschung und ihre methodischen Verfahren. Berlin/Boston: De Gruyter. S. 219–236. Knauth, Thorsten (2009a): Incident Analysis – a Key Category of REDCo Classroom Analysis. Theoretical Background and Conceptual Remarks. In: Avest, Ina ter et al. (Hrsg.): Dialogue and Conflict on Religion. Studies of Classroom Interaction in European Countries. Münster u. a.: Waxmann. S. 17–27. Knauth, Thorsten (2009b): Ein Zugang zum Incidentbegriff und zur Incidentanalyse. In: Josza, Paul; Knauth, Thorsten; Weiße, Wolfram (Hrsg.): Religionsunterricht, Dialog und Konflikt. Münster u. a.: Waxmann. S. 360–373. Knauth, Thorsten (2009c): Dialog an der Basis. eine Analyse dialogorientierter Interaktion im Religionsunterricht in Hamburg. In: Josza, Paul; Knauth, Thorsten; Weiße, Wolfram (Hrsg.) (2009): Religionsunterricht, Dialog und Konflikt. Münster u. a.: Waxmann. S. 381–358. Knauth, Thorsten; Leutner-Ramme, Sibylla; Weiße, Wolfram (Hrsg.) (2000): Religionsunterricht aus Schülerperspektive. Münster u. a.: Waxmann. Knobel, August (1857): Die Bücher Exodus und Levitikus. Leipzig: S. Hirzel. Knoblauch, Christoph (2011): Interreligiöser Dialog beginnt an den Wurzeln. Religionsunterricht und Religious Studies auf der Suche nach interreligiösem Verständnis. Ostfildern: Schwabenverlag. Knoblauch, Hubert; Schnettler, Bernd (2007): Videographie. Erhebung und Analyse qualitativer Videodaten. In: Buber, Renate; Holzmüller, Hartmut (Hrsg.): Qualitative Marktforschung. Konzepte – Methoden – Analysen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 583–599. Kobusch, Theo (2006): Adaequatio rei et intellectus. Die Erläuterung der Korrespondenztheorie der Wahrheit in der Zeit nach Thomas von Aquin. In: Enders, Markus; Szaif, Jan (Hrsg.): Die Geschichte des philosophischen Begriffs der Wahrheit. Berlin u. a.: De Gruyter. S. 149–396. Kocher, Mirjam; Wyss, Corinne (2008): Unterrichtsbezogene Kompetenzen in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung. Eine Videoanalyse. Neuried: Ars et Unitas. Koenen, Klaus (2006): Erzählende Gattungen (AT). https://www.bibelwissenschaft.de/ fileadmin/buh_bibelmodul/media/wibi/pdf/Erzählende_Gattungen_AT___2017-1010_11_49.pdf [28. 12. 2017]. Koschorke, Albrecht (2010): Wissen und Erzählen. In: Gugerli, David et al. (Hrsg.): Universität. Zürcher Jahrbuch für Wissensgeschichte. Zürich: Diaphanes. S. 89–102. Koschorke, Albrecht (2012): Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer Allgemeinen Erzähltheorie. 2. Aufl. Stuttgart: Fischer. Köbl, Carlos (2004): Geschichtsbewusstsein im Jugendalter. Grundzüge einer Entwicklungspsychologie historischer Sinnbildung. Bielefeld: transcript-Verlag. Kracauer, Siegfried (1973): Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Kraft, Friedhelm; Roose, Hanna (2011): Von Jesus Christus reden im Religionsunterricht. Christologie als Abenteuer entdecken. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

526

Literaturverzeichnis

Krappmann, Lothar; Oswald, Hans (1995) Unsichtbar durch Sichtbarkeit. Der teilnehmende Beobachter im Klassenzimmer. In: Behnken, Imbke; Jaumann, Olga (Hrsg.): Kindheit und Schule. Kinderleben im Blick von Grundschulpädagogik und Kindheitsforschung. Weinheim/ München: Juventa. S. 39–62. Kreiswirth, Martin (2000): Merely Telling Stories? Narrative and Knowledge in the Human Sciences. Poetics Today, 21 (2), S. 293–318. Krieger, Rainer (2015): Mehr Möglichkeiten als Grenzen. In: Bergmann, Klaus; Rohrbach, Rita (Hrsg.): Kinder entdecken Geschichte. Theorie und Praxis historischen Lernens in der Grundschule und im frühen Geschichtsunterricht. 3. Aufl. Schwalbach: Wochenschau-Verlag. S. 32–50. Kropacˇ , Ulrich (2010): Biblisches Lernen. In: Hilger, Georg et al. (Hrsg.): Religionsdidaktik: ein Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf. 6., vollst. überarb. Aufl. München: Kösel. S. 416–433. Krummheuer, Götz (2002): Eine interaktionistische Modellierung des Unterrichtsalltags. In: Breidenstein, Georg et al. (Hrsg.) (2002): Forum qualitative Schulforschung 2. Interpretative Unterrichts- und Schulbegleitforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 41–59. Krummheuer, Götz; Naujok, Natalie (1999): Grundlagen und Beispiele interpretativer Unterrichtsforschung. Opladen: Leske & Budrich. Kuld, Lothar et al. (2009): Im Religionsunterricht zusammenarbeiten. Evaluation des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts in Baden-Württemberg. Stuttgart: Kohlhammer. Kultusministerium Sachsen-Anhalt (Hrsg.) (2007): Fachlehrplan Grundschule. Evangelischer Religionsunterricht. https://www.bildung-lsa.de/pool/RRL_Lehrplaene/ Entwuerfe/lpgsevrel.pdf ?rl=80 [22. 01. 2018]. Kutzer, Mirja (2006): In Wahrheit erfunden. Dichtung als Ort theologischer Erkenntnis. Regensburg: Friedrich Pustet. Küppers, Waltraut (1966 [1961]): Zur Psychologie des Geschichtsunterrichts. Eine Untersuchung über Geschichtswissen und Geschichtsverständnis bei Schülern. 2., erg. Aufl. Stuttgart: Klett. Küstenmacher, Werner Tiki (1986): Tatort Bibel. Ein kriminalistisches Bibel-BilderRate-Buch. München: Claudius. Küstenmacher, Werner Tiki (2012): Wer wird Biblionär? Ein spannendes Quiz rund um das Buch der Bücher. 4. Aufl. München: Claudius. Landgraf, Michael; Metzger, Paul (2011): Bibel unterrichten. Stuttgart: Calwer. Lane, Jonathan D.; Harris, Paul L. (2015): The Role of Intuition an Informants’ Expertise in Children’s Epistemic Trust. Child Development, 86 (3), S. 919–926. Langenhorst, Georg (2013): Bibeldidaktik und Entwicklungspsychologie. In: Zimmermann, Mirjam; Zimmermann, Ruben (Hrsg.): Handbuch Bibeldidaktik. Münster : Comenius. S. 605–609. Lee, Peter ; Ashby, Rosalyn (2000): Progression in Historical Understanding among Students Ages 7–14. In: Stearns, Peter N.; Seixas, Peter ; Wineburg, Sam (Hrsg.): Knowing, Teaching and Learning History. New York: University Press. S. 199–222. Lemche, Niels Peter (1996): Die Vorgeschichte Israels. Von den Anfängen bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts v. Chr. Stuttgart: Kohlhammer.

Literaturverzeichnis

527

Leubner, Martin; Saupe, Anja (2006): Erzählungen in Literatur und Medien und ihre Didaktik. Baltmansweiler : Schneider Hohengehren. Leutner-Ramme, Sibylla (2000): Schüler vor der Kamera: Es war interessant gefilmt zu werden – aber sonst war es gut wie immer. In: Knauth, Thorsten; Leutner-Ramme, Sibylla; Weiße, Wolfram (Hrsg.): Religionsunterricht aus Schülerperspektive. Münster u. a.: Waxmann. S. 231–248. Liebold, Heide (2004): Religions- und Ethiklehrkräfte in Ostdeutschland. Eine empirische Studie zum beruflichen Selbstverständnis. Münster u. a.: Lit Verlag. Lindner, Heike; Zimmermann, Mirjam (Hrsg.) (2011): Schülerfragen im (Religions-) Unterricht. Ein notwendiger Bildungsauftrag heute?! Neukirchen-Vlyn: Neukirchener Theologie. Lippe, Marie von der (2009): Hermeneutic Video Analysis in Ethnographic Research. In: Avest, Ina ter et al. (Hrsg.): Dialogue and Conflict on Religion. Studies of Classroom Interaction in European Countries. Münster : Waxmann. Loewenstamm, Samuel E. (1992): The evolution of the exodus tradition. Jerusalem: Magnes Press. Lohaus, Arnold; Vierhaus, Marc (2013): Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters. 2. überarb. Aufl. Berlin u. a.: Springer Medizin. Loose, Anika (2016): »…in der Bibel kann alles sein, auch Sachen, die für uns nicht möglich sind« – Grundschulkinder als Rezipienten der biblischen Erzählung von Jakobs Kampf am Jabbok. In: Roose, Hanna; Schwarz, Elisabeth E. (Hrsg.): »Da muss ich dann auch alles machen, was er sagt« – Kindertheologie im Unterricht. Stuttgart: Calwer. S. 162–175. Lopez-Mobilia, Gabriel; Woolley, Jacqueline D. (2016): Interactions between knowledge and testimony in children’s reality-status judgments. Journal of Cognition and Development, 17 (3), S. 486–504. Lorenz, Konrad (1980): Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. Lüders, Christian (2011): Gütekriterien. In: Bohnsack, Ralf; Marotzki, Winfried; Meuser, Michael (Hrsg.): Hauptbegriffe Qualitativer Sozialforschung. 3. Aufl. Opladen: Budrich. S. 80–82. Macintyre, Alasdair (1984): After virtue. A study in moral theory. Notre Dame: University of Notre Dame Press. Maiberger, Paul (1983): Das Manna. Eine literarische, etymologische und naturkundliche Untersuchung. Wiesbaden: Harrassowitz. Mair, Meinhard (2015): Erzähltextanalyse. Modelle, Kategorien, Parameter. Stuttgart: ibidem. Mannheim, Karl (1969): Ideologie und Utopie. 5., unver. Aufl. Frankfurt a.M.: SchulteBlumke. Mannheim, Karl (1964): Wissenssoziologie. Neuwied/ Berlin: Luchterhand. Mannheim, Karl (1980): Strukturen des Denken. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Martens, Matthias; Asbrand, Barbara (2009): Rekonstruktion von Handlungswissen und Handlungskompetenz. Auf dem Weg zu einer qualitativen Kompetenzforschung. Zeitschrift für Qualitative Forschung, 10 (2), S. 201–217. Martens, Matthias; Petersen, Dorthe; Asbrand, Barbara (2015): Die Materialität von Lernkultur. Methodische Überlegungen zur dokumentarischen Analyse von Unter-

528

Literaturverzeichnis

richtsvideografien. In: Bohnsack, Ralf; Fritzsche, Bettina; Wagner-Willi, Monika (Hrsg.): Dokumentarische Video- und Filminterpretation. Methodologie und Forschungspraxis. 2., durchgeseh. Aufl. Opaden u. a.: Budrich. S. 179–206. Martens, Matthias; Spieß, Christian; Asbrand, Barbara (2016): Rekonstruktive Geschichtsunterrichtsforschung. Zur Analyse von Unterrichtsvideografien. In: Thünemann, Holger ; Zülsdorf-Kersting, Meik (Hrsg.): Methoden geschichtsdidaktischer Unterrichtsforschung. Schwalbach: Wochenschau. S. 177–205. Mattes, Wolfgang (2011): Methoden für den Unterricht. Braunschweig u. a.: Schöningh. Maurer, Franz (2012): Über wahre Dichtung und verdichtete Wahrheit. Österreichisches Religionspädagogisches Forum, 20, S. 49–51. Mauz, Andreas (2009): In Gottesgeschichten verstrickt. Erzählen im christlich-religiösen Diskurs. In: Klein, Christian; Mart'nez, Mat'as (Hrsg.): Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens. Stuttgart: Metzler. S. 192–216. Meister, Jan Christoph (2011): Subjekt, Story und Tradition. In: Lämmermann, Godwin et al. (Hrsg.): Bibeldidaktik in der Postmoderne. Stuttgart u. a.: Kohlhammer. Melcher, Katrin (2008): Kindern biblische Geschichten erzählen. Neue Grundsätze für den Religionsunterricht der Grundschule. Münster u. a.: Lit Verlag. Mendl, Hans (1997): Vom Gott, der ins Dunkle führt. Eine exemplarische empirische Untersuchung zu Gen 22 (Die Opferung Isaaks). Religionspädagogische Beiträge, 39, S. 65–92. Mendl, Hans (2000): Religiöses Lernen als Konstruktionsprozess. Schülerinnen und Schüler begegnen der Bibel. In: Porzelt, Burkhard; Güth, Ralph (Hrsg.): Empirische Religionspädagogik. Münster u. a.: Lit Verlag. S. 139–152. Mette, Norbert (2013): Zeitgemäßheit der Bibel. In: Zimmermann, Mirjam; Zimmermann, Ruben (Hrsg.): Handbuch Bibeldidaktik. Tübingen: Mohr-Siebeck. S. 667–670. Metzger, Martin (1983): Grundriss der Geschichte Israels. 4. überarb. u. erw. Aufl. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener. Meuser, Michael (2011): Rekonstruktive Sozialforschung. In: Bohnsack, Ralf; Marotzki, Winfried; Meuser, Michael (Hrsg.): Hauptbegriffe Qualitativer Sozialforschung. Obladen: Budrich. S. 140–142. Michel, Andreas (2008): Meerwundererzählung. https://www.bibelwissenschaft.de/filead min/buh_bibelmodul/media/wibi/pdf/Meerwundererzählung___2017-10-10_12_37. pdf [28. 12. 2017]. Ministerium für Bildung und Kultur Saarland (Hrsg.) (2016): Lehrplan Evangelische Religion. Grundschule. https://www.saarland.de/dokumente/thema_bildung/ LP_ER_GS_2016.pdf [22. 01. 2018]. Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein (Hrsg.) (1997): Lehrplan Grundschule. Evangelische Religion. http://lehrplan.lernnetz.de/intranet1/index.php?DownloadID=3 [22. 01. 2018]. Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur Rheinland-Pfalz (Hrsg.) (2011): Rahmenplan Grundschule. Teilrahmenplan Evangelische Religion. https://religion.bildung-rp.de/fileadmin/_migrated/content_uploads/Teilrahmenplan Evangelische_Religion_01.pdf [22. 01. 2018]. Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes MecklenburgVorpommern (Hrsg.) (o. J.): Rahmenplan Grundschule. Evangelische Religion. http://

Literaturverzeichnis

529

www.bildung-mv.de/export/sites/bildungsserver/downloads/unterricht/Rahmenplaene/ Rahmenplaene_allgemeinbildende_Schulen/Religion/rp-evrel-gs.pdf [22. 01. 2018]. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden Württemberg (Hrsg.) (2006): Bildungsplan der Grundschule Evangelische Religionslehre. Stuttgart: Neckar-Verlag GmbH. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2008): Richtlinien und Lehrpläne für die Grundschule in Nordrhein-Westfalen. Frechen: Ritterbach Verlag GmbH. Moldenke, Harold N.; Moldenke, Alma L. (1952): Plants of the bible. Waltham, Mass.: Chronica Botanica Co. Morgenthaler, Christoph (1999): Subjekt, Story und Tradition. In: Lämmermann, Godwin et al. (Hrsg.): Bibeldidaktik in der Postmoderne. Stuttgart u. a.: Kohlhammer. Møller-Christensen, Villhelm; Jørgensen, Jordt (1969): Biblisches Tierlexikon. Konstanz: Christliche Verlags-Anstalt. Müller, Heiner (2012): Bildgeschichten zum Alten Testament. Hamburg: Persen. Müller, Peter (2009): Schlüssel zur Bibel. Stuttgart: Calwer. Müller, Peter (2015): Gott und die Bibel. Stuttgart: Kohlhammer. Müllner, Ilse (2008): Fiktion. https://www.bibelwissenschaft.de/fileadmin/buh_bibelmo dul/media/wibi/pdf/Fiktion__2017-10-10_11_49.pdf [28. 12. 2017]. Naujok, Natascha (2010): Interpretative Unterrichtsforschung in der Grundschule. In: Heinzel, Friederike; Panagiotopoulou (Hrsg.): Qualitative Bildungsforschung im Elementar- und Primarbereich. Bedingungen und Kontexte kindlicher Lern- und Entwicklungsprozesse. Hohengehren: Schneider. S. 16–28. Nentwig-Gesemann, Iris; Nicolai, Katharina (2015): Dokumentarische Videointerpretation typischer Modi der Interaktionsorganisation im Krippenalltag. In: Bohnsack, Ralf; Fritzsche, Bettina; Wagner-Willi, Monika (Hrsg.): Dokumentarische Videound Filminterpretation. Methodologie und Forschungspraxis. 2., durchgeseh. Aufl. Opaden u. a.: Budrich. S. 45–72. Neumann, Michael (2000): Erzählen. Einige anthropologische Überlegungen. In: Neumann, Michael (Hrsg.): Erzählte Identitäten. ein interdisziplinäres Symposion. München: Fink. S. 280–294. Neumann, Michael (2013): Die fünf Ströme des Erzählens. Eine Anthropologie der Narration. Berlin u. a.: De Gruyter. Nicholson, Ernest W. (1973): Exodus and Sinai in history and tradition. Oxford: Blackwell. Niedersächsiches Kultusministerium (Hrsg.) (2006): Kerncurriculum für die Grundschule. Schuljahrgänge 1–4. Evangelische Religion. Hannover. Unidruck. Niedersächsisches Kultusministerium (Hrsg.) (2017): Kerncurriculum für die Grundschule. Schuljahrgänge 1–4. Deutsch. Hannover. Unidruck. Niles, John D. (1999): Homo Narrans. The Poetics and Anthropoly of Oral Literature. Philadelphia: Universitiy of Pennsylvania Press. Nipkow, Karl Ernst (2011): Was ist wahr? Zur Wahrheitsfrage auf dem Wege zu mehrperspektivischer Bildung in der Schule. In: Lindner, Heike; Zimmermann, Mirjam (Hrsg.): Schülerfragen im (Religions-)Unterricht. Ein notwendiger Bildungsauftrag heute?! Neukirchen-Vluyn. Neukirchener Theologie. S. 135–155.

530

Literaturverzeichnis

Nohl, Arnd-Michael (2013): Komparative Analyse. Forschungspraxis und Methodologie dokumentarischer Interpretation. In: Bohnsack, Ralf; Nentwig-Gesemann, Iris; Nohl, Arnd-Michael (Hrsg.): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. 3., aktual. Aufl. Wiesbaden: Springer. S. 271–293. Noth, Martin (1950): Geschichte Israels. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Noth, Martin (1968): Das zweite Buch Mose. Exodus. 4. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Noth, Martin (1971): Archäologische, exegetische und topographische Untersuchungen zur Geschichte Israels. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener. Obermann, Andreas (2008): Religionsunterricht (AT). https://www.bibelwissenschaft.de/ fileadmin/buh_bibelmodul/media/wibi/pdf/Religionsunterricht_AT___2017-10-10_ 11_55.pdf [28. 12. 2017]. Oberthür, Rainer (1995): Kinder und die großen Fragen: ein Praxisbuch für den Religionsunterricht. München: Kösel. Oeming, Manfred (1984): Bedeutung und Funktionen von »Fiktion« in der alttestamentlichen Geschichtsschreibung. Evangelische Theologie, 44 (3), S. 254–266. Oswald, Wolfgang (2005): Exodusbuch. https://www.bibelwissenschaft.de/fileadmin/ buh_bibelmodul/media/wibi/pdf/Exodusbuch__2017-10-10_13_12.pdf [28. 12. 2017]. Oswald, Wolfgang (2016): Pentateuch. https://www.bibelwissenschaft.de/fileadmin/buh_ bibelmodul/media/wibi/pdf/Pentateuch__2017-10-10_12_53.pdf [28. 12. 2017]. Otto, Eckart (2000): Der historische, der biblische und der historisch-kritische Mose. Probleme ihrer Relation und Wirkungsgeschichte. In: Otto, Eckart (Hrsg.): Mose. Ägypten und das Alte Testament. Stuttgart: Verlag Kath. Bibelwerk. S. 9–16. Otto, Eckart (2006): Mose. Geschichte und Legende. München. C.H. Beck. Otto, Gert (2006): Grundfragen des Religionsunterrichts. In: Adam, Gottfried et al. (Hrsg.): Bibeldidaktik. Münster : Comenius-Institut. S. 37–40. Pandel, Hans-Jürgen (1987): Dimensionen des Geschichtsbewußtseins. Geschichtsdidaktik, 12 (2), S. 130–142. Pandel, Hans-Jürgen (1991): Geschichtlichkeit und Gesellschaftlichkeit im Geschichtsbewußtsein. In: Borries, Bodo v.; Pandel, Hans-Jürgen; Rüsen, Jörn (Hrsg.): Geschichtsbewusstsein empirisch. Pfaffenweiler : Centaurus. S. 1–23. Pandel, Hans-Jürgen (1993): »Geschichtsbewusstsein«. Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 44, S. 725–728. Pape, Monika (2008): Entwicklung von Geschichtsbewusstsein im Hinblick auf die unterrichtspraktische Gestaltung historischer Themen im Sachunterricht. http://edok01.tib. uni-hannover.de/edoks/e01dh08/556531604.zip [24. 03. 2017]. Petersen, Jürgen (1996): Fiktionalität und Ästhetik. Eine Philosophie der Dichtung. Berlin: Erich Schmidt. Petersen, Dorthe (2016): Anpassungsleistungen und Konstruktionsprozesse bei Grundschulübergang. Wiesbaden: Springer VS. Piaget, Jean (1980): Das Weltbild des Kindes. Frankfurt a. M.: Klett Cotta. Piaget, Jean (1999): Über Pädagogik. Weinheim: Beltz. Pirner, Manfred L. (2015): Professionsforschung. https://www.bibelwissenschaft.de/filead min/buh_bibelmodul/media/wirelex/pdf/Professionsforschung__2017-10-10_11_13. pdf [28. 12. 2017].

Literaturverzeichnis

531

Pirner, Manfred L.; Schwarz, Susanne (2017): Unterrichtsforschung, empirisch. https:// www.bibelwissenschaft.de/fileadmin/buh_bibelmodul/media/wirelex/pdf/Unterrichts forschung_empirische__2017-10-10_11_38.pdf [28. 12. 2017]. Pfeifer, Anke (2002): Wie Kinder Metaphern verstehen. Semiotische Studien zur Rezeption biblischer Texte im Religionsunterricht der Grundschule. Münster : Lit Verlag. Polanyi, Michael (1985): Implizites Wissen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Pollefeyt, Didier ; Bieringer, Reimund (2005): The Role of the Bible in Religious Education Reconsidered. Risks and Challenges in Teaching the Bible. International Journal of Practical Theology, 9, S. 117–139. Popp, Susanne (2000): Historisches Lernen: Stiefkind der Grundschuldidaktik? Grundschule, 9, S. 8. Porzelt, Burkhard (2000): Qualitativ-empirische Methoden in der Religionspädagogik. In: Porzelt, Burkhard; Güth, Ralpj (Hrsg.): Empirische Religionspädagogik. Grundlagen – Zugänge – Aktuelle Projekte. Münster : Lit Verlag S. 63–81. Przyborski, Aglaja (2004): Gesprächsanalyse und dokumentarische Methode. Qualitative Auswertung von Gesprächen, Gruppendiskussionen und anderen Diskursen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Rad, Gerhard von (1958): Das formgeschichtliche Problem des Hexateuch (1938). In: Rad, Gerhard von (Hrsg.): Gesammelte Studien zum Alten Testament. München: Chr. Kaiser Verlag S. 9–86. Reckwitz, Andreas (2003): Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Zeitschrift für Soziologie, 32(4), S. 282–301. Reents, Christine (1999): »Bibel weg hat kein’n Zweck!?« In: Lämmermann, Godwin et al. (Hrsg.): Bibeldidaktik in der Postmoderne. Stuttgart u. a.: Kohlhammer. S. 337–344. Reis, Oliver (2012): »Wir drehen einen anderen Film!« – Ein Filmprojekt zum »Auszug aus Ägypten« als Lernumgebung für die Primarstufe. In: Büttner, Gerhard et al. (Hrsg.): Religion Lernen. Jahrbuch für konstruktivistische Religionsdidaktik. Band 3: Lernumgebungen. Hannover: Siebert. S. 139–154. Reuschlein, Nina (2013): Biblische Metaphern und Grundschulkinder Eine qualitative empirische Studie zum Verständnis ausgewählter Ich-bin-Worte in Kinderbildern. Bamberg: Univ. of Bamberg Press. Ricœr, Paul (1991): Zeit und Erzählung. Bd. III. Die erzählte Zeit. München: Fink. Riede, Peter (2001): Wachtel. In: Görg, Manfred; Lang, Bernhard (Hrsg.): Neues BibelLexikon. Band III. Düsseldorf/Zürich: Benziger. S. 1052. Riede, Peter (2010): Wachtel. https://www.bibelwissenschaft.de/fileadmin/buh_bibelmo dul/media/wibi/pdf/Wachtel__2017-10-10_11_09.pdf [28. 12. 2017]. Ritschl, Dietrich (1976): »Story« als Rohmaterial der Theologie. In: Ritschl, Dietrich; Jones, Hugh O. (Hrsg.): »Story« als Rohmaterial der Theologie. München: Kaiser. S. 7– 21. Ritschl, Dietrich (1984): Zur Logik der Theolgie. Kurze Darstellung der Zusammenhänge theologischer Grundgedanken. München: Kaiser. Ritschl, Dietrich (2005): Nachgedanken zum »Story«-Konzept. Theologische Zeitschrift, 61(1), S. 78–91. Ritschl, Dietrich; Hailer, Martin (2008): Grundkurs Christliche Theologie. Diesseits und jenseits der Worte. 2. Aufl. Neukirchen-Vluyn. Neukirchener.

532

Literaturverzeichnis

Ritz-Fröhlich, Gertrud (1992): Kinderfragen im Unterricht. Bad Heilbrunn/Obb.: Klinkhardt. Rodegro, Meike (2009): Urknall oder Schöpfung? Eine empirische Untersuchung im Religionsunterricht der Sekundarstufe II. Kassel: Univ. Press. Rohrbach, Rita (2009): Kinder und Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Seelze-Velber : Klett/Kallmeyer. Rölver, Olaf (2007): Die Bibel als Buch. In: Zeitschrift für Religionsunterricht und Lebenskunde, 36 (2), S. 3–7. Roose, Hanna (2013a): Biblizismus und evangelischer Religionsunterricht in der Grundschule. Loccumer Pelikan, 4, S. 160–163. Roose, Hanna (2013b): »War das wirklich so?« – Mose im Religionsunterricht der Grundschule: Zwischen Tatsachenbericht und fiktiver Erzählung. In: Bucher, Anton A./Schwarz, Elisabeth E. (Hrsg.): »Darüber denkt man ja nicht von allein nach …«. Kindertheologie als Theologie für Kinder. Jahrbuch für Kindertheologie Bd. 12. Stuttgart: Calwer. S. 147–158. Roose, Hanna (2014): Kindertheologie und schulische Alltagspraxis: Eine explorative Studie zum Verhältnis von kindertheologischen Normen und eingeschliffenen Routinen im Religionsunterricht. Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik, 13 (1), S. 140–163. Roose, Hanna; Schwarz, Elisabeth E. (Hrsg.) (2016): »Da muss ich dann auch alles machen, was er sagt« – Kindertheologie im Unterricht. Jahrbuch für Kindertheologie Bd. 15. Stuttgart: Calwer. Roth, Heinrich (1968 [1955]): Kind und Geschichte. Psychologische Voraussetzungen des Geschichtsunterrichts in der Volksschule. 5., erg. Aufl. München. Kösel. Roth, Kathleen J. (2009): Using Video Studies to Compare and Understand Science Teaching. In: Jan&k, Tom#sˇ ; Seidel, Tina (Hrsg.): The Power of Video Studies in Investigating Teaching and Learning in the Classroom. Münster : Waxmann. S. 23–37. Rothgangel, Martin; Adam, Gottfried; Lachmann, Rainer (Hrsg.) (2012): Religionspädagogisches Kompendium. 7., grundlegend neu bearb. und erg. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Römer, Thomas (2014): Der Pentateuch. In: Dietrich, Walter et al. (Hrsg.): Die Entstehung des Alten Testaments. Stuttgart: Kohlhammer. S. 53–166. Römer, Thomas (2015): Pentateuchforschung. https://www.bibelwissenschaft.de/filead min/buh_bibelmodul/media/wibi/pdf/Pentateuchforschung__2017-10-10_11_10.pdf [28. 12. 2017]. Rupprecht, Eberhard (1974): Stellung und Bedeutung der Erzählung vom Mannawunder (Ex 16) im Aufbau der Priesterschrift. Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft, 86 (3), S. 269–307. Russel, Bertrand (1980): William James (Auszug 1946). In: Skirbekk, Gunnar (Hrsg.): Wahrheitstheorien: eine Auswahl aus den Diskussionen über Wahrheit im 20. Jahrhundert. 2. Aufl. Frankfurt: Suhrkamp. Rüsen, Jörn (1983): Historische Vernunft. Grundzüge einer Historik I: Die Grundlagen der Geschichtswissenschaft. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Rüsen, Jörn (1987): Ansätze zu einer Theorie des historischen Lernens II: Empirie, Normativität, Pragmatik. In: Geschichtsdidaktik, 1. S. 15–27.

Literaturverzeichnis

533

Rüsen, Jörn (1997a): Geschichtskultur. In: Bergmann, Klaus et al. (Hrsg.) (1997): Handbuch der Geschichtsidaktik. 5., überarb. Aufl. Seelze-Velber : Kallmeyer. S. 38–41. Rüsen, Jörn (1997b): Historisches Erzählen. In: Bergmann, Klaus et al. (Hrsg.) (1997): Handbuch der Geschichtsidaktik. 5., überarb. Aufl. Seelze-Velber : Kallmeyer. S. 57–63. Rüsen, Jörn (2001): »Einleitung«. In: Rüsen, Jörn (Hrsg.): Geschichtsbewußtsein. Psychologische Grundlagen, Entwicklungskonzepte, empirische Befunde. Köln u. a.: Böhlau. S. 1–14. Rüsen, Jörn (2008): Historisches Lernen. Grundlagen und Paradigmen. 2., überarb. und erw. Aufl. Schwalbach: Wochenschau-Verlag. Sauer, Michael (2003): Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik. 2. Auf. Seelze: Kallmeyer. Sächsisches Staatsministerium für Kultus (Hrsg.) (2009): Lehrplan Grundschule. Evangelische Religion. Dresden: Saxoprint. Schaeffer, Jean-Marie (2014): Fictional vs. Factual Narration. In: Hühn, Peter et al. (Hrsg.): Handbook of narratology : Volume 1 and Volume 2. 2., durchgeseh. und erw. Aufl. Berlin: De Gruyter. S. 179–196. Schambeck, Mirjam (2009): Bibeltheologische Didaktik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schambeck, Mirjam (2013): Wie hälst Du’s mit der Empirie? Themen und Trends empirischer Forschung in der Religionspödagogik und ihre wissenschaftstheoretischen Implikationen. In: Dermantowsky, Marko; Zurstrassen, Bettina (Hrsg.): Forschungsmethoden und Forschungsstand in den Didaktiken der kulturwissenschaftlichen Fächer. Bochum u. a.: Projektverlag. S. 71–112. Schambeck, Mirjam (2015): Bibeldidaktik – Grundfragen. https ://www.bibelwissen schaft.de/fileadmin/buh_bibelmodul/media/wirelex/pdf/Bibeldidaktik_Grundfragen __2017-10-10_11_44.pdf [28. 12. 2017]. Schantz, Richard (2006): Wahrheitstheorien in der analytischen und pragmatischen Tradition. In: Enders, Markus; Szaif, Jan (Hrsg.): Die Geschichte des philosophischen Begriffs der Wahrheit. Berlin, New York: De Gruyter. S. 369–396. Schatzki, Theodore R. (2008): Social Practices. A Wittgensteinian approach to human activity and the social. Cambridge: Cambridge University Press. Scharbert, Josef (2000): Exodus. 2. Aufl. Würzburg: Echter Verlag. Schieder, Theodor (1974): »Geschichtsinteresse und Geschichtsbewusstsein heute«. In: Burkhardt, Carl Jacob (Hrsg.): Geschichte zwischen Gestern und Morgen. München: List. S. 73–102. Schlundt, Rainer (2004): Wie Kinder vergangene Welten sehen – Protokoll der empirischen Erhebungen an der Universität Erfurt. In: Schmeinck, Daniela (Hrsg.): Forschungen zu Lernvoraussetzungen von Grundschulkindern. Wie Kinder die Welt sehen. Karlsruhe: Pädagogische Hochschule. S. 39–61. Schmeling, Manfred; Walstra, Kerst (2010a): Erzählung 1. In: Weimar, Klaus et al. (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft: Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Bd. I. Berlin/ New York: De Gruyter. S. 517– 519. Schmeling, Manfred; Walstra, Kerst (2010b): Erzählung 2. In: Weimar, Klaus et al. (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft: Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Bd. I. Berlin/ New York: De Gruyter. S. 519–522.

534

Literaturverzeichnis

Schmid, Herbert (1968): Mose. Überlieferung und Geschichte. Berlin: A. Töpelmann. Schmidt, Werner H: (1988): Exodus 1. Teilband: Exodus 1–6. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener. Schmidt, Werner H. (1995): Einführung in das Alte Testament. 5., erw. Aufl. Berlin: De Gruyter. Schmidt, Ludwig (2007): Manna. http://www.bibelwissenschaft.de/fileadmin/buh_bibel modul/media/wibi/pdf/Manna__2017-10-10_12_56.pdf [03. 01. 2018]. Schmidt, Tanja (2008): Die Bibel als Medium religiöser Bildung. Kulturwissenschaftliche und religionspädagogische Perspektiven. Göttingen: V& R unipress. Schmitz, Barbara (2003): Geschichten erzählen. Fiktionalität im Alten Testament. In: Eckholt, Margit; Heimbach-Steins, Marianne (Hrsg.): Frauen erforschen die Zukunft der Theologie. Ostfildern: Schwabenverlag. S. 58–68. Schmitz, Barbara (2006): Die Bedeutung von Fiktionalität und Narratologie für die Schriftauslegung. In: Schöttler, Heinz Günther (Hrsg.): »Der Leser begreife!« – Vom Umgang mit der Fiktionalität biblischer Texte. Berlin: Lit Verlag. S. 137–149. Schmitz, Barbara (2011): Geschichte Israels. Paderborn: Schöningh. Schmitz, Barbara (2013): Wahre Geschichte(n). Die biblischen Texte als Geschichte und Geschichten. Bibel und Kirche, 68 (3), S. 128–133. Schneider, Wolfgang (2017): Lesen und Schreiben lernen. Wie erobern Kinder die Schriftsprache? Berlin/Heidelberg: Springer. Schori, Kurt (2015): Welches Brot essen wir beim Abendmahl? Empirische Rekonstruktion einer Auseinandersetzung Jugendlicher mit der Brotbitte. In: Troi-Beck, Nadja et al. (Hrsg.): Wenn Jugendliche Bibel lesen. Zürich: Theologischer Verlag Zürich. S. 69–82. Schori, Kurt (2016): Welches Brot essen wir beim Abendmahl? Videographische Dokumentation als Erhebungsmethode in der Unterrichtsforschung. In: Höger, Christian; Arzt, Silvia (Hrsg.): Empirische Religionspädagogik und Praktische Theologie. Freiburg u. a.: o. V. S. 193–208. Schouten van der Velden, Adriaan (1992): Tierwelt der Bibel. Stuttgart: Dt. Bibelgesellschaft. Schönert, Jörg (2006): Was ist und was leistet Narratologie? Anmerkungen zur Geschichte der Erzählforschung und ihrer Perspektiven. Zeitschrift literaturkritik.de, 4, http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=9336 [28. 12. 2017]. Schöttler, Heinz-Günther (2002): Die Bedeutung des Fiktionalen in biblischen Texten. Zu diesem Heft. Bibel und Liturgie, 75(1), S. 2–5. Schöttler, Heinz-Günther (2006): Die homiletische Inszenierung der Fiktionalität biblischer Texte. In: Schöttler, Heinz-Günther ; Zimmer, Michael (Hrsg.): »Der Leser begreife!« Vom Umgang mit Fiktionalität biblischer Texte. Münster : Lit Verlag. S. 203– 219. Schreiber, Waltraut (2000): Grundschulkinder gehen reflektiert mit Geschichte um! Grundschule, 9, S. 9–11. Schröder, Bernd (2014): Empirische Religionspädagogik. Verkündigung und Forschung, 59 (2), S. 94–109. Schweitzer, Friedrich (2006): Religionspädagogik. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Literaturverzeichnis

535

Schweitzer, Friedrich (2008): Religionsunterricht erforschen: Aufgaben und Möglichkeiten empirisch-religionsdidaktischer Forschung. Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, 60 (1), S. 59–73. Schweitzer, Friedrich et al. (2006): Dialogischer Religionsunterricht. Analyse und Praxis konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts im Jugendalter. Freiburg i.B.: Herder. Schweitzer, Friedrich, Ruopp, Joachim; Wagensommer, Georg (2012): Wertebildung im Religionsunterricht. Eine empirische Untersuchung im berufsbildenden Bereich. Münster : Waxmann. Scriba, Albrecht (1995): Die Geschichte des Motivkomplexes Theophanie: seine Elemente Einbindungen in Geschehensabläufe und Verwendungsweisen in altisraelitischer, frühjüdischer und frühchristlicher Literatur. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Seifert, Josef (2009): De Veritate – Über die Wahrheit. Band 3: Der Streit um die Wahrheit und Wahrheitstheorien. Frankfurt u. a.: Onos. Seip, Jörg (2002): Die Wahrheit erfinden? Eine Skizze zum fruchtbaren Spannungsverhältnis von Offenbarung und Fiktionalität. Zeitschrift für Katholische Theologie, 124(2), S. 190–200. Selting, Magret et al. (2009): Gesprächsanalytisches Transkriptionssystem 2 (GAT 2). Gesprächsforschung – Online Zeitschrift zur verbalen Interaktion, 10. S. 353–402, http:// www.gespraechsforschung-online.de/fileadmin/dateien/heft2009/px-gat2.pdf [28. 12. 2017]. Senatorin für Bildung und Wissenschaft der freien Hansestadt Bremen (Hrsg.) (2014): Bildungsplan Religion. Grundschule – Oberschule – Gymnasium. Jahrgangsstufe 1–13. http://www.lis.bremen.de/sixcms/media.php/13/2015_BP_Religion_ Druck.pdf [22. 01. 2018]. Seybold, Klaus (2005): Erzählen vom Erzählen. Beobachtungen zu einer biblischen Erzähltheorie. Theologische Zeitschrift 61 (1), S. 14–26. Sharon, Tanya; Woolley, Jacqueline D. (2004): Do monsters dream? Young children’s understanding of the fantasy/reality distinction. British Journal of Developmental Psychology, 22, S. 293–310. Shtulman, Andrew ; Carey, Susan (2007): Improbable or impossible? How Children reason about the possibility of extraordinary events. Child Development, 78 (3). S. 1015–1032. Skolnick Weisberg, Deena (2013): Distinguishing Imagination from Reality. In: Taylor, Marjorie (Hrsg.): The Oxford Handbook of the Development of Imagination. Oxford: University Press. S. 75–92. Sodian, Beate (2012): Denken. In: Schneider, Wolfgang; Lindenberger, Ulman (Hrsg.): Entwicklungspsychologie. 7., vollst. überarb. Aufl. Weinheim: Beltz. S. 385–411. Sodian, Beate (2014): Entwicklung begrifflichen Wissens: Kernwissentheorie. In: Ahnert, Lieselotte (Hrsg.): Theorien in der Entwicklungspsychologie. S. 122–147. Berlin u. a.: Springer. Sonntag, Kurt (1932): Das geschichtliche Bewußtsein des Schülers: ein Beitrag zur Bildungspsychologie. Erfurt: Stenger. Spieß, Christian (2014): Quellenarbeit im Geschichtsunterricht. Die empirische Rekonstruktion von Kompetenzerwerb im Umgang mit Quellen. Göttingen: V& R unipress. Stachel, Günter (Hrsg.) (1976): Bibelunterricht – dokumentiert und analysiert. Eine Untersuchung zur Praxis des Bibelunterrichts. Zürich u. a.: Benziger.

536

Literaturverzeichnis

Staubli, Thomas (1991): Das Image der Nomaden im Alten Israel in der Ikonographie seiner sesshaften Nachbarn. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht. Steins, Georg (2007): Mit anderen Augen. Den anstößigen Text vom Durchzug durchs Schilfmeer neu lesen. Bibel und Kirche, 62 (4), S. 232–237. Stowasser, Joseph M. (Hrsg.) (1994): Lateinisch-Deutsches Wörterbuch. München: Oldenbourg. Straub, Jürgen (1998a): Personale und kollektive Identität. Zur Analyse eines theoretischen Begriffs. In: Assmann, Aleida; Friese, Heidrun (Hrsg.): Identitäten. Erinnerung, Geschichte, Identität. Bd. 3. S. 73–104. Straub, Jürgen (1998b): »Geschichte erzählen, Geschichte bilden. Grundzüge einer narrativen Psychologie historischer Sinnbildung«. In: Straub, Jürgen (Hrsg.) (1998): Erzählung, Identität und historisches Bewusstsein. Die psychologische Konstruktion von Zeit und Geschichte. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. S. 81–169. Strübing, Jörg (2013): ): Qualitative Sozialforschung. München: Oldenbourg. Taylor, Charles (1989): Sources of the Self: The Making of Modern Identity. Cambridge: Harvard University Press. Teichert, Dieter (2014): Narrative Identitäten. Zur Konzeption einer textuellen Konstitution des Selbst. In: Demmerling, Christoph; Vendrell Ferran, Ingrid (Hrsg.): Wahrheit, Wissen und Erkenntnis in der Literatur. Philosophische Beiträge. Berlin: De Gruyter. S. 578–612. Theis, Hans-Joachim (2005): Biblische Texte verstehen lernen. Eine bibeldidaktische Studie mit einer empirischen Untersuchung zum Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Stuttgart: Kohlhammer. Thomas von Aquin (1986): Von der Wahrheit. De veritate (Questio I). Lateinisch-deutsch. Ausgewählt, übersetzt und herausgegeben v. A. Zimmermann. Hamburg: Felix Meiner. Thöne, Sophie (2013): TextWelten. Grundsätzliches zur Fiktionalität biblischer Texte. Bibel und Kirche, 68 (3), S. 134–137. Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Hrsg.) (2010): Lehrplan für die Grundschule und für die Förderschule mit dem Bildungsgang der Grundschule. Evangelische Religionslehre. In: https://www.schulportal-thueringen.de/ tip/resources/medien/13965?dateiname=lp_gs_ER_2010.pdf [22. 01. 2018]. Tullos, Ansley ; Woolley, Jaqueline D. (2009): The Development of Children’s Ability to Use Evidence to Infer Reality Status. Child Development, 80 (1), S. 101–114. Tuma, Ren8; Schnettler, Bernt; Knoblauch, Hubert (2013): Videographie. Einführung in die interpretative Videoanalyse sozialer Situationen. Wiesbaden: Springer VS. Utzschneider, Helmut (1996): Gottes langer Atem. Die Exoduserzählung (Ex 1–14) in ästhetischer und historischer Sicht. Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk. Utzschneider, Helmut (2007): Gottes langer Atem. Erzählung, Fakt und Fiktion in Ex 1– 14(15). Bibel und Kirche, 62 (4), S. 215–220. Van der Zee, Theo (2007): Religious ideas, feelings and their interrelationship. Research into the effects of religious education in parables on 10- to 12-year-olds. Münster : Lit Verlag. Van Reet, Jennifer ; Pinkham, Ashley M.; Lillard, Angeline S. (2015): The effect of realistic contexts on ontological judgments of novel entities. Cognitive Development, 34, S. 88–98. Verner, Miroslav (1998): Die Pyramiden. Reinbeck: Rowohlt.

Literaturverzeichnis

537

Wagner-Willi, Monika (2004): Videointerpretation als mehrdimensionale Mikroanalyse am Beispiel schulischer Alltagsszenen. Zeitschrift für qualitative Bildungs-, Beratungsund Sozialforschung, 5 (1), S. 49–66. Wagner-Willi, Monika (2005): Kinderrituale zwischen Vorder- und Hinterbühne. Der Übergang von der Pause zum Unterricht. Wiesbaden. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wagner-Willi, Monika (2013): Videoanalyse des Schulalltags. Die dokumentarische Interpretation schulischer Übergangsrituale. In: Bohnsack, Ralf; Nentwig-Gesemann, Iris; Nohl, Arnd-Michael (Hrsg.): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. Grundlagen qualitativer Sozialforschung. 3. aktual. Aufl. Wiesbaden VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 133–155. Wegenast, Klaus (2006): Die didaktische Analyse im Religionsunterricht. In: Adam, Gottfried et al. (Hrsg.): Bibeldidaktik. Münster : Comenius. S. 66–78. Weller, Wivian (2005): Karl Mannheim und die dokumentarische Methode. Zeitschrift für qualitative Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung (ZBBS), 6 (2), S. 295–312. Weimar, Peter ; Zenger, Erich (1975): Exodus. Geschichten und Geschichte der Befreiung Israels. Stuttgart: KBW Verlag. Weiße, Wolfram (2000): Forschungsinteressen und Fragestellungen. Eine Skizze. In: Knauth, Thorsten; Leutner-Ramme, Sibylla; Weiße, Wolfram (Hrsg.): Religionsunterricht aus Schülerperspektive. Münster u. a.: Waxmann. S. 5–8. Weiße, Wolfram (2008): Dialogischer Religionsunterricht in Hamburg. Münster : Waxmann. Weth, Irmgard (2000): Neukirchener Kinder-Bibel. 12., überarb. u. erg. Aufl. NeukirchenVluyn: Kalenderverlag. White, Hayden (1987): The Content of the Form. Narrative Discourse an Historical Representation. Baltimore/London: John Hopkins University Press. Wischmann, Anke; Dietrich, Cornelie (2014): Genese von Heterogenität im Fachunterricht. Ein Beitrag zur Kontextualisierung von Differenzierungspraktiken. Bildungsforschung, 11 (1), S. 1–13. Woolley, Jacqueline D.; Cornelius, Chelsea A. (2013): Beliefs in magical beings and cultural myths. In: Taylor, Marjorie (Hrsg.): The Oxford Handbook of the Development of Imagination. Oxford: University Press. S. 61–73. Woolley, Jacqueline D.; Cox, Victoria (2007): Development of beliefs about storybook reality. Developmental Science, 10 (5), S. 681–693. Woolley, Jacqueline D.; Ghossainy, Maliki (2013): Revisiting the fantasy-reality distinction: Children as naive skeptics. Child Development, 84 (5). S. 1496–1510. Woolley, Jacqueline D.; Ma, Lili; Lopez-Mobilia, Gabriel (2011): Development of the Use of Conversational Cues to Assess Reality Status. Journal of Cognition and Development, 12 (4), S. 537–555. Woolley, Jacqueline D.; Van Reet, Jennifer (2006): Effects of context judgments concerning the reality status of novel entities. Child Development, 77 (6), S. 1778–1793. Woolley, Jacqueline D.; Wellman, Henry M. (1990): Young children’s understanding of realities, nonrealities, and appearances. Child Development, 61 (4). S. 946–961. Woolley, Jacqueline D.; Wellman, Henry M. (1993): Origin and Truth: Young Children’s Understanding of Imaginary Mental Representations. Child Development, 64 (1), S. 1–17.

538

Literaturverzeichnis

Wulff, Hans J. (2012): »Das Leben besteht aus Geschichten«. Von den Sinnhorizonten des Erzählens. TelevIZIon, 25 (2), S. 4–7. Zenger, Erich (1994): Mose/ Moselied/ Mosesegen/ Moseschriften. In: Müller, Gerhard et al. (Hrsg.): Minucius Felix – Name, Namengebung. Theologische Realenzyklopädie. Bd. 23. Berlin: De Gruyter. S. 330–341. Zenger, Erich; Frevel, Christian (2012): Theorien über die Entstehung des Pentateuch im Wandel der Forschung. In: Frevel, Christian (Hrsg.): Einleitung in das Alte Testament. 8., vollst. überarb. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer. S. 85–147. Zenger, Erich, Frevel, Christian (2016a): Heilige Schrift der Juden und der Christen. In: Frevel, Christian (Hrsg.): Einleitung in das Alte Testament. Stuttgart: Kohlhammer. S. 11–36. Zenger, Erich; Frevel, Christian (2016b): Die Bücher der Tora/ des Pentateuch. In: Frevel, Christian (Hrsg.): Einleitung in das Alte Testament. Stuttgart: Kohlhammer. S. 67–227. Zimmermann, Mirjam (2010): Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern: Grundlagen, Methodik und Ziel kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Todes Jesu. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener. Zimmermann, Mirjam; Zimmermann, Ruben (2013a): Bibeldidaktik – eine Hinführung und Leseanleitung. In: Zimmermann, Mirjam; Zimmermann, Ruben (Hrsg.): Handbuch Bibeldidaktik. Münster : Comenius. S. 1–23. Zimmermann, Mirjam; Zimmermann, Ruben (2013b): Ist die Bibel wahr? In: Zimmermann, Mirjam; Zimmermann, Ruben (Hrsg.) (2013): Handbuch Bibeldidaktik. Münster: Comenius. S. 663–667. Zipfel, Frank (2014): Fiktionssignale. In: Klauk, Tobias; Köppe, Tilmann (Hrsg.): Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch. Berlin: De Gruyter. S. 97–124.